Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/7/1990

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Themen der Kabinettsitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Zum Thema „Deutschlandpolitische Fragen" wird vorgeschlagen, daß der einleitende Bericht von den Bundesministern Seiters, Waigel und Haussmann gegeben wird. Ich denke, das findet Ihr Einverständnis. Ich gebe das Wort zum einleitenden Bericht zunächst dem Kanzleramtsminister, Herrn Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Minister:in)

Politiker ID: 11002156

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß wir uns so verständigt haben. Das Kabinett hat heute vorrangig die deutschlandpolitischen Fragen erörtert. An der Sitzung nahm auch der Präsident der Bundesbank, Pöhl, teil. Die Entwicklung in der DDR hat sich in den letzten Wochen dramatisch beschleunigt. Die Frage der Einheit Deutschlands ist das beherrschende Thema geworden. Alle politischen Kräfte in der DDR bekennen sich mittlerweile zu diesem Ziel. Auch Ministerpräsident Modrow hat unter dem Druck der Entwicklung erkannt, daß die Perspektive der staatlichen Einheit nicht verschlossen werden darf, und hat sich unter dem Druck dieser Entwicklung in seiner am 1. Februar vorgeschlagenen Konzeption für den Weg zu einem einheitlichen Deutschland dieses Ziel zu eigen gemacht. Die Bundesregierung beabsichtigt, unverzüglich nach der Wahl in der DDR am 18. März 1990 und der Bildung einer neuen Regierung Gespräche über die konföderative Zusammenarbeit der beiden Staaten in Deutschland aufzunehmen. Wir streben eine organische Entwicklung beim Zusammenwachsen beider Staaten an. Schon vorher werden angesichts der erheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in der DDR und auch angesichts des anhaltenden Übersiedlerstroms in die Bundesrepublik - 58 000 im Monat Januar - Entscheidungen erforderlich. Um die notwendigen Schritte vorzubereiten, hat das Kabinett beschlossen, einen Kabinettsausschuß „Deutsche Einheit" einzusetzen. Den Vorsitz führt der Bundeskanzler, in seiner Vertretung der Chef des Bundeskanzleramtes. Ständige Mitglieder dieses Ausschusses sind der Außenminister, der Innenminister, der Justizminister, der Finanzminister, der Wirtschaftsminister, der innerdeutsche Minister, der Arbeitsminister und der Umweltminister. Weitere Kabinettsmitglieder nehmen teil, soweit Fragen aus ihrem Zuständigkeitsbereich behandelt werden. Der Kabinettsausschuß wird heute zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. In Arbeitsgruppen unter Beteiligung weiterer Ressorts und Sachverständiger auch außerhalb der Bundesregierung, insbesondere auch der Bundesbank, wird er die notwendigen Schritte und Entscheidungen zur schrittweisen Herstellung der deutschen Einheit vorbereiten. Dabei geht es insbesondere um folgende Problembereiche: Bildung einer Währungsunion, Finanzfragen - Federführung BMF - , Entwicklung der Wirtschaftsreform, Energie und Umwelt, Infrastruktur in der DDR - Federführung BMWi - , Angleichung der Arbeits- und Sozialordnung sowie der Bildung und Ausbildung - Federführung BMA -, Rechtsfragen, insbesondere Rechtsangleichung - Federführung BMJ - , Staatsstrukturen und öffentliche Ordnung - Federführung BMI - , außen- und sicherheitspolitische Zusammenhänge - Federführung Auswärtiges Amt. Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus bereit erklärt, mit der DDR unverzüglich in Verhandlungen über eine Währungsunion mit Wirtschaftsreform einzutreten. So weit, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mein Kurzbericht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich erteile jetzt dem Herrn Bundesminister Waigel das Wort.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was der Kollege Seiters am Schluß über die Währungsunion und eine damit unabdingbar verbundene Wirtschaftsreform gesagt hat, entspricht nicht einem Wunsch-, sondern einem Realitätsszenario, das man ganz nüchtern sehen muß. Es ist ein Angebot an die DDR, angesichts krisenhafter Zuspitzung und der Tatsache, daß die D-Mark in der Bevölkerung der DDR bereits zu einem bevorzugten Zahlungsmittel geworden ist. Voraussetzungen hierfür sind schlagwortartig: ein Kassensturz, die völlige Offenlegung der notwendigen volkswirtschaftlichen Daten wie Außenverschuldung, Staatsverschuldung, Geldumlauf und Verschuldung der Staatsunternehmen, unumkehrbare Vereinbarungen zur Einführung der Marktwirtschaft - darauf wird der Kollege Haussmann eingehen -; die Bundesbank muß Herr des Geldumlaufs sein; die Währungsunion mit der DDR darf nicht zu Lasten der Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland gehen. Die Einführung der D-Mark als Zahlungsmittel, wenn die DDR das will, soll den Menschen Vertrauen und Perspektive geben, daß es sich lohnt, in der DDR zu bleiben. 40 Jahre Mißwirtschaft des Sozialismus lassen sich nicht - das weiß jeder - mit einem Federstrich beseitigen. Die wichtige Frage des richtigen Umstellungskurses für die Ost-Mark muß unter Abwägung politischer und ökonomischer Faktoren entschieden werden. Das bedarf genauer Prüfung. In diesem Zusammenhang könnte auch an die Möglichkeit der Ausgabe von Volksaktien und Beteiligungswerten am öffentlichen Vermögen, an Wohnungen, Grundstücken und ähnliches mehr gedacht werden. Diese Umstellung - darüber muß sich jeder im klaren sein - verlangt eine große Gemeinschaftsleistung bei uns und in der DDR. Den Hauptbeitrag für die ganze Umstellung der Rechts- und Wirtschaftsordnung muß die DDR leisten. Sie muß hierfür auch die entsprechenden Voraussetzungen oder Beschlüsse herbeiführen. In der Bundesrepublik müssen wir auch zu finanziellen Beiträgen für wirtschaftliche Hilfe und die soziale Absicherung bereit sein. Es gibt hierzu eine weitreichende, nahtlose sachliche Übereinstimmung zwischen dem Bundeswirtschaftsminister, mir, dem Sachverständigenrat und auch - nach einem umfassenden Gedankenaustausch heute - mit dem Präsidenten der Bundesbank, Herrn Pöhl. Natürlich wären uns andere zeitliche Abläufe in einem Stufenprogramm mit Übergangsmöglichkeiten lieber gewesen. Der Bundeswirtschaftsminister hat auf die richtige Reihenfolge der Schritte hingewiesen. Aber ein längerer Zeitraum erfordert Geduld, politische Autorität und viel Kraft. Die politische Szenerie und die politische Landschaft in der DDR entwickeln sich zum Teil anders. Wir müssen uns auf den Verfall politischer Autorität und politischer Entscheidungskraft realistisch einstellen. Wir müssen rechtzeitig politische Antworten auf alle denkbaren Entwicklungen vorbereiten. Wir müssen Herr des politischen Verfahrens bleiben. Es ist auch ein Signal und ein Appell an die Menschen in der DDR, in ihrer Heimat zu bleiben und bei der Überwindung dieser unumgänglichen Reformen mit einer langfristig guten Perspektive mitzuarbeiten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke schön. Herr Bundesminister Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister beteiligt sich in enger Abstimmung mit dem Finanzminister und mit der Deutschen Bundesbank an unmittelbaren Verhandlungen mit der DDR. Wir haben zum Ziel, unmittelbar nach dem Wahltag am 18. März entscheidende marktwirtschaftliche Reformen mit der DDR zu vereinbaren. Der bisherige Weg über die Übergangsregierung in der DDR hat leider zu keinem Erfolg geführt. Wir haben bedauerlicherweise viel Zeit verloren. Deshalb ist der heutige Kabinettsausschuß von größter Wichtigkeit, als Signal für die Menschen in der DDR, aber auch als Signal für Investoren in der DDR. Es ist dringend notwendig, daß eine stärkere währungspolitische Integration eng und unumkehrbar mit marktwirtschaftlichen Reformen auf folgenden Gebieten gekoppelt wird: erstens Herstellung von wirklicher Gewerbefreiheit, zweitens uneingeschränktes Bekenntnis zum Privateigentum, drittens Investitionsfreiheit, viertens Steuerreform und fünftens eine Preisreform. Ich bin der Meinung, daß die DDR gute Voraussetzungen, die besten Voraussetzungen in Osteuropa hat. Sie hat die Menschen; sie hat die Motivation. Wir, die Bundesrepublik, haben das Wissen. Die Privatwirtschaft hat das Kapital, so daß nach einer nicht einfachen Übergangsphase ein deutsch-deutsches Wirtschaftswunder durchaus möglich ist. Dies halte ich für eine entscheidende Perspektive für die Menschen, in ihrer Heimat zu bleiben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke schön. Als erste Fragestellerin Frau Matthäus-Maier, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Waigel und Herr Minister Haussmann, wir begrüßen, daß Sie in der wichtigen Frage der Währungsunion mit der Einführung der D-Mark auch in der DDR die Position der SPD übernommen haben. ({0}) Manches kam mir aus unseren Vorschlägen wörtlich bekannt vor. ({1}) - Wenn wir einmal etwas begrüßen, warum rufen Sie dann dazwischen? Wir sind ja gewöhnt, daß Sie immer meckern, aber jetzt begrüßen wir etwas. Was ist Ihre zeitliche Vorstellung? Was wird unmittelbar in den nächsten Tagen und Wochen geschehen, um den Bürgern in der DDR dieses Hoffnungssignal zum Bleiben deutlich zu machen, und wie hat sich Bundesbankpräsident Pöhl im Kabinett hierzu geäußert?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Waigel!

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Es stimmt nicht, daß wir die Position der SPD übernommen haben, sondern, Frau Kollegin Frau Matthäus-Maier, wir haben Gott sei Dank Ihr Interventionsmodell zu Recht immer abgelehnt, ein Modell, das zu verheerenden Konsequenzen geführt hätte, wenn nämlich die Deutsche Bundesbank die Ostmark hätte stabilisieren müssen, ohne daß vorher eine umfassende Geldmengenpolitik überhaupt hätte stattfinden können. ({0}) Darum ist es gut, daß Sie sich fortentwickelt haben und sich unseren begründeten sachlichen Argumenten angeschlossen haben. ({1}) Insofern begrüße ich es, daß Sie die Meinung und die Grundsatzposition der Bundesregierung begrüßen. Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir werden in den nächsten Tagen das Gespräch zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow in der nächsten Woche intensiv vorbereiten und auch das Szenario dafür entwickeln. Ich habe ja in dieser Woche dem Bundeskabinett den Nachtragshaushalt vorgelegt, der allein ein Volumen von etwa 7 Milliarden DM nicht allein, aber weitgehend für diese Fragen beinhaltet. Alles weitere läßt sich heute nicht quantifizieren. Wir sind allerdings der Meinung, daß es keinen Sinn hat, jetzt erhebliche öffentliche Mittel in Strukturen zu investieren, die nicht eine Fortentwicklung dessen bedeuten, was für die Menschen in der DDR unumkehrbar notwendig ist. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Haussmann? - Bitte schön.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Ich will das nur kurz ergänzen: Wir haben heute im Bundeskabinett - meines Erachtens zu Recht - keinen Zeitplan vereinbaren können, denn nach wie vor hängt eine engere wirtschafts- und währungspolitische Zusammenarbeit von Entscheidungen der DDR selbst ab. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Waigel, nachdem sich das Kabinett in der Frage der deutsch-deutschen Währungsunion mit Einführung der Westmark auch in der DDR ja entscheidend bewegt hat, was wir begrüßen, frage ich Sie, nachdem Sie gerade den Nachtragshaushalt angesprochen haben: Sind Sie nicht bereit, sich auch in der Frage der Soforthilfen für die DDR beim Nachtragshaushalt entscheidend zu bewegen, damit die Menschen drüben ein zusätzliches Hoffnungssignal erhalten, nachdem wir ja Geld zur Verfügung hätten, wenn Sie endlich an den 54 Milliarden DM umfassenden Verteidigungshaushalt herangehen würden, aus dem Sie keine müde Mark nehmen wollen? ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Es tut mir leid, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß eine an sich schätzenswerte Kollegin hier immer wieder auf das Mittel der Demagogie verfällt und meint, diese Dinge miteinander vermischen zu sollen. Wir schaffen die notwendigen Voraussetzungen für die Soforthilfe. Es geschieht mehr, als in dem Nachtragshaushalt enthalten ist, wenn ich nur an den ganzen Ausbau der Telekommunikation denke, der natürlich aus den Posterträgen finanziert wird. Ich habe in diesen Nachtragshaushalt sehr bewußt einen Globaltitel von 2 Milliarden DM eingesetzt, um auch für Herausforderungen der nächsten Monate, die heute noch nicht zu quantifizieren sind, gewappnet zu sein.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der anhaltende Aussiedlerstrom zwingt ja die Bundesregierung dazu, nun sehr viel rascher, als es ursprünglich vorgesehen oder geplant war, im Bereich der Währungsunion und auch der Wirtschaftsreformen voranzukommen. Ich möchte fragen, ob es nicht nötig wäre, nicht nur auf diesem Wege zu versuchen, den Aussiedlerstrom womöglich zu stoppen, sondern gleichzeitig und parallel dazu die Übersiedler, die ja keine Flüchtlinge mehr sind, sondern Menschen, die umziehen, auch in ihren sozialen Möglichkeiten wirklich anderen Bundesbürgern, die umziehen, ganz genau gleichzustellen, d. h. Konsequenzen in der Frage zu ziehen, welche sozialen Leistungen sie beanspruchen können und welche nicht. Meiner Ansicht nach wird es nämlich nur dann gelingen, einer Katastrophe durch weitere Aussiedlerströme gegenzusteuern, wenn wir zweigleisig fahren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär Vogt.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Frau Kollegin, auch im sozialen Bereich kommt es auf Grund der Entwicklung heute darauf an, nicht Maßnahmen zu ergreifen, die morgen schon überholt sind. Vielmehr kommt es darauf an, Maßnahmen so einzuleiten, daß die sozialen Sicherungssysteme aufeinander zugehen können. Deshalb steht der Bundesarbeitsminister schon seit einiger Zeit mit seinem Partner, nämlich dem Minister für Arbeit und Löhne, im Gespräch darüber, wie eine Arbeitsverwaltung in der DDR aufgebaut werden kann, welche Hilfen zur beruflichen Bildung geleistet werden können und welche soziale Sicherung für Arbeitslose in der DDR aufgebaut werden kann. Ich erinnere darüber hinaus daran, Frau Kollegin, daß wir auf dem Gebiet des Eingliederungsgeldes eine Maßnahme ergriffen haben, nämlich daß das Arbeitslosengeld und Krankengeld durch das Eingliederungsgeld ersetzt worden sind. Ich erinnere daran, daß verschiedene Maßnahmen im Bereich des Fremdrentenrechts vom Bundestag am 9. November beschlossen worden ist. Über weitergehende Maßnahmen wird eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Bundesregierung und der Fraktionen von CDU/CSU und FDP, Vorschläge in Kürze dem Hause vorlegen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, aber der erste Teil Ihrer Antwort bezog sich überhaupt nicht auf meine Frage. Ich wiederhole meine Frage ganz präzise: Ist es nicht notwendig, so rasch als möglich Übersiedler aus der DDR in allen Punkten so zu behandeln wie andere Deutsche, die innerhalb der Bundesrepublik umziehen? Das ist die präzise Frage, ({0}) und das ist die Gretchenfrage, die zu beantworten ist, wenn wir den Aussiedlerströmen begegnen wollen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär Vogt.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Frau Kollegin, Sie werden in diesem Bereich natürlich sorgfältig prüfen müssen, ob Sie Übersiedler auf der einen Seite und Aussiedler auf der anderen Seite schlechter oder anders stellen können. ({0}) Frau Kollegin, Sie müssen das Verhältnis zwischen beiden Gruppen sehen. Unser Bemühen ist es gerade - das schlägt sich im Eingliegerungsgeldgesetz und im Rentenstrukturreformgesetz auch nieder - , Besserstellungen für Aussiedler und Übersiedler - sollten sie vorgekommen sein - abzustellen. Wir sind in der Arbeitsgruppe von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen dabei, andere Fälle zu prüfen und Lösungsvorschläge auf diesem Gebiet vorzulegen; denn unsere Absicht ist es, auch auf diesem Gebiet in der Reihenfolge zu bleiben: erstens alles zu tun, damit die Bürger der DDR in ihrer Heimat bleiben und nicht übersiedeln; zweitens, durch entsprechende Maßnahmen die Akzeptanz von Übersiedlern und Aussiedlern im Gebiet der Bundesrepublik weiter aufrechtzuerhalten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ungeachtet dessen, daß wir begrüßen, daß Sie sich unseren Vorschlägen zur Währungsunion angeschlossen haben, möchte ich die Tatsache ansprechen, daß geschätzt wird, daß zur Zeit etwa drei Millionen Menschen in der DDR übersiedlungswillig sind, also praktisch auf gepackten Koffern sitzen. Wir wissen, daß sich die Währungsunion nur mittelfristig auswirkt; es wird eine gewisse Zeit dauern, bis sich das umsetzt. Glauben Sie wirklich, daß Sie mit den angekündigten Mitteln des Nachtragshaushalts, die Sie am Montag abend der Presse nichtöffentlich bekanntgegeben haben, das Problem der Übersiedler und das Problem des Zuwanderns in die Bundesrepublik Deutschland beherrschen können? Glauben Sie nicht, daß Sie erheblich mehr Mittel beispielsweise zur Wohnungssanierung, beispielsweise im sozialpolitischen Raum in der DDR in die Hand nehmen müssen, um diese Übersiedlungen zu stoppen?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Zunächst, Herr Kollege Roth, halte ich es für einen ganz schlechten Beitrag, wenn Sie oder andere Kollegen der SPD das, was von der DDR an Forderungen an uns herangetragen wird, sofort unterstützen, bejahen und als richtig erkennen. Ich finde, das ist ein ganz schlechter Beitrag. ({0}) Ein zweites. Sie werden natürlich in jedem Einzelfall begründete Anliegen an uns herantragen können. Wenn aber die Erfüllung dieser Anliegen nicht zur Änderung des Systems, zur Änderung der Wirtschaftsordnung führt, dann ist das nur ein Faß ohne Boden. Das hilft dann nicht weiter, und darum sind Ihr Rat und Ihre Empfehlung hier auch nicht weiterführend. ({1}) Ein letztes. Eines, Herr Kollege Roth, dürfte zwischen uns unbestritten sein: Mit der Wirtschaft und den Finanzen, sie Sie uns 1982 hinterlassen haben, ({2}) hätten wir diese große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, mit Sicherheit nicht bewältigen können. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Weitere Zusatzfrage, Herr Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, es ist zutreffend, daß ich hier im Parlament Forderungen vortrage, die aus der DDR stammen, beispielsweise Forderungen aus den Reihen der SPD, einer Partei, die am 6. Oktober 1989 unter Verfolgung durch den Stasi gegründet worden ist und die uns beispielsweise sagt: Helft schnell, sonst verlassen mehrere Millionen Menschen die DDR! Diese Forderung nehmen wir hier auf. ({0}) Noch einmal die Frage: Helfen Sie durch den Bundesetat mit, beispielsweise die soziale Lage der Rentner in der DDR zu verbessern, an den Häusern in der DDR die Dächer dichtzumachen, die Straßen- und Verkehrsverhältnisse zu verbessern, helfen Sie da mit, oder bleibt es bei der einen Milliarde, die erneut im Nachtragshaushalt, der von Ihnen angekündigt ist, für praktische Maßnahmen in der DDR vorgesehen wird?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Erstens stimmt Ihre Feststellung nicht, daß das eine Milliarde sei. Zum zweiten haben Sie zum Teil die Forderungen der Frau Ministerin Luft unterstützt. Wenn Sie sich jetzt auf Forderungen der SPD drüben in der DDR beziehen, dann ist das genauso falsch und zeigt auch, daß Ihre Freunde in dem Punkt noch nicht das Entscheidende dazugelernt haben. ({0}) Zum dritten will ich Ihnen sagen, daß wir genau die These von Ihnen, Punkt um Punkt ohne zusammenhängendes Konzept zu bezahlen, nicht übernehmen, sondern zu Opfern und Leistungen bereit sind, wenn sie wirklich dazu führen, den Menschen drüben eine langfristige Verbesserung zu bringen. Das ist aber bei dem Fleckerlteppich, den Sie in wirtschafts- und währungspolitischen Forderungen bisher geboten haben, als Konzept nicht erkennbar. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Westphal.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Finanzminister, meinen Sie nicht, daß die Zeitspannen, die Sie brauchen würden, um alle Vorbedingungen erfüllt zu haben, so lang sind, daß in der Zwischenzeit all die Kosten, die sie durch ordentliches Handeln einsparen wollen, längst vorher eingetreten sind? Das ist der erste Teil meiner Frage. Das heißt also, daß wir dieses Loch, das dadurch entsteht, daß für die Bürger in der DDR noch keine erkennbaren Leistungen vorhanden sein werden, eben bei uns durch die Masse neuer Übersiedler als Kosten erleben werden. In diesem Zusammenhang stelle ich die weitere Teilfrage: Wenn Sie sich vorstellen, daß wir nach dem 18. März zu unserer großen Freude und Genugtuung drüben ein demokratisch gewähltes Parlament haben werden, und sich aus eigener Kenntnis hier vorstellen, wie lange ein Gesetz zur Durchsetzung der Gewerbefreiheit, über eine Steuerreform und was Sie noch alles aufgezählt hatten, braucht, bis es in Kraft tritt, meinen Sie nicht, daß dann das Loch schon derartig groß wäre, daß alles das, was Sie nachher hineinstekken wollen, vernünftigerweise vorher gezahlt werden muß? Wir müssen jetzt da heran, Herr Finanzminister! ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Finanzminister Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege Westphal, wenn Sie diese Aufforderung vor allen Dingen an alle Kräfte in der DDR richten würden. Denn eines muß klar sein: Die Hauptverantwortung, um diese Dinge möglichst schnell durchzuführen, liegt bei der DDR und den Verantwortlichen für heute und für morgen. Wir können diese Verantwortung nicht vorwegnehmen. Sie können nicht beides wollen, auf der einen Seite möglichst lange die Zweistaatlichkeit und auf der anderen Seite den Abbau der Souveränität in einem ganz entscheidenden Gebiet. ({0}) Darüber muß sich die DDR selber im klaren sein, was sie will, ob sie handlungsfähig ist, um die Gesetzesbestimmungen, um die Gesetzesänderungen selber durchzuführen; wenn sie dazu nicht in der Lage ist, dann müßte sie erklären, ob sie jedenfalls einen Teil der Rechtsetzung der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema übernimmt. Wir können das nicht vorwegnehmen, denn das stünde im Widerspruch zu Ihrer sonstigen Forderung, Rücksicht auf die Souveränität und die Selbständigkeit der DDR-Seite zu nehmen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister Seiters, Sie sprachen vorhin zu Recht von einer organischen Entwicklung, in deren Rahmen die Währungsunion ihren Platz hat, mit der Zielsetzung staatliche Einheit, wie sie jetzt auch gerade Bundesfinanzminister Waigel angesprochen hat. Sind Sie denn mit mir der Auffassung, daß dies zum einen unsererseits natürlich ein hohes Maß an finanziellen Unterstützungen, an Integrations- und Angleichungsmaßnahmen bedarf, daß dieses Szenario aber auf der anderen Seite, wenn es zur staatlichen Einheit hinführen soll, auch vor dem Hintergrund der Leistungsbereitschaft unserer Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland nur dann einen Sinn abgibt, wenn auch seitens der DDR-Regierung vor wie auch nach dem 18. März deutlich gemacht wird, daß auch sie das Szenario mit der Zielsetzung staatliche Einheit sieht?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Minister:in)

