Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/7/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Der Kollege und Abgeordnete Weirich hat am 5. Dezember 1989 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat Abgeordnete Frau Augustin am 6. Dezember 1989 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die bereits aus der 10. Wahlperiode bekannte Kollegin recht herzlich in unserer Mitte. ({0}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Austermann, Börnsen ({1}) und Genossen und der Fraktionen der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hitschler, Gattermann, Grünbeck, Zywietz und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften ({2}) - Drucksache 11/5972 -Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortprogramm für Heroinabhängige - Drucksache 11/5966 -Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministers Mr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über die Rauschgiftsituation und die Grundzüge eines Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans und Bericht des Bundesministers der Justiz zur Umsetzung der Drogenkonvention, zur Novellierung der Vorschriften über Verfall und Einziehung und anderer Vorschriften des Strafgesetzbuches sowie zu Maßnahmen zum Aufspüren von Drogengewinnen - Drucksache 11/5525 Zugleich soll - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 20 vorzuziehen. Er soll bereits nach Tagesordnungspunkt 18 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Dann ist es so beschlossen. Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, zu Punkt 4 der Tagesordnung, Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung, die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD, Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, auf Drucksache 11/5988 in verbundener Debatte vorzusehen. Sind Sie 1 damit einverstanden? - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Auf der Tribüne hat der Präsident des Parlaments des Königreichs Nepal, Herr Nava Raj Subedi, mit seiner Delegation Platz genommen. Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Ihr Besuch unterstreicht die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten und Völkern. Ich danke Ihnen, daß Sie während Ihres Aufenthalts in unserem Lande auch Berlin einen Besuch abgestattet haben und, wie Sie mir gestern berichteten, unmittelbar einen positiven Eindruck von der außerordentlichen politischen Entwicklung in diesen Wochen im geteilten Deutschland gewinnen konnten und uns in unserer gegenwärtigen Situation unterstützen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Die Bundeswehr in den 90er Jahren Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5974 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir in diesen Tagen über die Lage und den Auftrag der Bundeswehr in den 90er Jahren sprechen, so geschieht dies unter dem Vorzeichen des stärksten Umbruchs in der Weltpolitik seit 1945. Europa ist in Bewegung geraten, in Osteuropa führen große freiheitliche Bewegungen zu tiefgreifenden politischen Veränderungen. Es zeigt sich heute, daß die großen Leitlinien unserer westlichen Staatengemeinschaft, freiheitliche Demokratie, Menschenrechte und auch Marktwirtschaft, ihre Gültigkeit bewiesen haben. Sie üben eine sich verstärkende Anziehungskraft auf die Völker Osteuropas aus. Die von vielen bekämpfte Politik der Integration unseres Staates in die Gemeinschaften und in das Bündnis der westlichen Demokra13986 tien verfestigte nicht die Teilung unseres Kontinents, sondern ist eine Grundlage zur Renaissance der Demokratieidee in Osteuropa und damit zur friedlichen Überwindung der auf Teilung beruhenden europäischen Nachkriegsordnung geworden. Konrad Adenauers 1961 formulierte Perspektive vom „Haus der Freiheit für alle Europäer" zeigt heute, daß schon damals die europäische Integration, die Gemeinschaft, von Anfang an nicht exklusiv angelegt war. Im Gegenteil, sie verwies auf ein Europa jenseits von Mauer und Stacheldraht ({0}) und auf die Überwindung der totalitären kommunistischen Systeme. ({1}) Wir erleben es heute: Die Menschen in Osteuropa sind nicht mehr länger gewillt, die Einschränkung ihrer elementaren Rechte und die sehr kritische wirtschaftliche Lage widerspruchslos hinzunehmen. Sozialismus in der östlichen Ausgestaltung ist zu einem abschreckenden Wort geworden. Die Bürger wissen ganz genau, welche staatlichen und wirtschaftlichen Modelle sie nicht mehr haben wollen - im Gegensatz zu manchen hier, die ihre ideologischen Träume noch immer nicht ausgeträumt haben. ({2}) Rückblickend gilt: Standfestigkeit auch in Krisen - und wir haben in den letzten dreißig Jahren Krisen erlebt - , Augenmaß, die Sicherheits- und Außenpolitik des westlichen Bündnisses haben die derzeitigen Veränderungen und die Selbstwiderlegung des Kommunismus maßgeblich gefördert. Die Demokratie ist nicht, wie Jean François Revel noch 1983 schrieb, „in der Geschichte nur ein Zwischenspiel, eine kurze Episode", gewesen, unfähig, sich ihrer Gegner zu erwehren. Die Demokratie übt eine wachsende Anziehungskraft aus, und ihr gehört die Zukunft. ({3}) Die Berechtigung unseres Widerstandes und die militärischen Vorkehrungen gegen die expansive Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik unter Stalin, Chruschtschow und Breschnew werden heute von der sowjetischen Führung selbst ausdrücklich bestätigt. Diese notwendigen Maßnahmen waren häufig umstritten, auch innenpolitisch, gerade auch in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratischen Partei über eine lange Wegstrecke. ({4}) Ich erinnere nur an die Diskussion um den von dieser Koalition durchgesetzten Doppelbeschluß, die Stationierung von Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles. ({5}) Als ein wesentlicher Faktor zur Stabilität diente und dient unser deutscher Verteidigungsbeitrag im Bündnis. Deshalb hat die westliche Sicherheitspolitik, deshalb haben die Soldaten unserer Bundeswehr maßgeblichen Anteil an den weltpolitischen Wandlungen und an der Bereitschaft des Ostens zur Abrüstung. ({6}) Die Standfestigkeit hat sich ausgezahlt. Gerade auf dem Feld der Rüstungskontrolle bringen wir jetzt die Ernte ein, die das westliche Bündnis mit seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik in vier Jahrzehnten politischer Solidarität gesät hat. ({7}) Jahrelang galt es in manchen Kreisen, vor allem auch in der Sozialdemokratie, ({8}) als fortschrittlich, unsere Warnungen bezüglich der massiven sowjetischen Überrüstung als unbegründete Schwarzmalerei abzutun. Die Zeit reicht nicht aus, meine Damen und Herren, der SPD diese schriftlichen Zeugnisse ihres Irrtums hier im einzelnen vorzutragen. ({9}) Im Gegensatz zu ihren Behauptungen vor wenigen Jahren gesteht die sowjetische Führung heute selbst ein, daß sie eine massive militärische Überlegenheit in Europa aufgebaut hat. ({10}) Darüber hinaus war und ist unser fester Wille zur Selbstbehauptung und Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung ein stetiges und ermutigendes Signal für die Staaten Osteuropas und ganz besonders für unsere Landsleute in der DDR. Die NATO und die Bundeswehr haben seit ihrer Gründung niemanden bedroht. Sie waren und sie sind Grundlage für den Aufbau einer stabilen dauerhaften und gerechteren Friedensordnung in Europa. In einer Zeit der weltpolitischen Veränderungen und des Umbruchs ist es jedoch natürlich, daß vermehrt Fragen nach dem Auftrag und der Zukunft unserer Streitkräfte gestellt werden. Weniger sind es Fragen nach der Existenz der Bundeswehr als solcher und ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation; denn unverändert drückt sich in unseren Streitkräften der grundgesetzlich verankerte Wille aus, unser Selbstbestimmungsrecht, unsere freiheitliche Ordnung, ({11}) Grund- und Menschenrechte gegen jeden Druck von außen und die Anwendung von Gewalt zu wahren. Weiterhin können wir dies nur im Bündnis leisten. Es geht heute aber um die Aufgabe, Auftrag, Umfang und Rolle der Bundeswehr in einem sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfeld neu zu formulieren. In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik Deutschland mit der Bundeswehr einen entscheidenden Beitrag im Bündnis zur Sicherung von Freiheit und Stabilität geleistet und damit für die längste Friedensperiode der neueren europäischen Geschichte mitverantwortlich gezeichnet. In der Gegenwart ist die Bundeswehr gemeinsam mit den Armeen unserer Bündnispartner eine wichtige Voraussetzung für die angestrebte Dauerhaftigkeit der gesamteuropäischen Veränderungen. Für die Zukunft bleibt die Bundeswehr eine Garantie und Rückversicherung gegen unkalkulierbare Risiken und so ein wichtiges Fundament unserer Politik zur friedlichen Neugestaltung Europas, zur Überwindung der Teilung unseres Kontinents. Wir sind hier entscheidende Schritte vorangekommen, aber noch ist das Ziel nicht erreicht. Eine intakte Bundeswehr in einem intakten Bündnis verhindert nicht die Neugestaltung Europas, sondern fördert sie; ({12}) denn ohne Stabilität und ohne Berechenbarkeit kann die neue Sicherheitsarchitektur Europas nicht verwirklicht werden. Die Chancen zu nutzen und überkommene oder neue Risiken einzubeziehen, ist die Aufgabe der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gestaltungskraft und Wachsamkeit sind dabei gleichermaßen erforderlich. Wir begrüßen die in Osteuropa eingeleiteten Veränderungsprozesse ganz entschieden. Wir wünschen die volle Verwirklichung der östlichen Reformen. Wir sind - das ist immer wieder deutlich geworden - zur Zusammenarbeit und Unterstützung der reformfreudigen Staaten Osteuropas bereit. Es wäre fatal, wenn wir die historische Chance für einen grundlegenden Ausgleich in Europa, für Freiheit, Menschenrechte und menschenwürdige Lebensverhältnisse nicht nutzen würden. In diesem Sinne haben die Staats- und Regierungschefs der NATO auf ihrem Gipfeltreffen vom Mai nicht nur unsere Politik für Stabilität und Sicherheit bekräftigt, sondern ebenso gestalterisch auf echte Entspannung und Überwindung der Teilung unseres Kontinents hingewirkt. Wir haben in Fortsetzung des Harmel-Berichts mit dem Gesamtkonzept einen Rahmen für eine europäische Ordnung des Wandels in Stabilität geliefert. Das Gipfeltreffen von Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow am Wochenende in Malta hat diese Politik bekräftigt und ihr neue Impulse verliehen. Heute gilt es, diesen Rahmen mit konkreten politischen Inhalten und Zielsetzung zu füllen. Das gilt auch im Blick auf die Situation in Deutschland, ausgehend von unserem Ziel, die Teilung unseres Vaterlandes Schritt für Schritt in einem gesamteuropäischen Prozeß zu überwinden. ({13}) Sollte sich in der DDR nach freien Wahlen eine demokratisch legitimierte Regierung bilden, so kann der Bereich der Verteidigungspolitik nicht aus dem intensiveren deutsch-deutschen Dialog ausgeschlossen werden. ({14}) Im Rahmen der bestehenden Bündnisse sind wir zu einer umfassenderen Diskussion über sicherheitspolitische Fragen bereit. Es wäre aber verhängnisvoll, Bündnis und Bundeswehr als Schlüsselelemente zum Frieden in Frage zu stellen. Noch bestehen weithin in Osteuropa alte politische und wirtschaftliche Strukturen, ideologische Widersprüche und auch entgegengesetzte Machtinteressen fort. Noch bestehen - so sagten es die Regierungschefs im Frühjahr; ich zitiere ernsthafte Besorgnisse. Es wird viele Jahre dauern, bis das ehrgeizige sowjetische Reformprogramm, daß die Bündnispartner begrüßen, abgeschlossen ist. Angesichts des Ausmaßes der Probleme, mit denen dieses Programm konfrontiert ist, und des durch das Programm hervorgerufenen Widerstandes kann sein Erfolg nicht als selbstverständlich angesehen werden. Meine Damen und Herren, Gorbatschow selbst sprach vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der wachsenden inneren Spannungen in seinem Land vor wenigen Wochen von dem „Damoklesschwert", das über der Perestroika hinge. In dieser und vielen anderen Äußerungen der sowjetischen Führung kommt das aktuelle, beträchtliche Risiko für die Entwicklungen in Osteuropa klar zum Ausdruck: Die politische Öffnung und Umgestaltung zu freiheitlichen Systemen könnte durch die Entwicklung verschärfter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Krisen in Frage gestellt werden. Auch deshalb ist die verstärkte Zusammenarbeit von Ost und West jetzt vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaft von so großer Bedeutung. Deshalb muß aber auch unsere Politik neben dem Willen zum Wandel einen Kurs des politischen Realismus steuern, der zwischen Illusionen und überzogenem Mißtrauen hindurchführt. Wir wollen die Chancen nutzen, ohne die Risiken zu vernachlässigen. Darauf hat übrigens auch unser Bundespräsident am 17. Oktober deutlich hingewiesen. Ich zitiere: Wir dürfen nicht unter dem visionären Einfluß einer erhofften Friedensordnung die unbequemen Anstrengungen unterlassen, die wir brauchen, um gewaltsame Übergriffe oder erpresserische Einflüsse heute und morgen zu verhindern. Dies bleibt von Bedeutung - dies darf niemand vergessen - auch mit Blick auf Rüstungskontrolle und Streitkräftefragen. Was Sie, meine Damen und Herren der SPD, in den letzten Tagen zur künftigen Struktur, zum künftigen Umfang der Bundeswehr und zu ihrer Rolle gesagt haben, knüpft an die alten Illusionen an, die Sie in den letzten Jahren verbreitet haben. ({15}) Wir wissen, daß eine verantwortungsbewußte Sicherheitspolitik weiterhin auf militärische Vorsorgemaßnahmen zur Kriegsverhinderung und Konflikteindämmung angewiesen ist. Sicherheitspolitik ist immer auch Verteidigungspolitik; beides gehört untrennbar zusammen. Wir dürfen niemals vergessen, daß eine neue europäische Ordnung nur möglich ist auf der Grundlage weiterhin gesicherter Verteidigungsfähigkeit in einem handlungsfähigen Bündnis. Meine Damen und Herren, es macht deshalb auch keinen Sinn, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Vogel, jetzt von der angeblich bevorstehen13988 den Auflösung der Atlantischen Allianz redet. Wir brauchen sie langfristig, wir brauchen sie auch in Zukunft. Vorstellbar ist natürlich, daß sie ihre Strukturen grundlegend verändert, ({16}) daß sie das Gewicht ihrer Aufgaben neu bestimmt. Ohne das vertraglich gesicherte enge Zusammenwirken zwischen den Demokratien Westeuropas und Nordamerikas können wir aber die großen Herausforderungen und Aufgaben der Weltpolitik und übrigens auch der Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten überhaupt nicht meistern. Das gilt für die Sicherheit eines neu gestalteten Europas ebenso wie für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Osteuropa. Das gilt für den KSZE-Prozeß wie für die Partnerschaft mit den unterentwickelten Ländern, den von Krisen geschüttelten Ländern der Dritten und Vierten Welt. Es gilt für neue Bedrohungen wie etwa den internationalen Drogenhandel und neue globale Aufgaben der Umweltpolitik. Wer anders als die dynamischen Demokratien des Westens, Westeuropas und Nordamerikas, soll denn eine gemeinsame, besondere Verantwortung für diese Zukunftsaufgaben übernehmen? Verteidigungspolitisch gibt es in der vor uns liegenden Zeit keine Alternative zur integrierten Bündnisstruktur auch mit einer weiterhin beträchtlichen Präsenz amerikanischer Verbände in Europa. ({17}) Gewaltandrohung und kriegerische Auseinandersetzungen sind keine akute Gefahr; aber sie können nicht grundsätzlich und für alle Zukunft ausgeschlossen werden. Es wäre daher unaufrichtig, unseren Bürgern eine ideale oder konfliktfreie politische Welt von morgen zu versprechen. Auch eine europäische Friedensordnung kann kein Machtvakuum sein. Wir haben zu berücksichtigen, daß die Sowjetunion nach ihren eigenen Erklärungen weiterhin europäische Großmacht und Weltmacht sein will. Die von uns mit aller Kraft angestrebte bessere Welt von morgen bedeutet also nicht, daß der Faktor und vor allem die Möglichkeit des negativen Gebrauchs von Macht gleichsam aus der internationalen Politik verschwindet. Der große Theologe Reinhold Niebuhr hat diese Realität deutlich beschrieben, als er formulierte : Politik wird bis ans Ende der Geschichte ein Gebiet sein, in welchem Bewußtsein und Macht einander begegnen, wo sich die ethischen und Zwangsfaktoren des menschlichen Lebens gegenseitig durchdringen und unbeständige und unsichere Kompromisse hervorbringen. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß eine verantwortungsbewußte Sicherheitspolitik nicht ohne Mittel zur Verhinderung von Machtmißbrauch auskommt. Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt hat es im Vorwort zum Weißbuch 1970 folgendermaßen beschrieben - ich glaube, das ist auch heute richtig -: Der Frieden wird niemandem geschenkt. In der Welt, in der wir leben, reicht der Wille zum Frieden allein nicht aus. Nur wenn wir bereit und in der Lage sind, für seine Bewahrung einzutreten, können unsere Kinder in eine bessere Welt hineinwachsen. Das findet sich ja im Grunde in der Kontinuität der Grundprobleme auch in der erwähnten NATO-Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom Mai dieses Jahres. „Die Erfahrung lehrt, daß wir wachsam bleiben müssen" , ist der Kernsatz. In diesem Sinne ist die Bundeswehr ein defensives Mittel zur Kriegsverhinderung einer demokratisch legitimierten und ethisch verantwortbaren Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr dient damit sowohl unserer internationalen Bündnisfähigkeit als auch unserer nationalen Politikfähigkeit zur selbstbestimmten Ausgestaltung unserer auswärtigen Beziehungen. Wir wissen, daß der Soldatendienst ganz besondere Anforderungen an die Menschen stellt. Unsere Soldaten sind dem Spannungsverhältnis ausgesetzt, den Ernstfall üben zu müssen, um den Ernstfall zu verhindern. Die Lösung liegt im sittlichen und verfassungsrechtlich legitimierten Wert der Verteidigung. Es ist hierbei die Aufgabe aller Staatsbürger, insbesondere aber der verantwortlichen Politiker aller demokratischen Parteien und der gesellschaftlichen Gruppen, immer wieder deutlich zu machen, daß der soldatische Dienst in unserem Staat durch den höheren Zweck, durch Würde und Ethos unserer Demokratie gerechtfertigt ist. ({18}) Georg Leber hat dies vor kurzem, auch in manchen Turbulenzen um das Frankfurter Urteil und anderes, deutlich ausgesprochen. Ich zitiere: Der freiheitlich verfaßte Rechtsstaat kann nicht von Bestand sein, wenn das Recht, das er sich gibt, nicht geachtet oder umgangen wird und wenn Freiheit nicht auch als sittliche Pflicht des Bürgers aufgefaßt wird, sich schützend vor den Staat zu stellen, vor einen Staat, in dem man in Freiheit und in seiner Menschenwürde geachtet leben kann. Meine Damen und Herren, der Staat, der für Menschenwürde und für freiheitliche Lebensordnung verantwortlich ist, ist ja kein abstraktes Gebilde, keine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern das sind wir, das ist die Gemeinschaft unserer Bürger. Wir alle müssen unseren Beitrag dazu leisten, daß er erhalten bleibt, daß bleibt, was unser Leben lebenswert macht. Freiheit erhält sich nicht von selbst. Dies verkörpert sich vor allem auch in unserer Bundeswehr. Es findet seinen angemessenen Ausdruck in der allgemeinen Wehrpflicht, die wir weiterhin brauchen. Vor allem die Demokratie ist darauf angewiesen, daß ihre Bürger die Anerkennung der grundgesetzlichen Pflichten nicht als beliebige Rechtspflicht, sondern als eine anzuerkennende Leistung, als Bürgertugend erbringen. So gilt die verfassungsrechtliche und ethische Legitimation unserer Streitkräfte unverändert. Ihre Rolle für unsere Sicherheitspolitik in einem sich wandelnden Umfeld ist eindeutig. Allerdings werden die Streitkräfte, die diesen Auftrag ausführen, sich auch verändern. Die Entwicklung beim Personal und die Begrenzung unserer Ressourcen machen eine Veränderung der Bundeswehr und ihres Friedensumfangs erforderlich. ({19}) - Nein, Sie haben es überhaupt nicht begriffen, Herr Kollege Gerster. Es geht hier einmal um eine grundsätzliche Darstellung, ({20}) was die Bundeswehr auf dem Hintergrund der Sicherheitspolitik leistet. Es geht nicht um die Zahlenspielereien, die Sie pausenlos betreiben, nämlich von 250 000 rauf und runter. Es geht wirklich darum, daß wir die konkrete Bundeswehrplanung in einen außen-und sicherheitspolitischen und auch in einen staatspolitischen Zusammenhang stellen. Das habe ich heute hier ansprechen wollen. ({21}) Vor dem Hintergrund absehbarer Fortschritte im Bereich der Rüstungskontrolle und Veränderungen der gesamtpolitischen Lage lassen sich die jetzt beschlossenen Maßnahmen verantworten. Wir werden in Zukunft eine Bundeswehr haben, die den Veränderungen im West-Ost-Verhältnis entspricht und auch auf weitere Fortschritte in der Rüstungskontrolle flexibel reagieren kann. Diese Bundeswehr wird zugleich unserer demographischen Entwicklung, dem Verteidigungsauftrag und den Bündnisverpflichtungen angemessen sein. Die Strukturplanung der Streitkräfte beruhte bis gestern auf einem Beschluß des Bundeskabinetts vom 17. Oktober 1984, der noch in einer ganz anderen politischen Lage gefaßt wurde. Die Aussichten, in absehbarer Zeit bei Rüstungskontrollverhandlungen zu Erfolgen zu kommen, waren damals mehr als zweifelhaft. Die Sowjetunion verfolgte eine politisch und militärisch offensive Außenpolitik. Die Schlagkraft ihrer Streitkräfte wurde kontinuierlich verbessert. In dieser Situation war es geboten, alles zu tun, um die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Die im Frühjahr dieses Jahres begonnenen Verhandlungen in Wien über konventionelle Abrüstung in Europa haben in acht Monaten eine bemerkenswerte Dynamik und auch beachtliche Fortschritte gebracht. Wir halten einen Vertragsabschluß im nächsten Jahr für wahrscheinlich, wenn auch noch eine Reihe recht schwieriger Einzelfragen zwischen West und Ost geklärt werden müssen. Der Malta-Gipfel vom Wochenende hat die Entschlossenheit der USA und der Sowjetunion verdeutlicht, einen Vertragsabschluß zu erreichen. Auch die Gespräche zur Halbierung der Zahlen der Interkontinentalraketen und die weltweite Beseitigung und Ächtung der chemischen Waffen zu beschleunigen, ist ein Erfolg dieser Politik. Das ist auch eine Leistung des Friedensdienstes unserer Streitkräfte. Ich sage unseren Soldaten und den Soldaten unserer Verbündeten hierfür ausdrücklich Dank. ({22}) Im Frühjahr dieses Jahres habe ich nach einer ersten Bestandsaufnahme eine grundlegende Fortschreibung der Bundeswehrplanung hier im Deutschen Bundestag angekündigt. Ausschlaggebend war, daß wir eine Neubewertung der Ressourcen, vor allem im Personalbereich, vorzunehmen hatten. Das Personalaufkommen wird längerfristig unter den 1984 angenommenen Größenordnungen liegen. ({23}) Das gilt vor allem für den Bereich der Grundwehrdienstleistenden. Zwar ist die Personallage heute noch zufriedenstellend, aber insbesondere auf Grund der demographischen Entwicklung ist für den langfristigen Zeitraum eine Korrektur notwendig. Auch die Entwicklung des Verteidigungshaushalts hat Konsequenzen für eine neue Planung. Wir müssen mehr Mittel, als 1984 unterstellt, für den Personalbereich und hier vor allem für die Zeit- und die Berufssoldaten ausgeben. Der sehr erfreuliche Anstieg der Beschäftigtenzahlen in unserer Volkswirtschaft, vor allem seit Anfang letzten Jahres, hat den Wettbewerb um tüchtige junge Männer verstärkt. Er macht zusätzliche attraktivitätssteigernde Maßnahmen für den Bereich der Bundeswehr erforderlich, die Geld kosten. ({24}) Aber auch im Entwicklungs- und Beschaffungsbereich sind bei einigen Projekten die Kosten teilweise stärker angestiegen, als ursprünglich geplant. Die neue große Aufgabe nach einem Vertragsabschluß in Wien, die Verifikation der Vereinbarungen, wird viele Soldaten in Anspruch nehmen und auch Geld kosten. Vor diesem Hintergrund ist unser neues Konzept zu sehen. Nach mehrmonatiger sorgfältiger Untersuchung durch den Generalinspekteur, die Führungsstäbe und die zuständigen leitenden Beamten habe ich dem Kabinett die Planung vorgelegt, die gestern Zustimmung fand. Der Friedensumfang der Bundeswehr soll 1995 470 000 Soldaten betragen. Wir sehen in dieser Planung 420 000 aktive Soldaten vor, 10 000 Reservisten üben ständig bei der Truppe. Die sehr kurzfristig einzuberufende Verfügungsbereitschaft wird von bisher knapp 30 000 auf 40 000 erhöht. Bei einem von uns erwarteten erfolgreichen Abschluß der Wiener VKSE-Verhandlung werden wir die vorgesehene Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate aufheben und 15 Monate über 1992 hinaus beibehalten. ({25}) - Was das soll? Das ist, glaube ich, eine richtige Weichenstellung, Herr Kollege Gerster. ({26}) - Nein. Wir sind keine Propheten. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Weil Sie beanspruchen, Pro13990 pheten zu sein, sind Sie ständig falsche Propheten. Das ist Ihr Problem, nicht unseres. ({27}) Wir rechnen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit. Aber erst wollen wir die Verträge haben - auch das ist klar -, ehe wir fest darauf bauen können. ({28}) Wenn eine solche Vereinbarung vorliegt, ist zu entscheiden, in welchem Umfang eine begrenzte Korrektur des Personalumfangs bis zu einer Größenordnung von 400 000 aktiven Soldaten möglich ist. Das hätte dann entsprechende Auswirkungen auf den Friedensumfang der Streitkräfte. In Verbindung mit der längerfristigen Entwicklung der West-Ost-Beziehungen und den Ergebnissen der von uns angestrebten Folgeverhandlungen nach VKSE I, also dem ersten Vertragsabschluß in Wien, ist zu entscheiden, ob eine weitergehende Verringerung des Friedensumfangs der Bundeswehr erfolgen kann. Die Verringerung der Zahl der Soldaten erfolgt im wesentlichen bei den Grundwehrdienstleistenden. Bei den Berufs- und Zeitsoldaten sind nur geringfügige Veränderungen gegenüber den bisherigen Planungszielen vorgesehen. So wird die Zahl der Berufsoffiziere und Unteroffiziere lediglich von knapp 96 000 auf 92 500 zurückgehen, die der Soldaten auf Zeit von 158 000 auf knapp 148 000 einschließlich 6 600 Stellen für Frauen im Sanitätsdienst und zivilen Mitarbeitern auf Wechselstellen. Ich hebe das hervor. Wir sind weiterhin darauf angewiesen, daß jedes Jahr viele Tausende, ja Zehntausende vor allem tüchtiger junger Männer bereit sind, ihren Berufsweg ganz oder für eine lange Zeit mit der Bundeswehr zu verbinden. Wir brauchen sie weiterhin, und sie haben bei der jetzt vorgelegten Planung auch in Zukunft gute Chancen für eine wichtige, eine interessante und erfüllte berufliche Aufgabe. Eine der unerwünschten Nebenwirkungen der Zahlenspiele der SPD ist nämlich, daß sie uns in der Gewinnung des notwendigen Nachwuchses schaden können. Deswegen ist es wichtig, daß das Kabinett gestern klar und eindeutig entschieden hat. ({29}) Die Aufgabe lautet, junge und leistungsbereite Menschen auszubilden, zu erziehen, zu führen und für ihren Dienst zu motivieren. Es kommt heute in der Bundeswehr besonders auf eine durchdacht geplante und zielgerichtete Ausbildung an, die die Bereitschaft zur Leistung und zur Mitarbeit fördert. Deswegen werden sich die Anstrengungen der Streitkräfte vor allem auch auf stete Verbesserung der Ausbildungsbedingungen konzentrieren. Menschenführung und Ausbildung sind die wichtigsten Aufgaben, die den Kommandeuren und Einheitsführern, den Offizieren und Unteroffizieren aufgetragen sind. Die Kommandeure und Einheitsführer tragen die Gesamtverantwortung für die Einsatzbereitschaft ihrer Verbände und Einheiten, für das Klima dort und damit für die Soldaten, die ihnen anvertraut sind. Die Unteroffiziere sind die wesentlichen Träger der Ausbildung. Wir müssen sie für diese wichtige Aufgabe bestmöglich vorbereiten. Sie widmen sich im Alltag des Dienstes mit großem persönlichen Einsatz dieser Aufgabe. Aber die Anforderungen sind größer geworden. Deshalb geht es besonders um die Verbesserung der Ausbildung der Ausbilder. Ihr Rüstzeug für die schwierige Aufgabe der Menschenführung muß weiterentwickelt werden. Deswegen haben wir für alle Teilstreitkräfte die Unteroffiziersschulen eingeführt. Die Ausbilder brauchen auch genügend Zeit, um die ihnen anvertrauten Wehrpflichtigen gut auszubilden. Sie müssen sich um den einzelnen intensiver kümmern können. Das wollen wir durch eine Erhöhung der Führerdichte und eine Verbesserung der Lebensfähigkeit in den Einheiten in einer veränderten Struktur erreichen. Das gilt auch für Reservisten, die Vorgesetzte sind. Sie müssen für ihre zunehmend wichtiger werdende Ausbildungs- und Führungsaufgabe besonders gefördert werden. Unsere fast 150 000 Unteroffiziere sind heute für die Einsatzbereitschaft der Truppe noch wichtiger als früher. Früher waren sie nur Gehilfen der Offiziere. Heute sind sie selbstverantwortliche Führer und Fachmänner. Viele Unteroffiziere nehmen heute Aufgaben wahr, die früher nur von Offizieren erfüllt wurden. Bei den Kampftruppen des Heeres beispielsweise sind zwei Drittel der Zugführer Unteroffiziere. Die Lösung technischer Spezialaufgaben ist geradezu eine Domäne der Unteroffiziere. Sie garantieren mit ihren Fachkenntnissen die Einsatzbereitschaft der technischen Systeme und tragen entscheidend zur Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bei. Im täglichen Dienst sind die Unteroffiziere die wichtigsten Bezugspersonen für die jungen Soldaten und die Wehrübenden. In ihrer Verantwortung liegt in erster Linie die Aufgabe, den Dienst abwechslungsreich und fordernd zu gestalten. Sie bestimmen entscheidend das Vertrauensverhältnis zwischen Führern und Geführten. Sie gestalten das Klima in der Truppe, das die entscheidende Bedingung für die Dienstzufriedenheit unserer Soldaten ist. Es ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe, selbstbewußte junge Bürger in Uniform zu führen. Sie fordert den Einsatz der gesamten Persönlichkeit der militärischen Führer. Der militärische Führer braucht persönliche Glaubwürdigkeit und Menschenkenntnis, Überzeugungskraft und Geduld und nicht zuletzt erhebliche Fachkenntnisse. Wir werden, wie gesagt, dafür sorgen, daß vor allem die Unteroffiziere künftig noch besser ausgebildet werden, damit sie den berechtigten Erwartungen und Ansprüchen von Saldaten im Grundwehrdienst und von Reservisten noch mehr entsprechen können. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, wenn wir über bestimmte gesetzliche Maßnahmen und Haushaltsgestaltung sprechen, gerade in diesen Punkten um Ihre Unterstützung. ({30}) Mit der Verringerung des aktiven Umfangs wird in allen Teilstreitkräften eine Verringerung der Zahl der Verbände einhergehen. Das steht im Einklang mit unserer Erwartung, daß es in Wien insbesondere zu einer Reduzierung bei bestimmten Hauptwaffensystemen der Land- und Luftstreitkräfte kommen wird. Das Heer wird die Heeresstruktur 2000 weiterentwickeln, zwölf Divisionen beibehalten, jedoch weniger Verbände haben und das Schwergewicht noch mehr auf defensive Sperrfähigkeit legen. Die Großverbände und Verbände werden darüber hinaus hinsichtlich ihrer Ausstattung und Präsenz stärker differenziert sein, als dies bisher beabsichtigt war. Der Umfang der Kaderung nimmt in vielen Verbänden zu. Die Luftwaffe wird bei ihren Planungen noch stärker die Luftverteidigung berücksichtigen. Die Marine schließlich wird die Zahl ihrer schwimmenden Einheiten langfristig deutlich verringern müssen, dabei aber über modernere Schiffe verfügen, die die Ausgewogenheit ihrer Fähigkeiten vor allem im Nordflankenraum erhalten. Nachdem wir durch unsere Bundeswehrplanung für die 90er Jahre neue Eckdaten geschaffen haben, können wir nunmehr mit genaueren Untersuchungen und der Umsetzung beginnen. Wir tun das gemeinsam und in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten. Zwar ist bis 1996, wenn die neuen Strukturen im wesentlichen eingenommen sein sollen, noch Zeit. Aber die planerischen Vorarbeiten, Erprobungen sowie die Vorbereitung und Durchführung der Umgliederungen nehmen diese Zeit auch voll in Anspruch. Es wird um Umstellungen in einer Größenordnung gehen, wie sie bisher in der Geschichte der Bundeswehr einmalig sind. Das bedeutet ja in der Tat, daß wir gegenüber der Situation jetzt in der zweiten Hälfte der 90er Jahre 70 000, möglicherweise 90 000 aktive Soldaten weniger haben werden als in der aktuellen Momentaufnahme. Ich sage das zu allen denen, die nachher erklären werden, das sei alles ängstlich und zögerlich. Ich kann das nur als einen Ausdruck des mangelnden Verständnisses für die Tiefe der Eingriffe und die damit auch verbundenen politischen und menschlichen Probleme verstehen, wenn Sie so daherreden. ({31}) Es wird sich auch nicht vermeiden lassen, daß militärische Einrichtungen an heutigen Standorten der Bundeswehr anders belegt, verkleinert und in manchen Fällen ganz aufgegeben werden. Die Planungsentscheidungen sind auch deshalb jetzt notwendig, damit dies ohne extremen Zeitdruck in einer für die Betroffenen zumutbaren und sozial verträglichen Form umgesetzt werden kann. Nach dem gestrigen Kabinettsbeschluß und der heutigen Debatte werden wir eine Reihe von Folge-und Einzeluntersuchungen einleiten. Dazu gehören insbesondere die Auswirkungen auf die Bundeswehrverwaltungen mit ihren rund 200 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern. Auch hier sind besonders die sozialen Auswirkungen zu beachten. Wir brauchen eine lange Zeit, um diese Umstrukturierungen vorzunehmen. Zwischen den Koalitionsfraktionen und mir besteht Einvernehmen, daß wir für mehrere langfristige Fragestellungen eine unabhängige Kommission berufen wollen, die vor dem Hintergrund der neuen Bundeswehrplanung wichtige Aufgaben untersuchen wird. Wir haben übrigens vor sechs Wochen mit den Gesprächen darüber begonnen - um einigen Legenden, die ich in der Presse lese, hier kurz zu begegnen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß unterstreichen: Der Schutz des Friedens und unserer demokratischen Verfassung, die Bewahrung unserer politischen Handlungsfreiheit bleiben grundlegende Aufgaben für uns alle. Unsere Soldaten brauchen eine Öffentlichkeit, die deutlich macht, daß sie ihren Dienst für diese Aufgabe nicht nur will und anerkennt, sondern daß sie auch bestimmte Belastungen, die mit dem Dienst verbunden sind, mitträgt. Hier ist jeder Bürger gefordert. Unsere Soldaten erwarten zu Recht uneingeschränkte Solidarität und auch Unterstützung zur Erfüllung ihres Dienstes. Dies gilt vor allem jetzt, in einer Zeit, in der auf die Streitkräfte und damit auf jeden Soldaten Änderungen und Umstellungen zukommen, die eigentlich nur mit der Aufbauphase der Bundeswehr vergleichbar sind. Die Aufgaben und Herausforderungen sind nicht alleine durch die Soldaten und zivilen Mitarbeiter zu lösen. Es sind Herausforderungen an uns alle, an die Bürger unseres Landes. Wir können sie nur gemeinsam meistern, indem wir zu unseren Streitkräften stehen, ihnen Hilfe und Rückhalt geben. In diesem Sinne trägt jeder in diesem Hohen Haus und jeder Bürger eine ganz besondere Verantwortung für die Bundeswehr, für die äußere Sicherheit, den Schutz und den Fortbestand unserer freiheitlichen Demokratie. Ich bitte Sie alle - bei allem, was uns trennt - : Lassen Sie uns diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen. ({32})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig, Herr Minister: Die Soldaten der Bundeswehr bedürfen der Solidarität. Sie bedürfen aber vor allen Dingen der klaren politischen Führung. An ihr mangelt es; sie fehlt. ({0}) Der Vergleich zwischen dem ersten Bundeswehrplan vor fünf Jahren und seiner hektischen Verabschiedung durch die Koalitionsmehrheit im Verteidigungsausschuß und der jetzigen Vorlage zeigt: Die parlamentarische Situation hat sich doch schon grundlegend geändert. Der Parteivorsitzende der FDP, Graf Lambsdorff - er ist heute leider nicht da -, erinnerte in einer Pressekonferenz in Bonn daran, daß der Kleine Parteitag der FDP am letzten Samstag beschlossen habe, die FDP solle sich zunächst auf keine Zahlen festlegen. Er sagte, es sei durchaus erwägenswert, die künftige Truppenstärke der Bundeswehr jetzt noch nicht festzulegen, weil man sonst in wenigen Wochen oder Monaten vor der Notwendigkeit stehe, sie wieder revidieren zu müssen. ({1}) Es gebe zu dem Konzept Stoltenbergs „noch erheblichen Erörterungsbedarf" . Der Vorsitzende der FDP riet, den für Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluß über die Bundeswehr zu verschieben. Der Kabinettskollege Dr. Stoltenbergs, Bundesminister Möllemann, forderte sogar, die Stärke der Streitkräfte von 495 000 auf 350 000 und die Wehrdienstzeit von 15 Monaten auf 12 Monate zu reduzieren. ({2}) Wenn die Presse es richtig wiedergegeben hat, hat sogar der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Dregger, davor gewarnt, absolute Zahlen als Richtmaß vorzugeben, weil sie in dieser Zeit des dramatischen Wandels schnell überholt seien. ({3}) Es könnte zwar reizvoll sein, den Kompetenzstreit zwischen dem Kollegen Ronneburger und seinem langjährigen Vorgänger als Obmann der FDP im Verteidigungsausschuß, Möllemann, weiter auszumalen. ({4}) Es wäre auch reizvoll, die dreitägige Metamorphose der FDP von den Parteitagslöwen zu den parlamentarischen Mickymäusen darzustellen. ({5}) Doch das Thema ist zu ernst; denn es geht nicht nur um abstrakte Reduzierungen und Strukturen, sondern um die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und ganz besonders um die betroffenen Menschen. Fünf Jahre, die Sie als Planungszeit hätten nutzen können, haben Sie verschludert und verplempert. ({6}) Fünf Jahre lang wurde eine Fiktion aufrechterhalten, den Verbündeten, der Bevölkerung und den Soldaten der Bundeswehr eine nicht realisierbare Planung vorgelegt und konzeptionslos weitergewurstelt. Die Schuld daran trifft weder die Soldaten noch die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr. Sie geht ausschließlich auf das Konto einer Bundesregierung, die den Menschen als Manipulationsmasse behandelt. ({7}) Gerade wir als Politiker bestehen immer wieder auf dem Primat der Politik. Hier fehlten die angemessenen politischen Vorgaben. Die Soldaten, auch die Planer im Bundesministerium der Verteidigung, sind nicht die Täter, sie sind die Opfer einer verfehlten Politik. ({8}) Auch hier bin ich bereit zu differenzieren; denn der jetzige Bundesminister der Verteidigung hat diese Erblast von seinen Vorgängern übernommen. Vor allem der gegenwärtige Generalsekretär der NATO, der frühere Bundesminister der Verteidigung, Dr. Wörner, hat seinen Nachfolgern eine katastrophale Erbschaft hinterlassen. ({9}) Versagt hat allerdings auch die Koalition im Verteidigungsausschuß und im Parlament. ({10}) Aber auch der Minister Stoltenberg reagiert mit seiner Vorlage lediglich auf interne Zwänge, die sich auch ohne die Veränderung der außenpolitischen Rahmendaten ergeben hätten. Eine Reduzierung der Bundeswehr um 20 Prozent ihres Personalbestandes in nur wenigen Jahren wirft schwerwiegende Fragen auf, die von der Bundeswehr nicht beantwortet werden. Die Bundeswehrplanung kommt verspätet. Nun muß sie überhastet vollzogen werden. Sie wird deshalb auf dem Rücken der betroffenen Soldaten und der zivilen Mitarbeiter ausgetragen. ({11}) - Wenn Sie ein bißchen davon verstünden, würden Sie diese Zwischenrufe nicht machen. - Die Umsetzung der Heeresstruktur 4 - eine vergleichsweise kleine Operation - nahm zwölf Jahre in Anspruch, was immerhin auch mit menschlichen, sozialen und familiären Problemen verbunden war. Die jetzige Strukturänderung - 20 % Reduzierung, ungleich einschneidender und tiefgreifender - soll in fünf Jahren durchgeführt werden. ({12}) Wir fragen: Welche Standorte werden aufgelöst oder verkleinert? Nach welchen Kriterien soll dabei vorgegangen werden? Jede Firma in vergleichbarer Lage ist genötigt, einen Sozialplan aufzustellen. Wir fragen: Liegen Pläne für eine begleitende regionale Strukturpolitik vor, um die wirtschaftlichen Folgen für bundeswehrabhängige Gemeinden aufzufangen? Wie hoch ist der Anteil der notwendigen Versetzungen, die sich vor allem im Bereich der Unterführer und der zivilen Mitarbeiter in der Bundeswehr mit allen daraus resultierenden Problemen ergeben? Der vor einer Woche verabschiedete Verteidigungshaushalt widerspricht diametral den Zielsetzungen dieser Bundeswehrplanung und ist nicht mit ihr in Einklang zu bringen. Diese Planung ist genauso schlampig wie der Dienstzeitausgleich, der dem Wehrbeauftragten bisher schon mehr als 1 100 Eingaben und dem Verteidigungsminister gerichtliche Klagen eingebracht hat. ({13}) In seiner Haushaltsrede vor diesem Parlament hat der Bundesminister der Verteidigung von einem Glaubenssatz der Konservativen Abschied genommen. Eine moderne Bundeswehr - so führte er aus - behält ihren Auftrag, Frieden und Freiheit für das deutsche Volk zu sichern. Das ist unabhängig von Strukturveränderungen gültig, und das ist nicht von sich verändernden sogenannten Bedrohungsanalysen abhängig. Sehr richtig, Herr Minister. Dann müssen Sie aber auch der deutschen Öffentlichkeit, der Bundeswehr und darüber hinaus dem Bündnis die Bedingungen, die Kriterien und Zielvorstellungen eindeutig definieren und darlegen. Jahrelang hat diese Regierung an unhaltbaren Planungen festgehalten. Jahrelang wurden von der Koalition immer wieder neue Zahlen in die Öffentlichkeit gestreut, ohne daraus ein schlüssiges Konzept zu bündeln. Der Minister reagiert jetzt auch nur auf innenpolitische Zwänge. Die Bundeswehr wird von ihm nicht geführt, sondern nur verwaltet, und das schlecht. ({14}) Es werden keine längerfristigen Perspektiven eröffnet, keine außenpolitischen Signale gesetzt. Der Minister lebt von Anpassungen an politische Bedingungen, die andere schaffen. ({15}) Ihm ist das Gesetz des Handelns entglitten. ({16}) Wir kritisieren nicht die Reduzierung der Bundeswehr - wir haben sie ja immer gefordert - , aber sie hätte frühzeitiger kommen müssen. Sie ist aus innenpolitischen Zwängen notwendig, aber sie ist in noch stärkerer Weise notwendig als Antwort auf die dramatischen Veränderungen der außenpolitischen Umstände. Wir kritisieren, daß fünf Jahre Zeit verplempert wurden. Wir kritisieren, daß die Bundeswehrplanung und Abrüstungsverhandlungen nicht in einem geschlossenen Konzept zusammengeführt wurden. Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte, hat Gorbatschow zu Recht gesagt. Sie kommen zu spät, Herr Minister. ({17}) Wir üben Kritik daran, daß unsere Forderung nach einer Rüstungsklausur abgebügelt wurde, daß unser Antrag auf Einrichtung einer Wehrstrukturkommission erst ablehnend, dann bis zum heutigen Tage hinhaltend behandelt wurde. Jetzt wollen Sie das Pferd vom Schwanz her aufzäumen, indem Sie zunächst Ihre Planung vorlegen und dann eine angeblich unabhängige Regierungskommission einsetzen, die die zukünftige Aufgabenstellung und Entwicklung der Bundeswehr untersuchen soll. Sachlich geboten wäre das umgekehrte Vorgehen: Zuerst müssen die Aufgaben und Strukturen festgelegt werden, dann erfolgt die Ausplanung. Im Korsett einer abgeschlossenen Planung ist die Strukturkommission ein reines Alibiunternehmen und Augenwischerei zur Beruhigung des Publikums. ({18}) Die von der SPD seit Jahren geforderte integrierte Rüstungs- und Abrüstungsplanung ist dringender denn je. Der Minister steht vor der Frage, die sozialdemokratischen Forderungen in die Planung einzubeziehen und zu übernehmen, oder - wie es ein Bonner Journalist zutreffend formulierte - die Bundeswehr schlittert jetzt von der Akzeptanz- in die Existenzkrise. Besonnene Kollegen aus der Koalition weisen zu Recht darauf hin, daß auch Ihre jetzige Vorlage nur ein Torso ist, Herr Minister; ich habe die Stimmen schon zitiert. Ich verweise auf die Dissonanzen der unterschiedlichen Kommentare und Vorschläge aus Ihrer eigenen Koalition. Spätestens beim Strategieseminar im Rahmen der Wiener Verhandlungen wird sich zeigen, daß das Problem viel grundsätzlicher angegangen werden muß. Erstens. Abrüstungsverhandlungen, die mit dem Willen zum Erfolg geführt werden, und autonome Rüstungsplanung schließen einander aus. Zweitens. Das von der SPD, insbesondere von meinem Freund Egon Bahr, entwickelte und von der Palme-Kommission übernommene Konzept der gemeinsamen Sicherheit ist inzwischen die Grundlage des Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozesses in Ost und West. ({19}) Drittens. Jahrzehntelang existierende Feindbilder werden überwunden. Eine Angleichung der Doktrinen und Militärstrategien ist erklärtes Ziel in Ost und West. Viertens. Operative Führungs- und Verbandsstrukturen müssen auf das Ziel struktureller Angriffsunfähigkeit ausgerichtet werden. Fünftens. Die Militärbündnisse in Ost und West müssen aus ihrer einseitigen militärischen Rollenzuweisung heraus- und einer neuen politischen Aufgabenstellung zugeführt werden. Die Art. 2 des NATOVertrages und des Warschauer-Pakt-Vertrages übrigens, die bisher von den jeweiligen Bündnissen nicht ausgefüllt waren, erhalten eine besondere Bedeutung und können eine recht tragfähige Grundlage für einen solchen Prozeß sein. Sechstens. Die Streitkräfte der Zukunft haben für hinlängliche Verteidigungsfähigkeit zu sorgen. Darüber hinaus wird den Soldaten eine neue Aufgabe zuteil. Auf der Grundlage des Helsinki-Prozesses und der zu erwartenden Abrüstung wird ihm die Aufgabe der aktiven Friedensgestaltung zuteil: bei Manöverbeobachtungen, bei Kontrollen, bei Inspektionen, in der Verifikation und auf weiteren Betätigungsfeldern. Neue Aufgaben, neue Chancen befreien den Soldaten von der zunehmend belastenden einseitigen Abschreckungsfunktion. Die Bundeswehrplanung muß auch diese Möglichkeit entschlossen aufgreifen. Nur so kann die Akzeptanz der Sicherheitspolitik, die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft zukünftig wieder erhöht werden. Vielen Dank. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der amerikanische Präsident Bush und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow erklärten anläßlich des Gipfels von Malta übereinstimmend: Die Welt steht am Vorabend eines neuen Aufbruchs, einer neuen Ära. Die Epoche des Kalten Krieges ist nunmehr überwunden. Die CDU/CSU teilt diese Auffassung uneingeschränkt. Das West-OstVerhältnis ist in der Tat so gut wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die verbesserten Beziehungen der Supermächte liegen insbesondere auch im Interesse von uns Deutschen. Sie eröffnen der deutschen Politik neue Perspektiven. Dies gilt für unser Verhältnis zur Sowjetunion, zu den Staaten Osteuropas, vor allem aber für die innerdeutschen Beziehungen. Der Wandel im Osten bietet neue Chancen, die Zusammenarbeit im Interesse der Menschen weiter auszubauen. Bundesregierung und Koalition haben dazu schon in der Vergangenheit entscheidende Beiträge geleistet. Von diesem erfolgreichen Weg werden wir uns auch nicht abbringen lassen. ({0}) Vor dem Hintergrund der durch die NATO-Initiativen mit Gorbatschow in den letzten vier Jahren geschaffenen Realitäten - ich nenne beispielhaft den Abzug aus Afghanistan, den INF-Vertrag, die Verbesserung bei den Menschenrechten und mehr Rechte der WP-Staaten gegenüber der UdSSR - ist davon auszugehen, daß Gorbatschow es ernst meint, daß seine Absichten glaubwürdig und - im Gegensatz zu früher - nicht nur reine Propaganda sind. Aber ich gebe dennoch zu bedenken: Wer von uns kann hier und heute mit Sicherheit ausschließen, daß Gorbatschow im eigenen Land nicht doch scheitert, daß er vielleicht doch gestürzt wird? Eine solche Entwicklung - ich betone ausdrücklich: sie wäre schlimm für die Menschen in der Sowjetunion und in den osteuropäischen Staaten - hätte auch für uns unabsehbare Nachteile. Eine Abkühlung der Außenbeziehungen wäre eine Folge, mit der wir zu rechnen hätten. Schon das allein sollte Grund genug sein, in den Bemühungen, die eigene Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit zu erhalten, nicht nachzulassen. Bürger unseres Landes einschließlich mancher Abgeordneter dieses Hauses nehmen den offensichtlichen Friedenswillen Gorbatschows zum Anlaß, die Notwendigkeit von Streitkräften in Frage zu stellen. Ich sage dazu mit aller Deutlichkeit: Das ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch gefährlich. Es wäre der sichere Weg, der günstigen Entwicklung der West-OstBeziehungen den Boden zu entziehen. Eine solche Politik würde auch gegen den Willen derjenigen, die eine solche Politik betreiben, dazu führen, daß sie zu Totengräbern der Hoffnungen von Millionen von Menschen in Mitteldeutschland und in Osteuropa werden könnten. Das wird die CDU/CSU jedenfalls nicht zulassen. ({1}) Wir wissen vielmehr, daß eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit des Westens und damit auch der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist, um den von allen Bürgern gewünschten Abrüstungsprozeß abzusichern. Wir halten deshalb an unserer Politik des Augenmaßes fest; denn Rüstungskontrolle und Abrüstung allein bedeuten nicht automatisch ein Mehr an Sicherheit. Rüstungskontrolle und Abrüstung können jedoch zum Abbau des Bedrohungspotentials beitragen. Heute ist festzustellen, daß der Warschauer Pakt immer noch über weitgehende militärische Fähigkeiten verfügt, gegenüber denen der Westen nach wie vor deutlich unterlegen ist. Abrüstung verändert auch Struktur und Umfänge von Streitkräften. Dies gilt für den Warschauer Pakt und natürlich auch für die NATO. Darüber hinaus machen es die kommenden geburtenschwachen Jahrgänge in den 90er Jahren erforderlich, die Bundeswehr konzeptionell zu verändern. Ich danke deshalb Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg ausdrücklich dafür, daß er bereits im Juli diesen Jahres den Auftrag für eine flexible, in die Zukunft gerichtete Streitkräfteplanung gegeben hat. Sie basiert auf der Grundeinsicht, die Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Rede vor dem Deutschen Bundeswehr-Verband am 26. Oktober 1989 in Bonn aussprach: Abrüstung und Rüstungskontrolle sind kein Ersatz für gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Wer heute für einseitige Vorleistungen des Westens eintritt - dazu zählt auch die Überlegung, die Bundeswehr in einem unverantwortlichen Maß zu reduzieren, wie es die Opposition gerne hätte; ({2}) wir haben soeben wieder ein Beispiel dafür bekommen - , der unterläuft in Wirklichkeit nur die Verhandlungen und vermindert die Aussicht auf deren Erfolg. Unser Ziel ist eben eine Politik des realen Erfolges und keine Politik der populistischen Träumereien. Das höchste Ziel der Allianz ist es, eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa mit geeigneten Sicherheitsgarantien zu schaffen. Dies klingt frisch und aktuell, es steht jedoch im Harmel-Bericht der NATO und ist schon 22 Jahre alt. ({3}) Ich frage Sie: Liegt es nicht im Interesse aller Europäer und insbesondere der Deutschen, daß die NATO für die Überwindung der Teilung Europas und damit der Teilung Deutschlands eintritt? Die atemberaubende Entwicklung der letzten Tage, Wochen und Monate hat uns eines noch einmal deutlich vor Augen geführt: Die Lösung der deutschen Frage ist von der Sicherheitspolitik nicht zu trennen. Das gilt auch umgekehrt. Auf dem diesjährigen NATO-Gipfel in Brüssel wurden diese Grundsätze in ihrer Substanz durch das Gesamtkonzept aktualisiert und konkretisiert. Ich wundere mich sehr, daß es politische Kräfte gibt, die das Zehn-Punkte-Deutschlandprogramm des Bundeskanzlers mit der Behauptung in Frage stellen, es sei national und international nicht abgestimmt. All den Zweiflern und Bedenkenträgern empfehle ich einen Blick in die politische Erklärung der 16 Staats-und Regierungschefs, die sie anläßlich des NATOGipfels Ende Mai unterzeichnet haben. Sie werden überrascht sein, daß bis hin zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen in dieser Erklärung nahezu alles vorgezeichnet ist. ({4}) Meine Damen und Herren, Abrüstung und Rüstungskontrolle im Sinne von Streitkräftereduzierungen - und darum geht es auch bei der Bundeswehrplanung für die 90er Jahre - werfen vor allem strukturelle und konzeptionelle Fragen auf. Für die NATO bedeutet dies u. a. die Frage, wie das Prinzip der Vorneverteidigung auch künftig gewährleistet werden kann, wenn Reduzierungen nach VKSE durchgeführt werden. Noch gilt für uns das Prinzip der integrierten Vorneverteidigung. Dazu haben sich alle Bündnispartner verpflichtet und wir werden daran festhalten, solange ein Bedrohungspotential auf der anderen Seite existiert und der Ost-West-Gegensatz besteht. Wenn auch die Bedrohung auf der anderen Seite geringer wird, sinken zwar die Anforderungen im eigenen Bereich. Aber es ist noch lange nicht abzusehen, daß schon deshalb das Prinzip der Vorneverteidigung aufgegeben werden könnte. ({5}) Daraus, aber auch aus dem Tatbestand der geburtenschwachen Jahrgänge und der begrenzten Haushaltsmittel folgt, daß der Friedensumfang der Bundeswehr in den 90er Jahren zurückzunehmen ist. Die neuen Planungzahlen des Bundesministeriums der Verteidigung orientieren sich zwar an der Gesetzeslage, wonach die Wehrpflichtdauer ab 1992 auf 18 Monate erhöht wird. Allerdings setzen wir in Wien auf Erfolg. Danach werden wir die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß es endgültig bei W 15 bleibt. Ich füge hinzu: Ergebnisse bei den Folgeverhandlungen in Wien werden noch weiterreichende Entscheidungen möglich machen. Wir befinden uns ohnehin in einer Zeit der Momentaufnahmen. Wie wir bei der Deutschlandpolitik erleben, ist der Fluß der Zeit so schnell wie nie zuvor. In wenigen Monaten könnten bereits neue Ufer in Sicht sein. Deshalb erwarten wir auch und gerade in dieser Zeit von der militärischen Führung, vorausschauend flexible Strukturen für die Teilstreitkräfte zu entwikkeln. Sie müssen einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit ebenso gerecht werden wie der von uns erhofften Gesamtentwicklung. In welchem Umfang dabei verstärkt Kaderungen vorgenommen, Verbände und Standorte aufgelöst werden müssen, darf nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müssen die durch Wien erwarteten und möglicherweise weitere Truppenreduzierungen auch der US-Streitkräfte in Mitteleuropa mit berücksichtigt werden. Dies gilt gleichermaßen für Reformschritte im Bereich der Großorganisation Bundesministerium der Verteidigung sowie der gesamten Bundeswehrverwaltung. Schließlich kommt es darauf an, auch die Interessen der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr sozial, vernünftig und ausgewogen zu berücksichtigen. ({6}) Eine Strukturveränderung muß das Ziel haben, die Armee zwar kleiner, aber feiner, also effizienter zu gestalten. Nur eine attraktive Bundeswehr wird dem Soldaten als Mensch gerecht und kann den Wettbewerb mit der Wirtschaft erfolgreich bestehen. Dies gilt auch für unsere Reservisten, die zunehmend an Bedeutung für die Bundeswehr und für unsere Gesellschaft insgesamt gewinnen werden. Meine Damen und Herren: Wir werden eine unabhängige Kommission einsetzen, die vorausschauend und, wie ich glaube, überzeugend die Bundeswehr auf ihrem Weg der Zukunft begleiten wird. Gestatten Sie mir zum Abschluß ein Wort zum Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft. Es wird zunehmend darauf ankommen, das Selbstverständnis der Streitkräfte herauszuarbeiten und zu betonen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß ein souveräner Staat wie die Bundesrepublik Deutschland nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht hat, Streitkräfte zu unterhalten. Diese dienen ausschließlich der Kriegsverhinderung. Sie sichern damit die außenpolitische Handlungsfreiheit unseres Gemeinwesens in seiner besonderen, nämlich geographischen wie politischen Mittellage in Europa. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU bekennt sich uneingeschränkt zu einer wehrhaften Demokratie nach innen und nach außen. Wir werden nicht zulassen, daß Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jemals - sei es von innen oder von außen - zerschlagen werden können. Auf uns war, ist und bleibt Verlaß. Ich bedanke mich. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Chance nicht genutzt, aus der Bundeswehrplanung eine Abrüstungsplanung zu machen. Was wie Abrüstung aussieht, ist bei näherem Besehen eine Anpassung an den Rückgang der Wehrpflichtigenjahrgänge. Der Verteidigungsminister schreibt selbst - er hat es heute wiederholt - : Die Verringerung der Zahl der Soldaten erfolgt im wesentlichen bei den Grundwehrdienstleistenden. Bei den Berufs- und Zeitsoldaten sind nur geringfügige Veränderungen gegenüber den bisherigen Planungszielen vorgesehen. Das heißt, daß es im wesentlichen lediglich darum geht, den Gammeldienst zu verringern. Das ist aber etwas anderes als Abrüstung. Man weiß ja, wieviel in der Armee unnütz herumgelungert wird. Die angekündigten Maßnahmen sollen - das darf nicht übersehen werden - erst im Jahre 1996 abgeschlossen sein. Das heißt, daß bis zu diesem Zeitpunkt hin ein Rückgang von nur rund 1 bis 2 To jährlich - das kommt auf die Bemessungsgrundlage an - eintreten wird. Das ist natürlich etwas anderes, als hier im allgemeinen behauptet wird. Im übrigen wird ein Erfolg der Verhandlungen in Wien durch Herrn Stoltenberg ebenfalls nur mit einer Reduzierung des Streitkräfteumfangs von rund 1 % - jährlich berechnet - beantwortet. Das sind keine nennenswerten Beiträge zu dem, was weltweit erwartet wird und was auch die eigene Bevölkerung erwartet. Die Bundesregierung wird im nächsten Jahr mehr Geld für die Rüstung ausgeben, als das jemals in der Geschichte der Republik der Fall war. Das ist wichtiger als diese minimalen Personalkorrekturen. ({0}) Ich bin übrigens der Auffassung, daß diese Entscheidungen nicht nur der Bundeswehr schaden, sondern insgesamt einen Beitrag zur Staatsverdrossenheit leisten werden. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger werden - davon sind wir überzeugt - auch eine zwölfmonatige Wehrpflicht und einen Umfang von 350 000 Mann, wie Herr Möllemann in die Debatte geworfen hat, bald nicht mehr akzeptieren können. Hätte man heute eine zwölfmonatige Wehrdienstzeit zugrunde gelegt, dann würde es mit großer Wahrscheinlichkeit schon nötig sein, die Planungen auf neun Monate hin, zumindest als Option, auszulegen. Eines hatte allerdings diese Diskussion in der Koalition sehr positiv gezeigt: Es gibt offenkundig keine verläßlichen Maßstäbe zur Beantwortung der Frage: Wieviel braucht man im militärischen Bereich eigentlich wirklich? Da wird immer wieder von einem operationellen Minimum gesprochen. Das ist abhängig von sehr vielen Faktoren, die außerhalb des Militärischen liegen; das muß man wissen. Das bedeutet auch, daß es nach unten keine so deutlichen Grenzen gibt, wie das bisher gesagt worden ist. Das halte ich für einen relativen Fortschritt, und das zeigt uns, daß Bewegung nötig ist, ohne daß man dann in Panik ausbrechen muß. Es kann niemand dafür verantwortlich gemacht werden, natürlich auch diese Regierung nicht, daß sie diese atemberaubenden Entwicklungen im Warschauer Pakt nicht hat voraussehen können; sie sind unvorhersehbar gewesen. Aber die Regierung muß dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie jetzt noch so weiterrüstet, als sei in den letzten Monaten nichts geschehen. Alle Redner der Koalition, auch der Minister, haben sehr deutlich auf die dramatischen Veränderungen hingewiesen. Aber an der Planung kann man das nicht erkennen. Es wäre kein Schade gewesen, wenn ein Unterschied zwischen den Beschlüssen des Bundessicherheitsrates und der heutigen Vorlage festzustellen gewesen wäre. Die Menschen in Polen, in Ungarn und vor allem in der DDR haben nicht nur stalinistische Regime beseitigt, sie haben es auch der NATO sehr schwer gemacht, die bisherige Politik fortzusetzen. Die Milliarden, die in den 70er und 80er Jahren für die vermeintliche Bedrohung von heute und morgen ausgegeben worden sind, sind nutzlos vertan. Jetzt stellt sich die Frage, ob man dieses Verfahren fortsetzen darf. Die Vergeudung ist eindeutig, wenn der Jäger 90 nicht gestrichen wird. ({2}) Man kann natürlich nie ausschließen, daß es Rückfälle gibt. Aber dazu wäre einiges anzumerken. Da wird immer sehr allgemein, mehr ideologiehaft gesagt: Ja, wenn in der Sowjetunion Unruhen bestehen, wenn die Armee einen Befehl zum Einsatz bekommen sollte. - Es wird aber nie weitergedacht, zumindest wird das nicht artikuliert. Was heißt denn das praktisch? Wie kann die NATO durch mehr oder weniger Rüstung diesen Prozeß beeinflussen? Ich kann es nicht nachvollziehen. Ernster noch ist der Hinweis - das ist in der Bevölkerung sicherlich weit verbreitet - , diese phantastische Entwicklung in den sozialistischen Staaten könnte scheitern, sogar umkippen. Aber was heißt das konkret? Sollte die Gefahr bestehen, daß das Militär die Macht ergreifen möchte - es gibt da ja so Kolportagen über Telefongespräche zwischen der Sowjetunion und Paris - , dann wäre westliches Weiterrüsten doch möglicherweise ein willkommener Vorwand. Wenn die sowjetische Reformpolitik bedroht ist, dann nicht durch westliche Abrüstung, sondern durch westliche Nichtabrüstung, d. h. durch fehlende Antworten auf in der Tat schmerzhafte Zugeständnisse des sowjetischen Militärs. ({3}) Ich meine, daß diese hier vorgelegte Bundeswehrplanung keine Erleichterung für den Reformprozeß in der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen Staaten ist. Sie ist eher sogar eine Hypothek. Es besteht doch jetzt, bevor sich dort drüben in diesem phantastischen Prozeß etwas verändert, die Chance, abzurüsten, mehr zu tun. Aber die Regierung bringt das nicht fertig. ({4}) Das müßte noch besser begründet werden. Vielleicht sind es in der Tat ungerechtfertigte Rücksichtnahmen auf die Vereinigten Staaten - das hat man bisher auch so getan - , aber die sind nun in dem Punkt plötzlich auch für uns zum Vorbild geworden. Man nennt auch so oft die Kategorie der Stabilität, um zu begründen, daß man nicht abrüsten dürfe. Ich warne davor, diesen Begriff so sehr zu strapazieren. Wir alle haben das möglicherweise in der Vergangenheit viel zu hoch gehängt. Wenn uns jemand vor einiger Zeit gesagt hätte, daß das geschieht, was jetzt eingetreten ist, nämlich Veränderungen in all den sozialistischen Staaten bis auf Rumänien, dann hätte man wahrscheinlich gesagt: Das darf nicht sein. Das bringt die europäische Sicherheitsordnung durcheinander. Das ist sehr gefährlich. Macht das langsamer! Seid vorsichtiger! ({5}) Ich glaube, daß diese Hypertrophierung des Begriffs der Stabilität zu falschen analytischen Ergebnissen führt. Es hat etwas sehr Ideologisches. Es kann sehr, sehr viel geschehen, ohne daß irgendeine Gefährdung eintritt. Niemand fühlt sich durch die Veränderungen in der Sowjetunion in seiner Sicherheit bedroht, ganz im Gegenteil. ({6}) - Es hört ja jeder zu, denke ich. Wir stehen vor der Auflösung der Blöcke. Es ist nur die Frage, wie man sich zu diesem Prozeß verhält. Die Bundesregierung bemüht sich offenkundig um Fortsetzung von Integration. Die deutsch-französischen Militärprojekte, die militärische Zusammenarbeit mit Paris ist ein Beispiel dafür. Darüber wird heute nachmittag hier diskutiert werden. Meine Kollegin Beer wird dazu mehr sagen. Man will jetzt sogar noch eine zusätzliche neue integrierte Division aufbauen. Wie paßt das eigentlich in die Landschaft? Denn militärische Verbesserungen, Effizienzverbesserungen müßten doch eigentlich gerechtfertigt sein durch militärische Bedrohung, es sei denn, man verwendet Militär als Symbol, als Ausdruck von supranationalen Verständigungsprozessen. Ich würde ganz grundsätzlich Bedenken dagegen anmelden, Militär in diesem Sinne zu verwenden. Es ist in vielen Details nachzuweisen, daß sich die NATO gegen die für sie drohende Abrüstung wappnet. Vor allem in Baden-Württemberg gibt es eine Fülle von Projekten. Wir haben eine Zusammenstellung von 100 Standorten gemacht. Daraus geht eindeutig hervor, daß dort geradezu angsttriebhaft weitergerüstet wird - angsttriebhaft! -, ({7}) weil die Gefahr gesehen wird: Wenn wir das nicht schnell realisieren, dann haben wir keine Möglichkeit mehr, das zu verwirklichen. - Es wäre dann ja auch ein Hoffnungszeichen, wenn das Angsttriebe wären, obwohl das Bild im ökologischen Zusammenhang nicht überstrapaziert werden darf. Ich meine, daß die Bevölkerung in diesen Gemeinden in Baden-Württemberg zu Recht fragt: Was könnte man mit diesem Geld vernünftig tun, z. B. in Wohnungsbauprogrammen? ({8}) Das ist eine Frage, die völlig parteiübergreifend allgemein von der Bevölkerung gestellt wird. Das sind Maßnahmen, für die es keine Rechtfertigung gibt außer der: Das ist halt alles schon fest geplant und schon vergeben. - Sonst gibt es dafür keine Legitimation. ({9}) - Das finde ich nicht. Wir müssen Konsequenzen ziehen aus den Veränderungen, aus dem Demokratisierungsprozeß vor allem in der DDR, und die lauten für uns: Desintegration der NATO, Bundeswehrabbau, Truppenrückzug und Entmilitarisierung. Das wäre die Hilfe, die wir neben der finanziellen Seite der Bewegung in der DDR und den Veränderungen im politischen System leisten könnten. ({10}) Wir brauchen das Geld auch so dringend. Ich hoffe, daß wenigstens dann, wenn die Finanzierungsprobleme für die Hilfsprogramme noch deutlicher zutage treten, die Regierung eine veränderte Bundeswehrplanung vorlegen wird. Ich gehe davon aus, daß dabei Herr Möllemann einen besseren Standpunkt als andere haben wird, die ihm leider nicht gefolgt sind. Die Entmilitarisierung bedeutet, daß wir auch im Bereich der Rüstungsindustrie Konversionsprogramme brauchen. Ich begrüße ausdrücklich, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, um die sich abzeichnenden Folgen von Truppenreduzierungen, im Bereich der US-Streitkräfte vor allem, zu untersuchen. Es ist bedauerlich, daß die Bundesregierung das nicht auch für die Rüstungsindustrie insgesamt ganz generell tut. ({11}) Wir brauchen eine Abrüstungsplanung, die diesen Sektor mit erfaßt. Meine Fraktion hat seit langem darauf hingewiesen, daß dies notwendig ist, ({12}) und zwar nicht, um hier Zwischenrufe, wie sie vorhin beim Kollegen Horn zu hören waren, zu provozieren: Wollen Sie eigentlich Abrüstung oder nicht? Wer wirklich Abrüstung will und sich darauf einstellt, daß sie kommt, der muß verantwortungsbewußt dafür sorgen, daß Gemeinden, die in der Tat außerordentlich stark von der jeweiligen Garnison abhängen, nicht alleingelassen werden. ({13}) Wir brauchen hier ein sehr aufwendiges, gründliches Programm. Warum ist das bisher nicht besser angepackt worden? Im übrigen wäre an dieser Planung auch zu kritisieren, daß sie im Hinblick auf zumindest eine jeweilige Teilstreitkraft sehr linear vorgeht. Warum hat man hier nicht schon stärker wichtige Ansätze der Qualität von Rüstung berücksichtigt, warum hat man nicht diese Ansätze der strukturellen Unfähigkeiten stärker mit einbezogen? Ich verstehe das nicht, dann das wäre eine Möglichkeit gewesen, ohne daß Sie deswegen Ihr politisches Gesicht verloren hätten. Ich meine, daß sich die Entmilitarisierung auch auf andere Gebiete erstrecken muß. Ich denke z. B. an sehr verdrängte Realitäten in diesem Land, z. B. die Tatsache, daß die NSA, die National Security Agency, eine Mammutorganisation zur Feindaufklärung, aber auch zur Freundaufklärung, in der Bundesrepublik ein böses Leben treibt. Hier werden täglich, permanent Grundrechte verletzt. Das ist eine Einrichtung, die in der Tat ein Relikt aus der Besatzungszeit und dem Kalten Krieg ist. Da besteht ein Handlungsauftrag für uns, auch als Reaktion und Konsequenz auf die Veränderungen in der DDR und den anderen Staaten des Warschauer Paktes hier das Thema aufzugreifen. Die Fraktion DIE GRÜNEN wird am kommenden Samstag in München dazu eine Tagung durchführen. Das ist die erste ; das ist sehr riskant, da reagieren viele wichtige und mächtige Organisationen sehr merkwürdig. Aber wir werden das Thema nicht vernachlässigen. Hier gibt es einen Sumpf von Unrecht und illegalen Aktivitäten, die einfach damit nichts zu tun haben, daß ein Land beispielsweise seine Grundrechte selbst zu schützen hat. Wir brauchen auch Aktivitäten zum Schutz der Menschenrechte in diesem Land, nicht nur im anderen Teil Deutschlands. Die Hardthöhe kann Geld verschwenden, aber sie wird den Zerfall der Nachkriegsordnung nicht aufhalten können. Es gibt nun die Sorge - insbesondere auch im kritischen intellektuellen Teil des Landes, bei uns, in der DDR vielleicht noch mehr - , daß mit dem Abbau der Militärblöcke eine alte nationalstaatliche Struktur entstehen könnte. Ich räume hier ganz klar ein, daß das ein ernstes Thema ist, weil natürlich bei aller Kritikwürdigkeit von NATO und Warschauer Pakt diese Bündnisse zur Befriedung, zumindest zur Eliminierung von Konflikten in den jeweiligen Teilen Europas eine Menge beigetragen haben. Sie haben Konflikte gar nicht entstehen lassen. Das ist weniger ein Problem für Westeuropa als für Osteuropa, aber nach den Ängsten vieler um uns herum offenkundig ein Problem für die Mitte, für die Entwicklung der deutschen Frage. Ich meine, daß wir darauf Antworten finden müssen. Es geht vor allem darum, die alten nationalstaatlichen Attribute von Macht, die diese Ängste nicht nur ausgelöst, sondern die auch böse gewirkt haben, in Frage zu stellen, d. h. die Militärpotentiale so zu verändern, daß diese Ängste unbegründet sind. Aber auch unbegründete Ängste sind politische Faktoren. Man muß hier versuchen, etwas zu lösen, und das heißt: radikale Verkleinerungen. Radikale Verkleinerungen können teilweise sogar mehr bewirken als strukturelle Veränderungen. Gleichzeitig aber ist es notwendig, besonders angriffstaugliche Waffensysteme innerhalb dieses europaweiten Prozesses besonders zu berücksichtigen. Ich meine, das sollte leicht fallen; denn wir haben längst in der Bundesrepublik einen Zustand der strukturellen NichtKriegführbarkeit. Ich weiß, wie schwer es den Menschen fällt, vor allem denen in den Apparaten, das wahrzunehmen. Aber ich möchte appellieren, doch einmal zu prüfen, wieso es eigentlich kommt, daß man die Übungen der NATO, auch der Bundeswehr, immer unter künstlichen Bedingungen durchführen muß. Das bedeutet, man kann für eine Lage, z. B. in WINTEX-Übungen, nicht ein Land zugrunde legen, wie es hier existiert. Man muß die nuklearen Kraftwerke wegdefinieren, man muß die Chemieanlagen wegdefinieren, man muß die Infrastruktur wegdefinieren, vor allem die Straßenverkehrsbedingungen. ({14}) - Sowieso. Aber ich gehe einmal nur von dem traditionellen Denken aus, daß der Gegenschlag kein Problem ist, von dem Denken vieler Heeresgenerale, die sagen: „Das machen wir schon. " Sie werden sich innerhalb kürzester Zeit so verhalten müssen, als wenn sie in einem Sumpf steckengeblieben wären. Zum Glück gilt das auch für die Angriffsseite. ({15}) - Entschuldigung, es geht mir nicht um die Generale; wenn Sie das stört, Herr Gerster. Ich weiß nicht, warum. Es geht um diejenigen, die das nicht begriffen haben. Da möchte ich hier keine Dienstgradpräferenzen vorführen. Es geht um die Zivilisationsverträglichkeit von Rüstung heute generell. Das ist ja auch in der Bundeswehr nicht neu. Man verdrängt es zwar teilweise. Man weiß es aber. Deswegen versucht man immer stärker, eine andere Rechtfertigung für Militär zu finden. Das wird allerdings sehr schwer; denn unsere Verfassung läßt es nicht zu, eine Bundeswehr zu unterhalten, nur weil sie zu einem souveränen - sogenannten souveränen - Staat gehört. Das ist verfassungsmäßig nicht legitimiert. Sie ist nur im Zusammenhang mit der aus dem Kalten Krieg heraus entstandenen Bedrohungskonstellation zu legitimieren. Da muß man sich etwas anderes einfallen lassen. Man kann nicht sagen: Wehrpflicht gehört zum Staatsbürger dazu, zum männlichen zumindest. Das reicht nicht aus. Hier stellen sich große Schwierigkeiten, wenn die Bedrohung nicht mehr da ist. Man kann natürlich immer sagen: Die Zwänge sind groß, man kann die Verträge nicht kündigen, und dann können wir nicht die Stabilität, wie das vorhin schon kommentiert wurde, so sehr gefährden. - Das möchte ich mehr als Frage stellen und in keiner Weise als politischen Angriff. Das reicht allerdings nicht aus, um die Ängste vor einer Wiederherstellung nationalstaatlicher Strukturen alter Art in Europa zu bändigen. Wir müssen natürlich die supranationalen Wirtschaftsstrukturen, die Wirtschaftsintegration fortsetzen und auf Gesamteuropa ausdehnen. Das bedeutet allerdings für mich auch eine Entmilitarisierung von all dem, was bisher im westeuropäischen Integrationsprozeß versucht worden ist. Es fragt sich allerdings: Was macht man mit dem militärischen Restpotential? Ich meine, daß es an der Zeit ist, die Vision zu entwickeln, eine gesamteuropäische Umwelt- und Solidaritätstruppe zu schaffen. Das wäre eine multinationale Organisation für die ökologischen Sicherheitsprobleme, ({16}) auch für den Schutz bei Katastrophen. Ich bin sicher, daß diese Überraschung bald in Zustimmung umschlägt. ({17}) Das ist ja wirklich eine Aufgabe, die zu bewältigen ist und wo man vorhandenes Gerät nutzen kann. Warum sollte es beispielsweise - das ist eine ganz ernste Sache - , wenn in den nächsten Wintermonaten in Polen, in der Sowjetunion, in anderen Teilen des Warschauer Paktes ernste Versorgungsprobleme auftauchen und es darum geht, Hunger zu bewältigen, nicht möglich sein, zu sagen: Teile anderer Armeen, Transportkapazitäten, werden eingesetzt, um dort zu helfen? ({18}) Ist denn das nicht eine Überlegung, die vielleicht neu ist, aber die wir doch anstellen sollten, wenn eine gesamteuropäische Verantwortung vorliegt? Ich bitte das kritisch zu diskutieren, zu überlegen. ({19}) In dieser historischen Phase sollten wir historisch denken. Wir sollten nicht vergessen, daß die Deutschen in beiden deutschen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg zwangsbewaffnet wurden. Deswegen finde ich es interessant, daß ein Landesverband der GRÜNEN davon gesprochen hat, sich eine selbstbestimmte Wiederentwaffnung zum Ziel zu setzen. ({20}) Ein interessanter Gedanke. ({21}) - Lassen Sie mich doch das hier sagen. - Diese Zwangsbewaffnung, die durch die Sieger- und Befreiungsmächte erfolgte, macht es natürlich leichter, unter Umständen Utopien für eine ganz andere Art von Sicherheitspolitik in Europa zu entwickeln. Ich fordere den Verteidigungsminister auf, auch zwischen den beiden deutschen Staaten mehr für die militärische Entspannung zu tun. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Einladung an seinen Kollegen, wie immer er auch heißen mag, nicht schon längst konkret ausgesprochen ist. Aber Herr Kohl hat seine Reise auch nicht abgesagt, nicht wahr? Das ist also kein Argument. Im übrigen sollte Herr Kohl auch die militärischen Fragen behandeln, wenn er, wie geplant, in der DDR sein wird. Warum keine Vereinbarung über Einstellung der Tiefflüge in beiden deutschen Staaten, wie das übrigens aus der NVA vorgeschlagen wurde? ({22}) Warum keine gleichmäßige Verringerung von Bundeswehr, von NVA? Das ist kein deutscher Sonderweg. Es ist dann ein deutscher Sonderweg, wenn es nicht gemacht wird; denn die Supermächte werden das hoffentlich in Kürze vorexerzieren. Ich muß abschließen und möchte sagen: Wer jetzt nicht abrüstet, den bestraft der Wähler. Vielen Dank. ({23})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist viel Zeit vergangen, seit das Plenum des Deutschen Bundestages sich das letzte Mal grundsätzlich mit Fragen der Bundeswehr und der Verteidigung befaßt hat, wie es heute geschieht. Ich bin dankbar dafür, daß wir diese Gelegenheit im Zusammenhang mit der vom Bundesverteidigungsminister vorgelegten Planung heute haben. Gerade weil es so lange her ist, werden sich natürlich einige Kontroversen ergeben. Sie haben sich zum Teil schon ergeben: Kontroversen zwischen Koalition und Opposition, aber, Herr Dr. Lippelt, ganz offenbar auch innerhalb der Opposition, wenn ich gewisse Vorgänge eben richtig beobachtet habe. ({0}) - Das bestreite ich überhaupt nicht. Ich habe auch in der Öffentlichkeit kein Hehl daraus gemacht, daß es natürlich auch bei uns voneinander abweichende Meinungen gibt. ({1}) Lassen Sie mich gerade nach diesem langen Zeitraum einmal einige rückblickende Bemerkungen machen. Ich sage: Die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie der Bundesrepublik Deutschland garantiert seit ihrer Gründung im Innern die verbürgten Menschenrechte und die freiheitliche Chance der individuellen Entfaltung jedes Bürgers. Das heißt, diese Ordnung hat in diesen zurückliegenden Jahren seit ihrer Gründung eine Attraktivität entwickelt, die sich nicht zuletzt auch in ihrer Wirkung im deutsch-deutschen Verhältnis in bezug auf die Einheit der unteilbaren einen deutschen Nation ausdrückt. Auch dies gehört an dieser Stelle mit in den Gesamtzusammenhang. ({2}) Darüber hinaus ist festzustellen, daß im Verbund mit unseren Partnern im Bündnis unsere Bundeswehr jetzt über 30 Jahre diese Freiheit im attraktivsten Staat, den es auf deutschem Boden je gegeben hat, gesichert hat. Deswegen meine ich, daß am Anfang einer Aussage zu Fragen der Bundeswehr an dieser Stelle Dank und Anerkennung für die Soldaten stehen sollte und die nochmalige und nachdrückliche Aussage unserer Bereitschaft, sie gegen jede Diffamierung in Schutz zu nehmen, woher auch immer sie kommt. ({3}) Ich sage als ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, der parlamentarischen Vertretung dieses Staates: Ohne Überheblichkeit, aber mit Selbstbewußtsein der Demokraten sollten wir die Bereitschaft zum Schutz dieser Ordnung gegen militärische wie politische Erpressung auch in Zukunft aufrechterhalten. In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 findet sich die Einleitung - ich zitiere - : Deutsche Außenpolitik heißt vor allem: Bewahrung der Freiheit und Festigung des Friedens in Europa und in der Welt. Für uns ist aktive Friedenspolitik eine politische Notwendigkeit und eine sittliche Pflicht. Als Ziel dieser Friedenspolitik war damals formuliert, einen bewaffneten Konflikt zu verhüten, gleiche Sicherheit für alle europäischen Länder auf möglichst niedrigem Rüstungsstand durch nachprüfbare Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu erreichen und die Zusammenarbeit mit den Staaten des Ostens zum gemeinsamen Vorteil zu entwickeln, wo immer solche Zusammenarbeit möglich ist. Meine Damen und Herren, ich glaube, die damals geäußerten Ziele gelten unverändert auch heute. Die Aufgabe der Bundeswehr, den Frieden zu sichern und diese Ordnung nach außen zu schützen, ist genauso unverändert, wenn auch in veränderten Rahmenbedingungen im Ost-West-Verhältnis. Die NATO war und ist ein Bündnis freier Staaten zum Schutz gemeinsamer Werte mit vom Beginn an deutlicher politischer Komponente, die ganz zweifellos an Bedeutung gewinnen wird gegenüber der militärischen Komponente dieses Bündnisses - wie übrigens auch des Warschauer Paktes. Die NATO ist darüber hinaus immer ein Bündnis ohne eine zentrale Koordinierung durch eine hegemoniale Führungsmacht gewesen, eine Macht, die der Warschauer Pakt hatte, muß man wohl sagen - man kann nicht mehr sagen: hat - , aber ein Bündnis, das trotz des Fehlens einer solchen zentralen Koordinierung gemeinsame Lösungen und Entscheidungen zu finden vermochte. Meine Damen und Herren, ich füge hinzu, Gorbatschow hätte seine Politik wohl nicht einleiten können, wenn das Bündnis NATO auch nur annähernd die Kriegslüsternheit besessen hätte, die ihm von der sowjetischen und ehemals gleichgeschalteten Propaganda, aber auch von manchen heimischen Politikern angedichtet wurde. ({4}) Allein das Wissen um die tatsächlichen Kräfteverhältnisse sowie die Gewißheit über eine rein defensive Absicht der NATO haben Gorbatschow eine Politik von Perestroika und Glasnost mit allen immer noch riskanten Unwägbarkeiten ermöglicht. Sicherlich ist es so, daß die revolutionäre Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten noch nicht abgeschlossen ist. Über endgültige militärische Dispositionen kann man noch keine verläßlichen Aussagen treffen. Dennoch ermöglicht und erfordert diese Entwicklung eigene Reaktionen auf unserer Seite und auch Berücksichtigung in den Planungen des Bündnisses und im eigenen Land. Beides, meine Damen und Herren, ist wichtig: Abstimmung mit den Partnern und Einbettung und Verständlichmachung der Bundeswehrplanung in die innenpolitischen Gegebenheiten auch der Bundesrepublik Deutschland. Ein tragfähiges Konzept für unsere Bundeswehr als eine integrierte Bündnisstreitkraft kann sich nicht nur auf höhere Motivation und Ausbildung des Personals und modernen Standard der Ausrüstung, sondern muß sich eben auch auf Einsatzpläne in Szenarien stützen, die von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Das ist eine wichtige Aufgabe auch der Weiterentwicklung in der Zukunft. ({5}) Unsere Bundeswehr ist auf Verteidigung ausgerichtet und ist Teil von Bündnisstreitkräften, die ebenfalls nur zur Verteidigung aufgestellt sind. Ihre Stärke bestimmt sich ausschließlich an der potentiellen Gefahr politischer und/oder militärischer Erpreßbarkeit. Wenn Herr Mechtersheimer meint sagen zu müssen, daß die Kosten für die Rüstung vertanes Geld gewesen seien, dann frage ich ihn an dieser Stelle allerdings, ob auch die Kosten, die wir seinerzeit innerhalb der NATO für die Stationierung der Mittelstreckenraketen Pershing und Cruise Missiles aufbringen mußten, mit ihrer Wirkung im Rückblick vertanes Geld waren. Ohne diesen Einsatz wäre eine Beseitigung der Mittelstreckenraketen, wie wir sie heute erreicht haben, nicht zu erreichen gewesen. ({6}) - Glauben Sie, daß Gorbatschow im eigenen Lager die Beseitigung einer eben entwickelten und neu stationierten Waffengattung hätte durchsetzen können, wenn nicht auf westlicher Seite die Entschlossenheit sichtbar geworden wäre, dem mit einer klaren und eindeutigen Haltung entgegenzutreten? ({7}) Aber ich will jetzt keine Diskussion mit Ihnen führen. Wir können sie an anderer Stelle weiterführen. Für mich ergeben sich aus alledem zwei in der zeitlichen Dimension nacheinander zu lösende Aufgaben: Es geht um eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen im Ost-West-Verhältnis. Es geht um eine schnelle Reaktion auf das, was sich hier so nachdrücklich und deutlich verändert hat. ({8}) Es geht um eine Berücksichtigung der abnehmenden Spannung und der verminderten Kriegsgefahr zwischen Ost und West, und es geht auch um eine Berücksichtigung der Ergebnisse der Wiener Verhandlungen und übrigens auch der Genfer Verhandlungen. Es geht ferner um eine Berücksichtigung - aber sozusagen als eine Folgewirkung - der zur Verfügung stehenden Ressourcen in bezug auf Umfang und Ausrüstung der Bundeswehr. Der Ausgangspunkt ist für mich die veränderte welt- und ost-west-politische Lage. Die Friedenssicherung muß aber weiter Aufgabe der Bundeswehr bleiben. Wir müssen Umfang und Ausrüstung so festsetzen, daß diese Aufgabe auch in Zukunft erfüllt werden kann. Vor allen Dingen müssen wir in allen unseren Maßnahmen, meine Damen und Herren, dafür sorgen, daß der Soldat der Bundeswehr selbstbewußt und gleichberechtigt mit jedem anderen Bürger dieses Staates seinen Dienst zu leisten in der Lage ist. ({9}) In der Ausrüstung wird es gewiß darum gehen - ich will jetzt keine Einzelheiten nennen - , eine weiter zunehmende Betonung der defensiven Komponente der Rüstung vorzunehmen. Es geht auch um eine Verlagerung der Ausgaben von der Beschaffung hin zur Verbesserung der Situation des Menschen in der Bundeswehr. Es geht um die Fragen der Attraktivität mit einem Blick auf die KonRonneburger kurrenz in der Personalfrage, in der sich die Bundeswehr in Zukunft auch mit den Kräften und Unternehmungen im Bereich der freien Wirtschaft und der öffentlichen Wirtschaft wird auseinandersetzen müssen. Aber auch eines müssen wir mit aller Sorgfalt verfolgen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung muß erhalten bleiben, und wo sie in Gefahr sein sollte, muß sie wieder erreicht werden. Dabei bitte ich Sie, folgendes zu bedenken: Ein unkontrollierter, populistischer Umgang mit Umfangszahlen der Bundeswehr vermittelt den Eindruck mangelnder Ernsthaftigkeit. Wirkliche Kenntnisse der Realitäten sowie Verantwortungsbewußtsein sind eine Voraussetzung für jede Planung in diesem Bereich. ({10}) Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren, ist keine Tagespolitik, sondern sie muß verantwortungsvoll entwickelt, geplant und gedacht werden, nicht für ein Jahr und nicht in Legislaturperioden, sondern weit über Legislaturperioden hinaus. ({11}) Es geht um eine Berechenbarkeit für die Bündnispartner; es geht aber auch um Berechenbarkeit für die Innenpolitik, und es geht um Berechenbarkeit unserer Planungen und Absichten, unserer friedlichen Absichten, auch auf der anderen Seite der heute noch vorhandenen Grenze quer durch Europa und einer auch noch in Deutschland vorhandenen Grenze, auch wenn sie in diesem Augenblick, in dem wir hier zusammen sind, von beiden Seiten her durchlässig geworden ist. Das ist eine Tatsache, die zu berücksichtigen uns sicherlich alle Veranlassung gegeben ist. Ich meine aber auch, daß Freiwillige und Wehrpflichtige, Zeit- und Berufssoldaten auf absehbare Zeit glaubhaft und berechenbar erkennen können müssen, welche Funktionen Streitkräfte haben und mit welcher Motivation sie in Zukunft ihren Dienst in der Bundeswehr werden tun können, damit sie eine Perspektive haben. Diesen Aufgaben widmet sich die jetzt vorgelegte Bundeswehrplanung. Sie bedeutet also eine Anpassung an reale Veränderungen. Ich bin dem Bundesverteidigungsminister dafür dankbar, daß er unmittelbar nach seinem Amtsantritt auf der Hardthöhe eine solche Überprüfung der Bundeswehrplanung in Auftrag gegeben und heute dem Deutschen Bundestag vorgelegt hat. Aus dieser Bundeswehrplanung hebe ich einige wenige mir wichtig erscheinende Punkte hervor: Der erste Punkt, der mir wichtig erscheint - Herr Kollege Horn, das sage ich nach dem, was Sie heute morgen hier gesagt haben, gerade Ihnen - : Diese Bundeswehrplanung enthält einen Verzicht auf die absolute Festschreibung von Umfangszahlen der Bundeswehr. Sie läßt für künftige Entscheidungen jeden Weg offen. ({12}) Ich halte dies für eine der ganz entscheidenden Verbesserungen. ({13}) Denn - warum sollten wir das verschweigen - , was für gedankliche Schwierigkeiten haben wir in den Jahren seit 1984 mit einer sich immer wieder als Resultat einer Addition sich ergebenden Zahl von 495 000 gehabt! Das war eine hinsichtlich der Planungssicherheit schwierige Zeit. Ich bin sehr froh, daß die Formulierungen, die in der Bundeswehrplanung stehen, uns jetzt in bezug auf die Fragen der Grundwehrdienstzeit, der Berücksichtigung der Haushaltssituation und auch der Vorneverteidigung in die Lage versetzen, flexibel auf Entwicklungen zu reagieren, die wir wollen und die wir erhoffen und die uns die Möglichkeit geben sollen, den Umfang der Rüstung und der Bundeswehr auch in Zukunft weiter zu reduzieren. Das soll auf unserer Seite aber keine Vorleistung sein. Ich erinnere noch einmal an das, was wir bei den Mittelstreckenraketen als eine wichtige Erfahrung mitgenommen haben. Das gilt übrigens, Herr Kollege Mechtersheimer, auch für die Frage des „Jägers 90". Sie werden auch hier sagen: vertanes Geld. Ich sage Ihnen: In Wien resultiert eine der Hauptschwierigkeiten, die es dort noch gibt, daraus, daß die Sowjetunion ihre strategischen Abfangjäger - wie Sie exakt formulieren - aus der Zählung einer Obergrenze für Kampfflugzeuge heraushalten will. Solange auf der anderen Seite diese hochmodernen und gerade entwickelten und eingeführten Jäger außerhalb der Zählung bleiben sollen, können wir auf unserer Seite ja wohl nicht auf die Entwicklung eines Systems verzichten, das die Freihaltung und Sicherheit unseres Luftraums erreichen soll. ({14}) - Frau Kollegin, Sie werden sicher nachher Gelegenheit haben, mich zu widerlegen, wenn es Ihnen gelingen sollte; aber ich glaube das nicht. Über diese aktuelle und akute Aufgabe für die unmittelbar vor uns liegenden Jahre hinaus gibt es eine zweite Aufgabe, die ich folgendermaßen beschreiben möchte. Weil Streitkräfte im Konzert und Gewicht der Staaten weiterhin eine bedeutende, wenn auch sicher und hoffentlich abnehmende Rolle spielen werden, ist uns daran gelegen, diesem Element von Souveränität und Selbstbehauptungswillen auch in einer Gemeinschaft und in zukünftigen übergreifenden Sicherheitsstrukturen seine notwendige Bedeutung zu erhalten. Wir wollen die Akzeptanz für sachgerechte Sicherheitspolitik erhalten. Wir wollen auch die Motivation derer erhalten, die die äußere Sicherheit bewahren. Wir wollen die Akzeptanz in der Gesamtgesellschaft für Sicherheits- und Verteidigungspolitik in einer sich wundersam verändernden Welt. Deswegen halten wir es für wichtig, über die akuten Probleme der nächsten Jahre und über den Anfang der 90er Jahre hinaus durch eine unabhängige Kommission eine Langzeitperspektive weit in die Zukunft hinein zu entwickeln, um die Rolle der Bundeswehr, die Rolle von Streitkräften überhaupt in dieser verän14002 derten Welt abzutasten und als Entscheidungsgrundlage erklärbar zu machen. ({15}) Ich mache hier noch einmal einen Rückblick in eine relativ weit zurückliegende Vergangenheit. ({16}) Meine Damen und Herren von der SPD, ich greife auf den Mai 1982 zurück, als meine Fraktion damals in der sozialliberalen Koalition das erste Mal den Antrag gestellt hat, eine solche Kommission für eine langfristig angelegte Verteidigungs- und verteidigungspolitische Planung ins Leben zu rufen. ({17}) - Verehrter Kollege Gerster, wir wollen uns nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß in dem letzten halben Jahr der sozialliberalen Koalition weder von Ihrer Seite eine Bereitschaft bestand, auf unsere Vorschläge einzugehen - ({18}) - Darauf komme ich gleich. - Ich möchte nur festgehalten haben, daß in der Zusammenarbeit mit Ihnen jedenfalls in diesem halben Jahr eine solche Kommission nicht zustande kam. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Personalstrukturkommission, die im Jahre 1971 ihren Bericht vorgelegt hat, und eine Wehrstrukturkommission, die am 28. November 1972 ihren Bericht vorgelegt hat, die Enttäuschung haben erleben müssen, daß das von ihnen Vorgeschlagene von den Verteidigungsministern, die von der SPD gestellt worden sind, nicht umgesetzt und verwirklicht worden ist. ({19}) Ich hoffe sehr, daß die Kommission, die wir jetzt ins Leben rufen wollen, dieses Schicksal nicht wird erleiden müssen. Wir werden tun, was wir können, damit das nicht geschieht. Ich will hier aber auch die Jahre ab 1982 überhaupt nicht aus der Betrachtung herauslassen, Herr Kollege Gerster. ({20}) - Es gab unseren Vorstoß in der sozialliberalen Koalition im Mai 1982. Das läßt sich dokumentarisch nachweisen, Herr Kollege Horn. Ich füge aber hinzu: In den Jahren, die auf 1982 folgten, war unter den Verteidigungsministern Dr. Wörner und Professor Scholz ein Vorstoß in dieser Richtung ohne Erfolg. ({21}) Auch hier habe ich dem Verteidigungsminister Dr. Stoltenberg einen Dank dafür auszusprechen, daß er auf unsere Anregungen eingegangen ist und in gewiß nicht einfachen Diskussionen, in einem Ringen um gemeinsame Lösungen, und in langen Gesprächen, die an der einen oder anderen Stelle natürlich auch zum Kompromiß geführt haben - wer wollte das leugnen - , uns den Weg geöffnet hat, der heute mit dem Entschließungsantrag, der dem Deutschen Bundestag vorliegt begangen wird. Über die akuten Probleme hinaus geht es um die langfristigen Probleme in der Veränderung der weltpolitischen Rahmenbedingungen, abzulesen aus der positiven Entwicklung im Ost-West-Verhältnis und den erkennbaren Fortschritten bei den Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen. Dynamik in der Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik sowie der enorme Wandel der gesellschaftlichen, technologischen und finanziellen Rahmenbedingungen bundesdeutscher Verteidigungspolitik machen eine Überprüfung der Verteidigungsstrukturen auf nationaler, aber auch auf europäischer Bündnisebene notwendig. Ich hoffe, daß wir uns den damit gestellten und skizzierten Herausforderungen in Gemeinsamkeit im Interesse der Soldaten unserer Bundeswehr, im Interesse des Friedens in Europa und im Interesse einer friedlichen Überwindung der Teilung nicht nur Europas, sondern auch unseres Landes stellen und unserer Verantwortung gerecht werden. Vielen Dank. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gestern vom Kabinett ohne Kabinettsvorlage - offensichtlich, weil keinerlei Vorlage zwischen den Häusern, insbesondere mit dem Finanzministerium abgestimmt war ({0}) verabschiedete Bundeswehrstruktur kann - ({1}) - Ich habe im Parlaments- und Kabinettsreferat angerufen. Da hieß es: Der Minister geht ohne jede Vorlage ins Kabinett; es ist keine Möglichkeit gegeben, eine schriftliche Unterlage einzusehen. ({2}) Auf die Frage „Wie geht er denn in den Ausschuß?" hieß es auch: ({3}) Er geht zu Fuß und macht das mündlich. - Von daher nehme ich an, daß dies so gewesen ist. ({4}) Gleichwohl, selbst wenn es schriftlich vorgelegen hat - und wir haben hier heute eine Redevorlage, in der bis Seite 13 Lyrik enthalten ist und es ab Seite 14 einigermaßen konkret wird - , die ganze -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es auf meine Redezeit nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Bülow, darf ich Sie erstens darauf hinweisen, daß die Kabinettsvorlage acht Tage vor der ({0}) - „Darf ich Sie darauf hinweisen ... " ist eine Frage ({1}) Kabinettssitzung in der üblichen Stückzahl allen Ressorts zugegangen ist, und darf ich Sie zweitens darauf hinweisen, daß Sie offensichtlich die Mitarbeiterin des Kabinetts- und Parlamentsreferats, wie sie mir sagt, falsch verstanden haben?

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, was meiner Mitarbeiterin gesagt worden ist. ({0}) Nur, uns Parlamentariern ist die schriftliche Unterlage nicht zugestellt worden. Wir konnten deshalb nicht in den Details, wie es notwendig ist, in diese Vorlage eindringen. ({1}) Wie auch immer, diese neue Bundeswehrstruktur beschränkt sich auf Flickschusterei, ein bißchen Heldenklau hier, ein bißchen mehr Mängelverwaltung da. Ein Wurf aus einem Guß ist nicht zustande gekommen. Die wichtigsten Fragen werden nicht beantwortet. Dies konnte ja auch nicht anders sein, weil Ihr Vorgänger Wörner eine finanziell und personell inzwischen völlig zusammengebrochene Hochglanzplanung hinterlassen hatte. ({2}) Sein Nachfolger Scholz wagte sich schon gar nicht an die Grundlagen dieser Fehlplanung heran. Und nun beschränken Sie sich auf die Nachlaßverwaltung der beiden Herren. Das Maßnahmenbündel, das Sie jetzt vorlegen, löst keine der anstehenden Aufgaben. Sie gehen den Problemen nicht auf den Grund. Sie verhindern eine saubere Analyse der heutigen Verteidigung mit allen ihren ganz offensichtlichen Mängeln. Sie stellen sich den Alternativen nicht. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, den angestrebten Friedensumfang der Bundeswehr exakt zu benennen. Sie legen Ihren Planungen eine 18monatige Wehrpflicht zugrunde. Nur so sind die 420 000 Mann jenseits von 1995 überhaupt im Zahlenwerk zu halten. ({3}) Zugleich versprechen Sie das Verbleiben bei 15 Monaten, falls es zu positiven Abrüstungsergebnissen in Wien kommen sollte. ({4}) Nur, so schlau, in Wien auch gleich die entsprechenden personellen Abrüstungsvorschläge einzubringen, waren Sie nicht. ({5}) Dabei versuchen die östlichen Staaten, die zunächst allein und gegen die westlichen Vorstellungen auf einen massiven Personalabbau drängten, sogar, Ihnen entgegenzukommen. Hätte nicht Präsident Bush nach massiver Kritik an der Phantasielosigkeit der NATOVorschläge mit seinem „30 000 GI's gegen 150 000 Rotarmisten" im letzten Moment und ohne Konsultation mit den Verbündeten die westliche Presselandschaft zu beeindrucken versucht, die NATO stünde ohne jedes personelle Angebot im Wiener Ring. Die Bundesregierung hat die Chance schlicht verschlafen, die Lösung der Personalprobleme mit der Abrüstung zu verbinden. ({6}) Der Staat darf keine Stunde Freizeit seiner Soldaten und keine müde Mark des Steuerzahlers in Anspruch nehmen, es sei denn, dies sei von der Aufgabe der Sicherheit her zwingend erforderlich. Ausgaben für Sicherheit verdrängen andere wichtige Aufgaben des Umweltschutzes, des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs, der Entwicklungshilfe, des Umbaus der östlichen Volkswirtschaften. Und es gibt auch noch Not in unserem eigenen Land. Allein die Weltrüstungsausgaben eines Jahres reichen aus, den Schuldenberg sämtlicher Entwicklungsländer abzutragen. Nachdem schon die Bundeswehrstruktur 1984 so kläglich scheiterte, hätte es ihnen gut angestanden, mit der ganzen Planungskapazität Ihres Hauses das System Bundeswehr bis in die Grundfesten zu überprüfen und entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen. Das gilt z. B. für die militärisch nutzbare Vorwarnzeit. Sie ist eine der Schlüsselgrößen für die Zahl der Soldaten, die wir von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen in den Kasernen nicht nur ausbilden, sondern nach der Ausbildung auch ausrückfähig festhalten. Diese Vorwarnzeit wird von der NATO mit 48 Stunden angegeben. ({7}) Wir Sozialdemokraten sind schon seit langem sehr sicher, daß diese Vorwarnzeit ein schlichtes Märchen ist. ({8}) Doch wie eine Monstranz haben die drei CDU-Verteidigungsminister die Vorwarnzeit von 48 Stunden vor sich hergetragen. In den letzten Wochen haben nun die Geheimdienste der Vereinigten Staaten in voller Übereinstimmung mit den Stabschefs der Teilstreitkräfte erklärt, daß die Vorwarnzeit unberührt von den Gorbatschowschen einseitigen Truppenverminderun14004 gen in Osteuropa schon immer mindestens drei bis vier Wochen betragen habe. ({9}) Es wäre honorig gewesen, Herr Stoltenberg, wenn auch Sie einmal Ihren Fehler und den des Apparates hätten zugeben können. ({10}) Für die Bundeswehrplanung heißt dies, daß den von den amerikanischen Geheimdiensten angenommenen drei bis vier Wochen Vorwarnzeit die sich aus den militärischen und politischen Vorgängen in Osteuropa ergebenden Veränderungen noch hinzugerechnet werden müssen. Muß dies nicht weitere Auswirkungen auf Ihre Bundeswehrplanung haben? Gegenüber den Abrüstungsofferten der östlichen Seite zeigen sich der Chef der Hardthöhe und sein Generalinspekteur stets von der professionell skeptischen Seite. Um so eifriger verbreiten Sie, Herr Stoltenberg, Meldungen, wonach die Sowjetunion den Westen in Sachen Abrüstung hintergehe, indem sie beispielsweise ihre Panzerproduktion massiv erhöht und nicht abgesenkt habe. Geht man einer solchen Behauptung nach, stellt man als erstes fest, daß sie amerikanischen Quellen und nicht eigenen Erkenntnissen entstammt. Fragt man dann amerikanische Kongreßkollegen nach den Hintergründen der Meldung, so stellt sich heraus, daß die Behauptung von einer untergeordneten Geheimdienststelle in den USA ohne Gegenprüfung und Billigung durch andere Geheimdienststellen in Umlauf gegeben wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit - so der Vorsitzende des amerikanischen Streitkräfte-Ausschusses - seien die von den Sowjets genannten wesentlich niedrigeren Zahlen korrekt. Ähnlich verhält es sich übrigens mit der angeblich unveränderten Raketenproduktion der Sowjetunion. Auf Nachprüfung stellte sich heraus, daß zwar die Raketenprogramme der Sowjetunion weitergeführt werden, daß jedoch innerhalb der Programme die Stückzahlen drastisch gesenkt wurden. Sie tun der Bundeswehr und dem Bündnis keinen Gefallen, wenn Sie immer wieder ganz offensichtlich manipulierte, falsche Angaben über die Gegenseite vorlegen und dann auch noch auf der Grundlage dieser Fehlannahmen Ihre Planungen vorantreiben. In den vergangenen Monaten hat sich Polen von der Vorherrschaft der kommunistischen Partei befreit. Das gleiche gilt für Ungarn. Inzwischen sind die kommunistischen Regime in der DDR und in der CSSR vom Volkszorn hinweggefegt worden. Der Warschauer Pakt ist nur noch begrenzt handlungsfähig. In die Kasernen der Bundeswehr ziehen schon Reservisten der NVA ein, wenn auch nur als Übersiedler in Notunterkünften. ({11}) Die Feldwebel eines Bataillions im Bayerischen sollen kürzlich nach Dienstschluß durch die zweckentfremdeten Kasernen gezogen sein und nach ehemaligen NVA-Soldaten gefragt haben. Zögerlich seien die Hände hochgegangen, noch zögerlicher bei der Frage nach NVA-Unteroffizieren. Die sich meldeten, habe man dann ins Unteroffiziersheim mitgenommen und zum großen gemeinsamen Besäufnis zusammengeführt. Dann, Herr Stoltenberg, sollen diese Unteroffiziere ihre Kollegen auch noch über die Mangelhaftigkeit östlichen Gerätes gebrieft haben. Was folgt eigentlich aus alledem für Ihre Bundeswehrplanung, Herr Stoltenberg? Glauben Sie immer noch, uns Westdeutschen Angst vor 15 polnischen Divisionen, vor den CSSR-Divisionen und den sechs NVA-Divisionen machen zu können, deren Soldaten wegen des großen Personalmangels in der DDR-Wirtschaft inzwischen zivil eingesetzt werden? Die NVA soll nur noch mit 50 % ihrer Soll-Stärke präsent sein. Glauben Sie wirklich, daß eine Sowjetunion, die mit den Unabhängigkeitsbewegungen der baltischen Staaten, der Ukraine und Armeniens zu ringen hat, so mir nichts, dir nichts zum Weltkrieg in Europa aufbrechen kann, und das auch noch aus dem Stand? Wir Sozialdemokraten verlangen ja nichts Unbilliges von Ihnen. Sie sollen die Sicherheit unseres Landes im Bündnis auf der sicheren Seite halten. Doch es ist in diesem so chancenreichen Aufbruch der Völker Europas zur Beendigung ihrer Trennung, zum Bau und Bezug des gemeinsamen Hauses die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland, eine Verteidigungskonzeption zu erarbeiten, die es erlaubt, die sich bietenden Chancen der Abrüstung zügig wahrzunehmen. ({12}) Doch mit der Struktur, die das Kabinett verabschiedet hat, sind Sie auf nichts vorbereitet. Sie müssen bei einer ehrgeizigen Abrüstungspolitik, die auch die Mannschaftsstände um mehr als die 20 000 Mann einbezieht, Ihre Struktur erneut verändern. Was machen Sie, wenn Gorbatschow in den nächsten Jahren etwa die Hälfte oder noch mehr seiner in der DDR stationierten Truppen abziehen oder gar auflösen wird? ({13}) Was machen Sie, wenn der amerikanische Haushalt endlich saniert wird und die US-Boys bis auf 100 000 Mann unser Land verlassen? Wollen Sie dann eigentlich die Vorneverteidigung aufgeben, oder sind Sie bereit, die militärfachlichen Vorstellungen vom operativen Minimum aufzugeben? Oder bleibt die Bundeswehr hochgerüstet an der innerdeutschen Grenze als Generalausputzer, wenn alle anderen NATOStaaten ihre Streitkräfte vermindern, wie es der CDUKollege Lamers vorschlägt? ({14}) Die entscheidende Frage an eine Bundeswehrstruktur, deren Verfallsdatum über den Tag der nächsten Bundestagswahl hinausreichen soll, lautet: Wie können wir die Bundeswehr so umbauen, daß sie uns in und mit dem Bündnis die Sicherheit gewährleistet, in entspannten ebenso wie vielleicht auch in etwas turDr. von Bülow bulenter werdenden Zeiten zugleich jedoch den Abrüstungschancen, die sich auf der Waffen- und auf der personellen Seite ergeben, nicht im Wege steht? Gorbatschow ist dabei, die militärische Konfrontation in Europa einzureißen. Er braucht die Rüstungskapazität für die Herstellung ziviler Güter. Warum ergreifen wir nicht sehr viel schneller und zügiger die Angebote der östlichen Seite? Was brauchen wir auf beiden Seiten noch 20 000 Panzer, mit denen jeder beim anderen mit Blitzkriegtechnik eindringen könnte? ({15}) - Der ist sogar bereit, noch weiterzugehen. Das Problem liegt bei der NATO, die dazu nicht in der Lage ist. Die östliche Seite bietet den Übergang zur strukturellen Angriffsunfähigkeit an. Warum schlagen wir nicht schon jetzt ein? Wir sollten nun auch unsererseits die Aufrüstungsspirale, an der auch wir und unsere Industrien kräftig drehen, anhalten. Es darf nicht mehr gefragt werden, was wir denn westlicherseits noch alles an Waffensystemen zurüsten müssen, um der anderen Seite im Rüstungswettlauf zuvorzukommen. Nein, es müssen Forderungen an die andere Seite entwickelt werden, die dort aus den Arsenalen das wegnehmen, was uns noch gefährden könnte. Was muß weg, so lautet die Frage an beide Seiten, an eindringfähigem Gerät, an Nachschubeinrichtungen, amphibischem Gerät, operativen Manövergruppen, Kampfflugzeugen und Hubschraubern, und was sind wir im Gegenzug bereit zu leisten? Militärisch herauskommen muß eine vereinbarte, sich in Bewaffnung und Struktur widerspiegelnde strukturelle Unfähigkeit zum Angriff beider Seiten. Was muß, so müßte man fragen, aus den östlichen Bewaffnungen und Strukturen herausgenommen werden, um auf die tiefflugabhängige Eindringfähigkeit unserer Flugzeuge schlicht verzichten zu können? Gibt es keine zweiten und dritten offensivfähigen Wälle aus der Tiefe der Sowjetunion mehr zu bekämpfen, dann werden unsere extrem teuren Waffensysteme entbehrlich, die wir zu deren Bekämpfung vorgesehen haben. Ist dieser Zustand in Wahrheit nicht heute bereits erreicht? Oder mit noch anderem Bezug gefragt: Ab wann glaubt eigentlich die NATO auf den Ersteinsatz von Massenvernichtungswaffen kurzer Reichweite verzichten zu können, die gegen unsere demokratischen Nachbarn und auch Landsleute gerichtet sind? Noch heute kann man allenthalben in Dresden, Leipzig und Berlin die Folgen der Feuerstürme des letzten Weltkrieges erkennen, in denen die Wohnbevölkerung ohne jeden militärischen Sinn schlicht verbrannt wurde. Die von der NATO immer noch angestrebte Lance-Modernisierung steht in der Tradition dieser Massenbombardements. ({16}) Ihre Beschaffung nach der Bundestagswahl ist in dem sich abzeichnenden Gesamteuropa undenkbar geworden. ({17}) - Die Sowjets sind ja zum Abzug bereit. ({18}) Müssen wir uns nicht als Deutsche im deutschen Interesse und gerade durch die Anlage unseres Bundeswehrbeitrages im westlichen Bündnis von Nuklearwaffen unabhängig machen? Ist es nicht richtig, daß die NATO, wie es den Worten ihres ersten Generalsekretärs, Lord Ismay, zu entnehmen war, drei Aufgaben hat, nämlich die Russen fern, die Amerikaner drin und die Deutschen unter Kontrolle zu halten? Ist das bedingungslose Festhalten der NATO an Nuklearwaffen nicht das entscheidende Mittel, auch unserer westlichen Freunde, die Deutschen auf Dauer unter Kontrolle zu halten? Was hat die Bundesregierung eigentlich einzuwenden gegen die östliche Vorstellung eines durch Abrüstung und Umrüstung auch konventionell unmöglich gemachten Krieges? Was könnte man besser für die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung tun, als sie aus der abenteuerlichen Nuklearabhängigkeit der westlichen Verteidigung zu befreien und ihr einen Auftrag zu geben, den sie angesichts einer strukturell zum Angriff nicht mehr befähigten östlichen Seite mit Sicherheit erfüllen kann. Doch all diesen Gedankengängen und Gestaltungsoptionen hat sich die Hardthöhe mit Fleiß nicht gestellt. Der Bundeswehrstruktur merkt man an, daß Alternativüberlegungen in sie kaum eingegangen sind. Kein Wunder, das Nachdenken über und Erforschen von alternativen Ansätzen wurde durch die drei Verteidigungsminister der CDU mit allem Nachdruck und zu allen Zeiten unterbunden. Könnten doch derartige Studien sehr schnell ergeben, daß man mit weniger Geld, weniger Personal und weniger Offensivität ein Mehr an wirksamer Verteidigung erreichen könnte. Wir haben uns in den letzten Jahren als Opposition mit alternativen Überlegungen große Mühe gemacht. Wir haben nicht nur die östlichen Strategie-, Abrüstungs- und Strukturvorstellungen im konventionellen Bereich sehr nachhaltig beeinflußt, wir haben auch mit den Freunden im amerikanischen Kongreß zusammengearbeitet und Vorschläge unterbreitet. So sind wir uns eigentlich recht sicher, daß wir auch gegen Ihren Widerstand, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl, das Ziel einer gemeinsamen Sicherheit in Europa erreichen werden; daß wir den Umfang der Streitkräfte um rund die Hälfte, quer durch die Last, auf beiden Seiten vermindern können; daß die offensivfähigen Waffensysteme auf gemeinsame Obergrenzen und die Hälfte des derzeitigen NATO-Umfangs herabgerüstet werden und daß wir im Zuge dieser Maßnahmen auch die Wehrpflicht auf zwölf Monate herabsetzen können. Etwas anderes wird dem Volk in Kürze auch kaum noch zu vermitteln sein. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach dieser ersten Obleuterunde auf den Kollegen Ronneburger zurückkommen, der richtigerweise festgestellt hat, daß es lange her ist, daß man hier umfassend über die Bundeswehr diskutiert hat; ich würde gerne hinzufügen: endlich auch einmal bei Tag und nicht bei Nacht und Nebel, wie das bei den Haushaltsberatungen immer der Fall ist. ({0}) Der Kollege Dr. Mechtersheimer meint, daß die Begründung für die Existenz der Bundeswehr nicht aus der Souveränität abzuleiten sei; denn das Grundgesetz lasse die Bundeswehr nur als Folgerung aus dem kalten Krieg zu. Nun, Sie sollten das Grundgesetz besser lesen. Denn das Grundgesetz spricht vom Schutz seiner Bürger und der Freiheit und nicht vom kalten Krieg. Ich glaube, das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Zu den Ausführungen des Kollegen Dr. von Bülow. Er ist im übrigen stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuß, und ich würde seine Anwesenheit öfter wünschen, damit er sich dort informieren kann. Er hätte auch gestern abend in der zweistündigen Abendsitzung viele Dinge klären können, die er heute kritisiert hat; ({1}) auch das muß dazu einmal gesagt werden. Zu Ihren Ausführungen ist festzuhalten, daß im übrigen selbst die Sowjets dem widersprochen haben, was Sie als Lagebild geboten haben. Denn sie haben das - von Ihnen bestrittene - Übergewicht wiederholt bestätigt. Da werden die Zeitungsmeldungen, die Sie sammeln, den Gegebenheiten nicht mehr gerecht. Ihre Rasenmähertheorie ist nicht solide.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bülow?

