Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Transporte gefährlicher Güter durch Militärfahrzeuge
- Drucksache 11/1379 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({0}) Verteidigungsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daubertshäuser, Dr. Sonntag-Wolgast, Antretter, Bahr, Bamberg, Blunck, Ewen, Faße, Gansel, Haar, Hasenfratz, Heyenn, Hiller ({1}), Ibrügger, Jungmann, Kretkowski, Kuhlwein, Dr. Niese, Opel, Pauli, Purps, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Gefährdung der Sicherheit auf dem Nord-Ostsee-Kanal durch die Erweiterung der Befreiung von der Lotsenannahmepflicht durch die Bundesregierung
- Drucksache 11/5278 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({2})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({3}) zu den Anträgen der Fraktion der SPD
aa) Verbesserte Sicherheitseinrichtungen für Gefahrgut-LKW
bb) Überladung von Gefahrgut-LKW
cc) Bruchsichere Transportbehälter und Tanks
dd) Bremssysteme für Gefahrgut-LKW
ee) Antiblockier-Systeme und Geschwindigkeitsbegrenzer für Gefahrgut-LKW
ff) Einschränkungen für den Straßentransport gefährlicher Güter
gg) Qualifikation der Fahrer beim Transport gefährlicher Güter
hh) Gesundheitsuntersuchung für GefahrgutFahrer
ii) Verschärfte Ahndung von Verstößen bei G efahrgut-Transporten
jj) Sonderkonzessionierung für GefahrgutTransporte
kk) Gefahrgutbeauftragte
11) Informationssystem für Gefahrgut-Transporte
mm)Unbeschränkte Haftung beim Transport gefährlicher Güter
nn) Sperrung von Wohngebieten und besonders unfallgefährdeten Straßen für Gefahrgut-Transporte
oo) Transportbedingungen für besonders gefährliche Güter
pp) Unfallrisiken bei Gefällestrecken
qq) Grenzüberschreitende Transporte gefährlicher Güter
rr) Verbesserte Überwachung der Gefahrgut-Transporte
- Drucksachen 11/1110, 11/1112,
11/1113, 11/1114, 11/1115, 11/1367,
11/1368, 11/1369, 11/1370, 11/1371,
11/1372, 11/1373, 11/1374, 11/1375,
11/1376, 11/1377, 11/1378, 11/1380,
11/4529 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({4})
Vizepräsident Stücklen
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rock, Frau Teubner, Weiss ({6}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Erhöhung der Sicherheit von LKW-Transporten, insbesondere beim Transport von Sonderabfällen und Gefahrgut
- Drucksachen 11/2878, 11/4591 Berichterstatter:
Abgeordneter Börnsen ({7})
Meine Damen und Herren, nach Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Zeitraum von 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die französische Tageszeitung „Le Monde " kommentierte die Tanklastzugkatastrophe von Herborn am Tag danach wie folgt: Jede Katastrophe läßt Ängste wiederaufleben und löst eine fieberhafte Suche nach den Schuldigen aus, bevor nicht ein neues Drama sie aus dem öffentlichen Gedächtnis überantwortet. Und so gleitet man von Furcht zu Furcht ohne meßbaren Fortschritt.
Diese feudalistische Einschätzung, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung leider zur Realität werden lassen. Herborn liegt bald drei Jahre zurück. Die Wunden im Stadtbild sind zwar geschlossen, die Narben jedoch noch deutlich sichtbar. Die Menschen dort haben nichts vergessen. Sie haben viele Opfer gebracht, und sie erwarten, daß diese Opfer nicht umsonst gewesen sind.
Der Zufall will es, daß auch in dieser Woche das Landgericht Limburg die Urteile in den Strafverfahren zu Herborn verkündet hat. Die Versäumnisse der Politik sind übrigens auch wiederholt Thema dieses Strafverfahrens gewesen. Ich bin sicher, die Urteilsbegründung wird auch für die Politik eine aufschlußreiche Lektüre sein.
Ich teile im übrigen die Auffassung des vorsitzenden Richters dort, daß die Gefahr einer Wiederholung von Herborn fortbesteht. Die strafrechtliche Seite, die Aufarbeitung und Bewertung dieser Katastrophe von Herborn im Sommer 1987, ist ein Aspekt. Der andere Aspekt - und der ist mindestens genauso wichtig - betrifft die Frage: Was ist geschehen, und was ist umgesetzt, damit sich Herborn nicht wiederholt?
Die Feuerwalze von Herborn hat auf furchtbare Weise deutlich gemacht, welches Gefahrenpotential beim Transport gefährlicher Güter besteht und wie sehr diese Transporte Leben und Gesundheit unserer Bürger bedrohen. Die Bundesregierung hat Herborn nicht als Menetekel begriffen. In den fast drei Jahren, die inzwischen vergangen sind, hat sie Wesentliches nicht auf den Weg gebracht.
({0})
Sie spekuliert offensichtlich auf das öffentliche Vergessen, Herr Kollege Fischer. Sie haben nicht die Wirklichkeit geändert, Herr Kollege Fischer,
({1})
sondern die Darstellung der Wirklichkeit Ich sage Ihnen: Das kann und das darf auch nicht funktionieren.
({2})
Vor fast genau zwei Jahren haben wir hier im Plenum unsere Anträge für mehr Sicherheit debattiert. Den damaligen Bundesverkehrsminister Dr. Warnke habe ich hier aufgefordert, seine Politik halbherziger Ankündigungen aufzugeben und entschlossen zu handeln. Wir verstehen unsere Anträge zum einen als Meßlatte, um daran das Handeln der Bundesregierung zu messen, zum anderen aber auch als Signal dafür, Herr Fischer, daß wir als Opposition bereit sind, der Bundesregierung bei der Verwirklichung von unpopulären aber wirkungsvollen Maßnahmen zur Seite zu stehen. Dieses Angebot haben Sie nicht in dem Umfang angenommen, wie wir es vorgeschlagen haben.
({3})
Wirkungsvolle Maßnahmen sind von Ihnen weder eingeleitet noch umgesetzt worden.
({4})
Die vorgesehenen Regelungen beispielsweise zum Gefahrgutbeauftragten oder zur stärkeren Nutzung der Schiene beim Gefahrguttransport sind viel zu dünn. Sie sind halbherzig, und sie bringen zu wenig. Sie wissen das auch. Sie wissen, daß damit das Risiko von Gefahrgutunfällen nur scheinbar und nur unwesentlich vermindert worden ist. Trotzdem versuchen Sie auch hier wieder - das machen Sie auch in der Öffentlichkeit - , den Bürgern das Gegenteil weiszumachen. Da verstehen Sie Politik als Kunst des bewußten Mogelns mit dem Ziel, dabei nicht erwischt zu werden. Das ist aber nicht unser Politikverständnis. Es ist auch nicht das Politikverständnis unserer Burger. Wenn Sie von diesem Ansatz ausgehen, gilt immer noch das, was Herbert Wehner in diesem Hause einmal gesagt hat: Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen. Das gilt ganz exakt in dem Bereich, über den wir uns heute unterhalten. Die Bürger wollen mehr Schutz beim Transport gefährlicher Güter. Sie wissen, daß sich fast tagtäglich Beinahekatastrophen ereignen.
Sicher - das haben wir nie in Abrede gestellt - werden sich Gefährdungen der Bürger aus Gefahrguttransporten nicht vollständig vermeiden lassen. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Es bleibt ein Restrisiko. Aber wir müssen einsehen, daß dieses Restrisiko keine philosophische Größe ist. Es ist
eine alltägliche und praktische Realität. Deshalb müssen wir uns darauf einstellen. Bei diesem Restrisiko zahlen Menschen mit ihrem Leben und mit ihrer Gesundheit. Auch deshalb ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, beim Transport gefährlicher Güter für mehr Sicherheit zu sorgen.
Es ist schon unseriös, Herr Kollege Fischer, wie die Bundesregierung gehandelt hat. Ich will ein Beispiel aus der Vergangenheit verdeutlichen. In der 10. Legislaturperiode hat meine Fraktion eine Kleine Anfrage gestartet und u. a. gefragt:
Rechtfertigt die Befürchtung, daß beispielsweise durch einen Unfall der gesamte Gefahrguttransport in einer Ortslage explodieren kann mit tödlichen Folgen für viele Menschen, ein Durchfahrverbot für Gefahrguttransporte mit explosionsgefährlichen oder leichtentzündlichen Stoffen . . .?
Damals hat die Bundesregierung ausweichend geantwortet und die Frage im Prinzip verneint. Nach dem Unfall in Herborn wollte sie hiervon am liebsten nichts mehr wissen. Sie hat die Vorschriften geändert, um nun dieselbe Frage im Prinzip bejahen zu können.
({5})
- Herr Fischer, darum geht es nicht.
Wir wollen mehr Sicherheit beim Transport gefährlicher Güter. Wir haben das in einem Zehn-PunkteKatalog festgeschrieben. Die Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße sind nun einmal sicherer als die Straße. Beide sind deshalb für den Transport gefährlicher Güter verstärkt zu nutzen. Zu begrüßen ist durchaus, daß wir uns hier im Grundsatz einig sind. Da stimmen Sie ja zu. Wenn Sie sich aber berühmen, Sie wollten rund 20 % der auf der Straße transportierten Gefahrgüter auf Bahn und Schiene verladen, so heißt das doch auch hier dem Bürger Sand in die Augen streuen. Der Straßengüterverkehr transportiert rund 240 Millionen Tonnen gefährlicher Güter pro Jahr. Hiervon wollen Sie ganze 7 Millionen Tonnen auf Schiene und Binnenschiffahrt verladen. Das sind nicht die 20 %, von denen Sie sprechen, sondern das sind lediglich 3 % und damit viel zu wenig. Der Verkehrsminister kommt nur deshalb zu einem höheren Prozentsatz, weil er die Zahlen manipuliert. Er läßt alle Gefahrgüter unberücksichtigt, die im Bezirksgüterverkehr und im Werkverkehr befördert werden. Aber die Gefährlichkeit besteht unabhängig davon, ob diese Güter im Fernverkehr, im Werkverkehr oder im Bezirksgüterverkehr gefahren werden. Wir sind auch der Auffassung, daß zusätzlich die Struktur der Benzintransporte sicherer organisiert werden muß. Derzeit läuft die Versorgung der Bundesrepublik über wenige Großtanklager. Der Treibstoff wird dann über große Entfernungen per Lkw zu den Tankstellen geliefert. Nötig ist auch hier eine Umstellung auf dezentrale Tanklager mit Gleisanschluß. Die Feinverteilung erfolgt anschließend selbstverständlich per Lkw im Nahverkehr. Solche dezentralen Tanklager sind in vielen Fällen noch vorhanden. Sie sind in den letzten
Jahren geschlossen worden. Sie werden nur dann wieder genutzt, wenn das politisch gewollt ist.
({6})
Das heißt, der Gesetzgeber, wir, Herr Kollege Jung, müssen hierfür die Weichen stellen. Ziel muß sein, die im Vergleich zur Straße sichereren Verkehrsträger zu nutzen. Das gilt für den Gleisanschlußverkehr wie für den kombinierten Verkehr Schiene/Straße bzw. Schiff/Straße.
({7})
Die Industrie hat eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten serienreif entwickelt, um Gefahrguttransporte sicherer zu machen. Ich weise hier nur auf die Versuche mit dem Topas-Fahrzeug hin. Aber es dauert auch hier viel zu lange,
({8})
bis diese Bauvorschriften umgesetzt werden, bis sie entsprechende Verbindlichkeiten erhalten, Herr Kollege Jung. Das geht alles viel zu langsam. Nehmen wir einmal ein ganz konkretes Beispiel, weil Sie dazwischenrufen: Nicht angepaßte Geschwindigkeit und ungenügender Sicherheitsabstand
({9})
sind die Hauptunfallursachen beim Transport gefährlicher Güter. Das wissen wir seit langem. Aber nur noch rund 15 der Lkw halten auf den Autobahnen die höchstzulässige Geschwindigkeit von 80 km/h ein.
({10})
Alle anderen fahren deutlich schneller, teilweise sogar schneller als 100 km/h. Diese Daten gelten auch für die Gefahrguttransporte.
({11})
- Hören Sie doch zu, Herr Kollege Jung! Die Schlußfolgerung, die daraus zu ziehen ist, ist, die Einführung von automatischen Geschwindigkeitsbegrenzern zu fordern. Dies ist sogar positiv vom deutschen Güterverkehrsgewerbe aufgenommen worden. Sie sind in Italien und in Frankreich schon länger Realität. Trotzdem wollen Sie auch heute wieder diese Forderung hier ablehnen mit der Begründung, automatische Geschwindigkeitsbegrenzer könnten nicht national, sondern nur international eingeführt werden. Aber Sie wissen genau, das ist eine fadenscheinige Begründung, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.
Sie haben den Bußgeldkatalog eben mit einem Zwischenruf angesprochen. Er ist mit dem Ziel von Ihnen überarbeitet worden, Fahrer von Gefahrgut-Lkw härter ranzunehmen.
({12})
Das ist die alleinige Stoßrichtung. Dies als alleinige Stoßrichtung ist aber ungerecht, und sie ist auch untauglich.
({13})
Die Fahrer sind nämlich das schwächste Glied in einer ganzen Kette von Tätern und Mittätern.
({14})
- Ich komme noch dazu! - Häufig sind sie zum Rasen ja gezwungen - das wissen Sie -, weil sie praktisch im Akkord fahren müssen. Sie bekommen ihre Routen und den Zeitplan detailliert vorgeschrieben. Dabei werden häufig optimale Fahrbedingungen unterstellt. Diese optimalen Fahrbedingungen gibt es aber in der Praxis häufig nicht. Das heißt, viele Fahrer müssen ihrem Tourenplan hinterherhetzen. Ein schärferes Vorgehen auch gegen rasende Gefahrgutfahrer ist sicherlich nötig. In jedem Fall aber müssen die Schreibtischtäter, Herr Kollege Jung, wirkungsvoller in die Pflicht genommen werden.
({15})
- Nein, das haben Sie nicht gemacht!
({16})
Wer nämlich bei der Tourendisposition Rechtsverstöße der Fahrer einkalkuliert, der hat in diesem Geschäft nichts zu suchen. Das heißt, er muß seine Konzession verlieren. Das ist der wirkungsvolle Ansatz für mehr Sicherheit beim Gefahrguttransport. Genau dies aber wollen Sie nicht. Sie wollen nämlich die Schreibtischtäter ungeschoren lassen.
({17})
- Na sicher! Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu, wenn Sie es wollen!
Es gibt ein weiteres Instrument, auf das Sie verzichtet haben, nämlich auf jede Art von zeitlichen Sanktionen, obwohl diese ganz besonders wirksam wären
- das wissen Sie auch - , weil Sie damit auch die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens treffen würden. Deshalb aber tun Sie hier auch nichts. Hier einzuschreiten, wäre besonders wirkungsvoll, weil es ja nicht nur um die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen geht, sondern auch um die Einhaltung von Sozialvorschriften und um die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten.
Also, es ist sicherlich richtig, was Sie eben in einem Zwischenruf zum Ausdruck gebracht haben. Wir müssen die Kontrollen entsprechend wirksamer gestalten. Wenn sich bei 40 % der kontrollierten Gefahrguttransporte Beanstandungen ergeben, so beweist das, daß hier Verstöße offensichtlich bewußt einkalkuliert werden. Das heißt, das Risiko, erwischt zu werden, ist zu gering, und die Sanktionen sind zu schwach und damit zu wirkungslos. Dies exakt wollte ich damit zum Ausdruck bringen.
Wir alle wissen doch, daß gerade die Fahrtenschreiber manipulationssicherer gestaltet werden müssen. 70 % der Verstöße im Zusammenhang mit der Kontrolle der Sozialvorschriften ergeben sich daraus, daß an den Fahrtenschreibern Veränderungen vorgenommen worden sind. Das ist auch deshalb besonders bedenklich, weil mit solchen Manipulationen andere und noch weitergehende Verstöße verschleiert werden sollen.
Das Problem der Transporte gefährlicher Güter aber stellt sich nicht nur auf der Straße. Auch im Seeverkehr ist es, wenn auch mit anderen Schwerpunkten, ebenso gravierend. Ich denke hier vor allem an die vielen Umweltkatastrophen, die durch Tankerunfälle weltweit ausgelöst worden sind. Auch das Risiko solcher Tankerunfälle muß reduziert werden. Die Bundesrepublik hat sich deshalb auch international dafür eingesetzt, daß Tanker die Nordsee nur mit einem revierkundigen Lotsen befahren dürfen. Lotsen vermindern die Gefahr von Schiffsunfällen. Das hängt damit zusammen, daß sie sich im Revier besonders gut auskennen, weil sie das Fahrwasser, die Strömungsverhältnisse, Querverkehre usw. kennen. Trotzdem hat die Bundesregierung im Sommer 1989 die Lotsenpflicht auf dem Nord-Ostsee-Kanal gelockert. Mehr Schiffe dürfen den Kanal jetzt ohne Lotsen befahren. Die Anhebung der Freifahrgrenze war deshalb kein Beitrag zur Sicherheit im Schiffsverkehr, im Gegenteil: Sie hat die Risiken erhöht. Anschauungsunterricht für diese Gefahren lieferte wenige Tage später ja auch die Affäre um den niederländischen Frachter „Ostsee" in Brunsbüttel. Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt, und die Anzahl der Schiffe mit gefährlicher Ladung ist dort ganz beträchtlich. Entsprechend kritisch haben dann auch die Lotsen und andere Fachkundige gegen die Lockerung der Lotsenpflicht protestiert.
Mittlerweile hat die Bundesverkehrsverwaltung auf die anhaltende Kritik insofern reagiert, als sie die im Sommer 1989 erweiterten Möglichkeiten wieder etwas zurückführt. Wir verlangen aber mit unserem Antrag die völlige Rücknahme der Verordnung. Die Abgeordneten der Koalition, die sich hierfür an der Küste ebenfalls einsetzen, haben heute bei der Abstimmung die Möglichkeit, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Sie sind herzlich eingeladen, unserem Antrag zuzustimmen.
Bei allen Transporten gefährlicher Güter bleibt ein Risiko. Wirkliche Sicherheitsgewinne sind deshalb nur dann erreichbar, wenn die Produktionsstrukturen auch mit dem Ziel überprüft werden, Gefahrguttransporte zu reduzieren. Vor allem bei Stoffen, die bei einem Unfall unbeherrschbare Folgen auslösen können, müssen Transporte auch untersagt werden können, wenn der Stoff zumutbar an dem Ort produziert werden kann, an dem er benötigt wird.
Die Sicherheit der Bevölkerung muß Vorrang vor den ökonomischen Interessen der Wirtschaft haben. Ich sage das auch in dem Wissen, daß es einen verbesserten Schutz auf diesem Gebiet nicht zum Nulltarif geben kann, daß er Geld kosten wird.
Mit unseren Anträgen haben wir ein umfassendes Maßnahmenbündel vorgelegt, das einen wirkungsvollen Schutz beim Transport gefährlicher Güter sicherstellt und das menschliches Versagen im Umgang mit der Technik minimiert. Dieses Maßnahmenbündel zeigt, daß man mehr tun kann, als die Bundesregierung zu tun bereit ist.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Daubertshäuser, ich darf drei Vorbemerkungen machen, weil ich auf das eingehen will, was Sie gesagt haben. Das erste: Ich muß mich mit Nachdruck dagegen verwahren, daß Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob lediglich das Stellen Ihrer Anträge zu mehr Sicherheit in diesem wichtigen Bereich führen könnte und als ob die Regierung untätig gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall.
({0})
Die zweite Bemerkung: Mich wundert eigentlich - das gilt nicht nur für den Verkehrsbereich, sondern auch für die anderen Felder der Politik - , daß Sie immer dann die großartigen Lösungsvorschläge unterbreiten, wenn Sie in der Opposition sind. Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, haben Sie dieses Feld vollkommen unbeackert gelassen. Warum eigentlich?
({1})
- Ja, das ist die Erblast. Wenn Sie das selbst schon erkennen, muß es ja stimmen.
Die dritte Bemerkung: Gerade der Prozeß vor dem Landgericht meiner Heimatstadt hat doch bewiesen, daß es eben nicht nur eine Frage der gesetzlichen Grundlagen, der Vorschriften ist, sondern auch eine Frage der Einhaltung der Bestimmungen. Insofern ist das doch kein Versäumnis des Gesetzgebers, sondern fehlerhaftes Handeln des Menschen, was ja überhaupt die Hauptursache von Unglücken im Straßenverkehr ist, wie Sie eigentlich selbst wissen müßten. Das ist die Problematik.
({2})
- Auch durch schärfere Sanktionen wird es nicht möglich sein, das vollkommen zu ändern.
({3})
Lassen Sie mich jetzt zur Sache kommen. Es ist vollkommen richtig - da stimme ich mit Ihnen wieder überein - , daß der Schatten von Herborn auch über dieser Debatte des Bundestages liegt, noch dazu, weil das Landgericht meiner Heimatstadt vor zwei Tagen die strafrechtliche Würdigung dieses schrecklichen Ereignisses vom Juli 1987 vorgenommen hat. Viele Prozeßteilnehmer haben sich natürlich über das Strafverfahren im konkreten Fall hinaus die Frage gestellt, ob denn alles Notwendige getan worden sei, um ähnliche Vorfälle in der Zukunft zu vermeiden.
Der Bundestag und insbesondere der Verkehrsausschuß haben sich intensivst mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben bereits im April 1988 ein sehr umfangreiches öffentliches Anhörungsverfahren mit der Beteiligung vieler Sachverständiger durchgeführt.
Wie ist die Problemlage? Auf deutschen Verkehrswegen werden jährlich in erheblichem Ausmaß Gefahrguttransporte durchgeführt. Insgesamt waren es - auf dieses Sonderproblem komme ich gleich noch zu sprechen - ohne Straßengüternahverkehr im Jahre 1986 - neuere Zahlen liegen uns nicht vor -186 Millionen t. Davon entfielen 41 Millionen t auf den Straßengüterfernverkehr. Der überwiegende Teil der Gefahrguttransporte im Straßenfernverkehr bestand mit 74 % aus entzündbaren flüssigen Stoffen wie Benzine, Dieseltreibstoffe, Heizöle und sonstige brennbare Flüssigkeiten.
Nun zum besonderen Problem: Im Straßengüternahverkehr wurden etwa 200 Millionen t befördert. Mit diesem Problem müssen wir uns auseinandersetzen, weil hier eine Verlagerung z. B. auf die Bahn oder das Schiff überhaupt nicht möglich ist, weil es sich z. B. um Verteilerverkehre zu Tankstellen oder zu den einzelnen Wohnhäusern handelt, was nicht anders als mit dem Lkw machbar ist. Das ist die Situation.
Im übrigen will ich anmerken, daß die Verlagerung des Transportes gefährlicher Güter von der Straße auf die Bahn kein Allheilmittel ist. Gefahren und Unfälle gibt es auch dort, wie wir wissen, und es bestehen sogar zusätzliche Risiken bei der Umladung von Schiene auf Straße. Im übrigen fehlen teilweise auch die notwendigen Bahnkapazitäten, um die Beförderung umzustrukturieren.
Das bedeutet: Der Straßentransport muß noch sicherer gemacht werden. Ich habe bereits eingangs gesagt: Diese Aufgabenstellung hat die Bundesregierung unter dem früheren Verkehrsminister Warnke und dem jetzigen Minister Zimmermann gelöst. Es sind Vorschriften zur Verbesserung im technischen Bereich erlassen worden, auch die rechtliche Ausgestaltung wurde den neuen Anforderungen angepaßt, und das Hauptproblem, die Gefahr „Mensch", wurde berücksichtigt. Ich erinnere an die Rechtsverordnung der Bundesregierung, die Sie, Herr Kollege, anscheinend nicht zur Kenntnis genommen haben, die Notwendiges und Sinnvolles veranlaßt hat.
Beispielhaft will ich hier folgendes erwähnen: Regelung und Verlagerung des Transportes gefährlicher Güter in erheblichem Umfange, soweit dies aus den vorgenannten Gründen überhaupt machbar war. Dazu dienen im übrigen auch die Kooperationsvereinbarungen z. B. in der Chemie und in der Mineralölwirtschaft und zwar untereinander und mit der Deutschen Bundesbahn.
Nächster Punkt: die Nutzung sicherer Straßenabschnitte, Verbesserung der Schulung von Fahrzeugführern, Bestellung von Gefahrgutbeauftragten in Betrieben, die mindestens 50 t Gefahrgut jährlich verpacken, versenden oder befördern. Dort muß eine besondere Schulung nachgewiesen werden. Sie wissen, daß wir gerade in diesem Punkt eine Anregung von Ihnen aufgenommen haben, weil wir selbstverständlich gemeinsam handeln wollen und jederzeit bereit sind, sinnvolle Anregungen der Opposition in unser Maßnahmepaket mit aufzunehmen.
Jung ({4})
Wir haben technische Verbesserungen der Fahrzeuge eingeführt; sie bedürfen zum Teil noch der Notifizierung bei der EG-Kommission. Ich nenne beispielhaft automatische Blockierverhinderer, automatische Nachsteller der Bremsgestänge und Vorschriften über eine größere Kippstabilität für kofferförmige Tanks.
Europa ist im übrigen auch bei der Gefahrgutdebatte ein wichtiges Stichwort. Wir sind das größte Transitland in Europa; der Verkehr wird beim Binnenmarkt ab 1993 noch weiter zunehmen. Wir haben von daher ein besonderes Interesse daran, daß die Vorschriften in Europa harmonisiert werden und daß die geltenden Gesetze und ihre Einhaltung auch kontrolliert werden. Der deutsche Standard ist im übrigen auch in diesem Bereich der höchste in Europa. Auch dies, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Die Kontrollen in diesem wichtigen Bereich sind Ländersache. Selbstverständlich müssen sie intensiviert werden und in die Betriebe vorverlegt werden. Das Beispiel Herborn hat gezeigt, daß das Problem nicht nur in schärferen Vorschriften liegt, sondern in der Einhaltung bestehender Gesetze.
Unabhängig davon haben wir auch die Sanktionen verschärft - ich verweise auf die Gefahrgutverordnung Straße - und den ab 1. Januar dieses Jahrs geltenden neuen Bußgeldkatalog.
Dort haben wir das, was sinnvoll ist, angepackt; wir haben nämlich analysiert, wie und wo Unfälle zustande kommen, und haben diese Ursachen entsprechend aufgenommen und mit Sanktionen bewehrt.
Ich nenne beispielhaft die drastische Anhebung der Ahndungssätze für Geschwindigkeitsüberschreitungen, differenziert nach der Gefahrenlage, nämlich nach innerorts und außerorts. Besonders unfallträchtige Verkehrsverstöße im Gefahrengutbereich werden stärker geahndet.
Es gibt ein früheres Einsetzen der Fahrverbote bei Geschwindigkeitsüberschreitungen. Sie wissen, daß dieses Mittel besonders geeignet ist - das sage ich auch aus meiner anwaltlichen Praxis - , präventiv zu wirken, weil die Möglichkeit, den Führerschein zu verlieren, besonders drakonisch für denjenigen wirkt, der mit dieser Gefahr konfrontiert ist.
Wir haben eine Differenzierung vorgenommen in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Ahndungssätzen für Verkehrsverstöße mit Pkw oder Lkw nach dem jeweiligen Gefahrenpotential, das dort vorhanden ist.
Wir haben vor allen Dingen eins gemacht, Herr Kollege, was Sie hier bestreiten: Wir haben nämlich nicht nur, wie Sie es formulieren, das schwächste Glied in der Kette, den Fahrer, herangenommen, sondern wir haben erhebliche Sanktionen gegen die Halter ausgeworfen. Wir haben die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung dort genauso mit hineingenommen wie die Frage der sonstigen Sanktionen. Wir haben dies gemacht, während Sie in Ihrer früheren Tätigkeit darüber immer nur geredet haben.
Herr Kollege, im übrigen weist ja gerade das Urteil des Landgerichtes Limburg darauf hin, daß der Halter stärker zur Verantwortung gezogen wird als der Fahrer. Insofern muß es die gesetzgeberischen Grundlagen dafür ja geben. Sonst wäre das gar nicht möglich gewesen.
({5})
- Sie haben doch eine Verschärfung im Strafrechtsbereich gefordert. Wenn es das so nicht gäbe, hätte so nicht geurteilt werden können, Herr Kollege.
({6})
- Sie nehmen das nicht zur Kenntnis, was Ihnen nicht paßt, Herr Kollege. So geht es natürlich nicht.
Ich weise auf weitere Maßnahmen hin, auf solche im baulichen Bereich wie Auslaufstrecken gerade in Herborn, Bremsbetten und anderes mehr. Ich weise hin auf die Realisierung des Ortsumgehungsprogramms, das die Bundesregierung im Straßenbau mit Nachdruck betreibt, den bundesweiten Atlas für Gefälle- und Gefahrgut-Verbotsstrecken und sage, daß alle diese Maßnahmen nicht erfolgreich sein können, wenn nicht jeder Tätige im Bereich des Gefahrguts um seine besondere Verantwortung weiß.