Politiker ID: 11002156

Ich bin in der Tat dieser Auffassung. Ich möchte noch einmal unterstreichen, was der Bundesfinanzminister hier erklärt hat. Das Entscheidende ist ({0}) - das ergeben alle Gespräche, die wir alle miteinander auch mit den Menschen in der DDR führen - , daß sehr schnell die Perspektive für Rechtsstaatlichkeit in der DDR geschaffen wird, daß zweitens sehr schnell die Perspektive auf bessere materielle Lebensbedingungen geschaffen wird und daß drittens auch sehr schnell die Perspektive einer staatlichen Einheit Deutschlands geschaffen wird. Was wir immer gesagt haben, ist doch eingetreten. Die Entwicklung hat doch uns recht gegeben und nicht denen, die die Wiedervereinigung als Lebenslüge der zweiten Republik erklärt haben. Uns hat die Entwicklung recht gegeben. ({1}) Und deswegen sage ich: Betrachten wir bitte diese Dinge im Gesamtzusammenhang. Auch die Perspektive der staatlichen Einheit Deutschlands gehört zu den Hoffnungen, die die Menschen dort verwirklicht sehen wollen, und wer diese Hoffnungen schmälert, indem er die Zweistaatlichkeit festschreiben will oder die Wiedervereinigung oder die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands mit abqualifzierenden Bemerkungen versieht, der fördert die Resignation. Und das ist das, was wir überhaupt nicht gebrauchen können. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme noch einmal auf die Frage der Kollegin Hamm-Brücher zurück, die ja ganz einfach gefragt hat, inwieweit die Verhältnisse für DDR-Bürger denen der Bundesrepublik gleichgesetzt werden sollen. Nun haben wir gehört, daß der Staatssekretär im Arbeitsministerium erklärt hat, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das mit seinem Partner, dem DDR-Minister für Arbeit und Löhne, verhandele. Meine erste Frage ist: Herr Vogt, wie steht Ihre Aussage hier vor dem Plenum im Zusammenhang mit derjenigen Ihres Kollegen Jagoda vor vierzehn Tagen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auf eine ähnliche Frage, die damit beantwortet wurde: Wir haben alles auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl wir wissen, daß unser Gesprächspartner dafür gar nicht zuständig ist? Zweitens. Um das zu präzisieren, was die Kollegin Hamm-Brücher wohl gemeint hat, darf ich fragen, ob Sie die seit gestern bekannte Initiative der baden-württembergischen Landesregierung, nämlich die Mehrfachförderung für die Neuanschaffung von verlorenem Hausrat, die Erstattung der Kosten für die Fahrt zwischen bisherigem Wohnort und der bundesdeutschen Grenze sowie die Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz zu streichen, beabsichtigen, ob Sie die Überarbeitung des Lastenausgleichsrechts beabsichtigen, ob Sie die Überprüfung der Wohnungsförderungsprogramme, der Existenzgründungsdarlehen, der Ausbildungsförderung, der erhöhten Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau und Sonderregelungen bei der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung beabsichtigen. Steht das, was Sie hier in Richtung der Kommission auf den Weg gegeben haben, in Deckungsgleichheit mit den Vorstellungen der baden-württembergischen Landesregierung?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege Dreßler, ich habe auf den Gesprächspartner, den Minister für Arbeit und Löhne, im Zusammenhang mit der Frage des Aufbaus einer Arbeitsverwaltung, der Frage der beruflichen Qualifizierung und der Frage der Schaffung eines Arbeitslosenversicherungssystems hingewiesen, nicht im Zusammenhang mit Fragen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der gesetzlichen Rentenversicherung oder des Gesundheitsabkommens, das Ihre Regierung 1974 mit der DDR abgeschlossen hat. Deshalb gibt es keinen Widerspruch zwischen dem, was mein Kollege Jagoda im Ausschuß gesagt hat und dem, was ich hier gesagt habe. Zweitens. Als ich nach der Sommerpause 1989 im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung das Eingliederungsgeldgesetz in der Konzeption vorgestellt habe, in dem Regelungen angesprochen sind, die Sie jetzt in Frage stellen, ist mir von Mitgliedern Ihrer Fraktion vorgehalten worden: Jetzt geht es wohl an das Geld der Aussiedler, jetzt greift Sozialabbau bei Aussiedlern statt. - Die Kollegen aus dem Innenausschuß haben die gleichen Erfahrungen gemacht. Sie haben dann diesem Gesetz im Ausschuß nicht zugestimmt. Sie haben dieses Gesetz im Deutschen Bundestag mit Ihren Stimmen angenommen, ({0}) und alle sozialdemokratisch regierten Länder haben diesem Gesetz im Bundesrat zugestimmt. Heute führen Sie eine Debatte darüber, daß die Leistungen, die in diesem Gesetz vorgesehen sind, zu hoch sind. Sie müssen sich schon einmal entscheiden, welche politische Linie Sie vertreten. ({1}) Ich meine, Herr Kollege, es macht wirklich keinen Sinn, wenn es uns darum Ernst ist, ({2}) Zeichen zu setzen, damit die Bürger der DDR in ihrer Heimat bleiben, und die Akzeptanz derjenigen zu fördern, die zu uns kommen, solche Diskussionen zu führen, wie Sie sie jetzt eingeleitet haben. ({3}) Gestatten Sie mir eine dritte abschließende Bemerkung. Herr Kollege Dreßler, Sie wissen genauso gut wie ich, daß es etwa in der Frage der Alterssicherung entsprechend dem Wohlstandsgefälle zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein Nettorentenniveau mit erheblichen Unterschieden gibt. Genauso wie es unsere Aufgabe war, beim Eingliederungsgeld ein Niveau zu finden, das die Anspruchsberechtigten nicht auf die Sozialhilfe verweist, werden wir auch beim Zusammenwachsen der sozialen Sicherungssysteme sorgfältig auf diesen Gesichtspunkt achten müssen. Ich darf Sie nur bitten, Herr Kollege Dreßler: Lesen Sie einmal das, was das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Düsseldorf zu diesem Komplex geschrieben hat. Dieses Ministerium hat die Maßnahmen, die nach Meinung dieses Ministeriums für Aussiedler auf jeden Fall bestehenbleiben müssen, und diejenigen, die gestrichen werden können, aufgelistet. Wenn ich das einmal vorläse, würden Sie sehen, welch erhebliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Diskussion über angebliche Bevorzugungen von Aussiedlern und Übersiedlern auf der einen Seite ({4}) und auf der anderen Seite den Ankündigungen, auf welchem Gebiet Maßnahmen erforderlich sind, besteht. Ich appelliere wirklich, daß wir uns an diesen beiden Zielen gemeinsam orientieren, nämlich Zeichen der Hoffnung für die Bürger der DDR zu setzen, daß sie in ihrer Heimat bleiben, aber auch wirklich Bereitschaft zu zeigen, bei Anpassung der Gesetze dafür zu sorgen, daß es bei der Akzeptanz der AusParl. Staatssekretär Vogt Siedler und Übersiedler in der Bundesrepublik Deutschland bleibt. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sollte es Ihnen entgangen sein, daß ich Ihnen einen Forderungskatalog des baden-württembergischen Ministerpräsidenten vorgetragen habe und Sie gebeten habe, dazu Stellung zu nehmen, ob die Bundesregierung dieser Auffassung folgt? Sie haben mir jetzt so geantwortet, als ob ich diese Fragestellungen und Forderungen aufgestellt hätte. Ich habe Sie erstens gefragt - ich wiederhole das - , ob das, was Sie mir gerade gesagt haben, in Richtung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten gedacht war - das ist mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten - , und zweitens, wie Sie zu dieser Position der baden-württembergischen Landesregierung stehen und ob Sie sie übernehmen wollen. Das war meine konkrete Frage.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär Vogt.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Meine Antwort war sachlich und politisch an alle Adressen gerichtet und war, so glaube ich, auch sachlich und politisch überzeugend. ({0}) Das zweite, Herr Kollege. Sollte es Felder geben, bei denen bei der deuschen Bevölkerung in der Bundesrepublik zu Recht der Eindruck entstehen kann, hier würden Personenkreise bevorzugt, wird die Bundesregierung wie in der Vergangenheit konsequent handeln. Ich würde dann einmal bitten, daß Sie uns konstruktiv begleiten und nicht Ihre Argumentationsstufe jeweils vom Tag abhängig machen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl. Ich darf die nachfolgenden Redner bitten, sich kurz zu fassen, weil wir sonst mit den Fragestellungen nicht durchkommen. Dies gilt auch in bezug auf die Antworten. Wir verlängern - um 13.39 Uhr läuft die offizielle Zeit ab - um zehn Minuten. - Bitte.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Der Parteienwettstreit ist voll entbrannt, wie man hier sieht, und ich bitte die folgende Frage auch vor dem Hintergrund zu betrachten, daß ich als unabhängiger Abgeordneter an diesem Parteienstreit nicht beteiligt bin. ({0}) Ich bitte ferner zu beachten, daß ich jetzt der vierte unter den Kollegen oder Kolleginnen aus dem Plenum bin, der zum Teil nach dem gleichen Sachgegenstand fragt. Ich rekurriere noch einmal auf Frau Hamm-Brücher, Herrn Roth und andere Kollegen. Vor dem Hintergrund, daß 3 Millionen Menschen in der DDR auf den Koffern sitzen und potentiell bereit sind, in die Bundesrepublik überzusiedeln, vor dem Hintergrund, daß die Wirtschafts- und Währungsunion nur mittelfristig Veränderungen mit tatsächlich substantiellen Besserstellungen der Bevölkerung in der DDR bewirken kann, und angesichts der Erwartung, daß bei dem notwendigen harten Umbruch durch die Einführung der aus unserer Sicht als notwendig betrachteten Reformen in der DDR mit zwischen 2 Millionen und 3 Millionen arbeitslosen Menschen in der DDR gerechnet werden kann: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung angesichts des Aussiedlerstromes zu ergreifen, um einem Zustand, der die Bundesrepublik in ihrer sozialen Sicherheit und Stabilität selbst gefährdet, aber vor allen Dingen jede mögliche Aufbauleistung in der DDR zum Scheitern verurteilt, schneller abzuhelfen? Das ist die Frage, meine Herren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wer antwortet für die Bundesregierung? - Herr Bundesminister Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Herr Kollege, sicher sind alle Maßnahmen, sozialpolitische Leistungen anzupassen, sinnvoll. Die entscheidende Antwort kann jedoch nur in der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in der DDR selbst liegen, weil Sie sonst zu dem Instrument kommen müßten, Bürgern aus der DDR in der Bundesrepublik ein Arbeitsverbot aufzuerlegen. Ich hoffe, daß der Deutsche Bundestag damit übereinstimmt. Insofern führt kein Weg daran vorbei, daß wir durch unmittelbare Sofortmaßnahmen für kleine und mittlere Betriebe, für eine Steuerreform, für Gewerbefreiheit dazu beitragen, daß noch in diesem Jahr Zigtausende von kleinen und mittleren Betrieben in der DDR entstehen und den möglichen Arbeitslosen, sei es im Staatsdienst oder in den Großkombinaten, eine unmittelbare Arbeitsmöglichkeit in der DDR selbst anbieten. Das ist die einfachste, aber auch ehrlichste Antwort auf diesem Gebiet.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage, aber ganz kurz; die anderen kommen sonst zu kurz.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Wie wollen Sie dem Eindruck in der Öffentlichkeit entgegenwirken, daß Sie exakt bis zu dem Zeitpunkt, wo diese Reformen in der DDR eingeführt werden, die Nichtgewährung von weitergehenden Hilfsmaßnahmen und vor allen Dingen die notwendige Einführung von gegebenenfalls auch administrativen Maßnahmen, um den Übersiedlerstrom zu stoppen, nur als Drohmittel benutzen? Sie pokern einfach unheimlich hoch und hoffen, daß in der DDR solche Korrekturen sehr schnell erfolgen. Wenn sie nicht erfolgen, lassen Sie das auch entsprechend weiterlaufen. Wie wollen Sie diesem Eindruck entgegentreten, der in der Öffentlichkeit längst entstanden ist?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister. 14838 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Dr. Haussmann, Bundesminister für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, viele Bürger aus der DDR kommen nicht in die Bundesrepublik, um Sozialleistungen zu empfangen, sondern sie kommen, um hier einen aussichtsreichen Arbeitsplatz zu bekommen. ({0}) Wir alle können dazu beitragen, daß in der DDR neue Arbeitsplätze entstehen. Die Bundesregierung nimmt ja noch mit der alten Regierung unmittelbar Verhandlungen auf, um nach den Neuwahlen mit der DDR selbst eine überzeugende Perspektive mit dem Ziel zu entwickeln, daß noch in diesem Jahr neue Arbeitsplätze in der DDR entstehen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich frage die Bundesregierung - ich nehme an, Herr Staatssekretär Vogt wird antworten - im Nachgang zu der vorletzten Frage, aber auch im Nachgang zu dem, was Kollege Wüppesahl gefragt hat: Wenn ich mich recht erinnere, hat die Bundesregierung im Innenausschuß bei der Beratung des Eingliederungsanpassungsgesetzes gesagt, daß die Linie, wonach derjenige Sozialhilfe bekommt, der sozial bedürftig ist, egal ob er aus dem Westen oder aus dem Osten Deutschlands kommt, beibehalten werde. Ferner hieß es, Sie wollten darauf achten, daß das Eingliederungsgeld die Grenze zur Sozialhilfe nach unten nicht berühre, aber wir lägen nahe daran. Darüber wollte die Bundesregierung berichten. Wie weit ist der Bericht gediehen? Ich darf nach dem, was Kollege Wüppesahl gefragt hat - er sagte, es gebe keine Arbeitsplätze -, eine zweite Frage, die mit einer Zahl zu beantworten ist, anschließen: Erinnere ich mich richtig, wenn ich darauf hinweise, daß es im letzten Jahr in der Bundesrepublik so viele Arbeitsplätze wie noch nie nach dem Krieg gegeben hat?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege Lüder, ich kann Ihre zweite Frage uneingeschränkt mit Ja beantworten. Wir konnten im Jahre 1989 die höchste Zahl von Erwerbstätigen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland verzeichnen. Dazu hat auch die Tatsache beigetragen, daß im Jahre 1989 viele Übersiedler und Aussiedler in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden konnten. Ich bin sehr sicher, daß wir im Jahre 1989 nur deshalb eine Wachstumsrate von 4 % erreicht haben - wir haben übrigens zum erstenmal seit einem Jahrzehnt wieder eine Wachstumsrate von 4 % erreicht -, weil die Übersiedler und Aussiedler zu diesem wirtschaftlichen Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen haben, und sie werden auch im nächsten Jahr ihren Beitrag zu dieser wirtschaftlichen Dynamik leisten. ({0}) Ein Zweites. Es ist richtig: Bei der Bemessung des Eingliederungsgeldes ist auch von den Ländern sorgfältig darauf geachtet worden, daß aus dem Eingliederungsgeld keine zusätzlichen Lasten auf die Sozialhilfe zukommen. Im übrigen haben Sie völlig recht, daß jeder Deutsche sozialhilfeberechtigt ist, der im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohnt und der kein Einkommen aus Arbeit in der notwendigen Höhe oder keine sonstigen Einkünfte hat. Meine Damen und Herren, jede Maßnahme, nach der Eingliederungshilfen in der Weise ansetzen, daß die Sozialhilfe belastet wird, wäre in diesem Lande nicht konsensfähig. Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns auch dagegen wehren, daß aus der Höhe der Sozialhilfeleistungen plötzlich auf Armut in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wird. Wenn wir Sozialhilfeleistungen erhöhen, helfen wir bedürftigen Bürgern.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen, da noch viele Fragesteller zu Wort kommen möchten.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Ja, aber ich darf bitte auf die Fragen antworten, Frau Präsidentin. - Ich will nur noch einen Satz sagen: ({0}) Die Arbeitsteilung, wonach die einen eine Erhöhung der Sozialhilfelasten fordern, während die anderen wegen der steigenden Soziallasten die Behauptung aufstellen, das Armutspotential in der Bundesrepublik wachse, darf es nicht geben. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Waigel, sind Sie, da Sie soeben das Gegenteil behauptet haben, bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß - ich sage das, da auch die Menschen aus der DDR davon hören oder uns zusehen - die Sozialdemokraten die Einheit Deutschlands wollen? ({0}) Ich darf Sie bitten, die folgende Frage zu beantworten: Sind Sie wirklich der Meinung, daß Ihr Nachtragshaushalt reicht, damit die Menschen bis dahin in der DDR aushalten? Lassen Sie mich eine zweite kurze Frage anschließen. Die Einheit Deutschlands wird ja eher als das zusammenwachsende Europa kommen. Was tun wir, damit die Bündnissysteme und die Nachbarn das verkraften und das nicht in Widerspruch zu einem zusammenwachsenden Europa steht?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin, ich nehme zur Kenntnis, daß sich die SPD der DDR zur Einheit Deutschlands bekennt. Nur, die unterschiedlichen Vorstellungen in der SPD ({0}) und in der SPD der DDR zu diesem Punkt waren so atemberaubend und die Entwicklungen so schnell, daß man sich immer wieder vergegenwärtigen muß, was noch vor einem halben Jahr von führenden Vertretern Ihrer Partei, Herr Kollege, dazu gesagt worden ist. ({1}) Ein Zweites: Wir müssen mit unseren Nachbarn, mit unseren Bündnispartnern, mit unseren Partnern in der EG immer wieder in ein umfassendes Gespräch eintreten - und wir haben es getan - , um sie von diesen Entwicklungen zu überzeugen. Ich meine, daß manche besorgte Stimme, die am Anfang gehört wurde, heute nicht mehr zu hören ist. Das entspricht unserer Überzeugungskraft und auch dem Hinweis, daß wir in vier Jahrzehnten ein vertrauensvoller, kalkulierbarer, verläßlicher Partner gegenüber West und Ost gewesen sind. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fast auf den Tag genau ein Vierteljahr nach dem 9. November teilt die Bundesregierung mit, ({0}) daß sie einen Ausschuß eingesetzt hat, um die Fragen zu beantworten, wie denn Soforthilfe und Vereinigung geordnet werden sollen. Ich frage nach zwei Richtungen, Herr Seiters: Wie soll für die Menschen in der DDR auf diese Weise eigentlich unmittelbar erfahrbar werden, und zwar sofort, daß es sich lohnt, zu Hause zu bleiben? ({1}) Zweitens. Wie wollen Sie die Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat an dieser nationalen Aufgabe angemessen beteiligen? ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Minister:in)