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es nicht angerechnet wird. - Bitte sehr.

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Vorsitzender, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich gestern an einer Podiumsdiskussion teilnehmen konnte und deshalb die plötzlich auf 8 Uhr abends anberaumte Sitzung des Verteidigungsausschusses nicht wahrnehmen konnte? ({0})

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme das gern zur Kenntnis. Nur muß man dann mit seiner Kritik zurückhaltender sein, wenn man aus diesen Gründen nicht teilnehmen kann. ({0}) Nun zur Sache: Die von Verteidigungsminister Dr. Stoltenberg vorgelegte Bundeswehrplanung ist die Antwort auf positive Signale der Abrüstungsverhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa sowie auf vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen in Wien, aber auch auf die tiefgreifenden und ermutigenden Veränderungen in Osteuropa, zugleich aber auch ein Weg, wie ich meine, um der in den 90er Jahren zu erwartenden Personalenge bei Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten zu begegnen. Der Zeitpunkt, zu dem die Planungen nun vorgelegt werden, ist richtig, aber auch zwingend. Denn die Entscheidung bringt auch tiefe Einschnitte in den Personalbereich, in die Standortfrage, in Bereiche der Standorte, die aufgelöst oder eingeschränkt werden. Planung und Umsetzung verlangen einen längeren Zeitraum. Sowohl die Bundeswehr insgesamt als auch jeder einzelne Soldat soll rechtzeitig wissen, wo es langgeht. Jetzt müssen die Rahmenbedingungen dafür festgelegt werden, wie die Bundeswehr in der Mitte der 90er Jahre aussehen soll. Die Sowjetunion und die anderen Lander des Warschauer Pakts befinden sich in einer Phase des Umbruchs, in der sie schwierige innenpolitische und ökonomische Probleme lösen müssen. Der Weg zur Erlangung von Freiheit und Selbstbestimmung und zur Gesundung der zerrütteten Volkswirtschaften dort erweist sich als außerordentlich schwierig. Dabei sind diese Länder auf unsere Unterstützung angewiesen. Sicher ist ein militärischer Konflikt heute weniger denn je aktuell. Dennoch können wir, so meine ich, auf ausreichende Sicherheitsvorkehrungen und auf ein starkes Bündnis nicht verzichten. Zeiten des Umbruchs sind immer auch Zeiten besonderer Gefahren. Sie sind mit vielfältigen Risiken behaftet. Es wird auch die Frage nach dem politischen Überleben Gorbatschows, nach Perestroika und vielem anderen mehr gestellt. Es ist daher die Absicht des Bundesverteidigungsministers, trotz eines reduzierten Umfangs aktiver Soldaten zunächst einmal den seitherigen Verteidigungsumfang der Bundeswehr beizubehalten, aber auch diesen zu überprüfen. Jetzt geht es vor allem aber auch darum, eine Streitkräfteplanung für die Bundeswehr vorzulegen, die langfristig Bestand hat. Sicher werden sich auch in den 90er Jahren die Rahmenbedingungen für unsere Sicherheit weiter verändern. Es ist deshalb wichtig, daß die neue Bundeswehrstruktur so flexibel gestaltet wird, daß sie auch auf künftig veränderte außen- und sicherheitspolitische Bedingungen reagieren kann, ohne daß es neuer Umstellungen bedarf. Weder das Atlantische Bündnis noch unsere eigenen Soldaten dürfen den Wechselbädern ständig neuer Strukturen ausgesetzt werden. ({1}) Dennoch müssen die Zahlen immer wieder auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat damit überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, wir sind aufgeschlossen, wenn Fakten und verifizierbare Abrüstungsvereinbarungen auf dem Tisch liegen. Da gibt es für uns gar keine starren Grenzen für die Zukunft. Nichts ist tabu, wenn es um den Frieden und um mehr Sicherheit geht. ({2}) Wunschdenken und Indianerspiele im Stadtpark ersetzen allerdings keine Politik, ({3}) die auch in Zukunft Freiheit, Sicherheit und Souveränität sichern soll, zumal in den Bereichen der sowjetischen Armee bisher keinerlei gravierende Veränderungen feststellbar sind. Für die Planungsumsetzungen in der Bundeswehr gilt es allerdings auch einige Kriterien aufzuzeigen. Bei der Realisierung der jetzt vom Kabinett beschlossenen Struktur muß der Schwerpunkt auf einer auch an den Bedürfnissen der einzelnen Soldaten und Zivilbediensteten orientierten Personalplanung liegen. Soziale Härten müssen so weit wie irgend möglich vermieden werden. Die Umstrukturierungen dürfen nicht auf dem Rücken der Soldaten und ihrer Familien ausgetragen werden. Versetzungen großen Stils mit Umzügen und vermehrtem Schulwechsel der Kinder darf es nicht geben. Eine Planungshektik, die die Belange der Betroffenen unbeachtet läßt, muß vermieden werden. Zusammen mit der neuen Bundeswehrplanung ist über die Dauer des Wehrdienstes zu entscheiden. Wir wollen den 15monatigen Wehrdienst. Unsere Vorstellungen nach Beibehaltung der 15monatigen Wehrdienstzeit werden im Zusammenhang mit Wien realisiert werden. Daß wir auch in unserer Arbeitsgruppe fortschrittlich sind und schnell auf neue Lagen reagieren können, mag auch darin zu sehen sein, daß wir uns in unserer Arbeitsgruppe gegen nur eine Stimme für W 15 ausgesprochen haben. Es ist keine Frage, wer sich dabei durchgesetzt oder nicht durchgesetzt hat. Ich bin dankbar, daß auch der Kollege und Minister Möllemann die Gegebenheiten beachtet hat und im Kabinett nun auch nach dem Grundsatz mitgestimmt hat: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. ({4}) Wenn die Verhandlungen über die Abrüstung konventioneller Waffen in Wien weiterhin so positiv verlaufen wie bisher, reicht jedenfalls ein 15monatiger Wehrdienst aus, um den erforderlichen Personalumfang der Bundeswehr sicherzustellen. Wir sollten uns in unseren Entscheidungen aber nicht auf Trends und Stimmungen stützen, sondern auf Fakten. Ich persönlich freue mich auf diese Gesamtentwicklung. Als ich im Dezember vergangenen Jahres auf die Beibehaltung von W 15 hinwies und mich für eine Reduzierung des Umfangs der Bundeswehr ausgesprochen habe, gab es viel Kritik. ({5}) Aber, wie angekündigt, kam das Thema jetzt wie das Echo des Trompeters am Königssee zurück. ({6}) Wir werden darauf dringen - lassen Sie mich auch das sagen - , daß die Früchte des Abrüstungsprozesses auch uns, der Bundesrepublik, der Bundeswehr, zugute kommen, denn unsere Politik - auch das wurde schon gesagt - hat wesentlich zu den Erfolgen im Abrüstungsbereich beigetragen. Ich meine damit konkret, daß die Vereinbarungen zur Personalkürzung nicht nur für die beiden Großmächte greifen dürfen. Sicherlich ist die Überlegung richtig, daß die Westeuropäer mehr Verantwortung übernehmen sollen, denn die USA werden auf die Dauer sicher nicht die Hebamme Europas sein. Eine friedenserhaltende Präsenz der US-Streitkräfte bleibt dennoch zwingend notwendig. Das Bündnis, zu dem wir stehen, bildet die feste Grundlage zu dieser atlantischen Partnerschaft. Andererseits würde bei uns niemand Verständnis dafür aufbringen, wenn wir bei einem erfolgreichen Abschluß von Abrüstungsverhandlungen Stellvertreterposten übernehmen müßten, ohne an Reduzierungen der Potentiale beteiligt zu werden. Da müssen wir hellwach bleiben. Reduzierungen werden aber auch Auswirkungen auf die Zivilbediensteten der Bundeswehr, auf den Rüstungsbereich und auf das Verteidigungsministerium selbst haben. Hier ist das Verteidigungsministerium gefordert, Antworten darauf zu liefern, wie sich die Reduzierung der Zahl der Soldaten und die gesamte Abrüstung auswirken. Eines steht sicher fest: daß die Wehrverwaltung erst nach Klärung der Reduzierung des militärischen Umfangs als zweiter Schritt folgen kann. Aber auch die Auswirkungen auf den gesamten Rüstungsbereich sind von gravierender Bedeutung und müssen analysiert werden. Hier sind Wirtschaft, Kommunen, Dienstleistungsbereiche, Arbeitsplätze und viele Familien betroffen. Die Reservisten gewinnen zunehmend an Bedeutung. Von drei Heeressoldaten werden im Verteidigungsfall zwei Reservisten sein. Ausbildung und Führung durch Reservisten gilt deshalb besondere Aufmerksamkeit. Das Einberufungssystem muß flexibler werden. Statt 40 % eines wehrpflichtigen Jahrgangs müssen künftig 80 % aller Reservisten eingeplant werden. Selbstverständlich sollte sein, daß auch die persönlichen Belange der Zivilbediensteten bei der Realisierung des neuen Bundeswehrplans in gleicher Weise berücksichtigt werden wie die Soldaten, wie das auch sehr deutlich der Herr Verteidigungsminister gesagt hat. Es wird auch zu Eingriffen in die bestehenden Führungsstrukturen und in die Zahl der Verbände und Dienststellen kommen. Die Frage, ob tatsächlich so viele Kommandoebenen und Stäbe gebraucht wer14008 den, wie gegenwärtig vorhanden sind, stellt sich mit neuer Dringlichkeit. Ein Trugschluß wäre es aber, wenn man glaubte, daß es größere finanzielle Entlastungen durch die Abrüstung gibt. Deswegen ist es illusorisch, riesige Summen - bis zu 3 Milliarden DM - zu nennen, die gestrichen werden sollen. Auch Abrüstung kostet Geld, wenn man an die neu aufzubauenden Überwachungsorgane für den Abrüstungsprozeß und deren technische Ausstattung denkt, die zur Verifikation gebraucht werden. Auch der Umweltbereich stellt der Bundeswehr neue Aufgaben. Die Sowjets weisen schon heute in Wien auf die hohen Kosten z. B. der Abrüstung von Panzern hin. Dazu sollen 320 Mannstunden notwendig sein. Dabei ist ganz zu schweigen von der großen Zahl Soldaten, die auf den zivilen Arbeitsmarkt drängen und zum sozialen Sprengstoff in der Sowjetunion werden können. Auch für uns gilt: Eine kleinere Bundeswehr ist nicht unbedingt billiger, denn sie muß genauso modern sein wie eine größere. Wenn die Zahl aktiver Verbände abnimmt, werden die Aufwendungen für die Betreuung und Ausbildung der Reservisten und die Kosten für die Mobilmachungsvorbereitungen zwangsläufig größer. Zu Recht wird gesagt, daß die neue Entwicklung in den 90er Jahren die Bundeswehr von einer Präsenzarmee zu einer Mobilmachungs- und Ausbildungsarmee umformt. Das Heer wird dabei besonders reservistenabhängig werden. Für die Bundeswehr bedeutet neue Planung aber auch eine große Chance. Sie gibt die Möglichkeit, Ballast abzuwerfen und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wieder zu verbessern. Bedrohungslagen können sich ändern, sie können sich abschwächen oder überraschend auch wieder größer werden. Die künftige Struktur der Bundeswehr muß daher so angelegt sein, daß die Wiener VKSE-Ergebnisse implementiert werden können, ohne daß es deswegen erneut immer wieder zu Strukturänderungen kommt. Dies bedeutet harte und schwere Arbeit für die Militärs, damit ab 1992 der Friedensumfang reduziert und etwa 1996 die neuen Strukturen realisiert werden können. Gerade in der Sicherheitspolitik brauchen wir Kontinuität und Berechenbarkeit. Dem Hause liegt nun auch noch eine Entschließung der Koalitionsfraktionen vor, die die Bundesregierung auffordert, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die die längerfristigen Aufgabenstellungen, Entwicklungen und Probleme der Bundeswehr auf Grund der neuen Planung untersuchen soll. Damit soll ein ergänzender Beitrag geleistet werden, der als einer der Schwerpunkte die Auswirkungen der Veränderungen sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen auf die Weiterentwicklung der Verteidigungskonzepte in der Struktur der Gesamtverteidigung untersuchen und Alternativen skizzieren soll. Dies alles unterstreicht die Flexibilität dieser neuen Planung. Diese Debatte soll jedoch nicht vorübergehen, ohne auch parlamentarisch unseren Soldaten für ihren nicht immer leichten Dienst als Friedensarmee Lob und Dank zu zollen. ({7}) Die zivilen Bediensteten, aber auch die Familien sind hier einzubeziehen. Dank gebührt auch Ihnen, Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg, dem Generalinspekteur und allen, die mitgeholfen haben, zeitgerecht die Planungen auf den Tisch des Parlaments zu legen. Abrüstungsberichte, Ergebnisse der Wiener Verhandlungen und der politische Alltag mit dem fast stündlichen Jagen neuer Nachrichten werden auch künftig Grundlage für das Parlament sein, jeweils geeignete, aber auch realistische Entscheidungen zu treffen. ({8}) In einem ersten Schritt haben wir federführend im Bündnis die Abrüstungsvorstellungen auf die Schiene gebracht und Weichen auf dem Weg in die 90er Jahre gestellt. So wie die Bahn Fahrpläne wechselt, ohne die Streckenführung, Personal, Zugpaare oder gar den Sicherheitsstandard zu ändern, muß die Politik im Rahmen des aktuellen, aber vor allem realen Abrüstungsgeschehens auch in der Bundeswehrplanung stets Flexibilität demonstrieren, wenn im WarschauerPakt-Bereich die vielen Ankündigungen und Vorschläge in die Tat umgesetzt werden, was wir alle erhoffen. Die Standhaftigkeit unserer Sicherheitspolitik im Bündnis war jedenfalls bisher Garant für die Entwicklung in der Abrüstung. Dies läßt auch für die Zukunft hoffen. Herzlichen Dank. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({0}).

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß nicht in Ausschußsitzungen gehen, um etwas zu erfahren, was so wahnsinnig neu sein soll. Man muß nur manchmal Papiere lesen, die dann als inoffiziell und nicht ernst zu nehmen abgetan werden, z. B. der Antwortentwurf des IP-Stabes im Bundesministerium der Verteidigung, der damals bei der Entscheidung, auf W 18 zunächst zu verzichten, formuliert wurde. Damals hat der IP-Stab auf kritische Journalistenfragen Antwortvorschläge gemacht. Zu der Frage, wie es in der Bundeswehr in den 90er Jahren konkret weitergehen werde, stand dort, daß die Mannschaftsstärke der Bundeswehr, wenn W 15 beibehalten werde, auf 380 000 Soldaten sinken werde und daß sie, wenn W 18 wieder eingeführt würde, auf 405 000 Soldaten absinken werde. Das hat der IP-Stab damals vorgerechnet. Meine Damen und Herren, verehrter Herr Minister Stoltenberg, wenn man Ihre Regierungserklärung genau liest, und zwar auch zwischen den Zeilen, dann erkennt man, daß die Datenlage unverändert ist. Es gibt natürlich noch ein paar, die W 18 hochhalten, nicht nur ein Aktiver in der Arbeitsgruppe VerteiGerster ({0}) digung der Union, sondern auch andere. Ich möchte einen Leserbrief aus der „Süddeutschen Zeitung" von einem Dr. Manfred Wörner, Wäscherhof, 7321 Wäschenbeuren, erwähnen. In diesem Leserbrief des Lesers Wörner steht: Die Wehrdienstverlängerung erhielt Gesetzeskraft und war damit als Planungsgrundlage wohl nicht unrealistisch. - Also Wörner hält W 18 weiterhin hoch. Lieber Kollege Lowack, Sie stehen mit Ihrer Auffassung nicht allein. ({1}) Die Ungereimtheiten in der Koalition sind Ungereimtheiten, die nicht nur die Hardthöhe und das politische Bonn beschäftigen, es sind auch Ungereimtheiten, die tief in das Leben der betroffenen jungen Männer eingreifen, nämlich dort, wo es um die Einberufungspraxis der Bundeswehr geht. Hier haben wir ein Thema - ich will ein anderes zusätzlich nennen - , das in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt: Es ist die sogenannte Dritte-Söhne-Regelung. Die Koalition ist hin- und hergeeiert und hat sich schließlich unter dem erheblichen Druck von Betroffenen, aber auch von uns dazu durchgerungen, zu entscheiden: Wenn zwei Söhne bereits Wehr- oder Zivildienst abgeleistet haben, werden weitere künftig nicht einberufen. Es ist aber völlig offen, ob die armen jungen Staatsbürger, die seit ein paar Monaten ihren Dienst leisten, die ebenfalls dritte Söhne sind und nur in dieser kurzen Zwischenphase einberufen werden konnten - denn auch vorher galt die Dritte-Söhne-Regelung - , ob diese armen Schweine - lassen Sie es mich so offen sagen - nun freigelassen werden, zurückgestellt werden und ihren Dienst quittieren können. Deswegen haben wir heute einen Entschließungsantrag eingebracht, der es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleichtern soll, zu Potte zu kommen. Sie haben heute mit Datum 7. Dezember einen Entschließungsantrag nachgeschoben, wo Sie wiederum keine Entscheidung für diese Fälle treffen wollen, sondern vom Bundesministerium der Verteidigung eine Prüfung erwarten. Was soll denn das? Wozu einen Entschließungsantrag, wenn es um eine Prüfung geht? Ringen Sie sich doch einmal dazu durch, einem Entschließungsantrag von uns zuzustimmen, wenn Sie in der Sache einverstanden sind. Dann haben wir eine klare Situation. Es gibt noch eine andere Personengruppe, die in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt, wenn es um die Ungereimtheiten der Einberufungspraxis geht. Das sind die sogenannten lebensälteren Wehrpflichtigen, und zwar diejenigen, die sich nie auf eigenen Antrag haben zurückstellen lassen, zum Teil wegen Tauglichkeitsstufe 3 vor zehn Jahren nicht einberufen worden sind und nun mit 27 Jahren zum Teil geholt werden, aus einem, ich sage: fast zynischen, technokratischen Betrachten dieses Überhangs, den man von oben abschmelzen will, damit man immer noch schön Reserven von Wehrpflichtigen hat, die man in den Folgejahren einberufen kann. Wenn man Männer, die mit 18, 19 Jahren gemustert worden sind, die dann wegen einer geringen Tauglichkeitsstufe nicht einberufen worden sind, die gar nicht mehr damit rechnen konnten, einberufen zu werden, die sich auch selbst nie um Zurückstellung bemüht haben, nun nach zehn Jahren plötzlich greift, dann ist das ein schlimmer Umgang mit der Lebensplanung junger Menschen. ({2}) Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf die Einberufung dieser lebensälteren - wie das so schön heißt - jungen Männer. ({3}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Eiern in der Koalition betrifft nicht nur die Einberufungspraxis, sondern auch die Wehrstrukturkommission. Ich will nicht alle Stationen aufzählen - das wäre zu unerfreulich und auch nicht ergiebig - , aber ich will doch zumindest erwähnen, mit welcher Begründung Sie, Herr Kollege Ronneburger, in der Verteidigungsausschußsitzung vor wenigen Wochen unseren Antrag abgelehnt haben. Sie haben gesagt: Wir, die FDP - damals war es noch nicht Koalitionsmeinung, eine wie auch immer geartete Kommission einzuberufen - , wollen keine Wehrstrukturkommission, sondern eine Verteidigungsstrukturkommission; und das ist ja etwas völlig anderes. ({4}) Gestern lag zu nächtlicher Stunde plötzlich eine Vorlage auf dem Tisch des Verteidigungsausschusses. Wir waren gespannt, was uns da zur Strukturkommission vorgelegt werden würde. Wenn man diese Vorlage genau liest, dann entnimmt man daraus folgendes: Es geht um die Überprüfung der Bundeswehrplanung. Diese ist durch den Bundesminister der Verteidigung vorgenommen worden. Die Überprüfung der Bundeswehrplanung ist von der Bundesregierung billigend zur Kenntnis genommen worden. Diese neue Streitkräftestruktur soll die Verteidigungsfähigkeit langfristig sichern. Das ist der Teil des politischen Handelns, der aus Ihrer Sicht stattgefunden hat. Nun fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, eine unabhängige Kommission einzuberufen, die längerfristige Aufgabenstellungen, Entwicklungen und Probleme der Bundeswehr - wohlgemerkt: auf Grund der neuen Bundeswehrplanung - untersuchen soll. Mit anderen Worten: Die Struktur steht fest; und jetzt reden wir einmal über Themen, die man z. B. im staatsbürgerlichen Unterricht behandelt, wie „Bundeswehr in Staat und Gesellschaft" , „Motivation und Attraktivität des Dienstes" und anderes mehr. Es geht in dieser sogenannten unabhängigen Kommission um alles; es geht nur nicht um die Struktur der Bundeswehr. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, mag ein Kompromiß sein, der von den beiden Fraktionen in der Koalition getragen wird, aber er ist, wenn man genau hinschaut, schlicht lächerlich. Sie können nicht den Anspruch erheben, daß das von uns ernst genommen wird. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, ja.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Gerster, da Sie dem Bundesverteidigungsminister heute morgen offenbar nicht sehr aufmerksam zugehört haben, ({0}) frage ich Sie, ob Sie bemerkt haben, daß der Bundesverteidigungsminister gesagt hat „Probleme der Bundeswehr vor dem Hintergrund der neuen Bundeswehrplanung" - so wörtlich in seiner Rede heute morgen? Ich frage Sie im übrigen: Auf Grund oder vor welchem Hintergrund, wenn nicht dem der gegenwärtigen Bundeswehrplanung soll eigentlich eine solche Kommission arbeiten?

