Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/15/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren. Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht auf Drucksache 11/6084 zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 14 und den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung über den Begriff des Arbeitsumfelds und den Anwendungsbereich von Artikel 118a des EWG-Vertrags - Drucksachen 11/3899, 11/5997 Berichterstatter: Abgeordneter Fuchtel ZP Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/89 - Drucksache 11/6084 Es handelt sich um Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament auf Drucksache 11/5997. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/6084. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen angenommen. Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Scheer, Dr. Soell, Verheugen, Bahr, Fuchs ({2}), Horn, Gansel, Jungmann, Stobbe, Voigt ({3}), Catenhusen, Matthäus-Maier, Schäfer ({4}), Bachmaier, Dr. Ehmke ({5}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten - Drucksachen 11/2202, 11/5705 Berichterstatter: Abgeordnete Lummer Dr. Scheer Dr. Lippelt ({6}) Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Als erster Redner in der Aussprache hat das Wort der Abgeordnete Herr Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Sommer 1990 wird die vierte und vorläufig letzte Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag stattfinden. Dieser Vertrag, der am 1. Juli 1970 in Kraft trat, hat eine vorläufige Geltungsdauer bis zum Jahr 1995. Der Atomwaffensperrvertrag ist das bisher wichtigste internationale Vertragswerk gegen Atomwaffen. Seine Bedeutung wird heute weithin unterschätzt. Sein Bestand ist gleichzeitig in großer Gefahr, und dies hängt mit der gegenwärtigen Unterschätzung seiner Bedeutung zusammen. Gegenwärtig gibt es fünf offizielle Atomwaffenstaaten und mit Israel einen weiteren inoffiziellen Atomwaffenstaat. In den 90er Jahren droht die Verbreitung von Atomwaffen auf weitere Staaten, die sich in Weltregionen befinden, die schon seit Jahren spannungsgeladener sind, als es der Ost-West-Koflikt in Europa seit den 60er Jahren war. Diese Entwicklung ist alarmierend. Sie kann nur verhindert werden, wenn endlich die Atomwaffenstaaten zu umfassender atomarer Abrüstung, zu einer zügigen Einleitung eines entsprechenden Prozesses bereit sind. Dies hängt mit der Bereitschaft zusammen, auf die Atomabschreckung zu verzichten. Darüber hinaus gibt es einen unverkennbaren Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten einer weltweiten Achtung chemischer Waffen und der Bereitschaft zu einem Verzicht auf Atomwaffen und Atomabschreckung. Im Januar 1989 fand in Paris eine internationale Konferenz zu chemischen Waffen statt. Auf dieser Konferenz wurde deutlich, daß eine Reihe arabischer Staaten, die im Besitz von chemischen Waffen sind, nur zur Beteiligung an einem weltweiten Verbot aller chemischen Waffen bereit sind, wenn auch die Atomwaffenstaaten zu einem Verzicht auf Atomwaffen bereit sind. Alle Verlautbarungen der Bundesregierung, anderer Regierungen oder auch der Koalitionsfraktionen, die eine baldige Vereinbarung zum C-Waffen-Verbot versprechen, sind eine Selbsttäuschung, solange es an der gleichzeitigen Bereitschaft zu einer Ächtung der Atomwaffen fehlt. Es wird zu einem C-Waffen-Vertrag nicht kommen, solange dieser Zusammenhang ignoriert wird. Dieser Zusammenhang ist ernst zu nehmen. Sie versprechen seit Jahren: Es kommt eine Lösung. Aber es kommt ja keine, und die Gründe dafür sind auf offenem internationalen Forum in Paris im letzten Januar ausgebreitet worden. Es kann bisher keine Rede davon sein, daß die NATO-Regierungen - einschließlich der Bundesregierung - diesen Zusammenhang mit der Bedeutung, die er wirklich hat, wahrzunehmen bereit sind. Sie verleugnen diesen Zusammenhang. Sie empören sich zu Recht über die C-WaffenRüstung anderer, leugnen aber gleichzeitig, daß das Nichtzustandekommen eines Verbots aller chemischen Waffen heute seine wesentliche Ursache im prinzipiellen Festhalten der NATO und anderer Atommächte an Atomwaffen hat. Der realistische Klartext lautet: Erstens. Ohne Bereitschaft zur Aufgabe der Atomwaffen wird es allenfalls eine Begrenzung - eine Begrenzung, Herr Staatsminister Schäfer - , aber kein weltweites Verbot der chemischen Waffen geben. Zweitens. Ohne Bereitschaft zur Aufgabe der Atomwaffen durch die jetzigen Atomwaffenstaaten sind in den nächsten Jahren darüber hinaus ein Auseinanderbrechen des Atomwaffensperrvertrages und eine Ausbreitung atomarer Waffen auf weitere Staaten selbst dann zu befürchten, wenn es zwischen Ost und West zu weiteren Vereinbarungen über eine Reduzierung vorhandener atomarer Waffen kommt. Drittens. In einer Zeit der Beendigung des OstWest-Konfliktes wachsen damit die globalen Gefahren neuer Konflikte. Die Gefahr von Atomkriegen kann dadurch größer statt geringer werden. Viertens. Die Verantwortung für solche Entwicklungen liegt eindeutig mit bei den jetzigen Atomwaffenstaaten. Ich sage nicht, sie liegt alleine bei ihnen, aber sie liegt mit bei ihnen. Sie liegt natürlich auch bei denen, die zu solchen Rüstungen greifen. Sie liegt jedenfalls mit bei den jetzigen Atomwaffenstaaten ich wiederhole es - , die krampfhaft an diesen Waffen festhalten. Die einzige realistische Schlußfolgerung ist, daß die einzigartige Chance der Überwindung des jahrzehntelangen Ost-West-Konflikts nun endlich dazu benutzt wird, die Atomwaffen abzuschaffen und das internationale Regime des Atomwaffensperrvertrages zu einer dauerhaft verbindlichen Regel des Völkerrechts zu machen. Der Zusammenhang zwischen Ost-West-Konflikt und Atomrüstung, der Entstehung der wechselseitigen atomaren Abschreckung, ist historisch unverkennbar. Indem dieser Ost-West-Konflikt überwunden wird, muß man auch bereit sein, das Abschrekkungsprinzip als Folge dieses Ost-West-Konflikts mit aufzugeben. Sonst wird es sich verselbständigen und neue Probleme hervorrufen, an die von Ihnen im Moment nicht gedacht wird; jedenfalls wird nichts dagegen getan. Es wird sogar zu einem unausweichlichen Erfordernis, wenn man die Problemlage genau betrachtet, dies mit den Bemühungen um eine Ächtung der C-Waffen inhaltlich zu verknüpfen. Die Festigung des Atomwaffensperrvertrages durch atomare Abrüstung muß also frühzeitig und vorausschauend eingeleitet werden, d. h. bevor der Atomwaffensperrvertrag zerbricht. Aber statt die politische Verantwortung mit einer solchen Voraussicht wahrzunehmen, spielen auch die Regierungsparteien diese Gefahr - jedenfalls in der öffentlichen Diskussion - permanent herunter. Auch in dieser Debatte werden wir das wahrscheinlich wieder erleben. ({0}) Jedenfalls war das in den Ausschüssen so, als darüber beraten wurde. Das war auch in der ganzen zurückliegenden Zeit der Fall. Wir haben über diese Frage ja zuletzt vor ungefähr eineinhalb Jahren, d. h. in dieser Legislaturperiode diskutiert. ({1}) - Mehrfach davor. Aber es gab immer dieselben ausweichenden Antworten, Herr Kollege Feldmann. 1968 gab es eine Konferenz aller Staaten, die nicht im Besitz von Atomwaffen sind - ({2}) - Das Problem, Herr Kollege Mischnick, geht weiter über die Mittelstreckenfrage hinaus. ({3}) 1969 war es das zentrale Thema des Bundestagswahlkampfs. Damals hat Ihre Partei - gegen die Unionsparteien - für den Atomwaffensperrvertrag mitgefochten. ({4}) Das Problem war damals schon ganz aktuell, obwohl seinerzeit überhaupt nie von atomaren MittelstrekDr. Scheer kenraketen gesprochen wurde. Das heißt, man muß auch an die anderen Dinge denken. Ich wiederhole: 1968 gab es eine Konferenz aller Staaten, die nicht in Besitz von Atomwaffen sind, um diese zu ihrer Unterschrift unter diesen Vertrag und damit zu einem vertraglichen Verzicht auf solche Waffen zu motivieren; denn ein vertraglicher Verzicht ist immer besser als einer, der lediglich freiwillig erfolgt und jederzeit zurückgenommen werden kann, ohne daß ein Vertrag gebrochen werden muß. Diese Konferenz aller Nicht-Kernwaffenstaaten fand in der Zeit des Kalten Krieges statt. Die Konferenz fand wenige Tage nach dem Einrollen der sowjetischen Panzer in Prag statt. Die damalige Bundesregierung nahm an dieser Konferenz teil. Es war die Zeit der Großen Koalition. r Jetzt fordert die SPD, daß sich die Bundesregierung für eine zweite Konferenz aller nichtatomaren Staaten nach dem Beispiel der Konferenz von 1968 einsetzt, um durch eine gemeinsame Bemühung dieser Staaten den mittlerweile gefährdeten Atomwaffensperrvertrag zu sichern und auf die Atomwaffenstaaten einzuwirken, endlich ihrer Verpflichtung zu atomarer Abrüstung gerecht zu werden. Aber Sie tun diesen Vorschlag einfach ab, tun so, als wäre alles in bester Ordnung, und wollen mit fadenscheinigen Begründungen erklären, daß jetzt, da der Kalte Krieg zu Ende ist, nicht möglich sein soll, was 1968 möglich war. Diesen Widerspruch müssen Sie erst einmal auflösen. ({5}) - Der Vertrag, der damals geschlossen worden ist, Herr Kollege Feldmann - das hat sich geändert - , ist jetzt in Gefahr, nachdem er zunächst einmal etwas stabilisiert hat. In Wahrheit weichen Sie dem Problem also aus. Wollen Sie etwa erst dann mit vollmundigen Appellen reagieren, wenn es wieder einmal zu spät ist, wenn also die Weiterverbreitung von Atomwaffen schon begonnen hat? Hätten wir vor zwei Jahren darüber diskutiert, daß in Libyen chemische Waffen produziert werden, hätten Sie das geleugnet, hätten Sie gesagt, hier wird irgend etwas erfunden. ({6}) Ein Jahr später wurde es Realität und hat uns alle und dann die ganze Weltöffentlichkeit beschäftigt. ({7}) Die Bundesregierung triefte vor Besorgnis und beschwörenden Appellen, als der Bau der C-WaffenFabrik in Libyen bekannt wurde. Sie triefte zu Recht vor Besorgnis. Außenminister Genscher sagte - wörtlich - , wer so etwas mache, begehe kriminelles Unrecht. Ich stimme dem zu und füge hinzu: Auch der Besitz von Atomwaffen und das Streben danach sind kriminelles Unrecht. ({8}) Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, daß Irak, bereits berüchtigt durch den Völkermord mit chemischen Waffen im gerade beendeten Golfkrieg, eine Rakete gestartet hat, die zum Atomwaffenträger geeignet ist. ({9}) - Israel ohnehin schon. - Es ist nicht zu sehen, daß aus solchen Alarmzeichen - ich könnte noch eine Menge hinzufügen - irgendwelche Konsequenzen gezogen werden. Statt dessen verschanzt man sich hinter Argumenten, die man für Realpolitik hält. ({10}) - Das ist eine sattsam bekannte Vorstellung von Realpolitik, Herr Kollege Feldmann, die immer erst reagiert, wenn es fünf Minuten nach zwölf ist. Art. VI des Atomwaffensperrvertrages enthält die Verpflichtung - wörtlich, Herr Kollege Mischnick, zu Ihrer Erinnerung ({11}) zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung. - Es spricht nicht für Sie, daß Sie bei diesem ernsten Problem nichts weiter als Lächelei übrig haben. ({12}) - Ich überziehe überhaupt nicht. Ich zeige das auf, was wirklich um uns herum los ist und geschieht. Zum dem Thema, was zu chemischen Waffen geschah und geschieht, tagt nachher der Auswärtige Ausschuß. Genauso wichtig ist das Thema atomarer Bewaffnungsversuche, nur daß im Moment kein spektakulärer Anlaß gegeben ist. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir entsprechende spektakuläre Anlässe, auch was den Export atomwaffenfähigen Materials in andere Länder angeht. ({13}) - Spielen Sie das Problem bitte nicht herunter. Es ist zu ernst, Herr Feldmann. Art. VI des Atomwaffensperrvertrages enthält die Verpflichtung zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zu nuklearer Abrüstung. Mit anderen Worten, die Bereitschaft der Atommächte zu atomarer Abrüstung war die Voraussetzung zum Verzicht der nichtatomaren Staaten auf den Besitz von Atomwaffen. Atomwaffen sind nach diesem Vertrag also Waffen, die nur noch für eine Übergangszeit toleriert werden. 25 Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrages soll - so bestimmt Artikel X dieses Vertrages - eine Konferenz einberufen werden - so im Vertragstext wörtlich -, die beschließen soll, ob der Vertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt oder um eine oder mehrere bestimmte Frist oder Fristen verlängert wird. Der Zeitpunkt dieser Konferenz wird also 1995 sein, in fünfeinhalb Jahren. Soviel Zeit haben wir also noch. Wer weiß, wie mühsam und zeitraubend das Aushandeln internationaler Vereinbarungen und Vertragser14396 gänzungen möglicherweise ist, der weiß auch, daß eigentlich schon jetzt mit der umfassenden Sicherung dieses Vertrages begonnen werden müßte. Dabei geht es auch um das, was man bei sich selber tut. Denn diese umfassende Sicherung wird es nur geben, wenn die prinzipielle Bereitschaft zum Verzicht auf alle Atomwaffen bis dahin verbindlicher zugesichert ist, als es bisher der Fall war. Tatsache ist, daß demgegenüber die NATO heute eine Haltung einnimmt, mit der sie dogmatischer an Atomwaffen festhält als zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Atomwaffensperrvertrages. Erst im Mai hat die NATO auf ihrer Frühjahrstagung das atomare Abschreckungsprinzip in einer Weise bekräftigt, daß von einer Übergangswaffe etwa für den Zeitraum des Atomwaffensperrvertrages zwischen 1970 und 1995 - seine jetzige Geltungsdauer - überhaupt keine Rede sein kann. Diese Waffen sollen jetzt offenbar zur Dauereinrichtung werden. Das Ziel eines vollständigen atomaren Teststopps, eine der zentralen Forderungen, ist praktisch aufgegeben. Angestrebt wird nur noch eine Verringerung und eine Begrenzung der Tests. Das ist ein Rückfall hinter Positionen, die auch Sie vor über zehn Jahren und weit davor in noch viel schwerwiegenderen spannungsgeladenen Zeiten mit vertreten haben. Warum nicht jetzt? ({14}) - Ich brauche nur die letzte Debatte zu zitieren. 1963 scheiterte der vollständige Atomteststopp an der Weigerung der damaligen sowjetischen Führung, eine Kontrolle des Atomteststopps auf ihrem Territorium zuzulassen. Jetzt läßt die Sowjetunion alle Kontrollen zu. Aber die NATO - und im Schlepptau auch die Bundesregierung - erklärt, Atomwaffentests müßten so lange stattfinden, wie es Atomwaffen gibt, wenigstens in einer bestimmten Anzahl. Das ist ein klarer Rückfall. Zwar wird natürlich darüber gesprochen - möglicherweise kommt es auch zu einem Ergebnis - , daß Amerika und die Sowjetunion 50 % ihrer Interkontinentalraketen abbauen. Gleichzeitig finden umfassende atomare Neurüstungen statt, nicht nur bei der NATO, auch auf dem Boden der Bundesrepublik, und zwar nicht nur bei Kurzstreckenraketen. Es geht dabei auch um britische und französische Waffen und Antisatellitenwaffen. Das heißt, es ist ein Zusammenhang klar erkennbar. Wenn Sie nicht endlich die Konsequenz zu ziehen bereit sind, das eigene atomare Abschreckungsprinzip aufzugeben und entsprechende bilaterale atomare Abrüstungsverhandlungen zu führen - denn dieser Prozeß muß beidseitig geschehen -, wird atomare Aufrüstung in anderen Ländern provoziert. Vor dieser Entwicklung kann man nur warnen. Sie werden nicht irgendwann sagen können, andere seien daran schuld, und man hätte leider nichts dagegen tun können. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Scheer, ich teile Ihre Auffassung, daß der Atomwaffensperrvertrag eines der wichtigsten Vertragswerke gegen die Verbreitung von Atomwaffen ist. Leider ist die Gemeinsamkeit damit schon am Ende; denn Sie erklären Ihrem Publikum natürlich nicht, wer am meisten gegen diesen Vertrag verstoßen hat. Wir stellen fest, seit dieser Konferenz 1968, die Sie angesprochen haben, und seit der Ratifizierung des Vertrages im November 1969 im Deutschen Bundestag hat die Sowjetunion ihr Atomwaffenarsenal in einer Art und Weise ausgebaut, daß sie hinterher eine siebenfache Überlegenheit gegenüber den westlichen Arsenalen hatte. Sie waren in dieser Zeit an der Regierung, und Sie hätten in dieser Zeit Konferenzen einberufen und abhalten können. Ich habe überhaupt den Eindruck, daß Sie offenbar unsere Regierungszeit dazu nutzen wollen, um alle die Sünden, die Sie vorher begangen haben, zu korrigieren. In der letzten Debatte hat uns der Kollege Willy Brandt immerhin noch die Ehre seiner Anwesenheit und seines Redebeitrags gegeben. Offenbar hat ihn seitdem wieder der Mut verlassen. Es war doch in der Kanzlerzeit von Willy Brandt, in der die Sowjetunion als einer der Signatarstaaten leider nicht entscheidend darauf hingewiesen wurde, daß sie permanent gegen diesen Vertrag und vor allen Dingen gegen die Verpflichtung nach Art. VI verstößt. Wo war damals die Bundesregierung, die von Ihrer Partei angeführt wurde? Der Kanzler Helmut Schmidt war da schon viel nüchterner; denn die Maßnahme, die er über den NATO-Doppelbeschluß entscheidend mit eingeleitet hat, der durchaus seinem Konzept entsprach, war gerade nicht an die Staaten adressiert, die keine Atomwaffen haben. Vielmehr hat er das Richtige gemacht: Er hat sich an das Bündnis gewandt, um mit dem Verteidigungsbündnis erreichen zu können, daß wir mehr Erfolg bei der Nichtverbreitung haben. Dort ist letztlich auch anzusetzen. Die Frage lautet, was wir heute mit einer derartigen Konferenz erreichen würden. Meines Erachtens würde eine völlig falsche Frontstellung entstehen. Wir sollten im Augenblick darauf Wert legen, daß wir bei den viel wichtigeren Verhandlungen in Wien über die konventionelle Abrüstung zu Ergebnissen kommen. Wir gehen alle davon aus, daß bereits im nächsten Jahr ein Ergebnis vorliegen wird. Dann - da haben Sie allerdings recht - werden wir uns in Vorbereitung auf die Verlängerung nach 1995 sowie im Rahmen der Überprüfungskonferenz darauf zu konzentrieren haben, wie jetzt neben den derzeitigen Gesprächen - wie z. B. im Rahmen von START - für alle Mitgliedstaaten bestimmte Richtlinien zum Nichtverbreitungsvertrag erarbeitet werden. Im übrigen bin auch ich der Auffassung, daß dieser Vertrag eines der Hauptinstrumente sein kann und sein muß, um zu verhindern, daß weitere Länder in der Welt Atomwaffen produzieren. Aber es wäre geradezu ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir dies auLowack ßerhalb des Bündnisses und außerhalb der derzeitigen Gespräche zwischen der Sowjetunion und den Amerikanern zu erreichen versuchen wollten. ({0}) - Ich frage Sie: Was hat sie 1968 denn gebracht? Warum hat man das fünf Jahre später nicht wiederholt? Was war denn das Ergebnis? ({1}) Warum sprechen Sie heute, 1989, darüber, daß eine Konferenz, die 1968 stattgefunden hat, jetzt wiederholt werden soll? ({2}) Wenn, dann hätte das kontinuierlich gemacht werden sollen. Die Erfüllung der Verpflichtung nach Art. VI, die Sie zu Recht angesprochen haben, hätte permanent angemahnt werden müssen, vor allen Dingen bei der Supermacht, die in besonderem Maße dagegen verstoßen hat. Ich räume Ihnen ein: Es gibt eine gewisse Gemeinsamkeit zwischen den Staaten, die keine Atomwaffen haben, und denen, die Atomwaffenarsenale aufgebaut haben. ({3}) Aber Sie sollten nicht vergessen, daß wir innerhalb des Bündnisses einer Konzeption zugestimmt haben, die uns dazu verholfen hat, daß wir jetzt über viele Jahrzehnte den Frieden erhalten konnten, und nicht nur das: daß wir heute zwischen Ost und West schon über ganz andere Dinge sprechen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Auswärtige Ausschuß hat mehrheitlich beschlossen, den Antrag der Sozialdemokraten abzulehnen. ({4}) In diesem Zusammenhang möchte ich erneut sagen: Entscheidend ist im Augenblick, daß wir die Hauptspannungsursache in Europa und damit auch in der Welt abbauen. Das ist die konventionelle Überrüstung innerhalb Europas vor allem durch die Warschauer Paktstaaten. Sie kennen die Überlegenheit allein im Bereich der Panzer: 59 000 gegenüber 20 000. ({5}) Wenn wir dann dazu übergehen, die gemeinsamen Interessen zwischen Ost und West an einer Nichtverbreitung zu entwickeln, wenn wir dann dazu übergehen, uns auf diesen Vertrag zu konzentrieren, dann ist das sicher der bessere Weg. Ich habe Ihnen deshalb für meine Fraktion vorzuschlagen, daß wir der Beschlußempfehlung, die im Auswärtigen Ausschuß beraten und mit Mehrheit gefaßt wurde, auch nach dieser Debatte zustimmen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Eich.

