Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/16/1990

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die folgenden Ihnen in der vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführten Zusatzpunkte erweitert werden. 6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Dr. Däubler-Gmelin, Schäfer ({0}), Becker-Inglau, Dr. Pick, Schmidt ({1}), Schütz, Singer, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Hartenstein, Kastner, Kiehm, Dr. Kübler, Lennartz, Müller ({2}), Reuter, Stahl ({3}), Weiermann, Dr. Wernitz, Dr. Hauchler, Müller ({4}), Graf, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - Drucksache 11/6449 7. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - ({5}) - Drucksache 11/6453 - 8. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Umwelthaftungsgesetzes - UmweltHG - Drucksache 11/6454 - Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/6496 abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz ({6}) vom 24. bis 25. November 1987 in London und über die Vorbereitungsarbeiten zur 3. INK vom 7. bis 8. März 1990 in Den Haag - Drucksache 11/6373 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz ({9}) vom 24. bis 25. November 1987 in London zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die weitere Entwicklung der Belastung der Gewässer durch Ammonium-Stickstoff und Phosphor zu dem Entschließungsantrag der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz ({10}) vom 24. bis 25. November 1987 in London - Drucksachen 11/3847, 11/4213, 11/4515, 11/6496 Berichterstatter: Abgeordnete Carstensen ({11}) Schütz Wolfgramm ({12}) Zu Tagesordnungspunkt 15 a liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/6456 und 11/6491 vor. Für die gemeinsame Beratung sind im Ältestenrat 90 Minuten vereinbart worden. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Präsidentin Dr. Süssmuth Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der damalige Bundesinnenminister Dr. Zimmermann hat 1983 eine richtige Entscheidung getroffen, als von ihm die Initiative zur 1. Internationalen NordseeschutzKonferenz in Bremen ausging. Zweck dieser Konferenz war, wie er das damals formulierte, einen internationalen Konsens über die Grundsätze der Umweltpolitik für die Nordsee zu erzielen, und Ziel war es, zu konkreten Umweltschutzmaßnahmen zu kommen und bestehenden internationalen Gremien neue Impulse zu geben. Meine Damen und Herren, bei allen Unkenrufen und auch bei mancher Unzufriedenheit, die insbesondere die Opposition im Deutschen Bundestag draußen zum Ausdruck bringt, ({0}) hat sich die Nordseeschutz-Konferenz, die die SPD, lieber Herr Opel, leider nie zustande gebracht hat, trotz alledem bewährt. ({1}) - Aber Sie hatten doch vorher doch auch ein bißchen Zeit. - Nordseeprobleme werden international behandelt, weil auch die Verschmutzung der Nordsee international ist. Aus diesem Grund müssen auch die Beschlüsse zur Begrenzung international getragen werden. Genauso muß die Nordseeschutz-Konferenz aber auch dazu dienen, daß Nachlässigkeiten und grobe, unentschuldbare Versäumnisse einiger Staaten angeprangert werden können, um es öffentlich zu machen. ({2}) Auch deshalb begrüße ich es, wenn Dänemark und Norwegen und auch wir kürzlich scharf gegen Großbritannien protestiert haben, wo neue Genehmigungen zur Abfall- und Giftmüllverklappung erteilt worden sind. Auch wir, lieber Herr Töpfer, ({3}) der offensichtlich im Stau steckt - Ich gehe davon aus, lieber Herr Opel, daß Herr Töpfer gleich kommen wird. Auch einige von Ihnen haben offensichtlich im Stau gestanden. Ich bitte, das morgens doch vielleicht zu entschuldigen. - Wir sollten deutlich unser Mißfallen und unsere Verstimmung ausdrücken. Was nützen nationale Anstrengungen beim Verbot von Dünnsäureverklappungen, bei der Hohe-See-Verbrennung, wenn eigene Vermeidungsaktivitäten von anderen Ländern nicht mitgetragen oder unterlaufen werden? Es ist allerdings Aufgabe der Länder, durch Planung, Einrichtung und Umrüstung von Kläranlagen im kommunalen Bereich dafür zu sorgen, daß die Belastung der Vorfluter mit Stickstoff- und Phosphorverbindungen möglichst niedrig gehalten wird. Richtlinien, Verordnungen und Zielvorgaben hat es genügend gegeben. Auch der Vorwurf der SPD, Bonn gebe für den Schutz der Nordsee keine müde Mark aus, ist genauso unhaltbar wie lächerlich. Ich will das, damit das auch die Kollegen aus Schleswig-Holstein einmal merken, am Beispiel der Landesregierung Schleswig-Holstein deutlich machen. Die Landesregierung prahlt mit ihren Aktivitäten zum Meeresschutz durch Ausbau von Kläranlagen. ({4}) Ich unterstütze, lieber Herr Professor Heydemann, ausdrücklich jede Aktivität auf diesem Gebiet. Ich erwarte aber ebenso ausdrücklich eine ehrliche Darstellung, wer denn finanziert und wer Geld zur Verfügung stellt. ({5}) In Ihrer Broschüre zum Gewässerschutz schreiben Sie: 120 Millionen DM stellt das Land zur Verfügung, 7,5 Millionen DM werden vom Bund erwartet. Wenn ich mir dann die Anträge zum Strukturfonds des Bundes ansehe, dann sehen Maßnahmen, nur auf den Kreis Nordfriesland bezogen, folgendermaßen aus: ({6}) - Nun reden wir erst einmal über Schleswig-Holstein, lieber Herr Opel. ({7}) Für den Ausbau der Kläranlagen gibt es in Husum 1,34 Millionen DM vom Bund und 195 000 DM vom Land, in St. Peter Ording 171 000 DM vom Bund und 47 000 DM vom Land. In Westerland und Wyk auf Föhr sieht es ähnlich aus. Für Bredstedt gibt es 360 000 DM vom Bund und 0 DM, keine müde Mark, Herr Opel, vom Land. Nochmals für Husum kommen 720 000 DM vom Bund und 0 DM vom Land. Für Kampen gibt es 208 000 DM vom Bund und 0 DM vom Land. Wenn Sie die ganzen Ausbaumaßnahmen in der Untergruppe 11 zusammenzählen, dann sieht die Kostenverteilung bei 10,4 Millionen DM - nur im Kreis Nordfriesland - folgendermaßen aus: 5,3 Millionen DM für die Gemeinden, davon 4,7 Millionen DM vom Bund und schlappe 430 000 DM vom Land. Dann reden Sie hier von „keiner müden Mark" von Bonn! Wenn Sie sich dann die „Projektliste Arbeit und Umwelt" ansehen, die Sie ebenfalls nach draußen tragen, dann werden dort für Abwasserentsorgung einschließlich Schiffsentsorgung und Gewässerschutz 64 Millionen DM investiert, davon in 1989 42 Millionen DM für die Finanzierung - man höre: in einem Landesprogramm aus dem Strukturfonds 21 Millionen DM und aus Komplementärmitteln ebenfalls 21 Millionen DM. Weil dann ja nichts übrig bleibt, betragen die „regulären Haushaltsmittel des Landes" 0 DM, keine müde Mark! ({8}) Es ist nun nicht so, daß sich das Land das nicht leisten kann oder daß es kein Geld hat. Es leistete sich im Carstensen ({9}) letzten Jahr auch noch, wie es Wolfgang Börnsen herausfand, 46 Millionen DM aus der Strukturhilfe nicht abzurufen. Der Umweltminister produziert Gutachten in Schleswig-Holstein, produziert aber auch die weitaus höchsten Haushaltsreste. ({10}) Sie sollten, lieber Herr Heydemann, vielleicht auch hier noch einmal sagen, was mit den Spendenmitteln, die beim Seehundsterben aufgebracht wurden, passieren soll. Nun erzählen Sie den Leuten bloß nicht, daß sie draußen im Wesselburener Loch eine Kamera auf einem Sendemast aufbauen wollen, damit die Leute in Büsum die Seehunde beim Spielen besehen können. Es ist peinlich, was Sie mit den Spendenmitteln machen. Sagen Sie uns bitte auch, lieber Herr Heydemann, wenn Sie hier gleich reden, wie Sie den Leuten erklären wollen, daß Sie ihnen einerseits sagen, sie sollen für die Phosphateliminierung und für die Stickstoffeliminierung Geld ausgeben, und sie sollen bei den Abwassergebühren mehr bezahlen, wenn Sie andererseits noch jetzt eine Genehmigung für die Verklappung in die Ostsee geben wollen und Engholm losschicken, der sagen soll: Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, daß im Aushub am SkandinavienKai der Nährstoffreichtum der Sande das Problem ist und nicht die Schadstoffbelastung. ({11}) Ich staune darüber, daß Sie sich hier hinstellen und sagen, wir müssen etwas für die Nordsee tun, wir müssen etwas für die Seen tun, aber vom Bürgermeister in Lübeck zum sofortigen Vollzug aufgefordert werden und gleichzeitig die Genehmigung zur Verklappung aussprechen wollen. Die öffentlichen Mittel, die in die Verbesserung der Kläranlagen fließen, um Stickstoff und Phosphor zu eliminieren, sind gut angelegt, weil sie zielgerichtet helfen und die Nordsee entlasten. Unstrittig ist auch, daß in der Landwirtschaft Einschränkungen hingenommen werden müssen. Aber wo, bei wem, und wie, diese Frage ist hier ungleich schwerer zu beantworten. Die Frage steht leider noch immer im Raum: Welche Mengen an Phosphor und Stickstoff kommen aus der Landschaft, wieviel kommt davon aus der Landwirtschaft und dort aus welcher Art der Landbewirtschaftung? Dies muß sicherlich ganz sauber aufgebröselt werden. ({12}) Diejenigen, die nach dem Motto argumentieren: Extensiver oder biologischer Anbau ist gut, intensiver ist schlecht, machen sich die Sache etwas zu einfach. ({13}) Es muß dort in die Bewirtschaftung eingegriffen werden, sie muß beschränkt oder geändert werden, wo nicht nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis gearbeitet wird. Das hat grundsätzlich nichts mit der Intensität zu tun. Die Bilanz der Nährstoffe ergibt eine Aussage zum Verlust von Phosphaten und von Stickstoff in den Gewässern - nicht die absolute Höhe der Düngung, sondern die Differenz zwischen Düngung und Entzug. Vorschläge, etwa den Halmverkürzer CCC zu verbieten oder eine Stickstoffsteuer einzuführen, sind nicht zielgerichtet. Sie werden im Bereich der Nährstoffauswaschung keinen Erfolg haben. ({14}) Es muß dort angesetzt werden, wo mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der größte Erfolg für die Nordsee zu erreichen ist. ({15}) Auch aus diesem Grund möchte ich Sie, lieber Herr Minister Töpfer, auffordern, ermuntern, bei der nächsten Konferenz einen Schwerpunkt auf die Sanierung der Flüsse auch aus Osteuropa zu legen, auf die Sanierung von Elbe und Weser. ({16}) Wir begrüßen ausdrücklich Ihr Engagement, die Ostanlieger an Elbe und Weser mit in die internationalen Konferenzen miteinzubinden. Wir erwarten aber auch, daß mit den westeuropäischen Nachbarn an der Nordsee härter verhandelt wird; insbesondere mit Großbritannien, damit der Sozialminister Jansen, unser ehemaliger Kollege aus der SPD-Fraktion, auch weiterhin - wie jetzt gerade auf Sylt - von fixierten Qualitätsstandards, von den systematischen Badewasseranalysen an der Nordsee und vom sauberen Badewasser als den unabdingbaren Voraussetzungen für den Fremdenverkehr reden kann. Herzlichen Dank. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lennartz.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Töpfersche Umweltpolitik ({0}) richtet sich streng nach der Aristotelischen Dramentheorie. ({1}) - Es muß erst zur Krisis kommen, ehe die handelnden Personen zur Vernunft kommen, ehe etwas Vernünftiges geschieht. ({2}) Den ersten Teil dieser Dramenlehre, Herr Minister Töpfer, beherrschen Sie wirklich perfekt: Drohende Umweltkatastrophen werden mit Konferenzen begleitet. Mit vollmundigen Ankündigungen präsentieren Sie Scheinmaßnahmen, die die Katastrophe weder verlangsamen noch aufhalten können. Beim zweiten Teil muß sich der Aristoteles-Schüler Töpfer allerdings noch als sehr gelehrig erweisen; denn etwas Vernünftiges, hier besser Durchgreifendes ist in wichtigen Feldern der Umweltpolitik dieser Bundesregierung leider nicht abzusehen. ({3}) Die Politik des Zögerns und Zauderns, der freiwilligen Vereinbarungen, des Abwartens bis zum Reparaturfall richtet unweigerlich unsere letzten natürlichen Lebensgrundlagen zugrunde: ({4}) den Boden, die Luft und das Wasser. Das staunende Publikum erlebt derweil die Krisis im Drama Umweltpolitik der Bundesregierung. Zur Zeit wird die Szene Nordseeschutzpolitik gespielt. Die Akteure, die Teilnehmer der 3. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz, reden wirr durcheinander, während die Uhr unerbittlich weiterläuft und die Nordsee Stunde für Stunde, Tag für Tag mit Tausenden von Tonnen Schadstoffen belastet wird, ({5}) was nicht zu geschehen brauchte, meine Damen und Herren, wenn vorsorgende Umweltschutzpolitik in der Bundesrepublik und in den übrigen Anrainerstaaten wirklich betrieben würde. Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der Nordseeschutz der Bundesregierung ist völlig unzureichend. ({6}) Es tröstet auch nicht, daß andere Anrainerstaaten, Herr Kollege Carstensen, wie etwa Großbritannien noch übler auftreten. Die Tatsache, daß ein Elefant im Porzellanladen herumtobt, rechtfertigt ja nicht, ihm noch die letzten erhaltenen Stücke Meissener Porzellans hinterherzuwerfen. ({7}) Nein, der Bericht und der deutsche Entwurf für die Abschlußerklärung der 3. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz lassen keine wesentlichen Fortschritte erkennen. ({8}) Waren schon die Beschlüsse der 2. Konferenz in ihrer Substanz nicht geeignet, die Nordsee vor einem wirklichen Exodus wirksam zu sanieren, ({9}) und war schon das 10-Punkte-Programm der Bundesregierung von 1988, Herr Kollege, völlig unzureichend - es ist ja trotz der mageren Aussagen noch nicht einmal umgesetzt worden - , so sind die vom Deutschen Bundestag geforderten weitergehenden Maßnahmen, Herr Kollege Carstensen, noch nicht einmal im Bericht bewertet worden, geschweige denn im Forderungskatalog für die 3. Internationale Nordseeschutz-Konferenz enthalten. ({10}) Die Bundesregierung, Herr Kollege, versucht mit ihrem Bericht erneut darüber hinwegzutäuschen, daß sie nicht imstande ist, für Industrie und Landwirtschaft klare Rahmenvorschriften zu geben, ({11}) klar zu sagen, wie Schadstoffe und Nährstoffeinträge drastisch vermindert werden sollen, klare Produktions- und Verwendungsverbote und Beschränkungen für wassergefährdende Stoffe vorzugeben. Herr Kollege Töpfer, wer nicht in der Lage ist, zu Hause gefährliche Pflanzenschutzmittel zu verbieten, den technisch möglichen und wirtschaftlich zumutbaren Stand der Technik für die Abwasserreinigung in der Industrie vorzuschreiben und damit endlich einmal qualitativ etwas zu erreichen, auf eine umweltverträgliche Landwirtschaft umzuschwenken, das Wattenmeer als einzigartigen ökologischen Lebensraum wirksam zu schützen, das Chemikaliengesetz, das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, das Düngemittelgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz und das Abfallgesetz so zu gestalten, daß diese Gesetze endlich auch den Schutz der Meere regeln - darum geht es -, der darf nicht mit dem Finger auf die Briten zeigen. Herr Kollege Töpfer, vielleicht können Sie uns nachher von diesem Platz aus sagen, wann Sie das Bundesnaturschutzgesetz endlich einmal einbringen werden. Geschieht das noch in dieser Legislaturperiode? ({12}) Statt dessen tappt diese Bundesregierung im dunkeln und kennt selbst nicht einmal die Zahlen, die 85er Schadstofffrachten, die bis 1995 halbiert werden sollen. Meine Damen und Herren, auch die einzelnen Schadstoffarten, deren Transport durch die Flüsse in die Nordsee bis 1995 halbiert werden soll, stehen nicht fest. Eine Liste von ganzen 37 Stoffen liegt vor, deren Einleitung bis zum Jahre 1995 auf 50 % der geschätzten Einleitungen von 1985 reduziert werden soll. Von den 129 extrem giftigen Stoffen, die von der EG-Kommission schon in den 70er Jahren zum Verbot durch nationales Recht empfohlen wurden, ist in der Bundesrepublik Deutschland bisher nur ein einziger, nämlich PCB, verboten. Warum, Herr Kollege Töpfer, soll sich die Konferenz nicht auf diese 129 Stoffe beziehen? Statt zu handeln und giftige Stoffe aus den Flüssen herauszuhalten, hält Minister Töpfer heute noch in seinem Nordseebericht diese Liste für viel zu umfangreich. Es ist ein Jammer, daß die reichsten IndustrieLennartz nationen der Erde nicht in der Lage sein sollen, den Stand der Technik für Abwasserreinigung vorzuschreiben und die sogenannte wirtschaftliche Verfügbarkeit der Technik zum Credo zu erheben. ({13}) Damit sind reinen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Tür und Tor geöffnet. ({14}) Die Entscheidung über Leben und Tod der Nordsee wird in den Vorstandsetagen der Chemiekonzerne und bei Ihrer heißgeliebten Landwirtschaft statt in den Regierungszentralen fallen. ({15}) Das ist ein Armutszeugnis, Herr Kollege Töpfer, ({16}) aber leider kein Einzelfall in Ihrer Amtszeit als Umweltminister. Zwei Beispiele neben vielen weiteren, die noch zu nennen wären, zeigen: Minister Töpfer ist nicht bereit zuzupacken. Versteckspiel hinter den ökologisch Fußkranken in der EG als Ersatz für eine vernetzte konsequente und effektive Nordseeschutzpolitik, das wird hier geboten. Es ist halt das alte Lied: Der Bundesregierung fehlt das ökologische Bewußtsein, und deshalb verletzt sie bei jeder umweltpolitischen Grundsatzentscheidung den ökologischen Generationenvertrag. ({17}) Unseren Kindern und Kindeskindern werden so ökologische Wüsten und tote Meere hinterlassen, ({18}) mit irreparablen Schäden, die niemand mit noch so großen Anstrengungen wird beheben können. „Entscheidend ist, was hinten rauskommt" ; diesen oft belächelten Satz des Bundeskanzlers sollten Sie, Herr Töpfer, endlich beherzigen. Entscheidend ist, was an Schadstoffen in den Flußmündungen verbleibt und bequem in die Nordsee „entsorgt" wird. ({19}) Das ist heute und bei Ihrer Politik absehbar auch in den nächsten Jahren noch viel zuviel, um die Nordsee am Leben zu erhalten. Wer aus der Vergangenheit nicht gelernt hat, wer die Gegenwart nicht beherrscht, der hat auch keine Zukunft. Herr Töpfer, handeln Sie endlich! Ich danke Ihnen. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich wundere mich schon ein bißchen, daß Sie das Kind so verleugnen. Wir sind doch eigentlich ganz froh, daß es jetzt in die Jahre kommt. Wie sahen denn die Vorbereitungen zur 1. Nordseeschutz-Konferenz und die Konferenz selbst aus? Wir konnten damals doch gar nicht erwarten, daß die anderen Nordseeanrainerländer sich an Vereinbarungen beteiligen, die die Nordsee wirklich zu schützen beginnen. Ich bin der Meinung, daß sich dieses Kind tatsächlich positiv entwikkelt. Ich betrachte es auch mit einem gewissen Wohlgefallen. ({0}) Der vorliegende Bericht erhebt nicht nur die Forderung nach einer 3. Nordseeschutz-Konferenz, sondern er zeigt auch, wie die von der 2. Nordseeschutz-Konferenz aufgestellten Forderungen umgesetzt werden. ({1}) Ich meine, das sieht positiv aus gegenüber dem, was wir vorher hatten. ({2}) Wir erwarten mit großer Spannung, was die SPD in der DDR nach der Wahl am 18. März auf diesem Gebiet alles auf die Beine stellen wird. Wir erwarten auch mit großer Spannung, wie Sie auf Ihre Kollegen in Polen Einfluß nehmen. Wir erwarten natürlich auch mit großer Spannung, Herr Lennartz, wie Sie jetzt nach Großbritannien fahren werden, weil wir ja gesehen haben, daß Großbritannien allerlei Verzögerungen und Retardierungen einbaut. Wir warten mit großer Spannung darauf, daß Sie dort vor Ort für die Nordsee kämpfen. Das Szenario, das Sie hier dargestellt haben, ist nicht eindrucksvoll. Es ist vor allen Dingen auch nicht eindrucksvoll, wenn Sie das als Schauveranstaltung abqualifizieren, was auf der bevorstehenden Nordseeschutz-Konferenz zu leisten ist. Eine Schauveranstaltung setzt ja voraus, daß Schaulustige am Wege stehen und die Sache betrachten. Sie halten in dieser Angelegenheit ein wenig Maulaffen feil. Das ist ein sehr schöner alter Ausdruck, der genau das beschreibt, was Sie im Augenblick tun. ({3}) Sie beteiligen sich nicht ernsthaft an der Sache. Sie nehmen keinen Einfluß auf die von Ihnen regierten Länder. Sie fordern vom Bund Daten. Sie stellen aber nicht fest, daß die Daten von den Ländern, in denen die SPD die Regierung stellt, nicht geliefert werden. Der Bund kann nur die Daten nennen, die die Länder ihm liefern. Herr Töpfer kann keine anderen Daten vorlegen als die, die die Länder ihm liefern. Herr Lennartz, da wäre es Ihre Aufgabe zu helfen. Dann könnten Sie tatsächlich hinterher darauf verweisen, was Sie Positives geleistet haben. Auch die Abkürzung INK macht deutlich, daß wir uns einem Normalverfahren nähern: Wenn eine Konferenz eine feste Abkürzung erhält, macht das deutlich, daß wir uns in eine nützliche Routine begeben haben. 15252 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Wolfgramm ({4}) Das UVP-Gesetz, die Novelle zum Chemikaliengesetz, die - wie wir hoffen - in Kürze abzuschließende Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes zeigen, daß wir unsere Aufgaben auf diesen Gebieten ernst nehmen. Die Novelle des Abwasserabgabengesetzes erfordert natürlich noch einigen Beratungs- und auch, wie ich hoffe, Veränderungsbedarf. Wir werden uns in dieser Sache sehr engagieren. ({5}) - Lieber Herr Kollege Lennartz, wir werden uns ja dann wiedersehen. Aber wir zweifeln bei Ihren Worten immer etwas: Sie fordern und unterstützen etwas, und hinterher kritisieren Sie es. Diese Position ändern Sie so, wie Schwammerin nach einem warmen Regen wachsen. ({6}) Die Durchsetzung des Einbringungsstopps für Dünnsäure im vergangenen Jahr halte ich für einen ganz wichtigen Markstein. Den haben Sie in Ihrer Betrachtung scheinbar vergessen. Das war damals bei Ihrem Vortrag einer Ihrer Hauptpunkte. Man muß auch ein bißchen konsequent in dem sein, was man als Kritik vorträgt, weil die Nordsee Gott sei Dank inzwischen bei uns im Bundestag eine kontinuierliche Betrachtung erfährt. Ich bedauere, daß sich auf der Bundesratsbank nur die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein tummeln. Ich meine, daß sich auch NRW, das hier übrigens allerhand Verzugsdefizite aufweist, vielleicht auch dieser Debatte widmen könnte. ({7}) Herr Lennartz, das wäre einen Anruf in NRW wert, daß Sie sagen, es wäre nützlich, daß NRW hier an der Debatte teilnimmt. ({8}) Herr Carstensen ist schon auf das Beispiel Niedersachsen eingegangen. Ich meine, daß die Niedersachsen die Phosphateliminierung mit dem Programm für Kläranlagen für über 20 000 Einwohnergleichwerte hier wirklich unterstützen. Das ist immerhin eine Reduzierung um 70 %. Das ist ein sehr ordentlicher Wert, der hier erreicht wird, und wir warten auch sehr darauf, was uns die sozialdemokratischen Länder da vorschlagen und bieten werden. Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Strukturhilfe im Haushaltsbereich, die wir hier seinerzeit nach einigen Mühen im Bundestag aus der Taufe gehoben haben, stärker für den Bereich des Gewässerschutzes für die Nordsee eingesetzt werden soll. ({9}) - Aber Herr Kollege Opel, natürlich wissen Sie, daß der Rhein und die Elbe mit allen Zu- und Nebengewässern in die Nordsee fließen. Dazu gehören fast alle hessischen Flüsse. Das ist uns schon in der Schule deutlich gemacht worden. ({10}) Die meisten Flüsse in der Bundesrepublik fließen in die Nordsee. Nur die südlichen entwässern in das Stromgebiet der Donau. Deshalb ist es für die Nordsee hilfreich, wenn wir da etwas tun. ({11}) Die Strukturhilfe beträgt immerhin 2,5 Milliarden DM, und 2,5 Milliarden DM zusätzlich für die Nordsee einzusetzen, ist hilfreicher als Ihre Zwischenrufe. Das muß ich hier mal festhalten. ({12}) - Über die Wahrheit, Herr Kollege, werde ich mich nachher noch ein bißchen auseinandersetzen, wenn ich mich mit der Frage Aristoteles und Lennartz beschäftige. Da werden wir noch zu einigen Erkenntnissen kommen. ({13}) Ich erwarte von der Konferenz besonders die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips, denn das ist ein Handlungsgrundsatz, den wir international einbringen müssen, und da muß die Nordsee-Konferenz hilfreich sein und damit Vorgaben für die Ostsee-Konferenz leisten, von der ich hoffe, daß wir sie an dieser Stelle auch demnächst behandeln können. Die Sowjetunion scheint mit ihrer Umweltkommission auf einem guten Weg zu sein. Allerdings ist sie im Augenblick noch in der Phase der Bestandsaufnahme. Die Bestandsaufnahme ist nötig, um festzustellen, wie krank die Patienten sind. Erst dann kann man zur Therapie kommen. Ich habe Großbritannien schon angesprochen. Ich meine, wir als Parlamentarier sollten alles tun, um auf Großbritannien einzuwirken und hier ein stärkeres Verständnis für die Situation der Nordsee zu schaffen. Das bedeutet auch das Vorziehen des Verbrennungsstopps auf See. ({14}) - Den sollten wir bei Großbritannien vorziehen. Das bedeutet die Erklärung zum Sondergebiet. ({15}) Das bedeutet natürlich auch die Schutzregelung für das Wattenmeer. Der hohe Druck der Öffentlichkeit und auch der Medien machen verschiedene Verbesserungen in diesem Bereich möglich, die vorher nicht gesehen worWolfgramm ({16}) den sind. Die Halbierung der Nähr- und Schadstoffeinträge hätten wir sicher nicht durch eine zusätzliche Öffentlichkeitswirkung ohne weiteres erreichen können. Aber es fehlt noch die Erarbeitung einer Nordseeschutz-Konvention, und es fehlt auch die ernsthafte und beschlußkräftige Teilnahme der Länder DDR und Tschechoslowakei. Beides wird sich durch die deutsch-deutsche Entwicklung erheblich verbessern, wie ich hoffe. Ich meine, daß nicht nur der Beobachterstatus, sondern der Teilnehmerstatus in diesem Bereich wichtig ist. Übrigens, wenn wir die Entwicklung der östlichen Nachbarländer sehen, dann haben wir natürlich über die Bestandsaufnahme hinaus eine Fülle von Aufgaben vor uns, bei denen Parlamentarier nicht nur tätig sein sollten, sondern auch tätig werden müssen. Es geht um die Frage, wie wir im einzelnen Einfluß nehmen auf das Bewußtsein in diesen Ländern. Das können wir durch vielfältige Kontakte, durch Gespräche, durch Vorträge und ähnliches mehr unterstützen. Ich rufe dazu besonders die Opposition auf, weil sie damit ihre Ernsthaftigkeit unterstreichen kann, die sie hier gern vorträgt, die wir ihr ja auch nicht bestreiten wollen. Bei der Frage der Ernsthaftigkeit, Herr Kollege Lennartz, möchte ich nun zu dem Aristoteles-Zitat kommen. Wenn man Aristoteles zitiert, sollte man vorher Sokrates lesen. Platon läßt Sokrates - wenn ich das recht erinnere - in seinem „Gastmahl" sagen: Bevor man eine Theorie aufstellt. soll man vorher sehr sorgfältig nachdenken. ({17}) Wie gesagt: Lesen Sie Sokrates, dann werden Sie möglicherweise nicht immer sofort Aristoteles zitieren. Was uns in Niedersachsen besonders interessiert, ist die Salzfracht von Werra und Weser. Das ist sicher nicht das, was die Nordsee auf das äußerste belastet, aber für uns ist das ein wichtiger Punkt. Wir hoffen und erwarten, Herr Kollege Töpfer, daß das Salzeis, auf dem dieses Problem lange Zeit gelegen hat, nun schmilzt - Salz ist dabei ja hilfreich - und wir auch zu dieser Frage demnächst eine Vereinbarung haben werden. ({18}) Zum Schluß meine ich, daß wir uns darauf konzentrieren sollten, daß das Nordsee-Gutachten fortgeschrieben wird. Ich habe das an diesem Platz schon mehrfach gefordert und wäre sehr dankbar, wenn Anstrengungen dafür unternommen würden. Wir sind bei der Nordsee in der Situation, daß der Patient, der sich in einem sehr ernsten Stadium befindet, nunmehr durch das Erkennen der Krankheit und durch die nach Konsilium der Ärzte eingeleiteten Therapien die Chance hat, wieder zu gesunden. ({19}) Dazu brauchen wir aber immer wieder Bestandsaufnahmen, damit wir wissen, wo wir noch zusätzlich verstärkt eingreifen müssen. Im übrigen möchte ich festhalten, daß der Bundesumweltminister und sein Haus für die bevorstehenden Verhandlungen auf der Nordseeschutz-Konferenz unsere volle Unterstützung haben. Wir erhoffen und erwarten denn auch den entsprechenden Erfolg. