Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/17/1990

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Themen der Kabinettsitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesinnenminister Schäuble berichtet. Er hat das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich heute erneut mit der Aufnahme von Aus- und Übersiedlern und mit dem Verfahren dazu beschäftigt. Wir haben erneut zum Ausdruck gebracht, daß die Wanderungsbewegungen, im vergangenen Jahr in der Größenordnung von über 720 000 Aus- und Übersiedlern, die sich auch in der ersten Hälfte dieses Monats mit inzwischen 40 000 Aus- und Übersiedlern fortgesetzt haben, auf Dauer nicht der Stabilität in Deutschland und in Europa dienen. Deshalb muß es das vorrangige Ziel aller politischen Bemühungen sein, die Lebensverhältnisse für alle Deutschen, wo immer sie leben, so zu verbessern, daß nicht Hunderttausende sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. In den vielfältigen öffentlichen Diskussionen dieser Tage über Leistungen, auch angebliche Leistungen, für Aus- und Übersiedler, wird vielfach übersehen, daß zum 1. Januar dieses Jahres das Eingliederungsanpassungsgesetz in Kraft getreten ist, das vom Deutschen Bundestag im November und vom Bundesrat - übrigens mit der Zustimmung aller Bundesländer - am 21. Dezember verabschiedet worden ist. In diesem Eingliederungsanpassungsgesetz sind die Leistungen für Aus- und Übersiedler angesichts aktueller Entwicklungen an das notwendige Maß angepaßt worden. Wir alle erinnern uns daran, daß wir in den Beratungen des Gesetzes sehr sorgfältig die Frage geprüft haben, ob die Anpassung auf das Niveau, das jetzt seit 1. Januar in Kraft ist, für Aus- und Übersiedler noch zumutbar und gerecht sei oder ob es nicht etwa zuwenig sei. Deswegen sind Vorwürfe, es sei immer noch viel zuviel, von denjenigen, die sich an diesen Diskussionen beteiligt haben, eher etwas überraschend. Ich will auch darauf aufmerksam machen, daß die Veränderungen im geteilten Deutschland insbesondere seit dem 9. November natürlich dazu geführt haben, daß bei Lastenausgleichsleistungen für Übersiedler aus der DDR ganz zwangsläufig Veränderungen eingetreten sind, weil es sich nicht mehr um Fluchtbewegungen aus der DDR handelt, sondern weil es das ist, was wir uns seit 40 Jahren im geteilten Deutschland gewünscht haben, nämlich - jedenfalls ein Stück weit - Reisefreiheit. Im übrigen ist ja das Begrüßungsgeld für Deutsche aus der DDR durch die Umtauschregelungen weggefallen. Neben den Leistungen, die nach unserem System sozialer Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland allen Deutschen zustehen, haben wir jetzt an spezifischen Leistungen für Übersiedler aus der DDR im wesentlichen nur noch eine Überbrükkungshilfe von 200 DM. Diese Leistungen sind mit Sicherheit nicht in einem einzigen Fall ursächlich für die Entscheidung eines Deutschen, seine angestammte Heimat in der DDR zu verlassen und in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Auch dieses will ich hier sehr deutlich sagen. Die öffentlichen Diskussionen über die Begrenzung von Leistungen und ähnliches mehr haben ganz im Gegenteil die Gefahr in sich - der Bundesaußenminister hat von seinem Besuch in Rumänien und von seinen Gesprächen mit Rumäniendeutschen berichtet -, daß bei Aus- und Übersiedlern bzw. bei Deutschen in der DDR oder in osteuropäischen Staaten eine Torschlußpanik eintreten könnte, weil alle diese Diskussionen, die bei uns geführt werden - nicht von allen verantwortungsbewußt -, leicht mißverstanden werden, als gäbe es Überlegungen, den Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen. Die Bundesregierung stellt klar und eindeutig fest, daß sie nicht daran denkt, den Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen. Das Tor bleibt offen, und jeder muß wissen, daß er, wenn er es wünscht, so wie gestern und heute auch morgen und übermorgen in die Bundesrepublik Deutschland kommen kann. Das gilt für Übersiedler wie für Aussiedler. Natürlich ist es für alle Beteiligten besser, wenn sie angesichts der Schwierigkeiten, die es bei diesen Zahlen hinsichtlich der Unterbringung der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zwangsläufig gibt, die Frage von Wohnung und Arbeitsplatz klären, bevor sie in die Bundesrepublik kommen. Wir empfehlen das allen in der DDR, die sich überlegen, ob sie übersiedeln wollen. Sie können das im eigenen Interesse um so leichter vorher klären, als niemand befürchten muß, daß er, wenn er nicht morgen kommt, übermorgen nicht mehr kommen kann. Jeder wird übermorgen und auch in der Zukunft frei und ungehindert kommen können. Wir haben geprüft, ob wir das Aufnahmeverfahren für die Übersiedler aus der DDR noch benötigen. Dieses Aufnahmeverfahren ist ja nicht ein Verfahren zur Reglementierung des Zuzugs von Deutschen aus der DDR, auch kein Verfahren, das einen Anreiz für Übersiedlung und Zuzug bieten soll, sondern eine Antwort auf hohe Übersiedlungszahlen. Deswegen ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß wir das Aufnahmeverfahren so lange brauchen, wie die Übersiedlerzahlen so hoch sind wie derzeit. Derzeit liegen sie bei 2 000 und mehr Übersiedlern pro Werktag. Wir hoffen, daß die Zahl der Übersiedler bald zurückgehen wird. Die entscheidenden Beiträge dazu hat die DDR und haben die in der DDR Verantwortung Tragenden zu leisten, und wir sind bereit, dazu im Rahmen unserer Möglichkeiten alles Erforderliche beizutragen. Sobald die Voraussetzungen entfallen sind, werden wir das Aufnahmeverfahren natürlich abschaffen können, aber solange die Übersiedlerzahlen so hoch sind, brauchen wir es, um eine gleichmäßige Verteilung der Übersiedler aus der DDR auf alle Länder und Gemeinden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen zu können. Das ist der wesentliche Sinn des Aufnahmeverfahrens. Auch in bezug auf die Aussiedler beabsichtigt die Bundesregierung nicht, irgendwelche Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht oder bei den Statusfragen für Volksdeutsche vorzuschlagen oder vorzunehmen. Es bleibt auch bei den Aussiedlern so, daß niemand die Sorge haben muß, daß er, wenn er jetzt nicht kommt, in Zukunft nicht mehr wird kommen können. Wir beabsichtigen allerdings, die aussiedlerbezogenen Leistungen in Zukunft an die Voraussetzung zu knüpfen, daß von den Aussiedlern vor der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland das D-1-Verfahren durchlaufen worden ist, weil wir denken, daß es im Interesse der Aussiedler selbst ist, wenn wir beim Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland zu einer größeren Ordnung kommen, wenn wir eine Verstetigung dieses Zuzugs haben. Die Chancen, die Menschen hier menschengerecht aufzunehmen, sind dann besser. Es ist ja so, daß die Aussiedler aus der Sowjetunion und aus Rumänien bis heute fast durchweg vorher dieses Verfahren durchlaufen haben. Aus Polen hingegen kommen bis jetzt etwa 80 % mit Touristenvisa. Wir werden Aufklärungsaktionen starten, um die Deutschen in den Aussiedlungsländern darüber aufzuklären, daß sie auch in Zukunft kommen können, daß es aber in ihrem eigenen Interesse ist, wenn sie das Verfahren vorher durchlaufen. Wir wollen auch vorschlagen, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß aussiedlerbezogene Leistungen vom vorherigen Durchlaufen des D-1-Verfahrens abhängig gemacht werden können. Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Aufnahme von Aus- und Übersiedlern war im vergangenen Jahr eine große Aufgabe für unseren ganzen Staat und für alle gesellschaftlichen Kräfte, und sie wird eine große Aufgabe bleiben. Bund, Länder und Gemeinden sind auf Zusammenwirken angelegt. Wir werden die von mir hier vorgetragenen Maßnahmen in der kommenden Woche erneut mit den Bundesländern erörtern, und wir werden mit den Ländern auch die Gespräche darüber fortsetzen, daß der Bund seine Leistungen für den Bau von Übergangswohnheimen, mit denen er ja den Ländern Hilfen gewährt, weiter verstärkt. Auch darüber sind wir also mit den Ländern im Gespräch. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihrerseits alles Notwendige zur Aufnahme von Aus- und Übersiedlern zu tun, und sie ist zuversichtlich, daß die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft in der Lage sein wird, Deutschen, die zu uns kommen, eine angemessene Aufnahme zu sichern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer Frage hat zuerst der Herr Abgeordnete Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesinnenminister, die Anpassung sozialer Leistungen für Übersiedler und Aussiedler dient wohl eher der sozialen Gerechtigkeit, als daß sie die betroffene Personengruppe zum Verbleiben in ihrer alten Heimat veranlassen könnte. Ich frage die Bundesregierung: Was tut die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten konkret, damit den Betroffenen das Bleiben in ihrer alten Heimat leichter fällt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Penner, was wir konkret tun, damit die Deutschen in der DDR eine gute Zukunft sehen, wird insbesondere Gegenstand der morgigen Beratung des Hohen Hauses sein. Ich will das hier nicht vorwegnehmen, auch mangels Zuständigkeit nicht. Sie wissen, der Bundeskanzler Helmut Kohl hat insbesondere in seinem Zehn-Punkte-Plan, den er dem Hohen Haus während der Haushaltsdebatte vorgetragen hat, den Weg aufgezeigt, was wir leisten können, um rasch zu einer Besserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation, übrigens auch der ökologischen Situation in der DDR beizutragen. Die entscheidenden Beiträge müssen die Verantwortlichen in der DDR selber leisten. An der Hilfe und der Hilfestellung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung wird es am allerwenigsten fehlen. Was die Leistungen für die Deutschen und die Volksdeutschen in den Aussiedlungsgebieten anbetrifft, so haben wir oft darüber gesprochen, daß wir unsere wirtschaftliche Hilfe für die Sowjetunion und für die übrigen Staaten des Warschauer Paktes, für Polen und Rumänien, gezielt verstärken wollen, daß wir für Volksgruppenminderheitenrechte der Deutschen in den Aussiedlungsgebieten eintreten, daß wir dies auch zum Gegenstand der politischen Beziehungen machen und daß wir dabei erhebliche Fortschritte erzielt haben. Aber sowohl bei den Deutschen in der DDR wie bei den Deutschen in den Aussiedlungsgebieten sollten wir uns niemals einer Täuschung hingeben: In über 40 Jahren haben sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse so stark auseinanderentwickelt, daß wir auch bei allen großen Fortschritten und bei den dramatischen Veränderungen gerade im geteilten Deutschland, die für alle nur Gegenstand großer Freude sein können, damit rechnen müssen, daß noch eine erhebliche Zahl von Deutschen weiterhin überlegen wird, ob sie nicht eine schnellere Besserung ihrer eigenen Lage durch eine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland erwarten können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollen noch einmal nachfragen?

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zusatzfrage, ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wenn ich es schaffe, den Herrn Minister mit Erfolg zu bitten, daß er sich etwas knapper faßt - denn ich bin bei der Zuteilung der Zeit sehr großzügig gewesen -, ({0}) können wir solche Nachfragen zulassen. Bitte schön, Herr Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann will ich es einmal andersherum versuchen: Gesetzt den Fall, der Exodus aus den betroffenen Ländern und namentlich der DDR läßt sich nicht stoppen - ernstzunehmende Leute reden ja von bis zu siebenstelligen Zahlen innerhalb kürzester Zeit - : Herr Minister, was ist denn die Botschaft der Bundesregierung an Städte und Gemeinden, die diese Menschen ja unterzubringen und sozial zu integrieren haben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Penner, die Botschaft an Städte und Gemeinden ist, daß Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam diese Aufgabe bewältigen müssen, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung dabei nicht entzieht und daß wir unsere Leistungen - ich habe von den Mitteln für den Bau von Übergangswohnheimen gesprochen - weiter zu erhöhen bereit sind und darüber im Gespräch mit den Ländern sind. Im übrigen möchte ich noch die Bemerkung machen: Ich weiß nicht, ob diejenigen, die siebenstellige Zahlen nennen, wirklich verantwortlich handeln, indem sie solche Zahlen auch nur aussprechen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Gerster ({0}) zu der nächsten Frage.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, habe ich Ihre Ausführungen insoweit richtig verstanden, daß es Ziel der Regierung ist, daß die Freizügigkeit zwischen Ost und West ebenso normal wird wie die Freizügigkeit zwischen Nord und Süd, d. h., daß man darauf baut, daß man das Notaufnahmeverfahren auf Dauer nicht braucht und daß es das, so wie es dies zwischen Nord und Süd nicht gibt, im Zuge der Normalisierung zwischen Ost und West auf Dauer nicht geben muß und geben wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Das ist das Ziel der Bundesregierung, Herr Kollege Gerster. Aber zu den Realitäten gehört auch, daß die Freizügigkeit im geteilten Deutschland das große wirtschaftliche, soziale und politische Gefälle zwischen den beiden Teilen unseres noch geteilten Vaterlandes nicht ganz schnell beseitigen kann. Deswegen bleibt die Bundesregierung dabei - wohl auch im Interesse von Ländern und Gemeinden - , daß wir so lange ein Aufnahmeverfahren zur Verteilung der Übersiedler brauchen, solange die Übersiedlungszahlen so hoch sind. Wir hoffen, daß sie so rasch wie möglich niedriger werden, daß wir das Aufnahmeverfahren beseitigen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu einer Nachfrage, bitte schön, Herr Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, ich darf eine Frage zu den Aussiedlern stellen. Gibt es auf Grund von Absichten von Ihnen interne Planungen der Bundesregierung, bereits im Zusammenhang mit der Beratung und Beschlußfassung über einen Nachtragshaushalt Mittel bereitzustellen, um die Lebensverhältnisse der Aussiedler in den Aussiedlungsgebieten zu verbessern, ({0}) also der Deutschen, die nicht aussiedeln wollen, etwa in der Sowjetunion, in Rumänien, in Polen? Gibt es da konkrete Planungen? Wären Sie bereit, auch eine entsprechende Anregung unserer Fraktion aufzunehmen, bereits im Nachtragshaushalt hierfür entsprechende Mittel bereitzustellen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich bin für diese Bereitschaft der CDU/CSU-Fraktion sehr dankbar. Es gibt innerhalb der Bundesregierung entsprechende konkrete Überlegungen. Wir haben darüber auch heute in der Kabinettsitzung gesprochen. Wir werden im Zuge des vom Bundesfinanzminister vorzulegenden Entwurfs eines Nachtragshaushalts entsprechende Maßnahmen vorschlagen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Hämmerle ist die nächste Fragerin. Bitte schön.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sprechen einerseits davon, daß die großen Wanderungsbewegungen, insbesondere von Osteuropa, Südosteuropa in die Bundesrepublik, zu vermehrter sozialer Unverträglichkeit führen. Andererseits sagen Sie, daß von Ihnen keine Überlegungen angestellt werden, diese Wanderungsbewegungen entweder in den Griff zu bekommen oder aber durch eine Änderung der bestehenden Gesetze Anreize zu beseitigen, damit diese Wanderungsbewegungen nicht weitergehen. Ich frage Sie konkret: Gibt es im Kabinett Überlegungen, das Bundesvertriebenengesetz zu novellieren oder abzuschaffen? Denn wir wissen ja alle, daß die Aussiedler - die Aussiedler, nicht die Übersiedler - , wenn sie zu uns kommen, den Vertriebenenstatus erhalten, aus dem sich manches ergibt, was in der Öffentlichkeit zu diesen Unverträglichkeiten führt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hämmerle, das Problem ist, daß der eigentliche Anreiz für Aus- und Übersiedler die von diesen Menschen wesentlich höher eingeschätzte Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht ist. Die Bundesregierung beabsichtigt überhaupt nicht, diese Anreizwirkung zu beseitigen. Sie beabsichtigt eher, sie weiter auszubauen. Aber konkret zu Ihrer Frage: Es gibt derartige Überlegungen nicht, mit der Maßgabe, daß wir, wie ich ausgeführt habe, aussiedlerbezogene Leistungen von dem vorherigen Durchlaufen des D-1-Verfahrens abhängig machen wollen. Das mag insoweit eine gesetzliche Änderung notwendig machen, aber nur insoweit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollen noch eine Nachfrage stellen? - Ich muß dann aber allmählich zu Einzelfragen kommen, weil ich davon genügend vorliegen habe. Frau Hämmerle, bitte schön.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, glauben Sie nicht, daß das Aufrechterhalten der Notaufnahmelager den Staaten, aus denen die Menschen kommen, sagt, daß wir immer noch davon ausgehen, daß diese Menschen Flüchtlinge sind? Halten Sie es für gerechtfertigt, daß wir dieses Signal aussenden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich glaube nicht, daß wir dieses Signal aussenden. Wenn Sie sich beispielsweise nach Friedland begeben, dann sehen Sie, ehe Sie das Lager betreten, dort viele Kraftfahrzeuge mit Kennzeichen aus Polen und aus der DDR stehen. Das sieht alles nicht sehr nach Flucht aus. Die Wahrheit ist vielmehr die: Wenn in einem Jahr 720 000 Menschen und in 14 Tagen - wie vom 1. bis 15. Januar 1990 - 40 000 Menschen in die Bundesrepublik Deutschland kommen, dann brauchen Sie, um diese Menschen auch nur notdürftig versorgen zu können, etwas, was wie Notaufnahmelager aussieht. Deswegen brauchen wir die Durchgangslager. Wir brauchen auch mehr Mittel für Übergangswohnheime, weil wir die Menschen anders nicht unterbringen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wir sind uns sicher einig, daß wir uns wünschen, daß die Menschen in ihrer angestammten Heimat bleiben können und nicht in großer Zahl zu uns kommen müssen. Aber wenn ich die Presselandschaft nach der gestrigen Koalitionsrunde, auch Ihren Bericht heute sehe, möchte ich doch fragen, ob der Eindruck richtig ist, daß wir eine große Zahl von Übersiedlern eigentlich nur vermeiden können, indern wir mithelfen, daß die Bedingungen dort geändert werden. Meinen Sie nicht, daß auch Ihre Ausführungen und die Presseberichterstattung heute zu dem falschen Eindruck führen könnten, die Bundesregierung sei ähnlich wie Herr Lafontaine der Auffassung, daß wir zu große Anreize gäben, und daß es eigentlich richtiger wäre - und da frage ich, was die Bundesregierung unternimmt - , daß die Regierung in der DDR mit der Verunsicherung der Bevölkerung aufhört, die ja dadurch entstanden ist, daß z. B. die Diskussion ({0}) über Fortführung des Verfassungsschutzes, Verschiebung des Wahlgesetzes usw. andauert?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Scharrenbroich, die DDR muß ein eigenes Interesse daran haben, daß sich diese hohe Übersiedlungsbewegung so nicht fortsetzt. Die Bundesregierung hat das Interesse, wie ich es beschrieben habe: daß sich nämlich nicht alle Deutschen, wo immer sie leben, gezwungen sehen, zu Hunderttausenden ihre angestammte Heimat zu verlassen. Darauf arbeiten wir hin. Aber die entscheidenden Beiträge müssen in der Tat in der DDR selbst geleistet werden, wobei wir - im Zusammenwirken der Verantwortlichen für die beiden Staaten in Deutschland - jede Anstrengung unternehmen wollen. Der Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seinem Zehn-Punkte-Plan im Herbst vergangenen Jahres den Weg dazu gewiesen. Es liegt an den Verantwortlichen in der DDR, diesen Weg mitzugehen. Wir haben leider den Eindruck, daß die Verantwortlichen in der DDR diesen Weg in den ersten Tagen dieses Jahres nicht sehr zielstrebig gegangen sind. Aber um so notwendiger wird es sein, den Verantwortlichen drüben mit aller Klarheit und aller Eindringlichkeit zu sagen, daß sie den Weg zu politischer Freiheit, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschlossen und glaubwürdig gehen müssen, und daß wir das wirtschaftliche und soziale Gefälle durch wirtschaftliche Anstrengungen beider Seiten so rasch wie möglich abbauen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollen noch einmal nachfragen? - Das ist dann die letzte von zwei Fragen.