Tay Eich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000447, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider haben die Positionen des Kollegen Scheer, die er uns hier dargelegt hat, nur in geringem Maße in dem SPD-Antrag ihren Niederschlag gefunden. So bin ich leider gezwungen, mich mit der Grundlage dessen auseinanderzusetzen, worüber wir nachher abzustimmen haben, nämlich mit dem SPD-Antrag. Zwar hat Willy Brandt in seinen Ausführungen vom 23. September 1988 korrigiert, daß nicht er die erste Konferenz der Nichtatomwaffenstaaten initiiert hat, aber in dem vorliegenden SPD-Antrag ist das immer noch nicht geändert - jetzt, nach anderthalb Jahren. Dafür hat sich Brandt bezüglich des Nichtverbreitungsvertrages in anderer Hinsicht hervorgetan. Er machte sich als Außenminister der Großen Koalition für den Art. IV stark, der die Unterzeichnerstaaten verpflichtet - ich betone: verpflichtet - , die Verbreitung der sogenannten zivilen Atomtechnologie zu fördern, des weiteren einzutreten für die Außerkraftsetzung des Vertrages im Kriegsfalle, für eine begrenzte statt einer unbegrenzten Laufzeit und schließlich für die bilaterale Zusatzvereinbarung mit dem Signatarstaat USA, daß die BRD in einer Europäischen Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik auch über Atomwaffen mitentscheiden darf. Brandt betonte in der erwähnten Rede zur ersten Lesung im letzten Jahr, er habe sich für den Art. VI des Nichtweiterverbreitungsvertrages eingesetzt, der die Atomwaffenstaaten zur Abrüstung auffordert. Was er nicht sagte: Auch in den zwei der drei bisherigen Überprüfungskonferenzen, die in die Zeit der SPD/FDP-Regierung fallen, stellte sich die Bundesrepublik schützend vor die USA, wenn die Nichtatomwaffenstaaten die atomare Abrüstung forderten. In den Jahren zwischen der ersten und zweiten Überprüfungskonferenz ging Helmut Schmidt mit der Lüge von der Raketenlücke hausieren und war so maßgeblich an der NATO-Vor- und -Aufrüstung und der anschließenden Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles beteiligt. Auf der zweiten Überprüfungskonferenz 1980 waren die Differenzen zwischen den beteiligten Staaten so groß, daß es nicht einmal zu einer gemeinsamen Schlußerklärung kam. Die BRD betätigte sich dabei als Brandstifter. Sie verhinderte nicht nur, wie gesagt, die vertikale Non-Proliferation der Atommächte, sondern auch die horizontale, indem sie - in diesem Fall gemeinsam mit den Nichtatomwaffenstaaten - schärfere Exportkontrollen blockierte. So wie der Nichtverbreitungsvertrag formuliert ist, steht er schon deshalb diametral grüner Politik entgegen, weil, wie gesagt, sein Art. IV die Verpflichtung zur Förderung der Verbreitung der sogenannten zivilen Atomtechnologie beinhaltet. Wie unglaubwürdig der von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, formulierte langfristige Ausstieg aus der Atomenergie ist, zeigen Sie in diesen Tagen nicht nur durch Ihre Benrather Mauschelei mit der Regierung, durch die Sie sich verpflichtet haben, den Finger nicht in die Wunde der offenen Entsor14398 gungsfrage zu legen. Das zeigt sich auch, wie ich meine, im vorliegenden Antrag. Eine Änderung des Art. IV kommt bei Ihnen nicht vor. Statt dessen stricken Sie eifrig an dem Märchen von der Trennbarkeit ziviler und militärischer Atomenergienutzung. Auf der Grundlage dieses Märchens hat die sozialliberale Bundesregierung das Atomgeschäft mit Brasilien abgeschlossen. Heute tut die SPD ganz erstaunt, daß Brasilien auf der Schwelle zum Atomwaffenstaat steht. Die jetzige Bundesregierung setzte noch einen drauf und sah sich nicht einmal veranlaßt, den Atomvertrag mit Brasilien am 18. November dieses Jahres zu kündigen, obwohl Brasilien sein militärisches mit dem sogenannten zivilen Atomprogramm, bei dem es ja mit der Bundesrepublik kooperiert, unter einem Dach vereinigt hat. Die künstliche Trennung von zivilem und militärischem Atomprogramm ermöglicht es der Bundesrepublik, durch ungehemmten Atomtechnologieexport Länder - ich nenne nur Pakistan, Indien, Argentinien, Südafrika, Brasilien - zu Atomwaffenschwellenländern zu machen. Außerdem ist seit der Affäre um die Firma Transnuklear, wenn auch noch viel zu wenig, Licht auf die regierungsamtlich geduldeten schmutzigen Geschäfte der Atom-Mafia gefallen. Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre haben auf diese Weise Geist und Buchstaben des Nichtverbreitungsvertrages systematisch untergraben. Wer wird der BRD künftig noch die Mitverfügung über Atomwaffen verwehren, wenn Länder wie Pakistan welche besitzen? Daß die BRD heute schon ein Atomwaffenstaat auf Abruf ist, dafür hat sie mit ihren gigantischen Atomprogrammen der 70er und 80er Jahre schon selbst gesorgt - unterstützt eben durch Art. IV des Nichtverbreitungsvertrages. Es ist absurd, eine Regierungspartei wie die CDU, die in ihrem Programm Großbritannien und Frankreich auffordert - Zitat - , „ihr nukleares Potential in eine gemeinsame europäische Sicherheitsunion" einzubringen, auf einer Konferenz zur Sachwalterin einer Verschärfung der NPT zu machen. Die CDU steht hier übrigens im Einklang mit der erwähnten, von Willy Brandt erkämpften europäischen Option des Nichtverbreitungsvertrages. Warum kämpft die SPD nicht für die Liquidierung dieses Erbes aus der Großen Koalition? Statt dessen demonstriert sie mit ihrem Bekenntnis zur atomaren Abschreckung durch die Zustimmung zum deutsch-französischen Verteidigungsrat vor einem Jahr, daß auch sie dem Reiz der Beteiligung an einer westeuropäischen Atomstreitmacht nicht widerstehen kann. Auf den Fensterbänken der NATO-Zimmer im europäischen Haus sollen keine Blumenkästen, da sollen Atomwaffen stehen. Jüngstes Beispiel, wie sich auch die SPD um einen eindeutigen, politisch und rechtlich einklagbaren Verzicht zu drücken versucht, war die Reaktion auf den GRÜNEN-Antrag „Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz". Die SPD konterte mit einem „Verzicht auf Massenvernichtungswaffen", durch den der Bundestag lediglich die völlig unzureichenden bestehenden Verträge bekräftigen soll. Ich meine, dieselbe Wischiwaschiqualität hat ihr heutiger Antrag. Er verschleiert zum einen die reale umfassende Exportpolitik der BRD und das Streben nach Mitverfügung über Atomwaffen im Rahmen einer westeuropäischen Atomstreitmacht; zum anderen werden wesentliche Punkte wie der Verzicht auf eine europäische Option und der Stopp auch der sogenannten zivilen Nutzung der Atomenergie - Art. IV NPT - gar nicht angesprochen. Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen. Dabei wäre es durchaus notwendig, die Unzulänglichkeiten des Nichtweiterverbreitungsvertrages und seine Verbesserung anläßlich der letzten Überprüfungskonferenz im Herbst kommenden Jahres zu diskutieren. Denn bei allen Mängeln muß dem Nichtweiterverbreitungsvertrag die Funktion einer moralischen Instanz gegenüber der Weltöffentlichkeit zugesprochen werden, auf die auch die BRD gerne verweist, wenn ihr Atomwaffengelüste nachgesagt werden, und die darum auch eine gewisse politische Schranke für atomare Alleingänge der BRD darstellt. Für eine wirkliche Verbesserung des Zustandes müssen aber zunächst alle Leichen aus dem Keller geholt werden, und es muß ein gründliche Neuorientierung öffentlicht diskutiert werden, wie dies die Menschen in der DDR in viel umfassenderem Maße derzeit demonstrieren. Es wäre begrüßenswert, wenn die SPD den gleichen Mut aufbringen könnte wie die Menschen in unserem Nachbarstaat. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen ist eine der größten weltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Niemand, Herr Kollege Scheer, unterschätzt die Bedeutung des Nichtverbreitungsvertrages. Aber, Herr Kollege, die Politik hat es in diesen bewegten Tagen nicht leicht, mit den Ereignissen Schritt zu halten. Ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, Herr Kollege Scheer: Das Thema der heutigen Debatte ist überholt. Wir haben bereits 1985 einen ähnlichen Antrag der SPD beraten. Nach den rasanten Entwicklungen der letzten Zeit hätten Sie Ihren Antrag eigentlich zurückziehen müssen. ({0}) - Lieber Herr Kollege Scheer, regen Sie sich nicht auf! Die Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten paßt nicht mehr in die politische Landschaft. Ich muß das hier einmal so deutlich sagen. Denn anders als in den 70er Jahren und AnDr. Feldmann fang der 80er Jahre stehen die Zeichen der internationalen Politik klar auf Abrüstung und nicht mehr auf Wettrüsten. Das müssen Sie auch sehen! ({1}) Beide Supermächte machen jetzt mit der Verpflichtung zu umfassender Abrüstung ernst, die sie in Art. VI des Vertrages eingegangen sind. Diese positive Entwicklung zeigt sich bereits bei der Unterzeichnung des INF-Vertrages, also bereits bei der ersten Lesung, die wir hier im September 1988 - wir alle haben hier dazu gesprochen - vorgenommen haben. Mittlerweile haben wir die zweite Nullösung. Die Möglichkeit einer Nachrüstung der atomaren Kurzstreckenraketen, die sogenannte Lance-Modernisierung, ist, wenn die Entwicklung so weitergeht, politisch so gut wie tot. ({2}) 1990 kann wirklich zum Jahr der Abrüstung werden, sowohl bei konventionellen als auch bei strategischen Waffen. Wir haben die berechtigte Hoffnung, daß wir 1990 auch ein weltweites Verbot der chemischen Waffen erreichen können, denn in Ost und West hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß mehr Waffen nicht mehr Sicherheit, sondern eher weniger Stabilität und weniger Sicherheit bringen. Es muß daher im Interesse aller Nicht-Kernwaffenstaaten liegen, auch die Supermächte auf diesem Weg von der Konfrontation zur Kooperation zu unterstützen. ({3}) Herr Kollege Scheer, wir haben wirklich kein Problem mit der Intention Ihres Antrages. Auch wir wollen den Nichtverbreitungsvertrag stützen, stärken und verbessern. Aber wir halten den von Ihnen gewählten Weg für falsch. Die SPD muß sich darüber im klaren sein, daß sie durch diesen umfassenden Änderungskatalog eine Vielzahl unterschiedlichster Änderungswünsche anderer geradezu provoziert. Herr Kollege Scheer, Sie gefährden das, was Sie eigentlich schützen und verbessern wollen. Deswegen können wir Ihren Antrag nicht unterstützen. ({4}) Sie unterstellen in Ihrem Antrag gewissermaßen gemeinsame Interessen aller Nicht-Kernwaffenstaaten. So kann man das aber nicht sagen; das stimmt nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Diese Gruppe besteht nämlich zum einen aus Blockfreien und Neutralen, zum anderen aus Mitgliedern beider Bündnissysteme, aus Unterzeichnern des Vertrages, aus Nicht-Unterzeichnern, vor allem aber aus Befürwortern der Nichtverbreitung einerseits und aus Beinahe- und Möchtegern-Atommächten andererseits. Worin soll da noch das gemeinsame Interesse liegen? Wenn ein solches besteht, dann liegt es nur noch in der Ausgrenzung aller Atommächte. Es hat aber keinen Sinn, in dieser diffizilen, schwierigen Frage die Atommächte auszugrenzen. Abrüstung kann man nicht gegen, sondern nur mit den Atommächten machen. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen. ({5}) So heterogen die Interessen dieser Gruppe wirklich sind, ist nicht einmal auszuschließen, daß eine solche Konferenz dieses mühsam geschnürte Konsenspaket des Nichtverbreitungsvertrages noch gefährden kann. Das wollen weder Sie - das unterstelle ich niemandem - noch wir; wir wollen es erst recht nicht. Irreführend, ja, sogar falsch, Herr Kollege, ist die in Ihrem Antrag enthaltene Behauptung, der Nichtverbreitungsvertrag werde 1995 auslaufen. Richtig ist vielmehr, daß die vierte Überprüfungskonferenz 1995 darüber entscheiden soll - ({6}) - Gut, das ist richtig. - Es soll 1995 entschieden werden, ob der Nichtverbreitungsvertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleiben soll oder ob weiterhin eine oder mehrere Fristen gelten sollen. ({7}) - Sie haben es richtig zitiert, aber in Ihrem Antrag steht es noch falsch, und einen solchen falschen Antrag sollten Sie korrigieren, oder Sie sollten ihn zurückziehen und ihn hier nicht noch einmal einbringen. ({8}) - Gut, Sie geben zu, daß das dort falsch steht; einigen wir uns darauf. ({9}) Herr Kollege Eich, Ihre Ausführungen zur zivilen Nutzung der Kernenergie zeigen Ihre Kompromißunfähigkeit und damit auch Ihre Politikunfähigkeit. ({10}) Bis heute haben 130 Staaten diesen Vertrag unterzeichnet. Das zeigt die breite Akzeptanz dieses Vertrages. Diese Akzeptanz beruht nicht zuletzt darauf, daß den Nicht-Kernwaffenstaaten, und zwar auch den Entwicklungsländern, die zum Teil großen Wert darauf legen, der Zugang zu kontrollierter friedlicher Nutzung der Atomkraft ausdrücklich garantiert wird. ({11}) - Herr Eich, es ist richtig, daß die friedliche Nutzung der Atomkraftwerke bei uns längst in Frage gestellt wird; da gebe ich Ihnen ja recht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dies die Grundlage des damaligen Konsenses ist. Ohne diese Grundlage, ohne diesen Konsens wäre dieser Vertrag nicht zustande gekommen, wäre dieser Vertrag wahrscheinlich auch heute nicht mehr zu halten. Das muß man als Realpolitiker einfach sehen, auch wenn einem das nicht paßt. Seit dem Inkrafttreten des Nichtverbreitungsvertrages im Jahre 1970 haben drei Überprüfungskonferen14400 zen stattgefunden - und das geht jetzt wieder an die Adresse des Kollegen Scheer -: 1975, 1980 und 1985. Die vierte Konferenz wird in der zweiten Jahreshälfte 1990 durchgeführt. Und, Herr Kollege: Zwei von drei Vorkonferenzen haben bereits stattgefunden, und die dritte Vorkonferenz ist für April 1990 geplant. Allein dieser Zeitplan zeigt, daß die Durchführung einer Vorbereitungstagung der Nicht-Kernwaffenstaaten, wie Sie dies hier fordern, absolut unrealistisch ist. ({12}) Es ist klar, Herr Scheer, ein umfassender und verifizierbarer Teststopp ist ein wichtiger Baustein zur Beendigung des atomaren Wettrüstens; da stimmen wir voll überein. Die Bundesregierung hat ihr Interesse an einem Teststoppabkommen wiederholt bekräftigt, so auch in der deutsch-sowjetischen Erklärung vom 13. Juni 1989. Jetzt aber weiter: Die Außenminister Baker und Schewardnadse haben in Wyoming ({13}) gemeinsame Experimente auf dem Boden der jeweils anderen Seite vereinbart. ({14}) - Das geht doch weiter, das ist doch der erste Schritt! ({15}) - Lieber Herr Kollege, wir machen Realpolitik, d. h. wir gehen Schritt für Schritt voran und können nicht am ersten Tag die Sterne vom Himmel holen. ({16}) Die beiden Präsidenten, Bush und Gorbatschow, haben in Malta vereinbart, auf dem Gipfeltreffen im Juni die Voraussetzungen für die Ratifizierung der beiden Schwellenverträge von 1974 und 1975 zu schaffen. Natürlich müssen die amerikanisch-sowjetischen Gespräche in multilaterale Verhandlungen münden. Dann aber ist die Genfer Abrüstungskonferenz das richtige Gremium und nicht die von Ihnen vorgeschlagene weitere Konferenz. Die FDP wird sich, wie Außenminister Genscher im Juni 1988 am 20. Jahrestag der Unterzeichnung ausgeführt hat - ich darf zitieren -, ... auch zukünftig dafür einsetzen, daß der Nichtverbreitungsvertrag als Instrument einer wirksamen Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen und als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie integral bestätigt und bekräftigt wird. Ich darf zum Schluß feststellen: Die FDP läßt sich in ihrem Engagement für den Nichtverbreitungsvertrag von niemandem übertreffen. ({17}) Wir haben 1969 maßgeblich dazu beigetragen, daß dieser wichtige Vertrag von der Bundesrepublik unterzeichnet und ratifiziert wurde. ({18}) - Ich stimme Ihnen zu. - Dieser Vertrag gehört ebenso wie die Schlußakte von Helsinki zu den Kernelementen internationaler Sicherheit und Stabilität. Sie sind das Herzstück des Abrüstungsprozesses und der Vertrauensbildung zwischen Ost und West. Auf dieser Grundlage sind jetzt die Chancen für eine neue, blockübergreifende Friedensordnung gewachsen. Diese Chancen werden wir nutzen; darauf können Sie sich verlassen. Danke sehr. ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe festgestellt, Herr Kollege Scheer, daß wir in der gleichen Runde, und zwar die Kollegen Lowack, Feldmann, Scheer und Schäfer - letzterer noch als MdB zweimal und als Staatsminister wieder zweimal - , über dieses Thema hier schon sehr intensiv beraten haben. Ich muß Ihnen sagen: Es wird langsam zu einem Ladenhüter, den Sie hier jedes Jahr regelmäßig wieder hervorholen. ({0}) Es hat sich an Ihren Argumenten nichts geändert, es hat sich an unseren Argumenten nichts geändert, und ich glaube, so sehr wir in der Zielsetzung einig sind - ({1}) - Sie sehen, selbst der Staatsminister darf gelegentlich frei reden. Ich versuche, das zumindest zu Beginn meiner Rede zu tun, um auf ein Zitat meiner Kollegin aus der Debatte über die Parlamentsreform einzugehen. Es ist wirklich so, Herr Kollege Scheer: In der Zielsetzung sind wir einig, es geht um die Methode. Ihr Antrag sagt, wir sollten eine Vorkonferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten einberufen, und dazu haben wir nun wirklich die Argumente hinlänglich und sachlich ausgetauscht. Ich muß es natürlich zurückweisen, wenn Sie hier behaupten, die Bundesregierung sei nicht dafür, daß Atomteststoppverträge geschlossen werden. Das stimmt nicht. Wir haben niemals gesagt, wir seien für eine Fortsetzung der Atomtests. Davon kann keine Rede sein. Wenn Sie hier gelegentlich vielleicht den einen oder anderen Politiker der einen oder anderen Fraktion zitieren, dann mögen Sie recht haben, aber sicher nicht, wenn Sie hier die Bundesregierung beschuldigen. ({2}) - Ich darf vielleicht zunächst mal auf unsere bereits geübte Argumentation zurückkommen, bevor wir die Gespräche hier fortsetzen. Ich darf noch einmal ganz klarmachen: Die Bundesregierung hat ihre Haltung zum Nichtverbreitungsvertrag und zu der Forderung nach einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten im Vorfeld der im Herbst 1990, also bereits in einem knappen Jahr, stattfindenden vierten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages in der Plenardebatte zuletzt hier in diesem Haus am 23. September vergangenen Jahres und immer wieder auch in den verschiedenen Ausschußberatungen dargelegt. Der Bundesaußenminister hat sich am 1. Juli 1988 in einer Erklärung aus Anlaß des 20. Jahrestages des Nichtverbreitungsvertrages dafür ausgesprochen, daß dieser Vertrag als Rüstungskontrollvertrag mit der größten Zahl der Vertragsparteien in der Geschichte der Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie über 1995 hinaus Bestand haben muß, und er wird Bestand haben. Ein Entstehen neuer Kernwaffenstaaten könnte nicht nur regionale Kräfteverhältnisse grundlegend verändern - da sind wir uns einig - , sondern destabilisierende Entwicklungen mit weltweiten Auswirkungen auslösen. Das Verlangen insbesondere der Nicht-Kernwaffenstaaten, Herr Kollege Eich, von der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht ausgeschlossen zu werden, was Sie ständig und ununterbrochen all diesen Staaten als den Versuch vorwerfen, Atomwaffen herzustellen - da müssen Sie sich bitte mal mit diesen Staaten etwas genauer unterhalten -, wird vom Nichtverbreitungsvertrag ausdrücklich anerkannt. Sie haben das Recht auf Nutzung. Gleichzeitig sind sie aber auch internationalen Kontrollverpflichtungen unterworfen. Da können Sie nicht dauernd mit Brasilien kommen. Da müssen Sie mal die brasilianische Verfassung von 1988 lesen und feststellen, daß sie jedwede militärische Nutzung ausschließt und dem Parlament die Kontrolle zuweist. Sie ist also nach der Verfassung gar nicht erlaubt. Wenn Herr Lula die Wahl am Sonntag gewinnt - das hat er schon angekündigt -, wird er sogar den Vertrag mit uns kündigen. Ich nehme an, Sie hoffen, daß er gewinnen wird. ({3}) Ich kenne ihn; wir haben vor einigen Wochen noch ein sehr langes Gespräch in meinem Büro geführt. Die Debattenbeiträge der Fraktionen dieses Hohen Hauses haben heute deutlich gemacht, daß es in einer entscheidenden Frage überhaupt keinen Gegensatz zwischen uns gibt, nämlich daß wir alle für ein Weitergelten des Nichtverbreitungsvertrages über 1995 hinaus eintreten. Die Bundesregierung begrüßt diesen Konsens. Über den besten Weg zu diesem Ziel bestehen allerdings die bekannten und wiederholt vorgetragenen unterschiedlichen Auffassungen. Die Bundesregierung hat deshalb Änderungsinitiativen zum Nichtverbreitungsvertrag, die mit der Forderung nach einer Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten bezweckt oder gefördert werden, immer skeptisch gegenübergestanden. Falls das aus wirklich vielen schwierigen Kompromissen bestehende Paket dieses Vertrages erst einmal geöffnet wird, Herr Kollege Scheer, besteht doch die Gefahr, daß es wegen einer Vielzahl von Änderungsinitiativen und gegensätzlichen Interessen - die Staaten, die nicht über Atomwaffen verfügen, haben gegensätzliche Interessen - nicht wieder zusammengeschnürt werden kann. ({4}) Das ist das entscheidende Argument gegen eine solche Vorkonferenz. Niemand, der den Nichtverbreitungsvertrag befürwortet, kann deshalb daran ein Interesse haben. Alle im Antrag aufgelisteten Themenkreise können und werden im Rahmen der nächsten Überprüfungskonferenz, die vom 20. August bis zum 14. September nächsten Jahres stattfinden wird, sowie in den drei Sitzungen des Vorbereitungsausschusses erörtert. 137 Nicht-Kernwaffenstaaten sind dort zur Teilnahme berechtigt. Die ersten beiden der insgesamt drei Sitzungsperioden des Vorbereitungsausschusses dieser vierten Überprüfungskonferenz haben im Mai 1989 in New York und im September 1989 in Genf schon stattgefunden. Wesentliche Entscheidungen für die Organisation der 4. Überprüfungskonferenz wurden auf diesen Sitzungen schon getroffen. Sie machen deutlich, daß aller. Mitgliedsstaaten an einem der Bedeutung des Nichtverbreitungsvertrags angemessenen konstruktiven Ablauf und Ergebnis der 4. Nichtverbreitungsvertrags-Überprüfungskonferenz wirklich gelegen ist. Der Gedanke einer Konferenz der NichtKernwaffenstaaten wurde weder in diesen Sitzungen noch informell am Rand von Teilnehmerstaaten geäußert, Herr Kollege Scheer. Deshalb ist es doch unsinnig, daß wir das hier ständig wieder von neuem fordern, obwohl all die Staaten gar kein Interesse daran haben. Dasselbe gilt für Überlegungen, die darauf zielen, den Nichtverbreitungsvertrag 1995 durch einen völlig neuen Vertrag zu ersetzen. Wer den Nichtverbreitungsvertrag befürwortet, sollte sich wirklich davor hüten, dieses Vertragswerk zu einem fragilen und weitgehend unwirksamen Gebilde herunterzureden, und sollte sich nicht, wohl unbewußt, Argumente und Standpunkte von Gegnern des Nichtverbreitungsvertrags zu eigen machen. Dieser Vertrag ist als grundlegender Faktor der internationalen Friedenssicherung auf nicht absehbare Zeit notwendig. Er ist auch lebensfähig, weil er dem Interesse der Völkergemeinschaft dient, die Entstehung von weiteren Kernwaffenstaaten nach Möglichkeit zu verhindern. Auch darin sind wir in der Tendenz einig. Seit 1985 - Herr Kollege Feldmann, es sind tatsächlich schon mehr als 130, die Sie soeben noch genannt haben - , dem Jahr der letzten Überprüfungskonferenz, sind insgesamt weitere 15 Staaten dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten, darunter Spanien, Nordkorea, Saudi-Arabien und zwei arabische Golfstaaten. Meine Kollegen, ich muß bei dieser Gelegenheit - Herr Kollege Scheer, auch Sie haben das ja angesprochen doch noch einmal appellieren - was ich als Bundestagsabgeordneter schon tat - : Es wäre sehr wünschenswert, wenn Israel diesem Vertrag nun wirklich bald beitreten würde. ({5}) Ich erinnere mich an Gespräche mit dem israelischen Botschafter vor einigen Jahren, der mir damals gesagt hat: Solange arabische Staaten dem Vertrag nicht beitreten, treten wir nicht bei. Es sind nun einige arabische Staaten beigetreten, und Sie haben zu Recht auf die Kritik aus arabischen Staaten und damit auch auf die gefährliche Begründung hingewiesen: Da man nicht selber Atomwaffen herstellen könne, werde man sich chemischen Waffen zuwenden. Und darüber unterhalten wir uns tatsächlich um 11 Uhr schon wieder im Auswärtigen Ausschuß. ({6}) Es wäre wünschenswert, wenn man das, bitte, auch einmal bei den vielen Reisen, die nach diesem Staat stattfinden, der israelischen Regierung immer wieder sagen würde. Es täte uns allen sehr wohl und Israel bestimmt auch, wenn es hier endlich diesen Schritt vollziehen könnte. ({7}) Seit dem Inkrafttreten des INF-Vertrags können die Bemühungen der USA und der Sowjetunion um nukleare Abrüstung von niemandem mehr ernsthaft bezweifelt werden, Herr Kollege Scheer. Gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem eine drastische Reduzierung von Nuklearwaffen in greifbarer Nähe ist, muß die weitere Ausbreitung von Kernwaffen wirksam verhindert werden. Lieber Herr Kollege Eich, wir haben keine Gelüste nach Atomwaffen. Und wenn Sie von Leichen im Keller sprechen, kann ich sagen: Es sind manchmal Ihre abgestandenen Ideen und Ihre Vorurteile, die Sie, bitte, als Leichen aus dem Keller einmal allmählich entfernen müßten. ({8}) Weniger denn je kann der Hinweis auf Nuklearrüstung der Kernwaffenstaaten für noch abseits stehende Staaten als Vorwand dienen, dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beizutreten. Der Außenminister hat bei seiner letzten Ansprache vor den Vereinten Nationen ausdrücklich noch einmal an alle Staaten appelliert, die dem Nichtverbreitungsvertrag noch nicht beigetreten sind, sich zum Beitritt zu diesem Vertragswerk nun endlich zu entschließen. Die Bundesregierung sieht die besondere Bedeutung der neuen Überprüfungskonferenz im Hinblick auf die Konferenz der Vertragsstaaten des Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 1995 und die Verlängerung des Vertrags. Wir werden uns auch für ein substantielles Schlußdokument einsetzen, in dem alle Bestimmungen und Aspekte des Nichtverbreitungsvertrags behandelt werden. Wenn wir Ihren Antrag ablehnen, heißt das nicht, daß wir in der Zielsetzung verschiedener Meinung sind, sondern lediglich, daß wir in der Methode nicht übereinstimmen. Und das sollten wir hier, Herr Kollege Scheer, nicht dramatisieren. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Soell. ({0})

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Zunächst möchte ich positiv festhalten, Herr Lowack, daß sich auch die Position der CSU im Lauf der Zeit verändert hat. Der Nichtverbreitungsvertrag hat nicht zum Versailles mit kosmischen Ausmaßen geführt, von dem damals ihr Vorsitzender Franz Josef Strauß gesprochen hat. ({0}) - Sicher. Herr Kollege Lowack, wenn Sie meinen, daß Atomwaffen zur Friedlichkeit dieser Welt beigetragen haben, dann kann ich dem so nicht zustimmen; denn die Tatsache, daß kein Krieg hier in Europa stattgefunden hat - weltweit haben ja seit 1945 rund 150 Kriege stattgefunden - , hat weniger mit der Existenz von Atomwaffen zu tun als mit der relativen Rationalität der hier in Europa beteiligten Mächte. Wenn Ihre Logik stimmte, müßte man in alle Krisengebiete der Welt nur Atomwaffen für die jeweiligen Konfliktgegner exportieren, dann wäre die Welt schon viel friedlicher. Diese Logik ist wohl nicht akzeptabel. Wir wollen mit diesem Antrag gemeinsame Positionen der Nichtkernwaffenstaaten zur Erneuerung und inhaltlichen Erweiterung dieses 1995 auslaufenden Vertrags formulieren, um ihn auch ab 1995 mehrheitsfähig zu halten. Der Kollege Feldmann hat den Einwand gebracht, eine solche Konferenz brächte kaum sinnvolle Ergebnisse, weil die Interessen der Nichtkernwaffenstaaten viel zu unterschiedlich seien. Ich möchte im Lichte unserer Forderungen, die wir in Punkt 3 genannt haben, analysieren, wie unterschiedlich die Interessen sind. Die Interessen an einer umfassenden nuklearen Abrüstung nach Art. VI des Vertrags sind doch wohl gemeinsame Interessen. Wenn Abrüstung tatsächlich in großem Umfang stattgefunden hätte, wären wir sicherlich sehr viel weiter mit dem Nichtverbreitungsregime. Das, was bisher war - einschließlich INF-Vertrag - , ist jedenfalls bis zur Nagelprobe des Verzichts auf die Modernisierung der Kurzstreckenwaffen zunächst einmal Umrüstung und nicht substantielle Abrüstung. Ebenso gibt es sicherlich ein gemeinsames Interesse an der Forderung nach einem umfassenden Testverbot unter den Nichtkernwaffenstaaten. Selbst das Verbot von friedlichen Kernexplosionen ist erreichDr. Soell bar, wenn die ersten beiden Forderungen erfüllbar sind. Wir hatten bisher unter den Nichtkernwaffenstaaten nur eine Kernexplosion - die indische 1974 -, von der wir nicht genau wissen, ob sie tatsächlich friedlichen Zwecken gedient hat. Seitdem haben wir keine Kernexplosion mehr gehabt. Auch bei der vierten Forderung, der Forderung nach umfassender Kontrolle für alle Anlagen für Kernbrennstoffe, ist ein entscheidendes Vorankommen möglich, wenn es substantielle Fortschritte in den ersten beiden Forderungen gibt, nämlich Abrüstung und umfassendes Testverbot. Die fünfte Forderung, die Forderung nach dem Exportverbot von nuklearer Technologie in Nichtvertragsländer, ist so lange notwendig, wie die Anhäufung von Atomwaffen als Zeichen des Großmachtstatus' bzw. zur Abschreckung möglicher militärischer Gegner weitere Länder in der Dritten Welt in die Versuchung bringt, nach Atomwaffen zu streben oder wegen der Tatsache, daß chemische Waffen immer stärker die Atomwaffen des kleinen Mannes werden, nach chemischen Waffen und ihren Trägersystemen zu streben. Gestern haben wir in der Aktuellen Stunde diskutiert, ob der Malta-Gipfel der Anfang vom Ende der in Jalta geschaffenen Ordnung war. Wir haben in den letzten Monaten und Jahren eine dramatisch veränderte internationale Situation im Ost-West-Verhältnis erlebt. Das Ost-West-Verhältnis war sehr stark konstituierend für die Schaffung dieser riesigen Massen von Nuklearsprengköpfen. ({1}) - Herr Kollege Lowack, wenn Sie hier dazwischenrufen: Sie wissen genau, wenn Sie die Geschichte der Atomrüstung betrachten, daß die USA in der Atomrüstung immer einen Schritt voraus waren, bis hin zur Zahl der Sprengköpfe, einschließlich des riesigen Modernisierungsschritts der Mehrfachsprengköpfe, die selbst steuerbar sind. Hier hat die Sowjetunion nachgezogen. Wir haben dies nie begrüßt, sondern immer bedauert. Hier war immer das Streben nach Parität angesichts der amerikanischen Vorrüstung vorhanden. Wir hören immer wieder, daß die Abschreckung sozusagen ein politisches Verhältnis in Waffen ausdrücke. Nun verändern sich die politischen Verhältnisse fundamental. Wir sehen heute, daß wir in Strategie und Rüstung diesen veränderten politischen Verhältnissen in keiner Weise gerecht werden. Das sieht man am deutlichsten in der Frage der Modernisierung der Kurzstreckenraketen. Die Modernisierung solcher Kurzstreckensysteme und auch von Tausenden von nuklearen Gefechtsfeldwaffen ist doch eine absurde Vorstellung angesichts der Situation, daß diese Waffen die Menschen in der DDR, in der CSSR und in Polen treffen und diese Länder völlig zerstören würden. Wenn Sie jetzt überlegen, ob diese Art von Abschreckung noch länger aufrechtzuerhalten ist - und wir wissen, daß sie immer mehr Züge der Selbstabschreckung trägt -, dann müssen Sie auch einmal überlegen, ob wir nicht angesichts der ungeheuren Verletzlichkeit hochindustrialisierter Staaten auch durch konventionelle Waffen über Atomwaffen tatsächlich noch verfügen müssen. Auch die andere Begründung, die sozusagen philosophischer Art ist, wenn man etwa an die Begründung denkt, die André Glucksmann in der „Philosophie der Abschreckung" gegeben hat, ist inzwischen nicht mehr zu rechtfertigen. Er hat dort gesagt: Die Existenz von Atomwaffen ist der Versuch, eine Art Ersatz für die sonst fehlende Kommunikation zwischen den öffentlichen Meinungen der demokratischen Länder und der totalitär regierten Länder in Osteuropa zu schaffen. In dem Maße, in dem es dort eine funktionierende demokratische Öffentlichkeit gibt, in dem es dort funktionierende demokratische Institutionen gibt, in dem es dort einen Dialog über Sicherheitspolitik und damit ein Stück Kontrolle über Sicherheitspolitik gibt, entfällt dieses Argument. Wo bleiben da die Vorschläge für eine radikale Abrüstung der Nuklearwaffen? Wo bleibt hier das Umdenken? Deswegen fordern wir eine solche Vorkonferenz, um auch diese Themen mit zu diskutieren, eine Vorkonferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten, die dazu beitragen kann, diesen Prozeß des Umdenkens und der Umorientierung des Handelns zu beschleunigen und dem Prinzip der Nichtweiterverbreitung mehr Geltung zu verschaffen. Denn Ihre Gewißheit, Herr Kollege Schäfer, daß wir 1995 eine satte Mehrheit für die Verlängerung des Vertrages haben werden - und wir brauchen diese Mehrheit für die Verlängerung dieses Vertrages -, kann ich so nicht teilen. Es wird eine Menge von zusätzlichen Problemen geben, wenn wir noch in gleichem Umfang diese Anhäufung von Atomwaffen haben und wenn wir noch in gleichem Umfang das strategische Denken haben, das damit verletzt ist. Wenn Sie 1990 einmal in Beziehung zu dem Jahr des Abschlusses des Nichtverbreitungsvertrages 1968 setzen, dann wird doch offenbar, daß wir inzwischen - selbst wenn wir in ein bis zwei Jahren eine 50prozentige Reduzierung der strategischen Kernwaffen erreichen würden, und das ist noch nicht gesichert - trotzdem das Vielfache an Vernichtungskraft hätten, gemessen an der Zeit des Abschlusses des Nichtverbreitungsvertrages von 1968. Das heißt, die Großmächte haben ihre Verpflichtung aus Art. VI in keiner Weise eingehalten. Das ist eigentlich das Thema, das wir nach wie vor vor uns haben. Hier gibt es aus den Reihen der Nicht-Kernwaffenländer eine immer stärkere Aversion gegen diese Art des Nichtverbreitungsregimes. Die Mehrheit für die Fortsetzung des Vertrages 1995 ist jedenfalls sehr gefährdet. Ich möchte sehr appellieren, daß Sie unserer Forderung auf eine Konferenz der Nicht-Kernwaffenländer zustimmen. Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lamers. ({0})