Im übrigen - auch das sollte einmal gesagt werden - gibt es viele, die verantwortungsbewußt handeln. Auch denen sollten wir an dieser Stelle Dank sagen. Mein Appell geht deshalb dahin, diese besondere Verpflichtung wahrzunehmen. Ich sage, daß wir alles dafür getan haben und weiterhin dafür tun werden, daß Herborn sich nicht wiederholt.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier und heute befassen wir uns mit einem Thema, das eigentlich über jede Kontroverse erhaben sein müßte, nämlich mit dem Transport gefährlicher Güter, mit dem Transport gefährlicher Güter insbesondere über die Straße. Nach dem folgenschweren Unfall von Herborn, der sich vor drei Jahren ereignete, wurde hier von allen Parteien, zumindest in öffentlichen Äußerungen, Handlungsbedarf erkannt. Schlagartig schien allen bewußt zu werden, daß jeden Tag geladene Zeitbomben über unsere Straßen rollen.
Das Thema Gefahrgut ist, wenn man von der Thematisierung der Urteilsverkündung absieht, die am Mittwoch erfolgt ist - wie die Kollegen hier schon ausgeführt haben - , aus dem öffentlichen Interesse anscheinend verschwunden. Es hat den Eindruck, als befaßten sich nur noch wenige Experten und Interessierte mit diesem Thema. Nur in unmittelbarer Umgebung von Herborn sind die Folgen dieses Unfalls nach wie vor präsent. Dort ist es bis heute nach wie vor lediglich glückliche Fügung und keineswegs verabschiedeten Richtlinien und Gesetzen zu verdanken,
({0})
wenn wir von Unfällen dieses Ausmaßes verschont geblieben sind.
({1})
- Daß das Problem nicht umfassend erkannt, analysiert und Lösungen nicht umgesetzt worden sind, verehrter Herr Kollege!
Zur Verabschiedung stehen hier unter anderem eine Vielzahl von Einzelanträgen der SPD, die sich im wesentlichen mit technischen Verbesserungen von Gefahrguttransporten befassen.
({2})
- Nicht nur; ich sage ja: im wesentlichen!
Niemand, der im Besitz eines gesunden Menschenverstandes ist, kann Verbesserungen, auch technische Verbesserungen, ablehnen. Man muß aber gleichzeitig die Frage stellen, ob damit tatsächlich auch das Problem gelöst ist. Lassen Sie mich hierzu aus einer Stellungnahme des Bundesverbandes Werkverkehr und Verlader zitieren, da ich annehme, daß dieser den meisten hier wesentlich näher steht als die Fraktion DIE GRÜNEN. Ich zitiere also:
Ein Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und Risikoverlagerung des Fahrers dürfte als erwiesen gelten. Bessere technische Ausrüstungen verleiten dazu, die gegebenen Möglichkeiten auszunutzen, erhöhen also indirekt die Risikobereitschaft des Fahrers.
Diesen Punkt, den menschlichen Faktor, müssen wir also in unsere Überlegungen ganz besonders einbeziehen,
({3})
wenn wir tatsächlich mehr Sicherheit auf unseren Straßen haben wollen - insbesondere für den Transport gefährlicher Güter, den wir nicht isoliert von den übrigen Transporten sehen dürfen. So halten wir es für dringend erforderlich, die sozialen Bedingungen der Lkw-Fahrer zu verbessern, um hier zu einem höheren Maß an Sicherheit zu kommen. Es geht nicht an, daß den Lkw-Fahrern als dem schwächsten Glied in der Transportkette fast die gesamte Verantwortung für den ordnungsgemäßen und sicheren Ablauf von Transporten zugemutet wird, wenn sie derart unter Druck gesetzt werden, daß ihnen nichts anderes übrig bleibt, als Lenk- und Ruhezeiten zu überschreiten, daß ihnen nichts anderes übrig bleibt, als gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen zu verstoßen, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollen.
({4})
- Gerade das tue ich nicht. Ich benenne das Problem hier, indem ich sage: Es geht nicht an, daß wir versuchen, es auf dem Rücken der Lkw-Fahrer auszutragen.
({5})
Es ist der absolut falsche Problemansatz, werter Herr Kollege, wenn wir eine Lösung dadurch herbeiführen wollen, daß wir die Geschwindigkeitsbegrenzung für Lkw heraufsetzen.
({6})
Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten sind alltäglich. Das ist bekannt. Es ist auch ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten.
Eine wirkungsvolle Maßnahme wäre es, nicht bei den Lkw-Fahrern, sondern bei den Haltern anzusetzen. Man muß darangehen, einem Halter die Konzession zu entziehen, und zwar sehr schnell und nicht in einem komplizierten Verfahren, das dann irgendwo auf irgendwelchen Schreibtischen ruht. Wir fordern deshalb nachdrücklich auch die Anwendung des Art. 15 der EG-Verordnung, die eine Terminsetzung verhindert, die von vornherein ein rechtswidriges Verhalten von Lkw-Fahrern notwendig macht.
Mir ist es wegen der Kürze der Zeit nicht mehr möglich, hier alle notwendigen Verbesserungen aufzuführen. Ich greife nur noch einen Punkt heraus, der mir besonders gravierend erscheint, nämlich die Ratifizierung der ILO-Konvention 153. Auch sie schlummert seit Jahren auf den Schreibtischen der Bundesregierung. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, diese Konvention endlich zu ratifizieren.
Ich schließe mich im wesentlichen dem an, was der Kollege Daubertshäuser über notwendige Schritte wie Verkehrsvermeidung und Verkehrslenkung ausgeführt hat.
Als Letztes: Wir müssen uns auch zu dirigistischen Maßnahmen im Straßengüterverkehr, ganz besonders im Bereich der gefährlichen Güter, durchringen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Welt ist nun wieder in Ordnung. Zuerst war ich erschrocken, als der Kollege Daubertshäuser hier ein Szenario gemalt hat, bei dem ich schon dachte: Ist denn alles vergessen? Wir haben doch Anhörungen gehabt; wir haben doch im Verkehrsausschuß darüber beraten. Ich hatte fast den Eindruck, das alles könne gar nicht wahr gewesen sein. Aber Gott sei Dank hat der Kollege Jung dann die Fakten genannt. Uns wird in diesen Tagen in schmerzhafter Weise durch das Urteil in Limburg vor Augen geführt und bewußt gemacht, daß wir hier nicht im theoretischen Raum diskutieren und uns das auch nicht leisten können, sondern daß es hier in ganz erheblichem Maß um Menschenleben geht. Der Fall Herborn macht, schon bevor ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, exemplarisch deutlich, welches die Schwachstellen und die Ursachen sind und wo alle Maßnahmen ansetzen müssen. Wer immer da Ideen hat, ob Regierung oder Opposition, soll sie vorbringen. Hier ist natürlich der Punkt Technik zu nennen. Alles, was mit dem Auto selber zu tun hat, ist ein erhebliches Gefahrenpotential. Dazu gehört auch der Mensch. Das hat sich hier herausgestellt. Das ist ja das, was die Richter in besonderer Weise strafrecht14624 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode 189. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19 Januar 1990
lich zu würdigen haben: welchen Schwachpunkt der Mensch in diesem ganzen Bündel von Gefahren darstellt. Vergessen kann man aber auch nicht, was z. B. das ganze Umfeld bis hin zur Straße selber an Gefährdungspotential darstellt. Ich will dem hier nicht vorgreifen. Ich möchte erst die Urteilsbegründung sehen. Aber ich glaube, wir sollten uns mit diesem Fall auch einmal im Verkehrsausschuß beschäftigen. Das ist ein solcher spektakulärer Fall sicher wert.
Ich bin auch darüber erschrocken - ich sage das, weil ich das unmittelbar über die Medien mitbekommen habe - , daß der Richter, der das Urteil mit der Höchststrafe ausgesprochen hat, im Anschluß daran sagte, er glaube nicht, daß das Urteil abschreckende Wirkung habe. Ich habe zuerst nicht geglaubt, daß das, was er da gesagt hat, wahr ist. Aber er hat es so gesagt, und er hat es auch so gemeint. Er hat dies mit dem Halbsatz begründet, die Zustände in diesem Bereich seien so schlecht, daß sie durch ein solches Urteil gar nicht zu bereinigen seien. Auch das macht uns deutlich, daß es wirklich ernste Fehlerquellen und Probleme gibt, denen wir uns widmen müssen. Nur ist es nicht so, als seien wir nicht vorangekommen.
Lieber Klaus Daubertshäuser, es gibt ja gar keinen so großen Streit über das Bündel der Maßnahmen. Wir haben in der Beschlußempfehlung des Ausschusses sogar gesagt, es dürfe nicht so verstanden werden, als seien wir gegen diese Maßnahmen. Denn der größte Teil der Einzelmaßnahmen in den Anträgen der SPD ist deckungsgleich mit dem, was wir beraten haben, gesagt haben, und wir könnten das hier heute auch tun.
({0})
- Das war der Punkt. Wir haben gesagt, das meiste ist nach dem Bericht des Verkehrsministers schon erledigt.
({1})
Ich nenne den Gefahrgutbeauftragten, die Zweite Gefahrgutverordnung und viele Maßnahmen, die auf EG-Ebene schon auf dem Wege, schon geregelt sind. Das war der Grund, weshalb wir diesen Anträgen nicht im einzelnen zugestimmt haben. Das geschah im wesentlichen nicht deshalb, weil wir in der Sache dagegen wären, sondern deshalb, weil sie sich im Grunde überholt haben. Es ist ja auch gut so, wenn andere tätig werden.
Wir sind in einigen Teilen - erstens - , wie ich meine, vernünftigerweise auf EG-Regelungen eingegangen. Vieles von dem ist eben nicht an der Grenze abzuändern. Sicherheit kennt keine Grenzen; an diesen schönen Ausdruck sollte man sich halten. Wir müssen versuchen, möglichst viele Bestimmungen auf einem hohen Sicherheitslevel EG-einheitlich zu machen. Das ist ein Punkt.
Wir sind zum anderen -das sage ich jetzt als Liberaler, weil Frau Rock hier eben eine Bemerkung machte - gerade bei der Regelung betreffend Gefahrgüter bis an den Rand dessen gegangen, was man unter Umständen Ladungslenkung nennen kann. Wir haben dies bewußt getan, weil hier die Sicherheit vor der Freiheit kommt, den Transportweg für die Güter zu bestimmen. Hier haben wir das getan, und aus Sicherheitsgründen kann ich das hier auch rechtfertigen. Aber man sollte nicht so tun, als sei das ganz selbstverständlich, Ladungslenkung in diesem erheblichen Ausmaß zu betreiben;
({2})
denn Güter zu beschränken und den Weg vorzuschreiben ist nicht ganz einfach. Das weiß doch jeder. Wir haben es auch geschafft, erheblich mehr auf die Schiene und auf das Wasser zu bringen, wenngleich auch da Zweifel angebracht sind, ob die Schiene tatsächlich so viel sicherer ist. Ich erinnere an die Anhörung. Das Gefährdungspotential ist bei einem Zug mit vielen Waggons und nur einer einzigen Begleitung natürlich noch größer als bei einem einzigen Tankzug mit einem Fahrer. Hier werden die Dinge auch sehr häufig ideologisch verkleistert,
({3})
und hier sind natürlich noch erhebliche Investitionen notwendig.
Richtig und wichtig sind in dem Zusammenhang auch die Investitionen, die im Straßenbau gemacht werden.
({4})
Die 140 Ortsumgehungen, die gebaut worden bzw. jetzt in Bau sind, sind ein wichtiger Beitrag nicht nur zur Erhöhung der Sicherheit des allgemeinen Verkehrs, sondern natürlich auch im Zusammenhang mit dem Gefahrguttransport.
Drittens sind Verbesserungen an den Fahrzeugen, Vorschriften über Fahrzeuge, auch über Technik geschaffen worden. Es ist alles genannt worden: die Blockierverhinderer, die Bremsverstärker, die Kippstabilität. Das sind alles Dinge, die nicht erfunden werden müssen, sondern die auf dem Weg oder schon in Betrieb sind. Insofern braucht man das hier nicht zu wiederholen.
({5})
Wir haben auch bei der Fehlerquelle Mensch angesetzt: Ich nenne die bessere Schulung, die Abkürzung der Zeit bis zur Schulungswiederholung - das ist ein ganz wichtiger Punkt - , die freiwilligen Initiativen, die es auf diesem Gebiet gibt, die Fahrerschulung, das Training, was ich für sehr wichtig halte, die freiwilligen Kooperationen mit der Wirtschaft - Herr Jung hat das schon erwähnt - , z. B. im Chemiebereich, aber auch den Bußgeldkatalog. Es ist doch nicht wahr, daß nichts geschehen sei.
Das Urteil in Limburg zeigt auch, wie im strafrechtlichen Bereich vorgegangen wird. Der Begriff „Schreibtischtäter" ist zwar ein bißchen vorbelastet, aber ich habe keine Anstände, ihn wie Klaus Daubertshäuser zu benutzen: Der Schreibtischtäter ist unter Umständen genauso schuldig wie der Fahrer, der, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten, den Auftrag ausführt, den ein anderer ausheckt. Ich bin schon der
Meinung, daß hier der Disponent, der Speditionsleiter oder wer immer vielleicht sogar schuldiger als der ist, der die Tätigkeit in seiner geringeren Position dann ausführen muß. Das ist aber beim Bußgeld natürlich durch unterschiedliche Staffelungen berücksichtigt worden.
({6})
- Es ist natürlich möglich, auch den wirtschaftlichen Erfolg abzuschöpfen. Ich habe gar keine Anstände
- lassen Sie mich das noch sagen - , vernünftige Ideen aufzunehmen. Auch ich selber habe einmal davon gesprochen, den wirtschaftlichen Erfolg abzuschöpfen, weil in einer Wirtschaft wie unserer Gesetze und Vorschriften dann am ehesten befolgt werden, wenn es an den Geldbeutel geht. Es darf nicht interessant sein, Fahrzeiten, Lenkzeiten, Sicherheitsvorschriften zu überschreiten,
({7})
in der Gewißheit: Ich werde nicht geschnappt, und ich verdiene trotzdem noch genug dabei. Das darf nicht sein. Was an Abschöpfung im Drogenhandel möglich ist, ist hier genauso notwendig. Ich sage das ohne Anstände.
({8})
Das setzt auch voraus - um noch einen letzten Punkt anzusprechen -, daß wir Kontrollen haben. Auch das ist wichtig. Die besten Vorschriften nützen überhaupt nichts - Klaus Daubertshäuser, das würde auch gelten, wenn alle Anträge von der SPD angenommen würden -, wenn ihre Einhaltung nicht kontrolliert wird. Das ist eine Sache, die nicht in erster Linie den Bund angeht. Das kann er zum Teil über seine BAG tun. Aber im wesentlichen ist dies auch eine Sache der Länder mit ihren Länderpolizeien. Diese sollten in diesem Sinne tätig werden. Ich finde, daß das ganz eindeutig mit dazugehört.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort, weil unsererseits hier kein Kollege von der Küste spricht. Ich will mich wenigstens mit einem Satz zur möglichen Änderung der Lotsenannahmepflicht äußern. Ich denke, dieser Antrag wird ja wohl an den Ausschuß überwiesen. Wir sind in dieser Frage nicht festgelegt. Ich beziehe mich auf das, was mein Kollege Werner Zywietz in den Haushaltsberatungen gesagt hat, nämlich daß es auch unter dem Aspekt der Sicherheit natürlich wichtig ist, ob man mit Bezug auf den Bereich Straße mehr tun will und mit Bezug auf den Bereich Wasser unter Umständen zum Abbau von Sicherheitsvorschriften kommt. Darüber sollten wir im Ausschuß einmal sehr offen reden.
({9})
Ich bin dafür nicht Fachmann genug. Wir sollten uns vielleicht Erfahrungen von Fachleuten vortragen lassen, um dann zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fahrer und Unternehmer sind in Limburg verurteilt worden, nicht der Staat.
({0})
Herr Daubertshäuser, vor und nach Herborn hat die Bundesregierung bei Gefahrguttransporten zügig und sachgerecht gehandelt.
({1})
Das Parlament, die Opposition eingeschlossen, hat einen erheblichen Anteil daran, weil ständig gedrängt, gefordert und vorgeschlagen wurde. Vorrang für mehr Sicherheit ist unsere gemeinsame Devise. Wir haben der Gesundheit der Menschen zu dienen und die notwendigen Wirtschaftsabläufe zu garantieren. Dies gilt in dieser Reihenfolge und nicht anders. Die Bedingungen, unter denen wir zu arbeiten haben, sind in unserem Land nicht einfach. Wir haben die höchste Verkehrsdichte in Europa, wir sind das größte Durchfahrtsland und werden in Zukunft noch mehr zur Drehscheibe des europäischen grenzüberschreitenden Verkehrs werden.
({2})
Der Rhein ist jetzt schon die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Mit dem Wachstum der Wirtschaft wächst der Anteil der Gefahrgüter. 386 Millionen t Gefahrgüter waren es 1986; gut 400 Millionen t werden es in diesem Jahr sein. Das Datenmaterial ist mit vier Jahren zu alt, um klare Konsequenzen zu ziehen. Auch ohne gesetzliche Grundlagen bleibt die Regierung zur Aktualisierung aufgefordert. Kein Verkehrsaspekt löst soviel Ängste bei den Menschen aus, wie es die Gefahrguttransporte tun. Sie lassen sich nicht aus der Welt schaffen. Aber ihre Risikoschwelle läßt sich senken. Jährlich etwa 80 Tankwagenunglücke und 30 Unglücke mit Stückguttransporten fordern uns alle zu einer permanenten Sicherheitskampagne heraus. Die Regierung handelt verantwortungsbewußt. Das machen alle Vorlagen deutlich. Wir gehen unbestreitbar mit einer neuen Sicherheitsqualität in die 90er Jahre. In der Fahrzeugtechnik gibt es Forschritte, Altfahrzeuge mußten bis zum Ende des Jahres umgerüstet werden. Ich nenne die neue „Bauchbinde" bei den Tankwagen. Die Kippstabilität ist verbessert worden. Der Retarder gehört zur zukünftigen Ausrüstung ebenso wie ABV. Der Geschwindigkeitsbegrenzer wird und muß auf europäischer Ebene kommen. Einigen Verantwortlichen ist immer noch nicht bewußt, daß ihre Transporte mobile Bomben sind. Wer nicht bereit ist, seinen 40-Tonner bei 80 km einzubremsen, der muß vom Gesetzgeber gestoppt werden.
({3})
Wir gehen unbestritten aber auch mit einem höheren Sicherheitsniveau in die 90er Jahre. Bei den Verkehrswegen: 140 neue Ortsumgehungen für über eine Milliarde DM sind gebaut worden, um mehr Sicherheit zu bekommen. 400 Ortsumgehungen befinden sich in der Planung. Doch anhaltender Protest gegen den Straßenneubau verzögert den Bau von Si14626 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode - 1W4 Sitzung. Bonn. Freitag, den 19. Januar 1990
Börnsen ({4})
cherheitsstraßen. Jede zweite Maßnahme in unserem Land wird nicht mehr im Planungszeitraum realisiert. Wer hier abblockt, sollte daran denken, daß er zu mehr Gefahr im Stadtkern beiträgt.
50 % aller Nahverkehrsgüter werden auf der Straße transportiert. Es gibt zur Straße keine Alternative. Die Verkehrsverlagerung auf Bahn und Binnenschiff ist nur im Fernverkehr möglich. Dort wird sie, was richtig ist, zunehmend praktiziert. Die Ausweitung der Liste hochgefährlicher Güter auf 190 Stoffe hat dazu beigetragen.
In den letzten Jahren ist der Bahnanteil um fast 20 gestiegen - ein Erfolg. Doch die Deutsche Bundesbahn verspielt ihren Kredit, wenn zutrifft, was jetzt ein großes Magazin schreibt, daß ihre Betriebstochter NCS beim Transport nuklearen Abfalls vorschriftswidrig die Straße bevorzugt. Dieser Vorgang gehört aufgeklärt.
Auch die Bundesbahn ist nicht der Königsweg der Sicherheit. Die Großunfälle in Gorki, Paris und Kaiserslautern im Jahre 1988 machen deutlich, daß auch beim Transport auf der Schiene Risiken bestehen. Das Gefährdungspotential von Güterzügen mit Gefahrgut sollte niemand unterschätzen. Die Menge ist groß, der Transport führt durch Ballungszentren, und das Umladerisiko kommt hinzu.
Der Verkehrsweg Straße hat sowohl durch den neuen Gefällstreckenatlas wie durch die Fahrverbotsregelung bei wetterbedingter Sichtbehinderung an Sicherheit gewonnen.
({5})
Die Möglichkeit für die Behörden, entschärfte Wege anzuweisen, erhöht die Sicherheit.
Daß wir mit einer höheren Risikoschwelle in die 90er Jahre gehen, gilt auch für den dritten Bereich, für die Verantwortung des Menschen. 90 % aller Unfälle gehen auf sein Fehlverhalten zurück. Wir haben in Europa anerkanntermaßen die besten Sicherheits- und Verkehrsvorschriften. Doch sie verlieren ihren Zweck, wenn sie nicht eingehalten werden.
Richtig ist, über 180 000 Tankwagenfahrer auszubilden und darüber hinaus die Fahrer von Versandstücken einzubinden. Richtig ist die Stabilisierung der Gefahrgutkette durch die Benennung von Gefahrgutbeauftragten in den Betrieben. Richtig ist, nach dem neuen Bußgeldkatalog beide - Fahrer und Betreiber - bei Verstößen zu belangen, um den treibenden Zeitdruck zu nehmen.
Besorgnis und Beunruhigung bleiben jedoch auch zu Beginn der 90er Jahre bestehen, wenn man feststellt, daß die Verstöße bei Gefahrguttransporten wegen der Fülle der Vorschriften sicher nicht weniger werden. Jeder vierte Transport wird von der Polizei beanstandet, so sagt eine Meldung aus Schleswig-Holstein. Ausländische Fahrzeuge haben einen hohen Anteil daran. Hier muß durch mehr Kontrolle, mehr Konsequenz bei der Konzessionsvergabe und durch mehr konstruktives Verkehrsverhalten der Beteiligten das Verantwortungsbewußtsein wesentlich gesteigert werden.
Noch ein Wort zu Ihrem Antrag zur Freifahrergrenze im Nord-Ostsee-Kanal. Nach der wirklich behutsamen Anhebung der Freifahrergrenze gilt auch für den Nord-Ostsee-Kanal weiterhin die Lotsenpflicht bei dem Transport hochgefährlicher Güter - nichts anderes.
({6})
Auch bei der Freifahrergrenze muß man deutlich machen, daß sie bis zum 31. Juli 1991 ein Versuch ist. Auch hier gilt: Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.
({7})
Der neue Kompromiß, an dem mein Kollege Dietrich Austermann sicher einen guten Anteil hat, sichert den Schiffsverkehr im Nord-Ostsee-Kanal. Er verhindert die Vertreibung von Booten auf die gefährliche Skagen-Route. Die Arbeitsplätze der Lotsen sind nicht in Gefahr. Sie wären es aber, wenn sich die Sozialdemokraten des Landes Schleswig-Holstein durchsetzten, die alle Gefahrgüter aus dem Kanal verbannen wollen. Deren Fahrt soll nachher um die Nordspitze Dänemarks gehen, wo täglich 60 Fähren verkehren, wo es stürmische Wetterbedingungen gibt und das Risiko um ein Vielfaches höher ist. Das kann doch niemand wollen!
({8})
Nein, es geht nicht an, die Dänen mit unseren Gefahrgutfrachten zu belasten. Wir haben selber für mehr Sicherheit zu sorgen. Wir haben sicher auch durch schärfere Richtlinien und mehr Kontrollen selber dazu beizutragen. Dieser Antrag der Sozialdemokraten ist überflüssig, fehlorientiert und falsch.
Danke schön.
({9})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1379 und 11/5278 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4529 zu einer Reihe von Anträgen der Fraktion der SPD, die sich auf die Sicherheit im Straßenverkehr beziehen. Kann ich davon ausgehen, daß wir über die Beschlußempfehlung insgesamt abstimmen können? Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1110, 11/1112 bis 11/1115, 11/1367 bis 11/1378 und 11/1380 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Vizepräsident Stücklen
Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 11 d ab. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 11/4591, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2878 abzulehnen. Die Fraktion DIE GRÜNEN bittet darum, daß ausnahmsweise unmittelbar über ihren Antrag, und zwar getrennt, abgestimmt wird.
({0}) - Es wird also nicht getrennt abgestimmt.
Wer der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/4591 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1})
a) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Humanitäres Kriegsvölkerrecht
b) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Humanitäres Kriegsvölkerrecht
- Drucksachen 11/2118, 11/3295, 11/5943 Berichterstatter:
Abgeordnete Graf Huyn Dr. Scheer
Dr. Mechtersheimer
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6274 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprachezeit von 45 Minuten vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir finden es bedauerlich, daß diese Debatte heute morgen stattfinden muß, denn wenn auf die Zusagen der Bundesregierung Verlaß wäre, dann hätte das Thema schon 1984 erledigt sein müssen, denn die Ratifizierung der Zusatzprotokolle zu dem Genfer Rotkreuz-Abkommen ist uns von der damaligen und jetzigen Bundesregierung für das Jahr 1984 fest versprochen worden. Seitdem sind wieder fast sechs Jahre vergangen, und die parlamentarische Leidensgeschichte der Zusatzprotokolle ist immer noch nicht zu Ende.
Wir werden heute vielleicht einen Schritt weiterkommen, indem der Bundestag die Bundesregierung auffordert, den Ratifizierungsvorgang nun unverzüglich einzuleiten. Ich habe aber nach den bisherigen Erfahrungen Zweifel, ob sich die Bundesregierung von dieser Aufforderung sehr beeindrucken lassen wird. Vor allen Dingen habe ich Zweifel, ob ein Ratifizierungsgesetz vorgelegt werden wird, das die schwerwiegenden rechtlichen und politischen Fragen im Zusammenhang mit den Zusatzprotokollen wirklich beantwortet.
Ich will zur Vorgeschichte noch einmal daran erinnern, daß sie im Jahre 1977 von der damaligen Bundesregierung unterzeichnet worden sind und daß seitdem alle Bundesregierungen diese Protokolle immer wieder als einen wesentlichen Fortschritt beim Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen und Bürgerkriegen bezeichnet haben. Dennoch sind seit der Unterzeichnung heute schon fast 14 Jahre vergangen, ohne daß ratifiziert worden wäre. Das ist ein wohl einmaliger Rekord.
Tatsächlich stellen die Zusatzprotokolle eine bedeutsame Weiterentwicklung des Völkerrechts dar. Der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten war bisher völlig unzureichend oder überhaupt nicht geregelt. Dabei lehrt uns die traurige Erfahrung aus der Geschichte der Kriege dieses Jahrhunderts und gerade auch der jüngsten Zeit, daß es die Zivilbevölkerung ist, die in Kriegen die meisten Opfer bringen muß. Wir kennen bewaffnete Auseinandersetzungen, in denen bis zu 90 % der Opfer unbeteiligte Zivilpersonen gewesen sind. Es versteht sich also von selbst, daß das deutsche Volk, das die schrecklichen Folgen von Kriegen in diesem Jahrhundert zweimal spüren mußte, ein besonderes Interesse an der Wirksamkeit international verbindlicher Regeln haben muß, die dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen. Das gilt übrigens für beide deutsche Staaten, und es wäre erstrebenswert, die gleichzeitige Ratifizierung der Protokolle in die deutsch-deutsche Zusammenarbeit einzubeziehen.
({0})
Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes hat die Mitglieder des Bundestags bei verschiedenen Gelegenheiten über die wesentlichen Inhalte der Protokolle informiert. Die entscheidende neue Regel ist, daß die Konfliktparteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegführung haben. Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen, sind verboten. Ebenfalls ist eine Kriegführung verboten, die ausgedehnte, langanhaltende oder schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursacht.
Entscheidend aber sind die in Art. 51 des Zusatzprotokolls 1 niedergelegten Kampfführungsbestimmungen. Dort wird gesagt, daß weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen das Ziel von Angriffen sein dürfen, daß unterschiedslose Angriffe verboten sind, daß Repressalien gegen die Zivilbevölkerung verboten sind und daß keine militärischen Mittel eingesetzt werden dürfen, deren zerstörerische Wirkungen in keinem Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen.
Das Zusatzprotokoll 1 regelt außerdem den Schutz unverteidigter Orte und entmilitarisierter Zonen, stellt Angehörige des Zivilschutzes unter völkerrechtlichen Schutz und begründet besondere Schutzmaßnahmen zugunsten von Frauen und Kindern.
Obwohl sich die Presse in Bonn für das Thema bisher wenig interessiert hat, will ich doch darauf hinweisen, daß das Zusatzprotokoll 1 einen völkerrechtlichen Schutz für Journalisten mit gefährlichem Auftrag vorsieht. Es ist sogar so, daß Journalisten in Bonn die ersten sein könnten, die von den Segnungen dieses Protokolls etwas haben werden.
Das ist keine unwesentliche Regelung am Rande, denn die Zahl von Journalisten, Wort- und Bildberichterstattern, die in Ausübung ihres Berufs Opfer bewaffneter Konflikte wurden, ist in den letzten Jahrzehnten erschreckend gestiegen.
Man kann natürlich darüber streiten, ob völkerrechtliche Regelungen wirklich zur Zivilisierung von Kriegen beitragen können oder nicht. Vielleicht ist es sogar ein Widerspruch in sich, so etwas versuchen zu wollen. Die Erfahrung zeigt aber, daß die bisher schon geltenden völkerrechtlichen Regeln durchaus dazu geführt haben, daß sich die kriegführenden Parteien bestimmten Einschränkungen unterwerfen mußten. Die segensreiche Rolle des Roten Kreuzes in Kriegen wäre ohne entsprechendes internationales Recht nicht möglich.