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat Frau Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Welches Nordsee-Anrainerland ist denn nun mit der Umsetzung der Beschlüsse dar 2. Internationalen NordseeschutzKonferenz am weitesten gekommen? ({0}) Wer hat den Ernst der Stunde erfaßt und erkannt, daß alle, aber auch wirklich alle Anstrengungen gemacht werden müssen, um die Nordsee überhaupt noch retten zu können? ({1}) Verehrte Kollegen und Kolleginnen, „Deutschland als größte Schadstoffquelle " so überschrieb die „Neue Zürcher Zeitung" kürzlich einen Artikel über Rhein- und Nordseeschutzmaßnahmen der Bundesregierung. ({2}) Diesen Tenor haben wir allerdings in den letzten Tagen und Wochen von seiten der Regierung und des Umweltministers in Vorbereitung der 3. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz nicht heraushören können. Tatsache ist aber: Die Internationale Rheinschutzkommission hat Ende November 1989 in Brüssel erstmals einen Bericht über die Emission prioritärer Stoffe vorgelegt, woraus ersichtlich wurde, daß die Bundesrepublik bei 18 von 27 Substanzen jeweils der größte Einleiter war und noch immer ist. ({3}) Der Tod der Nordsee beginnt im Binnenland, verehrte Kollegen und Kolleginnen. Die Namen der Emittenten sind bekannt, beispielsweise die von denen, die die größten Einleiter von Organochlorverbindungen in der Bundesrepublik waren: BASF AG, Ludwigshafen, Deutsche Solvay, Hoechst AG, Frankfurt, Bayer AG, Leverkusen, Hüls AG, Marl, und andere gehören dazu. Absolute Spitzenreiter sind die Zellstoffwerke, die Papierwerke Aschaffenburg und Mannheim, Holzmann, Karlsruhe, Westfälische Zellstoff. Hier ist zugleich ein anschauliches Beispiel Ihrer Versäumnisse gegeben, Herr Minister. Mit unglaublicher Halsstarrigkeit, so möchte ich es einmal nennen, denken Sie beim Stichwort Ökologie an Produktion mit nachgeschalteten Reinigungstechnologien. Der Gedanke, mit Ihren ganzen Vorschriften dafür zu sorgen, daß keine Verfahren und Produkte mit gefährlichen Stoffen eingesetzt werden, liegt Ihnen offensichtlich fern. Weiterhin ist der Begriff Vorsorge, den Sie so gern im Munde führen, für Sie nicht verknüpft mit den Erfordernissen der Naturverträglichkeit, sondern mit der Frage, welche Reinigungstechnologien wirtschaftlich verfügbar sind. Das Ergebnis sind dann so schlappe Verwaltungsvorschriften wie die für die Zellstoffindustrie. Sie darf auch in Zukunft - nach dem Stand der Technik - erhebliche AOXMengen in die Gewässer einleiten, obwohl die Chlorbleiche in der Zellstoffindustrie überholt ist. Es gibt chlorfreie Alternativen, und es gibt Produktalternativen, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen. Bei einem erheblichen Anteil der Papiere kann auf eine Bleichung ganz und gar verzichtet werden. Hier ist der Beweis. ({4}) Dieser Prozeß ist im Ausland vor Jahren in Gang gekommen. Deshalb: Vorreiter Bundesrepublik - Fehlanzeige. Die Folge Ihrer kurzatmigen und perspektivlosen Bemühungen, die Giftfracht durch Filteranlagen zurückzuhalten, ist: Es entsteht immer mehr Sondermüll, obwohl dieser uns ja nun schon wirklich bis zum Hals steht. Wer Vorreiter sein will, Herr Minister, sollte etwas weiter denken. Sie sind Vorreiter bestenfalls in der Vertagung der Probleme durch technisches Krisenmanagement. Da hilft es auch nichts, auf die Briten zu verweisen, die so große Bremser seien, oder darauf, daß Sie ausdrücklich die kritische Haltung der Umweltverbände unterstützen, daß Ihre Gedanken international nicht akzeptiert werden. Sie, Herr Minister, werden sich an dem messen lassen müssen, was Sie hier tun, und das ist, gemessen an den Riesenproblemen, leider sehr wenig. ({5}) Wenn Sie etwas vorzuweisen hätten, wäre Ihr Stand bei den Verhandlungen wesentlich besser, wenn Sie nämlich Erfolge bei der Schadstoffvermeidung nachweisen könnten, wenn Sie Maßnahmen vorweisen könnten, die der Reduzierung atmosphärischer Schadstoffe dienen und den Regen wieder entgiften. Verehrte Kollegen und Kolleginnen, Regenwasser enthält nicht nur Pestizide, vielfach in Konzentrationen über den zulässigen Grenzwerten für Trinkwasser, sondern auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die bis zum Zehnfachen des zulässigen Grenzwertes im Trinkwasser ausmachen. Ja, der ganze chemische Zoo spiegelt sich inzwischen in unserem Regenwasser wider. Einen besseren Stand hätten Sie auch, Herr Minister, wenn Sie bei der Nährstoffreduzierung in der Landwirtschaft Erfolge vorweisen könnten, wenn Sie ernstzunehmende und klare Konzepte zur Ökologisierung der Landwirtschaft vorweisen könnten. Dazu zählt selbstverständlich auch die Information der Bauern und Verbraucher über die Umweltschäden durch die heutige Landwirtschaft. ({6}) Die Meeresanalysen des Deutschen Hydrographischen Institutes beweisen: Die Pestizidbelastung der Nordsee nimmt schleichend zu. Neue Pestizide werden in zunehmender Zahl in der Nordsee gefunden. Die Lindankonzentrationen haben sich in den letzten Jahren nahezu vervierfacht. Die Fortpflanzungsfähigkeit der Fische in der Nordsee ist durch die persistenten Organohalogenverbindungen erheblich herabgesetzt. ({7}) Verehrte Kollegen und Kolleginnen, die Liste der Umweltsünden ließe sich noch beliebig lange fortsetzen. Aber die Frage ist: Wann endlich wird das Ruder zur Rettung der Nordsee herumgerissen? Wir haben nicht mehr viel Zeit dazu. ({8}) Es muß mit Entschlossenheit gehandelt werden. Sie sollten deshalb die von uns seit Jahren eingebrachten Konzepte endlich befolgen. ({9}) Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, notwendig ist, dem Vermeidungsprinzip allerhöchste Priorität einzuräumen. Nicht die Industrie darf für technische Anforderungen bestimmend sein, sondern Maßstab der Dinge muß die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen sein. ({10}) Wir brauchen strukturelle Änderungen in der Landwirtschaft und im Verkehrsbereich. Wir stellen diese Forderungen mit einem Entschließungsantrag erneut zur Abstimmung. Wir appellieren an Ihre moralische Pflicht. Fordern Sie mit uns, daß sich die Bundesregierung auf der 3. Internationalen NordseeschutzKonferenz für ein grundsätzliches Einleitungsverbot für krebserregende, erbgutverändernde, fruchtschädigende, anreicherungsfähige, schwer abbaubare oder toxische Stoffe einzusetzen hat. Das sind wir nicht nur der Nordsee schuldig, sondern auch vor allem unseren Kindern und Kindeskindern, meine lieben Kollegen und Kolleginnen. Fordern Sie mit uns, daß die Versäumnisse auf nationaler Ebene endlich abgestellt werden. Die Bundesregierung hat es versäumt, der Schadstoffvermeidung Vorrang vor nachsorgenden Reparaturtechnologien einzuräumen. ({11}) Die Bundesregierung hat es versäumt, die Substitution umweltschädlicher Produkte und Produktionsverfahren zu fördern und gesetzlich vorzuschreiben. Die Bundesregierung hat es versäumt, der weiteren Umweltzerstörung durch den Autoverkehr mit einem ökologisch verträglichen Verkehrskonzept entgegenzuwirken. Die Bundesregierung hat es versäumt, durch zügige Erarbeitung der Verwaltungsvorschriften zur 5. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes die Voraussetzungen für die schnelle Etablierung des Standes der Technik in der Abwasserreinigung zu schaffen. Mit all diesen Versäumnissen geht Herr Töpfer Anfang März nach Den Haag. Liebe Kollegen und Kolleginnen, das ist das Rüstzeug, mit dem der Minister andere Länder - Nordseeanrainer - überzeugen will, doch nun bitte etwas mehr für die Nordsee zu tun. Es ist zu befürchten, daß auch die 3. Internationale Nordseeschutz-Konferenz in Den Haag nicht den groFrau Garbe ßen Durchbruch zur Rettung der Nordsee bringen wird. Das bedeutet aber ein weiteres Anwachsen der Schadstoffbürde. Die Bundesregierung trägt daran nicht die alleinige Schuld; aber die Bundesregierung hat es zu verantworten, daß sie bei den Verhandlungen nicht das Gewicht einer wirklichen Vorreiterrolle in die Waagschale werfen kann. ({12}) Die Versäumnisse sind offensichtlich und allseits bekannt. Die Bundesregierung hat somit eine weitere Chance zur Rettung der Nordsee vertan. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lennartz, ich weiß nicht, wessen Ohr Sie eigentlich zu erreichen hoffen, wenn Sie hier mit der Verve und der leicht übersteigerten Rhetorik eines Schauspielerschülers die politische Welt in Deutschland in Gute und Böse einteilen, in besonders edle Menschen, die sich in den sozialdemokratisch geführten Bundesländern für den Schutz der Nordsee aufreiben, während die Übeltäter in der Bundesregierung und in den CDU-regierten Ländern sitzen, die dieses Meer verkommen lassen. ({0}) Wer nimmt Ihnen denn eine solche Schwarzweißmalerei ab? Ich könnte ja nun sehr leicht kontern, indem ich Ihnen hier eine Pressemeldung vorlese, wonach Herr Engholm die letzte Verklappung in der Ostsee mit ökonomischen Gründen verteidigt hat. Man stelle sich vor, wie groß die Entrüstung wäre, wenn das der Ministerpräsident eines CDU-regierten Bundeslandes tun würde. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, es ist doch leicht infantil, nun immer mit dem Finger auf den anderen zu zeigen und ihm zu unterstellen, daß er die Nordsee eigentlich gar nicht retten will; das ist wirklich unsinnig. Es würde mich ja nun auch noch reizen, auf Aristoteles einzugehen. Ich weiß nicht, ob der Herr Minister wirklich ein Schüler von Aristoteles ist. Wenn er es denn wäre, würde mich das sehr beruhigen; denn Aristoteles war wirklich ein außerordentlich hervorragender und vor allen Dingen auch politisch erfolgreicher Mann, denn er hat ja Alexander dem Großen im Laufe seiner Jahre durchaus etwas beigebracht. ({2}) - Nein, das habe ich auch nicht gesagt. ({3}) Aber wenn es denn so wäre, daß er ein Schüler von Aristoteles wäre, dann wäre das schon sehr gut. Zurück zur Nordsee. Wir sind uns sicherlich darüber einig, daß sich die Nordsee in einem besorgniserregenden Zustand befindet und daß ihre Sanierung eine hochrangige umweltpolitische Aufgabe ist. Die Politik - und das sollten wir nicht vergessen - ist auf die Mithilfe vieler angewiesen, angefangen bei dem Landwirt, der vor allem in Gewässernähe mit Dünger und Pestiziden besonders sorgfältig umgeht, über den Kümokapitän, der weder Plastik noch Altöl über Bord gehen läßt, bis hin zum Urlauber, der an seinem Urlaubsort an der Nordseeküste die Belange des Natur-und Umweltschutzes peinlich genau beachtet und dabei auch bereit ist, Einschränkungen seines Bewegungsraumes hinzunehmen. Es ist durchaus ermutigend, daß das Bewußtsein dafür, daß die Nordsee in Gefahr ist und daß wir alle diese Gefahr mit heraufbeschworen haben, in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Ich nehme als Beispiel nur die zahlreichen Aktionen in den Urlaubsorten an der deutschen Nordseeküste, die von den Kurverwaltungen in Verbindung mit den Urlaubern unternommen worden sind, nachdem man doch gerade im touristischen Bereich jahrelang den Umweltproblemen eine zu geringe Beachtung geschenkt hatte. Meine Damen und Herren, der wachsende Eindruck, daß der Lebensraum Nordsee in Gefahr ist, hat viele Menschen, nicht nur diejenigen, die dieses Meer kennen und lieben und mit ihm vertraut sind, in ihren Gefühlen bewegt. Diese Emotionalisierung ist notwendig, um eine breite Zustimmung zu den notwendigen Maßnahmen zu erreichen. Herr Kollege Wolfgramm hat darauf zu Recht hingewiesen. Ich habe deshalb auch Verständnis dafür, daß selbst Wissenschaftler das Robbensterben, dessen Ursachen nach wie vor nicht sicher geklärt sind, zum Anlaß genommen haben, die Öffentlichkeit für Schutzaktionen zu mobilisieren. Das Foto eines toten Seehundbabys bewirkt hier mehr als ein nüchterner Bericht über das Algenwachstum, mag dies auch als Zeichen für eine Hypertrophierung der Nordsee die objektiv schlimmere Nachricht sein. ({4}) Hat die Emotionalisierung somit einen guten Sinn, wenn es darum geht, überhaupt Verständnis und Unterstützung für die Maßnahmen zur Rettung der Nordsee zu erreichen und damit auch den politischen Druck auf die Anrainerstaaten zu verstärken, so sind Emotionen eher schädlich, wenn es um die Entscheidung über konkrete Therapiemaßnahmen geht. Lassen Sie mich das an einem Punkt - zu dem zweiten komme ich wahrscheinlich nicht mehr - darlegen. Die Elbe nimmt - darüber sind wir uns sicherlich einig - , was die Belastung der Nordsee durch deutsche Flüsse angeht, eine herausragende Position ein. ({5}) Der Gehalt an Schwermetallen, Kadmium, Quecksilber, Kupfer, Zink und Blei, ist bedrohlich hoch, auch wenn man die Menge in Relation zum Oberwasserabfluß setzt und außerdem berücksichtigt, daß selbstverständlich Schwermetalle auch als natürliche Bestandteile der Umwelt vorkommen. Die Belastung mit chlorierten Pestiziden ist außerordentlich hoch. Die Nährstoffzufuhr durch die Elbe erreicht zwar nicht die des Rheins; das ist richtig, Herr Kollege Schütz. Dabei muß man aber sowohl den wesentlich höheren Oberflächenabfluß auf dem Rhein berücksichtigen als auch die Tatsache, daß der Rhein ja auf seiner gesamten Strecke durch sehr dicht bevölkerte Gebiete fließt und deshalb der anthropogene Eintrag besonders hoch ist. ({6}) - Das ist keine Entschuldigung; das sind zunächst einmal nur Fakten. Das Fazit aus meinen Überlegungen ist: Wenn wir die Schadstofffracht der Elbe entscheidend verringern, leisten wir damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Sanierung der Nordsee. Durch die Arbeit der Wassergütestelle Elbe wissen wir, daß diese Schadstofffracht ebenso wie die Nährstofffracht zu rund 90 % aus der DDR und der CSSR stammt. ({7}) - Hören Sie doch einmal, was ich zum Schluß sage. Damit werden Sie sich sicherlich einverstanden erklären. Wir wissen doch, daß bei einigen nicht abbaubaren Stoffen, wie z. B. den Schwermetallen, die Fracht, die aus der DDR und der CSSR kommt, sogar größer ist als die Menge, die bei Cuxhaven in die Nordsee geht, weil der Hamburger Hafen als Auffangbecken wirkt. Das sind Fakten. Damit weise ich niemandem einen Schwarzen Peter zu. Aber es kann doch keinem Zweifel unterliegen, daß wir in erster Linie in der DDR und auch in der CSSR ansetzen müssen, wenn wir die Qualität des Elbwassers verbessern wollen. Eine der wichtigsten und erfreulichsten Folgen der in der DDR eingeleiteten politischen Entwicklung besteht darin, daß wir endlich die Möglichkeit erhalten, die desolate Umweltsituation in der DDR zu verbessern. Das vom SED-Staat geschaffene System der organisierten Verantwortungslosigkeit hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß dort zwar recht scharfe Grenzwerte für Einleitungen und Emissionen existieren, aber eben nur auf dem Papier. Fast alle größeren Industrieunternehmen in der DDR arbeiten mit Ausnahmegenehmigungen. Insbesondere in die Elbe gibt es direkte Einleitungen von einem Ausmaß und einer Gefährlichkeit, daß sich einem die Haare sträuben. Das ist ja wohl inzwischen Allgemeinwissen. Abwässer werden zum Teil nicht einmal mechanisch gereinigt. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, nun doch darüber einig sein - ich glaube, da finde ich auch bei Ihnen Zustimmung -, daß wir die Mittel, die wir in den nächsten Jahren zur Sanierung der Elbe einsetzen wollen, am besten dort einsetzen, wo sie in möglichst kurzer Zeit den möglichst größten Effekt erzielen. ({8}) Das würde einen konzentrierten Einsatz der Mittel in der DDR nahelegen. Bei uns erfordern die sicherlich weiterhin notwendigen Verringerungen von Schadstoffeinleitungen in die Elbe angesichts des bisher erreichten hohen Standes der Reinigung und Filterung einen hohen Aufwand. Es ist bekanntlich am teuersten, die geringen Restmengen herauszuholen. Bei der Festlegung zeitlicher Prioritäten werden wir dies alles zu berücksichtigen und uns bei Sofortmaßnahmen auf die DDR zu konzentrieren haben. Zu den Aufgaben des Umweltausschusses der beiden deutschen Staaten, der sicherlich in Kürze seine Arbeit aufnehmen wird, wird es gehören, nach einer ökologischen Bestandsaufnahme einen Handlungsplan für die dringendsten Sanierungsmaßnahmen an der Elbe in der DDR zu entwerfen. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Minister für Natur, Umwelt und Landesentwicklung des Landes Schleswig-Holstein, Herr Professor Dr. Heydemann. Minister Dr. Heydemann ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die etwas kabaretthafte Darstellung des Herrn Landtagsabgeordneten - so hätte ich fast gesagt; so hörte es sich manchmal an, wenn die CDU in unserem Landtag sprach - , des Herrn Bundestagsabgeordneten Carstensen ({1}) war wenig überzeugend in bezug auf das, was hier zu sagen war. ({2}) Wenn Sie sich darauf einlassen, beispielsweise die Seehundforschung als ein Beispiel dafür anzugeben, wie wichtig Sie die Maßnahmen in Schleswig-Holstein nehmen, und dabei auch noch mit Lautstärke Ihre eigenen unsicheren Argumente zu übertönen versuchen, nützt das alles nichts. ({3}) - Nun hören Sie doch mal ein Momentchen zu! Ich kenne ja den Herrn Abgeordneten Carstensen sehr gut. ({4}) Minister Dr. Heydemann ({5}) Herr Carstensen, ich sage Ihnen noch einmal: Ihren Einsatz für Nord- und Ostsee messen wir daran, ob Sie Maßnahmen wie die Befahrensregelung, ({6}) ob Sie Maßnahmen zur Unterlassung der Übernutzung der Nordsee - etwa durch Jagd -, ({7}) ob Sie Maßnahmen wie die Untersagung der Herzmuschelfischerei im Wattenmeer - das alles sind Maßnahmen, die die schleswigholsteinische Landesregierung in den letzten anderthalb Jahren getroffen hat, weil sonst eine Übernutzung zu befürchten wäre - unterstützen oder nicht. ({8}) Statt dessen versuchen Sie, Strukturhilfemittel im einzelnen oder Kleinanträge im Kreise Nordfriesland gegen die Aktivitäten der Landesregierung von Schleswig-Holstein aufzurechnen. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat in einem Jahr allein für die Phosphateliminierung 42 Millionen DM veranschlagt - gemeinsam mit den Kommunen. ({9}) Sie hat ferner festgelegt, daß innerhalb der nächsten fünf Jahre von den Kommunen und vom Land allein für die Stickstoffeliminierung eine halbe Milliarde DM ausgegeben wird. ({10}) Damit sind wir den anderen europäischen Ländern mit gutem Beispiel vorangegangen. Hier ist eine SPDLandesregierung dabei, dies alles umzusetzen. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Heydemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen? Minister Dr. Heydemann ({0}): Ja, gerne.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ist Ihnen nicht aufgefallen oder haben Sie nicht gehört, daß ich alle Maßnahmen, die das Land ergriffen hat und die auch in Ihrer Broschüre verzeichnet sind, nicht nur begrüßt habe, sondern daß ich auch hinsichtlich jeder Maßnahme - hinsichtlich der Stickstoff- und Phosphoreliminierung - meine Unterstützung zugesagt habe, aber gleichzeitig hinzugefügt habe: Ich erwarte auch, daß sauber dargestellt wird, wie viele Mittel von der Seite des Bundes für diese Maßnahmen an das Land Schleswig-Holstein geflossen sind, und ich erwarte, daß dieses ewige Tönen, diese eigenartige Erzählerei, der Bund unterstütze den Gewässerschutz und den Nordseeschutz mit keiner müden Mark, endlich aufhört? Haben Sie das nicht gehört? Minister Dr. Heydemann ({0}): Aber das letzte war keine Frage, sondern eine Aussage von Ihnen. ({1}) - Ich erwarte in Zukunft - das sage ich einmal ganz generell - , daß wir etwas differenzierter verfahren. So sind wir auch mit der Bundesregierung umgegangen. Ich muß wohl sagen, daß wir uns jedes Argument der Kritik genau daraufhin überlegt haben, ob es sachlich differenziert war oder nicht. Ich erwarte das auch von Ihnen. Ich möchte deswegen bitten, daß Sie dem SPD-Antrag - den ich für sehr differenziert halte - als Ergänzung zu den Maßnahmen, die bisher auf den beiden Internationalen Nordseeschutz-Konferenzen gefordert worden sind und die ausgesprochen notwendig, wichtig, ja unverzichtbar sind, zustimmen. Dann würden Sie eine ganz wesentliche Anzahl von einzelnen konkreten Maßnahmen auslösen und könnten von den Unverbindlichkeiten der letzten Zeit loskommen. ({2}) Ich nenne noch einige ganz wichtige Punkte, vor allen Dingen weil Sie die Landesregierung in Schleswig-Holstein angegriffen haben, obwohl sie nun neu begonnen hat, eine 38jährige CDU-Meeresschutzpolitik ({3}) gegenüber Nordsee und Ostsee zu verbessern, nämlich die große Last - die Nord- und Ostsee tragen, weil hier viele Maßnahmen nicht ergriffen worden sind - abzutragen und aus einer ständigen Nachsorge ein Stück Vorsorge zu machen. Wenn wir nun also versuchen, dies in die Wege zu leiten, dann ist es falsch, daß Sie die sogenannte Baggergutverklappung in die Ostsee, die ich genehmigt habe ({4}) Sie brauchen sich nicht immer auf Herrn Engholm zu beziehen; die Genehmigung dürfen Sie gern auf den Umweltminister beziehen -, hier heute auf Grund mangelnder Recherchen kritisieren. Sie müssen diese Genehmigung einmal daraufhin durchsehen, was sie eigentlich beinhaltet. Lassen Sie mich das einmal in drei Sätzen sagen. ({5}) Innerhalb der letzten 40 Jahre - 38 Jahre genau - hat die CDU-Landesregierung in Kiel jährlich -zig - in den letzten zehn Jahren allein an die 40 - Verklappungen genehmigt, und zwar ohne jede Ausnahme, unabhängig davon, ob sie kontaminiert, mit Minister Dr. Heydemann ({6}) Giftstoffen durchsetzt waren oder nicht - überall in die Ostsee und in die Nordsee hinein. ({7}) So ist verfahren worden bis zu dem Zeitpunkt, in dem ich das Umweltministeramt übernommen und am 9. Januar 1989 den ersten Erlaß gemacht habe, den es bisher gab, nämlich grundsätzlich nur noch mit Ausnahmegenehmigungen zu verklappen. ({8}) - Dann lassen Sie sich den Erlaß einmal schicken. Dieser Erlaß besagt, daß kontaminiertes Baggergut nicht mehr in die Ostsee kommt. ({9}) Die Hansestadt Lübeck hat dies als erste im Jahr 1989 zu spüren bekommen: 150 000 m3 Hafenschlick aus der Trave mußten an Land verklappt werden. Die Ausnahmegenehmigung, die wir in diesem Jahr erteilt haben, bezieht sich - im Gegensatz zu den Meldungen von Zeitungsseite, denen Sie offenbar nur nachgegangen sind - nicht auf kontaminiertes Baggergut, sondern sie bezieht sich - ich darf das noch einmal sagen ({10}) - nun warten Sie doch einmal ab; dann können Sie sich die Zwischenfrage vielleicht sparen - auf Nährstoffe im Baggergut. Das ist der erste Fall in Europa, in dem - so geschehen gegenüber der Hansestadt Lübeck - gesagt wurde. Sie müssen einen größeren Anteil an Land verklappen. Und was machen die? - Die Genehmigung beinhaltet, daß ein Viertel der Baggergutmenge an Land kommt. Weiter: Wir haben gesagt: Innerhalb des Verklappungszeitraums, d. h. bis Ende des Jahres, sollten Sie alternative Möglichkeiten suchen. Eine andere Rechtsgrundlage, lieber Herr Carstensen, hat die frühere Landesregierung im Landschaftspflegegesetz Schleswig-Holstein für den Umweltminister von heute nicht hinterlassen. Aber dies wird geändert. Das heißt: In diesem Jahr werden wir die Rechtsgrundlage ändern, so daß wir politisch nicht darum bitten müssen, daß jemand nicht verklappt. Wir werden dies also rechtlich auf gesicherte Füße stellen. ({11}) Was Sie vielleicht beruhigt: Heute morgen noch habe ich mit Herrn Bouteiller, Lübeck, telefoniert. Ich biete ihm eine alternative Lösung für die Verklappung an: ({12}) allen Boden an Land zu verklappen, und zwar bis Ende dieses Jahres. Wenn er diese Möglichkeit wahrnimmt, dann wäre es der erste Fall, daß ein altgewachsener Boden der Eiszeit - weil er einige Phosphate enthält - an Land kommt. Das hat es nie zuvor gegeben. Ich habe heute morgen erfahren, daß wir eine solche Möglichkeit haben. Ich habe ihm das angeboten; er wird es vielleicht annehmen. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen? Minister Dr. Heydemann ({0}): Gern.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dr. Heydemann, darf ich Sie fragen, ob Sie bei meiner Rede - vielleicht könnten Sie das noch einmal nachlesen - wirklich nicht zugehört haben? Denn sonst müßten Sie wissen, daß ich diesen Sand und dieses Baggergut mit keinem Wort als kontaminiert bezeichnet, sondern mich nur auf die Nährstoffkonzentration und auf die Nährstoffe bezogen habe, die darin sind. ({0}) Und könnten Sie uns vielleicht, weil Sie das gerade gesagt haben - das ist für uns ja auch interessant -, auch noch mitteilen, wo denn dieses Baggerzeug hinkommt und wo es dann deponiert wird? ({1}) Minister Dr. Heydemann ({2}): Ich habe als Antwort darauf hier noch einmal zu sagen: Wenn Sie diese Situation selber so gesehen haben, daß es sich vornehmlich um erdgewachsene Nährstoffe handelt, wieso kommen Sie dann zur Kritik einer solchen Maßnahme, obwohl Sie doch gehört haben, daß ich über alle Zeitungen angeboten habe, Lübeck meine Hilfe zur Verfügung zu stellen, um Landverklappung zu ermöglichen? Und das hat es ja nun auch gegeben. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Sie können nur fragen. Minister Dr. Heydemann ({0}): Auf Lübecker Territorium. Etwa 1 km von dieser Hafenanlage entfernt wird das vorgeschlagen. ({1}) Das ist die nächstgelegene Verklappungsmöglichkeit, die es gibt. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Carstensen, fragen können Sie, aber keine Zwischenbemerkung machen. ({0}) Minister Dr. Heydemann ({1}): Nein, nun ist es wirklich genug. Ich stehe Ihnen nachher zum Gespräch zur Verfügung. Meine Damen und Herren, mir kommt es sehr darauf an, daß wir hier - und dazu, Herr Kollege Töpfer, würde ich gern Ihre Zustimmung haben - nicht nur mit griffigen Normzahlen arbeiten. Wenn gesagt wird, „50 % Nährstoffminderung" müßten wir auf der kommenden Nordseeschutz-Konferenz in Den Haag gemeinsam vorgeben, dann muß man antworten: Diese „mathematische Norm" einer Minderung um 50 besagt doch überhaupt nichts. ({2}) Wir müssen das doch mit „ökologischen Gütezielen" verbinden und müssen sagen, wie die Nordsee qualitativ sein soll. Sonst ist es doch fast so, als wenn ein Raucher, der 100 Zigaretten am Tag verbraucht, zum Arzt kommt, sich über seine Gesundheitsschäden beschwert und fragt, was er dagegen machen kann. Wenn er dann den Vorschlag bekommt, 50 Zigaretten wegzulassen, und anschließend meint, er habe dadurch die Verdoppelung seiner Gesundheit erreicht, hat er sich geirrt. ({3}) Dies kann man nicht so mathematisch rechnen. Nur auf Grund eines nur monetären Ansatzes kommen wir immer wieder dazu, Ökosysteme mathematisch aufzurechnen. Auch die „politische Normzeit" der 1. INK - 1985 bis 1995 - ist ja nur eine Dekadenrechnung. Wir müssen gemeinsam kritisieren, daß wir uns in dieser Form Zeiten setzen, die mit dem Anspruch auf die Erhaltung der Nordsee nicht konform gehen. Wir dürfen doch nicht einen Schaden sanktionieren, den man 1995 möglicherweise gar nicht mehr reparieren kann. ({4}) Das könnte nämlich die Folge sein, wenn wir uns nur an die Norm halten, die es in der Vereinbarung der 1. INK gibt. Möglicherweise müssen wir auch gemeinsam sagen - die SPD-Fraktion hat das auch zum Ausdruck gebracht -, daß die Verhandlungen so, gemessen an den Notwendigkeiten für die Nordsee, zu scheitern drohen. ({5}) Es droht die Gefahr, daß diese Verhandlungen zu einer reinen Konferenz mit Auseinandersetzungen werden, ohne das Niveau zu erreichen, das man für Konferenzen haben muß. ({6}) Ich halte es für außerordentlich wichtig - deswegen mache ich diesen Vorschlag, und ich werde das in der nächsten Woche auch der dänischen Umweltministerin vorschlagen - , daß wir die nächste Konferenz nicht erst 1995, also nicht erst in fünf Jahren, durchführen. Bis dahin ist es wirklich eine viel zu lange Zeit. Wir sollten 1993 die erste Zwischenkonferenz veranstalten, auf der wir dann, fachlich wirklich konsequent, neue Normen im Sinne eines Monitoring-Programms für die Nordsee aufstellen. Monitoring ist für Effizienzkontrolle erforderlich. Man kann den Erfolg nicht an einigen Millionen Mark, die man in den Haushalt einstellt, messen. An einigen Millionen Mark, die man verwendet, kann man nicht messen, ob wir die ökologische Norm der Nordsee erreicht haben bzw. wann wir sie erreichen können. ({7}) Ich möchte noch einige Bemerkungen zur Ressortauseinandersetzung machen. Mir wird ja oft vorgehalten, daß ich mit dem Landwirtschaftsressort einige kritische Worte rede. Nun, dies ist nötig. Herr Töpfer, ich vermisse es ein bißchen, daß die Bundesregierung in diese kritische Auseinandersetzung mit dem Landwirtschaftsminister - die dann manchmal auch öffentlich zu hören sein kann - wirklich eintreten, ({8}) damit ökologisch orientierte Landwirtschaftsprogramme kommen, die nicht immer abgewürgt werden. ({9}) Fünfjahresprogramme nützen nichts, wenn der Landwirtschaftsminister Kiechle gleichzeitig ankündigt, daß dann vielleicht die „nachwachsenden Rohstoffe" so weit sind und dann eine neue Intensivproduktion auf denselben Flächen aufgemacht wird. Es werden dann Millionen von Mark verloren, die nach diesen fünf Jahren keinen ökologischen Ertrag für die Nordsee mehr bringen können. ({10}) - Von dieser Sache kenne ich nun etwas. ({11}) - Dann messe ich mich mit Ihnen gern einmal auf einem fachlichen Seminar, damit wir vielleicht sehen können, wer die besseren Vorinformationen dazu hat. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist auch wichtig, daß wir uns jetzt zu einer gemeinsamen Finanzierungsmaflnahme durchringen. Herr Kollege Töpfer, ich halte es für außerordentlich wichtig, daß wir gemeinsam, Bund und Länder, ein nationales Programm zur Entlastung der Nordsee aufziehen, und zwar nicht nur mit Modellprojekten oder Pilotprojekten, sondern mit Projekten, die umfassend sind und flächendeckend ansetzen können. Minister Dr. Heydemann ({12}) Meine Bitte geht deswegen abschließend dahin, auf der 3. Internationalen Nordseekonferenz eine Gemeinsamkeit von Bund und Ländern dahin gehend zu erreichen, daß wesentliche Kritik in die Öffentlichkeit gebracht wird, daß die Konferenz also nicht nur still vergleicht; denn Kritik verdienen die Vorbereitungen, die bisher getroffen worden sind. Zwar war daran auch Schleswig-Holstein beteiligt, aber es hat sich nicht durchsetzen können. So, wie hier international vorbereitet worden ist, kann man auf Dauer Nordseeschutz nicht realisieren. Die Schuld daran gebe ich durchaus nicht immer nur jemandem in unserem Bereich, sondern ich sage: Die Außenpolitik und die Wirtschaftspolitik, die von der Bundesregierung gemacht werden, müssen wir an die Umweltpolitik ankoppeln. Wenn diese Politikbereiche isoliert gemacht werden und der Umweltminister die Positionen dann nicht mehr tragen kann, kann man zukünftig nicht mehr in dieser Form etwas für den Meeresschutz erwarten. Ich bitte, die SPD-Entschließung mit ihren vielen einzelnen, sachlich begründeten Punkten anzunehmen. Ich halte sie für eine wesentliche Erweiterung hinsichtlich der zukünftigen Aufgaben des Nordseeschutzes. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich erteile dem Abgeordneten Carstensen das Wort zu einer Kurzintervention.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme diese neue Möglichkeit gerne wahr, die wir im Parlament haben, Frau Präsidentin. Ich möchte Herrn Minister Dr. Heydemann bitten, sich vielleicht doch noch einmal zu vergegenwärtigen, was ich zu dem Punkt Verklappung in der Ostsee gesagt habe. Ich halte es für unmöglich, jemandem in der Bevölkerung klarzumachen, daß die Eliminierung von Phosphaten und das Fernhalten von Nährstoffen von den Gewässern von ihm über teurere, bessere Kläranlagen finanziert werden soll, ({0}) wenn es dann - auch mit der Begründung, es seien ja nur Nährstoffe, die in diesen Sänden aus dem Baggergut enthalten seien - zu Verklappungen kommt. Bei mir ist in keinem Satz das Wort gefallen, daß dieses Baggergut kontaminiert sein sollte. Vielmehr haben wir uns beide nur über Nährstoffe unterhalten. Sie nehmen es ja selbst auch wahr, Herr Minister Heydemann - wenn ich an einige Werbesendungen im RSH denke - , auf die Bevölkerung einzuwirken, daß Umweltschutz, Nordseeschutz und Ostseeschutz in der Küche anfange. Wenn die Menschen aber das Gefühl haben, hier wird eine Verklappung mit Nährstoffen gemacht, während von ihnen verlangt wird, etwas zu zahlen, damit es bessere Kläranlagen gibt, dann ist das eine Politik, die weder für die Bevölkerung noch für uns vermittelbar ist. ({1}) - Sie spinnen doch, Herr Opel. Das weisen. Sie mir bitte nach.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten oder verzichten Sie? Es gibt keinen Zwang. Minister Dr. Heydemann ({0}): Ich möchte es vielleicht am Ende tun, wenn noch etwas Zeit übrig ist, weil es für mich keine ganz neuen Gesichtspunkte sind. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Harries.

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, wir übersehen alle, daß wir bei der Erledigung eines wichtigen Problems gemeinsam in einem Boot sitzen. Aber das Rollenspiel muß wohl sein, muß durchgehalten werden. Da macht es keinen Unterschied, ob man nun die Bänke der Opposition drückt oder nicht. Wir erinnern uns, glaube ich, alle noch an die Aussprache, an die Diskussion vor und nach der ersten Nordseekonferenz. Damals waren die Erwartungen besonders hoch, und hinterher war die Enttäuschung ebenfalls sehr groß. Dabei meine ich, daß diese Einstellungen - vorher und hinterher in der Bewertung - von vornherein nicht realistisch waren und sein konnten. Wichtig war damals etwas ganz anderes, nämlich daß ein Anfang gemacht wurde, daß die Anrainerstaaten der Nordsee bereit waren, sich an einen Tisch zu setzen, und damals begonnen haben, ein gemeinsames Bewußtsein für die Probleme der Nordsee zu entwickeln. Bei diesem Problembewußtsein ist es dann keineswegs geblieben. Vielmehr wurden konkrete Schritte in der Gesetzgebung und in der Durchführung eingeleitet. Schon die zweite Nordseeschutz-Konferenz führte zu klaren Beschlüssen, Erfolgen und eindrucksvollen Zielen. Ich nenne das große Ziel, bis 1995 zu ereichen, daß alle Anrainerstaaten die Einleitung von Schadstoffen und Nährstoffen um 50 % auf der Basis von 1985 senken. Die Zwischenbilanz der Bundesrepublik und der derzeitigen Bundesregierung ({0}) ist dabei positiv. Der Bundestag hat zahlreiche wichtige Gesetze verabschiedet, die sich auf die Nordsee beziehen und Auswirkungen hinsichtlich des Schutzes der Nordsee haben werden. ({1}) Die Verabschiedung weiterer Verordnungen und Richtlinien steht bevor. ({2}) Man muß eben erkennen, verehrter Herr Lennartz, daß zwischen dem Erlaß von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien und dem Vollzug notwendigerweise eine Zeit liegt, die überbrückt werden muß. Strukturmittel für die Länder für die Investitionen im Umweltbereich zu vergeben, was wir im Bund jährlich in Milliardenhöhe getan haben, dauert. Jeder, der in der Praxis tätig war, weiß, daß zwischen den Phasen der Planung und des Bauens Jahre liegen, die wir gemeinsam überbrücken und durchstehen müssen, vor allen Dingen in der politischen Diskussion und auch vor der Öffentlichkeit, um hier zu einer fairen und richtigen Aussage zu kommen: Vollzug ist etwas anderes als der Erlaß von Gesetzen. Meine Damen und Herren, genauso muß doch erkannt werden, daß für die wichtigen Investitionen, die Bund, Länder und Gemeinden vornehmen und die wir eingeleitet haben, nicht nur Millionen, sondern Milliarden aufgebracht werden müssen, von den Kommunen, von den Ländern, von der Privatseite, d. h. von unseren Bürgern und auch von der Wirtschaft. Geld kommt nun einmal bekanntlich, wie es viele wohl immer noch annehmen, nicht aus der Druckmaschine, sondern muß vorher verdient und aufgebracht werden. ({3}) Eine dritte Erkenntnis. Neben der Zeit für Erlaß und Vollzug von Gesetzen und der Erforderlichkeit von Geld müssen wir uns darüber klar sein, daß wir in einer internationalen Gemeinschaft leben und hier nicht allein handeln, nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen können, ({4}) sondern auch kompromißbereit sein müssen. Wir sind nicht der Nabel der Welt, sondern haben Nachbarn, mit denen wir gemeinsam handeln und richtige Ziele durchsetzen müssen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich sprach von einer positiven Zwischenbilanz. Die Strukturmittel, die in Milliardenhöhe fließen und von den Ländern mit dem erklärten Ziel verwendet werden, die dritte Stufe der Kläranlagen zur Eliminierung von Phosphor und Nitraten zu fördern, habe ich erwähnt. Wir haben in der Bundesrepublik bleifreies Benzin, wir haben inzwischen etliche Millionen Autos, die mit dem Dreiwegekatalysator ausgerüstet sind, und diese Politik geht weiter. ({6}) - Verehrte Frau Garbe, die GroßfeuerungsanlagenVerordnung hat bewirkt, daß Schwefeldioxid und Stickoxide im Millionenumfang vermindert worden sind. Die Dünnsäureverklappung ist im letzten Jahr eingestellt worden. Die Verbrennung auf See wird voraussichtlich in diesem Jahr oder, wenn nicht, im nächsten Jahr eingestellt werden. ({7}) Klärschlamm wird von uns nicht mehr in die Nordsee verbracht; die Engländer handeln anders. PCB ist bei uns bereits verboten. Auch die Pflanzenschutzmittelverordnung und das Randstreifenprogramm - ich erweitere dies um die Gülleverordnung meines Landes Niedersachsen - haben bewirkt, daß die Auswirkungen von Schadstoffen auf die Landschaft zumindest erheblich reduziert wurden. Ich nenne dann die Verabschiedung des Chemikaliengesetzes vor kurzem hier im Hause und die bevorstehende Verabschiedung der Novellen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz und zum Abwasserabgabengesetz. Ich meine schon, daß das eine eindrucksvolle Zwischenbilanz ist. Dies gilt vor allem, wenn man bereit ist, Parallelen zu den anderen Anrainerstaaten zu ziehen, die längst nicht diese Erfolge vorweisen können. Das ändert überhaupt nichts daran, daß die Arbeit noch nicht getan ist und daß wir auf die Zusammenstellung der Schlußbilanz hoffentlich 1995, wenn es geht eher, mit Spannung warten. Es ist für mich überhaupt keine Frage, daß unsere Landwirtschaft weitere Anstrengungen machen muß. ({8}) Ich bitte, fairerweise zu bedenken, daß es bei diesem Berufsstand auch um die Existenz geht. Es geht nicht nur um die Düngung. ({9}) Das zwingt uns, hier weiterhin mit Augenmaß eine vernünftige Politik zu betreiben und nicht etwas im Hauruckverfahren zu vollziehen. Ich bin auch der Auffassung, daß der Einbau des Katalysators in alle Gebrauchtwagen und die Neuwagen vorrangig erreicht werden muß, ({10}) daß die Nordsee Sondergebiet werden muß und daß das Vorsorgeprinzip greifen und im Grunde die Reparatur eingetretener Schäden ablösen muß. Ein letztes Wort, meine Damen und Herren, zu der deutsch-deutschen Entwicklung. Wir stehen davor, daß wir in Kürze die Verantwortung für den anderen Teil Deutschlands zu übernehmen haben. ({11}) Das bedeutet, daß wir dort unglaublich große Umweltprobleme aufzuarbeiten haben. Das werden wir tun, dazu sind wir bereit, dazu sind wir in der Lage. Ich appelliere aber auch hier an uns, daß wir das mit Augenmaß und nicht im Hauruckverfahren tun. Wir sollten nicht versuchen, dort unseren Level, der gut und hoch ist, in kürzester Zeit zu erreichen, sondern im Interesse der Arbeitsplätze und einer vernünftigen Entwicklung drüben Augenmaß und Vernunft walten lassen. Ich bedanke mich beim Bundesumweltminister, daß er durch die ersten eingeleiteten Pilotprojekte die richtige Weichenstellung nicht zuletzt im Interesse der Nordsee vorgenommen hat. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier gerade phantastische Worte gehört. Die Zwischenbilanz sei sehr positiv, hat Herr Harries gesagt. Die Strukturmittel seien nur genau dahin geflossen, wohin sie fließen sollten, nämlich in Maßnahmen für die Nordsee. Herr Eylmann hat gesagt, daß wir, wenn wir uns mit der DDR vergleichen - da stimme ich ihm zu - , phantastisch aussehen und die DDR schlecht aussieht. Das sind alles Ablenkungsmanöver, die Sie hier machen. Wir sollten doch wirklich einmal an den Bericht herangehen und fragen: Haben wir das geleistet, was wir wollten, und wie sieht es genau aus? ({0}) Die vollmundige Presseerklärung des Bundesumweltministers, in der er z. B. behauptet, daß Phosphat und Nitrat 1995 um 50 % gesenkt sind, ist eine auch durch seinen eigenen Bericht an keiner Stelle gestützte Absichtserklärung. ({1}) Ich will das einmal genauer angucken, weil ich dies in der Tat als eine der entscheidenden Stellen - auch Herr Heydemann hat schon darauf hingewiesen - ansehe: Wie ist die Nährstoffbelastung? Was die Phosphateinträge in die Gewässer der Bundesrepublik angeht, so haben wir eine Reduzierung des Phosphats aus den kommunalen Abwässerbehandlungsanlagen und aus der Industrie auf unter 50 %, wie Sie in dem uns vorliegenden Bericht darstellen. Wir haben aber bei den diffusen Quellen überhaupt keine abschätzbaren Ergebnisse, und diese diffusen Quellen machen beim Phosphor fast 50 % aus. Der Bericht wagt eben keine Einschätzung dieses Problems. Die Stickstoffeinträge weisen ein ähnliches, aber noch bedenklicheres Bild auf. Auch hier werden die Einträge aus den kommunalen Kläranlagen und aus industriellen Direkteinleitern nach den Schätzungen um etwa 50 % reduziert sein. Ich kann dem folgen, weil wir uns bei den Kläranlagen anstrengen. Aber auch hier betragen die Nitrateinträge aus diffusen Quellen - das ist vor allem immer die Landwirtschaft - deutlich mehr als 500k . ({2}) Auch deren Anteil an der Reduzierung kann bis 1995 nicht geschätzt werden. ({3}) Die diffusen Quellen sind vor allem die Landwirtschaft; da gibt es kein Vertun. Herr Carstensen, ich will Ihnen ein ganz aktuelles Zahlenbild aus meinen Wahlkreis geben. Die Landkreise Friesland und Wilhelmshaven haben gerade eine Untersuchung gemacht und haben gefragt: Was geht an N und P, also an Nitrat und Phosphor, aus den kommunalen Abwasseranlagen in die Nordsee, und was geht aus diffusen Quellen heraus? Sie haben z. B. die Zahl von 21 % bei Nitrat und bei Phosphor von 24 % aus den kommunalen Abwasseranlagen. Aus den ganzen Sielen gehen jeweils 79 % bei Nitrat und 76 % bei Phosphat heraus. Das siützt noch einmal die eigentlich auch im Bericht angelegte Tendenz, daß wir uns, verdammt noch mal, mit den diffusen Quellen nachhaltiger beschäftigen müssen ({4}) und daß wir das, was Herr Heydemann vorgeschlagen hat - ich stimme da zu - machen müssen, daß wir uns nämlich wirklich einmal mit unseren Landwirtschaftsministerkollegen anlegen müssen. Ergebnis dieser ganzen Untersuchung ist, daß wir diese Problematik nicht in den Griff bekommen, solange wir die Belastungen in der Landwirtschaft, Herr Carstensen, nicht verringern. Wir haben diese Erkenntnisse schon seit Jahren. Jedesmal, wenn wir hier stehen, reden wir über das gleiche Problem. Wir bekommen es aber nicht in den Griff. ({5}) Ich zitiere wieder diesen Bericht: Wir haben Verhandlungen mit der Landwirtschaft, um Gegenmaßnahmen zur Nährstoffproblematik einzuleiten, z. B. verhandeln wir über eine Düngemittelausbringungsverordnung. Wir verhandeln über Maßnahmekataloge der Landwirtschaft zur Verminderung der Nährstoffeinträge in die Gewässer. Wir versuchen, die Umsetzung von Flächenstillegungs- und Extensivierungsprogrammen voranzutreiben. Es wird zur Zeit leider nicht mehr über die Landwirtschaftsklausel des Bundesnaturschutzgesetzes verhandelt; das wurde von meinen Kollegen schon vorhin gesagt. Es wird nicht mehr über eine klare flächenbezogene Landwirtschaft verhandelt. Wir werden das noch einmal hier ins Parlament einbringen. Wir haben auch die Übermaßproduktion der Gülle nicht im Griff. Wenn ich an meinen eigenen Wahlkreis denke und nach Südoldenburg gucke, dann sehe ich, wie die Landkreise täglich untereinander kämpfen, weil die Gülle aus Südoldenburg in die anderen Landkreise transportiert wird. Sie streiten sich über die Durchsetzung der Gülleverordnung. Daß wir das alles nicht in den Griff bekommen, ist eine Folge des Zauderns bei nachhaltigen VerhandSchütz lungen. Auch das schildert der Bericht; insofern ist er richtig. Er schildert ferner drastisch die Folgen dieses Zauderns. ({6}) - Herr Göhner, ich habe erst einmal aufgezeigt, was eigentlich los ist. Vor allen Dingen sind diese ganzen Verordnungen meist Angelegenheit der Bundesregierung; ({7}) nicht nur, auch der Länder. - Ich komme gleich noch einmal darauf. Ich will jetzt nur noch einmal die Problematik darstellen. Die Nährstoffeutrophierung - das zeigt der Bericht auch - hat in der Nordsee das entscheidenste Problem heraufbeschworen, nämlich das Algenblühen und das Planktonblühen, die großen Algenteppiche in der Nordsee im vorigen Jahr. Das ist nach wie vor das größte Problem, weil durch das Absinken dieser Algenteppiche die Sauerstoffentziehung für Flora und Fauna eintritt und dann die Nordsee umkippt. Sie erinnern sich noch an die Berichte, wonach das an einigen Stellen schon geschehen ist, und dieser Vorgang ist jederzeit zu befürchten. Das ist das Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Der Nährstoffeintrag muß reduziert werden. Neben dieses Hauptziel der Nährstoffreduzierung tritt das nicht minder wichtige Ziel der Unterbindung der schleichenden Vergiftung der Nordsee. Wenn wir uns die Schadstofftabellen angucken, müssen wir uns dabei klarmachen, daß die Schadstoffreduzierung an vielen Stellen nicht um 50 % passiert ist; an einigen Stellen ist es so. An den Stellen, wo wir deutliche Werte oberhalb von 70, 80 % haben, so sagen Sie dann, sei die Reduzierung nicht so eingetreten, weil die Schwermetalle schon in einem Zeitraum davor reduziert worden seien, daß wir also die Schwermetalle Cadmium und Blei - ich glaube, das sind die Zahlen; um es genau zu sagen, müßte ich die Tabelle hier haben - nicht um 50 % reduzieren könnten. Auch hier, meine ich, müssen wir noch viele Anstrengungen unternehmen, um die Vergiftung der Nordsee zu stoppen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Eylmann, was wollen Sie wissen?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben so schnell geredet, daß Sie jetzt schon bei den Schadstoffen sind. Erlauben Sie mir noch eine Frage zu den Nährstoffen. Würden Sie mir zustimmen, daß wir sowohl bei dem Eintrag aus diffusen Quellen als auch bei den Einträgen aus der Luft noch weitgehend im dunkeln tappen und daß es deshalb entscheidend darauf ankommen müßte, verstärkt Forschungs- und Meßprogramme durchzuführen, ({0}) um sicher sein zu können, wo mit dem größtmöglichen Erfolg anzusetzen ist? ({1})

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eylmann, ich stimme Ihnen darin zu, daß wir die diffusen Quellen nicht genau aufschlüsseln können. Aber ich weise darauf hin, daß die Aussage, daß das vor allen Dingen landwirtschaftliche Beiträge sind, richtig ist. Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß das Problem des Eintrags aus der Atmosphäre groß ist und daß das mehr als ein Drittel ausmachen kann. Aber wir haben uns im Augenblick die Problematik der Direkteinleiter angesehen. Da nimmt der von uns beherrschbare Teil einen riesigen Anteil ein; und das ist die Landwirtschaft. Das ist allemal richtig. Am Ende will ich eine letzte Bemerkung machen. Ich habe die Wichtigkeit der Nährstoffeinträge und der Schadstoffreduzierung angesprochen. Ich habe mich voriges Mal genauso leidenschaftlich und vehement und schnell gegen die Hochseeverbrennung gerichtet. Ich habe dafür gekämpft, daß wir endlich damit aufhören. ({0}) Herr Töpfer, die Hochseeverbrennung ist gestoppt worden, sie findet nicht mehr statt; aber nicht, weil wir es durchgesetzt haben, sondern weil die Industrie das jetzt gestoppt hat, weil ihre Kostenkalkulation nicht mehr stimmt. ({1}) Hier hat sich wieder einmal bewiesen, daß das, was der Kleinert von Daimler-Benz gesagt hat - die Politiker bestimmen die Rhetorik, und die Wirtschaft bestimmt die Realität - auch bei der Hochseeverbrennung stimmt. ({2}) Wann endlich bestimmen wir einmal die Realität und nicht nur die Rhetorik und wann endlich kommen wir einmal von der Rhetorik zur Handlung? ({3}) - Das ist das gleiche Problem, das gleiche Spiel wie bei Wackersdorf. Das ist doch eindeutig erkennbar, und es ist gut, daß wir es wieder einmal erlebt haben. ({4}) Unsere Position für die 3. Nordseeschutz-Konferenz ist dargelegt worden; ich will das nicht wiederholen. Ich wünsche, daß die Bundesregierung dort Erfolge hat. Die Erfolge bei der Nordseeschutz-Konferenz müssen in der Schadstoff- und in der Nährstoffreduzierung liegen, und sie müssen auch in der Durchsetzung von MARPOL I und MARPOL II - kein Öleintrag und kein Chemikalieneintrag in die Nordsee - liegen. Darüber sind wir uns einig. Ich will auch meine Solidarität ausdrücken, damit wir an diesen Stellen gemeinsam kämpfen können. Ich stimme Herrn Lennartz auch in seinem Beispiel mit dem Elefanten zu. Wenn dort ein Elefant Großbritannien und eine Elefantin Thatcher durchtrampelt, haben wir keine Entschuldigung dafür, unsere Hausarbeiten nicht zu machen. Wir hätten viel mehr Erfolg, wenn wir unsere eigenen Hausarbeiten erledigt hätten, wenn Sie unsere eigene nationale Aufgabe durchgesetzt hätten. Das haben wir nicht getan. Aber das müssen wir tun. Ich danke Ihnen. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesumweltministerium hat einen Bericht über die Umsetzung der 2. Internationalen NordseeschutzKonferenz vorgelegt. Es ist ein klarer, ein guter und ein ehrlicher Bericht. Ich glaube, daß er deutlich macht, welche Fortschritte erreicht worden sind, und daß er genauso ehrlich sagt, was noch weiter getan werden muß. Dies ist Aufgabe eines solchen Berichts. Um es ganz klar zu sagen: Wir haben in der Zeit zwischen 1987 in London und jetzt deutliche Fortschritte der deutschen Umweltpolitik gehabt. Ich ziehe ganz besonders dieses und nicht die internationalen Fortschritte als Maßstab heran; ich lasse mich ausschließlich daran messen, was wir bei uns und darüber hinaus international durchgesetzt haben. Was ist erreicht worden? Seit Oktober 1989 werden keine Abfälle mehr auf hoher See verbrannt. ({0}) Herr Abgeordneter Schütz, ich habe fast erwartet, daß Sie so argumentieren würden, wie Sie es getan haben. Wenn Sie einmal nachlesen, was in der Diskussion über die Verbrennung auf hoher See hier gesagt worden ist, werden Sie folgendes feststellen: Es wurde uns unterstellt, wir würden die Mengen nicht weiter zurückführen, weil wir uns hinterher den ökonomischen Anforderungen der Industrie ausgesetzt sähen. ({1}) Wir haben deutlich gemacht: Wenn wir die Mengen weiterfahren, dann tun wir das, soweit es geht, auch auf die Gefahr hin, daß sie dann nicht mehr wirtschaftlich verbrannt werden können. Exakt das ist eingetreten. Deswegen haben wir es erreicht, daß auf der hohen See nichts mehr verbrannt wird. ({2}) Deshalb frage ich kritisch zurück: Ist wirklich jeder Landesminister, Herr Kollege Heydemann, der so gesprochen hat, wie Sie es hier getan haben, sich darüber bewußt, wo jetzt seine Organohalogenverbindungen entsorgt werden? ({3}) Sind sich dessen alle Kollegen bewußt? Fragen Sie erst einmal nach, wer sich hier hinstellt und sagt, wir hätten diesen Erfolg nicht erreicht. Dann gehen Sie weiter. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Töpfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schütz?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Aber gerne doch.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, genau danach wollte ich fragen. Als Hauptargumentation haben wir damals gesagt: Es sind Reservelager da, und deswegen ist die Verbrennung auf hoher See nicht erforderlich; wir können die Abfälle lagern und sie dann, wenn wir die Verfahren durchgezogen haben, auf Land verbrennen. Nun plötzlich können wir auf See nicht mehr verbrennen; wir müßten jetzt die Lagerkapazitäten haben.