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Nacht ist der so14404 wjetische Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gestorben. Man hat Andrej Sacharow den Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe genannt. Ihn hat, wie viele seiner naturwissenschaftlichen Kollegen in aller Welt, der Blick in die Schrecken der technologischen Entwicklung zu einem Vorkämpfer einer neuen, friedlichen Ordnung auf dieser Welt gemacht. Er hat sich viel früher als viele andere, vor allen Dingen als seine Landsleute, für eine neue, für eine friedliche Ordnung und für Abrüstung eingesetzt. Aber er hat gewußt, daß der Frieden letztlich auf der Achtung der Menschenrechte und auf einer demokratischen Ordnung basiert. Er hat sich dafür in einer Weise und unter Umständen eingesetzt, von der ich meine, daß sie unseren höchsten Respekt verdient. ({0}) Andrej Sacharow war ein Vorkämpfer der Perestroika. Er hat wesentlich die moralischen Fundamente für eine wirkliche Neuformierung, für eine Neufundierung der sowjetischen Gesellschaft gelegt. Da dies für uns alle von so fundamentaler Bedeutung ist, sind wir ihm zu Dank verpflichtet, aber darüber hinaus auch deswegen, weil er sich für die Rechte der Deutschen in der Sowjetunion eingesetzt hat. ({1}) Ich finde, wir sollten seiner hier in Achtung gedenken. Meine Damen und Herren, von Staatsminister Schäfer, vom Kollegen Feldmann und vom Kollegen Lowack ist zu Recht gesagt worden, daß wir die Argumente zu unserem Thema mehr als hinreichend ausgetauscht haben. Kollege Scheer, ich verstehe ganz Ihr Engagement angesichts der Gefahren, die mit einer Verbreitung von atomaren Waffen in der sogenannten Dritten Welt verbunden sind. Wer wollte diese Gefahren übersehen? Aber erstens ist es doch so, wie Staatsminister Schäfer und auch Kollege Feldmann gesagt haben, daß die Gruppe, die Sie hier ansprechen wollen, nicht nur unterschiedliche, sondern geradezu gegensätzliche Interessen hat und daß das von daher ganz gewiß das ungeeignetste Instrument ist, um Ihrem Ziel näherzukommen. Zweitens. Mich stört wirklich - ich habe Ihnen das schon oft gesagt -, daß Sie hier eine Politik gegen die Allianz, gegen maßgebliche Mächte in der Allianz, betreiben wollen, nämlich gegen die Nuklearmächte. So sehr wir auch Interessen mit den Nicht-Nuklearwaffenstaaten in aller Welt gemein haben: In erster Linie haben wir gemeinsame Interessen mit unseren Allianzpartnern. ({2}) Der Weg, den Sie einschlagen, kann deswegen nicht zum Erfolg führen. Ich meine, das müßte Ihnen gerade auch angesichts der Entwicklungen, die wir zu verzeichnen haben, einleuchten. Wenn wir bescheidene Erfolge in der atomaren Abrüstung haben und wenn sich größere im Staat abzeichnen, dann ist das ja nicht das Ergebnis des Druckes auch von seiten der Nicht-Kernwaffenstaaten aus der Dritten Welt, sondern dann ist es das Ergebnis der zunehmenden Kooperation zwischen den atomaren Supermächten, und dann ist es das Ergebnis nicht zuletzt auch unseres, des deutschen, Einflusses innerhalb der Allianz auf die Vereinigten Staaten. Das ist das entscheidende Mittel, um auch bei der atomaren Abrüstung weiterzukommen. Sie gefährden mit Ihrer Haltung diese Möglichkeit. Deswegen bitte ich vor allen Dingen die sozialdemokratische Fraktion, einmal zu überlegen, ob sie dem Kollegen Scheer weiterhin dieses Steckenpferd in dieser Weise überlassen will. Ich würde dafür plädieren, es nicht zu tun. ({3}) Vielen Dank.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/5705. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2202 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der GRÜNEN gegen die Stimmen der SPD angenommen; ein vorweihnachtliches Ereignis. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. September 1988 zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans und der Regierung Kanadas über Zusammenarbeit bei Detailentwurf, Entwicklung, Betrieb und Nutzung der ständig bemannten zivilen Raumstation - Drucksache 11/4576-Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({0}) Haushaltsausschuß b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt ({1}) - Drucksache 11/5994 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2}) Rechtsausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Vosen, Fischer ({4}), Bulmahn, Catenhusen, Ganseforth, Grunenberg, Dr. Klejdzinski, Lohmann ({5}), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Erler, Dr. Vogel und der Präsidentin Dr. Süssmuth Fraktion der SPD Weltraumpolitik der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 11/1995, 11/4723 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rüttgers Fischer ({6}) Wetzel Nach der Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst. Dr. Probst, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Namens der Bundesregierung möchte ich folgende Erklärung abgeben: Die Weltraumpolitik dieser Bundesregierung ist die kontinuierliche Fortsetzung einer Politik, die mit den Beschlüssen von Brüssel im Jahr 1972, übrigens unter Beteiligung einer von der SPD geführten deutschen Regierung, begonnen worden ist. In Brüssel wurde in der Europäischen Weltraumkonferenz der Einstieg in die moderne Technik wiederverwendbarer bemannter Orbitalsysteme durch Entwicklung des Weltraumlabors Spacelab in transatlantischer Zusammenarbeit beschlossen. Dort wurde auch entschieden, mit der Entwicklung der Ariane eine eigenständige europäische Trägerraketenkapazität aufzubauen. Der Rat der ESA hat dann im Jahre 1987 in Den Haag unter deutscher Präsidentschaft einen Langfristplan bis zum Jahr 2000 als Orientierungsrahmen beschlossen. Kernpunkte dieses Langfristplans sind neben den Nutzungsprogrammen der Aufbau einer Infrastruktur aus den Transportsystemen Ariane V, Hermes, dem Orbitalsystem Columbus und einem Bodenbetriebssystem. Diese Infrastrukturprogramme sind unerläßliche Voraussetzung für die Nutzung des Weltraums in der Zukunft. Diese Option dürfen und wollen wir nicht aufgeben. Was Columbus angeht, so beraten wir heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zu dem internationalen Übereinkommen über dieses Programm. Hierbei handelt es sich um die Einleitung der Ratifizierung eines Vertragswerks, das die Grundlage für eine bisher einzigartige wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit in der Völkergemeinschaft sein wird. Das Übereinkommen regelt die Zusammenarbeit bei einem gemeinsamen Projekt der westlichen Demokratien, das von der technischen Herausforderung her bisher unübertroffen ist. Als Hauptprinzipien des Übereinkommens möchte ich die Stichworte Partnerschaft und friedliche Zwecke hervorheben. Art. 1 Abs. 1 umschreibt den Sinn der Kooperation als Partnerschaft zur langjährigen internationalen Zusammenarbeit bei Entwicklung, Betrieb und Nutzung einer ständig bemannten Raumstation. Europa hat damit die Position eines gleichberechtigten Partners der USA in der Weltraumforschung und -technik erreicht. Die Stellung Europas als vollwertiger Partner zeigt sich unter anderem in der Eigenverantwortung der Europäer für Entwicklung und Bau der europäischen Elemente. Hinsichtlich der friedlichen Zwecke stellt Art. 1 Abs. 1 fest, daß das Projekt eine „zivile Raumstation für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht" ist. ({7}) Der inzwischen erfolgte Beitritt Schwedens, Herr Kollege Catenhusen, zum Columbus-Programm unterstreicht in eindrucksvoller Weise den auch aus der Sicht eines neutralen Landes friedlichen Zweck der Kooperation. Im Sommer 1989, nach dem Wechsel in den Spitzenpositionen der NASA und im Vorfeld größerer Budgetkürzungen durch den US-Kongreß hat es innerhalb der NASA Überlegungen zur Änderung der Konfiguration der Raumstation gegeben. Diese hätte sich auch auf Europa negativ auswirken können. Inzwischen hat sich die Situation jedoch gewandelt. Die Kürzungen durch den Kongreß für das Haushaltsjahr 1990 sind wesentlich moderater ausgefallen. Die Intervention der europäischen Partner hat ihre Wirkung getan. Auch wenn Einzelheiten des Aufbaus der Raumstation zwischen ESA und NASA noch festzulegen und gewisse zeitliche Verschiebungen nicht auszuschließen sind, läßt sich nach heutiger Einschätzung feststellen: US-Administration und US-Kongreß haben inzwischen mehrfach klargestellt, daß ihre gegenüber den internationalen Partnern eingegangenen Verpflichtungen korrekt erfüllt werden. Meine Damen und Herren, wie gesagt: Bei Ariane, Columbus und Hermes geht es nicht, wie Kritiker es sehen, um eine Olympiade der Technik, sondern um die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Nutzung der Raumfahrt. Nur mit diesen Programmen kann langfristig ein angemessener Beitrag Europas in den Bereichen Grundlagenforschung und angewandte Forschung und ein zunehmender Einsatz für Erdbeobachtung, Umweltüberwachung, Verifikation und Klimaforschung sowie eine gezielte Förderung der Telekommunikation gewährleistet werden. ({8}) Zur Sicherung einer angemessenen deutschen Rolle im ESA-Programm gehört zwingend ein angemessenes komplementäres nationales Programm. ({9}) Der Bundesregierung ist es trotz dieses komplexen Aufgabenbereiches und trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten gelungen, in ihrem Haushalt für das Jahr 1990 die Weltraumforschung angemessen und den anderen Forschungsbereichen gegenüber ausgewogen zu veranschlagen. ({10}) Hinsichtlich der Kostenentwicklung möchte ich hier ausdrücklich feststellen, daß gegenüber dem Jahr 1987 keine höheren Ansätze des langfristigen Kosten14406 Parlamentarischer Dr. Probst rahmens für das gesamte Weltraumprogramm geplant sind, Herr Catenhusen. ({11}) Unsere heutigen Planungen auf der Grundlage des schon im Jahre 1987 von der Bundesregierung beschlossenen Orientierungsrahmens wurden konsequent und sparsam - sparsam! - fortgeführt, und dies, obwohl inzwischen zusätzliche, umfangreichere Programme aufgenommen worden sind. Ich möchte hier nur die Finanzierung des Hyperschallprogramms, die Kosten für die Kooperation mit der UdSSR wie auch Planungsansätze für einen Umweltsatelliten nennen. ({12}) Natürlich ist bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten und in den folgenden Jahren eine bedarfsgerechte Veranschlagung entsprechend diesen Planungen sicherzustellen. ({13}) Meine Damen und Herren, 1989 war für die deutsche Weltraumfahrt ein entscheidendes Jahr. Zum einen hat die Bundesregierung zur wirkungsvollen Durchführung ihrer Weltraumaktivitäten die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten, DARA, gegründet. Den dazugehörigen Gesetzentwurf, das Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz ({14}) - ein schwieriges Wort, zugegebenermaßen - , kurz RAÜG, beraten wir heute gleichfalls. Die Gründung der DARA war die notwendige Konsequenz aus den Beschlüssen der Bundesregierung zur Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den weltweiten Initiativen zur Erschließung des Weltraums. Es galt, zur Umsetzung und Ausfüllung dieser Zielsetzung die Entscheidungs- und Managementstrukturen zu verbessern und die Aktivitäten in der Weltraumpolitik zu koordinieren. Mit dem heute von der Bundesregierung abschließend vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt wird die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die für Raumfahrtangelegenheiten zuständigen Bundesressorts auf die DARA auch hoheitliche Aufgab en zur eigenverantwortlichen Durchführung übertragen. ({15}) Diese gesetzliche Ermächtigung ermöglicht eine Delegation aller Aufgaben des Raumfahrtmanagements, die nicht als Regierungsfunktionen bei den Bundesressorts verbleiben müssen. Damit erhält die DARA eine über die bisherige Projektträgerschaft deutlich hinausgehende Eigenverantwortlichkeit im Projektmanagement der Raumfahrt. Die Gründung der DARA ist nicht das einzige für das deutsche Engagement im Weltraum bedeutsame Ereignis des Jahres 1989. Die Industrie hat mit der Gründung der Deutschen Aerospace AG und der Fusion von MBB und Daimler-Benz ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Um den wirtschaftlichen Erfolg der Technologieförderung in seiner ganzen Breite verfügbar zu machen, wird die Bundesregierung auch weiterhin bemüht sein, die kleinen und mittleren Unternehmen, die viel Flexibilität und Innovationsfähigkeit bewiesen haben, noch stärker als bislang zu integrieren. ({16}) Die Bundesregierung hat ihr Weltraumkonzept im Bericht des Koordinators für Luft- und Raumfahrt, der im April 1989 vorgelegt wurde, kurz dargelegt. Ein ausführlicher Bericht des Bundesforschungsministers an den Forschungs- und Technologieausschuß des Bundestages wurde ebenfalls im April 1989 vorgelegt. Zum Schluß möchte ich noch kurz auf den vom Forschungsausschuß behandelten SPD-Antrag zur Weltraumpolitik zurückkommen. ({17}) Da findet sich so manche Gemeinsamkeit mit der Politik der Bundesregierung. Das freut mich natürlich. Wesentliche Elemente des Antrags muß die Bundesregierung jedoch zurückweisen. Ein Verzicht auf Columbus und Hermes bedeutet die Aufgabe der seit den Beschlüssen von Brüssel im Jahre 1972 kontinuierlichen Politik aller Bundesregierungen in den Fragen der bemannten Raumfahrt und der Transportsysteme. Er würde die auch vom Antragsteller geforderte internationale Zusammenarbeit mit den USA, mit Kanada und Japan, in Europa - dort vor allem mit Frankreich - ernstlich gefährden. Ich darf das Hohe Haus bitten, die Bemühungen um eine zukunftsträchtige Weltraumpolitik mitzutragen und die Bundesregierung zum Wohle der europäischen, ja der freien Völkergemeinschaft kräftig zu unterstützen. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Fischer.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihre Weltraumpolitik, Herr Staatssekretär - das hat sich eben wieder gezeigt -, erscheint uns Sozialdemokraten in vielen Zügen märchenhaft, um es noch euphemistisch zu umschreiben. ({0}) Niemand kann bis heute die genauen Kosten und die Folgekosten Ihrer Weltraumprojekte und natürlich auch nicht die Kosten der Verschrottung abschätzen. Nach den bisherigen und nicht gerade neuen Erkenntnissen werden diese Schrumpfprojekte immer kleiner, erstaunlicherweise aber im gleichen Tempo immer teurer. Ich werde daher begründen, warum die Fischer ({1}) beiden vorliegenden Gesetzentwürfe von uns Sozialdemokraten aus mehrfachen Gründen abgelehnt werden müssen ({2}) und warum unser Antrag zur Weltraumpolitik eine vernünftige Alternative zu Ihren Überlegungen darstellt. Die Raumfahrt droht die Finanzen des BMFT immer mehr zu belasten und den zukünftigen politischen Gestaltungsspielraum des BMFT durch die Konzentration der Fördermittel in seinem Haushalt erheblich einzuschränken. Nach Angaben der „Welt" vom November dieses Jahres soll das Defizit Ihrer Weltraumprojekte bis zum Jahr 2000 mehr als 7 Milliarden DM betragen. Das hat inzwischen überall zu scharfen Protesten geführt, sogar bei der Industrie ({3}) - sogar bei der Industrie, die doch - - ({4}) - Ja, dann fragen Sie einmal Herrn Högenauer bei MBB. ({5}) - Ein industrieller Vertreter. ({6}) - Sie müssen das doch wissen, Herr Rüttgers. Aber zu Ihnen komme ich gleich auch noch. ({7}) Das hat, wie gesagt, sogar bei der Industrie zu Protesten geführt, die doch eigentlich an neuen, innovationsträchtigen Aufträgen und Subventionen interessiert sein müßte. Nicht ohne Grund wird befürchtet, daß mit der Raumfahrt die notwendige Förderung anderer Forschungsprojekte zwangsläufig belastet oder gar ausgezehrt wird. Trotzdem verkünden Sie gleichzeitig beim bemannten Raumflug zum Mars: Da machen wir Deutschen mit. Also zuerst einmal Peterchens Mondfahrt und jetzt Riesenhubers Marsflug. Herr Riesenhuber, der Minister, hat einmal gesagt, es sei wirklich ein Irrtum zu glauben, man bekäme mehr Wissenschaft, wenn man nur genügend Geld hineinschütte; Zitat in der „Zeit" vom 14. April 1989. ({8}) Trotz dieser Aussage, der wir gerne zustimmen, verteidigt Herr Minister Riesenhuber diesen ungeheuren Aufwand für die Raumfahrt nicht zuletzt mit dem Argument, bei der Raumfahrt handele es sich um einen Technologietreiber mit erheblichem Nutzen, mit hohem Innovationswert und mit einer großen Breitenwirkung für die gesamte Wirtschaft. Inzwischen belegen zahlreiche Studien, teilweise sogar von Ihrem Haus, vom BMFT, bzw. vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, und klare Aussagen aus Industrie- und Forschungskreisen, daß Ihre allzu optimistischen Annahmen in die Sparte „Märchen" gehören. Ich freue mich in diesem Zusammenhang ganz besonders, daß sich Herr Rüttgers inzwischen zumindest stellenweise der Position der Sozialdemokraten angenähert hat. ({9}) So konnte man in der „Frankfurter Allgemeinen" am 31. Oktober 1989 lesen: Ein CDU-Abgeordneter, der für Raumfahrtpolitik zuständig ist, hat jetzt öffentlich Zweifel angemeldet, ob die deutschen und europäischen Planungen für die Raumfahrt aufrechterhalten werden können. Die Finanzierung der Vorhaben stoße an Grenzen. ({10}) Rüttgers warnt davor, aus der Raumfahrt eine Technologieolympiade zu machen. ({11}) Der Staatssekretär hat sich gerade vorhin von diesem Wort distanziert. ({12}) Im übrigen sei nicht besonders viel Weltraumtechnik für den irdischen Gebrauch nützlich geworden. Überprüfung meint Rüttgers bei den europäischen Projekten Hermes und Columbus wörtlich. Diese Prüfung sei politisch beschlossen, und es dürfe nicht so getan werden, als sei die Entscheidung schon gefallen. ({13}) Zitat Ende. So in der FAZ. ({14}) Gefragt werden muß in dieser Debatte, inwieweit Ihre eigenen Zielvorgaben durch die vorliegenden Vertragstexte, durch die aktuellen Veränderungen bei Columbus und Hermes und durch den Start der neuen Deutschen Raumfahrtagentur eingehalten werden können bzw. schon überholt sind. ({15}) Im Vertragstext zur Raumstation heißt es unter dem Punkt Zielsetzung: Die gesamte Raumstation ist nach dem Vertragstext eine „zivile Raumstation für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht". Auf Seite 37 kommt dann allerdings die Einschränkung. Da können wir lesen: In Zweifelsfällen entscheidet der Partner, der das jeweils genutzte Element beigestellt hat, ob er die geplante Nutzung für friedlich hält, . . . Von dieser Einschränkung, Herr Probst, haben Sie vorhin nichts gesagt. Im Klartext heißt das nichts an14408 Fischer ({16}) deres: Jeder entscheidet selber, ob etwas friedlich ist oder nicht. Man muß schon ein großer Interpretationskünstler sein, um zu einer anderen Auffassung in dieser Frage zu kommen. ({17}) Im Verständnis der USA dienen z. B. auch die Arbeiten am Raketenabwehrsystem im Weltraum - SDI -rein friedlichen Zwecken. Eine friedliche Nutzung ist somit nicht gegeben. Gerade jetzt vor dem Hintergrund wirklich friedlicher Veränderungen in Osteuropa sollten wir darauf achten, daß die Raumstation nicht für militärische Zwecke mißbraucht wird. Wie sieht es nun überhaupt mit der fairen Partnerschaft aus? Verstehen Sie etwa unter fairer Partnerschaft, daß sich Ihr Partner nicht an Absprachen hält, daß die Amerikaner allein in diesem Jahr ihr Raumstationbudget um 200 Millionen Dollar gekürzt haben, daß Teile des Projekts über Bord gehen müssen und die jetzt abgemagerte Raumstation für das europäische Projekt Columbus erhebliche Schwierigkeiten bringen wird? Wie sieht der wissenschaftliche Nutzen aus? Der Schweizer Professor Augusto Cogoli, Vorsitzender der Nutzer der Raumstation, führt dazu folgendes aus: Als Nutzer der Mikrogravitation wären wir mit dem Spacelab für die nächsten 20 Jahre bestens bedient gewesen. Wir waren überrascht, daß nach zwei oder drei Spacelab-Flügen die Raumstation folgen soll. Das ist totaler Unsinn. Wir Wissenschaftler haben die Raumstation nicht gefordert. So stand es in der „Stuttgarter Zeitung" vom 5. August 1989. Bis heute weiß man nicht genau, wie die zukünftige Raumstation aussehen wird. Bisher wird sie immer kleiner und teurer - wie auch der Raumtransporter HERMES. Statt acht Astronauten sollen nur noch vier Astronauten in der Station leben können. Auch bei HERMES wird die Zahl der Astronauten, die mitfliegen können, immer geringer. ({18}) Selbst Beamte des BMFT räumten schon ein - nachzulesen in den vdi-Nachrichten - , daß die Raumstation so nicht laufen wird, weil sie unbezahlbar ist. Der Hauptzahlmeister beim europäischen Teil ist die Bundesrepublik mit 38 %. Wir Sozialdemokraten lehnen daher nicht nur den vorliegenden Gesetzentwurf ab, sondern das ganze unsinnige Projekt Columbus. Lassen Sie mich jetzt zum Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und zur Deutschen Raumfahrtagentur kommen. Seit langem sind von allen Politikern und Wissenschaftlern, die sich mit der Raumfahrt auseinandersetzen, eine Deutsche Raumfahrtagentur und ein Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz gefordert worden. ({19}) - Ja, es ist so. Doch Konzeptionslosigkeit und Kompetenzgerangel - jetzt kommt es, Herr Rüttgers - der verschiedenen zuständigen Ministerien verhinderten lange Zeit die Gründung einer DARA. ({20}) Erwartet und befürchtet wurde in der internationalen Fachwelt eine effiziente Agentur mit Spitzenpersonal aus dem Raumfahrtbereich, die der französischen Dominanz in der ESA, aber auch der amerikanischen NASA mit fundierter Sachkenntnis und entschiedenem Durchsetzungsvermögen Paroli bieten könnte. Warum sollten die Deutschen bei gemeinsamen Projekten, z. B. beim Airbus oder - was jetzt in der Diskussion ist - bei HERMES und COLUMBUS, immer nur als Zahlmeister auftreten, während andere die Systemführerschaften übernehmen? Das war mit ein Grund, warum wir eine Deutsche Raumfahrtagentur überhaupt wollten. Wie sieht das Ergebnis aus? ({21}) - Für Sie vielleicht. - Es ist eine Agentur, die weder ihre Aufgaben wahrnehmen kann noch diesen gewachsen ist. Die DARA ist nichts anderes als eine Unterabteilung des BMFT zu Lasten der DLR geworden. Die DARA hat nur geringe Kompetenzen. Alle Entscheidungen, die bei der CNES, bei der französischen nationalen Raumfahrtagentur, ad hoc ablaufen, müssen bei uns erst die verschiedenen Instanzen durchlaufen, und auch das Kompetenzgerangel der Ministerien geht weiter. Laut Postministerium - Herr Rüttgers, hören Sie gut zu ({22}) soll die DARA wegen mangelnder Konzeption und laienhafter Organisation nicht mit Aufträgen bedacht werden. ({23}) Dem Verteidigungsministerium fehlen wegen des Projekts Jäger 90 die Finanzmittel, um Aufgaben zu übertragen. Kurz gesagt, außer vom BMFT wird die DARA kaum Aufträge erhalten. Gehen Sie einmal das Gesetz durch: Darin steht ja, daß die DARA Aufträge erhalten kann - das war doch ein entscheidender Streitpunkt - , nicht soll. ({24}) Sie werden sehen, wie viele Aufträge sie von anderen Ministerien bekommt. Zusätzlich verärgert wurden die anderen Ministerien durch die Personalpolitik des BMFT. So finden sich etliche ehemalige BMFT-Mitarbeiter in DARA-Schlüsselpositionen. ({25}) Fischer ({26}) - Herr Junker sitzt bei der SPD-Bundestagsfraktion als Referent. ({27}) Mit Recht hat daher mein Kollege Fred Zander in der letzten Haushaltsdebatte die DARA mit dem aus der Astronomie entlehnten Begriff „Schwarzes Loch" treffend gekennzeichnet. Es ist ein Skandal, daß noch immer ungewiß ist, ob überhaupt und wie viele Mitarbeiter der DLR übernommen werden. Da gibt es eine große Unsicherheit. Sprechen Sie einmal mit den Leuten von der DLR, die in dem Bereich Projektträgerschaft tätig sind und die nicht wissen, wohin, wenn sie nicht übernommen werden. Die Rechnung Ihrer Raumfahrtpolitik geht nicht auf. Es ist ein Fehler der Koalitionsparteien, wenn sie mit ihrer Beschlußempfehlung unseren Antrag weiterhin ablehnen. ({28}) Vielleicht sollten Sie einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" von gestern nachlesen, um zu sehen, ({29}) was der Journalist, der das geschrieben hat, von Ihrer Weltraumpolitik hält. ({30}) Schönen Dank. ({31})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP begrüßt, daß nach einem insgesamt zeitaufwendigen und schwierigen Entwicklungsprozeß nun mit dem Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz - eine schöne Wortschöpfung übrigens - endlich die letzte noch fehlende Komponente im Regelwerk für die Rahmenbedingungen, in denen DARA arbeiten soll, zur Beratung vorliegt. Bei den Anforderungen an die Organisationsstrukturen einer Raumfahrtagentur geht es doch - da sind wir hoffentlich einig - um folgende Kernpunkte: straffe Organisation, institutionalisierte Instrumentarien zur Gewährleistung der Zusammenarbeit zwischen den Ressorts, Herr Kollege Fischer, Einbindung von Wissenschaft und Industrie bei der Erarbeitung von Raumfahrtzielsetzungen und vor allem auch Wahrnehmung deutscher Interessen in internationalen Gremien. Mit den jetzt geschaffenen Rahmenbedingungen sind die geforderten Strukturmerkmale weitgehend realisierbar. In dem einen oder anderen Punkt - das verhehle ich nicht - hätten wir gerne noch eine größere Flexibilität erreicht, z. B. bei den Rahmenbedingungen für die Personalpolitik der DARA. Bei unseren nachhaltigen Bemühungen sind wir hier aber offenbar an die Grenzen des in der Bundesrepublik Machbaren gestoßen. Ich meine, verbleibende Mängel können nunmehr nur noch durch besonders engagiertes und qualifiziertes Personal ausgeglichen werden. Aus der Sicht der FDP bedarf es aber darüber hinaus zusätzlicher konzeptioneller Arbeit. Das betrifft vor allen Dingen die organisatorische Gestaltung, die inhaltliche und zeitliche Abklärung operativer Teilziele sowie ihrer Durchsetzungswege. Diese Arbeit muß die DARA jetzt leisten, und zwar selbst. ({0}) Dabei geht es z. B. auch um die Einschätzung und Entwicklung von Handlungsalternativen einschließlich der systematischen Überprüfung von Mittel- und Langfristzielen unter den vorgenannten Rahmenbedingungen und urn Realisierungskonzepte für Unternehmensziele. Bereits in der Startphase ist eine wirkungsvolle Begleitung des Aufbaus von DARA unter diesem Aspekt besonders wünschenswert. Hier müssen von Anfang an die richtigen Weichenstellungen nach innen und nach außen vorgenommen werden. Dazu gehören z. B. auch Professionalität und Sensibilität für Timing und Inhalt von Presseerklärungen. Bevor die Forderung nach mehr Geld erhoben wird, sollte doch zunächst eine in sich schlüssige Gesamtkonzeption der Raumfahrtpolitik entwickelt werden, ({1}) in die die nationalen, europäischen und internationalen Aktivitäten einbezogen werden. ({2}) Es hat von verschiedenen Seiten Klagen über die Schwierigkeiten beim personellen Aufbau der DARA gegeben. Die Zeit, die ich zur Verfügung habe, reicht leider nicht, um darauf genauer einzugehen. Aber zwei Punkte möchte ich dennoch nennen. Die FDP hat kein Verständnis dafür, wenn bei der geschilderten Sachlage Personalübergänge zur DARA durch kleinliche Tarifrabulistik behindert werden. ({3}) Die FDP hält es für unverantwortlich, wenn mit öffentlichen Mitteln langjährig aufgebaute Fachkompetenz in funktionsfähigen und erprobten Expertenteams beim Projektträger in der DLR durch unklare Arbeitsplatzperspektiven bei den Übernahmeverhandlungen in ihrem Fortbestand gefährdet sind ({4}) und damit möglicherweise oder sogar gewiß die Mitarbeiter demotiviert werden. ({5}) Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz zu einem internationalen Übereinkommen über Bau und Nutzung einer bemannten zivilen Raumstation ist ein bemerkenswerter Schritt hin zu globaler Kooperation bei großen technisch-organisatorischen Aufgaben. Die FDP begrüßt dieses Übereinkommen. Die hoheitlichen und administrativen Fragen konnten in dem Übereinkommen zwischen den Partnerstaaten befriedigend geregelt werden. ({6}) Wichtig für uns - Herr Kollege Fischer, das ist eine Kernaussage - ist der Art. 1 Abs. 1, in dem festgestellt wird, daß es sich um eine zivile Raumstation für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht handelt. Meine Damen und Herren, mit der Beteiligung an dem ESA-Projekt Columbus wie auch mit den Großprojekten Hermes und Ariane V sind weitreichende inhaltliche und finanzielle Marksteine für das Engagement der Bundesrepublik gesetzt worden. Es wird nunmehr darauf ankommen, diese Großprojekte auch im Hinblick auf ihre technische Realisierung und Leistungsfähigkeit so weit zu definieren, daß die Nutzungsmöglichkeiten dieser Infrastrukturelemente im erdnahen Weltraum inklusive der damit verbundenen Kosten in akzeptablen Grenzen kalkulierbar bleiben. ({7}) Macht ein Projekt Hermes, technisch gesehen, noch einen Sinn, wenn die Nutzlast gegen null geht? ({8}) Und muß, wenn diese Frage verneint wird, nicht auch das Projekt Ariane V kritisch betrachtet werden? ({9}) Solange also die tatsächlichen Nutzungsmöglichkeiten dieser Infrastrukturen offen sind, wird die Gewinnung von Nutzern mit eigenem finanziellen Engagement wohl erfolglos bleiben. ({10}) Damit wird aber auch die Beteiligung der Bundesrepublik an diesen Projekten umstritten bleiben. ({11}) Eine Begründung, die nur auf allgemeine außenpolitische Erfolge abzielt, ({12}) reicht hier nicht aus, wiewohl wir nicht verkennen wollen, daß hier internationale Verpflichtungen eingegangen wurden, ({13}) insbesondere mit einer Reihe von europäischen Staaten, denen sich jetzt auch - und das beachten Sie bitte - Schweden angeschlossen hat, Verpflichtungen aus denen man mit Fug und Recht nicht so ohne weiteres herauskommt. ({14}) Aus der Sicht der FDP muß es gelingen, oberhalb der Entscheidungsebene über einzelne Raumfahrtprojekte zu einem langfristigen Grundkonsens in Politik und Wirtschaft über Ziele und Absichten der nationalen Weltraumpolitik zu kommen. Ich danke Ihnen. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wetzel.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut zwei Jahren hatten wir hier in diesem Hause schon einmal eine grundsätzlich angelegte Debatte über die Raumfahrtpolitik der Bundesregierung. ({0}) Damals haben wir GRÜNEN, auch zahlreiche andere gesellschaftliche Gruppen und Teile der SPD vor allem drei Positionen vertreten: Erstens. Die bemannte Raumfahrt ist zu teuer. Zweitens. Sie ist forschungs- und industriepolitisch sinnlos. Drittens. Die von der Bundesregierung und der Europäischen Weltraumorganisation vorgelegten Planungen sind unseriös. ({1}) Diese drei Behauptungen, die noch vor zwei Jahren seitens der Bundesregierung und der Regierungskoalition auf schärfste Kritik stießen, ({2}) sind in den letzten Jahren allesamt bestätigt worden. ({3}) Zum ersten Punkt, meine Damen und Herren, daß die bemannte Raumfahrt zu teuer ist: Inzwischen stellt das Forschungsministerium selber fest, daß über die geplanten Haushaltsansätze hinaus dem Raumfahrtprogramm bis zum Jahr 2000 7 Milliarden DM fehlen. Das entspricht in etwa den Prognosen, die wir damals, vor mehr als zwei Jahren, 1987, diesem Hause vorgetragen haben. ({4}) Meine Damen und Herren, im Ausschuß haben sich sozialdemokratische Kolleginnen und Kollegen und habe auch ich mich immer wieder darum bemüht, daß Herr Riesenhuber Auskunft über die Kostenplanung gibt. Wissen Sie, was da geschehen ist? Herr Riesenhuber erklärte mehrfach, so z. B. noch am 26. April dieses Jahres, daß Kostenabschätzungen derzeit nicht möglich seien, ({5}) weil jetzt erst die Industrieangebote eingingen. Der Minister entzog sich der weiteren Debatte damit, daß er sagte: Verläßliche Zahlen werden in der Zwischenphase bis 1990 nicht zur Verfügung stehen. ({6}) Meine Damen und Herren, also ist auch das jetzt vom Forschungsministerium konstatierte Defizit von '7 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 alles andere als verläßlich. ({7}) Man kann, ohne ein falscher Prophet zu sein, bereits heute vorhersagen, daß wir im nächsten Jahr mit zusätzlichen Bedarfsanmeldungen zu rechnen haben werden. ({8}) Wenn jetzt aber die Bundesregierung einen Ausweg darin sucht, entweder - so jedenfalls aus der DARA von Herrn Wild zu hören - eine Steigerung des gesamten Forschungshaushalts oder eine Ausgliederung der Raumfahrt aus Herrn Riesenhubers Etat vorzunehmen, dann sind das grundfalsche Alternativen. In jedem Fall hat der Bundeshaushalt, haben die Steuerzahler die Folgen dieser ebenso unkalkulierbaren wie kostenexplosiven Raumfahrtpolitik zu tragen. Hier muß das Parlament ein Stoppsignal setzen, meine Damen und Herren! ({9}) Das Raumfahrtprogramm ist forschungs- und industriepolitisch sinnlos. Gott sei Dank wird inzwischen auch in Kreisen der CDU angezweifelt, ob die Projekte Ariane und Hermes und sogar Columbus überhaupt einen Nutzen haben, der den hohen Kostenaufwand rechtfertigt. Auch Kollege Laermann von der FDP hat hier gerade sehr begründete Zweifel angemeldet. ({10}) Daß sie von namhaften Wissenschaftsorganisationen, aber auch von weiten Teilen der Industrie abgelehnt wurden, wußte man schon vor zwei Jahren. ({11}) Heute gibt es praktisch niemanden mehr, der diese Projekte befürwortet. ({12}) Meine Damen und Herren, dies ist die erste Lesung des Gesetzes zum ESA-NASA-Vertrag. Dieser Vertrag birgt viele Tücken in sich; eine davon möchte ich hier ansprechen. Ich befinde mich dabei - das sage ich ausdrücklich - in Widerspruch zum Kollegen Laermann. Kollege Laermann hob auf Art. 1 des Vertrages ab. Wir GRÜNEN dagegen möchten auf Art. 9 des Vertrages abheben, in dem es heißt, daß derjenige Partner, der das jeweilige Element der Raumstation bereitstellt, selber bestimmt, ob eine ins Auge gefaßte Nutzung des betreffenden Elements friedlichen Zwecken dienen soll. Dieser Passus hält - entgegen der in Art. 1 erklärten Absicht, daß die Raumstation friedlichen Zwecken dienen solle - Tür und Tor für die militärische Nutzung offen. Meine Damen und Herren, ich muß mit meiner Redezeit sehr haushalten. Die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß wissen, daß ich mehrfach zahlreiche US-amerikanische Dokumente zu diesem Problem vorgelegt habe, Dokumente, aus denen eindeutig die militärische Nutzungsoption der USA für die von ihr bereitgestellten Elemente der Raumstation Columbus hervorgeht. Ich stelle daher namens meiner Fraktion den förmlichen Antrag - ich bitte die Frau Präsidentin, im Anschluß an die Debatte darüber abstimmen zu lassen - , den Gesetzentwurf zu diesem Vertragswerk auch an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Durch diesen Vertrag werden in hohem Maße außenpolitische Belange der Bundesrepublik berührt. Ich komme zur DARA. Ich muß mich sehr kurz fassen. Bei der DARA gibt es vor allem zwei Probleme: Erstens. Aus der DARA wird berechtigte, gut begründete Kritik an Ariane, an Hermes und auch an Columbus laut. Aber diese Kritik scheint sich in unseren Augen, in den Augen der GRÜNEN, darauf zu konzentrieren, das Projekt zur Förderung der Hyperschalltechnologie - das Projekt Sänger - zu forcieren. Man braucht nur in den Haushalt zu gucken, wo Sänger haushaltsmäßig angesiedelt ist; Sänger ressortiert bei der Luftfahrt, nicht bei der Raumfahrt. Sänger ist von vornherein - auch wegen der hohen Beteiligung des Verteidigungsministeriums - ein militärisch gedachtes Projekt. ({13}) - Kollege Lenzer, es ist doch Unfug, hier von einem Raumgleiter zu sprechen und der Öffentlichkeit und dem Parlament gegenüber zu behaupten, daß es sich hier um Planungen für ein ziviles Verkehrsflugzeug handelt, das aber wesentlich mit aus dem Verteidigungshaushalt finanziert wird. Es geht in der Tat darum, einen Nachfolgetypus des „Jäger 90" zu projektieren. Das ist eine Vermutung. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber konkret zu sprechen, aber dann möchten wir auch genauere Unterlagen von der Regierung haben. Zweitens. Die Konstruktion der DARA entzieht die DARA demokratischer Kontrolle durch das Parlament. Trotz der Tatsache, daß hoheitliche Befugnisse an die DARA übertragen werden, ist keine hinreichende demokratische Kontrolle gewährleistet. Deswegen brauchen wir eine Neukonstruktion der DARA. Meine Damen und Herren, ich fasse die Position meiner Fraktion kurz zusammen. Erstens. Wir werden dem Gesetz zum ESA-NASAVertrag nicht unsere Zustimmung geben. Wir werden uns in den weiteren Beratungen darum bemühen, mit Ihnen zusammen Möglichkeiten zur Beendigung dieses Raumfahrtprogramms zu erarbeiten. Zweitens. Wir werden Rekonstruktionsvorschläge zur DARA machen. Drittens. Wir werden Sie auffordern, mit uns zusammen ein neues Programm für unbemannte Raumfahrt zu entwickeln. Wir stellen uns vor, daß der finanzielle Rahmen dieses Programms bei etwa 1 Milliarde DM pro Jahr liegen müßte. Wir befinden uns am Anfang einer neuen europäischen Friedensordnung. Wir haben einen unheimlich großen Bedarf an technologischer Kooperation vor allem mit unseren östlichen Nachbarn. Die in der Raumfahrt eingesparten Gelder wären sinnvollerweise darauf zu verwenden, daß diese neue Friedensordnung eine entsprechende soziale und materielle Basis zum Aufbau von Frieden und Demokratie in Gesamteuropa bekommt. Die Erde liegt uns näher als das Weltall. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über eine doppelte Weichenstellung für eine neue Phase der deutschen Weltraumpolitik: Mit der Vereinbarung über die Internationale Raumstation „Freedom" vollzieht Westeuropa einen entscheidenden Schritt von einer gelegentlichen Weltraumpräsenz zur ständigen Präsenz. Mit dem Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz wird die Rechtsgrundlage für ein leistungsfähiges Raumfahrtmanagement geschaffen. Ich bin froh, daß man mir seitens des Ministeriums versichert hat, daß der bürokratische Name dieses Gesetzes kein Omen für die Arbeit der DARA sein soll. ({0}) Wir sind uns einig, verehrter Herr Catenhusen: Die Neuordnung des Raumfahrtmanagements ist notwendig. Die deutsche und europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist - das wissen wir alle, und darüber haben wir in diesem Hause bereits mehrfach diskutiert - auf dem Weg zu neuen Strukturen, weil uns allen klar ist, daß wir im globalen Wettbewerb der Zukunft nur so bestehen können. Die Europäische Weltraumorganisation steht vor der Durchführung von wichtigen Großprojekten. Das DARA-Konzept der Bundesregierung trägt dieser neuen Dimension Rechnung. Es handelt sich nicht um eine Projektträgerschaft im klassischen Sinn, es handelt sich auch nicht um eine bloße Ausgliederung der entsprechenden Abteilung des Ministeriums, ({1}) sondern es geht um eine qualitativ neue Form der Durchführung von Verwaltungsaufgaben. ({2}) Dabei sind Effizienz, Eigenverantwortung und Bündelung der Aufgaben entscheidend. ({3}) Auf dem Hintergrund dieser berechtigten Erwartungen müssen beim Aufbau der DARA - verehrter Herr Kollege Catenhusen, es geht hier nicht um die Frage der Besoldung irgendwelcher Mitarbeiter, die man gern in der DARA haben möchte ({4}) zwei inhaltliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, und zwar erstens Rahmenbedingungen, die die Mitarbeit in der DARA auch für qualifiziertes Personal aus der Industrie attraktiv machen; zweitens die zügige Übertragung der Raumfahrtaufgaben von den Ressorts auf die Agentur. Der Gesetzestext zeigt, daß keine Verpflichtung zur Aufgabenübertragung aufgenommen wurde. Der Grund ist einfach: Es gäbe hier verfassungsrechtliche Bedenken. Eine solche generelle Verpflichtung wäre auch praxisfern. Um so bedeutsamer ist der Kabinettsbeschluß der Bundesregierung, in dem eindeutig festgehalten ist: Die Aufgabenübertragung ist der Regelfall. Alles andere sind Ausnahmen; sie müssen im Einzelfall besonders begründet werden. ({5}) Mit diesem Gesetz verschaffen wir der DARA heute die Rechtsgrundlage für ihre eigentliche Aufgabe. Und ich meine, Kollege Fischer, wir sollten vorsichtig damit sein, über das Profil und die Wirkung dieser Neuorganisation jetzt, knapp 100 Tage nach der Gründung, ein abschließendes Urteil zu fällen, bevor sie endgültig aufgebaut werden konnte. ({6}) Die DARA ist das Instrument zur Verbesserung des Managements. Für die Inhalte der Weltraumpolitik bleibt die Bundesregierung verantwortlich und bleibt der Deutsche Bundestag, Kollege Wetzel, der rechte Ort der Debatte. Davon, daß die Zuständigkeit des Parlaments für die Kontrolle im Bereich der Raumfahrt durch die DARA eingeschränkt wurde, kann keine Rede sein. ({7}) Deshalb ist es richtig, daß wir heute auch über ein Kernelement der deutschen Raumfahrtstrategie diskutieren, nämlich über die Beteiligung an der Internationalen Raumstation. Ich will für meine Fraktion hier klar sagen: Wir stellen heute keine Blankoschecks für Columbus aus. ({8}) Wenn die Vereinigten Staaten die Raumstation umplanen wollen, dann müssen sie mit ihren Partnern verhandeln. Versuche einseitiger Veränderung haben mit Geist und Buchstaben dieser Vereinbarung nichts zu tun. Im Gegenteil: Sie gefährden sogar die Kooperation. Die Verschiebung von Startterminen, die Reduzierung von Versorgungsleistungen oder die Erhöhung von Betriebskosten durch technische Änderungen auf amerikanischer Seite betreffen uns bei einem gemeinsamen Projekt natürlich unmittelbar. ({9}) Darüber hinaus ist es so, daß diese Ungewißheiten die europäische Planung belasten. Eine Zusammenarbeit um jeden Preis bei diesem Projekt wird es nicht geben. Aber die Konsultationsmechanismen, die in diesem Vertrag vorgesehen sind, müssen sich jetzt bewähren. Denn nur so kommen wir zu Klarheit über Strukturen, Kosten und Termine. ({10}) Geschäftsgrundlage für diese Debatte können nur die vorliegenden Texte sein. Insofern machen Sie es sich zu einfach, wenn Sie sagen: Da stimmen wir nicht zu, das machen wir nicht. Denn dann kann das vereinbarte Konsultationsverfahren, das man braucht, um eine Klärung herbeizuführen, natürlich nicht mehr funktionieren. ({11}) Das Regierungsabkommen ist ebenso wie die Durchführungsvereinbarung zwischen NASA und ESA ein gutes Dokument. - Und, verehrter Herr Catenhusen, Sie wissen auch: Wenn über einen Vertrag fünf Jahre verhandelt wird, um ein sehr komplexes System wie eine Raumstation zu bauen, dann sind damit nicht alle Probleme gelöst. Vielmehr müssen bei jedem Schritt, bei jeder neuen technischen Erkenntnis weitere Gespräche folgen. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wetzel?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rüttgers, können Sie sich daran erinnern, daß wir in der Planungsphase mehrfach auf meine Initiative hin über Art. 9 gesprochen haben und daß uns der Herr Minister mehrfach - meiner Erinnerung nach zweimal - ausdrücklich eine befriedigende Regelung vor dem Hintergrund „Brief von Weinberger an Shultz, dann dieser Zusatzparagraph zum Entwurf von Art. 9 des vorliegenden Vertrages" zugesagt hat? Halten Sie den Art. 9 in seiner gegenwärtigen Fassung für befriedigend im Sinne der Zusagen des Ministers, nämlich daß ausdrücklich strikt die zivile Nutzung der Raumfahrtstation von allen Partnerstaaten gewährleistet sein solle?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gleich zu dem Punkt noch Stellung nehmen. Herr Kollege Wetzel, wenn Sie einverstanden sind, können Sie auch Platz nehmen. Dann beantworte ich das, wie ich das auch vorgesehen hatte; das ist einer der Kernpunkte, zu dem man natürlich heute morgen hier etwas sagen muß. ({0}) Das Regierungsabkommen sowie die Durchführungsvereinbarungen sind, wie ich eben schon ausgeführt habe, gute Dokumente und ein gutes Fundament für die weitere Zusammenarbeit zwischen den Staaten der ESA und den Vereinigten Staaten. Ich meine, daß bei den Verhandlungen wesentliche Ziele Europas erreicht werden konnten. Das eine ist, daß Europa auch in der Betriebsphase das entscheidende Wort in den eigenen Stationselementen behält. Europa ist eben kein Untermieter in der Station; die europäischen Beiträge werden bei den Vereinten Nationen europäisch registriert und unterliegen europäischer Jurisdiktion. Es gibt ein Mitbestimmungsrecht Europas beim Management der Gesamtstation, und wir werden nicht zum Zahlmeister der Raumstation, weil die Betriebskosten nach einem fairen Schlüssel aufgeteilt werden. Die Gesamtstation - das haben Sie angesprochen, Kollege Wetzel - ist als zivile Raumstation für friedliche Zwecke deklariert, in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht. Das ist die wörtliche Formulierung. Dies war ja - das betraf alle Fraktionen dieses Hauses - ein europäisches Anliegen. Es ist völlig klar, daß in den europäischen Stationselementen nur zivile Forschungen stattfinden, auch - das ist wichtig - soweit sie von den Amerikanern genutzt werden. Es ist ebenso wichtig, daß sich das neutrale Schweden an der Raumstation beteiligt. Die Schweiz und Österreich haben dem Projekt seine Vereinbarkeit mit der ESA-Konvention bescheinigt. Insofern, Kollege Wetzel, ist ziemlich deutlich, daß das, was wir in der ESA-Konvention haben, die friedliche Nutzung, die friedliche Forschung, auch in diesem Vertragswerk sichergestellt ist. Die Raumfahrt, werte Kolleginnen und Kollegen, wird zunehmend zu einem Gebiet der Kooperation über Systemgrenzen hinweg. Zu Recht stellt auch niemand Vorbedingungen für eine Weltraumkooperation mit der Sowjetunion auf.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Wetzel?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur eine kleine Zusatzfrage, Herr Kollege Rüttgers: Ist Ihnen erinnerlich, daß sogar der forschungspolitische Sprecher der CDU, also einer deutschen Partei, im Ausschuß erklärt hat, daß die künftige deutsche NASA, sprich die heutige DARA, auch militärische Aufgaben übernehmen solle?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Kollege Wetzel, ich glaube, wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist die Frage, was wir in der Raumstation tun. ({0}) Das ist klar durch die Verträge und durch die ESA-Konvention festgeschrieben. Neben diesem europäischen Programm haben wir ein nationales Programm. Da stimme ich dem Kollegen Lenzer eindeu14414 tig zu, daß die künstliche Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung heute so nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Das Beispiel kennen Sie: Etwa bei der Erderkundung können Sie auf den Bildern, die von Satelliten geschossen werden, genauso einen privaten Lkw wie einen militärischen Lkw bis hin zur Nummer des Kennzeichens erkennen. Das ist das Ergebnis der Technik. Die Trennung funktioniert heute nicht mehr. ({1}) - Das hat der Herr Kollege Lenzer gemeint. Insofern haben wir bezüglich der DARA auch keinerlei Probleme, das hier der Verteidigungsminister an der Organisation beteiligt ist. ({2}) Ich wollte noch kurz zu der Kooperation mit der Sowjetunion Stellung nehmen. Ich meine, es ist grotesk, wenn die Sowjetunion der NASA Transportkapazitäten für den Aufbau der Station anbietet und, verehrter Herr Kollege Vosen, die deutschen Sozialdemokraten weiterhin ihre Bedenken pflegen. Ich meine, daß hier ein grundätzlich berechtigtes Anliegen zum ideologischen Fetisch zu degenerieren droht. Sie sollten solche Rückzugsgefechte schnellstmöglich beenden. Für die vorliegenden Vereinbarungen gibt es ein leitendes Prinzip, nämlich gleichberechtigte Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen. Wir alle wissen, daß es in der europäischen Raumfahrtgeschichte eine Vielzahl von Fällen gegeben hat, in denen dieses Prinzip bisher nicht durchgehalten werden konnte. Ein wichtiger Erfolg der Verhandlungen des Forschungsministers war, daß bei diesem Text, der uns hier heute zur Ratifikation vorliegt, dieses Prinzip durchgesetzt worden ist. Columbus ist die logische Konsequenz der bisherigen Aktivitäten im Weltraum. Wir wissen, daß mit Spacelab nur wenige Tage im All experimentiert werden konnte und kann. ({3}) Das aber läßt keine verläßlichen Ergebnisse zu. Forschung - verehrter Herr Catenhusen, das sollten Sie als Ausschußvorsitzender nun wirklich allmählich verinnerlicht haben - , braucht Kontinuität. Versuchsreihen müssen häufig wiederholt werden, Experimentieranordnungen überprüft und Theorien revidiert werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie von Kontinuität der Forschung sprechen, frage ich: Glauben Sie wirklich und muß ich Sie so verstehen, daß Kontinuität der Forschung bedeutet, daß man eine bemannte Infrastruktur im Weltraum dauerhaft aufbaut, ohne daß bisher erkennbar ist, wozu man sie braucht? ({0}) Eine ähnliche Frage haben Sie doch in der Presse selber aufgeworfen.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Catenhusen, Sie wissen, daß wir bisher in Europa ({0}) nur 800 Mannstunden Forschungskapazitäten im Raum hatten. Daher braucht man sich nicht zu wundern, daß die Wünsche, zu einer stärkeren Privatisierung und Kommerzialisierung zu kommen und daß Forscher sich darauf einstellen können, bestimmte Experimentierarbeiten im Weltraum durchzuführen, bisher eben nicht angemeldet worden sind, weil es keinen Sinn hat, sich Gedanken über so etwas zu machen, wenn man weiß, daß der nächste Flug im Zeitraum 1992 bis 1996 stattfindet. ({1}) - Ich werde sogleich zu der Bedarfsfrage etwas sagen, Herr Kollege Catenhusen. Sicher gibt es hier einen Punkt, über den wir noch nachdenken müssen. Nur - das ist ja einer meiner Vorwürfe insgesamt an Sie - : Man kann im Einzelfall kritisch zu den einzelnen Elementen des Weltraumprogramms Stellung nehmen. Man kann immer - und das ist bei jedem Forschungsprojekt wichtig und richtig - über Alternativen nachdenken. Ihr Fehler ist, daß Sie irgendwo vielleicht einen kleinen Punkt erkannt haben und sagen: Und jetzt räumen wir die ganze Sache ab. Das ist das große Problem unserer Debatte. ({2}) Leider fühle ich mich insofern, wenn ich versuche, mich in der Sache kritisch damit auseinanderzusetzen, an Ihrer Seite nicht so besonders wohl. Der Weg gelegentlicher Spacelab-Missionen kann langfristig nicht erfolgreich sein. Es bleibt nur die Alternative zwischen dem Abbruch dieses Zweigs der Raumfahrt und dem vorsichtigen Einstieg in eine Weltrauminfrastruktur, die langfristig Kosten senkt und eine kontinuierliche Forschung erlaubt. Diese Prinzip des vorsichtigen, aber konsequenten Engagements hat die europäische Weltraumpolitik in den vergangenen Jahren bestimmt. Ich bin natürlich stolz darauf, daß Kollege Fischer mich hier so ausgiebig zitiert hat. Ich will den Satz wiederholen, weil er einer der Schlüsselsätze ist, die von meiner Fraktion zu dieser Politik formuliert worden sind: Wir wollen keine Technologie-Olympiade im All; wir wollen ebenso keine Schaufenster-Astronautik. Wir wollen Raumfahrtprojekte nicht an politischen Jubiläen und reinem Prestigedenken orientieren. Die Zeit der Wettläufe - erster Satellit, erster Erdumlauf, erste Mondlandung - ist vorbei. Die große Vision steht nicht im Vordergrund des europäischen Raumfahrtprogramms. Das hat entscheidende Vorteile. Denn nicht das technologisch interessanteste, sondern das programmatisch und wirtschaftlich sinnreichste Projekte muß den Vorzug erhalten. Auch das Columbus-Konzept entspricht dieser pragmatischen Konzeption. Sie ist für die europäische Raumfahrt charakteristisch. Die Betonung des Nutzenaspekts in der Raumfahrt ist auch für die euorpäischen Staaten interessant, die heute noch nicht zur ESA gehören, etwa die Staaten Mittel- und Osteuropas. Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in diesem Haus mehrmals über die Kursbestimmung unserer Weltraumpolitik debattiert. Ich denke, es wäre an der Zeit, den Grundsatzstreit über bemannt oder unbemannt zu den Akten zu legen. Er ist überholt und geht an den Realitäten vorbei. Die Kontinuität unserer Weltraumpolitik und ihr internationales Gewicht würden von einem weitgehenden Konsens im Parlament profitieren. Mir scheint, daß der ESA-Langzeitplan insgesamt dafür eine geeignete Grundlage bietet. Dies gilt nach meiner Ansicht grundsätzlich auch für die Großprojekte. Es gilt also auch für Hermes und Columbus. Allerdings müssen der beschlossene Zeit- und Kostenrahmen eingehalten und technische Gesichtspunkte geklärt werden. Diese offenen Fragen zwingen dazu, mögliche Alternativen zu prüfen. Ich will deshalb abschließend einige weitere Punkte nennen, die sich für einen politischen Konsens über die Fortentwicklung der deutschen Raumfahrtstrategie eignen könnten. Die Raumfahrt wird auch von den finanziellen Realitäten und nicht nur von technologischen oder politischen Wünschen bestimmt. Die Bundesrepublik Deutschland wendet - es ist redlich, dies zu sagen - einen deutlich geringeren Teil ihrer öffentlichen Forschungsausgaben für die Raumfahrt auf als etwa Frankreich, Italien oder Japan. Dennoch wird nach der geltenden Finanzplanung der Weltraumanteil im Forschungshaushalt bis 1993 auf gut 20 % wachsen. Ich will klar sagen: Damit wird eine Grenze erreicht. Die Raumfahrt muß auch in der Finanzierung zunehmend als gesamtpolitische Aufgabe jenseits der Ressortgrenzen behandelt werden. Dies muß und wird Auswirkungen auf die Haushaltsgestaltung haben müssen. Die Aufwendungen für das deutsche Weltraumprogramm einerseits und für die Beiträge zur Europäischen Weltraumorganisation andererseits müssen ausgewogen bleiben. Der Handlungsspielraum für eigenständige Projekte, etwa das Sänger-System, muß erhalten bleiben. ({3}) Nutzungsaktivitäten und Infrastrukturausgaben in der Raumfahrt müssen in einer zweckmäßigen Relation bleiben. Die faszinierendste Technik, die schönste Eigentumswohnung im All ist ohne Möbel, also ohne Investitionen in eine angemessene Nutzung, sinnlos. In der Telekommunikation bietet die Raumfahrt heute und in Zukunft große Marktchancen. Die Beobachtung aus dem Weltraum, also die Erderkundung, ist ein wichtiges Instrument zur Lösung drängender Probleme auf der Erde, beispielsweise im Umweltschutz. Beide Bereiche müssen eine höhere Priorität erhalten. Dies muß sich auch in den Haushaltsansätzen niederschlagen. Wir brauchen dafür eine schlüssige Strategie für europäische Umweltüberwachung und Abrüstungsverifikation aus dem Weltraum. Die Privatwirtschaft muß in der Raumfahrt mehr Eigenverantwortung und Initiative übernehmen. ({4}) Die neugeordnete Luft- und Raumfahrtindustrie - das war der Grund, weshalb wir dieser Neuordnung zugestimmt haben - muß jetzt ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Dies wird uns Mittel freimachen, um kleinere und mittlere Unternehmen stärker in die Raumfahrtprogramme einzubinden. ({5}) Der Trend zu einer abnehmenden Quote an Zulieferungen jedenfalls muß gestoppt werden. Mit dem Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und den Columbus-Vereinbarungen ist das Fundament für ein verstärktes deutsches Weltraumengagement gelegt. Bei der Umsetzung werden eine Reihe konkreter Sachprobleme zu lösen sein. Hier erwarten wir neue Impulse von der Deutschen Raumfahrtagentur - DARA - . Aber auch das gesamte Parlament - dazu möchte ich einladen - sollte sich konstruktiv daran beteiligen. Die Schlachten von gestern, vor allen Dingen die ideologischen Schlachten in diesem Bereich, sollten der Vergangenheit angehören. ({6}) Meine Damen und Herren, Sie haben gemerkt, daß diese Raumfahrtdebatte am letzten Sitzungstag vor Weihnachten stattfindet. Das ist gut so. Bekanntermaßen gehört der Weihnachtsmann zu den ersten Raumfahrern; denn er kommt jedes Jahr hoch vom Himmel her. Wir sollten ihn auch insofern nicht enttäuschen. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwar nicht an den Weihnachtsmann anknüpfen, Herr Rüttgers, aber an Ihr Angebot anknüpfen, Konsense im Parlament, was die Raumfahrtpolitik angeht, auszuloten. Wir stehen für dieses Angebot jederzeit zur Verfügung. Nur: Die konkreten Punkte, die Sie genannt haben, Herr Rüttgers, stehen zum großen Teil in unserem Antrag. Ich stelle fest, daß das Bemühen um mehr Konsens im Parlament zur Zeit praktisch bedeutet, daß Sie Ihre Schularbeiten, nämlich zu prüfen, bevor man sich auf das ESA-Raumfahrtprogramm einläßt, welche Projekte in diesem Bereich wissenschaftspolitisch, industriepolitisch, technologiepolitisch vernünftig und zu rechtfertigen sind, in den letzten zwei Jahren nachzuholen begonnen haben. Auf dieser Basis, Herr Rüttgers, können wir diese Diskussion fortsetzen, da sie offensichtlich deutlich macht, daß unsere Vorschläge, die wir 1988 dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben, wachsende Zustimmung in verschiedenen Fraktionen des Hauses finden; nicht in jedem Punkt, aber in vielen Punkten. Ich zitiere nur einen Satz, Herr Rüttgers, der in unserem Vorschlag enthalten ist: Alle künftige Weltraumprojekte müssen mit angemessener Beteiligung der Industrie durchgeführt werden, - Das spricht Ihnen doch aus dem Herzen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Laermann?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Catenhusen, können Sie bestätigen, daß Ihre Arbeitsgruppe für Forschung sich in Paris beim damaligen französischen Forschungsminister und bei einer Tagung in Aachen davon hat überzeugen lassen, daß Hermes ein ganz wichtiges und notwendiges Projekt ist und die Bundesregierung von Ihnen aufgefordert wurde, das Hermes-Projekt in ihr Programm aufzunehmen?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Laermann, der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Fraktion besteht darin, daß wir diese Diskussion zwischen 1985 und 1987 kontrovers durchgeführt haben und Sie jetzt dabei sind, diese Diskussion zu beginnen, die wir zu einem guten Abschluß geführt haben. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben nachdrücklich vor den Folgen der Beschlüsse zur bemannten Raumfahrt gewarnt, die heute und in diesem Jahr offen zutage getreten sind. Es fehlen in den Kassen des Bundes bis zum Jahre 2000 7 Milliarden DM. Herr Professor Wild hat recht: Ohne zusätzliche Gelder ist ein vernünftiges Programm der unbemannten Raumfahrt, dem wir offen gegenüberstehen, wo es viele sinnvolle Dinge geben kann, nicht vorstellbar. Der Zeit- und Kostenplan für Columbus und Hermes ist schon jetzt ins Rutschen gekommen. Von den notwendigen Kosten für die Infrastruktur am Boden redet ja heute noch keiner. Herr Rüttgers hat ja recht: Ein Nutzungskonzept für die bemannte Raumfahrt ist heute auch noch gar nicht erkennbar. Meine Damen und Herren, Herr Wild hat in einem zweiten Punkt auch recht: Ohne weitere zusätzliche Raumfahrtmilliarden wird die Raumstation ein Haus ohne Möbel sein, das keinen Wohnwert hat, und die Möblierung wird noch sehr teuer bezahlt werden. Herr Rüttgers, wir sind uns doch einig, daß die Möbel der Staat bezahlen muß. ({1}) Vielleicht kriegen wir es hin, daß die Blumenvasen von der Industrie mitfinanziert werden. ({2}) Meine Damen und Herren, in dieser Situation bleibt einem doch die Spucke weg, wenn dann Herr Riesenhuber als erster Europäer flottweg erklärt, die Bundesrepublik sei ganz offen zur Teilnahme an einem bemannten oder unbemannten Projekt der Reise zum Mars interessiert. Ein amerikanischer Senator hat doch recht, wenn er sagt, auch wir können unsere Raumfahrt in den nächsten Jahren nun nicht nur mit der Scheckkarte bezahlen. Nach meiner Einschätzung, meine Damen und Herren, setzt die Raumfahrtpolitik der Bundesregierung zu einer konzeptionellen und finanziellen Bruchlandung an. Meine Damen und Herren, es ist doch erkennbar gewesen, daß die undurchdachten wissenschafts- und technologiepolitisch nicht zu rechtfertigenden Entscheidungen, an den Projekten Columbus und Hermes teilzunehmen, heute in der Industrie immer offener mit Spott und Kritik bedacht werden, abgesehen natürlich von den Zuwendungsempfängern der Raumfahrtindustrie. Selbst der Beirat des Bundesforschungsministeriums für Fragen der Mikrogravitation ist doch der festen Überzeugung, daß es gar keinen Sinn macht, der Forschung unter Schwerelosigkeit einen besonderen Stellenwert beizumessen. Herr Rüttgers, Sie konnten es ja in der ersten Debatte zu diesen Fragen gar nicht schnell genug haben. Ich zitiere einmal aus dem Plenarprotokoll von vor einem Jahr: Ohne Hermes wird sich Europa nur aus der bemannten Raumfahrt und damit gleichzeitig aus dem Luftverkehr des nächsten Jahrhunderts verabschieden. Nun vermelden die klugen Köpfe der „FAZ" über Herrn Rüttgers: Vor allem für den Raumgleiter Hermes stellte Rüttgers die Grundsatzfrage, ob er überhaupt noch für die bemannte Raumfahrt weiterentwikkelt werden soll, da voraussichtlich nennenswerte Nutzlast nicht transportiert werden könnte. Wie wahr, sagen wir nur. Man kann Ihnen nur sagen: Herr Rüttgers, Sie hätten im letzten Jahr darüber schweigen sollen. Ihre Rede verdeutlicht mir allerdings, daß Sie im Moment nicht zu einer Wende ansetzen, sondern zu einem Schlingerkurs hier im Plenum - ich sage das einmal sehr viel verdeckter - und im vertrauten Kreis der Journalisten ein bißchen draufhauen. Vielleicht hat ja Ihre Fraktion das auch nicht so gut gefunden. ({3}) Aber, meine Damen und Herren, in unserem Antrag heißt es: „Die Bundesregierung dringt darauf, daß das Projekt Hermes abgebrochen wird, da es bei seiner Fertigstellung ein bereits veraltetes System sein wird und auch auf Grund seiner minimalen Nutzlast keine interessanten Einsatzmöglichkeiten hat. " Dies ist, Herr Rüttgers, wieder ein kleiner Schritt auf die Position der SPD zu. Der Druck der finanziellen Verhältnisse wird in den nächsten Jahren auch das Nachdenken bei Herrn Rüttgers beschleunigen. Meine Damen und Herren, wenn Sie, Herr Laermann und Herr Rüttgers, uns 1987 nicht glauben wollten, daß eine technologiepolitische Rechtfertigung dieser Großprojekte nicht möglich ist, und wenn Sie nicht auf uns hören wollten, die wir Ihnen zu Recht vorwerfen, daß die entscheidenden Motive zum Beitritt zu diesem Programm - ich sage das einmal -Prestigedenken und Rücksichtnahme auf europäische und amerikanische Verbündete waren, ({4}) dann hätten Sie sich doch vielleicht zu diesem Zeitpunkt ernsthaft mit der Kritik der Industrie auseinandersetzen sollen. Ich nenne nur Herrn Heraeus, dessen Argumente genauso wie die Argumente der Sozialdemokraten und die Argumente der GRÜNEN durch die weitere Entwicklung voll bestätigt werden. Es wäre vielleicht ganz gut, meine Damen und Herren, wenn es sich, was man nicht unbedingt erwarten kann, häufen würde, daß mir Leute aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie erzählen: Endlich einmal ein vernünftiger Mann von der CDU, der sich zu Weltraumfragen geäußert hat; das waren Sie mit Ihrer Kritik an Hermes. Ich hoffe, daß sich das wiederholt. Dann, meine Damen und Herren, hat Herr Rüttgers anspruchsvoll noch vor einem Jahr die Gründung einer Raumfahrtagentur als ein Zeichen - ich zitiere - für die Deregulierung staatlicher Aufgaben gewertet. ({5}) Also, Herr Rüttgers, davon kann ja nun wirklich keine Rede sein. ({6}) Ich füge hinzu: Ich bedauere Herrn Wild und seine Mitarbeiter; denn sie treten ihr Amt zu einer Zeit an, wo für konzeptionelle Arbeit kein Bedarf da ist, weil kein Geld vorhanden ist. Die Raumfahrtmittel für die nächsten 15 Jahre haben Sie in einer Art und Weise verfrühstückt, daß schon heute die Schäden für den Bereich Informationstechnik und für die weitere Förderung der kleineren und mittleren Unternehmen deutlich erkennbar sind. ({7}) Meine Damen und Herren, ich höre heute mit Interesse, es sei alles noch nicht festgeklopft. Sie wollen Ihre politischen Blankoschecks, die Sie 1987 alle ausgeteilt haben, offensichtlich doch noch, soweit es geht, wieder einsammeln, obwohl Sie genau wissen, daß vor allem die blumigen Aussagen des Herrn Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers Ihnen da kaum einen Spielraum lassen. ({8}) Aber, meine Damen und Herren, eine Kurskorrektur in der bundesdeutschen Weltraumpolitik ist im Interesse der deutschen Industrie, im Interesse der deutschen Wissenschaft und der deutschen Steuerzahler dringend erforderlich. Wir haben in unserem Antrag genau die Zielsetzung genannt. Es geht nicht nur um die Überprüfung der Großprojekte und nicht nur um ein Abmagern und Strecken der Projekte, sondern darum, daß die Beteiligung der Bundesrepublik an Hermes und Columbus aufgegeben wird. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rüttgers? - Bitte schön.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Catenhusen, Sie haben eben auf meine Rede geantwortet und gesagt, wir könnten über einen Konsens nachdenken. Können Sie mir einmal bitte erklären, wie auf der Basis eines solchen argumentativen Ansatzes des Alles-oder-Nichts ein Konsens aussehen soll, wenn Sie nicht bereit sind, sich auf die beschlossene Raumfahrtpolitik, die ja zum Teil aus Regierungen, denen die SPD angehörte, weiterentwickelt worden ist, einzulassen, und wenn Sie jetzt hingehen und sagen, Sie wollten weder Hermes noch Columbus, und gar nicht bereit sind, hier zumindest einmal klar zu sagen, daß von Anfang an vorgesehen war, daß bei beiden Projekten im Jahre 1990 eine Überprüfung vorgenommen wird? ({0}) - Sie haben an der Debatte über eine Parlamentsreform nicht teilgenommen, Herr Roth; sonst wüßten Sie, daß das jetzt zulässig ist. ({1})

