Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Heute feiert Herr Kollege Haar seinen 65. Geburtstag. Ich gratuliere ihm im Namen des Hauses sehr herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP „Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz " auf Drucksache 11/5972 nachträglich dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 sowie Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
11. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 1990 der Bundesregierung
- Drucksache 11/6278 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
ZP5 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dem Titel: „Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in der DDR; Voraussetzungen und Möglichkeiten"
- Drucksache 11/6301 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
Zum Jahreswirtschaftsbericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6316 vor.
Für die gemeinsame Beratung sind interfraktionell vier Stunden vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Herr Haussmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Zu Beginn der 90er Jahre liefert die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Jahreswirtschaftsbericht einen sehr eindrucksvollen Beweis dafür, wie richtig es war, auf eine Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung zu setzen; denn deutsche Wirtschaft ist - das ist international anerkannt - in hervorragender Verfassung. Sie ist zur Reformhilfe fähig. Sie ist so dynamisch wie die in Japan, sie ist so stabil wie die in der Schweiz. Sie verfügt damit über ein ganz erhebliches Potential für die Unterstützung der Reformen in Osteuropa und insbesondere in der DDR.
({0})
Noch mehr: Diese Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft bietet den Reformern in Osteuropa immer mehr Orientierung. Liberale Wirtschaftspolitik hat uns zur Reformhilfe fähig gemacht. Nicht auszudenken, wenn wir andere wirtschaftliche Konzepte verfolgt hätten. Mehr Staat, Steuererhöhungen, kürzere Arbeitszeiten - wir wären damit zur Reformhilfe nicht fähig.
({1})
Niemals zuvor in der 40jährigen Geschichte unseres Landes sind wir unter so guten Voraussetzungen in ein neues Jahrzehnt gestartet: hohes Wachstum bei verbesserten ökologischen Rahmenbedingungen, annähernde Preisstabilität, kräftiger Investitionsanstieg, Rekordbeschäftigung. Sozialdemokraten und GRÜNE, die sich in den letzten Jahren in Schwarzmalerei überboten und die Bundesregierung, Herr Roth, noch 1988 des „halsbrecherischen Optimismus" geziehen haben,
({2})
sind durch die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung widerlegt.
Tatsache ist: Die Erwartungen der Bundesregierung in ihrem letzten Jahreswirtschaftsbericht sind
beträchtlich übertroffen worden. Wichtig ist: Der Erfolg der Arbeitnehmer und Unternehmer macht uns heute zur Reformhilfe für die DDR fähig. Ratschläge à la Lafontaine, meine Damen und Herren, nämlich Steuererhöhungen, die 30-Stunden-Woche, mehr Staat, würden uns das Potential für Reformhilfe schwächen.
Ich sage darüber hinaus: Das Saarland braucht einen Ministerpräsidenten, der zunächst seine Hausaufgaben macht
({3})
und nach seiner Wahl nicht sofort in einen bundesweiten Wahlkampf zieht, meine Damen und Herren.
({4})
Keiner spielt - zuletzt gestern in der Kohlepolitik - so virtuos auf dem Klavier der sozialen Ängste; der Wahlkampf heiligt die Mittel. Wenn Lafontaines Sympathiewerte steigen, dann werden auch soziale Ängste bei Aus- und Übersiedlern und bei Kumpeln im Bergbau geschürt, meine Damen und Herren.
({5})
Die landespolitische Leistung von Herrn Lafontaine nimmt sich aber sehr bescheiden aus; sie ist kläglich. Ohne die Unterstützung der Bundesregierung wäre sein Bundesland längst bankrott. Der jetzige Haushalt ist nicht mehr verfassungskonform.
({6})
- Sie sollten sich das schon anhören! - Während die Zahl der sozialpflichtigen Arbeitsplätze im Bundesgebiet in den letzten fünf Jahren um 6,5 % gestiegen ist, ist sie im Saarland gerade um 1 To gestiegen - eine sehr magere arbeitsmarktpolitische Bilanz. Dies ist auch kein Wunder: Das Saarland hat im Vergleich zu den meisten Bundesländern mit die höchsten Lohnzusatzkosten und mit die höchsten Gewerbesteuersätze, meine Damen und Herren.
Was die Kohlepolitik angeht, so ist entscheidend, daß die Menschen im Bergbau vor den Wahlen im Saarland vollständig informiert werden. Ich beziehe mich auf die von Herrn Lafontaine begonnene Diskussion über den Kompromiß mit der EG-Kommission.
Meine Damen und Herren, wir haben in sehr schwierigen Verhandlungen mit der EG-Kommission ein gutes Ergebnis für den Bergbau erzielt. Die Kommission genehmigte den Kohlepfennig, die Bezahlung aller aufgelaufenen Altschulden im Verstromungsfonds, d. h. über 6 Milliarden DM, was in Verhandlungen mit Brüssel unter Subventionsgesichtspunkten sehr schwierig ist. Die EG-Kommission genehmigte prinzipiell die Ausgabenplanung von 1990 bis 1993. Sie genehmigte prinzipiell die Überführung der Zuschüsse für Revierausgleich und niederflüchtige Kohle in die öffentlichen Haushalte - erstmalig, meine Damen und Herren; die Bundesregierung unterstützt die Kohle-Bergleute erstmalig aus ihrem
Bundeshaushalt. Die EG-Kommission hat die kartellrechtliche Seite des Jahrhundertvertrages auf der beim Bundeskanzler mit Herrn Rau und Herrn Lafontaine vereinbarten Mengenbasis von 40,9 Millionen Jahrestonnen im dritten Jahrfünft, befristet bis 1991, genehmigt. Jeder, der sich in Europafragen ein bißchen auskennt, weiß, daß die EG-Kommission bis zum Jahre 1995 keine kartellrechtlichen Genehmigungen erteilt, meine Damen und Herren; das weiß jeder.
Dieses gute Ergebnis habe ich nicht geheimgehalten, sondern es am 24. Januar umgehend veröffentlicht. Die Ergebnisse entsprechen meinen Ankündigungen im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages und sind damals vom Chef der IG Bergbau, Herrn Meyer, ausdrücklich gewürdigt worden.
({7})
Staatssekretär Beckmann hat sie anläßlich der Verabschiedung der Verstromungsnovelle im Plenum wiederholt.
Wichtig ist deshalb für die Kohle-Bergleute: Der Kohlepfennig hat die Brüsseler Hürde genommen. Es herrscht Klarheit für die Kohle, meine Damen und Herren. Alles andere ist unverantwortliche Wahlkampfmasche im Saarland!
({8})
Zurück zu unserer Politik: Die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung hat zu neuen Aufbruchsperspektiven in der Bundesrepublik geführt. Das Ergebnis ist - im achten Jahr - : mehr Beschäftigungswachstum. Allein im letzten Jahr, meine Damen und Herren, sind in der Bundesrepublik - für Menschen der Bundesrepublik, aber auch für Aus- und Übersiedler - 360 000 neue Arbeitsplätze entstanden.
({9})
Wir haben inzwischen einen absoluten Beschäftigungsrekord in der Nachkriegsgeschichte von fast 28 Millionen Arbeitsplätzen.
Es mag für manchen Bürger paradox anmuten, daß trotz diesem hohen Beschäftigungszuwachs nach wie vor Arbeitslosigkeit herrscht. Das zeigt, daß die Arbeitslosigkeit kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Phänomen ist. Bei konjunktureller Arbeitslosigkeit kann eine Regierung mehr tun. Bei struktureller Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, sind vor allem die Tarifpartner gefordert. Deshalb kommt ihnen in der jetzigen Tarifrunde eine erhebliche beschäftigungspolitische Bedeutung zu.
({10})
Dieses dynamische Wirtschaftswachstum kommt immer stärker auch der Umwelt zugute. Es ermöglicht nicht nur, die für den Umweltschutz nötigen Ressourcen aufzubringen. Die Wachstumspessimisten, die es außer in meiner Partei seit langem in allen großen
Parteien und bei den GRÜNEN sowieso gab, sind inzwischen verstummt.
({11})
Nullwachstum war ja in. Das war ein Vorschlag von Professoren und anderen Leuten. Sogar Minuswachstum wurde propagiert. Inzwischen ist klar, daß sich umweltschonende Produkte und Produktionsverfahren am schnellsten in einer sich erneuernden, d. h. in einer wachsenden Wirtschaft entfalten. Die Umweltqualität hat sich in den letzen Jahren deutlich verbessert. Die Ausrüstung aller Kraftwerke mit Entschwefelungsanlagen hat zu einer starken Reduzierung der SO2-Emissionen geführt. Die verbindliche Umrüstung der alten Industrieanlagen, der Übergang auf bleifreies Benzin, die Absenkung der Abgaswerte für Automobile und das hohe Anforderungsniveau für Abwässer sind wichtige Beispiele. Dabei kann es nicht bleiben. Weitere Anstrengungen sind erforderlich. Deshalb wird es in der nächsten Legislaturperiode darauf ankommen, die bisher sehr stark staatlich geführte Umweltpolitik durch wichtige marktwirtschaftliche Anreize für noch besseren Umweltschutz zu ergänzen.
({12})
Meine Damen und Herren, der Erfolg, den wir durch mehr Marktwirtschaft erreicht haben, gibt uns nun die Möglichkeit, den notwendigen Reformprozeß in der DDR wirkungsvoll zu unterstützen. Es ist dieser Erfolg, der die Reformkräfte in der DDR anspornt, den Ausweg aus der sozialistischen Mangelwirtschaft in der Sozialen Marktwirtschaft zu suchen. In meinen Gesprächen am Dienstag dieser Woche mit Wirtschaftsexperten aller Oppositionsgruppen war es erstaunlich, wie stark sich außer zwei Extremgruppen alle anderen Oppositionsgruppen der DDR vorbehaltlos für das Reformmodell der Sozialen Marktwirtschaft eingesetzt haben.
Für uns gilt, meine Damen und Herren: Wer schnell und konkret in der DDR hilft, hilft doppelt. Wir haben der DDR eine Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, Unternehmensberatung, Ausbau des Tourismus, Fortschritte in Energie, Telekommunikation, Verkehr und Umwelt konkret vorgeschlagen. Wir sind in der Lage, diese Hilfen kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Wichtig aber ist und bleibt, daß die Bundesregierung Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Das ist viel. Es bleibt nicht ohne Auswirkung auf unsere künftigen finanziellen Prioritäten. Sie werden sich verschieben. Allerdings kann und will die Bundesregierung nicht privates Kapital, das die DDR dringend braucht, durch Steuergelder ersetzen.
Entscheidend für die weitere Entwicklung in der DDR ist, daß die DDR die Vereinbarungen für marktwirtschaftliche Politik sehr schnell in Gesetze umsetzt. Sie hat in der ersten Sitzung der gemeinsamen Wirtschaftskommission am Dienstag dieser Woche durchaus Reformwillen erkennen lassen. Unser beständiges Drängen, aber auch der Druck der Opposition in der DDR für schnelle Wirtschaftsreformen sind nicht ohne
Wirkung geblieben. Aber die Nagelprobe an Hand konkreter Gesetzestexte kommt erst jetzt.
({13})
Guter Wille allein, meine Damen und Herren, ersetzt nicht Wichtige Detailentscheidungen vor allem für Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit und Vertragsfreiheit.
Die gestern in der Volkskammer verabschiedete Regelung für Joint-ventures enthält trotz Verbesserungen aber auch noch eine Reihe von Hindernissen für einen schnellen Kapitaltransfer und damit für den Aufbau neuer Arbeitsplätze in der DDR. Die Regelung sollte jetzt zusammen mit dem noch auszuhandelnden Investitionsschutzabkommen schnell in Gang gesetzt werden.
({14})
Die DDR hat die Marktwirtschaft zwar noch nicht ganz eingeführt - das ist auch nicht möglich in zwei Monaten - , aber - und das ist entscheidend - die Tore für neue mittlere Betriebe, für neue Arbeitsplätze in der DDR stehen offen. Deshalb appelliere ich auch heute an die Bürger in der DDR: Bleiben Sie in Ihrer Heimat. Machen Sie sich selbständig. Gehen Sie in kleine und mittlere Betriebe. Anträge können unmittelbar gestellt werden.
Die DDR sollte nicht den Fehler machen, immer wieder einzelne Reformen isoliert zu machen und nur bürokratisch. Sie sollte sich im klaren sein, daß sie letztlich selbst darüber entscheidet, wo die Arbeitsplätze entstehen, in der DDR oder in anderen Investitionsländern Europas. Nur mit einer offensiven marktwirtschaftlichen Reform läßt sich das Vertrauen in die Wirtschaftskraft und die wirtschaftlichen Perspektiven für die Bevölkerung herstellen. Meine Damen und Herren, weder mit defensiver Sozialpolitik noch mit überstürzter Währungspolitik kann dieses Vertrauen gewonnen werden.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Sondergutachten wichtige Hinweise gegeben. Ich unterstreiche die Aussage des Sachverständigenrats: Es gibt keine überzeugende Alternative zur marktwirtschaftlichen Ordnung.
({15})
- Die sozialistische Planwirtschaft ist es nicht, Herr Sperling. Der Sozialismus ist ökonomisch tot. Alle Versuche, ihn reformieren zu wollen, werden scheitern. Im Grunde braucht der Sozialismus ökonomisch nur noch eine letzte Reform, seine Abschaffung.
({16})
Dann aber gilt: Tote sollte man wirklich ruhen lassen. Auch bei uns in der Bundesrepublik sollten keine vergeblichen Versuche unternommen werden, einen neuen, wie immer gearteten demokratischen Sozialismus auf die Beine zu stellen.
({17})
Die Soziale Marktwirtschaft ist eben der dritte Weg zwischen Kapitalismus einerseits und Sozialismus andererseits.
({18})
- Ich freue mich über die Reaktion.
Zurück zur DDR: Die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen müssen stimmen. Mein Konzept für eine Marktwirtschaft von unten hat sich in den Kommissionsgesprächen durchgesetzt. Wir können nicht auf Großunternehmen und Großkombinate warten. In kleinen und mittleren Unternehmen ist Marktwirtschaft am schnellsten und mit breitester Wirkung erfahrbar und erlangbar. Dort zeigen sich die positiven Ergebnisse unmittelbar und auch in der Fläche. Es geht nicht nur um die Arbeitnehmer in den Großkombinaten in Berlin und Leipzig, sondern es geht auch um die Menschen in der Fläche, um viele Menschen in Handwerk, im Handel und im Tourismus. Für sie gibt es noch in diesem Jahr unmittelbar eine wirtschaftliche Perspektive, in ihrer Heimat zu bleiben.
({19})
Natürlich müssen wir diesen Reformprozeß auch mit öffentlichen Hilfen unterstützen. Staatliche Aktivitäten sind eine entscheidende Hilfe zur Selbsthilfe. Ich werte es positiv, daß die DDR inzwischen ihre Scheu vor einer Förderung kleinerer und mittlerer Betriebe aufgegeben hat und der Aufnahme von Verhandlungen über den Einsatz unserer Mittelstandsprogramme zugestimmt hat. Dies konnte dank verschiedener, auch informeller Begegnungen und vieler Gespräche auf Regierungsebene, auf Ebene der Fraktionen, dank der Mithilfe der Vertreter der mittelständischen Wirtschaft sowie auch auf Grund des Drängens der Opposition in der DDR erreicht werden. Öffentliche Hilfen müssen sich auf Infrastrukturmaßnahmen konzentrieren.
Meine Damen und Herren, einige sehen in einer kurzfristig zu realisierenden Währungsunion ein Allheilmittel für den notwendigen Aufholprozeß in der DDR. Ich finde, gerade in diffizilen Währungsfragen sind Nüchternheit und Realitätssinn gefragt. Eine Währungsunion ist ohne Zweifel ein sinnvolles und auch ein notwendiges Ziel. Man darf aber nicht die notwendigen Voraussetzungen verschweigen.
Der Weg zu einer Währungsunion setzt unabdingbare Fortschritte in Richtung Wirtschaftsunion zwingend voraus. Bevor nicht Vertrauen in die Wirtschafts- und Geldpolitik der DDR selber entstanden ist, bevor die Wirtschaft in der DDR von unten her nicht wieder Tritt gefaßt hat, wäre eine Währungsunion nicht nur für die DDR, sondern auch für unsere stabile D-Mark mehr Schaden als Nutzen.
({20})
Der Mantel einer Währungsunion setzt eben eine gekräftigte Wirtschaft voraus.
Wir dürfen durch eine vorschnelle Währungsunion auch nicht den Reformdruck von der derzeitigen
DDR-Regierung nehmen. Je schneller und konsequenter der marktwirtschaftliche Reformprozeß von unten in der DDR vorankommt, desto eher sind Voraussetzungen für eine entsprechende Währungsunion gegeben.
Vergessen wir bei all diesen Diskussionen über die DDR nicht: Nicht nur die DDR, sondern gerade auch die übrigen Staaten in Mittel- und Osteuropa erwarten von der Bundesrepublik wirtschaftliche Unterstützung. Die Sowjetunion befindet sich zur Zeit in einer schwierigen Phase der Umgestaltung. Sie steht vor großen inneren Spannungen. Für die Überwindung der Versorgungsprobleme und für das Gelingen der Reform ist der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu den westlichen Ländern von entscheidender Bedeutung.
Wir sind bereit, daran mitzuwirken. Die Grundlage dafür ist bei dem Besuch von Generalsekretär Gorbatschow im Juni des letzten Jahres geschaffen worden. In der gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler und Generalsekretär ist der stufenweise Aufbau einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit festgelegt worden. Dies gilt für Verkehrswege, für Energiewirtschaft, für Gesundheitswesen, für Information und Kommunikation. Es ist eine intensivere ökologische Zusammenarbeit mit der UdSSR beschlossen worden. Ich werde diese Vereinbarung vorantreiben.
Die deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommissionsgespräche stehen bevor. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, damit die Reformen nicht nur in der DDR, sondern gerade auch in der Sowjetunion vorankommen.
({21})
Meine Damen und Herren, die Europäische Gemeinschaft kann für die Reformbewegungen in Osteuropa ein klares Modell für die friedliche Oberwindung wirtschaftlicher und politischer Grenzen sein. Für die Bundesrepublik bleibt die Einbindung in den Integrationsprozeß der Europäischen Gemeinschaft unverzichtbarer Bestandteil unserer Politik. Mit anderen Worten: Auf der europäischen Tagesordnung steht nicht die Umlenkung unseres politischen und wirtschaftlichen Engagements von der Westintegration zur Ostreform, sondern die Verstärkung und Erweiterung der Anstrengungen, um beides voranzubringen: die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen in Westeuropa und die Verbreiterung nach Osteuropa.
({22})
Meine Damen und Herren, viele Länder richten ihre Hoffnungen auf die Bundesrepublik. Sie bitten unsere Arbeitnehmer, sie bitten unsere Ingenieure, sie bitten unsere Unternehmer um Reformhilfe. Gleichwohl scheint bei vielen, gerade bei Sozialdemokraten und GRÜNEN, die Vorstellung zu herrschen, diese riesigen Zukunftsaufgaben könnten mit immer weniger Einsatz gelöst werden. Mit dem Marsch in die 35-Stunden-Woche und - wenn es nach Herrn Lafontaine geht - bis zum Jahre 2000 in die 30-StundenBundesminister Dr. Haussmann
Woche lassen sich diese Reformbemühungen nicht bewältigen.
({23})
Während die Menschen ringsherum in unserer Nachbarschaft die Ärmel aufkrempeln, um die wirtschaftliche Architektur des neuen Europa zu gestalten, wollen wir weniger arbeiten, wir wollen das mit mehr Freizeit bewältigen. Richtig ist: Grundlage wirtschaftlichen, aber auch ökologischen Fortschrittes ist qualifizierte Arbeit. Pauschale Arbeitszeitverkürzungen verknappen diese wichtigste Ressource. Sie betreffen aber vor allem die mittelständischen Betriebe. Diese haben anders als Großunternehmen kaum Möglichkeiten, auf die Verkürzung der Arbeitszeit mit mehr Robotern oder mehr Kapitaleinsatz zu reagieren. Die Tarifparteien müssen deshalb alles unterlassen, was die mittelständische Wirtschaft durch weitere pauschale Arbeitszeitverkürzungen schwächt, meine Damen und Herren.
({24})
Wenn die Bundesrepublik auch in Zukunft zu Reformhilfe fähig sein will, dann müssen wir die hohe Qualifikation unserer Beschäftigten nicht stillegen, sondern intelligenter und flexibler nutzen.
Die Entwicklungen im Westen wie im Osten bieten der deutschen Wirtschaft und ihren Arbeitnehmern riesige Chancen. Durch mehr Wettbewerb, durch Freisetzung von Marktkräften müssen wir ihre Leistungsfähigkeit weiter stärken. Dank Sozialer Marktwirtschaft sind daher die Perspektiven für die 90er Jahre hervorragend. Die deutsche Wirtschaft besitzt beachtliche Dynamik, Realeinkommen, Nachfrage, Beschäftigung steigen kräftig. Kapazitätsgrenzen zeigen sich immer deutlicher. Es kommt jetzt entscheidend darauf an, daß wir die Fortdauer des wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Aufschwungs im achten Jahr nicht durch Fehlentwicklungen in Frage stellen.
({25})
Grenzen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und die Gefahren für die Stabilität unserer Währung liegen letztlich in der begrenzten Kapazität qualifizierter Arbeit. Daher werbe ich so vehement für neue Arbeitszeitmodelle, für flexible Arbeitszeiten.
Meine Damen und Herren, in der Projektion des Jahreswirtschaftsberichtes rechnen wir in diesem Jahr erneut mit einer Zunahme um gut 319/0 oder mehr. Dies bedeutet Beibehaltung des bisherigen Wirtschaftswachstums und damit die Chance für neue Arbeitsplätze. Wir sind damit für die Zukunft gut gewappnet. Es zeigt sich, wie richtig es war, die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung frühzeitig in Angriff zu nehmen und sie auch gegen viele Widerstände durchzusetzen. Die konsequente Stärkung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung bleibt die beste Zukunftsstrategie. Sie macht uns zur Reformhilfe fähig. Dies muß unser wirtschaftlicher Beitrag zu Beginn der 90er Jahre sein.
Ich bedanke mich.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Roth.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich steht diese Debatte vor allem unter dem Zeichen der Probleme der Wirtschaft der DDR und der Bewältigung dieser Probleme mit unserer Hilfe. Lassen Sie uns das Problem doch offen ansprechen. Nach Schätzungen der Oppositionellen in der DDR, die jetzt wahrscheinlich gezwungen sind, in die Regierung einzutreten, um überhaupt die Probleme angehen zu können, sitzen bis zu 3 Millionen Menschen auf gepackten Koffern. Es bedarf nur noch geringer, geringster Anstöße, um neue, gewaltige Übersiedlungswellen aus der DDR auszulösen. Und was tut die Bundesregierung? Im wesentlichen kündigt sie nur Verhandlungen in der gemischten Wirtschaftskommission an, statt daß sie, was wir seit Wochen fordern, einseitig konkrete spürbare sofortige Hilfe, Zeichen der Hoffnung in der DDR selbst setzt.
Meine Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbericht wäre die Gelegenheit gewesen, den Deutschen in Ost und West ausführlich und präzise zu erklären, was jetzt an Soforthilfe, an Unterstützung für die DDR bereitgestellt wird. Art der Hilfe, Kosten, Belastung der Haushalte sowie die erhofften Effekte hätten dargestellt werden müssen. Gerade jetzt nach den Reformsignalen aus Ost-Berlin, nach der Ankündigung von Niederlassungsfreiheit, Gewerbefreiheit, nach der Chance, daß jetzt relativ schnell ein Banken- und Kapitalmarktsystem entsteht, gerade jetzt müßte es eine schnelle Verständigung zwischen Bundesregierung und Deutscher Bundesbank geben, um wirklich in großem Umfang neue wirtschaftspolitische Schritte in Richtung auf die DDR zu gehen. Hilfsangebote an die DDR, wie sie bei Ihnen anklingen, haben immer nur mittelfristigen Charakter. Sie müssen aber nach unserer Auffassung sofort wirksam werden. Sonst überrollt uns die Übersiedlungswelle hier.
Die Bundesregierung hat - so scheint es mir - immer noch zwei Vorbehalte. Das klang auch schon wieder in dem Zwischenruf an.
Vorbehalt 1: Man wolle jetzt nicht vorangehen; denn das würde indirekt auch die Regierung Modrow stärken. Ich glaube, diese Phase ist lange vorbei. In der DDR geht es nicht mehr um die Chancen der SED, sondern es geht um die Chancen der Menschen überhaupt, eine Demokratie zu bekommen.
({0})
Der zweite Punkt: Meine Damen und Herren, Sie glauben immer noch, daß es allein der private Sektor leisten könnte, daß staatliche Maßnahmen, staatliche Hilfe nur sekundär, nur hilfsweise einzusetzen sind.
({1})
Bei dem Zerfall der Infrastruktur in der DDR, bei dem Zerfall der Wohnungen wird das nur möglich sein, wenn auch öffentliche Hilfen schnell Chancen eröffnen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich kritisiere nicht nur die Bundesregierung für ihre Halbheiten an dieser Stelle, sondern auch den Sachverständigenrat.
({3})
Ich muß sagen, das Gutachten des Sachverständigenrates liest sich wie ein elegantes Lehrbuch über Marktwirtschaft,
({4})
wie man künftig die Marktwirtschaft in der DDR gestalten soll. Dabei geht es doch um die Frage, wie man von einer zerfallenen Kommandowirtschaft in der DDR, von einer sich selbst auflösenden Kommandowirtschaft in der DDR über konkrete und greifbare Schritte für die Menschen zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft kommt.
Gerade der Weg vom Punkt A zum Punkt B ist das Problem und nicht die Darstellung, die Skizze einer künftigen Wirtschaftsordnung. Genau um dieses Problem drückt sich die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik weitgehend herum.
Ich hatte vorgestern eine lange Debatte mit Professor Biedenkopf. Ich bedaure, daß er heute nicht da ist.
({5})
- Ich hoffe, daß er noch kommt und auch hier wiederholt, was er dort in der Diskussion gesagt hat, zusammen mit Oppositionellen aus der DDR, die in den nächsten Tagen wahrscheinlich in die Regierung eintreten müssen. Er hat gesagt, er glaube, daß in den nächsten Wochen die Chancen in der DDR durch unser Handeln bestimmt würden und daß wir noch lange nicht erkannt hätten, wie dramatisch die Lage in der DDR wirklich ist.
({6})
Herr Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hinsken?
Ja, bitte.
Herr Kollege Roth, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Bundeswirtschaftsminister Haussmann am letzten Mittwoch während der Sitzung des Wirtschaftsausschusses erklärt hat, wie er sich die weitere Entwicklung von Punkt A bis Punkt B vorstellt? Ich frage Sie deshalb: Warum haben Sie an dieser Ausschußsitzung nicht teilgenommen, um sie mit konstruktiven Beiträgen zu bereichern?
({0})
Sie wissen sehr genau, daß ich über die Aussagen von Herrn Haussmann genauestens informiert bin. Er hat sie heute in ähnlicher Form wieder vorgetragen. Es war genauso substanzlos wie im Wirtschaftsausschuß. Es gibt einen konkreten Punkt, die
Existenzgründungshilfen, ein Vorschlag, den wir vor sechs Wochen entwickelt haben.
({0})
Jetzt wird er realisiert. Das war der einzig konkrete Punkt.
({1})
Herr Roth, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Herrn Hoss?
Natürlich.
Kollege Roth, ich möchte Sie doch fragen. Wenn es so dringlich ist, der DDR zu helfen, was auch meine Meinung ist, dann müssen Sie mir beantworten, warum Sie es ablehnen, daß Ministerpräsident Modrow - Sie haben sich ja so geäußert - hier empfangen werden soll. Wie wollen Sie die direkte Hilfe - - ?
({0})
- Natürlich haben Sie das.
({1})
Herr Hoss, da müssen Sie einem Irrtum unterliegen.
({0})
- Nein, nein.
Ich habe an dem Tage, als diese Debatte begann, vor Kollegen aus verschiedenen Fraktionen ausgeführt, ich sei der Auffassung, Modrow müsse schnellstens kommen, aber man müsse vorher mit der Opposition der DDR diskutieren, was auch Sie wollen, so daß wir ein vollständiges Bild über die Absichten derjenigen hätten, die in der DDR Verantwortung trügen. Das war meine Position. Ich bin froh, das Modrow kommt. Ich bin um so froher, als er jetzt die Notwendigkeit gesehen hat, sich mit der Opposition, mit den neuen Parteien abzustimmen. Das ist von Anfang an meine Position gewesen. Alles andere wäre ja absurd.
({1})
Herr Roth, ich darf Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Graf Lambsdorff hat eine Zwischenfrage.
Bitte.
Herr Roth, haben Sie eine Ahnung, ob der Kollege Hoss mit dieser gezielten Verwechslung Sie oder mich ärgern wollte?
({0})
Graf Lambsdorff, ich kenne Ihre Vorzüge und Nachteile so gut, daß ich nicht beleidigt bin, wenn er Sie mit mir verwechselt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich meine, es geht jetzt um konkrete und direkte Hilfe. Jetzt geht es auch
darum, daß Chancen eröffnet werden. Ich bin deshalb sehr froh, daß das in der Wirtschaft zum Teil erkannt wird. Der Vorstandsvorsitzende von VW, Hahn, hat öffentlich erklärt, er sei auch nicht zufrieden mit den gesetzlichen Grundlagen für eine Beteiligung bis zu 49 %, die Modrow bzw. Frau Luft jetzt schaffen wollten, aber er gehe über dieses Übergangsproblem jetzt hinweg und entscheide sich für eine Investition in Höhe von etwa 4 Milliarden DM in der DDR zur Produktion von 240 000 Automobilen in dem Gemeinschaftsunternehmen zwischen VW und dem DDR-Partner. Das heißt: VW geht in einer schwierigen Zeit voll ins Risiko. Ich muß sagen, ich habe Respekt vor dem Vorstand von VW, daß er dieses Signal gesetzt hat. Es ist gerade im Automobilsektor ein richtiges Signal.
({1})
Meine Damen und Herren, wir wissen doch, auf welchen Gebieten Notwendigkeit zum Handeln besteht. Ich nenne beispielsweise den Bereich der Währung. Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist zutreffend: Eine Währungsunion kann man nicht erreichen, indem man einen Schalter umlegt, aber man kann erste konkrete Schritte machen. Auch die SPD in der DDR fordert beispielsweise, relativ schnell feste Wechselkurse zu erreichen. Feste Wechselkurse haben Sie in einem Fall, nämlich beim Umtausch für die Reisekasse, in kleinem Umfang ja schon eingeführt. Ich bin der Meinung, daß Sicherheit bei der Kalkulation von Exporten in der DDR jetzt genauso notwendig ist wie unsere Sicherheit damals in der Zeit des Wiederaufbaus durch den festen Wechselkurs zwischen D-Mark und Dollar. Die DDR kann Investitionen und Aktivitäten für den Export nur vornehmen, wenn sie über klare kalkulatorische Grundlagen verfügt.
Ich bin übrigens froh, daß sich inzwischen Tyll Nekker, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, dieser Auffassung, die ich seit Dezember in diesem Hause mehrfach wiederholt habe, angeschlossen hat. Das ist ein Fortschritt. Aber wirken Sie mit uns zusammen auf die Bundesbank ein, daß sie bereit ist, hier einen Teil Verantwortung zu übernehmen!
Ich sage diese Dinge ja nicht, um Ihnen nun Vorwürfe zu machen, sondern wirklich aus einer großen Sorge heraus, denn ich glaube, daß der Übersiedlerstrom nur so gestoppt werden kann.
Übrigens sieht ja die Debatte gegen Oskar Lafontaine, die Sie angezettelt haben, zur Zeit ganz anders aus als vor einigen Wochen. Damals sah es ja so aus, als ob es Ihnen gelänge, hier jemanden zu diffamieren, der aus einer großen Sorge heraus die richtige Diskussion begonnen hat.
({2})
Heute haben wir übereinstimmend erkannt, daß Sonderhilfen für Übersiedler nicht mehr akzeptabel sind, weil Berufswechsel und Arbeitsplatzwechsel für den Staat kein Förderungstatbestand sind.
({3})
Das ist inzwischen akzeptiert. Was Sie noch nicht akzeptiert haben, sind direkte Einzelmaßnahmen.
Ich mache jetzt Vorschläge.
Erstens. Mit Sofortmaßnahmen muß der Teilzusammenbruch der DDR-Industrie verhindert werden. Man braucht dort jetzt unbürokratisch Ersatzteillieferungen im Produktionsbereich, im Baubereich, teilweise auch in der Energieversorgung. Hier könnte zum Teil natürlich die Wirtschaft einspringen, aber es gibt immer Bereiche, in denen das Privatrisiko noch zu groß ist, um das zu finanzieren.