Politiker ID: 11002156

Lieber, verehrter Herr Kollege Jahn, ich darf zunächst doch noch einmal darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen hat, die ihr möglich waren und die in diesem Parlament im Grunde im wesentlichen nicht bestritten worden sind: Bewältigung des Flüchtlingsstroms über die zuständigen Ressorts mit den ehrenamtlichen Organisationen der Bundesrepublik Deutschland, Einrichtung eines Reise-Devisenfonds - ich darf nur einmal, weil jetzt von Ratschlägen gesprochen wird, darauf hinweisen, daß damals aus den Reihen Ihrer Fraktion die Forderung nach Einrichtung eines Reise-Devisenfonds kam, aber ohne Aufhebung des Visumzwangs; diese haben wir nämlich erreicht und damit gekoppelt ({0}) - natürlich, das ist doch nachzuweisen -, vielleicht auch dadurch, daß wir eine Woche länger gewartet haben, um den Druck auf die DDR zu verstärken -, 6 Milliarden DM ERP-Kreditvolumen, ({1}) Telekommunikation, Umweltschutz, medizinische Hilfe und vieles andere mehr. Zweite Bemerkung: Ich darf darauf hinweisen, daß die Erklärung des Ministerpräsidenten der DDR erst wenige Tage zurückliegt. Bislang war die Haltung der DDR die - das war ja auch in den bisherigen Gesprächen erkennbar - der Festschreibung der Zweistaatlichkeit und nicht die der Perspektive der staatlichen Einheit Deutschlands. In der letzten Woche ist dann die Erklärung von Herrn Gorbatschow gekommen, ({2}) in der letzten Woche auch die Erklärung von Ministerpräsident Modrow. Wir nehmen die DDR beim Wort und haben darauf reagiert, indem wir den Kabinettsausschuß „Deutsche Einheit" beschlossen haben - über das hinaus, was bisher geschehen ist. ({3}) Wichtige Voraussetzung ist allerdings, daß die DDR hier jetzt mitmacht. Ich begrüße bei der Güterabwägung, daß der Wahltermin auf den 18. März vorgezogen worden ist, weil dadurch auch die Perspektive einer handlungsfähigen, vom Volk gewählten Regierung näherrückt und damit auch die Hoffnung der Menschen verbunden ist. Dritte Bemerkung. Es ist hier nach der Zusammenarbeit mit den Ländern und nach der Zusammenarbeit mit der Opposition gefragt worden. ({4}) - Ja, mit dem Bundestag, mit dem gesamten Bundestag. Wir haben eine handlungsfähige Regierung; sie hat ihre Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Wir sind zu einer kooperativen Zusammenarbeit mit der Opposition bereit. Wir haben das Parlament und die Ausschüsse in regelmäßigen Abständen unterrichtet. Aber wir können die Zuständigkeiten und die Verantwortlichkeiten natürlich auch nicht verwischen. Es hat eine Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder gegeben. In den vergangenen Wochen haben regelmäßige Gespräche des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien stattgefunden. Am 15. Februar 1990 wird erneut eine Konferenz zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder stattfinden. Gehen Sie davon aus, daß im operativen Bereich und auch in der Zusammenarbeit das getan wird, was richtig und notwendig ist. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Der nächste Fragesteller ist Herr Abgeordneter Reuschenbach. Danach müssen wir die Befragung der Bundesregierung schließen.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist ja eine Binsenwahrheit, daß das Zusammenwachsen der beiden Teile - auf welchem methodischen Weg auch immer - und erst recht jeder reale Schritt zur Integration ohne die positive Begleitung der ehemaligen Besatzungsmächte, der ehemaligen Siegermächte nicht möglich ist. Da gibt es eine Fülle von vertraglichen Vereinbarungen hinüber und herüber, zweiseitig und vielseitig. Welche Gespräche sind inzwischen in Gang gesetzt worden? Was sind die Gesprächsthemen und die Gesprächsfelder? Was sind die erkennbaren Orientierungslinien für die Haltung der ehemaligen Besatzungs- und Siegermächte bei diesem Prozeß der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Staatsministerin Adam-Schwaetzer.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Vier Mächte haben eine Verantwortung für Berlin und für Deutschland als Ganzes. Sie haben seit den Ereignissen in der DDR die Situation in Kontakten untereinander erörtert. Sie haben in diesen Kontakten u. a. die Berlin-Initiative, die der frühere amerikanische Präsident noch ergriffen hat, weiter verfolgt. Das sind die Themen, über die sie sich miteinander unterhalten. Selbstverständlich werden die beiden deutschen Regierungen kontinuierlich über diese Gesprächskontakte informiert. Darüber hinaus befinden wir uns natürlich in kontinuierlichen bilateralen Konsultationen mit den Vier Mächten. Ich kann nur darauf hinweisen, daß Bundesaußenminister Genscher praktisch täglich mit seinem französischen Kollegen Kontakt hält, daß er sich gestern mit dem britischen Außenminister getroffen hat, daß er vergangene Woche in Washington alle Fragen, die mit Deutschland zusammenhängen, mit Außenminister Baker erörtert hat und am kommenden Wochenende in Ottawa auch den sowjetischen Außenminister treffen wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich beende die Befragung der Bundesregierung. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 11/6349 Entsprechend unseren Regeln verkürzt sich die Fragestunde um die Zeit, die wir jetzt bei der Regierungsbefragung zugegeben haben, d. h. um 14.40 Uhr beginnt die Aktuelle Stunde. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Geldern steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Eigen auf: Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die 3 % Preissenkung bei Getreide zu verhindern, die nur dadurch entstanden sind, daß die EG-Kommission 160,5 Millionen Tonnen Ernte willkürlich geschätzt hat und daß die anderen elf EG-Länder den Beschluß des Gipfels vom Februar 1988 - differenzierte Flächenstillegung - nicht durchführen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung hat die vorzeitige Erntefeststellung bei Getreide durch die EG-Kommission im Oktober 1989 nachdrücklich mißbilligt. Aktuelle Ernteermittlungen, die auch genauere Daten über die Maisernte enthalten, ergeben allerdings eine Erntemenge, die größer ist als 160,5 Millionen t. Die EG-Kommission muß also den Beschlüssen des Europäischen Rates vom Februar 1988 entsprechend die Stützungspreise bei Getreide für 1990/91 um 3 % senken. Die diesjährigen Preisvorschläge der Kommission enthalten keine Maßnahmen, mit denen die Senkung der Stützungspreise abgeschwächt oder sogar ausgeglichen werden kann. Ohne Vorschlag der EG-Kommission müßten solche Regelungen einstimmig vom Rat beschlossen werden. In mehreren Gesprächen mit der Kommission und einzelnen Mitgliedstaaten sowie bei der ersten Diskussion der Preisvorschläge im Rat selbst hat sich gezeigt, daß eine Einstimmigkeit in dieser Frage gegenwärtig keinesfalls zu erreichen ist. Die Bundesregierung hat bei den Preisverhandlungen erneut gefordert, daß die Beschlüsse des Europäischen Rates EG-weit vollständig und gleichgewichtig umgesetzt werden müssen. Dazu gehört neben der Flächenstillegung und anderen produktionsbegrenzenden Maßnahmen auch die Förderung der Mehrverwendung von Getreide im Mischfutter und der Verwendung von landwirtschaftlichen Rohstoffen im Nicht-Nahrungsmittelsektor. Die Bundesregierung hat hierzu wiederholt geeignete Vorschläge der Kommission angefordert und wird auch in der laufenden Preisrunde nicht lockerlassen. Im übrigen hat der Rat auf deutsches Drängen vor kurzem den Gemeinschaftsanteil an den Flächenstillegungsprämien erhöht. Dies gibt der Kommission eine verbesserte Handhabe, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, den Landwirten attraktive Flächenstillegungsprämien anzubieten. Die Bundesregierung hat jedoch nicht die Absicht, die Beschlüsse des Europäischen Rats vom Februar 1988 in Frage zu stellen, um dadurch die Senkung der Stützungspreise um 3 % zu verhindern. Damit würde der seinerzeit in sehr schwierigen Verhandlungen erreichte Gesamtkompromiß einschließlich der von der Bundesregierung durchgesetzten mengenbegrenzenden Maßnahmen gefährdet. Es wäre dann kaum zu verhindern, daß sich das von der EG-Kommission und einigen Mitgliedstaaten angestrebte Konzept der Marktsanierung durch noch drastischere Preissenkungen durchsetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Eigen, Zusatzfrage.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, alles, was Sie gesagt haben, ist richtig. Aber sind Sie nicht mit mir einer Meinung, daß die Regierungschefs selbst ihren damaligen Beschluß nicht vollzogen haben, zumindest nicht in bezug auf die Flächenstillegung? Gäbe es nicht den Weg, die Mitverantwortungsabgabe heranzuziehen, um in den Ländern, in denen die Flächenstillegung durchgeführt wurde, die Landwirte davon zu befreien, während sie dort, wo bisher nichts getan worden ist, weiterhin erhoben wird? Damit hätte man eine Chance, daß die 3%ige Preissenkung jedenfalls für die Länder, die sich dem Beschluß der Regierungschefs unterworfen und ihn durchgeführt haben, nicht zum Tragen kommt.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, ich denke, daß die richtige Antwort auf die auch von der Bundesregierung beklagten Defizite im Vollzug der Beschlüsse der Regierungschefs vom Februar 1988 die ist, daß wir darauf drängen, daß dieser Vollzug nun stattfindet, daß alle Teile der wichtigen Beschlüsse vom Februar 1988 in der ganzen Gemeinschaft umgesetzt werden. Dies ist auch unsere Verhandlungslinie in der jetzigen Preisrunde.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Eigen zu einer zweiten Zusatzfrage.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir drängen auf den Vollzug dieser Beschlüsse seit dem 12. Februar 1988. Aber wir stellen fest, daß viele Länder der Europäischen Gemeinschaft den Beschluß entweder gar nicht oder nur schlecht vollzogen haben. Hätten die Regierungschefs ihren eigenen Beschluß vollzogen, Herr Staatssekretär, hätte es eine Ernteschätzung von 154 oder 155 Millionen t gegeben, und die 3%ige Preissenkung wäre uns erspart geblieben. In diesem Spannungsfeld zwischen dem Vollziehen des eigenen Beschlusses und den heutigen Tatsachen liegt der Grund für die meines Erachtens berechtigte Forderung, daß man diese Preissenkung von der deutschen Landwirtschaft fernhalten müßte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Und wo war das Fragezeichen, Herr Kollege?

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eben, am Schluß.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, ich denke, gemeinsame Auffassung und gemeinsames Anliegen ist, daß diese Beschlüsse umgesetzt werden. Das geht mit politischen, juristischen und finanziellen Mitteln. Sie wissen, daß wir keines dieser Mittel außer Betracht lassen, um dafür zu sorgen, daß das Gesamtpaket vom Februar 1988 umgesetzt wird. Wir dürfen jetzt aber auch nicht unsererseits Teile des Gesamtpakets in Frage stellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Oostergetelo, Sie wollen auch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, werden die 160 Millionen t nicht mehr bestritten. Daraus folgt, daß wir die Preissenkung haben werden. Es war also ein Schaugefecht. Da die Preise bei den Getreidebauern nach wie vor so im Keller sind, daß selbst die guten Betriebe keine schwarzen Zahlen mehr haben, frage ich Sie: Hat die Bundesregierung eine Idee, was man tun kann? Wenn man die Flächen um 3 % reduziert und einen Zuwachs von 2,6 % hat, bleibt das Ergebnis am Schluß in etwa gleich. Wäre es nicht denkbar, Herr Staatssekretär, daß wir sagen, das Getreide komme bei uns in den Futtertrog, dafür müßten die Amerikaner bei den Substituten stillhalten?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Oostergetelo, die Antwort auf Ihre Frage geben schon die Beschlüsse vom Februar 1988, die eine ganze Palette von produktionssenkenden Maßnahmen und Verwendungsalternativen enthalten. Das, was der Kollege Eigen eben angesprochen hat, ist auch unser Anliegen, nämlich daß diese Maßnahmen samt und sonders so, wie es von den Regierungschefs gewollt war, in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Dazu gehört auch der GATT-Aspekt, den Sie gerade zum Schluß noch angesprochen haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Austermann, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen, bitte schön.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage des Kollegen Oostergetelo mit dem Ausdruck der Besorgnis über die Getreidebauern gehört. Ist Ihnen bekannt, daß die Sozialisten im Europäischen Parlament verhindert haben, daß dem Antrag der EVP zugestimmt wurde, die Mitverantwortungsabgabe abzuschaffen, und wie beurteilen Sie das Verhalten der SPD in diesem Fall?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Ich bedaure, daß das Europäische Parlament diesen Beschluß nicht zustande gebracht hat. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir hatten eigentlich vor, Dreiecksfragen nicht zu beantworten.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Mir ist das recht. - Aus der Sicht der Bundesregierung wäre ein solcher Beschluß hilfreich gewesen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie können nicht um die Ecke nach der Meinung eines Kollegen oder einer Partei fragen. Es müssen schon Fragen an die Regierung sein. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Genau das ist das Dreieck, und das wollen wir gar nicht erst einführen. Tut mir leid; das machen wir nicht. Ich gebe das Wort an Herrn Bredehorn. Er hat sich zu einer Zusatzfrage gemeldet.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich komme auf die Frage von Herrn Kollegen Eigen zurück. Sie haben gesagt, die Bundesregierung werde alles daransetzen, daß die Beschlüsse in der ganzen Gemeinschaft umgesetzt werden. Nun müssen wir aber feststellen, daß die Geschichte ein Jahr läuft, in der Bundesrepublik 32 000 Hektar Flächen stillgelegt worden sind, die deutsche Landwirtschaft also die Verantwortung, die sie hat, die Mengen zurückzuführen, wahrgenommen hat, in den anderen Ländern das aber nicht erfolgt ist. Ist es da nicht richtig, daß wir sagen: Die deutsche Landwirtschaft hat ihre Verantwortung wahrgenommen, sie braucht jetzt diese 3 Mitverantwortungsabgabe nicht zu zahlen - das wäre eigentlich sinnvoll - , oder sieht die Bundesregierung da eine Gefahr, daß wir das Gesamtkonzept stören?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Bredehorn, das letztere ist der Fall. Wir beziehen unser Recht, die anderen zu drängen, daß auch sie die Flächenstillegung durchführen, die Extensivierungsmaßnahmen und alles andere, was in diesem Paket angelegt ist, daraus, daß wir sagen: Wir halten an dem Gesamtpaket vom Februar 1988 insgesamt ohne Wenn und Aber fest. Dann können wir nicht zu gleicher Zeit den Teil, der uns belastet und beschwert und über den sich die Landwirtschaft zu Recht beklagt, nämlich die Tatsache, daß bei Überschreiten der 160 Millionen Tonnen die Interventionspreissenkung stattfindet, aus dem Paket herausnehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Flinner.

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, daß die Flächenstillegungsprogramme mit allem, was dazugehört, ihr Ziel gar nicht erreichen können und daß deswegen diese Länder nicht einsteigen? Auch von Wissenschaftlern wird dargestellt, daß die Ziele, die hier von der Regierung vorgegeben worden sind, damit nicht erreicht werden. Ich frage mich: Könnte Ihnen nicht ein anderes Konzept zur Rückführung der Überschüsse einfallen? Es gibt nämlich noch andere außer dieser Flächenstillegung. Es ist gar keine Flächenstillegung, sondern - gucken Sie sich die Felder an - eine Flächenverwüstung. Die anderen Länder sehen, wie das bei uns aussieht. Daher meine Frage: Möchten Sie nicht ein anderes Konzept als gerade das auf den Tisch bringen, weil die anderen Länder nicht darauf einsteigen, z. B. eine Düngemittelrückführung?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Frau Kollegin Flinner, die Bedenken, die Sie äußern, sind im Vorfeld der Entscheidungen vom Februar 1988 durchaus erörtert worden. Dann gab es die einstimmige Entscheidung aller zwölf Regierungschefs für die Maßnahme Flächenstillegung, aber, wie in dieser Fragestunde schon zum Ausdruck gekommen ist, nicht isoliert. Es kommen die Extensivierungsprogramme dazu. Es kommt die Steigerung des Anteils von Getreide am Mischfutter hinzu. Es kommt die Perspektive nachwachsender Rohstoffe hinzu. Es kommen die GATT-Verhandlungen hinzu. Das ganze ist ein großes Konzept zur Entlastung des Getreidesektors, ein Konzept, von dem wir überzeugt sind, daß es richtig ist, und von dem wir erwarten, daß es in der ganzen Gemeinschaft so wie beschlossen auch durchgeführt wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Eigen auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den dramatischen Verfall der Butter- und Magermilchpreise zu verhindern, der durch die ständigen Interventionspreissenkungen der EG verursacht wird? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, die Butter- und Magermilchpulverpreise, die während des Jahres 1989 zeitweise kräftig über das Interventionspreisniveau hinaus angestiegen waren, haben sich wegen rückläufiger In- und Auslandsnachfrage sowie einer stärkeren Überlieferung der Garantiemenge in Deutschland und Italien wieder in der Nähe des Interventionspreisniveaus eingependelt. Für Maßnahmen zur Stabilisierung der Marktpreise ist allein die Europäische Gemeinschaft zuständig. Die Bundesregierung hat die EG-Kommission daher schon frühzeitig gedrängt, die in der Milchmarktorganisation vorgesehenen Sonderabsatzmaßnahmen und Interventionskäufe zur Marktstützung wieder aufzunehmen. So werden ab März dieses Jahres wesentliche Verbesserungen zum Absatz von verbilligtem Butterreinfett zum direkten Verbrauch in Kraft treten, die die Bundesregierung schon seit Mitte des vergangenen Jahres gefordert hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Eigen, bitte schön.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung - das ist die Frage, Herr Präsident -, daß der Butterpreis im Jahr 1989 nur deswegen über dem Interventionspreis lag, genauer gesagt: über der Auslöseschwelle für die Intervention, weil der Interventionspreis vorher ständig gesenkt worden ist, wobei man über das Zahlungsziel von 120 Tagen die Intervention mit weiteren Kosten belastete? Nur dadurch lag ja der Marktpreis höher als der gesenkte Interventionspreis. Sind Sie nicht der Meinung, daß die verschiedenen Entwicklungen in der heutigen Zeit - ich erinnere nur an die ganze Kampagne gegen Fett und Fleisch, auch gegen Milchfett, und ich erinnere an die Imitationsverbotsaufhebung durch den EuGH, die ihre ersten Wirkungen zeigt - es notwendig machen, daß für die Milcherzeuger wieder ein vernünftiger, ausreichender Schutz im Bereich der Intervention sichergestellt wird?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, ich denke, daß wir in einem Punkt doch übereinstimmen, ohne daß ich jetzt auf alle Details Ihrer Bemerkungen hier eingehen kann, nämlich in dem Punkt, daß letztlich der Sinn, die Absicht der Garantiemengenregelung für Milch ist, das Instrument der Intervention nur sparsam anwenden zu müssen und im übrigen über den Markt den angestrebten angemessenen Erzeugermilchpreis zu erwirtschaften. Da haben wir ja in den vergangenen drei Jahren positive Erfahrungen gemacht. Wenn es jetzt zu gewissen Abschwächungen gekommen ist, dann hängt das mit Nachfrageeinbrüchen, teilweise auch mit der Auslagerung von Blockbutter sowie mit anderem zusammen. Das beruht auch auf saisonalen Einflüssen. Gerade die schleswig-holsteinische Kurve ist ja, was die saisonalen Schwankungen während der letzten fünf Jahre betrifft, sehr eindrucksvoll; dies ist anders als in Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 193. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den '7. Februar 1990 14843 einigen anderen Bundesländern. Ich glaube, wir sollten es nicht überbewerten, daß es jetzt hier diese Abschwächungen gegeben hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich bin mit Ihnen völlig einig darin, daß wir dem Markterlös den Vorzug vor Intervention geben müssen. Aber wenn man die Rahmenbedingungen ständig verschlechtert, sieht das natürlich ganz anders aus. Was kann der Landwirt dafür, daß der EuGH z. B. Mischfette zuläßt, die bisher in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen waren? Jetzt kommt dieses ganze Zeug - ich will mich nicht dazu äußern, wofür ich das alles halte - hier auf den Markt. Das wird auch noch von Teilen der öffentlichen Meinung begrüßt. Dann sitzt der Landwirt da, und sein Markt ist durch solche Maßnahmen kaputtgemacht worden. - Fragezeichen! ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es war eine echte Fragestellung darin, Herr Eigen; ich habe das sehr genau bemerkt. - Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Eigen, wir stimmen auch in dem Punkt überein, daß die Verschlechterung der Rahmenbedingungen - ({0}) - Ich habe die Frage eben original und erstmalig gehört, so wie wahrscheinlich alle hier im Saal. ({1}) Ich versuche, darauf eine Antwort zu geben. ({2}) Wir stimmen darin überein, daß die Verschlechterung von Rahmenbedingungen natürlich aus Auswirkungen auf den Markt hat und daß wir hier aufpassen müssen. Ich habe hier beispielsweise schon die Frage der Verarbeitung von Magermilch zu Kasein und verschiedenes andere erwähnt, was in diesem Zusammenhang erwähnt werden muß. Weil wir ja vielleicht auch eine Perspektive für die vor uns liegenden Monate geben können und in dieser Frage geben sollten, scheint es mir entscheidend zu sein, daß der Verbrauch bei Käse und Milchfrischprodukten weiterhin ansteigt und daß deshalb zu erwarten ist, daß sich hier auch wieder eine positive Entwicklung auf dem Milchmarkt ergeben kann. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Oostergetelo möchte noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es war ja politische Absicht - unabhängig von den Wegen, die man dazu findet - , die Rückführung der Produktion zu bewerkstelligen, damit sich mehr Markt entwikkein kann. So weit sind wir uns sicherlich einig. Aber wenn es richtig ist, daß die Preise trotzdem zurückgehen, muß man doch feststellen, daß nicht nur bei der Quotenverteilung ein Drittel der Bauern überhaupt keine Zukunftschancen mehr haben, weil sie zu wenig Quoten liefern dürfen, sondern daß wir jetzt umgekehrt auch noch zu viel Milch haben, weil der Marktpreis zurückgeht. Das ist ja wohl auch eine Ursache der zuviel verteilten Milch. Ist das richtig?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Herr Kollege Oostergetelo, ich bedanke mich auch für diese nicht abgesprochene Frage. Ich kann Ihnen darauf folgendes antworten. Was den Erzeugerpreis für Milch betrifft, haben wir - im Gegensatz zu dem, was bei Ihnen eben anklang - eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen. In den 80er Jahren hat sich im Bundesdurchschnitt der Erzeugerpreis für 100 kg Milch von 62 DM auf 78 DM gesteigert. ({0}) Wenn es dann saisonal und auf Grund bestimmter Einbrüche bei der Nachfrage sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch außerhalb gewisse Abschwächungen gibt, dann waren die geradezu zu erwarten und sollten jetzt nicht etwa in eine Aussage umgemünzt werden, daß wir hier eine negative Preisentwicklung haben. ({1}) Wir haben , gerade was die letzten drei Jahre betrifft, von 70 über 75 auf 78 DM eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung der Milchpreise zu verzeichnen gehabt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Frage des Abgeordneten Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, das wird sicherlich von niemandem bestritten. Trotzdem müssen wir jetzt feststellen, daß im Gegensatz zu vor einem Jahr der Kilopreis für Butter, die man in die Intervention gibt, um gut 1 DM geringer ist und daß es bei Magermilchpulver so ähnlich ist - von gut 5 DM auf jetzt gut 4 DM. Was meint die Bundesregierung, welche Auswirkungen das auf den Milchpreis hat?