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, Herr Rüttgers, wenn man über Columbus und Hermes redet, dann geht es ja nicht um das Alles-oder-Nichts der Raumfahrt. Ich denke, auf der anderen Seite kennen Sie die Statuten der Europäischen Raumfahrtagentur selbst gut genug, um zu wissen, daß ja eine Überprüfungsphase vorgesehen ist - das ist richtig -, daß man sich jedoch andererseits - ich sage das einmal - politisch schon sehr eng miteinander verkeilt hat; es gibt sehr große diplomatische Konflikte, wenn Sie das machen. Ich würde es begrüßen, wenn Sie das versuchen. Ein weiterer Punkt ist: Sie kennen die Regelung in bezug auf die zwei Drittel. Es gibt Projekte, bei denen Frankreich ein Veto einlegen kann. Wir verlangen als Grundlage für eine Konsensbildung in der Raumfahrt allgemein, daß diese Bundesregierung die Möglichkeiten, die sie hat, ausschöpft - wir reden nicht abstrakt von utopischen Dingen -, um wohlbegründet und wohlvorbereitet im Interesse der - so sage ich einmal - weiteren Flexibilität der deutschen Technologiepolitik auf eine Beendigung dieser Projekte zu drängen. Das ist das, was ich als Bereitschaft erwarte. Ich habe die Aussagen von Herrn Laermann gehört, die ansatzweise in diese Richtung gingen, und zwar in dem Sinne, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei. Ich bin sehr skeptisch, ob das noch möglich ist, und befürchte auch, daß Sie mit Ihren jetzigen Erklärungen zur Konsensbildung leider einen Zeitpunkt gewählt haben, der zu spät kommt, wobei es sehr gut gewesen wäre, im Vorfeld der Entscheidungen von Den Haag diese Diskussion zu führen und den Kon14418 sens festzuklopfen. Diese Chance haben Sie verpaßt. Denn Sie haben damals über unsere Kritik Hohn und Spott vergossen; Sie haben uns Technologiefeindschaft vorgeworfen und nicht zur Kenntnis nehmen wollen, daß unsere wissenschaftspolitischen, technologiepolitischen und finanzpolitischen Bedenken sehr wohl begründet waren und auch im Interesse - ich sage das einmal - der Wissenschaft und der Industrie unseres Landes formuliert waren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Sie also so richtig verstanden, daß Sie sich durchaus vorstellen können, je nach Ausgang der wissenschaftlichen und technischen Überprüfungsphase dem Weiterbau von Columbus und Hermes zustimmen zu können?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Die Argumente, die wir als Kritik haben, lauten so - das habe ich ganz deutlich gesagt -, daß für uns das Urteil feststeht, daß das Projekt Hermes unsinnig ist. Sie haben die Argumente in der Presse selbst erläutert, die uns darin bestärken. Das heißt, die Basis ist ganz klar: das Bemühen der Bundesregierung, das in ihren Kräften Stehende zu tun, Hermes und Columbus zur Disposition zu stellen. Ansonsten gibt es, wie Sie wissen, noch genügend Felder der Gemeinsamkeit.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt, ich habe Sie so zu verstehen, daß es ein Gespräch gar nicht geben kann, weil das Ergebnis für Sie bereits festliegt? ({0})