Was das humanitäre Kriegsvölkerrecht nicht leisten kann, ist die Vermeidung von Kriegen überhaupt. Gleichwohl stellt das Zusatzprotokoll eine wichtige Verbindung zwischen dem Kriegsvölkerrecht und dem Friedensvölkerrecht dar. Es hat nämlich auch eine hohe rüstungskontrollpolitische Bedeutung. Art. 36 verlangt von den Vertragsparteien eine Art Völkerrechtsverträglichkeitsprüfung. Sie sollen nämlich feststellen, daß bei der Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel oder Methoden der Kriegführung diese Waffen oder Methoden nach anwendbaren Regeln des Völkerrechts oder durch dieses Protokoll nicht verboten wären.
Damit soll erreicht werden, daß schon die Verteidigungsplanung und die Rüstungspolitik Rücksicht nehmen auf die die Kriegführung einschränkenden Bestimmungen des Völkerrechts.
Dieser Zusammenhang ist in der bisherigen Diskussion wenig beachtet worden. Er verdient aber besondere Beachtung in einem Jahr, das von der Bundesregierung selbst als das Jahr 1 eines Jahrzehnts der Abrüstung gewünscht wird.
Daß die Bundesregierung die Protokolle immer noch nicht zur Ratifizierung vorgelegt hat, steht in einem schmerzlichen Widerspruch zu ihren immer wieder abgegebenen Erklärungen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Warum, so muß man ja fragen, ist eigentlich die Ratifizierung so schwierig? Warum liegt immer noch kein Gesetzentwurf vor? Die schlichte Wahrheit ist, daß die 1977 unterzeichneten Protokolle in einem krassen Widerspruch stehen zur militärischen Doktrin des westlichen Bündnisses, zur derzeit gültigen NATO-Strategie und dementsprechend zu Auftrag und Ausrüstung der Bundeswehr.
({1})
Die Protokolle verbieten nicht bestimmte Waffenarten oder Methoden der Kriegführung, sondern sie verbieten Wirkungen, ganz egal, wodurch diese Wirkungen ausgelöst werden. Mit anderen Worten: Die Protokolle schließen Massenvernichtungswaffen, auf denen das Prinzip der Abschreckung beruht, vollkommen ein.
Ich weiß, daß an dieser Stelle keine Einigkeit besteht. Die Bundesregierung hat zu Beginn der politischen Debatte um die Ratifizierung die Auffassung vertreten, Atomwaffen seien von den Protokollen ausdrücklich ausgeschlossen. Weder der Wortlaut noch die Vertragsgeschichte stützen diese Argumentation. Man muß sich damit im Grunde gar nicht mehr bef assen. Denn ein völkerrechtlicher Vertrag wird nach seinem Wortlaut und nach seiner Zweckbestimmung ausgelegt, und beide sagen eindeutig, daß es um den umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung geht. Es wäre geradezu widersinnig, die gefährlichsten Waffen, nämlich die Atomwaffen, aus dem Vertragswerk herauszunehmen und die Zivilbevölkerung im Ernstfall dem Atomkrieg auszusetzen und das auch noch für erlaubt zu erklären.
Die Bundesregierung hat diese Position später auch verlassen und dann behauptet, es habe einen Konsens gegeben, die Protokolle nicht auf Atomwaffen anzuwenden. Auch das ist falsch. Es sind im Zusammenhang mit der Vertragsunterzeichnung unterschiedliche Erklärungen abgegeben worden. Der Auffassung der Atomwaffenbesitzer USA und Großbritannien, Atomwaffen seien von den Regelungen nicht erfaßt, ist damals, z. B. von Indien, ausdrücklich widersprochen worden.
Die vorläufig letzte Position der Regierung lautet jetzt, daß das Protokoll für Atomwaffen teilweise gilt und teilweise nicht.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist völlig absurd. Soweit das Protokoll bereits bestehendes Völkerrecht, sogenanntes Völkergewohnheitsrecht, lediglich kodifiziert, gilt es nach dieser Auffassung auch für Atomwaffen; soweit es neue Regelungen schafft, soll es für Atomwaffen nicht gelten.
Nun muß man aber wissen, was die neuen Regeln sind. Unbestritten sind lediglich das Verbot der Umweltkriegführung und das absolute Repressalienverbot gegenüber der Zivilbevölkerung. Das hieße also: Repressalien gegen die Zivilbevölkerung mit konventionellen Waffen wären verboten, mit Atomwaffen aber erlaubt; Vernichtung der Umwelt mit konventionellen Waffen wäre verboten, mit Atomwaffen aber erlaubt. Kein vernünftiger Mensch könnte dieser Argumentation folgen.
Sie wird auch nur dadurch verständlich, daß innerhalb der NATO die Auffassung besteht, daß für die Kampfführungsbestimmungen selbst, im engeren Sinne, neue Regeln geschaffen wurden. Genannt wird hier die Konkretisierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Es ist ganz klar, daß diese Auffassung lediglich den Zweck verfolgt, die in der NATO-Strategie vorgesehene nukleare Eskalation und die Option auf den Ersteinsatz von Atomwaffen völkerrechtlich abzusichern.
Da der Vertrag selbst diese Absicherung nicht zuläßt, will sich die NATO mit sogenannten Interpretationserklärungen behelfen; eine solche Erklärung will auch die Bundesregierung abgeben. Sie will feststellen, daß die neuen Regeln nach ihrem Verständnis auf Atomwaffen keine Anwendung finden sollen.
Das hätte einen gewissen Sinn - wenn ich ihn auch nicht billigen könnte - , wenn alle NATO-Partner dieselbe Auffassung hätten. Die Lage ist aber so, daß der
wichtigste Partner, die USA, nach nunmehr 14 Jahren Konsultation innerhalb des Bündnisses die Protokolle überhaupt nicht ratifizieren will. Frankreich hat bereits die Unterzeichnung verweigert, ehrlicherweise mit dem Argument, daß dieses Protokoll Auswirkungen auf die Doktrin der nuklearen Abschreckung hat. Großbritannien hat sich zur Frage der Ratifizierung nicht festgelegt. Belgien und die Niederlande haben mit der bewußten Nuklearerklärung ratifiziert, Italien wiederum mit einer anderen, und sechs andere NATO-Staaten haben ohne Nuklearerklärung ratifiziert.
({3})
Mit anderen Worten: Für die NATO-Verbündeten und ihre auf deutschem Boden stationierten Streitkräfte, Herr Feldmann, gelten bereits heute unterschiedliche völkerrechtliche Regeln für die Kriegsführung.
({4})
Die Sache wird zunehmend kompliziert dadurch, daß die Sowjetunion und weitere Staaten des Warschauer Paktes die Protokolle ohne Vorbehalt und ohne Nuklearerklärung ratifiziert haben.
Also, wie kommt man aus dem Dilemma heraus? - Nach unserer Überzeugung nur dadurch: Die Bundesrepublik muß die Zusatzprotokolle ohne Vorbehalt und ohne Nuklearerklärung ratifizieren. Die Nuklearerklärung wäre politisch schädlich; denn sie würde den Eindruck erwecken, daß die Option auf atomare Kriegführung offengehalten werden soll. Das paßt doch nicht mehr in diese Zeit, meine Damen und Herren! Und sie wäre militärisch unsinnig, weil das unbestritten geltende Verbot unterschiedsloser Angriffe und das Übermaßverbot den Einsatz von Atomwaffen im dichtbesiedelten Mitteleuropa ohnehin von vornherein ausschließen.
Wer Völkerrecht und Strategie zusammenbringen will, der muß eine Politik betreiben, die an das anknüpft, was ich hinsichtlich der rüstungskontrollpolitischen Bedeutung der Zusatzprotokolle gesagt habe. Ich nenne noch einmal die Stichworte: Revision der NATO-Strategie, Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden und Überprüfung der konventionellen Rüstung im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Genfer Vertragswerk.
Die Ratifizierung ohne Nuklearerklärung und ohne Vorbehalt wäre ein bedeutsames abrüstungspolitisches Signal. Wir sollten uns die Chance, ein solches Signal zu setzen, nicht entgehen lassen.
Als die SPD-Fraktion ihren Antrag vorgelegt hat, dem nach der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses heute zugestimmt werden soll, waren wir nicht davon ausgegangen, daß beim damaligen Stand der Diskussion ein Ratifizierungsgesetz mit Nuklearerklärung überhaupt noch in Betracht gezogen werden könnte. Ich möchte deshalb klarstellen, daß der inhaltlich weitergehende Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der später eingebracht worden ist und ein Ratifizierungsgesetz ohne Vorbehalt fordert, unserer Auffassung voll enspricht. Wir werden deshalb
auch dem vorliegenden Änderungsantrag zustimmen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf jetzt sofort ohne Vorbehalt und ohne Nuklearerklärung vorzulegen. Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, dem Deutschen Bundestag darüber zu berichten, welche Anpassungen der Dienstvorschriften der Bundeswehr und der Rüstungsmaßnahmen notwendig werden, um die Ziele des Vertrages zu erfüllen. Dasselbe gilt für die Anpassung des Zivilschutzgesetzes. Wir fordern die Bundesregierung außerdem auf, zugleich mit der Ratifizierung zu erklären, daß sie die in Art. 90 des Zusatzprotokolls I vorgesehene internationale Ermittlungskommission im Falle von Vertragsverstößen anerkennt. Eine entsprechende Erklärung hat der Oberste Sowjet bei der Ratifizierung abgegeben.
Wir teilen nicht die Auffassung derjenigen, die sagen: besser jetzt ein Ratifizierungsgesetz mit Nuklearerklärung als überhaupt keines. Wir werden alle parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um eine Ratifizierung ohne Nuklearerklärung zu erreichen. Das sind wir dem Schutz unserer Bevölkerung, dem Ansehen unseres Landes und den Zielen unserer Sicherheitspolitik schuldig. Wir sind es aber auch den Angehörigen der Streitkräfte schuldig, daß sie nicht in eine Lage gebracht werden, in der sie nicht mehr sicher sein können, ob ihr Handeln rechtmäßig ist oder nicht. Schwere Verstöße gegen die Protokolle wären im Ernstfall Kriegsverbrechen. Es kann nicht Sache des Soldaten sein, entscheiden zu müssen, ob eine Strategie völkerrechtswidrig ist oder nicht; diese Frage müssen wir beantworten.
Es gibt einen unauflösbaren Widerspruch in der Abschreckungsdoktrin; das wissen wir. Sie wird moralisch gerechtfertigt mit ihrer Funktion der Kriegsverhütung,
({5})
aber sie kann nur glaubwürdig sein, wenn die Bereitschaft zum Einsatz dieser Waffen auch tatsächlich besteht. Die Ratifizierung der Zusatzprotokolle wird diesen Widerspruch nicht auflösen, aber es ist gut, daß die Sachfrage uns noch einmal darauf aufmerksam macht, daß hinter ihr eine größere politische Aufgabe steht.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß überhaupt kein Anlaß zu einer derartigen Dramatisierung besteht, wie der Kollege Verheugen sie hier vorgeführt hat,
({0})
wobei mich die Geschwindigkeit beeindruckt, mit der Positionen der SPD innerhalb weniger Jahre verändert werden.
Vogel ({1})
Ich will einiges zur Bedeutung dieser beiden Zusatzprotokolle sagen, durch die ja die Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 ergänzt werden und die ganz sicher eine bedeutende Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts darstellen. Wir dürfen nicht übersehen, daß hier in erheblichem Umfang schon geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert wird; gleichwohl verdienen die Protokolle durchaus die Bezeichnung „Charta der Menschlichkeit", weil sie umfangreiche Regeln insbesondere zum Schutz der Zivilbevölkerung gegen die Auswirkungen von Feindseligkeiten in Kriegszeiten enthalten.
Herr Kollege Verheugen hat schon darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung diese 1977 beschlossenen Zusatzprotokolle auch bereits 1977 unterzeichnet hat. Wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht verläßt, bestand damals die sozialliberale Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, und diese damalige Bundesregierung hat erhebliche Bedenken dagegen gehabt, mit der Ratifizierung dieser beiden Zusatzprotokolle vorzupreschen, und zwar mit der Begründung - Herr Kollege Verheugen, das möchte ich in Ihre Erinnerung zurückrufen -, daß die Bundesrepublik Deutschland erst dann ratifizieren sollte, wenn eine der Nuklearmächte des NATO-Bündnisses die Ratifizierung vorgenommen habe. Damit haben wir einen Teil der Problematik, die hier aufgezeigt ist, und es ist ganz erstaunlich, wie sich Ihre Auffassungen, nachdem Sie in der Opposition sind, verändert haben; aber das wirft auch ein Licht auf die Ernsthaftigkeit Ihrer Argumentation.
({2})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hatte zweierlei zu berücksichtigen:
Einmal hatte sie zu berücksichtigen, daß sie Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses ist, daß die Streitkräfte der Bundeswehr in dieses Bündnis integriert sind und daß Truppen mehrerer verbündeter Staaten auf unseren Territorien stationiert sind, im wesentlichen Truppen von Staaten, die, bislang jedenfalls, diese Zusatzprotokolle nicht ratifiziert haben. Ein Argument können Sie mit all dem, was Sie hier vorgeführt haben, nicht wegwischen, nämlich daß diese Verflechtung der Bundeswehr in der NATO möglichst einheitliche Auffassungen auch zum humanitären Völkerrecht erforderlich macht.
({3})
- Ja, Sie sehen nur, daß die Entwicklung bei unseren Verbündeten innerhalb der NATO eine andere gewesen ist und daß vor allen Dingen wichtige Bündnispartner in Europa mit einer Nuklearerklärung ratifiziert haben. Sie haben auf die Position der Nuklearmächte innerhalb der NATO hingewiesen.
Ich hatte gesagt, zweierlei habe die Bundesrepublik zu berücksichtigen gehabt: Das zweite war, daß es, wenn diese Zusatzprotokolle mit ihren Regeln in Europa anwendbar sein sollen, selbstverständlich auch erforderlich ist, daß diese Zusatzprotokolle in West und Ost akzeptiert werden. Die UdSSR z. B. hat erst im August 1989 ratifiziert. Eigentlich ist erst seit diesem Zeitpunkt absehbar, daß es auch einen wesentlichen
Fortschritt im humanitären Völkerrecht geben wird, wenn wir ratifizieren.
({4})
Nun verrate ich Ihnen gar kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, daß wir im Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe seit Bestehen dieses Unterausschusses, d. h. seit Beginn dieser Legislaturperiode, darauf drängen, daß die Bundesrepublik diese beiden Zusatzprotokolle ratifiziert.
Ich freue mich, daß der Bundeskanzler in seiner Rede vor der 39. Ordentlichen Bundesversammlung des Deutschen Roten Kreuzes am 4. November 1989 folgendes gesagt hat:
Die Bundesregierung wird alle erforderlichen Maßnahmen in die Wege leiten, damit diese Zusatzprotokolle von der Bundesrepublik Deutschland schon bald ratifiziert werden können, auf alle Fälle noch in dieser Legislaturperiode.
Ich möchte sehr deutlich sagen: Wir erwarten genau dieses von der Bundesregierung.
({5})
Ich darf darauf hinweisen, daß der Bundesrat genauso, wie wir es heute tun sollen, am 21. April 1989 die Bundesregierung aufgefordert hat, das Ratifizierungsverfahren einzuleiten. Ich freue mich auch darüber, daß in der Forderung nach Ratifizierung alle in diesem Hause übereinstimmen. Es gibt diesen einzigen Dissens.
Was Sie zur Begründung der Meinungsänderung innerhalb der SPD-Fraktion gegenüber ihrem ursprünglichen Antrag hier vorgetragen haben, Herr Kollege Verheugen,
({6})
ist schon ein wenig grotesk.
Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Verheugen.
Bitte, Herr Verheugen.
Herr Kollege Vogel, könnten Sie vielleicht doch einmal näher darlegen, welche Art von Meinungsänderung stattgefunden hat? Wir haben diese Protokolle parlamentarisch zum erstenmal in der letzten Legislaturperiode beraten. Ich habe vom ersten Tage an hier nie etwas anderes vorgetragen als heute. Wo lag die Meinungsänderung?
Ich weiß nicht, ob alles das, was Sie vortragen, immer die Gesamtauffassung der SPD ist. Sie haben beispielsweise an den Beratungen im Unterausschuß nicht eine einzige Minute teilgenommen.
({0})
Vogel ({1})
- Ja, gut, aber dort haben wir sehr eingehend, Herr Kollege Verheugen, darüber gesprochen.
({2})
- Sie haben mir eine Frage gestellt. Darf ich die beantworten?
({3})
Sonst warte ich gerne und lasse Sie noch eine weitere Frage stellen.
Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie die Frage beantwortet haben, steht noch eine Zusatzfrage offen.
Herr Präsident, ich wollte nur großzügig sein gegenüber dem Kollegen Verheugen.
({0})
Herr Verheugen, wir haben darüber sehr eingehend im Unterausschuß beraten. Unser Anliegen ist, daß das Ratifizierungsverfahren eingeleitet wird. Sie wissen ganz genau, daß Gegenstand des Ratifizierungsgesetzes nicht etwa eine von der Bundesregierung abzugebende Interpretationserklärung bei Hinterlegung der Zusatzprotokolle ist. Darüber wird hier im Bundestag jedenfalls im Zusammenhang mit dem Gesetz nicht abgestimmt.
({1})
Das haben wir miteinander erörtert. Wir waren der Auffassung, das sei eine Frage, die sich im weiteren Verlauf des Ratifizierungsverfahrens neu stelle. Die Auffassung der SPD dazu ist bekannt. Wir stimmen jetzt aber jedenfalls darin überein, daß wir die Bundesregierung auffordern wollen, unverzüglich das Ratifizierungsverfahren einzuleiten. Das hat dazu geführt, daß im Unterausschuß und, wenn ich mich richtig erinnere, auch im Auswärtigen Ausschuß CDU/ CSU, SPD und FDP dem Antrag der SPD, so wie er ursprünglich eingebracht worden ist, zugestimmt haben. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat von vornherein einen Zusatz in ihrem Antrag gehabt, den die SPD aus den von mir genannten Gründen nicht übernommen hat. Ich glaube, das sollten wir der Wahrheit wegen hier auch vortragen.
Ich halte das auch für richtig. Die politische Auseinandersetzung über diese Frage ist damit nicht weg. Vielleicht gibt es andere Gründe, Gründe der Opportunität, die Sie veranlassen, heute dem Änderungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen. Jedenfalls geht die Ausschußempfehlung dahin, den ursprünglichen Antrag der SPD anzunehmen, die Bundesregierung aufzufordern, unverzüglich das Ratifizierungsverfahren einzuleiten. Meine Damen und Herren, wir verlangen die Einbringung dieses Gesetzentwurfes so zeitig, daß wir das Gesetz nach sorgfältiger Beratung noch in dieser Legislaturperiode verabschieden können.
Wir müssen damit unserer Verantwortung gerecht werden, die wir haben, die Verbreiterung der völkerrechtlichen Handlungsgrundlage im humanitären
Völkerrecht durch die beiden Zusatzprotokolle universal - ich betone: universal - anwendbar zu machen. Hierfür ist es wichtig, daß darüber innerhalb der NATO weitestgehender Konsens besteht, weil die NATO genauso wie die Staaten des Warschauer Pakts einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, daß in anderen Teilen der Welt, wo die Voraussetzungen nicht ohne weiteres so gegeben sind, wie sie Gott sei Dank hier inzwischen gegeben sind, diese Bestimmungen universal anwendbar werden.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.
Es ist unter den Mitgliedern des Bundestages wie unter denen der zuständigen Ausschüsse ein offenes Geheimnis, daß die Bundesregierung die Ratifizierung des Zusatzprotokolls ohne Nuklearvorbehalt bisher aus bündnispolitischen, militärstrategischen und zivilschutzpolitischen Gründen verhindert hat. Die Bundesregierung weiß genau, daß die Doktrin der nuklearen Abschreckung zur Diskussion steht. Sie will sich die Option der atomaren Kriegsführung offenhalten. Deshalb wurde mehrheitlich beschlossen, einen Nuklearvorbehalt zu machen. Dem können wir nicht zustimmen. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung eingebracht, der die Ratifizierung ohne irgendeinen Vorbehalt fordert.
Die NATO-Strategie widerspricht dem Völkerrecht. Das ist der Grund, warum hier seit dreizehn Jahren dieses Trauerspiel abgezogen wird, ein unerhörter und ungeheuerlicher Vorgang, der die zynische, eiskalte und verlogene Denkweise von Machtpolitikern demonstriert, denen es nicht um die Sicherheit der Bevölkerung, sondern um die Erhaltung ihrer Macht geht, verbunden mit einem ordentlichen Profit.
({0})
- Wer sich einmal klarmacht, welcher Zynismus hinter der ganzen Sache steckt und wie hier damit verfahren wird, für den ist das noch sehr gelinde ausgedrückt. Das Zusatzprotokoll regelt nämlich erstmalig in der Völkerrechtsgeschichte den sachlichen Zusammenhang, der zwischen Militärstrategie, Waffensystemen und Kriegsfolgen für Zivilbevölkerung und Umwelt herrscht. Dadurch werden Kriegsführungsmethoden und Waffensysteme als das erkennbar, was sie im Nuklearzeitalter tatsächlich sind: Anstiftungen und Techniken zur Auslösung der humanitären und ökologischen Barbarei.
({1})
Das Zusatzprotokoll I beinhaltet wichtige Normen, die es erlauben, die Existenz des Militärs in der Bundesrepublik und anderswo, seine Planungen, Übungen und Rechtfertigungen bereits im Frieden daraufhin zu überprüfen, inwieweit es an der Vorbereitung
der nuklear-chemisch-elektronisch-konventionellen Kriegsbarbarei beteiligt ist, oder eben nicht.
({2})
Schließlich bietet das Zusatzprotokoll mit seinen Prinzipien der unverteidigten Orte und der entmilitarisierten Zonen das genaue Gegenprogramm zur regierungsamtlichen Zivilschutzpolitik im Rahmen der Gesamtverteidigung. Wer Kriege verhindern will, der wird kein Zivilschutzprogramm in öffentliche Haushalte einstellen, sondern das Zusatzprotokoll ohne Vorbehalte ratifizieren.
Angesichts der extrem hohen Industrie- und Infrastrukturdichte in Europa mit ihren sozialen und ökologischen Gefährdungspotentialen ist der Friede schon aus, sagen wir einmal: betriebswirtschaftlicher Sicht ein Produktionsfaktor geworden. Es ist bezeichnend für den Stand der sogenannten Sicherheitsdebatte in diesem Land, daß es heute die GRÜNEN sind, die den Marktradikalen in der Regierung solche sicherheitsökonomischen Binsenweisheiten in Erinnerung rufen müssen. Ich rate der Bundesregierung, doch einmal bei der BASF anzurufen, um Geschäftsleitung und Betriebsrat zu fragen, was man dort nach dem Beinahe-Chemie-GAU, den der Absturz eines konventionellen Kampfflugzeuges kürzlich ausgelöst hat, vom Zivilschutz hält.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, was vor der Wende, also 1982, in der BRD in einer Rot-KreuzKampagne zur Ratifizierung anlief. Da wurde folgendermaßen argumentiert - ich zitiere „Die Welt" vom 16. Februar 1982 - :
Die Großmächte allerdings sträuben sich noch. Sich diesen Regeln zu unterwerfen hieße, sich in der militärischen Planung neu orientieren zu müssen. Das Abkommen verbietet viele Angriffsmöglichkeiten, unter ihnen solche, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet sind bzw. sich in ihren Methoden nicht darauf beschränken lassen. Verboten sind so z. B. auch Flächenangriffe unter denen die Zivilbevölkerung leiden würde. Diese Kriegsführung würde sogar - das ist ebenfalls neu - als Kriegsverbrechen geächtet werden. Zerstört werden dürfen ebenfalls Talsperren, Deiche und Kraftwerke selbst dann nicht mehr, wenn sie ausschließlich militärischen Zwecken dienen, ihre Zerstörung aber gefährliche Kräfte freisetzen und schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung hervorrufen. Die Zusatzprotokolle schließen mit einer Definition von Kriegsverbrechen auch lange nach Nürnberg endlich eine Gesetzeslücke.
So „Die Welt" 1982, vor der Wende. Heute hat die Bundesregierung - wie immer - geschworen, Schaden vom Volk abzuwenden. Sie tut das Gegenteil: Die Betonköpfe werden immer dicker. Man zwangspensioniert dann lieber noch den Flottillenadmiral Schmähling als kritischen Bundeswehrmenschen,
({3})
statt vielleicht einmal ohne Vorbehalt zu ratifizieren.
Ich kann nur sagen: Ich schäme mich, einem Parlament anzugehören, das nicht in der Lage ist, Grundgesetz und Völkerrecht einzuhalten.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns allen ist bewußt, daß die vorliegenden Zusatzabkommen von der damaligen Bundesregierung bereits 1977 unterzeichnet wurden. Herr Verheugen, Sie sprechen von einer Leidensgeschichte. Ich will da gar nicht widersprechen. Wir stimmen darin überein, daß die Ratifizierung jetzt nach 13 Jahren überfällig ist. Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Dennoch, Herr Verheugen - da stehe ich im Gegensatz zu Ihnen -, war die Bundesregierung ebenso wie die Vorgängerinnen gut und richtig beraten, sich zunächst nachdrücklich um eine einheitliche Haltung bei den Bündnispartnern zu bemühen. Der Kollege Vogel hat das ausgeführt. Da diese Bemühungen aber keinen Erfolg gehabt haben, gibt es jetzt keinen Grund mehr, die Entscheidung zur Ratifizierung länger hinauszuziehen. Auch der Streit über die sogenannte Nuklearerklärung darf die Ratifizierung unseres Erachtens nicht länger blockieren.
Die FDP fordert die Bundesregierung auf, das Ratifizierungsverfahren schnellstmöglich einzuleiten. Der Streit in der Sache ist meines Erachtens nur noch bedingt auf unterschiedliche Auffassungen über die Tragweite der Zusatzprotokolle zurückzuführen.
Falsch aber ist die Unterstellung, Herr Kollege Verheugen, die Protokolle dienten der Absicherung des nuklearen Ersteinsatzes. Das kann man so nicht sagen. International - das wissen Sie - ist diese Sache weit weniger umstritten als hier in diesem Hause; denn auch die Sowjetunion, Frau Schilling, hat ausdrücklich erklärt, daß die Nuklearerklärung mit der gemeinsamen Interpretation der Teilnehmerstaaten von 1977 übereinstimmt. Das ist auch die Auffassung des IRK. Was sagen Sie dazu?
({0})
- Das ist jetzt auch die Auffassung des IRK. Es kommt auf die heutige Auffassung an.
Natürlich, Herr Verheugen, sperrt sich, wie Sie das ausgeführt haben, der gesunde Menschenverstand dagegen, daß der Schutz der Zivilbevölkerung hier nur im Zusammenhang mit konventionellen Waffen gelten soll. Denn es kann doch keine Rolle spielen, ob Menschen durch Atomgranaten oder durch konventionelle Granaten ums Leben kommen. Dieser Widerspruch ist offensichtlich. Aber wir Politiker sind gefordert, diesen Widerspruch zu erklären und zu erklären, warum dieses Abkommen trotz aller Mängel dennoch ein Weg in die richtige Richtung sind; und sie sind ein Weg in die richtige Richtung.
Dieser Widerspruch ist im Völkerrecht selbst angelegt. Das Völkerrecht unterscheidet sich vom nationalen Recht durch seine mangelnde Durchsetzbarkeit. Neues Völkerrecht wie dieses Abkommen - und das ist Völkerrecht - kann nur auf der Basis des kleinsten
gemeinsamen Nenners geschaffen werden, auf der Grundlage freiwilliger Zustimmung souveräner Staaten. So sind auch diese Zusatzprotokolle zustande gekommen. Ohne einen Kompromiß in der Nuklearfrage hätten wir gar nichts. Ist Ihnen das denn lieber?
Kriegsverhinderung ist das oberste Gebot des Völkerrechts. Trotzdem haben seit Ende des Zweiten Weltkrieges 150 Kriege stattgefunden. Auch humanitäres Kriegsvölkerrecht kann Kriege nicht verhindern, kann auch den Krieg nicht menschlicher machen. Das humanitäre Kriegsvölkerrecht ist gewissermaßen ein zweites Sicherungssystem unterhalb des allgemeinen Kriegsverbots.
Kriegsverhinderung ist auch das Ziel der nuklearen Abschreckung. Aber diese Strategie ist im Falle ihres Versagens ungeeignet, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Das können und wollen wir gar nicht wegdiskutieren.
Aber gerade vor diesem Hintergrund ist die geplante Nuklearerklärung notwendig. Sie ist ehrlich. Sie dient der Klarstellung. Diese Erklärung nicht abzugeben, aber dennoch an der atomaren Abschrekkung festzuhalten wäre unehrlich. Aus dieser moralischen und auch völkerrechtlichen Zwickmühle wird letztendlich nur die Überwindung der Abschreckung und der militärischen Konfrontation heraushelfen.
({1})
- Sie stimmen mir zu, Herr Kollege, das ist gut.