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wird dies erst bei den Gesprächen zwischen Herrn Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow besprochen, oder ist das auch permanentes Gesprächsthema zwischen den Regierungen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Das ist ein permanentes Thema permanenter Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Verantwortlichen in der DDR auf allen Ebenen, wobei wir in der Übergangssituation der Regierung Modrow in der DDR in diese Gespräche natürlich auch die oppositionellen Gruppen mit einbeziehen und mit einbeziehen müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Ganseforth, bitte schön.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich habe eine sehr kurze Frage: Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Bundesaußenminister Genscher, der die 100 000 Rumäniendeutschen quasi zur Ausreise aufgefordert hat, oder teilt sie die Meinung des Außenministers, der auch gesagt hat, sie sollten dableiben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, welche Meinung hat jetzt Ihrer Meinung nach der Bundesaußenminister geäußert? Sie haben nämlich - ({0}) - Bitte? ({1}) - Beide? ({2}) - Nein, der Bundesaußenminister hat öffentlich und auch im Kabinett vorgetragen, daß die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland - nicht zuletzt auch in einem Landtagswahlkampf, der derzeit geführt wird - die Gefahr mit sich bringt, bei vielen Deutschen in Rumänien eine Torschlußpanik auszulösen. ({3}) Er hat deswegen dazu aufgefordert, diese unverantwortliche Diskussion zu beenden. ({4}) Wir sind uris völlig einig darin, daß es zu keinem Zeitpunkt Überlegungen gibt und geben wird, das Tor zuzumachen. Der Bundesaußenminister hat bei seinen Gesprächen mit Vertretern der deutschen Gruppen in Rumänien den Menschen gesagt, sie sollten sich ihre Entscheidung gut überlegen und ihre Entscheidung nicht in der Sorge treffen, daß der Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland morgen oder übermorgen eingeschränkt würde. Das Tor bleibt offen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Feilcke ist der nächste.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, im Nachgang zu einigen Fragen von Mitgliedern der SPD-Fraktion und auch zu Äußerungen insbesondere von Herrn Lafontaine, bei denen offensichtlich quantitative Entwicklungen zur Aufgabe von politischen Grundsätzen führen: Können Sie ausdrücklich bestätigen, daß Freizügigkeit für alle Deutschen, egal, woher sie kommen, Maßstab des politischen Handelns bleibt und nicht daran gedacht ist, z. B. zu verlangen, daß im Vorfeld Wohnung und Arbeitsplatz sichergestellt sind?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Das ist ganz selbstverständlich. Ich habe das ausgeführt, und ich kann das auch ausdrücklich bestätigen, Herr Kollege Feilcke.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Scheer, Sie sind der nächste.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wenn Sie die Auffassung des saarländischen Ministerpräsidenten für unverantwortlich erklärt haben, ({0}) halten Sie dann auch die Aussage des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth ({1}), die in die gleiche Richtung geht, wenn er sagt, wenn keine Vertreibungstatbestände mehr vorlägen, dann dürften auch die entsprechenden Gesetze nicht mehr gelten, für unverantwortlich?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Scheer, zunächst einmal möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich mich zum saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine hier jedenfalls ausdrücklich nicht geäußert habe. ({0}) - Das ist offenbar ein Akt Ihrer Interpretation. Es ist wohl danach gefragt worden. ({1}) - Nein, ich habe von der öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. ({2}) - Ich finde es ja bemerkenswert - das wollte ich damit auch hervorheben - , daß Sie folgerichtig meine Kritik an der öffentlichen Diskussion und meine Hinweise auf unverantwortliche Beiträge auf Herrn Lafontaine beziehen. Ich will Ihnen ja nicht ausdrücklich widersprechen. Das wollte ich ja herausarbeiten. Ich habe gestern abend bis in die späten Abendstunden mit meinem baden-württembergischen Ministerpräsidenten - „meinem" sage ich, weil auch ich Baden-Württemberger bin - zusammengesessen. Wir sind uns auch in dem, was ich Ihnen hier vortrage, völlig einig. ({3}) Es ist doch auch gar keine Frage, meine Damen und Herren - ({4}) - Wenn der Präsident es erlaubt. ({5}) - Ich kenne nicht jede einzelne öffentliche Äußerung, vor allen Dingen auch nicht, wenn Sie sie gar nicht genau zitieren, ({6}) um interpretieren zu können, was Sie möglicherweise mißverstanden haben. Ich kann Ihnen die Auffassung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth hier klar sagen, übrigens klarer als die von Herrn Lafontaine. Bei dem wechseln die Äußerungen doch relativ häufig. ({7}) Aber das ist möglicherweise neben der Sache. ({8}) Wir sind uns völlig einig in der Einschätzung, daß wir erstens den Zuzug für Deutsche nicht begrenzen werden und nicht begrenzen dürfen und daß wir zweitens auch alles vermeiden müssen, was bei Deutschen, ob in der DDR, in der Sowjetunion oder in Rumänien, das Mißverständnis auslöst, morgen werde das Tor zugemacht. Ich kann Ihnen sagen: Nach jeder öffentlichen Äußerung in dieser Diskussion, etwa von der Art, wie Sie es auf Herrn Lafontaine beziehen, ({9}) steigt die Zahl von potentiellen Aus- und Übersiedlern immer an. ({10}) Diese Gefahr müssen wir vermeiden. Wenn wir den Menschen sagen: Es empfiehlt sich, es liegt in eurem eigenen Interesse, zunächst das D-1-Verfahren zu durchlaufen, oder wenn wir Menschen aus der DDR, die überlegen, in die Bundesrepublik überzusiedeln, raten: Sucht euch erst eine Wohnung und einen Arbeitsplatz, bevor ihr umzieht, heißt das nicht, daß sie, wenn sie es anders machen, nicht kommen dürfen. Aber das ist ein Rat, der im Interesse der Betroffenen selber liegt. ({11}) - Wir sind hier doch nicht im saarländischen Landtag. Ich äußere mich zu dem, was die Bundesregierung beraten hat. Wir raten also, es im eigenen Interesse so zu machen, und wir schaffen die Grundlage, diesem Rat zu folgen, indem wir versichern, daß auch morgen und übermorgen das Tor nicht zugemacht wird und daß niemand Angst haben muß, wenn er heute nicht kommt, wird er morgen nicht kommen können. Das ist doch das Entscheidende.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich muß eine Zwischenbemerkung machen. Ich habe hier einen Zwischenruf gehört, den ich lieber nicht gehört hätte. Es geht um eine beleidigende Äußerung gegenüber jemandem, der in einem Staatsamt in unserem Lande ist. ({0}) Diese weise ich mit Deutlichkeit zurück. ({1}) - Sie war: Schönhuber der SPD. Es war eine politische Äußerung, aber sie hat in unserem Lande zur Zeit beleidigenden Charakter. ({2}) Ich weise das zurück. ({3}) Meine Damen und Herren, es liegen noch mehrere Fragen zu diesem Thema vor, aber wir haben nur noch zehn Minuten Zeit für Einzelfragen. Ich frage, ob noch jemand außer dem Abgeordneten Scheer zu anderen Einzelfragen das Wort ergreifen möchte. - Dann bleibe ich dabei und gebe dem Abgeordneten Scheer nachher noch zu einer Einzelfrage das Wort. Zunächst ist jetzt der Abgeordnete Czaja dran.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, kann man mit der sehr dankenswerten Ankündigung von erheblichen Hilfsmaßnahmen auch für Deutsche, eventuell auch Nichtdeutsche, in Aussiedlergebieten die Hoffnung verbinden, daß der Zustrom aktuell abebbt? Gilt das für Rumänien nach den Erkenntnissen des Herrn Bundesaußenministers, wo, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Drucksituation sehr unterschiedlich und fragil ist und sich durch die Reisefreiheit ein weiterer Zustrom ergeben wird? Darf ich Ihre Ausführungen zu Nichteinschränkungen in der Aufnahmepraxis so verstehen, daß Sie einen Appell an alle verantwortlichen politischen Kräfte, von Herrn Schönhuber bis zu Herrn Lafontaine, ausgesprochen haben, sich in diesen Dingen nicht mehr im Sinne einer Eingrenzung der Aufnahmepraxis zu äußern, und kann die Bundesregierung auch sagen, daß sie diese Aufnahmepraxis nicht durch Gesetzesänderungen erheblich eingrenzen will?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Czaja, ohne in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amts eingreifen zu wollen - vielleicht mag Frau Kollegin Adam-Schwaetzer zum ersten Teil Ihrer Frage Ergänzendes sagen -, rate ich und rät die Bundesregierung, bei Prognosen, wie sich die Zuwanderungszahlen bei Aus- und Übersiedlern entwickeln, vorsichtig zu sein. Ich rate auf Grund meiner eigenen Erfahrung im letzten Jahr dazu, vorsichtig zu sein. Ich bin in den neun Monaten, in denen ich Innenminister der Bundesrepublik Deutschland bin, jeden Monat in allen Erwartungen von der Wirklichkeit überholt worden. Mit Prognosen rate ich daher vorsichtig zu sein. Den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich uneingeschränkt bejahen. Wir appellieren an alle - ich habe von der gesamtstaatlichen Verantwortung gesprochen, und der Bundesinnenminister bemüht sich in besonderer Weise darum - , in diesen schwierigen und in den Folgewirkungen besonders sensiblen Fragen ein einvernehmliches Handeln, auch Verwaltungshandeln, von Bund und allen Ländern herzustellen, was nicht immer ganz einfach ist. Herr Kollege Czaja, ich wiederhole: Die Bundesregierung wird keine Änderungen beim Staatsangehörigkeitsrecht oder in statusrechtlichen Fragen für Volksdeutsche vorschlagen. Wir werden allerdings vorschlagen, aussiedlerbezogene Leistungen von dem vorherigen Durchlaufen des D-1-Verfahrens abhängig zu machen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe das vorhin geregelt und muß mich auch selbst an das halten, was ich hier gesagt habe. Herr Lippelt als letzter zu diesem Fragenkomplex. - Tut mir leid, Herr Czaja. ({0}) - Herr Kollege Czaja, es tut mir leid, Sie hatten nur eine Frage. Das hatte ich vorher geregelt. ({1}) - Das lassen wir uns nachher erklären.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, nachdem Sie nochmals bestätigt haben, daß Sie keine Überlegungen etwa zu einer Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes haben: Leugnen Sie die Problematik, die ganz offensichtlich darin besteht, daß in dem ehemaligen preußischen Teilungsgebiet der Nachweis des Bekenntnisses zum Deutschtum die dortige Gesellschaft insofern enorm belastet, als die jetzige Rechtsprechung dahin geht, daß, wenn jemand, der seinen Vater oder Großvater in einer preußischen Uniform mit einem Foto nachweisen kann, besser dran ist als etwa ein emigrierter deutscher Jude? Dieses Problem ist offensichtlich da. ({0}) - Da läuft das oft ganz anders. ({1}) - Ja, die bayerische reicht auch! Meinen Sie nicht, daß da ein Problem in diesem durch die Rechtsprechung jetzt so sehr verfestigten falschen Kriterium liegt, das nicht nur die polnische Gesellschaft belastet, sondern natürlich auch für uns quantitativ zu einer enormen Belastung führen kann?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Lippelt, ich leugne erstens überhaupt kein Problem. Zweitens will ich noch einmal sagen, nur damit nicht irgend jemand eines Tages kommt und sagt, ich hätte etwas Falsches gesagt: Es mag sein, daß das Abhängigmachen aussiedlerbezogener Leistungen von der Voraussetzung, daß das D-1-Verfahren vorher durchlaufen ist, noch gesetzliche Änderungen erfordert. Weil Sie mich immer wieder festnageln wollen, ob wir hier eine gesetzliche Änderung wollten, will ich es noch einmal klarstellen. Nun zum Kern Ihrer Frage. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, daß bei der Vielfalt des Lebens, bei dieser Geschichte im 20. Jahrhundert nach Jahrzehnten und bei den Wirren, die da sind, im Einzelfall die Abgrenzungsfragen schwierig sind. Deswegen gibt es eine vielfältige Rechtsprechung. Aber die Prinzipien sind völlig klar. Diejenigen, die in die Volkslisten 1 bis 3 eingetragen sind, sind nach dem Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz deutsche Staatsangehörige. Das gilt auch für ihre Nachkommen, für ihre Kinder und Kindeskinder. So ist die Rechtslage, übrigens mit der Konsequenz des Art. 16 Abs. 1 unseres Grundgesetzes. Darauf will ich nur aufmerksam machen. Herr Kollege Lippelt, bei den deutschen Staatsangehörigen hat die Frage von Vertreibungsdruck und ähnlichem allenfalls eine Bedeutung für die aussiedlerbezogenen Leistungen. Nur in diesem Rahmen werden diese Prüfungen teilweise angestellt. Denn die geltende Praxis seit 1955 - von 1955 stammt das erste Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz - war die, daß die Eintragung in eine der Volkslisten im Ergebnis konstitutiv für den Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit war.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, entgegen meiner Erwartung und meiner Nachfrage hat es noch eine Reihe von Einzelfragen gegeben, die ich nun abwickeln will. Deswegen verlängere ich die Regierungsbefragung um zehn Minuten, also, sagen wir, bis 13.50 Uhr. Herr Scheer ist der nächste zu einer Einzelfrage.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage die Bundesregierung, ob das Kabinett darüber gesprochen hat, wie es zum Vorschlag der FDP auf Verzicht auf den Jäger 90 steht, wann die Bundesregierung darüber zu entscheiden gedenkt und vor allem ob die FDP-Minister, die ja Mitglieder der Bundesregierung sind, einen entsprechenden Vorstoß im Kabinett gemacht haben, damit das, was dort geschieht, auch dem entspricht, was man öffentlich sagt?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär beim Verteidigungsminister.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Scheer, die Bundesregierung geht davon aus, daß die im Parlament gefaßten Beschlüsse zum Entwicklungsprojekt Jäger 90 verbindlich sind. Es gibt keinen Grund, davon abzugehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Scharrenbroich, zur nächsten Frage, bitte schön. ({0})

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte die Bundesregierung fragen - ich glaube, Herr Minister Schäuble könnte sicher die Antwort dazu geben - , ob sich das Kabinett heute mit folgendem Tatbestand beschäftigt hat, ob sie diesen gegebenenfalls bestätigen kann und ob sie bereit ist, bei der DDR-Regierung dagegen zu intervenieren, daß nämlich eine Presse14446 zensur nach wie vor in der Form zur Benachteiligung der Opposition ausgeübt wird, daß alle Artikel, die in Zeitungen erscheinen, einer Genehmigung bedürfen und daß es Praxis ist, daß unbeliebte Artikel, also solche der Opposition, mehrere Tage brauchen, bis sie erscheinen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parl. Staatssekretär Dr. Hennig beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat das Wort.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Scharrenbroich, der Bundesinnenminister hat hier bereits ausgeführt, daß wir alle diese Beeinträchtigungen von Chancengleichheit der Opposition im weitesten Sinn in der DDR nicht nur sehr sorgfältig beobachten, sondern sie auch zum Gegenstand ständiger Gespräche machen. Diese ganz sicher noch vorhandenen Tatbestände von Zensur sowohl im pressepolitischen Bereich als auch im Postbereich werden immer wieder zum Gegenstand auch von Interventionen der Bundesregierung gemacht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wenn ich es richtig sehe, Herr Abgeordneter Hirsch, betrifft Ihre Wortmeldung ein etwas vorhergegangenes Thema.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sehen es richtig, Herr Präsident.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann nehme ich Sie jetzt noch dran. Bitte schön, Herr Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Ihre Nachsicht, die Frage zuzulassen, obwohl die Dreiecksfrage, zu der ich provoziert worden bin, von der Geschäftsordnung her - -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Machen Sie es mir nicht so schwer. Dreiecksfragen darf ich nicht zulassen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Beschluß des Bundesvorstands der FDP beinhaltet, eine bestimmte Entscheidung dem Parteitag der FDP im Rahmen eines Programms vorzulegen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer, bitte schön.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, Sie sind als Mitglied der FDP nicht gehindert, Ihrem Parteitag jede Formulierung vorzulegen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die nächsten Frage wird von Herrn Abgeordneten Schäfer ({0}) gestellt.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage zu den heute vom Kabinett beschlossenen Zielfestsetzungen zur Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen aus Kunststoffen, die zur Verpakkung von Nahrungs- und Konsumgütern dienen. Ich zitiere aus der Vorlage. Dort heißt es u. a.: „Ziel dieser Zielfestsetzung soll es sein, die Zahl der gegenwärtig gebräuchlichen Kunststoffarten deutlich zu verringern. " Meine Frage ist nun: Welche Arten von Kunststoffen sollen in welcher Zahl und in welcher Menge nach der Zielfestsetzung der Bundesregierung bis zum 1. Januar 1991 verringert werden?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Sinn und Zweck der Zielfestlegungen, Herr Kollege Schäfer ({0}) - der Zielfestlegungen; so ist der offizielle Titel hier - , ({1}) ist es, ein abfallpolitisches Ziel der Wirtschaft, der Industrie gegenüber bekanntzugeben, ebenfalls einen zeitlichen Rahmen abzustecken und der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, den besten Weg, der zu diesem Ziel führt, ausfindig zu machen. ({2}) Über diesen Weg wird am Ende dieser Zeitspanne diskutiert werden. Zu dem Zweck, die Verwendung möglichst weniger Kunststoffe zu erreichen, haben wir auch den Vorschlag einer Kennzeichnungspflicht gemacht. ({3}) - Ich sage es Ihnen trotzdem, ({4}) weil Sie es wissen müssen, um den Weg für diese Zielsetzung zu erkennen. Wir haben festgelegt, daß fünf Kunststoffarten zu bezeichnen sind. Daraus geht hervor, daß wir in Zukunft im wesentlichen auf diese fünf bzw. vier angeführten Kunststoffarten setzen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Diesen Bereich betreffen offensichtlich alle mir noch vorliegenden Fragen. Zuerst Frau Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie erwähnten soeben, daß fünf Kunststoffarten gekennzeichnet werden müssen. Meine Frage lautet: Sind auch die umweltbelastenden PVC-Kunststoffe dabei? Wenn nicht: Was sind die Gründe dafür?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Selbstverständlich sind die PVC-Kunststoffe dabei. Wir haben auch vorgeschlagen, dieses international übliche Kennzeichen einzuführen, und gehen davon aus, daß die Wirtschaft dies umsetzt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Hartenstein zu einer weiteren Frage zu diesem Komplex.