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Rüttgers, der Unterschied in der Debatte liegt in folgendem: Wir haben mit allen Experten gesprochen, bevor wir unsere Entscheidung getroffen haben. ({0}) Sie bemühen sich, nachdem die Bundesregierung zugestimmt hat, jetzt den Abklärungsprozeß vorzunehmen. Da sage ich Ihnen einmal ganz deutlich: Wir haben unseren Beratungsprozeß sorgfältig kontrovers durchgeführt. ({1}) Es ist nicht unser Problem, daß Sie Schularbeiten so spät fertiggestellt haben. Wir sind zu Gesprächen bereit. Aber wir haben die feste Überzeugung, daß Hermes unsinnig ist. Herr Rüttgers, wenn ich Sie mit dem ernst nehme, was Sie in der „FAZ" haben verbreiten lassen, dann sind Sie eigentlich auch meiner Meinung, daß es so ist. ({2}) - Dann dementieren Sie doch bitte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" , daß man Sie völlig falsch verstanden hat. ({3}) Schönen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 11/4576 und 11/5994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 11/4576 soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Weitere Vorschläge gibt es nicht. Es ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/4723. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1995 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Roth, Dr. Ehmke ({0}), Dr. Mitzscherling, Vosen, Dr. Jens, Erler, Dr. Gautier, Müller ({1}), Dr. Klejdzinski, Dr. Wieczorek, Bulmahn, Catenhusen, Fischer ({2}), Ganseforth, Grunenberg, Lohmann ({3}), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Voigt ({4}), Poß, Daubertshäuser, Dr. Hauchler, Ibrügger, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Ost-West-Handel mit Hochtechnologiegütern - Drucksachen 11/2658, 11/3726 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6085 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist dafür eine Aussprache von einer Stunde vorgesehen. - Auch damit ist das Haus einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt keinen besseren Augenblick für die Diskussion über Ost-West-Handel mit Hochtechnologiegütern als den jetzigen. Man kann ja nicht viele Pläne mit der DDR machen, was die Erneuerung, die Strukturerneuerung der DDR betrifft, wenn man die bisherigen Regeln bei COCOM aufrechterhält. - Bitte, ein paar bei Ihnen nicken. Haben Sie eigentlich vergessen, daß Sie, die Koalition, vor drei Jahren der Verschärfung der COCOM-Regeln noch zugestimmt haben? Sie haben damals einen SDI-Vertrag gemacht und ihm einen Nebenvertrag beigegeben, den Sie eigenartigerweise Technologietransferabkommen genannt haben, der aber exakt das Gegenteil enthält, nämlich möglichst weniger Technologietransfer in den Osten. Aber lassen wir das. Was wir jetzt brauchen, sind Offenheit statt Abgrenzung und Mut statt Unterwürfigkeit gegenüber unserem großen Partner im Bündnis. Daß Sie jetzt, wo die Mauer gefallen ist, allerdings immer noch am COCOM-Verfahren kleben, ist jedenfalls für mich völlig absurd. Im Grunde brauchen wir COCOM, das geRoth samte komplizierte bürokratische Handelskontrollverfahren in Paris, überhaupt nicht mehr. Dieses Sonderverfahren ist überflüssig. Unsere Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes reichen aus, wenn wir die beiden Gesetze, wie geplant, novellieren. Daß Sie das heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, ist nicht unsere Schuld, sondern liegt an dem Streit zwischen dem Wirtschaftsministerium und Teilen der CDU/CSU. ({0}) Wir wollen die technologische und wirtschaftliche Spaltung Europas im Rahmen einer neuen Sicherheitspartnerschaft überwinden. Mit einem Technologieembargo, das über den engen waffentechnischen Sektor hinausgeht, schaffen wir das nicht. Die Technologiebarriere ist ein Relikt einer veralteten, im Grunde schon durch die KSZE-Konzeption überwundenen Sicherheitsvorstellung. Sie ist, so möchte ich sagen, ein Restbestandteil des kalten Krieges. Mit einer Hochtechnologiemauer zwischen Ost und West schaden wir uns, aber vor allem auch den anderen, die sich entwickeln wollen. Wir müssen aber in diesem Bereich unsere Interessen selber vertreten. Es ist ja eigenartig: Die USA haben gegenüber China vor einigen Jahren COCOM aufgegeben und lassen alles zu, während wir in der Bundesrepublik, bezogen auf die DDR, stur an den COCOM-Regeln festhalten. Das ist ein Widerspruch im Vertreten der nationalen Interessen, der nicht grotesker sein könnte. Im übrigen wundere ich mich inzwischen: Die USA lockern gegenüber China, einem diktatorischen Regime, alles auf, und wir halten uns an COCOM, bezogen auf die DDR, die inzwischen auf dem Weg zur Demokratie ist. Seit der Verschärfung der COCOM-Listen vor einigen Jahren ist beispielsweise kein Vertrag über eine schlüsselfertige Fabrik zwischen Ost und West zustande gekommen, kein einziger Vertrag. Können Sie mir sagen, wie wir mit der DDR zusammenarbeiten wollen, wenn wir beispielsweise keine vollständigen neuen Fabriken dort bauen dürfen? In den letzten Tagen gibt es einige Anzeichen, daß sich in den Vereinigten Staaten eine Diskussion anbahnt, beispielsweise durch den Handelsminister. Ich habe auch beobachtet, daß Regierungsvertreter in Polen erklärt haben, sie wollten das polnische Telefonnetz ausbauen. Wir wissen ganz genau, daß die heutigen Telefonnetze, in Bestandteilen jedenfalls, auf der COCOM-Liste stehen. Ich habe gehört, die Bundesregierung unterstütze dieses Vorhaben in Polen. Um so bitterer fällt mir auf, daß wir nach Budapest jahrelang keine Telefonnetz liefern durften, weil die Amerikaner das blockiert haben. Welch eigenartiges Verhalten der Bundesregierung, dem jahrelang zuzuschauen und jetzt zu bewundern, daß die Amerikaner nach Polen liefern! ({1}) Staatssekretär Eagleburger hat in den letzten Tagen eine ganz neue Philosophie vertreten, nämlich, man müsse bei den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen nicht nur die Sicherheitsinteressen, sondern vor allem auch Wirtschaftsinteressen beachten. Bitte schön, das sagen wir seit Jahren in diesem Hause. Zu einem Zeitpunkt haben wir Ihnen das gesagt, als Sie beispielsweise mit den Amerikanern neue Beschränkungen vereinbart haben. ({2}) Ich bin der Auffassung: Sie haben hier eklatant versagt. Aber bitte schön, mir wäre es recht, wenn Sie, Herr Beckmann - ich glaube, Sie vertreten heute die Bundesregierung - nun sagen würden, Sie schwenkten auf den Kurs der SPD ein. ({3}) Meine Damen und Herren, zu dem, was in den USA diskutiert wird, sage ich: Na endlich! Es wäre ja gut, wenn die COCOM-Debatte und die COCOM-Verfahren endlich im Aktenschrank unter der Aufschrift „kalter Krieg" verschwinden würden. ({4}) Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor. Zur Vorbereitung dieser Debatte habe ich natürlich noch einmal mit vielen Unternehmen über COCOM-Probleme und über die derzeitige Situation gesprochen. Es ist auch heute noch so, daß viele Verträge überhaupt nicht angebahnt werden, weil man Angst vor Entscheidungen in den USA gegen das jeweilige Unternehmen hat. Die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und beispielsweise dem Konzern Toshiba waren ja auch so angelegt, daß man Drohwirkungen für europäische Unternehmen erzeugt. Da Sie die Regierung des Abbaus von Regulierungen, die Regierung der Deregulierung sein wollen, sage ich Ihnen: Nehmen Sie doch die Chance wahr, eine unsinnige Regulierung, eine Regulierung aus dem kalten Krieg endgültig zu beseitigen, nachdem sich in ganz Osteuropa die Bewegung zur Demokratie und zur Entspannung nicht nur ergeben hat, sondern Tag für Tag angefüllt wird. Und Sie schaffen es nicht einmal, den wichtigsten Verbündeten zu überzeugen, daß das alles blödsinnig geworden ist, daß das überhaupt keinen Sinn mehr hat. Herr Beckmann, jetzt kommen Sie her und sagen Sie, wir machen das jetzt auch prinzipiell! ({5}) Übrigens haben die Amerikaner ja durchaus eine handfeste Strategie entwickelt. Einerseits bedrohen sie unsere Unternehmen, daß sie nicht mehr in die USA exportieren dürften, wenn sie auf dieser Ebene Ost-West-Handel betrieben, und andererseits bleibt ihre Drohhaltung bestehen, sie würden unsere Unternehmen von Hochtechnologie ausschließen, die aus den USA in Richtung Europa gehe. Ich bin der Meinung, das muß jetzt auch vom Tisch. Das ist allerdings nicht dadurch vom Tisch, daß ein Staatssekretär der Vereinigten Staaten von Amerika vor US-Diplomaten eine interne Rede hält, die uns dann zugespielt wird. Vielmehr muß meines Erachtens zumindest der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, Baker, sagen, daß das bisherige COCOM-Verfahren im Verhältnis zwischen Ost und West keinen Sinn mehr macht. Das erfordert die Lage. ({6}) Ich will noch einmal belegen, daß das nicht alles abstraktes Gerede ist. Es ist ja nicht so, daß bei COCOM nichts hängt. Mir hat eine deutsche Firma - sie soll selber sagen, daß sie es ist - einmal eine Liste dessen gegeben, was auf Grund der COCOMListe bei ihr hängt. Das ist beispielsweise eine Vermittlungszentrale für die DDR unter Einschluß der Software mit Markterwartungen in den nächsten Jahren von 4 bis 5 Milliarden DM - Deutsche Mark, nicht Mark der DDR. Alles das hängt. In Ungarn soll ein Joint-Venture-Unternehmen für die Vermarktung eines Telefonsystems gegründet werden. Die Aktivitäten beginnen. Auch das hängt. Dasselbe gilt für die Sowjetunion, für die CSSR und in einem nicht ganz so fortgeschrittenen Stadium für Bulgarien. Für Polen hat dasselbe Unternehmen fertige Verträge über Richtfunk, der dort dringend erforderlich ist. Das ist übrigens interessant: Wir haben einen Richtfunkvertrag mit Blick auf Polen abgeschlossen, und die Amerikaner machen es inzwischen. Die dusseligen Deutschen warten ab, bis sie die Genehmigung des amerikanischen Präsidenten bekommen. Sagen Sie einmal: Wann vertreten Sie eigentlich in dem Bereich unsere Interessen, Herr Beckmann und die Bundesregierung? ({7}) Leisetreterei hat da überhaupt keinen Sinn mehr. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ({8}) hat bei einer Anhörung im Forschungsausschuß in dieser Woche dargestellt, daß für Präzisionswerkzeugmaschinen dasselbe Problem existiert und noch zunimmt. Es ist nicht etwa so, daß sich in diesem Bereich Lockerungserscheinungen zeigen. Diese Woche berichtet die „FAZ" ausführlich über Ihren Streit mit der amerikanischen Bundesregierung. Da soll - ich weiß nicht, ob es stimmt, weil Sie uns keine Durchschläge von Kanzlerbriefen an den amerikanischen Präsidenten geben ({9}) sogar das Detail einer Positionierungsgenauigkeit in einem Brief von Bundeskanzler Kohl an Herrn Bush stehen. Man muß sich das einmal vorstellen: In einer Phase, wo Aufbruch in Europa herrscht, muß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland darum betteln, ({10}) daß eine spezielle Werkzeugmaschine in die DDR geliefert werden darf. ({11}) Es wird ja immer grotesker. Das ist nicht die Art und Weise, die ich im Umgang mit einem Verbündeten verlange, wenn ich meine Interessen zu vertreten habe. Das ist Mutlosigkeit, und das ist Kleinkrämerei. Ich würde mich als Wirtschaftsminister auch schämen, einem Bundeskanzler in einer derartigen Sache einen Briefentwurf zu übergeben. ({12}) Es gibt ja noch mehr absurde und groteske Geschichten, beispielsweise die Airbus-Sache. Der Airbus soll jetzt an den Osten geliefert werden mit der Einschränkung: Wartung und Reparatur dürfen nur in West-Berlin erfolgen. Jetzt stellen wir uns einmal vor, in Schönefeld funktioniert so ein Airbus nicht. Was passiert dann? Nach Tegel in West-Berlin kann er in dem Moment nicht geflogen werden. Also muß er in Schönefeld repariert werden. Dann muß also derjenige, der die Einhaltung der COCOM-Liste kontrolliert, die DDR-Polizei anrufen und sagen: Jetzt macht einen Kordon um das Flugzeug, bis die westlichen Techniker kommen, um es zu reparieren. Dieser Fall, der ja nicht konstruiert ist, sondern schnell einmal vorkommen kann, zeigt doch, in welcher Weise COCOM und all die Regeln von COCOM an der Realität in Europa vorbeigehen. ({13}) Meine Damen und Herren, es gäbe noch viele, viele Einzelheiten derart darzustellen. Ich möchte zum Schluß noch einmal auf die Grundphilosophie kommen. COCOM war natürlich notwendig ({14}) in einer Phase des kalten Krieges, in einer Phase des Stalinismus, in einer Phase, in welcher der Friede tatsächlich durch aggressive Verhaltensweisen im Osten gefährdet war. Aber diese Zeit ist nicht zuletzt - das sage ich in Richtung auf die FDP - durch Anstrengungen von uns überwunden worden, durch Vertragspolitik, durch Entspannungspolitik. ({15}) Meine Damen und Herren, in dieser Phase hält ein Wirtschaftsministerium an COCOM und dem COCOM-Verfahren fest, das objektiv überwunden ist. Das heißt, wenn Sie als Vertreter des Bundeswirtschaftsministers hier nicht zustande bekommen zu sagen, das sei jetzt zu Ende, dann bitte ich jedenfalls die die Entspannungspolitik seit 17 Jahren mittragende FDP, an diesem Platz zu sagen, daß für sie COCOM genauso obsolet geworden ist wie für uns. Das wäre heute in dieser Debatte notwendig. Dann wüßten wir auch in Richtung auf die Bundesregierung, wohin der Weg geht. Ich vertraue da jedenfalls der FDP und Herrn Haussmann in seiner Durchsetzungsfähigkeit, wenn Sie das hier in dieser Arbeitsteilung sagen. Meine Bitte ist: Wir sollten die COCOM-Liste und das COCOM-Verfahren insgesamt abschaffen. Es sollte durch unser normales Verfahrensrecht bei der Exportkontrolle ersetzt werden. Wir wollen keine Waffen liefern, weder in den Nahen Osten noch in den Osten. ({16}) Wir sollten für diesen Bereich nur Waffen bzw. Waffenbestandteile oder Produkte, Produktionsverfahren und Fertigungsunterlagen zur Herstellung von Waffen in der Liste lassen. ({17}) Die sollten natürlich auch nicht in die Länder des RGW geliefert werden. Da sind wir völlig einig. Wir wollen keine Waffenlieferung. Aber wir wollen weiß Gott mehr und mehr Hochtechnologielieferung. Das ist der Streitpunkt. Dazu bitte ich die Koalition auf der Basis der zehn Punkte des Bundeskanzlers - denken Sie das einmal zu Ende - hier um eine klare Stellungnahme. Ich freue mich, daß die SPD das Thema vor anderthalb Jahren angestoßen und jetzt zur Diskussion reif gemacht hat. Sie haben jetzt die Chance, in der letzten Stunde auf unseren Zug aufzuspringen. Ich wünsche Ihnen dafür viel Glück, Herr Kittelmann und andere. - Vielen Dank fürs Zuhören. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! COCOM war in der Vergangenheit erforderlich und auch erfolgreich. Ich freue mich insofern, Herr Roth, daß Sie daran zumindest erinnert und Ihre Haltung dazu klargelegt haben. Wir freuen uns, der Warschauer Pakt befindet sich auf dem Weg, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Ursachen von COCOM entfallen können. Wir können ihn auf diesem Weg nur bestärken und im Dialog mit dem Osten Chancen für den Abbau im Konsens mit den beteiligten westlichen Staaten erreichen. Bei aller Polemik und Ironie, die Sie, Herr Roth, eben angewandt haben, ({0}) ist festzustellen, daß noch immer 400 000 sowjetische Soldaten in der DDR stehen und daß noch immer jährlich 1 400 Kampfpanzer in der Sowjetunion hergestellt werden. ({1}) Die Verteidigungspolitiker könnten derartige Angaben außerordentlich erweitern. Ich will deshalb bei all dem, was wir miteinander besprechen, doch ein klein wenig an die Realitäten erinnern. Wir haben sehr viele verbale Zugeständnisse. Aber die tatsächlichen Fakten und Zahlen sprechen eine andere Sprache. Angesichts dieser Situation unterstützen wir nachhaltig die Position der Bundesregierung, grundsätzlich am Prinzip von COCOM festzuhalten. Das hindert uns aber nicht, auf der anderen Seite Wirtschaftskontakte und Regierungsgespräche über die wirtschaftliche Kooperation aufzunehmen. Das hindert uns auch nicht daran, mit der Sowjetunion und den Staaten des Comecon über Möglichkeiten der technologischen Kooperation zu reden und diese, wo möglich, zu praktizieren. Dabei hilft uns die Erfahrung, daß sich Wirtschaftskontakte in der Vergangenheit häufig als Wegbereiter für ein besseres Verhältnis auch in den anderen politischen Bereichen bewährt haben. Wir können gemeinsam feststellen, daß unser erfolgreiches Wirtschaftssystem die Menschen in den östlichen Bereichen wesentlich beeindruckt hat und neben dem Willen und dem Ruf nach Freiheitsrechten und Menschenrechten die wesentliche Voraussetzung war, daß es dort zu Veränderungen gekommen ist. Andererseits bleibt natürlich weiterhin gültig, daß freier Handel dort seine Grenzen findet, wo durch den Export von sensiblen Gütern die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Partner gefährdet ist. Besinnen wir uns auf die Zusammenhänge, aus denen COCOM einst entstanden ist: Die Pariser Marshallplan-Konferenz Ende 1947 und der Umsturz in Prag im Jahre 1948 führten zur Beschränkung des Technologietransfers. Unter dem Aspekt nationaler Sicherheit hielt man es in den USA für unumgänglich, den Export nicht nur von Waffen und Kriegsmaterial im engeren Sinne, sondern auch sogenannter strategischer Waren einem möglichen Kriegsgegner vorzuenthalten. Im Rahmen des kalten Krieges war das strategische Embargo somit eine Möglichkeit, der Sowjetunion die Fähigkeit zum heißen Krieg zu entziehen. Wenn wir uns letztlich die Nachkriegsgeschichte ansehen, stellen wir fest, daß dies eine notwendige und eine erfolgreiche Konzeption war.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kittelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen?