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Die Auswirkungen, Herr Kollege Bredehorn, dieser Entwicklung beim Butter- und Magermilchpulverpreis werden nach Auffassung der Bundesregierung auf die Erzeugerpreise für Milch nicht in vollem Umfang durchschlagen, z. B. deshalb nicht, weil, was ich eben schon sagte, eine hervorragende Perspektive durch den nach wie vor steigenden Verbrauch von Käse und Milchfrischprodukten gegeben ist. Auf der anderen Seite ist natürlich wichtig, daß wir diese Preiseinbrüche überwinden. Dem dienen die bereits kurz angesprochenen Maßnahmen. Die Bundesregierung hat zusätzlich die Berlin-Reserve in Anspruch genommen. Die Kommission prüft, ob Beihilfemaßnahmen für Butterreinfett wieder eingesetzt werden können und der Beimischungszwang wiedereingeführt werden kann. Man kann verschiedenes an den Rahmenbedingungen machen, um die Einbrüche beim Butter- und Ma14844 germilchpreis wieder aufzuholen. Aber ein volles Durchschlagen dieser Preisentwicklung auf den Erzeugermilchpreis ist ohnehin nicht zu befürchten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich beende die Fragen aus diesem Geschäftsbereich und danke dem Staatssekretär für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Müller auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Regierung der DDR im Jahre 1990 die Entscheidung fällt, eine Hilfe in Höhe eines achtstelligen Millionenbetrages an Nicaragua zu bezahlen, und muß damit gerechnet werden, daß die ,,brüderliche Hilfe" der Regierung Modrow eines Tages vom Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Müller, der Bundesregierung ist die von Ihnen angesprochene Verpflichtung der DDR gegenüber Nicaragua nicht bekannt. Aber falls die in Ihrer Frage enthaltene Information zuträfe, wäre nicht zu befürchten, daß der Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland damit belastet würde. Die Bundesregierung beabsichtigt nämlich keine Übertragungen an den Staatshaushalt der DDR ohne Zweckbindung. Die Bundesregierung wird bei allen Hilfsmaßnahmen gegenüber der DDR dafür Sorge tragen, daß Zuwendungen aus Haushaltsmitteln nur dem Zwecke zugute kommen, für den sie auch bestimmt sind. Im übrigen vermag niemand exakt vorherzusagen, auf welche Weise sich die Wiedervereinigung der beiden Staaten in Deutschland vollziehen wird. Ein geeintes oder auf dem Wege zur Einheit befindliches Deutschland wird jedoch in keinem Falle Verbindlichkeiten übernehmen, die den Grundprinzipien westlicher Außenpolitik widersprechen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Müller, Zusatzfrage, bitte.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, der Beschluß des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, 30 000 t Erdöl durch die DDR und 30 000 t durch Bulgarien nach Nicaragua liefern zu lassen, dürfte allgemein bekannt sein. Er ist auch in der Presse veröffentlicht worden. Eine solche Ausgabe für Öl, das, da die DDR selbst kaum 01 fördert, auf dem Weltmarkt beschafft werden muß, bringt doch ohne Zweifel bei der gegenwärtigen schwierigen Wirtschaftslage dort zusätzliche Belastungen, die natürlich eines Tages in irgendeiner Form zu bezahlen sind?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Müller, zunächst gibt es darüber zwar östliche Pressemitteilungen, aber keine exakten, nachprüfbaren Informationen. Zum zweiten haben wir die intensive Hoffnung, ich glaube, alle miteinander, daß bei demokratischen Wahlen in Nicaragua, die jetzt hoffentlich unter akzeptablen Bedingungen stattfinden, diese spezielle Zusammenarbeit aufhört und wir alle dazu beitragen können, ein demokratisches Nicaragua zu unterstützen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, der Beschluß des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe ist erst vor drei Wochen gefaßt worden: Ist Ihnen bekannt, daß es sich bei der „Neuen Zürcher Zeitung" , die darüber berichtet, um ein westliches Presseorgan handelt?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege, es kann durchaus sein, daß dies auch in westlichen Presseorganen nachgedruckt worden ist. Aber die Mitteilung kommt ursprünglich aus Ostblockzeitungen. Ich will Ihrer Information gerne nachgehen, auch wenn die Zuständigkeit des Innerdeutschen Ministeriums da langsam dünner wird. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bindig hat sich gemeldet. Ist das richtig? - Herr Kollege, bitte schön.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir bitte sagen, was ein „achtstelliger Millionenbetrag" sein soll, der nach der Frage angeblich an Nicaragua geflossen ist? Ist es richtig, daß es sich da um 10 000 Billionen handelt? ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das ist sicher eine Frage an ein mathematisch orientiertes Ministerium, das wir aber nicht haben.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Frau Kollegin Matthäus-Maier, Ihr Zwischenruf würde mich veranlassen, einen Bundeskanzler, den wir einmal hatten, dazu zu zitieren. ({0}) Ich glaube, das führt uns alle nicht weiter. Da ich hier gesagt habe, daß die vom Herrn Kollegen Müller erwähnte Information im engeren Sinne nicht vorliegt, kann ich natürlich auch nicht nachprüfen, wie jetzt die Umrechnung von Tonnen Öl in DM, die dort erwähnt sind, erfolgt ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Büchler, Sie hatten eine Zusatzfrage; bitte schön.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie dann, wenn der Einigungsprozeß vollzogen ist, keine Verpflichtungen der DDR übernehmen wollen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Die den Grundprinzipien westlicher Außenpolitik widersprechen. Ich glaube, darin sind wir uns einig, Herr Kollege Büchler. Ich hoffe das zumindest.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gansel auf: Ist der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen bereit, sich für seine Äußerung „Ich sehe es mit Entsetzen, daß die DDR-Sozialdemokraten sich hemmungslos mit ehemaligen Mitgliedern der SED vollsaugen und ohne jede Hemmung bereit sind, eine Parteiakademie der Kommunisten zu übernehmen" mit seiner Unkenntnis des Vorstandsbeschlusses der „SPD in der DDR" vom 21. Januar 1990 und des Umstandes, daß es sich bei der „Parteiakademie der Kommunisten" um die 1. Etage eines Gebäudes handelt, das der SPD 1933 widerrechtlich entzogen und 1946 widerrechtlich an die SED übereignet wurde, zu entschuldigen, und wie kann die Bundesregierung sicherstellen, daß der Parlamentarische Staatssekretär zukünftig über die politische Entwicklung in der DDR so informiert wird, daß er mit seinen Äußerungen die innerdeutschen Beziehungen nicht weiter beschädigt? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Auch hier erlaube ich mir den Hinweis, daß diese Frage nicht mit mir abgesprochen ist. Aber das wird vielleicht auch keiner vermuten. Ich beantworte die Frage jedoch ausgesprochen gerne, weil sie einen wichtigen Hintergrund, der aufklärungsbedürftig ist, zum Inhalt hat. Herr Kollege Gansel, die Tatsache, daß der Vorstand der SPD in der DDR am 21. Januar den von Ihnen zitierten Beschluß gefaßt hat, beweist die von der Bundesregierung mit Sorge beobachtete Entwicklung, daß nämlich bereits zahlreiche ehemalige SED-Mitglieder von der Sozialdemokratischen Partei in der DDR aufgenommen worden sind und daß eine große Zahl von Personen von der SED zur SPD überwechseln will. Der genannte Vorstandsbeschluß enthält keinerlei Verbot eines Übertritts von SED-Mitgliedern zur SPD. Lediglich bei der Neugründung von Ortsverbänden soll der Anteil ehemaliger SED-Mitglieder 30 % der Mitglieder des Ortsverbandes nicht überschreiten. ({0}) Der Geschäftsführer der SPD in der DDR, Ibrahim Böhme, hat am 8. Dezember öffentlich geäußert, SED-Mitglieder, die sich an den Grundwerten der SDP orientierten, hätten ein Recht einzutreten. Gegenüber der Presse und zuletzt auf dem Bezirksparteitag der Ost-Berliner SPD am 4. Februar hat Herr Böhme den Anteil ehemaliger SED-Mitglieder in der SPD mit rund 10 % beziffert. Da die SPD zur Zeit 80 000 Mitglieder hat, sind also etwa 8 000 ehemalige SED-Mitglieder Parteimitglieder in der SPD. ({1}) Herr Böhme hat offensichtlich ein sehr pragmatisches Verhältnis zu SED-Mitgliedern. So äußerte er am 2. Februar gegenüber einer Zeitschrift, daß er - ich zitiere wörtlich - ein Träumer sei, wenn er glaubte, am Anfang völlig ohne frühere und heutige SED-Mitglieder auskommen zu können. Vor allem im Verwaltungsapparat müsse jede Verweigerung verhindert werden. Auch Sie selbst, Herr Kollege Gansel, der Sie Ende 1989 noch Ihrer Partei das Prinzip vom Wandel durch Abstand von dieser SED empfohlen haben, meinten am 23. Januar gegenüber der Presse, eine Unterwanderung der SPD durch SED-Mitglieder bestehe nicht. Sie verwiesen dabei darauf, daß ehemalige SED-Leute sehr wohl in die SPD aufgenommen werden sollten, wenn die Basis der Partei das entscheide, weil die Betreffenden keinen Dreck am Stecken hätten und ihr Gesinnungswandel glaubwürdig sei. Herr Kollege Gansel, der massenhaft bereits erfolgte und noch bevorstehende Wechsel von ehemaligen SED-Mitgliedern zur SPD entspricht politischer Logik, da sich beide Parteien dem demokratischen Sozialismus verpflichtet sehen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Momper, hat im DDR-Rundfunk zur Fortsetzung des Dialogs mit der SED aufgerufen und die Auffassung vertreten, seine Partei habe sich früherer Gespräche mit der SED in keiner Weise zu schämen. Herr Mom-per ist der Auffassung, daß man erst recht mit einer sich reformierenden SED, mit einer SED, die ja erkennbar darum bemüht ist, selbst den Weg des demokratischen Sozialismus einzuschlagen, reden muß. ({2}) - Herr Kollege Becker, diese Entwicklung des Verhältnisses zweier Parteien - ({3}) Herr Kollege Becker, ich kann für diese Frage nun wirklich nichts; ich versuche aber, sie wahrheitsgetreu zu beantworten. - Diese Entwicklung des Verhältnisses von SPD und PDS in den beiden Teilen Deutschlands wird von der Regierung aufmerksam verfolgt. Im übrigen, Herr Kollege Gansel, ist - das ist mein letzter Satz - zu keiner Zeit behauptet worden, die Enteignung des in Rede stehenden Gebäudes durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 sei nicht widerrechtlich erfolgt. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Gansel, eine Zusatzfrage? - Bitte schön.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich es nicht für ausgeschlossen gehalten habe, daß Sie schlicht und einfach hätten sagen können: „Meine Interview-Äußerung tut mir leid, sie beruhte auf nicht vollständiger Information" , ({0}) ringe ich nach dieser Antwort etwas nach Fassung, um jetzt die Zusatzfrage zu stellen: Sind Sie bei nochmaligem Nachdenken und nachdem Sie ja sehr differenzierte Äußerungen von Herrn Böhme vorgetragen haben, in Anbetracht des Umstandes, daß Sie über die Ost-CDU gesagt haben: „Sie ist Fleisch von unserem Fleisch", ({1}) bereit, den Satz zurückzunehmen: „Ich sehe es mit Entsetzen, daß die DDR-Sozialdemokraten sich hemmungslos mit ehemaligen Mitgliedern der SED vollsaugen ... " ? ({2})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Gansel, zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß Sie im Austeilen großzügiger sind als im Einstecken ({0}) und daß es von Ihnen - auch aus der Geschichte dieses Hauses - eine ganze Reihe von Zitaten gibt, für die eine Entschuldigung sehr viel näher liegen würde. ({1}) Ich bin da gut sortiert und könnte Ihnen eine ganze Reihe dieser Zitate nennen, Herr Kollege Gansel. ({2}) - Aber ich glaube, Sie werden doch bereit sein, da mit gleichen Maßstäben zu messen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dieser Präsident sorgt dafür, daß Retourkutschen nicht zur Beantwortung von Fragen gehören. ({0}) Bitte schön, Herr Staatssekretär, fahren Sie in der Antwort fort.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Wenn ich in der Beantwortung fortfahren darf, Herr Präsident, möchte ich hier gern ein weiteres Zitat des erwähnten Geschäftsführers der SPD, Ibrahim Böhme, einführen, der beispielsweise fest mit einem Wechsel des stellvertretenden SED/PDS-Vorsitzenden und Dresdener Oberbürgermeisters Wolfgang Berghofer in die SPD gerechnet hat. Dazu sagte er in einem Interview vom 23. Januar: Wenn Herr Berghofer bei uns anklopft, werde ich ihm sofort die Türe öffnen. ({0}) Er fügte hinzu: Alle anderen SED-Mitglieder bitte ich, mit ihren Anträgen zu warten. Der Eintritt von prominenten SED-Mitgliedern in die SPD hätte, so sehr wir an Sachkompetenz interessiert sind, einen Massenübertritt von der SED zur SPD zur Folge. Das könnten wir technisch gar nicht verkraften. Wer Sozialdemokrat ist mit Herz und Hirn, ist gebeten, auch außerhalb der SPD sozialdemokratisch zu wirken. Ich glaube, daß dieses Zitat meine Sorgen eindrucksvoll illustriert. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Gansel hat eine weitere Zusatzfrage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie in Ihrer Antwort auf den zweiten Teil meiner Frage nicht eingegangen sind - Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Das will ich gerne noch tun. Ich hatte die Sorge, daß der Präsident mir eine allzu lange Antwort nicht gestattet. Aber wenn ich das anfügen darf -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Da bringen Sie mich aber in Verlegenheit. ({0}) - Wenn ich es richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, wollen Sie die Antwort auf die erste Zusatzfrage noch weiter ausführen. Bitte schön.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Ich würde gerne noch einen Satz dazu sagen, zumal Herr Gansel zu einer Zusatzfrage anhebt; dann kann er das dabei noch berücksichtigen. Herr Kollege Gansel, ich bitte Sie wirklich, einmal darüber nachzudenken, ob Sie nicht vielen Tausenden von Mitgliedern der Ost-CDU, die in der Zeit einer kommunistischen Diktatur bei diesem „kleineren Übel" untergeschlüpft sind, damit die Kinder beispielsweise überhaupt eine höhere Schule besuchen konnten oder studieren durften, bitter Unrecht tun, ({0}) wenn Sie sie hier in dieser Weise verunglimpfen, wie Sie es gemacht haben, ({1}) und das bei aller Notwendigkeit, daß sich die Spitze und die hauptamtlichen Mitarbeiter der Ost-CDU reformieren, was ja inzwischen auch geschehen ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben auf den zweiten Teil meiner schriftlich eingereichten und Ihnen zur Beantwortung anheimgegebenen Frage nicht geantwortet, in der ich gefragt habe, ob Sie bereit sind, folgenden Satz zurückzunehmen oder zu entschuldigen: Ich sehe es mit Entsetzen, daß die DDR-Sozialdemokraten sich hemmungslos mit ehemaligen Mitgliedern der SED vollsaugen und ohne jede Hemmung bereit sind, eine Parteiakademie der Kommunisten zu übernehmen. ({0}) Dabei handelt es sich nämlich nicht um eine Parteiakademie von Kommunisten und SED-Mitgliedern, sondern um die erste Etage eines Hauses, das den Sozialdemokraten 1933 von den Nazis weggenomGansel men wurde, 1947 der SED übereignet wurde, in dem vorübergehend eine Parteihochschule der SED untergebracht war, die sich jetzt in Auflösung befindet und in diesem alten Traditionsgebäude beanspruchen die Sozialdemokraten ({1}) ein paar Räume für ein Parteibüro, von dem Ihre Ost-CDU Hunderte hat, mit Hunderten von Telefonanschlüssen und Hunderten von hauptamtlichen Beschäftigten. Und Sie stellen sich hin und sagen, die DDR-Sozialdemokraten würden hemmungslos eine Parteiakademie der Kommunisten übernehmen. Sind Sie nicht bereit, zu sagen: Es tut mir leid, ich habe es so nicht gemeint? ({2})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Nein, Herr Kollege Gansel, dazu bin ich nicht bereit. ({0}) - Ich finde zunächst einmal, daß man sich für den zweimaligen Zwischenruf „Ferkelei" entschuldigen sollte, der bisher überhört worden ist. ({1}) Ich habe Ihnen gesagt, daß die Enteignung seinerzeit sowohl durch das nationalsozialistische Regime als auch durch die SED nach dem Kriege natürlich rechtswidrig gewesen ist. Dies ist zwischen uns völlig unstrittig. Aber, Herr Kollege Gansel, die Optik, daß hier innerhalb von einer Woche ein nahtloser Übergang von einer Parteiakademie in die andere vonstatten geht, ({2}) während im übrigen die Opposition nicht über Chancengleichheit verfügen kann, läßt in der Tat diese Äußerung gerechtfertigt erscheinen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Einen Augenblick, wir wollen nun wieder zur Ruhe kommen. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte, die gegenseitigen Vorwürfe einzustellen und zu unserer Ordnung zurückzukehren. - Die erste weitere Zusatzfrage hat der Abgeordnete Jungmann. ({1}) - Wir haben unsere Regeln, welche Zwischenrufe wir mit Ordnungsmaßnahmen versehen und welche nicht. Lassen Sie das bitte in der Hand des Präsidenten. - Herr Jungmann, bitte schön. ({2}) - Es gibt die Möglichkeit, sich zu beschweren, aber bitte nicht hier. - Herr Jungmann hat eine Frage zu stellen. ({3}) - Ich möchte den Abgeordneten Dr. Müller zur Ordnung rufen, weil das Kritisieren eines Präsidenten, wer immer hier oben sitzt, nicht zu unseren Regeln gehört. ({4}) Wenn es Gründe gibt, sich über einen amtierenden Präsidenten zu beschweren, gibt es dazu einen geschäftsordnungsmäßig geregelten Weg. ({5}) Herr Jungmann hat das Wort. ({6})

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie ein Plädoyer für die Mitglieder der CDU ({0}) abgegeben haben, die teilweise seit 1949 Mitverantwortung in der DDR getragen haben, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, dieses Plädoyer auch für solche ehemaligen Mitglieder der SED abzugeben, die als 18- oder 19jährige in die SED gezwungen worden sind, die dann teilweise, nachdem sie erkannt haben, welche Fehler sie gemacht haben, schon in den 70er und 80er Jahren aus der SED, weil sie aufmüpfig geworden sind, ausgeschlossen wurden, berufliche Nachteile in Kauf nehmen mußten, teilweise Berufsverbot hatten und sich heute, nach dem 9. November, in der Sozialdemokratischen Partei betätigen wollen? Sind Sie bereit, dieses Plädoyer, das Sie für die CDU-Mitglieder gelten ließen, auch für diese SED-Mitglieder gelten zu lassen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Aber selbstverständlich, Herr Kollege Jungmann. Ich glaube, daß wir uns vor einer pauschalen „EntSEDfizierung" hüten sollten. ({0}) Ich bin sehr gerne bereit, diese Maßstäbe nach allen Seiten anzuwenden. Ich bitte dann nur darum, daß von Ihrer Seite dieses in Richtung Ost-CDU gemacht wird wie heute mit einigen, wie ich finde, abscheulichen Zwischenrufen, sondern daß mit gleichen Maßstäben gemessen wird; dann gerne. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Augenblick, wir sind noch nicht ganz am Ende. Jetzt hat Herr Antretter noch eine Zusatzfrage.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich wenigstens die Beantwortung der letzten Frage, nachdem Sie schon nicht bereit waren, von Ihrer Äußerung Abstand zu nehmen, so verstehen, daß die Phantasie der Bundesregierung ausreicht, sich vorzustellen, daß die Sozialdemokraten der DDR, deren Mitglieder jahrzehntelang in Zuchthäusern waren, mindestens ebenso - wenn nicht leichter - mit ein paar SED-Mitgliedern fertig werden wie die CDU, die geschlossen die Blockpartei Ost-CDU aufgenommen hat, die bis zum letzten Tag Mauer und Schießbefehl gutgeheißen hat? ({0})

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege, erstens ist dies im tatsächlichen Ablauf nicht richtig. ({0}) Sie tun damit einer völlig neuen Führung einer Ost-CDU, beispielsweise ihrem Vorsitzenden und ihrem Generalsekretär, von denen Sie genau wissen, wo sie herkommen, unrecht. Der Ablauf ist nicht so, wie Sie ihn hier geschildert haben. Zweitens bitte ich Sie herzlich, dann auch in Ihrer Partei zu veranlassen, daß z. B. Ihr Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein nicht solche verleumderischen generellen Bekundungen über die Ost-CDU abgibt, wie er das in den letzten Wochen mehrfach getan hat. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Büchler zu einer letzten Zusatzfrage zu diesem Bereich.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in Anbetracht dessen, daß Sie hier nicht die volle Wahrheit gesagt oder wider besseres Wissen etwas kundgetan haben, nämlich daß es weite Bereiche gibt, in denen die SPD eine totale Aufnahmesperre für SED-Mitglieder ausgesprochen hat, frage ich Sie: Sind Sie nicht auf Grund Ihres Auftritts hier bereit, sich neu zu überlegen, wie Sie diese Fragen in Zukunft beantworten wollen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Büchler, das will ich sehr gerne tun. Ich weise Sie nur darauf hin, daß der Beschluß der Ost-SPD einen anderen Wortlaut hat, als Sie ihn hier wiedergeben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieses Teils. Ich möchte gerne eine abschließende Bemerkung machen. Wir haben ja gesehen, wie erregend oder aufregend eine solche Auseinandersetzung ist und wie unerfreulich sie ist. An sich bin ich einer von denen, die gerne mithelfen möchten, daß so etwas aus den Wahlkämpfen überhaupt herauskommt, sei es hier, sei es dort. ({0}) Insofern möchte ich sagen, daß auch der Begriff der „Ferkelei" kein guter ist, daß er hier herausgehört und nicht parlamentarisch ist. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und rufe nun den nächsten Geschäftsbereich. Das ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Die einzige Frage, Frage 5 des Abgeordneten Dr. Weng ({1}), soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht uns zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe Frage 10 des Herrn Abgeordneten Schulze ({2}) auf: Wie ist der gegenwärtige Stand der Planungen und Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR über den Bau einer Schnellbahnverbindung zwischen Berlin und Hannover, und welche Trassenführung ist vorgesehen? Bitte schön, Herr Schulte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, die Verhandlungen mit der DDR über eine Schnellbahnverbindung zwischen Berlin und Hannover auf der Nordtrasse über Stendal werden zügig fortgesetzt mit dem Ziel eines baldigen positiven Abschlusses.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Schulze zu einer Zusatzfrage.

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß die mittelständische Berliner Bauindustrie am geplanten Bau der Schnellbahnverbindung zwischen Berlin und Hannover angemessen beteiligt wird, nachdem wir gehört und auch aus der Presse erfahren haben, daß ein Generalunternehmer diese Bauten übernehmen soll?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, wie Sie richtig sagen, ist die DDR bereit, diese Arbeiten einem Generalunternehmer zu übertragen. Ich gehe aber davon aus, daß in diesem Zusammenhang auch die Berliner Wirtschaft, auch mittelständische Firmen, beteiligt werden können, daß dies alles möglich sein wird.

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine zweite Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die kürzlich von Bundesminister Zimmermann erwähnten Lücken im Schienennetz der DDR zu schließen, und mit welchen Zeiträumen ist dabei zu rechnen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, Sie wissen, daß wir eine Kommission Verkehrswege ins Leben gerufen haben. Am 9. Januar hat sie zum erstenmal mit der DDR zusammen getagt. Gerade die Frage der Elektrifizierungslücken soll dort mitbehandelt werden. Die Zustimmung der DDR einmal vorausgesetzt, könnten diese Maßnahmen bis spätestens Mitte der 90er Jahre realisiert sein. Es geht zum Teil aber auch um größere Aus- und Neubaumaßnahmen, die mit der Elektrifizierung verbunden sind. Bei denen könnten sich die Zeiten noch etwas verschieben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Schulze ({0}) auf: Vizepräsident Westphal Wie ist der gegenwärtige Stand der Planungen in bezug auf einen zusätzlichen Einsatz von Fern- und Eilzügen im grenznahen und im Berliner Bereich? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, die Bundesbahn will das Reisezugangsgebot im grenznahen Bereich sowie im Verkehr von und nach Berlin zum Sommerfahrplan 1990 erweitern. Der Umfang des Angebots im Fahrplanjahr 1990/91 wird im Rahmen einer außerordentlichen Fahrplanbesprechung in der Zeit vom 5. bis 10. Februar 1990, also in diesen Tagen, zwischen der Bundesbahn und der Reichsbahn festgelegt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Schulze.