Die FDP läßt keinen Zweifel daran, daß sie dieses Ziel im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung anstrebt. Die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa läßt uns hoffen, daß wir dieses Ziel bald erreichen können. Dafür werden wir kämpfen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister Schäfer, Auswärtiges Amt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Plenum hat sich zuletzt im November 1988 mit den vorliegenden Anträgen befaßt. Inzwischen haben der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß übereinstimmend die unverzügliche Einleitung des Zustimmungsverfahrens empfohlen.
Ich glaube, es gibt trotz der etwas heftigen oder schrillen Ausführungen der Kollegin Schilling keinen Zweifel, daß alle Fraktionen einen baldigen Beitritt der Bundesrepublik zu diesem Abkommen wünschen, dessen Bedeutung für die Achtung eines Minimums an Humanität auch im Kriege unbestritten ist. Wir dürfen trotz des Erfolgs unserer Bemühungen um die Erhaltung und Sicherung des Friedens in Europa nicht außer acht lassen, daß in vielen Teilen der Welt noch immer Kriege mit größter Härte geführt werden, zum Teil gegen die eigene Bevölkerung.
Die Protokolle enthalten einen in eingehenden Verhandlungen erarbeiteten Kompromiß zwischen militärischen und humanitären Erfordernissen, der, auch wenn er nicht alle Fragen der modernen Kriegführung wie den Abbau von Massenvernichtungswaffen
regelt, doch den Schutz der Opfer des Krieges in einer Vielzahl von Einzelbestimmungen erheblich verstärkt. Dieser vielleicht nicht sehr anspruchsvolle, aber realistische Weg entspricht der Tradition des Rot-Kreuz-Gedankens. Wie der Erfolg der Bemühungen des Internationalen Roten Kreuzes in bewaffneten Konflikten zeigt, ist er auch heute noch der wirkungsvollste.
Unser Beitritt zu den Zusatzprotokollen ist ein wichtiger Schritt, der sich mit unserer seit 40 Jahren verfolgten Friedens- und Menschenrechtspolitik deckt. Ich habe hier im November 1988 über die Bemühungen der Bundesregierung um Schaffung der notwendigen Voraussetzungen berichtet und brauche diesen Bericht nicht zu wiederholen. Ich habe damals im Namen der Bundesregierung zugesagt, daß das Gesetzgebungsverfahren innerhalb der Bundesregierung jetzt beschleunigt wird. Das ist geschehen.
Wie Sie der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 4. November 1989 vor der 39. Bundesversammlung des Deutschen Roten Kreuzes entnehmen, wird die Bundesregierung alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Abkommen bald ratifiziert werden. Das Bundeskabinett wird in aller Kürze - ich hoffe, noch im Januar, ich kann aber nicht über die Tagesordnung entscheiden - über die Einbringung des Zustimmungsgesetzes beschließen, damit Bundestag und Bundesrat ihre Beratungen aufnehmen können. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, das Zustimmungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode erfolgreich zum Abschluß zu bringen.
Ich möchte der Erörterung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung durch den Bundestag nicht vorgreifen, aber dem Anliegen der heute vorliegenden Anträge wird in Kürze entsprochen. Ich möchte erneut unterstreichen, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde Vorbehalte einzulegen. Sie hat allerdings wiederholt mitgeteilt, daß sie beabsichtigt, mit unseren Partnern abgestimmte und von einer Reihe von Partnern bereits abgegebene Interpretationserklärungen abzugeben. Es handelt sich um Klarstellungen, die mit den Zusatzprotokollen und ihrer Verhandlungsgeschichte im Einklang stehen.
Ich entnehme heutigen Äußerungen, daß dieses Thema von Teilen des Hauses weiter problematisiert wird, indem Fragen der Reduzierung von Nuklearwaffen mit der Frage der Ratifikation der Zusatzprotokolle verbunden werden. Herr Kollege Verheugen, die Bundesregierung kann natürlich nicht durch Ratifikation der Zusatzprotokolle gezwungen werden, die NATO-Strategie schon vor Abschluß der Abrüstungskonferenzen auf ausschließlich konventionelle Waffen umzustellen oder gar aus der NATO auszutreten. Gerade im Hinblick auf die von Teilen des Hauses immer wieder behaupteten Auswirkungen der Zusatzprotokolle auf die Verteidigungsstrategie scheint mir die Klarstellung des Anwendungsbereiches der durch die Zusatzprotokolle eingeführten neuen Regeln weiterhin notwendig.
Die Sowjetunion hat uns im Anschluß an die Ratifikationsdebatte im Obersten Sowjet als offizielle Position übermittelt, daß die sowjetische Seite mit den Teilnehmerstaaten der Vertragskonferenz von 1974
bis 1977 übereinstimmt, daß die beiden Zusatzprotokolle keinen direkten Bezug zur Frage des Einsatzes von Nuklearwaffen haben.
({0})
Die sogenannten Nuklearerklärungen westlicher Staaten, die die Nichtanwendung der Zusatzprotokolle auf Nuklearwaffen feststellen, seien mit der gemeinsamen Interpretation der Teilnehmerstaaten von 1977 vereinbar. Deshalb hat die Sowjetunion keine Einwände erhoben.
Damit scheint mir festzustehen, daß der Inhalt der beabsichtigten Klarstellung nicht nur mit der Auffassung unserer Verbündeten, vieler anderer Staaten und des Internationalen Roten Kreuzes, sondern auch mit der Sowjetunion übereinstimmt. Wir können beim besten Willen den Zusatzprotokollen nicht international eine Bedeutung geben, die über die Absichten der Verfasser hinausgeht. Das Ziel der Abrüstung kann nicht durch die Ratifizierung der Zusatzprotokolle, sondern nur durch erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen erreicht werden. Dazu werden wir durch unsere Politik beitragen.
Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6274. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/5943. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn
- Drucksachen 11/2203, 11/5724 Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Lüder
Frau Dr. Vollmer
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat den Antrag, über den heute diskutiert wird, bereits im April 1988 eingebracht. Wir hatten klar definiert und die Bundesregierung aufgefordert, eine auch für den allgemeinen Reiseverkehr verbindliche generelle Aufhebung des Visumzwangs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn zu vereinbaren. Ungarn war damit das erste Land der Warschauer Vertragsorganisation, das der Bundesrepublik Deutschland von sich aus eine Aufhebung des Visumzwanges angeboten hat.
({0})
Es war zur Zeit unserer Antragsstellung im Frühjahr 1988 bereits fast elf Jahre her, nämlich 1977, daß die Ungarn uns das angeboten haben.
Man muß auch wissen, daß Ungarn derartige Abkommen bereits mit Österreich, Finnland und Schweden abgeschlossen hatte, Herr Kollege Mischnick.
({1})
Zwischen der Bundesrepublik und Ungarn waren dann endlich - aber ich sage genauso: lediglich - am 1. März 1988 Visumerleichterungen für Diplomaten und Geschäftsleute in Kraft getreten.
Der Auswärtige Ausschuß und der Innenausschuß haben zwischen den Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD bei Enthaltung der GRÜNEN - so war es jedenfalls im Innenausschuß - Einigung erzielt.
({2})
- Vielleicht ja positiv.
({3})
Ich teile nur mit, wie es gewesen ist. Ich trage das sachlich vor. Es kam zu folgender Beschlußempfehlung. Ich darf Sie zitieren, Frau Präsidentin:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, eine auch für den allgemeinen Reiseverkehr verbindliche generelle Aufhebung des Visumzwanges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn anzustreben, und zur Erreichung dieses Zieles mit den Partnern des Schengener Abkommens unverzüglich erneute Verhandlungen aufzunehmen.
Das ist die Beschlußlage.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns heute auch mit Dankbarkeit daran erinnern, mit welcher großzügigen menschlichen Geste Ungarn die Ausreisegenehmigungen für DDR-Bürger erteilt hat,
({4})
die das Land in Richtung Westen verlassen wollten. Die ungarische Regierung hat sich damals für die Humanität entschieden.
({5})
Dies war ein für sie mutiger, sicherlich aber auch mit Risiken verbundener Schritt. Wir sollten das nicht vergessen.
Ungarn hat mit der Entscheidung, die Grenzen nach Westeuropa zu öffnen, die Prinzipien von Helsinki ernstgenommen. Ich erinnere ferner daran, daß sich Ungarn in der Interparlamentarischen Union aktiv beteiligt. Ich begrüße in diesem Zusammenhang, daß Vertreter Ungarns als Gäste in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mitarbeiten und sie dort einen Antrag auf volle Mitgliedschaft gestellt haben.
Diese Ereignisse und Entwicklungen, meine Damen und Herren, die seit Vorlage unseres Antrags eingetreten sind, bestärken uns in unserer Forderung, den Visumzwang gerade gegenüber Ungarn aufzuheben. Dies betrachten wir aber nur als einen ersten Schritt.
Was nun überhaupt nicht unser Verständnis findet, ist das offenbare Blockieren der Schengener Vertragsstaaten, das ja in die gegenteilige Richtung führt.
Wir haben heute die historische Chance für eine Normalisierung der politischen Beziehungen, für eine Überwindung der Spaltung Europas und damit für die Sicherung des Friedens auf unserem Kontinent. Wir können uns nicht damit begnügen, die Reformprozesse in Osteuropa zu beobachten. Wenn sich Osteuropa gegenüber dem Westen öffnet, darf Westeuropa ihm nicht den Rücken zukehren.
({6})
Ich sage ganz deutlich, meine Damen und Herren: Es ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang, daß die Schengener Vertragsstaaten, die dieses Abkommen zur Öffnung von Grenzen geschlossen haben, jetzt hier im wahrsten Sinne des Wortes mauern. Die Europäische Gemeinschaft hat eine Schlüsselrolle im Prozeß der gesamteuropäischen Situation. Sie dient der Überwindung der Nationalstaaten durch europäische Zusammenarbeit. Nur eine starke Europäische Gemeinschaft kann einen starken Beitrag zum Aufbau Europas leisten. Wir wollen deshalb auch künftig dazu beitragen, daß sich die Europäische Gemeinschaft zu einer demokratischen und sozialen Union entwickelt und zu einer gefestigten Basis einer immer engeren gesamteuropäischen Zusammenarbeit wird.
Zu diesem Zweck muß sie sich für die Kooperation mit allen europäischen Staaten - mit allen! -, insbesondere mit den Staaten Osteuropas und des östlichen Mitteleuropas noch weiter öffnen.
Im Einklang mit den Prinzipien und den bisherigen Ergebnissen des Helsinki-Prozesses spielt dabei die Reisefreiheit, also die völlige Durchlässigkeit der Grenzen, eine besondere Rolle. Es kann nicht angehen, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft oder die Schengener Vertragsstaaten Reisefreiheit nur in ihrem Gebiet, nach innen hin, sichern, nach außen aber Hürden errichten. Dies bedeutet aber insgesamt mit Sicherheit die Einleitung eines längeren Prozesses. Die besonderen deutsch-ungarischen Beziehungen rechtfertigen hier aber einen ersten Schritt. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung, verehrter Herr Kollege Spranger,
sich hier zögernd verhält. Dafür haben wir wirklich kein Verständnis.
({7})
Die Bundesregierung muß hier Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis stellen.
Ich stelle zum Schluß, Herr Kollege Krey, fest: Die Interessenlage hier ist so deutlich, daß sie wirklich nicht mehr anders festzumachen ist. Angesichts dessen, was Ungarn für uns getan hat, müssen wir zusammenstehen und heute hier zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Nöbel, am 18. Dezember 1989 hat unser Bundeskanzler vor der Ungarischen Nationalversammlung hervorgehoben, daß der Begegnung der Menschen, besonders der Jugend, in den Beziehungen zwischen den Staaten die wichtigste Rolle zukommt. Da sind wir uns einig. Er hat betont, daß er sich für baldige Verhandlungen über die Abschaffung der Sichtvermerkspflicht zwischen Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland einsetzen werde. Diese Aussage des Bundeskanzlers begrüße ich ausdrücklich im Namen der CDU/CSU.
({0})
Die seit dem 1. März 1988 bestehenden Visumserleichterungen für Diplomaten und Geschäftsreisende sollten bald, wenn möglich noch vor den Sommerferien, auf alle Reisenden ausgedehnt werden.
Der Auswärtige Ausschuß und der Innenausschuß haben mit Mehrheit beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, dieses Ziel zügig anzustreben. Doch bedauerlicherweise - Herr Nöbel, Sie haben es soeben gesagt - können wir darüber nicht mehr allein entscheiden. Nach dem Abkommen von Schengen - das freilich noch nicht ratifiziert worden ist - besteht Einigkeit darüber, daß Sichtvermerksregelungen nur nach Konsultation der anderen Partner geändert werden können.
Die Bundesregierung hat im Sinn der Äußerungen des Kanzlers schon vorher die Regierungen der vier Vertragspartner um Stellungnahme gebeten. Nun muß ich zugeben: Auch mich stimmt es ein bißchen skeptisch, daß Herr Minister Stavenhagen schon im September 1989 die vier Vertragspartner angeschrieben hat und diese sich dazu bis heute nicht geäußert haben. Die Äußerung ist also überfällig. Daher kommt diesem Antrag eine besondere Aktualität zu, durch den wir noch einmal unterstreichen, daß wir Visumserleichterungen haben wollen.
Wir sind dem ungarischen Volk nach den Ereignissen des historischen Herbstes 1989 mehr als ein Entgegenkommen schuldig. Die Ungarn haben auf dem Weg zum demokratischen Verfassungsstaat einen großen Schritt nach vorn getan, das Land findet zu seiner geschichtlichen und politischen Rolle in Europa
zurück. Auf der anderen Seite haben die Ungarn entscheidend dazu beigetragen, daß bei uns die Vorstellung, Europa ende am Eisernen Vorhang, endgültig begraben werden konnte.
Am 10. September 1989 traf die ungarische Regierung dann jene Entscheidung, den Deutschen aus der DDR die Grenzen zunächst für eine freie Ausreise zu öffnen. Dieses war die Initialzündung für die Vorgänge in unserem Vaterland, die uns heute so unwahrscheinlich stark bewegen.
Nun, Herr Dr. Nöbel - Sie sind ein sehr netter Kollege - , kann ich es mir nicht ersparen, wenigstens den kleinen Finger zu erheben
({1})
und darauf hinzuweisen: Wir folgen heute gern dem vorliegenden Antrag der SPD. Wären wir allerdings der SPD und auch Ihrem neuen „As", dem Herrn Lafontaine,
({2})
in Ihrer Forderung nach Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsbürgerschaft gefolgt, dann wäre dieser Antrag wahrscheinlich nicht weiter zu beraten gewesen. Die Möglichkeit wäre zwar gegeben, aber wir hätten wahrscheinlich keine Chance gehabt, ihn durchzubringen, denn Sie wollten immer - Lafontaine hält immer noch daran fest - die DDR-Staatsbürgerschaft anerkennen, und das hätte bedeutet, weder die Flüchtlinge aus Warschau noch aus Prag, noch die aus Ungarn wären freigekommen. Das wären dann keine Deutschen gewesen, so daß wir keinen Einfluß hätten nehmen können. Daran muß man wenigstens mal erinnern. Gott sei Dank sehen Sie das heute anders, aber wenigstens müssen wir hin und wieder darauf hinweisen: Dank der CDU und dank der Tatsache, daß wir ständig gesagt haben, wir wollen eine einheitliche Staatsbürgerschaft, ist dies möglich. Nun sind wir allerdings mit Ihnen der Meinung, die Bundesregierung bitten zu sollen, hier zielstrebig aktiv zu werden.
Der Wegfall der Visumpflicht soll kein Lohn für die mutige und risikoreiche Entscheidung der Ungarn sein, das soll auch nicht als Anerkennung für gute Führung so nach Oberlehrermanier gewertet werden, es soll vielmehr Ausdruck der dankbaren Verbundenheit unserer beiden Völker sein, die noch näher zusammenrücken wollen. Ungarn ist ein Land, das nach einer langen und wohl auch dunklen Zeit wieder an seine europäischen Traditionen anknüpfen will. Der Wegfall der Visumpflicht unterstützt diesen Prozeß.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den wir jetzt in der Form der Beschlußempfehlung fraktionsübergreifend verabschieden werden, Herr Nöbel, ist für uns alle, denke ich, hier beschämend. Der Vorgang weist darüber hinaus auf grundsätzliche Probleme des von uns allen auch beabsichtigten Baus des gemeinsamen europäischen Hauses hin.
({0})
Es ist beschämend, daß es eines solchen Antrags bedarf, erstens weil die Ungarn schon vor Jahren die Visumpflicht für uns aufgehoben haben und wir gehindert sind - das ist hier mehrfach gesagt worden - , mit der von uns allen im Hause gewünschten Gegengeste zu antworten, und das, obwohl zuvor jahrzehntelang von unserer Seite den realsozialistischen Staaten, wozu damals auch Ungarn gehörte, damals zu Recht der Vorwurf gemacht wurde, daß sie die Reisefreiheit ihrer Bürger beschränkten. Jetzt dürfen diese Bürger reisen, und da stoppen wir sie.
Zweitens ist der Vorgang beschämend, weil die Öffnung der ungarischen Grenze - auch das ist hier von allen Seiten gesagt worden - der entscheidende Anstoß für den Erfolg der Demokratiebewegung in der DDR war. Jetzt steht die deutsche Frage auf der Tagesordnung der Geschichte, so oder so. Wir streiten über die richtige Form, in der sie gelöst wird. Aber auch wir begrüßen sehr, daß die deutsche Frage auf der Tagesordnung der Geschichte steht. In diesem Moment stellen wir dem Boten guter Nachricht schnell ein Beinchen.
Darüber hinaus werden aber grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Ungarn ist uns geschichtlich tief verbunden. Ungarn war eines der beiden Völker der Donaumonarchie, Ungarn war und wird wieder ein konstitutiver Bestandteil Mitteleuropas sein. Jetzt zeigt sich an diesem klitzekleinen Beispiel Visumzwang, daß offensichtlich die westeuropäische Einbindung uns Mitteleuropa fernhält.
Da ich nun keineswegs gegen Solidarität mit den Demokratien Westeuropas bin und auch keinerlei nationalen oder mitteleuropäisch kostümierten Alleingang wünsche, muß etwas an der Form, an dem bürokratischen Charakter dieser westeuropäischen Einbindung von oben her falsch sein. Der Wiederherstellung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa von unten muß die Revolutionierung der bürokratischen Regierungsveranstaltung westeuropäischer Integration folgen. Das ist für mich die Konsequenz hieraus.
Drittens muß auch klar sein, daß der Dialog über Form und Gestaltung Europas auf der Tagesordnung von Helsinki II stehen muß. Der Sieg der Demokratie in Europa ist kein Sieg von Brüssel und erst gar nicht von Schengen. Wohin der Weg der bürokratischen Organisation von Europa führt, zeigt der Zentralcomputer von Schengen.
Die Sache wird noch absurder, wenn dem Vorbild der Ungarn in Kürze die Tschechoslowaken folgen werden. Wollen wir dann anstelle der Stadt im Herzen Europas, der Stadt der ältesten Universität nördlich der Alpen und östlich des Rheins, anstelle der heimlichen Hauptstadt Mitteleuropas jenes luxemburgische Dorf Schengen setzen? Das sind absurde Perspektiven. Zwar regierte im 14. Jahrhundert ein Enkel des luxemburgischen Grafen als Karl IV. in Prag, aber weder er noch seine Untertanen brauchten Visa, um von Eger nach Brünn oder von Budapest nach RegensDr. Lippelt ({1})
burg zu reisen, und Zentralcomputer, meine Damen und Herren, brauchten sie schon gar nicht.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten haben wir mehrfach Ungarn, den ungarischen Behörden und der ungarischen Regierung mit allen beteiligten ungarischen Politikern Dank gesagt dafür, daß sie es im Spätsommer letzten Jahres durch mutige und flexible Grenzpolitik unseren Landsleuten aus der DDR ermöglichten, über ihr Land zu uns zu kommen. Dies war - und daran muß immer wieder erinnert werden - der Beginn, dies war der Auslösefaktor. Hier letztlich lag die Motivation für die Kraft der revolutionären Bewegung, die jetzt in der DDR Chancen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit öffnet, die Grenzen zwischen beiden deutschen Staaten eingerissen hat und die die Hoffnung auf Einheit zur Perspektive des Zusammenwachsens beider Teile Deutschlands verdichtete.
Durch Ungarns Grenzen kamen unsere Landsleute.
({0})
Heute debattieren wir über die Erwägungen zur möglichen Abschaffung des Visumzwanges im Reiseverkehr zwischen Ungarn und Deutschland, der immer noch besteht.
({1})
Wenn die ungarischen Behörden sich von dem gleichen Geist hätten leiten lassen wie die Visumverfechter bei uns und in unseren europäischen Nachbarstaaten, wäre die Geschichte über das hinweggegangen, was sich an Freiheitskraft in der DDR entfaltete.
({2})
Wir beraten heute über einen Antrag - der Antragsteller hat daran erinnert - , der vor fast zwei Jahren im Bundestag eingebracht wurde. Damals gab es noch eine Volksrepublik Ungarn. Der Staat wandelte sich. Pluralität, Liberalität und Rechtsstaatlichkeit veränderten unseren Nachbarn. Nur die Visumpflicht blieb. Sie blieb bis auf den heutigen Tag.
In den Ausschußberatungen waren wir uns wohl alle einig, daß der visumsfreie Reiseverkehr mit Ungarn eher heute als morgen kommen soll. Konsultieren aber müssen sich die europäischen Partner, wurden wir im letzten Herbst belehrt. Dabei blieb es. Nur unser italienischer Nachbar hat gehandelt und die Visumfreiheit eingeführt. Vielleicht sollten wir auch einmal zu diesem südlichen Nachbarn Europas gukken und uns nicht nur von westlichen Nachbarn im bürokratischen Handeln Vorbild geben lassen.
({3})
Meine Damen und Herren, wir müssen heute feststellen, daß die Konsultationen noch immer kein positives Ergebnis gebracht haben. Ich halte dies für ein schlimmes Zeichen und für ein Warnsignal, das wir bei der Beratung jedes westeuropäischen Abkommens, das Visapolitik betrifft, beachten müssen. Ich sage dies mit allem Nachdruck auch im Hinblick auf das Durchführungsabkommen zum Schengener Abkommen.
Wir Freien Demokraten halten es nicht für tragbar, wenn wir uns in europäische Abkommen verstricken, die den Geist der KSZE ersticken.
({4})
Die Parole der Freiheit bestimmt dieses Jahrzehnt. Der Perfektionismus der Grenzkontrolle gehört in den Abfallkorb überwundener Zeiten.
({5})
Wir wollen die Abschaffung der Visumpflicht. Wir wünschen schnelle Konsultationen mit unseren europäischen Partnern. Wir sollten es nutzen, Herr Staatssekretär, daß wir nur konsultieren, aber nicht die Vetoposition von Nachbarn berücksichtigen müssen.
({6})
Es muß möglich sein, daß spätestens der Osterverkehr in diesem Jahr visumfrei läuft.
({7})
Wenn dies nicht möglich wäre, wäre schon jetzt zu viel Sand im Getriebe europäischer Konsultationen, als daß wir gutgläubig neue Vereinbarungen zur Stabilisierung von Visapflichtpolitik eingehen könnten.
Ziel unserer Politik ist die Vision der freien Reise und nicht das Visum mit computergestützter Kontrolle. Daran sollten wir uns orientieren.
({8})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Hinwendung Ungarns zur Demokratie steht die Bundesregierung der Frage der Aufhebung des Sichtvermerkzwangs gegenüber ungarischen Staatsangehörigen sehr positiv gegenüber. Durch die großzügige Haltung und Unterstützung im Zusammenhang mit der Ausreise von Tausenden unserer Landsleute aus der DDR über Ungarn hat die ungarische Regierung in beeindruckender Weise ein Bekenntnis zu der von den westlichen Staaten stets geforderten Reisefreiheit abgelegt.
Die Frage, ob und gegebenenfalls wann mit der Aufhebung der Sichtvermerkpflicht gegenüber Ungarn zu rechnen ist, kann ich Ihnen zur Zeit leider nicht abschließend beantworten. Eine solche sowohl unter außenpolitischen als auch innenpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilende Maßnahme beträfe nämlich nicht nur das deutsch-ungarische Verhältnis, sondern auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ihren Schengener Vertragspartnern und zu den übrigen EG-Mitgliedstaaten.
Lieber Kollege Dr. Nöbel, die Bundesregierung verhält sich wirklich nicht zögerlich. Es ist eine Tatsache, daß die anderen Schengener Vertragsstaaten zur Zeit eine andere Auffassung vertreten.
({0})
- Ja, durchsetzen! Sie wissen doch genau, daß das eine Frage der Verhandlungen und nicht des Bestimmens ist.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Kollege Spranger, nun hat Herr Lüder darauf hingewiesen, daß nach dem Entwurf des Schengener Abkommens nur Konsultationen erforderlich sind. Bedeutet das denn nicht, daß der Freiraum der Bundesregierung auf dem Gebiet des Visumzwangs größer ist, als das manchmal den Eindruck hat?
Lieber Kollege Dr. Penner, ich habe nicht den Eindruck, daß der Spielraum größer ist; denn wenn er größer gewesen wäre, hätte ihn die Bundesregierung mit Sicherheit genutzt. Nur, die Haltung der anderen Vertragsstaaten ist so, daß wir mit unseren Anliegen die anderen jedenfalls bisher noch nicht überzeugen konnten. An diesem Sachverhalt kann man jedenfalls zur Zeit nicht vorbei.
Herr Kollege Penner, Sie wissen: Es ist das Ziel des Schengener Übereinkommens, u. a. die Sichtvermerkbestimmungen der Vertragspartnerstaaten zu harmonisieren. Das gleiche Ziel haben sich auch die EG-Staaten gesetzt. Dem muß die Bundesregierung Rechnung tragen. Ohne vorherige Konsultationen der Schengener Vertragspartner, aber auch der übrigen EG-Mitgliedstaaten können wir deshalb die Sichtvermerkpflicht gegenüber Drittstaatsangehörigen und somit auch gegenüber ungarischen Staatsangehörigen aus Solidaritätsgründen nicht einseitig aufheben. Die Gespräche der Bundesregierung mit den Schengener Vertragspartnerstaaten über die Aufhebung der Sichtvermerkpflicht für Ungarn werden derzeit intensiv geführt, sind aber noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe sehr, daß die heutige Debatte die Chancen für die Aufhebung der Sichtvermerkpflicht gegenüber Ungarn verbessert.
Vielen Dank.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Nöbel?
Bitte.
Herr Kollege Spranger, ich bin Ihrer Meinung, und ich bitte das Parlament, heute eine, wenn es geht, einstimmige Beschlußfassung auf die Beine zu bringen, um die Regierung bei diesen schwierigen Verhandlungen stark zu machen; denn was wir gemeinsam festgestellt haben, ist und bleibt klar: Was die Ungarn für uns geleistet haben, dürfen wir nie vergessen.
Herr Kollege Dr. Nöbel, deshalb betrachte ich - das war mein letzter Satz - auch die heutige Debatte als Unterstützung des Anliegens der Bundesregierung.
Sie gestatten noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krey?
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Spranger, ob Sie denn, ehe Sie Ihre Ausführungen gemacht haben, wie ich und andere aufmerksam zugehört haben, was der Kollege Dr. Nöbel und andere gesagt haben, und daraus den Eindruck haben gewinnen können, daß seiner Bitte, die wir insgesamt gehört haben, doch wohl auch ohne Nachfrage entsprochen wird?
({0})
- Deshalb habe ich auch noch einmal nachgefragt.
Herr Kollege Krey, ich habe den Eindruck, daß bei dem eigentlichen Ziel heute eine große Einigkeit und Harmonie besteht.
Vielen Dank.
({0})
So ein Wunder geschieht auch.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2203. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD in der in Drucksache 11/5724 aufgeführten geänderten Fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enhaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
({0})
- Für die SPD ganz bestimmt.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates über das gemeinschaftliche Rahmenprogramm im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung ({2})
- Drucksachen 11/5426 Nr. 3.3, 11/5789 -
Abgeordnete Jäger Vosen
Dr.-Ing. Laermann Wetzel
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({0}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum wissenschaftlichen Programm THE HUMAN FRONTIER
- Drucksachen 11/2487, 11/5791 Berichterstatter:
Abgeordnete Seesing Catenhusen
Kohn
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunkts eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. So beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jäger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Einheitlichen Europäischen Akte hat die Europäische Gemeinschaft auch eine förmliche Zuständigkeit für die Forschungsförderung. Für den Gegenstand, den wir heute beraten, sind hierfür Art. 130 f und 130 i des EWG-Vertrages in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte maßgeblich. Ich darf Art. 130f zitieren:
Die Gemeinschaft setzt sich zum Ziel, die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen der europäischen Industrie zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.
Art. 130f Abs. 2 lautet:
In diesem Sinne unterstützt sie die Unternehmen - einschließlich der Klein- und Mittelbetriebe -, die Forschungszentren und die Hochschulen bei ihren Bemühungen auf dem Gebiet der Forschung und der technologischen Entwicklung; sie fördert ihre Zusammenarbeitsbestrebungen, damit die Unternehmen vor allem die Möglichkeiten des Binnenmarktes der Gemeinschaft voll nutzen können, und zwar insbesondere durch Öffnung der einzelstaatlichen und öffentlichen Beschaffungsmärkte, Festlegung gemeinsamer Normen und Beseitigung der dieser Zusammenarbeit entgegenstehenden rechtlichen und steuerlichen Hindernisse.