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kittelmann, Sie haben die Notwendigkeit der COCOM-Liste gerade begründet. Jetzt sind wir an einem anderen Punkt angelangt. Sind Sie auch für die Abschaffung der COCOM-Liste auf Grund der jetzigen Lage?

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, haben Sie nicht die Nerven, wenn jemand zehn Minuten Redezeit hat, ein paar Minuten abzuwarten, bis die Rede zu Ende ist? ({0}) Letztlich ging es bei der Verkündung der Embargomaßnahmen darum, die wirtschaftliche und militärische Entwicklung der Ostblockstaaten zu verlangsamen. Es ist erfreulich, daß angesichts der jüngsten Entwicklungen im Comecon auch in den USA Zweifel deutlicher werden, ob die COCOM-Bestimmung in der derzeitigen Form noch zeitgemäß ist. Es wäre ein Paradoxon, wenn etwa die Telefonanlage in Polen, durch die USA erbaut, COCOM-gemäß wäre und die von uns in Ungarn und in der DDR erbaute gegen COCOM verstoßen würde. ({1}) Angesichts der auch für die Amerikaner überraschenden Entwicklungen in den RGW-Staaten ist es sicherlich nicht auszuschließen, daß die schwache Position der US-Wirtschaft im Osthandel zu der zurückhaltenden Position beiträgt, wie sie von der Regierung Bush auf dem COCOM-Gipfel am 26. Oktober in Paris gezeigt wurde. Aber, voller Hoffnung: US-Handelsminister Mosbacher hat angekündigt, daß die US-Regierung Mitte Januar einen Plan zur Lockerung der COCOM-Liste vorlegen wird, der im Februar in Paris vom COCOM- Ausschuß verabschiedet werden soll. Herr Staatssekretär Beckmann, Sie haben unsere volle Zustimmung, wenn Sie dort mit dem seit Jahren von uns verfolgten Ziel einer Aufweichung der COCOM-Liste Erfolg haben. ({2}) - Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann mich immer darüber freuen: Wir regieren erfolgreich, und Sie machen erfolglose Vorschläge. Bleiben wir doch bei dieser Arbeitsteilung. Es ist damit eindeutig, daß die COCOM-Staaten einschließlich der USA angesichts der Entwicklungen Konsequenzen ziehen wollen, die die friedliche Revolution in Ungarn, Polen und der DDR einbeziehen. Der Westen hat die Reichweite der durchgeführten und weiter angestrebten Reformen erkannt. Die Veränderungen haben dazu beigetragen, daß die Befürchtungen, die zur Schaffung von COCOM geführt haben, wegfallen. In den Staaten des Warschauer Paktes gibt es eine katastrophale wirtschaftliche Situation, von der wir wissen, daß es so nicht weitergehen kann. Diese Staaten brauchen mehr als nur eine Reduzierung der Rüstungsausgaben. Sie wollen insbesondere die Modernisierung der Industrie. Gleichzeitig wollen die Menschen ein neues wirtschaftliches und gesellschaftliches System.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth? - Herr Roth, bitte.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kittelmann, da Sie das Problem gestreift haben, möchte ich die Frage stellen: Warum hat die Bundesregierung zugestimmt, daß alle COCOM-Regeln gegenüber China nicht mehr angewandt wurden, während sie beispielsweise gegenüber dem schon weitgehend demokratisierten Ungarn immer noch angewandt werden? Warum? Wo ist die Philosophie?

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Roth, erstens könnten Sie das nachher direkt die Bundesregierung fragen. Wir Parlamentarier kontrollieren die Bundesregierung. ({0}) Zweitens zitieren Sie im Detail falsch: Es sind damals nicht alle COCOM-Regeln mit der Volksrepublik China aufgegeben worden, sondern Teilbereiche der COCOM-Regeln, die im einzelnen begründet wurden. Ich würde mich freuen, wenn Sie mit Ihren Zwischenfragen keinen falschen Eindruck erweckten. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn dieser Prozeß, den darzustellen ich vor der Zwischenfrage von Herrn Roth begonnen hatte, durchgängig wird - viele Zeichen deuten darauf hin - , dann wird das auch Anlaß sein, die Bedingungen der COCOM-Vereinbarungen in der bisherigen Form zu relativieren. Das ist die Antwort auf die Frage des Kollegen. Aber so weit ist es noch nicht. Solange Kooperationsstrukturen innerhalb des Comecon noch einseitig auf die Sowjetunion und ihre übermäßig aufgeblähte Rüstungsindustrie ausgelegt sind, kann die vollständige Öffnung der Schleusen für den Technologietransfer noch nicht Wirklichkeit werden. Es ist doch wohl ein Treppenwitz, daß wir auf der einen Seite um die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes bemüht sind und Sie auf der anderen Seite für eine totale Abschaffung von COCOM sind. Das ist in sich widersinnig und auch nicht schlüssig. ({2}) Anders wird die Situation sein, wenn die Verhandlungen über die Reduzierung der konventionellen Waffen in Wien erfolgreich sind. Wir sind den Menschen, die für die Verwirklichung der freiheitlich-demokratischen Rechte in Warschau, Danzig und in Prag auf die Straße gegangen sind, verpflichtet. Bundeskanzler Kohl hat in Polen gesagt - und wird es auch in der nächsten Woche in Ungarn wieder unzweideutig sagen - : Wer bereit ist, Marktwirtschaft zu verwirklichen, der braucht Chancengleichheit, um wettbewerbsfähig zu werden. Wenn wir nicht bereit sind, auch modernste Technologien zu liefern, bleiben diese Länder chancenlos. ({3}) Die wirtschaftliche Kooperation ist nicht nur für die Menschen in den Reformstaaten des Warschauer Paktes wichtig, sondern auch für unsere Arbeitsplätze in der Bundesrepublik. Mit ihrem Exportangebot an modernster Technologie, ({4}) z. B. im Maschinenbau und in der Elektronik, gehört die deutsche Wirtschaft zu den meistgesuchten Partnern in aller Welt. Wir wissen, ein Drittel unserer Arbeitsplätze hängt vom Export ab, aber lediglich 3,5 der Exporte gehen gegenwärtig in den Comecon. Hier liegt also nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für die gesamte westliche Welt ein erheblicher Wachstumsmarkt. Die Erfahrungen, die auch mit dem wirtschaftlichen Aufbau Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg gesammelt wurden, beweisen jetzt auch immer mehr in den Ostblockstaaten, aber eben erst jetzt langsam immer stärker, daß die Hilfe zur Selbsthilfe im beiderseitigen Interesse von Ost und West liegt. Die Bundesregierung hat die volle Unterstützung der CDU/CSU. Die COCOM-Liste muß entschlackt werden. Die Parlamentarische Versammlung der Westeuropäischen Union hat vor einer Woche einen sechsstufigen Plan vorgeschlagen, den ich hier nachdrücklich unterstützen möchte und von dem ich zumindest zwei, drei Punkte nennen will. Die Westeuropäische Union ist der Meinung, daß erstens eine grundlegende Neueinschätzung des derzeitigen sowjetischen Technologiestandes stattfinden muß. Zweitens. Auf der Grundlage einer klaren Analyse der sowjetischen Technologie müßte dann die COCOM-Liste vollständig mit dem Ziel überprüft werden, sie auf den wirklichen Kern strategisch relevanter Technologien zu beschränken. Es kann nicht als Embargogrund ausreichen, daß die betreffende Technologie auch militärisch genutzt werden kann. Es kommt darauf an, daß sie für militärische Produktion wesentlich ist. Das, was die Westeuropäische Union gesagt hat, ist für uns sehr wichtig. Herr Roth, Sie tun immer so, als wenn die Bundesrepublik Deutschland allein entscheiden könnte. Wir sind im internationalen Verbund mit den COCOM-Staaten. Deswegen können wir nicht groß hallo schreien. Wenn das jemand hört, klingt es so, als wenn das nur von Herrn Beckmann oder von Herrn Bangemann abhinge. ({5}) - Verzeihung, von Herrn Haussmann. Sie sehen daran, daß die Kontinuität bei mir so groß ist - das sind beides sympathische und gute Minister -, daß ich Herrn Haussmann nicht verletzt habe, indem ich Herrn Bangemann noch erwähne. Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir brauchen erstens eine Neueinschätzung des sowjetischen Technologiestandes, zweitens eine grundsätzliche Entschlackung der COCOM-Liste, drittens gemeinsame Export- und Reexportkontrollen auch mit den Staaten des Ostblocks, viertens verbindliche Endverbleibserklärungen der Empfängerländer, fünftens Verhandlungen über den Ost-West-Handel mit Spitzentechnologie im Rahmen der Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa und sechstens die Schaffung eines Expertenkomitees im Rahmen der KSZE, das Empfehlungen für den Ost-West-Handel mit Spitzentechnologie ausarbeiten soll. Ich denke, meine Damen und Herren, daß das ein Weg wäre, den wir ungeachtet aller Polemik, die Herr Roth zum Teil in die heutige Debatte gebracht hat, ({6}) gemeinsam gehen können. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! ({0}) Die Phase des kalten Krieges ist vorbei. Das haben zuletzt in Malta Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow gemeinsam festgestellt. Das heißt, die Relikte des kalten Krieges müssen sofort beseitigt werden. Die COCOM-Liste ist ein Relikt des kalten Krieges. Die COCOM-Liste muß weg. ({1}) Insofern volle Übereinstimmung mit der Stoßrichtung des SPD-Antrages. An einer Stelle haben sowohl Herr Kittelmann als auch vorher schon Herr Roth auf einen sensiblen Punkt hingewiesen: Herr Kittelmann, wir haben Konsens darin, daß wir, wenn wir die Streichung der COCOM-Liste fordern, nicht für eine Genehmigung von Waffenexporten von West nach Ost plädieren. Darin besteht überfraktionelle Gemeinsamkeit. An der sollten wir festhalten. Wir sollten uns darum kümmern, welches Instrument das geeignetste ist, um den nicht gewünschten Waffenexport zu unterbinden. Wir schlagen deswegen als Alternative zur COCOM-Liste folgendes vor: eine Kombination von nationaler Politik und internationaler Ost-West-Vereinbarung: In der nationalen Politik ist Konsens von GRÜNEN und SPD: Das Außenwirtschaftsgesetz muß in Richtung der Kontrolle von Waffenexporten und auch von Dual-Use-Gütern empfindlich erweitert und verschärft werden. Herr Kittelmann, das hat doch die Bundesregierung nach den Skandalen vor einem Jahr selbst gefordert. Ich frage Sie: Wie kommt es, daß die Bundesregierung und auch der Wirtschaftsausschuß Druck gemacht haben, die Anhörung des Wirtschaftsausschusses zu diesem Thema vorzuziehen, weil internationaler Handlungsbedarf bestehe, diese Thematik aber seit zwei Wochen von der Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses abgesetzt worden ist? Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Courage bekommen, hat sich die Rüstungslobby in Ihrem politischen Rücken so breit gemacht, daß Sie Ihren eigengemachten Zeitdruck vergessen haben, oder besteht nach Ihrer Auffassung Handlungsbedarf zumindest nicht unmittelbar?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kittelmann?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es mir nicht von der Zeit abgezogen wird, ja.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da Sie mich gefragt haben: Wären Sie bereit, mir einige Minuten Ihrer Redezeit abzugeben, in denen ich Ihre Frage ausführlich beantworten könnte? ({0}) Da dies aber nicht der Fall sein wird, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bewußt, daß die Verschiebung der Verabschiedung des Außenwirtschafts- und des Kriegswaffenkontrollgesetzes auf Bitten der FDP- und der CDU/CSU-Fraktion darauf zurückzuführen ist, daß das Parlament in einigen Fragen mehr Beratungsbedarf hat, ({1}) daß es gerade auch auf der politischen Linie der Opposition lag, mehr Zeit für Beratungen zu haben, wenn strittige Punkte noch nicht voll ausdiskutiert worden sind, und daß wir der Öffentlichkeit haben verständlich machen können, daß die von uns noch zu diskutierenden Punkte so bedeutsam sind, daß man großes Verständnis dafür hat, daß die Verabschiedung noch nicht stattgefunden hat?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kittelmann, das ist mir bewußt, genau das habe ich ja mit Zick-Zack-Kurs bei Ihnen gemeint. Im November noch melden Sie Eilbedürftigkeit an, im Dezember Beratungsbedarf, also keine Eilbedürftigkeit mehr, weil die Rüstungslobby in Ihrem Rücken Beratungsbedarf geltend gemacht hat. ({0}) Beratungsbedarf heißt Korrekturbedarf an dem, was sie ursprünglich gewollt haben. ({1}) Die internationale Komponente zur Verhinderung und Untersagung von Waffenexport ist folgende - und da nehmen wir ein Element des SPD-Antrages auf und wollen den Antrag etwas nach vorne treiben - : Wir wollen die Frühjahrskonferenz der KSZE zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa nutzen, um eine Ost-West-Vereinbarung, eine KSZE-Vereinbarung, zum Verbot von Waffenexport auszuhandeln und zu unterzeichnen. Eine solche KSZE-Vereinbarung wäre umfassender als die entsprechenden Elemente der derzeitigen COCOM-Liste und wäre ein internationaler und friedenstiftender Beitrag, auch zur Blocküberwindung. ({2}) Wir GRÜNEN teilen als eine Stoßrichtung des SPD-Antrages die Auffassung, daß zur Intensivierung der Ost-West-Beziehungen, insbesondere auch der deusch-deutschen Beziehungen, ein Ausbau der Handelsbeziehungen, insbesondere auch mit Hochtechnologiegütern, notwendig ist. Wir haben völligen Konsens darin, daß es absurd wäre, beispielsweise zum ökologischen Umbau der DDR die DDR mit zweitrangigen Technologiegütern, nach Möglichkeit mit Technologiegütern auszurüsten, die bei uns schon gebraucht worden sind und die dann als ZweiteHand-Güter hinübergeliefert werden. ({3}) Die osteuropäischen und mitteleuropäischen Länder einschließlich der DDR brauchen für ihren ökologischen und ökonomischen Umbau Spitzentechnologie. Soweit wir ihnen dabei helfen können, sollten wir ihnen dabei helfen. Soweit besteht Gemeinsamkeit. Entscheidend ist allerdings, wie die technologische und wissenschaftliche Zusammenarbeit konkret ausgestaltet wird. Hier bestehen Differenzen zwischen den GRÜNEN und der SPD. Ich habe eine erste kritische Frage. Sie fordern in Ihren Entschließungsantrag u. a., daß Institutionen und Unternehmen der DDR im Rahmen der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit das Recht eingeräumt werden sollte, Anträge direkt an die Bundesregierung zu richten, um nach den BRD-Bestimmungen entsprechende finanzielle Unterstützung zu bekommen. Ich weise auf die Gefahr hin, daß die DDR-Regierung mit Lockangeboten der Bundesregierung ausgehebelt wird. Nicht mehr die DDR-Regierung, sondern die BRD-Regierung wäre dann direkter Ansprechpartner für DDR-Institutionen und -Unternehmen. Damit wird die BRD-Regierung auch auf Grund ihrer ökonomischen Stärke und ihrer finanziellen Leistungskraft als Nebenregierung in der DDR etabliert. Ob Sie wollen oder nicht: Das wird faktisch auf einen Alleinvertretungsanspruch in wirtschaftlicher Hinsicht hinauslaufen. Wir lehnen dieses Instrument deswegen ganz entschieden ab. ({4}) - Dann erläutern Sie es gleich. Sie schlagen zweitens vor, daß im Bereich von Wissenschaft und Technologie ein interministerieller Ausschuß gebildet werden soll, der die wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit organisieren soll. Herr Vosen, dazu habe ich folgende Frage: In den letzten Tagen haben sowohl die Wirtschaftsgruppen des „Neuen Forum" als auch die Umweltverbände in der DDR - vorgestern noch - gefordert, in den jetzt einzurichtenden deutsch-deutschen Kommissionen zu den Themenbereichen Umwelt, Wirtschaft, Technologie sollten nicht nur Vertreter der DDR-Regierung, die nicht legitimiert ist, sondern auch Vertreter von nichtstaatlichen Verbänden, von Umweltverbänden und auch von Oppositionsgruppen, als gleichberechtigte Partner sitzen. Dies ist in Ihrem Antrag nicht vorgesehen. Wir GRÜNEN schließen uns dieser Forderung an. Die DDR-Regierung ist nicht legitimiert, vor den Wahlen am 6. Mai in der DDR allein Absprachen mit der Bundesregierung zu treffen. Die BRD ist dazu in der jetzigen Umbruchsphase auch nicht legitimiert, ({5}) technologische, umweltpolitische und ökonomische Weichenstellungen vorzunehmen, die möglicherweise schon nach einem halben Jahr nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Ich nenne einen dritten Punkt, der deutlich macht, daß Ihr Entschließungsantrag einen ökologischen Pferdefuß enthält. Sie schlagen in der Begründung Ihres Antrags vor, daß im Rahmen der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit auch der Stromverbund zwischen der BRD und der DDR ausgebaut werden sollte. Hiermit zeigen Sie, daß Sie - wie auch die SED-geführte Regierung der DDR - auf Zentralismus in der Energieversorgung gepolt sind. Mit einem solchen zentralistischen Ausbau des Stromverbundes nutzen Sie zwar den EnergiemonoStratmann polen bei uns, verhindern aber den Aufbau einer ökologischen und dezentralen Energiestruktur in der DDR. Diese Struktur wollen wir. Dies wollen auch die sich allmählich artikulierenden ökologischen Gruppen in der DDR. Gerade weil sie es wollen, müssen sie in den entsprechenden Kommissionen sitzen, und zwar auch vor dem 6. Mai, um dort ökologische Interessen artikulieren und auch durchsetzen zu können. ({6}) Ich nenne einen vierten Kritikpunkt. Was den Bereich der Hochtechnologie angeht, so sagen Sie nichts zum Export von Atomtechnologie. Ich erinnere mich an Ihren Antrag zum Thema Brasilien, in dem Sie ausdrücklich gefordert haben, die KWU solle ermächtigt werden, den Schrottreaktor ANGRA I in Brasilien, der derzeit stilliegt, mit bundesdeutschem Know-how wieder aufzumöbeln, um ihn ans Netz zu nehmen. Ich fürchte, Sie meinen, schrottreife Atomreaktoren in der DDR, statt sie stillzulegen, mit Hilfe der KWU wieder aufmöbeln zu können mit dem Ziel, daß sie dann noch zehn, zwanzig Jahre weiterlaufen. ({7}) Dies lehnen wir ab. Wir wollen im Bereich der Hochtechnologie weder den Export von Atomtechnologie noch den Export von Gentechnologie. Wir könnten Ihrem Antrag nur dann zustimmen, wenn Klarheit in dieser Beziehung herrschte. Weil dies nicht klar ist, werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag der Stimme enthalten. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die Dialoge zwischen den GRÜNEN und der SPD beendet sind, darf ich zu meinem Redebeitrag kommen. - Die Diskussion über die COCOM-Liste hat durch die demokratischen Veränderungen in Osteuropa zweifellos eine neue Dimension erreicht. Die friedliche Neugestaltung der Verhältnisse in Polen, Ungarn, der DDR, der Tschechei ({0}) und in Bulgarien machen neue Vorstellungen über die Kooperation in ganz Europa erforderlich. ({1}) Diese Veränderungen hin zu mehr Demokratie und freier Selbstbestimmung werden nur dann erfolgreich sein, wenn gleichzeitig auch wirtschaftliche Erfolge erzielt werden, die langfristig zu einem besseren Lebensstandard in diesen Ländern führen. Aus diesem Grunde müssen die osteuropäischen Staaten in die Lage versetzt werden, mit anderen Volkswirtschaften wettbewerbsfähig zu werden. Hierzu benötigen sie westliche Hilfe, und zwar nicht nur in Form von Krediten, sondern auch durch Vermittlung von technischem Know-how und Lieferung von modernen Investitonsgütern. ({2}) Damit sind auch die Voraussetzungen für eine langfristige Ausweitung des Ost-West-Handels zu schaffen. ({3}) Das sind sozusagen die Grundsätze. Sie von der Opposition, auch die GRÜNEN, machen es sich manchmal etwas sehr leicht. ({4}) Denn Sie können ja nicht einseitig fordern, daß die COCOM-Liste ausgesetzt wird, sondern Sie wissen genausogut wie ich, daß es sich um eine multilaterale Vereinbarung handelt, die auch nur multilateral - in diesem Fall sogar nur einstimmig - geändert werden kann. Die COCOM-Liste ist im wesentlichen unter strategischen Gesichtspunkten verfaßt worden. Mit zunehmendem Abbau der Spannungen in Europa, mit zunehmender Abrüstung und mit zunehmenden vertrauensbildenden Maßnahmen verliert diese Liste immer mehr von ihrer strategischen Bedeutung. ({5}) Wir wissen, daß das nicht von heute auf morgen möglich ist. Aber so wie sich die Spannungen abbauen, sollten auch die bestehenden Restriktionen der COCOM-Liste automatisch mit gelockert und abgebaut werden. Insbesondere für Industriegüter, die nicht fundamentale Sicherheitsinteressen des Westens berühren, müssen Erleichterungen zugelassen werden. Dies gilt insbesondere für Werkzeugmaschinen, die ja auch die Voraussetzung dafür sind, daß eine funktionierende Investitionsgüterindustrie im Osten aufgebaut werden kann. Das gleiche gilt für große Teile der Telekommunikation - das ist hier an den Beispielen Polen und Ungarn schon deutlich gemacht worden -; die Verhandlungen gehen meines Erachtens in die richtige Richtung. Solche Lockerungen sind unseres Erachtens nicht nur zweckmäßig, sondern auch erforderlich, wenn - wie z. B. bei den Verhandlungen mit den Ungarn - die osteuropäischen Länder Garantien für eine militärische Nichtverwendung geben und Kontrollen vor Ort zulassen. Wir haben allergrößtes Interesse, daß in Osteuropa Anschluß an den Lebensstandard im Westen gefunden wird. Ich weiß, daß es dauert, aber wir müssen diese ersten Schritte gehen. Nur wenn sich diese Wirtschaften gut entwickeln, sind sie langfristig auch Industrieabsatzmärkte für uns, für die westlichen Industrieländer und gleichzeitig auch in der Lage, ihrerseits für den westlichen Markt zu produzieren, mit anderen Worten: ihre Waren auf unseren Märkten preisgünstig abzusetzen. Wirtschaft und Handel können und dürfen keine Einbahnstraße sein. Wir werden langfristig nur profitieren, wenn Teile der gesamten Welt als mögliche Wirtschaftspartner nicht wegfallen. Wir müssen größtes Interesse daran haben, daß wir mit der gesamten Welt wirtschaften und Handel treiben können. ({6}) Je größer die weltwirtschaftliche Verflechtung auch der Osteuropäischen Staaten ist, desto mehr sind auch unsere Sicherheitsinteressen gewährleistet. ({7}) Eine gute wirtschaftliche Entwicklung der osteuropäischen Länder führt zur Friedenssicherung in Europa und gleichzeitig zu unserem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. - Dahinter kommen wir nicht erst jetzt, Herr Vosen, sondern das ist eine Politik, die wir jedenfalls seit 1969 immer betrieben haben. Und wenn Sie einmal Männer wie Pfleiderer, Döring und Flach nachlesen würden, dann würden Sie feststellen können, daß das schon in den 50er Jahren stets unsere Politik gewesen ist. ({8}) Wir bitten deswegen auch die Bundesregierung, ihre Anstrengungen fortzusetzen, damit die amerikanischen Partner und die sonstigen westlichen Verbündeten der Lockerung der COCOM-Liste zustimmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth, Herr Kollege?