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich dann fragen: Wie gedenkt die Bundesregierung die auf Berlin ausgerichete Verkehrsinfrastruktur zu stärken?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, diese Frage wird ebenfalls in der sogenannten Kommission Verkehrswege erörtert, außerdem im Regionalausschuß Berlin. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Antretter auf: Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um die Verkehrswegeplanung der Tatsache anzupassen, daß durch die aktuellen politischen Veränderungen in den Ländern Osteuropas die Verkehrsströme zwischen Ost und West stark zunehmen werden und diese Situation ohne leistungsfähige Verkehrswege nicht bewältigt werden kann? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, die Bundesregierung hat ein Gutachten zur künftigen Entwicklung des Verkehrs mit der DDR und Osteuropa in Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse werden bis Ende März erwartet. Zusammen mit der DDR wird in der am 9. Januar 1990 ins Leben gerufenen Kommission Verkehrswege auf dieser Grundlage die Verbesserung des Verkehrswegenetzes sowie die mittel- und langfristige Verkehrswegeplanung fortgeführt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Antretter, bitte schön, eine Zusatzfrage.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Einschätzung, daß angesichts der dramatischen Veränderungen, die sich täglich innerhalb der DDR und der anderen sich im Reformprozeß befindenden Länder abspielen, ein rascheres Vorgehen auch in der Verkehrspolitik angezeigt wäre und daß beispielsweise Ihre Überlegung sein könnte, Eisenbahntrassen, die seither Nebenlinien und künftig mit Sicherheit Hauptachsen werden dürften, aus nachgeordneten Dringlichkeiten in vorrangige einzustufen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Antretter, dies ist durchaus denkbar. Dies alles wird überprüft, einmal von der Kommission Verkehrswege, über die ich bereits gesprochen habe, zum anderen in einem Gutachten, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, zum dritten von der Deutschen Bundesbahn, zum vierten von der Deutschen Reichsbahn, weiterhin auch von der DDR-Regierung. Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß ich nicht den Eindruck habe - darüber haben wir heute morgen auch im Verkehrsausschuß beraten - , daß hier zu langsam vorgegangen wird. Ich glaube, man muß gründlich beraten. Es geht um erhebliche Beträge. Es müssen unter verschiedenen Alternativen einmal die Verkehrsströme ermittelt werden. Ich glaube, man kann nicht einfach sagen: Jede alte Eisenbahnlinie oder jede heute nicht so frequentierte Linie muß in der Zukunft aus diesem Grund ausgebaut werden. Ich weiß z. B. auch, daß es einige Bundesländer gibt, die langersehnte Wünsche jetzt unter dieses neue Etikett packen und versuchen, da mitzuschwimmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine zweite Zusatzfrage.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihren Hinweis akzeptierend, Herr Staatssekretär, daß erhebliche Vorarbeiten und Planungen geleistet werden müssen, möchte ich Sie fragen, ob bei der Bundesregierung die Kenntnis der Notwendigkeit Platz gegriffen hat, daß wir in der künftigen Verkehrspolitik, die die DDR einbezieht und unsere östlichen Nachbarn in stärkerem Maße einzubeziehen hat, Weichen anders stellen sollten als in der zurückliegenden Verkehrspolitik - ich begrenze sie nicht auf Jahre - der Bundesrepublik, bei der wir zu sehr auf die Straße und zuwenig auf die Schiene gesetzt haben.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Antretter, ich gehe davon aus, daß der Ausbau oder die Ergänzung von Schienenwegen einen hervorragenden Platz in dem, was wir jetzt verkehrspolitisch tun müssen, haben wird. Dies ist auch die Ansicht der DDR-Regierung. Ich darf im übrigen aber darauf hinweisen, daß im jetzt laufenden Verkehrswegeplan bereits eine Umsteuerung vorgenommen wurde. Die Investitionen für den Schienenverkehr wurden erheblich erhöht. Gegenüber 27,9 Milliarden DM in dem Zehn-JahresZeitraum bis zum Jahre 1985 werden wir in dem Zeitraum 1986 bis 1995 35 Milliarden DM für Neuinvestitionen zur Verfügung haben. Ich könnte mir allerdings denken, daß durch das Zusammenwachsen der beiden deutschen Teile eine weitere Weichenstellung zugunsten der Schiene vorgenommen werden kann, die auf dem aufbaut, was ich für den jetzt gültigen Verkehrswegeplan gesagt habe.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bachmaier möchte hierzu eine Zusatzfrage stellen.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, schließen die jetzt laufenden Untersuchungen auch Änderungen in den Prioritäten bei der Planung der Bundesverkehrswege - bezogen auf die Schiene - im Ost-West-Verhältnis mit ein?

Not found (Staatssekretär:in)

Dies ist durchaus denkbar. Es gibt aber auch Sonderbeschlüsse; z. B. die Vereinbarung, daß wir von Hannover nach Berlin eine Hochgeschwindigkeitstrasse bauen. Dies steht bereits fest.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es ist noch Zeit für eine weitere Frage des Abgeordneten Antretter. Dann kommt die Aktuelle Stunde. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Antretter auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß angesichts dieser Situation der Schiene insgesamt, aber insbesondere südlich der Mainlinie, eine besondere Bedeutung zukommt, und daß sich aus dieser Sicht vor allem die Strecke Stuttgart-Crailsheim-Nürnberg mit der Weiterführung über Hof oder Ludwigsstadt nach Leipzig besonders anbietet? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, die Bundesregierung mißt der Eisenbahn für den Verkehr mit der DDR und Osteuropa eine besondere Bedeutung bei. Welche Konsequenzen im einzelnen gezogen werden müssen, wird nach Abschluß der Untersuchungen im Rahmen der Kommission Verkehrswege zu bestimmen sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Antretter.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wäre es für Sie im Rahmen Ihrer Überlegungen zu diesem Komplex denkbar, daß die Maßnahmen, die für die Murr-Bahn vorgesehen sind und im Rahmen des Bedarfsplans in der zweiten Dringlichkeit vorgesehen sind, vorrangig eingestuft werden?

Not found (Staatssekretär:in)

Dies wird von dem Ergebnis der Untersuchungen abhängen. Da wir fair und sauber und ohne Vorbehalte untersuchen, ist dies denkbar. Ich muß Sie allerdings darauf hinweisen, daß wir zweierlei zu unterscheiden haben. Bei einem Ausbau einer Schienenverbindung, d. h. bei einem Neubau der Trasse, ist der Bund zuständig. Wird nur auf der alten Trasse elektrifiziert, dann ist zunächst einmal die Bahn zuständig. Wenn die Bahn ermittelt, daß sich dies betriebswirtschaftlich nicht rechnet, dann müssen die Länder für die Elektrifizierung aufkommen. Dafür gibt es viele Beispiele in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und in unserer Verkehrspolitik.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Antretter.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich annehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie unabhängig von den Fragen, die zu klären sind, und den Problemen, die sich stellen werden, nunmehr die Auffassung vertreten, daß die - etwa von der SPD-Landtagsfraktion Baden-Württembergs seit Jahren, aber nunmehr auch vom Verkehrsminister Baden-Württembergs vertretene und geforderte - Elektrifizierung der Murr-Bahn prinzipiell angesichts der neuen Herausforderungen notwendig ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, daß das Ausmaß an Notwendigkeit gestiegen ist. Es muß aber geklärt werden, wer dies alles bezahlt. Ich habe vorher auf die Unterschiede hingewiesen. Einen Ausbau würde der Bund finanzieren. Eine Elektrifizierung auf der alten Trasse müßte die Bahn bezahlen, oder das Land müßte dann einspringen. Dies ist in BadenWürttemberg genauso wie z. B. - wir kommen bei den weiteren Fragen noch darauf zurück - in Schleswig-Holstein. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich beende damit die Fragestunde. Dieser Fragenbereich muß noch einmal aufgerufen werden. Der Abgeordnete Gansel hat mich gebeten, ihm die Möglichkeit zu einer persönlichen Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung zu geben. In analoger Anwendung ist das möglich. Ich erteile ihm dazu das Wort.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Parlamentarische Staatssekretär Hennig hat bei der Beantwortung einer von mir schriftlich eingereichten Frage betreffend das Thema „Mögliche Unterwanderung der DDR-SPD durch ausgetretene SED-Mitglieder" erklärt, ich hätte selbst erklärt, ehemalige SED-Mitglieder sollten in die SPD aufgenommen werden, wenn sie keinen Dreck am Stecken haben. Tatsächlich habe ich in dem von Ihnen, Herr Staatssekretär, zitierten Interview am 23. Januar auf die Frage der „Lübecker Nachrichten" folgendes geantwortet. Die „Lübecker Nachrichten" fragt: Und wie sieht es mit einer Unterwanderung aus? Antwort Gansel: Wenn die Basis der Partei darüber entscheidet, welche ehemaligen SED-Leute aufgenommen werden können, weil sie keinen Dreck am Stekken haben und weil ihr Gesinnungswandel glaubwürdig ist, dann gibt es die Gefahr der Unterwanderung nicht. ({0}) Es ist ein deutlicher Unterschied zwischen eintreten „sollen" und eintreten „können". Ich fordere Herrn Hennig auf, das richtigzustellen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Haben Sie sich gemeldet, Herr Hennig? - Zu einer persönlichen Erklärung analog § 30 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Präsident! Wenn ich das vorhin nicht sagen durfte: ({0}) Ich finde diese ganze Frage eigentlich am Rande dessen, was wir uns unter Kollegen in diesem Hause fragen sollten. ({1}) Ich glaube, daß das die Fragestunde nun wirklich an den Rand des Wahlkampfes führen muß, wenn sich zwei in einem Wahlkampf kandidierende Kandidaten auf diese Weise über das Dreieck der Bundesregierung gegenseitig zu ihren Interviews befragen. Ich finde das nicht gut. Ich finde es auch nicht gut, wenn in einer solchen Aussprache dann unkorrigiert der Zwischenruf „Das sind Barscheleien! " fällt ({2}) - das finde ich noch schlimmer, Frau Kollegin ({3}) und man damit unkorrigiert in die Nähe krimineller Handlungen gerückt wird. Ich weise das auf das entschiedenste zurück. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich bitte Sie, Ihre persönliche Erklärung abzugeben, Herr Staatssekretär. Wir steigern uns nun doch wieder in eine Situation hinein, die ich hier nicht gerne sehen möchte.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Aber das ist nun wirklich nicht meine Schuld, Herr Präsident, sondern das hat der Kollege Gansel vom Zaun gebrochen. ({0}) [SPD]: Er hat eine Frage gestellt! Das ist das Recht eines Abgeordneten!) Im übrigen habe ich wörtlich aus seinem Interview in der Tat in den „Lübecker Nachrichten" vom 23. Januar dieses Jahres zitiert. Ich lese es gern noch einmal wörtlich vor, und wir können das dann im Protokoll auch gern vergleichen: Und wie sieht es mit einer Unterwanderung aus? Antwort Gansel: Wenn die Basis der Partei darüber entscheidet, welche ehemaligen SED-Leute aufgenommen werden können, weil sie keinen Dreck am Stekken haben und weil ihr Gesinnungswandel glaubwürdig ist, dann gibt es die Gefahr der Unterwanderung nicht. Ich meine, aber ich will das gerne überprüfen, daß ich das genau wörtlich zitiert habe, und ich tue das hier auch noch einmal. Ich glaube nicht, daß sie mir an dieser Stelle irgend etwas unterstellen können, Herr Gansel. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, zurückweisen muß ich den Zwischenruf „Barscheleien" . Das möchten wir hier nicht hören, das gehört hier auch nicht hinein. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde Stand der Soforthilfe der Bundesregierung für die DDR Die Fraktion der SPD, meine Damen und Herren, hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist wegen der Lage und der Entwicklung in der DDR notwendig. Meine Damen und Herren, mir wäre es am liebsten, wenn die heutige Diskussion über Sofortmaßnahmen für die Bürger der DDR im Geiste der Solidarität, der Partnerschaft und der gemeinsamen Anstrengung für die Bürger der DDR geführt werden könnte. Den DDR-Bürgern ist wenig geholfen, wenn wir uns hier gegenseitig beharken, statt tatsächlich Lösungsansätze für sie anzubieten. Was sind die Ausgangspunkte? Erstens. Der Wunsch nach Einheit ist in der DDR so dringend geworden, daß alle mittelfristigen Stufenpläne auf Grund des Wunsches der Bürger der DDR Makulatur geworden sind. Deshalb hat sich das Kabinett heute auch dem Vorschlag der SPD, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen, angeschlossen, und zwar in allen seinen wesentlichen Grundgedanken, die wir in der letzten Woche vorgetragen haben. ({0}) Zweitens. Die Lage der DDR-Wirtschaft und die Lebensbedingungen der Bürger der DDR sind weit schlechter, die Lage ist weit dramatischer, als uns bisher von der SED-Regierung vorgegaukelt wurde. Drittens. Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß 3 Millionen DDR-Bürger auf gepackten Koffern sitzen und die DDR verlassen, wenn sich nicht schnell etwas für sie Positives in der DDR tut. Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß wir über die künftige Wirtschaftsordnung der DDR diskutieren, aber ich stelle fest, daß die wesentlichen Parteien in der DDR und wir hier im Deutschen Bundestag über eine marktwirtschaftliche Ordnung der DDR überhaupt nicht unterschiedlicher Meinung sind. Worüber wir zur Zeit unterschiedlicher Meinung sind, ist die Frage der Soforthilfen. In dem Nachtragshaushalt, der von Herrn Finanzminister Waigel vorgeschlagen wird, werden 7 Milliarden DM eingesetzt. Davon soll nur etwa 1 Milliarde DM für konkrete Hilfsmaßnahmen für die DDR verwandt werden. ({1}) Das halte ich für eine Katastrophenpolitik, das ist keine Politik der Hilfe. ({2}) Das muß hier korrigiert werden. ({3}) Wenn Sie immer wieder sagen, in der DDR müsse jetzt ein Kassensturz gemacht werden, man müsse jetzt zeigen, was übriggeblieben sei, dann entspricht das nicht mehr der Diskussion in der DDR. Jeder weiß, daß am 18. März eine demokratische Regierung - wahrscheinlich eine Allparteienregierung jenseits der SED oder PDS - an der Regierung sein wird. Jede Entscheidung, die wir in diesem Bundestag jetzt treffen, hilft der Regierung der DDR nach dem 18. März schneller und wirksamer. ({4}) Sie reden heute nicht mehr darüber, der Frau Luft oder Herrn Modrow oder irgend jemandem von gestern zu helfen. Sie müssen heute darüber reden, wie wir die Startchancen der demokratischen Parteien in der DDR verbessern und wie wir der Demokratie dort eine Lebenschance bieten können. Das ist das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde. ({5}) Herr Waigel, ich bin froh, daß Sie in der Frage der Währungsunion übergekommen sind. Es hat sechs Wochen gedauert. ({6}) Ich bin froh, daß Sie in der Frage der Wirtschaftsunion übergekommen sind, Herr Haussmann. Es hat Wochen gedauert. Kommen Sie jetzt über mit wirksamen Hilfsmaßnahmen für Wohnungen, für eine neue Sozialpolitik in der DDR! ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Roth, Sie fordern jede Woche etwas Neues und jede Woche etwas anderes. ({0}) Sie tragen ebenfalls ganz entscheidend zur deutschdeutschen Verwirrung bei, nicht im Sinne einer Stabilisierung, sondern indem Sie Stichworte der DDR, zum Teil der SED-Machthaber, ungeprüft aufnehmen, ohne sie zu verifizieren. ({1}) Damit tragen Sie leider nicht zu dem nationalen Konsens bei, den wir hier eigentlich haben sollten. ({2}) Mit dem Nachtragshaushalt nehmen wir die Herausforderungen an und tragen ihnen Rechnung. Ich habe vorher schon gesagt, daß viele Dinge außerhalb des Haushalts laufen. Alles, was wir zur Telekommunikation, zur Verbesserung des Telefonnetzes beitragen, beruht auf einer politischen Entscheidung außerhalb des Haushalts. Wie kommen Sie eigentlich darauf, das betrage nur 1 Milliarde DM? Der Reisedevisenfonds macht 2,15 Milliarden DM aus. Auch damit können entscheidende Investitionen dort finanziert werden. Ich nenne die Aufstockung des ERP-Sondervermögens um 2 Milliarden DM in vier Jahren; damit kann ein Volumen von insgesamt 6 Milliarden DM mobilisiert werden. Humanitäre Sofortmaßnahmen im Bereich der Medizin: 320 Millionen DM; 90 Millionen DM für Schulungsveranstaltungen und Technologietransfer; Aufstockung der Mittel für Umweltschutzprojekte auf 900 Millionen DM; Verbesserung der Verkehrswege durch die Bereitstellung von 200 Millionen DM. ({3}) Auch das trägt zu einem guten deutsch-deutschen Verhältnis bei. Es ist schon ein starkes Stück, uns zunächst anzugreifen, wir würden für Berlin zu wenig tun. Wir geben mit Zustimmung des Senats einen erheblichen Betrag von 400 Millionen DM, den Sie dann in dem Zusammenhang überhaupt nicht aufgerechnet haben wollen. Meine Damen und Herren, so können wir miteinander nicht umgehen! ({4}) Außerdem haben wir - erstmals und ganz bewußt - eine Planungsreserve von 2 Milliarden DM geschaffen, um den Herausforderungen und den Dingen der nächsten Wochen und Monate zu begegnen. Sie wissen aber ganz genau, so wie wir alle, daß wir die Zukunftsperspektiven auf diesem Weg allein nicht gestalten können. Deswegen halte ich es für richtig, daß wir die Initiative ergriffen haben und der DDR ein Angebot machen - nicht einen Beschluß fassen können -, ({5}) wie wir zu einer Währungsunion und einer - das wird der Kollege Haussmann feststellen - unabdingbar notwendigen, vorherigen oder uno actu stattfindenden Wirtschaftsreform kommen. Das ist entscheidend. ({6}) Ich gebe Ihnen in einem, Kollege Roth, recht: daß alle Stufenpläne, die in der Vergangenheit richtig und ökonomisch exakt definiert worden sind, durch die Entwicklung, durch die ganz konkreten politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen auf eine ungemein große Verkürzung des Zeithorizonts gestoßen sind. Darum gibt es auch zwischen Bundesbank - das hat heute eine lange, sehr eingehende, sehr fachkundige Diskussion im Kabinett mit dem Bundesbankpräsidenten ergeben - und Bundesregierung in diesen Grundsatzfragen überhaupt kein Auseinanderklaffen. Die Bundesbank wird uns ihren bewährten und hervorragenden Rat gerade in diesen wichtigen Wochen und Monaten nicht versagen. ({7}) Ich halte das für wichtig. Denn gerade die Bundesbank verfügt über eine große Autorität, die wir auch in der Bevölkerung, bei uns und international, entsprechend einsetzen müssen. ({8}) Es handelt sich bei diesem Modell, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht um den Versuch einer währungspolitischen Vereinnahmung der DDR. Es handelt sich um ein Angebot, das den Menschen in der DDR Zukunftsperspektiven eröffnet, um ein psychologisches Signal für die Freisetzung unternehmerischer Kräfte in der DDR mit dem klar ausgesprochenen Ziel, innerhalb der EG der staatlichen Vereinigung Deutschlands näherzukommen. Meine Damen und Herren, seien wir froh, Herr Kollege Roth, daß wir Ihre Ursprungspläne, die Ost-Mark über die Bundesbank zu stabilisieren, nicht aufgegriffen haben. ({9}) Das wäre ({10}) ein katastrophaler Beginn für eine solche Zusammenarbeit gewesen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts. ({0})