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nach unserer Beurteilung wird dieser heute beschlossene Regierungsentwurf weder den Müllnotstand in den Gemeinden erleichtern, noch hat die Bundesregierung mit diesem Entwurf den Auftrag des Gesetzgebers wirklich erfüllt. Denn sie soll nach § 14 Abs. 2 Zielfestlegungen zur Vermeidung und Verringerung und auch Verwertung festlegen. Es steht nichts in dem Papier drin, und auf die Frage des Kollegen Schäfer, welche Mengen tatsächlich vermieden werden sollen, haben Sie keine Antwort gegeben. Ich frage Sie noch einmal: Welche Mengen sollen vermieden, welche Mengen sollen recycled werden? Nur dann macht das überhaupt einen Sinn. Im übrigen ist es eine Bestätigung dessen, was wir schon mit dem Änderungsantrag vorgelegt haben, nämlich daß die Unglücksvokabel „Zielfestlegung" in der Praxis überhaupt nichts bringt. Infolge dessen frage ich Sie, ob es nicht Sinn macht, unseren Novellierungsantrag wenigstens reiflich zu erörtern, ob wir nicht angesichts der mangelnden Erfolgsaussichten dieses Abfallgesetz - zumindest in § 14 - schleunigst novellieren müßten, damit die Bundesregierung eine Ermächtigung bekommt, klare Rechtsverordnungen zu erlassen.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Es ist immer sinnvoll, Ihre Änderungsanträge zu erörtern, weil die genaue Erörterung zumeist erbringt, daß der Weg der Bundesregierung richtig ist. ({0}) Frau Kollegin, ein Zweites: Sie haben nach den Mengen gefragt, die von diesen Zielfestlegungen betroffen sind. Insgesamt haben wir etwa zwei Millionen Tonnen Kunststoffabfälle im Hausmüll und im hausmüllähnlichen Gewerbemüll. Davon sind etwa 600 000 Tonnen von diesen Zielfestlegungen betroffen. Das ist die Menge. ({1}) Bei der bisherigen Reduktion bzw. der stofflichen Wiederverwertung waren es 20 000 Tonnen. Wir gehen davon aus, daß diese betroffenen 600 000 Tonnen Kunststoffverpackungen entweder einer stofflichen oder einer geordneten thermischen Verwertung zugeführt werden. Das ist die Zielsetzung dieser Zielfestlegungen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt kommt der Abgeordnete Stahl mit einer Frage.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung derartige Zielfestlegungen innerhalb des Bundeskabinetts beschließt, müßte man doch eigentlich erwarten, daß in der Vorlage zumindest steht - Sie sagten: 600 000 Tonnen insgesamt -, wieviel Prozent nun eigentlich wirklich von welchen Stoffen recycliert werden sollten. Dazu haben wir nichts vernommen. Nachdem wir bei der Einwegverpackung insgesamt eine Pleite erlebt haben, da keine Einschränkung vorgenommen wurde, ist hier die Frage zu stellen: Welche rechtliche Verbindlichkeit haben denn diese Zielvorstellungen, die die Bundesregierung heute verabschiedet hat, und, wenn sie keine haben, können wir als Opposition davon ausgehen, daß dies eigentlich nur Aktivismus und weiße Salbe ist?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Erstens ist es nicht richtig, daß unsere Maßnahmen bezüglich der Einwegverpackungen keinen Erfolg gehabt hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Ich erinnere an die Pfandflaschenverordnung, die ausgesprochen erfolgreich war und die auch von Ihnen als solche qualifiziert wurde. Zum zweiten: Ist Ihnen bekannt, daß die Zielfestlegungen einen programmatischen Charakter haben und die Rechtsverbindlichkeit erst in der anschließenden Phase der Gültigkeit einer Rechtsverordnung hergestellt wird? Das ist ja der Sinn dieser Zielfestlegungen, der Wirtschaft die Ziele vorzugeben und die Möglichkeit zu geben, den Weg zu diesen Zielen selbst zu bestimmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Frage.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dann darf ich eine Zusatzfrage stellen: Wie will die Bundesregierung den Erfolg bzw. den Mißerfolg ihrer Zielfestlegung überprüfen, und wann soll das geschehen, wenn daraus, wie Sie eben gesagt haben, keine Rechtsverbindlichkeit hergeleitet wird?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Wenn Sie diese Zielfestlegungen exakt studieren, werden Sie für die bestimmten einzelnen Ziele überall ein Datum finden. ({0}) Zum Zeitpunkt dieses Datums wird der Erfolg dieser Zielfestlegungen gemeinsam mit den Bundesländern und gemeinsam mit der beteiligten Wirtschaft bzw. ihren Verbänden überprüft. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Lieber Herr Stahl, dazu brauchte man eine Debatte, wenn man alle Ihre Fragen beantworten wollte. Die Regierungsbefragung ist zu Ende. Ich danke allen Beteiligten für die Mitwirkung. Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksachen 11/6220, 11/6229 Wir kommen zunächst zu den zwei Dringlichen Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gröbl aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit anwesend. Vizepräsident Westphal Ich rufe die erste Dringliche Frage auf: Seit wann und in welcher Form ist der Bundesregierung bekannt, daß das Tochterunternehmen der Deutschen Bundesbahn, die „Nuclear Cargo and Service" ({0}), Nuklearmaterial vielfach offensichtlich ohne ordnungsgemäße Genehmigung oder mit falschen Mengenangaben transportiert hat, und ist der zuständige Bundesminister bereit, Transporte durch dieses Unternehmen sofort zu untersagen? Herr Staatssekretär Gröbl, bitte schön.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nuclear Cargo and Service GmbH, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bundesbahn, führt in der Bundesrepublik Deutschland Transporte von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen aus. Derartige Transporte bedürfen in der überwiegenden Zahl einer Genehmigung nach dem Atomgesetz bzw. nach der Strahlenschutzverordnung und unterliegen der staatlichen Aufsicht. Von den für die Beförderung radioaktiver Stoffe zuständigen Aufsichtsbehörden der Bundesländer liegen dem BMU keine Erkenntnisse über Fehlverhalten der NCS vor. Der in einer Presseveröffentlichung vom 15. Januar 1990 enthaltenen Behauptung, daß die NCS zur Jahreswende 1988/89 einen ungenehmigten Beförderungsvorgang ausgeführt haben sollte, ist der BMU nachgegangen. Die Überprüfung hat ergeben, daß bei dem Transport eines entleerten Behälters von Schweden über die Bundesrepublik Deutschland nach Frankreich eine Beförderungsgenehmigung vorlag. Nach unserer Information hat die NCS kein Fehlverhalten zu verantworten, das die Frage rechtfertigt oder gar verlangt, die Beförderungsgenehmigung zu entziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kübler, bitte schön, Zusatzfrage.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich dann fragen, wo Fehlerquellen - beim Absender oder beim Empfänger - bestehen, und wie gewährleistet die Bundesregierung, daß sich Absender und Empfänger korrekt verhalten, weil es ja nicht so sein kann, daß man sagt: Der Mittlere verhält sich korrekt, und im übrigen interessiert uns dies nicht.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Kollege, wir haben teils auf Grund eigener Nachforschungen, teils auf Grund der Meldungen des Bundesamts für Wirtschaft die Fälle, bei denen Ungereimtheiten aufgetreten sind bzw. möglicherweise zu vermuten sind, aufgegriffen und sind dabei, diese Fälle eingehend zu klären. Die daraus zu ziehenden Folgerungen werden wir im übrigen auch im Umweltausschuß, wo bis zur nächsten Woche ein schriftlicher Bericht des BMU vorliegen wird, diskutieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gröbl, gibt es denn Katastrophenschutzpläne für eventuelle Fälle, oder hat es solche gegeben, von wem auch immer die Unregelmäßigkeiten zu verantworten sind, gibt es Katastrophenschutzpläne für mögliche Unfälle in diesem Bereich?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Die NCS hat die Aufgabe der Sicherung dieser Transporte und hat dementsprechend auch Pläne für auftretende Unregelmäßigkeiten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Ihre zweite Frage auf, Herr Dr. Kübler: Trifft es zu, daß die Bundesbahnfirma NCS von Anfang an entgegen der ursprünglichen Konzeption des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Nuklearmaterial überwiegend auf der Straße statt auf der Schiene transportiert hat, und daß die Deutsche Bundesbahn Konzept, Personal und Fahrzeugpark der Transportabteilung der aufgelösten Firma Transnuklear durch Kauf übernommen hat?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Nach dem Konzept des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sollen Transporte von Kernstoff en und radioaktiven Abfällen im Kernbrennstoffkreislauf der Bundesrepublik Deutschland unter der unternehmerischen Führung der Deutschen Bundesbahn ausgeführt werden. Dieses Konzept wurde von der am Kernbrennstoffkreislauf beteiligten Industrie umgesetzt. Im Rahmen dieses Konzeptes, bei dem die Deutsche Bundesbahn - soweit wie möglich - Transporte auf der Schiene durchführt, transportiert die NCS mit firmeneigenen Lastkraftwagen auf der Straße Kernbrennstoffe bzw. radioaktive Abfälle. Der Genehmigungsinhaber für derartige Transporte ist die Deutsche Bundesbahn, womit die unternehmerische Führung der Deutschen Bundesbahn gewährleistet ist. Straßentransporte von Kernbrennstoffen und radioaktiven Abfällen sind in der Bundesrepublik notwendig, da eine größere Anzahl von kerntechnischen Einrichtungen keinen Gleisanschluß besitzen bzw. weil auf Grund von Sicherungsmaßnahmen für Kernbrennstoffe der höchsten Sicherungskategorie Transporte mit Lastkraftwagen vorgeschrieben sind. Richtig ist, daß die Deutsche Bundesbahn von der aufgelösten Firma Transnuklear Fahrzeuge und Personal der Transportabteilung, der keine Unkorrektheiten vorzuwerfen waren, übernommen und in die NCS eingegliedert hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gehört es nicht gerade zum ursprünglichen Konzept - deshalb auch die Beauftragung der Deutschen Bundesbahn -, so weit wie möglich die Bundesbahn für Nukleartransporte in Anspruch zu nehmen? Können Sie in diesem Zusammenhang sagen, wie hoch etwa der Anteil der Straßentransporte immer noch ist? Liegt er bei der Hälfte, einem Drittel oder über der Hälfte, verglichen mit den Schienentransporten?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich will Ihnen die exakten Zahlen gern schriftlich nachliefern. Ich habe gerade die Gründe genannt, die dafür sprechen, in bestimmten Fällen vom Schienentransport abzuweichen. Dazu zählen Sicherungsmaßnahmen und der fehlende Gleisanschluß. Gleichwohl lautet unser Postulat, daß so viel Transporte wie möglich auf der Schiene erfolgen sollten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werden Sie mit Nachdruck sowohl bei der Bahn als auch bei den Betreibern darauf hinwirken, daß im Interesse des Schienenverkehrs in Zukunft entsprechende Anlagen der Nuklearindustrie mit Bahnanschlüssen versorgt werden?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Soweit uns dies möglich ist, ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Wollny, nächste Frage, bitte schön.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nach dem Konzept des Bundesumweltministers wurde die Bundesbahn ja beauftragt, die Betreiber von Kernkraftwerken aus der Beförderung herauszunehmen. In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob die Bahn inzwischen ihren Anteil an Neckarwestheim verkauft hat.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Da müßte ich mich beim Verkehrsminister erkundigen.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre äußerst freundlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Da der Verkehrsminister nicht anwesend ist, muß das zu einer neuen Frage führen. Herr Weiss, bitte schön.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn ich damals die Idee, die hinter dem sogenannten Entflechtungskonzept stand, richtig verstanden habe, dann sollte doch wohl die staatliche Aufsicht das Entscheidende sein, warum die Deutsche Bundesbahn vom Bundesumweltminister für den Transportbereich als Verantwortlicher vorgesehen worden ist. Halten Sie es angesichts dieser Tatsache für sachgerecht, wenn nunmehr nicht die Deutsche Bundesbahn selbst, sondern eine Tochtergesellschaft in eigener Zuständigkeit, also ohne direkte Durchgriffsmöglichkeiten des Verkehrsministers oder der Bundesregierung oder auch der Bundesbahn selbst, Entscheidungen trifft und die Intention, möglichst viel auf die Schiene zu verlagern, dadurch unterlaufen wird, daß man reihenweise Straßenfahrzeuge angeschafft hat, die auf Grund des wirtschaftlichen Drucks Tag und Nacht rollen müssen, so daß selbst dann, wenn die Eisenbahn Kapazitäten frei hat, der Transport dennoch auf der Straße erfolgt?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Sinn dieses Konzepts ist es, die Transporte unter einem Dach und unter einer Verantwortung zu organisieren. Wie der jeweilige Transport organisiert wird, muß natürlich dem Auftragnehmer überlassen werden. Ich habe Ihnen vorhin die Gründe angeführt, die dazu führen, daß einige oder auch mehrere Transporte nicht, wie von uns gewünscht, auf der Schiene, sondern auf der Straße erfolgen müssen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Reuter zu einer Zusatzfrage, bitte schön.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Kontrollmechanismen hat die Bundesregierung denn jetzt erfunden, um sicherzustellen, daß sich ein Skandal wie der, der zur Zeit vom 2. Untersuchungsausschuß noch untersucht wird, nicht wiederholt?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Wenn wir die hier vorliegenden Beispiele einmal durchgehen, werden wir sehen - die Diskussion in der nächsten Woche im Umweltausschuß wird das zeigen - , daß der Kontrollmechanismus, der aufgebaut wurde, in jedem der einzelnen Fälle funktioniert hat. Zum Beispiel - das ist das Entscheidende - wurden über die monatlich abzugebenden Meldungen an Euratom derjenigen, die mit Kernbrennstoffen umgehen, Meldungen, die in Abdruck an den BMFT, an die zuständige Landesbehörde und an das BAW gehen, Ungereimtheiten bei der Mengenabgabe im Transport entdeckt und sofort korrigiert. Das zeigt: Das System funktioniert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit sind wir am Ende der beiden Dringlichkeitsfragen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragen 1 und 2 des Abg. Gerster ({0}) schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung brauche ich ebenfalls nicht aufzurufen, denn die Fragen 3 und 4 des Abg. Dr. Kübler sind zurückgezogen worden. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Pauli auf: Aus welchen Gründen und mit welchen bisherigen Ergebnissen hat das Bundesministerium für Forschung und Technologie wissenschaftliche Untersuchungen über Eruptionen des Eifelvulkanismus im Laacher See-Gebiet in Auftrag gegeben? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Die Eifel ist in der Bundesrepublik Deutschland das Gebiet mit dem jüngsten Vulkanismus. Es ist deshalb anzunehmen, daß diese geologischen Ereignisse das Temperaturfeld im Untergrund beeinflußt haben. Die vom Bundesforschungsministerium geförderten Vorhaben wurden im Rahmen des Programms „Erneuerbare Energien" durchgeführt und hatten folgende Ziele bzw. Ergebnisse: Erkundung des Temperaturfeldes der Eifel mit Hilfe von Forschungsbohrungen, geologische Untersuchungen der Thermal- und Mineralquellen der Eifel auf geologische Indikationen, Prospektion von Wärmelagerstätten durch seismische Signale, Untersuchungen von Mikroerdbeben zur Prospektion einer geothermischen Wärmelagerstätte im Vulkangebiet der Südeifel und Untersuchungen zum Magmainhalt des Laacher Vulkans. Bislang ist es jedoch durch die Forschungsprojekte nicht gelungen, den Nachweis einer für die Nutzung von Erdwärme geeigneten geologischen Formation zu führen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Pauli.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wird bei dem Forschungsprojekt dem Vorschlag des anerkannten Vulkanologen Professor Dr. Hans-Ulrich Schmincke gefolgt werden und für das Gebiet zwischen Laacher See und Neuwied, also einschließlich des noch zu genehmigenden Kernkraftwerks, eine Gefahrenkarte hergestellt?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Das Ziel dieser Untersuchungen ist von mir genannt. Selbstverständlich werden die Untersuchungen nur im Rahmen dieses Ziels durchgeführt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Pauli.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß das bereits gebaute, aber dennoch ungenehmigte Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich auf einem angeblich erloschenen Vulkan steht, und wird sie diesem Sachverhalt bei diesem Forschungsprojekt eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Mir ist nicht bekannt, daß es sich hier um ein Forschungsprojekt handelt, das den Bundesforschungsminister berührt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Ihre zweite Frage, Frage 6, auf Herr Pauli: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß diese Untersuchungsergebnisse bei der Standortfrage des noch nicht genehmigten Atomkraftwerkes Mülheim-Kärlich einbezogen werden sollen, bzw. ist die Bundesregierung bereit, der Landesregierung Rheinland-Pfalz entsprechende Forschungsergebnisse zur Verfügung zu stellen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Mit Urteil vom 9. September 1988 - 7 C 3/86 - hat das Bundesverwaltungsgericht die erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung des Kernkraftwerks MülheimKärlich aufgehoben. Insoweit ist die Anlage derzeit noch nicht vollständig genehmigt. Für die Neuerteilung dieser Teilgenehmigung laufen zur Zeit Sachprüfungen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, der Landesregierung Rheinland-Pfalz die genannten Untersuchungen zur Verfügung zu stellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Pauli, eine Zusatzfrage.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Landesregierung Rheinland-Pfalz bisher bei der Bundesregierung um Amtshilfe im derzeitigen Genehmigungsverfahren gebeten, indem entsprechende wissenschaftliche Forschungsergebnisse über die Festigkeit des Standortes des nicht genehmigten Atomkraftwerkes Mülheim-Kärlich angefordert worden sind?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Mir ist nicht bekannt, ob in diesem Zusammenhang solche Ergebnisse angefordert worden sind. Aber ich gehe davon aus, daß die Landesregierung, die für die Genehmigung zuständig ist, das gesamte Umfeld in die Betrachtung einbezieht, selbstverständlich auch die geologischen Gegebenheiten. Denn es ist ja ein Grundsatz bei der Genehmigung von Kernkraftwerken, erdbebensichere Voraussetzungen zu schaffen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage, Herr Pauli.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Forschungsergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchung für so bedeutsam, daß sie diese gegebenenfalls auch unaufgefordert der rheinland-pfälzischen Landesregierung übersendet, damit diese im anstehenden Genehmigungsverfahren ihre in Umrissen bereits erkennbare Haltung gegebenenfalls noch einmal überdenken kann?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Die Bundesregierung drängt sich niemals auf; nicht einmal der Opposition. Aber selbstverständlich sind die Kontakte zwischen den Ländern so gut, daß solche Unterlagen weitergegeben werden und zur Verfügung stehen. Ich sehe an dieser Stelle überhaupt kein Problem, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Daniels. - Bitte schön.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Verpflichtung der Bundesregierung, wenn klar ist, daß möglicherweise im Umkreis dieses Atomkraftwerkes geologische Ereignisse auftreten können, die die Sicherheit beeinträchtigen? Sehen Sie die Notwendigkeit, dann auch auf die Genehmigungsbehörde einzuwirken und sich um diese Fragen zu kümmern, die dann möglicherweise zu ernsteren Konsequenzen - wie die Nichtgenehmigung - führen können?