Zweitens. Wir sollten jetzt direkt einige Großinvestitionen im Bereich der Infrastruktur beginnen, beispielsweise im Verkehrsbereich, beispielsweise im Eisenbahnnetz. Ich weiß nicht, wer von Ihnen in „Panorama" den Bericht über den Zerfall der Reichsbahn gesehen hat. Auch Verbesserungen im Telefonnetz müßten jetzt finanziert werden.
({4})
Drittens. Ein besonders weites Feld bieten die Stadterneuerung und die Erhaltung der Wohnsubstanz.
({5})
Eine besondere Ursache für die Bewegung der DDR-Bürger ist die schlechte Wohnsituation. Lassen Sie uns da in einer Zusammenarbeit zwischen Bauwirtschaft und öffentlicher Hand schnell helfen!
Viertens. Ein besonders schlimmes Kapitel in der DDR ist die ökologische Zerstörung. Wenn wir in die ökologische Sanierung investieren, sind das Maßnahmen, die nicht nur den DDR-Bürgern helfen, sondern auf Grund der Umweltsituation natürlich auch unseren Bürgern. Wir sollten jetzt jenseits der begonnenen Pilotprojekte Aktivitäten beginnen.
Fünftens. Wir müßten in einem Zusammenspiel zwischen Staat und privater Wirtschaft Qualifikationsmaßnahmen in der DDR in großem Umfang beginnen. Wir reden immer über den Übergang von der Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft. Dort gibt es keine Rechnungsgrundlagen, dort gibt es keine hinreichende Bilanzierung für eine Marktwirtschaft. Also müssen wir schnell Hilfen geben, um diesen Übergangsprozeß in der DDR zu unterstützen und mitzutragen. Machen Sie doch auf diesem Gebiet mit; die Wirtschaft hat schon begonnen.
Sechstens. Ein entscheidendes Zeichen, das Hoffnung geben könnte, sind Hilfen zur Gründung von Privatunternehmen in der DDR. Ich bin froh, daß jetzt endgültig dieses Existenzgründungsprogramm in Gang gesetzt wird. Ich hoffe auch, daß es unbürokratisch läuft. Wir unterstützen dieses Programm.
Ich stehe sicher ebenso wie ein paar Kollegen aus der Union und der FDP unter dem Eindruck der abendlichen Diskussion bei der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer am Montagabend im Presseclub hier in Bonn. Dort waren die beiden Vorsitzenden und der Geschäftsführer des neugegründeten Unternehmerverbands der DDR anwesend. Der Vorsitzende dieses Verbands, der liebenswürdigerweise nicht nur ausführte, daß er bei der nächsten Wahl die SPD in der DDR unterstützen werde, sondern der vor allem inhaltlich sehr viel Subtantielles beige14786
tragen hat, hat folgendes gesagt: Im Grunde dürfen wir zur Zeit keine Investitionen tätigen, weil uns der bürokratische Staat noch behindert. Im Grunde muß ich meine Leute schlechter bezahlen, als ich das eigentlich will, und schlechter bezahlen, als notwendig wäre, um eine Bewegung in den Betrieb zu bringen. Was mache ich? Ich warte nicht auf die Verordnungen des Hauses Modrow, sondern fange jetzt an. Die sollen mir dann die Volkspolizei ins Haus schicken; das werde ich schon durchstehen.
Etwa so war seine Position. Ich finde, von diesem Geist müßte mehr in die politische Debatte der Bundesrepublik statt zögern, hinhalten, abwarten, was ich immer noch beobachte.
({6})
Das bedeutet, daß man auch Finanzmittel in die DDR bringen muß. Ich glaube, es wird für uns auf die Dauer viel billiger, wenn wir aus unserem Budget diese umfassenden Infrastrukturhilfen geben, statt die Übersiedlerwellen bei uns im Wohnungsbau, bei der Arbeitslosigkeit usw. zu finanzieren. Sie kennen ja die Probleme.
Im Nachtragshaushalt von Herrn Waigel stehen insgesamt 3 Milliarden DM für Hilfen, die mit der DDR zu tun haben.
({7})
Das sind 0,15 % oder ein Siebenhundertstel des Bruttosozialprodukts. Diese 3 Milliarden DM werden zum überwiegenden Teil, nämlich in Höhe von fast 2 Milliarden DM, für den Devisenreisefonds verwendet. 1 Milliarde DM oder ein Zweitausendstel des Bruttosozialprodukts bleiben für Infrastrukturmaßnahmen in der DDR im Jahre 1990 übrig.
Meine Damen und Herren, diese Dimension zeigt die ganze Absurdität des Herangehens an die Probleme in der DDR zum jetzigen Zeitpunkt.
({8})
Wenn ich das mit dem gegenüber 1989 steigenden Verteidigungsetat im Jahre 1990 vergleiche, kann ich das nur noch eine verantwortungslose Haushalts-, Budget- und Gesamtpolitik der Bundesregierung nennen.
Meine Damen und Herren, in der Währungsfrage müssen wir auch vorankommen. Auch das hat mit Signalen der Hoffnung zu tun. Ein Währungsverbund ist als Ziel unbestritten und muß kommen. Wir müssen auch den DDR-Verantwortlichen klar sagen, auch denjenigen, die künftig Verantwortung tragen, daß in der Währungsfrage die DDR ihre Autonomie verloren hat und auf Grund der Währungsstrukturen in Europa nicht mehr wiedergewinnen wird. Wieviel Autonomie haben wir im Vergleich zu den anderen? - Auch das ist sehr beschränkt. Aber wenn sie das akzeptieren, müssen wir um so mehr helfen, daß sich das dann schnell in eine stabile Situation bewegt.
Meine Damen und Herren, Herr Haussmann hat heute wieder gesagt: Wir leben in einer sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Manchmal haben Sie sogar von einem Superboom geredet. Ich will überhaupt nicht bestreiten, daß wir eine wirtschaftliche Entwicklung haben, die in den letzten beiden Jahren positiver ausgefallen ist, als die meisten nach dem Börsencrash 1987 erwartet haben.
({9})
Darüber sind wir froh, und darüber können wir auch froh sein.
Ich wundere mich nur, warum dann trotz dieser sehr positiven Entwicklung die wirklichen strukturellen Probleme in der Bundesrepublik nicht angegangen werden.
Punkt eins: Die Einkommensverteilung wird jetzt Jahr für Jahr und Monat für Monat wieder ungerechter. Die Lohnquote ist die niedrigste seit dem Jahre 1960. Die Arbeitslosigkeit bleibt trotz Superboom stabil bei 2 Millionen. Die ökologische Erneuerung und die Umweltverbesserung im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Investitionsentscheidungen kommt nicht voran. Es gibt neue ökologische Probleme, die Tag für Tag dramatischer werden; z. B. das Verkehrschaos in der Bundesrepublik Deutschland. Die katastrophale Lage auf dem Wohnungsmarkt wird verharmlost. Es reichen die Mittel nicht zur Lösung des Wohnungsproblems, obgleich Sie dauernd sagen, die Wirtschaft läuft ganz enorm. Der Konzentrationsprozeß hat eine unglaubliche Geschwindigkeit erreicht.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat den Blick für die soziale Symmetrie in unserem Land längst verloren.
({10})
Daß Sie, Herr Haussmann, heute wieder Mahnungen in Richtung auf die Gewerkschaften, und zwar nur auf die Gewerkschaften, richten, hat jedenfalls nichts mit der Wirklichkeit der Verteilungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zu tun.
({11})
Die Unternehmereinkommen sind praktisch explodiert, und zur Zeit ist es sogar so, daß der BDI freundlichere Worte zu den Gewerkschaften findet als der Bundeswirtschaftsminister.
({12})
Das ist in den letzten Wochen mehrfach geschehen.
({13})
Konkret fällt Ihnen zur Arbeitslosigkeit nur ein, das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit einzuschränken oder gar aufzuheben. Ich glaube, daß das der falsche Weg ist. Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich bewährt.
Heute haben Sie nun erneut in den Tarifkonflikt eingegriffen. Meine Meinung ist, daß die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland höher wäre, wenn wir nicht in den letzten Jahren Arbeitszeitverkürzungen gehabt hätten. Meine Meinung ist sogar, daß unsere Exportsituation ohne ArbeitszeitverkürRoth
zung schlechter wäre. Denn es war auch ein Anreiz zu Produktivitäts- und Leistungssteigerung.
({14})
Meine Meinung ist, daß im Grunde die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen den Tarifpartnern da ist; auf der einen Seite gibt es sicherlich ein Ja zur Arbeitszeitverkürzung, und auf der anderen Seite gibt es sicherlich auch ein Ja zu mehr Flexibilität und zu mehr Beweglichkeit in der Arbeitszeit.
({15})
Das letztere gilt auch deshalb, meine Damen und Herren, weil die Arbeitnehmer es ja selbst wünschen. Wir kennen sehr viele, die es wollen und die ja sagen zur flexibleren Arbeitszeit. Diese Menschen sagen: Dann kann ich meine berufliche Situation mit meiner gesellschaftlichen und meiner familiären Situation besser in Einklang bringen. Ich glaube, an der Ecke hätte ein Wirtschaftsminister die Aufgabe, zum Kompromiß und für den Kompromiß zu werben, statt die Gewerkschaften in die Ecke zu stellen und wieder von „dumm", „töricht" und „absurd", wenn auch in anderen Worten, anzufangen.
({16})
Das war schon 1984 falsch und ist diesmal genauso falsch.
Wir wissen, daß wir Qualifikationsprobleme in der Bundesrepublik haben und daß insofern unbestreitbar Arbeitszeitverkürzung auch Probleme aufwirft, weil natürlich manche Arbeit im Überschuß vorhanden ist, andere Arbeit, Angebote, Qualifikationen knapp sind. Wenn ich dann weiß, daß die Tarifpartner wahrscheinlich in irgendeiner Zeit dieses Jahres zu einem Kompromiß über Arbeitszeitverkürzung kommen werden - davon gehe ich jedenfalls aus, daß ein Kompromiß in der Richtung kommt - , würde ich als Wirtschaftsminister, statt mich in den Tarifkonflikt einzumischen, die Qualifikationsanstrengungen des Bundes und der Länder und aller Beteiligten verstärken, statt zu akzeptieren, daß gerade im Qualifikationsbereich im letzten Jahr noch gestrichen worden ist.
({17})
Das ist die Alternative, die wir zu dieser Tarifdiskussion vorschlagen.
Ich hätte mir auch gewünscht, daß der Bundeswirtschaftsminister etwas Konkreteres zur Regionalpolitik sagt, und zwar unter zwei Aspekten. Selbst die Zögerndsten werden ja irgendwann akzeptieren, daß wir abrüsten müssen und dürfen. Ich sage mal „dürfen". Ich glaube, daß wir irgendwann dann tatsächlich die 240 000 Soll-Stärke der Bundeswehr erreichen, die jetzt in die Diskussion gekommen ist. Wir unterstützen das. Aber das wirft natürlich in Rheinland-Pfalz, in anderen Regionen der Bundesrepublik regionale Probleme auf, weil viel Beschäftigung im militärnahen Bereich vorhanden war. Ich bin für Abrüstung, aber ich bin dann gleichzeitig dafür, daß man diesen Regionen konkret durch eine neue Regionalpolitik
hilft, daß dort die ausfallenden Arbeitsplätze ersetzt werden. - Kein Wort zu diesem Thema!
({18})
Der andere Aspekte, regional gesehen: Wir reden immer noch über die Zonenrandförderung. Ich glaube, dort muß man völlig neue Gedanken entwikkeln. In diesem Zonenrand braucht man natürlich eine besonders schnelle Förderung zur Wiederherstellung der grenzübergreifenden Infrastruktur. Bahn, Straßen, vieles ist unterbrochen, was zusammengehört. Dort braucht man viele Infrastrukturinvestitionen. Aber ich glaube nicht, daß wir heute noch irgendwelche Subventionen bei privaten Investitionen brauchen. Wir müssen da also umdenken. Ich bitte auch die Kollegen aus diesen Bereichen, mitzuhelfen, daß wir diese Schwerpunktverlagerung gemeinsam tragen. Dann ist das einfacher, als wenn sich jeder neben den anderen stellt und jeweils jede Einzelmaßnahme sinnioserweise verteidigt.
({19})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen, was die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung anbetrifft. Wir mahnen seit Jahren an, Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik nicht nur zu versöhnen, sondern ineinander zu verzahnen, völlig abzustimmen. Dazu haben wir erfreulicherweise von einigen Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages Initiativen gehabt. Professor Biedenkopf gehört dazu, Herr Stratmann gehört dazu und Herr Sperling.
({20}) - Das wußte ich nicht. Vielen Dank.
Die Grundidee ist: Sie sagen, mit der Meßziffer Bruttosozialprodukt, die ja nur das Wachstum und nicht die Qualität mißt, haben wir keine hinlängliche Grundlage für die Orientierung unserer Wirtschaftspolitik. Es ist nun einmal wahr: Nicht immer ist mehr auch besser, und nicht immer ist mehr auch lebenswerter. Wie Wachstumsprozesse heute auf das Wohlbefinden der Menschen wirken, ist sehr differenziert zu sehen. Wir sehen es ja beim Übermaß der Autonutzung, daß dann Wachstum plötzlich zur Absurdität wird und das eigentlich hervorragende Mobilitätsinstrument Auto zu einem Instrument der Unbeweglichkeit wird. Aus dem „Fahrzeug" wird das „Stehzeug".
Es gibt hier also dramatische Probleme, da Quantität nicht gleichzeitig Qualität ist. Ich fände eigentlich, daß wir in der Wirtschaftspolitik diesen Umdenkungsprozeß unterstützen müssen. Wir müssen unterstützen, daß das Statistische Bundesamt nun neue Meßziffern zu erarbeiten versucht. Ich bin den Kollegen dankbar, die an einem Gesetzesvorschlag gearbeitet haben, der das Wachstums- und Stabilitätsgesetz an dieser Stelle qualitativ erneuern soll. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Aber noch entscheidender ist, daß man eben nicht so platt Wachstumspolitik vertritt, wie der Bundes14788
wirtschaftsminister es in der Debatte vorher noch einmal getan hat.
({21})
Es geht doch in der Debatte nicht um die Frage: Nullwachstum - ja oder nein?
({22})
Das Wachstum eines Sozialprodukts insgesamt besteht aus unendlich vielen Prozessen des Mehr und teilweise auch des Weniger. Es ist notwendig, Schwerpunkte zu setzen und Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft zu schaffen, damit sie ihre Investitionsprozesse in eine ökologisch vertretbare Richtung entwickelt. Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre.
({23})
Wir müssen wegkommen von der globalen Aussage hin zu einer qualitativen Aussage.
({24})
Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland nutzt nach meiner Überzeugung die Chancen dieser Jahre nicht. Die qualitative, die strukturelle Erneuerung der Wirtschaft stünde auf der Tagesordnung, und Sie erfreuen sich am Boom und an nichts als am Boom.
Ich glaube, es ist gut, daß es im Kollegenkreis in allen Fraktionen immer wieder Leute gibt, die hier in einer anderen Richtung denken und bereit sind, in dieser Phase des wirtschaftlichen Wachstums die qualitative, die umweltorientierte Erneuerung in der Volkswirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Das wollen wir tun, und das ist, glaube ich, das, was jetzt wirtschaftspolitisch auf der Tagesordnung steht und uns Chancen gibt.
Vielen Dank für das Zuhören.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht in seiner erfreulicherweise gestrafften Form ist ein hervorragendes Kursbuch für die heutige und künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung. Er beschreibt, Herr Kollege Roth, ganz präzise unsere Absichten und unsere Schritte zu den großen Herausforderungen, zur Unterstützung des Reformkurses in Mittel- und Osteuropa, zur Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, zur weiteren Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt und zu dem zuletzt von Ihnen erwähnten Thema, zur ökologischen Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft.
Herr Kollege Roth, es war erfreulich, daß Sie sich heute das erste Mal in einer Wirtschaftsdebatte der letzten sechs Jahre dazu haben durchringen können, von einer positiven Wirtschaftsentwicklung zu sprechen. Sie haben noch 1988 und 1989 den Zusammenbruch der Konjunktur vorausgesagt.
Jetzt hätte ich Sie nur noch glaubwürdiger gefunden, wenn Sie einen Schritt weitergegangen wären. Sie haben damals bei Ihren Untergangsprognosen immer gesagt, die Regierung sei an dieser vermuteten negativen Entwicklung schuld. Jetzt wäre es doch schön gewesen, Sie hätten hier gesagt: Daß es besser gekommen ist, ist vor allem den tüchtigen Arbeitnehmern und Unternehmern in der Bundesrepublik, aber eben auch einer vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung zuzuschreiben.
({0})
Dann, glaube ich, wären Ihre Aussagen glaubwürdiger gewesen.
({1})
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Mit 4 To brachte das Jahr 1989 das stärkste Wirtschaftswachstum seit zehn Jahren. Die „Wirtschaftswoche" spricht z. B. von einem Wachstumswunder.
Die sich zunehmend verbessernde Ertragslage, günstige Finanzierungsbedingungen, die Auslastung der Kapazitäten mit fast 90 % und das damit verbundene wachsende Vertrauen in die Absatzmöglichkeiten haben dazu geführt, daß die Investitionen der Unternehmen, und zwar nicht nur der großen, sondern auch vieler kleiner und mittlerer Unternehmen, in den letzten beiden Jahren um jeweils rund 10 % expandierten.
Die Auftragseingänge haben bis in die letzten Tage in den meisten Unternehmen zugenommen. Die Produktion steigt weiter. Die Kapazitätsauslastung nimmt weiter zu.
Auch 1990 - das ist für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zuhören, wichtig - ist mit einem kräftigen Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen um 7 bis 8 % zu rechnen. Bei den Bauinvestitionen wird mit einem Anstieg um 4 bis 5 % gerechnet.
Meine Damen und Herren, man kann heute sagen, die Investitionsschwäche, die seit Mitte der siebziger Jahre bis in die erste Hälfte der achtziger Jahre hinein anhielt, ist heute überwunden. Das bestätigen ja inzwischen auch internationale Wirtschaftszeitungen.
Meine Damen und Herren, wenn man heute nach etwas über sieben Jahren eine Bilanz der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Helmut Kohl zieht, dann kann man sagen: Sie ist die erfolgreichste Regierung in Europa.
({2})
Von Ende 1983 bis Ende 1989 - lassen Sie mich das einmal in einer Zahl sagen, die für Millionen Mitbürger wichtig ist - stieg die Zahl der Beschäftigten um über 1,5 Millionen. Als Vergleichszahl: Zwischen 1973 und 1982, also in Ihrer Verantwortungszeit, war die Zahl der Erwerbstätigen um 1,2 Millionen gesunken.
Ein zweites Beispiel, meine Damen und Herren: 1989 konnte der Bundesfinanzminister die niedrigste Nettokreditaufnahme seit 15 Jahren vorweisen. In den letzten sieben Jahren stiegen die Ausgaben des Bundes um durchschnittlich 2,3 %. Eine VergleichsWissmann
zahl: Von 1970 bis 1982 waren sie jährlich um 8,6 erhöht worden.
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh? - Bitte.
Herr Kollege, wenn das alles so im Aufschwung ist, warum ist man dann nicht hingegangen und hat den Rentnern einen wirtschaftlichen Ausgleich gegeben? Denn die Erhöhung der Renten entsprach ja nicht dem, was bei der Kaufkraft, bei den Mieten usw. passiert ist.
Frau Kollegin, es ist in der Tat so: Wir hatten am Anfang unserer Regierungszeit das große Problem, daß als Bilanz sozialdemokratischer Regierungspolitik in der Kasse der Rentenversicherung nur noch eine Monatsreserve übrig gewesen ist. Dann haben wir einen harten Stabilisierungskurs durchsetzen müssen,
({0})
aber 1985, 1986, 1987, 1988 und 1989 gab es wieder reale Zuwächse, wenn auch kleine Zuwächse für Millionen Rentner, und das halte ich für einen Erfolg. Natürlich weiß ich, daß es noch viele Kleinrenten gibt, aber Gott sei Dank kann man heute sagen: Millionen Rentner können wieder von sicheren Renten ausgehen und müssen nicht mehr in der Unsicherheit leben, in der sie einmal gelebt haben.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Zahl nennen, die für viele Arbeitnehmer und für viele Selbständige von Bedeutung ist. 1989 ist der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt auf 45 % zurückgeführt worden. Er war von 1969 bis 1982 von 39 % auf 50 % angestiegen. Das heißt, während in den Jahren sozialdemokratischer Regierung immer mehr Bürokratie gewachsen ist, die ja am Ende nur über mehr Steuern und Abgaben finanziert werden kann, ist es der Wirtschafts- und Finanzpolitik unserer Regierung gelungen, diese schlimme Schraube in die richtige Richtung - weniger Bürokratie, weniger Staatsanteil und damit Möglichkeit der Steuerentlastung - zurückzudrehen. Diesen Weg wollen wir in den 90er Jahren weitergehen, weil er ein entscheidender Weg für die Zukunft unseres Landes ist.
({2})
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Ich habe die Zwischenfrage gern beantwortet, aber bitte verstehen Sie, daß ich jetzt in der Rede fortfahren möchte.
Diese eindrucksvollen Zahlen zeigen deutlich: Die klare Orientierung am Konzept der Sozialen Marktwirtschaft hat sich bewährt. Mit diesem Kompaß gehen wir auch in die 90er Jahre. Meine Kollegen von der SPD und den GRÜNEN, wir brauchen keine krampfhafte Suche nach einem sogenannten dritten Weg.
({0})
Es gibt keinen Mittelweg zwischen Ludwig Erhard und Karl Marx, Herr Stratmann.
({1})
Die Konzeption einer ökologisch verantwortlichen Sozialen Marktwirtschaft ist bereits der dritte Weg zwischen Modellen sozialistischer Art - Modellen aller Form - und dem alten Kapitalismus.
({2})
Natürlich wissen wir, daß wir der Idealform unserer Sozialen Marktwirtschaft noch nicht in allen Punkten nahegekommen sind, daß wir noch vieles zu tun haben, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
({3})
Klar ist aber auch, daß sich die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik zum Thema Soziale Marktwirtschaft bedauerlicherweise nicht immer klar genug äußern - bei manchen erfreulichen Reden, die auch hier im Bundestag gehalten werden.
Der nordrhein-westfälische SPD-Fraktionsvorsitzende, Professor Farthmann, hat es vor einigen Tagen bestätigt. Er sagt, es sei bedrückend zu erleben, wie sozialdemokratische Freunde aus der DDR auf SPD-Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland - jetzt wörtlich - „betretenes Schweigen ernteten", wenn sie für die Soziale Marktwirtschaft einträten.
Wir alle erinnern uns an die Berichte über den SPD-Landesparteitag in Köln im November vorigen Jahres, als Stephan Hilsberg von der SPD der DDR für sein Lob der Sozialen Marktwirtschaft sogar Pfiffe zu hören bekam. Meine Damen und Herren von der SPD, deswegen sage ich: Klären Sie endlich Ihre Grundpositionen! Demokratischer Sozialismus - wie ihn Herr Vogel noch im November hier im Bundestag gefordert hat - und Soziale Marktwirtschaft sind unvereinbar.
({4})
Daß noch in der vorigen Woche die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag es abgelehnt hat, den Art. 27 der Landesverfassung, der die Vergesellschaftung der Grundstoffindustrie und der Monopolbetriebe fordert, abzuschaffen, zeigt doch, daß es offensichtlich mit dem marktwirtschaftlichen Bekenntnis vieler Sozialdemokraten - nicht aller, aber vieler Sozialdemokraten - in der Bundesrepublik immer noch nicht klar ist.
Deswegen sage ich: Kommen Sie endlich zu der ordnungspolitischen Klarheit, die wir bei den Verantwortlichen in Polen und Ungarn so sehr bewundern und die wir bei vielen Menschen in der DDR, bei den Vertretern der Selbständigen dort, aber auch bei vielen Oppositionsgruppen, so beeindruckend finden! Deren Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft in ökologischer Verantwortung könnte ein Beispiel sein
für manche der Linken bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({5})
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Müller?
Gerne.
Herr Kollege, sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie und Ihre Koalition mit der Förderung der Fusion von Daimler-Benz und MBB und mit Ihrem sonstigen Verhalten in der letzten Zeit in der Praxis dem, was Sie hier proklamieren, gerade massiv widersprochen haben, indem Sie für Wettbewerb wenig und für mehr wirtschaftliche Macht um so mehr getan haben, und daß dies auch von vielen kleineren Unternehmen so empfunden wird?
({0})
Herr Kollege Müller, zur Sozialen Marktwirtschaft gehören funktionsfähige und effiziente Großbetriebe. Aber es gehören zur Sozialen Marktwirtschaft auch die Hunderttausende kleinen und mittleren Betriebe. Ich sage sogar: Sie sind die Basis, von der ich die Revitalisierung der DDR erhoffe. Deswegen will ich im Blick auf das, was vorhin der Kollege Roth ansprach, sagen: Nicht in erster Linie staatliche Gelder braucht die DDR - auch sie müssen in begrenztem Umfang als Antrieb zur Verfügung stehen - , sondern die DDR braucht die Entfaltung der Selbständigkeit.
Ich habe heute die Null-Nummer der ersten Zeitung des Unternehmerverbandes der DDR, mutiger Selbständiger. „Marktwirtschaft" heißt die Überschrift.
({0})
Die 82 000 Handwerksbetriebe, die es in der DDR gibt, und die Hunderttausende von Menschen, die gerne selbständig würden, die brauchen unsere Ermutigung. Auf diese Menschen konzentriert sich das Existenzgründungsprogramm, von dem der Bundeswirtschaftsminister gesprochen hat. Deswegen kann man Frau Luft in Ost-Berlin nur zurufen: Bremsklötze endlich weg für kleine und mittlere Betriebe, und zwar alle Bremsklötze, und so schnell wie möglich, damit dort Selbständigkeit entstehen kann!
({1})
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Da ich nur 15 Minuten Redezeit habe und sonst gerne auf Zwischenfragen antworte, bitte ich, zu verstehen, daß ich jetzt keine weitere Zwischenfrage mehr zulassen kann.
Die Regierung in Ost-Berlin hat in den letzten Tagen einige richtige Aussagen getroffen zur Notwendigkeit der Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit, zur Beseitigung des prohibitiven Steuersystems und zu
anderen wichtigen Maßnahmen zur Belebung der Selbständigkeit in der DDR. Wir unterstützen das, und wir hoffen, daß das so schnell wie möglich in die Tat umgesetzt wird. Aber damit sind noch nicht alle Hindernisse beseitigt.
Bis heute sind kleine und mittlere Betriebe in der DDR gezwungen, ihren Mitarbeitern durchschnittlich 30 % weniger Löhne zu zahlen, als sie Mitarbeiter in Kombinaten bekommen. Und wann hat man das je erlebt: Vor wenigen Tagen sind in Halle Unternehmer aus der DDR auf die Straße gegangen - Unternehmer! ({0})
und haben nicht nur für ihre eigene Gewerbefreiheit demonstriert, sondern auch dafür, daß sie ihre Mitarbeiter besser bezahlen dürfen.
Deswegen rufen wir auch nach Ost-Berlin: Beseitigt endlich die Bindung im Bereich von Tarifen! Schafft volle Tarif- und Koalitionsfreiheit! Schafft eine auch lohnmäßige Gleichbehandlung der Mitarbeiter in selbständigen Betrieben!
({1})
- Frau Kollegin Unruh, es gibt 400 000 bis 500 000 Mitarbeiter in kleinen und mittleren Betrieben der DDR.
Wir alle wissen doch: In den Kombinaten, die ineffizient sind, die etwa die Hälfte der Produktivität vergleichbarer Betriebe in der Bundesrepublik haben, werden in den kommenden Monaten und Jahren dringende Rationalisierungsmaßnahmen stattfinden müssen. Dann werden auch Mitarbeiter freigesetzt. Wenn man die Frage stellt: Wohin sollen denn die Menschen gehen?, dann sage ich: Am ehesten haben sie eine Chance in einem produktiven, sich belebenden, von uns ermutigten Mittelstand in der DDR.
Deswegen ist es auch wichtig, daß unsere kleinen und mittleren Betriebe in Handwerk, Handel und Gewerbe nicht länger behindert werden rüberzugehen.
({2})
Gott sei Dank fällt jetzt endlich die 49-%-Grenze. Hoffentlich fällt sie auch im Gesetz der Regierung in Ost-Berlin; denn das Joint-venture, das Gemeinschaftsunternehmen des Bauhandwerkers bei uns und des Bauhandwerkers in der DDR kann beispielsweise helfen, damit die Bausubstanz in den vielen Gemeinden und Städten der DDR, wo sie verfallen ist, erneuert wird. Oder das Gemeinschaftsunternehmen des Händlers in der Bundesrepublik und des Händlers in der DDR, der bereit ist, selbständig zu werden, kann helfen, die Lebensmittelversorgung in der DDR beispielsweise auch mit Gemüse, mit Obst zu verbessern. Oder das Gemeinschaftsunternehmen für Baumärkte, Heimwerkermärkte, das jetzt im April und Mai in verschiedenen Städten der DDR geschaffen werden soll, kann helfen, die Lage dort zu verbessern.
Privates Investitionskapital, meine Kollegen von der SPD, muß fließen, damit Menschen bleiben können. Kapital muß zu den Menschen wandern, d. h. Menschen dürfen nicht angezogen werden vom KapiWissmann
tal in der Bundesrepublik. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.
({3})
Meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, ich will es klar sagen: Was die Menschen in der DDR von uns erwarten, ist die Beseitigung alles dessen, was drüben noch an Hindernissen besteht, und dann, Herr Kollege Roth, die engagierte Hilfe durch uns. Deswegen öffnen wir das Eigenkapitalhilfeprogramm für die DDR. Deswegen öffnen wir das ERP-Sondervermögen, also die Existenzgründungshilfen für Selbständige in der DDR.
({4})
Ein letzter Punkt. Wenn Sie in grünen und SPD-Reihen endlich klar werden in Sachen Soziale Marktwirtschaft, wenn Sie in Ihrem politischen Kurs klar werden, dann helfen Sie mit, daß die Veränderung in ganz Deutschland Platz greifen kann. Wir brauchen hier einen klaren Kompaß der Sozialen Marktwirtschaft für unsere eigene Wirtschaftspolitik, und wir brauchen drüben die Wende zu einer wirklichen Sozialen Marktwirtschaft.
Ludwig Erhard ist lebendiger denn je. Meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, Sie können es wenden, wie Sie wollen: Karl Marx ist tot, überall in Europa und hoffentlich bald auch in Ihren eigenen Reihen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger!
({0})
Bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts vor wenigen Tagen hat sich Wirtschaftsminister Haussmann in der Pose des Triumphators dargestellt.
({1})
Er behauptet, der Jahreswirtschaftsbericht sei die Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung seit Ende 1982. Sie sei durch stetiges Wachstum mit kräftigem Beschäftigungsanstieg bei Preisstabilität gekennzeichnet. Auf der Basis dieser Bilanz feiern Sie, Herr Haussmann, die Soziale Marktwirtschaft als den Weg, die Herausforderungen der 90er Jahre zu bewältigen.
({2})
Und Sie preisen die Soziale Marktwirtschaft - Herr Wissmann hat das gerade ebenfalls getan - als den dritten Weg zwischen dem real zerbrechenden Sozialismus und dem Kapitalismus.
Ich widerspreche Ihnen in jeder Hinsicht.
({3})
Die sogenannte Soziale Marktwirtschaft ist nicht der dritte Weg. Sie ist nicht in der Lage, die Herausforderungen der 90er Jahre zu bewältigen, so wie sie auch die Herausforderungen der 80er Jahre nicht zu bewältigen vermochte.
({4})
Und, Herr Haussmann: Ihr Jahreswirtschaftsbericht ist keine Bilanz. Ich bezichtige Sie vielmehr der Bilanzverfälschung,
({5})
weil Sie die Passivseite der wirtschaftlichen Entwicklung seit 1982 systematisch unterschlagen. Ihre Bilanz seit 1982 müßte die Überschrift tragen: Stetiges Wachstum mit kräftig steigender Umweltzerstörung, mit stabiler Massenerwerbslosigkeit bei zunehmender Armut.
({6})
Deshalb straft die bei uns herrschende Marktwirtschaft den Anspruch, sozial zu sein, offenkundig Lüge. Diese Lüge kann sich auf ihren kurzen Beinen halten, weil sich die scheinbare Alternative, der real existierende Sozialismus, vor aller Augen blamiert hat. Wir GRÜNEN weinen dieser diktatorischen, bürokratischen, ineffektiven und umweltzerstörerischen Wirtschaftsordnung keine Träne nach.
({7})
Im Gegenteil: Eine komplexe Wirtschaft kann ohne einen entwickelten Marktmechanismus nicht effektiv gesteuert werden. Aber die kapitalistische Ausprägung der Marktwirtschaft, wie wir sie hier in der Bundesrepublik haben, hat entscheidende Funktionsfehler. Ihr innerer Zwang zum Wachstum zerstört unsere Lebensgrundlagen. Ihr Charaktermerkmal sind zyklische Wirtschaftskrisen, hohe Erwerbslosigkeit und Armut. Und auch sie funktioniert zutiefst undemokratisch. Vor den Werkstoren hört die Demokratie auf. Großkonzerne schnüren den Gestaltungsspielraum der demokratisch gewählten politischen Institutionen zunehmend ein.