In Art. 130i Abs. 1 heißt es dann:
Die Gemeinschaft stellt ein mehrjähriges Rahmenprogramm auf, in dem alle ihre Aktionen zusammengefaßt werden. Das Rahmenprogramm legt die wissenschaftlichen und technischen Ziele, ihre jeweilige Prioritätsstufe, die Grundzüge der geplanten Aktionen, den für notwendig erachteten Betrag und die Einzelheiten der finanziellen Beteiligung der Gemeinschaft am gesamten Programm sowie die Aufteilung dieses Betrags auf die verschiedenen geplanten Aktionen fest.
So weit das Zitat aus dem EWG-Vertrag in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte, das die Rechtsgrundlage für die heutige Beschlußfassung bildet.
Der dritte Rahmenplan der Kommission liegt vor. Darüber soll nun - vielleicht schon im Februar - der Rat der EG entscheiden. Der Vorbereitung dieser Entscheidung dient die heutige Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie.
Diese Beschlußempfehlung ist ein sicher etwas mühsamer Kompromiß zwischen der Koalition und der SPD. Aber wir haben uns zu diesem Kompromiß zusammengefunden. Nur die GRÜNEN mit ihrer linksradikalen Ideologie
({0})
haben sich, wie häufig, aus ideologischen Gründen diesem Kompromiß versagt und haben sich aus der Front der hier gemeinsam für die europäische Forschung eintretenden Parteien ausgeklammert.
Die Empfehlung begrüßt den Kommissionsvorschlag, gibt ihm aber eine ganze Reihe von zusätzlichen Vorschlägen und Rahmenrichtlinien mit auf den Weg, die Sie im einzelnen in der Drucksache nachlesen können. Die kurze Zeit, die mir hier zur Verfügung steht, verbietet es mir, darauf in aller Breite einzugehen.
Erwähnen möchte ich nur, daß es sechs große Bereiche sind, auf die das dritte Rahmenprogramm die europäische Forschung konzentrieren will. Für uns Deutsche ist ein Stück dieser sechs Punkte ganz be-sondes herauszuheben; das ist der Bereich der Umweltforschung, der innerhalb dieser sechs Kapitel ein eigenes Kapitel darstellt.
Dieses Kapitel erschöpft aber keineswegs den Umfang der Umweltforschung, sondern wir stellen fest, daß auch in dem Kapitel über die Biowissenschaften und -technologien erhebliche umweltforschungspolitische Programme vorhanden sind. Ausdrücklich erwähnt wird die Entwicklung biologisch abbaubarer Produkte - ich denke etwa an die Kunststoffe, ein Riesenproblem für unsere Müllbeseitigung - oder die Förderung sauberer Energiequellen, wobei auf die Biomasse besonders hingewiesen wird.
Aber auch auf die Energieforschung wird Bezug genommen. Auch in diesem Kapitel haben wir Umweltforschung in großem Umfang. Die Kernenergie als eine saubere und umweltfreundliche Energiequelle
({1})
muß vor allem durch Verbesserung der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes weiter gefördert werden.
Das Umweltkapitel sieht u. a. große integrierte Forschungsprojekte vor, z. B. - ich zitiere wörtlich - für integrierte Maßnahmen, die alle Aspekte einer Regionalproblematik angehen; so steht es im Vorschlag der Kommission.
Bietet sich hier nicht an, so möchte ich fragen - das möchte ich als Anregung an die Bundesregierung verstanden wissen -, zu überlegen, ob man nicht ein Großprojekt für die Erforschung des Ökosystems Alpen und der Möglichkeiten, den Gefahren, die diesem Alpenraum drohen, zu begegnen, in die Wege leiten könnte? Das wäre auch ein klassischer Fall für ein Kooperationsprogramm nach Art. 130n der Einheitlichen Europäischen Akte, weil ja die Schweiz und Österreich als zwei Nicht-EG-Staaten daran beteiligt wären.
({2})
Ich verweise insofern wiederum auf die vorliegende Beschlußempfehlung.
Die Beschlußempfehlung übernimmt auch zahlreiche Bedenken und Anregungen des Bundesrats, z. B. die verstärkte Beteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen an den Projekten.
Ich möchte persönlich hinzufügen: Wir sollten die Kommision, die das Programm ja nachher auszuführen hat, auch davor warnen, einem überzogenen Perfektionismus zu verfallen. Das dazu gewisse Ansätze vorhanden sind, zeigt Ihnen ein Zitat aus dem Abschnitt C, Entwicklung von Telematik-Systemen, die in der Tat äußerst wichtig sind. Aber wenn die Kommission dort sagt - ich zitiere - , „es geht darum, Industrie, Nutzer und Netzbetreiber aus der ganzen Gemeinschaft in Projekten zusammenzubringen, die der wirtschaftlichen Entwicklung und der sozialen Nachfrage entsprechen, um so eine Gemeinschaft entstehen zu lassen, die durch gleiche Interessen und Vorstellungen verbunden ist" , dann ist das schlicht und einfach eine Überforderung dessen, was die Gemeinschaft zu leisten vermag, und geht in Richtung eines Perfektionismus, den wir nicht für gut halten.
Dieses Gebiet ist - das muß ich hinzufügen - außerordentlich wichtig im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt und auf seine praktische Realisierung. Deswegen soll diese kritische Bemerkung nicht als Kritik an den Telematik-Forschungen verstanden werden.
Lassen Sie mich noch einen Hinweis auf die deutschlandpolitische Entwicklung geben, die bei diesem Rahmenprogramm nicht außer Betracht bleiben darf. Es heißt ja ausdrücklich, daß wir empfehlen, daß auch Drittstaaten in die Forschungsbemühungen der EG verstärkt einbezogen werden. Dort haben wir die DDR, weil das noch vor den allerjüngsten Entwicklungen lag, nicht wortwörtlich aufgeführt. Aber ich möchte doch ganz deutlich sagen, daß der DDR im Zusammenhang mit dieser Drittstaatenproblematik für uns von der CDU/CSU ein ganz besonderes Gewicht zukommt, weil sie für uns eben kein Ausland, sondern ein Bestandteil Deutschlands ist und weil wir die natürlichen und ersten Anwälte unserer Landsleute drüben sind. Es geht auch darum, die Forschungschancen und Forschungsressourcen zu nutzen, die drüben vorhanden sind, die aber bisher aus der systembedingten wirtschaftlichen Schwäche der DDR heraus nicht wahrgenommen werden konnten. Ich möchte also die Bundesregierung ganz deutlich bitten, diesem Gesichtspunkt mit Blick auf Art. 130 n einen besonderen Vorrang zu geben.
Ein ganz besonderer Fall der Kooperationsförderung mit Drittländern zusammen nach Art. 130 n könnte auch - damit komme ich zum zweiten Teil dieses Tagesordnungspunktes - das von Japan initiierte Human Frontier Science Programme sein, zu dem ebenfalls eine Beschlußvorlage des Forschungsausschusses vorliegt. Es geht hier um die Erforschung von Grundfunktionen des menschlichen Lebens. Zugrunde liegt eine Entschließung des Europäischen Parlaments, die wir grundsätzlich begrüßen und bejahen. Dieser Teil paßt ausdrücklich in das Kapitel 4 des 3. Rahmenprogramms hinein. Deswegen könnte das durchaus verbunden werden; deswegen hat ja auch der Ältestenrat des Bundestages die beiden Punkte hier mit Recht zusammengenommen.
Mit Recht fordert aber die Beschlußempfehlung - darauf möchte ich noch einmal hinweisen - die Berücksichtigung ethischer und sozialer Normen. Wenn wir hier von Gehirnforschung sprechen, können diese Normen nicht außer Betracht bleiben. Es ist ganz wichtig, daß denen in den Empfehlungen für die Bundesregierung das gebührende Gewicht auch seitens des Deutschen Bundestages zugewiesen wird.
Ein zweiter wichtiger Punkt, den ich noch erwähnen möchte: Die flexiblen Organisationsformen von Eureka, auf die hier ebenfalls hingewiesen wird, sind ein wichtiger Punkt. Eureka hat sich deswegen als so erfolgreich erwiesen, weil hier ein Minimum an staatlichem Dirigismus und ein Maximum an privater und einzelstaatlicher Initiative möglich ist. Wir sollten dieses Human Frontier Science Programme in Anlehnung an die Verfahrensweisen von Eureka entwikkeln. Dann wird das, so sind wir überzeugt, ein Erfolg für die beteiligten Staaten, ein Erfolg für die beteiligten Unternehmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben aus meinem Beitrag gesehen, daß wir den beiden Projekten positiv gegenüber stehen. Die CDU/CSU-Fraktion wird daher beiden Empfehlungen ihre Zustimmung geben.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD im Deutschen Bundestag wird dieser Beschlußempfehlung, die heute hier vorliegt, zustimmen. Ich hoffe, daß das allgemein der Fall sein wird; denn bisher galt diese Verabredung im Ausschuß.
({0})
Wir haben das gemeinsam erarbeitet. Es gibt ja auch Gott sei Dank noch Gemeinsamkeiten zwischen den demokratischen Parteien, auch im Deutschen Bundestag, und ich bin für diese Gemeinsamkeiten dankbar. Denn ich glaube, die Sachlage zwingt zur Gemeinsamkeit.
Nun ist es allerdings so, daß dieser Beschluß, wenn wir ihn denn heute hier gefaßt haben, der eigentlichen Entwicklung hinterherläuft. Denn zwischenzeitlich hat Brüssel ja bereits entschieden - übrigens unter der Mitwirkung unseres zuständigen Ministers. Der Bundesforschungsminister hat am 16. Dezember, also vor diesem Tag in Brüssel, dem Rahmenprogramm zugestimmt, 1989 allerdings anders, als wir es heute hier beschließen wollen. Wir hatten nämlich gesagt, daß wir die finanziellen Forderungen, die in dem Programm vorgesehen waren, erfüllen wollen. Das war die Meinung des Ausschusses, die rechtzeitig vor diesem 16. Dezember bekannt war. Das war auch die Meinung der CDU/CSU- und FDP-Mitglieder des Ausschusses, also, Herr Minister, Ihrer eigenen Koalition. Wohlwissend, daß dies deren Meinung war, haben Sie einer Kürzung des Programms um immerhin 2 Milliarden ECU zugestimmt. Das heißt, die Kürzung von 7,7 Milliarden um rund 25 % ist mit Ihrer Stimme erfolgt, und Sie werden dafür sicher gleich eine sachliche Begründung liefern; das hoffe ich jedenfalls. Tatsache ist, daß wir der Meinung waren, daß der Kommissionsvorschlag - 7,7 Milliarden ECU für die Laufzeit von fünf Jahren - durchaus angebracht und berechtigt war. Das ist die Meinung der Fachleute hier im Deutschen Bundestag, und von daher haben wir die Sorge, daß die europäische Forschungslandschaft das Ziel, das sie sich gesetzt hat, womöglich nicht erreichen kann.
Andererseits will ich nicht verkennen, daß wir auch mit Ihrer Hilfe - das sollte man hier auch sagen - einen Teil der Ansinnen des Ausschusses und der Fachleute realisieren konnten. Ich nehme an, daß das Ihr Verdienst ist, und deshalb will ich nicht nur, was die erwähnte Kürzung angeht, Kritik üben, sondern Ihnen auch Anerkennung aussprechen. Immerhin ist es gelungen, das Ansinnen des Forschungsausschusses zu realisieren, nämlich im Programm eine stärkere Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen, die Einbeziehung der Hochschulen, die Verstärkung der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und Japan - das ist eine Sache, die wir sehr begrüßen - und auch eine Verbesserung der Koordination mit den Eureka-Projekten - das hat mein Vorredner schon angesprochen - vorzusehen. Wir wissen ja, daß es immer eine Frage war, wir man zu einer besseren Vernetzung der Forschungsaktivitäten sowohl national als auch auf europäischer Ebene kommen kann. Es ist eine sicherlich gute Sache, daß es nun zu einer Verbesserung der Koordination mit den Eureka-Projekten kommt.
Meine Damen und Herren, zur inhaltlichen Ausrichtung des Programms bleibt festzuhalten, daß das Programm in den Bereichen Umweltschutz und erneuerbare Energien, also auf zwei wichtigen Feldern, leider zuwenig ausgestattet ist - auch hier hätte man sich mehr Möglichkeiten und Mittel gewünscht - und daß die Vorschläge des Europäischen Parlaments, die kurz vor der Ratssitzung vorgelegt wurden, in keiner Weise berücksichtigt wurden. Das Europäische Parlament konnte sich da genauso wenig durchsetzen, wie wir es hier im nationalen Rahmen konnten.
Die Umweltforschung und die nichtnukleare Energieforschung sind wichtige Problemfelder, denen besondere Aufmerksamkeit gelten muß. Es sind Felder, die zuwenig ausgestattet wurden, die zu kurz gekommen sind. Wenn wir im Dezember die Regierungsverantwortung übernehmen werden - davon gehe ich aus - , werden wir diesen Mangel beseitigen, nämlich 1992, wenn eine Revision dieses Programms erfolgen kann.
Wir stellen fest, daß die europäische Administration die Hinweise der Parlamente eigentlich nicht ernst genug nimmt. Das ist leider bezüglich des Europäischen Parlaments so, und auch die nationalen Parlamente werden, wie gesagt, von der Brüsseler Exekutive nicht ernst genug genommen. Das ist aber auch systemimmanent, denn welche Regierung - das gilt auch für unsere Regierung - hat es schon gern, wenn das Parlament ihr ins Geschäft hineinredet? Es ist unangenehm, wenn die Parlamente den Regierungen Weisungen erteilen wollen. Keine Regierung sieht das gerne, auch die unsere nicht, wie wir heute feststellen werden.
Ich sehe, daß die europäische Forschungsinitiative, die jetzt in Gang gesetzt worden ist, im großen ganzen positive Ansätze hat. Von daher kann ich an dieser Stelle keine grundlegende Kritik in Bausch und Bogen aussprechen, sondern nur partielle.
({1})
Ich glaube, es verbindet uns, daß wir uns auch gegenseitig bescheinigen, daß hier und da der Zug in die richtige Richtung fährt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Timm.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Überall, wo Menschen auf engstem Raum leben, gibt es besondere Probleme der Gegenwarts- und der Zukunftsgestaltung, ganz besonders der letzteren. Es wird deutlich, daß sich Mensch und Natur in weiten Bereichen beinahe oder tatsächlich unversöhnlich gegenüberstehen. In vielen Teilen unserer Erde hat sich ein selbstzerstörerischer Kreislauf aus nackten Überlebensnotwendigkeiten herausgebildet, in anderen Teilen herrschen unbesonnene oder falsche Überlebensstrategien.
Hier bei uns in Europa haben wir in diesem Prozeß einen Vorteil: Wir können mit einem hohen Wissenspotential an einer Zukunftsgestaltung arbeiten, die Erneuerung und Verbesserung der Lebensbedingupgen schafft und auch zukünftigen Generationen das Überleben sichert.
Zur Daseinsvorsorge in unserem Kulturraum - und um den handelt es sich in Europa fast ausschließlich - gehören der sparsame Umgang mit den vorhandenen natürlichen, finanziellen und kulturellen Ressourcen und die optimale Ausschöpfung unserer geistigen und wissenschaftlichen Möglichkeiten. Forschung und Technologie dürfen dabei nicht einseitig auf ökonomische und ökologische Strategien ausgerichtet sein, obwohl auch Ökonomie zum Überleben gehört. Meine Fraktion hat deshalb besonderen Wert auch darauf gelegt, daß die Geisteswissenschaften ihre Rolle in der europäischen Wissenschafts-, For14642
schungs- und Technologiepolitik erhalten. Die Pflege der Geisteswissenschaften ist eine Voraussetzung für das Verständnis unserer Zunkunftsentwicklung.
({0})
Der Ausschuß für Forschung und Technologie hat in seinen Beratungen gefordert, daß neben der notwendigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie als weitere Ziele die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Lebensqualität der Gemeinschaft verfolgt werden sollten und daß die Bewältigung des notwendigen Strukturwandels und die Überwindung der bestehenden Wohlstandsgefälle in der Welt Teil des europäischen Forschungs- und Entwicklungsprogramms sein müssen. Es darf keine Abkapselung unserer europäischen Programme von Ländern außerhalb der EG geben, ganz besonders nicht von Ländern in der Dritten Welt. Die Industriestaaten der Welt - und damit auch die europäischen - müssen ihrer Verpflichtung gerecht werden, zur Überwindung des Gefälles in den Lebensbedingungen der Völker ihren Beitrag zu leisten. Eine Voraussetzung dafür ist eine gewisse innere Entwicklungspolitik der Staaten in der EG. Es gilt auch hier, Defizite abzubauen. Die zu schaffenden Instrumente müssen den unterschiedlichen Bedingungen in den Partnerstaaten gerecht werden.
Ich möchte an dieser Stelle eine ernste Mahnung einbringen: Überall da, wo die Völker hochentwickelter Industriestaaten auf die Reste einfacher Lebensformen anderer Völker stoßen, überall da, wo die Lebensbedingungen zwischen Ländern und Völkern gewaltige Unterschiede aufweisen, und innerhalb solcher Länder, in denen ein Kampf um die Schwelle des Wohlstands tobt, sind überlieferte Kulturen bedroht oder werden zerstört. Es ist notwendig, daß wir uns in dem Bemühen, in Europa geistig, wissenschaftlich, forschungspolitisch und technologisch zusammenzuarbeiten, in diesem Zusammenhang nicht nur Gedanken um ein Forschungszentrum für Sozialfragen machen, sondern auch ganz besonders eine auswärtige Kulturpolitik berücksichtigen, die den Übergang von Vergangenheit zur Neuzeit menschlich gestaltet.
Ich möchte diese Anmerkungen auch als einen Hinweis auf unsere europäische Außenpolitik der Zukunft verstanden wissen. Ich halte die Aufgabe für so wichtig, daß ich ihr einen eigenen Raum in der gemeinsamen europäischen Zukunftspolitik einräumen möchte.
Das gemeinschaftliche Rahmenprogramm für die Forschung und technologische Entwicklung in Europa, um das es hier heute geht, soll auch die Chancen der Beteiligung an den Einzelprogrammen erhöhen. Wenn wir erreichen wollen - und das müssen wir - , daß das Potential an Know-how auch ausgeschöpft werden kann, dürfen wir uns nicht auf Großkapazitäten der Industrie beschränken. Zu einem menschlichen Bild von Zukunftsentwicklung gehören auch die kleinen und mittleren Unternehmen und die dort tätigen Menschen.
Es ist deshalb der deutschen Delegation unter der Leitung des Herrn Ministers Riesenhuber zu danken, daß sie diese parlamentarische Forderung, die wir im
Ausschuß schon erhoben hatten, nicht nur zu ihrer eigenen gemacht hat, sondern sie auch erfolgreich eingebracht hat. Kleineren und mittleren Unternehmen sowie Hochschulen soll die Beteiligung an der EG-Forschungsförderung erleichtert werden.
Der Europäische Rat konnte auch in zwei spezifischen Forschungsprogrammen Entscheidungen treffen: einmal zur Entsorgung radioaktiver Abfälle und zum anderen zur Analyse des menschlichen Genoms. Das eine ist so wichtig wie das andere. Die zukünftige Energiepolitik muß ein wichtiger Baustein europäischer Zusammenarbeit sein. Dazu gehört auch die Frage der Beseitigung oder Endlagerung entstandener oder entstehender Abfälle. Dazu gehört aber auch die Antwort auf die Frage, wie wir den Raubbau an fossilen Energieträgern vor den zukünftigen Generationen rechtfertigen wollen.
In so brisanten Fragen der Genforschung darf es keine nationale Denkweise geben. Hier muß die europäische Wissenschaft aus humanen, sozialen und ethischen Gründen eng zusammenarbeiten.
({1})
- Das ist Ihre Auffassung von Zusammenarbeit, Herr Dr. Briefs,
({2}) das ist nicht die unsere.
Ich möchte noch einen Satz zu den neu und positiv auf uns eindringenden wirtschaftlichen und umweltpolitisch-ökologischen Entwicklungen in der Ostpolitik sagen. Ich meine, daß auch diese Aufgabe Eingang in das nun vom Europäischen Rat schon verabschiedete Programm europäischer forschungspolitischer Zusammenarbeit finden muß. Wir dürfen das auf gar keinen Fall ausklammern.
({3})
Ich denke auch, daß die neue Entwicklung einen Rahmen für dafür abstecken wird, wenn nach zwei Jahren spätestens dieses Programm ohnehin einer Überprüfung unterzogen werden soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der europäischen Zusammenarbeit in Wissenschaft, Forschung und Technologie dürfen keine künstlichen politischen Hemmnisse aufgebaut werden. Im Gegenteil: Es gilt nach meiner Auffassung der alte, aber richtige Grundsatz: Wer sich zurückzieht, hat keinen Einfluß und kann keinen Einfluß nehmen, auch nicht im positiven Sinne.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den beiden EG-Vorhaben, dem Rahmenprogramm im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung von 1990 bis 1994 und in der Unterrichtung durch das Europäische Parlament zum wissenschaftlichen Programm The Human Frontier, also der geplanten Beteiligung der EG am
japanischen Programm dieses Namens, werden die von uns GRÜNEN schon oft kritisierten Gebrechen sowohl der nationalen wie der europäischen Forschungs- und Technologiepolitik erneut sichtbar. Forschungs- und Technologiepolitik ist eine Unterabteilung der Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftspolitik bzw. Wirtschaftsinteressen bestimmen. Die Forschungspolitik führt aus, exekutiert, gehorcht. Nicht eine gesunde Umwelt und menschenwürdige Arbeitsbedingungen und z. B. Verkehrssysteme sind das Ziel, sondern Wettbewerbsfähigkeit, Umsätze, Produktion, neue Märkte, Innovationen, kurzum: Profite oder Voraussetzung für die weitere Profitmacherei. Genau das ist der Kern.
Auch bei der F-und-T-Politik im europäischen Rahmen gilt leider: Wer reich ist, soll reicher werden, sei es auch zu Lasten der Umwelt, der Arbeitsplätze, zu Lasten vor allem auch der Natur, gerade auch in der sogenannten Dritten Welt. Ziel ist die Inbetriebhaltung eines immer schneller sich drehenden Wachstumskarussells der reichen, hochentwickelten Volkswirtschaften, die in weiten Bereichen in Westeuropa und in einigen anderen Teilen der Welt im Überfluß leben, im Fall des Human-Frontier-Programms in zunehmend engerer Zusammenarbeit mit Japan.
Übersehen werden dagegen die Risiken neuer Technologien. Die I-und-K-Technologien, die Informations- und Kommunikationstechnologien, die neuen Werkstofftechnologien, die Bio- und Gentechnologien, die insbesondere mit dem Human-FrontierProgramm weiter vorangetrieben werden sollen, sind High-Tech-Entwicklungen, Spitzen-, Schlüsseltechnologien, wie immer man das bezeichnen will. HighTech-Entwicklungen sind, weil sie immer tiefer in die feinsten Strukturen der toten und der lebendigen Materie und auch der gesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Beziehungen eingreifen, sie systematisch verändern, sie manipulieren, hoch riskant. HighTech-Entwicklungen sind deshalb High-Risk-Technologien. Die Risiken sind also nicht da, weil sie von bösen Köpfen ausgedacht werden, sondern sie liegen in der Natur des technischen Fortschritts auf dem heutigen Stand und noch stärker auf dem Stand der Zukunft. Politische Aufgabe der BRD- und der EG-Forschungspolitik wäre die systematische Abschätzung dieser Risiken und ihre politische Beseitigung durch Unterlassung, durch Anhalten oder durch Veränderung der jeweiligen Entwicklung.
({0})
Übrigens ist die DDR mit einem solchen Konzept der Konzentration auf Großtechnologien, dem Mittagschen Konzept der Förderung von Schlüsseltechnologien, gescheitert. Der japanische Anlauf zur fünften Computergeneration scheint ebenfalls erst einmal - wie viele andere großtechnologische Entwicklungen - in der Sackgasse zu enden. Die EG in ihrem blinden Drang, angetrieben von organisierten Wirtschaftsinteressen, die nirgendwo, außer vielleicht im Militärwesen so virulent und so erfolgreich sind wie in der Forschungs- und Technologiepolitik - auch in der BRD im übrigen - , schickt sich an, weitere Sackgassentechnologien wie die AKW-Technik zu fördern, schickt sich an, Luxustechnologien wie die IuK-Technologien in weiten Bereichen zu fördern, schickt sich an, Technologien zu fördern, die noch wirksamere Grundlagen für die Manipulation des Lebens geben sollen. Sie will das in ihrem Rahmenprogramm für die Jahre 1990 bis 1994 mit mehr als 15 Milliarden DM tun. Was könnte mit diesen Mitteln z. B. erreicht werden, wenn man sie gegen die drohende Klimakatastrophe einsetzte?
Was von der EG zugleich gefördert wird, ist die industriepolitische Inzucht, die Entwicklung eines zunehmend aufwendigeren und riskanteren, weitgehend in sich geschlossenen Technologiesektors, in dem High-Tech-Betriebe für High-Tech-Betriebe produzieren, die wiederum für andere High-Tech-Betriebe produzieren, hochgezüchtete, spezifische Entwicklungen abseits der Bedürfnisse der Bevölkerung, Rassehunde sozusagen, die zu nichts anderem taugen als für das Rennen.
Was zugleich gefördert wird, ist die wirtschaftliche Konzentration. Daimler-Benz und MBB, Nixdorf und Siemens lassen schön grüßen; viele andere werden folgen. Gefördert wird das nunmehr auch mit den Mitteln des EG-Rahmenprogramms. Daß damit die undemokratischen Verhältnisse in der Wirtschaft, die wir ja vielfältig wahrnehmen und beklagen, nicht abgebaut, sondern verschärft werden, liegt auf der Hand.
Zitat: Mikroelektronik hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun. - Dieser Satz wurde während der letzten Anhörung des Bundestagsausschusses für Forschung, Technologie und - wie er jetzt heißt - Technikfolgenabschätzung zum Zukunftskonzept Informationstechnik der Bundesregierung von einem hochkarätigen Experten der Mikrosystemtechnik bestätigt. Er hat ihn Monate vorher schon einmal bei einem Besuch des Ausschusses in Berlin geäußert.
Während in den osteuropäischen Ländern und in der DDR die Parteien, die ihre Politik auf der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus aufgebaut haben, in eine tiefe Krise geraten sind, feiert in der nationalen und europäischen Forschungspolitik der staatsmonopolistische Kapitalismus als real existierende Praxis der Bundesregierung und der EG-Kommission fröhliche Urständ. Das ist die Realität.
({1})
Hoffentlich kommen wir hier auch bald an den Punkt, wo die Bevölkerung unserer Länder, gerade die Deklassierten zu den heute noch Mächtigen, die über Technologien und damit über Zukunftsentwicklungen bestimmen, sagen werden: Das Volk sind wir, und wir, das Volk, lassen uns von euch nicht weiter unsere Lebensbedingungen und insbesondere auch die dafür unerläßliche natürliche Umwelt, die Luft, das Wasser, den Boden, mit neuen Technologien belasten und zerstören. Wir wollen euren Giftmüll z. B. nicht weiter hinnehmen, und wir wollen ihn auch nicht in die Dritte Welt exportieren. In die DDR wird er ja nach der demokratischen Erneuerung kaum mehr gebracht werden können. Wir wollen die Erde, die wir von unseren Kindern geborgt haben, nicht zu einem radioaktiv verseuchten, strahlenden Grab machen. Nein, nicht die Förderung der Blinden, des wirtschaftlichen Wachstums, der Umweltzerstörung und militär14644
orientierten Forschungs- und Technologiepolitik auf Gedeih und Verderb ist notwendig.
Notwendig ist vielmehr eine radikale Demokratisierung der gesellschaftlichen Prozesse, der Entwicklung und Anwendung von Technologien. Notwendig ist eine allseitige Technologiefolgenabschätzung einschließlich aller Risiken, bevor industrielle Entwicklungen und Anwendungen geplant und realisiert werden. Notwendig ist radikale und umfassende Transparenz, Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Benutzerinnen und Benutzer und deren Kontrolle. Notwendig ist die Unterwerfung der Experten unter demokratische Kontrolle, ist das Primat der Politik und nicht das der Ökonomie.
Notwendig ist die ökologische Durchdringung und Bewußtmachung in bezug auf alle FuE-Tätigkeiten, von der Grundlagenforschung bis hin zu Wartungsund Erneuerungsaktivitäten bei Forschungseinrichtungen. Notwendig ist insbesondere nicht die grenzenlose Ausdehnung der Herrschaft der Menschen über die Natur, wie sie im japanischen Human-Frontier-Wissenschaftsprogramm zum Ausdruck kommt. Dieses Programm will ein halbes Jahrhundert nach den furchtbaren Menschenexperimenten der Nazi-KZ-Ärzte - streng wissenschaftlich, versteht sich - den Menschen wieder zu einem Gebilde rein materieller Komponenten und damit manipulierbar machen. Notwendig ist vielmehr die Entwicklung überschaubarer, dezentraler, angepaßter, von den Betroffenen kontrollierter, menschlicher Technologien.
({2})
Notwendig ist insbesondere ein entsprechend bewußter und kluger Umgang mit der Natur und mit natürlichen Überlebensbedingungen der Menschheit.