Dr. Albert Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001752

Herr Kollege Daniels, Sie gehen immer davon aus, daß eine Genehmigungsbehörde unverantwortlich handelt. Es ist zwischen Behörden beim Bund und bei den Ländern selbstverständlich, daß sie sich über die möglichen Einflußfaktoren wechselseitig informieren und daß sie hier - selbstverständlich immer zum Wohle der Bürger - zusammenarbeiten. ({0}) Sie haben ein völlig falsches Feindbild. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gibt es keine weiteren Zusatzfragen? - Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung. Ich rufe die Frage Nr. 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller auf: Wie ist die Geldsammlung für Waffenkäufe für die Guerillabewegung in El Salvador mit den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland vereinbar? Bitte, Herr Staatssekretär.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Ich gehe davon aus, daß Ihre Frage, Herr Kollege Müller, an die schriftliche Frage des Kollegen Kalisch vom Dezember 1989 anknüpft. Es geht um die Anzeige in der „taz" vom 29. November 1989, in der zu einer Spendenaktion unter der Überschrift „Waffen für El Salvador" aufgerufen wurde. Inwieweit dieser Spendenaufruf mit den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist, richtet sich in erster Linie nach den Sammlungsgesetzen der einzelnen Bundesländer. Für das Sammlungsrecht haben die Länder nach dem Grundgesetz die ausschließliche Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz. Die Sammlungsgesetze der Länder enthalten im allgemeinen eine Klausel, wonach eine Sammlung verboten bzw. die Erlaubnis zur Sammlung versagt werden kann, - ich zitiere - „wenn die Gefahr besteht, daß durch die Sammlung oder durch die Verwendung des Sammlungsertrages die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestört wird" . Die Beurteilung der Frage, wann diese Voraussetzungen im einzelnen als erfüllt anzusehen sind, obliegt ausschließlich den zuständigen Behörden der Länder.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre es nach diesen Bestimmungen z. B. genauso möglich, in der Bundesrepublik Gelder zu sammeln, um Waffen anderer Art zu kaufen, z. B. ein U-Boot, und das an ein Land zu liefern? Würde das nicht irgendwelchen Gesetzen der Bundesrepublik widersprechen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Nach meiner Einschätzung würde es den Gesetzen widersprechen. Aber die Zuständigkeit zur Prüfung des konkreten Sachverhalts haben die einzelnen Bundesländer, soweit es um das Sammlungsrecht geht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist nicht die öffentliche Ordnung schon dadurch gestört, daß in der Weltöffentlichkeit der schlechte Eindruck entsteht, daß mit Waffen aus der Bundesrepublik oder Waffen, die mit Geldern aus der Bundesrepublik gekauft worden sind, wieder einmal wehrlose Menschen getötet werden?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

In der politischen Beurteilung stimmen wir überein. In der Frage der rechtlichen Lösungen habe ich eben auf die Zuständigkeit der Länder abgehoben. Es gibt aber auch noch einen § 111 des Strafgesetzbuches, der da lautet: Es ist strafbar, wer „durch Verbreiten von Schriften ... zu einer rechtswidrigen Tat auffordert". Ob dies geschieht, muß im einzelnen Fall geprüft werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Kollegin Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, trifft die Beurteilung, die Sie eben hier vorgetragen haben, auch zu, wenn es um die Renamo geht, die in Mosambik mit Unterstützung Südafrikas und auch bundesdeutscher Organisationen das Volk terrorisiert, oder wenn der Repräsentant der Unita, in Angola, Dr. Jonas Savimbi, hier im Lande herumreist, für Unterstützung sammelt und auch Waffen für sich in Europa rekrutieren möchte?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Frau Kollegin, die Bundesregierung hat immer erklärt, daß sie weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind ist, sondern die Sachverhalte einheitlich beurteilt, und daß das geltende Recht nicht davon abhängig ist, wer etwas tut.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung ein solches Handeln, wie es in dieser Anzeige zum Ausdruck kommt, nicht schon deswegen für ablehnungsbedürftig, ja, für verwerflich, weil hier dem Grundgedanken der Gewaltfreiheit, auch wenn es gegen gelegentlich unterdrückerische Regime und Systeme geht, in eklatanter Weise entgegengearbeitet wird?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung. Es sind allerdings Rechtstatbestände zu subsumieren; dazu habe ich soeben die Zuständigkeiten vor diesem Hause offengelegt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie jenseits einer juristischen Bewertung die Meinung, daß Geldsammlungen für Waffenimporte genauso verwerflich sind wie Waffenexporte? ({0})

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Gansel, ich weiß nicht, ob wir beide Tatbestände einheitlich sehen dürfen. Mir obliegt es heute, zu dem Sammeln von Geld für Waffenkäufe hier Stellung zu nehmen. Ich habe die politische Bewertung bereits abgegeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das trifft zu. - Herr Volmer, Sie haben eine Zusatzfrage.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, halten Sie es denn für Ihre Aufgabe, immer dann, wenn G-3-Gewehre von Heckler & Koch bei irgendwelchen terroristischen Aktionen irgendwo auf der Welt auftauchen, in der Bundesrepublik aktiv nach denen zu fahnden, die diese Gewehre an die Terroristengruppen im Ausland geliefert haben?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege, Ihrer Fragestellung liegen so viele Bewertungen zugrunde, die ich nicht teilen kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie müssen auch die Fragestellung beachten: Es ging um die Geldsammlungen. Ich bitte um Entschuldigung. - Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die beiden nächsten Fragen, Nr. 9 und Nr. 10 des Abgeordneten Dr. de With werden auf Wunsch des Vizepräsidentin Renger Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Jäger auf: Besteht nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Aussicht, daß die menschenrechtswidrigen politischen Straftatbestände, die mit Gesetz vom 7. April 1977 in das Strafgesetzbuch der DDR eingefügt worden sind, sowie alle anderen gegen die Bestimmungen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstoßenden Strafnormen noch vor der Schlußphase des Volkskammer-Wahlkampfes in der DDR zum Schutz der Meinungs- und Reisefreiheit aufgehoben werden, und was wird die Bundesregierung widrigenfalls im Gespräch mit der DDR-Regierung unternehmen, um die Aufhebung dieser Strafbestimmungen zu erreichen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Jäger, in seinen Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten der DDR in Dresden am 19. Dezember 1989 hat der Herr Bundeskanzler die Erwartung ausgedrückt, daß die politischen Straftatbestände beseitigt werden. Ministerpräsident Modrow hat bei seinen Erläuterungen der Pläne für eine Änderung der Rechtsordnung der DDR auch die Reform des Strafrechts angesprochen. Diese Pläne sehen eine Reform des Strafrechts vor, die den Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte voll Rechnung trüge. Die Bundesregierung wird in ihren weiteren Gesprächen mit der DDR Wert darauf legen, daß diese Zusagen eingehalten werden. Sie wird insoweit auch auf die gebotene Eile drängen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob es schon einen Gesetzentwurf der DDR-Regierung mit dem von Ihnen dargestellten Ziel gibt und ob dieser Gesetzentwurf gegebenenfalls sogar schon in die Volkskammer eingeleitet wurde?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Mir ist dieser Entwurf noch nicht bekannt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön, Herr Kollege Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann möchte ich Sie fragen, Herr Staatssekretär: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß hier schon deswegen besondere Eile geboten ist, weil das gegenwärtig noch pro forma geltende Strafrecht nach wie vor die Handhabe zu willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen oder Anklageerhebungen bieten kann?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Jäger, im Interesse der Menschenrechte und der rechtsstaatlichen Maßstäbe ist hier Eile geboten. Ich habe eben ausgeführt, daß die DDR dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten ist. Deshalb sind im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts tiefgreifende Reformen notwendig, um gerade den Verpflichtungen aus dem Pakt wie auch den Verpflichtungen aus dem KSZE-Vertrag voll Rechnung zu tragen. Der Bundesminister der Justiz wird in den vorgesehenen Gesprächen, die mit dem Minister der Justiz der DDR geführt werden, ebenfalls in aller Deutlichkeit und auch mit der gebotenen Eindringlichkeit auf die Notwendigkeit einer Reform des politischen Strafrechts hinweisen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine Reform des politischen Strafrechts auf jeden Fall erfolgen müßte, bevor im Rahmen einer Vertragsgemeinschaft Verträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR geschlossen werden?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Müller, meine Antwort darauf lautet: Die Reform des politischen Strafrechts muß so schnell wie eben möglich kommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der Bundeskanzler bei seinem nächsten Gespräch mit dem Ministerpräsidenten der DDR Modrow klarmachen muß, daß die Vertrauenswürdigkeit der Regierung Modrow schon für Vorverhandlungen zur Schaffung einer Vertragsgemeinschaft auch davon abhängig ist, daß unmittelbar und sofort die Rückstände beseitigt werden, die hinsichtlich der Erfüllung der konkreten Verpflichtungen für das politische Strafrecht aus der KSZE-Akte und aus dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte bestehen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Gansel, ich glaube, der Herr Bundeskanzler braucht da keine Belehrungen. Er hat bei den ersten Gesprächen mit der DDR-Regierung von vornherein zum Ausdruck gebracht, daß all die Vorschriften, die nicht den Menschenrechten, der KSZE-Schlußakte und dem von mir genannten Pakt entsprechen, auf schnellstem Wege beseitigt werden müssen. Der Bundeskanzler hat das gegenüber der DDR-Regierung sehr eindringlich zum Ausdruck gebracht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 12 des Kollegen Gansel auf: In welcher Weise waren Dienststellen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Entlassung des ehemaligen DDR-Staatssekretärs und STASI-Obersten Schalck-Golodkowski aus der Untersuchungshaft beteiligt, und ist ihnen sein Aufenthalt bekannt? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Gansel, vor der Entlassung des ehemaligen DDR-Staatssekretärs Dr. Schalck-Golodkowski aus der Haft hat es Kontakte zwischen dem für das Zulieferungsverfahren zuständigen Generalstaatsanwalt in Berlin ({0}) und dem Generalbundesanwalt sowie dem Bundesnachrichtendienst gegeben. Der Generalbundesanwalt hat geprüft, ob gegen Dr. Schalck-Golodkowski ein Anfangsverdacht wegen einer in seine Zuständigkeit fallenden Straftat - gemeint ist hier die geheimParl. Staatssekretär Dr. Jahn dienstliche Agententätigkeit im Sinne von § 99 des Strafgesetzbuches - besteht. Er hat zu diesem Zweck eine Anhörung des Dr. Schalck-Golodkowski in der Haft am 9. Januar 1990 in Berlin durch einen Bundesanwalt veranlaßt. Die Anhörung hat keinen Anfangsverdacht für eine in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts fallende Straftat ergeben. Auf Grund der gegenwärtigen Erkenntnisse ist deshalb ein Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet worden. Der Bundesnachrichtendienst hat im Zusammenhang mit der Entlassung zu Fragen der beteiligten Strafverfolgungsbehörden Stellung genommen. Einzelheiten hierzu können in den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages vorgetragen werden. Dies gilt auch für den Aufenthaltsort von Dr. SchalckGolodkowski, der dem Bundesnachrichtendienst bekannt ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da es schwerfällt, anzunehmen, daß es gegen einen Obersten des Staatssicherheitsdienstes, der in seiner Funktion als DDR-Staatssekretär im Ost-West-Handel und in der Bundesrepublik tätig war, keinen Anfangsverdacht für eine geheimdienstliche Tätigkeit gibt - was hat der Mann als Stasi-Oberst eigentlich gemacht? -, frage ich Sie, ob es möglicherweise besonders privilegierende Umstände gegeben hat, die den Generalbundesanwalt im Rahmen seines Ermessens bewogen haben könnten, von einem Ermittlungsverfahren gegen Herrn Schalck-Golodkowski abzusehen.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Gansel, ich gehe davon aus, daß sich der Generalbundesanwalt auch in diesem Fall ausschließlich von den tragenden Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland hat leiten lassen. Ich darf sagen, daß er mitgeteilt hat, daß der frühere Staatssekretär nach den Erkenntnissen keine Aktionen veranlaßt hat, die gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Wenn das der Fall ist, dann sind auch die Voraussetzungen des § 99 des Strafgesetzbuches nicht gegeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da einer Dienststelle der Bundesregierung bekannt ist, wo sich Herr Schalck-Golodkowski aufhält, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, meiner Bitte zu folgen, Herrn Schalck-Golodkowski mitteilen zu lassen, daß er sich bei einem weiteren Vermakeln von Kriegswaffen an Käufer im Ausland nach § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes strafbar machen würde, nachdem er plötzlich den deutschen Bundespaß erworben hat.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Herr Kollege Gansel, all das, was Sie sagen, wird ihm - davon gehe ich aus - bereits sein Rechtsberater gesagt haben. Wenn es im Hinblick auf den Bundesnachrichtendienst weitere Fragen gibt, so können diese in der Parlamentarischen Kontrollkommission gestellt werden, die es ja bei uns gibt. Ich bin informiert, daß sie in der nächsten Woche zusammentritt. ({0}) Da sitzen auch Vertreter Ihrer Fraktion. Da sollten die weiteren Fragen erörtert werden. Im übrigen ist es für mich interessant, daß Sie hier die Arbeit des Generalbundesanwaltes kritisieren, nicht aber auf das Zulieferungsverfahren eingehen; ({1}) denn ich gehe davon aus, daß sich in bezug auf das Zulieferungsverfahren die zuständigen Stellen in Berlin an den Grundsatz von Recht und Gerechtigkeit gehalten haben. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mich würde interessieren, ob der Herr Bundesanwalt außer Herrn SchalckGolodkowski noch jemand anders befragt hat oder ob er sich ausschließlich auf dessen eigene Aussagen bezogen hat, bevor er entschieden hat, Schalck-Golodkowski sei freizulassen.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Soweit mir bekannt ist, hat er sich auf die Aussagen des früheren Staatssekretärs gestützt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist der Staatsanwalt, der in Berlin die Entscheidung getroffen hat, weisungsgebunden, und wer kann ihm eventuell Weisungen erteilen?