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Tradition der Döring usw. erinnere ich auch. Können Sie mir jetzt, ein paar Jahre später, wenigstens erklären, warum Herr Bangemann diesen Kurs verlassen und diesen unseligen SDI-Vertrag, Technologieblockierungsvertrag, mit den Amerikanern unterschrieben hat?

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, Sie wissen genau so gut wie ich, daß die Verhältnisse vor drei Jahren noch ganz anders gewesen sind. Da war von demokratischen Fortschritten im Ostblock überhaupt noch keine Rede, da gab es noch nichts von Glasnost und Perestroika. ({0}) - Sehen Sie, das ist Ihr Problem. Sie haben die ganze Zeit mit Ihrem Nachbarn geschwätzt, und deswegen haben Sie nicht aufgepaßt, als ich gesagt habe, daß Strategie und wirtschaftliche Entwicklung nebeneinander herlaufen müssen. ({1}) Wir sind also der Auffassung, daß die COCOM-Liste abgebaut, auf die strategisch wichtigen Punkte beschränkt werden soll, und dann ist diese COCOMListe auch in unserer Bevölkerung politisch akzeptierbar. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Beckmann.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat ihre grundsätzliche Position zum Ost-West-Handel mit Hochtechnologiegütern in den Vorbemerkungen ihrer Antwort auf die Große Anfrage dargelegt. Diese Darlegungen sind auch heute selbstverständlich nach wie vor gültig. Ein Widerspruch zu den Beschlüssen, mit denen die Bundesregierung ein detailliertes Konzept zur Verschärfung der Kontrolle des Wirtschaftsverkehrs mit dem Ausland vorgelegt hat, besteht nicht. Die Bundesregierung hat mit diesen Beschlüssen lediglich die Konsequenzen auch aus den bekanntgewordenen Fällen einer versuchten oder vollendeten Verbreitung von AB C-Waffen-Technologien bzw. der Beteiligung von Bundesbürgern an Rüstungsprojekten im Ausland gezogen. Zwischen unseren Zielen, meine Damen und Herren, einer Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen einerseits und einer Straffung der COCOMListe besteht kein Konflikt. Ich möchte übrigens gern Gelegenheit nehmen, angesichts der erfreulich großen Zahl unserer zuhörenden Bürger auf der Tribüne, einmal den Begriff „COCOM" zu erläutern, der in dieser Debatte noch mehrfach fallen wird. COCOM ist der schon 1950 geschaffene Koordinierungsausschuß für multilaterale strategische Exportkontrollen. Eine grundlegende Überarbeitung der COCOM-Liste mit dem Ziel einer Anpassung der Parameter an den technischen Fortschritt gehört vielmehr zu den Voraussetzungen für eine Verbesserung der Wirksamkeit der Ausfuhrkontrollen. Die Gründe hierfür sind in den Vorbemerkungen der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage genannt. Ich will hier nur den wichtigsten wiederholen: Je kleiner der Kreis der Waren ist, auf die sich Genehmigungs- und Überwachungsbehörden zentrieren können, desto besser sind auch die Möglichkeiten für eine konsequente Durchsetzung der Ausfuhrbeschränkungen. Es ist eben die Aufgabe des COCOM, die strategisch relevanten Exporte des Westens in den Osten zu kontrollieren. die COCOM-Politik kann deswegen auch nicht unberührt bleiben von den grundlegenden Veränderungen, die insbesondere in der DDR, aber auch in den Ländern Mittel- und Osteuropas in Gang gekommen sind, ({0}) und auch nicht von dem weitreichenden Wandel, der sich im Verhältnis zwischen West und Ost vollzieht. Ich denke, auch die COCOM-Politik muß dazu beitragen, die Reformbestrebungen im Osten zu unterstützen und zu ermutigen. Aber ohne wirtschaftliche Erfolge werden die derzeitigen politischen Änderungen im Osten langfristig nicht aufrechtzuerhalten sein. Wirtschaftliche Erfolge setzen aber eine grundlegende Modernisierung der dortigen Wirtschaft vorParl. Staatssekretär Beckmann aus, die nur in Zusammenarbeit mit dem Westen erreicht werden kann. Die von der Bundesregierung angestrebte erhebliche Straffung der COCOM-Liste erhält hierdurch besondere Aktualität und auch politische Bedeutung. Die Bundesregierung bereitet zur Zeit, Herr Kollege Roth, eine Initiative vor, um in besonders wichtigen Bereichen der Wirtschaftsbeziehungen eine Auflockerung des COCOMs zu erreichen. Für die Bereitschaft der COCOM-Partner zur Straffung der Liste ist natürlich auch ein erfolgreicher Abschluß der nun jahrelangen Bemühungen um eine Überarbeitung der Werkzeugmaschinenpositionen aus meiner Sicht ein Testfall. Herr Kollege Funke hat zu Recht soeben darauf hingewiesen. Hier werden im Augenblick noch Standardmaschinen kontrolliert, die inzwischen in der DDR und anderen Ländern des Warschauer Pakts, der RGW-Staaten bereits selbst gebaut werden können. ({1}) So meine ich also: Nur eine Anpassung der Parameter an den inzwischen erreichten technischen Fortschritt kann die Glaubwürdigkeit der Regeln erhalten, die für die notwendige Zusammenarbeit mit der exportierenden Wirtschaft bei der Durchsetzung der Ausfuhrkontrollen so überaus wichtig ist. Nur durch eine Veränderung der Regeln, wie sie die große Mehrheit der COCOM-Partner für notwendig hält, läßt sich auch gegenüber den reformwilligen Staaten glaubhaft machen, daß der Westen keine Politik der politischen und technologischen Abschottung betreibt. Die Bundesregierung will eine deutlich fühlbare umfassende Modernisierung der COCOM-Regeln. ({2}) Sie konzentriert ihre Bemühungen zunächst auf den bereits genannten Sektor Werkzeugmaschinen und Bereiche wie Telekommunikation, Medizin, Umwelttechnik und Reaktorsicherheit. Die Telekommunikation ist ein besonders signifikantes Beispiel. Herr Kollege Roth, Sie haben darauf angespielt, Sie. Ohne ein gutes Telefon ist weder eine effiziente Volkswirtschaft noch eine frei kommunizierende Wirtschaft möglich. ({3}) Ich will aber auch ganz klar sagen: Die Bundesregierung unterstützt weiterhin die grundsätzliche Zielsetzung des COCOM. Für die nähere Zukunft wird es möglich sein, die von Ost und West gleichermaßen gewünschte Zusammenarbeit, im Bereich moderner Hochtechnologien von allen Beschränkungen freizumachen. Wenn aber auch dem Weg der Vertrauensbildung in letzter Zeit auch große Fortschritte erzielt werden konnten, so sind für eine weitergehende Änderung längerfristige Perspektiven notwendig, beispielsweise in der ganzen Breite der Abrüstung. Unser Ziel muß es nun sein, eine enge und vertrauensvolle wirtschaftliche Zusammenarbeit im Interesse der Reformen, vor allem aber im Interesse der Menschen in Europa zu ermöglichen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ich bis jetzt von den Kolleginnen und Kollegen der FDP und auch der CDU gehört habe, ist ja eigentlich alles auf Abschaffung dieser COCOMListe ausgerichtet. ({0}) Ich habe hier niemanden gehört, der sagt, wir wollen diese Liste jetzt behalten. Wenn das so ist, dann brauchen Sie nur noch sogleich unserem Antrag zuzustimmen. Darin steht nämlich, daß wir auf die Abschaffung und Ausdünnung dieser Liste drängen. Drängen heißt also, unsere internationalen Partner bitten, diese Liste in der jetzigen Zeit zwischen Ost und West abzuschaffen und bis auf die Dinge auszudünnen, die rein auf Waffen bezogen sind. Sie könnten also zustimmen. Da die ganze Sache drängt und die Zusammenarbeit nötig ist, wie auch der Bundeskanzler in den Punkten 2 und 4 seiner Erklärung vorgetragen hat, die wir bis auf die Fraktion der GRÜNEN gemeinsam getragen haben, glaube ich, daß wir also auch da genau in der Politik liegen, wenn wir diese COCOMListe jetzt abschaffen und dies nicht auf die lange Bank schieben. In unserem Antrag ist weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit der DDR im speziellen aufgezeigt, weil es ja eine Politik ist, bei der unstrittig ist, daß jetzt geholfen werden muß. Diese Einzelpunkte, die wir aufgelistet haben - beispielsweise Wissenschaftleraustausch, Expertenaustausch, Möglichkeiten, Forschungsanträge auch hier abzuholen - , waren auch bei den Kollegen im Forschungsausschuß unumstritten. Wir haben eigentlich keine großen Meinungsunterschiede. Herr Stratmann, wenn Sie sagen, Sie wollten dabei die Souveränität der DDR beachtet wissen, so weise ich Sie darauf hin: Das gibt unser Antrag her. Ich sage das ganz ausdrücklich für das Protokoll. ({1}) Die Zusammenarbeit soll im Vorfeld zwischen Kommissionen der DDR und dem BMFT verabredet werden. Wenn die Vertreter der DDR hier erscheinen, sollen sie nicht praktisch abhängig sein. Es soll alles zuvor in Regierungskommissionen besprochen und souverän miteinander verabredet werden. Diese Angst kann ich Ihnen also nehmen. Wir wollen nicht die Souveränität der DDR in Frage stellen oder die DDR bevormunden. Das können Sie aus diesem Antrag nicht herauslesen. Ich glaube also, daß der Antrag in der Tat hier im Parlament einen ganz breiten Konsens finden kann. Wir haben ihn bewußt sachlich formuliert, ohne jeden politischen Brei oder ideologischen Unterbau. Er ist ein Antrag, der wirklich in die Zeit paßt und, wie ich meine, von daher auch eilbedürftig ist. Deshalb sind wir dagegen, daß dieser Antrag in die Ausschüsse überwiesen wird, wo er dann schlummert, bis die Koalition mit einigen anderen Worten einen ähnlichen Antrag als ihren eigenen einbringt, um ihn hier beschließen zu lassen. Ich glaube, Sie können, ohne daß Ihnen ein Zacken aus der Krone fällt und Ihnen Urheberrechte verlorengehen, diesem Antrag zustimmen. Es ist ein Antrag, der auf eine schnelle Zusammenarbeit mit den Staaten des Ostblocks und speziell der DDR abhebt. Es ist ein Antrag, der ideologiefrei ist und echte Hilfe bedeutet, wenn wir ihn realisieren. Ich meine also, die ganzen Beteuerungen, die heute hier vorgetragen worden sind, daß man auf Grund der jetzigen Lage das Ganze transparenter machen möchte, können in den Antrag einfließen, indem Sie diesem Antrag zustimmen. ({2}) - Herr Kittelmann, obwohl Sie in den vergangenen Jahren immer wieder einer der Hardliner waren, sind Sie auf dem Wege der Besserung. Ich rate Ihnen: Bessern Sie sich, stimmen Sie diesem Antrag zu. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vielgeschmähte COCOM-Liste hat die ihr gestellte Aufgabe, den Warschauer Pakt am freien Zugang zu modernster westlicher Technologie zu hindern, weitgehend erfüllt. So hat das COCOM-System sicher auch zur Abrüstungsbereitschaft der Sowjetunion beigetragen. Heute aber, nach 40 Jahren COCOM und den dramatischen Veränderungen im Ostblock, ist es sicher angebracht, die Liste und das Verfahren zu überprüfen; nicht wegzuwerfen, sondern zu überprüfen, Herr Kollege Vosen. Die USA, die hier das entscheidende Wort sprechen, haben Änderungen angekündigt. Man hört von einem Dreistufenplan, der etwa in der dritten Stufe die Absenkung auf das Niveau, das für die Kontrollmaßnahmen gegenüber der Volksrepublik China gilt, zum Ziel hat. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zum Verhältnis zur Sowjetunion nichts ausgesagt. Gerade hier sind Änderungen nötig, wenn die Reformbemühungen im Osten gelingen sollen. Dabei kann es nicht darum gehen, Kriegsmaterial in den Ostblock zu exportieren. Das soll nach wie vor nicht möglich sein. Es kann nur darum gehen, mit moderner Technologie die wirtschaftliche Gesundung im Ostblock zu unterstützen, die auch den Frieden in der Welt weiterhin absichern soll. Die COCOM-Regeln sind im Bereich des Dual use nur noch teilweise praktikabel. Ich möchte dies an einigen Beispielen erläutern, z. B. an der Frage der Reaktorsicherheit. Wenn wir heute mit der Sowjetunion verhandeln, um ein zweites Tschernobyl durch bessere Sicherheitseinrichtungen zu verhindern. dann müssen wir Steuerungselemente und Computer einbauen, die wir nach den COCOM-Regeln nicht liefern dürfen. Computertechnologie für die Fabrikation von Konsumgütern kann genausogut in einer Waffenfabrik eingesetzt werden. Ein anderes Beispiel: Telekommunikationssysteme - das ist heute schon ein paar Mal angeklungen - können beiderseitig: zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verbindungen, aber auch natürlich zu besseren militärischen Verbindungen eingesetzt werden. Es ist bekannt, daß hier beide Möglichkeiten des Einsatzes gegeben sind. Deshalb glauben wir, daß hier über manche Änderungen nachgedacht werden muß. Besonders gilt dies aber für den innerdeutschen Handel. Während im Außenwirtschaftsgesetz grundsätzlich von der Freiheit des Handels ausgegangen wird und nur in einzelnen Fällen Einschränkungen vorgesehen sind, sind im innerdeutschen Handel Lieferungen von sicherheitsrelevanten Gütern und Informationen grundsätzlich einzelgenehmigungspflichtig. Hier gibt es einen besonderen Ausschuß, den SCOM, der seine Entscheidungen im schriftlichen Verfahren nach COCOM-Maßstäben trifft. Wenn es nun in der DDR zu freien Wahlen kommt und sich unsere Landsleute für die Demokratie entscheiden - was wir alle miteinander hoffen und wovon wir ausgehen -, dann werden uns durch SCOM die Hände gebunden sein, wenn wir Unterstützungsmaßnahmen für die Industrie, wenn wir Modernisierungsmaßnahmen in der Wirtschaft durchführen wollen. Das paßt uns auch nicht. Wir sehen den engen Zusammenhang zwischen einer übertriebenen Exportkontrolle und der Regelung der deutschen Frage. Ich möchte noch einmal sagen: Wir sind nach wie vor für die Aufrechterhaltung von Exportkontrollen für militärische Güter. Wir sind aber auch dafür, daß diese Dual-use-Güter und der innerdeutsche Handel, von dem ich gerade gesprochen habe, mit vernünftigen und praktikablen Regeln ausgestattet werden. Ich habe sehr gerne von dem Herrn Staatssekretär gehört, daß die Bundesregierung dabei ist, hier einen Vorstoß zu unternehmen. Wir bitten die Bundesregierung, einige Punkte bei diesen Verhandlungen anszusprechen, die ich jetzt gleich aufführen möchte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage?

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Herr Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe da eine präzise Frage. Ich habe vorgeschlagen: Kein internationales Kontrollverfahren mehr, sondern ein nationales, entsprechend unseren gesetzlichen Grundlagen. Können Sie mir erklären, warum die CDU/CSU glaubt, daß die Bundesregierung nicht in der Lage wäre, dieses nationale Kontrollverfahren beispielsweise in Richtung der DDR selbst zu machen? Können Sie mir erklären, warum das umständliche internationale bürokratische verzögernde Verfahren über Paris in den nächsten Jahren notwendig ist? Können Sie mir sagen, warum Sie daran jetzt weiter festhalten wollen? Ich begreife das - auch im Vergleich zu den 10 Punkten, die der Herr Bundeskanzler hier vorgetragen hat - gar nicht. ({0})

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, Sie wissen doch ganz genau, daß das nicht in unserer Macht liegt. ({0}) Wir können nicht einseitig dieses Abkommen aufkündigen. ({1}) Das hängt mit internationalen Verhandlungen zusammen, die wir führen müssen. ({2}) Da kommen wir einzeln nicht heraus. ({3}) Bitte sehr.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist sehr gut, daß Sie durch Ihre Unkenntnis gezeigt haben, daß ein Aufklärungsbedarf besteht. Es gibt für das COCOM-Verfahren keinen internationalen Vertrag, keine Vereinbarung. Das ist ein Konsens, der morgen auflösbar ist. Das heißt, wenn keiner mehr nach Paris zu diesem bürokratischen Giganten fährt, der alles verzögert, dann ist die Sache zu Ende. ({0})