Der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft, Herr Haussmann und Herr Wissmann, erwächst daher gerade nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus eine neue Konkurrenz:
({8})
die Aussicht darauf, wie es anders und besser sein könnte, ohne daß diese ökologische und demokratische Alternative, mit dem Finger auf den real versagenden Sozialismus zeigend, länger diffamiert werden könnte. Unsere grüne Alternative zur sogenann14792
ten Sozialen Marktwirtschaft ist die ökologische Wirtschaftsdemokratie.
({9})
Ich möchte unsere Kritik und unsere Alternativen in drei zentralen Bereichen skizzieren.
Erster Bereich: Das Verhältnis von Ökologie und Wachstum. Herr Haussmann, Sie heben mit stolz-geschwellter Brust das Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4,3 % im Jahre 1989 hervor und prognostizieren für 1990 ein Wachstum um die 3%. Was Sie im Jahreswirtschaftsbericht weiterhin systematisch verschweigen - obwohl die öffentliche Debatte, auch die Debatte im Wirtschaftsausschuß, darüber längst begonnen hat - , ist, daß noch schneller als das Bruttosozialprodukt die mit dem Produktionswachstum einhergehende Umweltzerstörung ansteigt, prozentual sogar noch mehr steigt. Der Grad des Anstiegs des Wachstums der Umweltzerstörung ist höher als die Zuwachsrate beim Bruttosozialprodukt - und das von Jahr zu Jahr.
({10})
Diesem Problem der dem Wachstum immanenten Umweltzerstörung wenden Sie sich an keiner Stelle zu.
Ich bedauere das um so mehr, als wir im Wirtschaftsausschuß eine alle Fraktionen übergreifende Initiative gestartet haben - Herr Roth hat schon darauf Bezug genommen - , wo wir den zunehmenden gesamtwirtschaftlichen Folgeschäden des Wirtschaftswachstums unsere Aufmerksamkeit widmen. Wir haben dazu im Mai letzten Jahres eine Anhörung des Wirtschaftsausschusses gehabt. Diese Anhörung des Wirtschaftsausschusses hat u. a. beim Statistischen Bundesamt Erhebliches in Bewegung gesetzt. Das Statistische Bundesamt hat im Herbst letzten Jahres gesagt, daß es noch im Sommer 1990 eine umweltökonomische Gesamtrechnung in Ansätzen vorlegen wolle und daß dieses Instrument der umweltökonomischen Gesamtrechnung in zwei bis drei Jahren als Basis auch der Wirtschaftspolitik zugrunde gelegt werden könne. Wir haben in der Unterarbeitsgruppe des Wirtschaftsausschusses unter Einschluß aller Fraktionen, auch der FDP, Konsens darüber erzielt, daß die Bundesregierung durch eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sowie des Gesetzes über die Bildung des Sachverständigenrats aufgefordert werden solle, dafür Sorge zu tragen, daß jährlich auf der Grundlage umweltökonomischer statistischer Erhebungen ein Bericht über die ökologischen und sozialen Folgeschäden des Wachstums vorgelegt wird.
Herr Lambsdorff, wie ich höre, gibt es u. a. bei Ihnen Bedenken gegen dieses Instrument. Mir persönlich liegt sehr an dieser Initiative und auch daran, daß wir mit allen Fraktionen gemeinsam, auch der FDP, eine solche Initiative starten können. Eine gemeinsame Initiative in diesem zentralen Bereich ist wesentlich
wichtiger als die parteipolitische Profilierung irgendeiner Fraktion, auch von uns GRÜNEN.
({11})
Deswegen ist mir die Gemeinsamkeit wichtig. Ich wäre Ihnen deswegen dankbar, Herr Lambsdorff, wenn Sie in Ihrem Redebeitrag Ihre Einwände vorbringen könnten, damit wir uns gemeinsam und auch öffentlich damit auseinandersetzen können.
({12})
Wir GRÜNEN haben über diese gemeinsame interfraktionelle Initiative hinaus einen Gesetzentwurf zur Streichung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes in Arbeit. Dieser Torso an Gesetz aus dem Jahre 1967 schreibt als wirtschaftpolitisches Ziel das Wachstum vor und beherrscht damit nach wie vor die Ideologie der herrschenden Wirtschaftspolitik. Wir halten es aus den genannten Gründen für notwendig, das Wachstum aus dem wirtschaftspolitischen Zielkatalog zu streichen und arbeiten derzeit an dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung einer umwelt- und sozialverträglichen Wirtschaftsweise.
({13})
Das Wachstum muß aus dem Zielkatalog gestrichen werden.
({14})
Zentrale Zielorientierung muß sein, daß die Wirtschaftsweise ökologischen Zielen dient - das interessiert die Bevölkerung -, daß sie sozialen Zielen dient, daß Verteilungsgerechtigkeit erreicht wird, daß sinnvolle Arbeit für alle gewährleistet wird.
({15})
Wenn diese Ziele bei Wirtschaftswachstum erreicht werden können, sperren wir uns nicht aus dogmatischen Gründen gegen Wirtschaftswachstum. Wenn sich aber zeigt, daß z. B. das ökologische Ziel in mehreren Jahren nur bei Schrumpfung absolut umweltzerstörerischer Branchen möglich ist, z. B. Teilen der Chemiebranche, die zum Teil - ich sage das nicht pauschal - eine Giftbranche ist, Teilen der Automobilbranche, Ersetzung der Atomkraftwerksbranche durch den Aufbau von Kapazitäten zur alternativen Produktion von Energie, dann sagen wir: Die Ökologie ist wichtiger als das Wirtschaftswachstum. Das ist auch eine Herausforderung für Sie.
Herr Abgeordneter Stratmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kittelmann?
Herr Kollege Stratmann, würden Sie mir zugeben, daß es selbst für uns, die wir uns bemühen, die Wirtschaft zu verstehen, außerordentlich schwer zu verstehen ist, wie Sie unter Verzicht auf Wachstum oder aber bei nur bedingtem Zulassen von Wachstum die zunehmende Herausforderung, die uns jetzt vor allen Dingen in Mittel- und Osteuropa bevorsteht - dazu haben Sie bis jetzt noch nichts gesagt - , begegnen wollen, wenn Sie die VerKittelmann
hältnisse dort sehen und sehen, welche Maßnahmen dringend notwendig sind?
Ich werde auf die wirtschaftlich notwendige Kooperation und Hilfe der Bundesrepublik gegenüber der DDR - das gilt auch gegenüber den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern - im zweiten Teil meiner Rede ausführlich eingehen. Aber soviel sei gesagt: Wenn wir uns in dieser Deutlichkeit kritisch gegenüber dem hohen Wirtschafts- und Wachstumspotential in der Bundesrepublik zeigen, heißt das nicht, daß wir dogmatisch die gleiche Kritik und die gleiche Zielbestimmung auch für die Mangelwirtschaft in der DDR und noch mehr in Polen und anderen osteuropäischen Ländern z. B. der Sowjetunion, äußern. Dort gibt es notwendige Wachstumspotentiale. Aber für die DDR, noch mehr für Polen gilt in ganz hervorragender Weise: Die ökologische Katastrophe dort ist noch um Dimensionen schlimmer als in der Bundesrepublik. Deswegen ist für den notwendigen Umbau der DDR-Wirtschaft, auch den marktwirtschaftlich gesteuerten Umbau, wesentlich wichtiger als eine Wachstumseuphorie
({0})
eine Politik, die auf die ökologische Erneuerung und den ökologischen Umbau setzt. Das heißt z. B. auch Schrumpfung für die ökologisch verheerende Braunkohlenbranche der DDR.
({1})
Der zweite Bereich meiner Kritik bezieht sich auf das Verhältnis von Erwerbslosigkeit und Arbeitszeitverkürzung: Herr Haussmann, Sie weisen im Jahreswirtschaftsbericht mit Recht auf die Wachstumsraten von 2,5 bis 3 % seit 1982 hin, aber Sie verschweigen, daß wir in dieser Zeit eine anhaltend hohe Erwerbslosigkeit, schwankend um 2 Millionen Erwerbslose, haben. Alle Ihre Vorschläge zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, alle Ihre arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind nicht in der Lage, auch nicht mittelfristig in einem Zeitraum von fünf Jahren, die Massenerwerbslosigkeit drastisch abzubauen und sinnvolle Arbeit für alle zu schaffen.
Unter Arbeitsmarktpolitikern und Arbeitszeitpolitikern ist Konsens, daß der entscheidende Hebel zur mittelfristigen Überwindung der Erwerbslosigkeit die Arbeitszeitverkürzung ist. Deswegen äußern wir GRÜNEN massive Kritik an der Haltung von Gesamtmetall bei den derzeit laufenden Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie - und in anstehenden Tarifauseinandersetzungen in anderen Branchen - und auch an Ihrer persönlichen Haltung, Herr Haussmann, der Sie sagen: Mit der 35-Stunden-Woche müssen wir warten, bis 1993 der EG-Binnenmarkt durchgesetzt ist. Wir müßten zunächst ein paar Erfahrungen mit dem EG-Binnenmarkt machen, und erst dann könnten wir an weitere Arbeitszeitverkürzung denken. Das bedeutet gleichzeitig, daß Sie sich mit einer Erwerbslosigkeit in der Größenordnung von 1,5 bis 2 Millionen über weitere fünf Jahre abfinden. Ich halte das für sozial völlig unverantwortlich und wiederhole, was ich schon früher an dieser Stelle gesagt habe: Herr Haussmann, Sie leisten damit dem Erstarken des Rechtsradikalismus in diesem Lande Vorschub, weil die hohe Erwerbslosigkeit und die damit einhergehende Zunahme der Armut ein Herd, nicht der alleinige, für das Erstarken von Rechtsradikalismus ist.
Herr Abgeordneter Stratmann, Zwischenfrage von Frau Unruh.
Schönen Dank. - Die Herren von der CDU meinen, man könne Braunkohlenkraftwerke nur durch Kernkraftwerke ersetzen: Haben Sie ein anderes Konzept in Arbeit - ich habe ein bißchen den Anschluß bei Ihnen verloren -,
({0})
das die Kollegen vielleicht überzeugt, daß man nicht in der DDR denselben Blödsinn macht wie hier mit der Kernkraft?
({1})
Liebe Trude, ich werde dir im nächsten Gedankenschritt den Anschluß an die Diskussion und auch die Arbeit bei uns ermöglichen.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle, was die augenblickliche Tarifauseinandersetzung im Metallbereich betrifft, einen Vorschlag erneuern, der bisher nicht der Vorschlag der gesamten Fraktion ist, aber auch unter Arbeitsloseninitiativen diskutiert wird. Damit auch die IG Metall und andere Einzelgewerkschaften in den Tarifauseinandersetzungen und ihren tarifpolitischen Forderungen die Interessen der Erwerbslosen und der Langzeitarbeitslosen hinreichend zur Geltung bringen,
({1})
ist es notwendig, daß Vertreter von Arbeitsloseninitiativen in den gewerkschaftlichen Tarifkommissionen Sitz und Stimme haben, und zwar so stark repräsentiert sind, daß sie sich dort gegen reine Einkommensinteressen durchsetzen können. Meine persönliche Auffassung ist: Die Einkommens- und Sozialinteressen von 2 Millionen registrierten Erwerbslosen sind politisch ernster zu nehmen und höher zu gewichten als die Einkommensinteressen derer, die in fester Arbeit sind.
({2})
Das heißt nicht die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, aber das heißt der völlig unterprivilegierten Gruppe der Erwerbslosen auch in der gewerkschaftlichen Tarifpolitik das notwendige Gehör verschaffen.
Der dritte Bereich, zu dem ich meine Kritik ausführen möchte, ist die zunehmende Armut. Herr Hausmann, Ihr Jahreswirtschaftsbericht ist eine Bilanzverfälschung, weil Sie über die zunehmende Armut so gut wie kein Wort verlieren. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hat vor wenigen Wochen einen Armutsbericht vorgelegt, wo er darstellt, das mittlerweile 10 % der bundesrepublikanischen Bevölkerung als arm zu bezeichnen sind, wobei Armut so definiert
ist, daß die davon betroffenen 6 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger 50 % unter dem durchschnittlichen Einkommen der Bundesrepublik liegen. 10 % unserer Bevölkerung sind als arm zu bezeichnen. Das verschweigen Sie in Ihrer sogenannten Bilanz systematisch. Die Armut nimmt zu, je länger die Langzeiterwerbslosigkeit anhält und Sie eine solche arbeitszeitverkürzungsfeindliche Politik betreiben, Herr Haussmann, wie Sie es tun.
({3})
Um in Zukunft das Augenmerk der öffentlichen Diskussion auf den Tatbestand der zunehmenden Armut zu legen, haben wir heute zum Jahreswirtschaftsbericht einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, jährlich einen Armuts und-Reichtums-Bericht vorzulegen, der über die Lage der Armut in der Bundesrepublik und gleichzeitig über die immens steigende Anhäufung von Reichtum im oberen Drittel der Gesellschaft genau Bericht erstattet.
Allein in 1988 betrug das Nettoeinkommen von Selbständigen und Unternehmern fast 500 Milliarden DM. Der Sozialhilferegelsatz liegt unter 500 DM und unter den Kosten eines Außenspiegels für einen Daimler-Benz-Wagen. Auf diese Diskrepanz in der sozialen Einkommensentwicklung der Bundesrepublik wollen wir durch die Verpflichtung der Bundesregierung, einen jährlichen Armuts-und-ReichtumsBericht vorzulegen, hinweisen.
({4})
Ich möchte in dem zweiten Teil meiner Rede auf die wirtschaftliche Kooperation der Bundesrepublik mit der DDR eingehen. Herr Haussmann, das, was Sie gestern der Presse als Hilfsprogramm für die DDR vorgestellt haben, und auch die ERP-Kredite in einer Größenordnung von 6 Milliarden DM haben einen Doppelcharakter. Sie sind notwendige Hilfe - diese Hilfe halten wir GRÜNEN für erforderlich - , obwohl sie, gemessen an dem ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Hilfsbedarf der DDR, ein Tropfen auf den heißen Stein ist.
Ich kann voll unterstützen, was Herr Roth zu diesem Aspekt gesagt hat. Nicht um jährlich 6 Milliarden DM Hilfe an die DDR geht es, sondern um eine Dimension von Hilfe, die im Jahr ungefähr zehnmal so hoch ist.
({5})
- Zum geringeren Teil staatlich, Herr Wissmannn
- lassen Sie uns doch nicht aneinander vorbeireden -, öffentlich, zu einem größeren Teil durch die Mobilisierung von privatem Kapital. Da haben wir völligen Konsens.
({6})
- Aber es geht um einen mindestens zehnfachen Betrag.
Aber Ihre Hilfe - das ist deren andere Seite - trägt den Charakter der Bevormundung.
({7})
Sie treten mit Forderungen und Bedingungen auf. Nur unter bestimmten Bedingungen sind Sie bereit, Hilfe an die DDR zu leisten.
({8})
Ihr Vorschläge zur Hilfe und auch die Vorschläge aus den Reihen der Sozialdemokratie, z. B. der Vorschlag einer schnellen Wirtschafts- und Währungsunion von Frau Matthäus-Maier und anderen, haben eher das Ziel, die DDR politisch und wirtschaftspolitisch an die Bundesrepublik anzugliedern, als einen Prozeß des gleichberechtigten Zusammenwachsens zu fördern. Diesen Prozeß des gleichberechtigten Zusammenwachsens wollen wir GRÜNEN,
({9})
wobei wir auf das „gleichberechtigt" großen Wert legen.
Dies zeigt sich beim Joint-venture-Gesetz in der DDR. Sie, Herr Haussmann, und die Unternehmergruppen in ihrem Rücken drücken massiv auf Mehrheitsbeteiligungen.
({10})
Das führt im Ergebnis dazu, daß die Vermögenswerte der DDR an die Bundesrepublik ausverkauft werden.
({11})
Dies führt zu völlig undemokratischen Verhältnissen,
({12})
daß nämlich die Gestaltung der Unternehmenspolitik in der DDR auf Grund der ökonomischen Macht im Interesse der bundesrepublikanischen Unternehmen zunehmend fremdgesteuert wird.
({13})
Daß ich nicht ganz danebenliege, zeigt sich daran, daß vor wenigen Tagen der Vorsitzende der bundesdeutschen Unternehmensgruppe im Konzern ABB - ein führender Unternehmensvertreter aus der Bundesrepublik - gesagt hat, daß man sich im Interesse einer eigenständigen DDR-Entwicklung zu einer 49%igen Beteiligung seitens bundesdeutscher Unternehmen bereit erklären könne und auf Mehrheitsbeteiligungen verzichten müsse. Auch bei 49 % Kapitalbeteiligung ist eine ökonomisch effektive Steuerung von Joint-venture-Unternehmen möglich.
Die notwendige Demokratisierung der DDR-Wirtschaft ist dadurch möglich, daß volkseigene Betriebe nicht privatisiert werden, wie Sie das fordern, sondern in demokratische Mitarbeitergesellschaften umgewandelt werden; ein Vorschlag, der genausogut für die bundesrepublikanische Wirtschaft und die Großkonzerne wie für die Kombinate in der DDR gilt. Dadurch wird der Kaufkraftüberhang in der DDR zum Erwerb von Belegschaftsaktien genutzt, und durch entsprechende Stimmrechtsgestaltung hat die Belegschaft die Mehrheit an ihren Unternehmen. Die BelegStratmann
schaft wird ebenfalls in den Gewinnen ihrer eigenen Unternehmen beteiligt und hat damit ein eigenes materielles Interesse an einem ökonomisch effektiven Funktionieren ihrer eigenen Unternehmen. Wir machen diesen Vorschlag nicht nur für die Umwandlung der DDR-Kombinate. Vielmehr werden wir noch im Frühjahr eine entsprechende parlamentarische Initiative auch im Bundestag einbringen, weil wir Mitarbeitergesellschaften - effektiv, selbstverwaltet und demokratisch zugleich - für eine sinnvolle Perspektive auch für die bundesrepublikanischen Unternehmen halten.
Herr Abgeordneter Stratmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Sperling?
Herr Kollege Stratmann, fürchten Sie nicht, daß Ihre zwar sympathische, aber doch unrealistische Zielvorstellung nicht erreichbar ist, weil wir, wenn nicht ganz schnell geholfen wird, die Kosten eines Konkurses zu übernehmen haben werden, bei dem von Gleichberechtigung der DDR-Bevölkerung auch keine Rede sein kann?
Konsens: Es muß ganz schnell geholfen werden. Aber der Vorschlag, Herr Sperling, den auch Sie unterstützen, möglichst schnell eine Währungsunion herbeizuführen, heißt - Herr Pöhl, Chef der Deutschen Bundesbank, ist da der gleichen Meinung wie ich ({0})
- lesen Sie doch sein Interview in der „Zeit" von gestern! - Aufgabe der geldpolitischen Autonomie der DDR, heißt Aufgabe ihrer wirtschaftspolitischen Autonomie; denn ohne geldpolitische Autonomie gibt es keine wirtschaftspolitische, und ohne wirtschaftspolitische Autonomie gibt es keine politische Autonomie. Die schnelle Einführung einer Währungsunion - ich weiß, daß auch die SPD in der DDR dies seit ihrem Gründungsparteitag gefordert hat - heißt die ökonomische und damit politische Annexion der DDR durch die Bundesrepublik. Aber das verstehen wir nicht unter einem gleichberechtigten Zusammenwachsen.
({1})
Wir müssen andere Formen einer schnellen wirksamen Hilfe finden.
({2})
- Natürlich muß die SPD in der DDR selbst entscheiden.
Herr Stratmann, lassen Sie noch eine Ergänzungsfrage zu?
Herr Stratmann, haben Sie den Eindruck, daß die Österreicher, die die währungspolitische Autonomie für den österreichischen Schilling der Sache nach eigentlich abgegeben haben, mit uns auf eine nicht gleichberechtigte Weise zusammengewachsen seien?
({0})
Wenn wahr wird, was die Mehrheit in Österreich will, daß Österreich in die EG eintritt, und die EG, wenn es nach Delors und anderen geht, schnell die Währungsunion verwirklichen wird, wird das auf Kosten der wirtschaftspolitischen und geldpolitischen Autonomie in Österreich gehen. Das werden wir erleben.
({0})
- Trude, ich wollte auf deine Frage eingehen, was wir zur Energiesituation und zur notwendigen energiewirtschaftlichen Kooperation der DDR mit der BRD sagen. Ich muß das aus Zeitgründen leider einsparen. Was in diesem Bereich auf keinen Fall sein darf, ist, daß mit bundesdeutscher Hilfe, mit der Hilfe von Siemens und anderen Konzernen, die Atomkraftwerke in der DDR aufgemöbelt werden und weitere Atomkraftwerke in die DDR exportiert werden. Wir brauchen in der Bundesrepublik wie in der DDR die sofortige Stillegung von Atomkraftwerken,
({1})
um so mehr von Atomschrottkraftwerken in der DDR. Wir müssen der DDR helfen, daß sie dadurch nicht in energiewirtschaftliche Engpässe kommt. Die energiewirtschaftlichen Möglichkeiten dazu haben wir in der Bundesrepublik.
Ein letzter Gesichtspunkt zur Diskussion um einen schnellen Beitritt der DDR und anderer osteuropäischer Staaten in die EG. Wir GRÜNEN halten es für notwendig, daß eine gesamteuropäische Wirtschaftsordnung genauso wie eine gesamteuropäische Friedensordnung geschaffen wird. Das kann nicht auf dem Wege einer Ausweitung der EG der Konzerne nach Osten geschehen.
Wir halten einen gesamteuropäischen Ansatz für notwendig, der die EG, aber auch die EFTA einbezieht, auch eine mögliche Nachfolge des Wirtschaftsverbunds des RGW einbezieht.
Der Europarat ist ein gutes Instrument, um eine solche gesamteuropäische politische und wirtschaftliche Integration voranzutreiben. Wir möchten die Europäische Versammlung zu einem regelrechten europäischen Parlament ausbauen. Ein europäisches Parlament des Europarats wäre ein gesamteuropäisches Parlament, was für das EG-Parlament in Brüssel nicht zutrifft. Ein solches europäisches Parlament auf der Ebene des Europarats müßte zunehmend soziale und ökonomische Koordinationsfunktionen bekommen. Es müßte zunehmend - schrittweise natürlich - mit einem eigenen Haushalt ausgestattet werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Auf diesem Wege einer gesamteuropäischen Wirtschaftsintegration können wir die bestehenden regionalen Wirtschaftsverbünde
- Europäische Gemeinschaft, EFTA und das, was noch als RGW existiert - zusammenfassen und damit auch einen wirtschaftspolitischen Beitrag zur Herausbildung einer gesamteuropäischen Friedensordnung leisten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Das Wohlstandsgefälle zwischen der Bundesrepublik und der DDR muß schnellstens eingeebnet werden.
So NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in den letzten Jahren die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik bestimmt hätten, wäre das Problem kleiner. Und wenn Sie es zu bestimmen hätten, gäbe es das Problem überhaupt nicht. Es gäbe kein Wohlstandsgefälle zugunsten der Bundesrepublik.
({0})
- Schon wieder Aufregung! Was denn nun?
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Menzel?
Bitte sehr.
Graf Lambsdorff, sind Sie der Ansicht, daß dieses Wirtschaftsgefälle erst in den letzten Jahren entstanden ist oder sich in der Zeit seit Bestehen der Bundesrepublik entwickelt hat? Können Sie mir erklären, wer einige Jahre Wirtschaftsminister in dieser Republik war und damit verantwortlich war?
Das Wohlstandsgefälle ist ganz entscheidend in den letzten Jahren entstanden - das ist richtig - , und zwar wegen einer Aufwärtsentwicklung in der Bundesrepublik und einer fortgesetzten Abwärtsentwicklung in der DDR.
({0})
Der Jahreswirtschaftsbericht 1990 ist ein Dokument höchst erfolgreicher Wirtschaftspolitik, und zwar erfolgreicher Wirtschaftspolitik seit der Wende von 1982. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung ist maßgeblich auf die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung zurückzuführen.
({1})
- Für diese Politik steht die FDP, Frau Kollegin Unruh. Sie hat diese Politik erst ermöglicht. Sie ist Garant dafür, daß diese Politik auch künftig fortgesetzt wird.
({2})
- Jawohl. Was erfolgreich ist, soll man fortsetzen, meine Damen und Herren, und nicht aufgeben.
({3})
Mit der Umorientierung unserer Wirtschaftspolitik haben sich die Angebotsbedingungen ständig verbessert. Die vergangenen acht Jahre - so hält es der Jahreswirtschaftsbericht fest - sind eine Periode des Aufschwungs, dessen Länge und Stabilität ihresgleichen suchen. Wir sind im achten Jahr des Aufschwungs; das hat es bei uns nach dem Kriege noch nie gegeben.
Wir haben in dieser Zeit 1,5 Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen. Die Wirtschaft geht mit viel Schwung in die 90er Jahre.
({4})
Zu Beginn der 80er Jahre - so hält es der Sachverständigenrat heute fest - stand im Zentrum der Sorge, daß Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr die gebotene Flexibilität und Dynamik zur Bewältigung der Anpassungsaufgaben der 80er Jahre aufbringen würden. Das klingt fast wie aus meinem damals vorgelegten Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vom Herbst 1982.
({5})
Sie, die SPD, waren damals nicht bereit, den Kurs einer soliden, stabilitätsorientierten marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik mitzugehen; und Sie sind es heute immer noch nicht.
({6})
Ich denke auch an die heute nicht verstummten Forderungen nach staatlichen Ausgabenprogrammen. Ich denke an den Widerstand der SPD gegen die bisherigen Steuerreformen und gegen die geplante Unternehmensteuerreform. Die Steuereinnahmen sind bei uns gestiegen. Aber sie sind nicht trotz, sondern wegen der Steuersenkung gestiegen. Aber ob die SPD das je begreifen wird?
({7})
Was fiel Ihnen, meine Damen und Herren von Rau bis Roth, nach dem Fall der Mauer ein? Steuererhöhungen. Wenn der Staatshaushalt pleite ist, dann greifen Sie anderen Leuten in die Tasche,
({8})
so z. B. die Saar-SPD, die in der vorigen Woche einen bezahlten Bildungsurlaub - natürlich von anderen Leuten zu bezahlen - beschlossen hat.
({9})
Herr Schreiner, bitte teilen Sie Ihren Kollegen an der Saar mit: Hoffentlich nehmen Sie an der Saar beim Bildungsurlaub wenigstens das Lehrfach „DDR - erlebter Sozialismus" in Ihr Bildungsangebot auf.
({10})
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Aber natürlich, mit Vergnügen. Aber fordern Sie mich nicht wieder auf zu kommen, denn ich habe im Augenblick nicht so viel Zeit.
Jetzt hat Herr Sperling das Wort.
Graf Lambsdorff, fällt Ihnen auf, daß Sie das Wort „Soziale Marktwirtschaft" nicht gebrauchen, was ja ein bißchen ehrlicher ist? Denn wenn sie sozial sein soll, wird sie sozial durch einen Sozialstaat, und den wollten Sie abbauen, und den haben Sie auch abgebaut.
({0})
Herr Sperling, ich habe die Frage dem Sinne nach verstanden. Erstens. Ich gebrauche das Wort „Soziale Marktwirtschaft" unentwegt und verteidige es übrigens, wobei ich das Wort „sozial" übrigens großschreibe.
Was zum zweiten Ihren Vorwurf des Abbaus des Sozialstaats anlangt, so kann ich Ihnen hier nur immer wieder sagen: Die 2 000 Leute, die jeden Tag herüberkommen, wollen genau in diesen „elenden" Sozialstaat kommen; sie wollen an den Segnungen dieses Sozialstaats teilhaben.
({0})
- Bitte, Herr Schreiner.
Graf Lambsdorff, könnten Sie mir sagen, in welchen anderen Bundesländern der Bundesrepublik es bereits seit langem Bildungsurlaub gibt, und könnten Sie mir zudem berichten, ob sich Ihrer Auffassung nach der dort seit langem gewählte Bildungsurlaub bewährt hat, da bislang niemand daran denkt, den gewährten Bildungsurlaub zurückzunehmen, und könnten Sie mir bestätigen, daß die Frage der Weiterbildung und der Qualifizierung sowohl der Arbeitnehmer- als auch der Nichtarbeitnehmerschaft zu einer Schlüsselfrage der Entwicklung in den 90er Jahren auch unter Wettbewerbs- und Produktivitätsgesichtspunkten wird?
({0})
Erstens. Es gibt den Bildungsurlaub inzwischen in sechs Bundesländern; das Saarland ist das sechste. Es ist ja merkwürdig, daß sie 14 Tage vor der Wahl auf den Einfall gekommen sind, ihn einzuführen. Ob das damit zusammenhängt, überlasse ich Ihrem Urteil.
Zweitens. Daß er sich bewährt hat, ist höchst umstritten. Da gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen.
Was die dritte Frage anlangt: Qualifizierung ja, aber vieles, was in den Veranstaltungen im Rahmen des Bildungsurlaubs betrieben wird, hat mit Qualifizierung und beruflicher Ausbildung nicht allzuviel zu tun, Herr Schreiner.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn man die Aussagen des Sachverständigenrats von damals - 1982/83 mit denen von heute vergleicht, dann kann es für uns eigentlich nicht erfrischender sein. Die Bilanz der Finanzpolitik der 80er Jahre ist im ganzen positiv. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates wurde gestärkt. Die kraftvolle Aufwärtsentwicklung bestärkt den Eindruck, daß der Expansionsprozeß eine neue Qualität gewonnen hat. Der Weg, der zum Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes zurückführt, ist nach den Erfolgen der letzten Jahre klar vorgezeichnet. Stärker können die Kontraste zur damaligen Situation nicht sein.
({1})
Herr Roth, die Anregung - Herr Stratmann ist ja auch noch darauf zurückgekommen -, das Thema „Ökologie, Folgelasten, Folgekosten" in die Formel des Bruttosozialprodukts und damit in den Jahreswirtschaftsbericht einzubeziehen, wird in der vorliegenden Form die Zustimmung der FDP jedenfalls nicht finden.
({2})
- Nein, es hat keinen Sinn, etwas zu versuchen, was man nicht machen kann und bei dem die wissenschaftlichen Grundlagen fehlen. Es gibt kein auch nur annähernd anwendbares Konzept zur umfassenden Ermittlung dieser Folgekosten. Das liegt daran, daß es für diese Güter eben keine Preise gibt. Nur wenn Sie Preise haben, können Sie sie in Folgelasten- und Folgekostenrechnungen einbeziehen. Ich möchte dabei im übrigen auch darauf aufmerksam machen, daß wir den Folgenutzen ja auch nicht mit in die Berechnung des Bruttosozialprodukts einbeziehen, weil wir es nicht können. Dann müßten wir Formeln entwickeln, bei denen wir beides könnten. Davon sind wir zur Zeit noch weit entfernt. Das Statistische Bundesamt ist mit der Vorbereitung beschäftigt. Im Augenblick sind das Schnellschüsse, die populistisch sind, im Ernstfall aber nichts bringen.
Sie erinnern mich an die alte Diskussion, die ja vor Jahren einmal geführt worden ist, als Unternehmen Sozialbilanzen aufgestellt haben. Auch das waren ehrlich gemeinte Versuche; das bestreite ich überhaupt nicht. Sie alle sind wieder aufgegeben worden, weil sich wirklich einsichtige und durchsichtige und weiterführende Zahlen und Erkenntnisse daraus nicht entwickeln lassen.
({3})
- Herr Stratmann, bevor Sie hier weitere Fragen stellen, die ich, Frau Präsident, allerdings nur beantworten kann, wenn sie nicht von meiner Redezeit abgehen, will ich, weil Sie sich immer noch gegen Wachstum in dieser Form aussprechen, wie Sie es hier getan haben, nur sagen: Ist Ihnen denn immer noch nicht klar, ist Ihnen noch nicht ad oculos demonstriert, wie die Umwelt in einem Lande, in einer Wirtschaft zerstört wird, die nicht über Wachstum verfügt? Man muß doch nur in die DDR fahren, um zu sehen, was eine Null-Wachstum-Wirtschaft an Umweltzerstörung fertigbringt.
({4})
Gestatten Sie Herrn Abgeordneten Reuschenbach eine Zwischenfrage?
Kollege Lambsdorff, wollen Sie mir bitte den Widerspruch erklären zwischen Ihrer eigenen Aussage, daß es für die Folgekosten von Umweltschäden und Umweltzerstörungen keine Preise gebe bzw. keine Kalkulation solcher Kosten möglich sei, und der Mitteilung Ihres Kollegen, des Wirtschaftsministers Haussmann, von vor einer Stunde, daß die nächste Phase der Wirtschaftspolitik und der Umweltpolitik geprägt sein müsse von Marktwirtschaft bei der Reparierung von Umweltschäden?