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Abgeordneter Schütz, ich will nicht bewerten, welche Frage in Ihren Ausführungen enthalten war; Sie haben dort etwas festgestellt. Ich habe deutlich bei allen Umweltministern der Bundesländer anfragen lassen: Wohin geht das jetzt? Nach meiner bisherigen Kenntnis haben zwei Länder geantwortet, und nach meiner bisherigen Kenntnis gehört das Land Schleswig-Holstein nicht zu den zweien. ({0}) Das mag durchaus sein. Ich will nur einmal festhalten, daß das eingetreten ist, was wir gesagt haben. Eine Unternehmung hat zugemacht, und bei den anderen sind wir besorgt, daß sie mit der Verbrennung in das westliche Ausland gehen, wo sie im Zweifel nicht besser ist als die, die man hier gehabt hat, sondern wo die Verbrennung eher mit größeren Fragezeichen verbunden werden muß. - So weit zum ersten Punkt. Zum zweiten Punkt: Wir haben in der Tat die Einbringung von Dünnsäure aus der Titandioxidproduktion beendet, und zwar deutlich vor den Daten, die die 2. Internationale Nordseeschutz-Konferenz vorgelegt hat. Wir haben die Einbringung beendet, weil wir uns mit dem Kollegen Matthiesen in diesem Zusammenhang nicht haben irremachen lassen bei unserer Aussage: Es ist besser, bei uns die Technik durchzusetzen, als zu verbieten, mit dem Ergebnis, daß die Produktion nicht beendet, sondern nur international in Bereiche hinein verlagert wird, in denen wir nicht die Möglichkeit haben, durch unsere Entscheidung über Technik auch eine Entlastung des Ökosystems Nordsee zu erreichen. Das, Herr Kollege Heydemann - ich komme auf Sie noch zurück -, sollten Sie auch einmal mit heranziehen. Drittens: Wir haben den Vorsorgegrundsatz sehr nachhaltig durchgesetzt, und wir haben ein Zehnpunkteprogramm vorgelegt. Der sicherlich in der Beurteilung nicht gerade sehr abhängige Präsident des Umweltbundesamtes hat gesagt: Von einem solchen Katalog hätten wir in den 70er Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt. Was darin vorgeschlagen wird, bringt immerhin, Frau Kollegin Garbe, 30 Milliarden DM Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland in Gang. ({1}) Wir sind dem, was Herr Lennartz heute als Credo entdeckt hat, bereits 1987 gefolgt; denn wir haben den Stand der Technik in den Verwaltungsvorschriften durchgesetzt. ({2}) Das Credo brauchen Sie uns nicht zu sagen; das setzen wir durch. Wenn es nicht so wäre, Herr Kollege Lennartz, dann frage ich wieder einmal bei dem hochverehrten Herrn Kollegen Heydemann nach: Wer entscheidet eigentlich abschließend über die Verwaltungsvorschriften nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes? ({3}) Beschließt die Bundesregierung sie? Oder beschließt die Bundesregierung sie mit Zustimmung des Bundesrats? Ich habe niemals, Herr Kollege Heydemann, im Bundesrat eine Stimme gegen die von uns vorgelegten 26 Verwaltungsvorschriften nach dem Stand der Technik gehört. Haben Sie - ich beziehe mich auf das, was Frau Garbe gesagt hat - gegen die vorgelegte Verwaltungsvorschrift für die Zellstoffindustrie protestiert? Hat sich irgendeiner der Länderkollegen hingestellt und gesagt, wir täten zuwenig? Waren es nicht gerade die Länderkollegen, die gesagt haben, wir machten zuviel? ({4}) Herr Kollege Heydemann, mit aller Nachdrücklichkeit: Sämtliche Vorbereitungen im Zusammenhang mti der Internationalen Nordseeschutz-Konferenz sind in Anwesenheit von Vertretern der Bundesländer, u. a. des Bundeslands Schleswig-Holstein, getroffen worden. Es gibt nicht einen Vorschlag von Ihnen, den wir nicht umgesetzt und in die Verhandlungen eingebracht haben. Ihr Staatssekretär Richter war bei der Staatssekretärskonferenz anwesend. Er hat Ihre Überlegungen von den Qualitätszielen mit eingebracht. Wir haben sie uns auch zu eigen gemacht. Dann kommen Sie bitte nicht hierher, um so zu tun, als hätten wir über diese Dinge vorher nicht geredet. Das ist doch Grundlage unserer gemeinsamen Konzeption. Habe ich von Ihnen einen einzigen Brief bekommen, in dem Sie ausgeführt haben: „Verhandle bitte nicht so"? Herr Kollege, lassen Sie uns wenigstens unter den Umweltpolitikern wieder auf das zurückkommen, was notwendig ist, nämlich die Gemeinsamkeit herzustellen, damit wir international gemeinsam vorankommen. Das ist mein Ansatzpunkt. ({5}) Wir haben die 26 Verwaltungsvorschriften vorgelegt und hoffen, daß sie alle durch den Bundesrat gehen. ({6}) Darüber hinaus haben wir eine ganze Reihe von zusätzlichen Gesetzen gemacht. Eines davon steht heute auf der Tagesordnung des Bundesrats, nämlich das Chemikaliengesetz, Herr Abgeordneter Schütz. Heute liegt es vor, und heute wird es verabschiedet, wie ich hoffe. ({7}) - Wissen Sie, Herr Abgeordneter Lennartz, so weit sind wir noch nicht, daß Sie entscheiden, was seinen Namen verdient oder nicht. Das entscheiden wohl immer noch diejenigen, die das mit entwickelt haben. Ich hoffe ganz herzlich, daß die Bundesländer überall das umsetzen, was wir einmal entschieden haben. ({8}) Bisher sehe ich sehr viel mehr Verwaltungsvollzug als Gesetzgebungsvollzug. Auch das möchte ich ganz deutlich machen. Dazu haben wir - ich sage es noch einmal - sehr nachhaltig gehandelt. Das, was in den Entscheidungen angelegt ist, Herr Abgeordneter Schütz, versetzt uns genau in die Lage, zu sagen: Wir gehen mit sehr guten Karten in die Verhandlungen nach Den Haag. Bis zur Stunde warte ich auf irgend jemanden, der mir sagt: Da fordert ein anderes Land, das an dieser Konferenz teilnimmt, mehr für den Umweltschutz, aber es scheitert an der Bundesrepublik Deutschland. ({9}) Nennen Sie mir ein einziges Land, das im Zusammenhang mit der Internationalen NordseeschutzKonferenz, die in Den Haag in 14 Tagen beginnt, von uns mehr fordert, dessen Realisierung aber an unseren Vorstellungen scheitert. Genau das Gegenteil ist der Fall. ({10}) - Meine Damen und Herren, wenn Sie einmal ein Musterbeispiel unredlicher Formulierung, die mir gerade vorgehalten wird, in Ruhe nachlesen wollen, dann lesen Sie bitte die Rede nach, die der Abgeordnete Lennartz heute hier gehalten hat. ({11}) Meine Redezeit reicht leider Gottes nicht aus, um die Vielfalt der Unredlichkeiten - ich bleibe bei meiner Ausdrucksweise parlamentarisch ({12}) in dem zehnminütigen Redebeitrag von Herrn Lennartz aufzulisten und richtigzustellen. Das muß man klipp und klar sagen. Sie sollten also nicht von Unredlichkeit sprechen. Das, was ich hier vortrage, sind schlichte Fakten. ({13}) Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Mitfinanzierung des Bundes erreicht, daß die Schiffe unentgeltlich entsorgt werden. Das war unser unmittelbarer Beitrag dazu, weil wir MARPOL noch nicht durchsetzen können. Daß wir MARPOLSondergebiet für die Nordsee haben wollen, scheitert doch nicht an der Bundesrepublik Deutschland. ({14}) Das scheitert an der Tatsache, daß andere das nicht wollen, und wir versuchen, wenigstens die Wirkungen zu vermindern, die dadurch auf die Nordsee zukommen. Frau Abgeordnete Garbe, wir haben in der 2. Nordseeschutz-Konferenz sieben Stoffe gehabt, für die die 50 %ige Verminderung nottut, und wir haben es jetzt auf 37 Stoffe gebracht. Wenn wir irgendwo die Chance hätten, mehr durchzubringen, so würde auch das nicht an der Bundesrepublik Deutschland scheitern. Sie wissen doch, daß wir z. B. mit dem Summenparameter AOX eine Vielzahl der gefährlichen organischen Halogenverbindungen über die bereits genannten 37 Stoffe hinaus erfassen. Lassen wir doch also diese Vorwürfe sein! ({15}) Ich habe mich vor der 2. Nordseeschutz-Konferenz sehr darüber gefreut, daß es möglich war, damals eine nahezu einstimmige Entscheidung dieses Hohen Hauses zur Unterstützung der Bundesregierung für Verhandlungen in London zu bekommen. Es wäre ungleich wichtiger und sinnvoller, wenn wir dies wirklich auch vor der 3. Konferenz wieder erreichen würden, ({16}) indem wir sagen: Das ist das gemeinsame Ziel des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. Das hilft uns doch mehr, als wenn wir nur aus parteipolitischen Gründen langsamer machen, weil im Jahre 1990 Wahlen sind; und im Jahre 1987 waren keine Wahlen. Dies kann doch beim besten Willen nicht richtig sein. ({17}) Lassen Sie mich noch etwas zur Datenlage sagen. Ich greife gern auf, was der Abgeordnete Wolf gramm gesagt hat. Der Abgeordnete Wolfgramm hat zu Recht gesagt, daß der Bund nach unserem Wasserhaushaltsgesetz keine Daten hat, sondern darauf angewiesen ist, diese von den Ländern zu bekommen. Der Kollege Heydemann hat hier den Antrag der SPD so wärmstens empfohlen. Darin steht als erster Punkt, glaube ich, sogar, daß wir die Daten vorlegen können, und so rechne ich auf Ihre nachhaltige Unterstützung, Herr Kollege Heydemann, daß Sie bei der nächsten Umweltministerkonferenz den Antrag stellen, alle Bundesländer mögen uns bitte sofort und unverzüglich die Einleitungsdaten im Wasserbereich mitteilen. ({18}) Dies wäre wirklich ein konstruktiver Beitrag, den ich heute sehr gern von Ihnen mitgenommen hätte, Herr Kollege. Das wäre eine großartige Sache. ({19}) Sie werden ganz sicher davon ausgehen können: An mir wird es nicht liegen, ich werde Sie gerne darin unterstützen. Dann sage ich noch ein paar Sätze zu unseren östlichen Nachbarn, dies nur deswegen, damit es nicht falsch verstanden wird. Wenn wir uns heute darüber Gedanken machen, wie es mit dem Umweltschutz in der DDR aussieht, dann machen wir uns Gedanken wegen der Menschen in der DDR und der Auswirkungen auf unsere Ökosysteme insgesamt, nicht deswegen, weil wir von Hausaufgaben ablenken wollen, die wir selbst zu machen haben. Lassen Sie sich das bitte endgültig mal sagen. ({20}) Ich habe von meiner Redezeit elf Minuten auf unsere Arbeiten verwandt, und ich werde zwei Minuten nutzen, um zu sagen, daß es richtig ist, in der DDR Umweltpolitik mitzumachen, weil es die Nordsee zentral entlastet. ({21}) Deswegen ist es seit 1987 ein Fortschritt, daß die DDR und die Tschechoslowakei in diesem Fall nur als Beobachter mit am Tisch sitzen. Deswegen ist es gut, daß ich in der nächsten Woche mit meinem neuen tschechoslowakischen Kollegen hier noch einmal zusammenkomme, um mit ihm darüber zu reden, was wir gemeinsam machen können. ({22}) Deswegen ist es gut, daß wir Geld und Technik von uns einsetzen, um Umweltentlastung an der Elbe, an der Saale, an der Unstrut und wo auch immer zu erreichen, weil dies eben unmittelbar Belastungsfaktoren der Nordsee sind. Dies sage ich - ich sage es nochmal - nicht, um von unseren eigenen Hausaufgaben abzulenken. Dafür haben wir uns hier zu verantworten. Wir gehen nach Den Haag nicht im Büßergewand dessen, der nichts getan hat, aber auch nicht mit dem stolzen Blick dessen, der alles erreicht hat, sondern in der klaren Kenntnis, daß wir einen wesentlichen Schritt vorangekommen sind, aber daß es noch mehr zu tun gibt, damit auf Dauer auch unser Beitrag zur Entlastung der Nordsee stimmt und damit wir auf Dauer auch von anderen erwarten können, daß sie ihre Hausaufgaben genauso erfüllen, wie auch wir es uns vorgenommen haben. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({23})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Heydemann möchte noch auf die Kurzintervention von Herrn Carstensen entgegnen. Minister Heydemann ({0}): Herr Kollege Carstensen, wir gehen doch in der Annahme konform, daß die Nährstoffeinträge, bezogen auf Phosphat, eine besondere Schlüsselrolle spielen, in manchen Bereichen noch mehr als die von Stickstoff. Ich habe in der Landesregierung Schleswig-Holstein in besonderem Maße - Sie haben es mitbekommen - versucht, gerade diese Nährstoffe durch etwa zehn verschiedene Struktur- und chemische Programme, die ich hier nicht alle erwähnt habe, bereits im Binnenland zu eliminieren, damit sie die Nordsee nicht belasten. Das ist beispielhaft für die ganze EG. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies als Basis für weitere Anregungen nähmen. Dazu gehört auch die Gülleverordnung, die wir gemeinsam mit Herrn Bundestagsabgeordneten Eigen in Schleswig-Holstein lange diskutiert haben. Sie ist EG-weit die einzige, die mit - verglichen zu anderen Regelungen - doppelt scharfem Anspruch versucht, den Stickstoffaustrag und natürlich, soweit das möglich ist, auch Teile des Phosphataustrages zu verringern oder zu eliminieren. Diese Ansätze sind die entscheidenden und beispielhaft für den gesamten Bereich der EG. Ich hätte erwartet, daß gerade die Bundesregierung diese Ansätze im Hinblick auf die EG-weite Durchsetzung aufnimmt. ({1}) Statt dessen mußten meine Mitarbeiter auch in der Vorbereitung der Nordseeschutz-Konferenz zu dem Schluß kommen, daß es mehr um Vorbehalte als um verbindliche Regelungen geht Gerade die letzten wollen wir. Das Beispiel Gülleverordnung zeigt verbindliche Regelungen auf. Ich halte das für ein Musterbeispiel eines Beitrags eines Landes mit 1 000 km Küsten an Nord- und Ostsee. Bessere Beispiele gibt es nicht. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Kollege Austermann, nach der Parlamentsreform kann ich nur eine Zwischenbemerkung und eine Antwort zulassen. Das war unser Beschluß. ({0}) Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 11/6373 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6456? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der GRÜNEN abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6491? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, auf Drucksache 11/6496. Wer stimmt für die Nr. I und II dieser Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. I und II sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN angenommen. Wir kommen nun zu Nr. III der Beschlußempfehlung. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4515 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 der Tagesordnung auf: ZP6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Dr. Däubler-Gmelin, Schäfer ({1}), Becker-Inglau, Dr. Pick, Schmidt ({2}), Schütz. Singer, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Hartenstein, Kastner, Kiehm, Dr. Kübler, Lennartz, Müller ({3}), Reuter, Stahl ({4}), Weiermann, Dr. Wernitz, Dr. Hauchler, Müller ({5}), Graf, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - Drucksache 11/6449 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({6}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - ({7}) - Drucksache 11/6453 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({8}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 45 Minuten vorgesehen. Präsidentin Dr. Süssmuth Dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Es ist beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor genau zehn Jahren wurde nach Initiativen des damaligen Justizministers Hans-Jochen Vogel das Umweltstrafrecht nach langen Beratungen neu gefaßt und erstmals in das Kernstrafrecht aufgenommen. Mit dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber damals unmißverständlich deutlich gemacht, daß Umweltstraftaten keine Kavaliersdelikte sind. Wer unsere natürlichen Lebensgrundlagen kriminell beeinträchtigt - das war die Botschaft -, muß damit rechnen, wie ein Straftäter behandelt zu werden. Das Umweltstrafrecht aus dem Jahr 1980 war ein entscheidender Schritt im Bewußtsein der Öffentlichkeit, dem Umweltschutz auch strafrechtlich den Stellenwert einzuräumen, der ihm zukommt. Es ist nunmehr höchste Zeit, nach der Pioniertat des Jahres 1980 das Umweltstrafrecht entsprechend den zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen fortzuschreiben, Fehlentwicklungen abzustellen, Lücken zu schließen und Defizite auszugleichen. Seit Jahren werden immer mehr Umweltdelikte polizeilich erfaßt und verfolgt. Der Anteil der Anklagen und Verurteilungen an diesen Delikten geht jedoch ebenso kontinuierlich zurück. Über drei Viertel aller Umweltstrafverfahren werden schon durch die zuständigen Staatsanwaltschaften eingestellt. Wenn es dennoch zu Bestrafungen kommt, so liegen die ausgeworfenen Strafen im absolut untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens. 95 % aller Strafen sind Geldstrafen, die in aller Regel 30 Tagessätze nicht übersteigen. Der größte Teil der erfaßten Delikte sind kleinere Verstöße des beruflichen und privaten Alltags. Vorgänge aus dem gewerblich-industriellen Bereich sind in den Statistiken ebenso selten vertreten wie Fälle aus dem öffentlichen Verantwortungsbereich, also der Umweltverwaltung und ihrem Umfeld. Seltenheitswert haben bei den erfaßten und zur Ahndung gebrachten Delikten die wirklich schwarzen Schafe, diejenigen also, die der Umwelt gezielt und um des wirtschaftlichen Vorteils willen nachhaltigen Schaden zufügen. ({0}) Wird man ihrer habhaft, so kommen sie nicht selten nach langen Ermittlungen und Verfahren auch noch ungeschoren davon. Wir wissen seit längerem, daß das Umweltstrafrecht unter erheblichen Vollzugsdefiziten leidet. Wir wissen aber auch, daß mittlerweile zutage liegende Schwächen der Umweltstraftatbestände selbst einer wirksamen Bekämpfung der Umweltkriminalität im Wege stehen. Die Defizite und Mängel sind seit Jahren bekannt. Nachdem die Regierung trotz vielfältiger Versprechungen über Jahre hinweg untätig blieb, haben wir aus der Opposition heraus nach gründlichen Beratungen einen Gesetzentwurf erarbeitet, der - das zeigen erste Vergleiche - weit eher geeignet ist, Schwachstellen und Lücken des geltenden Umweltstrafrechtes zu schließen, als der nunmehr doch noch vorgelegte Entwurf der Koalitionsfraktionen. Wir haben die Umweltstraftatbestände so neu gefaßt und bearbeitet, daß reine Bagatellverstöße nicht mehr dem Strafrecht, sondern ausschließlich dem dafür vorgesehenen Bußgeldrecht unterworfen werden. Wir möchten damit erreichen, daß sich die Strafverfolgungsorgane nicht in der Ahndung und Verfolgung von Bagatellverstößen verzetteln müssen, sondern sich auf die ökologisch wirklich bedeutsamen und gravierenden Umweltdelikte konzentrieren können. Wir haben den Strafrahmen bei gefährlichen Umweltdelikten in unserem Entwurf zum Teil kräftig angehoben, damit diejenigen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen in krimineller Weise schwer schädigen, auch streng bestraft werden können. Im Gegensatz zum Koalitionsentwurf sollen nach unseren Vorstellungen die besonders nachhaltigen und rücksichtslosen Umweltstraftäter auch als Verbrecher bestraft werden können. Damit wäre gleichzeitig die Verjährungsfrist für diese wirklich gravierenden Delikte kräftig erhöht, so daß die besonders raffiniert begangenen, häufig erst nach längerer Zeit entdeckten und nicht selten schwer nachweisbaren Delikte mit einer hohen Schädigung unserer Existenzgrundlagen nicht auch noch, wie es nicht selten der Fall ist, der Verjährung anheimfallen. Wir sind auch der Ansicht, daß die Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung erheblich verbessert werden müssen. Nach geltendem Recht sind diese Möglichkeiten nur in geringem Umfange gegeben. Umweltkriminelles Verhalten, meine Damen und Herren, darf sich nicht auch noch lohnen und zu wirtschaftlichen Vorteilen führen. Im Gegensatz zur Koalition halten wir es für erforderlich, den Tatbestand einer strafrechtlichen Amtsträgerhaftung einzuführen, um eine unbestrittene Grundlage für die Bestrafung von Amtsträgern in den Fällen zu schaffen, in denen öffentlich Bedienstete vorsätzlich oder leichtfertig, also in einer gesteigerten Form der Fahrlässigkeit, die ihnen zum Schutz der Umwelt obliegenden Pflichten verletzt haben. Das geltende Strafrecht hat nicht selten geradezu zu einer strafrechtlichen Privilegierung von öffentlich Bediensteten geführt. Dieser Fehlentwicklung muß - das zeigen auch die entsprechenden Empfehlungen von Sachverständigen - Rechnung getragen werden. Nach unseren Vorstellungen muß es endlich auch möglich sein, bei Straftaten, die aus einem Unternehmen heraus begangen werden, diejenigen zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, die hierfür die tatsächliche Verantwortung tragen. Unser Vorschlag, der an frühere Vorstellungen auch der Bundesregierung anknüpft, würde auch die Verfolgung anderer Wirtschaftsstrafdelikte wesentlich erleichtern. Noch im Referentenentwurf der Bundesregierung zu dem jetzt zu beratenden Umweltstrafrecht hieß es wörtlich: Der Entwurf schlägt daher in Übereinstimmung mit der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und einer Empfehlung des Deutschen Juristentages aus dem Jahre 1988 vor, auf das Merkmal der ausBachmaier drücklichen Beauftragung des § 14 Abs. 2 des Strafgesetzbuches künftig zu verzichten. Aus der jetzigen Koalitionsvorlage wurde diese wirklich notwendige Verbesserung bei der Verfolgung von Umwelt- und Wirtschaftsstraftaten wieder entfernt. Wir haben nach langer und eingehender Diskussion in unserem Entwurf die Abhängigkeit der Umweltstraftatbestände von bestehenden oder nicht bestehenden Verwaltungsakten behutsam gelockert. Umweltkriminelles Verhalten muß auch dann geahndet werden können, meine Damen und Herren, wenn es auf der Grundlage eines durch Täuschung oder Bestechung erschlichenen oder offensichtlich veralteten Verwaltungsakts erfolgt. Der bislang lediglich rudimentäre strafrechtliche Schutz des Bodens wird aufgewertet und umfassend in einem neuen Straftatbestand geregelt. Der bisherige Straftatbestand der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung wird in unserem Entwurf - auch im Regierungsentwurf - zu einem Straftatbestand gegen den umweltgefährdenden Umgang mit gefährlichen Gütern ausgebaut und erweitert, so daß entsprechend dem Gefährdungspotential ein umweltgefährdender Umgang auch mit Wirtschaftsgütern endlich strafrechtlich erfaßt werden kann. Durch den Straftatbestand werden alle Aktivitäten beim kriminellen Umgang mit gefährlichen Gütern, also auch die Lagerung, Beförderung und Verwendung gefahrangemessen unter Strafe gestellt. Der strafrechtliche Schutz vor Luftverunreinigungen, der bislang auch wegen der Schwierigkeiten bei der Anwendung dieses Straftatbestandes kaum jemals zu strafrechtlichen Ahndungen geführt hat, muß gegenüber dem geltenden Recht praktikabler ausgestaltet und ausgeweitet werden. Insbesondere soll die wenig verständliche Voraussetzung entfallen, daß strafbare Luftverunreinigungen nur beim Betrieb einer Anlage gegeben sind. Maßgebliches Kriterium, meine Damen und Herren, für die Strafwürdigkeit hat ausschließlich die Gefährlichkeit der Tat zu sein, nicht die Herkunft der erfolgten Luftverschmutzung bzw. Luftverunreinigung. Dies waren einige wesentliche Eckpunkte unserer Vorstellungen von der gebotenen Novellierung des Umweltstrafrechts. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, daß trotz der äußerst knappen Zeit, die uns in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung steht, das Umweltstrafrecht so verbessert wird, daß in Zukunft diejenigen, die sich kriminell an den natürlichen Existenzgrundlagen vergehen, auch mit einer harten strafrechtlichen Ahndung rechnen müssen und nicht mehr hoffen können, ungeschoren davon zukommen. Umweltkriminalität, meine Damen und Herren, ist nicht selten eine gesteigerte Form der Wirtschaftskriminalität, da viele der Schäden, die der Umwelt aus Gründen des wirtschaftlichen Vorteils zugefügt werden, nicht wieder behoben werden können. Das Umweltstrafrecht stellt sicherlich kein Allheilmittel im Kampf um verbesserte Lebensgrundlagen dar. Seine Aufgabe ist es vielmehr, extrem sozialschädliche Verhaltensweisen auch im Umweltbereich in der schärfsten, dem Staat möglich Form zu ahnden. Das Umweltstrafrecht kann aber auch einen Beitrag dazu leisten, unser Bewußtsein für die gesellschaftliche Verwerflichkeit einer immer weiter fortschreitenden Umweltzerstörung zu schärfen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir legen heute dem Deutschen Bundestag unseren Gesetzentwurf zu einer verbesserten Bekämpfung der Umweltkriminalität vor. Wir widerlegen damit diejenigen, die uns hier lautstark wegen Untätigkeit und Unfähigkeit angegriffen haben. ({0}) Qualität ist gefragt und nicht Schnelligkeit. ({1}) - Nun, die Mängel und Defizite des Gesetzes von 1980 zeigen ja, daß es damals etwas sorgfältiger hätte vorbereitet und beraten werden müssen. ({2}) Wir verwirklichen nun, was wir uns für diese Wahlperiode vorgenommen haben, sowohl für das Umweltstrafrecht wie auch für das Umwelthaftungsrecht. Das Umweltstrafrecht ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Das Umweltbewußtsein der Bevölkerung ist geschärft, und die Zahl der Anzeigen und Ermittlungsverfahren gegen Umweltsünder ist entsprechend stark gestiegen. Anklage wurde aber selten erhoben. Es kam nur zu verhältnismäßig wenigen Verurteilungen. Diese Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in folgenlose Ermittlungsverfahren wird von allen Betroffenen als unbefriedigend empfunden und hat zu der Feststellung geführt, das Umweltstrafrecht befinde sich in einer Krise. Die Ausweitung des Strafrechts auf den Bereich der Umweltvorsorge sei eine Fehlentwicklung, wird gesagt, weil es nicht mehr allein um die Verletzung von Rechtsgütern gehe, sondern schon um ihre potentielle Gefährdung. Manche raten zur ersatzlosen Streichung der Umweltstraftatbestände. Meine Damen und Herren, diese Kritik ist überzogen. Richtig ist zunächst die Forderung, die Straftatbestände schärfer zu umreißen. Sie sind bisher zu weit und zu offen, mit der Folge, daß auch Bagatelldelikte zum Ermittlungsgegenstand werden. Nunmehr sollen die Tatbestandsmerkmale einer klareren Fassung unterworfen werden. Dazu gehört auch eine strenge Verwaltungsakzessorietät. Das heißt, Umweltverwaltungsrecht hat Vorrang vor Umweltstrafrecht. Was in Umweltrechtsvorschriften steht, beschreibt die Grenze des Erlaubten. Wer diese Grenze überschreitet, verletzt verwaltungsrechtliche Pflichten und begeht damit strafbares Unrecht. Wir haben in den letzten Jahren zum Erlaß von zahlreichen Rechtsverordnungen, etwa im Bereich der Groß- und Kleinfeuerungsanlagen, Grenzwerte erlassen, die nunmehr auch die Grundlage für ein modernes, am Umweltverwaltungsrecht orientiertes Umweltstrafrecht bilden. Durch das Tatbestandsmerkmal einer groben Pflichtverletzung und der Anforderung einer erheblichen Umweltbeeinträchtigung heben wir bei bestimmten Tatbeständen die Strafbarkeitsschwelle an, weil nicht jede Verletzung eines Vorsorgewertes schon als kriminelles Unrecht zu werten ist. Außerdem führen wir eine Definition der verwaltungsrechtlichen Pflicht ein. Das geltende Recht behandelt die Pfade der Umweltverschmutzung unterschiedlich, was zu ungereimten Ergebnissen führen kann. So wird z. B. die Verseuchung des Bodens mit Altöl aus einem Tankwagen bisher strafrechtlich nicht verfolgt. Mit dem Gesetzentwurf soll der Schutz lückenlos werden, insbesondere auch durch die Einbeziehung des Bodenschutzes in die Umweltstraftatbestände. Umweltstrafrecht hat schließlich auch einen erzieherischen und damit einen vorsorgenden Effekt. Es ist zwar richtig, das Strafrecht kommt immer zu spät; es trägt aber dazu bei, die Wertigkeit der geschützten Rechtsgüter im öffentlichen Bewußtsein nachhaltig zu verankern. Wer künftig illegal z. B. ein Gebäude in einem Naturschutzgebiet errichtet, muß sich auch des strafrechtlichen Risikos bewußt sein. Er muß das Gebäude nicht nur abreißen und den alten Zustand der Natur wiederherstellen, sondern er erhält darüber hinaus auch eine empfindliche Strafe. Wir nehmen solche Grenzziehungen zum Schutz unserer Umwelt sehr ernst, und wir dokumentieren dies mit unserer Gesetzesinitiative. Danke. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsfraktionen haben einen von der Bundesregierung erarbeiteten Entwurf zur Reform des Umweltschadensrechtes, ({0}) des Umweltstrafrechtes, eingebracht. ({1}) - Beides ist richtig. Aber zunächst einmal beraten wir das Umweltstrafrecht. Herr Marschewski, bevor ich inhaltlich dazu Stellung nehme, soweit das in vier Minuten überhaupt möglich ist, lassen Sie mich kurz etwas zum Verfahren selbst und zum Umgang mit den anderen Fraktionen in diesem Hohen Hause sagen. Die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung haben sich jahrelang Zeit gelassen, haben jahrelang überhaupt nicht den Eindruck erweckt, daß es etwa eilen könnte mit einer solchen Reform. Im Gegenteil! SPD und GRÜNE dagegen haben immer gedrängt. Wir hatten den starken Eindruck: Die Regierung und auch Ihre Fraktion befinden sich umweltrechtspolitisch im Tiefschlaf. Jetzt plötzlich, da die Wahlkämpfe nahen, entwikkeln Sie hektische Aktivitäten. Der Hauptgrund hierfür ist - das wurde ja auch offen ausgesprochen - Ihre Angst vor dem drohenden Verlust der Mehrheit im Bundesrat. Die heutige Debatte im Plenum ist schon vor über eine Woche angesetzt worden, ein entsprechender Punkt war in der Tagesordnung enthalten, aber die ganze Zeit über lag noch kein Gesetzentwurf vor. Ich habe am Freitag letzter Woche, am Montag, am Dienstag nachgefragt, erst am Mittwoch vormittag habe ich diesen Gesetzentwurf erhalten. ({2}) - Ja, persönlich. Das macht die Sache nicht besser. Herr Marschewski, das Umweltstrafrecht ist nicht irgendein Antrag, den man mal eben schnell behandeln kann, sondern es ist Gegenstand eines umfänglichen und komplizierten Gesetzeswerks, auf das man sich vorbereiten muß; man muß zeitlich in die Lage gesetzt werden, es inhaltlich zu prüfen. Das gilt gerade für die Fraktion, die das ökologische Gewissen dieses Parlaments darstellt ({3}) und die hier eine bedeutende Wächterfunktion hat. Jetzt aber mußte es plötzlich ganz schnell gehen. Jetzt hatten Sie plötzlich nicht mehr die Zeit, den Gesetzentwurf in der sonst üblichen Frist einzubringen und den Fraktionen wenigstens eine Woche Zeit zur Bearbeitung und Prüfung zu lassen. Ich halte das schon für eine gewisse Brüskierung des Parlaments. Aber die letzten Tage und Wochen haben ja auch gezeigt, daß Sie das Parlament gar nicht wirklich ernst nehmen, es eher als Ärgernis denn als das, was es ist, empfinden, nämlich als die erste und oberste Gewalt im Staate. Ich komme nun zum Gesetzentwurf selbst. Er ist halbherzig und - als Lehrer würde ich sagen: ungenügend. Er täuscht vor allen Dingen eine Wirkung vor, die er nicht erreichen wird, die er gar nicht erreichen kann. Das Umweltstrafrecht ist ein stumpfes Schwert im Kampf gegen die dramatisch voranschreitende Zerstörung unserer Umwelt. Oder was würden Sie von einem Schöpflöffel halten, durch den 98 % der Soße wieder hindurchrinnt, bevor Sie ihn überhaupt zum Teller geführt haben? So sehen die Statistiken zum Umweltstrafrecht nämlich aus. Wenn Sie wochenlang die Tischdecke vollgeschüttet haben, würden Sie sich vielleicht auch überlegen, ob Sie ein anderes Werkzeug brauchen. Diese anderen Werkzeuge haben die GRÜNEN vorgestellt, und wir haben hier im Deutsch en Bundestag entsprechende Vorschläge eingeHäfner bracht. Ich werde nachher noch darauf zu sprechen kommen. Das Umweltstrafrecht erfaßt im wesentlichen Bagatelldelikte; die allermeisten von ihnen werden zudem eingestellt. Das eigentliche Ärgernis, das die Bürgerinnen und Bürger immer wieder wütend macht, wird auch in Ihrem Gesetzentwurf in keiner Weise berührt. Die Leute können nämlich zu Recht nicht verstehen, daß etwa ein Familienvater, der seine Campingabfälle in den Rhein wirft, verfolgt und bestraft wird, während kaum einen Kilometer weiter ein riesiges Chemiewerk täglich tonnenweise giftige Chemikalien in denselben Fluß leitet, ohne daß Polizei, Behörden oder Staatsanwaltschaft irgend etwas dagegen unternehmen. So wird auch nach Ihrem Entwurf weiterhin gelten, was in bezug auf das geltende Umweltstrafrecht überall schon seit Jahren die Spatzen von den Dächern pfeifen: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Ein wesentlicher Grund hierfür - neben vielen anderen - ist Ihr striktes Festhalten am Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät. Hochgradig umweltschädigendes Verhalten ist demnach nicht strafbar, wenn, wie es oft genug geschehen ist, die Behörde dem Betreiber hierfür einen Persilschein ausgestellt hat. Beispielsweise bleibt selbst das Betreiben einer atomaren Anlage ohne die erforderliche atomrechtliche Genehmigung straffrei, wenn die Behörde mitspielt und z. B. entweder rechtswidrige oder nachträgliche Genehmigungen ausspricht. Ich muß zum Schluß kommen. Es gibt noch viele Unzulänglichkeiten in Ihrem vor allem auf umweltpolitische Symbolik und nicht auf reale Veränderung zielenden Gesetzentwurf. Die Ausschußberatungen werden mir Gelegenheit geben, diese Unzulänglichkeiten Punkt für Punkt nachzuweisen und Sie vielleicht doch noch eines Besseren zu belehren. Darauf hoffe ich. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Häfner, wir legen einen Entwurf eines neuen Umweltstrafrechts vor, das gründlich vorbereitet worden ist. Die heutige erste Lesung mit insgesamt 45 Minuten Debattenzeit wird der Bedeutung dieses für uns alle wichtigen Gesetzes in keiner Weise gerecht. Auch die Besetzung des Plenums zu dieser Zeit wird der Bedeutung dieses Gesetzes in keiner Weise gerecht. Freitags um 11 Uhr könnte das Plenum durchaus etwas voller sein. Dieser Vorwurf richtet sich nicht nur an meine eigene Partei, sondern z. B. auch an die Partei der GRÜNEN, die ja meint, sie habe die Umweltpolitik gepachtet. In diesem Gesetz werden wesentliche Lücken im Bereich des Umweltstrafrechts geschlossen. Das Gesetz wird praktikabler sein und dazu führen, daß Umwelttäter mehr als bisher ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Der Kollege Bachmaier, der sich gerade so intensiv unterhält ({0}) - ja, natürlich, mit Ihnen bespricht man immer nur wichtige Dinge, Frau Däubler-Gmelin; ({1}) das würde mich sehr freuen - hat zu Recht auf die Vollzugsdefizite im Umweltstrafrecht hingewiesen. Im Gegensatz zu dem Kollegen Dr. Laufs, der die Sache jetzt offensichtlich nicht mehr ganz so ernst nimmt, weil er schon wieder draußen ist, ({2}) bin ich der Meinung, daß es nicht die Schuld des Umweltstrafrechts aus dem Jahre 1980 gewesen ist -, die Dinge haben sich ja im Laufe der 80er Jahre entwickelt; wir konnten froh sein, daß wir dieses Gesetz 1980 beschlossen haben, daß hier wenigstens ein Bewußtsein für Umweltstrafrecht entstanden ist -; wenn auch zuzugeben ist, daß ein wesentliches Vollzugsdefizit vorhanden ist. Das ist ohne weiteres an den Statistiken erkennbar, die Herr Bachmaier zu Recht angeführt hat. Dieses Gesetz ist durch gründliche Beratung und eine interministrielle Arbeitsgruppe vorbereitet worden und wird dafür sorgen, daß die bestehenden Umweltverwaltungsvorschriften auf Grund eines schlagkräftigen Sanktionensystems ernst genommen werden. Dies gilt insbesondere auf dem Gebiet der Bodenverunreinigung, für den unverantwortlichen Umgang mit gefährlichen Stoffen. Aber auch die Erweiterung der Strafvorschriften gegen Luftverunreinigung wird hier hilfreich sein. Naturschutzgebiete und Wasserschutzgebiete werden gegen schädliche Einwirkungen stärker gesichert. Vor allem der illegale Export von gefährlichen Abfällen, vor allem in die Entwicklungsländer, wird unter Strafe gestellt. Den Schweinkram, den wir hier selber anstellen, wollen wir nicht illegal in die Entwicklungsländer exportieren. ({3}) Wichtig ist auch, daß die Verantwortlichkeiten in den Unternehmen und damit auch die Frage, wer Straftäter im Sinne des Umweltstrafrechts ist, klarer definiert werden. Wir begrüßen es auch, daß Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verhängt werden können, wenn ein Verantwortlicher in leitender Stellung eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. ({4}) Der Schutz der natürlichen Umwelt, der Schutz gegen Boden- und Luftverunreinigung, gegen Beeinträchtigung von Wasser, der Schutz von Heilquellen und Naturschutzgebieten sowie vor Gefahren durch unverantwortlichen Umgang mit gefährlichen Stoffen und durch grob fehlerhaftes Verhalten beim Transport gefährlicher Güter ist eine wesentliche Aufgabe des Gesetzgebers. Hier muß sich zeigen, daß Verstöße, die die Allgemeinheit in wachsendem Umfang schädigen, auch rigoros bestraft und nicht mehr als Kavaliersdelikte betrachtet werden. ({5}) Das Strafrecht hat auch edukativen - sprich: erzieherischen - Charakter und soll deutlich machen, daß wir es nicht mehr hinnehmen werden, daß sich unverantwortliches Handeln bei Umweltdelikten lohnt. Schließlich müssen auch die besonders geschützt werden, die bereit sind, mit der Umwelt verantwortlich umzugehen. Umweltstraftäter dürfen keine Vorteile gegenüber denjenigen haben, die sauber arbeiten, die sozusagen saubere Mitkonkurrenten auf diesem Markt sind. Insoweit ist auch das Umweltstrafrecht ein Schutz vor unlauterer Konkurrenz. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir legen zur besseren Bekämpfung und Ahndung der Umweltkriminalität heute einen Entwurf vor, der notwendig ist, der, wie wir hoffen, effektiv sein wird und von dem wir auch hoffen, daß wir ihn ausgewogen gestaltet haben. Er schlägt neue Regelungen vor, wo sich strafrechtliche Lücken gezeigt haben. So soll nicht nur die Verunreinigung der Umweltmedien Wasser und Luft, sondern auch des Bodens unter Strafe gestellt werden. Der Entwurf faßt Tatbestände da neu, wo sie sich als unpraktikabel herausgestellt haben. Das gilt z. B. für den Tatbestand der Luftverunreinigung, dessen Einschränkungen eine Anwendung erschwerten. Der Entwurf - Herr Häfner, das ist Ihnen entgangen ({0}) verschärft auch Strafandrohungen, die sich auf Grund einer gewandelten Bewertung des Unrechtsgehalts von Umweltbeeinträchtigungen als zu gering erwiesen haben, so z. B. bei vorsätzlichen schweren Umwelttaten. Schließlich schafft der Entwurf durch die Erweiterung der tätigen Reue zusätzliche Anreize, im Interesse der Abwehr von Umweltgefahren aktiv Gegenmaßnahmen zu ergreifen. ({1}) - Ich komme darauf noch zu sprechen. - Der Entwurf erweitert auch die Einziehungsmöglichkeiten und verbessert die Möglichkeit, Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen zu verhängen. Das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität ist vor zehn Jahren von diesem Hause nahezu einstimmig verabschiedet worden. Wir, damals in der Opposition, haben dem Entwurf trotz einiger Bedenken zugestimmt. Diese Bedenken haben sich in der Folgezeit als gerechtfertigt erwiesen. So hatten wir z. B. gefordert, insbesondere die zahlreichen als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestalteten Tatbestände schärfer zu konkretisieren. Das geschieht nun; da bessern wir nach. Heute sind die Rollen vertauscht. Die SPD hat einen eigenen Entwurf zum Umweltstrafrecht vorgelegt. Er weicht in einer Reihe von Punkten von unserem Entwurf ab. Es gibt aber, Herr Kollege Bachmaier, auch Übereinstimmungen. Sie wollen wie wir die Bodenverunreinigung unter Strafe stellen, den Tatbestand der Luftverunreinigung neu fassen, die Verursachung von Lärm und Erschütterungen bestrafen, den umweltgefährdenden Umgang mit gefährlichen Gütern neu regeln usw. Das ist eine ganze Reihe von Übereinstimmungen, und das gibt mir die Hoffnung, daß es im Zuge der weiteren Beratungen doch vielleicht gelingen kann, einen breiten Konsens zu erreichen. ({2}) Meine Damen und Herren, das Umweltstrafrecht ist in letzter Zeit der Kritik aus unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt gewesen. Von der einen Seite wird beklagt, daß man zwar gegen jeden Ladendieb vorgehe, daß aber Umweltschädigungen mit einem weitaus größeren Unrechtsgehalt ungesühnt blieben. Andererseits wird gerade in den letzten Jahren aber auch verstärkt geltend gemacht, die Möglichkeiten des Strafrechts, im Umweltbereich eine präventive Wirkung zu erzielen, würden weit überschätzt. Diese Auffassung sieht in dem oft beklagten Vollzugsdefizit einen strukturellen Mangel des Umweltstrafrechts. Der Frankfurter Professor Hassemer, sicherlich nicht als Industrie-Lobbyist zu verdächtigen, hat erst kürzlich in einem Aufsatz gemeint, das Strafrecht in seiner herkömmlichen rechtsstaatlich-liberalen Gestalt sei - ich zitiere - für eine Flankierung politischer Ziele, eine Steuerung von Problemlagen und eine großflächige Prävention gefährlicher Situationen denkbar schlecht geeignet. ({3}) Die Strafnormen, die der Gesetzgeber unter einem ihm von der Öffentlichkeit aufgedrängten Handlungsbedarf produziere, taugten in ihrer praktischen Anwendbarkeit nichts und hätten gleichsam nur symbolische Bedeutung. ({4}) Die gerade im Umweltstrafrecht zu beobachtende Flucht in die abstrakten Gefährdungsdelikte rücke die eigentliche Aufgabe des Strafrechts, den Rechtsgüterschutz nämlich, in den Hintergrund. Diese Kritik ist ernst zu nehmen, und ich habe bei Ihnen, Herr Kollege Bachmaier, ein Wort dazu vermißt. Ich will ein Problem herausgreifen, das nur schwer zu bewältigen ist. Der vorliegende Entwurf behält die sogenannte Verwaltungsakzessorietät bei und verankert sie sogar noch klarer im Gesetz. Das heißt: Was das Verwaltungsrecht erlaubt, kann nicht strafbar sein. Herr Kollege Häfner, es wird Ihnen nicht gelingen, einen Bürger davon zu überzeugen, daß es gerecht ist, ihn zu bestrafen, wenn verwaltungsrechtliche Vorschriften sein Tun erlauben. ({5}) Andererseits begibt sich derjenige, der gegen verwaltungsrechtliche Pflichten verstößt, bei Hinzutreten weiterer Umstände in den Bereich des kriminellen Unrechts. Ich nenne als Beispiel den neuen Tatbestand der Bodenverunreinigung, wo es heißt, bestraft werde, wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten Stoffe in den Boden einbringt usw. Die Zahl derartiger verwaltungsrechtlicher Vorschriften ist nun allerdings Legion. Sie reichen von konkreten Verboten über Vorschriften mit einer Fülle von sehr allgemein gehaltenen Aussagen bis hin zu Minimierungsgeboten und bloßen Programmsätzen. Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes erfordert aber, daß der Bürger mit hinreichender Sicherheit erkennen kann, welches Verhalten ihm in einer konkreten Situation abverlangt wird und welches Verhalten ihn straffällig macht. Hier liegt ein großes Problem der Verwaltungsakzessorietät und des Umweltstrafrechts schlechthin, und ich würde mich freuen, wenn wir ihm bei der weiteren Beratung im Rechtsausschuß besondere Beachtung schenken könnten. Gewichtige Probleme grundsätzlicher Art tauchen auch zu zwei Einzelpunkten auf, die hier schon erwähnt worden sind. Unser Entwurf sieht im Gegensatz zum SPD-Entwurf einen besonderen Tatbestand für die Strafbarkeit von Amtsträgern nicht vor. ({6}) Gegen eine Kriminalisierung der Verwaltungsbeamten, die bei der Erteilung von Genehmigungen Fehler machen oder gegen eine Beeinträchtigung der Umwelt nicht einschreiten, ({7}) bestehen die gleichen Bedenken fort, die schon vor zehn Jahren bei den Beratungen des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität deutlich wurden. Wir glauben, daß sich da nichts geändert hat. Wir stehen insoweit auch in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des 57. Deutschen Juristentages. Unser Entwurf enthält auch keine Strafbestimmungen über die Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen. Aber auch über diese Problematik können wir uns im Rechtsausschuß noch ausführlich unterhalten. Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren: Entscheidende Bedeutung kommt nach wie vor dem verwaltungsrechtlichen Umweltschutz zu. Ihm soll aber noch in dieser Wahlperiode flankierend ein wirksames Umwelthaftungs- und auch ein wirksameres Umweltstrafrecht zur Seite gestellt werden. Koalitionsfraktionen und Bundesregierung machen damit deutlich, daß sie alle Möglichkeiten eines umfassenden Umweltschutzes ausschöpfen wollen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Herr Engelhard.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluß dieser Debatte zunächst einmal den Koalitionsfraktionen für die beschleunigte Einbringung des Entwurfs sehr herzlich danken. Dieser Entwurf deckt sich mit dem Entwurf der Bundesregierung, der vorgestern vom Kabinett auf meinen Vorschlag hin beschlossen worden ist. ({0}) Die Bedeutung liegt darin, daß jetzt die Möglichkeit gegeben ist, dieses Vorhaben in der verbliebenen Zeit dieser sehr weit vorgerückten Legislaturperiode auch noch zu beraten und zu verabschieden. Nun hat die SPD ja in großer Eile gleichfalls einen Entwurf vorgelegt. ({1}) Sie verfolgen mit Ihrem Entwurf - bei einigen Unterschieden, Herr Kollege Bachmaier, von denen Sie vorhin einige aufgezählt haben - ja dasselbe Anliegen. Ich sage seitens der Bundesregierung, daß - warum sollte man das gegenüber der Opposition bestreiten? - Konkurrenz das Geschäft bekanntermaßen immer belebt. Dasselbe Anliegen auch von Ihrer Seite, für das wir so nachdrücklich streiten, wird sicherstellen, daß dieses Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode beraten und verabschiedet werden kann. Nun dürfen wir die Dinge ja nie isoliert betrachten. Ich unterstreiche das, was Herr Kollege Eylmann eben auch ausgeführt hat: Wir brauchen ein umfassendes Umweltverwaltungsrecht. ({2}) Daran arbeiten wir zur Ergänzung, wo immer es notwendig ist, über die Zeiten. Wir brauchen zum zweiten ein Umwelthaftungsrecht, das gleich Gegenstand unserer nächsten Beratung sein wird. Wir brauchen zum dritten ein Umweltstrafrecht. ({3}) Hier Abschied zu nehmen - wieder im Sinne der isolierten Betrachtung - , Herr Abgeordneter Häfner, von der Verwaltungsakzessorietät und sie anzuschwärzen wäre verfehlt; denn ich möchte das Land sehen, in dem derjenige strafrechtlich herangezogen werden kann, der das tut, was ihm zunächst genehmigt worden ist. Nein, wenn man der Auffassung ist, daß zuviel, daß das Falsche, daß das Unrichtige genehmigt wird, muß man auf der anderen Ebene des Umweltverwaltungsrechts an die Sache herangehen, um derartiges unmöglich zu machen. ({4}) Wir stehen vor einem wichtigen Punkt. Ich weise mit aller Entschiedenheit den Vorwurf zurück, daß man sich hier - aus welchen Gründen immer - zuviel Zeit gelassen, die Dinge nicht ernst genug genommen habe. Ich erinnere daran, daß Umweltkatastrophen wie Sandoz bei Basel im November 1986 den letzten Anstoß dafür gaben, eine interministerielle Arbeitsgruppe einzusetzen, deren Aufgabe es war, Umwelthaftungsrecht und Umweltstrafrecht zu erarbei15274 ten bzw. beim Umweltstrafrecht die notwendigen Ergänzungen und Verbesserungen vorzunehmen. Das war ein langer, ein schwieriger und ein harter Weg. Deshalb - nur deshalb - kommt man erst jetzt zur Vorlage; hier muß sehr genau und sehr sorgfältig gearbeitet werden. Ich danke Ihnen für Ihren allseits engagierten Einsatz für dieses neue Vorhaben. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 11/6449 und 11/6453 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Umwelthaftungsgesetzes - UmweltHG - Drucksache 11/6454 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz über die Umwelthaftung, von der Bundesregierung unter Federführung des Herrn Justizministers entwickelt und von den Koalitionsfraktionen begleitet und heute als ihr Entwurf eingebracht, ist ein sehr weiter Schritt nach vorn. Die Koalition will, daß die Beratungen zügig erfolgen und daß das Gesetz bald in Kraft tritt. Das erfordert große parlamentarische Anstrengungen in diesem Sommer. Dies ist eine Herausforderung, für deren Bewältigung nur kurze Zeit zur Verfügung steht. Die Ziele, die mit dem Gesetz verfolgt werden, rechtfertigen solche Anstrengungen. Es geht um den weiteren und verstärkten Schutz von Wasser, Boden und Luft. In Teilbereichen besteht ein solcher rechtlicher Schutz bereits, insbesondere im wasserrechtlichen Bereich. Was wir aber nunmehr wollen, ist, diesen Schutz noch dichter zu machen und für diesen Schutz in einer marktkonformen Weise neue Kräfte zu mobilisieren. Diese neuen Kräfte erwachsen aus zwei Elementen. Wenn das Gesetz in Kraft ist und für alle gilt, wird es sich für jeden, der unter das Gesetz fällt, lohnen, lohnen in einem ganz besonderen natürlichen und naturnahen Sinne: Das Gesetz verschärft die Haftung. Die gewollte Konsequenz ist, daß das Entstehen der Schäden vermieden wird, um die gewollte Schärfe der neuen Haftung für Umweltschäden zu vermeiden. Deshalb steht im Vordergrund der gesetzgeberischen Absicht, den Einfallsreichtum, die Organisationsfähigkeit, das kaufmännische Geschick, die rechtlichen Kenntnisse und vieles mehr so zu mobilisieren, daß der Schadensfall nicht eintritt und daß durch den Nichteintritt des Schadensfalles die Umwelt geschützt ist. Zum anderen liegt der Vorteil in der wesentlichen Verbesserung der Rechtsstellung des Geschädigten. Diejenigen, die gefährdet oder geschädigt werden, werden im Blick darauf, daß ihnen ein Schadensersatzanspruch erwächst und sie in eine bessere Lage versetzt sind, diesen Schadensersatzanspruch wirksam geltend machen können. So werden sie mit um so größerer Aufmerksamkeit und mit noch größerem Nachdruck um den Schadensersatz und damit den Schutz der Umwelt kämpfen. Die jetzt bestehende weitgehende Resignation gegenüber den vermeintlich Großen, den Starken, denen mit den guten Anwälten im Rücken, gegenüber denen die verschleiern können, wird sich dann abbauen. Damit wächst die Bereitschaft zur Geltendmachung des Anspruchs und damit zugleich der Druck zur Verhinderung der Schadensfälle. Das alles ist vernünftig. Es entspricht dem, was Menschen denken. Ein Gesetz, das so auf die ganz natürlichen und zwangsläufigen Abläufe und Gegebenheiten eingeht, muß wirksam werden. Deshalb hat der Entwurf die große Chance, von den Bürgerinnen und Bürgern verstanden zu werden. Es ist unausbleiblich, daß die Betroffenen, von denen Umweltgefährdungen ausgehen können und bei deren Versagen Umweltansprüche entstehen, eine zusätzliche Last übernehmen müssen; anders kann es nicht organisiert werden. Aber gerade der Druck dieser Last ist ein wesentliches Motiv. Wenn nun beide, die Gefährdeten und diejenigen, die Gefahren setzen, das Gesetz in diesem Sinne konstruktiv aufgreifen, bin ich sicher, daß das Gesetz nach einer wahrscheinlich schwierigen Übergangsfrist nicht nur auf seiten der unmittelbar zunächst Begünstigten, sondern auf beiden Seiten positiv bewertet wird und daß daraus auch materieller Nutzen für beide erwächst. Allerdings darf kein Zweifel übrigbleiben: Opfer verlangt das Gesetz von denjenigen, die Anlagen haben bzw. betreiben wollen, betreiben oder betrieben haben. Erfahrungsgemäß schaffen solche neuen Situationen neue Herausforderungen. Wer sie annimmt, der wird gewinnen. Er selbst wird in besserer Umwelt leben und auch seine Mitarbeiter. Er wird vom Gesetz oft gezwungen, sich neue Gedanken zu machen, die ihn letztlich materiell besserstellen als zuvor. Nun zu den Einzelheiten. Künftig soll eine anlagenbezogene Gefährdungshaftung gelten, d. h. für eine Umweltschädigung wird auch dann gehaftet, wenn ein Verschulden nicht vorliegt. Dies gilt für die im Gesetz aufgeführten Anlagen. Der Entwurf folgt weitgehend Prinzipien, die uns aus dem Kraftfahrzeugrecht bekannt sind. Dieses Kraftfahrzeugrecht ist Allgemeingut der Bevölkerung. Es ist Bestandteil des Willens und nicht nur etwa die Meinung des Gesetzgebers. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Neigung einer Anlage zu Umweltschäden und einem aufgetretenen Schaden soll künftig vermutet werden, auch wenn es in Fällen möglich bleibt, dieser Vermutung zu entrinnen. Den Geschädigten bringt diese Regelung den unschätzbaren Vorteil einer wirksamen und besseren Prozeßführung. Dem Haftungsverpflichteten gibt das Gesetz zugleich die Möglichkeit, sich durch Vorsorge und Dokumentation zu schützen. Er ist also nicht hoffnungslos ausgeliefert, insbesondere dann nicht, wenn er sowohl seine Pflichten als Betreiber der Anlage ordnungsgemäß erfüllt als auch sich darum bemüht, daß die Vorgänge nachprüfbar dokumentiert werden. Der Gesetzentwurf geht von einer gesamtschuldnerischen Haftung aller aus, deren Anlagen den Schaden herbeigeführt haben können. Gerade diese Bestimmung wird weitreichende Auswirkungen auf den Willen des Betreibers der Anlage haben, die Schadensauslösungen auszuschließen. Es wird eine in sich selbsttragende Kontrollsystematik entstehen, denn nunmehr hat jeder Betreiber einer einzigen Anlage das Interesse, daß auch die anderen Betreiber solcher Anlagen umsichtig, verantwortungsbewußt und gesetzestreu handeln. Die so mobilisierte private Wachsamkeit kann in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Ich bin sicher, sie wird zu neuen und fruchtbaren Kooperationen der Anlageninhaber führen, zu deren Nutzen, aber auch zu unser aller Nutzen. Von Bedeutung sind auch die weitgehenden Auskunftsansprüche. Sicher, im deutschen Recht gilt das Prinzip, daß sich niemand selbst anklagen muß. Wer aber Ursachen setzt, durch die andere in ihren Rechten, in ihrer Gesundheit, in ihrem Eigentum und in ihrem Vermögen geschädigt werden, der ist nach unserer Auffassung auch zur Offenbarung verpflichtet; denn es darf ja wohl nicht moralischer oder ethischer Kernsatz werden, daß man zwar nicht verletzten soll, die Konsequenz aus einer Verletzung jedoch dadurch ausräumen kann, daß man schweigt. Es niuß so wie parallel im Kraftfahrzeugrecht sein: Wer einen Unfall verursacht, muß an Ort und Stelle warten und sich dann zum Unfall und zur Haftung bekennen. Wer den Umweltschaden besetzt hat, kann zwar in diesem Sinne nicht an Ort und Stelle warten, aber er muß jedenfalls die zur Aufhellung gebotenen Auskünfte geben. Ausnahmen davon müssen auf die Kernfragen des unausweichlichen Geheimschutzes reduziert bleiben. In diese Aufklärungspflichten sind auch die Behörden einbezogen. Deren bisheriges weitgehendes Zögern oder Verweigern der Auskunft leitet sich aus der traditionellen Verschwiegenheitspflicht unserer Behörden ab. Gegenüber dem moralischen und ethischen Postulat, daß angerichteter Schaden wieder gutgemacht werden muß, ist es jedoch richtig, die an sich gegebene Verschwiegenheitspflicht der Behörden zu begrenzen und zugunsten des Geschädigten zu lockern. In Teilen soll künftig eine gesetzliche Pflicht zur Versicherung gegen auftretende Schäden begründet werden. Auch das ist richtig, selbst wenn die Versicherungswirtschaft zur Zeit Widerstand leistet. Der Bürger, der Betroffene, jeder, der sich Sorge um die unversehrte Umwelt macht, muß darauf vertrauen können, daß ein angerichteter Schaden nicht nur dem Gesetz nach zum Ersatz verpflichtet, sondern daß auch die materiellen Möglichkeiten vorhanden sind, den Schaden wiedergutzumachen. In einer modernen Volkswirtschaft sind Risikoabsicherungen selbstverständlich. Ebenso ist in der modernen Rechtsgemeinschaft aus der Erfahrung heraus, daß eine an sich gebotene Risikoabsicherung notleidend werden kann, wenn man sich nicht darum bemüht hatte oder weil man eine solche Risikoabsicherung als nebensächlich ansah, die Zwangsversicherung mit Kontrolle über die fortlaufende Dauer der Versicherung wünschenswert. Es wird ganz sicher zu Kostenbelastungen kommen. Da solche Kostenbelastungen jedoch alle Rechtsteilnehmer in der vergleichbaren Situation treffen, balanciert sich die Marktlage. Allerdings müssen wir darauf drängen, daß es in den konkurrierenden anderen europäischen Ländern, in denen Gestehungskosten wie etwa auch Risikoabsicherung den Preis eines Produktes ebenso beeinflussen wie bei uns, zu ähnlichen und nach Möglichkeit gleichlautenden Regelungen kommt. Der Gesetzentwurf hat weitere Vorteile. Das Gesetz ist kurz gefaßt und klar formuliert. Es kann verstanden werden. Es ist kein Riesengestrüpp von Paragraphen, und es gründet sich auf bekannte Rechtsinstitute. Man muß ein wenig dazulernen, aber bleibt im Rechtssystem und kann auf Vertrautes zurückgreifen. Dennoch wird es Stimmen geben, die etwas anderes oder mehr fordern. Anderes ist natürlich denkbar. Wir haben uns für die jetzt vorgelegte schlanke und klassisch formulierte Fassung entschieden. ({0}) Ob es Besseres gibt, muß die Beratung zeigen. Ich selbst habe auch schon jetzt einige zusätzliche Anregungen; beispielsweise die Begründung eines direkten Anspruchs gegen den Versicherer des Schadens und die Festlegung eines Gerichtsstandes. Dies nicht zuletzt im Blick auf den gemeinsamen Markt, in dessen Rahmen sich auch Versicherer mit Sitz im Ausland um die Risikoabdeckung bewerben können. Der Geschädigte und auch der Haftungsverpflichtete sollten jedoch Sicherheit haben, daß sie ihre Ansprüche ortsnah bei dem für die schadenstiftende Anlage zuständigen örtlichen Gericht durchsetzen können. Es ist auch Mißbrauch denkbar. Treu und Glauben, die Bestimmungen über Sittenwidrigkeit und Schikane geben natürliche Grenzen eines jeden Anspruches innerhalb des jetzt bestehenden Rechtssystems. Dennoch sollte geprüft werden, ob nicht in Anbetracht der oft bis zu zehn Jahren reichenden nachfolgenden Verantwortung die Möglichkeiten zum Mißbrauch beschnitten werden müssen. Das ist eine Frage der objektiven Gerechtigkeit. Es geht nämlich nicht darum - wie manche meinen - , die Welt in die schuldigen Anlagenbesitzer und die unschuldigen Geschädigten einzuteilen. Ein solches Strickmuster wäre zu einfach; es entspräche dem des Klassenkampfes, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Ein letztes Wort zu den Bereichen, die nicht geregelt werden sollen. Zu den Distanz- und Summationsschä15276 den! Ich verstehe Überlegungen, auch solche Schäden zu regeln. Die Zeit war zu kurz, um das in diesem Gesetz zu tun. Die Koalition erfüllt mit der Vorlage des Gesetzentwurfs die Koalitionsvereinbarungen. Dennoch bleiben Regelungsnotwendigkeiten, wie sie beispielsweise unter dem Begriff Waldschäden auch von höchsten deutschen Gerichten bejaht worden sind und bei denen ein geltendes Recht bisher nicht besteht. Ungeachtet des jetzt vorliegenden Umwelthaftungsgesetzentwurfes muß über Regelungen nachgedacht werden. Ich weiß, daß die Bundesregierung das bereits tut. Ich könnte mir vorstellen, daß wir uns in den parlamentarischen Beratungen darüber einig werden, die Bundesregierung in dieser ihrer Absicht zu unterstützen und sie zur Vorlage eines solchen weiteren Gesetzgebungswerkes - auf solche Vorgänge zugeschnitten - zu drängen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Berichterstatter im Rechtsausschuß möchte ich auf zügige Behandlung drängen. Der Unterstützung der Kollegen, der Abgeordneten der Koalition bin ich sicher, und unsere hochverehrten politischen Gegner bitte ich, sich diesen guten Absichten anzuschließen, ({1}) und das Maß der Opposition so zu beschränken, daß das gute Werk auch das Tageslicht des Gesetzgebungsblattes erblicken kann. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Hüsch, dazu wären wir gern bereit gewesen, wenn Sie etwas Besseres gebracht hätten. ({0}) Aber nach dem, was hier gesagt wurde, muß man einiges Kritischeres anmerken. Schon der sogenannte Diskussionsentwurf zum Umwelthaftungsrecht, den die Minister Engelhard und Töpfer im späten Frühjahr des vergangenen Jahres vorlegten, war ein äußerst unzureichendes Flickwerk dessen, was im Umwelthaftungsrecht not täte. Der noch weiter hinter diesem Diskussionsentwurf zurückbleibende Gesetzentwurf, den wir in diesen Tagen zu Gesicht bekommen haben, ist - das sage ich mit aller Deutlichkeit und allem Ernst - ein blanker Hohn für diejenigen, die sich von dieser Regierung gravierende Verbesserungen im notleidenden Bereich des Umwelthaftungsrechts versprochen hatten. ({1}) - Dazu komme ich gleich. Man kann schon heute sagen, daß dieser Entwurf, sollte er je Gesetz werden, den Umweltgeschädigten wahrlich Steine statt Brot gibt. Nimmt man einmal die gängigen Auflistungen der weit über 100 Milliarden DM hohen Schäden, die unbestritten alljährlich den Menschen und der Umwelt zugefügt werden, als Meßlatte und vergleicht man einmal, für welche Bereiche dieses Gesetz zu einem verbesserten Schadensersatz führen wird, dann wird man schnell feststellen, daß der Löwenanteil dieser Umweltschäden durch diesen Gesetzentwurf noch nicht einmal erfaßt ist. Obwohl der Bundesgerichtshof - Herr Dr. Hüsch sprach davon - bereits im Dezember 1987 den Gesetzgeber im sogenannten Waldschadensurteil recht unmißverständlich aufgefordert hat, für eine gerechte Entschädigung der Waldschäden und ähnlicher Schäden zu sorgen, wagte es die Bundesregierung, mehr als zwei Jahre danach einen Gesetzentwurf zum Umwelthaftungsrecht vorzulegen, der die sogenannten Summations- und Distanzschäden noch nicht einmal erfaßt, geschweige denn regelt. Luftverschmutzungsschäden an der Gesundheit, an Bauwerken, den Wäldern und der übrigen Natur werden noch nicht einmal erwähnt, geschweige denn, daß endlich eine Lösung angeboten wird. Mit diesem Gesetz können sich diejenigen, die um ihres wirtschaftlichen Vorteils willen uns und unserer Umwelt unermeßlichen und nicht mehr reparablen Schaden zufügen, getrost zurücklehnen, auch wenn sie jetzt aus leicht durchschaubaren taktischen Gründen aufschreien. Sie werden auch in Zukunft kaum damit rechnen müssen, wenigstens den Schaden auszugleichen, den sie tagtäglich verursachen. Von einer wirksamen Umweltvorsorge, die ein Umwelthaftungsrecht sehr wohl leisten kënnte, kann bei diesen Vorstellungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen nicht einmal im entferntesten die Rede sein. Nun einige Beispiele, die der Kollege Schütz nachher noch vertiefen wird: Die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung soll lediglich für eine äußerst begrenzte Anzahl von Anlagen eingeführt werden. Nur ein noch engerer Kreis von Anlagenbetreibern soll verpflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen oder anderweitig für eine der Höhe nach begrenzte Deckung Sorge zu tragen. Die so groß angekündigten Beweiserleichterungen für die Geschädigten reduzieren sich, wenn man sie näher betrachtet, praktisch gegen null und werden kaum über das hinausgehen, was von der Rechtsprechung heute bereits gewährt wird. Beim sogenannten Normalbetrieb einer Anlage, der auch noch zugunsten des Schädigers vermutet wird, ({2}) obliegt denjenigen, die oft schweren Schaden erlitten haben, nach wie vor die volle Beweislast. Der Geschädigte kommt also in die geradezu groteske Situation, nachweisen zu müssen, daß kein Normalbetrieb vorgelegen hat. ({3}) - Das können wir dann in den Ausschußberatungen klarstellen; ich wäre froh, wenn es anders wäre. ({4}) Aus der Erfahrung, daß es den potentiellen Schadensverursachern in aller Regel wesentlich leichter fällt, eine Schadensvermutung zu widerlegen, als den Geschädigten, den vollen Kausalitätsnachweis zu erbringen, hat die Bundesregierung offensichtlich nichts gelernt. Noch schlimmer: Durch diese äußerst restriktive und rigide Festschreibung im Umwelthaftungsgesetzentwurf der Bundesregierung wird auch eine weitere Fortentwicklung des Beweisrechts zugunsten der Geschädigten durch die Rechtsprechung gefährdet, wenn nicht sogar weitgehend unterbunden. Die im Diskussionsentwurf ohnehin schon erheblich eingeschränkten Auskunftsansprüche von Geschädigten werden nunmehr noch weiter eingeengt, so daß auch hierdurch der Beweisnot der Geschädigten kaum abgeholfen werden dürfte. ({5}) - Vergleichen Sie es mit dem Diskussionsentwurf; dann werden Sie es feststellen, aus „Möglichkeiten" sind „Tatsachen" geworden und ähnliches. Wir können darüber reden, Herr Kollege Dr. Hüsch. Dieser Gesetzentwurf ist zutiefst unseriös. - Ich sage so etwas ungern, aber in diesem Fall ist es berechtigt. - Mehr noch als beim früheren Diskussionsentwurf gilt beim jetzigen Gesetzentwurf: Was der eine Absatz eines Paragraphen gibt, kassiert der nächste wieder ein. Die bislang geäußerte Vermutung wird nunmehr zur Gewißheit: Die Wirtschaftslobby innerhalb der CDU/CSU und der FDP verhindert Fortschritte im Umwelthaftungsrecht ebenso wie bei der Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel im Grundgesetz. Auch in Zukunft werden ökologische Risiken bei uns weitgehend von den Geschädigten und nicht von denjenigen getragen, die diese Risiken in die Welt setzen und - das hören Sie ungern - dafür auch noch die Gewinne einstreichen. Von einem verursachergerechten Schadensersatzrecht, von dem man immer so gern redet, kann bei diesem Machwerk nicht die Rede sein. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6}) - Ich bin auch nicht dazu da, Nettigkeiten zu verbreiten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bachmaier, ich dachte, wir hätten hier eine rechtspolitische Auseinandersetzung. Auf der breiten Woge der Überzeugung, daß alles, was der Umwelt schadet, natürlich höchst verwerflich, moralisch abgrundtief zu verwerfen ist, dahinzuschwimmen und eine Fülle von Prinzipien unseres bürgerlichen Rechts hinwegschwemmen zu lassen, das ist aber keine Rechtspolitik, sondern das ist Populismus der allereinleuchtendsten Sorte, um es, wie Sie zu sagen belieben, etwas zurückhaltend darzustellen. Es ist hochgradig einleuchtend und rechtspolitisch deshalb auch sehr falsch. Wie Herr Hüsch bereits ausgeführt hat, handelt es sich darum, das, was unser Rechtssystem leisten kann, hier zu tun, um dramatische Fortschritte für die Geschädigten aus Beeinträchtigungen der Umwelt zu erzielen. Dabei dürfen wir aber nicht die Prinzipien des bürgerlichen Rechts aushebeln, nur weil es so grundsätzlicher Art ist. Ich teile ja die Überzeugung, daß wir für unsere Umwelt immer noch viel mehr tun müssen, als wir bisher getan haben. Aber bei dieser Gelegenheit Prinzipien des bürgerlichen Rechts einfach auszuhebeln, das würde heißen, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Die Verursachung, die Sie immer so gern im Munde führen, müssen wir hier wenigstens wiederfinden können. Kausalität als Voraussetzung eines Anspruchs, das ist doch das wenigste, was wir hier aufrechterhalten müssen, wenn wir zu akzeptablen Lösungen kommen wollen. ({0}) Wir sollten einmal den Ausgangspunkt betrachten. Ich bin nicht bereit, mich dafür zu entschuldigen, daß hier keine Summations- und Distanzschäden Erwähnung finden, sondern ich danke denjenigen, die es jetzt in eine bessere Form gebracht haben, dafür, daß sie nicht versucht haben, den Eindruck zu erwecken, man könnte die Verpflichtung der gesamten Gesellschaft auf klassenkämpferische Weise - dieses Wort ist meiner Ansicht nach von Herrn Hüsch durchaus zu Recht gefallen; je länger ich Ihnen zugehört habe, desto deutlicher ist mir das geworden - auf einzelne abwälzen. ({1}) Auf diese Weise kann man nicht einen Schaden, den die Gesellschaft insgesamt hat entstehen lassen, auf einen Teil der Gesellschaft mit enormen Nachteilen für alle Mitglieder - und zwar für die Arbeitnehmer im Zweifel noch viel mehr als für die von Ihnen offenbar wenig geschätzten Unternehmer - abwälzen. Nein, hier ist eine öffentliche Verantwortung gegeben. Ich habe bei Summationsschäden nicht die Möglichkeit, noch eine einigermaßen plausible Kausalkette im Sinne unserer zivilrechtlichen Prinzipien herzustellen. Deshalb ist hier der Staat gefordert, für das einzutreten, was einzelne, was ganze Bevölkerungsgruppen wegen des Wirtschaftswachstums, von dem wir alle profitieren, hinnehmen müssen. Davon profitieren alle, nicht nur irgendeine Klasse. Das ist es, was mir an Ihren Darlegungen so wenig gefällt: daß Sie nicht das Ganze im Auge behalten, sondern daß Sie glauben, Sie könnten mit einem ele15278 Kleinert ({2}) ganten Schlenker über ein angebliches Haftungsrecht staatliche Verpflichtungen, wichtige staatliche Aufgaben auf einen kleinen Kreis der am Wirtschaftsleben Beteiligten abwälzen. ({3}) - Wie Münzen das so an sich haben, hat diese Münze natürlich genau die Gegenseite, daß Sie glauben, Sie könnten die Schäden auf einzelne abwälzen und Sie könnten den Nutzen von allen ziehen lassen. Das ist genau die Kehrseite der Münze, die Sie hier eben schlagen wollten. ({4}) - Frau Däubler-Gmelin, es ist doch wirklich klar erkennbar, daß wir uns hier im Rahmen der Gefährdungshaftung ähnlich wie im Kraftfahrzeugbereich, ähnlich wie im Luftverkehrsbereich verhalten müssen, daß wir Beweiserleichterungen schaffen müssen und daß wir das bis an die Grenze getan haben, hinter der einfach eine ungerechte Umverteilung und ein Ausbruch aus unserer Rechtssystematik bevorsteht. Ich glaube, wir werden - Herr Bachmaier hat dieses Rückzugsgefecht hier vorhin angedeutet - im Rechtsausschuß vielleicht noch Gelegenheit haben, Sie etwas mehr von der Seriosität unserer rechtspolitischen Bemühungen in diesem Zusammenhang zu überzeugen. ({5}) Wir werden an einem Punkt meiner Meinung nach noch nachbessern müssen: Es geht nicht an, Leute zu bestrafen, wenn sie sich nicht versichert haben, wenn ich nicht dafür sorge, daß das Risiko auch versi cher-bar ist. Da liegt ein Widerspruch, dem wir uns in Form irgendwelcher Höchstgrenzen in der Ausschußberatung noch einmal werden widmen müssen, und zwar gründlicher, als es jetzt im Gesetzentwurf steht. Im übrigen möchte ich zum Schluß, Frau DäublerGmelin, ganz deutlich sagen: Was im zivilrechtlichen Bereich getan werden kann, das möchten wir mit diesem Gesetz tun. Es gibt aber viele andere Notwendigkeiten für eine bessere Gestaltung unserer Umwelt, für mehr Verantwortungsbewußtsein in bezug auf unsere Umwelt zu sorgen, und das kann man nur als ein Bündel von vielen Maßnahmen sehen, und da gehört jede in die entsprechende Abteilung, öffentlich-rechtlich, strafrechtlich, zivilrechtlich, aber das sollte nicht von einer Gruppe in eine andere in einer Weise überlappen, die das Rechtssystem in Unordnung bringt. Dann müssen wir eben da, wo noch Lücken bestehen, wo andere Rechtsmöglichkeiten gegeben sind, nach Abhilfe suchen, und das werden wir auch tun. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich möchte nur die Zuhörer darauf aufmerksam machen, daß es sich um einen Gesetzentwurf handelt, der erst noch in den Ausschüssen beraten wird. All dies wird hier eingehen, und dann gibt es eine ganz neue Lesung. Mal sehen, was da herauskommt! ({0}) Nun hat der Herr Abgeordnete Häfner das Wort.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selten war ich Ihnen, verehrte Frau Präsidentin, für eine Äußerung so dankbar wie dieses Mal, und selten verbinde ich damit so große Hoffnungen, wie ich das in bezug auf den Hinweis tue, den Sie soeben gegeben haben. Wenn das im Parlament beherzigt würde, daß das Ganze eine Vorlage ist, die verbessert werden kann, ja muß, dann hätte auch diese Beratung hier Sinn, was nicht üblicherweise so ist, wie Sie alle wissen. ({0}) Auch wenn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutschlandpolitische Diskussion gegenwärtig alle anderen Themen, darunter auch die ökologischen Fragen, in den Schatten stellt, müssen wir sagen: Die dramatische Zerstörung unserer Umwelt schreitet immer weiter voran. Die wenigen ergriffenen Maßnahmen sind halbherzig, greifen viel zu kurz und konnten gerade die großen Gefahren: die Klimaveränderungen, deren erste Auswirkungen wir gerade in diesen Tagen und Wochen wieder drastisch erleben müssen; die Vergiftung von Boden, Luft und Wasser, wobei die schwersten Schäden wegen der hohen Latenzzeit oft erst in Jahrzehnten sichtbar werden; das fortschreitende Wald- und Vegetationssterben; das Sterben unserer Meere und ihrer Bewohner und die fortschreitende atomare Verseuchung der ganzen Lebenswelt, nicht beheben, noch nicht einmal im Ansatz eindämmen. Dem Recht kommt - darin stimmen wir alle überein - beim Schutz der Umwelt entscheidende Bedeutung zu. Bloße Einzelmaßnahmen helfen hierbei jedoch nicht weiter. Auch Umweltstraf- und Umwelthaftungsrecht können nur Elemente einer Gesamtkonzeption sein, die ein radikales Umdenken und Umschwenken unserer Wirtschafts- und Rechtspolitik voraussetzt. Isoliert helfen sie, zumal in der halbherzigen, ungenügenden Form, wie Sie das hier vorschlagen, kaum weiter. Sie täuschen eher Wirkungen vor, als daß Sie, wie es nötig wäre, die Dinge an der Wurzel anpacken. Noch immer ist es so, daß Umweltschäden unser Bruttosozialprodukt steigern und deshalb als Plus und nicht als Minus in die wirtschaftliche Gesamtrechnung eingehen, obwohl sie dort wertvollstes Vermögen und - mehr noch - unser gemeinsames Erbe, das wir zur Pflege und Bewahrung für unsere Kinder und Kindeskinder angetreten haben, unwiederbringlich vernichten. Noch immer ist es so, daß Unternehmen etwa der Verpackungsindustrie mit umweltschädigender Produktion Profite machen, die Kosten aber etwa für die ständig wachsenden Mülldeponien, die Beseitigung von Schäden bei undichten Deponien, aber auch die Kosten durch Zerstörung der Umwelt und unserer Gesundheit der Allgemeinheit aufbürden. Noch immer ist es so, daß unser aus dem römischen Privatrecht stammendes Rechtssystem eigentlich nur das Eigentum und wirtschaftliche Interessen schützt. Was kein Eigentum ist, wird nicht erfaßt, kann auch nicht geschützt werden, da rechtlich noch nicht einmal ein Schaden vorliegt. Sie hätten mit Ihrem Entwurf daran wenigstens teilweise etwas ändern können. Sie haben aber diese Chance nicht genutzt. Sie wollten sie, soweit ich die internen Debatten und das, was davon an die Öffentlichkeit drang, verfolgen konnte, auch gar nicht nutzen. Die GRÜNEN haben schon im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf zur Umwelthaftung eingebracht, und ich habe ihn hier im Plenum vorgestellt. Dieser Gesetzentwurf, so meine ich, kann heute noch als Maßstab für ein Umwelthaftungsrecht dienen. Wir haben schon damals auf das Problem hingewiesen, daß ökologische Schäden bisher nur dann ersetzt werden, wenn sich der Bestandteil des Naturhaushaltes im Eigentum einer Person befindet oder wenn wirtschaftliche Interessen verletzt werden. Wir haben gezeigt, wie dies gesetzlich behoben werden kann, und haben auch den Ausgleich solcher Schäden in die Ausgleichsregelung hineingenommen. Wir haben mit einer weiteren Ungerechtigkeit Schluß gemacht: Bisher muß der Geschädigte für seinen Schadenersatzanspruch den vollen Nachweis führen, daß sein Schaden auf bestimmte Umwelteinwirkungen zurückzuführen und von ganz bestimmten Tätern verursacht worden ist. Das gelingt, wie Sie wissen, nur in den allerseltensten Fällen. Deshalb ist eine Beweislasterleichterung bis zur Beweislastumkehr dringend erforderlich. Wir haben eine solche vorgesehen. Sie haben sie schon durch den ersten Absatz von § 6 Ihres Gesetzes faktisch wieder aufgehoben. Ein weiteres gravierendes Problem sind die sogenannten Summations- und Distanzschäden. Ich erinnere nur an das Waldsterben, wo Sie eben nicht einen konkreten Emittenten haftbar machen können, sondern wo diese Schäden nur durch einen Entschädigungsfonds und eine darauf ausgerichtete Regelung erfaßt bzw. ersetzt werden können. Anders kommen die Waldbauern nie zu ihrem Recht. Sie haben dies ebenfalls nicht in Angriff genommen. Ich denke, daß dieses Gesetz eher ein „Umweltverschmutzungserleichterungsgesetz" als eine wirklich umfassende Regelung des Umwelthaftungsrechtes ist. Erfaßt werden von ihm nur Schäden, die durch Tötung eines Menschen, Verletzung seines Körpers, seiner Gesundheit oder durch Sachbeschädigung entstanden sind. ({1}) - So steht es in § 1. Sie bleiben damit weit hinter dem zurück, was wir etwa in § 22 des Wasserhaushaltsgesetzes entwickelt haben. Dort wird der Schädiger zum vollen Ersatz aller durch ihn entstandenen Schäden verpflichtet. Die schweren Beeinträchtigungen menschlicher Lebensqualität erfassen Sie damit nur unzureichend. Ökologische Schäden am Naturhaushalt existieren für Sie überhaupt nicht. ({2}) - Herr Hüsch, lassen Sie uns im Ausschuß darauf eingehen! Ich habe hier nur wenig Zeit. Sie kennen Ihren Entwurf genausogut wie ich. Wir werden noch ausreichend Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. ({3}) Von Ihren selbst gesteckten Ansprüchen ist einer der wichtigsten die Abkehr von der Verschuldenshaftung. Sie unterstellen erst einmal richtig, daß die Verursachung des Schadens durch den Betrieb einer Anlage dann vermutet werden kann, wenn dieser Betrieb geeignet war, Schäden der vorliegenden Art zu verursachen. Diese an sich richtige Regelung wird dann aber sofort wieder faktisch aufgehoben; denn die Beweisvermutung soll bei Ihnen dann nicht gelten, wenn der Schaden nicht durch die Verletzung einer Betriebspflicht oder durch die Störung des bestimmungsgemäßen Betriebes verursacht sein könnte. Weist also der Inhaber der Anlage nach, daß er die schädigende Anlage im sogenannten Normalbetrieb gefahren hat, dann ist auch die Umweltschädigung, die daraus entstanden ist, selbst wenn sie eindeutig nachgewiesen wird, hinzunehmen, und Ihr Gesetz greift nicht. ({4}) Eine solche Regelung erzeugt Hoffnungen, die sie nicht erfüllt, und ist deshald eine Mogelpackung.Wir alle wissen auch - und auch die Rechtsprechung trägt dem Rechnung -, daß die Grenzwerte ohnehin meist zu hoch sind. Wir wissen auch, daß - darüber haben wir vorhin schon implizit gesprochen - in vielen Fällen als „Normalbetrieb" betrachtet wird, was uns und unsere Zukunft in höchstem Maße schädigt, und daß in vielen Fällen sogar zwischen Behörden und den betroffenen Firmen gekungelt wird. ({5}) Ihr Gesetzentwurf geht hier an der Realität vorbei und gewährt den Menschen und vor allem der Natur, die uns am Herzen liegen sollte, keinen wirksamen Schutz. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umweltpolitik steht und fällt mit der Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Planung und Überwachung umweltrelevanter Projekte, und sie steht und fällt damit, daß die Bürgerinnen und Bürger selbst erfahren können, was geplant wird, was betrieben wird oder was genehmigt ist. Es ist deshalb unerläßlich, daß ein Recht auf Einsicht in Umweltakten für Bürgerinnen und Bürger, für Bürgerinitiativen, für Umweltverbände und darüber hinaus ein Verbandsklagerecht, daß also rechtliche Instrumentarien geschaffen werden, die wirkliches Handeln für die Umwelt ermöglichen. All das haben Sie nicht gewollt; Sie haben es daher unterlassen. Die Auskunftsansprüche der Geschädigten haben Sie in einem solchen Maße reduziert, daß Ihr Akteneinsichtsrecht zu einer förmlichen Karikatur dieses notwendigen, auch von der EG geforderten Prinzips verkommt. ({7}) Ich lese Ihnen das einmal vor - man sollte dies der Öffentlichkeit nicht vorenthalten: Die Behörde ist zur Erteilung der Auskunft nicht verpflichtet, soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde, ({8}) das Bekanntwerden des Inhalts der Auskunft dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder soweit die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen, geheimgehalten werden müssen. ({9}) Was bleibt da als Auskunftsanspruch überhaupt noch übrig? Eine solche Regelung paßt eher in den Karneval als auf den Tisch dieses Hohen Hauses. ({10}) Ich hoffe sehr, daß die Frau Präsidentin mit Ihrer eingangs gemachten Bemerkung recht hat, daß wir das in den Ausschußberatungen noch verbessern werden. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem letzten Wunsch von Herrn Häfner schließe ich mich an. Ich glaube schon, daß es notwendig ist, daß wir noch viel ändern, um wirklich zu einer Beratung zu kommen. Seit dem 1. November 1986, nämlich seit dem Sandoz-Brand in Basel, beschäftigen wir uns verstärkt mit dem Umwelthaftungsrecht. Wir haben das damals in der Vorwahlphase, im Bundestagswahlkampf massiv diskutiert. Wir werden es auch jetzt wieder in einer Vorwahlphase diskutieren müssen. Das, was jetzt als erster Entwurf auf dem Tisch liegt, regelt zwar einige wichtige Elemente unserer gemeinsamen Diskussion von früher und auch gemeinsame Forderungen - dazu will ich auch meine Zustimmung erklären -, z. B. daß die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung eingeführt ist und auch, was ein Fortschritt gegenüber dem anderen Entwurf ist, daß dies beim Normalbetrieb geschieht. ({0}) Das zu regeln war aber selbstverständlich, meine ich. Die Aussparung der Haftung beim Normalbetrieb, die der erste Entwurf noch vorsah, widersprach der seit der Jahrhundertwende fixierten Rechtsauffassung, daß auch rechtsmäßiges Handeln einen rechtswidrigen Erfolg herbeiführen kann, grundsätzlich also zur Haftung führen kann. Allerdings stellt die Beschränkung der Gefährdungshaftungstatbestände nur auf Anlagen der 4. BImSch-Verordnung eine Einschränkung dar, die wir nicht mittragen. Es gibt sowohl genehmigungsfreie Anlagen als auch Anlagen nach anderen Immissionsschutzverordnungen, die einbezogen werden sollten. Über die Grenzziehung müssen wir weiter diskutieren. Es ist auch nicht einzusehen, daß wir im Zusammenhang mit Schäden an Luft und Boden das Wasser vollkommen ausklammern. Die Regelung des § 22 des Wasserhaushaltsgesetzes, die eine Handlungs- und Anlagenhaftung nach sich zieht, beinhaltet eine weitergehende Haftung als die, die wir jetzt regeln. Es ist nicht vorstellbar, wieso wir beim Wasser eine weitergehende Haftung haben und bei Boden und Luft eine restriktivere. - Erkläret mir, Graf Oeringdur, diesen Zwiespalt der Natur. Vollends abwegig erscheinen die Formulierungen zur Beweiserleichterung. Darauf haben alle Vorredner schon hingewiesen. Die auf den ersten Blick akzeptablen Beweiserleichterungen für den Geschädigten, für den eine Vermutung der Schadensverursachung durch die Anlage streitet, soll beim Normalbetrieb der Anlage überhaupt nicht gelten. Wann anders als beim Normalbetrieb einer Anlage hat denn ein Geschädigter Beweisprobleme, meine Damen und Herren? Ein Schaden beim Störfall, insbesondere wenn er bessere Auskunftsrechte hat, kann jeder Geschädigte leichter nachweisen, weil ein Störfall in der Regel nicht vollends unbemerkt geschehen kann. ({1}) - Er kann auch. Aber in der Regel ist das eher zu bemerken als beim Normalbetrieb. - Schwierigkeiten entstehen vielmehr dann, wenn beim Normalbetrieb einer Anlage ein Schaden entsteht. Hier kommt der Geschädigte in Beweisnot. An dieser Stelle besteht Regelungsbedarf, den Sie offenbar aber nicht ausfüllen wollen. ({2}) Was hier im Gesetzentwurf betrieben wird, ist Camouflage, ist Etikettenschwindel mit dem Aufdruck „Beweiserleichterung und Ursachenvermutung". Dem Geschädigten wird nichts Konkretes gegeben. Die Rechtsprechung hat schon bei festgestellter Überschreitung von Immissions- und Emissionswerten Beweiserleichterungen im Kausilitätsbereich bis zur Beweislastumkehr angeboten, z. B. im Kupolofenfall. Mehr ist durch diesen Gesetzentwurf auch nicht gegeben. In diesem Zusammenhang muß auch der notwendige Auskunfts- und Informationsanspruch des Geschädigten gegenüber dem Anlagebetreiber und der Behörde angesprochen werden. Die Ausgestaltung dieser Auskunftsrechte ist deshalb so notwendig, weil die vorgenommene Beweiserleichterung nur in dem idealtypischen Fall greift, in dem der Geschädigte schon einen Emittenten kennt. Der häufige Fall, daß bei einer Vielzahl von Emittenten und Emissionen der versteckte Allein- oder Mitverursacher nicht zu ermitteln ist, erfordert andere Lösungen. Wer keinen verklagbaren Gegner kennt, läuft mit seinen Ansprüchen leer. Die vorprozessuale Beschaffung von Informationen bekommt dadurch eine sehr große Bedeutung. Deshalb sind Datenauskunft, Akteneinsicht und offen zugängliche Immissions- und Emissionsmessungen für die Prozeßsituation wichtig. Die restriktiven Regelungen dieser Bereiche im vorgelegten Entwurf machen deutlich, wie notwendig ein allgemeines Informationszugangsrecht ist. Hier wird ein Informationsrecht unter null gegeben. Ich stimme da Herrn Häfner ausdrücklich zu. ({3}) - Wir haben ja eine eigene Vorstellung. Entscheidend aber - das will ich auch noch einmal sagen - leidet der vorgelegte Entwurf an dem Fehlen jeglicher Regelungen zur Summations- und Distanzschädenproblematik. Herr Hüsch hat darauf hingewiesen, das solle nachgeliefert werden. Ich hoffe, daß das gemacht wird, und zwar auch im Zusammenhang mit diesem Gesetz. Ich hoffe, daß Sie es schaffen. Dies ist nämlich der Bereich, in dem die nachhaltigsten und erheblichsten Haftungsdefizite bestehen. Das wissen wir seit dem Waldschadensurteil. Nach Schätzungen der Waldbesitzer - das ist möglicherweise auch Ihre Klientel, Herr Kleinert - liegen die Schäden in den Wäldern bei jährlich 50 bis 100 Millionen DM. Die Gebäudeschäden liegen im Augenblick bei etwa 4 Milliarden DM. Das sind alles Auskünfte der Bundesregierung. Die Schadenssummen zeigen, wie notwendig rechtlich haltbare Anspruchsnormen sind, um einen Schadensausgleich zu erreichen. Bei den Lösungsmöglichkeiten wird neben der reinen Staatshaftung, von der Herr Kleinert hier gesprochen hat, die ich wegen des fehlenden Verursacherprinzips absolut ablehne, von Fondslösungen geredet. Wenn Sie, Herr Kleinert, in diesem Zusammenhang davon reden, das sei Klassenkampf, daß wir der Fondslösung das Wort reden, dann wissen Sie gar nicht, wovon Sie reden. ({4}) Wir wollen hier das Verursacherprinzip wegpacken. Daß dies - es ist ja eine Aufforderung des BGH - als Aufforderung zum Klassenkampf zu betrachten sei - der BGH möchte ja eine solche Regelung bei der Distanz- und Summationsschädenproblematik haben - , das kann nur in Ihrer blühenden Phantasie entstanden sein -; es kann aber einer Nachprüfung überhaupt nicht standhalten. Natürlich gibt es auch bei der Fondslösung Probleme. Das sehe ich auch. Wir wissen, daß z. B. die Speisung des Fonds ein solches Problem ist. Die Grundidee, einen Haftungsfonds nach Maßgabe der Emissionen aus der Industrie und möglicherweise auch der Kraftfahrzeuge und der Hausfeuerungsanlagen zu bemessen, kann Sinn machen. Der Teufel steckt, das wissen auch wir, im Detail. Gleichwohl ist eine abwartende und zögerliche Haltung bei der Formulierung dieses Komplexes vollkommen unangebracht, da die Schäden jeden Tag größer werden und die Notwendigkeit, auch über die Vorabgabe mäßigend auf die Emittenten einzuwirken, wichtig ist. Mir ist klar, daß auch die Behandlung des Problems der Auslandsimmissionen und jetzt derjenigen aus der DDR ein entscheidendes Regelungshemmnis ist. Trotzdem ist das rechtsstaatliche Erfordernis und der Gerichtsauftrag aus dem Waldschadensurteil, die Regelungslücke zu schließen, für uns Handlungsauftrag. Die Lösung des Problems aus diesem Verfahren auszuklammern, finden wir nicht akzeptabel. Alles in allem, es ist hier ein Entwurf vorgelegt worden, der nicht den Stempel „Genügend" verdient, sondern den Stempel - da stimme ich der Frau Präsidentin zu -: „Tüchtig nachbessern". Das sollte eigentlich das Gesetzgebungsverfahren leisten. Wir wollen uns bemühen, das zu tun. - Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich wollte gerade sagen, die Auslegung war etwas weitgehend. Dennoch! Das Wort hat der Justizminister Herr Engelhard.