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über Soforthilfe für die DDR sprechen, käme es doch zunächst einmal darauf an, denjenigen, dem geholfen werden soll, nämlich der DDR, zu befragen, welche Wünsche und Bedürfnisse dort von den Parteien, den Gewerkschaften und der Bevölkerung geäußert werden. ({0}) Am Montag dieser Woche hat der Runde Tisch dies in sehr eindrucksvoller Weise getan. Mit einer deutlichen Mehrheit hat sich der Runde Tisch auf Antrag einer Bürgerrechtsgruppe dafür ausgesprochen - ich zitiere - , „im Interesse eines fairen Wahlkampfes und der Chancengleichheit auf Gastredner aus der Bundesrepublik und West-Berlin zu verzichten". ({1}) Kaum war der Beschluß bekanntgeworden, da erklärten die Altparteien hier in der Bundesrepublik, daß sie gar nicht daran dächten, sich an diesen Beschluß zu halten. Demokratische Willensbildung ist offensichtlich nur so lange gefragt, wie sie die eigenen parteipolitischen Ziele befördert; das sind die Tatsachen. Entwicklungsminister Warnke verstieg sich sogar zu dem Vergleich, der Runde Tisch wolle sich den Wahlkampf offensichtlich als Privatjagd sichern. So gehen Sie auf die Wünsche der DDR ein! ({2}) Was von den Altparteien angestrebt wird, ist nicht mehr „Wandel in der DDR durch Annäherung", sondern „Wandel durch Anmaßung und Arroganz", „Wandel durch Anschluß" - zu Ihren Bedingungen. ({3}) Das ist der wichtige Vorspann, wenn man über Soforthilfe redet. Das dürfen Sie nämlich alle nicht vergessen. ({4}) Während die Bundesregierung, Herr Waigel, ein völlig unzureichendes Soforthilfeprogramm vorlegt - ich habe genau nachgerechnet: ca. 3 Milliarden DM -, kommt es jetzt darauf an, der DDR durch angemessene Sofortmaßnahmen die Zeit für ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen zu verschaffen. Das wäre der wichtigste Beitrag, den die Bundesrepublik derzeit leisten könnte. Diese Zeit könnte gewonnen werden, wenn die Bürgerinnen und Bürger schon kurzfristig konkrete Verbesserungen ihrer allgemeinen Lebenssituation spüren könnten. Notwendig ist deshalb eine schnelle Verbesserung der allgemeinen Versorgungssituation der Bevölkerung in der DDR. Konkret bedeutet das, daß die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs - hierzu zählen auch hochwertige Konsumgüter - schnell erfolgt. Da ein Teil dieser Waren gegenwärtig in der DDR nur mit Devisen zu erwerben ist ({5}) - jetzt hören Sie einmal zu; auf die Idee sind Sie noch gar nicht gekommen -, sollte erwogen werden, zusätzlich zu dem Reisedevisenfonds einen Konsumentenkredit-Devisenfonds zu schaffen. Jetzt kommt es darauf an, durch wirtschaftliche und infrastrukturelle Soforthilfe für die Bürgerinnen und Bürger in der DDR Anreize zu schaffen, die das Bleiben in der DDR attraktiv machen. Gleichzeitig muß ein Stufenplan erarbeitet werden, der auf die Konvertibilität der DDR-Mark hinausläuft. Schnelle Hilfe ist notwendig - es reicht nicht, nur davon zu reden - z. B. im Bereich der Wohnungsversorgung und zur Bewältigung der katastrophalen ökologischen Situation in der DDR. Im Bereich der Wohnungsmodernisierung hat die Bundesregierung überhaupt nichts zu bieten. ({6}) Zur Verbesserung des Umweltschutzes in der DDR will die Bundesregierung - verteilt auf fünf Jahre - die Mittel von bisher 300 auf 900 Millionen DM anheben, angesichts der verheerenden Umweltsituation in der DDR geradezu ein lächerlicher Betrag, wenn man bedenkt, daß in der DDR nur 72 % der Haushalte an das Kanalnetz und noch weniger, nämlich 58 %, an eine Kläranlage angeschlossen sind. ({7}) Lediglich 140 Millionen DM sind in Herrn Waigels Nachtragshaushalt enthalten, und das auch noch zur Sicherung von kerntechnischen Anlagen. Das ist doch wirklich lächerlich. Nach unserer Auffassung müssen im Rahmen eines Soforthilfeprogramms folgende Maßnahmen getroffen werden. Erstens: Erweiterung der Konvertierbarkeit der DDR-Mark. Wechselkurse müssen durch politische Verhandlungen festgelegt werden, ({8}) so daß der wirtschaftliche Umbau der DDR-Wirtschaft erleichtert wird. ({9}) Zweitens. Für die dringendsten Umweltprojekte - z. B. Entschwefelungsanlagen, Kläranlagen, Sanierung von Grundwasser - müssen die Finanzmittel deutlich aufgestockt werden. Das soll durch unser Soforthifeprogramm von mindestens 10 Milliarden DM geleistet werden. ({10}) - Jawohl, das ist notwendig. Jetzt sieht man einmal Ihre Großzügigkeit. Sie sind Geizhälse. Drittens. Über den Reisedevisenfonds hinaus sollte ein zusätzlicher Konsumentenkredit-Devisenfonds eingerichtet werden. Viertens. Für die Erneuerung des Maschinenparks in DDR-Betrieben sind Garantien und Bürgschaften bereitzustellen. Das von der Bundesregierung vorgelegte Soforthilfeprogramm wird der tatsächlichen ökologischen und wirtschaftspolitischen Situation nicht gerecht und wird die Leute in der DDR nicht zum Bleiben bewegen. Wer den Entscheidungsprozeß der DDR nicht bevormunden will, sondern verschiedene Möglichkeiten eines Miteinanders der beiden deutschen Staaten zuläßt, muß pragmatische, der ökologischen und wirtschaftlichen Situation angemessene Soforthilfen gewähren, die das Selbstbestimmungsrecht der DDR garantieren. Da haben Sie versagt. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Vennegerts, ich habe den Eindruck, Sie lesen am Schreibtisch in Bonn Ihre Parteiprogramme, ({0}) statt mit den Menschen in der DDR zu reden; denn sonst hätten Sie im ersten Teil Ihrer Ausführungen nicht den Eindruck erweckt, als wollten die Menschen gar nicht, daß wir hinüberkommen, daß wir mit ihnen reden, daß wir ihnen zuhören, ({1}) ja daß wir - das sage ich ebenfalls - auch politisch mit ihnen diskutieren. Wir drängen uns nicht auf, ({2}) aber wir nehmen gerne die Einladungen unserer Landsleute an, drüben mit ihnen zu reden. Das werden wir auch in Zukunft tun. ({3}) Wer mit den Menschen in der DDR spricht, weiß: Sie wollen schnell eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Darauf hat die Bundesregierung mit ihrem Soforthilfeprogramm geantwortet. Sie stellt medizinische Hilfe zur Verfügung, sie finanziert zusätzliche Umweltschutzprojekte, sie investiert in das Telefonsystem, sie verbessert die Verkehrswege, sie hilft bei der Existenzgründung von Selbständigen. Zehntausende von DDR-Bürgern wollen noch in den nächsten Monaten selbständig werden. Die Anträge können jetzt gestellt werden. Die Bundesregierung ist, wie das Kabinett gestern mit Recht entschieden hat, bereit, mit der DDR zusammen eine Wirtschafts- und Währungsunion zu bilden, damit die DDR-Landsleute möglichst schnell für ihre Leistung harte Mark in die Hand bekommen. Also nicht, Herr Kollege Roth und Frau MatthäusMaier, die Stabilisierung der Ost-Mark ist gefragt, ({4}) sondern eine gemeinsame stabile deutsche Währung, auf deren Basis der wirtschaftliche Fortschritt in der DDR und die grundlegende Veränderung der Lebenssituation der Menschen drüben erreicht werden können. Allerdings ist klar: Diese Währungsunion kann nur sinnvoll sein, wenn sie auf einem soliden, stabilen Fundament steht. ({5}) Deswegen, so meinen wir, muß dringend eine umfassende Preisreform mit einer freien Preisbildung in der DDR durchgesetzt werden. Deswegen muß eine leistungsfördernde Steuerreform geschaffen werden. Deswegen muß eine vollständige Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit ermöglicht werden. Deswegen muß eine vollständige Tarif- und Koalitionsfreiheit erreicht werden. Es muß die völlige Zulassung von Privateigentum geben. Das, was wir gemeinsam wollen - ich glaube, darüber dürfte es keinen Unterschied in diesem Hause geben - , ist eine Wirtschafts- und Währungsunion auf stabilem Fundament. Die D-Mark als gemeinsame Währung soll d e r Stabilitätsanker auch im europäischen Währungssystem bleiben. Das muß doch unser Ziel sein für die Menschen hüben und für die Menschen drüben. Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß es nur gelingen wird, zu einem wirtschaftlichen Aufbruch in der DDR beizutragen, wenn nicht nur die großen Betriebe auf beiden Seiten unterwegs sind, wenn drüben privatisiert und dezentralisiert wird, sondern wenn vor allem die Zehntausende von kleinen und mittleren Betrieben, die schon da sind und die sich gründen werden, von uns ermutigt und unterstützt werden. 100 000 gründungswillige Unternehmer sind nach den jüngsten Erhebungen in der DDR auf dem Sprung. Es muß doch unser Ziel sein, denen mit Mitteln aus dem ERP-Gründungsprogramm und mit zinsgünstigen Krediten zu helfen. Diese Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze, sorgen für eine bessere Lebensmittelversorgung, sorgen für Heimwerker- und Baumärkte. Ich halte wenig davon, hier in diesem Hause die kleinkarierte Diskussion fortzusetzen, die vorhin vom Kollegen Roth begonnen wurde. Wir sollten hier einen Wettlauf um die besseren Ideen veranstalten, aber nicht eine kleinkarierte Auseinandersetzung darüber, wer zuerst da war. ({6}) Ich meine, wir brauchen hier Anregungen für die Zukunft und nicht die Schlachten von vorgestern. Die DDR braucht unsere Unterstützung. Sie braucht einen schnellen Beitrag zu einer deutschen Währungs- und Wirtschaftsunion auf solidem ordnungspolitischem Fundament; denn dann haben wir die Voraussetzungen zu schaffen, um die staatliche Einheit Deutschlands zügig zu erreichen und damit unserem Land eine gute Zukunft zu geben. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN werden kaum in die Gefahr kommen, eine Einladung zum Auftritt im Wahlkampf in der DDR zu erhalten, wenn sie solche Reden halten, wie wir sie eben gehört haben. Das Problem erledigt sich auf diese Weise. Sie können dem Beschluß des Runden Tisches folgen. Das Tempo des wirtschaftlichen und politischen Verfalls in der DDR nimmt zu; wir wissen das. Der Strom der Übersiedler schwillt an. Er verschärft die Probleme drüben und führt zu Spannungen bei uns. Jeder weiß: Die Bürger der DDR brauchen eine Zukunftsperspektive, ein Zeichen der Hoffnung, damit wir zwar immer noch keine Gewißheit, aber doch eine Chance haben, daß das vielleicht endet. Wenn das nicht geschieht, packen immer mehr ihre Koffer. Herr Roth, Sie haben schon recht: Der Drang zur deutschen Einheit ist so stark geworden, daß alle bisherigen Pläne Makulatur geworden sind - so haben Sie gesagt - und natürlich auch die früheren politischen Vorstellungen der SPD zur Wiedervereinigungspolitik. ({0}) Der Prozeß der deutschen Einigung sollte und darf sich nicht in chaotischen Bahnen vollziehen. Er sollte geordnet vor sich gehen. Das ist gewiß der bessere Weg. Jeder von uns wird das so sehen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung bereit ist, mit der DDR unverzüglich in Verhandlungen über eine Währungsunion mit einer Wirtschaftsreform einzutreten. Was eine Wirtschaftsunion eigentlich sein soll, hat mir bisher noch niemand erklären können. ({1}) Aber Währungsunion mit Wirtschaftsreform ist notwendig. Die Währungsunion allein bringt allerdings nichts. Gutes Geld in eine falsche Wirtschaftsordnung zu stecken, das ruiniert auch noch das gute Geld. ({2}) - Ich sage es ja nur. Anfangs haben Sie es gefordert. ({3}) Inzwischen haben Sie von Ihren früheren Vorstellungen soviel gestrichen, daß Sie nunmehr richtigen Positionen näherkommen. Aber das können Sie ja gleich hier erklären. ({4}) - Lieber Herr Roth, ich bin voll beeindruckt von der Situation der Bundesrepublik. Wir sind das mit Währungsexperten am reichsten gesegnete Land dieser Welt. Das hat sich in den letzten 14 Tagen gezeigt. ({5}) - Ich nehme mich gerne davon aus, jawohl. Ich verstehe davon gar nichts. Die Stabilität der D-Mark, ihr internationales Ansehen dürfen auch im Interesse der DDR und dessen, was wir da vor uns haben, was wir zu leisten haben, nicht gefährdet werden. Ohne Reformen würde der Zustrom von privatem Kapital gar nicht erst einsetzen. Und darauf kommt es entscheidend an. Es kommt bei diesen Größenordnungen nicht entscheidend auf öffentliche Mittel an, sondern auf privates Kapital. ({6}) Was „Reformen" im einzelnen bedeutet, will ich gar nicht aufzählen. Wahrscheinlich sind wir uns darüber einig, was notwendig ist. Aber wenn Sie sagen, Herr Roth, alle Parteien in der DDR seien für die Soziale Marktwirtschaft, so ist das verbal richtig. Die Wirtschaftspolitik der Frau Luft nehmen wir davon aus. Die versteht es immer noch nicht. Aber was Herr Ibrahim Böhme dazu verkündet, zeigt, daß er es auch nicht versteht. Das ist nicht die Soziale Marktwirtschaft, und das sind nicht die Vorstellungen, die die DDR braucht. Es sind jetzt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Reformen nach den Wahlen am 18. März schleunigst umgesetzt werden können. Sie müssen auch sozial flankiert werden - das ist zu Recht gesagt worden - , vor allem durch zwei Dinge: durch eine Arbeitslosenversicherung und durch eine Anpassung oder Sicherung des Rentenniveaus. Hier, meine ich, müssen wir in angemessener Weise zeitlich befristet Hilfe und Leistungen zusagen, um den Übergang in dieser transitorischen Periode abzufedern. Für die währungspolitische Zusammenarbeit gibt es verschiedene Modelle. Ich will sie hier gar nicht im einzelnen behandeln. Eines steht fest: Das österreichische Modell könnte morgen eingeführt werden. ({7}) Es gäbe überhaupt keinen Zeitverlust. Die Einführung der D-Mark West in der DDR hätte erheblich mehr Probleme, brauchte eine Änderung des Bundesbankgesetzes, so gestern Herr Pöhl. Übrigens ist den meisten wahrscheinlich gar nicht bewußt, Herr Roth, daß dies die Währungsreform bedeutete, mit all den Härten und Ungerechtigkeiten und mit ganz fatalen Rückwirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe in der DDR. Es wäre schon ein besserer Weg, die D-Mark und die Mark der DDR zu verbinden, wobei sich die DDR-Staatsbank in ihrer stabilitätsorientierten Politik der Führung durch die Deutsche Bundesbank anvertraute. ({8}) Meine Damen und Herren, die daraus entstehenden Belastungen für Bevölkerung und Wirtschaft der DDR sind gering im Vergleich zur Härte eines Währungsschnittes. Aber wir wollen hier nicht über Einzelheiten diskutieren. ({9}) Das kann man in fünf Minuten nicht! Schon vor dem 18. März kann und soll es auf den Feldern Gesundheitswesen, Umweltschutz, Telekommunikation und Verkehrswesen Hilfe geben. Das ist auch schon vereinbart. Es ist geschehen. Die Zahlen, die der Finanzminister hier genannt hat, sind ausreichend und zufriedenstellend und zeigen, daß die Bundesregierung handelt. Wir müssen dafür Sorge tragen, meine Damen und Herren, daß unsere Wirtschaft stark genug bleibt, um das zu schaffen und zu erreichen, was notwendig ist. - Ja, da nicken Sie freundlich. Dann hören Sie auf, uns Steuererhöhungen vorzuschlagen, die die Wirtschaft beschädigen würden, ({10}) und sagen Sie ihren Freunden, daß überzogene Tarifabschlüsse, wie sie zur Zeit verhandelt werden, gerade jetzt Gift für die Wirtschaft sind ({11}) und auch Gift für die Bewältigung der deutsch-deutschen Einigung, ({12}) die jetzt erfreulicherweise so nahe vor der Tür steht. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Täglich kommen über 2 000 Übersiedler. Das zeigt: Den Menschen in der DDR fehlt die Hoffnung, daß es in ihrer Heimat bald bergauf geht. Verantwortlich dafür ist selbstverständlich die SED-Regierung, die sich auch jetzt noch nur widerstrebend an grundlegende wirtschaftspolitische Reformen macht. Verantwortlich ist aber auch unsere Bundesregierung, die sich bis heute weigert, den Menschen in der DDR mit wirksamen Sofortmaßnahmen konkret, rasch und unbürokratisch unter die Arme zu greifen, meine Damen und Herren. ({0}) Dies ist verantwortungslos. Durch das Zögern dieser Bundesregierung nimmt der Übersiedlerstrom zu. Die DDR nähert sich dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, und in der Bundesrepublik wachsen die Probleme durch die Übersiedler. Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit steigen immer weiter an. Der von Ihnen vorgelegte Nachtragshaushalt, Herr Waigel, ist eine Enttäuschung. Wir könnten viel mehr tun. Wir könnten helfen, daß die Städte in der DDR nicht weiter verfallen, daß bis zum Herbst die Dächer gedeckt sind und daß die Versorgungsengpässe schnell beseitigt werden. Geld für wirksame Sofortmaßnahmen wäre da, wenn die Bundesregierung endlich bei den Militärausgaben streichen würde. ({1}) Überall sind die Weichen auf Abrüstung gestellt. Sie aber halten an einem Verteidigungsrekordetat von über 54 Milliarden DM fest. ({2}) Es ist unverantwortlich, daß Sie dort nicht eine einzige D-Mark sparen, um Soforthilfen für die DDR zu finanzieren, meine Damen und Herren. ({3}) Sie wollen statt dessen den leichten Weg des Schuldenmachens gehen und die Neuverschuldung in diesem Jahr auf 33,5 Milliarden DM erhöhen. ({4}) Wenn wir jetzt schnell helfen, wird es besser und billiger. Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Waigel, sparen Sie endlich beim Verteidigungshaushalt, und geben Sie den Bürgern in der DDR durch wirksame Soforthilfen eine Perspektive zum Bleiben! ({5}) Zu den Perspektiven gehört auch die Währungsunion. ({6}) Meine Damen und Herren, ich habe am 19. Januar dieses Jahres in der Wochenzeitschrift „Die Zeit" folgendes geschrieben: ({7}) Das sichtbarste Signal für wirtschaftlichen Aufschwung - ({8}) - Herr Präsident, so kann ich meine fünf Minuten nicht einhalten, wenn immer so geschrien wird!

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es hilft aber leider nichts. ({0})

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe dort geschrieben: Das sichtbarste Signal für wirtschaftlichen Aufschwung in der DDR wäre, die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in der DDR zuzulassen und die Mark der DDR schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Währungsunion mit der D-Mark wäre für die Bürger in der DDR ein einsichtiges und überzeugendes Signal ({0}) für eine rasche wirtschaftliche Besserung, das sie zum Bleiben in ihrer Heimat veranlassen könnte. Meine Damen und Herren, dafür nehmen wir schon das Urheberrecht in Anspruch. ({1}) Wenn Graf Lambsdorff immer noch nicht die Kurve kriegt und auf dem österreichischen Modell herumhackt: Graf Lambsdorff, Sie wissen doch, in Österreich interveniert die österreichische Zentralbank. Können Sie mir einmal sagen, wie die DDR ihre Ost-Mark stützen soll? Das ist doch Unsinn. ({2}) Eine Währungsunion kann die notwendigen Ref or-men der DDR nicht ersetzen. Das haben wir immer gesagt. Nötig sind Abschaffung der bürokratischen Kommandowirtschaft, ({3}) Preisreform, leistungsgerechte Entlohnung, ein funktionsfähiges Bankensystem und ein wirtschaftsförderndes Steuersystem. Diese Reformen sind in jedem Fall erforderlich, ob mit oder ohne Währungsreform. Aber die Einführung der D-Mark in der DDR würde diese Reformen ganz entscheidend unterstützen und beschleunigen. Ich bin der festen Überzeugung, die Einführung der D-Mark wäre der Startschuß für ein Wirtschaftswunder in der DDR. Alles spricht dafür: Die Menschen in der DDR würden für ihre gute Arbeit gutes Geld bekommen, die Regale würden sich auf einen Schlag füllen, und westliche Investitionen kämen schneller. ({4}) Die Befürchtungen, die Notenpresse könnte von der DDR in Gang gesetzt werden, sind doch albern, meine Damen und Herren. Die DDR hätte überhaupt keine Notenpresse mehr. Und Sie werden das auch noch verstehen, Graf Lambsdorff. ({5}) Eine Garantie dafür, daß durch die Einführung der D-Mark der Massenexodus aus der DDR gestoppt wird, gibt es nicht. ({6}) Aber ohne wirksame Soforthilfen und ohne die DM-Währungsunion haben wir die Garantie, daß weiter Tag für Tag Tausende von DDR-Bürgern ihre Heimat verlassen. Deswegen müssen wir jetzt verantwortlich handeln. Wir brauchen die D-Mark-Währungsunion noch in diesem Jahr, meine Damen und Herren. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beste Hilfe für den anderen Teil Deutschlands wäre ganz bestimmt nicht die, die Frau Matthäus-Maier gefordert hat, nämlich die Gefährdung unserer Sicherheit durch eine radikale Kürzung des Verteidigungsetats, ({0}) und ganz bestimmt auch nicht die Vernachlässigung unserer Bündnisverpflichtungen. Die beste Hilfe für die DDR und damit für ganz Deutschland ist eine radikale Wirtschaftsreform, ein schneller Wechsel von der staatlichen Kommandowirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft. ({1}) Richtig ist, daß die sozialistische Planwirtschaft auf der ganzen Linie versagt hat. Eine Währungsunion mit der DDR kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie als Teil einer Wirtschaftsreform verwirklicht wird. Eine Währungsunion ohne gleichzeitige Wirtschaftsreform würde sich als Irrtum erweisen; denn mit einer guten Währung allein kann einer maroden Wirtschaft nicht auf die Beine geholfen werden. ({2}) Was für die Europäische Währungsunion als richtig erkannt wurde, kann für eine deutsch-deutsche Einheitswährung nicht falsch sein: Die Stabilität der D-Mark darf durch eine Währungsunion nicht gefährdet werden. ({3}) Deswegen sind für uns unverzichtbare Voraussetzungen, daß die Bundesbank Herr über die Geldmenge bleibt und gleichzeitig in der DDR marktwirtschaftliche Reformen durchgesetzt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind nicht bereit, mit gutem Geld sozialistische Spielereien zu finanzieren. Die Wirtschaft hat alle Vorschläge, die von Frau Luft mit ihrer Joint-Venture-Verordnung gemacht wurden, als untauglich bezeichnet. Frau Luft fordert gleichzeitig 15 Milliarden DM als Soforthilfe von uns. ({4}) 1d858 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Glos Ich bin der Meinung, erst müssen die drüben ihre Hausaufgaben machen, bevor wir D-Mark als Mantel der christlichen Nächstenliebe darüber breiten. ({5}) Meine Damen und Herren, Voraussetzung einer Hilfe für den anderen Teil Deutschlands ist die Fortführung der erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik bei uns. Was gut ist für die Bundesrepublik, kann nicht schlecht sein für ganz Deutschland. ({6}) Die Finanzpolitik der Koalition - der Herr Bundesfinanzminister hat es bereits gesagt - hat dazu beigetragen, daß wir heute in der Lage sind, daß wir heute so stark sind, die Herausforderungen, die mit der Wiedervereinigung auf uns zukommen, finanziell zu bewältigen, ohne unseren Bürgern tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Nach der friedlichsten deutschen Revolution, der vom 9. November 1989, sind vor allem aus den Reihen der Opposition Steuererhöhungen oder neue Sonderabgaben zugunsten von staatlichen Hilfen für die DDR gefordert worden. Wir haben dies auch heute wieder hier gehört. Das ist der falsche Weg. Der richtige Weg ist eine Förderung der Privatwirtschaft mit einer radikalen Veränderung der Eigentumsordnung drüben. Da ist auch die DDR-SPD weiter als die SPD bei uns. Ich habe gelesen, der SPD-Vorstand dort hat eine Privatisierung des riesigen Staatsvermögens gefordert. Ich halte das für einen sehr erwägenswerten Weg. Bei uns spreizt sich die SPD immer gegen Privatisierung von staatlichem Vermögen. Auch das ist eine interessante Erkenntnis. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übrigen gehört die SPD-Vorstellung, der DDR-Wirtschaft mit öffentlichen Haushaltsmitteln auf die Beine helfen zu können, in das Reich der Illusionen. Es ist illusionär und eine unverantwortliche Verunsicherung der Steuerzahler, wenn die SPD eine 100-Milliarden-DMZahlung an die DDR fordert, wie es gestern der Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag, Gerd Börnsen, in Schwerin getan hat. ({7}) - Ich beziehe mich auf Pressemitteilungen, die ich heute über den ,, dpa" -Ticker gekriegt habe. Was für den anderen Teil Deutschlands getan werden muß, muß ökonomisch richtig und sinnvoll sein. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, daß unternehmerisches Kapital aus der Bundesrepublik Deutschland und dem westlichen Ausland in die DDR fließt. ({8}) Die Finanzpolitiker der Unionsfraktion begrüßen das Verhandlungsangebot der Bundesregierung an die DDR, eine Währungsunion mit einer überzeugenden Befreiung der marktwirtschaftlichen Kräfte der DDR zu verbinden. Dieser Schritt ist politisch notwendig. Wir werden genau darauf achten, daß der zweite Schritt nicht vor dem ersten getan wird, ({9}) und eine Währungsunion für den deutschen Steuerzahler nicht zu einem Faß ohne Boden wird. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