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Sie wissen, daß ein Staatsanwalt weisungsgebunden ist und daß die für die Justiz zuständige Senatorin einem Staatsanwalt - auch einem Generalstaatsanwalt - natürlich Weisungen erteilen kann. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Beckmann steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 der Frau Abgeordneten Vennegerts auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß beispielsweise die Hamburger K. AG während des Golfkrieges Ersatzteile für die G-3-Fertigung geliefert hat?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Frau Kollegin Vennegerts, der Bundesregierung ist bekannt geworden, daß die von Ihnen genannte Firma eine derartige Lieferung durchgeführt hat. Es handelt sich dabei um eine ungenehmigte Ausfuhr. Die zuständige Oberfinanzdirektion Hamburg führt derzeit ein Bußgeldverfahren durch, das allerdings noch nicht abgeschlossen ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, in einer schriftlichen Antwort der Bundesregierung vom 13. Dezember 1989 wird gesagt, daß Ausfuhrgenehmigungen in Einzelfällen - zuletzt also 1987 an den Iran bezüglich der G-3-Fertigungsteile - erfolgt sind. Wenn Sie jetzt sagen, die Körber AG in Hamburg habe keine Ausfuhrgenehmigung gehabt, dann frage ich Sie: Welche Firmen hatten eine Ausfuhrgenehmigung?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Eine Auflistung der Firmen kann ich Ihnen hier jetzt nicht geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie denn, wenn Sie diese Firmen kennen - ich nehme einmal an, daß Sie gut vorbereitet sind -, hier wenigstens eine oder zwei weitere Firmen nennen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Ich möchte darauf verzichten, hier jetzt Firmennamen zu nennen, Frau Kollegin Vennegerts.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, das Parlament von sich aus davon zu unterrichten, wie dieses Bußgeldverfahren ausgeht? Ich frage, weil wir häufig von anlaufenden Verfahren am Ende nichts mehr hören. Sie würden uns die Arbeit ein Stück erleichtern, wenn Sie das täten.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Wie ich sagte, Herr Kollege Müller, ist das Bußgeldverfahren noch im Gange. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, das Parlament zu unterrichten, wenn das Verfahren durchgeführt worden ist. Es handelt sich um ein laufendes Verfahren. Ich bitte daher um Verständnis, daß ich keine Auskünfte geben kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da Ihnen die Firmen bekannt sind, frage ich Sie: Wäre es möglich, daß wir die Liste schriftlich bekommen, und wann?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Wir überprüfen das, Frau Kollegin. Ich sage Ihnen darin rechtzeitig Bescheid.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 14 der Abgeordneten Frau Eid auf: Hat die Bundesregierung inzwischen Informationen hinsichtlich der Herkunft von G-3-Gewehren, die von südafrikanischen Streitkräften eingesetzt werden und auch von südafrikanischen Firmen weiterverkauft wurden?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Frau Kollegin Eid, die Bundesregierung hat, wie Sie ja wissen, bereits mehrfach zu Fragen von Waffenlieferungen nach Südafrika Stellung genommen. Speziell zur Frage von G-3-Lieferungen aus portugiesischer Fertigung hat die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion am 18. Oktober 1989 - Drucksache 11/5399 - mitgeteilt, daß sie hierzu über keine Informationen verfügt. Die Bundesregierung ist auch jetzt nicht in der Lage, die Herkunft von G-3-Gewehren in verschiedenen Ländern der Erde aufzuklären, da diese Waffe weltweit verbreitet ist ({0}) und, wie die Bundesregierung ja auch schon mehrfach dargelegt hat, seit den 60er Jahren im großen Umfang in verschiedenen Ländern in Lizenz produziert wird. Ausfuhrgenehmigungen für G-3-Gewehre nach Südafrika wurden von der Bundesregierung nicht erteilt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin, bitte.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wird die Bundesregierung dann beispielsweise bei der Staatsanwaltschaft in Rottweil nachfragen, ob dort im Rahmen der teilweise ja seit Jahren laufenden Ermittlungen gegen Verantwortliche der Firma Heckler & Koch auch Erkenntnisse über Waffenlieferungen nach Südafrika zutage getreten sind?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Die Bundesregierung geht selbstverständlich allen entsprechenden Hinweisen nach. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Frau Kollegin Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie in Ihrer Antwort Bezug genommen haben auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN, die schon etwas länger zurückliegt, würde ich gerne wissen, ob Sie in der Zwischenzeit, nachdem wir nun eine ähnliche Frage einreichen mußten, die Gelegenheit wahrgenommen haben, noch einmal nachzuforschen.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Uns liegen, Frau Kollegin, keine neuen Erkenntnisse vor.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht in der Lage sind, den Endverbleib von Waffen genau zu klären, die eindeutig bundesdeutscher Herkunft sind bzw. mit bundesdeutschen Lizenzen produziert wurden, was muß denn wohl noch alles passieren, damit die Lieferung solcher Waffen und Lizenzen, an der Quelle, nämlich bei den Firmen hier gestoppt wird, um diese Endverbleibsproblematik gar nicht erst aufkommen zu lassen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Volmer, ich habe soeben bereits darauf hingewiesen, daß diese Waffen seit den 60er Jahren in verschiedenen Ländern der Erde produziert werden. Damals gab es diese Endverbleibsklauseln in den entsprechenden Verträgen nicht. Seit 1982 werden diese Endveibleibsklauseln in den Verträgen ständig mit untergebracht, so daß wir seit 1982 auch hierüber genau Bescheid wissen. Aber die Waffen, von denen Sie sprechen, stammen nicht aus deutscher Produktion. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, liegen der Bundesregierung denn überhaupt Erkenntnisse über G-3-Gewehre in Südafrika vor, oder kann es sich dabei nicht auch - was die Kollegin Eid vielleicht übersehen hat - um vom Ostblock her importierte Kalaschnikows handeln? ({0})

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Lowack, wir können dies weder bestätigen noch dementieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, der Bundesregierung könnten doch Erkenntnisse vorliegen, daß die in Südafrika verwendeten G-3-Gewehre aus der Lieferung stammen könnten, die aus der Bundesrepublik - Größenordnung: 5 000 Stück - für die Leibgarde von Herrn Allende geliefert wurde, und dann - da ja sehr enge Beziehungen zwischen Chile und Südafrika bestehen - vielleicht von Chile nach Südafrika weitergeliefert wurden?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Über den Endverbleib der von Ihnen genannten G-3-Gewehre, Herr Kollege Müller, ist der Bundesregierung hinsichtlich der von Ihnen genannten Zielrichtung nichts bekannt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, die Antworten wiederholen sich. Es ist die Frage 15, die ich jetzt aufrufe: Kann die Bundesregierung erklären, wie Waffen des Typs HK 43 in den Besitz der südafrikanischen Armee gelangen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Frau Kollegin, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, ob die südafrikanische Armee über Waffen des Typs HK 43 verfügt und wie diese gegebenenfalls in ihren Besitz gelangt sein können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wird die Waffe vom Typ HK 43, um die es hier geht, nach Kenntnis der Bundesregierung auch in Lizenz hergestellt, möglicherweise in Portugal, so daß diese Waffe über Portugal nach Südafrika gelangen kann? - Ich muß insistieren, da die Bundesregierung bisher nicht die notwendigen Schritte unternommen hat, um Antworten zu erhalten.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Ich möchte Ihnen, sehr verehrte Frau Kollegin, gleich eine solche geben: Die Firma Heckler & Koch hat keine Lizenzen zur Produktion des Typs HK 43 vergeben.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist der Bundesregierung bekannt, ob Heckler & Koch in Südafrika über eine Vertriebsfirma verfügt?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Das entzieht sich im Augenblick meiner Kenntnis. Das möchte ich Ihnen dann gerne schriftlich beantworten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Volmer, bitte.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen genauen Überblick über die Exporte von Waffen oder Lizenzen, die von Heckler & Koch ausgehen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Volmer, zumindest wird seit 1982 bei der Bundesanstalt für Wirtschaft im automatisierten Verfahren eine genaue Auflistung von Kriegswaffenexporten und ihren Begleiterscheinungen vorgenommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf: Wie viele Staaten erhalten nach wie vor genehmigungspflichtige Zulieferungen, Komponenten oder Ersatzteile aus der Bundesrepublik Deutschland, die für die auswärtige MP-5-Fertigung bestimmt sind? Bitte schön, Herr Staatssekretär. ({0}) - Bitte? ({1}) Er hat jetzt auf Ihre Frage zu antworten, was auch immer.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Dr. Mechtersheimer, ich nehme Ihre Anregung gerne entgegen und beantworte beide Fragen in einem.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gut, vielen Dank.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Es liegt ja eine weitgehende Identität der Fragen vor. Daher scheint das sinnvoll zu sein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann rufe ich auch die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf: Wie viele Staaten erhalten nach wie vor genehmigungspflichtige Zulieferungen, Komponenten oder Ersatzteile aus der Bundesrepublik Deutschland, die für die auswärtige Fertigung von G-3-Gewehren bestimmt sind?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege, entsprechende Ausfuhrgenehmigungen werden in Einzelfällen - unter Beachtung der geltenden außenwirtschaftlichen Bestimmungen - erteilt. Dabei wird die Entscheidung von einer sorgfältigen Prüfung der Situation des Empfängerlandes abhängig gemacht. Da die Bundesregierung alle mit derartigen Zulieferungen zu produzierenden Waffen für gleichermaßen kontrollrelevant ansieht, werden die Details des Waffentyps nicht festgestellt. Deswegen kann ich Ihnen auch zu den Fragen 16 und 17 keine näheren Antworten geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stellt die Bundesregierung dann wenigstens sicher, daß bei diesen Exporten von den entsprechenden Ländern nicht wiederum ohne Kontrolle hemmungslos weiterexportiert wird?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Wir haben in derartigen Verträgen - ich habe das eben erwähnt - seit 1982 eine entsprechende Endverbleibsklausel.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nächste Zusatzfrage.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie sagen, welche Staaten konkret zugesichert haben, bei Lizenzfertigungen von Exporten abzusehen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Sie wissen, Herr Kollege Mechtersheimer, aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion vom vergangenen Jahr, daß die Bundesregierung die Empfängerstaaten von Kriegswaffenexportgütern grundsätzlich nicht benennt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann stelle ich die Frage noch einmal, ohne daß ich Sie bitte, die Namen von Ländern zu nennen. Ist das generell geschehen? Es könnte doch sein, daß Sie seit der Beantwortung der Kleinen Anfrage auf Grund dieser Fragen etwas anderes getan haben.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Das ist eine generelle Regelung, die wir hier getroffen haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Findet die Bundesregierung eigentlich gar nichts dabei, daß die Bundesrepublik Deutschland offenkundig zum wichtigsten oder zweitwichtigsten Exporteur von Schußwaffen geworden ist? Sieht die Regierung keinen Handlungsbedarf, im Bereich von Exporten, vor allem im Bereich von Lizenzexporten, endlich politisch Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest der überwiegenden Meinung in der Öffentlichkeit entsprechen, daß sich die Bundesregierung gegen eine Militarisierung aus deutscher Fabrikation mit allen Mitteln wehren müsse?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Mechtersheimer, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland betreibt seit vielen Jahren eine ausgesprochen restriktive Rüstungsexportpolitik. Darüber haben wir in diesem Hause schon des öfteren diskutiert. Wir haben durch Verschärfung der entsprechenden Vorschriften im Jahre 1982 die Möglichkeiten noch einmal weiter eingeengt. Sie wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht zu den wichtigen Rüstungsexportländern dieser Welt zählt, denn es ist eine ausgesprochene Dominante unserer Politik, daß eine Rüstungsexportpolitik nicht eine führende Funktion für unsere Außenpolitik haben kann. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wenn Sie Ihre Fragen zu den Fragen 18 und 19 stellen könnten, könnte ich diese gleich aufrufen. Wir sind nämlich gleich mit der Zeit am Ende. ({0}) - Dann rufe ich die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Volmer auf: In welche südamerikanischen Staaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung bisher G-3-Gewehre aus portugiesischer Lizenzproduktion geliefert worden?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege, die Bundesregierung hat keine Kenntnisse über Lieferungen von G-3-Gewehren aus portugiesischer Lizenzproduktion in südamerikanische Staaten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie auf der einen Seite eine Kontrolle des Endverbleibs haben, wie Sie vorhin behauptet haben, diese Frage jetzt aber konkret nicht beantworten können, die Frage des Kollegen Mechtersheimer über die Ihnen bekanntgewordenen Endverbleibe nicht beantworten wollen, so frage ich Sie, was Sie meinen, wie das Parlament die Waffenexportgenehmigungspraxis der Bundesregierung überhaupt kontrollieren soll, oder ob Sie meinen, diese Praxis bedürfe keiner Kontrolle.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

In bezug auf Ihre Fragestellung, Herr Kollege Volmer, kann ich nur ausführen, daß seinerzeit, als die portugiesische Produktion lizenziert wurde, eine solche Endverbleibsklausel nicht Gegenstand des Vertrages war. Ich habe vorhin schon erwähnt, daß wir seit 1982 solche Klauseln zum Inhalt unserer Verträge gemacht haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie, nachdem die Problematik mit portugiesischen Lizenzproduktionen nun bekanntgeworden ist, bereit, in Neuverhandlungen einzutreten, eventuell auch auf Regierungsebene, um die Zulassung der Lizenzproduktion zu unterbinden?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Volmer, im Zuge der, wie Sie wissen, geplanten Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes wird die Bundesregierung alle Möglichkeiten prüfen, ihrer restriktiven Waffenexportpolitik auch zum Erfolg zu verhelfen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage aus dem Hause mehr. Dann rufe ich die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Volmer auf: Besitzt die Bundesregierung mittlerweile Informationen über die Herkunft der G-3-Gewehre bei der nicaraguanischen Contra?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Volmer, wie die Bundesregierung in der Vergangenheit bereits dargelegt hat, sind seit 1977 wegen der innenpolitischen Situation keine Genehmigungen mehr für die Lieferung von G-3-Gewehren nach Nicaragua erteilt worden. Erkenntnisse über Besitz und Herkunft von G-3-Gewehren bei den nicaraguanischen Contras liegen der Bundesregierung auch weiterhin nicht vor.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben Sie noch eine Zusatzfrage?

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie ausschließen, Herr Staatssekretär, daß G-3-Gewehre an die nicaraguanischen Contras gegangen sind?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Ich habe vorhin schon dargestellt, daß es eine Vielzahl von G-3-Gewehren in dieser Welt aus unterschiedlichen Produktionsstätten gibt. Deswegen kann die Bundesregierung nicht ausschließen, daß G-3-Gewehre, auf welchem Wege auch immer, nach Nicaragua gelangt sind.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit und willens, nachzurecherchieren, auf welche Art und Weise die G-3-Gewehre, die dort tatsächlich gefunden worden sind, in die Hände der Contras gelangt sind?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Die Bundesregierung, Herr Kollege Volmer, ist jederzeit bereit, vorhandene Quellen auszuschöpfen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Schönen Dank, Herr Staatssekretär. - Damit ist die Fragestunde beendet, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Die Fraktion der GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Die Haltung der Bundesregierung zur US-Invasion in Panama verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 4 000 Menschen haben die Amerikaner umgebracht, als ihre Truppen Panama-City bombardierten. Das sagte Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der Regierung Johnson. Die USA ermordeten mit ihrem Bombenangriff mehr Menschen als die chinesische Regierung bei ihrem Gemetzel auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Das sagte Jesse Jackson. Und ich füge hinzu: Präsident Bush hat mehr unschuldige Zivilisten auf dem Gewissen als der Gangster Noriega. ({0}) Das Massaker der Amerikaner in Panama ist eine flagrante Verletzung des Völkerrechts und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. ({1}) In hemmungsloser Weise haben die USA wie zuvor beim Überfall auf Grenada, wie bei der Verminung der Häfen von Nicaragua militärische Gewalt benutzt, um ihre koloniale Herrschaft über Lateinamerika zu sichern. Die Bekämpfung des Drogenhandels war nur ein Vorwand, wie ein Artikel aus der Zeitung The Stars and Stripes" vom 5. März 1989 beweist. Dort sagt Senator John F. Kerry: Eine Studie, an der eine Senatskommission zwei Jahre lang arbeitete, zeigt, daß hohe US-Offizielle zahlreiche Male eingegriffen haben, um Operationen gegen die überseeischen Drogenfürsten zu stoppen. Die angebliche Drogenbekämpfungspolitik ist der neueste Ansatz im Rahmen der Strategie einer Kriegsführung niedriger Intensität, mit der die USA erklärtermaßen alle nationalistischen oder emanzipatorischen, eben alle antiamerikanischen Bestrebungen in der Dritten Welt in Schach halten wollen. Was die Invasion in Panama noch infamer macht: Sie konnte durchgeführt werden, weil alle Welt nach Rumänien schaute, wo eines der grausamsten Nachkriegsregimes vom Volk vertrieben wurde, ein Regime übrigens, das sich jahrelang amerikanischen Wohlwollens erfreute. ({2}) Die Invasion konnte durchgeführt werden, weil die Sowjetunion Frieden will. Die Invasion in Panama zeigt, wie Bush den Friedenswillen der Sowjets und seine Absprachen mit Gorbatschow auf Malta interpretiert. Für ihn haben die Russen die Waffen gestreckt, haben kapituliert, und der Sieger des Wettrüstens hat nun freie Hand, eine angemaßte weltweite Polizeifunktion auszuüben. Den Amerikanern - das zeigt Panama - geht es nicht um Frieden. Ihnen geht es um Vorherrschaft. Wirklicher Frieden wird erst dann herstellbar sein, wenn die westliche Supermacht auf den Machtverlust der östlichen nun ihrerseits mit freiwilligem Machtverzicht antwortet. ({3}) Der amerikanische Chauvinismus enttäuscht nicht nur die Hoffnung derer, die nun eine Zusammenarbeit von West und Ost zugunsten der Dritten Welt für möglich hielten. Er spielt den reaktionären, stalinistischen Kräften in der Sowjetunion in die Hände, die Gorbatschow Schwäche und Verrat vorwerfen wollen, um seine Demokratisierungsversuche abwürgen zu können. ({4}) Gerade in diesen Tagen zittern wir alle, daß die nationalistischen Auseinandersetzungen im Süden der Sowjetunion den hoffnungsvollen Demokratisierungsprozeß nicht zerstören mögen. Es ist schändlich, daß die Amerikaner die schwierige Situation Gorbatschows zu Hause, die ihm außenpolitisch die Hände bindet, mißbrauchen, um einen Eroberungskrieg zu führen. Denn darum geht es in Panama, nicht um Drogen und nicht um Demokratie. Gewiß, Noriega war ein Gangster, aber jahrelang ein Gangster im Dienste des CIA, dessen ehemaliger Chef heute amerikanischer Präsident ist. Warum bekämpfen die USA heute ihren damaligen Handlanger? Vermutungen lauten: weil er, der jahrelang Drogengeschäfte für den CIA und die amerikanische Mafia abgewickelt hat, den Geschäftspartner wechselte und beim kolumbianischen Drogenkartell einstieg. Damit verband er eine nationalistische Wende, die den Garanten von US-Interessen in Panama zum Gegner machte. Die in den Augen der amerikanischen Falken unheilvolle weiche Politik von Präsident Carter hat über den Vertrag mit dem später ermordeten sozialdemokratischen Präsidenten Panamas, Torrijos, die Kanalzone in panamesische Hand geben wollen. Reagan und Bush wollen die Zone zurückerobern. Sie wollen sie nicht wegen des wirtschaftlich unattraktiv werdenden Kanals; sie wollen sie, weil dort ihr militärisches Südkommando beheimatet ist. Es ist nicht eine Schutztruppe für den Kanal und nicht nur der Ausgangspunkt für den Überfall auf Grenada; es ist ein strategisches Hauptquartier auch für die atomare Kriegsführung. Um dies zu sichern, wurde das Land besetzt, wurden 4 000 Menschen ermordet und wurde eine Marionettenregierung eingesetzt. Diese Regierung ist nicht anzuerkennen, auch wenn ihr starker Mann - übrigens Arias und nicht Präsident Endara - hervorragende Kontakte zur Konrad-Adenauer-Stiftung hat. Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. Wir fordern die Staaten Europas auf, und wir fordern die Bundesregierung auf, nicht zuzulassen, daß der Friedenswillen, der sich in Ost- und Westeuropa deutlich gezeigt hat, nun durch die Herrschaftssicherungsstrategien der Vereinigten Staaten zunichte gemacht wird. Wir fordern sie auf, sich von diesem kriminellen Akt der Vereinigten Staaten energisch zu distanzieren. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler.