({3})
Aus diesen Gründen und aus anderen Gründen, die ich in der Kürze der Zeit hier nicht ansprechen kann, lehnen wir das Rahmenprogramm ab und kritisieren scharf die Beteiligung der EG am Human Frontier Science Programme.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß auch der Kollege Briefs in Teilen seiner Rede der Versuchung erlegen ist, den Streit um den richtigen Umgang mit Technik mit der Frage des Ja oder Nein zur Technik allgemein zu verbinden. Denn es geht in vielen Fragen, Herr Briefs - auch wenn wir etwas gegen die Klimakatastrophe tun wollen - , auch um den richtigen Umgang mit Technik, um den Ersatz von schlechter Technik durch bessere Technik.
({0})
Ich meine, es besteht weite Übereinstimmung in diesem Hause, daß die Ausweitung der Rolle der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik notwendig und sinnvoll ist. Die Europäische Gemeinschaft muß nicht nur von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Sozialgemeinschaft weiterentwickelt werden, sondern die Europäische Gemeinschaft ist in vielen Bereichen faktisch schon eine Technologiegemeinschaft geworden.
Die Fraktion der Sozialdemokraten bedauert es sehr, daß die angestrebte Erhöhung der Mittel für das EG-Rahmenprogramm auf 7 Milliarden ECU in der Ministerrunde der EG nicht erreicht worden ist. Damit sind wir aber auch in einer Situation, die uns zwingt, uns in den kommenden Jahren verstärkt Gedanken zu machen über eine richtige Aufgabenteilung in der Technologiepolitik auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft und der nationalen Ebene, wobei zu fragen ist, was nationale Forschungspolitik noch tun muß und tun kann.
Offensichtlich ist die Forschungspolitik und Technologiepolitik der Europäischen Gemeinschaft sehr stark geprägt von der Vorstellung der Schaffung von Grundlagen für eine moderne, im Vergleich mit Japan und den USA auch wettbewerbsfähige Industriestruktur. Sie betreibt faktisch eine sehr intensive Industriepolitik. Es stellt sich die Frage - ich finde, das ist durch die bisherige Politik des Bundesforschungsministers Riesenhuber nicht beantwortet worden - , ob wir diese Aufgabe der Industriepolitik der EG überlassen wollen - vielleicht auch deshalb, weil wir uns in diesem Bereich auf konservativer Seite ideologisch vornehm zurückhalten - oder ob wir auf die Entwicklung der europäischen Industriestruktur im Grunde genommen mit einer ergänzenden, auch besondere Akzente setzenden nationalen Industriepolitik antworten wollen. Ich meine, daß diese Komponente wichtig ist.
Ich halte es auch für gut, daß der Deutsche Bundestag in seiner Stellungnahme zu dem EG-Rahmenprogramm ausdrücklich gefordert hat, vor allem in wichtigen Technologiebereichen keine abgekapselte Technologiepolitik in der Europäischen Gemeinschaft zu betreiben, um sozusagen eine Technologiefestung Europa gegen die USA und Japan aufzurüsten. Vielmehr müssen wir diese Situation mittelfristig mit einer verstärkten Kooperation zwischen Europa, Japan und den USA überwinden,
({1})
weil es in vielen Bereichen der Schlüsseltechnologien einfach völlig unsinnig ist - auch unter finanziellem und ökonomischem Gesichtspunkt - , kostenintensive Technologien nur in Konkurrenz zwischen Japan, den USA und Europa aufzubauen.
Ein Beispiel dafür ist die meiner Ansicht nach sehr kurzfristige Bemühung darum, nun wiederum in den USA, in Japan und in Europa einen eigenen Standard für ein höchstauflösendes Fernsehen neuer Qualität zu schaffen. Müssen wir uns nicht in einer Vorphase schon stärker darum bemühen, hier weltweit einheitliche Normen zu schaffen, die etwa für die Übermittlung von Fernsehprogrammen im Austausch zwischen Europa, Japan und den USA eine Erleichterung darstellen und auch eine unerläßliche Voraussetzung für den freien kulturellen Austausch von Meinungen und Informationen sind?
Wir sind im Bereich der Grundlagenforschung nicht in der Situation, daß wir internationale Zusammenarbeit herstellen müssen. Die Grundlagenforschung ist seit langem internationalisiert. Man sollte an dieser Stelle auch einmal deutlich sagen, daß gerade in Zeiten internationaler Krisen die Zusammenarbeit der Wissenschaft auf internationaler Ebene immer ein stabilisierendes Element internationaler Beziehungen war. Wir brauchen hier eigentlich auch keine grundsätzlich neuen Ansätze.
Es ist sicherlich zu begrüßen, daß sich Japan mit seinem Vorschlag eines Programms zur Erkundung der Grenzen und Grundlagen des Menschen auf biologischer Ebene darum bemüht, sich auf diesem strategisch wichtigen Gebiet der internationalen Zusammenarbeit weiter zu öffnen. Es ist zwar richtig, daß die Japaner sowohl im Bereich der Technikentwicklung als auch im Bereich der Grundlagenforschung - ich sage das einmal - sehr zur Kooperation mit den Ländern Europas und Amerikas bereit sind. Es ist aber sehr schwierig - und das ist ein Problem -, diese Kooperation auch in Japan selbst stattfinden zulassen.
Es ist sicherlich begrüßenswert, daß durch dieses Human Frontier Programme, dem mittlerweile auch die Bundesrepublik beigetreten ist, neue Möglichkeiten der Gewährung von Stipendien und der Finanzierung von Forschungsvorhaben für einzelne Wissenschaftler in internationaler Zusammenarbeit eröffnet werden. Es ist für mich sehr verständlich, daß auch die deutsche Grundlagenforschung darauf sehr positiv reagiert hat, weil es hier um neue Finanztöpfe geht.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen doch sicherlich zwei Dinge dabei bedenken: Auf der einen Seite ist es unbedingt notwendig, daß wir, wenn im Bereich der Erforschung der biologischen Grundlagen des Menschen verstärkt international zusammengearbeitet wird, dieses auf einer gemeinsamen ethischen Grundlage tun. Da sind wir noch meilenweit von gemeinsamen, weltweiten Grundsätzen entfernt.
Der zweite Punkt: Es ist für mich ein gewisses Problem, daß jetzt unter Einflußnahme von Regierungen, der Regierungen des Wirtschaftsgipfels, zum erstenmal international definiert ist, was wichtige Grundlagenforschung ist. Ich weiß nicht, ob es auf Dauer eine gute Entwicklung ist, daß durch Anstöße von Regierungsebene und nicht aus der Forschergemeinschaft selber strategisch wichtige Bereiche der Grundlagenforschung definiert werden; denn dadurch könnte eine Entwicklung eingeleitet werden, daß wir ähnlich wie im Bereich der Technikentwicklung zwischen High-Tech und weniger wichtiger Technik unterscheiden und hier auf einmal sozusagen eine HighScience, die international privilegiert wird, schaffen, während andere Bereiche der Grundlagenforschung darunter leiden könnten.
({2})
- Ich deute auf Entwicklungen hin, Herr Jäger, die auftreten können. - Weiterhin, meine Damen und Herren, wie gesagt: Wir brauchen eine gemeinsame Entwicklung einer Bioethik.
Letzte, kurze Bemerkung - damit schließe ich an eine kurze Bemerkung des Kollegen Timm von der FDP an - : Es ist richtig, daß wir uns weiterhin darüber unterhalten müssen, wie die EG-Forschungs- und Technologiepolitik für die Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten geöffnet wird. Ich meine, wir sollten, da der Forschungsminister der DDR in wenigen Tagen in der Bundesrepublik zu Besuch ist, auf folgendes hinweisen: Wir haben die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der DDR vor dem 9. November aus guten Gründen auf die Grundlage von Regierungsabkommen gestellt. Meiner Ansicht nach verliert das Regierungsabkommen seit dem 9. November wahrscheinlich diese Funktion. Wir brauchen sozusagen kein Nadelöhr mehr, daß also wissenschaftlich-technische Projekte zwischen der Bundesrepublik und der DDR sozusagen durch das Nadelöhr von Regierungsabkommen kommen.
Lassen Sie uns doch die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit auf breiterer Grundlage anlegen und schon bei dem Besuch überprüfen, Herr Riesenhuber, was Zusammenarbeit im Rahmen von Regierungsabkommen bedeuten kann, wo etwas durch staatliches Geld zusätzlich gemacht werden kann, und lassen Sie uns doch uns darum kümmern, daß die Wissenschaftsorganisationen und andere die Grundlage dieser Zusammenarbeit schaffen und daß wir uns als Regierung etwas stärker als bisher zurückhalten.
Danke.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie, Herr Dr. Riesenhuber.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich freue mich, daß hier eine Debatte zur europäischen Forschungspolitik möglich ist; eine solche haben wir noch nicht sehr oft geführt. Ich freue mich noch mehr, daß wir hier ein sehr großes Maß an Übereinstimmung in den Grundlinien haben - wenn ich einmal von der Rede von Herrn Briefs an dieser Stelle absehe.
Zur Beschreibung der Situation kann ich nur das aufgreifen, was der Kollege Jäger am Anfang hier dargestellt hat. Wir sind in einer Situation, wo das Programm schon beraten worden ist. Was hier an Ergebnissen vom Forschungsausschuß parallel erarbeitet worden ist, haben wir natürlich, soweit es irgend möglich war, in die Verhandlungen eingebracht.
Die ganze Anlage der europäischen Forschungspolitik haben wir seit 1982 sehr konsequent aufgebaut. Wir haben sie in jedem Jahr verstärkt. Weil hier Kritik geäußert wurde, daß das nächste Programm nicht so stark wüchse - Herr Vosen und Herr Catenhusen haben darauf hingewiesen - , möchte ich Zahlen nennen: Die Programme der Europäischen Gemeinschaft haben sich seit 1982 verdreifacht. Sie werden sich Anfang der 90er Jahre verdoppeln. Wir haben die Zahlen bis 1992 endgültig festgelegt und dann eine Revision des Programms vorgesehen. Bis dahin, bis 1992, bleiben wir nur um 7 % unterhalb dessen, was der Forschungsausschuß vorgeschlagen hat.
14646 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 189 Sitzung Bonn, Freitag, den 19. Januar 1990
Dann werden wir neu, auch unter Betrachtung des gesamten EG-Haushalts und seiner Entwicklung, zu beraten haben. Mir scheint dieser Weg strategisch richtig und vernünftig zu sein. Wenn wir darüber reden, müssen wir gleichzeitig sehen, daß europäische Forschungspolitik nicht nur Politik der Europäischen Gemeinschaft ist.
({0})
Die Zusammenarbeit in der ESA hat sich in den letzten sieben Jahren verdoppelt. Wir liegen bei Beträgen, die heute absolut höher sind als die in der Europäischen Gemeinschaft. Eureka hat sich mit einer Dynamik entwickelt, die niemand vorhersehen konnte. Genau das, was Herr Catenhusen beschrieb, nämlich auf dem Weg von unten nach oben Forschung zu organisieren und sie nicht von oben her zu dekretieren, ist in Eureka Wirklichkeit. Ich habe schon im Sommer letzten Jahres mit den Kollegen aus der DDR darüber gesprochen, daß wir dies als allgemeines Prinzip zunehmend in die Zusammenarbeit mit der DDR einbringen sollten.
({1})
Dazu gehören auch die Projekte der Grundlagenforschung, die großen gemeinsamen Forschungsinstitute, die Forschungsverbände, gemeinsame Projekte, CERN und ILL, der Transschall-Windkanal, die Synchrotron-Strahlungsquelle, die wir in Grenoble errichten. Wir haben also eine ungemein reiche Landschaft.
Dazu gehören auch die bilateralen Projekte. Innerhalb der bilateralen Projekte - dies sage ich nur, weil die regenerativen Energien wieder angesprochen worden sind - haben wir Projekte zu Wohnungen mit Griechenland, zu Wind mit Irland, zu Sonne mit Spanien. Wir haben eine Fülle bilateraler Projekte. Was dieses konkrete EG-Programm anbetrifft, sage ich folgendes. Die Delegation der Bundesrepublik hat mit größtem Nachdruck darauf gedrängt, daß die Programme über regenerative Energien so stark erhöht werden, wie dies innerhalb eines Konsenses möglich ist. Wir gingen sogar so weit, daß wir an anderen Programmen, die wir für wichtig hielten, Abstriche hingenommen haben, um dieses Wachstum, das jetzt erreicht worden ist, zu ermöglichen.
Wir haben zur Struktur der Programme eine Übereinstimmung, die hier in mehreren Reden deutlich geworden ist. Das Prinzip der Subsidiarität, das die Einheitliche Europäische Akte festschreibt, war schon, bevor es hier festgelegt worden war, Prinzip unserer Forschungspolitik in Europa. Denn die Kriterien, die unter deutscher Präsidentschaft Anfang 1983 eingebracht worden waren, sind nichts anderes als Subsidiarität.
({2})
Wir haben gesagt: Europäisch soll das geschehen, was national nicht oder nicht sinnvoll geschehen kann: die Entwicklung von neuen Normen und Standards und Infrastrukturen, die technisch begründet werden.
Sie weisen hier auf hochauflösendes Fernsehen hin, Herr Kollege Catenhusen. Das Ziel ist in der Tat, einen gemeinsamen weltweiten Standard zu bekommen. Das erreichen wir aber nur dann, wenn alle sich gemeinsamen Standards öffnen. Nur dadurch, daß wir Technik und Standards europäisch gemeinsam entwickelt haben und gleichzeitig immer erklärt haben, daß wir bereit sind, an gemeinsamen weltweiten Standards mitzuarbeiten, haben wir überhaupt die Situation bekommen, wie sie heute besteht, daß sich die Sowjetunion bereit erklärt hat, sich unseren Standards anzuschließen, daß die Erklärung der Amerikaner, sich japanischen Standards anzuschließen, zurückgenommen wurde, daß also alle gemeinsam verhandeln. Auch hier haben wir eine europäische Strategie gehabt, weil es in gemeinsamen Normen und Standards und Infrastrukturen Grundlagen zu legen gilt für eine Kooperation bei sehr großen Projekten, bei grenzüberschreitenden Aufgaben.
Herr Kollege Vosen, es wurde hier über Umweltschutz gesprochen und darüber, daß dieser hier nicht so groß sei. Er wächst innerhalb des Programms, das ich beschrieben habe, weit überproportional. Wir haben im EG-Programm, das sonst nur auf den wettbewerbs-, aber marktorientierten Bereich bezogen war, von Anfang an darauf gedrängt, daß die Möglichkeiten von Umwelt verstärkt aufgenommen werden. Hier haben wir sehr große Fortschritte erzielt.
Das, was sich in dem Programm jetzt abzeichnet, ist eine Verdoppelung des jährlichen Programmvolumens auf 4 Milliarden DM bis 1992. Das ist ein dramatisches Wachstum. Ich glaube, das entspricht auch dem, was der Forschungsausschuß beschlossen hat, und der Richtung, die wir wollen. Die Aufschlüsselung in die 15 Einzelprogramme mit knapper Inhaltsbeschreibung und spezifischer Ausweisung der entsprechenden Beträge gibt die Grundlagen hierfür.
Herr Bundesminister, wie ich sehe, lassen Sie eine Zwischenfrage zu.
Wenn meine Uhr angehalten wird, mit großem Vergnügen.
Das mache ich jetzt.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es, statt uns hier mit Zahlen zu konfrontieren, die sicher ihren Sinn und Gehalt haben, wichtiger wäre, uns die Grundvorstellungen, die politischen Ziele, die strategischen Vorstellungen, die diesen beiden Vorhaben zugrunde liegen, zu erläutern?
Welche beiden Vorhaben bitte?
Die beiden, um die die Debatte hier geht.
Dr. Riesenhuber; Bundesminister für Forschung und Technologie: Da kann ich Sie darauf hinweisen, daß ich soeben dargelegt habe, was die Grundsätze und Ziele bei dem europäischen Rahmenprogramm sind, nämlich solche Fragen anzugehen, die die nationalen Möglichkeiten überschreiten. Ich habe darauf hingewiesen, daß in diesem Sinn auf deutsches Drängen beispielsweise Umweltforschungen in das europäische Rahmenprogramm aufgenommen worden
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 18e) Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Januar 1990 14647
sind. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir hier Umweltforschung weit überproportional auch im neuen Rahmenprogramm gesteigert haben. Ich habe nicht darauf hingewiesen, daß wir die Gemeinsame Forschungsstelle in Ispra jetzt zu einem Zentrum umgewandelt haben, in dem Normen und Standards und Grundlagen für Umweltschutz so erarbeitet werden, daß nicht nur eine einzige Nation hier die Standards entwickelt und dann in schwierigen Kompromissen europäisch durchzusetzen trachtet, sondern daß aus einer gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit die gemeinsamen Grundlagen für eine höchst anspruchsvolle Technik für höchst anspruchsvolle Standards durchgesetzt werden.
({0})
Dies ist eine Strategie, die wir durchgesetzt haben und die ich für richtig halte. Ich glaube, an dieser Stelle werden wir auch mit den GRÜNEN keinen heftigen Streit haben.
({1})
- Also, lieber Herr Briefs! Sie sagen: Nicht konkret genug. Wenn meine Uhr noch angehalten wird, kann ich beliebig konkret ins Detail gehen. Ich stehe Ihnen auch für jede Detaildebatte zur Verfügung.
({2})
Ich habe die Uhr wieder eingeschaltet, Herr Bundesminister.
Die Uhr ist eingeschaltet. Ich muß der Frau Präsidentin folgen. Das war übrigens ein Angebot, Kollege Briefs, keine Drohung, als ich Ihnen sagte, ich gehe ins Detail. Wir können es im Ausschuß bei passender Gelegenheit mit großem Vergnügen nachholen.
Was wir hier anzupacken haben, ist neben den Fragen des Umweltschutzes natürlich auch ein großer Bereich der Technik. Ich greife gern die Anregung des Kollegen Jäger auf. Die Frage der Alpenregion gemeinsam anzugehen, gerade unter den neuen Bedingungen der Kooperation mit Österreich und der Schweiz, halte ich für eine vorzügliche Sache. Sie wissen, daß wir selber hier Projekte haben. Bis jetzt sind es nur deutsche Projekte. Aber ich hoffe sehr, daß Österreich, das, wenn ich mich richtig erinnere, bis jetzt nur für zwei Gebiete im Umweltbereich seinen Beitritt angedeutet hat, umfassend teilnimmt und dies da mitgetragen werden kann.
Ich möchte nicht und kann nicht im einzelnen das aufarbeiten, was der Ausschuß an Kriterien beschlossen hat. Es sind sehr hilfreiche und vernünftige Kriterien. Aber wenn Sie das, was der Ausschuß beschlossen hat, abhaken und mit dem vergleichen, ohne in die Einzelheiten zu gehen, stellen Sie fest, daß dies in einer, wie ich glaube, sehr guten Weise vorangekommen ist. Das gilt für die Mobilität der Wissenschaftler, für die Aufstockung im Science-Programm. Bei der Mobilität haben wir eine weit überproportionale Erhöhung - der Ausschuß hatte eine Erhöhung gefordert - auf 300 % innerhalb der kurzen Laufzeit dieses
Programms, wovon wir jetzt sprechen. Das ist ein großartiges Ergebnis. Die verstärkte Öffnung für die kleinen und mittleren Unternehmen ist erwähnt worden.
Auch die Öffnung für die Staaten der EFTA und des RGW ist behandelt worden. Ich weise nur auf eines hin: Ich habe in der letzten Sitzung des Forschungsministerrats im letzten Dezember eine Resolution eingebracht, nachdem ich mich mit der französischen Präsidentschaft freundschaftlich abgesprochen hatte. Die Resolution ist nach einer eingehenden Diskussion vom Rat verabschiedet worden. Sie ist dem Ausschußvorsitzenden zugeleitet worden. In ihr steht im einzelnen, daß der Rat bereit ist und anstrebt, die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus dem Ostblock zu vertiefen, gemeinsame Projekte aufzugreifen, die Nutzung des Rahmenprogramms und der Struktur hier auf solche Projekte hinzuführen. Insofern brauchen wir nicht zu warten, bis die SPD, lieber Herr Vosen, irgendwann in einer fernen Zukunft - die ich anders als Sie einschätze - die Regierung übernimmt. Was Sie für die Zukunft planen, hat diese Regierung, hervorragend und kompetent wie sie ist, schon getan.
({0})
Ich nehme auch gern die Anregung auf, in den Gesprächen mit dem Kollegen Budig genau solche Fragen aufzugreifen. Wir hatten immer die Strategie, alles zu öffnen, was überhaupt geöffnet werden kann, und jede Möglichkeit zu nutzen. Das Abkommen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit der DDR ist so breit angelegt, daß innerhalb des Abkommens sehr viel möglich war. Aber alles, was von unten heraus an Kooperation zwischen den Wissenschaftlern selber entsteht, ist großartig. Ich weiß, daß einer unserer Kollegen, der Kollege Laermann, schon lange, bevor das Abkommen abgeschlossen worden ist, direkte Kontakte als Wissenschaftler hatte und gemeinsame Projekte und Arbeiten durchführte. Dies ist ein großartiger und sympathischer, aber sicher nicht der einzige Fall.
Der Hinweis darauf, daß wir hier die ethischen Fragen berücksichtigen müssen, gilt für diese Programme. Er gilt auch für das Programm zu der sogenannten prädiktiven Medizin. Wenn Sie die neue Form einschließlich der wissenschaftlichen Kommissionen, die ethische Fragen behandeln sollen, sehen, dann erkennen Sie, daß wir eine ganze Welt weitergekomen sind. Das gilt auch für das Human-FrontierScience-Programm.
({1})
- Nein. Wir haben hierüber in diesem Bundestag schon diskutiert; deshalb wiederhole ich die Debatte nicht. Aber ich muß Ihnen hier sagen, was ich damals als meine Position gesagt habe und was im übrigen aus den Diskussionen belegt ist, die wir hier und außerhalb dieses Hauses seit 1982 geführt haben: Unter keinen Umständen darf der Mensch zum Objekt gemacht werden.
({2})
Die Grenze der Wissenschaft ist dort, wo die Würde des Menschen berührt werden könnte.
({3})
Dies hier zu achten und zu schätzen ist einer der Grundsätze, von denen wir immer ausgegangen sind: Der Mensch darf nicht zum Objekt des menschlichen Handelns gemacht werden.
Wir haben das Human-Frontier-Science-Programm so angelegt, daß die großartigen Möglichkeiten weltweiter wissenschaftlicher Zusammenarbeit genutzt werden, daß aber andererseits hier die Grundsatzfragen aufgegriffen werden. Wir haben dies in die Satzung des HFSP hineingeschrieben, und nachdem jetzt die Gremien arbeitsfähig sind, werden wir hier den Vorschlag zu einem Workshop machen, der sich genau mit diesen Fragen befaßt. Ich habe schon bei früherer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß ich die europäischen Forschungsminister eingeladen habe zu einer informellen Diskussion über die Grundsatzfragen des verantwortlichen Umgangs mit menschlichem Erbgut, weil ich weiß, daß hier die Diskussion in den einzelnen Ländern außerordentlich divergent läuft.
Was hier entsteht, ist vor allem erst reine Wissenschaft; die neue Erkenntnis, daß der Schutz des geistigen Eigentums im Hinblick auf die Bedeutung für künftige Märkte, wie es der Forschungsausschuß gefordert hat, gewährleistet sein muß, gehört dazu. Aber daß wir die grundsätzlichen ethischen Fragen mit einbeziehen, war von Anfang an und vor irgendeiner anderen Nation hier in Europa eine Initiative der Bundesregierung. Wir haben dies national und international eingebracht, und ich halte dies für notwendig und vorrangig.
({4})
Herr Bundesminister, wenn Sie keine Frage mehr zulassen, können wir weitermachen.
Frau Präsidentin, wenn Sie noch Geduld mit uns haben, würde ich diese Frage gern zulassen, denn ich lehne Zwischenfragen ungern ab. Aber wenn Sie mir raten, es nicht zu tun, folge ich Ihrem Rat.
Wir sind in Zeitnot; wir haben noch zwei Punkte, und es dauert noch eine Stunde.
({0})
- Die Versprechungen kennen wir, aber der Herr Bundesminister läßt die Frage noch zu.
Ich lasse sie gern zu, Frau Präsident.
Herr Dr. Briefs, eine kurze Frage, wenn es geht.
Danke, Frau Präsidentin.
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß angesichts der Brisanz dieses Themas eine Klärung der ethischen Fragen vor der Ingangsetzung der entsprechenden Forschungsaktivitäten notwendig wäre und nicht, wie Sie eben gesagt haben, im Zuge der Entwicklung?
Daß wir dies auch auf der Ebene des Weltwirtschaftsgipfels versuchen, wo Japan diese Fragen eingebracht hat, ist bekannt seit den Konferenzen in Rambouillet, in Bad Kreuznach und in Toronto, denn neben diesen Konferenzen ist, wie Sie wissen, immer eine wissenschaftliche Konferenz mitgelaufen, die Grundsatzfragen, beispielsweise zur Hirnforschung, wie sie Gegenstand des HFSP sind, beispielsweise zur Molekularbiologie, eingebracht hat. Das heißt, wir haben dies auch auf der Ebene des Weltwirtschaftsgipfels, wo das HFSP herkommt, von vornherein mit eingebracht und mitgestaltet, und wenn Sie die Protokolle dieser Konferenzen nachlesen, werden Sie sehen, daß zwar so kurzfristig kein Konsens erzielt werden kann, aber daß das Bemühen um einen Konsens in den grundsätzlichen Fragen nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein sehr handfestes Anliegen der Bundesregierung von vornherein gewesen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine Entwicklung, in der sich Europa in diesen Jahren in einer großartigen Weise zusammenfügt. Die nächste Phase wird sein, daß sich Europa in einer Weise nach Osten öffnet, wie es im Westen zusammengewachsen ist, daß es die Chancen aufgreift, die die Wissenschaft bietet, daß es der Wissenschaft die Chancen gibt, zueinander zu führen, daß aber auch die Wissenschaft selbst aus ihrem eigenen Geist in ihrer Freiheit und in ihrer Offenheit die bestmöglichen Chancen schafft. Was wir hier entstehen sehen, ist eine einzigartige weltweite Kooperation, eine offene Kooperation.
Wir haben hier die Aufgabe, die Voraussetzung zu schaffen für die Kreativität der Wissenschaftler, für den Unternehmungsgeist der Unternehmer, für den verantwortlichen Umgang mit der Wirklichkeit, zu dem wir alle beizutragen haben.
Was die dramatischen Entwicklungen in den letzten Monaten gezeigt haben, war eigentlich nur eines - entgegen allen Pessimisten und entgegen allen Planifikateuren - : Die Zukunft ist offen, der Mensch ist frei, und unsere Verantwortung ist es, sie aus unseren Möglichkeiten zu gestalten.
Ich bedanke mich.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/5789. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung gegen einige Stimmen der GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf
Vizepräsidentin Renger
Drucksache 11/5791. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bohl, Dr. Rüttgers, Frau Geiger, Dr. Stercken, Frau Hoffmann ({0}), Dr. Czaja, Dr. Pohlmeier, Böhm ({1}), Frau Dr. Hellwig, Kittelmann, Dr. Schwörer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Irmer, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Feldmann, Dr. Hirsch, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Weng ({2}), Hoppe, Wolfgramm ({3}) und der Fraktion der FDP
Gleichstellung der deutschen Sprache als
Amtssprache in europäischen Gremien
- Drucksache 11/5953 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Auswärtiger Ausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Kurze Reden sind erwünscht; dennoch haben wir das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rüttgers.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ziel unseres Antrags ist die Chancengleichheit für die deutsche Sprache in den europäischen Gremien. In der EG ist dies auch grundsätzlich anerkannt. Aber ich meine, auch vom Europarat und von der WEU verlangen wir damit gewiß nicht zuviel. Ich hoffe deshalb auch auf die Zustimmung aus den Reihen der Opposition.
Es gibt, glaube ich, einen wichtigen und weiterführenden Grund für diesen Antrag. Deutsch ist die einzige Sprache in der Europäischen Gemeinschaft, mit der wir auch viele Menschen außerhalb dieser Gemeinschaft, vor allen Dingen im Bereich von Mittel- und Osteuropa, im Bereich des Warschauer Paktes, unmittelbar erreichen können. Angesichts der umwälzenden Erneuerungen in Osteuropa sollten wir, so meine ich, die Chance nutzen, die unsere Sprache für die Verständigung bietet.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unser Ja zu Europa, die Zustimmung der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland zum europäischen Einigungswerk, ist unumstößlich. Europäische Einheit bedeutet ja gerade nicht europäischen Einheitsbrei, sondern wir wollen ein Europa der Vielfalt. Kulturelle Vielfalt heißt auch sprachliche Vielfalt. Es wird keine europäische Zentralsprache geben. Die Europäische Gemeinschaft hat neun Amtssprachen, darunter Deutsch, und in einem Europa, das den Grenzen ihren trennenden Charakter nimmt, müssen, so meine ich, auch die Sprachgrenzen niedergelegt werden. Deshalb ist es mir völlig unverständlich, daß wichtige Dokumente der Europäischen Gemeinschaft zunächst nur in französisch und englisch erscheinen und Verhandlungen sowie Arbeitspapiere sich zunächst auf diese beiden Sprachen beschränken.