Das ist völlig richtig, und beides stimmt. Das, was Herr Haussmann meint, ist die Hinzurechnung von Umweltkosten in die Kosten der Produktion. Wir streiten hier über die Folgenutzen und Folgelasten. Das ist der zweite Schritt. Diesen können Sie bisher nicht berechnen. Es gibt bisher kein Formular dafür.
({0})
Gestatten Sie Herrn Stratmann eine Zwischenfrage?
Herr Lambsdorff, vor meiner eigentlichen Zwischenfrage möchte ich bemerken: Unsere Behauptung ist nicht, kein Wachstum bedeute automatisch Umweltschutz. Das wäre Quatsch. Insofern besteht Konsens.
Zweitens hat die DDR in den vergangenen Jahren ebenfalls über stetige Wachstumsraten gleichzeitig die Umwelt erheblich zerstört. Es ist ja nicht so, als hätte die DDR kein Wachstum. Sie hat ebenfalls umweltzerstörerisches Wachstum. Wir sind ebenfalls übereinstimmend der Meinung, daß es noch verheerender ist als bei uns.
Ich kann jetzt nicht in Form einer Zwischenfrage Gegenargumente gegen die Folgekostenberechnung darstellen. Dazu reicht die Zeit nicht. Deswegen meine Bitte und meine Frage an Sie: Wären Sie nicht bereit, um in einen vertieften Meinungsaustausch auch mit Ihren Gegenargumenten zu unserem gemeinsamen überfraktionellen Anliegen zu kommen, zu der nächsten Sitzung der Unterarbeitsgruppe zu kommen, wo wir einmal vertieft gemeinsam diese Argumente und Gegenargumente besprechen können?
Herr Stratmann, ich bitte um Ihr gütiges Verständnis. Ich dachte schon, Sie wollten mich zur Teilnahme an der Fraktionssitzung der GRÜNEN auffordern. Das können Sie mir aber nicht antun. Das geht nun wirklich nicht.
({0})
- Das ist dasselbe wie damals, als ich zu Egon Franke in den „Kessenicher Hof" gegangen bin, was Sie auch nicht so schön fanden.
({1})
Zu dieser Arbeitsgruppe werde ich nicht kommen. Ich
bitte um Verständnis dafür, daß ich an der Unterarbeitsgruppe nicht teilnehmen werde. Wir haben sehr
sachkundige Kollegen, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Ich kann beim besten Willen nicht alles treiben; das geht nun wirklich nicht.
Meine Damen und Herren, die Politik der Verbesserung der Angebotsbedingungen - ich wiederhole das - trägt jetzt reiche Früchte. Wir werden dafür sorgen, daß der Boden, auf dem unsere Wirtschaft gedeiht, weiterhin fruchtbar und ertragreich sein wird. Die Perspektiven für 1990 und darüber hinaus sind gut. Herr Bundeswirtschaftsminister Haussmann hat dies in seiner Einbringungsrede überzeugend dargelegt.
Jetzt ist Herr Stratmann gerade weg; - nein, er ist noch nicht weg.
({2})
Er versammelt sich bei dem grünen Sozialdemokraten. Das hat Herr Sperling mir von sich in einem Wahlkampfzusammentreffen schon vor einigen Jahren gesagt.
Ich will nur eines sagen, Herr Stratmann. Auch wenn man es sottovoce, mit etwas piano Stimme vorbringt, - so geht das nicht, daß Sie dem Bundeswirtschaftsminister hier Bilanzfälschung, Lügen vorwerfen und ihn als Förderer des Rechtsradikalismus hinstellen. Ich sage das in aller Ruhe, ohne große Aufregung. So geht es nicht.
({3})
Wir dürfen bei aller Freude über das Erreichte nicht übersehen, daß es eine Reihe von gravierenden und auch schwierigen Herausforderungen gibt, die gemeistert werden müssen. Um so wichtiger ist es, daß die Politik des Erfolgs konsequent fortgesetzt wird.
Der Jahreswirtschaftsbericht stellt das Thema DDR in den Vordergrund. Die Ausführungen dazu, Herr Haussmann, finden die Unterstützung der FDP-Fraktion.
Sie waren am Dienstag in Berlin. Sie haben mit der deutsch-deutschen Wirtschaftskommission die Diskussion über konkrete Reformschritte aufgenommen. Da geschieht vieles von dem, was Sie, Herr Roth, mit Recht erwähnt haben. Aber Sie tun so, als gäbe es das gar nicht. Die gestrigen Meldungen verbessern wohl die Aussicht, daß dieser Dialog bald zu greifbaren und akzeptablen Lösungen führt, die vor allem - darauf kommt es an - den Bürgern in der DDR Hoffnung machen können. Das ist das Entscheidende.
Die gütige Bereitschaft, ein zinsverbilligtes Kreditangebot nun endlich anzunehmen, reicht dafür wohl nicht aus.
({4})
Es bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit, Konzepte hin- und herzuwenden. Es liegen viele auf dem Tisch. Der Sachverständigenrat hat sie in seinem Sondergutachten überzeugend und systematisch aufbereitet.
Es kann auch nicht mehr - da stimme ich der Opposition und auch der Bundesregierung zu; da sind wir völlig einig - lange zugewartet werden. Es ist die Zeit gekommen - wir haben das auch in der deutschlandpolitischen Debatte hier gesagt -, in der die praktischen Dinge, die pragmatischen Fortschritte rasch angegangen werden müssen. Der zweite Teil ist dann eine Vertragsgemeinschaft mit einer völkerrechtlichen Bindung. Das kann erst nach den Wahlen der DDR geschehen. Die Bürger in der DDR müssen sehr bald eine überzeugende Zukunftsperspektive bekommen und haben.
Nur, Herr Stratmann, wenn sie Ihre Zukunftsperspektive bekommen, dann werden sich wohl noch mehr auf die Strümpfe machen, als das im Augenblick schon der Fall ist. Es war nicht sehr hilfreich, was Sie denen für ihre wirtschaftliche Entwicklung in Aussicht gestellt haben.
({5})
Die Auswanderung und die Übersiedlung liegen ja weder im Interesse der DDR noch im Interesse der Bundesrepublik, aber sie liegen noch viel weniger im Interesse der DDR als in unserem. Genauer gesagt: Die Probleme, die daraus entstehen, sind für die DDR viel größer als für uns. Die Menschen in der DDR müssen wieder hoffen können, vielleicht auch etwas mehr als früher. Sie müssen Zuversicht gewinnen können und nicht nur Hoffnung. Sie müssen Licht am Ende des Tunnels sehen.
In einem Gespräch mit dem Bund der Evangelischen Kirchen am vergangenen Sonntag in Berlin ist mir wieder deutlich geworden, daß wir der Bevölkerung der DDR unsere Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft erklären müssen, um Fragen zu beantworten und auch um Ängste zu nehmen.
({6})
Wie sollen die Menschen - 40 Jahre real existierender Sozialismus und alles, was dazugehört - in der Lage sein, das zu verstehen, was hier bei uns tägliches Brot, tägliche Erfahrung und erfolgreiche Erfahrung ist. Ich wünschte mir - ich habe diesen Vorschlag gemacht, und ich will ihn auch weiter verfolgen -, daß einige bei uns, die aus der aktuellen politischen Streitsituation heraus sind, dazu beitragen, unsere Wirtschaftsordnung der DDR verständlicher zu machen. Ich könnte mir denken - ich hoffe doch, es wird Ihre Zustimmung finden - , daß das ein Mann wie Karl Schiller vorzüglich könnte. Er wäre bestens in der Lage, das klarzumachen.
Wir müssen dabei ehrlich sagen - wir versuchen das in den Gesprächen und Unterhaltungen mit unseren Gesprächspartnern in der DDR - : Ohne vorübergehende reale Einkommenseinbußen der Arbeitnehmer sind die Probleme nicht zu lösen. Anpassung ist immer mit Friktionen verbunden. Unverzichtbar ist dabei, daß Rentner, Kranke und Arbeitslose sozial abgesichert werden. Sonst geht das nicht.
({7})
Ich bin völlig sicher, daß die DDR das wirtschaftliche
Niveau der Bundesrepublik in einem überschaubaren
Zeitraum erreichen kann, wenn es richtig gemacht
wird. Das kann man hier nicht im einzelnen darlegen, aber zwei Punkte will ich erwähnen.
Erstens. Die unerläßliche Verbesserung der Produktivität in der DDR. Die Erkenntnis von einem meiner Gesprächspartner - ich würde das nicht aus eigenen Erfahrungen zitieren - in der DDR: Leben wie in der Bundesrepublik und arbeiten wie in der DDR, das geht nicht. Darin steckt viel an Wahrheit, ohne daß das eine kritische Wahrheit etwa gegen mangelnden Fleiß ist. Das liegt eben am Zustand der DDR-Wirtschaft, in dem die Voraussetzungen für produktives Arbeiten nicht mehr gegeben sind.
Zweitens. Es bedarf einer mutigen Politik, die auf Wettbewerb und Leistung setzt. Nur so können die katastrophalen Ergebnisse sozialistischen Wirtschaftens in der DDR überwunden werden.
Es gibt hier ein Problem, meine Damen und Herren. Die neue SPD in der DDR war die erste neue Partei, die sich zur sozialen Marktwirtschaft bekannte. Die SPD in der Bundesrepublik werkelt an Programmen, die die Soziale Marktwirtschaft aushöhlen werden und funktionsunfähig machen.
({8})
Jetzt wird berichtet, daß die DDR-SPD Wirtschafts- und Sozialräte fordert. Macht sich da ihr schlechter Einfluß schon bemerkbar?
Meine Damen und Herren, das Stichwort Währungsunion - es kam ja auch hier heute - geistert als Patentrezept für die Eröffnung positiver Perspektiven durchs Land. Im Ziel gibt es keine Auffassungsunterschiede zwischen uns und dem, was Frau Matthäus-Maier gesagt hat. Aber sie will, daß die Bundesregierung oder die Bundesbank die Last der Stabilisierung der Währungsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten trägt. Das bedeutet - ich gehe nur auf dieses eine Argument ein -,
({9})
daß die Bundesrepublik die wirtschaftspolitische Führung in der DDR übernimmt und die DDR in einem
wichtigen Teilbereich Souveränität aufgeben müßte.
({10})
Der Vorschlag läuft darauf hinaus, die DDR zu entmündigen. Das kann man vermeiden, wenn die DDR eine Lösung - aber sie selber - nach dem Muster Österreich sucht und dabei die D-Mark als Stabilitätsanker benutzt. Das ist aber ein ganz anderer Weg als Sie ihn vorgeschlagen haben.
Im übrigen, Herr Roth, lesen Sie bitte Herrn Necker nach. Er hat sich ausdrücklich gegen feste Wechselkurse ausgesprochen.
({11})
- Herr Necker, den Sie hier fälschlicherweise zitiert haben. Es ist gut, daß Sie ihn zitieren, aber Sie müssen ihn richtig zitieren.
Meine Damen und Herren, der Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion zwischen den beiden deutschen Staaten, zu dem die FDP sich bekennt, muß solide sein, auch wenn Eile geboten ist. Der Sachverständigenrat ebenso wie die Bundesbank haben dazu die Richtung zutreffend gewiesen. Es gibt keine über14800
zeugende Alternative zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die sich auf Wettbewerb, Marktpreise und innere Währungsstabilität stützt. Das ist der Weg zur Währungsunion und zur Eröffnung neuer Perspektiven.
({12})
Der Sachverständigenrat hat sich in sehr differenzierender und überzeugender Argumentation zum Problem der Übersiedler geäußert. Die Koalition tut gut und richtig daran, sich dieser Problematik mit Sorgfalt und mit Verantwortung zu widmen. Die FDP findet es unverantwortlich, wie der saarländische Ministerpräsident mit den Fragen und Problemen der Übersiedler umgeht.
({13})
Nach der Mauer aus Stacheldraht und Stein baut er eine neue Mauer der Unbarmherzigkeit und der Paragraphen auf.
({14})
Seine Ausführungen sind politisch gefährlich, und sie sind ökonomisch falsch.
({15})
Es besteht ja gar kein Zweifel und gar keine Meinungsverschiedenheit: Wie immer in der Sozialpolitik: Mißbräuchen muß entgegengewirkt werden; man muß versuchen, sie abzustellen. Ganz - das wissen wir - schafft man es nie. Aber eine generelle Leistungseinschränkung, wie sie Herr Lafontaine fordert, ist der falsche Weg. Die Folgen solcher Ankündigung heißen nur: Die Leute packen noch schneller ihre Koffer, um hierherzukommen, bevor es ihrer Meinung nach zu spät ist.
({16})
Aber bei der Geschwindigkeit, mit der Oskar Lafontaine Positionen, Ansichten und Urteile zu wechseln pflegt, würden wir uns gar nicht wundern, wenn er demnächst zur Begrüßung von Rumäniendeutschen im Durchgangslager auftauchte, mit Fernsehbegleitung natürlich.
Die SPD-Spitze bringt zur Zeit ein erstaunliches Kunststück fertig - alle Achtung - : In der DDR ist sie für die deutsche Einheit, im Saarland dagegen.
({17})
Ich habe von Herrn Lafontaine - ich habe ihn öffentlich dazu aufgefordert - noch nicht ein einziges Mal ein Bekenntnis zum Thema deutsche Einheit im Sinne von Willy Brandt und anderen gehört.
({18})
Meine Damen und Herren, das alles beherrschende Thema in diesen Tagen sind die Vorgänge in der DDR, und das ist nicht zu kritisieren, denn es finden ja fundamentale Entwicklungen von historischer Tragweite statt, die uns Deutsche besonders berühren.
Aber wir dürfen nicht in die Gefahr verfallen, nur uns selber zu sehen. Wir dürfen darüber nicht vergessen, daß unsere ökonomische und unsere politische Basis Europa und die Gemeinschaft der Länder des Westens sind. Ich weiß, daß wir heute nicht über diese Frage diskutieren, aber aus dem Auge verlieren dürfen wir sie nicht. Die Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen und auch unserer Beziehungen zu den anderen Ländern des Ostens müssen in eine Politik zur Stärkung des europäischen Einigungsprozesses und in eine gemeinsame westliche Friedenspolitik eingebettet und eingepaßt werden. Es besteht aller Anlaß, darüber mit unseren Freunden und Partnern im Westen zu sprechen.
Wer das Interview von Frau Thatcher gestern im „Wallstreet Journal" zur Kenntnis genommen hat, der wird mir zugeben, daß hier die deutsche Frage in aus unserer Sicht unzutreffender Weise behandelt wird, die Zusammenhänge mit dem Schicksal Gorbatschows unzutreffend dargestellt werden und daß auch die Haltung zu Europa und zur Frage einer unabhängigen Zentralbank nicht zufriedenstellend beantwortet wird. Es gibt - das sollte man der Korrektheit halber hinzufügen - auch ganz andere Stimmen. Der heutige Leitartikel des „Economist" zur deutschen Frage zeigt das, und was Henry Kissinger vorige Woche in der „Los Angeles Times" geschrieben hat, zeigt das auch.
({19})
- Völlig einverstanden; das habe ich in der vorigen Woche hier zum Ausdruck gebracht. - Dies bedarf jedenfalls unserer Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, zurück zum Jahreswirtschaftsbericht. Der Sachverständigenrat warnt zu Recht vor der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, die unweigerlich zu wirtschaftlichem Rückschlag führen müßte. Hier sind vor allem die Tarifpartner in der Verantwortung.
({20})
- Hören Sie bitte zu: Ich spreche von beiden Partnern. Nicht daß das Geschrei wieder losgeht, ich meinte nur die Gewerkschaften. Ich sage das, damit die Protestrufe nicht wieder losgehen.
({21})
- Ich nehme den Ausdruck „Geschrei" zurück. ({22})
- Es fällt mir wirklich sehr schwer, Herr Schäfer, das in ihren Augen zu erreichen.
Mit überhöhten Lohnabschlüssen würde die Tarifpolitik auf einen Konflikt mit der Geldpolitik zusteuern, aus dem letztlich die schlechteste aller möglichen Entwicklungen resultierte: höhere Preise und weniger Beschäftigung.
Besonnenheit in der Tarifpolitik ist deshalb das Gebot der Stunde. Tarifpolitik ist angesichts des gespaltenen Arbeitsmarktes sicher eine schwierige Aufgabe. Aber das Konzept der IG Metall mit pauschalen
Lohnerhöhungen von 8 bis 9 %, die tatsächlich jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben,
({23})
und zusätzlich mit weiteren Verkürzungen der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich paßt beim besten Willen nicht in die Landschaft.
({24})
Würde sich die IG Metall - nicht andere Gewerkschaften; es gibt ja sehr vernünftige Tarifabschlüsse, die völlig ohne Lärm und ohne großes Theater in den letzten Wochen abgeschlossen worden sind - damit durchsetzen, wäre das zum erheblichen Schaden für Wirtschaft und Beschäftigung.
Übrigens, meine Damen und Herren, sind zum Glück nicht alle Gewerkschaften - ich sagte das - so einsichtslos wie die IG Metall. Der DGB bot seinen Mitarbeitern eine Tarifaufbesserung um 2,36 % an. Sie predigen Wasser und trinken Wein.
({25})
Meine Damen und Herren, eine vernünftige Tarifpolitik orientiert sich am Produktivitätsanstieg und an den strukturellen Problemen des Arbeitsmarktes. Geboten sind hier - der Bundeswirtschaftsminister hat recht, immer wieder darauf hinzuweisen - Flexibilität und Differenzierung. Dieser Hinweis geht an beide Tarifvertragsparteien, nicht nur an eine.
Kurze Arbeitszeiten können wir uns ja vielleicht leisten; aber kurze Maschinenlaufzeiten können wir uns nicht leisten. Bei Opel in Bochum haben es Betriebsrat und örtliche IG Metall ganz offensichtlich begriffen.
Eine vernünftige Tarifpolitik von beiden Seiten gibt auch denen eine Chance, die jetzt arbeitslos vor der Tür stehen, und sie mobilisiert gleichzeitig die Leistungsträger unserer Wirtschaft.
Ich bin zwar nicht der Meinung, Herr Stratmann, daß es vernünftig ist, die Arbeitslosen die Tarifvertragsverhandlungen mit führen zu lassen. Aber den Gesichtspunkt, daß bei Tarifvertragsverhandlungen gefälligst an diejenigen gedacht wird, die arbeitslos sind, und nicht nur an diejenigen, die in Lohn und Brot stehen und mehr haben wollen, habe ich hier allerdings schon x-mal vorgetragen, und diesen unterstreiche ich.
Wir setzen deshalb auf das Konzept von mehr Flexibilität, das dem der gewerkschaftlichen Rigidität entgegenstehen muß, und zwar im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse unserer Volkswirtschaft.
Herr Roth, hierzu eine Bemerkung. Sie haben die sinkenden Lohnquoten beklagt. Sie können seit 1965 an der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik ablesen, daß dann, wenn es sinkende Lohnquoten gab, die Realeinkommen stiegen und die Beschäftigung ebenfalls, und daß wenn es steigende Lohnquoten gab, dann, die Realeinkommen fielen und die Beschäftigung ebenfalls. Den statistischen Nachweis stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung.
({26})
- Man kann natürlich Statistiken Unsinn nennen; das ist richtig.
({27})
- Ja, die Statistik sollte man auch lesen. Ich trage sie ja nun hier vor, verehrte Frau Kollegin. Sie können auch eine Kopie bekommen.
Wachstumspolitik - so sagt es der Sachverständigenrat, und so hebt es der Jahreswirtschaftsbericht hervor - ist in erster Linie Wirtschaftsordnungspolitik. Marktwirtschaftlich orientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik bedeutet für die Zukunft die Fortsetzung der Steuerreform und insbesondere der Unternehmensteuerreform. Sie bedeutet die weitere Rückführung der Staatsquote, die Stärkung des Wettbewerbs, Deregulierung und Subventionsabbau. Die fünf Zeilen dazu im Jahreswirtschaftsbericht, Herr Hausmann, sind mir zuwenig. Ich weiß, daß das ein Frustrationsthema ist. Aber Subventionen und Überregulierung höhlen auf Dauer die Funktionsmechanismen einer Marktwirtschaft aus. Auch wenn man glaubt, gegen Windmühlenflügel angehen zu müssen, der Kampf muß fortgesetzt werden, und er darf nicht vernachlässigt werden.
({28})
Genau ein solches Konzept ist im Jahreswirtschaftsbericht dargelegt. Deswegen unterstützen wir ihn. Die FDP wird dafür Sorge tragen, daß der erfolgreiche wirtschaftspolitische Kurs zur Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft fortgesetzt wird, und zwar über diese Legislaturperiode hinaus.
({29})
- Natürlich über diese Legislaturperiode hinaus! Herr Roth hat ja vorhin gesagt: Immer mehr ist nicht immer besser, und immer mehr ist nicht immer lebenswerter. Nun, immer mehr sozialdemokratische Stimmen sind nicht „immer besser" , und immer mehr grüne Stimmen sind keineswegs „immer lebenswerter" ; darüber sind wir uns ja sicher einig.
({30})
Meine Damen und Herren, die vergangenen acht Jahre haben uns gezeigt, zu welchen wirtschaftlichen Leistungen marktwirtschaftliche Systeme fähig sind. Schon das hat ja dem ordnungspolitischen Denken bei uns, aber nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Auftrieb gegeben. Ich will jetzt keine Sozialismus-Debatte anfangen und will mit Ihnen auch gar nicht darüber rechten, ob Karl Marx tot ist oder lebt. In Ungarn erzählt man sich, er sei wiedergekommen, habe um Sendezeit für ein Statement im Fernsehen gebeten, die habe man ihm eingeräumt, und er sei dann mit dem Spruch vor die Fernsehkameras getreten: „Proletarier aller Länder, verzeiht mir."
({31})
Jetzt ist zu diesem ordnungspolitischen Denken die Entwicklung in der DDR hinzugekommen, die von uns verlangt, daß wir uns wieder stärker mit diesem Gedankengut befassen - da stimme ich Herrn Wissmann zu - und daß wir uns auf das besinnen, was die Basis unseres wirtschaftlichen Erfolges ist. Das gibt Hoffnung für die Zukunft, das gibt Hoffnung, daß wir
auch auf diesen ordnungspolitischen Feldern, die bisher etwas ins Hintertreffen geraten sind, vorankommen. Diese Felder sind - ich sage es noch einmal - Subventionsabbau und Deregulierung.
Aber es geht noch weiter: Seit den Ursprüngen im vergangenen Jahrhundert steht der Liberalismus im Kampf um die Freiheit und um die Würde des Menschen. Wir erleben in der DDR ebenso wie in Osteuropa nicht nur Reformen, die zu mehr wirtschaftlicher Entfaltung und Selbständigkeit des einzelnen führen, sondern auch den Triumph der Freiheit über sozialistische Unterdrückung und Gängelei. Ganz Europa besinnt sich auf die fundamentalen Rechte der Menschen und auf die Werte demokratischer Ordnung. Wir wollen - und ich denke, wir müssen - diesen Aufbruch zur Freiheit und zur Selbstbestimmung nach Kräften unterstützen, damit sich diese historische Entwicklung in einer gemeinsamen europäischen, ja in einer weltweiten Friedensordnung vollziehen kann. In erster Linie die Bundesrepublik Deutschland kann und muß - deshalb sage ich das in einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht und das Sachverständigengutachten - einen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten, indem sie ihr wirtschaftliches Potential zur Sicherung des politischen Erfolges bei der Demokratisierung Europas zur Verfügung stellt.
Ich danke Ihnen.
({32})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weihrauch statt Fakten und Lösungsvorschlägen, damit nebeln die Bundesregierung und auch die Debattenredner der Koalition zu Jahresbeginn die deutsche Öffentlichkeit ein. Sie tun im Jahreswirtschaftsbericht 1990 so, als sei die günstige Konjunkturlage hausgemacht, als habe Helmut Haussmann die Exportaufträge persönlich akquiriert und als sei auch im Inland in jeder Hinsicht und in jeder Region alles bestens.
({0})
Alles sähe gut aus - so liest es sich - , gäbe es nicht die DDR-Zuwanderer und die Aussiedler, die diesen kleinen, eher marginalen Störfaktor - so hörte man es bei der Rede von Herrn Lambsdorff - der fast unverändert hohen Massenarbeitslosigkeit von zwei Millionen Menschen verursachen. Aber der Jahreswirtschaftsbericht 1990 und das Sondergutachten des Sachverständigenrates suggerieren uns, daß auch dieses Problem zu lösen ist, wenn nur die DDR-Regierung die Marktwirtschaft zügig übernimmt.
Null Problemo also? Mein Kollege Wolfgang Roth hat schon dargestellt, wie kurzsichtig und zögernd diese Bundesregierung mit Worten jongliert, wo sie zügig Taten folgen lassen müßte, wo sie nicht wohlfeilen Rat, sondern Taten anbieten,
({1})
wie sie dort flickschustert und kleckert, wo sie klotzen müßte.
({2})
Bundesregierung und Koalitionsdebattenredner
- leider auch der Sachverständigenrat - entwerfen lieber euphorisch neue ordnungspolitische Leitbilder für die DDR, statt konkret die schwierigen Probleme bei uns und drüben aufzulisten, denkbare Lösungen zu beschreiben und konkrete Hilfen, aber auch Geldmittel anzubieten.
({3})
- Selbstverständlich, Herr Kollege, gerade Sie müßten aus der gemeinsamen Zusammenarbeit wissen, daß ich die Unterlagen immer gründlich lese.
({4})
Ich will nur einmal zwei Probleme aus der Bundesrepublik anschneiden, und zwar die regionalen Probleme: die weiter bestehende ungleiche Regionalentwicklung, die in der Bundesrepublik immer noch ärmere von reicheren Regionen trennt, und die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Abrüstung in den Regionen. Darüber ist im Jahreswirtschaftsbericht nur wenig, genauer gesagt, nur ein einziger optimistischer Satz zu lesen. Wer sich jedoch die Fakten ansieht, wird diesen Optimismus kaum nachvollziehen können. Sicher, die weltweite Konjunktur hat auch in den Regionen geholfen, aber die massiven Differenzen zwischen den Regionen bestehen weiterhin, wenn sie sich auch nicht verschärft haben.
Weiterhin gibt es auch nach den langen Jahren der Hochkonjunktur bundesweit 700 000 Langzeitarbeitslose, ein großer Teil davon Frauen, und Jahr für Jahr kommen 80 000 Jugendliche ohne Ausbildung zu diesen Unglückseligen unserer Arbeitsgesellschaft hinzu: an den Rand gedrängt, ohne Chancen und politisch von Ihnen vergessen oder mißachtet.
Noch immer ist die Arbeitslosigkeit in der Region Schleswig-Holstein/Hamburg mit 10,3 % im Jahresdurchschnitt 1989 mehr als doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg mit 4,5
({5})
und in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen doppelt so hoch wie in der Arbeitsmarktregion Südbayern. Diese Zahlen können Sie doch nicht einfach als Erfolg verkünden. Vergessen Sie bitte nicht: Einige dieser Regionen werden seit mehreren Jahrzehnten von Ihnen regiert. Diese billigen Sprüche kann man doch in diesem Parlament nicht so einfach bringen.
({6})
Nein, die strukturellen und regionalen Probleme sind nur konjunkturell überdeckt, nicht aber für die Zukunft substantiell gelöst.
Nun zu einem zusätzlichen dritten Problem: Die sich abzeichnende erfreuliche Abrüstung mit ihren Konsequenzen für uns in Europa - die Verminderung der Soll-Stärke der Bundeswehr, der absehbare Abzug fremder Truppen auch aus der Bundesrepublik Frau Dr. Skarpelis-Sperk
wird, so begrüßenswert sie ist, nicht alle Regionen gleich treffen.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Nein, wir haben genügend Gelegenheit, im Ausschuß zu diskutieren.
({0})
Sosehr sich die betroffenen Einwohner z. B. auf die geringere Fluglärmbelästigung und frei werdende Wohnungen freuen: Bundeswehrstandorte bedeuten gerade in ländlichen Regionen eine Menge von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Die Rüstungsproduktion, die jetzt zurückgefahren werden muß, bedeutet für Zehntausende, ja Hunderttausende häufig recht gut bezahlte Arbeit.
Von Ihnen, Herr Haussmann, dürfen die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Industrien und Dienstleistungsbereiche zu Recht eine Antwort erwarten, in welche Bereiche und in welche Regionen Sie die frei werdenden Haushaltsmittel zu lenken gedenken, um dieses zu kompensieren. Das ist sicherlich nicht akut für den Haushalt 1990, aber Sie werden sehr bald konkrete Antworten geben müssen, bevor wir es mit einem massiven Problem zu tun haben und vor allem der ländliche Raum mit seinen zahlreichen Betroffenen zu einem billigen Agitationsspielraum für Ewiggestrige wird. Die Entwicklung in der Landwirtschaft sollte für uns ein Warnzeichen sein.
Aber auch für die drängenden Probleme in der DDR hat die Bundesregierung viele, viele Empfehlungen, aber nur wenige und vor allem den Problemen materiell nicht angemessene Mittel zu bieten. Sicher, der Sachverständigenrat hat eine Reihe von Problemen benannt, die Bundesregierung auch, beginnend mit dem Infrastrukturbedarf und dem umfassenden Modernisierungsbedarf der DDR-Industrie.
Aber Bundesregierung wie Sachverständigenrat spiegeln der Öffentlichkeit vor, man komme mit dem Sesam, öffne dich! Sozialer Marktwirtschaft und ein bißchen bundesrepublikanischer Finanzhilfe ganz leicht und schnell in Aladins Schatzhöhle. Damit belügen sie sich, die Menschen bei uns und in der DDR.
Allein dem zurückgestauten Infrastrukturbedarf bei Bahn und Straße, Telekommunikation und Umwelt und der von Ihnen völlig übergangenen Sanierung des Wohnungsbaubestandes in der DDR kann mit den im Nachtragshaushalt anvisierten Mitteln nicht einmal in der ersten Stufe Rechnung getragen werden. Ich konzediere Ihnen dabei, daß im Jahre 1990 bei Bahn und Post nicht mehr so viele Mittel verplant und ausgegeben werden können. Aber in den kommenden Jahren werden wir, wenn sich an den Lebensverhältnissen in der DDR für den einzelnen etwas spürbar ändern soll, nicht so billig davonkommen. Das muß man der Bevölkerung in der DDR jetzt ankündigen, damit sie an unseren finanziellen Dimensionen und Hilfsversprechen sieht, daß wir es ernst meinen, und viele Menschen in der DDR ihre Probleme nicht mehr durch Übersiedlung meinen losen zu können.
({1})
Denn diese Übersiedlung kostet uns eine Menge Geld. Ich meine nicht nur den Sozialleistungsbereich, der uns alle bundespolitisch beunruhigt. Was wir bei uns den Kommunen und den Ländern allein durch diese Übersiedlung im Wohnungsbau, Wohnumfeld und an Erziehungsinfrastruktur abverlangen, ist gewaltig und wird uns auf Dauer mehr kosten als eine wirksame und substantielle Hilfe für die DDR.
({2})
Wer da so tut, als gehe das alles sogar mit Unternehmensteuersenkungen, wie wir jetzt gehört, wie der Sachverständigenrat, aber leider auch Sie, Graf Lambsdorff, gesagt haben, gehört entweder in die Rubrik Märchenerzähler, bloßer Unternehmenslobbyist oder will in Wirklichkeit substantiell gar nicht helfen. Ich will das einmal an Hand von drei Beispielen erläutern.
Beispiel eins: Das Wohnungsproblem in der DDR. Das ist für die Unfähigkeit der Bundesregierung, Problemlösungen schnell und wirksam zu organisieren, ein Paradebeispiel. Sie haben nämlich - übrigens auch der Sachverständigenrat - das Problem offensichtlich vergessen. Als ob die unbefriedigende Wohnungssituation nicht ein wesentlicher wanderungsauslösender Faktor wäre.
Frau Hasselfeldt hat dafür in den nächsten Jahren 500 Millionen DM für vier Pilotprojekte in den Städten Meißen, Weimar, Stralsund und Brandenburg zur Verfügung gestellt.
({3})
250 Millionen DM sollen der Bauforschung dienen. Mit solchen Maßnahmen werden Sie einzelne schöne DDR-Städte in ein Freilichtmuseum verwandeln, das sich die Abgewanderten mit leiser Wehmut in einigen Jahren ansehen können - nach dem Reisebüromotto „So schön war die Heimat - Rundreise für Rentner". Wäre es nicht besser, Sie würden einen angemessenen Beitrag - und das bedeutet Milliarden; das muß uns klar sein - bereitstellen, um in der DDR Bau- und Heimwerkermärkte zu installieren, knappes Bau- und Installationsmaterial zu liefern, Know-how für Wärmedämmung und rationelle Energienutzung zur Verfügung zu stellen und mitzuhelfen, eine leistungsfähige Bauindustrie in der DDR aufzubauen? Meinen Sie nicht auch, privates, selbstgenutztes Wohnungseigentum und ausreichende Sanierungsmöglichkeiten für diese Wohnungen sind eine bessere Bindung an die Heimat als tausend Politikerappelle im Deutschen Bundestag?