So, jetzt zurück zur Realität, Herr Lambsdorff. Wir GRÜNEN befinden uns in bester Gesellschaft mit Herrn Pöhl und Herrn Geiger bei der kritischen Betrachtung der sehr schnellen Währungsunion, die Sie hier alle gefordert haben. ({0}) Auch mit der jetzt in der Diskussion befindlichen und vom Kabinett beschlossenen Währungsunion könnten die Bürger und Bürgerinnen der DDR schnell mit einem Zahlungsmittel versorgt werden, das ihnen unbeschränkten Zugriff auf alle Güter und Dienstleistungen der Bundesrepublik garantiert - das ist sicherlich richtig -, freilich - das ist unsere Kritik - um einen hohen Preis. Wer die Geldmenge kontrolliert, schafft Fakten für die Wirtschaftspolitik der neu zu wählenden DDR-Regierung. Die neue Regierung wird von vornherein keine andere Wahl haben, als sich den geldpolitischen Forderungen der Bundesbank zu fügen. Das sagt auch Herr Geiger. ({1}) Die Währungsunion ist auch unter geldpolitischen Aspekten wenig realistisch. Sie würde nämlich bedeuten, daß die Bundesrepublik die Kosten für das gesamte Rentensystem der DDR übernimmt. Ferner müßten für Geldvermögen und Spargelder Entschädigungen geleistet werden. Bei einem Kurs von 1 : 1 wären nach Angaben des Sachverständigenrates allein für Entschädigungen ca. 335 Milliarden DM aufzubringen. So unrealistisch sind Sie. ({2}) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt, das reale Wirtschaftsgefälle könnte zu katastrophalen Ergebnissen führen und die Bürger der DDR praktisch zu Sozialhilfeempfängern machen. Das Institut warnt heute - heute ist das passiert - vor einer übereilten Währungsunion. Wir sind doch nicht bekloppt. Das sind Fachleute, die genau diese Meinung vertreten, und diese Warnungen sollten Sie ernstnehmen. Die GRÜNEN wenden sich nicht dagegen, daß sich die Bürgerinnen und Bürger in der DDR in freier Selbstbestimmung für ein Zusammengehen mit der Bundesrepublik entscheiden. ({3}) Wir wehren uns allerdings dagegen, wenn durch teils offenen, teils versteckten Druck von außen die Wahl verschiedener Entwicklungspfade eingeengt oder ganz unmöglich gemacht wird. Das ist hier der Unterschied zu den anderen Fraktionen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, entscheidend wäre, daß sich alle wichtigen Parteien im Deutschen Bundestag darauf verständigen, daß wir uns alle getäuscht haben, daß wir ständig dazulernen ({0}) und daß auch das, was heute hier gesagt wird, noch nicht der letzte Vorschlag sein kann, ({1}) sondern daß wir uns in einer großen demokratischen Anstrengung mit richtigen währungs- und wirtschaftspolitischen Ergebnissen und Antworten offenhalten müssen, wenn die DDR, die nach wie vor ein souveränes Land ist, ihre Entscheidung getroffen hat, meine Damen und Herren. Deshalb ist es richtig, daß wir heute den Bürgern in der DDR sagen: Die DDR hat von allen Ländern in Osteuropa die besten Voraussetzungen und die bestqualifizierten Menschen. Wir haben die besten Voraussetzungen und die größten Mittel, um ein deutschdeutsches Wirtschaftswunder schnell in Gang zu setzen, meine Damen und Herren. Deshalb sollten die Menschen in der DDR bleiben. Meine Damen und Herren, wir wollen nicht lange über die Ausgangslage streiten. Aber wahr ist auch, daß sich die Sozialdemokraten heute mit der guten, stabilen D-Mark schmücken und daß wir hier viele Diskussionen über eine andere Geldmengensteuerung und über mehr Kreditprogramme erlebt haben. Wenn wir dem gefolgt wären, hätte die D-Mark heute in der DDR nicht diesen guten Klang. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. ({2}) Wahr ist, Frau Kollegin, daß Sie unsere Wachstumsraten jetzt gerne in der DDR mit verteilen würden. Wahr ist aber auch, daß Sie immer gegen die Steuerreform waren, daß Sie von Anfang an die Senkung der Lohnzusatzkosten bekämpft haben und daß Sie immer gegen die Änderung des Ladenschlusses waren. Das heißt, all die Maßnahmen, meine Damen und Herren, die uns wirtschaftlich stark gemacht haben, wurden von Ihnen zunächst bekämpft. Deshalb sage ich: Wir, die Koalition der christlichen Union und der Freien Demokraten, haben diese Erfolge mit unserer Politik erreicht, und daher bestimmen wir jetzt, wie wir der DDR am besten helfen. ({3}) Entscheidend ist neben den notwendigen Sofortmaßnahmen, die ja eingeleitet sind, bei denen wir aber das Problem haben, daß sie kurzfristig nicht greifen können, weil der Mittelstand nicht mehr vorhanden ist, weil das Kammerwesen nicht mehr da ist, weil vieles in den SED-Bezirks- und Kommunalregierungen versickert - das ist ja nicht ein Geldmangel, sondern ein Strukturmangel in der DDR -, die Perspektive „Marktwirtschaft und D-Mark" , und insofern kommt der Währung eine enorme, eine entscheidende psychologische Bedeutung für die Zukunftspläne der Menschen zu. Deshalb hat die Bundesregierung heute entschieden, daß wir unverzüglich in konkrete Verhandlungen über eine künftige Währungsunion mit durchgreifenden Wirtschaftsreformmaßnahmen eintreten. Meine Damen und Herren, eine Währungsunion alleine, ohne radikale Wirtschaftsreformen, wäre sinnlos, ja sie würde indirekt auch die gute deutsche D-Mark gefährden. Das heißt, Währungsunion ohne Gewerbefreiheit, ohne Privateigentum, ohne Steuerreform macht keinen Sinn. ({4}) Insofern müssen diese beiden Elemente eng miteinander verbunden bleiben, und ich nehme zur Kenntnis, daß die Sozialdemokraten nach ihrer bisherigen ausschließlichen Betonung der Währungsfrage inzwischen auch Fragen der Wirtschaftsreform ernster nehmen. ({5}) Ich halte das für einen großen Fortschritt. Nun gebe ich zu, daß der bisherige Weg, mit SED-Vertretern zu besseren Ergebnissen zu kommen, im Grunde gescheitert ist. Wir haben leider viel Zeit verloren. ({6}) Die Abmachungen wurden nicht eingehalten. Insofern macht es nur Sinn, sich jetzt rechtzeitig auf die Situation nach dem 18. März vorzubereiten, und die Bundesregierung wird das in enger Kooperation mit der Deutschen Bundesbank tun. Es gibt, wie die heutige Kabinettsitzung gezeigt hat, keinerlei Meinungsverschiedenheiten, und deshalb wiederhole ich, an die Bürger in der DDR gewandt: Ein gemeinsames deutsch-deutsches Wirtschaftswunder ist möglich. Die DDR hat die besten Voraussetzungen. Sie hat fleißige, motivierbare Menschen. Die Bundesregierung hat das Wissen; die deutsche Privatwirtschaft hat das Kapital, um viele neue zukunftsorientierte Arbeitsplätze aufzubauen. Eines muß klar sein: Platz für Steuererhöhungen und Platz für Arbeitszeitverkürzungen gibt es in dieser Situation nicht mehr. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Professor Krupp. Senator Dr. Krupp ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute wird ja über Sofortmaßnahmen gesprochen, und dazu will ich erst einmal eine kleine Bemerkung aus Ländersicht machen. Der Nachtragshaushalt ist für uns natürlich ein Anlaß, Senator Dr. Krupp ({1}) noch stärker auf Sofortmaßnahmen zu drängen, denn die Länder werden mit den Problemen, die sie mit der Übersiedlung von DDR-Bürgern haben, alleingelassen. Dies möchte ich hier noch einmal betonen, allerdings heute darüber nicht streiten; das werden wir dann an anderer Stelle tun. Die erste und wichtigste Sofortmaßnahme ist das Angebot einer Währungsunion. Es hat ja lange gedauert, bis sich die Bundesregierung dazu durchgerungen hat. Ich kann nur begrüßen, daß wir jetzt so weit sind. Allerdings würde ich davon abraten, sich über die Meinung der DDR-Bürger zu viele Sorgen zu machen. Mir ist eigentlich nur bekannt, daß die SED erhebliche Bedenken gegen eine Währungsunion hat. Im übrigen können wir, glaube ich, in dieser Frage den 18. März ganz gelassen abwarten. Mit Nachdruck möchte ich der Auffassung widersprechen, daß ein österreichisches Modell möglich oder gar vorteilhaft wäre. Das kann ich nicht so sehen. Die Einkommensdifferenzen in jedem realistischen österreichischen Modell wären so hoch, daß die Abwanderungswelle weiter gefördert würde. Dies ist nicht vertretbar. ({2}) Das hängt natürlich vom Kurs ab, aber bei einem österreichischen Modell müssen Sie den Kurs stützen, und es ist gar kein Zweifel, daß die DDR nicht in der Lage sein wird, den Kurs zu stützen; also müßte die Bundesbank ihn stützen. Es ist aber keine Frage, daß der Preis einer Kursstützung unter Unsicherheit - Unsicherheit wäre bei einem österreichischen Modell immer vorhanden - bei weitem zu hoch ist. Deswegen ist ein österreichisches Modell unwirtschaftlich; dies muß man einmal kapieren. Darüber hinaus birgt jedes Österreichmodell eine Inflationsgefahr in der DDR in sich. Nur über eine Währungsunion kann ich die Inflationsentwicklung in der DDR anders gestalten als z. B. in Polen oder in Ungarn. Aber Polen und Ungarn wollen wir als Modell für die DDR nicht vorsehen. Ich würde gerne auch darauf verweisen, daß demgegenüber die Währungsunion wirtschaftlich vernünftig ist. Sie ist einmal die einzige Möglichkeit, die ich jedenfalls kenne, um die Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland, auf die wir alle stolz sind, auf einfache Art und Weise auch für die DDR zu nützen. Wir bekommen eine Möglichkeit, einen unmittelbaren Druck im Außenhandel abzumildern. Diese Chance für die DDR sollten wir wahrnehmen. Es ist auch die einzige Möglichkeit, um die Inflation in West und Ost - das will ich gleich dazu sagen - unter Kontrolle zu haben. Ich habe den Eindruck, daß in vielen Diskussionen die Grundtatbestände der DDR nicht richtig bekannt sind. Man muß sehen, daß wir nach groben Schätzungen - man kann das aber gerne verfeinern - in der DDR, gemessen in bundesrepublikanischen Preisen, etwa eine Produktivität je Beschäftigten haben, die halb so hoch wie bei uns ist. Wir haben demgegenüber Einkommen, die brutto etwa bei 30 bis 33 % liegen, netto bei etwa 42%. An dieser Stelle gibt es einfach die Möglichkeit, eine solide Lösung zu erreichen, eine Lösung, die für uns auch die sinnvollste ist. Es gibt zugleich die Möglichkeit - ich habe eben schon darauf hingewiesen -, die Inflation unter Kontrolle zu haben. Aber an einer Stelle möchte ich allen Vorrednern zustimmen: Die Einführung einer Währungsunion reicht nicht aus. Deswegen ist es eigentlich erforderlich, daß eine Regierung, die den Gedanken der Währungsunion nun aufgreift, auch einmal konkret sagt, an welcher Stelle weitere Dinge notwendig sind. ({3}) - Aber Entschuldigung, es ist doch nicht damit getan, daß wir über einen 400-Millionen-ERP-Fonds reden. Ich will hier ganz deutlich sagen, daß wir drei unterschiedliche Probleme haben. Es gibt erstens die Frage, wie wir die Entwicklung der Wirtschaft in der DDR schnell vorantreiben. Hier ist sicher das Setzen auf privates Engagement notwendig und unterstützenswert. Ob allzuviel staatliches Geld dort hinein sollte, würde ich erst einmal vorsichtig beurteilen. Wir haben eine zweite Schwierigkeit: Wir brauchen ({4}) - keine Investitionslenkung; das ist völlig richtig, das würde ich unterstreichen. Wir brauchen aber ein Bankensystem in der DDR. Ich habe bisher keine konkreten Vorschläge gesehen, wie dieses Bankensystem entwickelt werden soll. Dieses ist aber notwendig. ({5}) Drittens: Wir brauchen Vorschläge, wie man sich die finanzielle Situation des Staatshaushalts vorstellt. In diesem Zusammenhang hat mich erschreckt, was ich über Steuerreformen gehört habe. Ich würde an dieser Stelle ganz gerne etwas ausführlicher berichten, wie das aussieht. ({6}) - Die Zeit werde ich schon einhalten, keine Angst. Am Anfang steht das Thema Preisreform. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. In der Bundesrepublik wird das nur unter der Überschrift diskutiert, daß die Preissubventionen abgebaut werden müssen. Der Prozeß ist übrigens im Gang; das ist wahrscheinlich nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem besteht darin, daß die Preise der gesamten volkseigenen Wirtschaft mit hohen Abgaben belastet sind. Dagegen ist unsere Mehrwertsteuer überhaupt nichts. Diese Abgaben dürften, wenn man sie alle aufaddiert, bei 100 % liegen. Dies heißt natürlich auch, daß die Preise, die in der DDR zur Zeit vorliegen, so verzerrt sind, daß eine Preisreform überhaupt keinen Sinn macht, wenn sie nicht von einer Neugestaltung des Finanzsystems begleitet ist. Davon habe ich bisher wenig gehört. Dieses ist keine Frage Senator Dr. Krupp einer Steuerreform, sondern es ist an vielen Stellen erst einmal die Einführung von Steuern, denn das jetzige Steuersystem ist ein System, das marginale Teile der Volkswirtschaft betrifft. Ein Steuersystem in unserem Sinne ist dort nicht vorhanden. ({7}) - Ja, natürlich müssen wir ein Steuersystem einführen, aber ich will hier einmal sagen, man kann hier nicht locker über Währungsunion reden, und das ist, wenn ich das richtig sehe, heute geschehen - ({8}) - Nein, Frau Matthäus-Maier hat dieses - ({9}) - Dann lesen Sie noch einmal in der „Zeit" nach, was sie da geschrieben hat. ({10}) Lesen Sie mal nach. Jetzt will ich aber noch einen Schritt weitergehen und sagen: Man soll sich nichts vormachen, eine neue Finanzverfassung, welcher Gebietskörperschaft auch immer - ich will diese Frage heute gar nicht vertiefen - , bedeutet, daß wir neu über Finanzausgleiche nachdenken müssen. Finanzausgleich heißt sowohl horizontal wie vertikal innerhalb der Bundesrepublik, aber insbesondere zwischen DDR und Bundesrepublik. Es ist aus meiner Sicht völlig ausgeschlossen, daß wir die Währungsunion einführen, wenn wir nicht zugleich diese zentralen Fragen klären, und zwar schnell klären. Dann sind wir erst bei der dritten Aufgabe, nämlich die Infrastruktur in Angriff zu nehmen. Man muß sich darüber im klaren sein, auch dieses ist unverzichtbar. Wenn Sie dies alles zusammennehmen, muß ich sagen, habe ich zur Zeit den Eindruck, daß die Regierung das Ausmaß der Aufgabe noch nicht begriffen hat. ({11}) Die Aufgabe ist weitaus größer als die der Einführung einer Währungsunion. Die Zeit drängt, und man kann es nur begrüßen, daß wir uns nun endlich von der Behutsamkeit von Stufenplänen verabschieden. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern der DDR wieder Perspektiven geben. Dies wird etwas kosten. Darüber sollte sich jeder im klaren sein. Es ist aber allemal sinnvoller, dieses Geld zu investieren, und zwar in der DDR zu investieren, als es für die Betreuung von Übersiedlern zu konsumieren. Vielen Dank. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Biedenkopf.

Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000173, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Revolutionäre Ereignisse und Herausforderungen verlangen revolutionäre Antworten. Was wir heute auf der Grundlage der Entscheidung des Bundeskabinetts diskutieren, ist eine solche Antwort. Diese Antwort wird eine Fülle von Konsequenzen haben. Herr Kollege Krupp, Sie haben eine Reihe von Konsequenzen aufgezählt. Vieles von dem, was als Konsequenz auftreten wird, wird so schnell gar nicht bedacht werden können. Wir sind aber nicht Herr der Entwicklung, und ich glaube, es wäre sehr zweckmäßig, wenn alle, die sich wissenschaftlich mit der Frage befassen, das im Auge behalten. Denn Revolutionen sind in Lehrbüchern nicht vorgesehen. ({0}) Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß ich die heutige Entscheidung deshalb für eine historische Entscheidung halte, weil in ihr zu einem wesentlichen Teil die Antwort angelegt ist, die wir als Bundesrepublik Deutschland auf die großartige politische Leistung der Menschen in der DDR geben können. Ich möchte in der Kürze der verbleibenden drei Minuten wenige Punkte erwähnen. Der Reform- und Erneuerungsprozeß der DDR-Volkswirtschaft muß - darüber besteht inzwischen Klarheit - mit einer gemeinsamen Währung in den beiden deutschen Staaten beginnen. Von der Krönungstheorie, die die Genesung der Wirtschaft in der DDR zur Voraussetzung für eine Währungsunion gemacht hat, haben wir uns verabschiedet. ({1}) Zweitens. Es ist klar, daß beides, die währungspolitischen Maßnahmen und die Wirtschaftsreform, uno actu erfolgen müssen. ({2}) Wir müssen allerdings erkennen, daß die Wirtschaftsreform im Unterschied zu einer währungspolitischen Entscheidung ein längerfristiger Prozeß ist, ({3}) und wir dürfen bei unseren Vorstellungen die Leistungsfähigkeit der Menschen, mit denen wir es zu tun haben, nicht überfordern. ({4}) Nicht überfordern heißt - drittens - , daß wir auch den entscheidenden Unterschied zur Situation etwa in Polen, Ungarn oder der Tschechoslowakei im Auge behalten müssen, der darin besteht, daß alle Bürger in der DDR potentielle Bundesbürger sind. Sie können sich - im Gegensatz zu den Menschen in diesen anderen Ländern - dem Reformdruck durch Abwanderung entziehen. Auch diesen Gesichtspunkt müssen wir bei der Entwicklung unserer Strategie berücksichtigen. Deshalb ist - viertens - nicht davon auszugehen, daß sich die DDR-Volkswirtschaft aus eigener Kraft regenerieren kann. Sie kann es gerade wegen der Folgen der stalinistischen Inbesitznahme der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute nicht. Das heißt, ein Teil der Kriegsfolgen besteht in der Unfähigkeit der vorgefundenen Ordnung, die notwendigen Reformleistungen zu erbringen. Die Einführung der D-Mark oder eine Währungsunion wird - fünftens - keineswegs die Probleme lösen, aber zwei Dinge - entscheidend, wie ich glaube - sind gewonnen: Sie werden die Menschen ermutigen und ihnen wieder Hoffnung geben, sie werden Arbeit und Leistung sich wieder lohnen lassen, die Arbeitsteilung wird wieder in Gang kommen, die praktisch zusammengebrochen ist, und Kapitalinvestitionen und der Kapitalmarkt können sich entwickeln, und die Reformmaßnahmen, die wir von den Menschen in der DDR verlangen müssen, werden einen Sinn erhalten, ({5}) weil sie mit einem Ergebnis verbunden sind. Sechstens. Diese Maßnahme wird zu einem währungspolitischen Souveränitätsverzicht der DDR führen. ({6}) Er ist vor dem Hintergrund des Umstandes zumutbar, daß wir uns derzeit alle auf einen vergleichbaren Souveränitätsverzicht im Blick auf die europäische Währungsunion vorbereiten. Siebtens. Die Währungsunion wird mit erheblichen Risiken belastet sein, und wir sollten die weitere Diskussion nicht so führen, als gäbe es diese Risiken nicht ({7}) und als wäre die beschlossene Politik nicht auch mit beachtlichen Belastungen für unser Land verbunden. ({8}) Diese Belastungen werden sich aber nach meiner Überzeugung innerhalb der Grenzen bewegen, die durch den Zuwachs des Bruttosozialprodukts in unserem Land gezogen sind. Das heißt, wir werden nichts von unserem Besitzstand aufgeben müssen, sondern allenfalls zusätzliche Expansionschancen. ({9}) Letzter Punkt. Das sind Größenordnungen, Graf Lambsdorff, und, wenn Sie gestatten, noch eine Bemerkung zur Begründung dieser Größenordnungen. In dem jetzt vor uns liegenden langfristigen Prozeß geht es tatsächlich um die Aufarbeitung einer großen und bedeutenden Folge des Zweiten Weltkrieges. Diese Folge muß von uns allen nach unserer jeweiligen Leistungsfähigkeit aufgearbeitet werden, und sie ist bei uns größer als in der DDR. Entsprechend müßten wir uns auch engagieren. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Schon in der Haushaltsdebatte am 30. November 1989 hat mein Fraktionskollege Dreßler erklärt - Zitat - : Wir müssen aber Klarheit schaffen, ob wir in einer völlig veränderten sozialen und politischen Situation in den osteuropäischen Ländern noch so tun können, als regele sich die soziale Dimension dieses Vorgangs von selbst. Er wurde damals böse beschimpft und Oskar Lafontaine, der diese drängenden Parolen nochmal in den Mittelpunkt gerückt hat, auch. In der letzten Sitzungswoche des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung haben wir den beamteten Staatssekretär des Arbeitsministers gefragt, welches Konzept die Bundesregierung eigentlich habe. Wir haben sehr intensiv gefragt, und es wurde deutlich: Die Regierung hat keines. Wertvolle Zeit ist bis jetzt verlorengegangen. Hoffen wir, daß nach Monaten voller hysterischer Angriffe gegen unsere Vorschläge jetzt den vielen mündlichen Ankündigungen endlich auch das Handeln der Regierung folgt! ({0}) Meine Damen, meine Herren von der Koalition, Sie haben die DDR-Bürger eine Zeitlang mit dem Slogan begrüßt: „Sie wählen die Freiheit". Die gleichen Bürger und Bürgerinnen leben in Containern, Turnhallen und Kasernen. Fangen Sie doch endlich mal damit an, die Menschen in der DDR zu unterstützen und den Menschen in ihrer Heimat ein Zukunftschance und Perspektive zu geben! ({1}) Ich meine, durch konkrete Hilfe, die sie von uns erwarten können. Bereits Ende Dezember hat die SPD auf den hohen und wachsenden Bedarf an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen in der DDR aufmerksam gemacht. Eine Qualifizierungsoffensive bei der beruflichen Qualifikation ist dringend erforderlich und unstrittig. Nach einer Umfrage der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände sind 26 % aller befragten Unternehmen bereit, Fachleute in die DDR zu entsenden, um vor Ort bei der Weiterbildung zu helfen. Geworden ist daraus nichts. Wie sieht es aus mit anderen Unterstützungen im sozialen Bereich? Wann wollen Sie helfen, in der DDR in irgendeiner Form eine Arbeitslosenversicherung aufzubauen? Nehmen Sie endlich Abschied von dem Fremdrentengesetz, das zu einem System geschlossener Grenzen gepaßt hat, aber jetzt überholt ist. Es gibt keinen Vertreibungsdruck mehr. ({2}) Doktern Sie dabei nicht an einzelnen Vorschriften herum, sondern packen Sie das Problem an der Wurzel an. Legen Sie ein Konzept vor, wie die unterschiedlichen sozialen Sicherungssysteme - wozu auch die Alterssicherung zählt - einander angegliReimann chen werden können, und bürden Sie die Kosten, die eine notwendige Integration verursacht, nicht den Beitragszahlern auf, sondern stellen Sie Mittel aus dem Bundeshaushalt dazu bereit. ({3}) Das einzige bisher bestehende Sozialversicherungsabkommen mit der DDR auf dem Gebiet des Gesundheitswesens wollen Sie nun durch Verwaltungstricks einschränken. Dabei muß doch gelten: Hände weg von diesem Abkommen. Es enthält vielfache Möglichkeiten zur Kooperation und zur Stärkung des aufs Höchste gefährdeten Gesundheitswesens. ({4}) Schauen Sie sich das einmal drüben an. In diesem Zusammenhang frage ich alle: Ist es eigentlich Mißbrauch, wenn ein DDR-Patient eine notwendig gewordene Operation unter Berufung auf das Gesundheitsabkommen hier bei uns durchführen läßt, da sie in der DDR nicht mehr durchgeführt werden kann, weil mittlerweile die Schwestern und die Ärzte in der Bundesrepublik leben? ({5}) Meine Damen und meine Herren von der Regierung, darf ich Sie daran erinnern, daß unser Problem-aufriß all dieser Fragen schon im Dezember 1989 vorgelegt wurde. Wir meinen, daß mit diesem Problem-aufriß die Möglichkeit des Handelns gegeben wurde. Sie sollten ihn übernehmen. Wenn Sie den Weg, den Ihnen Sozialdemokraten aufzeigen, nicht übernehmen wollen, dann wird Ihre unerträglich abwartende Haltung dazu führen, daß sich die Abwanderung in der DDR beschleunigt und damit natürlich immer größere Probleme ({6}) mit ungeahnter Sprengkraft hier in der Bundesrepublik verursacht werden. Ich kann Sie nur bitten: Handeln Sie endlich. Die Menschen warten darauf. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Europa und die deutsche Geschichte haben in diesen Tagen und in den letzten Monaten erlebt, daß man die Freiheit nicht zurückdrängen kann; nicht durch neue soziale Mauern und auch nicht durch Illusionen, nicht durch irgendwelche illusionären Programme, wie Sie sie heute gefordert haben, Frau Matthäus-Maier, und auch nicht durch eine Verunsicherung. Unsere Maßnahmen zur schnellen Hilfe werden einzig und allein daran gemessen werden, ob wir die Menschen dazu bewegen können, da drüben zu bleiben. Ich glaube, das ist entscheidend für die Fortentwicklung des deutsch-deutschen Verhältnisses. Dabei spielt die wirtschaftliche Entwicklung natürlich eine entscheidende Rolle. Freiheit und Soziale Marktwirtschaft sind nicht voneinander zu trennen. Freiheit ist auch nicht von der ökologischen Marktwirtschaft zu trennen. Versagt hat nicht die Soziale Marktwirtschaft und auch nicht die ökologische Wirtschaft, sondern versagt hat die dirigistische Planwirtschaft in einem falschen System. ({1}) Die Bedeutung des Mittelstandes wird dabei eine entscheidene Rolle spielen. Was wir brauchen sind nicht nur Kapital und nicht nur private Investoren. Meine Damen und Herren, bei unseren ersten Gesprächen hat sich herausgestellt, daß da drüben eine Reserve da ist. Da sind die Menschen, die in Freiheit und in einer richtigen Ordnung arbeiten wollen, um wieder Eigentum und wieder Freiheit in ihrer Entfaltung und Gestaltung zu haben. Wir brauchen die Niederlassungsfreiheit für die freien Berufe. Die freien Berufe sind in der DDR nicht nur durch das Steuersystem, sondern auch durch andere Maßnahmen im Grunde genommen kaum noch vorhanden. Wir brauchen die Niederlassungsfreiheit, die Freiheit des Eigentums, die Freiheit der Berufswahl. Dabei wollen wir helfen. Die Bundesregierung hat 90 Millionen DM für die Beratung eingesetzt. Das ignorieren Sie alles. Für Existenzgründungen haben wir 400 Millionen DM veranschlagt. Wir haben den freien Reiseverkehr in beide Richtungen wieder in Gang gebracht; dafür sind 2,15 Milliarden DM eingesetzt. Wir haben die Freiheit bei der Gestaltung von Städten und Dörfern gefördert, indem wir die Mittel für den Umweltschutz von 300 Millionen DM auf 900 Millionen DM erhöht haben. Für die Verkehrswege haben wir eine finanzielle Unterstützung von 200 Millionen DM vorgesehen. Lassen Sie mich vielleicht an dieser Stelle, meine Damen und Herren, ein Dankeschön an unsere Grenzlandbevölkerung - entlang der ganzen Grenze - sagen. Was da in den letzten Monaten an freiwilligen Leistungen und an vielen Hilfen erbracht worden ist, ist auch Freiheit im Umgang mit Deutschen zu Deutschen. ({2}) Ich glaube, wir können eines machen. Sie haben gefordert, daß wir nicht in den Wahlkampf eingreifen. Ich glaube, die junge Demokratie in der DDR - wer da drüben ist und mit den Leuten diskutiert, der spürt es ja - sucht das Gespräch mit uns. Jetzt wird es nicht die Frage sein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ob wir da hinübergehen oder ob wir da nicht hinübergehen, sondern wie wir den Wahlkampf da drüben führen. Das ist die Chance für ein Stück politische Kultur, die wir dort abliefern können. Indem wir den jungen Leuten und der jungen Demokratie wirklich helfen, können wir Maßstäbe setzen, die für die Entwicklung der Demokratie in der DDR wesentlichen Erfolg versprechen könnten. Herzlichen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unstreitig ist offensichtlich, daß die brisante Situation in der DDR von uns allen verlangt, alle nur denkbaren Anstrengungen zu unternehmen, denn die Deutschen in der DDR - das ist hier vielfach bekräftigt worden - brauchen eine verläßliche und akzeptable wirtschaftliche und soziale Perspektive. Dazu, meine Damen und Herren von der SPD, gehören natürlich nicht nur großzügige Schritte der Bundesregierung. Vielmehr muß vor allem die DDR-Regierung veranlaßt werden, die für eine positive wirtschaftliche Entwicklung in der DDR selbst unbedingt nötigen Reformschritte endlich einzuleiten. ({0}) Da helfen Vorschläge nicht weiter, die uns empfehlen, Eintagsfliegen in der DDR zu etablieren, wie etwa im Konsumbereich nun schnell irgend etwas an Ausstattung herbeizuschaffen. Auch, Frau Matthäus-Maier, den Dauervorschlag der SPD, den Verteidigungshaushalt zur Finanzierung herzunehmen, ({1}) finde ich allmählich wirklich langweilig, denn wenn man einmal zusammenzählt, wo Sie diesen Vorschlag schon überall gemacht haben, kann man nur sagen: Sie haben den Verteidigungshaushalt schon fünfmal verfrühstückt. Hier eben zum fünften Mal. ({2}) Auch die pauschalen Behauptungen, die der Herr Reimann hier so vorgetragen hat, daß die Bundesregierung nichts tue, haben doch mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Sie helfen im übrigen auch nicht weiter. Eine bedenkliche Folge Ihres Verhaltens hier in der Bundesrepublik ist, finde ich, eben die Tatsache, daß Sie mit Ihrer Kampagne aktiv zur Verunsicherung der Menschen in der DDR erst recht noch beitragen. ({3}) - Herr Roth, der Runde Tisch ist nicht die DDR-Bevölkerung. Ihre Vorschläge laufen alle darauf hinaus, sozusagen die Panik drüben mit dem Vorwurf noch anheizen, die Bundesregierung würde nichts tun. ({4}) Alle Experten und vernünftigen Ratgeber sind sich darin einig, daß die nötigen mutmachenden Impulse nicht allein von der Bundesrepublik ausgehen können. Die konkreten Verhältnisse in der DDR spielen dabei die ganz entscheidende Rolle. Was aber, muß ich hier feststellen, hört man von der SPD? Verwirrende Forderungen. Ich möchte nur ein Zitat zum besten geben. Der Herr Rau hat nach einer Zeitungsmeldung folgendes von sich gegeben: Rau hat sich für eine schnelle Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen beiden deutschen Staaten ausgesprochen, zugleich jedoch vor überstürzten Handlungen gewarnt. ({5}) Das ist die Qualität der Vorschläge, die Sie in der Öffentlichkeit machen. Meine Damen und Herren, andere in der SPD meinen darüber hinaus, die Bundesregierung hätte Geldmittel in Milliardenhöhe längst drüben abliefern sollen. Das sind Ratschläge, die eben doch mehr ein Zeichen Ihrer eigenen Ratlosigkeit sind, als daß sie in der konkreten deutschlandpolitischen Situation hilfreich sind. Die Bundesregierung tut gut daran, sich der besonnenen Ratschläge der wirklichen Fachleute zu bedienen, etwa der Herren von unserer Bundesbank oder auch anderer Sachverständiger. Sie legen nämlich unmißverständlich dar, daß den Hilfen der Bundesregierung und vor allem der Währungsunion nur dann Erfolg beschieden sein kann, wenn in der DDR die dazu notwendigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese zumutbaren Hausaufgaben - ich betone: zumutbaren - aber hat die DDR-Regierung bis heute noch nicht erledigt. Hier muß eine konstruktive Rolle der SPD als Opposition ansetzen. Unstreitig hat die SPD ja nicht nur beste Beziehungen zur Ost-SPD, sondern Sie haben ja auch noch zu den in der DDR heute real Herrschenden alte Beziehungen. ({6}) Denen könnten Sie auf diesem direkten Wege klarmachen, daß es eben kein erfolgversprechendes Rezept ist, Regierung und Opposition in der Bundesrepublik gegeneinander ausspielen zu wollen, ({7}) um zu versuchen, nun das Bestmögliche herauszuschinden. Meine Damen und Herren, außerdem darf von den tatsächlichen Verantwortlichkeiten in der DDR doch nicht abgelenkt werden. Die von der DDR-Bevölkerung so hautnah empfundene Perspektivlosigkeit ist ja vor allem Sache der SED und der von ihr dominierten Regierungen. Der Bankrott geht zu ihren Lasten. Wer die Bundesregierung jetzt dafür verantwortlich machen will, verfälscht aus parteitaktischen Gründen - das muß ich Ihnen vorwerfen - den wahren Sachverhalt. ({8}) Die Bundesregierung hat mit ihren heutigen Beschlüssen weitere konstruktive Schritte getan. Sie müssen jetzt real durch die nötigen Reformschritte in der DDR ergänzt werden. Dem sollten die gemeinsamen Anstrengungen gelten. Dazu laden wir Sie ein. Alles andere wäre destruktiv. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, entsprechend den Regeln unserer Aktuellen Stunde liegen mir noch zwei weitere Wortmeldungen vor. Ich bin etwas betrübt darüber, daß uns die Regierung Vizepräsident Westphal - jedenfalls was die zuständigen Minister betrifft - inzwischen verlassen hat. ({0}) - Ich muß mich entschuldigen. Herr Waigel, ich habe Sie nicht gesehen. Ich nehme alles zurück. Das Gegenteil möchte ich dann doch nicht behaupten. Sie sind ja auch nur der eine Teil. Herr Schäfer ({1}) hat das Wort.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf den letzten Diskussionsbeitrag nicht eingehen, sondern will an den Redebeitrag von Herrn Kollegen Biedenkopf anknüpfen, dem ich persönlich zu diesem Beitrag beglückwünschen möchte. Herr Kollege Biedenkopf, Sie haben - das war wohltuend - nicht nur auf die Notwendigkeiten in der DDR, nicht nur auf die Chancen, die in der DDR und für uns im Einigungsprozeß liegen, hingewiesen, sondern Sie haben auch, was ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit ist, die Notwendigkeit des Lastenausgleichs zwischen den beiden deutschen Staaten angesprochen. Sie haben insoweit darauf hingewiesen, daß eine ökonomisch-ökologische Erneuerung in der DDR auch bei uns nicht zum Nulltarif zu bekommen ist. Meine Damen und Herren, es lohnte sich, wenn wir uns in diesem Haus - das wäre auch ein Beitrag zur politischen Kultur - auch über diese Fragen unterhielten. Wir würden damit unserer gesamtdeutschen Verantwortung eher gerecht, als wenn wir von hier aus im Kommandostil Anweisungen an die Bürger der DDR geben, wie sie sich nun zu verhalten haben, damit der Einigungsprozeß sozial und ökologisch verantwortbar verläuft. ({0}) Wem es tatsächlich damit Ernst ist - uns Sozialdemokraten, ich denke, dem gesamten Haus ist es Ernst damit - , daß wir den Prozeß der Einheit jetzt organisieren, daß wir ihn gemeinsam mit den Menschen in der DDR organisieren, denn deren Verdienst ist es, daß die Revolution in Gang gesetzt worden ist, deren Verdienst ist es, daß die deutsche Einheit jetzt eine nahe Perspektive ist, der muß auch fair und sachlich über die politischen, ökonomischen und ökologischen Rückwirkungen, die dieser Einheitsprozeß auf die Bundesrepublik hat, streiten. ({1}) Ich sage noch einmal: Dies ist auch ein Gebot der politischen Glaubwürdigkeit. Deswegen, Herr Kollege Biedenkopf, noch einmal mein Glückwunsch, denn Sie haben als einziger Redner der Koalitionsfraktionen genau diesen Punkt angesprochen. Ich will auf diesem Hintergrund noch einmal an Sie von der Regierungskoalition, beispielsweise an Sie, Herr Lambsdorff, und auch an die Regierung appellieren: Nehmen Sie auf diesem Hintergrund, auf dem Hintergrund der gemeinsamen gesamtdeutschen Verantwortung, den Vorschlag, die Anregung unseres Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf, einen gemeinsamen Ausschuß von Bundestag und Bundesrat zu bilden, damit wir diese gemeinsam interessierenden Fragen vor dem 18. März - nach dem 18. März dann in gesamtdeutschen Gremien - gemeinsam erörtern können. Dies ist ein Gebot, daß der gesamtdeutsche Einheitsprozeß, den es heute zu organisieren gilt, von uns verlangt. Herr Biedenkopf hat zu Recht den Gesichtspunkt des Lastenausgleichs angesprochen, hat zu Recht auf den enormen Sanierungsbedarf in der DDR hingewiesen. Herr Haussmann - er ist nicht mehr da - hat in der vorletzten Woche von 500 Milliarden DM gesprochen, die „Wirtschaftswoche" hat von mehr als 1 Billion DM gesprochen. Wir haben in ersten Schätzungen ausgewiesen, daß eine ökologische Energieversorgungsstruktur in der DDR und die Gewässersanierung in der DDR zusammen etwa 300 Milliarden DM Investitionsbedarf ausmachen. Das kann nicht allein die Wirtschaft organisieren. Hier sind auch öffentliche Mittel notwendig, so wie der Wiederaufbauprozeß bei uns in der Bundesrepublik nicht allein durch Wirtschaft, sondern auch durch öffentliche Mittel in Gang gesetzt worden ist. Ich frage jetzt angesichts des ökologischen Sanierungsbedarfs - 300 Milliarden DM allein für Energie und Gewässer habe ich genannt - und angesichts der Notwendigkeit, den Menschen in der DDR durch schnell wirkende Hilfen auch eine ökologische Perspektive zum Bleiben zu geben: Glauben wir wirklich, Herr Finanzminister Waigel - wollen Sie das der deutschen Öffentlichkeit wirklich weismachen? -, daß die 140 Millionen DM, die Sie in den Nachtragshaushalt für Umwelthilfen in der DDR nun zusätzlich eingesetzt haben, dafür ein Zeichen setzen können? Es ist doch nachgerade beschämend, was Sie, um bei diesem Feld zu bleiben, an kurzfristigen Hilfen angewiesen haben. ({2}) Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine Währungsunion - die Regierung ist heute mit ihrer Entscheidung unseren Vorgaben, unseren Forderungen gefolgt; ({3}) das ist gut so - , wir brauchen bald eine Wirtschaftsunion. Darin habe ich heute auch Übereinstimmung bei einigen Rednern von Ihnen und uns festgestellt. Wir brauchen dringend ein Programm „Arbeit und Umwelt", das den Menschen in der DDR und bei uns Perspektiven für eine bessere Umwelt und für mehr Arbeitsplätze gibt - bei uns und in der DDR. Es lohnte sich, darüber in einem fairen Wettbewerb, beispielsweise in dem gemeinsamen Ausschuß, wie wir ihn vorgeschlagen haben, zu streiten. Lassen Sie uns im Moment zurückstellen, was uns sonst trennt! Lassen Sie uns diesen gemeinsamen Weg im Interesse der Menschen in beiden deutschen Staaten gehen! ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Neuling.

Dr. Christian Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, ich will durchaus nicht verhehlen, daß es manchmal auch sinnvoll ist, in einer schwierigen Situation Gemeinsamkeiten zu betonen. Allerdings können Sie nur dann gemeinsam gehen, wenn Sie ein gemeinsames Ziel und insbesondere auch die gleiche Methode haben. Ausgangspunkt ist einfach der, daß wir - ich werde Ihnen das leider noch einmal darlegen müssen - eine grundsätzlich unterschiedliche Einschätzung der jetzigen Situation haben. Kollege Lambsdorff wie auch andere haben darauf hingewiesen, daß wir in der DDR einen Prozeß der totalen Erosion staatlicher Macht haben, und zwar nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in den Betrieben. Wir haben eine Situation, in der die Menschen unverändert zu uns kommen. Und ich sage Ihnen eins - da liegt der entscheidende Dissens - : Nicht die fehlende Hilfe aus Bonn beschleunigt diesen Prozeß, sondern das fehlende Vertrauen der Menschen in der DDR, im anderen Teil Deutschlands, in eine grundsätzliche wirtschaftliche Umkehr in der DDR selber. Das ist der Grund, warum die Menschen unverändert zu uns kommen. Ich will Ihnen ein Beispiel dazu nennen. Sie haben von dem Konsumprogramm gesprochen. Sie können den Menschen in der DDR, einmal als Beispiel genommen, einen Mercedes-Benz hinstellen: Die Menschen nehmen den Mercedes, kommen hier herüber, verkaufen ihn, machen sich selbständig, weil sie ihre Existenz hier sehen und nicht in der DDR - angesichts der jetzigen Umstände, wie sie in der DDR herrschen. Sie haben das Beispiel des Wohnungsbauprogramms gebracht; ich glaube, es war die Frau Kollegin Matthäus-Maier. - Ja, Menschenskind, waren Sie denn selber noch nie in der DDR, in den Städten, um zu wissen, daß da 10, 20, 100 Milliarden DM notwendig sind, daß ein Programm, das Sie jetzt auflegen, an der konkreten Situation der Menschen jetzt, im Februar, nichts ändert, Herr Kollege Schäfer? ({0}) Darum geht es doch! Es geht doch nicht darum, in ein, zwei Jahren etwas zu bewirken. Die Menschen haben kein Vertrauen zu dem, was in der DDR heute geschieht. Sie verlangen grundsätzliche, schnelle Änderungen, damit sie überhaupt Hoffnung haben können, wenn sie in der DDR jetzt bleiben. Das ist der entscheidende Dissens, Herr Schäfer. Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Sie können jedem Menschen in der DDR 10 000 DM in die Hand drücken: Der eine packt sie unter das Sofa, weil er zur eigenen Staatsbank sowieso kein Vertrauen hat, und der Rest kommt herüber und macht sich selbständig, weil sie hier ihre Existenz schaffen können, weil sie hier arbeiten wollen, weil sie aber keine Chancen sehen, in der DDR zu leben. Was ich damit sagen will, ist folgendes. Sie können Milliardenbeträge aus staatlichen Mitteln zum jetzigen Zeitpunkt als Hilfe hinübergeben, es wird alles verschwinden - entweder in einem bodenlosen Faß oder in der Schweiz - , aber nie bei den Menschen ankommen. ({1}) Solange wir diesen Grundsatz nicht alle begreifen, werden wir auch keinen Konsens hinsichtlich dessen erzielen, Herr Kollege Schäfer, was wir heute gemeinsam zu tun haben. Wir setzen darauf, daß erst die grundlegenden Änderungen in der DDR selbst erfolgen müssen. Dann fassen die Menschen Vertrauen und bleiben dort. Dann ist auch die Voraussetzung gegeben, dort einen Aufschwung zu ermöglichen, der allerdings nur mit privaten Investitionen, nur mit privatem Kapital möglich ist. Der Staat kann nur die Randbedingungen setzen. Es ist eben immer das gleiche: Sie haben keinen Abschied genommen vom sozialistischen Irrglauben der Allmacht des Staates. Sie glauben, der Staat könne alles richten. Der Staat kann nicht alles richten. Die Menschen selber müssen es richten, und sie müssen das Vertrauen haben, daß es sich wirklich lohnt, dort zu bleiben. Dann hat Herr Kollege Roth noch von 1 Milliarde DM gesprochen, was hinsichtlich der Größenordnung nahezu unverständlich sei. Der Bundesfinanzminister hat selbst schon darauf hingewiesen, daß allein 6 Milliarden DM im Nachtragshaushalt enthalten seien. Wenn ich allein die ausgabenwirksamen Beschlüsse der Bundesregierung hinzunehme, die für den Verkehrsbereich - die Schnellbahn Berlin-Hannover; wir kennen das ja - und auch für Umweltschutzmaßnahmen getroffen worden sind, Herr Kollege Schäfer - es geht nicht allein um 140 Millionen DM, sondern immerhin um ein Programm in der Größenordnung von 1 Milliarde DM -, so komme ich ohne Probleme auf 10 Milliarden DM. Ich sage trotzdem noch einmal: Soforthilfe da, wo sie den Menschen unmittelbar hilft, z. B. im medizinischen Bereich. Aber die Entscheidung fällt letztlich, wenn sich das System ändert, wenn sich die Strukturen ändern. Nur dann bleiben die Menschen nämlich dort. ({2}) Deswegen glaube ich bei aller Freundschaft und bei allem Verständnis für Konsens, Herr Kollege Schäfer, daß die SPD unverändert einen Orden verdient - nehmen Sie es mit Humor - : Sie haben nie das Richtige zum rechten Zeitpunkt vorgeschlagen, sondern immer das Unsinnige zum falschen Zeitpunkt. Wir bleiben bei unserem klaren Kurs: die Einheit mit Maß vollenden. Schönen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. Februar 1990, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.