Für den Europarat zeichnet sich das Bild dann natürlich noch etwas schärfer. 73 Millionen Bürger von Staaten des Europarates sprechen Deutsch. In den 23 Ländern des Europarates sprechen 60 Millionen Bürger Englisch und zirka 59 Millionen Französisch. Damit ist Deutsch die am meisten gesprochene Sprache Europas.
({0})
Dennoch ist sie im Europarat keine offizielle Amtssprache. Wie in der Europäischen Gemeinschaft liegen die deutschen Texte in der Regel erst später als die französischen und englischen Texte vor. Dies - das ist ein ebenso wichtiger Punkt - hat nicht nur nachteilige Wirkungen für die Presseberichterstattung. Die Meldungen erscheinen entweder einen Tag zu spät oder sie entfallen ganz, weil sie von aktuelleren Informationen verdrängt werden.
({1})
Dies beeinträchtigt natürlich die Unterrichtung der bundesdeutschen Öffentlichkeit.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt. Zahlreiche Firmen sind auf unverzügliche Informationen aus den politischen Gremien angewiesen. Insbesondere mittelständische Betriebe - dies sagen wir von dieser Stelle sehr häufig - müssen sich nach Europa orientieren, und mittelständische Betriebe haben eben keine Sprachspezialisten. Deshalb gibt es auch hier immer wieder Erschwernisse und Wettbewerbsnachteile.
Wenn die Entwicklung in Ost- und Mitteleuropa neue Chancen eröffnet - und davon sind wir alle überzeugt - , dann sollten wir nicht darauf verzichten, einen möglichst großen Kreis von Menschen ohne Übersetzungen ansprechen zu können. Deshalb wünsche ich mir, daß Deutsch als eine Brücke zwischen Westeuropa- und Osteuropa verstanden wird.
Die europäischen Institutionen sollten diese Chance nutzen. Gerade weil wir in den Westen integriert sind, bietet sich uns die Gelegenheit, zur positiven Entwicklung im Osten beizutragen. Wir sprechen zu Recht sehr viel von Verständigung, und die deutsche Sprache kann dazu im wahrsten Sinne des Wortes beitragen.
Wir sollten es deshalb nicht nur bei einem Appell an die EG belassen. Wir sollten nicht nur an den Europarat und die WEU appellieren. Wir können auch selber eine Menge zur Förderung der deutschen Sprache beitragen.
({2})
Natürlich begrüße ich es, daß viele Mitbürger Fremdsprachen beherrschen. Andererseits halte ich es aber nicht für erforderlich, daß einige sprachbegabte Beamte aus der Bundesrepublik Deutschland es in europäischen Gremien tunlichst vermeiden, in diesen Gremien Deutsch zu sprechen.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns - auch dies ist eine Aufgabe, die in diesem Parlament
herausgestellt worden ist - ebenfalls zu einer verstärkten finanziellen Förderung bereitfinden. Ich möchte zum Abschluß ein Zitat des Generalsekretärs des Goethe-Institutes wiederholen. Er sagte:
Deutsch wird wieder eine der wichtigsten Sprachen. Wir können das Interesse an deutschen Sprachkursen im Osten kaum befriedigen.
Das Goethe-Institut hat angesichts der Annäherung zwischen Ost und West Geld und Kapazitäten auf Osteuropa konzentrieren müssen. Wir sollten es dabei unterstützen.
Meine Damen und Herren, an diesem Antrag wurde schon gearbeitet, bevor seine Notwendigkeit so deutlich wie in den letzten Wochen und Monaten wurde. Wir sollten den Weg, den die Bundesregierung in ihren Verhandlungen geht, unterstützen. Wir werden sicherlich auch dann dazu Gelegenheit haben, wenn wir hier über den ersten Bericht der Bundesregierung debattieren. Ich meine, wir sind auf einem guten Weg. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Fremdenverkehrsgebieten der Europäischen Gemeinschaft kann man häufig das Schild antreffen: „Man spricht Deutsch". Die Frage ist: Gilt das auch für die Hauptstadt der Europäischen Gemeinschaft? Die Antwort ist leider: Nein. Dabei meine ich natürlich nicht die Gaststätten, Hotels und Geschäfte in Brüssel. Brüssel ist ja auch nicht gerade ein Fremdenverkehrsgebiet. Ich meine vielmehr die Bürogebäude der EG-Kommission und des Ministerrates.
Dabei müßte für die Brüsseler Bürokratie eigentlich das gleiche wie für die europäischen Fremdenverkehrsgebiete gelten: In den Gaststätten, Hotels und auch in den Geschäften muß man nämlich des Deutschen mächtig sein, weil es so viele deutschsprechende Touristen gibt; denn das Deutsche als Muttersprache ist - das ist soeben schon gesagt worden - die in der EG, nicht unbedingt in Europa am meisten gesprochene Sprache.
Das, was für die Europäische Gemeinschaft gilt, gilt erst recht für den Europarat; denn im Europarat sind ja gleich drei deutschsprachige Länder vertreten. Gewiß, in den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sprechen die Deutschen, die Österreicher und die Deutschschweizer Deutsch. Aber die Amtssprachen des Europarates sind französisch und englisch. Das Deutsche ist eben nur Arbeitssprache. Das heißt, daß die Dokumente des Europarates eben nicht in Deutsch verfaßt sind.
Für jeden Abgeordneten aus den drei genannten deutschsprachigen Ländern ist es schon schwieirg, die Papiere zu studieren, es sei denn, er beherrscht die französische oder die englische Sprache perfekt. Denn da liegt ja das Problem: Selbst wenn man sich in einer Fremdsprache gut unterhalten kann, wird es immer wieder schwierig, die Feinheiten einer Sprache ganz zu verstehen.
({0})
Da die Gruppe der deutschsprachigen Abgeordneten in der Beratenden Versammlung des Europarates die stärkste ist, kann ich die Forderung nach Einführung der deutschen Sprache als Amtssprache im Europarat nur unterstützen. Ich tue das auch im Namen meiner Fraktion, vor allem aber im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen, die Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates oder der WEU sind.
Wir können auch die Verhandlungen der Bundesregierung in dieser Sache unterstützen. Ob wir, wie das in dem Antrag formuliert ist, sie auch begrüßen können, werden wir dann entscheiden, wenn wir wissen, wie intensiv die Bundesregierung die Verhandlungen führt. Aber das werden wir dann bei den Ausschußberatungen hören.
Wenn in dem Antrag dann weiter gefordert wird, daß die Bundesregierung mit Nachdruck darauf hinwirken soll, daß auch in der Praxis der Europäischen Gemeinschaft, des Europarats und der WEU die deutsche Sprache der französischen und englischen gleichgestellt wird, dann kann ich das auch unterstützen. Es kann aus unserer Sicht nicht hingenommen werden, daß die deutsche Sprache in der Europäischen Gemeinschaft zwar formell Amtssprache ist, aber eigentlich keine Arbeitssprache. Das heißt, wir können es nicht hinnehmen, daß in den Behörden der EG mit der deutschen Sprache nicht gearbeitet wird, daß in vielen Sitzungen nicht Deutsch geprochen wird. Wir hören immer wieder Berichte, daß Texte im internen Gebrauch der Kommission zuerst in Französisch oder Englisch vorliegen und es oft lange dauert, bis die deutsche Übersetzung vorliegt. Dabei kann es hier - das ist eben gesagt worden - auch um handfeste wirschaftliche Dinge gehen.
Es trifft zu, was in der Begründung des Antrags der Koalitionsfraktionen gesagt wird, daß für deutsche Unternehmen, vor allem für mittelständische Unternehmen, hierdurch Wettbewerbsnachteile entstehen. Aber ehe wir andere beschimpfen, sollten wir bei uns selbst anfangen. Ich habe es auch schon erlebt, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag ein EG-Papier in englischer Sprache zugeleitet hat.
Ich halte es für einen Vorteil, daß viele unserer Beamten mehr Fremdsprachen sprechen als beispielsweise Briten oder Franzosen, auch wenn wir, die Deutschen, hier noch hinter den kleineren europäischen Sprachnationen herhinken. Ich verstehe es auch, daß man gerne fremde Sprachen spricht. Ich tue es auch, schon aus egoistischen Gründen. Ich will nämlich mein Französisch und mein Englisch durch Übung immer wieder verbessern. Vielleicht denken unsere Beamten, die in Brüssel bei Verhandlungen dabei sind, genauso. Aber sie sollten nicht so egoistisch sein. Sie sollten ihren Kollegen aus anderen Mitgliedstaaten der EG auch die Chance lassen, ihr Deutsch zu verbessern. Das wird nämlich auch deshalb notwendig sein, weil - auch das ist eben gesagt worden - , die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa vielleicht doch manchen Brüsseler Eurokraten zwinBrück
gen wird, Deutsch zu lernen, weil eben in den mittel- und osteuropäischen Ländern Deutsch mehr als Fremdsprache gesprochen wird als in westeuropäischen Ländern.
Ich denke, daß uns Deutschen niemand Nationalismus unterstellen wird, wenn wir Wert darauf legen, daß auch unsere Sprache im Europarat und in der Europäischen Gemeinschaft gesprochen wird. Niemand soll mir mit dem Argument kommen, das alles koste sehr viel Geld, weil man viel mehr Übersetzer und viel mehr Dolmetscher beschäftigen muß. Dies muß uns Europa wert sein.
Damit bin ich bei einer grundsätzlichen Frage. Es geht nicht nur um das Deutsche. Es geht auch um die anderen Sprachen in der Europäischen Gemeinschaft. Die große Mehrheit in Europa will die Entwicklung dieser Gemeinschaft zur Europäischen Union, zu den Vereinigten Staaten von Europa. Es ist meine feste Überzeugung, daß die Vereinigten Staaten von Europa nur funktionieren können, wenn sie föderalistisch gestaltet sind, föderalistischer als die Vereinigten Staaten von Amerika, denn wir werden in Europa dann ein Vielvölkerstaat sein. Dieser wird nur funktionieren, wenn die Vielzahl der europäischen Kulturen und damit auch der europäischen Sprachen toleriert und geschützt wird. Niemand in Europa darf das Gefühl haben, daß seine Sprache, seine Kultur unterdrückt wird.
Ich denke, dali wir uns hier an der Schweiz ein gutes Beispiel nehmen können. So weiß ich, daß die Vorlagen für den Schweizer Nationalrat in Deutsch, Französisch und Italienisch erfolgen. Wer einmal mit dem Auto durch die Schweiz gefahren ist, wird sehen, wie selbstverständlich die Sprachen aufeinanderfolgen, ohne daß man als Autofahrer Probleme hat. Wenn an einer Autobahnausfahrt „Sortie" steht, dann kapiert das auch jemand, der nicht Französisch spricht.
Ich weiß, daß es in Europa noch viele Sprachen gibt, die in ihren eigenen Ländern keine Amtssprachen und daher auch keine Amtssprachen der EG sind. Aber ich denke, daß es auch hier unsere Aufgabe sein muß, darauf zu achten, daß diese Sprachen wenigstens in den Regionen, in denen sie gesprochen werden, geschützt und bewahrt werden. Ich bin sogar davon überzeugt, daß sie es in einer Europäischen Union leichter haben werden, als sie es in den jetzigen Nationalstaaten haben. Wer seine regionale Sprache, seine Mundart pflegt, wird dann nicht mehr des Separatismus bezichtigt werden können, zumal ich auch glaube, daß ein künftiges Europa nicht mehr nur ein Europa der Mitgliedstaaten sein wird, sondern eher ein Europa der Regionen.
Was immer ich aber gesagt habe zur Bewahrung der Muttersprache in den europäischen Ländern oder in den europäischen Regionen, eines kann ich natürlich auch nur jedem Europäer empfehlen, nämlich die Sprache des Nachbarn zu lernen. Vieles wird dann im menschlichen Zusammenleben einfacher, und vieles wird natürlich auch in der politischen und wirtschaftlichen Gestaltung dieses Europas einfacher werden.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer. Sie haben heute Geburtstag; herzlichen Glückwunsch.
({0})
Tak, frue formand! Madame le Président, chers collègues! Signora Presidente, onoréroli collèghi! Madam Chairman, colleagues! Verehrte Frau Präsidentin!
({0})
Zunächst herzlichen Dank für die Glückwünsche.
({1})
- Ich kann sie ja nicht alle.
Der deutsche Literat August Wilhelm von Schlegel hat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die beklagenswerte Lage der deutschen Delegierten im Europarat prophetisch wie folgt vorhergesehen. In einem Gedicht mit der Überschrift „In der Fremde" heißt es:
Oft hab' ich dich rauh gescholten, Muttersprache, so vertraut!
Höher hätte mir gegolten
südlicher Sirenenlaut.
Und nun irr' ich in der Ferne freudenlos von Ort zu Ort
und vernähm', ach, wie so gerne nur ein einzig deutsches Wort.
Mit den Sprachen hat es ja seine besondere Bewandtnis. Sie sind das vornehmste Merkmal der kulturellen Identität. Gerade deshalb ist es, wenn Europa zusammenwächst, so notwendig, daß wir besonders die kleinen Sprachen respektieren. Die Dänen beispielsweise haben Angst, daß ihre Kultur auch wegen der Sprachgestaltung in der europäischen Praxis in einem allgemeinen europäischen Einheitsbrei verlorengeht. Diese Angst muß man ihnen nehmen. Frau Präsidentin, ich gestatte mir den Hinweis, daß auch die Maoris auf ihr angestammtes Wakahujahuja nur äußerst ungern verzichten würden.
({2})
Gegen die Vielzahl der Amtssprachen wird immer eingewandt, dies sei viel zu teuer; man solle es doch so machen wie in der UN-Vollversammlung. Da gibt es allerdings einen wesentlichen Unterschied: In der UN-Vollversammlung sitzen Diplomaten. Bei denen darf und muß man voraussetzen, daß zu ihrer beruflichen Qualifikation die Beherrschung von Fremdsprachen gehört.
Anders ist das in den parlamentarischen Gremien in Europa. Ich möchte, daß jeder Mitbürger die Chance hat, z. B. für das Europäische Parlament zu kandidieren, auch wenn er nie die Gelegenheit hatte, Sprachen zu lernen, etwa in der Schule.
Im übrigen ist die Beherrschung von Sprachen auch nicht nur eine Frage der Bildung, sondern auch des ganz spezifischen Talents. Ich erinnere an den italienischen Mathematikprofessor, der das auf italienisch wunderschön so ausdrückte: Sono negato per le lin14652
gue. Damit wollte er ausdrücken: Mit Sprachen habe ich nichts zu tun, das liegt mir nicht. Es war ein hochintelligenter Mann, der aber diese spezifische Begabung absolut nicht hatte.
({3})
- Das haben Sie gesagt, Herr Kollege.
({4})
Es ist manchmal auch eine Frage der Bereitschaft. Ich habe einmal einen britischen Kollegen aus dem Europäischen Parlament gefragt, warum er ausgerechnet als erste Fremdsprache Italienisch lerne. Ich meine, man hat ja Verständnis dafür: die Kultur ist anregend, die Küche nicht minder. Aber dasselbe gilt ja auch für Französisch. Ich habe ihn gefragt: Warum lernst du nicht Französisch? Damit kannst du hier doch viel mehr anfangen. Er sagte: As long as these bloody French don't learn English, I bluntly refuse to speak their dialect. - Meine Damen und Herren, es ist also auch eine Frage der inneren Bereitschaft.
Ich habe diese ganzen ausländischen Zitate hier natürlich nur deshalb gebracht, um von vornherein dem Verdacht entgegenzuwirken, der diesem Antrag ja entgegenschlagen könnte, nämlich hier mache sich ein gewisser Provinzialismus breit. Meine Damen und Herren, dies ist nun genau nicht der Fall. Ich will nicht wiederholen, was die Vorredner so richtig gesagt haben. Es ist weder Provinzialismus, noch ist es nationale Selbstüberhebung, wenn wir darauf bestehen, daß der deutschen Sprache ihr angestammter Platz und Rang zukommen.
Gerade in dieser Zeit der Umwälzungen in Osteuropa und in der DDR werden wir von unseren Nachbarn mißtrauisch beäugt, ob wir als Deutsche uns nicht wieder überheben, ob wir nicht wieder Größenwahn an den Tag legen. Und da muß man im Zusammenhang mit diesem Antrag auch ganz klar sagen: Eben dies ist nicht gewollt und nicht gemeint, und diesem Verdacht wollen wir uns auch nicht aussetzen.
Die wahren Gründe sind zweifacher Natur: Einmal sind es die wirtschaftlichen Implikationen, auf die der Kollege Rüttgers schon hingewiesen hat und auf die Kollege Beckmann anschließend gewiß zu sprechen kommen wird. Zweitens aber kommt der deutschen Sprache, gerade durch die Öffnung nach Osten, künftig eine noch stärkere Brückenfunktion zu, als sie sie bisher hatte. Denn in den Ländern, die sich jetzt befreit haben, in der Tschechoslowakei, in Polen, in Ungarn, ist die deutsche Sprache oft weit stärker verbreitet als irgendeine andere Fremdsprache. Deshalb wäre es gut, daß die europäischen Gremien der deutschen Sprache künftig auch einen höheren Rang einräumen.
Die Bundesregierung soll hier handeln. Eines Tages werden wir dann erfreut feststellen, was in diesem Zusammenhang - wiederum prophetisch - Heinrich Heine in seinem großen Gedicht „Deutschland - ein Wintermärchen" gesagt hat. Ich hatte das große Vergnügen, genau auf den Tag heute vor einem Jahr größere Auszüge aus diesem Gedicht zitieren zu dürfen. Ich möchte es mir eigentlich zur lieben Gewohnheit machen, wenigstens einmal im Jahr hier Heinrich Heine vorlesen zu dürfen. Frau Präsidentin, es soll also in Zukunft der Zustand erreicht werden, den Heinrich Heine beschrieben hat. Allerdings hat Heinrich Heine dies gesagt, als er von Paris nach Hamburg reiste und in Aachen an die deutsche Grenze kam. In Zukunft soll es den - von August Wilhelm Schlegel so beklagten - deutschen Delegierten im Europarat auf ihrem Wege von Deutschland nach Frankreich hinüber folgendermaßen gehen:
Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar, Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam zumute:
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm verblute.
Vielen Dank.
({5})
Aber vielleicht darf ich darauf hinweisen, daß Reisen der Abgeordneten wirklich bilden; davon hat der Herr Kollege soeben gesprochen. Er hat sogar etwas aus der Sprache der Maoris hier zur Kenntnis gebracht.
({0})
So, jetzt hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Wulff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Begründung zum Antrag heißt es:
73 Millionen Bürger von Staaten des Europarates sprechen Deutsch; es ist
- wie richtig gesagt wurde die am meisten gesprochene Sprache Europas.
Und niemand bestreitet - auch das möchte ich einmal sagen - , daß Englisch und Französisch Weltsprachen sind. Aber wir leben in Europa, und dort sprechen die meisten als ihre Muttersprache Deutsch.
Weil das so ist, sollte Deutsch nach unserer Meinung auch als Amtssprache in den europäischen Gremien gleichgestellt werden, um so mehr, als die deutsche Sprache Gefahr läuft, in der Gemeinschaft, im Europarat wie auch in der WEU ins Hintertreffen zu geraten. Wenn wichtige Dokumente zunächst nur in Englisch und Französisch erscheinen und Arbeitspapiere in diesen Sprachen angefertigt werden, laufen deutsche Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, Gefahr, Wettbewerbsnachteile zu erleiden.
Hierzu nur einige ganz wenige Beispiele: Ihre vielfältige Korrespondenz mit der deutschen Wirtschaft führt die Kommission fast ausschließlich in Englisch und Französisch. Die Benachteiligung der deutschen Sprache ist auch in Anhörungen und Symposien der Kommission festzustellen. Bei zahlreichen Veranstaltungen ist der Dolmetscherdienst für Deutsch nicht gewährleistet; das Informationsmaterial liegt nur in
Englisch und Französisch vor. So hat die Kommission im Februar 1989 eine Anhörung der Industrie zum Thema „Panorama der EG-Industrie" nur in Französisch und Englisch durchgeführt. Die zahlreichen Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum wurden in der Wahrnehmung ihrer Belange, so meine ich, erheblich benachteiligt.
Bei Ausschreibungen der Kommission liegen häufig die Ausschreibungsunterlagen in deutscher Sprache nicht gleichzeitig mit den französisch- und englischsprachigen Unterlagen vor. Die verspätete Verfügbarkeit verkürzt die Bearbeitungszeit und damit die Wettbewerbschancen.
Wichtige Studien und Informationsschriften der Kommission liegen nicht oder sehr verspätet in deutscher Sprache vor. Die wirtschaftspolitische Analyse der Kommission zum Binnenmarkt beispielsweise erschien im März 1988 in französischer und in englischer Ausgabe. Die angekündigte deutsche Ausgabe erschien erst im März 1989. Die Presseinformation der Kommission über den wirtschaftlichen Nutzen des Programms „Binnenmarkt '92" vom März 1988 enthielt den wichtigen statistischen Anhang mit der Quantifizierung des Binnenmarktkonzepts nur in französischer Sprache. Kern der Veröffentlichung sind die statistischen Tabellen. Diese werden in der Vielzahl der Fälle nur mit englischer und französischer Beschriftung dargestellt, obwohl drucktechnisch die Einfügung des deutschen Textes in die Tabellen und damit die leichtere Lesbarkeit für den deutschsprachigen Leserkreis ohne weiteres möglich wäre.
Ein weiteres wichtiges Faktum: Zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen in Europa werden mit Unterstützung der Kommission in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sogenannte Euro-Informationsschalter eingerichtet, die der Wirtschaft alle EG-relevanten Informationen vermitteln sollen. Aber wie sieht es aus? Auch hier sind bei der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und deutschen Informationsschaltern Benachteiligungen bei der Berücksichtigung der deutschen Sprache festzustellen. So sind die für die Arbeit der deutschen Schalter wichtigen thematischen Einzelmerkblätter nur in Englisch und Französisch verfügbar.
Meine Damen und Herren, ein Gedanke aber scheint mir in der gegenwärtigen Situation besonders wichtig zu sein. In den Ländern Europas, die sich mehr und mehr dem Gedanken der europäischen Einigung zuwenden, ist die deutsche Sprache weit verbreitet. Deshalb stellt die Einführung der deutschen Sprache als Amtssprache auch und insbesondere eine Brücke nach Osteuropa dar.
Ich habe von der ökonomischen Bedeutung der deutschen Sprache im europäischen Raum gesprochen. Neben dem Ökonomischen scheint mir aber noch eines wichtig zu sein. Bereits im Jahre 1977 wurde in einer Stellungnahme der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik folgendes festgestellt:
Die deutsche Sprache ist und bleibt ein zentraler Bestandteil unserer Kultur und ein wichtiger Mittler zur Verständigung zwischen den Völkern. Deshalb kann es nach Meinung der Bundesregierung keine auswärtige Kulturpolitik ohne sinnvolle Sprachpolitik geben. Sie ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß, den Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes Dr. Witte, einen ebenso klugen wie engagierten Mann, zu zitieren. Er hat vor geraumer Zeit folgendes geschrieben:
Die deutsche Sprache ist gleichwohl eine wichtige ({0}) Regionalsprache in Europa geblieben. Neuerdings läßt sich auch eine neue Aufgeschlossenheit für Deutsch feststellen. Dies hängt nicht zuletzt mit der europäischen Neubesinnung und Aufbruchstimmung zusammen, im Westen in Richtung auf das Europa des Binnenmarktes 1992, im Osten in Richtung auf Demokratisierung und Systemreform. Europa gewinnt zunehmend auch eine kulturelle Dimension.
Der Kollege Brück hat das eben schon gesagt.
Zielt aber politische und ökonomische Integration auf Abbau von Grenzen, Handelsbarrieren und auf Harmonisierung, so ist das kulturelle Europa eines der Vielfalt, der Regionen und Nischen und der kleinen Lebenskreise. Vielsprachigkeit ist ein Kernstück dieser europäischen „universitas multiplex" . Eine zunehmend multipolar werdende Welt bedarf eines vielschichtigen Sprachenangebots. Die deutsche Sprache hat darin einen wichtigen Platz.
Ich meine zu Recht, meine Damen und Herren!
({1})
Das Wort hat Frau Staatsministerin Dr. Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich in meinem Beitrag auf Deutsch beschränken. Erstens bin ich nicht so polyglott wie der Kollege Uli Irmer. Zweitens muß ich mich hier mit der, wie es im Antrag heißt, „Gleichstellung der deutschen Sprache als Amtssprache in europäischen Gremien" beschäftigen. Das Wort „Amtssprache" fordert einen natürlich nicht gerade zu geistreichen Ausführungen heraus. Ich hoffe sehr, obwohl der Augenschein dagegen spricht, daß dann nicht die deutsche Amtssprache übernommen wird, sondern die deutsche Sprache.
({0})
Immerhin - und das empfinde ich als sehr begrüßenswert - ist bei dieser Debatte deutlich geworden, daß Sprache ein entscheidender, vielleicht der entscheidende Faktor der Identität eines Volkes ist und damit auch Ausdruck seiner kulturellen Entwicklung. Dies ist neben den wirtschaftlichen Erwägungen der Grund für die Bundesregierung, Deutsch innerhalb der europäischen Gremien als ständig genutzte Sprache zu fördern. Deutsch ist eine wichtige europäische Regionalsprache und verdient deshalb angemessene Berücksichtigung bei europäischen Organisationen.
Die Bundesregierung hat ihre Bemühungen zunächst darauf konzentriert, Startvorteile auszugleichen, die Englisch und Französisch bei den kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Organisationen als alleinige Amtssprachen gewonnen haben. Das sind Europarat und Westeuropäische Union. In der zehn Jahre später gegründeten Europäischen Gemeinschaft ist Deutsch von Anfang an den Sprachen der anderen Mitgliedstaaten gleichgestellt worden. Im Europarat haben wir bisher nur ein Zwischenziel erreicht. Deutsch ist inzwischen Arbeitssprache in der Parlamentarischen Versammlung und den Ministerkonferenzen. Als sogenannte Amtssprache könnte Deutsch nur durch eine Änderung des Europaratsstatuts eingeführt werden. Die dafür erforderlichen qualifizierten Mehrheiten sind nicht ohne Regelung der entstehenden Mehrkosten für Dolmetscher und Übersetzungsaufwendungen zu erreichen. Ich freue mich sehr, daß die Kollegen, die hier dazu gesprochen haben, die Bereitschaft bekundet haben, mehr Geld dafür auszugeben. Die Bundesregierung begrüßt das. Ich hoffe, Sie sagen das Ihren Kollegen, die im Haushaltsausschuß tätig sind, weiter; denn die Bundesregierung kann nur die Mittel ausgeben, die ihr der Deutsche Bundestag für diese Zwecke auch bewilligt.
Wenn auch die Verbesserung der Stellung des Deutschen als Arbeitssprache im Mittelpunkt unserer Bemühungen stand, Ziel bleibt die Einführung von Deutsch als Amtssprache. In der Westeuropäischen Union sind wir sogar der einzige deutschsprachige Mitgliedstaat und bedürften eines einstimmigen Votums für eine Änderung des Statuts. Das macht die Schwierigkeiten deutlich.
Die Bundesregierung strebt als einen ersten Schritt die Bewilligung zusätzlicher Übersetzerstellen beim Sekretariat sowie die Ermöglichung des Dolmetschens bei Ausschuß- und Arbeitsgruppensitzungen an.
In der Europäischen Gemeinschaft geht es nicht um statusmäßige Verbesserungen, da geht es um Fragen der Praxis. In der Praxis aber - und da ist der Beschlußempfehlung zuzustimmen - läuft nicht alles so, wie es sein sollte. Die Bundesregierung legt deshalb großen Wert darauf, daß Deutsch auch de facto neben Englisch und Französisch als Amtssprache und als Arbeitssprache der Gemeinschaft verwendet wird.
Die Bundesregierung hat dieses Thema auf allen Ebenen gegenüber der EG-Kommission - und da müßte das vorrangig verbessert werden - und dem Generalsekretariat des Rates immer wieder aufgegriffen. Der Bundeskanzler selbst hat das Thema gegenüber dem Präsidenten der EG-Kommission wiederholt deutlich angesprochen. Wir haben darauf hingewiesen, daß die fortschreitende europäische Integration nur dann der deutschen Bevölkerung verständlich gemacht und ihre positive Einstellung zu diesem Prozeß erhalten werden kann, wenn sie auch künftig im Umgang mit den Nachbarn und den Behörden in der deutschen Sprache verkehren kann.
Aber lassen Sie mich auch noch ein Wort zu der wirtschaftlichen Bedeutung sagen - der Kollege Wulff ist ausdrücklich darauf eingegangen; ich kann das nur nachdrücklich unterstreichen - : Die Wettbewerbsparität für die deutsche Wirtschaft und hier insbesondere für die mittelständischen Unternehmen gebietet es, daß die Kommission hier endlich ihren Verpflichtungen, die sie von Anfang an dadurch übernommen hat, daß Deutsch gleichberechtigte Sprache ist, auch tatsächlich nachkommt. Das bezieht sich sowohl auf die Vorlage von Dokumenten wie auch auf Ausschreibungen. Gerade mittelständischen Firmen ist es nicht zuzumuten, einen eigenen Übersetzungsdienst einzurichten, so daß wir immer wieder konstatieren müssen, daß deutsche Firmen schlicht benachteiligt sind, wenn Ausschreibungsunterlagen in deutsch erst Wochen, zum Teil sogar Monate nach den ursprünglichen aufgelegten englischen oder französischen Unterlagen verfügbar sind.