({4})
Nun zum Beispiel zwei: Ostbindung der DDR-Wirtschaft. Der Sachverständigenrat zerbricht sich den Kopf über ein neues Währungsmodell für die DDR, das de facto bedeutet, daß die Währungshoheit der
DDR in Frankfurt am Main beim Zentralbankrat abgegeben wird.
({5})
Haben Sie sich flankierend einmal überlegt, welche Konsequenzen die schnelle Installierung dieses Modells, aber auch der Marktwirtschaft in der DDR für Osteuropa haben wird?
60 % der DDR-Exporte gehen in den RGW-Bereich. Soll die DDR nun vertragsbrüchig werden und aus ihren langfristigen Lieferverpflichtungen ausbrechen? Was passiert, wenn die DDR - marktwirtschaftlich durchaus korrekt - , um an harte Devisen heranzukommen, lieber im Westen als gegen marode Zloty, Forint, Kronen oder Rubel verkauft? Haben wir wirklich ein Interesse daran, die Ökonomien Osteuropas und der Sowjetunion kurz- und mittelfristig zu destabilisieren, den Abrüstungsprozeß zu gefährden und den Demokratisierungsprozeß in ganz Europa ins Stocken zu bringen?
Davon, Herr Kollege Wissmann, von diesen sehr realen Problemen des Zusammenwachsens der beiden deutschen Staaten und ihrer Ökonomien, kann man in Ihren allgemeinen Formeln und schönen Phrasen kein einziges Wort hören.
({6})
Wollen wir wirklich die DDR-Betriebe aus ihren bisherigen Lieferbeziehungen ohne weiteres herausbrechen, statt deren Erfahrungen und Verbindungen zu den Wirtschaften Osteuropas zu nutzen, so unbefriedigend sie in der Vergangenheit zum Teil auch gewesen sein mögen?
Ich will ein drittes Beispiel nehmen: die Qualifizierung des DDR-Managements und den Know-howTransfer. Der Sachverständigenrat und die Bundesregierung empfehlen unisono eine schnelle Übernahme der Marktwirtschaft und ihrer Regeln durch die DDR-Ökonomie. Sie übersehen dabei - wie Kurt Biedenkopf in einem Interview ausführte - , daß Menschen - das gilt auch für Betriebsleiter -, die 40 Jahre lang eine andere Art des Wirtschaftens trainiert haben, nicht von einem Tag auf den anderen imstande sein werden, sich im Wettbewerb zu behaupten.
({7})
Einen Wurf Hauskatzen kann man auch nicht in ein Wolfsrudel stecken und sagen: Nun heult mal schön mit. - Wenn man will, daß sie überleben, brauchen sie zumindest ein Überlebenstraining in einem Kurs „Wie werde ich Tiger?".
Scherz beiseite: Wir müssen, wenn wir keinen unnötigen Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau in der DDR und keinen Ausverkauf der DDR haben wollen, dafür sorgen, daß die Manager dort im Prozeß der Umstellung nicht über den Tisch gezogen und überfordert werden. Das bedeutet auch, daß wir - über Betriebspraktika und Weiterbildung hinaus - ein
Netz von Gemeinschaftseinrichtungen und industrienahe Infrastruktur mit organisieren helfen müssen,
({8})
das vergleichbar - aber sicherlich nicht identisch - mit dem ist, was wir in der Bundesrepublik haben - übrigens auch staatlich subventioniert. Ich möchte hier nur wenige Beispiele wie das RKW, die IHKs, Fachinformationszentren und vieles andere nennen.
Jedenfalls: So billig und einfach, wie Sie und der Sachverständigenrat es sich mit Ihren Vorschlägen gemacht haben, werden wir nicht davonkommen. Je früher wir als verantwortliche Politiker das unserer Bevölkerung sagen, um so besser. Sie als Regierung sind aufgefordert, Ernsthafteres und Substantielleres als Ihre bisherigen Schnellschüsse in Gang zu setzen. Niemand erwartet von Ihnen, daß Sie bei der Geschwindigkeit der Prozesse in der DDR und in Osteuropa fertige Rezepte, ausgefeilt bis ins letzte, aus der Schublade ziehen. Aber was wir von Ihnen als Regierung zu Recht erwarten können, ist, daß Sie an die Schicksalsfragen der Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR nicht mit Schaumschlägereien und Wunschträumen herangehen, sondern endlich anfangen, einen Prozeß schnell und kompetent mit zu organisieren, der zur Lösung der gewaltigen Probleme substantiell und adäquat beiträgt.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht 1990 enthält zu Recht ein breites Kapitel, das sich mit dem Umweltschutz beschäftigt.
({0})
Dies ist - ich darf es noch einmal sagen - außerordentlich sinnvoll. Denn mit dem Umweltschutz im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbinden sich natürlich immer zwei Besorgnisse: Auf der einen Seite steht die Besorgnis, daß gerade durch wirtschaftliches Wachstum neue Umweltbelastungen ausgelöst werden, daß das Wachstum seinen Niederschlag in den Preisen nicht mit den vollen Kosten findet, die ja dafür bezahlt werden, und daß in dieser wirtschaftlichen Wachstumsentwicklung deswegen auch zusätzliche Umweltbelastungen angelegt sind. Auf der anderen Seite gibt es die Besorgnis derjenigen, die glauben, durch eine sehr engagierte, international möglicherweise nicht hinreichend koordinierte Umweltpolitik würden die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Frage gestellt und Wachstumstendenzen damit entsprechend verhindert.
Beide Sorgen werden durch diesen Jahreswirtschaftsbericht, wie mir scheint, eindeutig widerlegt. Der Bericht zeigt nämlich deutlich - der in meinem Ministerium in Vorbereitung befindliche Umweltbericht wird dies noch einmal verstärkt belegen - : Es ist zu einer Entkoppelung von wirtschaftlichem WachsBundesminister Dr. Töpfer
turn einerseits und den Umweltbelastungen und der Energienachfrage andererseits gekommen.
({1})
Diese Besorgnis, die sich als Grundüberlegung noch im Bericht des „Club of Rome" niedergeschlagen hat, ist gerade durch diesen Jahreswirtschaftsbericht deutlich widerlegt worden.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
({0})
Aber gerne.
Herr Stratmann, Sie haben die Möglichkeit.
Herr Töpfer, wie wollen Sie die These der Entkoppelung von Wirtschaftswachstum bei uns und Umweltschäden belegen, wenn Sie als Beleg dafür nur einen Indikator - einen unter 100 bis 200 notwendigen und möglichen Indikatoren - berücksichtigen, nämlich die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Primärenergieverbrauch, aber völlig unterschlagen, daß eine Fülle von Schadstoffen nach wie vor weiter zunimmt? CO2-Emissionen nehmen zu, auch durch steigenden Verkehr. Aber das kann ich im Rahmen der Zwischenfrage jetzt nicht weiter ausführen.
Das ist schon eine kurze Intervention, was Sie da machen.
({0})
Deswegen der letzte Aspekt der Zwischenfrage: Wie kommen Sie zu dieser starken These, wenn sich der Jahreswirtschaftsbericht und auch das Sachverständigengutachten zu einem empirisch belegten Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschäden überhaupt nicht äußern?
({0})
Herr Abgeordneter Stratmann, wenn Sie wenige Minuten gewartet hätten, wäre ich nach meinem Konzept ohnedies auf den Beleg dieser Aussage gekommen.
({0})
Sie finden den Indikator Schwefeldioxid im Bericht niedergelegt. Es zeigt sich sehr deutlich, daß die Emission von SO2 trotz deutlicher Wirtschaftswachstumsrate in den 80er Jahren zurückgegangen ist. Daß das nicht eine nebensächliche Größe ist, zeigt Ihnen sehr schnell ein Blick in die DDR. Dort haben wir eine Schwefeldioxidemission von 6 Millionen Tonnen, während sich bei uns bei Durchführung unserer Maßnahmen die Schwefeldioxidemissionen auf die Größenordnung von 1 Million Tonnen zurückentwikkeln.
({1})
Ich kann Ihnen auch die Zahlen für NOx angeben. 1982 hatten wir aus den Großfeuerungsanlagen etwa 800 000 Tonnen NOR-Emission. Wir werden in diesem Jahr aus den Großfeuerungsanlagen noch etwa 200 000 Tonnen haben. Das ist wohl offenbar auch eine klare Entkoppelung.
({2})
Wenn wir das für die Autos insgesamt betrachten, so werden Sie sicherlich sehen, daß die gesamte NOx-Emission in der Bundesrepublik Deutschland rückläufig ist, dank der Tatsache, Herr Kollege Stratmann,
({3})
daß es dieser Bundesregierung gelungen ist, die Quote der Zulassung von Autos mit Drei-Wege-Katalysator
({4})
im Dezember auf insgesamt 83 % zu erhöhen
({5})
und dadurch einen entscheidenden Beitrag zur Entlastung bei Stickoxiden zu bekommen.
({6})
Ich kann Ihnen auch noch Angaben über die Gewässerbelastung machen. Sie wissen, daß der Sauerstoffbedarf beim Rhein um 88 % zurückgegangen ist, daß die Schwermetallbelastung im Rhein in wesentlichen Bereichen unter die Nachweisgrenze zurückgefallen ist.
Ich kann Ihnen sehr gerne noch weitere Indikatoren nennen. Ich beziehe mich aber nochmals auf die Eingangsaussage. Wir werden das im Umweltbericht noch einmal sehr deutlich an vielen, vielen Einzelparametern belegen. Ich bleibe bei meiner Aussage: Es ist gelungen, wirtschaftliches Wachstum von der Umweltbelastung zu entkoppeln.
({7}) Das ist ein Beispiel für eine weltweite Chance.
({8})
Ich kann Ihnen das außerdem nicht nur bei der Umweltbelastung, sondern auch beim Energieverbrauch belegen. Ich kann wiederholen: Wir haben 4 % reales Bruttosozialproduktswachstum. Das ist Rekord in den 80er Jahren. Bei diesen 4 % Wachstum haben wir einen Rückgang des Primärenergieverbrauchs um 1,6 %, d. h. eine Primärenergieverbrauchsminderung bei deutlichem realem Wirtschaftswachstum.
({9})
Wenn das keine Steigerung der Effizienz beim Energieeinsatz ist,
({10})
dann weiß ich beim allerbesten Willen nicht, wie man eine solche Effizienzsteigerung anders belegen will als durch die Tatsache, daß Wachstum vorhanden ist und der Primärenergieverbrauch gleichzeitig zurückgeht.
Richtig ist, meine Damen und Herren, daß wir damit keineswegs am Ende umweltpolitischer Notwendigkeiten stehen. Wer das behauptet, wird sicherlich ebenfalls falsche Schlußfolgerungen ziehen. So gibt es gegenwärtig in ganz besonderer Weise das Thema des CO2-Emissions-Pegels zu erörtern. Es gibt gar keine Diskussion darüber, daß sich das nicht nur auf einen einzigen Verbrauchssektor beziehen kann, sondern daß sich das auf alle Verbrauchssektoren beziehen muß. Das heißt, man muß sicherlich beim Auto anfangen. Hier ist es ganz unstrittig, daß es Autos geben muß, die mit weniger Benzinverbrauch ihre Leistung erfüllen. Wir unterscheiden uns sehr deutlich von Ihren Patentrezepten. Sie glauben, das allein über eine drastische Erhöhung des Benzinpreises zu erreichen,
({11})
während wir der Überzeugung sind, daß hier durch ordnungsrechtliche Maßnahmen dasselbe Ziel erreicht wird, ohne daß es zu unsozialen
({12})
und die regionalen Belastungen entsprechend verzerrenden Entwicklungen kommt.
({13})
Das ist unsere Überlegung.
({14})
Ich kann meiner Vorrednerin zumindest in einem recht geben. Wenn Sie mich schon auf das Saarland ansprechen, Herr Kollege Sperling - ich wollte mich dazu gar nicht äußern - , kann ich Ihnen in einem recht geben. Es ist unstrittig: Die regionale konjunkturelle Entwicklung ist im Saarland gegenwärtig dafür verantwortlich, daß die strukturell verbliebenen Probleme dieses Landes überdeckt werden. Das ist unsere zentrale Kritik. Strukturpolitik ist nicht betrieben worden.
({15})
Die konjunkturellen Effekte haben die Probleme nur überdeckt.
({16})
Das kann ich in der Tat bestätigen.
({17})
War das eben eine Zwischenfrage?
Ich möchte gern um ein bißchen Zurückhaltung bei den Zwischenrufen bitten, damit der Herr Bundesminister seine Zeit einhalten kann und wir um 1 Uhr fertig sind.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Herr Bundesminister, nachdem Sie soeben ausgeführt haben, im Saarland seien die strukturpolitischen Probleme durch den konjunkturellen Verlauf auf Bundesebene überdeckt worden, frage ich Sie, ob Sie der Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums zustimmen, wo folgendes in einem Dokument, Kabinettvorlage des BMWi vom 15. Januar dieses Jahres, zu lesen ist:
Angesichts der Fortschritte beim Strukturwandel und der Chancen des Europäischen Binnenmarktes für das Saarland ist in den kommenden Jahren mit einem nachhaltig höheren Wirtschaftswachstum als in der Vergangenheit zu rechnen
und ich frage Sie, ob Sie folgendem aus demselben Dokument ebenfalls zustimmen:
Der Sachverständigenrat stellt in seinem Jahresgutachten 1989/90 fest, daß die Beschäftigungsdynamik regional gleichgewichtiger geworden ist und das Saarland Anschluß an das Tempo gewonnen hat, mit dem sich die Beschäftigung im Bundesgebiet insgesamt ausweitet
und ich frage Sie, ob Sie angesichts dieser Aussagen bereit sind, Ihre eben getroffene Formulierung zurückzunehmen.
Herr Abgeordneter, ich bin nicht bereit, meine eben getroffene Aussage zurückzunehmen. Ich beziehe mich auf das, was der Kollege Haussmann heute vormittag hier an diesem Pult zur relativen Veränderung der Beschäftigungszuwächse im Bundesgebiet insgesamt und im Saarland ausgeführt hat, daß die Beschäftigungszuwächse im Saarland in den letzten fünf Jahren bei mageren i To gelegen haben, während die Zunahme der Zahl der Beschäftigten im Bundesgebiet insgesamt bei 6 % und darüber gelegen hat. Das sind die Fakten.
Deswegen kann ich nur noch einmal unterstreichen, daß die gute konjunkturelle Situation bundesweit dazu beigetragen hat, daß strukturell nach wie vor vorhandene, von uns beklagte Verwerfungen im Saarland nicht mehr beseitigt worden sind. Dies ist das, was wir weiterhin aufrechterhalten.
({0})
Herr Bundesminister, es wird noch ein Wunsch nach einer Frage an Sie gerichtet.
Ja.
Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Bundesminister, können Sie gerade angesichts der eben gestellten Frage bestätigen, daß sich die absoluten Zahlen so darstellen, daß man angesichts der Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze auf Bundesebene um etwa 800 000 im Saarland eigentlich einen Zuwachs von 25 000 Arbeitsplätzen hätte erwarten können, daß es im abgelaufenen Zeitraum aber tatsächlich nur 700 gewesen sind?
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann noch einmal unterstreichen, daß in der Tat das, was das Saarland von diesem fünfjährigen Wirtschaftsaufschwung bundesweit mitbekommen hat, weit unterdurchschnittlich ausgefallen ist und daß dies an einer unserer Meinung nach nicht hinreichend qualifizierten Strukturpolitik liegt. Dies muß, glaube ich, deutlich festgehalten werden.
({0})
Lassen Sie mich aber hinzufügen, daß es überhaupt nicht mein Ziel war, zum Saarland zu sprechen. Aber wenn man mich schon auf das schwarze Saarland anspricht, Herr Abgeordneter Sperling, dann will ich darauf eingehen. Ich möchte deutlich sagen, daß zumindest ich dem Bundeswirtschaftsminister dafür dankbar bin, daß er nach dem Kommissionsbeschluß vom März 1989, gegen den am 10. Mai 1989 noch 5 000 Bergleute im Saarland auf der Straße protestiert haben, durch die Verhandlungen in Brüssel europapolitisch abgesichert hat, daß
({1})
- zumindest bis 1991 - , der Jahrhundertvertrag und die dritte Verstromungsnovelle generell, auch kartellrechtlich, akzeptiert werden. Dies ist kein Wahlbetrug, sondern ein hervorragender Fortschritt zur Sicherung der Arbeitsplätze im Bergbau und damit auch im Saarland,
({2})
das ist der Punkt, auf den wir gerne noch einmal eingehen.
Jetzt würde ich mich hier gerne wieder auf das umweltpolitische Kapitel beziehen, wenn das möglich ist.
({3})
- Aber ich bin gerne bereit, Frau Präsidentin, auch noch weiterhin in der Diskussion über das Saarland voranzukommen. Es ist für mich kein Problem, das weiterzuführen. Wenn also der Herr Abgeordnete Schreiner gerne weiter fragen möchte, sei es ihm herzlich gerne genehmigt.
Ich möchte trotzdem darauf hinweisen, daß wir ein bißchen in der Zeit bleiben müssen. Der Herr Bundesminister hat seine Redezeit durch die Zwischenfragen schon verbraucht.
({0})
Herr Bundesminister, ich wollte Sie schlicht fragen, ob es zutrifft, daß in einer Kabinettvorlage vom 15. Januar dieses Jahres aus dem Bundeswirtschaftsministerium dem Saarland attestiert wird, daß es erhebliche Fortschritte beim Strukturwandel gegeben hat, und daß dem Saarland zusätzlich attestiert wird, daß es Anschluß an das Beschäftigungstempo der Bundesrepublik gefunden habe, und ich wollte Sie darüber hinaus fragen, ob die noch vorhandenen Beschäftigungsprobleme im wesentlichen mit einer völlig verfehlten und unseriösen Kohlepolitik der Bundesregierung zusammenhängen.
Herr Abgeordneter, ich will das noch einmal deutlich sagen: Es gibt hier keine unseriöse Kohlepolitik der Bundesregierung. Es gibt endlich ein ernsthaftes Verhandeln auf europäischer Ebene, um eine von uns für notwendig erachtete Kohlepolitik europapolitisch abzusichern. Hier sind wir einen wichtigen Schritt vorangekommen. Wir sind noch nicht am endgültigen Ziel; das ist genauso festzuhalten. Aber es ist auch deutlich zu machen, daß sich die Bundesregierung entschieden hat, den Jahrhundertvertrag mit 40,9 Millionen t Kohleverstromung bis 1995 einzuhalten und daß ich dem Bundeskanzler in Person dafür dankbar bin, daß er dies gestern in Saarbrücken ohne jedes Wenn und Aber noch einmal so bestätigt hat. Das ist die Aussage zur soliden, und nicht zur unsoliden Kohlepolitik.
({0})
Zu dem anderen kann ich Ihnen gerne sagen, Herr Abgeordneter Schreiner, daß im Saarland in der Tat ein Strukturwandel stattgefunden hat, daß es nämlich in der Zeit von 1968 bis 1974 eine großartige Umstrukturierung gegeben hat, indem etwa 13 000 Arbeitsplätze mit dem Schwerpunkt in der Automobilindustrie angesiedelt worden sind, und daß in der Tat jetzt bereits jeder fünfte Arbeitsplatz im Saarland von der Automobilindustrie abhängig ist. Deswegen müssen wir alles daran setzen, auch im Saarland das umweltverträglichere Auto zu bauen und das Auto nicht zu verteufeln, weil wir damit auch die regionale Arbeitsplatzbasis in Frage stellen. Das kann ich Ihnen gerne bestätigen.
({1})
Zurück zur Umweltpolitik im wirtschaftlichen Zusammenhang, meine Damen und Herren. Wesentlich zeigt sich: Die Soziale Marktwirtschaft ist bei uns zu einer ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickelt worden. Es zeigt sich ferner, daß diese ökologische Marktwirtschaft auch bei der Bewältigung der Umweltprobleme allen anderen wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen weit überlegen ist. Ich glaube, daß wir auch folgendes festhalten können: Mit wirtschaftlichem Wachstum ist auch ein Abbau der Um14808
weltbelastungen verbunden. Ein überalterter Kapitalstock ist wirtschaftlich schlecht. Er ist aber auch ökologisch belastender als ein Kapitalstock, der sich durch entsprechende Reinvestitionen und Nettoinvestitionen verjüngt.
Ich darf Ihnen dazu Zahlen nennen: Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen sind seit 1982 real um 50 % gestiegen. Das ist etwa dreimal so viel, wie das in dem Zeitraum davor der Fall gewesen ist. Mit diesen hohen Realinvestitionen ist gleichzeitig ein Umweltentlastungsprozeß vonstatten gegangen. Das muß man immer wieder betonen. Deswegen kann man dem Abgeordneten Stratmann nur sagen: In dem Maße, wie kein wirtschaftliches Wachstum da ist, werden die Umweltbelastungen überproportional ansteigen. Dies bewirkt der alte Kapitalstock. Das ist ein Zusammenhang, den wir sehr deutlich sehen.
({2})
Wir wollen auch dazu beitragen, meine Damen und Herren - auch das ist etwas, um die verträgliche Umweltpolitik deutlich zu machen - , daß wir nicht eine „end of the pipe" -Technik haben, daß wir bei bestehenden Industriebetrieben hinten nicht einen Filter draufsetzen, sondern daß wir die integrierten Umwelttechniken fördern und durchsetzen. Das geht im Wachstumsbereich ungleich besser als bei Stagnation der Wirtschaft. Dies sind Zusammenhänge, die wir deutlich herausstellen wollen.
Deswegen war es richtig, daß wir gerade in Zeiten von wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum den ökologischen Ordnungsrahmen verstärkt haben. Eine neue Sicherheitskultur und eine neue Umweltvorsorge in der Industriegesellschaft sind durchgesetzt worden. Der Jahreswirtschaftsbericht sagt deutlich, welche bedeutsamen Gesetze dafür weiterentwickelt wurden. Von der Novelle des Chemikaliengesetzes, über das Bundes-Immissionsschutzgesetz, über das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz bis zu vielem anderen mehr ist Umweltpolitik gerade in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums vorangetrieben worden.
Dies ist die Botschaft, die von diesem Bericht an die DDR geht. Es ist wohl ganz klar: Die sozialistische Planwirtschaft hat wirtschaftlich versagt. Sie hat aber auch einen ökologischen Scherbenhaufen sondersgleichen hinterlassen. Beides ist zu beklagen, und beides ist zu beheben, meine Damen und Herren.
({3})
Deswegen muß mit dem wirtschaftlichen Umbau und Ausbau der DDR automatisch auch die Umweltentlastung mit vorangetrieben werden. Das setzt voraus, daß wir die Umweltpolitiken in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR frühzeitig aufeinander beziehen und sie voll und ganz harmonisieren.
Ich kann es als einen guten Gedankenanstoß ansehen, wenn Vertreter des Neuen Forums sagen, das erste, was eingerichtet werden müßte, sei ein gemeinsames Umweltministerium, damit wir bis in Genehmigungsverfahren hinein gleiche Anforderungen diesseits und jenseits der bisherigen innerdeutschen Grenze durchsetzen können. Dies ist zentraler Punkt meiner Verhandlungen, die ich in der DDR führe. Dies
ist zentraler Punkt vor allen Dingen der Diskussion, die ich auch mit den Oppositionsgruppen in breiter Form geführt habe.
Wir brauchen für diese gemeinsame Umweltpolitik verbesserte Informationsgrundlagen. Dies haben wir entschieden, die entsprechenden Vereinbarungen sind unterzeichnet worden, denn nur so können wir zu einem gemeinsamen ökologischen Handlungsprogramm kommen, das die Prioritäten in der Umweltbelastung auch wirklich voll und ganz aufgreift. Das gilt für Luft- und Wassermeßprogramme, für Altlastenerfassung, aber auch für so etwas wie Laborkapazitäten und ähnliches mehr.
Meine Damen und Herren, bevor wir dieses gemeinsame ökologische Handlungsprogramm haben, ist es auch richtig, daß wir weitere Pilotprojekte fördern, von denen multiplikative Wirkungen auf die Verjüngung des Kapitalstocks in der DDR ausgehen. Wir möchten dies auch mit Joint-venture-Programmen weiterführen. Auch dazu, glaube ich, haben wir bisher unstrittig erhebliche Fortschritte gemacht.
Ich sage ebenfalls, daß es in ganz besonderer Weise richtig und notwendig war und ist, in eine Sicherheitspartnerschaft bezüglich der Kernenergienutzung in der DDR einzusteigen. Wir haben dies getan. Meine Mitarbeiter sind gegenwärtig wiederum in Greifswald. Ich möchte noch einmal deutlich unterstreichen, daß in diese Beurteilung der Sicherheitszustände der Kernkraftwerke in der DDR natürlich auch alle Störfälle der Vergangenheit ohne Wenn und Aber einbezogen werden, bis zu dem jüngsten Störfall bei Block 5, dem jetzt neu in Betrieb genommenen oder in der Inbetriebsetzungsphase befindlichen Kernkraftwerk. Dies ist Geschäftsgrundlage unserer Mitwirkung mit Sachverständigen bei der Beurteilung des Sicherheitsstandards der Kernkraftwerke in der DDR. Ich sage ganz deutlich hinzu: Wir werden in den Anforderungen an die Sicherheit hier überhaupt keine Kompromisse machen. Dies ist klar und deutlich.
({4})
Deswegen geht es in erster Linie nicht um die Frage, wie nachgerüstet wird, sondern es geht in erster Linie um die Frage, ob überhaupt nachgerüstet werden soll oder ob diese Kernkraftwerke nicht auf Grund von Sicherheitsdefiziten abgeschaltet werden müssen. Das ist die klare Position bei uns, und wir werden sie auch in der DDR ohne Abstriche so durchsetzen.
({5})
Natürlich, meine Damen und Herren, steht im Mittelpunkt der Diskussion der Umweltzusammenarbeit mit der DDR die Energiepolitik. Die massiven Belastungen, die wir vorfinden, sind in hohem Maße gerade mit der Energiepolitik verbunden. Die dramatischen Belastungen aus 320 Millionen t Braunkohleverstromung sind dafür nur ein Indikator. Das hat nicht nur etwas mit Luftbelastung, sondern auch etwas mit den dramatischen Veränderungen der Oberfläche und der Zerstörung von gewachsenen Siedlungsräumen zu tun. Wenn wir wissen, daß dort heute 1 t Braunkohle mit 7 t Abraum verbunden ist
({6})
- die Tendenzen sind wesentlich weitergegangen als 1 : 5, aber ich gehe einmal auf Ihre 1 :5 ein -, dann haben wir immerhin eine Größenordnung von 1,5 Milliarden t Abraum pro Jahr, die dort bewegt werden, und die Bevölkerung ist einfach nicht mehr bereit, diese gewaltigen Belastungen in Kauf zu nehmen. Deswegen müssen wir nachhaltig dazu beitragen, daß der Braunkohleverbrauch rückläufig wird. 200 Millionen t sind schon erheblich viel.
({7})
Wir sind auch froh darüber, Herr Abgeordneter Lennartz, daß es in der Bundesrepublik Deutschland hervorragende unternehmerische Beispiele dafür gibt, daß man Braunkohlentagebau machen und rekultivieren kann.
({8})
- Ich komme noch dazu. Seien Sie ruhig! - Ich möchte Sie dabei aber gerne bitten, dann mit mir zu den Bürgern zu gehen, die in Gatzweiler II zu Protestkundgebungen aufrufen. Dann wissen Sie, welche Schwierigkeiten sich auch daraus ableiten.
({9}))
Dies, meine Damen und Herren, möchte ich deutlich gemacht haben, damit nicht der Eindruck entsteht, als sei das alles bei uns ganz problemlos und man bräuchte es nur zu übernehmen.
({10})
- Der Abgeordnete Schäfer geht immer dann auf das Abschweifen, wenn ihm sonst kein anderer Zwischenruf einfällt. Dies ist mir in dreistündiger Diskussion mit ihm schon bestens bekanntgeworden.
Lassen Sie mich abschließend doch noch folgenden Punkt festhalten. Wenn wir Energiepolitik und Umwelt sagen, dann steht für uns am Anfang aller Diskussion natürlich auch die Energieeinsparung in der DDR. Ich habe vorhin von einer großartig gestiegenen Effizienz der Energienutzung bei uns gesprochen. Ich muß heute schlicht und einfach sehen, daß die Energieeffizienz in der DDR katastrophal niedrig ist. Das bedeutet, daß man mit derselben Menge Primärenergie natürlich ungleich mehr Energiedienstleistungen produzieren könnte. Deswegen steht die Weiterentwicklung der Verteilernetze, der Industriestruktur, der schlichten Einspartechniken bis zum Ventil zum Abschalten von Heizungen mit im Vordergrund unserer Zusammenarbeit. Wir haben ein entsprechendes Einsparprojekt gerade im Großraum Berlin gemeinsam auch mit dem Berliner Senat mit zu unserem eigenen Projekt gemacht.
Insgesamt, meine Damen und Herren, belegt dieser Jahreswirtschaftsbericht, daß es der Bundesregierung gelungen ist, die Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Umweltbelastungen voranzubringen. Es ist gelungen, auch die Energieeinsparpotentiale bei uns weiter voranzutreiben. Es gibt keine Besorgnis der Art, daß wir vor den Umweltbelastungen durch wirtschaftliches Wachstum kapituliert hätten. Umweltpolitik muß zweifellos weiter vorangetrieben werden. Aber sie hat auch nach Aussage dieses Jahreswirtschaftsberichtes ein wichtiges Zwischenziel erreicht.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({11})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab eine Bemerkung machen. Ich bin seitens der CDU/CSU-Fraktion voller Angst gefragt worden, ob der Ministerpräsident des Saarlandes heute noch spricht.
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Er führt den Wahlkampf dort, wo er stattzufinden hat, bei den Menschen an der Saar und nicht hier im Deutschen Bundestag.
({1})
Das will ich auch als Kommentar zu dem Wahlkampfgeplänkel Müller ({2}) sagen.
({3})
Meine Damen und Herren, nach Lektüre des Jahreswirtschaftsberichtes und nach den Reden, die ich eben von der Regierung und von Herrn Töpfer gehört habe, habe ich gelernt: Wir sind im achten Jahr des Aufschwungs. Wir haben ein steigendes Bruttosozialprodukt, steigende Einkommen, steigende Investitionen und einen steigenden privaten Verbrauch zu erwarten.
({4})
Wir sind eine der reichsten Industrienationen der Welt.
({5})
Das sind angenehme Nachrichten.
({6})
Ich will jetzt nicht über den gesellschaftlichen Skandal der ungerechten Einkommensverteilung und der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit reden, um die das Gesamtwirtschaftsbild ergänzt werden muß, was Sie unterlassen haben. Ich möchte jetzt über die langen Schatten reden, die das achte Jahr des Aufschwungs auf unsere Umwelt wirft.
({7})
Ich möchte darüber reden, daß wir Sozialdemokraten diese Schatten nicht als zwangsläufig hinnehmen wollen. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, unsere wirtschaftliche Kraft mehr als bisher für die Erhaltung unserer Umwelt einzusetzen.
({8})
Ein Blick in den Jahreswirtschaftsbericht zeigt - da stimmen wir mit Ihnen überein - , ökonomisch wären wir dazu in der Lage. Aber es fehlt der Bundesregierung und vor allem Ihnen, Herrn Töpfer, die Kraft, das einzusetzen, was an ökonomischen Mitteln für die
Schäfer ({9})
Umwelt zu mobilisieren wäre. Auch im achten Jahr des Aufschwungs, meine Damen und Herren - da können Verbesserungen in Teilbereichen der Umweltbelastungen, beispielsweise bei der Verringerung von Schwefeldioxidemissionen, nicht hinwegtäuschen - hat sich nichts daran geändert, daß die jährlichen Umweltzerstörungen in der Bundesrepublik Deutschland über 100 Milliarden DM betragen,
({10})
mit steigender Tendenz. Rund 5 % unseres Sozialprodukts - das sind konservative, behutsame, vorsichtige Schätzungen, wie Sie wissen - gehen uns in der Bundesrepublik Deutschland - allein in der Bundesrepublik Deutschland! - jährlich verloren durch Waldsterben, Gewässerverschmutzung, Zerstörungen an Brücken, Denkmälern, an Wohnwertverlusten, durch Krach, Abgase und vieles mehr. Daneben, Herr Töpfer - das wissen Sie; auch wenn Sie es unterlassen haben, es darzustellen - nimmt es sich vergleichsweise bescheiden aus, daß in der Bundesrepublik Deutschland nach Berechnungen des Instituts der Wirtschaft von Unternehmen wie von den öffentlichen Gebietskörperschaften ganze 1,07 % des Bruttosozialproduktes für den Umweltschutz aufgewendet werden. Dieser Anteil ist zudem noch rückläufig.