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Roth, ich kann mir nicht vorstellen, daß wir uns so leicht aus einem solchen schwierigen und von so vielen Problemen belasteten Verfahren, herauswinden können. ({0}) Ich glaube, das geht nicht. Ich gebe zu, daß ich die letzten Feinheiten hier nicht kenne. Aber wir sprechen hier jedenfalls immer von einer internationalen Übereinkunft zur Abwehr eines Technologietransfers an den Ostblock. Herr Staatssekretär, wir wollen, daß Sie erstens bei diesen Verhandlungen erreichen, daß jegliche Genehmigungspflicht für Dual-use-Export in den OECD-Bereich und in den EG-Binnenmarkt entfällt; zweitens, daß für das Anlagengeschäft eine gezielte Kontrolle nur sensibler Geschäfte und nur bei den Ländern vorgenommen wird, die unter dem Verdacht des Mißbrauchs für Rüstungszwecke stehen; drittens, daß die vor langer Zeit angekündigten, aber bisher fehlgeschlagenen Stream-Lining-Verhandlungen wie auch die Listenrevision mit größtem Engagement betrieben werden - Sie haben ja das Beispiel der Werkzeugmaschinen angeführt -; viertens, daß eine großzügigere Erteilung von Genehmigungen für nicht gegenständlichen Technologietransfer bei Kooperationen und bei Joint-ventures stattfindet. Hier sollte die Vorlagepflicht beim COCOM völlig entfallen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung selbst dafür sorgen, daß eine rasche und nachhaltige Verbesserung des Genehmigungsverfahrens beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn zustande kommt. ({1}) Monatelange Genehmigungszeiten sind unerträglich, vor allem auch wenn es sich um Ersatzteile handelt. Hier hat die Bundesrepublik einen echten Standortnachteil dadurch, daß zum Teil wichtige Ersatzteile nicht pünktlich geliefert werden können. Das sind unsere Bitten. Ich hoffe, Sie können einige davon in diesen Verhandlungen durchsetzen. Ich möchte abschließend noch einmal sagen: Wir wollen die Probleme des COCOM nicht im Gegensatz zu unseren amerikanischen Verbündeten lösen, sondern nur gemeinsam mit ihnen. Herr Kollege Roth, das ist das, wonach Sie vorhin gefragt haben. Nach der Malta-Konferenz zwischen Präsident Bush und Präsident Gorbatschow haben wir die Hoffnung, daß sich eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West entwikkelt und daß der Kalte Krieg wirklich endgültig zu Ende ist. Die Sowjetunion signalisiert ja auf allen Kanälen Entgegenkommen bei allen Abrüstungsfragen. Dies müssen wir auf seinen wirklichen Gehalt, die Durchführbarkeit und die Überwachbarkeit hin prüfen. Wenn es dann wirklich so ist, daß eine Gefahr militärischer Expansion des Ostblocks vom militärischen Kräfteverhältnis her gar nicht mehr gegeben ist, wenn eine Aggressionsfähigkeit des Ostens nicht mehr gegeben ist, dann kann, ja dann muß die Phase kommen, in der wir den Ostblockstaaten helfen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen, ({2}) auch indem wir ihnen Hochtechnologie in großem Umfang, am besten über Joint-venture oder sonstige Formen der Zusammenarbeit, liefern. ({3}) In diesem Falle haben die meisten Beschränkungsmaßnahmen des COCOM-Systems ihren Sinn verloren. Ja, man kann sagen: Sie haben sich selbst unnötig gemacht, ({4}) und zwar indem sie dabei geholfen haben, die Sowjetunion von dem Versuch abzubringen, mit militärischen Mitteln den westlichen Demokratien ihren Willen aufzuzwingen. Dann wird sich endlich der Wettbewerb nicht mehr im militärischen Bereich abspielen, ({5}) sondern dort, wo wir ihn wollen, nämlich in den Forschungslabors und in den Fabrikhallen. Meine Damen und Herren von der Opposition: Sie können noch so dazwischenschreien: Bei diesem Wettbewerb in Laboratorien und Fabrikhallen haben die marktwirtschaftlich orientierten Staaten immer die Nase vorn. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6085. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Strafnachlaßgesetzes zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 11/4555 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu 5 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Es geht hier um das Strafnachlaßgesetz der GRÜNEN aus Anlaß der Feierlichkeiten zum 40jährigen Bestehen des Bonner Grundgesetzes. Als wir unseren Gesetzentwurf verfaßten, wollten wir einen wirklich guten Beitrag zum Fest aus Anlaß des 40jährigen Geburtstags der Bundesrepublik leisten. Wir wollten ein Geburtstagsgeschenk überreichen, welches zur Abwechslung einmal einer Gruppe von Menschen zugute kommt, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, nämlich den fast 50 000 Strafgefangenen und den mehreren Hunderttausend Angehörigen dieser Strafgefangenen draußen. Nicht zu ahnen war damals im Frühjahr dieses Jahres, daß inzwischen noch viel mehr Grund zum Feiern besteht, seit die DDR die Grenzen geöffnet hat und die Menschen dort demokratische Reformen begonnen haben. Drüben gibt es inzwischen einen breiten Strafnachlaß, sogar eine richtige Amnestie, deren genaues Ausmaß allerdings noch nicht bekannt ist. Wenn sie aber der Amnestie von 1987 ähnelt, bei der man fast alle der ca. 25 000 Strafgefangenen entließ, dann übertrifft sie unseren Vorschlag bei weitem. Nun werden einige Kolleginnen und Kollegen gerade von seiten der CDU einwenden: Ja, sicher, aber in der DDR herrscht auch ein Unrechtssystem, und die Gefangenen dort sind politische Gefangene, die man zu Recht entlassen muß, weil sie zu Unrecht eingesperrt worden sind. - Was die politischen Gefangenen angeht, ist das richtig. Aber auch in der DDR sitzt der überwiegende Teil der Gefangenen wegen sogenannter ganz normaler Kriminalität ein. Etwa 5 bis 10% sitzen wegen politisch motivierter Straftaten ein. Das Ausmaß der Amnestie 1987 und auch der große Umfang der neuen Amnestie in der DDR waren damals und heute eine großzügige kriminalpolitische Geste auch gegenüber den ganz gewöhnlichen straffällig gewordenen Mitbürgern in der DDR. Ich verweise hier dazu auf eine Untersuchung von Prof. Roggemann in der angesehenen Neuen Juristischen Wochenschrift 1988. Wir sind mit unserem Entwurf wesentlich bescheidener. Unser Entwurf sieht nur dann die Entlassung vor, wenn der Gefangene die Hälfte seiner Strafe verbüßt hat. Kern des Entwurfs ist unsere Absicht, endlich dem Grundgedanken des § 57 Abs. 2 StGB, also der sogenannten Halbstrafenregelung, Geltung zu verschaffen; er fristet nämlich in der Praxis ein Schattendasein. Wenn es damals dem Bundesrat nicht gelang, die Halbstrafe zur Regel statt zur Ausnahme zu machen, so sollten wir das heute im Wege eines kollektiven Gnadenaktes zum Ende eines bewegten Jahres wagen. ({0}) Niemand muß befürchten, das kriminalpolitische Chaos breche aus, was gerade von seiten der CSU immer heraufbeschworen wird, denn - wohlgemerkt - es sollen alle Straftaten nach wie vor vollständig aufgeklärt und die laufenden Verfahren bis zu einem rechtskräftigen Urteil zu Ende geführt werden. Aus gutem Grund bleiben auch die berechtigten zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche des Geschädigten vom Strafnachlaß selbstverständlich unberührt. Weil es zur Verhütung von Kriminalität in erster Linie auf Aufdeckung und weniger auf die Strafe als Sanktion ankommt, besteht hier auch keine Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung. Zwei Jahre nach der DDR-Amnestie hat Professor Buchholz dort festgestellt, daß nur ein Siebtel wieder rückfällig geworden war. Das unterschreitet die Rückfallquoten nach herkömmlichen Entlassungen und bekräftigt das Gesagte. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß es hierzulande auch einmal an der Zeit wäre, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und zwar über den Einzelfall hinaus. Wir glauben auch, daß so ein Strafnachlaßgesetz in diesem Jubiläumsjahr auch für die Politiker und Politikerinnen nützlich wäre. Es wäre geeignet, der diffusen Kriminalpolitik, die bei uns herrscht, eine Besinnungspause zu verordnen, in der man auch das gesamte Strafrecht auf den Prüfstand stellen könnte und einmal darüber nachdenken könnte, was hier zugunsten der straffällig Gewordenen und auch der Opfer von Kriminalität wirklich durchgreifend passieren könnte. Abschließend möchte ich noch anmerken: Es ist hier in der letzten Zeit Praxis geworden, daß wir über Gesetzesinitiativen, die den Bereich Strafvollzug betreffen, immer freitags zum Schluß debattieren. ({1}) Jetzt steht das Strafnachlaßgesetz, über das ja in diesem Jubiläumsjahr debattiert werden sollte, erst am Ende des Jahres auf der Tagesordnung, und dies ist erst die erste Lesung. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Heißt das, daß hier im Parlament auch die Belange der Strafgefangenen das letzte sind, das letzte in einer Sitzungswoche, das letzte unter den Tagesordnungspunkten, das letzte in einem Jahr? ({2}) Oder wollen Sie das einmal umkehren und vielleicht ein Ausrufungszeichen im Sinne von Gnade vor Recht und Humanität im Strafvollzug setzen? Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Marschewski. ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde der Rechtspolitik! Der 40jährige Geburtstag unserer Republik ist für uns alle zwar ein Grund zum Feiern, ein Grund, Straftätern ihre Strafe zu erlassen, ist er nicht. Denn es besteht, so meine ich, kein Anlaß, Straftaten endgültig zu vergessen, zu vergeben, zu amnestieren. Ein Blick in die Geschichte: Es gab in dieser Republik lediglich vier Straffreiheitsgesetze. Dadurch, Frau Kollegin, wird der Ausnahmecharakter dieser Gesetze besonders deutlich. Ich erinnere an die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954. Damals ging es darum, einen Schlußstrich unter die außergewöhnliche Not der Kriegszeit und der Nachkriegszeit zu ziehen. Ich erinnere an das Straffreiheitsgesetz von 1968, die sogenannte Rechtskorrekturamnestie, eine Konsequenz aus der Novellierung des Staatschutzstrafrechts. Ich denke ferner an die Gesetze von 1970, die ausschließlich der Befriedung, der inneren Ordnung dienten, weil eine gesetzliche Neuregelung vorhanden war. Gerade dies, meine Damen und Herren, zeigt die restriktive Handhabung der Amnestie. Es ist nicht nur zweckmäßig, sondern es folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, daß die Pflicht des Staates besteht, Strafansprüche durchzusetzen und verhängte Strafen zu vollstrecken. ({0}) Ich meine, die gleichförmige Anwendung der Strafgesetze ist die wesentliche Garantie für die Gestaltungskraft einer Rechtsordnung überhaupt und die unerläßliche Voraussetzung der generalpräventiven Wirksamkeit des Strafrechts. Frau Kollegin, unsere Rechtsordnung - das wissen Sie - stellt letzten Endes andere Mittel zur Verfügung, die wirksamer sind und die, auf den Einzelfall bezogen, auch gerechter sind. Sie kennen die Einstellung des Verfahrens bei geringer Schuld oder die Strafaussetzung zur Bewährung. Ich sage noch einmal: Dadurch wird demjenigen wirklich Gerechtigkeit zuteil, der im Einzelfall betroffen ist. Wir kennen in dieser Republik nicht die sogenannte Jubelamnestie. Sie wissen, daß diese aus gesellschaftlichen Anlässen oder aus anderen Gründen letztmalig in der Kaiserzeit gewährt wurde. Ich darf doch sicherlich unwiderleglich vermuten, daß Sie diese Zeit, Frau Kollegin, nicht mehr wiederaufleben lassen wollen. Wenn Sie das wollen, was Sie vorhin gesagt haben, ist eines klar: Fehlentwicklungen, falls sie überhaupt vorhanden sind, und Mißstände, über die man reden kann, werden letzten Endes durch Reformen beseitigt, über die wir jetzt diskutiert haben und über die wir das nächste Mal im kommenden Jahr, Herr Staatssekretär, der Sie hier den Justizminister vertreten, diskutieren werden. Wir werden Reformen durchführen, und so werden wir die Mißstände beseitigen. Einen vernünftigen Grund sehe ich nicht, hier eine Amnestie zu beschließen. Ich meine ganz im Gegenteil: Der Rechtsfrieden würde durch Ihr Gesetz sicherlich gefährdet. Ich will dies wirklich sagen: Aus dem Rechtsstaat, Frau Nickels, würde ein Unrechtsstaat. Dem können wir einfach nicht zustimmen. Ich will Ihnen dies einmal beweisen. Vom Strafnachlaß würden zwar Naziverbrecher und Mörder ausgenommen, Sexualstraftäter nur dann, wenn Wiederholungsgefahr besteht, aber keinesfalls Terroristen. Für Terroristen soll dieses Gesetz, meine Damen und Herren, voll wirksam werden, und dies können wir nicht akzeptieren. Das ist die Ideologie, die Ihre Kollegin Ditfurth dauernd gefordert hat, die von Terror und Schrecken sprach. Das ist genau das, was Sie vorhaben. ({1}) Es ist, Frau Nickels, eine furchtbare Geschicklichkeit, daß dieses Ziel unter dem Mantel einer pauschalen Amnestie zumindest objektiv erreicht wird. Dem können wir keinesfalls zustimmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, natürlich.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Nickels, bitte schön.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Marschewski, würden Sie erstens bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich für die GRÜNEN seit acht Jahren Strafvollzugspolitik betreibe, vor allen Dingen für die ganz normalen Straffälligen. Zum zweiten möchte ich Sie bitten, mir zu bestätigen, daß es auch schon heute für Terroristen Halbstrafenregelungen gibt, daß es Möglichkeiten gibt, nach 15 Jahren herauszukommen, wenn sichergestellt ist, daß keine Wiederholungsgefahr besteht, daß bei Terroristen, wenn sie wegen Mordes einsitzen, natürlich die Wiederholungsgefahr greift und daß das, was Sie uns unterstellen, wirklich böse Infamie ist. ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, ich bin mit dem, was Sie sagen, sicherlich einverstanden. Das ist rechtlich so. Aber Sie wissen, daß es auf eines ankommt: Der Einzelfall, der einzelne Mensch muß betrachtet werden. Ich bin durchaus dafür, daß wir im Einzelfall dem einzelnen die Möglichkeit geben sollten, zurückzukehren, sich zu ändern und sich wieder in die Rechtsordnung einzugliedern. Wir wollen keine Generalamnestie. Das ist das Problem, das Sie vortragen. ({0}) Wir wollen dieses Problem anders lösen. Frau Nickels, durch Ihren Vorschlag würde das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert, weil Terroristen und Straftäter nicht ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Ich meine, auch der Schutz vor Kriminalität und Terrorismus würde eingeschränkt, weil Straftäter dann entweder zu früh oder unter nicht einmal günstiger Sozialprognose entlassen würden. Das Problem, das ich vorhin angesprochen habe, kommt dann doch sicherlich auch auf die Tagesordnung. Einmal Jubelamnestie würde letzten Endes bedeuten: erneut oder öfter oder immer Jubelamnestie. Ich meine, daß es klug und richtig war, wie sich dieser Staat bisher verhalten hat. Wir haben uns vernünftig beschränkt. Wir haben uns von dem Gedanken der Gerechtigkeit leiten lassen. Deswegen, so meine ich, ist Ihr Gesetzentwurf im gedanklichen Ansatz verfehlt. Er hat letzten Endes unvertretbare Auswirkungen. Sie werden dafür Verständnis haben, daß wir schon jetzt sagen: Diesem Anliegen können wir keinesfalls zustimmen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die GRÜNEN mit ihrem Strafnachlaßgesetz zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen - das muß ich einfach betonen, Frau Nickels -, ist nichts anderes als eine Jubelamnestie wilhelminischer Prägung. ({0}) Professor Klaus Marxen hat auf der Tagung der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema „Amnestie und Politik" am 19. November 1988 - vor einem Jahr - geäußert: Die Zeit echter Begnadigungsamnestien, die zumeist aus Anlaß eines gesellschaftlichen und staatlich bedeutsamen Ereignisses gewährt wurden, die Zeiten solcher Jubelamnestien sind - jedenfalls bei uns - längst vorbei. Mit dem Kaiser verließ auch die Jubelamnestie das Reich. Der Kaiser ist noch da: in Gestalt der GRÜNEN. Anders kann man das nicht formulieren. ({1}) Der Professor muß sich getäuscht sehen - und wir auch. Denn seit Bestehen des Grundgesetzes - darauf hat Herr Marschewski mit Recht hingewiesen - hat es eine entsprechende oder nur ähnliche Amnestie nie gegeben. Die vier Amnestien, die wir durchgeführt haben, waren wohlbegründet und zweckhaft ausgerichtet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie gestatten eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr de With, darf ich Sie erstens fragen, wie Sie dazu kommen, uns so kaiserlich zu finden, und darf ich Sie zweitens fragen, ob Sie nicht glauben, daß auch im Strafvollzugsbereich eines Rechtsstaats demokratischer Prägung noch viel Leid und Ungerechtigkeit passieren und es uns deshalb nicht gut anstünde, gerade unter unseren Voraussetzungen auch das Mittel der Jubelamnestie - wenn die berechtigten Sicherheitsinteressen berücksichtigt sind - zu prüfen und einzusetzen? Das hat doch überhaupt nichts mit Kaisertum zu tun, sondern mit Humanität und Gnade vor Recht.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Wenn ich kaiserlich sage, meine ich natürlich grün-kaiserlich. Ich sage das deswegen, weil aus gesellschaftlichen Anlässen ohne jede Begründung ganz einfach mit einem Federstrich Amnestien erlassen wurden, die den Richtern in das Handwerk gepfuscht haben. Das nennt man Jubelamnestien. Für einen Rechtsstaat in einer Demokratie ist das schlicht und einfach unwürdig, und es tötet zu oft und in dem Ausmaß, wie Sie es vorhaben, die Rechtsstaatlichkeit und die Rechtstreue der Bevölkerung. ({0}) Frau Nickels, was wollen Sie denn mit Ihrer Vorlage? Sie wollen jedem Erwachsenen die Hälfte der Strafe erlassen, gleichgültig, welche strafbare Handlung er begangen hat. Das ist eine Massenamnestie. Ausgenommen davon sind Naziverbrechen - das sind nicht allzu viele - und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Mord und Sexualverbrechen, soweit keine Rückfallgefahr besteht. Es bleibt nur weniger als 1 %, wahrscheinlich 1 ‰ übrig. Deswegen sage ich - ich denke, mit Recht - , das wäre eine Amnestie kaiserlichen Ausmaßes. Im Ergebnis - ich sage es noch einmal - würde damit in vieltausendfacher Weise in die Entscheidungen unabhängiger Richter eingegriffen, wie es nun einmal zu Kaisers Geburtstag üblich war. Man mag über die verfassungsmäßige Zulässigkeit Ihres Antrages streiten - jetzt wird es ein bißchen ernst, Frau Nickels - , mit den Prinzipien eines rechtsstaatlichen Demokratieverständnisses kann dieser Gesetzentwurf nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Nach Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes wird die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt u n d der Rechtsprechung ausgeübt. Damit ist die Rechtsprechung neben der Gesetzgebung eine gleichberechtigte Säule. In einem eigenen Abschnitt über die Rechtsprechung statuiert das Grundgesetz die Unabhängigkeit der Richter. Eine bloße Jubelamnestie des Ausmaßes wie die hier gegenständliche durchbräche damit die Zielsetzung des Grundgesetzes in zweierlei Hinsicht: Sie korrigierte die Justiz generell und erschütterte damit deren Unabhängigkeit. Ich sage hier: Ich kann mich nur wundern, von welchem Staatsverständnis die GRÜNEN ausgehen. Dem Vorhaben können wir deswegen nicht zustimmen. Auf einem ganz anderen Blatt steht es, daß Gnadenerweise, also Einzelfallkorrekturen, weiter ebenso notwendig sein werden wie Amnestien ({1}) der bisher durchgeführten Art. Das sind Amnestien zum Erlaß oder zur Milderung von Strafen, die auf ganz außergewöhnliche Umstände allgemeiner Art zurückzuführen sind - Kriegswirren z. B. -, und solche, die notwendig werden, weil durch eine Gesetzesreform bisherige Straftaten einfach keine mehr sind. Deswegen kündige ich hier schon jetzt an: Die Korrektur des Nötigungsparagraphen - Stichwort: friedliche Blockade in Mutlangen - wird zusammen mit einer Amnestieregelung verabschiedet werden und verabschiedet werden müssen. Amnestien sind für mich in einem Staat wie dem unseren nur gerechtfertigt - und sie bedürfen einer gründlichen Rechtfertigung -, wenn Mängel in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung sowie der Regierung und Verwaltung zu korrigieren sind oder wenn auf eine Situation zu reagieren ist, die strafrechtlich relevante Reaktionen auf Notstände provozierte und diese normalerweise nicht entstanden wären. ({2}) - Bitte, Frau Nickels, ich bin eh gleich fertig.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr de With, ich möchte Sie fragen, ob Sie die Amnestie, die es in Frankreich öfter gegeben hat, unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie eben gesagt haben, anders würdigen. Sie sagten, demokratische Gepflogenheiten vertrügen sich nicht mit Jubelamnestien. Solche hat es z. B. in Frankreich öfters gegeben. Sie gibt es also auch in der westlichen Hemisphäre, in westlichen Demokratien. Bei uns gibt es sie nicht. Sie wollen sie jetzt mit erhobenem Zeigefinger in eine bestimmte Ecke verbannen. Ich möchte Sie fragen, wie Sie diese Amnestien im westlichen Kreis beurteilen.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist nicht bekanntgeworden, daß es in der westlichen Welt eine Jubelamnestie dieses Ausmaßes, unter die praktisch jeder - mit Ausnahme einer geringen Promillezahl - fällt, gegeben hätte. Es gab Amnestien größeren Ausmaßes. ({0}) Dafür gab es aber einen Grund, nämlich die totale Überfüllung der Strafanstalten, eine Überfüllung, die nicht mit dem zu vergleichen ist, was bei uns geschehen ist. Die Strafanstalten sind nämlich nicht mehr so überfüllt, wie sie es noch vor zwei oder drei Jahren waren. Bitte vergleichen Sie hier nicht Frankreich mit uns. ({1}) Was dort geschehen ist, kann auf unser Land nicht übertragen werden. Es war keine Jubelamnestie dieser Art. Im übrigen muß nicht richtig sein, was sie drüben machen. Es kommt darauf an, was die Politik unseres Grundgesetzes ist und wie wir unsere Rechtspolitik handhaben. Ich sage abschließend: Wir sollten uns hüten, durch unbedachte Amnestiegesetze das Instrument der Amnestie in dieser Demokratie und damit diese auf dem Rechtsstaat ruhende Demokratie zu diskreditieren. Zuviel kann in der Tat dieses notwendige Instrument voll entwerten und dazu möglicherweise auch noch Gnadenerweise, die im Einzelfall erforderlich sein werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das tägliche Ringen um angemessene Sühne im Einzelfall vor unseren Gerichten würde in unerträglicher Weise ad absurdum geführt, wenn wir auf einer rein zufälligen Basis, nämlich nur danach, wann jemand zur Verbüßung einer Strafe einsitzt, in einer ungewöhnlich großen Zahl von Fällen das einmal mühsam gewonnene individuelle Strafmaß einfach aufheben, beseitigen durch den von Ihnen gewollten Gnadenakt, durch diesen Strafnachlaß, wie Sie es nennen. Sie haben im übrigen, um das zur Begrifflichkeit zu sagen, an einer Reihe von Stellen in Ihrer Begründung durchaus das Wort „Amnestie" verwendet. Nichts anderes ist es auch. Sicherlich hat Herr de With eindrucksvolle pädagogische Wege beschritten, um Sie auf das Zweifelhafte Ihres Vorhabens hinzuweisen, indem er den Kaiser angeführt hat, ausgerechnet im Zusammenhang mit Ihnen. Tatsächlich habe ich aber Zweifel an jeder Art von Zusammenhang zwischen dem von Ihnen gewählten Vorwand und Ihrer Einstellung zu diesem Anlaß, zu dem wir eine etwas gefestigtere Einstellung bei einer Reihe von Veranstaltungen dargestellt haben als ausgerechnet Sie. Zu diesem Vorwand haben Sie ganz offensichtlich eine andere Einstellung als die meisten, die hier im Hause anwesend sind. Das zeigt sich schon daran, daß Ihnen nicht aufgefallen ist, daß die Verfassung in Form des Bonner Grundgesetzes nicht 1945, sondern 1949 verkündet worden ist. Man hätte den Gesetzestext an dieser wichtigen Stelle doch wirklich korrigieren sollen, wenn man ihn hier vorlegt. Tatsächlich zeigt der Duktus Ihrer Begründungen im einzelnen, daß Sie mit einer Fülle von Zahlen ausgesprochen seltsam, ja geradezu skurril umgehen. Wenn man hier liest, daß ein Schaden für die Sicherheit nicht entstehen kann, weil nur 44 % aller Strafta14434 Kleinert ({0}) ten aufgeklärt werden, und man deshalb die gefaßten Täter auch gleich entlassen könne, dann denkt man zunächst, Sie hätten sich in der Begründung etwas vertan. Das ist aber nicht richtig; denn Sie sagen zum Schluß: Ein Straffreiheitsgesetz in begrenztem Umfang ... wäre ... Gelegenheit zur Besinnung über eine gescheiterte Kriminalpolitik . . . Dieses heißt, ins Umgangsdeutsch übersetzt: Ihnen paßt die ganze Richtung nicht. Das ist allerdings kein Grund, so schwerwiegende Eingriffe in unser Rechtssystem, wie Sie es vorschlagen, vorzunehmen. Sie äußern Ihre Einstellung auch in folgendem Satz: Der Vollzug von Freiheitsstrafen in den Haftanstalten ist nicht in der Lage, das ... Vollzugsziel ... zu bewirken. Wir sind bereit, jeden Tag aufs neue darüber zu diskutieren und gegen die Mängel anzugehen, die auch nach unserer Auffassung immer bestanden haben und nach wie vor bestehen. Aber das ist eine sehr mühsame Kleinarbeit des täglichen rechtspolitischen Geschäfts, und das ist überhaupt kein Grund, hier in so generöser Weise, wie Sie es vorschlagen, weil Ihnen die ganze Richtung nicht paßt, eine derart umfassende Amnestie vorzunehmen, die wirklich allem, was wir mühsam an Rechtsgrundsätzen entwickelt haben, ins Gesicht schlägt. Wir sind durchaus der Meinung - genau wie die Herren Vorredner es betont haben -, daß Gnade etwas sehr Wichtiges ist, daß ein Gnadenerweis im Einzelfall geprüft werden muß und daß Gnade ein wichtiges Instrument zum Rechtsfrieden sein kann - aber nur im Einzelfall. Gerade die vernünftige und verständige Gnade, die wir wollen, würde durch Ihren Vorschlag entwertet. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sehe hier zweimal die Null und das gelbe Licht. ({0}) - Auf wen sich das bezieht, darüber denken Sie in der Weihnachtspause nach! - Wir jedenfalls sind zur Gnade im Einzelfall durchaus bereit. Das wollen wir dadurch zeigen, daß wir unsere weiteren Bedenken und Nachfragen höflicherweise im Ausschuß vorbringen, damit Sie sich mit Ihrem Vorschlag nicht noch weiter in aller Öffentlichkeit blamieren müssen. Danke. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.

Gerhard Jahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001012

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Hinweis auf die Staatspraxis in anderen EG-Mitgliedstaaten und auf eine - ich zitiere - „gescheiterte Kriminalpolitik und Strafvollzugspraxis" soll mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN eine Amnestie erreicht werden. Der Entwurf knüpft, Frau Kollegin Nickels, nur vordergründig an das 40jährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland an. Den eigentlichen Anlaß sehen die GRÜNEN in Mißständen im Strafvollzug bzw. in der Kriminalpolitik. ({0}) Das besondere Ereignis in der Geschichte eines Staates - gemeint ist der Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes - soll dazu beitragen, die behaupteten Mißstände zu beseitigen bzw. einen Beitrag - ich zitiere „zur Besinnung" zu leisten. Der Gesetzentwurf läßt sich insbesondere im Hinblick auf die vorstehend genannte Begründung in keines - das ist hier wiederholt ausgeführt worden - der bisher in der Bundesrepublik Deutschland ergangenen Straffreiheitsgesetze einordnen. Erstens. Es wird keine Schlußstrichamnestie vorgeschlagen, weil nicht behauptet wird, daß außergewöhnliche Lebensverhältnisse die gesamte Bevölkerung betroffen oder beeinflußt haben. Zweitens. Der Gesetzentwurf beinhaltet auch keine Befriedungsamnestie, weil nicht behauptet wird, daß nur mit Hilfe der Gesetze der innenpolitische Frieden nach kontroversen Auseinandersetzungen erhalten oder wiederhergestellt wird. Der Entwurf bezweckt drittens keine Rechtskorrekturamnestie, weil die behaupteten Mißstände gerade nicht durch eine gleichzeitige Korrektur des Rechts angegangen werden sollen. Insofern stimme ich den Äußerungen und den Ausführungen von Herrn Kollegen Marschewski und Herrn Kleinert ausdrücklich zu. Fazit: Für die vorgeschlagene Amnestie gibt es keinen zwingenden Anlaß und - das möchte ich ganz besonders betonen - auch keine innere Rechtfertigung. Besondere Jahrestage oder periodisch wiederkehrende Ereignisse waren nach Auffassung aller Bundesregierungen - das hat der Kollege de With eben zu Recht ausgeführt - bisher kein Anlaß für Amnestien, ({1}) die immer Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Pflicht des Staates zur Durchsetzung von Strafansprüchen und zur Vollstreckung rechtskräftig verhängter Strafen bedeuten. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das vorgeschlagene Strafnachlaßgesetz ist im übrigen kein Mittel, vermeintliche oder behauptete Mißstände oder Fehlentwicklungen in der Kriminalpolitik oder in der Vollzugspraxis zu korrigieren oder zu beseitigen. Wenn überhaupt Mißstände bestanden haben oder bestehen, dann müssen diese durch Reformen beseitigt werden. Denn sonst bestehen die Mißstände nach der Amnestie in gleicher Weise weiter. ({2}) Es wäre nicht verständlich zu machen, warum die einen bis zu einem bestimmten Stichtag Straffreiheit verdient haben und die anderen nicht. Der Vorwurf, daß im Strafvollzug - wie, Frau Kollegin Nickels, hier wieder formuliert wird - „viele Gefangene häufig für die Begehung weiterer, meist schwererer Straftagen prädestiniert" werden, ist nicht gerechtfertigt. Angesichts der vielfältigen Bemühungen in den Justizvollzugsanstalten der Länder, dem Auftrag des Strafvollzuggesetzes gerecht zu werden, ist es unangebracht und ungerechtfertigt, allgemein von einem sogenannten Wegsperren der Inhaftierten zu sprechen. Die vorgeschlagene Amnestie der GRÜNEN, meine Damen und Herren, ist ein untaugliches Mittel zur Lösung von Problemen im Strafvollzug. Die GRÜNEN, Frau Kollegin Nickels, sollten die vor uns liegenden Wochen dazu nutzen, wirklich einmal darüber nachzudenken, wie man dem inneren Frieden in unserem Lande am besten dienen kann. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/4555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der Tagesordnung der letzten Sitzung dieses Jahrzehnts. Es gibt ein ganz neues Datum, wenn wir uns wiedersehen. Ich darf mir bei dieser Gelegenheit erlauben, dem ganzen Haus, auch denen, die vielleicht draußen zuhören, ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Das gilt selbstverständlich auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({0}) Die letzten Wochen waren ja nicht ohne Anstrengungen. Das muß man vielleicht hinzufügen. Ich wünsche auch Ihnen auf der Tribüne alles Gute. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Januar 1990, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.