Hier müssen und werden wir darauf drängen, daß durchgreifende Verbesserungen beim deutschen Übersetzungsdienst in der Kommission endlich zum Tragen kommen. Einen Zwischenerfolg haben wir in den vergangenen Wochen erzielt, und zwar bei der Nutzung von Deutsch als Konferenzsprache bei den Verhandlungen über die Einrichtung der osteuropäischen Investitionsbank in Paris.
Natürlich sind die deutschen Mitarbeiter in der Kommission, im Rat und in der Ständigen Vertretung gehalten, jeden Verstoß aufzugreifen und auf Abhilfe zu drängen.
({1})
- Ja, es ist in der Tat ein Verstoß gegen eingegangene rechtliche Verpflichtungen schon mit der Unterzeichnung des Vertrages.
Grundsätzliche Probleme werden weiterhin von der Bundesregierung mit den betreffenden Stellen in Brüssel erörtert. Daneben sollte aber jeder deutsche Staatsangehörige, der mit der Gemeinschaft in Verbänden oder in welcher Weise auch immer zu tun hat, dort der deutschen Sprache Geltung verschaffen. Der Anstoß, der hier aus dem Deutschen Bundestag gegeben worden ist, wird von der Bundesregierung gerne aufgenommen. Es ist eine willkommene Ermutigung.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 11/5953 - anders als in der Tagesordnung vorgesehen - zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsidentin Renger
Menschenrechte in Kolumbien - Drucksache 11/5014 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Meneses Vogl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns zum erstenmal mit Kolumbien, reichlich spät, wie ich meine, wenn man bedenkt, daß in diesem Land der nackte Terror herrscht.
({0})
- Im Bundestag, meine ich, hier im Plenarsaal. ({1})
- Auch in bezug auf die Menschenrechte? ({2})
- Gut. Um so erfreulicher.
Seit einem halben Jahr gilt Kolumbien als das Land des Drogenkriegs. Wieder einmal bekommt ein Land der Dritten Welt einen exotischen Stempel. Berichte über Drogenkönige und Kokainbarone füllten einige Monate die Schlagzeilen, bis auch hier die Sensationslust abflaute. Was sich hinter diesem Drogenkrieg verbirgt, bleibt unbekannt.
In Kolumbien, meine Damen und Herren, werden täglich 69 Menschen umgebracht, 22 davon aus politischen Gründen. Dort finden extralegale Hinrichtungen statt. Tausende verschwinden. Allein zwischen 1988 und 1989 wurden über 100 Massaker bekannt, bei denen unbewaffnete Zivilisten regelrecht niedergemetzelt wurden. Bewaffnete Überfälle gehören zur alltäglichen Geschichte dieses Landes. Am 17. Januar tötete in der Bananenregion Urabá ein Killerkommando 7 Menschen auf einer politischen Versammlung, 13 wurden verletzt, darunter sehr viele Kinder.
({3})
Am vergangenen Sonntag wurden 32 Personen in derselben Region verschleppt und sind seither verschwunden. Tausende von Bauern werden von Paramilitärs „weggesäubert" und werden so zu Flüchtlingen im eigenen Land. Rund 20 000 Menschen wurden 1989 ermordet. Die Opfer sind immer die gleichen: organisierte Landarbeiter, Gewerkschafter/-innen, Lehrer/-innen, Student/-innen, linke Politiker/-innen, Richter/-innen. Sie alle haben eines gemeinsam: ihre kritische Haltung zur Regierung. Morde und Verschwindenlassen sind, wie Amnesty International in seinem Kolumbienbericht von 1989, den ich wärmstens empfehlen möchte, belegt, Resultat der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitskräften, paramilitärischen Gruppen und der Drogenmafia.
Seit Präsident Virgilio Barco im August 1989 der Drogenmafia den Krieg erklärte, hat er die vollste
Unterstützung der internationalen Öffentlichkeit. Ein Fehler des Kartells von Medellin, der Mord an Galán, gilt nur als Vorwand für eine weitere Militarisierung und Ausweitung des Ausnahmezustands, die vor allem der Einschüchterung und Ausschaltung der Oppositionellen dienen.
Kein Wunder, daß Präsident Barco unisono mit den USA den vor zwei Tagen gemachten begrüßenswerten Vorschlag des Kartells von Medellin ablehnte, einen Dialog aufzunehmen. Wie kein anderer Wirtschaftszweig des Landes beeinflußt der Drogenhandel alle Lebensbereiche Kolumbiens. Vom Sport bis zur Politik hat die Drogenmafia überall ihre Finger im Spiel. Die Mafia finanziert die zur Zeit erfolgreichste Fußballmannschaft Lateinamerikas. Sie finanziert auch den Wahlkampf einer Unzahl von Politikern der liberalen wie der konservativen Partei, die seit 30 Jahren das Land regieren. In Kolumbien ist das allgemein bekannt, nur die jeweiligen Regierungen schweigen sich aus. Aus diesem Grunde ist der berühmte Drogenkrieg nur ein Scheinkrieg, den die Regierenden nicht gewinnen werden; denn eine empfindliche Schwächung des Drogenhandels würde ihre ureigensten Interessen empfindlich treffen. Allerdings bietet dieser Krieg der Regierung einen günstigen Vorwand, den Krieg gegen die sogenannte Subversion und als Handlanger der USA die wachsende militärische Intervention aus dem Norden zu rechtfertigen. Durch den Drogenkrieg werden alle Bemühungen eines Friedensdialogs zwischen Guerilla und Regierung zunichte gemacht. In einem Land, in dem 50 % der Bevölkerung in absoluter Armut leben, in dem 4 % der Bevölkerung 68 % des Kulturlandes besitzen, braucht man sich nicht zu wundern, daß eine Guerilla-Bewegung entsteht, die über eine breite soziale Basis auf dem Land verfügt.
Die moralische und politische Verpflichtung der Bundesregierung darf sich nicht weiterhin darin erschöpfen, Lobeshymnen auf Virgilio Barco und die wirtschaftliche Stabilität Kolumbiens zu singen, von deren Segen die große Mehrheit der Bevölkerung Kolumbiens ausgeschlossen ist.
Der Bundestag hat in der am 29. Januar beginnenden Menschenrechtskonferenz der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf Gelegenheit, sich für die Bestellung eines Sonderberichterstatters der UN einzusetzen. Jedes weitere Schweigen macht auch die Bundesrepublik, d. h. uns alle, zu Komplizen einer Situation der Rechtlosigkeit und menschenrechtlichen Barbarei.
Danke schön.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Seit Mitte der 80er Jahre nimmt in Kolumbien die Gewaltkriminalität in beängstigender Weise zu. Kolumbien, ein Staat mit einer rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassung, scheint mit der rücksichtslosen Kriminalität der
14656 Deutscher Bundeslau - 11. Wahlperiode - 189. Sitzung. Bann, Freitag, den 19, Januar 1990
Rauschgiftmafia nicht fertigzuwerden. Hinzu kommen noch die Guerillagruppen von links wie von rechts und diverse paramilitärische Einrichtungen. Heute kann man wohl feststellen, daß die kolumbianische Staatsregierung in weiten Bereichen des Landes ihre Souveränität verloren hat. Die Justiz des Landes ist offenbar nicht in der Lage, der Ausschreitungen der verschiedenen Gruppen Herr zu werden. Dies gilt auch für Polizei und sonstige administrative Einrichtungen. Die tatsächlichen Herren des Landes scheinen das Militär, die paramilitärischen Einrichtungen und die Rauschgiftmafia zu sein. Es werden Richter und Staatsanwälte bestochen oder mit Mord bedroht und auch ermordet. Zeugen von Verbrechen werden auf die gleiche Art und Weise unter Druck gesetzt, so daß sie für die Justiz als Zeugen unbrauchbar sind.
Die Staatsregierung scheint den Versuch zu unternehmen, mit den verschiedenen Gruppierungen Vereinbarungen zu treffen, um Konflikte zu beseitigen. Ob diese Bemühungen Erfolg haben, muß die Zukunft beweisen. Im Verhältnis zur Rauschgiftmafia haben die Staatsorgane aber bis heute kein greif- und durchsetzbares Konzept gefunden. Ein Großteil der Unwirksamkeit der Staatsorgane scheint darauf zurückzuführen zu sein, daß vor allen Dingen Offiziere des Militärs in der Provinz mit paramilitärischen Einrichtungen zusammenarbeiten und Absprachen treffen, wobei sicherlich auch in diesem oder jenem Bereich die Mitwirkung der Rauschgiftmafia eine Rolle zu spielen scheint.
Alles in allem haben die Verhältnisse im Lande einen Trend zur Anarchie. In der Bevölkerung Kolumbiens ist die Verdrossenheit über diese politischen Zustände groß, was sich in geringer Wahlbeteiligung ausdrückt. Hinzu kommen starke soziale Spannungen, trotz der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung.
({0})
Im ersten Vierteljahr 1989 sind bereits 800 Mordfälle bekanntgeworden. Mordanschläge richten sich gegen Funktionäre der Gewerkschaften, gegen Journalisten, Richter und Staatsanwälte und seit Jahren gegen führende Mitglieder der Union Patriotica, der UP. Hier liegen für die letzten Jahre Zahlen vor: 800 Mitglieder der UP, 270 Mitglieder der Gewerkschaftsdachorganisation CUT, 70 Richter, 1 Justizminister, mehrere Staatsanwälte und 23 Journalisten nebst zahlreichen Lehrern wurden ermordet.
Nach eigenen Angaben der Justizbehörden steht der hohen Zahl von Morden nur eine geringe Zahl vor Gericht gestellter Mörder gegenüber. Ermittlungen werden entweder nicht ernsthaft geführt oder sie führen zu keinem Ergebnis, weil Zeugen sehr oft bedroht werden, was zu einer Unmöglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung führt. Auch Richter und Staatsanwälte sind nicht genügend abgesichert und immer der Gefahr ausgesetzt, entweder Opfer von Mordanschlägen oder aber zumindest bestochen zu werden.
Die Regierung bestreitet zwar, daß das Militär als Institution in das Mord- und Massakergeschehen verwickelt ist. Es wird aber zugegeben, daß einzelne Angehörige des Militärs aktiv oder passiv an der sogenannten Violencia beteiligt sind. Vieles wird nicht aufgeklärt, weil es Korruption gibt, Finanzströme nicht zu kontrollieren sind, sich die Drogenmafia Armen gegenüber spendabel zeigt und sich damit Freunde sichert. Die Regierung versucht zwar, Schadensbegrenzung zu betreiben, aber mit sehr, sehr wenig Erfolg.
Schlußfolgerungen: Kolumbien droht trotz der formal demokratischen Staatsform und trotz rechtsstaatlicher Bemühungen zu dem Problemland Lateinamerikas mit den schwersten und häufigsten Menschenrechtsverletzungen zu werden bzw. es zu bleiben. Es gibt kaum ein Land, wo sichtbar so viele Waffen zum täglichen Straßenbild gehören: Militär, Polizei, Privatpolizei, Leibwächter.
International muß Druck auf Kolumbien ausgeübt werden, um ernsthaft das Leben seiner Bürger zu schützen, statt tatenlos das Geschehen weitertreiben zu lassen. Sinnvoll können Projekte der Zusammenarbeit bei der Kriminaltechnik und für eine Stärkung des Gerichtswesens unter Einbeziehung des Schutzes der Richter und Justizbeamten sein. Seitens der Bundesrepublik Deutschland könnte auch noch eine weitere Unterstützung im Bereich Drogenkriminalität stattfinden.
Ich komme zum Schluß. Eine Unterstützung der Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels ist auch für die Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung, da es sich um ein internationales Problem handelt, das schon heute besorgniserregende Auswirkungen auch in der Bundesrepublik hat und sicher mit Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes Ende 1992 noch problematischer werden wird.
Bemerken möchte ich noch, daß Teile des Antrags der GRÜNEN bereits jetzt erledigt sind. Die Reise einer Bundestagsdelegation nach Kolumbien fand nämlich bereits im vergangenen Jahr statt. Und für die erbetene öffentliche Anhörung im Bundestag ist ein Termin bereits für Mai dieses Jahres angesetzt.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In kaum einem Land der Welt ist die Menschenrechtslage so schrecklich und in ihren Ursachen so kompliziert wie in Kolumbien. Die Ursachen sind Bauernelend, Guerilla, Drogenmafia, Militär, Polizei. Sie reichen bis in den Staat hinein.
In fast allen Bereichen gibt es Opfer und Täter, Täter und Opfer zugleich. Insbesondere ein Blick auf die Opfer zeigt die vielfältigen Hintergründe. Es gibt Opfer bei den Armen, es gibt aber auch Opfer bei den hohen Beamten. Es gibt Opfer im Drogenbereich, bei den Guerillas, bei der Polizei, beim Militär, sehr viele bei der Justiz und auch Opfer unter den Kriminellen im Land.
Es gibt praktisch drei Machtzentren - oder soll man Ohnmachtzentren sagen? - im Lande: den offiziellen Staat, den Guerillastaat, einen Drogenmafiastaat.
Im offiziellen Staat gibt es durchaus Teile, die sich um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bemühen. Aber es gibt eben auch solche Teile, die ihre Querverbindungen zum Drogenbereich, aber auch zu den Großgrundbesitzern haben.
Das Militär hat über lange Zeit den Drogenkrieg nur halbherzig geführt, die Wirtschaft ist beteiligt und profitiert von den Machenschaften der Drogenkartelle, das Parlament ist in Teilen bestechlich, es gibt eine stockkonservative Kirche, die das Elend der Armen nicht genug aufnimmt, und es gibt die Guerillabewegung, die teilweise gegen die Mafia kämpft und zum Teil sie auch wieder protegiert, und es gibt die Drogenhändler.
Aufgerieben werden in einer solchen Lage vor allem die Demokraten, und aufgerieben wird die Justiz. Gegen die Justiz ist geradezu ein Feldzug geführt worden. Die Justiz kämpft um den Rechtsstaat und um ihr Leben zugleich.
({0})
Einige hundert Richter wurden bisher ermordet, 1 600 Richter haben Todesdrohungen erhalten. Morden tut aber nicht nur die Drogenmafia, sondern Richter werden auch Opfer staatlichen Mordens, nämlich dann, wenn sie z. B. gegen paramilitärische Gruppen und Todesschwadrone ermitteln.
Die Justiz hat im Lande einen beispiellosen Aderlaß hinter sich. Wegen der anhaltenden Schwäche der staatlichen Ordnungskräfte gerät sie immer wieder in die vorderste Liste der Auseinandersetzungen. Dieses hat zu einem starken Ansehensverlust des Rechtes im Lande geführt.
Wichtig ist es, auf die sozialen Ursachen dieses Terrors hinzuweisen, die darin liegen, daß in großen Teilen des Landes Armut herrscht. Großgrundbesitzer wenden sich schon dagegen, daß sich Menschen organisieren und versuchen, in Selbsthilfe zusammenzuarbeiten.
Zu erwähnen ist auch, daß die Armut teils international bedingt ins Land kommt, z. B. dadurch, daß das Kaffeeabkommen gekündigt worden ist und der Kaffeepreis um die Hälfte gesunken ist.
Bei dieser komplizierten Lage ist es wichtig, daß der Staat, der kolumbianische Staat, in die Verpflichtung genommen wird. Man kann nicht nur davon sprechen, das sei ein Teufelskreis und niemand sei dafür verantwortlich. Vielmehr muß der Staat als die dazu verpflichtete Institution die ganze Konzentration der Kräfte auf die Rechtsstaatlichkeit setzen, um den Menschenrechten wieder Geltung zu verschaffen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner Kolumbiens. Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, diese durchaus vorhandenen demokratischen Kräfte des Staates zu stärken, aber sie auch zu ermahnen, daß sie die Menschenrechtssituation in Kolumbien verbessern.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Fragen der Bürger- oder Menschenrechte insbesondere in anderen Ländern auf die Tagesordnung gesetzt werden, dann kann man fast blindlings darauf vertrauen, daß das abends nach 22 Uhr oder Freitag mittag behandelt wird. Das war gestern so, das ist heute so, und das ist in der nächsten Woche wieder so. Ich frage mich, wann das eigentlich jemandem einmal auffällt. Das ist hier oft genug gerügt worden, und ich finde, daß sich das Präsidium mit dieser Frage einmal ernsthaft beschäftigen sollte. Ich glaube, das geht so nicht weiter.
Der Kollege Bindig hat hier sehr eindrucksvoll die wirklich dramatische und schwierige Lage in Kolumbien dargestellt - ich will das nicht alles wiederholen - : die Zerstörung durch eine wirklich auch für südamerikanische Verhältnisse beachtlich hohe Kriminalität, enorme soziale Gegensätze, das Fehlen jeder sozialen Sicherheit, unerfreuliche wirtschaftliche Verhältnisse, eine dramatische Vermischung von Kokainhandel und Guerilla, von Kriminalität und politischer Guerilla, der Transfer riesiger Gewinne in die Vereinigten Staaten - ein Machtkampf, der seit Jahren tobt. Ich erinnere mich an ein sehr eindrucksvolles Gespräch mit dem Justizminister Bonilla, der dann 14 Tage später ermordet wurde. Ich erinnere an die Justizministerin, die ihr Amt wegen der Morddrohung gegen ihr Kind aufgeben mußte. Ich erinnere daran, daß in den letzten Jahren 220 Richterinnen und Richter ermordet worden sind. Ich bin nicht der Meinung, daß solche Vorgänge die Verletzung von Menschenrechten in irgendeiner Weise rechtfertigen. Aber ehe ich darüber urteile, frage ich mich selber, was eigentlich wir in einer vergleichbaren Situation tun würden, welche rechtsstaatlichen Grundsätze wir in einer solchen Situation aufgeben würden und wie viele bei uns bereit wären, in einer solchen Lage überhaupt irgendeine politische Verantwortung noch zu übernehmen. Das muß man sich eigentlich einmal fragen.
Darum sind wir gut beraten, wenn wir nicht nur die Frage von Schuld an Gewalt und Gegengewalt untersuchen, sondern wenn wir uns vordringlich mit der Frage beschäftigen, was wir eigentlich tun und dazu beitragen können, um die Rückkehr der Menschen, die in Kolumbien leben, in eine auch nur einigermaßen lebenswerte Gesellschaft zu ermöglichen. Da können wir als Industrieländer uns von der Schuld nicht freisprechen, daß wir, die Europäer ebenso wie die Vereinigten Staaten, durch die riesigen Gewinne, die in unseren Staaten bleiben, Alternativprodukten natürlich so gut wie überhaupt keine Chance geben. Wir müssen zugeben, daß die Mittel, die wir in diesen Ländern investieren, um diesen Vorgängen zu steuern, im Grunde genommen lächerlich gering sind.
Wir müssen gemeinsam in der Europäischen Gemeinschaft, gemeinsam mit den Amerikanern, gemeinsam mit den Vereinten Nationen prüfen, was wir wirtschaftlich tun könnten, um diesen - wie Sie ja mit Recht sagen - Teufelskreis zu durchbrechen.
({0})
Da sitzt der eigentliche Ansatzpunkt. Natürlich müssen wir uns fragen, was wir tatsächlich tun können, um den Richtern und deren Angehörigen wenigstens für eine Zeitlang durch großzügige Aufnahme ein Le14658
ben außerhalb von permanenten Todesdrohungen zu ermöglichen. Wir müssen natürlich überlegen, welche Hilfen wir Menschenrechtsorganisationen im Lande einräumen können. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, wie Sie in Ihren Anträgen formulieren, daß wir irgendeine Polizeihilfe einstellen sollten, die wir meines Wissens gar nicht leisten.
Wenn eine Polizei zu so brutalen Mitteln wie Todesschwadronen greift, ist es ein Zeichen der Unfähigkeit, der mangelnden Ausbildung, der mangelnden Ausrüstung, um in einer auch nur einigermaßen tragbaren Weise mit ihren Problemen fertig zu werden. Es ist ein Zeichen von überzogener Macht, von Unfähigkeit. Das geht ja hin bis zur Besoldung der Beamten. Wenn man sich das einmal ansieht, fragt man sich, wie die Menschen davon überhaupt noch vernünftig leben können.
Wir sind mit der Überweisung dieses Antrages natürlich einverstanden - aber in der Hoffnung, daß wir uns nicht nur mit der Frage irgendeines Kongresses beschäftigen und nicht nur mit der Frage, wie das polizeilich aussieht, sondern daß wir endlich einmal die Kraft finden, uns gemeinsam mit anderen Ausschüssen zu überlegen und uns zu entscheiden, wie wir an den eigentlichen Kern dieses Problems herankommen können. Das ist die desolate, die schreckliche wirtschaftliche Lage, der Sog, auch der Rauschgiftverbraucher, der dazu führt, daß die Wirtschaft dieses Landes zerrüttet wird und bleibt, wenn wir an diesem Phänomen nichts verändern.
({1})
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation der Menschenrechte in Kolumbien ist von meinen Vorrednern zutreffend beschrieben worden. Sie ist weiterhin unbefriedigend angesichts der schweren Auseinandersetzungen zwischen der Regierung, den Drogenkartellen und den verschiedenen Guerillagruppen. Die Anschläge und Entführungen im November und Dezember letzten Jahres allein zeigen deutlich, daß die Rauschgiftmafia zur gefährlichsten Quelle der Gewalt geworden ist. Dies machen schon die verheerenden Anschläge auf die Verkehrsmaschine der Avianca am 27. November 1989 mit 107 Toten deutlich, aber auch der Anschlag auf das Gebäude der Kriminal- und Sicherheitspolizei am 6. November mit 63 Toten.
Zwar konnte die Regierung Barco durch Festnahme von Mitgliedern des Medellinkartells und Beschlagnahme ihrer Vermögen bemerkenswerte Erfolge im Kampf gegen diese Mafia verbuchen, doch kann von einer befriedigenden Lösung noch nicht die Rede sein. Ob die Erklärung über die angebliche Aufgabe des Kartells einen Ansatzpunkt dafür bietet, erscheint zumindest fraglich, da das Kartell einen Waffenstillstand offensichtlich nur gegen Gewährung einer Art Amnestie für die Drogenhändler angeboten hat.
Neben der Drogenmafia bleiben die Guerillagruppen weiterhin ein Gewaltfaktor. Gerade in den letzten Tagen haben Aktivitäten der Guerilla wieder zugenommen, die nur vorübergehend abgeflaut waren.
Die Gewaltwelle in Kolumbien hat - und diese Zahlen sollte man hier einmal nennen - im letzten Jahr vermutlich knapp 6 000 Menschen allein bei politisch motivierten Anschlägen das Leben gekostet. Und noch eine Zahl, die vorhin schon genannt worden ist, macht deutlich, wie der Terror unter den verschiedenen Gruppen insbesondere die Organe der öffentlichen Gewalt trifft.
Auch vor diesem Hintergrund muß gesehen werden, daß es in Kolumbien, wie fast überall in Lateinamerika, zwischen dem unbestreitbaren Engagement von Regierungen für die Menschenrechte und dem Verhalten der Angehörigen der Streitkräfte Widersprüche gibt. In Kolumbien hat auch das Militär in seinem Zweifrontenkrieg gegen die Drogenmafia und die Guerilla, die ebenfalls grausame terroristische Überfälle verübt hat - ich denke an den Angriff auf den Justizpalast in Bogotá -, vielfach ebenso brutal reagiert. Es ist nicht zu bestreiten, daß in der erwähnten schwierigen Zweifrontensituation auch Angehörige der Streitkräfte für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, obwohl das entschiedene Eintreten der Regierung von Präsident Barco für die Durchsetzung der Menschenrechte nicht bezweifelt werden kann.
Die Regierung Kolumbiens steht aber wie ihre Vorgängerregierungen vor dem Problem, daß sich staatliche Autorität noch nicht in allen Regionen des Landes durchsetzen läßt. In manchen Landesteilen hat die Etablierung staatlicher Institutionen nicht mit der Entwicklung Schritt gehalten. Dort werden mit großer Grausamkeit Kämpfe zwischen Guerilla und Paramilitärs geführt. Zumindest auf lokaler Ebene gibt es zudem immer wieder schwer kontrollierbare Verbindungen zwischen Militärs und Paramilitärs, die sich zum Teil aus ehemaligen Soldaten zusammensetzen. Die Ahndung von Menschenrechtsdelikten ist auch durch materielle und organisatorische Defizite - Herr Hirsch hat darauf hingewiesen - , insbesondere der Justizbehörden, erschwert. Hinzu kommt die permanente Bedrohung von Richtern und Politikern, die sich mutig für eine energische Bekämpfung des Terrors einsetzen. Der Mord an Galán, einem unserer liberalen Freunde, war vielleicht einer der schrecklichsten Vorfälle überhaupt. Der Regierung muß jedoch zugute gehalten werden, daß sie große Anstrengungen macht, dem Rechtsstaat landesweit zur Geltung zu verhelfen. Gegen Mitglieder der Streitkräfte und der Polizei, die in menschenrechtliche Delikte verwickelt sind, laufen Strafverfahren, die auch von der Bundesregierung aufmerksam verfolgt werden.
Die Bundesregierung hat die Fragen des inneren Friedens, der Durchsetzung des Rechtsstaates und der Menschenrechte wiederholt gegenüber der kolumbianischen Regierung angesprochen. Zuletzt wurde das Thema bei einem Treffen von Minister Warnke mit Präsident Barco erörtert. Die Bundesregierung wird gegenüber der kolumbianischen Regierung weiter auf die Respektierung und Durchsetzung der Menschenrechte drängen. Wir werden aber nur
dann Gehör finden, wenn wir auch anerkennen, daß die Regierung sich aufrichtig um Fortschritte bemüht. Ziel unserer Politik kann es deshalb nicht sein, die kolumbianische Regierung an den Pranger zu stellen, statt sie bei ihren Bemühungen zu unterstützen, die zunehmenden Tendenzen zur Gewaltanwendung durch verschiedene Gruppierungen zu unterbinden. Die Bundesregierung wird trotzdem die kolumbianische Regierung immer wieder daran erinnern, daß die Menschenrechte auch von Regierungsorganen nicht mißachtet werden dürfen.
Lassen Sie mich nun zum Schluß konkret zu den Forderungen im Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Stellung nehmen:
Erstens. Die Bundesregierung hat bisher keinerlei Polizeihilfe an Kolumbien geleistet. Sie hat auch nicht die Absicht, dies in Zukunft zu tun. Geprüft wird allerdings die Möglichkeit einer Unterstützung der Justizbehörden, die im besonderen Opfer des Terrors geworden sind.
Zweitens. Im März 1989 ist eine Delegation des Unterausschusses des Auswärtigen Ausschusses bereits nach Kolumbien gereist. Herr Höffkes hat darauf hingewiesen. Sie hat sich an Ort und Stelle über die Menschenrechtslage informiert.
Drittens. Eine Initiative für die Abhaltung eines Menschenrechtskongresses in Kolumbien gehört nicht zu den Instrumenten der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung. Die Bundesregierung kann zu Konferenzen auf dem Territorium fremder Staaten nicht ohne deren Zustimmung einladen oder Konferenzen dort organisieren. Derartige Initiativen sollten daher regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen oder Stiftungen vorbehalten bleiben.
Viertens. Die kolumbianische Regierung arbeitet bereits mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zusammen. Allerdings darf ich darauf hinweisen, daß UN-Sonderberichterstatter heute verstärkt für konkrete Sachverhalte und nur noch selten als Länder-Sonderberichterstatter eingesetzt werden. Die Arbeitsgruppe „Verschwundene Personen" der Vereinten Nationen hat bereits 1988 Kolumbien besucht. Ebenso hat sich auch der Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission zu willkürlichen Hinrichtungen mit der Lage in Kolumbien befaßt und an die Menschenrechtskommission berichtet. Die Bundesregierung setzt sich für eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit ein und wird insbesondere prüfen, in welcher Form die beratenden Dienste des UN-Menschenrechtszentrums hierbei genutzt werden können. In einer Situation, in der sich die kolumbianische Regierung ersichtlich selbst um die Wahrung der Menschenrechte bemüht, wäre eine Initiative zur Ernennung eines UN-Sonderberichterstatters für Kolumbien nach Ansicht der Bundesregierung ein falsches Signal.
Fünftens. Die Bundesregierung hält es ebenfalls für wünschenswert, daß sich der Unterausschuß weiterhin über die Menschenrechtslage informiert.
Sechstens. Nach Informationen der Bundesregierung handelt es sich bei der Veranstaltung „Colombia vive" um eine überparteiliche Initiative kolumbianischer Künstler mit internationaler Beteiligung, deren Ziel die Förderung des Friedens in Kolumbien unter Einschluß der Menschenrechte ist. Die Bundesregierung begrüßt jedes derartige Engagement unabhängiger Gruppen für Frieden und Menschenrechte.
Letztens. Die deutsche Botschaft in Bogotá ist nicht in der Lage, systematisch Schutzfunktionen für gefährdete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kolumbianischer Menschenrechtsorganisationen zu übernehmen. Sie wird aber weiterhin in Einzelfällen bei den kolumbianischen Behörden vorstellig werden und um Schutz für die bedrohten Personen nachsuchen, wie sie das in der Vergangenheit bereits mehrfach getan hat.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5014 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Zustimmung des Hauses.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Januar 1990, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.