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eben ein Beispiel erlebt, wie der Interpretation natürlich keine Grenzen gesetzt sind. - Ich möchte aber zunächst einmal Gelegenheit nehmen, auch beim Umwelthaftungsrecht den Koalitionsfraktionen sehr herzlich dafür zu danken, daß sie in sehr ernster und intensiver Mitarbeit sich dieses Problemes angenommen haben und diesen Entwurf beschleunigt einbrachten, ({0}) was die Möglichkeit eröffnet, ihn noch in dieser Legislaturperiode zu beraten und zu verabschieden. Wir haben uns in einer harten und intensiven Arbeit über Jahre dieses Problems angenommen, wie ich vorhin bei der Umweltkriminalität ja bereits gesagt habe, in einer interministeriellen Arbeitsgruppe aus Beamten des Bundesjustiz- und des Bundesumweltministeriums. Wir haben uns bemüht, mit diesen schwierigen Fragen fertig zu werden, und wir haben jetzt ein Ergebnis vorgelegt, das bewirkt, daß erstens die Rechtsstellung der Geschädigten nachhaltig verbessert wird, zweitens die präventive Funktion des Haftungsrechts als marktkonformes Mittel der Umweltvorsorge genutzt wird und drittens die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen nicht über Gebühr beansprucht wird. Wer z. B. behauptet, daß insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen Schaden nehmen würden, der sagt etwas Falsches, wie umgekehrt natürlich auch derjenige etwas Falsches sagt, der meint, das sei ganz klar, weil diese Bundesregierung und diese Koalition ja nichts für die Umwelt täten und insofern auch im wirtschaftlichen Bereich bei den Unternehmen nichts Schädliches anrichten könnten. Auf dieser Linie lag ja in etwas das, was wir heute hier vom Herrn Kollegen Bachmaier gehört haben. ({1}) Ich weiß gar nicht, warum Sie im Unterschied zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt plötzlich so etwas nervös, grob, ja fast ruppig in Ihrer Kritik geworden sind. Es mag daran liegen, daß Sie ja bei der Umweltkriminalität noch mit einem eigenen Entwurf aufgewartet haben, den ich von meiner Seite her entsprechend positiv in den Kreis der Entwürfe aufgenommen habe, daß Sie aber beim Umwelthaftungsrecht offensichtlich keine guten Einfälle hatten. Da sind Sie nun randvoll mit Ideen darüber, was alles an dem von uns, von der Koalition, und im Kabinett am vergangenen Mittwoch beschlossenen Entwurf falsch sei. Das wissen Sie alles. Bloß haben Sie es unterlassen, auch nur im Ansatz dazu Ausführungen zu machen, wie man es besser machen kann. ({2}) Das mag der Grund dafür sein. Da muß ja natürlich einige Nervosität aufkommen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben es selbst immer ganz klar angesprochen, wir wissen es und haben es in der Öffentlichkeit auch immer gesagt, daß zu den nicht zurechenbaren Distanz- und Summationsschäden in diesem Entwurf keine Regelungen enthalten sind, ({4}) daß dieses Problem aber nicht vergessen worden ist, sondern ein Problem in einer völlig anderen Dimension, in einem völlig anderen Bereich ist, an das man mit dem Umwelthaftungsrecht nicht herankommt, und daß wir an diesem Problem weiterarbeiten werden und zur gegebenen Zeit mit einem Entwurf aufwarten werden. ({5}) Meine Damen und Herren, weil die Opposition auch bei dieser Debatte das Staatsziel Umweltschutz angesprochen hat und gesagt hat, daß auch hier die Koalition und die Bundesregierung nichts unternehmen, möchte ich sagen: Sie wissen doch, daß ein vernünftiger, zum Kompromiß geeigneter Vorschlag auf dem Tisch liegt. Ich möchte Sie, Herr Kollege Bachmaier, und Ihre Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion nochmals herzlich einladen, sich in der allernächsten Zeit mit diesem Vorschlag zu befreunden, ({6}) weil Sie, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, nur noch sehr kurze Zeit zur Verfügung haben werden, da wir anschließend nämlich deutlich machen werden, ({7}) an wem es gelegen hat, daß dies in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz keinen Platz gefunden hat. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/6454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Da ich keinen Widerspruch höre, ist das so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 16 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Dr. Pick, Steinhauer, Bachmaier, Klein ({0}), Schmidt ({1}), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Adler, Amling, Andres, Becker-Inglau, Dr. Böhme ({2}), Bulmahn, Egert, Ganseforth, Gilges, Dr. Götte, Dr. Haack, Hämmerle, Hasenfratz, Heyenn, Hiller ({3}), Jaunich, Kirschner, Kühbacher, Peter ({4}), Reimann, Reuter, Rixe, Schmidt ({5}), Schreiner, Seuster, Urbaniak, Weiler, von der Wiesche, Wittich, Zumkley, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerhaftung - Drucksache 11/5086 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({6}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch; kürzere Reden sind erlaubt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Es geht weiter mit Haftungsrecht, diesmal mit der Arbeitnehmerhaftung. Die Frage der Haftung der Arbeitnehmer für Schäden, die sie im Zusammenhang mit ihrer Arbeitstätigkeit verursachen, ist seit langem in der Diskussion. Die SPD-Fraktion greift mit dem heute in der ersten Lesung anstehenden Gesetzentwurf einen Sachverhalt auf, der dringend regelungsbedürftig ist. Die gesetzliche Regelung der Arbeitnehmerhaftung soll die bisherige Rechtsunsicherheit beseitigen. Bisher waren Arbeitnehmer von einer wechselhaften Rechtsprechung abhängig. Die danach geltende Haftung des Arbeitnehmers für Schäden, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verursacht werden, entspricht längst nicht mehr den heutigen Verhältnissen. Die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers ist regelmäßig mit dem Risiko belastet, den Arbeitgeber oder Dritte zu schädigen. Der Arbeitnehmer ist nach dem heute noch geltenden Haftungsrecht bei fahrlässiger Schadensverursachung dem Arbeitgeber gegenüber grundsätzlich in voller Höhe ersatzpflichtig. Der Umgang des Arbeitnehmers mit Maschinen und Geräten, deren Wert in keinem Verhältnis zu seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten steht, birgt jedoch die Gefahr in sich, schon durch geringe Versehen Schäden anzurichten, die unübersehbar sind. Der volle Ersatz hätte den finanziellen Ruin des Arbeitnehmers und seiner Familie zur Folge. Die Praxis zeigt: Arbeitsbedingte Schäden sind unvermeidbar. Die Haftung des Arbeitnehmers wurde zum großen Teil durch die Rechtsprechung festgelegt. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. November 1987 wird die Fortentwicklung des Arbeitnehmerhaftungsrechts durch die Rechtsprechung abgelehnt. Es wird auf die Kompetenz des Gesetzgebers hingewiesen. Daran ändert auch nichts die erneute Anrufung des Großen Senats. Die SPD-Bundestagsfraktion kommt der Aufforderung, dem Ruf nach dem Gesetzgeber mit diesem Gesetzentwurf nach. Wir wollen nicht länger hinnehmen, daß die Arbeitnehmerhaftung nur nach dem Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit beurteilt wird und damit nur zu schwer voraussehbaren Entscheidungen führt. Die Bemessung der Schadenshöhe liegt bisher also weitgehend in der Hand des jeweiligen Gerichts. Die existenzbedrohenden Haftungsrisiken fordern zum schnellsten Handeln auf. Daher enthält unser Gesetzentwurf folgende Schwerpunkte: Eine Beschränkung der Schadenersatzverpflichtung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ist ein ganz wesentlicher Inhalt dieses Entwurfs. Eine Haftung des Arbeitnehmers wird nicht nur für die leichteste, sondern auch für normale Fahrlässigkeit voll ausgeschlossen. Dies ist übrigens auch schon in einem anderen wichtigen Fall im Arbeitsleben üblich, nämlich in der Unfallversicherung, z. B. dann, wenn der Arbeitnehmer einen Arbeitskollegen verletzt. Die Regelung des Schadenersatzes berücksichtigt, daß man es hier nicht mit Maschinen, sondern mit Menschen zu tun hat. Es gibt im Arbeitsleben - wie auch sonst - nicht den Modellmenschen, der nie Fehler macht. Es ist klar, daß auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer Fehlleistungen unterlaufen können. Die Unsicherheit, ob Haftungserleichterung allgemein auf jegliche Tätigkeit von Arbeitnehmern angewandt werden kann, war in der Vergangenheit umstritten. Diese Unklarheit wollen wir mit dem Gesetz beseitigen. Auch die Verbindung der Arbeitnehmerhaftung mit schadensgeneigter Tätigkeit, die kaum abzugrenzen ist, wird von uns beseitigt. Auch die Höhe der Haftung war in der Vergangenheit höchst problematisch. Bei grober Fahrlässigkeit darf nach unserem Gesetzentwurf der Haftungsoberbetrag, den ein Arbeitnehmer zu tragen hat, in Zukunft drei Monatsnettovergütungen nicht übersteigen. Damit nehmen wir Abstand davon, daß der Arbeitnehmer in solchen Fällen den gesamten Schaden zu ersetzen hat. ({0}) Für Kraftfahrer hatte dies in der Vergangenheit z. B. zur Folge, daß die gesamte wirtschaftliche Existenz durch ein einziges Fehlverhalten gefährdet werden konnte. ({1}) Das Betriebsrisiko des Arbeitgebers muß mitberücksichtigt werden. Auch bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers muß das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko ins Gewicht fallen. Dies kann unter Umständen zu einer erheblichen Verminderung der Schadensersatzpflicht führen. Hierbei sind Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, so auch die Frage, ob der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko steht. Wir wollen auch ausschließen, daß sich der Arbeitgeber unter Umständen vom Risiko überhaupt fernhält, indem er keine Versicherung abschließt. Auch da ist eine Regelung im Gesetz vorgesehen. In den Bereich der Haftungsbegrenzung werden auch arbeitnehmerähnliche Personen einbezogen. Das heißt, daß beispielsweise Heimarbeiter und freie Mitarbeiter von einer Haftung ganz oder teilweise freigestellt werden. Es ist nicht einzusehen, daß ein Kraftfahrer der Haftungsbeschränkung unterliegt, nicht aber ein Student, der in den Semesterferien ein Kraftfahrzeug überführt. Wir begrenzen mit diesem Gesetz auch die Verjährungsfrist auf ein halbes Jahr, d. h., wir wollen eine schnelle Rechtssicherheit in Fragen der Haftung der Arbeitnehmer haben. Die heutige Debatte, meine sehr verehrten Herren und Damen, nehme ich auch zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch alsbald doch wieder einmal in den Bereich der Realität zu rücken ist. Ich sage das ganz selbstkritisch: Es gibt zwar Entwürfe aller Fraktionen dieses Hauses, aber wir haben es dabei belassen. Gesetzesreife Vorlagen wurden nicht erstellt bzw. nicht eingereicht. Und die Arbeitsgesetzbuch-Kommission hat ihre Arbeit seit langem eingestellt. Es entspricht nicht der Bedeutung des Arbeitslebens, daß wichtige arbeitsrechtliche Bestimmungen über eine Vielzahl von Gesetzen verstreut, im Bürgerlichen Gesetzbuch z. B. zwischen Kauf- und Mietrecht, geregelt sind. Schließlich geht es hier um den Arbeitnehmer als Menschen und nicht als Ware. Sie, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, können jetzt beweisen, daß Sie an die Rechte der Arbeitnehmer denken. Ich fordere Sie auf, in den Beratungen und an der Verabschiedung des heute zur ersten Lesung anstehenden Gesetzes zügig mitzuar15284 betten und nicht, wie beispielsweise bei der Vereinheitlichung von Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten, mit einem Gesetzentwurf jahrelang überfällig zu sein und dann auch noch einen halbherzigen Entwurf vorzulegen. Tragen Sie in konstruktiver Weise dazu bei, daß das Arbeitnehmerhaftungsrecht neu geregelt wird, daß ein Haftungsrecht entsteht, das den Gegebenheiten der heutigen Arbeitswelt Rechnung trägt, damit die Bocksprünge der Rechtsprechung endlich ein Ende haben! ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem ist ernst und bedarf zu gegebener Zeit sicherlich einer Regelung. Aber der Entwurf, den die SPD vorlegt, ist offensichtlich schlecht überlegt, wenig bedacht - ein Spiegelbild der derzeitigen Rechtspolitik der Opposition. ({0}) Zunächst einmal aber etwas Gutes: In der justizpolitischen Debatte vor einer Woche ist ausgeführt worden, daß sich das Parlament der Pflicht zur Rechtsfortbildung nicht entziehen darf. In der Tat: Die Zuteilung von Pflichten und Lasten, von Vorteilen und Nachteilen ist Sache des Gesetzgebers und kann der Rechtsprechung nur für den Einzelfall belassen bleiben. Nun macht der SPD-Entwurf den Versuch, eine Nutzen- und Lastenzuteilung im Bereich der Arbeitnehmerhaftung vorzunehmen. ({1}) Ich begrüße, daß der Entwurf Anlaß zur Diskussion gibt. Denn an Hand dieses Entwurfes kann das Thema - was schon längst hätte erfolgen müssen - der parlamentarischen Beratung zugeführt werden - allerdings in der Freiheit von Wort und Widerwort, in der Freiheit von Änderungen und auch der möglichen Ablehnung. ({2}) Es ist insgesamt, Herr Schütz, zu bedauern, daß nicht schon längst ein gesondertes Gesetzbuch oder zumindest ein ausführlicher Abschnitt im Bürgerlichen Gesetzbuch über die Rechte der Arbeitnehmer entstanden ist. ({3}) Aber die SPD sollte nicht frohlocken. In ihrer Regierungszeit bis 1982 hatte sie ausreichend Gelegenheit, ({4}) aber sie hat nichts zustande gebracht. ({5}) - Manches hatte man von Ihnen erwartet! Aber die SPD versagte, und die Enttäuschung von Arbeitnehmern über aktuelle Regierungsleistungen der SPD hat sicherlich einen ihrer vielen Gründe in der Nichtregelung des Arbeitnehmerrechts. ({6}) - Frau Däubler-Gmelin, nun will ich Sie einmal fragen: Wer war denn eigentlich Justizminister? Das waren Herr Vogel und Herr Schmude. Wer war denn Vorsitzender des Rechtsausschusses? Das waren doch Sie! ({7}) Und wer war Staatssekretär im Justizministerium? Das war Herr de With. Alles hervorragende Juristen, die Einser-Juristen! Sie haben nichts zustande gebracht, und deshalb können Sie sich heute nicht mit dieser Miene hier hinstellen. ({8}) Nun zur Sache selbst. Zu dieser Regelung hätte längst Anlaß bestanden, denn die Lehre von der gefahrgeneigten Arbeit war lange vor 1982 bekannt. ({9}) Die wesentlichen Grundentscheidungen zur Entlastung der Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Arbeit waren getroffen. Gefahrgeneigte Arbeit im Zusammenhang mit der Haftung des Arbeitnehmers bedeutet nämlich, daß die vom Arbeitnehmer zu leistende Arbeit ihrer Art nach eine besonders große Wahrscheinlichkeit in sich birgt, daß Versehen unterlaufen und daß dadurch Schaden verursacht wird, der zum Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers in unangemessenem Verhältnis steht. Die Rechtsprechung hat dabei auf die Umstände des Einzelfalles abgestellt, auf den konkreten Anlaß, aus dem der Schaden entstanden ist. Es hätte nun nahegelegen, Sie hätten sich mit dieser Frage befaßt. Aber in Wirklichkeit wollen Sie nunmehr jedwede fahrlässige Schadensverursachung durch den Arbeitnehmer haftungsfrei machen und die Haftung bei grober Fahrlässigkeit auf drei Monatsnettoeinkommen beschränken. ({10}) Damit würden Sie, wenn es durchginge, den Bruch mit der Rechtssystematik vollziehen. ({11}) Denn es ist anerkanntes Recht, daß sich jeder auf die Leistungen und auf die korrekte Ausführung der Leistungen des anderen grundsätzlich verlassen darf und verlassen muß. Jeder hat die Erwartung, daß auch der andere die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt beachtet. Der Maßstab der Sorgfalt ist objektiv. Auf solche Grundsätze gründet sich der Vertrauensschutz im deutschen Recht. Er ist das rechtliche Rahmenwerk dafür, daß gerade wir Deutschen unter Geltung dieses Rechts als im Rechts- und Arbeitsverkehr zuverlässig und vertrauenswürdig angesehen werden. Auf beide Tugenden stützt sich die Leistungskraft unserer Wirtschaft, und diese ist materielle Grundlage sozialer Sicherheit. Die SPD will nun mit ihrem Gesetzentwurf nicht nur dieses Rechtsprinzip ändern, ({12}) sondern nimmt auch ganz bewußt in Kauf, daß eine der Grundlagen für Verläßlichkeit im Rechtsverkehr und im Arbeitsleben in Mitleidenschaft gezogen wird. ({13}) Eine grobe Fahrlässigkeit, die Sie in ihrer Haftungsfolge erheblich beschränken wollen, liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Umfange verletzt worden ist. Das bedeutet: Wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden oder wenn das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte, liegt grobe Fahrlässigkeit vor. Und die Haftung dafür wollen Sie auf drei Monatsgehälter beschränken! Es ist Stand der Rechtsprechung, daß bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, den Fähigkeiten eines Handelnden übergeordnete Umstände zu berücksichtigen sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Es muß ihn ein vorwerfbares schweres Verschulden treffen. Augenblicksversagen begründet keine grobe Fahrlässigkeit. Die grobe Fahrlässigkeit kann auch bei erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit entfallen. Kurzum, die Rechtsprechung zur groben Fahrlässigkeit ist eindeutig, ({1}) und sie hat erfaßt, was an Umständen zu berücksichtigen ist. ({2}) Aber sie hat auch klargestellt, daß wirklich unverständliches, meist leichtfertiges und unverantwortliches Verhalten eben grob fahrlässig ist. ({3}) Wollen Sie in der Tat jeden Arbeitnehmer davon freistellen, dann zu haften? Als grobe Fahrlässigkeit sind beispielsweise bewertet worden: die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 100 %, das Einfahren in die Kreuzung bei Rotlicht, das Fällen eines Baumes, in dessen Fällbereich sich zwei Menschen aufhalten, die dann zu Schaden kommen; alles Entscheidungen zu Arbeitnehmerfragen! Das Gesetz kennt im übrigen nur Einschränkungen der Haftung bei leichter Fahrlässigkeit; ich brauche Ihnen das nicht zu zitieren. ({4}) Es ist ja erstaunlich, daß Sie in den Fällen des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes jeden Arbeitnehmer, der einen ganz unwesentlichen Tatbeitrag im Sinne des Förderns geliefert hat, ({5}) bei dieser groben Fahrlässigkeit einer harten Strafe von mindestens zwei Jahren Gefängnis unterwerfen wollen. ({6}) Erklären Sie mir einmal diesen Zwiespalt Ihrer Auffassung. Ihr Entwurf erweckt zudem den Eindruck, als sei nur der Arbeitnehmer schlechthin schutzbedürftig. Da Sie sich auf die Bestimmung des § 611 BGB berufen, muß ja wohl auch der dortige Arbeitnehmerbegriff - etwas anderes schreiben Sie in Ihren Gesetzentwurf nicht hinein - gelten: beispielsweise der Oberarzt im Angestelltenverhältnis, der bei einem groben Kunstfehler unter Außerachtlassung der einfachsten Sorgfalt jemand zu Tode operiert, oder der Wirtschaftsprüfer in einer großen Prüfungsgesellschaft im Angestelltenverhältnis, der unter Verletzung der einfachsten Regeln einen schweren Prüfungsschaden hervorruft und dabei beispielsweise Schaden in Millionenhöhe verursacht - wie etwa bei co op -, oder der Prokurist einer Pensionskasse, der faule Aktien kauft und einen Schaden von mehr als 250 Millionen DM zu Lasten der Pensionsanwartschaften der Arbeitnehmer verursacht - so bei der Pensionskasse der Deutschen Konsumgenossenschaften 1988/89 geschehen. Vier ganze Jahresbeiträge gingen verloren, und einen solchen ungetreuen Arbeitnehmer wollen Sie vor der Haftung schützen. Oder der Syndikus im Angstelltenverhältnis, der unter Außerachtlassung ganz selbstverständlicher Sorgfalt einen Schaden verursacht. Lachende Dritte sind die Haftpflichtversicherungen. Jeder Arbeitnehmer könnte sich dagegen schützen. Gerade die, die verantwortungsschwer handeln, tun das oder machen das über den Arbeitgeber. Wenn der SPD-Entwurf nun durchkäme, wäre solche Haftpflichtversicherung gegenstandslos, weil es ja nichts zu haften gäbe. Der Geschädigte müßte leiden, nicht der Schädiger. In den Vorstandsetagen der Versicherungsgesellschaften könnte man die nächsten Jahresabschlüsse wegen des Rückganges des Risikos zufrieden zur Kenntnis nehmen. Ihre ganz einfache Formel, die Sie wieder einmal gegen bessere Vernunft verwenden, ist falsch: Ein Arbeitgeber ist reich, und er kann jeden Schaden tragen. Wie steht es jetzt mit der alten Rentnerin, die für die Pflege ihrer Wohnung als Arbeitgeberin eine Reinmachefrau hat, die unter Außerachtlassung jedweder Sorgfalt, also grob fahrlässig alles in Brand setzt und der alten Frau ihre ganze Habe nimmt? Oder wie steht es mit jenem Arbeitgeber, der nur einen, zwei oder drei Mitarbeiter hat und der durch grobe Fahrlässigkeit - durch den Gesetzentwurf der SPD von fast jeder Haftung befreit - um sein Unternehmen gebracht wird oder der selbst - oder seine Angehörigen - Körperschäden oder den Tod erleidet? Wie steht es mit demjenigen Arbeitnehmer, der unter Verletzung aller Regeln einen großen Umweltschaden anrichtet, weil er z. B. aus Bequemlichkeit giftige Stoffe in das Wasser abgeleitet hat? Wieder einmal klassenkämpferisch beschränkte Sicht. Sie gehen nur nach den Kategorien vor: Der Arbeitnehmer ist in jedem Fall der Schwache, und der Arbeitgeber ist in jedem Fall der starke Kapitalist. Daß das nicht so ist, wissen wir aus dem Leben, und selbst ein Teil Ihrer Begründung müßte das deutlich machen. Das geschieht aber nicht. ({7}) Der von Ihnen gänzlich geforderte Ausschluß der Haftung für normale Fahrlässigkeit sogar bei nicht gefahrgeneigter Tätigkeit ist rechtspolitisch verfehlt. ({8}) - In der wissenschaftlichen Diskussion ist seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25. September 1979 klargeworden, daß es keine allgemeine Rechtsüberzeugung gibt, die Haftung des Arbeitnehmers auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu beschränken. Die Gefahr der von der SPD gewollten Haftungsbeschränkung liegt nicht zuletzt darin, daß die vorbeugende Funktion der Haftung verlorengeht, nämlich zur Sorgfalt anzuhalten, Schäden des Arbeitgebers und auch Dritter zu vermeiden, die mit solchen Schäden verbundenen Unfall- und Gesundheitsgefahren zu vermeiden, zumindest aber einzuschränken. Alles das wäre nicht mehr gewährleistet. So fördert die Schaffung eines haftungsfreien Raumes den unsorgfältigen Umgang mit Fahrzeugen, Maschinen und anderen Arbeitsmitteln, auch mit der Gesundheit der Arbeitskollegen. Daß das eigene Interesse des betroffenen Arbeitnehmers dadurch mittelbar, aber nachdrücklich gefährdet würde, ist offenkundig; denn nachlassende Sorgfalt im betrieblichen Ablauf führt zu einer nachdrücklichen Schädigung. ({9}) - Liebe Frau Däubler-Gmelin, ich bin Gießereiarbeiter gewesen, ich bin Platzarbeiter gewesen, ich war Lastwagenfahrer, ich habe Straßenbahnen kutschiert. Ich war im Arbeitnehmerbereich. Ich weiß genau, daß es beides gibt: ({10}) daß es die Sorgfalt bei der Arbeitswahrnehmung und auch die Nichtsorgfalt gibt. Wenn Sie glauben, das könnten Sie als Nichtahnung bezeichnen: Gehen Sie erst einmal in einen Betrieb, und arbeiten Sie einmal, wo die Maloche gemacht wird! Erst dann werden Sie dazu etwas sagen können. ({11}) Die Absicht, die Sie gesetzgeberisch betreiben, ist durch und durch kurzsichtig. Nun, Frau Präsidentin, eine letzte kleine Anmerkung. Ich fühle mich in der Rolle jenes Redners auf dem Rednerpult, der seine Rede gehalten hat, noch einen Kollegen vor sich sieht, auf ihn zugeht und sagt: „Verehrter Kollege, ich danke Ihnen, daß wenigstens Sie mir die Ehre gemacht haben zuzuhören" , und dieser antwortet dann: „Ihnen zuzuhören, daran denke ich nicht; ich bin nur der nächste Redner." Und der kann jetzt das Wort haben. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Jetzt hat Herr Hoss das Wort.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man sieht, daß auch bei einer solchen Frage wie Arbeitnehmerhaftung die Emotionen hochgehen. Ich glaube, daß es richtig ist, zur Sache zurückzukehren und zu einer objektiven Betrachtung zu kommen. ({0}) Insbesondere die industrielle Produktionsweise mit ihrer Monotonie, Leistungsdruck und Streß an den Arbeitsplätzen bringt es mit sich, ({1}) daß auch dem sorgfältigsten, qualifiziertesten Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen. Betrachtet man den Fehler isoliert, so erscheint er jedesmal vermeidbar. Betrachtet man den Fehler in der zeitlichen Perspektive, so erscheint er unvermeidbar. Das Bürgerliche Gesetzbuch trägt eben diesem Widerspruch keine Rechnung. Es geht von dem Einzelfall aus, sein Schuldbegriff stellt auf den Einzelfall ab, es ignoriert, daß der im Einzelfall vermeidbare Fehler im Zeithorizont, also in der sich Jahr für Jahr wiederholenden Tätigkeit, unvermeidbar sein kann und eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten dieses Fehlers besteht, wie wir das im Bereich der nuklearen Technik bei menschlichem Versagen kennen. Seit 50 Jahren bemüht sich die Rechtsprechung aus diesen Gründen, die Haftung des Arbeitnehmers mit dem Begriff der gefahrgeneigten bzw. schadensgeneigten Arbeit zu begrenzen. Bis in die jüngste Zeit hinein gibt es höchstrichterliche Urteile des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage, und Heerscharen von Juristen haben sich in Aufsätzen, Dissertationen, Habilitationen und anderem diesem Thema gewidmet, und Deutscher Juristentag und Seminare und Vorträge sind darüber gehalten worden. Es ist an der Zeit, daß der Gesetzgeber diese Rechtslage, diese Dispute der Juristen durch eine Gesetzesnorm im Interesse der abhängig Beschäftigten weiterentwickelt und auf den jetzigen Stand bringt und daß das, was wir bis jetzt erreicht haben, weitergetragen wird. Herr Hüsch, da liegt es völlig daneben, wenn Sie jetzt Vorwürfe machen, ob die SPD das früher gemacht hat oder nicht gemacht hat. Damit lenken Sie nur von sich selber ab. ({2}) Folgende Frage ist zu beurteilen: Haben wir heute, 1990, den Zeitpunkt erreicht, an dem es notwendig ist, das Gesetz auf den neuesten Stand zu bringen? Wir meinen, daß das der Fall ist. Deshalb wird der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf von unserer Seite, von den GRÜNEN, grundsätzlich begrüßt. Wir teilen die Auffassung, daß die Haftung von Arbeitnehmern auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden sollte. Wir sind doch nicht dafür, daß jeder Betrieb alles machen kann, was er will, sondern daß hier grobe Fahrlässigkeit geahndet und der Arbeitnehmer herangezogen wird und daß alle anderen Unfälle, die sich aus der Situation des Arbeitsverhältnisses und der Anforderungen, die an ihn gestellt werden, ergeben, unter anderen Gesichtspunkten betrachtet werden. ({3}) Aus diesem Grunde stimmen wir dem Gesetzentwurf zu und sind auch dafür, daß für den Fall grober Fahrlässigkeit eine summenmäßige Beschränkung, z. B. auf drei Monatslöhne, vorgenommen wird, daß der Arbeitnehmer, wenn er einen Fehler gemacht hat, nicht mit seinem ganzen Vermögen, seinem Häuschen, das er sich in 10, 20 Jahren erarbeitet hat, dafür geradestehen muß. Hinzukommt ja auch noch die Frage der Aufsichtspflicht des Arbeitgebers am Arbeitsplatz. Wenn er weiß, daß ein Arbeitnehmer krank ist und vielleicht dem Alkohol zuspricht, dann hat er die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diesem Menschen entweder geholfen wird oder daß er nicht an solch wichtigen Plätzen beschäftigt wird, wo die Gefahren sehr groß sind und die Schäden, die angerichtet werden können, sehr gravierend sein könnten. Der kritische Punkt des Gesetzentwurfes der SPD ist aus meiner Sicht, daß die Arbeitnehmerhaftung bei einer Schadensverursachung nur durch eine „betriebliche oder dienstliche Tätigkeit" begrenzt wird. Der Betriff der betrieblichen oder dienstlichen Tätigkeit läßt einen Teil der Streitfälle, mit denen sich die Rechtsprechung seit 50 Jahren beschäftigt, offen. Haftet ein Arbeitnehmer in vollem Umfang, wenn er im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, aber außerhalb seiner betrieblichen Zuständigkeit Schaden verursacht? Wie sind Wegeunfälle zu beurteilen? Der Begriffsinhalt scheint mir insofern etwas unklar zu sein. Mein Vorschlag ist ganz generell, eine Haftungsbegrenzung in allen Fällen einzuführen, in denen im Rahmen und im Zusammenhang eines Arbeitsverhältnisses Schäden verursacht werden. Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Hüsch. Der zentrale Einwand gegen Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung beinhaltet, daß diese zu einem leichtsinnigeren Verhalten von Arbeitnehmern und damit zu einer Zunahme von Schäden führe. Ich teile diesen Einwand nicht. Er ist sachlich falsch und entspringt Vorstellungen, die nur diejenigen haben können, die sich in der Arbeitswelt in einer Durchgangssituation befunden haben, z. B. als Student mal als Lastwagenfahrer gearbeitet haben. Sie haben hier diese Aufzählung gemacht. Ich weiß, daß dies auf dem Weg zu Ihrem Beruf für Sie nur ein Durchgangsstadium war. Daher rührt auch Ihre Einstellung zu Arbeitnehmern. Gehen Sie nicht davon aus, daß Arbeitnehmer am Arbeitsplatz wissentlich und absichtlich Schäden anrichten! ({4}) Das tun sie nicht, sondern sie sind pflichtbewußter, als Sie das annehmen. Der Gesetzentwurf wird bedauerlicherweise, auch nach den Beratungen, in dieser Legislaturperiode wohl nicht Gesetz werden. Die Vielzahl der gerichtlichen Urteile zeigen, daß von Rechtssicherheit nicht gesprochen werden kann, wenn man das Gesetz nicht auf den neuesten Stand bringt. Aber dazu sind Sie und auch Sie von der FDP ja nicht bereit. Wir werden in den Beratungen trotzdem daran mitarbeiten und wollen hoffen, daß es in der nächsten Legislaturperiode bei anderer politischer Zusammensetzung in diesem Hause möglich wird, den Gesetzentwurf aufzugreifen und ihn zum Gesetz zu machen. Danke. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist sicher gut, daß uns der Gesetzentwurf der SPD Veranlassung gibt, über die hier offenen Probleme - da ist sehr vieles offen - zu sprechen. Ob dieser Entwurf geeignet ist, die Lösung in einer angemessenen Form herbeizuführen, das bezweifeln wir. Etwas eigentümlich mutet in Ihrer Begründung an, daß Sie sagen, man solle nicht alles der arbeitsrechtlichen und der richterlichen Rechtsfortentwicklung überlassen. Ich bin ja durchaus der Meinung, daß das Kleinert ({0}) so ist. Aber daß die SPD diese Meinung vertritt, das ist verhältnismäßig neu; denn sie lassen sich in diesem Bereich viele richterliche Rechtsfortbildungen von Herzen gern gefallen. Wenn Sie in diesem Bereich der Meinung sind, wir sollten eine gesetzliche Regelung machen, dann ist das ja gut. Auch wir sind der Meinung, das trägt zur Sicherheit bei, und die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers ist in weiten Bereichen des Arbeitsrechts und allem, was damit zusammenhängt, sicherlich nicht immer so ganz ernstgenommen worden, allerdings aus politischen Gründen, die ich hier nicht auszuführen brauche. Dann muß man sich aber fragen: Was tun Sie hier? Ich finde, so mit dem Rasenmäher kann man nicht über persönliche Verantwortlichkeit und deren Folgen hinweggehen, wie Sie das hier tun, daß man einfach ganz glasklar sagt: nur grobe Fahrlässigkeit, daß man ferner sagt: ein halbes Jahr Verjährung - um nur dies herauszugreifen - und daß man sagt: nur bis zu dem und dem verhältnismäßig klein gefaßten Betrag. Das ist doch wohl ein etwas sehr grobes Raster. Darüber muß man sich nun wirklich sehr sorgfältig unterhalten. Dies unter anderem deshalb, weil ja hier nicht nur Interessen von Arbeitgebern und Unternehmern in Rede stehen, die vielleicht einen Schadenersatz bekommen könnten. Ich bin übrigens mit Herrn Hüsch der Meinung, daß die Fälle in der Praxis ganz selten sind, in denen das zum Ruin von Familien führt, ({1}) weil da praktisch immer vernünftige Regelungen gefunden worden sind. Auch der von Ihnen zu Recht angezogene § 254 BGB - Aufteilung des Schadens auf die beiden Seiten - hat dem schon immer entgegengewirkt. Aber wir werden auf jeden Fall doch einmal zu überlegen haben, daß auch ganz andere Leute geschädigt werden: z. B. Straßenverkehrsteilnehmer, völlig unbeteiligte Bürger werden durch die fehlerhafte Handhabung einer Baumaschine hochgradig gefährdet, und zwar nicht nur an Gesundheit, sondern auch an Leben. Die Frage ist, wie sich das, was Sie hier vorlegen, auf das Verantwortungsgefühl und das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen Tätigen auswirken würde. Kommen wir da nicht automatisch in eine gewisse Stimmung wie „mit fremder Leute Maschinen kann man ganz anders und viel lockerer fahren als mit seinem eigenen Pkw"? Das muß hier meiner Ansicht nach auch berücksichtigt werden. Es muß ein viel breiterer Rahmen der abgestuften Verantwortlichkeit und der daraus folgenden Haftung gefunden werden. Wir müssen es mindestens einmal versuchen, dies in den Ausschußberatungen genauer aufzuklären. Im übrigen haben wir ja eine etwas eigentümliche Situation. Jetzt ist die Frage - die ist hier vorhin so von Ihrer Rednerin abgetan worden - der gefahrgeneigten Tätigkeit zum Gegenstand der Anrufung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts gemacht worden. Die Sache steht unmittelbar vor der Entscheidung. Wenn der Große Senat entscheiden sollte, daß er auf die Gefahrgeneigtheit als Voraussetzung verzichtet - ich hielte das im übrigen für dieses Gesetzgebungsverfahren für nicht richtig; aber darüber werden wir noch zu reden haben -, dann ist die Konsequenz, daß der Gemeinsame Senat der oberen Gerichtshöfe des Bundes angerufen werden muß, weil der Bundesgerichtshof seinerseits an der Gefahrengeneigtheit in letzter Zeit noch festgehalten hat. Wir stehen also unmittelbar vor der von hohem richterlichen Sachverstand getragenen Beantwortung einer für dieses Verfahren wichtigen Frage. So sehr ich sage, wir sollen uns unserer Verantwortung als Gesetzgeber stellen, so sehr bin ich dann, wenn sich rein zeitlich solche Parallelitäten ergeben, allerdings auch dafür, abzuwarten, was uns die Richter zu dieser Frage sagen, bevor wir versuchen, die Dinge in einen gesetzlichen Rahmen zu bringen. Und das dann, bitte, nicht nur im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer, deren Interessen hier zutreffend dargestellt worden sind, die mir aber nicht genügend differenziert behandelt wurden, sondern auch im Interesse aller anderen Bürger und natürlich der Unternehmen und der verantwortungsbewußten und sorgfältigen Kollegen dieser Arbeitnehmer, die betroffen werden, wenn sich das Verantwortungsbewußtsein durch eine solche Regelung etwa verändern sollte. Das werden wir zu berücksichtigen haben. Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte werden wir gern mit Ihnen über Ihren Entwurf beraten. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, hier zu erfahren, wie die Arbeitsmoral bzw. die Arbeitsauffassung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beurteilt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß bei unserem Vorschlag, der bei der groben Fahrlässigkeit eine erhebliche Sanktion zuläßt, nämlich das Zahlen von drei Nettomonatsgehältern, das in der Tat ein Anreiz oder eine Einladung sein kann, sich entsprechend unsorgfältig zu verhalten. ({0}) Ich will zunächst noch ein paar allgemeinere Bemerkungen machen, die bislang noch etwas zu kurz gekommen sind. Es ist allerdings schon darauf hingewiesen worden, daß unser Bürgerliches Gesetzbuch bei der Haftung grundsätzlich von der Verschuldensabhängigkeit ausgeht: Es haftet ein Mensch eben nur, wenn er fahrlässig oder vorsätzlich den Schaden eines anderen herbeigeführt hat. Entscheidend ist also, daß er mindestens fahrlässig gehandelt hat, d. h. nach Definition des Gesetzes: unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Aber man muß auch wissen, daß für die Auslösung der Haftung bereits die leichteste Form der Fahrlässigkeit genügt. Es wird im BGB überhaupt nicht nach Graden unterschieden. Das BGB, das von 1900 stammt, hat die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also nicht anders gestellt als andere Bürgerinnen und Bürger, etwa im Rahmen der Vertragshaftung. Das muß man sich vor Augen führen. Die Folge dieser Regelung ist, daß selbst bei geringstem Verschulden des Arbeitnehmers im Rahmen seiner Tätigkeit immense Schäden an Rechtsgütern des Arbeitgebers, aber auch Dritter auftreten können, die letztlich zum wirtschaftlichen Ruin des Arbeitnehmers führen können. Die Rechtsprechung - das ist schon gesagt worden - hat nun versucht, für besonders markante Fallgestaltungen das Institut der gefahrgeneigten Arbeit zu entwickeln. Es geht davon aus, daß kein Arbeitnehmer - sei er noch so verantwortungsbewußt - jahreoder jahrzehntelang fehlerlos arbeiten kann. Irgendwann wird ihm ein Fehler unterlaufen, z. B. dem Kraftfahrer, indem er eine Geschwindigkeitsregelung nur sehr gering übertritt, oder dem Disponenten, indem er sich bei einem Angebot vertut. Man kann sich Tausende ähnlicher Situationen ausmalen. Begründet wird diese Einschränkung des Verschuldensgrundsatzes mit der Fürsorgepflicht und der Treuepflicht, die das Arbeitsverhältnis beherrschen. Dies ist richterliche Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts vor allem durch das Bundesarbeitsgericht. Damit werden aber nicht alle Situationen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt, sondern nur typische, mit Gefahren regelmäßig verbundene Tätigkeiten erfaßt. Es ist keineswegs so, daß die gefahrgeneigte Arbeit alle Bereiche der Arbeitswelt umfaßt. Notwendig wurde die richterliche Rechtsfortbildung, weil der Gesetzgeber es versäumt hat und bis heute versäumt, ein Arbeitsgesetzbuch bzw. eine eigenständige gesetzliche Haftungsregelung zu schaffen. Das gilt bekanntlich nicht nur für den Bereich der Haftung des Arbeitnehmers, sondern das gilt z. B. auch für das Arbeitskampfrecht. Auch hier haben wir im wesentlichen Rechtsprechung. Rechtspolitisch müssen wir auf dieses Defizit hinweisen. Ich denke, wir können diesen Bereich nicht noch jahrelang der Rechtsprechung überlassen. Ich denke, es gibt noch einen weiteren Gesichtspunkt, der dazu zwingt, daß der Bundestag das Gesetz des Handelns an sich zieht. Die Rechtsprechung - das ist vorhin vielleicht mißverständlich gesagt worden - hat erklärt, daß sie an die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung gelangt ist. So die Aussage nicht nur des Bundesarbeitsgerichtes, sondern neuerdings auch des Bundesgerichtshofs; ich werde gleich darauf noch einmal kommen. Das Bundesarbeitsgericht hat das in einer seiner Entscheidungen am 24. November 1987 gesagt, daß die Rechtsprechung nicht die Kompetenz habe, das Arbeitnehmerhaftungsrecht über den jetzt erreichten Stand hinaus fortzubilden. Es hat diese Aufgabe allein dem Gesetzgeber zugemessen. Auf eine andere Schwäche der Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit hat kürzlich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. September 1989, die Sie vielleicht noch nicht kennen, aufmerksam gemacht, als es um die Frage der Außenhaftung des Arbeitnehmers, also bei Schädigung eines Dritten, nicht des Arbeitgebers, ging und um die Frage, ob er einen entsprechenden Freistellungsanspruch habe, also - mit anderen Worten ausgedrückt - einen Ersatzanspruch gegen seinen Arbeitgeber bei Schädigung eines Dritten habe. Das ist insbesondere dann sehr schwierig, wenn der Arbeitgeber aus irgendwelchen Gründen zahlungsunfähig ist. Ich möchte aus der Urteilsbegründung zitieren: Freilich kann die Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit, solange die Außenhaftung des Arbeitnehmers unberührt bleibt, den von ihr angestrebten Schutz des Arbeitnehmers nur begrenzt erreichen. Weiter heißt es in dem Urteil: Der Senat sieht indes keine Möglichkeit, hier auf dem Boden des geltenden Rechts Abhilfe zu schaffen. Die gegenwärtige Rechtslage ist auch deswegen unbefriedigend, weil die Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit nur einen Teilbereich von Haftungskonstellationen erfaßt und Rechtsunsicherheiten selbst erzeugt. Wir brauchen nur etwa an die Frage der Schadensteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu denken. Was soll man z. B. von einer Formel der Rechtsprechung halten, die im allgemeinen so lautet: Dabei müssen im Einzelfall die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolge nach Billigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen gegeneinander abgewogen werden. Nur bei geringer Schuld des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber derartige Schäden allein zu tragen. Es wird deutlich, daß damit alles andere als Rechtssicherheit verbunden ist. Wir wollen diesen unerträglichen Zustand - auch für den Arbeitgeber, wie ich betonen möchte - beenden und eine klare und verläßliche Regelung an die Stelle der Unsicherheit setzen. Nach unserem Vorschlag haftet der Arbeitnehmer künftig für vorsätzliches Handeln wie bisher unbegrenzt, für grobe Fahrlässigkeit bis zur Höhe von drei Netto-Monatsvergütungen, und bei leichter Fahrlässigkeit soll er nicht mehr haften. Damit entfällt die Unterscheidung zwischen gefahrgeneigter und sonstiger Arbeit, weil diese Unterscheidung zunehmend fragwürdiger wird. Das Risiko für einen Arbeitnehmer ist bei jemandem, der gelegentlich eine verantwortliche Tätigkeit übernehmen muß, genauso groß wie bei einem, der sich jahrelang dieser Tätigkeit widmet. Ein falscher Knopfdruck auf einem Tableau mit vielen Knöpfen, der einen großen Schaden hervorruft, vollzieht sich in derselben Sphäre des Risikos wie ein durch den Gabelstapler verursachter Schaden. Hochtechnisierte Arbeitsabläufe und komplizierte Arbeitsmittel erhöhen das Risiko des Arbeitnehmers, für einen unabsehbaren Schaden aufkommen zu müssen. Unsere Vorschläge - das ist auch noch einmal zu wiederholen - sind nicht alle neu, sondern sie greifen frühere Vorschläge, etwa aus dem Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission von 1977, dem Entwurf zum Arbeitsverhältnisrecht des DGB und der Diskussion auf dem 56. Deutschen Juristentag, auf. Da sind die verschiedenen Modelle schon diskutiert worden. Wir wollen ein entschiedenes Recht, für jeden verständlich und nachvollziehbar. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen kleinen Exkurs am Schluß meiner Ausführungen. Im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten, bekanntlich aus dem Jahre 1794, gab es eine Vorschrift in § 899, die vorsah, daß der gemeine Handarbeiter sowohl gegenüber dem Dingenden - das ist nach unserem Verständnis der Arbeitgeber - als auch gegenüber einem Dritten nur grobes oder mäßiges Verschulden zu vertreten habe, bei culpa levissima, also bei leichtester Fahrlässigkeit, von der Haftung frei sei. - Ich glaube, wir sollten nicht hinter diese Regelung aus dem 18. Jahrhundert zurücktreten. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich gebe jetzt der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin die Möglichkeit zu einer zweiminütigen Kurzintervention. Herr Dr. Hüsch, Sie haben daraufhin die Möglichkeit zu antworten. - Bitte schön.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Frau Präsidentin. Ich nehme die Möglichkeit deswegen gern wahr, weil ich den Eindruck habe, der Grundkonflikt, um den es im Augenblick gehen soll, ist noch nicht so deutlich, und dazu möchte ich gern etwas sagen. Ich denke, alle müssen sich darüber im klaren sein: Arbeitnehmer arbeiten verantwortungsbewußt und keineswegs irgendwie unter Verletzung von Sorgfaltspflichten. Ihnen das zu unterstellen wäre genauso falsch, wie das Gleiche z. B. Arbeitgebern zu unterstellen. Arbeitnehmer arbeiten aber in Verhältnissen, in Arbeitsbedingungen, die sie selbst nicht oder nicht allein festlegen. Arbeitgeber haben das Direktionsrecht, sie haben Weisungsrechte, sie haben die Möglichkeit, die Organisation festzulegen, sie haben die Möglichkeit, viel über das Tempo zu sagen. Deshalb ist es völlig richtig, daß hier individuelle Haftungsregelungen einfach nicht unbesehen übernommen werden können, sondern es geht darum, einen vernünftigen Interessens- und Risikoausgleich im Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu finden. Das ist das Grundanliegen und der Grundkonflikt. Ich bin der Meinung, in den weiteren Gesetzesberatungen können wir dann ruhig offenlegen: Der eine vertritt die Arbeitgeberinteressen, der andere die Arbeitnehmerinteressen. Da gibt es sicherlich auch zwischen Ihnen und mir unterschiedliche Auffassungen. Das kann man offenlegen, nur es geht nicht, daß bestritten wird, daß die Abwägung erforderlich ist, oder daß der Arbeitnehmerseite hier Bequemlichkeit unterstellt wird, wie Sie es getan haben, Herr Hüsch. Lesen Sie es im Protokoll Ihrer Rede nach! Ich denke, bei dieser Risikoabwägung müssen auch zwei hier noch nicht genannte Elemente sehr deutlich zum Ausdruck kommen und auch berücksichtigt werden. Das macht die Rechtsfortbildung durch den Gesetzgeber nötig. Das ist einmal: In den letzten Jahren hat sich die Arbeitsteilung ganz ungeheuer vergrößert und vertieft. Die Leistung des einzelnen wird immer stärker auf Teilbeträge und Teilbestandteile konzentriert. Das verändert nicht nur die Verantwortlichkeit, sondern auch die Möglichkeit, hier bestimmte Sorgfaltspflichten auf Dauer auszuüben, es verändert natürlich auch die Risiken. Ganz kleine Verletzungen haben heute unglaublich große Schäden zur Folge. Herr Kollege Kleinert, ich glaube, das sollten Sie sich auch überlegen, weil ich von Ihnen in der Rechtsfortbildung das eine oder andere wirklich kluge Argument erwarte. Deswegen sind wir der Meinung, daß bei Sorgfaltspflichtverletzungen diese Tatsache berücksichtigt werden muß. Deshalb sind wir für die Begrenzung der Haftungsschäden, wobei wir selbstverständlich über drei Monate, zwei Monate oder vier Monate miteinander reden können. Herzlichen Dank.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Hüsch, bitte.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident, ich nehme die Möglichkeit der Gegenintervention gern wahr. Was Frau Kollegin Däubler-Gmelin offensichtlich nicht wahrhaben will, ist eine Lebenserfahrung, daß es nämlich in jedem Beruf Pflichterfüllung und Pflichtvernachlässigung gibt. Bei den Haftungsfragen müssen wir uns leider mit den Folgen der Pflichtvernachlässigung befassen. Das hat überhaupt nichts mit der Einschätzung des Arbeitnehmers als wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu tun. Wenn Sie mir das unterstellen, so würde ich das aus persönlichen Gründen zurückweisen. Aber Sie folgen der Illusion, daß es, wenn jemand nur einem Stand angehöre, solche Erwägungen eigentlich nicht geben könnte. Zweitens. Ich glaube, ein großer Dissens besteht in der Definition des Arbeitnehmers. Wenn Sie als Arbeitnehmer etwa den typischen Massenarbeitnehmer des Ruhrgebiets nehmen, ist das akzeptiert. Ich habe Ihnen aber drei Fallgestaltungen vorgehalten, wo es sich jeweils auch um Arbeitnehmer handelte, wo aber all das, was Sie aus soziologischen, gesellschaftlichen, arbeitsrechtlichen, arbeitspolitischen Gründen zu Recht anführen, nicht durchgreift. Die Vorhaltung an Ihren Entwurf ist, daß Sie mit dem ganz groben Raster rangehen. Herr Kleinert hat Ihnen - zugegebenermaßen - eleganter geantwortet als ich; er ist eben der bessere Redner. Das ist akzeptiert. Aber es bleibt die Vorhaltung, daß Sie es zu grob machen. Drittens. Ich glaube, daß ein Gesetz auch in der Sache gerecht sein muß, gerecht natürlich auch gegenüber dem Arbeitnehmer unter veränderten Umständen. Aber nicht jeder hat veränderte Umstände. Das Gesetz sollte auch gerecht gegenüber dem Geschädigten sein. Herr Kleinert und ich hatten zu Recht auf den Drittgeschädigten hingewiesen. Letztlich kann man sich viertens nicht völlig von der Überlegung trennen, daß das Haftenmüssen auch eine Frage der Sorgfalt und der Schutzfunktion ist gegenüber dem Arbeitskollegen, der neben einem steht, der dann ja auch irgendwie in die begrenzte Haftung einbezogen wird. Oder es geht etwa im Kraftverkehr um den Dritten. Sie haben sich z. B. nicht dazu geäußert, daß als grobe Fahrlässigkeit mit Haftungsfolgen bezeichnet worden ist, wenn jemand bei Rotlicht in die Kreuzung fährt. Dafür darf es doch eigentlich keine Rechtfertigung und keine EntschulDr. Hüsch digung geben, nicht einmal eine Einschränkung der Haftung; denn hier geht es um Regeln, denen jeder unterliegt, und es ist keine Übertragung einer zusätzlichen Haftung auf den Arbeitnehmer. In dem Kampf geht es darum, die gerechte Abwägung vorzunehmen. Der Hinweis auf die RVO ist völlig falsch, weil sie im Straßenverkehr insofern nicht gilt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir hören als letzten Debattenredner den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Vogt.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD will die Haftung des Arbeitnehmers im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber für die Schäden begrenzen, die der Arbeitnehmer durch betriebliche oder dienstliche Tätigkeiten verursacht hat. Bei der Arbeit können natürlich durch Verschulden des Arbeitnehmers Schäden am Eigentum oder am Vermögen des Arbeitgebers oder bei Dritten entstehen, die dieser dann nach den Regeln des bürgerlichen Rechts ersetzen müßte. Das wurde schon frühzeitig als unbillig anerkannt, einerseits weil das Schadenspotential bei der Arbeit weitaus größer ausfallen kann als im privaten Bereich und andererseits weil die Möglichkeiten des Arbeitnehmers zu einem Schadensausgleich eher gering sind. Die Arbeitnehmerhaftung muß sich deshalb an den besonderen Gegebenheiten des Arbeitslebens orientieren. Das führt zwangsläufig zu Abweichungen von den allgemeinen Haftungsgrundsätzen des bürgerlichen Rechts. Es ist daher grundsätzlich sinnvoll und auf längere Sicht auch geboten, die Arbeitnehmerhaftung ebenso wie zahlreiche andere Fragen des Arbeitsvertragsrechts durch Gesetz zu regeln. Auf diesem sensiblen Feld ist aber vor unüberlegten politischen Schnellschüssen zu warnen. Die Grundlagen der Arbeitnehmerhaftung würden durch den Gesetzentwurf der SPD wesentlich verändert, ohne daß für das vorgeschlagene Konzept der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung eine allgemeine Rechtsüberzeugung feststellbar ist. Eine solche Änderung wirft viele Fragen auf, die noch keineswegs ausdiskutiert sind. Ihre Beantwortung bedarf noch eingehender fachlicher Erörterungen. Dabei muß nicht zuletzt auch ein sachgerechter, angemessener Ausgleich der hier aufeinanderstoßenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gefunden werden. Zur näheren Beleuchtung dessen will ich nur auf zwei Kernpunkte des Gesetzentwurfes eingehen: Zum einen will die SPD die Schadenersatzpflicht des Arbeitnehmers nur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken. Diese engen Haftungsvoraussetzungen schließen eine Arbeitnehmerhaftung in weitgehendem Maße aus. Auf eine Prüfung im Einzelfall käme es dann bei normaler Fahrlässigkeit nicht mehr an. Wenn aber der Arbeitnehmer bei jedem nicht grobfahrlässigen Verhalten nicht mehr schadenersatzpflichtig ist, stellt sich die Frage, ob nicht dadurch die vorbeugende Aufgabe der Haftung verlorengeht. ({0}) Wird dann - diese Frage muß man sich stellen - der Arbeitnehmer noch zur Sorgfalt angehalten, Schäden am Eigentum oder Vermögen des Arbeitgebers, von Arbeitskollegen oder Dritten zu vermeiden? Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner jahrzehntelangen Rechtsprechung bei gefahrgeneigten Tätigkeiten des Arbeitnehmers bereits die Haftung nach folgenden Grundsätzen eingeschränkt: keine Haftung bei leichtester Fahrlässigkeit, volle Haftung bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz, anteilige Haftung bei normaler Fahrlässigkeit, wobei die Gesamtumstände von Schadenanlaß und Schadensfolge abzuwägen sind. Die Bewertung dieser Rechtsprechung durch die Opposition als „Weg in den Ruin" für die einzelnen Arbeitnehmer und deren Familien kann ich nicht teilen. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann man sicher noch verbessern, aber sie kann insgesamt nicht als ungerecht angesehen werden. Besonders betonen möchte ich an dieser Stelle, daß nicht zur Debatte steht, ob der Arbeitnehmer für jeden mit normaler Fahrlässigkeit verursachten Schaden voll haften soll. Ziel einer gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist es vielmehr, den Arbeitnehmer vor Schadenersatzpflichten zu bewahren, die sein und seiner Familie Leben unvertretbar belasten und seinen Lebensstandard, gemessen am Arbeitsentgelt, unangemessen und möglicherweise auf lange Zeit unzumutbar beeinträchtigen würden. Diese Zielsetzung erfordert aber nicht notwendigerweise, die Haftung für jedes normal fahrlässige Verhalten völlig auszuschließen. Der Gesetzgeber kann deshalb nicht an der Frage vorbeigehen, ob man nicht auf der Basis der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Wege weiterer Rechtsfortbildung zu einer angemesseneren Lösung kommen kann. Richtig ist, daß das Anknüpfen der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung an gefahrgeneigte Tätigkeiten, wie sie bisher die Rechtsprechung vorgenommen hat, mehr als zweifelhaft ist. Der Begriff der Gefahrgeneigtheit ist wenig konkret, und deshalb ist eine Abgrenzung schwierig. Außerdem sind mir auch Fälle bekannt, in denen die Rechtsprechung keine gefahrgeneigte Tätigkeit angenommen hat, die volle Haftung des Arbeitnehmers aber gleichwohl unangemessen war. Das zeigt, wie vielschichtig und zum Teil schwierig die Fragestellungen sind. Es erscheint deshalb sinnvoll, sie zunächst gründlich aufzuarbeiten und dazu Sachverständige zu hören, bevor der Gesetzgeber entscheidet. Dafür spricht weiterhin, daß in dieser Frage keine einheitliche Rechtsüberzeugung besteht. Die Problematik ist - keineswegs abschließend - bereits auf dem Deutschen Juristentag 1986 erörtert worden. Im übrigen, meine Damen und Herren, ist dieses Vorhaben nicht vordringlich. Es herrscht ja kein Chaos, bei dem ein vorschnelles Ziehen der Not15292 bremse erforderlich wäre. Wie ich aufgezeigt habe, hat zum einen die Rechtsprechung bereits weitgehend sinnvolle Wege zur Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung gefunden. Zum anderen sollte man die praktische Bedeutung nicht überschätzen. Es ist bekannt, daß die Arbeitgeber einen Arbeitnehmer in der Regel nur in den Fällen auf Schadenersatz in Anspruch nehmen, in denen dem Arbeitnehmer wegen der Schwere seines Fehlverhaltens auch gekündigt wird. In den übrigen Fällen machen die Arbeitgeber Schadenersatzansprüche kaum geltend. Es fällt der SPD als Opposition leicht, eine solche gesetzliche Regelung vorzuschlagen. Doch hat sie, wie schon erwähnt, in ihrer dreizehnjährigen Regierungsverantwortung eine solche Regelung nicht verabschiedet, ({1}) obwohl die damalige Rechtssituation die gleiche war wie heute. ({2}) Die jetzt von der SPD kritisierte Rechtsprechung und die betriebliche Praxis geben keinen Anlaß, diese Frage nun auf einmal vordringlich zu behandeln. Der Sache wäre mehr gedient, wenn über gesetzliche Regelungen der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung in der nächsten Legislaturperiode befunden würde. ({3}) Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Was soll man darauf antworten? Ich schließe die Debatte. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5086 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Dagegen hat niemand etwas. Dann ist das so beschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 7. März 1990, 13 Uhr. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.