Meine Damen und Herren, der Investitionsbedarf ist dabei riesig, wie Sie alle wissen. Nur für die Sanierung des Kanalnetzes, für die zweite und dritte Reinigungsstufe für Kläranlagen besteht in den nächsten Jahren allein in der Bundesrepublik Deutschland ein jährlicher Investitionsbedarf von 10 bis 15 Milliarden DM. Das sind behutsame Schätzungen des Deutschen Städtetages. Hinzu kommen Milliardenbeträge, die wir jährlich bei uns in der Bundesrepublik Deutschland für Altlastensanierung und Abfallentsorgung aufwenden müssen.
Wer, Herr Töpfer, wenn nicht die Bundesrepublik, kann und sollte im achten Jahre des Aufschwungs überhaupt in der Lage sein, diese notwendigen Investitionen zum Schutz der Umwelt aufzubringen?
({11})
Auch im achten Jahr des Aufschwungs, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wird noch lange nicht umweltschonend genug produziert, und es wird auch noch lange nicht so sauber produziert, wie es technisch möglich und ökologisch dringend geboten wäre.
Statt dessen waren die 80er Jahre ein Jahrzehnt globaler Umweltzerstörung. Die Ausdünnung der Ozonschicht liegt inzwischen bei 2 bis 10 % pro Jahr. Ein übermäßiger Ausstoß an Kohlendioxid und anderen Luftschadstoffen trägt, wie Sie wissen, in einem beängstigend ansteigenden Ausmaß zur Aufheizung der Erdatmosphäre, d. h. zur Gefährdung unseres Klimas bei, und das im achten Jahr des Aufschwunges. Vor wenigen Jahren äußerte sich das Bundesgesundheitsamt, eine der Bundesregierung nachgeordnete Behörde, besorgt darüber, daß praktisch das gesamte Gebiet der Bundesrepublik als dioxinbelastet gelten müsse. Wann, so fragen und drängen wir Sozialdemokraten, wenn nicht jetzt soll nach Meinung der Bundesregierung das große Projekt der umweltverträglichen Industriegesellschaft in Angriff genommen werden?
({12})
Bei dieser Bundesregierung, auch bei Ihnen, Herr Töpfer - das ist der zentrale Vorwurf an Sie -, liegen Welten zwischen wirtschaftlicher Rhetorik und verständlicher Freude - die wir teilen - über erreichten und zu erwartenden Wohlstand einerseits und Ihren tatsächlichen Kleinkrämerseelen andererseits, wenn es darum geht, Umweltpolitik durchzusetzen.
({13})
Im achten Jahr des Aufschwungs erzählen uns die Bundesregierung und dieser Bundesumweltminister, es sei nicht möglich, ein Bundesnaturschutzgesetz zu finanzieren. 120 Millionen DM seien in der Bundesrepublik angeblich nicht zu mobilisieren. Wann, wenn nicht jetzt im achten Jahr des Aufschwungs und bei diesen günstigen ökonomischen Daten, Herr Töpfer, wollen Sie jemals einen effektiven Naturschutz betreiben?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Schäfer, alles, was Sie jetzt zur Umweltpolitik und insbesondere zum Bereich Trinkwasser gesagt haben, spricht uns GRÜNEN voll aus der Seele. Ich frage Sie jetzt: Warum hat Ihre Fraktion weder im Umweltausschuß noch im Haushaltsausschuß unserem Bund-LänderProgramm zur Rettung des Trinkwassers, das Mehrausgaben des Bundes in Höhe von 7 Milliarden DM zur Folge hätte, zugestimmt, obwohl die Finanzierung, wie Sie es in Ihrem F 90, worin ökologische Abgaben vorgesehen sind, auch vorschlagen, gesichert ist? Warum haben Sie unserem Vorschlag nicht zugestimmt?
Liebe Frau Kollegin Vennegerts, wir haben hier als erste Fraktion ein auf 15 Jahre ausgelegtes 15-Milliarden-Programm zur Gewässersanierung und zum Gewässserschutz vorgelegt, das gezielt und beschleunigt Verminderungen der Belastung der Nordsee vorsieht. Im übrigen haben wir, wie Sie wissen, ein Gesamtkonzept vorgelegt, das dem Ihren ökologisch und ökonomisch so überlegen ist, daß es falsch gewesen wäre, Ihrem Teilkonzept zuzustimmen.
({0})
Mit der gleichen Halbherzigkeit, mit der Sie von der Regierung die notwendigen Umweltinvestitionen anpacken und den ökologischen Umbau zum zentralen Bestandteil der Wirtschaftspolitik machen, widmet sich der Jahreswirtschaftsbericht der Umwelt. Zu einer wirklichen Darstellung der ökonomischen Folgen aller Umweltzerstörungen, zu einem Überblick über das Ökosozialprodukt hat es wieder einmal nicht gereicht. Dafür aber werden im Jahreswirtschaftsbericht
Schäfer ({1})
ganz artig, auf naive Weise, theoretisch und abstrakt marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz beschrieben. Es fehlt auch nicht der Hinweis, daß knappe Umweltgüter, sprich: Umweltverschmutzung, teurer gemacht werden müssen und Umweltabgaben bzw. Umweltsteuern zum x-ten Mal geprüft werden sollen. Papier ist ja so geduldig. Wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen umzusetzen, wird es auf die längste Prüfungsbank Deutschlands geschoben, auf die Regierungsbank.
Herr Töpfer, wir haben kein so kurzes Gedächtnis. Immer dann, wenn es ernst werden sollte mit der leichtgängigen Formel „Umweltschutz darf es nicht zum Nulltarif geben", haben Sie gekniffen. Sie haben Abgaben im Abfallbereich und in der Luftreinhaltung abgelehnt. Sie haben unseren Vorschlag für eine Ökosteuer auf Energieträger abgelehnt. Ihre groß angekündigte CO2-Abgabe hat den Prüfungsvorgang bis jetzt noch nicht verlassen. Die Antwort der Bundesregierung vom 29. Dezember vergangenen Jahres auf unsere Anfrage, wie konkret denn die Überlegungen der Bundesregierung bezüglich einer möglichen CO2-Abgabe oder CO2-Steuer sind, ist ein Offenbarungseid für umweltpolitisches Nichtstun. Sie prüfen und prüfen und prüfen - so lange, bis der Umwelt tatsächlich nicht mehr in der notwendigen Schnelligkeit geholfen werden kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Nein, jetzt nicht mehr.
({0})
Wir werden auch das falsche Spiel - mein Kollege Schreiner wird darauf noch eingehen - , das die Bundesregierung, Herr Kollege Haussmann, im Augenblick mit der Kohle treibt, nicht mitmachen. Wer wie Minister Haussmann den nationalen Kohlekonsens in Brüssel verspielt, weil er sich auf eine Regelung nur bis 1991 einläßt, gefährdet die Existenz der Bergleute in den Revieren an Saar und Ruhr,
({1})
und der wird auch dafür bei den Landtagswahlen im Saarland und bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen die verdiente Quittung bekommen. So darf man mit Existenzfragen von Menschen nicht umspringen, wie es hier auch von diesem Rednerpult aus geschehen ist.
({2})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind - vermutlich wie Sie auch - erschrocken über den tatsächlichen ökologischen Zustand in der DDR. Die tatsächlichen Schäden übersteigen das befürchtete Ausmaß bei weitem.
({3})
- Trotzdem, verehrter Herr Zwischenrufer, dürfen
wir nicht so tun, als sei unsere ökologische Welt schon
deshalb in Ordnung, weil die ökologische Welt in der DDR noch viel schlimmer aussieht.
({4})
Dies ist keine verantwortliche Politik. Dies ist nur ein Alibi für das Unterlassen dessen, was hier notwendig und geboten wäre.
({5})
Der ökologische Umbau, der ökologische Neuanfang ist in beiden deutschen Staaten notwendig, in der DDR und bei uns. Dabei müssen wir nicht nur mit Mitteln der Wirtschaft, sondern auch mit Mitteln der öffentlichen Hände in der DDR helfen, und zwar möglichst schnell und möglichst wirkungsvoll helfen.
({6})
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß der ökologische Sanierungsbedarf in der DDR allein, was eine ökologische Energieversorgungsstruktur angeht, bei mindestens 200 Milliarden DM liegt. Die DDR wird neben dem Neuaufbau einer sozialen, einer ökologisch orientierten Marktwirtschaft in großem Umfang, stärker als bei uns, nachsorgenden Umweltschutz zu leisten haben. Gerade dort ist sie auf unsere Unterstützung angewiesen.
({7})
Herr Töpfer, bei aller Notwendigkeit, Pilotprojekte zu vereinbaren und Meßstationen einzurichten, frage ich Sie: Wo ist bis jetzt das Bündel der schnell wirkenden Maßnahmen, das in der DDR schnell dazu beiträgt, daß die Umweltbelastungen schnell reduziert werden können? Demonstrationsobjekte und Meßstationen, so nützlich sie sind, sind aber nur der Tropfen auf den heißen Stein.
({8})
Jetzt ist großzügige Hilfe angesagt, auch ökologische Hilfe, gerade auch ökologische Hilfe in der DDR, denn jede ökologische Verbesserung dort hilft den Menschen und der Umwelt in der DDR, hilft den Menschen und der Umwelt auch bei uns.
Im übrigen, meine Damen und Herren: Spürbare ökologische Verbesserungen in der DDR, in der Heimat der Bürger der DDR, können und werden den Menschen in der DDR auch Perspektiven zum Bleiben geben. Dies ist unsere Aufgabe, wenn wir es mit dem Ziel der staatlichen Einheit ernst meinen. Dann müssen wir den Bürgern in der DDR auch ökologische Perspektiven zum Bleiben anbieten.
Was Sie hier bislang auf den Weg gebracht haben, sind nur Brosamen, Herr Töpfer. Es müssen endlich in einem Gesamtkonzept schnell wirksame Hilfen dort angeboten werden.
Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Hauser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu meinen Vorrednern ein paar Bemerkungen machen.
({0})
Frau Skarpelis-Sperk, wenn Sie hier sagen, die Entwicklung unserer wirtschaftlichen Situation sei nur auf weltwirtschaftliche Ereignisse zurückzuführen,
({1})
und die Bundesregierung hätte mit ihrer Wirtschaftspolitik im Grunde zu dieser ganzen Entwicklung nichts oder nur ganz wenig beigetragen, dann ist es unlogisch, wenn Sie die nicht gelösten Probleme, z. B. der Arbeitslosigkeit und auch der Umwelt, ausschließlich der Bundesregierung anlasten und sagen: Das ist jetzt die Schuld der Regierung. Das gute, das kommt nicht von der Regierung, das kommt von der Welt, von allen Ecken und Kanten, aber die Probleme, die hat die Regierung verschuldet.
({2})
Zweitens, Herr Kollege Schäfer, zu Ihnen will ich auch noch eine Anmerkung machen. Sie haben hier eben so lauthals beklagt, was hier alles investiert werden müßte, wieviele Millionen ins Kanalnetz gesteckt werden müßten und wie schlimm das mit der Umwelt, mit der Luft und allem ist. Dann frage ich Sie: Ist Ihnen eigentlich diese ganze Problematik erst im Jahre 1983 bewußt geworden, oder gab es 13 Jahre vorher eine von Ihnen geführte Bundesregierung, die nicht einmal in der Lage war, die TA Luft zu erlassen,
({3})
viel weniger den Katalysator einzuführen und nennenswerte Umweltprobleme zu lösen.
({4})
- Aber selbstverständlich. Genauso ist das gewesen. Und jetzt stellen Sie sich hier hin und erzählen, wieviele Milliarden in Kanäle gesteckt werden müssen. Im übrigen ist das keine Angelegenheit der Bundesregierung, sondern da sollten wir zunächst einmal an die Gemeinden appellieren und fragen, wieviel dort im Kanalbau, bei der Sanierung der Kanäle, in all den zurückliegenden Jahren versäumt worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen ist schon vielfach die Entwicklung der letzten Jahre und der letzten Monate dargestellt worden, und wir können voller Stolz auf das zurückblicken, was hier wirtschaftspolitisch geschaffen worden ist. Ich will aus zeitökonomischen Gründen auf diese Thematik im Detail nicht eingehen. Dies hat hier schon hinreichend Beachtung gefunden. Ich will hier ein paar Bemerkungen zu Problemen machen, von denen ich meine, daß sie trotz aller guten Entwicklungen von uns besprochen werden müssen. Ich mache gar keinen Hehl daraus, daß die unbefriedigende Situation auf dem Arbeitsmarkt auch von uns als ein solches Problem gesehen wird.
Nur, meine Damen und Herren, dann sollten wir allerdings - wenn wir schon in diese Diskussion eintreten - auch ehrlich genug sein, zunächst einmal festzustellen, daß sich durch die Politik dieser Regierung die Zahl der Erwerbstätigen auf 28 Millionen
erhöht hat, auf eine Zahl, die es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat,
({5})
daß zusätzlich 1,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen wurden und daß wir heute nur noch 50 000 Menschen in Kurzarbeit haben. Aber die Frage der Langzeitarbeitslosen ist schwierig, und die Bundesregierung hat hier gehandelt. Nur, wir sollten gemeinsam versuchen, dieses Aktionsprogramm umzusetzen, um vielen Menschen, die gerade durch Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, aus ihrer Problematik herauszuhelfen.
In diesem Zusammenhang begrüße ich eine Passage, die im Jahreswirtschaftsbericht enthalten ist, nämlich daß auch die Rolle der Bundesanstalt für Arbeit bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen einer Überprüfung unterzogen wird.
Diese Diskussion haben wir seit vielen Jahren. Die alten Begründungen für das Vermittlungsmonopol aus den 20er Jahren haben heute überwiegend keine Gültigkeit mehr; jedenfalls gibt es Modelle, die auch schon entwickelt worden sind, um neben der Bundesanstalt privaten Vermittlern ein legales Betätigungsfeld zu eröffnen, ohne dabei schutzwürdige Belange arbeitsuchender Menschen zu gefährden. Deshalb bin ich froh, daß wir jetzt erstmalig hier einen solchen Prüfungsauftrag im Jahreswirtschaftsbericht haben.
Lassen Sie mich ein zweites Thema ansprechen, das die Mittelstandspolitik speziell betrifft und auch im Zusammenhang mit der Problematik in der DDR eine wichtige Rolle spielt. Das ist die Existenzgründungsförderung. In bin schon der Meinung, daß es notwendig ist, daß wir diese Instrumentarien bündeln und zu einem Programm aus einem Guß machen, so daß nicht wegen der unterschiedlichen Laufzeiten immer wieder Teile der gesamten Existenzgründungskonzeption in Frage gestellt und neu diskutiert werden müssen. Wir müssen das Eigenkapitalhilfeprogramm und alles das, was in diesem Zusammenhang notwendig ist, zusammenbringen und ein gesamtes Konzept entwicklen, in dem dann stabile Rahmenbedingungen festgestellt werden können, auf die man sich in Zukunft verlassen kann. Dann müssen wir nicht jedesmal diese ganzen Diskussionen wieder von neuem führen.
Im Zusammenhang mit dem Existenzgründungsprogramm möchte ich auch das Thema der Betriebsübernahmen ansprechen. Diese Betriebsübernahmen sind aus dem Existenzgründungsprogramm weitgehend herausgenommen worden. Meines Erachtens ist das nicht gerechtfertigt. Die Risiken bei einer Betriebsübernahme sind mindestens ebenso groß wie bei einer Neugründung. Deshalb sollten wir gemeinsam mit der Regierung überlegen, ob wir nicht die alten Förderkonditionen für Betriebsübernahmen wieder in diese Programme einführen.
Die Wirtschaftslage ist allgemein mehr als zufriedenstellend. Auf die Ursächlichkeit unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik ist bereits hingewiesen worden. Wir haben genügend Lebenserfahrung, um dafür keine überschwengliche Dankbarkeit bei den Bürgern zu erwarten. Aber gestatten Sie mir den Hinweis, daß es auf diesem Erfolgsweg nur mit dieser
Hauser ({6})
Regierung weitergehen kann. Deswegen ist es notwendig, daß wir den eingeschlagenen Weg konsequent und kompromißlos weiterführen,
({7})
damit wir nicht eines Tages ein böses Erwachen haben.
({8})
Diese Überlegung führt mich zum heute auch hier alles beherrschenden Thema dieser Tage, zum Zusammenwachsen Deutschlands. Dieser Prozeß weist nicht zuletzt entscheidende wirtschaftliche Komponenten und auch wirtschaftliche Schwierigkeiten auf,
({9})
die einzig und allein mit dieser Regierung und ihrer Politik zu meistern sein werden, Herr Kollege. Stellen wir uns diese Situation einmal zu Anfang der 80er Jahre vor, bei einer Bundesregierung mit ständig wachsenden Arbeitslosenraten, mit einem sinkenden Bruttosozialprodukt,
({10})
mit einer ausgereizten Staatsverschuldung und ohne Möglichkeiten, überhaupt noch wirtschaftliche Impulse zu vermitteln! Welchen Beitrag hätten wir denn leisten können, um in der DDR Verhältnisse herbeizuführen, wie wir sie alle wünschen?
({11})
Eine SPD-Politik wäre in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Stahl, völlig hilfsunfähig gewesen, weil sie überhaupt nicht über die Ressourcen verfügt hätte.
({12})
- Ich verstehe ja Ihre Erregung, das ist ja auch alles prima, das hört man ja auch alles nicht so furchtbar gern,
({13})
aber Tatsache ist, daß diese Regierung Hoffnungsträger für die Bürger in der DDR ist,
({14})
und das ist die entscheidende Voraussetzung, um die Entwicklung dort auch in Zukunft zu sichern.
({15})
Diese Regierung ist mit ihrer Politik überhaupt erst hilfsfähig geworden; Ihre Politik war ja nicht einmal mehr in der Lage, die Probleme in der Bundesrepublik zu lösen, viel weniger das, was in der DDR passierte.
({16})
Herr Kollege, einen Augenblick bitte.
Ich erteile zwei Ordnungsrufe. Herr Kollege Stahl, dies ist absolut unparlamentarisch gewesen; Sie haben zweimal etwas wiederholt. - Bitte, Herr Abgeordneter, widersprechen Sie mir nicht.
Ebenso erteile ich dem Herrn Kollegen Schreiner einen Ordnungsruf.
({0})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es richtig ist, daß wir uns hier auf unsere Kraft besinnen. Die Politik dieser Bundesregierung hat Gott sei Dank Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir überhaupt zur Hilfe für die DDR in der Lage sind. Daß wir willens sind, bedarf hier keiner besonderen Erwähnung.
Die wichtigste Voraussetzung, ja die einzige Chance für eine zügige Überwindung des politischen und wirtschaftlichen Chaos in der DDR muß aber zunächst dort selbst geschaffen werden, und das ist die konsequente und radikale Abwendung von jeder Spielart des Sozialismus.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine Beobachtung hinweisen, die ich in der letzten Zeit häufig gemacht habe. Plötzlich und im Zusammenhang mit den Umwälzungen in Ost- und Mitteleuropa ist vor allem in unseren elektronischen Medien die Rede davon, daß man in der DDR dabei sei, den Stalinismus zu überwinden. Man versucht jetzt, schnell den liebgewordenen Begriff des Sozialismus aus der Schußlinie zu ziehen, um ihn reinzuhalten.
Meine Damen und Herren, der Sozialismus ist dort gescheitert, und der Stalinismus ist nur eine Spielart dieses Sozialismus.
({0})
Insofern geht es hier nicht um Stalinismus, sondern es geht darum, die sozialistischen Strukturen, die die DDR in dieses Desaster hineingeführt haben, zu beseitigen und durch eine marktwirtschaftliche Ordnung zu ersetzen, die schon die Bundesrepublik Deutschland in die heutigen Verhältnisse geführt hat.
({1})
Der Ehrenvorsitzende der SPD hat vor nicht allzu langer Zeit gesagt, die Wiedervereinigung sei die Lebenslüge der zweiten deutschen Republik. Ich warne vor einer wirklichen Lebenslüge, nämlich der, daß es sich bei den Zuständen in den osteuropäischen Ländern bisher gar nicht um Sozialismus, sondern um Stalinismus gehandelt habe.
Was dort in diese Schwierigkeiten hineingeführt hat, ist die sozialistische Wirtschaftspolitik. Deswegen sollte man hier nicht den Stalinismus beiläufig zum Sündenbock machen, sondern man sollte erkennen, daß mit diesem Etikettenschwindel niemand darüber hinwegtäuschen kann, daß in Wirklichkeit der Sozialismus gescheitert ist.
Hauser ({2})
Schnelle und wirksame Hilfe verspricht einzig und allein die konsequente Übernahme unseres Modells der Sozialen Marktwirtschaft.
({3})
Deswegen, Herr Kollege Stratmann, auch wenn Sie das nicht gerne hören, wehre ich mich dagegen, wenn es heißt, wir sollten uns nicht einmischen und keine Ratschläge erteilen. Unsere Ratschläge und unsere Hilfen sind nicht ungebeten. Wer mit den Menschen in der DDR spricht, der weiß dies.
({4})
Eine in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt notwendig werdende Hilfe ist unser Beitrag zur Lösung der Probleme in der DDR.
Hier wird ja so viel von einem dritten Weg gesprochen. Auch Sie, Herr Stratmann, reden ständig vom dritten Weg.
({5})
Die Soziale Marktwirtschaft ist dieser dritte Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus.
({6})
Einen anderen, dritten Weg gibt es überhaupt nicht.
({7})
Nur dieser Weg hat bewiesen, daß er in der Lage ist,
({8})
die Probleme der Menschen zu lösen, die Freiheit des Bürgers zu sichern und Wohlstand herbeizuführen.
({9})
Wenn Sie einen anderen Weg wollen, dann müssen Sie unterscheiden, ob Sie Sozialismus wollen - das wird wahrscheinlich im Zweifelsfall so sein - oder ob Sie Kapitalismus wollen. Dann müssen Sie das ebenfalls deutlich sagen.
({10})
Unser System der Sozialen Marktwirtschaft
- daran ändert auch Ihr Geschrei nichts - hat bewiesen, daß es in der Lage ist, die Probleme unseres Landes nach dem verlorenen Krieg zu lösen, und die Marktwirtschaft wird auch die Probleme der DDR lösen, wenn wir auf dieser Linie konsequent fortschreiten.
({11})
- Ja, sicherlich, damit Sie erstens nicht einschlafen und zweitens endlich begreifen, was hier notwendig ist und sich nicht immer wieder in Ihren alten festgefahrenen Linien verklemmen und nicht wissen, was
nun eigentlich auch die Menschen in der DDR wollen. Sie wollen Marktwirtschaft, und sie wollen keine irgendwie verbrämten sozialistischen Modelle. Das ist Ihnen noch gar nicht so bewußt geworden. Darum sage ich das hier so deutlich, damit hier überhaupt kein Zweifel aufkommt.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen den Menschen in der DDR die Angst vor dem Abbau sogenannter Errungenschaften des Sozialismus, die ja immer wieder gepredigt worden sind - ich könnte mir vorstellen, daß auch Sie solche Errungenschaften noch predigen -, nehmen. Denn wenn sich die Verhältnisse drüben tatsächlich ändern sollten, dann brauchen wir neue Perspektiven. Diese Perspektive geben wir diesen Menschen, wenn wir ihnen statt der heute üblichen Renten von 400 bis 600 DM eine vernünftige Rente geben,
({13})
wenn wir den alten Menschen statt der baufälligen Pflegeheime ein angemessenes Krankenbett geben
({14})
und wenn wir geschiedenen Eheleuten nicht zumuten, noch jahrelang mit den neuen Ehepartnern in der alten Wohnung zu bleiben, weil keine Wohnungen zur Verfügung stehen.
({15})
Das sind doch die „Errungenschaften", die es dort drüben gibt. Ich glaube, daß allein unsere marktwirtschaftliche Ordnung in der Lage ist, die Probleme dort drüben zu lösen.
({16})
Deswegen werden wir alles daransetzen, dafür zu sorgen, daß die DDR möglichst bald Verhältnisse bekommt, die unsere deutschen Mitbürger dort drüben seit langem verdienen. Wir werden damit auch dazu beitragen, daß wir in der Frage der Wiedervereinigung der deutschen Staaten einen großen Schritt nach vorn machen, weil nur so auf Dauer die Probleme in Mitteleuropa insgesamt gelöst werden, auch im Blick auf die Fragen, die sich aus der Europäischen Gemeinschaft für uns ergeben.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenigstens ein Novum ist heute zu verzeichnen: Der Umweltminister hat in der Wirtschaftsdebatte gesprochen.
({0})
Das muß man wohl einmal anerkennen. Ich hoffe nur sehr, daß daran nicht nur der Wahlkampf im Saarland schuld ist.
({1})
- Ja, jetzt ist er wieder weg.
({2})
Seit 1982 ist das Bruttosozialprodukt um 21,6 % gestiegen. Das bedeutet, daß auch die Autoabgase und der Energieverbrauch in der Industrie zugenommen haben. Nur in den privaten Haushalten ist der Energieverbrauch gesunken, und das zeigt, daß die Menschen in unserem Lande bereit sind, ihren Beitrag zu leisten und vernünftig mit Energie umzugehen. Gewachsen sind aber auch die Müllberge, insbesondere die mit Giftabfällen. Dieses letztere Problem drängt sich immer mehr in den Vordergrund, nachdem jetzt auch der billige Müllschlucker DDR den Rachen voll hat.
Wie soll es also weitergehen? Augen geradeaus und weitermarschiert, das ist hier wohl die verkehrte Parole, Herr Hauser. Umweltschutz ist noch immer kein integraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik geworden, und echte, wirkungsvolle Maßnahmen, die an die Wurzel der Probleme gehen, sind nicht in Sicht. Die Interessen der Industrie stehen immer noch an erster Stelle, wie das Chemikaliengesetz und das Gentechnikgesetz oder die immer noch ausstehenden Produktionsverbote für FCKW oder PVC beweisen.
Deshalb möchte ich heute noch ein anderes Problem ansprechen. Auch der private Verbrauch steigt. Nach 1,6 % im Vorjahr wird nun mit einem Anstieg von 3 bis 4 % gerechnet. Je mehr Menschen aus der DDR zu uns kommen werden, desto höher wird der Konsum steigen - mit all seinen negativen Auswirkungen. Ich kann es diesen Menschen nicht verübeln, daß sie so sehr auf die bei uns angebotenen Produkte abfahren. Jahrelang haben ihnen das Fernsehen und der Besuch aus dem Westen mit seinen Reden vorgegaukelt, daß wir quasi im Paradies sind, und nun wollen sie natürlich daran teilhaben, was ganz verständlich ist. Dem Ozonloch jedoch sind die Beweggründe egal; es wird weiter wachsen.
Was also ist zu tun? Was ist not-wendend im wahrsten Sinne des Wortes? Wir brauchen nicht nur eine Energiewende, sondern ganz dringend auch eine Konsumwende. Um diese zu erreichen, bedarf es hier bei uns endlich einer ökologischen Preisreform.
({3})
Es ist für niemanden mehr einsehbar, daß umweltschädliche Produkte billiger sind als umweltschonende. Wertvolle Rohstoffe wie z. B. Aluminium werden mit hohem Energieaufwand zu Bierdosen verarbeitet, durch die ganze Bundesrepublik transportiert, und das Dosenbier ist im Geschäft dann billiger zu haben als das Flaschenbier von der Brauerei um die Ecke. Die Dosen vergrößern außerdem noch den Müllberg. Da stimmt doch schon längst etwas nicht mehr!
Warum ist das Autofahren trotz der bekannten gravierenden Umweltauswirkungen noch immer so viel
billiger als das Fahren mit der Bundesbahn? Für umweltverträgliche Waschmittel oder biologisch erzeugte Produkte muß viel mehr Geld hingelegt werden als für solche aus der normalen Produktion. Naturfarben und -lacke kosten ein Vielfaches der chemisch-synthetischen Produkte, obwohl diese Gesundheitsschäden verursachen und den Sondermüllberg vergrößern.
Es ist überhaupt nicht mehr zu verstehen, warum die Großabnehmer in Industrie und Wirtschaft quasi Mengenrabatt auf den Strom erhalten und zum Teil nur zwei Pfennig pro Kilowattstunde bezahlen müssen. Wo bleibt die ökologische Preisreform als Grundlage für eine umweltverträglichere Wirtschaftsweise?
Alle sind sich darüber einig, daß die Umgestaltung der Wirtschaft in der DDR und in Osteuropa mit einer Reform des dortigen Preissystems einhergehen müsse. Es wird aber vergessen, daß auch das marktwirtschaftliche Preissystem bei uns dringend unter Umweltgesichtspunkten renoviert werden muß. Steuern und Abgaben auf umweltbelastende Produktionsverfahren und Waren werden von den GRÜNEN seit 1983 gefordert. Als Beispiele nenne ich Primärenergiesteuer, Verpackungs- und Stickstoffabgabe, Abgaben für die Chlorchemie, Erhöhung der Mineralölsteuer und die Erhöhung der Abwasser- und Deponiegebühren. Das wäre Ökopolitik statt Ökorhetorik.
Die Preise würden dann dem Konsumenten und der Konsumentin endlich die Wahrheit sagen. Ökologisch ehrliche Preise sind besser als der Umweltengel und das wirkungsvollste Entscheidungsmittel beim Einkauf. Nur dann würden sich viele Probleme wirklich über den Markt regeln. Die Wirtschaft mit ihrer viel gelobten Dynamik würde sehr schnell auf verändertes Konsumverhalten reagieren; da bin ich mir ganz sicher.
Meine Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, unser Dilemma in den kapitalistischen Industrieländern ist jedoch die Tatsache, daß die Regierenden als Marionetten der Industrie nur solche Maßnahmen ergreifen, die den Wirtschaftsbossen in die Bilanzen passen.
({4})
Wir können und müssen deshalb von den Menschen in Osteuropa lernen. Sie zeigten uns, daß beim Versagen der Regierenden nur eine demokratische Einmischung hilft und wie wirkungsvoll ihre gewaltfreien Aktionen waren. Meine Hoffnung richtet sich deshalb immer mehr auf das Volk in der Bundesrepublik. Denn in der Bundesrepublik besitzt jeder Mensch wenigstens zwei Druckmittel, die ganz bewußt und gezielt eingesetzt werden müssen: die Stimme bei der Wahl und das Geld im Portemonnaie, d. h., ein Druckmittel für die Politik und ein Druckmittel für die Wirtschaft. Wer gezielt und bewußt nach ökologischen und sozialen Kriterien konsumiert, beeinflußt die wirtschaftliche Entwicklung, unterstützt verantwortungsvolle Firmen und leistet zusätzlich einen großen Beitrag zur Lösung der ökologischen Probleme.
({5})
Wir sind heute in der glücklichen Lage, daß es bereits ein breites Angebot von ökologisch und sozial verantwortbaren Produkten gibt, und auch das alternative Branchenbuch wird Jahr für Jahr dicker. Es gibt also demokratische und gewaltfreie Wege für Veränderungen hier bei uns.
Zum Schluß möchte ich gerne den viel strapazierten Begriff der Freiheit einmal anders definieren: Die meisten Menschen haben bei uns die Freiheit, nein zu Giftstoffen und Wegwerfprodukten zu sagen. Das heißt, wir haben die Freiheit, zu entscheiden, ob wir etwas kaufen, was wir kaufen und vor allen Dingen wo wir etwas kaufen. Dieser Freiheitsbegriff muß propagiert und diese Freiheit muß genutzt werden. Wir GRÜNEN werden alles daransetzen, damit immer mehr Menschen in der Bundesrepublik ihre Macht erkennen und sich aktiv einmischen. Wir brauchen eine Wirtschaftsreform.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einmal jährlich führen wir hier im Deutschen Bundestag eine große wirtschaftspolitische Debatte. Letztes Jahr ging der Jahreswirtschaftsbericht - um den es geht - fast unter; er wurde nur zwischen Tür und Angel behandelt. Dieses Jahr ist die Debatte insbesondere auf Grund der Entwicklung besonders interessant. Es ist auch bemerkenswert: Selten zuvor wurde das hohe Lied auf die Soziale Marktwirtschaft von allen Seiten so lautstark gesungen wie in den letzten Wochen und während der heutigen Debatte.
Die Sänger mit falschen Tönen, wie z. B. der SPD-Genosse von Oertzen und Co., die den Sozialismus noch bis vor wenigen Monaten lautstark huldigten, sind momentan aus dem Verkehr gezogen oder in der Versenkung verschwunden.
({0})
Wenn man Sie von der SPD so reden hört, meint man, Sie wollten uns, der CDU/CSU, die vor 40 Jahren mit einem Bundeskanzler Adenauer und einem Wirtschaftsminister Erhard dieses System schuf, das uns den großen Wohlstand brachte, das Urheberrecht hierfür streitig machen.