Dr. Volkmar Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001154, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es müßte eigentlich jedermann klar sein, daß Herr Volmer, wenn er hier als Sprecher der GRÜNEN seine gewohnten antiamerikanischen Obsessionen austobt, dies nicht tun kann, ohne letzten Endes damit zum Verteidiger eines Piraten und Schurken zu werden, wie es Noriega stets gewesen ist. Dies behaupte ich nicht allein mit Bezug auf seine Drogenhändlertätigkeit. Es genügt schon voll und ganz, sich daran zu erinnern, daß dieser Mann eine einigermaßen rechtmäßige Wahl am 7. Mai des letzten Jahres kurzerhand kassierte. ({0}) - Zur Verurteilung und für die Bezeichnung, die ich eben gewählt habe, Herr Duve. Sie brauchen nur zuzuhören; ich spreche ein einigermaßen gutes Deutsch. ({1}) Er hat sich dann zum „Maximo Lider" ernennen lassen. Die gleichen Kreaturen, die das in seinem Auftrag getan hatten, erklärten, das Land und sie befänden sich im Kriegszustand mit den USA. Was an Repressionen, an Prügeleien und an Mißhandlungen politischer Gegner dort passiert ist, war ungeheuerlich. ({2}) Es bleibt eine Tatsache, daß alle Bemühungen, auch gerade der Organisation amerikanischer Staaten und der lateinamerikanischen Nachbarn, dieses Problem nicht gelöst hatten. Herr Noriega hatte sich dieses Land zu eigen gemacht und mißbrauchte es in der fürchterlichsten Weise. ({3}) Ein niedrigerer Preis, um dieses Ungeheuer dort aus der Macht zu verscheuchen, war leider nicht möglich. Ich räume ein, daß die Rechtfertigung völkerrechtlich umstritten ist. Es gibt eine Grauzone auf diesem Gebiet. ({4}) - Meine Damen und Herren, Sie werden sich doch wohl noch an sachlichen Darlegungen erfreuen können. Es gibt bereits seit fast zwei Jahrzehnten eine Diskussion im Bereich der Vereinten Nationen über die Frage, ob Eingriffe zur Sicherung des Lebens eigener Staatsbürger in einem anderen Land - das ist der Entebbe-Fall, und das ist der Fall der amerikanischen Geiseln im Iran - völkerrechtlich akzeptabel sind, ja oder nein. Die Meinung der westlichen Staaten und Dr. Köhler ({5}) die Meinung vieler Staaten der Dritten Welt gehen in dieser Frage weit auseinander. ({6}) Ich teile deswegen die Auffassung des französischen Außenministers Dumas, daß dieses Thema, das Interventionsrecht, aufgearbeitet werden müßte. Die amerikanische Rechtfertigung mit Bezug auf den Kanal-Vertrag ist in dieser Hinsicht nicht völlig überzeugend, auch wenn sie manches für sich hat. Aber eines lassen Sie mich mit aller Klarheit sagen: Man kann die Regierung Endara und meines persönlichen Freundes - das gebe ich gern zu, Herr Volmer - Arias Calderon nicht als Marionettenregierung abqualifizieren. Es hat in Panama seit vielen Jahren keine Regierung gegeben, die eine bessere Qualifikation durch Wahlen erreicht hat als diese. ({7}) Man kann nicht hinwegleugnen, daß der überwiegende Teil des Volkes von Panama und diese Regierung die Besiegung und Verhaftung von Herrn Noriega als Befreiung empfinden und darüber im höchsten Maß zufrieden und glücklich sind. ({8}) Ich halte dies nach wie vor für eine Lösung, die einen zu hohen, einen schrecklichen Preis erfordert hat, Herr Stratmann. Aber ich wäre froh, sagen zu können, daß in der Geschichte der letzten Jahrzehnte solche Tyrannen und Gewaltherrscher anderswo zu geringerem Preis gestürzt worden seien. Ich würde mir an Ihrer Stelle dreimal überlegen, ob wir als Bürger eines Landes, in dem der finsterste Gewaltherrscher dieses Jahrhunderts nur um den Preis des Todes von vielen Millionen Menschen gestürzt werden konnte, weil wir es aus eigener Kraft nicht geschafft haben, legitimiert sind, in dieser Frage so zu sprechen, wie Sie es hier getan haben, ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Ich hoffe und glaube, wir sind uns in einer Frage alle einig: Noriega ist ein Strolch, ein gefährlicher Diktator. Ich war das letzte Mal im Januar 1988 in Panama und bin mit dem Eindruck zurückgekommen, daß es unter ihm keine korrekten Wahlen geben wird. Er hat die Chance korrekter Wahlen zerstört. Er hat sich am Drogenhandel entscheidend beteiligt. Aber er hat - auch darüber gibt es gar keinen Streit - bis vor nicht allzu langer Zeit als Mitarbeiter der Vereinigten Staaten gewirkt. Deswegen bin ich auf den Prozeß, den es geben wird, sehr gespannt. Eine zweite Bemerkung. Um den Strolch Noriega zu fangen, haben die Vereinigten Staaten die Aktion „Gerechte Sache" - so haben sie sie bezeichnet - durchgeführt. Dies war keine gerechte Sache, sondern eine militärische Intervention und ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht. ({0}) Wenn es in der Welt Verstöße gegen das Völkerrecht gibt, wo auch immer und von wem auch immer, dürfen wir nicht schweigen. Im übrigen wären wir sonst einer Gefahr ausgesetzt: Es gibt noch viele Strolche ({1}) - oder Verbrecher; das kommt auf dasselbe hinaus - in der Welt; wenn es jedesmal eine militärische Intervention mit vielen Toten gäbe, dann käme die Weltordnung sehr schnell durcheinander. Es hat viele Opfer gegeben, insbesondere unter der Zivilbevölkerung, und mit Bomben sind insbesondere die Häuser der Armen zerstört worden. Es geht aber auch um andere Verstöße gegen internationales Recht. Die Besetzung der Residenz von Nicaragua - ich respektiere es, daß der Präsident der Vereinigten Staaten sich dafür entschuldigt hat -, die sogenannte Beschallung - tagelang - der Botschaft des Vatikans, die Umzingelung anderer Botschaften - tagelang - gegen alles internationale Recht, die Festnahme von Diplomaten, all dies darf ein Land wie die Vereinigten Staaten nicht tun. Wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, unseren Freunden und Verbündeten das zu sagen. ({2}) Es geht nämlich auch um das Ansehen der Vereinigten Staaten in Lateinamerika, und niemand wird bestreiten können, daß dies in den letzten Wochen seit der Intervention schwer gelitten hat. Auch Leute wie Carlos Andres Pérez, ein großer Freund der Vereinigten Staaten, oder Oscar Arias haben dieses nicht hinnehmen können, was geschehen ist. Meine dritte Bemerkung: Die Bundesregierung hat Verständnis für die Haltung der Vereinigten Staaten aufgebracht. Ich sage hier: Wenn Völkerrecht verletzt wird, kann die Formulierung „Verständnis" bei mir nicht gelten. ({3}) Außerdem ist die Europäische Politische Zusammenarbeit leider auseinandergefallen: Spanien hat für die Verurteilung gestimmt, Griechenland und Island haben sich der Stimme enthalten, und die anderen Europäer haben dagegen gestimmt. Natürlich haben die Vereinten Nationen mit großer Mehrheit beschlossen. Jetzt kommt es auf folgende Punkte an: erstens den baldigen Abzug der Truppen der Vereinigten Staaten, zweitens die Wiedergutmachung dessen, was geschehen ist, wobei hinsichtlich der Menschen, die umgekommen sind, nichts mehr wiedergutzumachen ist, denn sie sind tot, drittens die absolute Einhaltung des Panamakanal-Vertrages, des Abkommens zwischen Torrijos und Carter, und viertens in geraumer Zeit die Durchführung von demokratischen Wahlen, wobei ich sicher bin, daß das Wahlergebnis der Regierung, die jetzt amtiert, die Mehrheit geben wird. Daran gibt es bei mir keinen Zweifel. Unter diesen Umständen sollten in überschaubarer Zeit Wahlen stattfinden. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, nur der Ordnung halber möchte ich sagen, daß Ausdrücke gefallen sind, die keine Präzedenzfälle für andere Diskussionsdebatten sind. In diesem Fall habe ich sie hier im Hause natürlich durchgehen lassen. ({0}) - Jeder weiß doch, worüber wir geredet haben. ({1}) - Ich denke, Sie haben mich verstanden. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weltweit purzeln glücklicherweise die Feindbilder. Manchmal ist das beängstigend, und da ist es natürlich ganz tröstlich, zu sehen, daß sich die GRÜNEN oder zumindest der Kollege Volmer ihre Feindbilder voll bewahrt haben und sie weiterhin ausbauen und pflegen. Herr Kollege Volmer, Obsession ist ein schwaches Wort für Ihre Fixiertheit auf die bösen, bösen Vereinigten Staaten. ({0}) Wie man die Situation in Panama hier ansprechen kann, ohne auch nur ein Wort auf die Opfer des Diktators Noriega und seines Regimes während der letzten Jahre zu verwenden, ist mir völlig unverständlich. ({1}) Es ist immer problematisch und kaum je vertretbar, wenn eine fremde Macht in andere Länder einmarschiert, wie es hier geschehen ist; aber wir müssen die Gesamtsituation sehen. Noriega war zumindest zum Schluß ein völlig unberechenbarer krimineller Amokläufer, Drogenhändler großen Stils, der das Land Panama einkassiert hatte, um es zum Umschlagplatz für Drogenhandel zu machen. Er hatte die Wahlen vom 7. Mai brutal annulliert, seine Gegner zusammenschlagen lassen. Ich sehe noch heute die blutüberströmten Gesichter der Oppositionellen vor mir, die gezwungen waren, immer wieder in der päpstlichen Nuntiatur Zuflucht zu suchen. Es war die Ironie des Schicksals, daß Herrn Noriega am Schluß kein anderer Weg blieb, als dorthin zu gehen, wohin er seine Opfer über Jahre getrieben hatte. Alles, was hier zur völkerrechtlichen Problematik gesagt worden ist, ist natürlich richtig. Insofern hat die Bundesregierung auch nicht gesagt, daß sie diesen Einmarsch billigt oder gar begrüßt. Sie hat geäußert - ich möchte mich dem hier ausdrücklich anschließen - , daß bei aller Problematik in dieser extremen Ausnahmesituation ein gewisses Verständnis herrschen muß. ({2}) Meine Damen und Herren, ich frage einmal: Welche Alternative hätte es denn gegeben? Hätten die USA zusehen sollen, wie Noriega weitere ihrer Soldaten abgeschlachtet hätte? ({3}) Es ist doch geschehen, es gab doch den Mord an den amerikanischen Soldaten, und es ist gesagt worden: Wir befinden uns im Kriegszustand. Meine Damen und Herren, ich habe unter den gegebenen Umständen schweren Herzens doch ein gewisses Verständnis für das, was hier geschehen ist. ({4}) Es hat aber keinen Sinn, daß wir jetzt diesen Vorfall hernehmen, um ideologische Voreingenommenheiten zu pflegen. Sie haben Rumänien erwähnt, Herr Kollege Volmer. Nehmen wir einmal an, die Armee in Rumänien wäre der Situation nicht Herr geworden und die Securitate hätte Menschen abgeschlachtet. ({5}) - Hätte weiterhin Menschen abgeschlachtet. Was hätten Sie gesagt, wenn in der Situation die Sowjetunion gesagt hätte: Wir müssen jetzt eingreifen? ({6}) Wir befinden uns in der Diskussion über Extremsituationen. Ich will es nicht rechtfertigen, ich sage es nur noch einmal. ({7}) - Ich habe gesagt, dies war eine Extremsituation. Noriega lief Amok. Er hat ein Parlament, das frei gewählt war, nicht zusammentreten lassen, er hat ein Scheinparlament ernannt, er hat sich selbst zum Regierungschef gemacht, nachdem er vorher einen Ministerpräsidenten aus dem Nichts heraus ernannt hatte, er hat seine Gegner zusammengeschlagen, hat angefangen, amerikanische Soldaten ermorden zu lassen, hat den Krieg erklärt, und da sagen Sie, das war keine Ausnahmesituation! Wir sollten es uns mit unseren moralischen Urteilen nicht ganz so einfach machen, wie Sie das im Vollbesitz der höchsten Moral und der tiefsten Erkenntnis immer tun. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Staatsminister Schäfer.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wissen aus zahlreichen Sitzungen des Plenums und des Auswärtigen Ausschusses, daß die Bundesregierung die Krise in Panama mit der gleichen Sorge wie der Deutsche Bundestag begleitet hat, seit sie im Sommer 1987 durch offenen Widerstand der demokratischen Kräfte Panamas gegen General Noriega zum Ausbruch kam. Sie wissen, daß es sich um eine dreifache Krise gehandelt hat, eine Krise der Demokratie, eine moralische Krise des Militärs und eine außenpolitische Krise im Verhältnis zu den USA. Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, daß die Krise im Juni 1987 erstmalig in ein akutes Stadium trat, nachdem General Noriega aus den Reihen des panamaischen Militärs selbst der Fälschung der Wahlen von 1984 und des Mordes an dem panamaischen Nationalhelden Torrijos beschuldigt worden war. Torrijos, darauf wurde hingewiesen, war 1981 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und zwar aus ungeklärten Gründen. Alte Verdachtsmomente erhielten neue Brisanz, neue kamen hinzu, insbesondere der Verdacht der Verwicklung Noriegas in den Rauschgifthandel. Seit dem 7. Mai 1989 hat sich das Noriegaregime durch die Sequenz von groben Wahlbeeinflussungsversuchen und massiver Wahlfälschung, auf die durch Kollege Irmer hingewiesen worden ist, endgültig und eindeutig demaskiert. Den Konsequenzen der offensichtlich erdrutschartigen Wahlniederlage konnte er sich nur durch Wahlannullierung entziehen. Mit dieser groben Mißachlung des demokratischen Volkswillens in Panama begann eine Akzeleration der Krise, die in der US-Intervention vom 20. Dezember 1989 ihren Endpunkt gefunden hat. Alle Versuche, Noriega zum Einlenken zu bewegen - daran darf ich noch einmal erinnern - , scheiterten. Lassen Sie mich an die OAS-Resolution vom 20. Juli erinnern, die vier Elemente vorschlug, nämlich Verzicht Noriegas auf seine Machtposition, Bildung einer Übergangsregierung, Neuwahlen in kürzester Frist, Aufhebung der US-Sanktionen, wobei auch der zuletzt genannte Punkt ausdrücklich von der US-Regierung mitgetragen wurde. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Bundesregierung diese Resolution gemeinsam mit ihren europäischen Partnern nachdrücklich unterstützt hat. Statt auf diesen Vorschlag einzugehen, forderte Noriega das panamaische Volk und die amerikanische Staatengemeinschaft heraus, indem er am 1. September zunächst einen Mann seiner Wahl und schließlich am 15. September 1989 sich selbst zum Staatschef ernannte. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wischnewski und Herr Kollege Volmer, man sollte das natürlich auch berücksichtigen bei Ihren Vorwürfen: Mit der Erklärung des Kriegszustandes mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die Herr Noriega zwei Tage vor der Intervention selbst abgegeben hat, und immer massiveren Drohungen gegen Angehörige der Opposition und amerikanische Staatsbürger trieb er die Krise unaufhaltsam auf die Spitze und gab ihr immer weniger kontrollierbare Brisanz. Die tödlichen Schüsse auf einen Angehörigen der US-Streitkräfte ließen in diesem Zusammenhang über den Einzelfall hinaus unkalkulierbare Gefährdungen befürchten. Gemeinsam mit ihren europäischen Partnern hat die Bundesregierung am 22. Dezember ihre tiefe Sorge über die Verluste an Menschenleben in Panama geäußert und den Wunsch zum Ausdruck gebracht, meine Damen und Herren, daß der Friede in diesem Land und die persönliche Sicherheit seiner Bürger wiederhergestellt werden, so daß der Übergang zu einer verfassungsmäßigen und demokratischen Ordnung möglichst schnell erfolgen kann. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Weg in die Demokratie für Panama nach mehr als 21jähriger Militärherrschaft nunmehr offen ist. Über der Frage der US-Intervention in Panama dürfen wir nicht vergessen, daß die neue Regierung von den panamaischen Politikern gebildet wird, die die eindeutigen Sieger der Wahlen vom 7. Mai gewesen sind und nur durch die Wahlmanipulationen Noriegas daran gehindert worden sind, ihr Amt anzutreten. ({0}) Sicher wird es trotzdem eine Wahl geben müssen, bei der auch klar wird, welche Parteien im einzelnen das neue Parlament bilden. Auch die Mehrzahl der lateinamerikanischen Staaten haben bei aller Kritik an der US-Intervention hervorgehoben - wir sind uns dieser Kritik durchaus bewußt - , daß es jetzt auf die Gewährleistung der Demokratie in Panama ankommt. So hat Präsident Arias von Costa Rica beklagt - ich zitiere - , daß man auf den Gebrauch von Gewalt zurückgegriffen hat, um einen Ausweg aus der Krise zu finden, die durch die Haltung einer absoluten und konstanten Verletzung der Menschenrechte des despotischen Regimes von General Noriega herbeigeführt worden war. Er äußerte die Hoffnung, daß der Frieden mit der schnellen Errichtung einer demokratischen Regierung in Panama wieder einkehrt. In diesem Sinne sollten alle für die Demokratie engagierten Kräfte zusammenarbeiten. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die militärische Intervention der USA mit 26 000 Soldaten in Panama war - Herr Kollege Schäfer und Uli Irmer, das muß hier deutlich gesagt werden - völkerrechtswidrig. Die Bundesregierung hätte sie, wenn sie die normalen Standards der Bewertung angelegt hätte, in der UNO-Vollversammlung genauso verurteilen müssen, wie dies die spanische Regierung getan hat. Das ist die Wahrheit. ({0}) Die Intervention war die Anwendung von Gewalt im Verhältnis zwischen Staaten im Sinne von Art. 2 Abs. 4 der Charta der UNO. Wenn die US-Regierung behauptet, man habe eingreifen müssen, um die Sicherheit von US-Bürgern zu gewährleisten - nur darauf haben Sie ja vorhin in Ihrem Redebeitrag abgestellt, Herr Köhler - , so ist das eine keineswegs fromme Lüge; denn die US-Soldaten waren ja offensichtlich eingesetzt, Noriega zu „fangen". Die USA sind aber nicht der Weltpolizist. Das müssen sie lernen. Diese Institution zur Regelung von Konflikten ist die UNO. Noriega zu ächten, der lange der bevorzugte Kooperationspartner US-amerikanischer Institutionen war, wäre Aufgabe internationaler Institutionen oder zumindest der allamerikanischen Institutionen gewesen. Diesen Weg haben die USA aber nie wirklich beschritten. Seien Sie einmal ehrlich: Es ging offensichtlich nicht um die Verbrechen Noriegas, die alle von uns hier kritisieren. Wenn es nämlich um solche Verbrechen ginge, warum liefert dann die amerikanische Regierung Waffen an die Militärs in El Salvador, da mit diesen Waffen doch Zivilisten in diesem Land umgebracht werden? Das sind ganz klar Verbrechen gegen die Menschen. Das wird von den USA unterstützt, weil es in das politische Konzept der USA paßt. Die USA haben in Panama mehr zertrampelt als die Teppiche der Residenz des nicaraguanischen Botschafters oder bei der spanischen Firma efe oder bei der spanischen Fluggesellschaft Iberia. Sie haben im Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika einen Schritt um 50 Jahre zurück getan. Das war in allen äußeren Formen das Verhalten von Kolonialherren und nicht das eines demokratischen zivilisierten Landes, dessen freiheitliche Tradition wir lieben. Einer Regierung wie der der UdSSR hätte das die zivilisierte Welt nicht durchgehen lassen. ({1}) Es hätte einen Aufschrei gegeben. Die Bundesregierung wertet und mißt mit zweierlei Maß. Die zivilisierte Welt kann doch nicht einerseits zu Recht jubeln, daß die Sowjetunion die Breschnew-Doktrin aufgibt und keinen ihrer Nachbarn mehr mit Gewalt auf ihren eigenen Weg ziehen will, ({2}) und andererseits gleichzeitig der Etablierung einer Bush-Doktrin kritiklos zusehen. Das ist unakzeptabel und nicht hinzunehmen. ({3}) Es ging bei diesem Verhalten der USA schließlich darum, daß sie ihr „Einflußgebiet" in Mittelamerika mit militärischer Gewalt markieren wollte. Lesen Sie doch alle Zeitungen! Präsident Bush mußte innenpolitisch beweisen, daß er kein Waschlappen ist. Das ist das typisch imperialistische Verhalten: wegen innenpolitischer Konflikte außenpolitische Aggressionen beginnen. Das ist unakzeptabel, das ist unerträglich. ({4}) Und den Lateinamerikanern sollte signalisiert werden: So kann es euch gehen, wenn ihr nicht spurt. Es ging um den Panamakanal, darum, daß der Panamakanal auch nach dem Jahr 2000 unter wirklicher Souveränität der USA bleiben sollte. Das war wohl der tiefere Sinn der ganzen Aktion. Es schmerzt mich, Herr Schäfer, den ich Sie sonst sehr schätze, daß Sie hier nicht deutlich gemacht haben: Die Zeit der Einflußzonen der Supermächte ist vorbei. Es ist gut, daß die Bipolarität der Welt endlich durchbrochen wird. Aber daraus kann nicht die Konsequenz gezogen werden, daß es künftig eine Einpolarität gibt, daß sich nämlich die amerikanische Regierung alles gestatten kann. Europäer - Uli Irmer, wo hast du deine Überzeugungen als Europäer gelassen? - und Lateinamerikaner haben beide ein gemeinsames Interesse an der Überwindung dieser Einflußzonen. Deshalb sollten sie sich zusammen engagieren und die wirklichen Probleme Lateinamerikas anpacken. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich erteile dem Herrn Abgeordneten Stratmann einen Ordnungsruf für eine beleidigende Äußerung gegenüber den liberalen Kollegen. Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich verstehe ja Ihr Anliegen, ausgerechnet die erste Aktuelle Stunde in diesem Jahr, in dem wir uns eigentlich über die aktuellen Probleme und Entwicklungen in Deutschland unterhalten sollten, zu nutzen, um von dieser insgesamt positiven Entwicklung abzulenken und das Augenmerk auf Mittelamerika zu richten. ({0}) Es ist wirklich ein Höhepunkt grüner politischer Kunst, damit das Jahr zu beginnen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die politische Lage in Panama vor dem 20. Dezember 1989 war doch - darüber sind wir uns einig - gekennzeichnet durch Wahlfälschung, durch Terror, durch Drogenhandel, durch Willkür und durch Folter, die Noriega persönlich vorgenommen hat. Die Kokain-Mafia hatte sich dieses Landes und seiner staatlichen Organisationen bemächtigt. Viele Monate hatten die Vereinigten Staaten von Amerika und die Nachbarländer mit allen verfügbaren und denkbaren Mitteln versucht, Noriega zum freiwilligen Rücktritt zu bewegen und die Einsetzung der am 7. Mai 1989 demokratisch gewählten Regierung zu ermöglichen. Die OAS, die Organisation Amerikanischer Staaten, war in diese Bemühungen mit eingeschaltet. Es gab zahlreiche diplomatische Initiativen, Kredite waren gesperrt und Handelsbeschränkungen verhängt worden. Die USA haben alles unternommen, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu erreichen. Erst nachdem das ohne Erfolg blieb, hat man bei dieser Auseinandersetzung, bei der Noriega den Schaden für seine eigene Bevölkerung, der ihm offenbar egal war, in Kauf genommen hat, zu Mitteln gegriffen, bei denen wir tatsächlich darüber streiten können, ob sie die richtigen waren. Nur sagen Sie, wenn Sie kritisieren, daß Noriega auf diese Art und Weise aus der von ihm usurpierten Macht gekommen ist, welche Mittel Ihnen eingefallen wären, um zu ermöglichen, daß die dortige demokratische Regierung in die Regierung kommt. ({2}) Wie ernst die Situation von der panamaischen Bevölkerung selber genommen wurde, hat doch die Reaktion hinterher gezeigt: Die gesamte Bevölkerung stand hinterher hinter der Intervention ({3}) - aber natürlich - , weil das für sie die einzige Möglichkeit war, auf das zu kommen, wofür sie gekämpft hatten, nämlich für die Demokratie in diesem Lande. Kollegin Wieczorek-Zeul, ich verstehe Sie wirklich nicht. Sie reden dauernd von den Amerikanern und bauen hier einen Popanz auf. Sie sprechen nicht von Noriega, und Sie sprechen nicht von seiner Rolle, die er für dieses Land gespielt hat. ({4}) Wer die amerikanische Intervention verurteilt, liebe Frau Kollegin, verurteilt leider damit auch zugleich den Sturz Noriegas. Das werden Sie, das kann ich nur hoffen, so jedenfalls nicht tun wollen. ({5}) Sie haben so undifferenziert gesprochen, und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, erst recht, daß ich diesen Schluß einfach ziehen muß. Ohne in eine völkerrechtliche Würdigung einzutreten, die übrigens auch die besonderen vertraglich festgelegten Hoheitsrechte der USA in der Panamakanal-Zone zu berücksichtigen hätte, muß die amerikanische Intervention auch als eine Art von Nothilfe anerkannt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gibt es zwei Dinge, die wir bedauern müssen. Das erste sind die Opfer unter der Zivilbevölkerung. Hier beginnt eigentlich das Petitum von unserer Seite, nämlich daß wir uns bemühen wollen, damit zu beginnen, beim Aufbau des Landes zu helfen. Nur, eines müssen Sie auch wissen: Die Hauptzerstörung an zivilen Einrichtungen wurden von den Noriega-Truppen begangen und nicht von den Amerikanern. ({6}) Noriega hat sich nämlich weniger mit den Amerikanern befaßt als damit, ein System der verbrannten Erde zu hinterlassen. Wir sollten den Blick darauf richten - und insoweit gebe ich allen recht, die sich hier zur völkerrechtlichen Lage geäußert haben - , und wir sollten uns wirklich daranmachen, uns zu überlegen, wie wir es verhindern können, daß Diktatoren vom Schlage eines Noriega eine Chance haben. Hierauf sollte die internationale Völkergemeinschaft eine Antwort wissen. Das könnte unsere Arbeit sein, aber nicht, heute gutzuheißen, was ein diktatorisches Regime dort betrieben hat. ({7}) Ich fordere die Herren und Damen von den GRÜNEN auf, ihre Klischees von der imperialistischen amerikanischen Politik gehen zu lassen. ({8}) Sonst setzen Sie sich dem Verdacht aus, daß Sie eine Fortdauer des Terror-, Willkür- und Foltersystems Noriegas bevorzugt hätten. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Volmer für zwei Minuten.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist völlig selbstverständlich, daß Noriega ein Verbrecher war, dessen Handlungen in keiner Weise und auf keinem Gebiet zu verteidigen sind. Daß die Wahlfälschungen zu verurteilen sind, ist ebenso offensichtlich. Aber daraus läßt sich überhaupt nicht ableiten, daß solche verbrecherischen Akte dagegen ins Feld geführt werden können, im wahrsten Sinne des Wortes. Mit all den Begründungen, die Sie gebracht haben, für die Notwendigkeit eines Eingreifens, läßt sich dieser Akt von Staatsterror, die Bombardierung der Zivilbevölkerung, nicht rechtfertigen. ({0}) Wenn ich die Ausführungen von Staatssekretär Schäfer sehe, kann ich nur sagen: Ich habe nichts anderes erwartet. Man kann doch von dieser Bundesregierung nicht erwarten, daß sie sich gegen die Vereinigten Staaten äußert. Aber ich hätte dies zumindest von einem Abgeordneten der FDP erwartet, nämlich von Herrn Irmer. Aber da stellt sich dieser Anwalt als politischer Anwalt hin und konstruiert etwas, was er den einmaligen Extremfall nennt, und daraus leitet er ab, daß ein Bombenteppich über ein Zivilquartier gelegt werden kann, dem 4 000 Leute zum Opfer fallen. Was heißt denn das? Das heißt, der außenpolitische Sprecher der FDP stellt sich hier hin und sagt: Die Ultima ratio im außenpolitischen Konflikt ist die Bombardierung der Zivilbevölkerung. Ich möchte, daß Sie das jetzt zurücknehmen, Herr Irmer. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir drängt sich der Ein14464 druck auf, wenn ich die Bundesregierung und auch die Regierungsfraktionen höre, daß Sie nach dem Motto verfahren: Right or wrong, my ally - richtig oder falsch, egal was der beste Verbündete tut, wir kritisieren ihn nicht. Das ist bedauerlich. Das unterminiert auch Ihre Glaubwürdigkeit. ({0}) Wir betrauern die Noriega-Opfer. Aber ich hätte genauso erwartet, daß Sie auch die Opfer der US-Invasion und US-Intervention betrauern. ({1}) Das gehört genauso dazu. Ich habe mich an ihn gewandt. Noriega, dieser Undemokrat, Noriega, der - so Bush - unsere Kinder mit Rauschgift tötet, ist gefaßt und befindet sich jetzt in den USA in Haft. So verständlich die Genugtuung darüber bei Bush und auch anderen sein mag: billigen kann man die gesamte Aktion dennoch nicht. Wozu würde es führen, wenn z. B. das Argument von der Nothilfe angeführt würde. Das habe ich schon einmal von der damals noch andersgearteten Sowjetunion gegenüber der CSSR gehört; das habe ich gegenüber Afghanistan gehört. Wir haben dies von Anfang an kritisiert. ({2}) Mit diesem Argument begeben Sie sich in ganz gefährliches Fahrwasser. Sie öffnen einer Faustrechtpolitik Tür und Tor - besonders den Staaten, die militärisch, machtmäßig, dazu in der Lage sind -, zu beurteilen, welches Land oder welches Ländchen dem eigenen Zivilisationsmuster entspricht. Das können wir nicht gutheißen. ({3}) Was kann man tun? - Man kann u. a. stärker als bisher internationale Institutionen, den Sicherheitsrat bei den Vereinten Nationen und auch die OAS, stärken. Was willst du denn machen? Nur sagen, es müsse weiter interveniert werden, wo einem das Regime nicht gefalle? Wird die Bundesregierung bald in Malawi intervenieren, wo eine Ein-Mann-Diktatur errichtet worden ist? Ich will den Diktator dort weghaben, aber ich kann niemals sagen: Wir müssen jetzt die Bundeswehr losschicken, um ihn dort zu beseitigen. Ich sage nochmals: Dann haben wir Mord und Totschlag in der Welt. Das widerspricht auch dem, wie es die Bundesregierung nennt, daß auf Gewalt als Mittel der Politik zu verzichten ist. ({4}) Die Intervention ist völkerrechtswidrig. Auch die Verhaftung Noriegas durch die USA ist ungefähr so legal, wie wenn der Ayatollah Khomeini die Festnahme des Schriftstellers Salman Rushdie auf dem Boden Großbritanniens angeordnet hätte, um ihn dann im Iran wegen Gotteslästerung vor Gericht zu stellen. - So sagt es Alfred Rubin, der an der angesehenen Fletcher US-School of Law and Diplomacy den Lehrstuhl für Völkerrecht hat. Wissen Sie, daß ich jetzt von Ihnen höre, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung als Rechtfertigung der Intervention auch auf die Kriegserklärung Panamas verweist, das erstaunt mich sehr. Diese Begründung wird noch nicht einmal von der US-Regierung selber angeführt. Die US-Regierung, die in Lateinamerika seit 1823, seit der Monroe-Doktrin, mehr als 100mal blutig intervenierte, hat im 20. Jahrhundert, als Argument immer angeführt, in den Ländern drohe die Hegemonie der Sowjetunion. Es war der Antikommunismus, der angeführt wurde. Jetzt hat man nach dieser Entspannungsphase nicht mehr dieses Argument. Nun wurden folgende vier Argumente vorgebracht - aber nicht die Kriegserklärung -: ({5}) Schutz des Lebens von US-Bürgern, Sorge um die Kanalverträge, Hilfe bei der Wiederherstellung der Demokratie und Ergreifung des Drogenhändlers Noriega. Wie wird das etwa von dem damaligen US-Präsidentschaftskandidaten George McGovern sowie 68 anderen Politikern und Prominenten in den USA beurteilt? Sie haben in einem offenen Brief an Bush geschrieben: Ihre Invasion in Panama ist illegal, eine Verletzung der US-Verfassung, der UN-Charta, der Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten und der Panamakanal-Verträge. Dadurch würde die Glaubwürdigkeit der USA beschädigt. - Seien Sie doch nicht noch „busher" als Bush selbst! ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal nicht nur an den Kollegen Holtz die Bemerkung, daß wir alle Opfer bedauern, die Noriegas und auch die der amerikanischen Invasion; das sollte klar sein. Wenn eine solche Aktuelle Stunde beantragt wird, dann fragt man sich: Welchen Zweck hat sie? Es ist ganz offenkundig, daß der Zweck von seiten der GRÜNEN gewesen ist und noch ist, die Amerikaner anzugreifen, zu diskreditieren, ihnen die Meinung zu sagen. ({0}) Wenn das in einer derartigen Weise geschieht, wie das durch Herrn Volmer gemacht worden ist, dann ist man in einer schwierigen Situation. Man wird manchmal gewissermaßen gezwungen, eine Rolle zu verteidigen, wo man es so deutlich vielleicht nicht tun wollte. Aber ich bitte um Verständnis: Das, was hier gegenüber den Amerikanern geschehen ist, ist ebenso unerträglich wie falsch. ({1}) Meine Damen und Herren, man ist doch in der Politik oftmals in der Situation, daß man zwischen zwei Übeln wählen muß oder daß man zwei Übel in Kauf nehmen muß. So ist es wohl auch hier bis zu einem gewissen Grade gewesen, und wir sollten uns sagen: Die Sache ist vorbei, die man eine „Gerechte Sache" genannt hat, obwohl das nicht überall so verstanden wurde, und vielleicht mit gutem Grund. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, ich kenne viele - auch und gerade von den hier schon zitierten Südamerikanern, die hohe Positionen haben - , die sich auf der einen Seite ungemein darüber freuen, daß die Amerikaner das gemacht haben, was sie gemacht haben, die nun aber auf der anderen Seite wieder die Chance haben, die Amerikaner in die Pfanne zu hauen. Das ist eine Philosophie, die nicht meine eigene ist, aber das spürt man doch allenthalben. Ich finde, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie das denn im Ergebnis zu sehen ist. Was ist passiert? Es gibt einen Diktator - einen blutrünstigen Diktator, der zum Teil selber exekutiert hat - weniger auf der Welt. ({3}) - Sehen Sie, Sie machen es sich wirklich ein bißchen zu einfach. Wir sind post festum bei einer Bewertung und Abwägung. Wenn ein Diktator weniger vorhanden ist - und wenn ich es richtig sehe, gibt es so etwas nur noch in Kuba und in Nicaragua; in Chile wird es ja bald vorbei sein - , wird man immerhin eine insgesamt positive Tendenz sehen, und das war ja auch ein erklärtes Ziel der Vereinigten Staaten. ({4}) Zweitens gibt es einen gefährlichen internationalen Drogenhändler weniger. Wenn man weiß, was der Drogenhandel für die Menschheit bedeutet, auch und insbesondere in Nordamerika, weiß man, welche Last mit diesem Herrn jetzt weggenommen ist. ({5}) Aber dies, was man positiv nennen kann, wird eben durch das überschattet, was an Opfern vorhanden ist. Jedermann wird bei all dem sagen müssen, daß sich natürlich die Frage nach Ziel und Mittel stellt. Das ist doch ganz selbstverständlich. In der Politik geschieht das ja auch oft genug. Also sage ich: Da ist viel Positives, aber es bleibt ein Stück Bitterkeit. Insofern muß man sich Gedanken darüber machen, ob das alles so richtig gewesen ist und wie es weitergehen soll. Der Kollege Wischnewski hat ja besonders auf die Frage hingewiesen: Was muß jetzt passieren? Herr Kollege, Sie haben gesagt: Abzug, okay; Sie haben gesagt: Wiedergutmachung ist erforderlich. Ich füge hinzu, daß - auch das ist schon gesagt worden - nicht der Eindruck entstehen darf, daß die jetzige Regierung gewissermaßen von Gnaden der Amerikaner regiert. ({6}) - Nein, nein, ich sage das. - Deshalb ist es gut, wenn wiederum freie Wahlen stattfinden. Das wäre für die Legitimation der neuen Regierung gut und würde den Erfolg, was die Wiederherstellung von Demokratie betrifft, abrunden. Des weiteren greife ich etwas auf, was der Kollege Lowack angedeutet hat, und ich meine, darüber sollten wir ernsthaft nachdenken. Herr Irmer hat mit einem Beispiel auch darauf verwiesen: Was hätten Sie denn im Falle Rumäniens, wo es ja an einem seidenen Faden hing, gemacht, wenn die Russen zugunsten einer demokratischen Entwicklung eingegriffen hätten? Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie die internationale Gemeinschaft mit solchen Verbrechern wie Ceausescu und Noriega fertig wird. Wir haben das Instrumentarium nicht! Hauen Sie doch nicht nur die Vereinigten Staaten in die Pfanne, nachdem die festgestellt haben: Alles andere hat nicht funktioniert, und jetzt müssen wir irgend etwas tun. So einfach ist das nicht! Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir einen Ausweg aus solchen Situationen finden. Ich meine, das sind die Lehren, die man aus einer abgewogenen Bewertung ziehen sollte. Man darf nicht einfach den Versuch machen, hier mit einer Aktuellen Stunde einen in die Pfanne zu hauen, und damit hat es sich dann. So geht es nicht! ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Kollegen! Es ist erfreulich, daß durch differenzierte Beiträge von seiten der Opposition noch einmal darauf hingewiesen worden ist, wie schwierig doch die Beurteilung dieser Lage ist, und ich bin auch Herrn Lummer für seine letzten Bemerkungen außerordentlich dankbar. Selbstverständlich, lieber Uwe Holtz, beklagen wir die Opfer. Wir beklagen aber auch die Drogentoten, die Tausende und Abertausende von Drogentoten, die u. a. Leute wie Noriega auf dem Gewissen haben. ({0}) Wir sollten diese Gelegenheit auch dazu nutzen, Überlegungen hinsichtlich der politischen Folgen anzustellen. Eines wissen wir: Noriega hätte sich nicht so lange halten können - unter der teilweisen Zustimmung in seinem eigenen Land und von benachbarten Ländern - , wenn es ihm nicht gelungen wäre, sich als „nationaler David" gegenüber dem ,,imperialistischen Goliath" USA aufzuspielen und immer wieder in Szene zu setzen. ({1}) Das ist ein Problem. Die USA sollten selbstverständlich darüber nachdenken, wie sie in Zukunft mit ihren südlichen Nachbarn, speziell denen in Mittelamerika, verfahren. Glücklicherweise löst sich der Ost-West-Konflikt auf bzw. ist bereits zum großen Teil aufgelöst. Dieser Ost-West-Konflikt hat eine ganz besonders abscheuliche Konsequenz gehabt: nämlich daß die Super14466 mächte in anderen Regionen, z. B. in der Dritten Welt, Stellvertreterkriege geführt haben. ({2}) Jetzt kommt es darauf an, die Auflösung und die Überwindung des Ost-West-Konfliktes auch dazu zu nutzen, weltweit die regionalen Konflikte zu beseitigen und aufzulösen. ({3}) Die Konsequenz ist natürlich, daß sich die Amerikaner künftig strikt heraushalten müssen, sich insbesondere militärischen Interventionen oder auch Unterstützungen der Contra und all diesem enthalten müssen. ({4}) Auch das muß für uns eine Lehre aus der Panamageschichte sein. ({5}) - Lieber Herr Volmer, ich hatte vorhin nur fünf Minuten Zeit und hatte Mühe, meinen Unwillen über Ihre undifferenzierte Betrachtungsweise zu zügeln. Da reichen fünf Minuten fast gar nicht aus. ({6}) Ich wollte in der zweiten Runde etwas zu dem politischen Gesamtzusammenhang sagen. Ich glaube, wir sollten unseren amerikanischen Freunden folgendes sagen: wir erwarten von ihnen, daß sie die Auflösung des Ost-West-Konfliktes als einen Neubeginn auch zur Lösung der regionalen Konflikte, insbesondere der Lage in Mittelamerika, betrachten. ({7}) Es ist auf die Dauer gesehen schlicht nicht hinnehmbar, daß statt sozialer Reformen, deren Ausbleiben ja die Ursache aller Probleme auch in dieser Region ist, daß statt soziale Konflikte zu lösen versucht wird, durch Macht, Einflußnahme und Pression die jetzige Situation in einer Gegend aufrechtzuerhalten, die es längst verdient hat, selbständig zu sein, auf eigene Füße stehen zu kommen und unabhängig zu sein. Da ist allerdings - Heidi, da gebe ich dir vollkommen recht - in erster Linie die Europäische Gemeinschaft gefordert. Gerade weil die Amerikaner durch ihr Verhalten in der Vergangenheit dort diskreditiert sind und es schwer haben, als seriöser und hilfsbereiter Partner akzeptiert zu werden, bietet sich hier eine große Aufgabe für die Europäische Gemeinschaft, die bereits begonnen hat, aktiv zu werden. Auch für Panama - ganz zum Schluß - ist jetzt ein hoffnungsvoller Neubeginn möglich. Ich stimme denen zu, die gesagt haben, es sollte dort möglichst bald erneut freie Wahlen geben. Die bisherige Opposition wird diese Wahlen gewinnen, kein Zweifel. Panama kann damit an die Rolle anknüpfen, die es früher siehe den Namen „Contadora" - in der gesamten Region als ein Friedensfaktor gespielt hat. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Äußerungen meines Kollegen Uwe Holtz veranlassen mich zu einer Erwiderung. Ich kann Ihnen nur empfehlen, meine Rede sehr genau zu lesen. Sie werden mir natürlich sofort vorwerfen, das sei der subtile Stil des Diplomaten, der sich vor klaren Verurteilungen zurückziehe. Aber ich würde Sie bitten, doch noch einmal sehr genau nachzulesen. ({0}) Wenn Sie meine Rede sehr genau lesen, dann können Sie meinen Hinweis auf das Faktum, daß Herr Noriega so dumm war - lassen Sie mich das sagen -, sich zwei Tage vor der amerikanischen Intervention im Kriegszustand mit den Amerikanern zu erklären, nicht als Rechtfertigung der Intervention betrachten. Das können Sie hier nicht hinwegdiskutieren. ({1}) Damit habe ich - entschuldigen Sie, bitte - das amerikanische Verhalten nicht gerechtfertigt; das haben Sie behauptet. Ich habe gesagt, daß Herr Noriega geäußert hat: Ich befinde mich im Kriegszustand mit den Vereinigten Staaten. Daran führt doch kein Weg vorbei, Herr Kollege. ({2}) - Damit habe ich nichts gerechtfertigt, sondern lediglich darauf hingewiesen, daß man nicht einfach sagen kann: Völkerrechtswidrig. Wer praktisch den Krieg erklärt, ist auch für die Konsequenzen mit verantwortlich. Ich will hier keine Debatte über diese Frage führen, Herr Holtz. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Es geht nicht um die Rechtfertigung einer militärischen Intervention durch die Bundesregierung, sondern darum - ich war bei dem Treffen der europäischen Außenminister in Paris dabei - , daß sich die EG über einen Text verständigen mußte und dabei genau mit den gleichen Schwierigkeiten zu tun hatte, wie das öfter der Fall war, daß es nämlich einige gegeben hat, die eine schärfere Gangart verlangt haben, während andere gesagt haben: überhaupt keine Resolution. Wir haben uns zu zwölft auf einen Text verständigt, der auf die Zukunft zielt und in dem steht: Die Demokratie muß jetzt in Panama wiederhergestellt werden. Alles andere, was Sie in meine Rede hineinzuinterpretieren versucht haben, ist schlicht und einfach falsch. Es ist ja überdies auch erlaubt, daß man sich des Umweges bedient, einen anderen Politiker zu zitieStaatsminister Schäfer ren, was ich im Zusammenhang mit diesem Ereignis in meiner Rede getan habe. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die USA selber haben ja am Tag nach dieser merkwürdigen Kriegserklärung - die nicht Noriega selber abgegeben hat, sondern irgendeine seiner komischen Versammlungen - diese als lächerlich bezeichnet. Aber ich denke, das ist ein Streit, den die USA möglicherweise noch einmal in Den Haag führen werden. Das Völkerrecht ist sicher die gefährdetste Pflanze, die die internationalen Beziehungen hervorgebracht haben. Ich denke, daß sie in den 90er Jahren sehr stark bedroht sein wird erstens durch die Fortführung solchen Typs von Interventionspolitik, die immer ganz beliebig ist; zweitens durch den sich auf Fundamentalismus berufenden Terrorismus; drittens durch die Aushöhlung der Souveränität von Staaten durch solche Syndikate und Drogen-Mafia, wie wir das in Kolumbien erleben und wo wir nicht mehr wissen, wer eigentlich der Staat ist. ({0}) Das sind die drei Elemente, die die Souveränität der Staaten bedrohen, die ja immer eine anerkannte Fiktion ist. Wir anerkennen im Völkerrecht, daß ein Staat wie die Dominikanische Republik - Sie wissen, warum ich sie erwähne - völkerrechtlich sozusagen das gleiche Gewicht hat wie die Vereinigten Staaten. Davon leben wir, und davon lebt brüchiger Friede. Ich habe ein einziges Mal gemeint - ich habe das auch geschrieben; ich beobachte das nun seit Mitte der 50er Jahre -, es müsse in einer gemeinsamen Aktion der Großmächte eine Intervention stattfinden. Das war im Fall Kambodscha, als eineinhalb Millionen Menschen auf Grund einer brutalen Staatsideologie umgebracht wurden. Ein Volk war dabei, sich selbst zu vernichten. Die drei Großmächte waren nicht in der Lage, auch nur Gespräche über eine solche Intervention zu führen. Vielmehr hat sie dann Vietnam durchgeführt, und es ist deshalb dann angegriffen worden. Vietnam hat diesen Selbstvölkermord, diesen Selbstgenozid gestoppt. Das ist der Fakt. Wenn wir jetzt über Panama reden - ich finde es bedauerlich, in welcher Form Begründungen vorgetragen worden sind - , müssen wir uns diese Geschichte doch vor Augen halten. Jetzt unterstützen verschiedene unserer engsten Freunde in einer nicht zu verantwortenden Art wieder eine Situation, die so aussieht, daß die Roten Khmer kurz vor dem Sieg stehen. Ich möchte einmal wissen, wer intervenieren wird, falls die Roten Khmer wieder mit diesen Massakern anfangen. Vor diesem Hintergrund bitte ich die Vorgänge zu beurteilen, mit denen wir es hier zu tun haben. In Kabul - war dem Taraki vorgeworfen worden - er konnte es nicht widerlegen - , ungefähr 40 000 Afghaner auf seinem Gewissen zu haben. Dann sind die Sowjets einmarschiert, und es sind wahrscheinlich 1 Million Menschen umgekommen. Wir haben das von Anfang an kritisiert. Aber der, der gemeint war und der ersetzt wurde durch einen Präsidenten, den die Sowjets im Kriegsgepäck hatten, hatte sehr, sehr viele Menschen umbringen lassen. Das heißt, wir können und dürfen niemals so argumentieren, wie hier argumentiert wurde. Wir kommen in des Wortes Sinne in Teufels Küche, nämlich in die Hölle permanenter Gewalt und der Auflösung dessen, was wir als Völkerrecht tragen. Nun zu den Vereinigten Staaten. Jemand, der schon als Schulkind gesehen hat - wahrscheinlich wie viele im Saal -, was wir als Deutsche an Demokratie von dort haben lernen können, hat eines immer bedauert: daß es aus der amerikanischen Geschichte heraus wenig Verständnis für die völkerrechtliche Verbindlichkeit von Grenzen und die Souveränität gibt, daß Außenpolitik dort immer Innenpolitik war. Das war im ganzen 19. Jahrhundert so. Nun kommt eine neue Kategorie hinzu, nämlich Außenpolitik mit Hilfe des Fernsehens. Außenpolitik mit Hilfe des Fernsehens kann das Gefährlichste und das Fundamentalistischste werden, was uns droht. Wenn die erste Gruppe der amerikanischen Soldaten, die in die USA zurückgeflogen wurden, über ihrem Heimatflughafen per Fallschirm abspringen, weil man das besser filmen kann und weil es den Auftritt eleganter macht, dann kommen wir in eine FernsehAußenpolitik, die ausschließlich innenpolitisch gemeint ist. ({1}) Die Beschallung einer Botschaft mit den Kulturgütern der eigenen Popmusik ist eine Art von Radio- und Fernsehpolitik, die wir nicht erlauben dürfen, die wir auch für uns nicht akzeptieren dürfen. Ich hoffe sehr, daß es in den Vereinigten Staaten zu vielen Gesprächen mit Politikern kommt, auch wenn wir sagen: Ihr müßt jetzt einiges akzeptieren lernen - was für euch 200 Jahre lang so schwer war. Es war doch leicht, Außenpolitik zu machen, wenn man den einen großen Gangster jeweils im Kreml sitzen hatte. Die Gangsterjagd auf Gaddafi als Westernfilm, die Reduktion von Politik auf eine Person als Feind und deren Ergreifung - unter Bruch von Völkerrecht - ist ein außerordentlich gefährliches Mittel, wenn man es mit einem 250-Millionen-Volk zu tun hat, das die mächtigste Nation der Welt, die größte Militärmacht der Welt und unser Freund ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich habe so ein bißchen geguckt, wie lange die Bundesregierung geredet hat. Wenn ich nur noch einen Satz sagen darf, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann reden Sie den einen Satz noch!

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wäre gut, wenn alle Kollegen ihre heutigen Wortbeiträge - in verständlichem Zorn auf Noriega gemacht - noch einmal überprüfen und wir uns gemeinsam überlegen, wie wir grundsätzlich zu diesem Typ, so würde ich einmal sagen, von neuer Qualität von außenpolitischen Mitteln stehen - man könnte es fast so eine Art von Marilyn-Monroe-Doktrin nennen - und ob wir nicht gemeinsam etwas entwickeln können, was das behindert. Ich danke, auch der Präsidentin, für die Geduld. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Dr. Pohlmeier.

Dr. Heinrich Pohlmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Duve, ich bin Ihnen eigentlich dankbar dafür, daß Sie eine gewisse Nachdenklichkeit in diese Debatte hineingebracht haben. Was die Opposition - vor allem der Kollege Volmer - ansonsten geboten hat, ist erschreckend. ({0}) weil es dieser wirklich tragischen Situation in Panama damit doch in keiner Weise gerecht geworden ist. ({1}) - Tragische Situation, Herr Volmer, deswegen, weil - und jeder hat das ja, unbestritten, hier gesagt - ein verbrecherischer Diktator in Panama sein eigenes Volk unterjochte und weil - ich sage es noch einmal; wir alle bedauern das - diese amerikanische Aktion Opfer gekostet hat. Und ich gestehe zu, daß wir Mittel, Methoden und Begleiterscheinungen dieser amerikanischen Aktion sicher keineswegs so billigen können. Auf der anderen Seite habe ich aber - und das ist noch nicht gesagt worden - auch die Fernsehbilder vor Augen, daß die Panamaer jubelten, als sie nun endlich vom Diktator Noriega befreit waren. Ich habe also die Bitte: Wenn wir uns schon darum bemühen, dieser Situation gerecht zu werden, dann wollen wir hier doch bitte das ganze Bild in den Blick nehmen. Die Bewertung der amerikanischen Aktion ist in der Welt sicher sehr unterschiedlich ausgefallen. Ich möchte nur auf folgende Aspekte hinweisen: Wir alle kennen die außerordentlich starken Emotionen der Lateinamerikaner gegen die Gringos „da oben im Norden". Aber ich frage Sie: Haben wir Deutsche und wir Europäer denn Anlaß, angesichts dieser Emotionen, die in tragischer Weise - vielleicht in verhängnisvoller Weise - den westlichen Kontinent Amerika zu spalten drohen, noch in die gleiche Kerbe zu hauen und das Feuer hier noch anzuheizen, Herr Volmer? ({2}) Ich beobachte in vielen lateinamerikanischen Ländern und in der ganzen Welt, daß es eine linke Truppe gibt, die, Herr Volmer, überall, wo sie kann, mit Fleiß versucht, das Feuer, die Emotionen gegen die Amerikaner zu schüren bzw. zu stimulieren. ({3}) Meine Damen und Herren, wir sollten an Panama denken, wir sollten an die panamesische Bevölkerung in dieser Situation, in dieser Stunde denken. Wir erwarten, daß die Amerikaner entschlossene, umfangreiche, großzügige Aufbauhilfe für dieses Land leisten. Wir meinen, daß die Regierung Endara, die derzeit im Amt ist, demokratisch legitimiert ist. Gewiß, Wahlen sollten in angemessener Frist stattfinden, um das auch rechtlich festzumachen. Wir als Europäer und wir als Deutsche sollten diesen politischen Prozeß der Demokratie in Panama mit allen Mitteln unterstützen. Wir sollten auch bereit sein, meine Damen und Herren, wieder deutsche Wirtschaftshilfe zu geben, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Panama wiederaufzunehmen. Wir haben sicher zu Recht diese Wirtschaftshilfe vor zwei oder drei Jahren gestoppt. Ich möchte die Bundesregierung bitten, ernsthaft darüber nachzudenken, welche Mittel wir lockermachen können, um jetzt sinnvolle Aufbauarbeit in Panama zu leisten. Ich glaube, daß uns dieser Fall Panama über diesen Tag und über diesen Anlaß hinaus veranlassen sollte, darüber nachzudenken, wie die Konflikte gerade in der Dritten Welt - Herr Kollege Irmer hat in seinem Beitrag darauf noch einmal hingewiesen - , die schlimm, verheerend, chaotisch und katastrophal werden können, gemildert werden können. Das Wort Kolumbien ist schon gefallen. Wenn in Kolumbien Recht, Ordnung, Souveränität überhaupt zusammenbrechen, was, bitte, ist dann zu tun? Wenn UNO, Sicherheitsrat, OAS und alle internationalen Organisationen eklatant versagen, lieber Kollege Holtz, was soll man dann tun? ({4}) Ich sehe solche Situationen vermehrt auf uns zukommen. Deswegen bin ich auch sehr wohl bereit, solchen Ideen und Gedanken zu folgen, wie wir eine neue internationale Rechtsordnung, aber auch eine Ordnung, die faktisch greift, miteinander schaffen können. Ich glaube, daß auch wir, die Bundesrepublik Deutschland, dazu einen Beitrag leisten sollten. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich richtig, daß hier kritisch über die Folgen dieser Intervention nachgedacht wird, weil man die Befürchtung hat, daß dieses in bestimmten Situationen zu einer Rechtfertigung mißbraucht wird, von der wir alle der Auffassung sind, daß sie nicht zulässig ist. Es ist sicher auch richtig, daß die vielen Toten zu beklagen sind, wobei ich es allerdings für sehr bedauerlich halte, daß der Kollege Volmer bei seiner Zahlenakrobatik hier Vergleiche zu dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens anstellt. Ich glaube, das ist unangebracht. ({0}) - Sie haben dieses Zitat ausgewählt, und Sie haben es hier freiwillig gebracht. Trotzdem ist es richtig, glaube ich, daß hier auch darüber nachgedacht wird, wie die Menschen in Panama, das betroffene Volk, diese Situation, vor allem das Ergebnis, bewerten. Die Haltung der jetzt Regierenden ist ebenfalls darzustellen, auch, warum es dazu gekommen ist: Zum ersten muß man schon zur Kenntnis nehmen, daß trotz der tragischen Verluste an Menschenleben durch die amerikanische Militärintervention die Befreiung des Landes von diesem Diktator Noriega durch die Amerikaner auf die übergroße Zustimmung der Bevölkerung Panamas trifft. Das ist, wie berichtet wird, auch in den Elendsvierteln der Fall. Wer weiß, wie leicht auf Grund der Geschichte in Panama antiamerikanische Emotionen zu schüren sind, dem sollte diese positive Aufnahme der Intervention in der Mehrheit der Bevölkerung schon zu denken geben. Zweitens. Die Bevölkerung Panamas ist dankbar, daß die in den Wahlen vom 7. Mai gewählten Staatsmänner Endara, Arias Calderon und Ford jetzt die Regierungsverantwortung übernehmen konnten. Sollte es zu baldigen Wahlen kommen, wird, da bin ich sehr sicher, auch in den Elendsvierteln deutlich werden, daß dieses eine Regierung ist, die das Vertrauen der Bevölkerung besitzt. Ich gehe vor allen Dingen deswegen davon aus, weil bekannt ist, daß diese Politiker die militärische Intervention nicht wollten - das haben sie vorher oft genug gesagt - und daß sie fünf Stunden vorher, als die Intervention bereits in Marsch gesetzt worden war, den Amerikanern gesagt haben, daß sich diese Aktion auf folgende Punkte zu beschränken habe und die Amerikaner dies auch akzeptiert haben: erstens Demokratisierung Panamas, zweitens Einhaltung des Torrijos-Carter-Vertrages zum Kanal, drittens Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte, viertens wirtschaftlicher Wiederaufbau, fünftens Ende der Verwicklung in das internationale Drogengeschäft und sechstens Umstrukturierung der Streitkräfte. Bekanntlich ist es so - das müssen wir einmal betonen -, daß die Amerikaner nicht gerufen worden sind. Aber man muß auch feststellen, wie die Situation vorher war, wie die Realität war. Man muß wissen, daß die bürgerliche Opposition, die Crucada Civilista, seit zwei Jahren versuchte, einen Umsturz gewaltfrei herbeizuführen. Es ist einfach Polemik, wenn man sagt, das sei nur eine Demonstration oder eine bürgerliche Revolte gewesen. Das war auch von den Leuten aus den Armenvierteln mitgetragen. Man muß wissen, daß Noriega, diesem Verbrecher und immer blutiger, immer irrsinniger werdenden Tyrannen, viele Vorwürfe gemacht werden mußten und konnten, wovon jeder einzelne zu einer erfolgreichen Verurteilung geführt hätte: Abschaffung der Pressefreiheit, Drogenhandel, wiederholte Verletzung der Menschenrechte und der Verfassung, Unterdrückung des Wahlergebnisses vom 7. Mai, Folterung und Ermorderung derjenigen, die für den Aufstand vom 9. Oktober verantwortlich gemacht worden sind, Einsetzung eines Marionettenparlaments und Selbsternennung zum Staatschef am 15. Dezember. Praktisch blieben nur zwei Alternativen zur militärischen Intervention, nachdem die friedliche Revolution keinen Erfolg hatte - das muß man alles mit erwägen, wenn man sich aufschwingt, die USA zu verurteilen, was wir nicht machen - : nämlich Fortsetzung der Diktatur Noriegas, die immer unberechenbarer, brutaler und blutiger wurde, oder Beginn eines Bürgerkrieges. Das war die Alternative. Vor dieser Alternative ist das Volk Panamas durch die Intervention der Amerikaner bewahrt worden. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 18. Januar, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.