„Soziale Marktwirtschaft - der Weg, die Herausforderungen der 90er Jahre zu lösen" - so überschreibt die Bundesregierung diesen Jahreswirtschaftsbericht. Diesen Kernsatz hat die Bundesregierung zu Recht über den Jahreswirtschaftsbericht 1990 gesetzt. Viele ehemalige sozialistische Staaten wollen dieses System, das uns diesen Wohlstand gebracht hat, übernehmen. Einen sogenannten dritten Weg zwischen Markt und Planwirtschaft, wie Sie bzw. wie die GRÜNEN ihn definieren, gibt es nicht.
({1})
Wie hat kürzlich ein Ungar gesagt: „Wir wollen eine
Soziale Marktwirtschaft; denn wenn wir den dritten
Weg gehen, werden wir uns weiterhin auf dem Niveau der Dritten Welt bewegen und halten. "
({2})
Das sollte Ihnen zu denken geben.
Wahrlich, selten enthielt ein Jahreswirtschaftsbericht derart hervorragende Daten wie gerade in diesem Jahr.
({3})
Etwas weniger Zwischenrufe. Der Redner muß auch noch zu hören sein.
Ich darf mich bedanken, Frau Präsidentin. Aber dieses flegelhafte Benehmen der GRÜNEN sind wir ja gewöhnt.
({0})
Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben in den vergangenen Jahren ausgezeichnet gemacht. Mich freut besonders, daß gerade auch Sie, Herr Kollege Roth von der SPD, das in gewisser Hinsicht bestätigt haben. Wir stehen in einer ununterbrochenen Aufwärtsentwicklung. Die Prognosen für die Zukunft geben zu Optimismus Anlaß. Diese Regierung hat ihre wirtschaftspolitische Kompetenz viel besser unter Beweis gestellt als selten eine vor ihr.
({1})
Wir sind zur Zeit sogar in der Situation - das ist immer wieder festzustellen -, daß die Politiker vergessen bzw. bewußt darauf verzichten, überhaupt noch ein Wort zur Konjunktur zu verlieren, weil die Wirtschaft schlichtweg floriert. Ich meine aber, gerade auch in der jetzigen Zeit darauf hinweisen zu müssen, damit diese Tatsache auch wirklich allen bewußt wird. Schließlich ist diese Entwicklung keine Selbstverständlichkeit. Wäre es anders - Kollege Hauser hat vorhin bereits treffend darauf verwiesen -,
({2})
wäre der Schuldige sofort gefunden, nämlich die Bundesregierung. Nicht umsonst sagt ein Sprichwort: Der Erfolg hat viele Väter.
Jetzt rühmt sich jeder, seinen Beitrag dazu geleistet zu haben, daß es wirtschaftlich momentan so hervorragend läuft. Nein, diese Bundesregierung hat Rahmendaten geschaffen. Und in dieser Bundesregierung tragen gerade für die wirtschaftliche Entwicklung neben Bundeskanzler Kohl Finanzminister Waigel, aber auch Wirtschaftsminister Haussmann entscheidende Mitverantwortung.
({3})
Der Motor und das Rückgrat dieser Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist der Mittelstand, dem ich mich in meinem Redebeitrag besonders widmen möchte. Das wäre ohne marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen nicht möglich gewesen. Wir haben deshalb in erster Linie die Rahmenbedingungen für den Mittelstand verbessert. Ich möchte einige Stichworte anführen: eine Steuerentlastung in noch nie
dagewesener Milliardenhöhe, die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten, die Auslösung einer Welle von Existenzgründungen durch die ERP-Existenzgründungsprogramme und Eigenkapitalhilfeprogramme sowie die Einführung eines Existenzgründungssparens. Das Eurofitneßprogramm wurde aufgelegt. Die Privatisierung und die Entbürokratisierung wurden vorangebracht. Das Beschäftigungsförderungsgesetz wurde, weil es eine vernünftige Maßnahme aus den vergangenen Jahren war, verlängert.
({4})
Die längst fällige Gesundheitsreform, die Sie lange haben schleifen lassen - das hat uns insgesamt in dieses Dilemma gebracht, hat zu diesen Problemen geführt - , wurde durchgeführt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Briefs?
Gerne, wenn das nicht angerechnet wird.
Aber nein.
Herr Kollege, eine kurze Frage: Wie erklären Sie sich angesichts Ihrer Ausführungen, daß in den letzten acht Jahren ca. 100 000 kleine und mittlere Unternehmen Konkurs gemacht oder Vergleich angemeldet haben?
({0})
Es gibt einen gewissen Strukturwandel. Den hat es in der Vergangenheit gegeben, den wird es auch in der Zukunft geben. Aber Ihnen möchte ich nur sagen, daß der Drang in die Selbständigkeit gerade im letzten Jahr so stark war wie in den vergangenen zehn Jahren nicht. Allein 36 000 bis 38 000 Handwerker haben erklärt, sie wollten sofort nach ihrer Meisterprüfung in die Selbständigkeit gehen und das Risiko der Selbständigkeit auf sich nehmen, obwohl solche komischen Töne von den GRÜNEN immer wieder in der Öffentlichkeit zu hören sind.
({0})
Ergänzend zu dem, was ich ausführte, möchte ich aber noch sagen, daß gerade die Novellierung des Kartellrechts ein entscheidender Beitrag dazu war - und darum geht es uns auf Grund des Sozialen in der Marktwirtschaft in erster Linie -, den kleinen und den mittleren Betriebsinhaber zu stützen, wenn er den Wettbewerbsverzerrungen als solchen zu sehr ausgesetzt ist und diesen nicht mehr standhalten kann.
({1})
Ich möchte deshalb an Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Bitte richten, eine notwendige Korrektur auch beim UWG vorzunehmen, die dringend erforderlich ist, weil die Rechtsprechung dem Willen des Gesetzgebers eben nicht Rechnung trägt, sondern diese Aussage von uns unterläuft.
({2})
Und hier geht es mir um das Selbstverständnis des Parlaments: daß wir das Notwendige an Korrekturen hier möglichst bald vornehmen, damit die Gerichte in Zukunft in unserem Sinne entscheiden können.
Meine Damen und Herren, wir erleben heute wieder eine Renaissance des Mittelstandes. Ein vitaler, motivierter und zu Investitionen bereiter Mittelstand ist, wie die Praxis belegt, durch nichts zu ersetzen.
({3})
Und ich darf ergänzen: Nach ersten Hochrechnungen zeigt sich, daß es im vergangenen Jahr 332 000 Existenzgründungen gegeben hat, denen nur 262 000 Liquidationen gegenübergestanden haben. Das ergibt Gott sei Dank einen Positivsaldo von ca. 70 000 Gründungen. Über 13 000 Gründungen wurden mit dem ERP-Existenzgründungsprogramm gefördert, fast 9 000 Gründungen erfolgten mit dem Eigenkapitalhilfeprogramm. Bei diesem Programm ergibt sich angesichts der eingesetzten Fördermittel, daß jeder neue Arbeitsplatz mit öffentlichen Mitteln in Höhe von 600 DM jährlich für einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert wird. Und da möchte ich die Gegenrechnung aufstellen und den Beweis erbringen, wie sinnvoll und vernünftig es ist, dieses Eigenkapitalhilfe- und Existenzgründungsprogramm weiterzuführen: Ein Arbeitsloser kostet uns durchschnittlich in etwa 25 000 DM jährlich, eine ABM-Stelle sogar 39 000 DM. Deshalb: Geben wir der Wirtschaft subsidiär die Möglichkeit, Arbeisplätze vermehrt zur Verfügung zu stellen! Dann sind wir weiterhin auf dem richtigen Weg.
({4})
Die Arbeitsstättenzählung hat 1987 ergeben, daß sich die Zahl der Arbeitsstätten gegenüber 1970 von ca. 2,3 Millionen auf ca. 2,6 Millionen erhöht hat. Hinter dieser Zahl stecken auffällige Gewichtszunahmen der kleinen und mittleren Unternehmen. Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeit kommt zu dem Ergebnis, daß in den Jahren von 1977 bis 1985 in den Betrieben mit 500 Beschäftigten 225 000 Arbeitsplätze abgebaut wurden, in den mittleren Betrieben aber - zwischen 20 und 500 Beschäftigten - der Arbeitsplatzbestand unverändert blieb und vor allem bei den Kleinbetrieben - bis zu 20 Beschäftigten -580 000 Arbeitsplätze neu entstanden sind.
Gerade Sie von der Opposition sollten wissen, daß die Trendwende in der Mittelstandspolitik die Wachstumspolitik in der Bundesrepublik Deutschland nach sich zog. Statt aber nun alles daran zu setzen, die Bundesrepublik Deutschland international wettbewerbsfähig zu halten oder diese Wettbewerbsfähigkeit gar auszubauen, soll die Belastbarkeit der Wirtschaft erneut einem Härtetest unterworfen werden. Ich verstehe nicht - das zeigt sich ja momentan bei den beginnenden Tarifverhandlungen -, daß die Gewerkschaften an diesem Härtetest weiter arbeiten, indem sie ihre Forderung nach der 35-Stunden-Woche für alle nach wie vor unbeirrt vertreten. Wir haben international die kürzeste Arbeitszeit. Mehr Arbeitsplätze durch kürzere Arbeitszeit - diese Rechnung kann besonders im wirtschaftlichen Mittelstand nicht aufgehen.
({5})
Arbeitskräfte für fast 89 % der freien Stellen fehlen in diesem Mittelstand, der schon in der Vergangenheit die zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen hat.
Wichtige Rahmendaten für die Zukunft setzen die Tarifparteien. Die Vereinbarung pauschaler Arbeitszeitverkürzungen wäre kontraproduktiv. Möglich ist meiner Meinung nach eine Flexibilisierung der Jahresarbeitszeit, die die Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet. Wie allgemein bekannt ist, treten in verschiedenen Branchen saisonal bedingt Spitzen auf. Hier könnte eine Flexibilisierung der Arbeitszeit Abhilfe schaffen, z. B. im Baugewerbe: längere Arbeitszeit im Sommer und dafür zusätzliche Freizeit im Winter oder Herbst; oder z. B. im Konditor- und Bäckerhandwerk: längere Arbeitszeiten vor Weihnachten und vor Ostern und dafür zusätzliche Freizeit im Sommer bzw. zur Faschingszeit.
Auch der Bereich der Gastronomie könnte hier neben anderen genannt werden. Wer sich dieser Forderung nach Flexibilisierung widersetzt, muß wissen, daß er weder Arbeitsplätze schafft noch langfristig in der Lage sein wird, die kurze Jahresarbeitszeit, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, wo wir Weltmeister sind, auf Dauer zu sichern.
({6})
Insbesondere die Gewerkschaften müssen auf dem Teppich bleiben. Denn die Wirtschaft muß stark und die Finanzen müssen gesund bleiben. Anders sind die außerordentlichen Herausforderungen durch die Entwicklungen in der DDR und in Mittel- und Osteuropa nicht zu bewältigen. Es gibt angesichts der Hinterlassenschaft von 40 Jahren SED viel zu tun. 40 Jahre SED, das hieß, wie Tyll Necker so treffend formulierte: Trümmer schaffen ohne Waffen.
({7})
Kommunistische, sozialistische, real sozialistische Wirtschaft und was es noch alles an Begriffen für Plan- und Funktionswirtschaft gibt, haben abgewirtschaftet.
({8})
Sie sind heute Synonyme für Versagen, Mißwirtschaft, Korruptheit, Bevormundung usw.
({9})
Das haben Sie von der SPD - darum Ihre Zwischenrufe - natürlich noch nicht begriffen. Denn Ihr Fraktionsvorsitzender Vogel, der dieser außerordentlich wichtigen Wirtschaftsdebatte nur eine halbe Stunde beigewohnt hat,
({10})
hat im vergangenen Jahr, vor drei Monaten, an dieser Stelle noch gesagt, der demokratische Sozialismus sei eine Leitidee, die an Bedeutung und Anziehungskraft gewinnen werde. Ich kenne die Welt nicht mehr. Meine Kollegen von der SPD, einmal wird so gesagt, und das andere Mal wird anders gesagt. Dann nehme ich Ihr Programm unter die Lupe. Dort wird zirka
zehnmal das Wort „demokratischer Sozialismus" aufgegriffen und gepriesen.
({11})
Das paßt mit der Sozialen Marktwirtschaft als solcher nicht mehr zusammen. Sozialistische Marktwirtschaft gibt es nicht. Es gibt nur entweder Soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft,
({12})
und gegen letztere wehren wir uns entschieden.
({13})
Heute setzt sich in ganz Europa eine Idee durch: die der Sozialen Marktwirtschaft. Wenn der Unternehmer nicht frei entscheiden kann, was er produziert, und dem Verbraucher vorgeschrieben wird, was er kaufen kann, dann wird die Eigeninitiative erstickt, und der wirtschaftliche Niedergang ist eingeleitet. Wirtschaftlicher Erfolg und alles, was darauf aufbaut, kommt nicht automatisch. Die Soziale Marktwirtschaft ist keine Schönwetterveranstaltung. Hier muß alles mühsam und hart erkämpft werden.
({14})
Nach wie vor gilt folgender Dreiklang. Gewinne sind Investitionen. Investitionen sind Beschäftigung und Einkommen.
Die Wende in der DDR, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bringt natürlich auch Herausforderungen für den Mittelstand. Ich begrüße, daß z. B. das Handwerk seine Hilfe angeboten hat, den Mittelstandsbazillus in die DDR zu tragen, also dorthin, wo der totalitäre Staatsapparat als Ziel erkoren hatte, Mittelstand, freies Unternehmertum und Eigentum auszurotten. Dem Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Dr. Schnur, den ich gestern bei einer Veranstaltung hören konnte, ist zuzustimmen, wenn er von uns in der Bundesrepublik Deutschland erbittet: Lassen Sie die Leute in Ihren Betrieben Leistungsfähigkeit erleben und sich weiterbilden. Ich nehme das gern auf und möchte an die vielen Betriebsinhaber appellieren: Kommen Sie diesem Wunsch nach. Geben Sie den Mitbürgern aus der DDR die Möglichkeit, das zu vollziehen, was Dr. Schnur hier angesprochen hat.
({15})
Ich meine auch, bestehende Barrieren müssen abgebaut werden. Die Gewerbefreiheit ist schnellstmöglich zu verwirklichen. Joint-ventures müssen erleichtert, Privateigentum, Investitionsfreiheit, Mehrheitsbeteiligung und Gewinntransfer müssen ermöglicht werden. Die DDR-Regierung muß aber wissen, daß Investitionsentscheidungen der Unternehmen primär von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen abhängig sind. Die Anwendung der verschiedenen Existenzgründungsprogramme, die wir bei uns haben, können echte und wichtige Impulse bringen. Die Sanierung und Reformierung der DDR-Wirtschaft ist nämlich
nicht mit staatlicher Hilfe, sondern nur mit der Mobilisierung des privaten Investitionskapitals möglich. Ich möchte deshalb an Sie die Bitte richten, Herr Bundeswirtschaftsminister, erst dann Hilfen für Existenzgründungen in der DDR freizugeben, wenn in steuerlicher Hinsicht Korrekturen nach unten vorgenommen worden sind. Bei 90 % Steuerbelastung kann sich kein Betrieb entwickeln. Das ist auch kein Anreiz, in die Selbständigkeit zu gehen.
Wenn, wie Kollege Stratmann vorhin gesagt hat, ein westdeutscher Unternehmer sagt: 49 % Beteiligung reichen aus, weil sonst die DDR ausverkauft wird, fällt er denen drüben in den Rücken, die es besser haben wollen. Mit einer solchen Redensart ist das Ausbluten der DDR nicht zu verhindern. Wir wollen hier einen anderen Weg gehen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Auch in regionalpolitischer Hinsicht wurde Hervorragendes seitens dieser Bundesregierung geleistet. Ich komme aus einem strukturschwachen Bereich mit einer vernünftigen, tüchtigen Landesregierung. Die hat die Arbeitslosenzahl in meinem Bereich fast um die Hälfte reduziert. In anderen Bereichen, wo vielleicht die Falschen dran sind, ist dieses nicht der Fall. Deshalb, Herr Bundeswirtschaftsminister: Halten Sie an dieser Regionalpolitik als solcher fest. Halten sie auch fest an der Zonenrandförderung, die gerade zum jetzigen Zeitpunkt mehr als dringend erforderlich ist, wo zwischen hüben und drüben das eine oder andere noch nachgeholt werden muß.
({16})
Das ist in der heutigen Zeit eine zwingende Notwendigkeit, wenn es darum geht, die Herausforderungen, die uns ins Haus stehen, auch bewältigen zu können.
Ich darf mich für die Aufmerksamkeit herzlich bedanken.
({17})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich an dieser schlagwortartigen Diskussion, wie sie hier von den Koalitionsfraktionen geführt worden ist, nicht beteiligen. Ich glaube, das trägt nicht zur Weiterbildung der Öffentlichkeit bei, sondern es vernebelt die Geister.
({0})
Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie den Leuten immer wieder Ihre penetranten Schlagworte um die Ohren hauen. Es bringt wirklich nichts ein.
({1})
Man kann in der kurzen Redezeit, die hier zur Verfügung steht, nicht alles kritisieren, was an diesem Jahreswirtschaftsbericht und an der Politik dieser
Bundesregierung im wirtschaftlichen Bereich zu kritisieren wäre.
({2})
Aber ich will einige wichtige Punkte kurz vortragen und noch einmal deutlich machen, daß es wirklich nicht angeht, in einer derartigen Weise, wie die Regierung das tut, eine Sache hochzujubeln und überhaupt nicht auf die wirklich gravierenden Probleme in unserer Gesellschaft hinzuweisen.
Ich möchte zunächst einen formalen Punkt aufgreifen: Die Abgeordneten haben am Montag dieser Woche den Jahreswirtschaftsbericht bekommen - wenn sie privilegiert waren. Der Jahreswirtschaftsbericht ist am Montag im Kabinett behandelt worden. Am Freitag davor hat Herr Schlecht, der zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, ein internes Pressegespräch über den Jahreswirtschaftsbericht geführt und dafür gesorgt, daß die ersten Meldungen schon am Samstag aus der Presse zu entnehmen waren. Ich kann dazu nur sagen: Diese Umgehensweise mit dem Deutschen Bundestag geht nicht.
({3})
Der Bundeswirtschaftsminister kann nach der Besprechung im Kabinett eine Pressekonferenz machen, das ist sein gutes Recht, aber, bitte sehr, erst nachdem auch wir Abgeordneten die Möglichkeit gehabt haben, in diesen Jahreswirtschaftsbericht hineinzublikken. So geht das nicht. Das ist eine Unsitte, die im Wirtschaftsministerium eingerissen ist, und die muß geändert werden.
({4})
Wir Sozialdemokraten freuen uns über die konjunkturelle Entwicklung. Die Zahlen sind beständig seit sieben Jahren etwas nach oben gegangen. Aber ich sage Ihnen: Die Entwicklung in allen westlichen Industrienationen war ausgesprochen gut. Nicht nur bei uns, sondern überall in den OECD-Ländern hat es kräftigen Aufschwung gegeben.
({5})
Die Wurzeln für diesen Aufschwung wurden schon 1982 gelegt,
({6})
als die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen überdurchschnittlich gestiegen sind. Aber vor allem greift diese Bundesregierung auf ein ungewolltes Konjunkturprogramm durch die Ölpreissenkung von 30 Milliarden DM alljährlich zurück, was sie wirklich nicht verdient hat, aber was ihr kostenlos gewissermaßen in den Schoß gefallen ist.
({7})
Wir haben seinerzeit in der sozialliberalen Koalition den Schutt der Ölpreisexplosion weggeräumt, und Sie profitieren jetzt von der enormen Preissenkung.
({8})
- Ich gönne Ihnen manches. Aber Sie sollten das dann auch ehrlich ansprechen.
({9})
Auch darüber wird im Jahreswirtschaftsbericht kein Wort gesagt. Das ist nicht in Ordnung.
Es kommt hinzu, daß der Binnenmarkt 1992 aus unserer Sicht eine Idee ist, die der Wirtschaft durchaus Dynamik verliehen hat.
({10})
Genauso ist es mit der Entwicklung in der DDR. Ich glaube nicht, daß auf die deutsche Bevölkerung große Belastungen zukommen, sondern ich glaube, daß auf diese Art und Weise eine neue Schubkraft für die wirtschaftliche Entwicklung ausgelöst worden ist.
Tatsache ist auf alle Fälle: Wenn Sie sich, bitte sehr, einmal die internationalen Daten ansehen, die Sie dem Sachverständigengutachten entnehmen können, dann hatten wir bei einem Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den zehn wichtigsten Industrienationen bezüglich der Preisentwicklung, Beschäftigung, Leistungsbilanz und Einkommensentwicklung noch bis zu den 80er Jahre eine Spitzenstellung. Mittlerweile sind wir in das Mittelfeld zurückgefallen. Die Bundesregierung hat die guten Chancen, die die Konjunktur bietet, offenbar nicht richtig genutzt.
Ein Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den zehn wichtigsten Industrienationen zeigt: Großbritannien und die Vereinigten Staaten, aber auch Frankreich sind mit dem Problem der Arbeitslosigkeit besser fertiggeworden als die Bundesregierung. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts war in Frankreich, Belgien, in den Niederlanden und den USA deutlich höher als in der Bundesrepublik. Vergleichen wir die Realeinkommen der unselbständig Beschäftigten, dann stellen wir fest, daß diese in Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten stärker stiegen als bei uns.
({11})
Ich stelle noch einmal fest: Die konservative Regierung hat die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre verschlafen. Sie hat sie nicht richtig genutzt. Einige wenige haben davon profitiert; die breiten Schichten haben nichts abbekommen.
Selbst nach sieben Jahren Konjunkturaufschwung, meine Damen und Herren, haben wir zur Zeit immer noch erhebliche wirtschaftspolitische Probleme. Auch das läßt sich doch nicht leugnen. Ich erinnere an die Massenarbeitslosigkeit. Immer noch 2 Millionen Menschen sind in dieser Republik arbeitslos. Da bringt es überhaupt nichts ein, wenn man über die Statistik schimpft oder wenn man möglicherweise das Monopol der Arbeitsvermittlung kaputtmachen will. Das löst das Problem überhaupt nicht. Sorgen Sie dafür, daß Arbeitsplätze geschaffen werden! Das wäre das Gebot unserer Zeit.
({12})
Ich erinnere auch an die Einkommensverteilung - Wolfgang Roth hat schon davon gesprochen - : Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen ist gegenüber dem von vor sieben, acht Jahren um 7 % gesunken. Wenn die Relation konstant geblieben wäre, hieße das, daß die breiten Schichten etwa 100 Milliarden DM mehr zur Verfügung haben müßten, als sie zur Zeit zur Verfügung haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsidentin, es tut mir furchtbar leid, aber die Zeit ist knapp, und das ergibt keinen Sinn.
Schließlich das Problem der Leistungsbilanz. Auch hier haben wir einen Überschuß von 115 Milliarden DM erwirtschaftet - die USA haben ein etwa vergleichbares Defizit -, aber wir schippen unser Geld ins Ausland. Das ist die Gegenposition. Wir hätten es hier in sinnvollen Infrastrukturmaßnahmen anlegen können.
({0})
Schlimmer ist es allerdings noch mit den Vereinigten Staaten - das gebe ich gerne zu -; denn sie finanzieren ihr Defizit durch Geld aus der Bundesrepublik und aus den Entwicklungsländern. Das ist nun völlig verfehlt. Aber beide Länder - die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten - entpuppen sich als weltwirtschaftliche Störenfriede.
Ich glaube, Wirtschaftsminister Haussmann hat manche Fehler gemacht. Er hat vielleicht auch bestimmte Leistungen vollbracht; das will ich überhaupt nicht bezweifeln.
({1})
Aber er hat manche Fehler gemacht. Ich werfe ihm erstens vor: Es mangelt ihm an Durchsetzungsvermögen. Ich werfe ihm zweitens vor: Er kümmert sich manchmal um Dinge, für die er überhaupt nicht zuständig ist.
({2})
Ich werfe ihm drittens vor, falsche Hoffnungen zu wecken. Viertens, glaube ich, fördert er die Konzentration und nicht etwa den Wettbewerb in dieser Gesellschaft.
({3})
Ich komme zum ersten Punkt. Der schlimmste Fehler dieser Bundesregierung im Bereich der Ordnungspolitik war die Genehmigung für die Mammutfusion Daimler-Benz/MBB.
({4})
Hier sollten Sie zugeben, daß Sie eine Fehlentscheidung getroffen haben. Ich glaube, Herr Haussmann, Sie haben das Recht verloren, sich in Zukunft als Hüter einer marktwirtschaftlichen Ordnung aufzuspielen.
({5})
Erlauben Sie mir aus meiner Sicht die Anmerkung: Daß Sie jetzt kleinkariert die Fusion MAN/Sulzer verbieten, ein Volumen um ein Tausendfaches niedriger, zeichnet Sie auch nicht besonders aus, sondern zeigt nur, daß es Ihnen an bestimmter ordnungspolitischer Gelassenheit fehlt.
Schließlich: Sie haben wiederholt auch hier Eingriffe in die Tarifautonomie vorgenommen. Wir wissen mittlerweile alle, daß die Tarifverhandlungen weitgehend öffentlich geführt werden. Sie schlagen sich immer einseitig auf die Seite der Arbeitgeber. Ich finde, dies geht nicht. Für mich und für uns Sozialdemokraten ist die Tarifautonomie ein Eckpfeiler unserer Wirtschaftsordnung, und wir lassen uns diesen nicht kaputtmachen, auch nicht von einem Wirtschaftsminister Haussmann.
({6})
Ein weiterer Punkt, an dem es Ihnen an Durchsetzungsfähigkeit mangel. Sie haben ein Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes eingebracht. Wir haben das begrüßt, wir würden Sie sogar unterstützen. Damals waren Sie unter Druck der Vereinigten Staaten. Sie haben angekündigt, am 1. Januar 1990 würde dieses im Gesetzblatt stehen. Es steht immer noch nicht drin, weil Sie offenbar nicht in der Lage sind, Ihre Ansicht in den Koalitionsfraktionen durchzusetzen. Auch hier muß ich Ihnen sagen: Sie haben Versprechungen gemacht, aber Ihre Ankündigungen stimmen nicht. Es wäre sinnvoll und richtig, wenn Sie für Ihre Position wirklich kämpfen würden. Das würde ich respektieren. Aber ich habe bisher noch keinen Beamten Ihres Hauses gesehen, der sich für diese Änderung des AWG in dem von Ihnen vorgelegten Sinne eingesetzt hat.
Letztlich zu dem, wo Sie falsche Hoffnungen wekken, Herr Minister. Sie haben in der Sache DDR manche Schlagzeile produziert. Ich sage Ihnen: Ich halte es auch für richtig, daß wir uns primär um die kleinen und mittleren Unternehmen kümmern. Auch wir würden das wohl tun. Wir glauben nur, wir müßten uns auch hier, in der Bundesrepublik Deutschland, verstärkt um kleine und mittlere Unternehmen kümmern und nicht nur in der DDR, und da mangelt es manchmal bei Ihnen. Aber tun Sie doch nicht so, als wenn Sie denen morgen helfen könnten. Wo ist denn z. B. das Konkursrecht, das notwendig wäre, wo ist das Handelsgesetzbuch, das notwendig wäre, um diese Ordnung zu installieren, wo sind die entsprechenden Banken, wo sie etwa ihre Kredite geltend machen können? Nein, Herr Minister, es wird viel geredet, aber es wird nicht gehandelt.
({7})
Ich glaube, meine Damen und Herren - das habe ich in Gesprächen wiederholt gehört - : Die kleinen und mittleren Unternehmen in der DDR wählen in der Tat die Sozialdemokraten.
({8})
Das begrüßen wir außerordentlich. Die kleinen und mittleren Unternehmen hier sollten auch verstärkt Sozialdemokratie wählen, dann würden sie die wahren Interessenvertreter für ihre Belange wirklich unterstützen.
({9})
Ich habe auch überhaupt keine Hemmungen, von Sozialer Marktwirtschaft zu sprechen. Zunächst einmal ist es ein Begriff. Es geht darum, ihn mit Leben zu erfüllen.
Ich will zum Schluß nur noch sagen: Für uns ist das Soziale an der Marktwirtschaft ganz furchtbar wichtig. Ich füge hinzu, Haus Hauser: Leider hat diese Regierung, die Sie auch mit repräsentieren oder unterstützen, dieses Soziale in der letzten Zeit kräftig demontiert.
({10})
Für uns ist auch der Wettbewerb, das Dezentrale in dieser marktwirtschaftlichen Ordnung, ganz besonders wichtig. Wir haben entsprechende Gesetze vorgelegt, um den Wettbewerb abzusichern. Sie haben das mit links zur Seite gefegt. Vor allem haben Sie mit Ihrer Politik die Konzentration gefördert. Sehen Sie sich einmal die entsprechenden Daten im Kartellbericht an! Noch nie gab es so viel Unternehmenszusammenschlüsse wie im vergangenen Jahr. Dies ist ständig gestiegen, eine ganz schlimme Entwicklung. Meine Damen und Herren, wenn das so weitergeht, dann vermute ich: Der Karl Marx wird mit vielen seiner ökologischen Thesen in der DDR widerlegt, gar keine Frage, aber hier könnte die Konzentrationstheorie von Karl Marx durchaus Wirklichkeit werden. Dagegen gilt es anzugehen. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit.
Schönen Dank.
({11})
Jetzt hat das Wort Herr Abgeordneter Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jens, so falsch Ihre Analyse war, sie war zumindest sachlich vorgetragen.
({0})
Gespräche mit politisch Verantwortlichen aus Polen und Ungarn, die wir alle in den letzten Tagen geführt haben - gestern war eine Abordnung von zehn Vertretern der Solidarność hier - zeigen, daß die Menschen in diesen Ländern angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme immer größere Sorgen empfinden. Vor allen Dingen in Polen und Ungarn haben die Regierungen mit den durchgeführten Reformen einen ungeheuren Mut bewiesen. Gleichzeitig mit der Umgestaltung der Staaten zu pluralistischen
Demokratien haben sie bei der Veränderung der Wirtschaftsordnung der Erwartungshaltung der westlichen Welt entsprochen. Sie haben die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verwirklichung der Marktwirtschaft geschaffen. Die Menschen hoffen jetzt auf die Erfolge der Marktwirtschaft. Das vereinigt sie mit unseren Landsleuten in der DDR.
Wir wissen - das wissen auch die Menschen in der DDR und in den anderen ehemals sozialistischen Ländern -, daß der Weg zur Marktwirtschaft hart und steinig sein wird. Er wird den Menschen weiter noch viele Opfer und Entbehrungen abverlangen. Aber, meine Damen und Herren, wir können nicht deutlich genug immer wieder betonen: Dieser Weg wird erfolgreich sein, und es gibt dazu keine Alternative. Die Belastungen, welche die Menschen zu tragen haben, werden nicht einfach sein. Es wird auch nicht immer einfach sein, ihnen die Notwendigkeit für die Reformen zu vermitteln. Sie haben seit Jahren unter einem ungeliebten Zwangssystem gelitten, und sie wollen jetzt mehr als Verbesserungen der politischen Situation. Sie wollen auch die materielle Situation verbessern.
In Gesprächen mit den Verantwortlichen der inzwischen nicht mehr sozialistischen Länder hört man immer ängstlicher die Frage, ob wir in der Bundesrepublik angesichts der vielfältigen Erwartungen aus der DDR überhaupt noch in der Lage sein werden, anderen Ländern zu helfen, die dem Sozialismus abgeschworen haben. Um diese immer wieder geäußerte Sorge zu nehmen, erkläre ich hier und heute auch für die CDU/CSU ohne Wenn und Aber: Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrer Haltung, durch massive Unterstützung zur Stabilisierung des Reformprozesses in den ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Südosteuropas beizutragen.
Meine Damen und Herren, als Berliner Abgeordneter freue ich mich, daß Berlin immer mehr das Zentrum der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Ost und West werden kann. Die letzten Wochen haben bewiesen, mit welcher Vitalität - trotz einer unmöglichen Regierungskoalition - die neuen Herausforderungen angenommen werden. Aus dem Standortnachteil Berlins wird in zunehmendem Maße ein Vorteil.
({1})
- Der arme Kerl tut mir leid, in solcher Regierung arbeiten zu müssen. Ich kann mir vorstellen, er sehnt sich sehr häufig an seinen Sitz hier zurück, Herr Roth, und würde statt Ihrer die Hauptreden halten dürfen.
({2})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU begrüßt diese Entwicklung in Berlin und wird sie unterstützen.
({3})
Aber es wird ein langer Weg sein. Deshalb nimmt die
CDU/CSU auch die eindeutige Erklärung der Bundesregierung positiv zur Kenntnis, daß die Berlinförderung nicht zur Disposition steht.
Meine Damen und Herren, wir wissen, die in der Not erhoffte Stabilisierung in der DDR hängt wesentlich von der Entwicklung in Osteuropa und in der Sowjetunion ab. Es kann nicht oft genug betont werden, weil das häufig in der Diskussion über Hilfen untergeht: Langfristig ist diese Entwicklung ein großer Vorteil für unsere Volkswirtschaft und die Sicherung unserer Arbeitsplätze hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Heute ist auf Grund der Schwerpunkte zu wenig davon gesprochen worden, aber ich darf daran erinnern: Die Verwirklichung des Binnenmarktes wird eine europäische Entwicklung weiterführen, die für uns unbedingte Priorität unter den politischen Aufgaben der nächsten Jahre haben wird. Schon heute schöpfen die nationalen Volkswirtschaften in Westeuropa und vor allem die deutsche Wirtschaft eine ungeheure Kraft aus der europäischen Integration. Die weitere europäische Integration ist eine Herausforderung, die nur zu bewältigen ist, wenn wir uns ohne Wenn und Aber zur rechtzeitigen Verwirklichung des Binnenmarktes bekennen. Deshalb wird das Datum 31. Dezember 1992 für die CDU/CSU unverrückbar bleiben. Das sage ich gerade auch angesichts der Tatsache, daß jeder von uns im Moment spürt: Die große öffentliche Aufmerksamkeit gilt gegenwärtig mehr der historischen Entwicklung in den ehemals sozialistischen Ländern. Das heißt für uns: Die europäische Integration hat für die deutsche Wirtschaft und Politik absolute Priorität. In dieser Gesamtverantwortung werden wir gemeinsam innerhalb der EG und mit anderen westlichen Partnern die Herausforderung der wirtschaftlichen Sanierung der ehemals sozialistischen Staaten annehmen.
Die dritte Herausforderung, von der heute noch gar nicht gesprochen worden ist, gilt ebenfalls weiter: die Hilfe angesichts der immer dringender werdenden Probleme der Entwicklungsländer. Diese sind in großer Sorge angesichts der Vielfalt von Hilfswünschen der DDR an die EG, da sie immer mehr glauben, daß für sie nichts übrigbleibt. Sie befürchten, daß Europa die Interessen der Dritten Welt vergessen könnte. Auch hier die eindeutige Aussage der CDU/CSU: Wir werden unsere Verpflichtung zur Hilfe für die Dritte und Vierte Welt ohne Wenn und Aber erfüllen. Die Bundesregierung wird bei der Lösung der drei wesentlichen Probleme, die ich hier soeben zusammengefaßt habe, jede Unterstützung von uns erhalten.
Wir wissen, daß dies ohne große Anstrengungen der Politik, vor allen Dingen aber auch der Wirtschaft nicht möglich sein wird. Die deutsche Wirtschaft hat diese Aufgaben in hervorragender Weise erkannt und aufgenommen. Ich erinnere an die Aktivitäten der Verbände und auch der Unternehmer zur Entwicklung im Osten Europas. Es entspricht unserer Wirtschaftsphilosophie, daß der Staat die flankierenden Maßnahmen trifft und daß vor allen Dingen die private Wirtschaft die Aufgaben erfüllt, deren Erfüllung notwendig ist. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten - von den GRÜNEN zu reden, lohnt sich da nicht - weiß die Wirtschaft dies zu würdigen, und sie nimmt die Aufgabe an.
Wir sehen mit Freude, daß sich das Engagement der Wirtschaft nicht allein auf die DDR beschränkt; ihre Aufmerksamkeit gilt vielmehr auch den besonders bedrohten Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa.
Abschließend darf ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Entwicklung in der Sowjetunion, die uns alle mit Sorge erfüllt, nicht dazu führt, daß unsere Wirtschaft, von der Sorge getrieben, wie die Entwicklung dort weitergeht, die jetzt notwendigen Investitionen unterläßt. Nur dann, wenn die Menschen in Mittel- und Osteuropa, in der DDR jetzt unmittelbar spüren, daß wir es aus empfundener Mitmenschlichkeit ernst meinen, daß wir ihnen helfen wollen, werden wir gemeinsam den Erfolg haben, den wir dringend brauchen.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn einige Bemerkungen zu den kohlepolitischen Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers machen, der die Situation ja so dargestellt hat, als werde im Saarland gegenwärtig eine Wahlkampfmasche gefahren.
({0})
Ich will Sie daran erinnern, Herr Haussmann, daß das Kohlegespräch am 24. August vergangenen Jahres zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Kohleländer im Kern die Sicherung einer Verstromungsmenge von 40,9 Millionen t bis 1995, also bis zum Auslaufen des Jahrhundertvertrages, zum Ergebnis hatte.
Die jüngsten Ergebnisse von Brüssel, die Sie hier dreisterweise auch noch als Erfolg darstellen,
({1})
haben dies gerade nicht zum Inhalt, sondern die Verstromungshilfen, also Kohlepfennig usw., sind nur bis 1991 genehmigt worden. Das steht völlig im Gegensatz zu den Vereinbarungen, die auch Grundlage der Debatte zur Novellierung des Dritten Verstromungsgesetzes im Spätherbst vergangenen Jahres waren.
({2})
Die kartellrechtliche Genehmigung des Jahrhundertvertrages wird auf den 31. März 1991 befristet.
Das heißt: Die Ergebnisse, die Sie bislang mit nach Hause bringen konnten, entsprechen nicht im geringsten den Vereinbarungen, die mit dem Bundeskanzler getroffen worden sind, und sie entsprechen nicht im geringsten der Geschäftsgrundlage der Debatte, die hier im Herbst vergangenen Jahres einvernehmlich geführt worden ist.
Ich will Sie darauf hinweisen, was in den internen Papieren des Bundeswirtschaftsministeriums aus der vergangenen Woche steht. Dort heißt es - ich zitiere - : „Das Mengenbild für die Zeit danach" , also für die Zeit nach 1991, „ist mit dem EG-Risiko behaftet." Im Bundeswirtschaftsministerium wird offen eingeräumt, daß das Mengenbild nach 1991 auf Grund der jüngsten Vereinbarungen mit dem EG-Risiko behaftet sei. Ich sage Ihnen zusätzlich: Selbst dieser Kompromiß, den Sie soeben als Erfolg zu feiern versucht haben, ist an die auflösende Bedingung geknüpft, daß die Bundesregierung ihren Klagebeitritt zurückzieht und die Bergbauunternehmen ebenfalls zur Rücknahme ihrer Klage bewegt. Dies bedeutet im Ergebnis, daß Sie der EG-Kommission freiwillig Mitentscheidungsrechte über die Summe der Kohle, die in der Bundesrepublik zu verstromen ist, einräumen.
({3})
Ich sage Ihnen zusätzlich, daß in den internen Überlegungen aus der vergangenen Woche im Bundeswirtschaftsministerium zu der Frage, wie denn der Verhandlungsstand sei, deutlich gemacht wird - ich zitiere -, es bestünde Einvernehmen, daß eine negativ akzentuierte Debatte vor der Saarlandwahl unerwünscht sei.
Es heißt dort ferner - ich zitiere zusätzlich - , es bestünde kein Anlaß, die notwendigen Gespräche mit den Unternehmen und den Bergbauländern, die Sie ja zugesichert haben, in der kommenden Woche, also in dieser Woche, zu führen.
Das heißt doch im Klartext: Das Bundeswirtschaftsministerium tut alles, um zu verhindern, daß vor dem Wahlsonntag, dem kommenden Sonntag, die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt.
({4})
Wenn Sie in den Gesprächen mit den Revierländern und den Bergbauunternehmen Positives zu vermelden gehabt hätten, was hätte Sie davor zurückschrekken lassen können, diese Gespräche in dieser Woche zu führen? Niemand hätte Sie davor zurückschrecken lassen können.
({5})
Statt dessen wird der 28. Januar, der Wahlsonntag im Saarland - das ist übermorgen -, für Sie zu einer magischen Formel, alles Mögliche zu unternehmen, um nach außen den Eindruck zu erwecken, man bewege sich entlang den Vereinbarungen vom August vergangenen Jahres mit dem Bundeskanzler.
({6})
Tatsächlich sind Sie längst dabei, diese Vereinbarungen erneut zu brechen. Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn man dieses Verhalten zumindest als den Versuch des Wahlbetrugs qualifiziert, um Einfluß zu nehmen auf die Wählerentscheidung am nächsten Sonntag.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Natürlich.
Trifft es zu, Herr Kollege, daß bei der Kohlepolitik die EG nun einmal eine Zuständigkeit hat, und zwar seit vielen Jahren? Trifft
Müller ({0})
es zu, daß, welche Absprachen auch immer wir hier treffen, diese in Brüssel zur Genehmigung vorgelegt werden müssen? Trifft es zu, daß unter diesen Gesichtspunkten das vereinbarte Mengengerüst von 40,9 Millionen Tonnen bereits einen Erfolg darstellt? Stimmen Sie mir zu, daß wir jetzt gemeinsam mit Unterstützung der Bundesregierung darangehen können, im vorgesehenen Zeitrahmen bis 1995 diese Menge weiter zu sichern? Stimmen Sie mir zu, daß es eine Polemik darstellt, wenn Sie die Bemühungen der Bundesregierung in dieser Art und Weise - und das zwei Tage vor der Landtagswahl - darstellen?
({1})
Ich stimme Ihnen im Gegensatz zu meinen sonstigen Gepflogenheiten überhaupt nicht zu. Ich betone nochmals: Gegenstand der Vereinbarungen am 24. August vergangenen Jahres war die Festlegung der Verstromungsmenge auf 40,9 Millionen Tonnen bis 1995.
({0})
Diese Vereinbarung lag bereits unterhalb der im Jahrhundertvertrag vereinbarten Mengen bis 1995.
({1})
Wir haben dennoch der dritten Novellierung des Verstromungsgesetzes zugestimmt.
({2})
weil wir gesagt haben: Wir berücksichtigen die Bedenken der revierfernen Länder und stimmen diesem Kompromiß zu, um den Bergbauunternehmen und den in den Bergbauunternehmen Beschäftigten endlich Planungs- und Arbeitsplatzsicherheit für einen längeren Zeitraum geben zu können.
Das, was jetzt vereinbart worden ist, ist genau wieder das Gegenteil.
({3})
Es ist eine Festlegung getroffen worden, die bis 1991 reicht, nicht einmal bis 1993 und schon gar nicht bis 1995.
({4})
Das wird die alten Planungsunsicherheiten bei den Bergbauunternehmen erneut reaktivieren.
Das heißt, das Gegenteil dessen, was uns hier zugesagt wurde, wurde in der letzten Woche abgemacht. Wenn man das als Erfolg feiert, dann macht der Bundeswirtschaftsminister aus einem kleinen Mäuslein erneut einen Elefanten. Das ist die Bestätigung dessen, was in den letzten Jahren ständig gelaufen ist: ein Zickzackkurs, Verwirrungspolitik, Nebelkerzen geschmissen und die Bergleute an der Nase durch den Ring geführt. Das machen wir nicht mehr mit.
({5})
Wenn Sie hier von „Wahlkampfmaschen" reden, dann gebe ich Ihnen diesen Ball zurück: Sie versuchen hier, offenen Wahlbetrug zu machen, um das
Wählerverhalten an der Saar, das nicht zuletzt durch den Bergbau geprägt wird, aus Ihrer Sicht heraus zu manipulieren.
({6})
Nun will ich einige Sätze zum Jahreswirtschaftsbericht sagen.
({7})
Es fiel auf, daß von seiten der Koalitions- und Regierungsredner so gut wie kein Wort zur Problematik des Arbeitsmarkts gesagt wurde.
({8})
Sie haben immer wieder auf die neuen Arbeitsplätze hingewiesen. Diese werden von uns nicht bestritten.
({9})
Es ist aber kein Wort darüber gesagt worden, ob die Bundesregierung überhaupt noch daran denkt, an der Perspektive Vollbeschäftigung festzuhalten. Mein fester Eindruck ist, daß man sich längst mit einer Dauerquote von 2 Millionen Arbeitslosen abgefunden hat. Diese Zahl wird auf Grund der Entwicklung in der DDR in den nächsten Monaten und Jahren vermutlich deutlich ansteigen.
({10})
Man hat überhaupt nicht mehr das Ziel im Hinterkopf, die Vollbeschäftigung anzustreben, geschweige denn die Mittel und Instrumente zur Diskussion freizugeben, mit denen man dieses Ziel erreichen könnte.
Ich will Ihnen sagen, daß trotz der neu geschaffenen Arbeitsplätze im Zeitraum 1983 bis 1990 das gesamtgesellschaftliche Arbeitsvolumen, d. h. die Summe der abgeleisteten Stunden, rückläufig war. Zuwächse bei den Arbeitsplätzen wurden also nicht durch ein Mehr an Arbeit erreicht, sondern durch Sondereinflüsse, mit denen längerfristig nicht ohne weiteres gerechnet werden kann. Ich nenne einige: Gestiegene Anzahl von Auszubildenden, vorübergehend gestiegene Zahl von AB- und Fortbildungsmaßnahmen mit jetzt wieder fallender Tendenz, Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung und gestiegene Teilzeitquote von Frauen, von denen übrigens viele einen Vollzeitarbeitsplatz anstreben. Hinzu kommt die weitere Zuwanderung von Aus- und Übersiedlern, die 1990 die in einzelnen Bereichen lokal begrenzt vorhandenen Facharbeiterlücken auffüllen mag, insgesamt aber zu einer weiteren Anspannung des Arbeitsmarktes führen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Briefs?
Ja, klar.
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die tatsächliche Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik sogar noch erheblich höher ist, als sie in der Zahl von 2 Millionen zum Ausdruck kommt, insbesondere wenn man bedenkt, daß es noch eine von der Bundesanstalt für Arbeit geschätzte stille Reserve
gibt, die übrigens zu 75 % aus Frauen besteht, die in der offiziellen laufend veröffentlichten Arbeitslosenzahl schlicht und einfach nicht erfaßt wird?
Schönen Dank für die Frage, Herr Kollege. Ich wollte die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen nicht erschrecken und habe deshalb die niedrigste Zahl - zwei Millionen statistisch registrierte Arbeitslose - gegriffen.
({0})
In der Tat ist es richtig, daß nach ganz übereinstimmender Auffassung aller Arbeitsmarktexperten die Zahl der in der stillen Reserve verbliebenen Arbeitslosen etwa eine Million ausmacht, so daß die Zahl zwei Millionen eigentlich eine geschönte Zahl ist. Aber ich wollte angesichts der fortgeschrittenen Zeit und weil sich die Kollegen auf die Heimreise vorbereiten, den Schrecken nicht allzu groß werden lassen.
({1})
Der Zuwachs an Arbeitsplätzen ist nicht mit einem Zuwachs an geleisteten Arbeitsstunden verbunden gewesen, sondern er war auf Sondereinflüsse zurückzuführen, deren weiterer Fortbestand zumindest problematisch ist. Die Bundesregierung schätzt für 1990 ein Anwachsen der Arbeitsplätze von etwa 300 000. Der Präsident für die Bundesanstalt für Arbeit schätzt, daß alleine die weitere Zuwanderung von Aus- und Übersiedlern eine Zunahme des Erwerbspersonenpotentials von etwa 450 000 ausmachen wird. Das heißt: Selbst wenn es bei dem gegenwärtigen Trend bliebe, müßte mit einem deutlichen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit auf Grund dieser dargestellten Faktoren gerechnet werden. Dies ist eine deutliche Verschärfung der Situation. Dafür gibt es eine Reihe von Indikatoren.
Die Frage ist also ganz einfach an die Regierungsfraktion zu stellen: Halten Sie noch am Ziel der Vollbeschäftigung fest, oder haben Sie dieses Ziel längst in den Schornstein geschrieben? Die Frage geht auch an den Bundeswirtschaftsminister. Ist dieses Ziel noch das Ziel der Bundesregierung, oder hat man sich längst in die innere Resignation - Vollbeschäftigung ist keine Perspektive der Regierungspolitik mehr - zurückgezogen?
({2})
- Ja, das ist eine rhetorische Frage, weil die Antwort ziemlich klar ist, weil bislang niemand von den Kollegen auf diese zentrale Frage der Arbeitsmarktentwicklung in der Bundesrepublik auch nur irgendeinen Satz in dieser Debatte heute morgen gesagt hat.
Das einzige, was Sie bislang getan haben, ist, daß die Anstrengungen, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, daß die Arbeitslosenquote nicht noch deutlicher ansteigt, z. B. Arbeitszeitverkürzungen - ({3})
- Sie pöbeln wie ein kleiner Pöbelkönig. Machen Sie doch eine offizielle Zwischenfrage, und machen Sie
nicht hier herum wie ein wildgewordener Gartenzwerg.
({4})
Herr Rossmanith, Sie haben eine Zwischenfrage.
Herr Kollege, da Sie angesprochen haben, daß uns hier die Arbeitsmarktpolitik nicht sonderlich berühren würde, darf ich an Sie die Frage stellen, ob Ihnen bekannt ist, daß z. B. in meiner Region - das ist nicht die einzige in der Bundesrepublik Deutschland - die statistische Arbeitslosigkeit derzeit unter 3 % liegt. Wären Sie bitte bereit, meinen Unternehmen zu sagen, wie sie Arbeitskräfte
- Frauen und Männer - erhalten können, da Sie mehr als 1 000 offene Stellen derzeit alleine in meinem Bereich im Allgäu als Arbeitsplätze offen haben?
({0})
Herr Kollege, ich will Ihnen das überhaupt nicht bestreiten. - Man kann die Frage in der Tat kürzer formulieren, wenn man weiß, was man will.
({0})
- Ich will Ihnen die Antwort überhaupt nicht verweigern. Natürlich ist es so, daß wir ein riesiges Arbeitsmarktgefälle in der Bundesrepublik haben. Wir haben Arbeitsamtsbezirke mit einer Arbeitslosenquote von 20 plus, und wir haben Arbeitsamtsbezirke mit einer Arbeitslosenquote von 2 bis 3 %, also nahe an der Vollbeschäftigung. Das ist das Thema, das heute morgen von der Kollegin Skarpelis-Sperk - wenn Sie zugehört hätten, dann wüßten Sie das - angesprochen worden ist, nämlich das Problem der regionalen Strukturpolitik, daß es darauf ankommt, das Produktivkapital zu den Menschen zu bringen, und daß man nicht umgekehrt davon ausgehen kann, daß die Menschen, die in Nordfriesland wohnen, zu Ihnen ins Allgäu kommen, um dort Arbeit anzunehmen. Wir haben also ein viel zu großes regionales Arbeitsmarktgefälle, und die Bundesregierung hat im Rahmen der regionalen Strukturpolitik bislang viel zu wenig getan, um dieses Gefälle einzuebnen.
Die wenigen Maßnahmen, die dazu geführt haben, daß die Arbeitslosigkeit nicht noch deutlich angestiegen ist, wurden vom Bundeswirtschaftsminister, um auf ihn zurückzukommen, öffentlich denunziert. Sie sind der einzige Mensch in dieser Republik, der öffentlich und lautstark eine weitere Verlängerung der Wochenarbeitszeit fordert. Nicht mal im Unternehmerbereich wird dieser Unsinn nachvollzogen. Ihr eigener Parteivorsitzender hat Ihnen heute morgen im Rahmen seines Redebeitrags mit auf den Weg gegeben - ich zitiere Lambsdorff original - : „Kürzere Arbeitszeiten können wir uns vielleicht ja leisten." Das ist Originalzitat Lambsdorff. Sie rennen in der Weltgeschichte herum. vertreten genau das Gegenteil und fordern eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit.
Sie sollten sich erst mal anhören, was Ihr eigener Parteivorsitzender zu diesen Fragen sagt.
({1})
Zweiter Punkt. Was in den letzten Jahren dazu beigetragen hat, die Arbeitslosigkeit in Grenzen, in viel zu hohen Grenzen zu halten, aber jedenfalls zu verhindern, daß sie weiter anstieg, haben Sie massiv gekürzt: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen usw. Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben wir 1989 ein Minus von fast 25 000, im Bereich der F- und U-Maßnahmen ein Minus von fast 80 000. Das heißt, Sie tragen mit Ihrer eigenen Politik ganz systematisch mit dazu bei, daß die wenigen Möglichkeiten zu einer Eingrenzung von Massenarbeitslosigkeit, die bislang wahrgenommen worden sind, u. a. auch von den Tarifparteien, von Ihnen systematisch zu unterwandern versucht werden. Das einzige, was Ihnen, Herr Haussmann, bislang eingefallen ist, ist die öffentlich ständig wiederholte Forderung nach einer Deregulierung des Arbeitsrechts, auf gut deutsch einer Verschlechterung der arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.
Ich zitiere vom sogenannten Dreikönigstreffen; da treffen sich die drei Könige der FDP in Stuttgart am 6. Januar. Da heißt es bei Ihnen:
Mancher gutgemeinte Arbeitsschutz erweist sich in der betrieblichen Praxis als überflüssiges Beschäftigungshindernis.
Ich frage Sie, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß dies blanker Zynismus ist, ob Sie eigentlich wissen, daß über 50 % der Industriearbeiter das 55. Lebensjahr in der Erwerbsarbeit gar nicht mehr erleben, weil sie kaputtgearbeitet sind. Da reden Sie von „überflüssigen Beschäftigungshindernissen". Meine Güte, das ist blanker Zynismus!
({2})
Es gibt zwei Beispiele aus den vergangenen Jahren, wo Sie die Deregulierung vorangetrieben haben. Das eine ist das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es dazu:
Zwischen Mai 1985 und April 1987 sind 150 000 bis 170 000 Neueinstellungen aufgrund der erleichterten Zulassung befristeter Beschäftigungsverhältnisse durch das Beschäftigungsförderungsgesetz erfolgt . . .
Diese Behauptung ist frei aus der Luft gegriffen. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat auf einen entsprechenden Auftrag des Bundesarbeitsministeriums eine große Studie erstellt und im Kern festgehalten, daß durch das Beschäftigungsförderungsgesetz keine nennenswerten Beschäftigungszuwächse erreicht worden sind, sondern, ganz im Gegenteil, daß aus Dauerarbeitsplätzen Zeitarbeitsplätze gemacht worden sind, also ein reiner Umwandlungsprozeß und keine Anreicherung durch zusätzliche Beschäftigung.
Zweites und letztes Beispiel, weil es hier ständig funkt und blinkt. Sie haben vor zwei Jahren das Schwerbehindertengesetz geändert, den Kündigungsschutz der Schwerbehinderten mit der Begründung verschlechtert, dies führe zu erleichterten Beschäftigungsverhältnissen für Schwerbehinderte. Ich
sage Ihnen: Wir haben heute, Anfang 1990, die größte Arbeitslosenquote für Schwerbehinderte überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das heißt im Klartext: Alle sogenannten Deregulierungsversuche, Versuche, gewachsene Arbeitnehmerrechte zu verschlechtern, haben in nicht einem einzigen Fall zu einer Verbesserung, zu einem positiven Beschäftigungseffekt geführt; das Gegenteil ist nachweislich der Fall. In Ihren Mottenkisten, in Ihren Marterstuben ruht eine ganze Anzahl weiterer solcher Instrumente. Sie sollten das ganz schnell zu den Akten legen und mit uns gemeinsam in eine vernünftige Debatte eintreten, wie wir die miserable Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern können. Ich sage Ihnen: Sie sind mitverantwortlich für das wachsende Entstehen von Sozialneid, von Aggressionen und für das wachsende Sich-Hinwenden von sozial Benachteiligten in der Bundesrepublik in Richtung rechtsradikaler Trommler, weil diese Menschen das Gefühl haben, daß diese Bundesregierung sie seit vielen Jahren vergessen
({3})
und statt dessen ganz andere Interessen im Vordergrund hat.
({4})
Sie dürfen davon ausgehen, daß Sie für diese politische Entwicklung wesentlich mitverantwortlich sind, weil Sie in den vergangenen Jahren für diese Menschen so gut wie gar nichts gemacht haben. Ich erinnere an den Bericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: 6 Millionen Menschen leben ökonomisch unterhalb der Armutsgrenze. Diese Frage taucht in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht überhaupt nicht auf.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat Herr Dr. Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner, überzogene Polemik zeigt immer, daß derjenige, der sie hier vorbringt, über keine Sachposition verfügt, die er entsprechend vertreten könnte.
({0})
Es ist mangelndes Vertrauen in die eigene Argumentationsposition.
Ich sage Ihnen einmal ganz deutlich, wenn Sie auf den Arbeitsmarkt anspielen: Diese Bundesregierung und auch dieser Wirtschaftsminister haben dafür gesorgt, daß wir aus der Arbeitslosigkeit, in die Sie uns hineingefahren haben, jetzt wieder in eine Beschäftigungsposition hereingekommen sind. Die Zahlen entsprechen einander: minus 1,5 Millionen bei Ihnen, gut plus 1,5 Millionen bei uns. Das ist die Bilanz, und das können Sie mit all Ihren Schwallen hier nicht wegbringen. Meine Tochter würde das, was Sie hier gemacht haben, ganz anders formulieren, weil jegliche
Dr. Lippold ({1})
Inhalte gefehlt haben. Bei Jugendlichen heißt es: Der schwallt, ohne von der Sache was zu verstehen.
({2})
Jetzt kommen wir zur Problematik Saarland und EG-Kompromiß. Ich sage Ihnen: Wenn Ihr Bundeskanzler hier einen solchen Erfolg erzielt hätte, wären Sie froh und glücklich. Auch diese Position vertreten Sie ja nur, weil diese Bundesregierung für das Saarland mehr getan hat als die Vorgängerregierung und weil - auch das sage ich Ihnen - der Eigenbeitrag des Saarlandes ausgeblieben ist.
({3})
Wenn Ihre Regierung mit Ihrem Kleinen an der Spitze mehr für das Saarland gemacht hätte, statt Köche einzustellen, wäre etwas dabei herumgekommen.
({4})
Aber Sie wollen doch davon ablenken, daß dieser Mann versagt hat, daß er zwar Sprüche bringt, daß da aber außer Sprüchen nichts ist. Und so etwas nennen Sie dann auch noch Kanzlerkandidat! Aber da muß er seine Position erst einmal behaupten.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der heutigen Diskussion geht wegen der Dominanz der Deutschlandpolitik natürlich die weltweite wirtschaftspolitische Verflechtung unter.
({6})
- Ja, toben Sie sich ruhig aus. Ich weiß, das haben Sie jetzt nötig. Sie haben gesehen, Ihre Position ist schwach, und jetzt wollen Sie noch etwas nachschieben; aber das hilft nicht.
({7})
- Wir kommen dazu.
Wir müssen gleichzeitig trotz der deutschlandpolitischen Diskussion, Herr Sperling, die internationale Verflechtung weiterhin beachten. Ich glaube, daß wir als Bundesrepublik Deutschland natürlich sehen müssen, in welches Kräftefeld wir wie keine andere Industrienation eingebunden sind. Allein unsere Exportziffer zeigt dies.
Wenn wir sehen, wie innovativ die Prozesse in den ASEAN-Ländern und darüber hinaus sind, wie die wirtschaftliche Entwicklung in den USA nach wie vor ist und wie die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern der EG ist, dann wird deutlich, daß wir die erreichte Position weiterhin halten und ausbauen müssen, daß es nicht reicht, sich auf dem, was wir erreicht haben, auszuruhen.
Ich sage das auch vor dem Hintergrund, daß, selbst wenn wir die Zahlen in bezug auf Bruttosozialprodukt, Beschäftigung und Investitionssumme aus der DDR und der Bundesrepublik aggregieren, diese Zahlen immer noch nicht die Dimensionen erreichen, die die US-Zahlen und die japanischen Zahlen vorgeben, und daß deshalb keine Befürchtung bestehen muß, daß hier eine Dominanz der Bundesrepublik kommen würde.
Wir sind wirtschaftlich stark; wir haben derzeit eine glänzende Position. Diese derzeit glänzende Position erlaubt uns, einiges zu tun. Es besteht zum einen die Möglichkeit, den Reformprozeß, den Umwälzungsprozeß, in der DDR auch wirtschaftspolitisch zu flankieren. Das ist absolut notwendig. Es hilft aber nur - das sage ich gleichzeitig -, wenn dort die Rahmenbedingungen radikal umgestaltet werden. Ein bißchen Sozialismus ist dort nur schädlich und nicht hilfreich.
Sie hilft uns zweitens auch bei der Fortführung der Umorientierung zu einer ökologischen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik selbst. Wir haben diesen Weg mit dieser Regierung erfolgreich begonnen. Wir müssen ihn fortsetzen.
Ich füge hinzu, daß das natürlich auch die Flankierung des Umweltprozesses oder der Entwicklung von Umweltschutz in der DDR selbst mit einschließt. Wir alle wissen, daß die Situation dort katastrophal ist. Sie haben das früher, als Sie noch Ihren SED-Pakt hatten und dort nicht herauskamen, ein bißchen zu bemänteln versucht. Wir sehen heute, daß die Situation so schonungslos dargestellt werden muß, wie wir es bereits früher getan haben. Das geht aber - ich sage Ihnen das deutlich - auf Dauer nicht nur über den Weg von Zuschüssen, sondern nur dadurch, daß auch drüben privatwirtschaftliche Prozesse initiiert werden, und zwar von der Privatwirtschaft der Bundesrepublik begleitet, die zu einer innovativen Umsteuerung sowohl bei den Produktionen als auch bei den Produktionsverfahren führen. Dann können wir erwarten, daß dort eine Besserung der Situation eintritt, die ansonsten nicht zu erwarten gewesen wäre.
Ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Minister Haussmann danken, daß sich der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung ausführlich der Umweltproblematik widmet. Ich glaube, damit wird deutlich, daß wir nicht nur eine soziale Orientierung hier vertreten, sondern auch eine ökologische Orientierung im Rahmen der Marktwirtschaft.
Ich gebe allerdings eines zu bedenken: Wir führen grundsätzlich die marktwirtschaftlichen Instrumente, die auch in diesem Bericht angesprochen werden, im Munde. Ich sage ganz deutlich: Hier wird unendlich viel geredet, bei Industrieverbänden, bei naturwissenschaftlichen Verbänden, über alle Fraktionen hinweg; ich schließe unsere eigene nicht aus.
Wir beginnen in der Diskussion mit der marktwirtschaftlichen Instrumentarienposition, und heraus kommt ein klein wenig verschämtes Ordnungsrecht, weil die marktwirtschaftlichen Instrumente, zu denen übrigens nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Minister Töpfer durchaus sinnvolle Anregungen gegeben haben, im Rahmen der ordnungsrechtlichen Kleinkrämerei dann wieder untergebügelt werden. Ich glaube, auf die Dauer geht das nicht. Vielmehr wird man hier dem positiven Bekenntnis auch entsprechende Ergebnisse folgen lassen müssen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß wir zugleich mit der Problematik des Umweltschutzes auch die der Energie aufgreifen. Das gilt insbesondere im Verhältnis zur DDR. Hier sind dankenswerterweise eine Reihe von Maßnahmen, mit denen wir kurzfristig, mittelfristig und langfristig zu einer Zusammen14828
Dr. Lippold ({8})
arbeit kommen können, vorgesehen. Ich denke, daß dies ein wichtiger Weg ist, auf dem auch und gerade ein Beitrag zu mehr Ökologie geleistet werden kann, insbesondere im Bereich der Luftverschmutzung. Wir wissen ja, daß die Basis der Energieerzeugung der DDR immer noch eine Braunkohle ist, die schadstoffhaltiger ist als alles andere, was wir kennen, die aber trotzdem in extensivem Maße genutzt wird. Aber auch da gibt es dank unserer wirtschaftlichen Kraft Möglichkeiten, eine Besserung herbeizuführen.
Ich begrüße natürlich auch, daß im Jahreswirtschaftsbericht angesprochen ist, daß wir mit Blick auf den Binnenmarkt '92 auch unseren eigenen Energiemarkt überdenken und verkrustete Strukturen aufbrechen müssen. Ich denke, wir können nicht weiterhin so tun, als sei dieser Energiemarkt völlig losgelöst von der Entwicklung hin zum Binnenmarkt '92. Herr Minister, Sie haben Ansätze aufgezeigt. Die gilt es zu diskutieren, die gilt es gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, und ich begrüße, daß das in dieser Form gemacht wird.
Ich fasse zusammen: Wir haben zur Zeit eine hervorragende wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Bilanz. Besser geht es nicht! Die Sozialdemokraten würden von so etwas träumen; sie haben das nie geschafft. Darüber ist zu den damaligen Zeiten viel geredet worden, ohne daß Taten folgten. Wir haben nicht nur darüber geredet. Wir haben das entsprechend umgesetzt. Ich hoffe, daß wir diesen Weg auch für die kommenden Jahre, in denen große Aufgaben vor uns liegen, durchhalten können, damit das, was wir uns
vorgenommen haben , erreicht wird - zugunsten des gesamten deutschen Volkes und nicht nur unseres Teils.
Herzlichen Dank.
({9})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/6278 und 11/6301 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Jahreswirtschaftsbericht soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. - Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Außerdem ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6316 an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu überweisen. Sind alle damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Wir sind am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. Februar 1990, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.