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege Ronneburger, ob Sie jetzt sagen „auf Grund" oder „vor dem Hintergrund", in beiden Fällen ist die Konstante die Bundeswehrplanung, ({0}) und die Variable ist das, was hier beraten werden soll, nämlich Akzeptanz des Wehrdienstes und Aufgabe der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft und ähnliches mehr. Es geht also nicht mehr um die Struktur. Das haben Sie nicht widerlegt, und das können Sie auch nicht widerlegen. Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie müssen auch dem Beirat „innere Führung" klarmachen, wofür er eigentlich noch da ist, wenn Sie eine Kommission einberufen, die genau diese Aufgaben hat. Wir bedauern aufs tiefste, daß Sie heute in der Regierungserklärung über vieles gesprochen haben, was mit der Struktur der Bundeswehr zu tun hat, daß Sie aber sehr wenig auf die Auswirkungen der Bundeswehr dort eingegangen sind, wo sie in das Leben der Menschen eingreift, und das ist der Wehrdienst, den wir als Pflichtwehrdienst unseren jungen Männern zumuten und von ihnen verlangen. Herr Kollege und Verteidigungsminister Stoltenberg, Sie haben die Akzeptanzprobleme der Bundeswehr in einer, wie ich finde, bezeichnenden Weise verkürzt, indem Sie von den Wettbewerbsproblemen gesprochen haben, davon, daß auf Grund der erfreulichen Konjunktur der Wettbewerb um die jungen Menschen zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst uns dazu zwingt, zusätzliche Attraktivitätssteigerungen für den Wehrdienst einzubauen, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können. Ich meine, wenn wir uns z. B. in dieser Kommission mit der staatsbürgerlichen Seite des Wehrdienstes befassen wollen, mit der ethischen Seite, dann müssen wir über den Akzeptanzverlust des Wehrdienstes sprechen, der weit mehr und weit größere Dimensionen hat, als das nur für die Personalrekrutierung der Bundeswehr aufgezeigt werden kann. Unverändert sagen alle empirischen Daten, daß junge Männer, die unwillig zur Bundeswehr kommen - es sind auf eigenen Entschluß auch weniger als vorher, die Verweigererquote steigt weiter, und sie war noch nie so hoch wie zur Zeit, wie in Ihrer Regierungs zeit - , dann, wenn sie den Wehrdienst hinter sich haben, noch enttäuschter sind als zu Beginn ihres Wehrdienstes. ({1}) Unverändert belegen empirische, sozialwissenschaftliche Untersuchungen, daß sich die jungen Männer über unsinnige Befehle, über Herumkommandieren, über Langeweile, über sinnloses Vertun der Zeit und anderes mehr beklagen. Das zeigt, daß das, was wir eine sinnvolle, fordernde Dienstgestaltung nennen und was Sie heute in der Debatte auch erwähnt haben, tatsächlich nur sehr unzureichend stattfindet und daß vor allen Dingen die militärischen Vorgesetzten dafür sehr wenig Führungshilfen seitens der Hardthöhe bekommen. Meine Damen und Herren, ob wir nun verfassungsrechtlich damit einverstanden sind oder nicht, es gibt auf Grund der Ausfüllung des Grundgesetzes, wie wir sie seit Jahren kennen, ein De-facto-Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Zivildienst. Ich sage Ihnen: Wenn wir uns damit abfinden wollen - wir müssen das, und wir bejahen das -, dann muß die Bundeswehr um junge Männer werben. Ich gehe so weit, zu sagen: Die Bundeswehr muß so attraktiv werden, nicht daß es Spaß macht, Soldat zu sein - das sage ich nicht - , sondern daß junge Männer, die prinzipiell ja zur Landesverteidigung sagen - das ist immer noch die überwiegende Mehrheit - , in ihrem persönlichen Beitrag zur Landesverteidigung einen Sinn sehen und diesen Sinn im täglichen Dienst erleben können. Genau da fehlt es in der Alltagserfahrung der Wehrpflichtigen in der Bundeswehr. ({2}) Zu dieser Sinnerfüllung trägt auch nicht bei, was Sie durch die Einberufungspraxis mit der Lebensplanung junger Menschen anrichten. Allein durch das ständige Hin und Her zwischen W 18 und W 15 und durch das ständige Hin und Her der Einberufung bestimmter Personengruppen machen Sie hier sehr viel Vertrauen kaputt, daß Sie gar nicht mehr reparieren können. Wir müssen uns angewöhnen, unabhängig von einer Bedrohungssituation, die immer nur politisch und militärstrategisch beurteilt werden kann, es zum Prinzip zu machen, daß wir im Rahmen der Wehrpflicht junge Männer nur noch so lange in der Bundeswehr festhalten, wie wir sinnvoll mit ihnen umgehen können, wie wir ihnen einen sinnvollen Auftrag geben können. Das würde bedeuten, eine Wehrstrukturkommission auch mit Aufgaben zu betrauen, die ein bißchen weitergehen als nur die Status-quo-Fortschreibung. Zum Beispiel dort, wo wir junge Wehrpflichtige nicht qualitativ hochwertig technisch ausbilden können, wo wir also mit der Ausbildung relativ schnell fertig sind, in der Infanterie, bei den Sperrbrigaden, bei den Sicherungssoldaten im rückwärtigen Raum, aber z. B. auch bei Panzergrenadieren, sollten wir prüfen, ob wir nicht im Rahmen einer gespaltenen Wehrpflicht diese jungen Männer nach einigen Monaten nach Hause schicken und sie dann in Form einer Gerster ({3}) milizähnlichen längerfristigen Verpflichtung jährlich ein-, zweimal in die Truppe zurückholen. ({4}) Ich sage nicht, daß wir das so machen können und daß das sozusagen mit einem Federstrich organisiert werden kann, aber diese Empfehlung, die damals 1972 eine Wehrstrukturkommission bereits gegeben hat, nämlich Truppenversuche zu machen, auszuprobieren, ob es wirklich geht, ist bis heute nicht auf gegriffen worden. Sie könnte und müßte heute aufgegriffen werden. Es wäre ein Beitrag zur sinnvollen Dienstgestaltung und zur Sinnerfüllung im Wehrdienst, daß wir den Wehrdienst so verkürzen, daß er nur dort 12 oder 15 Monate dauert - wir sind auf längere Sicht für 12 Monate -, wo wir diese 12 Monate sinnvoll ausfüllen können. Wo das nicht geht, soll man die Leute nach Hause schicken und regelmäßig zurückholen, ({5}) aber dafür im Gegenzug auf die als Reservisten verzichten, denen wir jetzt zumuten wollen, zusätzlich zu einer relativ langen Grundwehrdienstdauer von 15 oder - das ist immer noch nicht ausgeschlossen -18 Monaten, jahrelang in zweiwöchigen Wehrübungen zur Truppe zurückzukehren. Sie wissen genau, wie hoch die Ausfallquote ist, und Sie wissen genau, wie hoch die Unzufriedenheit bei den Betroffenen ist. Die werden wir damit nicht zu Multiplikatoren der Bundeswehr und der Landesverteidigung machen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns angewöhnen, in einem Zeitalter, wo sich so viel verändert und wo so sehr viel neu gedacht werden muß, umzudenken. Was denken wir z. B. im Rahmen einer Konföderation oder eines Deutschen Bundes über die Vorneverteidigung? Soll auf Dauer die Vorneverteidigung mitten durch den Deutschen Bund gehen? Soll auf Dauer die NATO den Feind sozusagen innerhalb dieses Deutschen Bundes definieren? Wie soll das alles weitergehen? Hier ist doch sehr viel offen. Wir müssen uns diese Offenheit auch angewöhnen, wo es um die Wehrstruktur geht. Ich bin verblüfft zu sehen und zu lesen - wie viele von Ihnen auch -, daß hochkarätige Bundeswehrgenerale, meistens erst, wenn sie pensioniert sind, wie z. B. Günther Kießling, sehr viel mehr Fähigkeit zum Querdenken haben als all die Planer auf der Hardthöhe. Günther Kießling hat eine gesamtdeutsche Armee von 300 000 Soldaten vorgeschlagen, ({6}) die nur diejenigen zwölf Monate festhält, mit denen sie etwas anfangen kann, ({7}) und die anderen Soldaten nach einem Grundwehrdienst nach Hause schickt und dann als Miliz mit der heimatnahen Landesverteidigung betraut. ({8}) - Ich halte das für sehr interessant. Ich wäre für eine Wehrstrukturkommission, lieber Paul Breuer, in der das genau untersucht wird. Da sind wir ergebnisoffen, und das möchten wir gerne mitmachen. ({9}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, den jungen Menschen in unserem Land - auch den Frauen übrigens - , die Multiplikatoren in der öffentlichen Meinung sind, wird immer schwieriger zu vermitteln sein, daß zur Kriegsverhinderung eine Präsenzarmee notwendig ist, für die wir unseren jungen Männern in den besten Jahren ihres Lebens einen Dienst abfordern, dessen Sinnhaftigkeit schwer zu erkennen ist. Deswegen arbeiten wir mit und arbeiten wir zusammen an einem Umbau der Bundeswehr, der über unvermeidliche Anpassungen deutlich hinausgeht und die Zukunft der Friedenssicherung in einem Europa der Zukunft erkennen läßt. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute diskutieren wir über die - ohne jeden Zweifel - größte Veränderung der Bundeswehr seit ihrem Bestehen. ({0}) Die Bundeswehr wird im kommenden Jahrzehnt ihr Gesicht stärker verändern als in den vergangenen drei Jahrzehnten. Meine Damen und Herren, es sind klare Vorgaben, die hier vom Bundesverteidigungsministerium gegeben werden, ({1}) klare Vorgaben, die einerseits deutlich machen, wohin die Reise gehen soll, die andererseits aber Zahlen nicht zum Dogma erklären, sondern nach wie vor Flexibilität offenbaren, um internationalen Entwicklungsprozessen Rechnung tragen zu können. Was mehr kann man eigentlich verlangen? Ich denke, wenn man die Art und Weise beobachtet, wie die Opposition, insbesondere die SPD-Opposition, nicht nur heute morgen, sondern in den letzten Wochen damit umgeht, kann man das Ganze nur als kümmerlich und hilflos bezeichen. Herr Kollege Gerster hat hier von Ungereimtheiten gesprochen. Ich möchte ihn einmal fragen, welche Ungereimtheiten eigentlich in der SPD seit Wochen, ja seit Monaten diesbezüglich vorhanden sind. Da fordert Frau Matthäus-Maier im Zusammenhang mit ihrem Programm „Fortschritt 90" - oder „Rückschritt 50" -, zehn Milliarden DM bei der Bundeswehr zu sparen. Da sagt Herr Kollege Horn, das sei nicht möglich, das sei Quatsch. Er hat es in der öffentlichen Diskussion gesagt. Das gehe überhaupt nicht. Heute stellt er sich hier hin und sagt, einerseits sei das, was gemacht werde, zu wenig, andererseits für die Soldaten zu viel. Da kommt Herr Kollege von Bü14012 low hierher, erzählt von der Offensivkraft der Bundeswehr. Ich frage mich, wo der überhaupt in der Vergangenheit Verantwortung getragen hat. Es ist alles völlig verworren. Der letzte Redner war Kollege Gerster. Wir haben bis jetzt nicht gehört, welche Stärke nach Ihrer Meinung die Bundeswehr haben soll und was sie denn auf Dauer kosten darf.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Breuer, würden Sie mir zugeben, daß ich dies in einer differenzierteren Weise dargelegt habe, daß nämlich der Bundeswehrhaushalt kein Steinbruch ist, daß man die Ausgaben nur einmal tätigen kann und die Abrüstungsgewinne nicht beliebig verteilt werden können? Ich habe dieses Sammelsurium als Quatsch bezeichnet.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Horn, es ist richtig, daß Sie das Sammelsurium als Quatsch bezeichnet haben. Es ist aber auch richtig, daß Sie die Vorstellungen, in einer derartigen Weise in den Verteidigungshaushalt einzugreifen, als unsinnig bezeichnet haben. Insofern bedanke ich mich für die Fragestellung, die es mir ermöglicht, das differenzierter darzustellen. ({0}) Zu Herrn Kollegen Horn möchte ich dann noch etwas nachlegen. Wenn ich Ihre Rede noch einmal verfolge, dann meine ich: Es ist eine ausgesprochene Doppelstrategie, die Sie verfolgen. ({1}) Sie wollen einerseits die Sympathie der Soldaten behalten, die natürlich hinsichtlich der großen Veränderungen die im kommenden Jahrzehnt auf sie zukommen, Befürchtungen haben. Sie wollen andererseits aber die Sympathie in der Öffentlichkeit behalten, in einer Öffentlichkeit, die große Abrüstungserwartungen hat. ({2}) Sie wollen einerseits den Soldaten Sicherheit geben, obwohl heute Ihre Kollegen fordern, die Bundeswehr fast bis auf die Hälfte zusammenzustreichen, und das ohne Daten und Fakten im internationalen Abrüstungsprozeß. Sie wollen andererseits der Öffentlichkeit sagen: Wir wissen genau, wie sich das entwickelt. Eure Abrüstungserwartungen können in vollem Umfange erfüllt werden. - Das ist nicht seriös, Herr Kollege Horn. ({3}) - Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie gestatten ihm noch eine Zwischenfrage? - Bitte schön.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Breuer, würden Sie zugeben, daß ich vorhin sehr klar ausgeführt habe: Wir kritisieren nicht die Reduzierungen; wir kritisieren aber, daß fünf Jahre an Planungszeit verplempert wurden und damit die Betroffenen in erhebliche Schwierigkeiten kommen?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Horn, das ist auch nicht logisch, was Sie hier sagen. Sie machen einerseits den Vorwurf, daß das, was jetzt gemacht werden müsse, noch sehr viel konsequenter, noch sehr viel schneller gemacht werden muß, als es eigentlich vorgeschlagen wird. Anders kann ich die Rede des Herrn Kollegen von Bülow gar nicht verstehen. Andererseits machen Sie den Vorwurf, daß man über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg auf der Basis alter Fakten weitergeplant hat. Es geht entweder das eine oder das andere. ({0}) Entweder muß man versuchen, auf der Basis der jeweils gültigen und geltenden Fakten Planungssicherheit zu schaffen, oder man muß sich in einen Prozeß begeben, der sich dann selbst überholt. Um auf den Vorschlag des Bundesverteidigungsministers zurückzukommen: Ich bin davon überzeugt, daß er einerseits die Möglichkeit der Planungssicherheit auf der Basis seriöser Zahlen bietet, daß er andererseits aber so viel Dynamik in sich trägt - weil wir uns nicht auf eine klare Zahl über den ersten oder den zweiten Schritt des Abrüstungsprozesses hinaus festlegen - , daß wir der internationalen Lage gerecht werden. Die Zielrichtung ist klar. Es geht darum, die Kooperation zwischen Ost und West zu verbessern. ({1}) Das bestreitet niemand hier im Hause. Es geht darum, diese Kooperation zu verbessern, um die Teilung Europas und die deutsche Teilung zu überwinden. Es geht darum, Kräfte freizusetzen, um den Menschen in Ost- und Mitteleuorpa Entwicklungschancen und Wohlstand zu ermöglichen. Um das hier zu sagen: Das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West ist nicht sicherheitsdienlich gewesen; es ist ein Sicherheitsrisiko. Es geht darum, dieses Sicherheitsrisiko auf Dauer auszuschließen. Es geht darum, meine Damen und Herren, Kräfte und Mittel freizusetzen, um in Entwicklungsländern und weltweit die drängenden Probleme der Menschheit zu lösen. ({2}) Es geht nicht nur darum, meine Damen und Herren, Mittel aus dem Verteidigungshaushalt direkt in andere Haushalte umzuleiten. Es geht vor allen Dingen auch darum, auf der Basis einer neugewonnenen Friedensordnung in Europa Mittel, Kräfte in den Menschen freizusetzen, die dazu in der Lage sind, mit einer erhöhten Produktivität an die eigenen Probleme, aber auch an die Probleme anderer Menschen in der Welt heranzugehen. Das, was in Wien verhandelt wird, ist nur vordergründig eine Verhandlung über die Zahl der Panzer, die Zahl der Flugzeuge oder die Zahl der Artilleriesysteme, es ist im Hintergrund die Verhandlung über eine neue Friedensordnung in Europa, die so viel Kreativität, so viel Rentabilität freisetzen kann, daß nicht nur Europa seine Probleme meistern kann, sondern die Europäer mit dazu beitragen können, die drängenden Probleme in der Welt zu lösen. ({3}) Es geht darum, danach zu fragen, welchen Beitrag wir Deutschen zu welchem Zeitpunkt leisten können. Wie groß wird er sein und zu welchem Zeitpunkt richtig? Ich denke, daß der Vorschlag des Bundesverteidigungsministers genau in die Landschaft paßt. Einerseits entspricht er den allgemeinen Abrüstungserwartungen. Hier muß eingeräumt werden, daß sie natürlich zum Teil über das hinausgehen, was vorgeschlagen ist; aber wir sagen ganz klar, daß mehr möglich ist, wenn der internationale Entwicklungsprozeß es zuläßt. Wir binden die Abrüstungsverhandlungen in Wien ausdrücklich mit ein. ({4}) Es geht zum zweiten darum, daß die finanziellen und personellen Ressourcen unserer Volkswirtschaft berücksichtigt werden. Es geht nicht nur, meine Damen und Herren, um die finanziellen und personellen Ressourcen eines Bundeshaushaltes, es geht um die finanziellen und personellen Ressourcen unserer gesamten Volkswirtschaft. Es geht darum, die Antwort darauf zu geben: Wieviel Finanzmittel sind notwendig, um Verteidigungsbereitschaft zu sichern, um die Moral, die vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, mit einer kontrollierten Macht im Äußeren auszustatten? Die Legitimation der Bundeswehr ist dadurch gegeben, daß sie einerseits die Souveränität, die äußere Sicherheit unseres Landes sichert, andererseits aber die Bundesrepublik Deutschland zu einem international anerkannten Verhandlungspartner im westlichen Bündnis und darüber hinaus macht. Ich weiß nicht, von wem das Wort stammt, das ich jetzt zitiere, aber es ist ein kluges Wort: „Macht ohne Moral ist verbrecherisch, Moral ohne Macht ist hilflos." Es geht darum, der Moral des Grundgesetzes, der Moral der westlichen Demokratien die angemessene Macht zu schaffen, die notwendig ist, um Sicherheit für uns, aber auch für die anderen Beteiligten um uns herum, für die Nachbarn und darüber hinaus, zu sichern und zu beschützen. Meine Damen und Herren, wer für die Zukunft sorgen will, so sagte der französische Moralist Joseph Joubert, muß die Vergangenheit mit Ehrfurcht und die Gegenwart mit Mißtrauen aufnehmen. Ich denke, daß es darum geht, das richtige Maß des Mißtrauens in die Gegenwart zu finden. Es muß darum gehen, sich davor zu schützen, in Euphorie zu verfallen. Es muß aber auch darum gehen, so flexibel im eigenen Denken und im Erkennen der Zukunft zu sein, daß Zukunftschancen gewahrt werden. Dies muß in der Sicherheitspolitik so gemacht werden, daß möglichst wenige Risiken übernommen werden. Sicherheitspolitik - der Bundesverteidigungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg hat dies in seiner Rede deutlich gemacht - ist kein tagespolitisches Klein-Klein. Sicherheitspolitik hat sich an langfristigen Möglichkeiten und Perspektiven zu orientieren. Sie muß Chancen und Risiken ausloten. Zielsetzung der Sicherheitspolitik ist es, Risiken so weit wie nur irgend möglich zu verhindern, auszuschließen. Niemand von uns hätte den schnellen Entwicklungsprozeß im Verfall des Machtanspruchs der kommunistischen Parteien in Ost- und Mitteleuropa als so drastisch vorausgeahnt, weder Sie noch irgend jemand sonst in der Bundesrepublik Deutschland. Wir, die CDU/CSU, waren davon überzeugt - auch andere waren davon überzeugt - , daß dieser Machtanspruch auf Dauer verfallen würde, daß der Kommunismus sich selbst kaputtmacht. Aber niemand hat geglaubt, daß dies in derart schneller, rasanter und drastischer Art und Weise gehen würde. ({5}) Niemand kann aber heute vorausahnen, meine Damen und Herren, in welcher Art und Weise der Entwicklungsprozeß in Europa, in Ost- und Mitteleuropa, weitergeht. Daß Destabilisierungen vorhanden sind, das ist offensichtlich. Es sind zum Teil Machtvakuen entstanden. Wir alle hoffen, daß in diese Machtvakuen die Kräfte der Demokratie, die Kräfte einer verfaßten Demokratie mit Gewaltenteilung und mit Rechtsstaatlichkeit, hineinstoßen können; aber garantieren, meine Damen und Herren, kann das niemand von uns. Wenn wir es ehrlich zugeben: Die Art und die Größe der Machtmittel, die wir dafür besitzen, ist begrenzt. ({6}) - Es ist auch gut, daß sie begrenzt sind; da stimme ich Ihnen zu. Im übrigen wollen wir ja dort nicht einwirken. Natürlich wollen wir durch die Kraft der Rede, durch die Kraft der Überzeugung, durch die Beteiligung am Diskussionsprozeß oder auch am Abrüstungsprozeß einwirken. ({7}) Aber jetzt aus der Hüfte heraus in diesem Abrüstungsprozeß zu Entwicklungen zu kommen, die Unsicherheiten schaffen und die der Bundesrepublik Deutschland die Berechenbarkeit nehmen, das wäre mit Sicherheit verkehrt. ({8}) Meine Damen und Herren, um die Abrüstung noch einmal von ihrem Initialpunkt aus genau zu kennzeichnen: Versuchen wir, uns einmal vorzustellen, die Bundesrepublik Deutschland hätte ihre bereits durch Helmut Schmidt eingegangene Verpflichtung zur Einlösung des zweiten Teils des NATO-Doppelbeschlusses nicht erfüllt! ({9}) - Ich weiß, daß Ihnen diese Fragestellung unangenehm ist; ({10}) aber ich kann sie Ihnen trotzdem nicht ersparen. Wenn der zweite Teil des NATO-Doppelbeschlusses durch die Bundesrepublik Deutschland nicht eingelöst worden wäre, ({11}) dann würde die Bundesrepublik Deutschland heute nicht nur im westlichen Bündnis, sondern auch darüber hinaus als unberechenbarer Partner, wenn überhaupt noch als Partner, gelten, ({12}) und wir hätten keine Chancen, beispielsweise die Frage der Herbeiführung der deutschen Einheit so zu diskutieren, wie wir es heute können, meine Damen und Herren. ({13}) Die Sozialdemokratie hat damals, hochgeschätzter Kollege Florian Gerster, versagt. Sie hat die historischen Chancen nicht erkannt. Aber mir geht es nicht darum, hier aufzurechnen. ({14}) Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß wir uns auch heute um Berechenbarkeit sowohl bei unseren Partnern im Bündnis, als auch bei den neuen Partnern bemühen müssen, mit denen wir in Ost- und Mitteleuropa zusammen mit unseren Bündnispartnern verhandeln wollen und in eine neue Form der Kooperation eintreten wollen. ({15}) - Ich bin davon überzeugt, Frau Kollegin, daß diese Vorstellungen wie in der Vergangenheit, weil berechenbar, klar, aber auch flexibel, auch die Zukunft bestimmen werden. Nicht die Unberechenbarkeit der Hüftschüsse wird uns zum Erfolg bringen, sondern eine berechenbare Politik, die im Bündnis abgestimmt ist. Es hat überhaupt noch niemand danach gefragt, wie denn die anderen Bündnispartner hinsichtlich des zahlenmäßigen Zuschnitts ihrer Streitkräfte in den kommenden Jahren verfahren werden. Was wissen wir heute darüber? ({16}) Eines steht fest, meine Damen und Herren: Im westlichen Bündnis ist die Bundesrepublik Deutschland das erste Partnerland, das klar sagt, wohin in den kommenden zehn Jahren die Reise gehen soll. ({17}) Der Bundesverteidigungsminister ist der erste Verteidigungsminister, der in einer derartigen Art und Weise Vorschläge macht. Wenn man Ihre Debattenbeiträge hier verfolgt, hat man fast den Eindruck, er sei der letzte Verteidigungsminister, ({18}) der den Vorschlag hier einbringt. Er ist der erste, der ihn einbringt. ({19}) - Ja, Ihre Zwischenrufe allerdings, die sind das allerletzte. Das stelle ich fest. Das allerletzte! ({20}) - Das ist ein Niveau, das dem Gewicht dessen, was zu debattieren ist, nicht gerecht wird. ({21}) Ein zweiter Gedanke dazu. Wenn der amerikanische Verteidigungsminister heute nicht ausschließt, daß die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte in Europa in einer Größenordnung von 200 000, also zwei Dritteln des heutigen Bestands, zurückgefahren wird, dann ist für uns nicht absehbar, in welcher Größenordnung der Beitrag der Europäer zur europäischen Sicherheit innerhalb des westlichen Bündnisses sein muß. Wir können unseren Beitrag, den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, heute noch nicht quantifizieren. Ich denke, daß auch das dazu veranlaßt, vernünftig zu sein und Entwicklungsprozesse genau auszuloten, um dann die richtigen Antworten geben zu können. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie haben nur noch sehr wenig Zeit.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bevor ich zum Schluß komme, will ich die Zwischenfrage gern noch zulassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es ist so, daß ich es eigentlich abstoppen müßte. Wissen Sie, Sie haben nur noch sehr, sehr kurze Zeit, und Sie haben schon eine im Verhältnis zu anderen Kollegen ganz schöne Redezeit gehabt. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. - Ich bin der Meinung, wir sind auf dem richtigen Weg. ({0}) Auf diesem Weg werden wir gewährleisten können, daß die Bundesrepublik Deutschland und unsere Bundeswehr ihren Beitrag im Abrüstungsprozeß in Europa, in der Sicherung des Friedens und in der Schaffung neuer Kooperationsmöglichkeiten in Europa über die Bündnisgrenzen hinweg leisten können. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Vor unseren Augen vollzieht sich in atemraubender Geschwindigkeit ein welthistorischer Umbruch. Die beiden Supermächte haben ein neues Verhältnis der Kooperation gefunden. Sie bereiten bahnbrechende Abrüstungsvorschläge und -verträge vor und denken sogar daran, ihre Truppen um Hunderttausende zu reduzieren und aus Europa abzuziehen. Die Rüstungsausgaben sollen allein in den Vereinigten Staaten um 180 Milliarden in den nächsten Jahren gesenkt werden. Wir sind Zeugen einer friedlichen und demokratischen Revolution in der DDR und in Osteuropa, die jahrzehntealte Feindbilder in Wochen entwertet. ({0}) Es ist wahr, was Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow in Malta gemeinsam festgestellt haben: Der Kalte Krieg ist vorbei. In dieser Zeit legt die Bundesregierung ein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr vor, das keine eigenen Ziele hat, keine Perspektive für die europäische Abrüstung aufweist, sondern allein Reaktion auf die blanke Not ist. ({1}) Weil das Geld fehlt und die Wehrpflichtigen fehlen und weil inzwischen auch in der Union der letzte eingesehen hat - vielleicht mit Ihrer Ausnahme, Herr Lowack - , daß 18 Monate Wehrdienst unter den heutigen Bedingungen lächerlich sind, soll der Bundeswehr-Umfang auf 420 000 sinken. Nach dem Motto „Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern" wird dabei alles vergessen, ({2}) was noch vor einem halben Jahr, Herr Biehle, zu den geheiligten Dogmen der Bundesregierung gehörte. ({3}) Noch im Frühjahr dieses Jahres hieß es: Unterhalb von 450 000 Soldaten, dem sogenannten operativen Minimum - wir haben Erfahrung mit dem Begriff „operatives Minimum" bei diesen Verteidigungsministern; auch in anderen Zusammenhängen -, ({4}) würden die Verteidigung und die NATO-Strategie der „Flexiblen Antwort" zusammenbrechen. Mittlerweile gilt das nicht mehr. Aber nicht neues Denken, sondern die Not, „Ressourcen" genannt, stand hier Pate. Weil nicht grundsätzlich umgedacht wird, sind auch die nächsten Fehlleistungen programmiert. Der Verteidigungsminister erklärte dem Ausschuß in der ersten Unterrichtung - in der wir unter „Vertraulich" über das unterrichtet wurden, was schon viel ausführlicher in der Zeitung gestanden hatte - wörtlich, er wolle die Strukturen so anlegen, daß sie an VKSE anpaßbar seien, ohne die Strukturen völlig ändern zu müssen. ({5}) Wer so etwas sagt, Herr Ronneburger, der betrügt sich selbst und der betrügt die Öffentlichkeit. ({6}) Er gibt den Soldaten und der Bundeswehr einen Auftrag, den sie nicht erfüllen können. ({7}) Drastische Reduzierungen der Streitkräfte in Europa, wie sie jetzt möglich werden, und erst recht eine Beseitigung der Angriffsfähigkeit verlangen eine neue Strategie und eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Verteidigungsstrukturen. ({8}) Wer das nicht begreift, wer damit nicht schon heute beginnt, der legt schon jetzt den Keim für die Bundeswehrkrise der 90er Jahre. Wer heute immer noch zögert, der ist der welthistorischen neuen Situation einfach nicht gewachsen. Jetzt kommt es darauf an, weitreichende Ziele abzustecken, eine Perspektive für das Jahr 2000, anstatt sich aus Geldmangel und Personalnot von einer Halbheit zur anderen durchzuwursteln. In Wien wird es im nächsten Jahr ein erstes Ergebnis geben. Danach muß so schnell wie möglich weiterverhandelt werden, ohne Vorwände für Verzögerungen. Wo, Herr Minister, ist Ihr Konzept für die zweite Phase? Wir Sozialdemokraten wollen, daß sich Wien II die 50%ige Reduzierung aller Streitkräfte in Europa zum Ziel setzt. Das heißt, am Ende wird die Bundeswehr nur noch etwa 240 000 - nach dem heutigen Stand die Hälfte - Soldaten haben. So selbständig wie Herr Stoltenberg, der den Umfang der Bundeswehr um ca. 50 000 Soldaten senkt, ohne die Verbündeten zu fragen und ohne daß dies in Wien Gegenstand von Verhandlungen wäre, so selbständig sind wir auch. Wie die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion können auch wir einseitige Schritte machen und die Abrüstung beschleunigen. Wir wollen die Dauer des Grundwehrdienstes sofort auf zwölf Monate absenken ({9}) und dann eine vernünftige Ausgestaltung des Wehrdienstes haben, wie das mein Kollege eben schon gesagt hat. ({10}) Wir wollen einen Stufenplan, um parallel zum Wiener Prozeß gegen Ende des kommenden Jahrzehnts ungefähr 240 000 Soldaten zu erreichen. Ich kann mir sogar vorstellen - denn die Entwicklungen, die jetzt laufen, sind nicht vorhersehbar -, daß es nach dem Jahre 2000 noch weniger sein werden. ({11}) Frau Fuchs ({12}) Damit markieren wir ein Ziel, für das wir schon heute die Strukturen vorbereiten müssen. Diese Struktur muß nicht nur an den Abrüstungsprozeß anpaßbar sein, sie muß ihn beschleunigen, und sie muß auch dann noch Bestand haben, wenn alliierte Truppen schneller als erwartet abziehen. Wir bereiten das vor. ({13}) Ich kenne Überlegungen auf der Hardthöhe, für die Zukunft eine kleine, bewegliche High-tech-Truppe mit hoher Schlagkraft zu haben. Das ist der falsche Weg. Wir wollen weg von den beweglichen Verbänden und hin zu mehr statischen Strukturen, die zwar sperren und halten, aber nicht weiträumig angreifen können. Das ist kein Abstrich an der Vorneverteidigung oder der Verteidigungsfähigkeit, im Gegenteil. Wir werden bündnisintegrierte Strukturen schaffen, die den Namen Vorneverteidigung erst wirklich verdienen, allerdings strikt defensive. ({14}) Weitreichende Offensivsysteme haben in dieser Struktur keinen Platz. Das gilt für das Heer. Das gilt aber auch für die Marine und die Luftwaffe. Keine Raketen mit Reichweiten von über 40 km, keine Jagdbomber, keine weitreichenden Abstandswaffen! So utopisch das heute in manchen Ohren klingen mag: Zur Erlangung von Angriffsunfähigkeit ist das logisch notwendig. ({15}) Etwas muß ich doch einmal ansprechen. Wenn sich die westlichen Vorschläge durchsetzen - die Wahrscheinlichkeit spricht sehr dafür - , dann wird es nach dem ersten Wiener Abkommen eine zweite Staffel des Warschauer Vertrages im heutigen Sinne nicht mehr geben. Damit entfällt die Begründung für alle Varianten von tiefeindringenden Waffensystemen. ({16}) Damit entfällt die Begründung von FOFA. Damit können dann auch die dafür bestimmten Jagdbomber und Raketen abgebaut werden. Ich kann nur davor warnen, jetzt, weil FOFA der Boden entzogen wird, Ersatzbegründungen dafür zu erfinden, um sozusagen an liebgewordenen tiefgreifenden Angriffsoptionen festhalten zu können. Ich weiß: Daran wird schon wieder gebastelt. Wenn man aber keine Jagdbomber mehr braucht, die tief in Feindesland eindringen, weil sie Radar unterfliegen sollen, dann ist auch kein Tiefflug mehr notwendig, nicht einmal nach Ihrer Logik. Wir Sozialdemokraten wollen, daß die Luftwaffe ihre Tiefflüge über der Bundesrepublik schon jetzt einstellt ({17}) und die Alliierten von der Bundesregierung nachdrücklich aufgefordert werden, diesem Schritt zu folgen. Niemand in unserem Volk versteht doch, warum so viele Menschen Tag für Tag die Belästigung und Gefährdung durch Tiefflug ertragen müssen, wo jeder und jede weiß, daß der Friede heute sicherer ist denn je und die Chancen für Abrüstung so groß wie noch nie sind. Und nun ein Wort zum Jäger 90: Es gibt ja Leute, die in der Öffentlichkeit viel reden, und dann, wenn man zu der Sache spricht, nicht erscheinen. Das gilt für den Kollegen Möllemann, der hier sein sollte. Also, zu Herrn Möllemann möchte ich sagen: Ich freue mich, daß er in Interviews gegen dieses Wahnsinnsprojekt öffentlich zu Felde zieht. ({18}) - „Möllemann" ! Sie heißen nicht Möllemann, oder? Dem Möllemann hätte ich also gerne gesagt: Ich freue mich, daß er in Interviews sozusagen gegen dieses Wahnsinnsprojekt öffentlich zu Felde zieht. Nur kann ich ihm natürlich den Vorwurf der Doppelzüngigkeit und des Populismus nicht ersparen. ({19}) In der Presse das eine sagen, im Parlament genau das Gegenteil tun, das ist keine Politik. Wenn er wirklich meint, was er gesagt hat, hätte er unserem Antrag gegen den Jäger 90 zustimmen müssen. Aber genau das Gegenteil hat er getan - wie die übrige FDP übrigens auch. ({20}) Dem Verteidigungshaushalt hat er - und die FDP - auch zugestimmt. Der verschlingt mehr Finanzmittel denn je; denn unsere Vorschläge, über 3 Milliarden DM zu kürzen, wurden von allen abgelehnt. Auch Sie werden eines Tages begreifen, daß Geld anders eingesetzt für unsere Sicherheit sehr viel wirksamer sein kann. ({21}) Meine Herren und Damen, militärische Abrüstung verlangt zivile Alternativen. Menschen, Branchen, Regionen, die von der Rüstungsindustrie und von Standorten leben, dürfen nicht Opfer der Abrüstung werden. ({22}) - Stimmt! Der Staat, der als Haupt- oder sogar als Monopolabnehmer bestimmter Rüstungsgüter auftritt, kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, auch nicht gegenüber den Kommunen und Regionen, für die die Bundeswehrstandorte eine wichtige und oft zentrale Quelle ihrer Einnahmen sind. ({23}) Diese Lasten der Absenkung und Umstrukturierung zu übernehmen, kann nicht allein Kommunen und Ländern aufgeladen werden. Hier ist der Bund gefordert. ({24}) Frau Fuchs ({25}) Wenn Ihnen die Ideen fehlen, wie das wirkungsvoll umgesetzt werden kann - ich finde es bedauerlich, daß Sie noch warten wollen, um da erst noch Konzepte zu entwickeln -, dann will ich nachhelfen. Wenn Sie die Verantwortung für die Menschen wahrnehmen wollen - und Sie haben gesagt, daß Sie das tun wollen, Herr Minister - , dann richten Sie doch eine Kommission ein von Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Arbeitgebern, Berufsverbänden und Gewerkschaften, die sich zur Aufgabe macht, ein nationales Konversionsprogramm zu entwickeln. Das wäre dringend nötig. Das gäbe den Betroffenen Sicherheit und nähme ihnen Existenzängste. Kollegen und Kolleginnen, zu einer neuen Sicherheitsstruktur in Europa gehört natürlich auch die Beseitigung der taktischen Atomwaffen. Wir sind und doch in diesem Hause hoffentlich einig, daß alle Überlegungen zur atomaren Aufrüstung in den Papierkorb gehören. Eine Bundesregierung, die das noch weiterverfolgt, wird vom Volk hinweggefegt werden - um einmal Herrn Modrow zu zitieren. ({26}) Das gilt nicht nur für alle landgestützten Atomwaffen, sondern auch für alle luftgestützten. Nun hörte ich gestern abend von Minister Stoltenberg im Ausschuß, daß die F-15-E-Flugzeuge, die mit Atomraketen ausgestattet werden sollten, als Teil des sogenannten Modernisierungspaketes in der Bundesrepublik nicht stationiert werden sollen. ({27}) Das möchte ich hier im Plenum des Bundestages ausdrücklich festhalten. Herr Minister, ich bitte Sie um eine verbindliche Auskunft darüber, ob das heißt, daß in der Bundesrepublik überhaupt keine Flugzeuge mit Atomraketen stationiert werden. Das wäre heute die erste gute Nachricht. Wir bestehen darauf, daß noch im nächsten Jahr Verhandlungen über die Beseitigung aller taktischen Atomwaffen beginnen. Meine Herren und Damen, der Bundeskanzler wird noch in diesem Jahr in die DDR fahren. Ein Mangel unter vielen an dem sogenannten Kohl-Plan ist, daß bei der Bildung gemeinsamer Regierungskommissionen das Thema Frieden und Sicherheit völlig ausgespart ist. Aber gerade hier liegt doch das besondere Interesse der beiden deutschen Staaten. Darüber könnte der Kanzler doch mit Herrn Modrow reden. Ich schlage deswegen vor, eine gemeinsame Kommission der Bundesregierung und der DDR-Regierung zu Fragen der Sicherheit und Abrüstung in Europa einzurichten. Diese Kommission könnte sich mit folgenden Schwerpunkten beschäftigen: das Ziel für eine zweite Phase der Wiener Verhandlungen zu definieren, unter anderem eine 50%ige Reduzierung der Streitkräfte in Europa, und das in den jeweiligen Bündnissen zu vertreten, Wege zu finden zur Beseitigung aller atomaren und chemischen Waffen von den Territorien der beiden deutschen Staaten, ({28}) die Einrichtung von Bereichen entlang der Grenzen, in denen keine schweren Waffen stationiert werden dürfen, abgestimmte defensive Strukturmodelle für Bundeswehr und NVA und die Einstellung aller Tiefflüge in beiden deutschen Staaten. Das wäre ein Signal an die Welt, daß die Deutschen ihre neue Gemeinsamkeit zu konstruktiven Abrüstungsimpulsen nutzen. ({29}) Im übrigen, Herr Minister Stoltenberg: Wann hört endlich dieser lächerliche Unsinn auf, daß Angehörige der Bundeswehr nicht in die DDR fahren dürfen? Wann werden wir denn endlich so liberal wie die DDR? ({30}) Kollegen und Kolleginnen, Zaghaftigkeit hat keine Perspektive. Mutige Ziele sind heute gefordert. Mut ist leichter und auch nötiger geworden. Den wünsche ich Ihnen, und den brauchen Sie. ({31})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, die zur Regierungserklärung vorliegen. Ich werde diese Entschließungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung bringen. Zunächst geht es um einen Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5974. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP. Zunächst rufe ich den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/5989 auf. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen zum zweiten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 11/5992. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen - bei Enthaltung des Abgeordneten Lowack - angenommen worden. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/5988. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD betr. Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, Drucksache 11/2865, abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung zu stim14018 Vizepräsident Westphal men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({0}) Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster ({1}), Dr. Ahrens, Bahr, Brandt, Brück, Büchler ({2}), Dr. von Bülow, Duve, Dr. Ehmke ({3}), Erler, Fuchs ({4}), Gansel, Dr. Glotz, Dr. Götte, Heimann, Heistermann, Huonker, Horn, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Leonhart, Luuk, Nagel, Opel, Renger, Dr. Scheer, Dr. Schmude, Dr. Soell, Steiner, Stobbe, Terborg, Dr. Timm, Toetemeyer, Traupe, Verheugen, Voigt ({5}), Walther, Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, Wischnewski, Würtz, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit - Drucksache 11/3918 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({6}) Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für diesen Tagesordnungspunkt eine Beratungszeit von einer Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; damit ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster ({7}).

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen die sicherheitspolitische Kooperation mit Frankreich weiterentwickeln, und zwar vor allen Dingen durch die Ausweitung über die militärische Zusammenarbeit hinaus auf Friedens-, Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Wir wollen die Schritte überprüfen, die derzeit in der Umsetzungsphase getroffen worden sind, um diese Zusammenarbeit mit Leben zu erfüllen, und die, wie man jetzt sehen kann, sehr demonstrativ symbolisch angekündigt wurden, aber bei Licht besehen doch zur Schaffung sehr unzureichender Instrumente geführt haben. Das gilt auch und gerade für die deutschfranzösische Brigade. Wir wollen die deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit um gemeinsame friedenspolitische Initiativen erweitern, die auch die Ablösung der Strategie atomarer Abschreckung durch ein Konzept gemeinsamer Sicherheit möglich machen und vertrauensbildende Verteidigungsstrukturen zum Inhalt und zum Ziel haben sollen. Wir wollen den europäischen Pfeiler der atlantischen Allianz so ausbauen, daß er für die Beteiligung anderer westeuropäischer Partner offen ist, sich aber strikt auf die konventionelle Verteidigung beschränkt. Wir wollen eine Zusammenarbeit in der strategischen Planung, die die offenen und verdeckten Widersprüche der strategischen und verteidigungspolitischen Konzepte nicht verkleistert oder verdrängt, sondern diese Widersprüche zu klären versucht. Das hat konkrete Konsequenzen, die wir in unserem Antrag formulieren. Wir erwarten von Frankreich im Zuge einer solchen Weiterentwicklung der Zusammenarbeit einen Verzicht auf prästrategische Nuklearwaffen, auf chemische Waffen und Neutronenwaffen. Schließlich wollen wir in diese Zusammenarbeit auch die Option einer stärkeren Beteiligung an der gemeinsamen Vorneverteidigung in der Bundesrepublik Deutschland mit einführen. Aber ich gebe zu, daß wir alle über solche Punkte der vertieften Zusammenarbeit sicherheitspolitischer Art nicht mehr so selbstverständlich sprechen können, wie das vielleicht vor einem Jahr noch möglich gewesen wäre. Unser Antrag ist eben älter als ein Jahr. Hier stimmen wir ausdrücklich dem Minister zu - er ist leider nicht anwesend -, der bei einer Gelegenheit vor wenigen Wochen in Frankreich sagte: Gerade in einer Zeit, in der in Europa vieles in Bewegung geraten ist, muß der Aufrechterhaltung und Festigung bewährter Bindungen unsere volle Aufmerksamkeit gelten. Wir stimmen beidem zu. Zum einen ist sehr vieles in Bewegung geraten. Aber wir dürfen jetzt nicht das, was sich wirklich bewährt hat, in Frage stellen, müssen jedoch überprüfen, was im Lichte dieser Entwicklung tatsächlich langfristig angelegt werden kann und was vorläufigen Charakter haben muß. Ich will noch einmal sagen: In einem deutschen Bund oder in einer Konföderation können wir nicht auf Dauer eine alliierte Vorneverteidigung mitten durch diese beiden deutschen Staaten durchziehen, die ihren Charakter, als geostrategische Vormächte dieser Bündnisse verlieren müssen. Da müssen wir eben alles, was derzeit für richtig gehalten wird, mit einer Änderungsklausel, mit einer Option versehen, die dies dann zum gegebenen Zeitpunkt wieder in Frage stellt. Wir wollen aber deutlich machen, und wir müssen deutlich machen, gerade auch um unsere westeuropäischen Verbündeten nicht zu verunsichern, daß die europäische Einigung aus deutscher Sicht jetzt nicht zurückgestellt werden darf und daß sie nicht in Konkurrenz mit der deutschen Frage treten darf. ({0}) Im Gegenteil, die europäische Einigung muß beschleunigt werden. Wir müssen aber sehr genau überprüfen, in welchen Formen, in welchen Institutionen dies geschieht. Wir wollen ganz dezidiert - ich glaube, das ist ein konsensfähiger Grundsatz - die Europäische Gemeinschaft freihalten ({1}) - das war einmal vor Jahren anders gedacht - von sicherheitspolitischen Perspektiven der Zusammenarbeit. ({2}) Gerster ({3}) Sie muß völlig freigehalten werden von Sicherheitspolitik, von Militärpolitik, im engeren Sinne von Bündnisüberlegungen. Im Gegenteil, sie muß geöffnet werden und fähig gemacht werden zum bündnisübergreifenden europäischen Einigungsfaktor. Wir wollen, wenn wir denn Institutionen brauchen, für diesen europäischen Pfeiler der Allianz die WEU benutzen. Aber dies hat sicherlich auch vorläufigen Charakter; denn dies findet eben vor dem Hintergrund einer so dramatischen Veränderung des West-Ost-Verhältnisses statt. ({4}) Genauso wie wir keine ewige Bestandsgarantie für Bündnisse geben wollen und können, wollen wir sicherlich auch keine ewige Bestandsgarantie für diese westeuropäischen Formen der militärpolitischen Zusammenarbeit geben. Aber, verehrter Kollege Mechtersheimer, wir möchten uns auch sehr deutlich von dem absetzen, was aus fundamentalistisch-grüner Richtung gegen die deutsch-französische sicherheitspolitische Kooperation vorgebracht wird. ({5}) Es ist nicht nur überzeichnet, sondern eine groteske Verirrung, wenn sie die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik als eine Militärachse bezeichnen, deren Waffen sich zweifellos auf einen gemeinsamen Feind richten müssen; sonst hätte sie keinen Sinn. ({6}) - Wenn Sie als Oberstleutnant a. D. mit solchen Argumenten etwa die Schweizer oder schwedische Verteidigung beurteilen wollen, so frage ich Sie: Gegen welchen Feind richten sich denn dort die Waffen? Halten wir diese Staaten nicht für zutiefst friedlich? Genauso friedlich ist die deutsch-französische Sicherheitskooperation angelegt. Herr Kollege Mechtersheimer, Sie haben in der Bundestagsdebatte vor einem Jahr gesagt, die Franzosen seien wirtschaftspolitisch lediglich in der Rüstungsindustrie wettbewerbsfähig, ansonsten könnten sie mit uns überhaupt nicht mithalten. ({7}) Dies ist ein Akzent, den ich nur noch Wohlstandschauvinismus nennen kann, ({8}) ein Akzent, der hier überhaupt nicht hineinpaßt. Meine Damen und Herren, natürlich geht es um Interessen. ({9}) Eine Zusammenarbeit politischer Art wird immer von Interessen getragen. Diese Interessen müssen auf beiden Seiten nicht immer identisch sein. Im politischen Überbau ist die deutsch-französische Sicherheitskooperation ohne Zweifel von dem Primärinteresse der Franzosen getragen, die Deutschen fest auf dem Boden westlicher Realpolitik zu verankern. Auf unserer Seite gibt es sicherlich ein elementares Interesse, die Franzosen zu einer Vorreiterrolle in der Abrüstungspolitik zu bringen, sie davon zu überzeugen und ihnen auch das Glacis-Denken, das es bei Militärstrategen und Verteidigungspolitikern da und dort sicherlich gibt, abzugewöhnen, daß diese hochgerüstete Bundesrepublik, Frankreich in östlicher Richtung vorgelagert, eben doch ein ganz bequemes Vorland ist, das man sich recht gern erhalten möchte, daß diese Bundesrepublik auch ein Vorland ist, daß es hinnimmt, daß die Nuklearwaffen kürzerer Reichweite, die sogenannten prästrategischen Waffen, eine eindeutig „deutsche Reichweite" haben. Das ist etwas, was wir auf Dauer nicht hinnehmen können und worüber wir mit den Franzosen sprechen müssen. ({10}) - Es gibt hier Meinungsverschiedenheiten, natürlich - auch zwischen den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien auf beiden Seiten; das ist unbestreitbar -, aber es bewegt sich etwas, auch bei den Franzosen; das ist erkennbar. Wir müssen auch über die aktuellen Entwicklungen reden, ob wir z. B. akzeptieren können, daß die Streichungen im Verteidigungshaushalt der Französischen Republik ausschließlich zu Lasten der konventionellen Streitkräfte und damit auch der gemeinsamen Verteidigungsinstrumente gehen, während die Nuklearstreitkräfte überhaupt nicht in Frage gestellt werden. Das ist eine Prioritätensetzung, die wir - aus deutscher Sicht zumindest - bilateral zum Thema machen müssen. ({11}) Und wenn dieser Verteidigungsrat einen Sinn haben soll, muß in diesem Verteidigungsrat über so etwas gesprochen werden. Die deutsch-französische Brigade war von vornherein als ein gemeinsamer symbolträchtiger Akt angelegt. Vielleicht hätte man, bevor dieser symbolträchtige Akt verkündet und dann mit großen Mühen ansatzweise umgesetzt wurde, auch einmal die Ratgeber auf der Hardthöhe und im Bündnis fragen sollen, ob es wirklich Sinn macht, einen gemischten militärischen Verband zu schaffen. Das ist ja etwas, was die NATO in Jahrzehnten der gemeinsamen alliierten Verteidigung nie gemacht hat. Sie hat es nicht einmal in Gefechtsstreifen gemacht. Vielmehr hat sie ganz klar abgegrenzte Gefechtsstreifen organisiert, in denen es eben einen jeweiligen nationalen Korpsbefehl gibt, dem sich alle unterzuordnen haben. Hier haben wir plötzlich etwas völlig Neues gemacht - Mitterrand und Kohl haben das ausgehandelt - , das zweifellos einen gewissen appellativen Charakter hat, das aber in seiner Umsetzung doch so fragwürdig ist, daß man dieses Pilotprojekt, wenn es schiefgeht, auch abbrechen und nicht ohne Not aufrechterhalten sollte, nur damit hier vordergründig eine Position gewahrt wird, die man ohne Gesichtsverlust nicht wieder räumen kann. Die Militärs, auch die beteiligten Militärs, räumen inzwischen ein, daß dieser gemischte militärische Gerster ({12}) Verband eine außerordentlich schwierige Konstruktion ist. Im übrigen hat die französische Seite - das müssen wir deutlich sagen - , zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, die Ankündigungen nicht alle eingehalten, daß nämlich die französischen Einheiten und Verbände, die dieser Brigade zugeführt werden sollen, aus Frankreich abgezogen werden. Inzwischen ist immer noch offen, ob es auch Einheiten und Verbände gibt, die aus Deutschland zugeführt werden und die somit eben keine Verstärkung des französischen Engagements auf deutschem Boden sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Interessen offen sprechen, dann müssen wir auch die Widersprüche zwischen der politischen Bündniszugehörigkeit der Franzosen einerseits, der deutsch-französischen Verteidigungskooperation andererseits und schließlich der weitgehend oder fast ausschließlich nationalen Definition von Sicherheitsinteressen und Verteidigungsoptionen auf französischer Seite aufzeigen. Unbezweifelbar ist - das gilt zumindest für die Vergangenheit - , daß Frankreich an der konventionellen Streitmacht der Bundeswehr und an dem sogenannten amerikanischen Atomschirm in hohem Maße interessiert war und ist - das soll erhalten bleiben - , daß aber die eigenen konventionellen Verteidigungsbemühungen dem gegenüber deutlich abfallen. Nun gibt es Vordenker, auch sozialdemokratische Vordenker, die etwas formulieren, was man sich noch vor einiger Zeit gar nicht vorstellen konnte, etwa Egon Bahr in dem „Friedensgutachten 1989", daß wir nämlich darüber reden müssen, ob die amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden ersatzlos abgezogen werden zu dem Zeitpunkt, in dem wir auf Grund einer konventionellen Disparität nicht mehr glauben, konventionelle Unterlegenheit auf diese Weise ausgleichen zu müssen, und daß dann dieses Weniger an atomarer Abschreckung, wenn man einen Rest an minimaler nuklearer Abschreckung erhalten will - wohlgemerkt: einen Rest und nicht die flexible response mit der Leiter von oben bis unten -, sozusagen durch die strategischen Waffen der Franzosen und der Briten in Europa gewährleistet werden könnte. Dies ist eine Überlegung, die von Egon Bahr und anderen formuliert worden ist. Vielleicht weiß die Bundesregierung mehr, Herr Kollege Wimmer. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer Rede auch auf solche Fragen eingehen könnten oder wenn Sie zumindest zu einem späteren Zeitpunkt, wenn Sie das Protokoll nachgelesen haben, im Ausschuß etwas dazu sagen könnten. ({13}) - Ja, eben, deswegen sage ich: wenn er das Protokoll nachgelesen hat. - Vielleicht kann die Bundesregierung etwas dazu sagen, ob der Standpunkt der Franzosen unverändert geblieben ist. Die Franzosen denken gar nicht daran - sie sagen dies fast brüsk -, den westeuropäischen Partnern ihre Nuklearstreitmacht als einen quasi-europäischen Atomschirm zur Verfügung zu stellen. Wie ernst man das nehmen muß, wie sehr man dabei auch an Reste atomarer Abschreckung glauben mag oder nicht, ist ja zum Teil fast eine Frage der Denkschulen und auch der emotionalen Attitüden. Ich glaube, wir müssen die Frage, ob die Franzosen bei dem Standpunkt geblieben sind, daß sie elementar an einem Verbleiben amerikanischer Atomwaffen in Europa interessiert sind, damit sie ihre Optionen weiterhin ausschließlich national definieren können, im Verteidigungsrat und in der Kooperation zum Thema machen. Wir meinen, die deutsch-französische Zusammenarbeit muß auch in der Sicherheitspolitik ergebnisoffen sein. Sie muß die Bündnisstrategien weiterentwickeln, im übrigen auch dann, wenn uns vorgehalten wird: Eure sozialistischen Freunde in Paris sind doch viel mehr als ihr für die nukleare Abschreckung und anderes mehr. Dann reden wir einmal darüber, inwieweit die Nuklearstrategie der Franzosen mit der offiziellen Nuklearstrategie des Bündnisses überhaupt noch vereinbar ist oder inwieweit sie es jemals war. Die Franzosen haben sich in faszinierender Konsequenz von Anfang an dagegen ausgesprochen, Atomwaffen im Zuge der flexible response zu Waffen zu machen, die operative Funktionen haben. Sie haben gesagt: Es bleiben strategische Waffen. Sie haben dann zwar auch kürzere Reichweiten eingeführt und haben diese Waffen dann prästrategische Waffen genannt. Klammern wir das einmal als Schönheitsfehler aus. Aber prinzipiell sagen sie: Atomwaffen sind politische Waffen, sie sind Abschreckungswaffen und keine Kriegsführungswaffen. Die NATO ist 1967 genau den umgekehrten Weg gegangen. Bitte halten Sie uns nicht vor, wir hätten Differenzen mit den eigenen sozialistischen Parteifreunden in Paris, ({14}) wenn die NATO mit dem französischen politischen Partner immer größte Differenzen in der Nuklearstrategie hatte und weiterhin hat. Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik zwischen Deutschland und Frankreich muß ergebnisoffen sein, und sie muß auch vorläufigen Charakter haben, vor allen Dingen dort, wo Institutionen geschaffen werden, die noch vor Jahren auf lange Sicht angelegt zu sein schienen, die aber jetzt, da alles in Fluß gekommen ist, auch überprüft werden müssen. Wir sagen unverändert ja zur deutsch-französischen Freundschaft und zur deutsch-französischen Sicherheitskooperation. Wir könnten uns vorstellen, daß auch dieser restliche militärpolitische Kernbestand eine Grundlage für eine europäische Friedensordnung sein könnte, die sich im Rahmen eines Konzepts gemeinsamer Sicherheit nicht mehr auf Abschrekkung, sondern in einem Europa der Zukunft auf rein verteidigungsfähige und nicht mehr angriffsfähige Bündnisse stützen müßte. Ein solches Europa der Zukunft braucht im übrigen keine französische Führung, wie bedeutende Politiker es vorgeschlagen haben, auch Politiker aus meiner Partei; ein solches Europa der Zukunft braucht auch keine deutsche Führung. Am besten wäre es, wenn ein solches Europa der Zukunft in Ost und West gar keine Führungsmacht bräuchte. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man ist geneigt, mit Konrad Adenauer zu sagen: Es gibt immer noch vernünftige Sozialdemokraten. Aber, Herr Kollege Gerster, ich frage mich wirklich, was wohl Ihre Kollegin Fuchs zu dem sagen würde, was Sie hier gerade gesagt haben. ({0}) Die militärische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich ist, wie wir alle wissen, die entscheidende Voraussetzung für eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Westeuropas. Angesichts der radikalen Veränderungen im anderen Teil unseres Kontinents muß die Frage gestellt werden - die Sie, Kollege Gerster, auch zu Recht gestellt haben - , welchen Stellenwert diese westeuropäische militärische Zusammenarbeit in den zukünftigen gesamteuropäischen Sicherheitsstrukturen haben könnte. Die künftige politische Ordnung in Europa haben wir noch nicht, und der Übergang von der alten zur neuen Ordnung ist - wie jede Krise - voller Gefahren. Deswegen müssen die westlichen Verteidigungsanstrengungen intakt bleiben. Aber so leichtfertig es wäre, den Weg schon für das Ziel zu nehmen, die Hoffnung für die Wirklichkeit zu halten, so leichtfertig wäre es angesichts der radikalen und schnellen Veränderungen in nunmehr fast allen Ländern im anderen Teil unseres Kontinents, die Hoffnung als eine Illusion zu diskreditieren und das Ziel einer friedlichen, vom Einverständnis der Völker getragenen neuen Ordnung in Europa zu einer Fata Morgana zu erklären. Deswegen müssen wir uns konkrete Gedanken über die künftige Struktur dieser Ordnung in Europa machen. Wie immer diese aussehen wird, meine Damen und Herren: Sie wird einen sukzessiven und schließlich einen völligen Rückzug der sowjetischen Streitkräfte hinter die Grenzen der Sowjetunion sowohl zur Voraussetzung als auch zur Folge haben müssen. Das aber bedeutet notwendigerweise und unvermeidlicherweise entsprechende amerikanische Reduktionen. Wenn wir den Rückzug der Sowjets wollen, müssen wir auch einen Rückzug amerikanischer Streitkräfte wollen. Allerdings will ich gleich der Klarheit wegen hinzufügen: Auch im theoretischen Endpunkt einer neuen und stabilen Ordnung müßten die USA hier eine militärische Restpräsenz behalten, da natürlich auch die Russen auf diesem Kontinent blieben und weil die Europäer, und zwar alle Europäer, auch für die fernere Zukunft ein Bündnis mit den USA wollen und diese umgekehrt ebenfalls. Aber es wird in jedem Fall amerikanische Rückzüge geben. In welchem Umfang und wie schnell das sein könnte, das haben wir in der vergangenen Woche vor dem NATO-Treffen gesehen. Die Europäer müssen also mehr und auf Dauer sogar die entscheidende Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Die Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses macht diese Perspektive auch realistisch. Wenn die Kompetenz nicht nur für Wirtschaft und Währung, sondern auch für die Verteidigung in europäischen Händen läge, wäre das für Frankreich zugleich die beste Versicherung sowohl gegen la dérive allemande als auch gegen eine dominierende deutsche Position. Das gilt übrigens auch für ein, in welcher Form auch immer, wieder geeintes Deutschland; denn dieses - das will ich deutlich sagen - müßte selbstverständlich der Europäischen Gemeinschaft angehören und damit auch dem westlichen Sicherheitsverbund. Dies ist auch genau das, was die Menschen in der DDR wollen. Die schwierige Frage, die sich hiermit natürlich stellt, wie denn in diesem Fall die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion berücksichtigt werden könnten, kann und will ich hier nicht erörtern. Ich will sie nur als ausdrücklich legitim bezeichnen und meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß sie lösbar ist, wofür u. a. die vorgestrige TASS-Erklärung spricht. Es ist eine Frage des Wie und des Wann. Dieses Problem stellt sich übrigens für ein wiederhergestelltes Deutschland zwar in besonderer Schärfe, aber im Prinzip natürlich für alle Länder des Warschauer Pakts, die ihre Zukunft in der Europäischen Gemeinschaft sehen, und zwar in dieser konkret existierenden und nicht in irgendeiner nebulösen, fernen Europäischen Gemeinschaft. Kurzum: Das westliche Bündnis muß auch in fernerer Zukunft erhalten bleiben, aber es muß zu eben diesem Zweck auch umgebaut werden. Dieses Erfordernis gilt in noch viel höherem Maße für den Warschauer Pakt. Es ist heute vielleicht noch zu früh, zu sagen, was von ihm nach der Zeit des Übergangs, in welcher der Warschauer Pakt natürlich ebenso wie die NATO eine wichtige stabilisierende Rolle spielen müßte, übrig bleibt. Die sicherheitspolitische Gesamtstruktur der Zukunft in Europa stelle ich mir im Bild dreier sich überschneidender Ellipsen vor. Die eine Ellipse wird durch das europäisch-amerikanische Verhältnis mit den Brennpunkten Washington und, sagen wir einmal kühn, Brüssel gebildet. Die andere Ellipse wird durch die gesamteuropäische Struktur von Sicherheit und Zusammenarbeit mit den Brennpunkten Brüssel und Moskau gebildet. In ihr sind die kleineren Mitgliedsländer des Warschauer Paktes wirtschaftlich auf die EG zugeordnet. Sicherheitspolitisch berücksichtigen sie die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion in besonderer und in anderer Weise, als es die heutigen Mitgliedsländer der Gemeinschaft tun werden. Die dritte Ellipse mit den Brennpunkten Washington und Moskau wird durch die globale und zunehmend kooperative Beziehung der beiden Supermächte gebildet. Ich jedenfalls sehe zu dieser Entwicklung einer realen europäischen Sicherheitsidentität und damit auch zu der Einordnung Deutschlands und seiner Einbindung in westeuropäischen Sicherheitsstrukturen keine Alternative. Die bisherige Lage - auch von der haben Sie gesprochen, Kollege Gerster - , in der die USA mit der Verantwortung für die Sicherheit Europas auch die Kontrolle der Deutschen übernahmen und zugleich durch ihre nukleare und konventionelle Rolle in Europa zusammen mit der konventionellen Stärke der Bundeswehr unerläßliche Voraussetzungen für die insofern nur scheinbar unabhängige Sicherheitspolitik Frankreichs schufen, diese Lage wird keinen Bestand haben. Die Aufgabe nationaler Eigenständigkeiten dort, wo sie für die Herausbildung einer europäischen Sicherheitsidentität erforderlich ist, ist auch für Frankreich unausweichlich. Nationale Unabhängigkeit, besser gesagt: ein größtmögliches Maß an nationaler Unabhängigkeit, ist heute nur noch europäisch zu definieren. Das erfordert vor allem eine Reorientierung der französischen Nuklearstrategie. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Überlegungen, die der führende RPR-Abgeordnete Séguin vorgestern hierzu angestellt hat. Im übrigen - auch dessen müssen wir uns klar sein, Kollege Gerster: Eine Beschränkung der militärischen Zusammenarbeit auf das Konventionelle ist letztlich nicht möglich, da konventionelle und nukleare Waffen natürlich aufeinander bezogen sind. Die französischen und natürlich auch die britischen Nuklearwaffen müssen eine europäische Funktion erhalten. ({1}) Frankreich muß stärker als bislang sehen - auch da stimme ich zu - , daß Abrüstung ein integraler Bestandteil der Sicherheitspolitik ist. Aber auch die Bundesrepublik Deutschland muß ihre Haltung vor allem zur Zukunft des Nuklearen deutlicher machen als bislang, und das muß vor allen Dingen Ihre Partei, Kollege Gerster. ({2}) Ich sehe hier Linien der Konvergenz mit Frankreich, wenn die Bundesrepublik durch ihre weitere Mitwirkung bei der nuklearen Rolle der USA für Europa nach einem erfolgreichen Abschluß in Wien die politische Funktion der Nuklearwaffen als reine Kriegsverhinderungsmittel durch die konkrete Ausformung der Nuklearstruktur in Europa und durch Vereinbarungen mit der Sowjetunion wiederherzustellen hilft und damit die Nuklearwaffen Symbol und Kernelement letzter gemeinsamer Sicherheit werden, d. h. Ausdruck der historisch neuartigen Situation, wobei die Alternative lautet: gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen. Es wird ein zweites notwendig sein: Wir werden als Bundesrepublik Deutschland auch anerkennen müssen, daß es europäische und damit deutsche Sicherheitsinteressen nicht nur im Ost-West-Kontext, sondern auch im Nord-Süd-Kontext gibt. Die Haltung hierzulande zu dieser Frage ist, wie die Diskussion über die Beteiligung der Bundeswehr an UN-Friedensaktionen zeigt, reichlich verengt, ja, geradezu eskapistisch. Meine Damen und Herren, es ist meine feste Überzeugung, daß die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit als Bestandteil der politischen Zusammenarbeit und als Voraussetzung für die Schaffung einer westeuropäischen Sicherheitsidentität durch die Entwicklungen im anderen Teil unseres Kontinents nicht nur nicht an Bedeutung verloren hat, sondern daß sie im Gegenteil gewonnen hat, weil sie eine Grundvoraussetzung für den Bau einer neuen, einer friedlichen Ordnung in ganz Europa ist. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! An der deutsch-deutschen Grenze hilft die Nationale Volksarmee der DDR zur Zeit, Löcher in den Zaun zu schneiden, den sie vor kurzem noch selber zu bewachen hatte. Erschien vor 1987 ein Vertrag über einen Abzug der Mittelstreckenraketen aus Europa unglaublich, so sind wir heute Zeugen revolutionärer Veränderungen in Osteuropa, die in ihrer Dimension das damals Unvorstellbare noch weit übertreffen. Und was passiert bei uns im Westen? Bis zum Besuch Gorbatschows im Sommer dieses Jahres hatten die Bundesregierung und die NATO Zeit genug, endlich eine angemessene abrüstungspolitische Antwort auf Gorbatschow und seine Initiativen zu finden. Statt dessen aber gab es: Im Westen nichts Neues. Nicht nur die Rüstungsmodernisierungsprogramme der Bundeswehr und der NATO insgesamt werden fortgesetzt. Ganz besonderes Gewicht legt die Bundesregierung auf eine verstärkte Militärkumpanei mit Frankreich, und wie wir hören, tun das auch die Sozialdemokraten. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wir begrüßen selbstverständlich ausdrücklich eine Zusammenarbeit zwischen den Menschen der Bundesrepublik und Frankreich, und wir begrüßen auch ganz ausdrücklich die Gespräche über militärische Angelegenheiten zwischen beiden Ländern, ({0}) wenn sie die schrittweise Abschaffung der beiden Armeen zum Ziel haben. Das wäre ein richtiger Schritt zu einer wirklich friedensliftenden Initiative und Sicherheitspartnerschaft. Wenn die Presseerklärung des Kollegen Opel von gestern dahin gehend zu interpretieren wäre, daß die SPD Vereinbarungen zwischen beiden Ländern jetzt, auf Grund der aktuellen Entwicklungen, für richtig hält, um eine sofortige 50prozentige Reduzierung beider Armeen zu erreichen, so würden wir diese Erklärung unterstützen. Die Realität sieht aber leider anders aus. Auch die Militärpartnerschaft Bundesrepublik/Frankreich ({1}) sieht sich nach wie vor von einem imaginären Feind im Osten bedroht, und nach wie vor zeichnet sie sich durch immer umfassendere militärische Kooperation aus. Im Herbst 1987 gab es das erste gemeinsame Manöver - „Kecker Spatz" - mit mehreren zehntausend Soldaten. 1988 wurde ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat eingerichtet, der eine Kooperation auch im atomaren Bereich vorsieht und dem auch die SPD-Fraktion geschlossen zugestimmt hat. Gleichzeitig wurde quasi als Pilotprojekt eine gemeinsame Brigade beschlossen, die nach einem Jahr Vorbereitungszeit seit Oktober dieses Jahres aufgestellt wird. Ebenfalls in diesem Jahr fand auf französischem Boden ein weiteres gemeinsames Manöver - „Champagne" - statt, von den bestehenden gemeinsamen Rüstungsprojekten einmal ganz abgesehen. Ziel der beharrlichen Bemühungen von bundesdeutscher Seite ist es, die Franzosen, die 1966 aus der militärischen Kooperation der NATO ausgetreten sind, jetzt auch militärisch wieder in das westliche Bündnis zu integrieren und die NATO um einen westeuropäischen militärischen Pfeiler mit atomaren und konventionellen Waffen zu stärken. Die Bundesrepublik hat aber neben dem bündnispolitischen auch ein ganz eigenes Interesse an dieser Militärkumpanei mit Frankreich; ({2}) denn auch heute noch beklagen unsere herrschenden Sicherheitsstrategen den Widerspruch, daß zwar das Festhalten an der Strategie der atomaren Abschrekkung zur Staatsräson gehört, die BRD selber aber nicht über eigene Atomwaffen verfügen kann. Der Weg zur Mitverfügung über Atomwaffen führt aber über eine europäische Union mit gemeinsamen guBen- und sicherheitspolitischen Strategien. Die erste Station auf diesem Weg ist die atomare Kooperation mit Frankreich. Da ist es schon absurd, was in dem heute vorliegenden Antrag der SPD zur Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit erklärt wird. Darin ist die Rede davon - ich zitiere -: Gegenstand der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist die konventionelle Verteidigung. - Meine Damen und Herren von der SPD, wenige Wochen, bevor Sie dies formuliert haben, haben Sie hier noch für eine atomare deutsch-französische Abschreckungsstrategie die Hände gehoben. Was haben Sie eigentlich aus den letzten Wochen gelernt? Was haben Sie aus dieser Diskussion gelernt? ({3}) - Ich zitiere wieder: Sie wollen gemischte Arbeitsstäbe, gemeinsame Übungen und Koordination der Streitkräfteplanung, ({4}) und das in einer Situation, in der der Warschauer Pakt auseinanderbricht. ({5}) Statt auch die NATO abzurüsten und aufzulösen, wird ein neues Militärbündnis strukturiert und geschaffen. ({6}) Nein, meine Damen und Herren, ({7}) auf die derzeitige politische Entwicklung in Europa müssen andere Antworten gegeben werden, auch andere Antworten als der angebliche und sogenannte Zehn-Punkte-Plan des Bundeskanzlers Kohl, den Sie an ganz falscher Stelle kritisieren, nachdem Sie ihn laut Karsten Voigt begrüßt haben, peinlicherweise, und dann noch nicht einmal erwähnt haben, daß die eigentliche Kritik sein muß, daß diese 10 Punkte nicht eine einzige Note von Souveränität für die DDR beinhalten. Das ist der Punkt, und das ist genau der Punkt, der auch von Ihnen zu verantworten ist. Dieser Ausverkauf Osteuropas, der geplant wird, ist eine Kolonialisierung. Das steckt hinter dieser Strategie. Aber nicht einmal die SPD hat dem etwas entgegenzusetzen. Kohls Absicht ist völlig klar: Die Kolonialisierung Osteuropas durch NATO und EG soll sich unter dem Vorzeichen deutscher Wiedervereinigung vollziehen, ({8}) damit Deutschland in einem integrierten Europa wieder das ökonomische und militärische neue Machtzentrum - das wollen Sie durch diesen Vertrag mit Frankreich bilden - darstellt. ({9}) Will die Sicherheitspolitik wirklich alles daran setzen, das Bild vom häßlichen Deutschen, das dabei ist zu verschwinden, unbedingt wiederzubeleben? ({10}) Wir halten unsere Antwort dagegen: friedliche Partnerschaft zu allen und unseren Europanachbarn und Verhinderung des Ausverkaufs Osteuropas durch BRD und EG, die sofortige Abschaffung aller Atomwaffen, keine Bündnisse und keine Kungelei genau dorthin, Verhinderung aller Atommachtsbestrebungen, die Auflösung von NATO und WEU - das Ziel ist kein neuer Militärblock - und natürlich der schrittweise Abbau der Militärpotentiale und nicht das krampfhafte Festhalten an einer 400 000-Mann-Armee, die sowieso nicht mehr zu rechtfertigen ist. Vielen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD ist ein Jahr alt. ({0}) - Anstöße zum Nachdenken sind nie überholt. Er ist vor zehn Monaten eingebracht worden, und in diesen zehn Monaten hat sich natürlich das Gesicht Europas völlig verändert: Der Warschauer Pakt ist kein Block mehr - da haben Sie recht - , die militärische Bedrohung hat sich wesentlich verringert, und die sozialistischen Staaten sind mit Ausnahme Rumäniens auf dem Weg zur Demokratie. Dies muß natür14024 lich Berücksichtigung in der Sicherheitspolitik finden. Dies ist die Stunde der Selbstbestimmung Europas. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen, denn wir haben jetzt die realistische Chance, die Spaltung unseres europäischen Kontinents zu überwinden. Europas Zukunft ist aber ohne eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich auf allen Feldern der Politik nicht vorstellbar. ({1}) Das gilt gerade jetzt, und das ist keine Kumpanei. Die deutsch-französische Partnerschaft ist die unverzichtbare Voraussetzung für den Prozeß der westeuropäischen Integration, sie ist gewissermaßen das Herzstück dieser Integration, so Bundesaußenminister Genscher. Sie ist auch das Fundament einer europäischen, einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Die deutsch-französische Sicherheitspartnerschaft ist mehr als die deutsch-französische Brigade in Böblingen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Feldmann, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie damit ausdrücken wollen, daß die Angst, die gerade in Frankreich besteht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland eine Gefahr für dieses Europa ist, durch ein festeres Bündnis zwischen der Bundesrepublik und Frankreich minimiert wird, und können Sie mir dann bitte erklären, warum dieses Bündnis militärisch sein muß, und warum es nicht auf anderem Wege zustande zu bringen ist?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dieses Bündnis ist ein Gesamtbündnis, und dieses Bündnis ist eine Sicherheitspartnerschaft. Auf diesem Kontinent tragen wir alle Verantwortung, die Deutschen, die Franzosen, alle Europäer. Wir wollen eine gemeinsame Sicherheit und wir wollen eine gemeinsame Zukunft auf diesem europäischen Kontinent. ({0}) Dabei haben natürlich die Deutschen und Franzosen eine besondere Schlüsselrolle. Giscard d'Estaing hat mit Recht - ich habe ihn hier schon einmal zitiert - gesagt: „Europa macht nur Fortschritte, wo immer Deutsche und Franzosen vereint sind." ({1}) Er hat nicht unterschieden zwischen wirtschaftlicher Zusammenarbeit und militärischer Zusammenarbeit. „Wo immer sie getrennt sind", so Giscard d'Estaing, „stagniert Europa." ({2}) - Nein, dies gilt auch für Gesamteuropa. Für die Bundesrepublik ist jetzt Vertrauensbildung und noch einmal Vertrauensbildung das Gebot der Stunde. ({3}) Wir wissen, daß die Perspektiven, die die Entwicklungen in den osteuropäischen Staaten für uns Deutsche bieten - Frau Beer, vielleicht wollen Sie jetzt zuhören -, nicht nur in der Sowjetunion, in Polen und Israel, sondern auch bei unseren alliierten Verbündeten Sorgen auslösen. Wir wissen, daß in Frankreich ein europäischer Abwehrplan gefordert wurde, um die Gefahr der Wiedervereinigung - das meinten Sie wahrscheinlich eben mit Ihrer Frage - zu bannen. Wenn das bei unserem engsten westeuropäischen Partner gefordert wird, dann müssen natürlich bei uns alle Alarmglocken läuten. Deswegen ist von uns Klarheit gefordert. Klarheit nicht nur in bezug auf Europa, sondern auch vor allem in der Frage der Westgrenze Polens. ({4}) Die FDP hat hierzu auf der Tagung ihres Bundeshauptausschusses am letzten Wochenende in Celle noch einmal bekräftigt - ich darf dies vorlesen - : Die FDP erkennt ohne Einschränkung das Recht des polnischen Volkes an, in sicheren Grenzen zu leben, die weder jetzt noch in Zukunft von uns Deutschen durch Gebietsansprüche in Frage gestellt werden dürfen. Ohne die verbindliche Garantie dieser Grenzen werden wir kein Vertrauen und keine Unterstützung in Europa finden, weder im Osten noch im Westen. Und beides brauchen wir heute mehr denn je. ({5}) Viele unserer Partner und Nachbarn haben aber auch die Sorge, daß sich die Bundesrepublik von ihnen, von den westeuropäischen Partnern, abwendet und nur die deutsch-deutschen Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Hierzu hat der Außenminister erklärt, daß die Bundesrepublik ohne jedes Wenn und Aber konsequent am Kurs der europäischen Einigung festhält, nationale Alleingänge ausschließt und aus den Entwicklungen in den sozialistischen Staaten kein Kapital schlagen wird. Das müßte Sie doch zufriedenstellen. Wenn das keine Garantie ist, Frau Kollegin! Das ist eine Garantie, die wir unseren europäischen Nachbarn schulden. Sowohl die französische als auch die deutsche Regierung hat wiederholt erklärt, daß sie ihre Zusammenarbeit in den Dienst Europas und der gesamteuropäischen Zusammenarbeit stellen. Frankreich und die Bundesrepublik müssen daher gemeinsam einen Europaplan zur Unterstützung der Reformen in Osteuropa durchsetzen. Denn wirtschaftliche Hilfe ist unabdingbar. Nichts bedroht den revolutionären politischen Prozeß in Mittel- und Osteuropa mehr, als die Gefahr eines wirtschaftlichen Scheiterns. Dann können alle bisher erreichten Fortschritte verlorengehen, auch das Selbstbestimmungsrecht, das die Menschen in Polen, Ungarn, der DDR, der CSSR und Bulgarien in diesen Monaten erkämpft haben. Damit wäre die Chance einer neuen gesamteuropäischen Friedensordnung vertan. Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Ein Hilfsprogramm für unsere osteuropäischen Nachbarn ist nicht nur wirtschaftspolitisch vernünftig, sondern ist auch eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. Meine Damen und Herren, eine neue Sicherheitspolitik ist jetzt gefordert, die nicht mehr auf Abschreckung und Rüsten, sondern auf Abrüsten und breiter Zusammenarbeit beruht. Nur so kommen wir von der Konfrontation zur Kooperation. Hier ist die Europäische Gemeinschaft, hier sind vor allem Frankreich und die Bundesrepublik als Schrittmacher der Gemeinschaft gefordert. Ein einzelner Staat ist dabei überfordert. Wir wollen auch keine deutsche Ostpolitik, sondern eine gemeinsame Ostpolitik der Europäischen Gemeinschaft. ({6}) Zu einer dynamischen Ostpolitik gehört auch eine dynamische westeuropäische Integrationspolitik. Sie ist die unverzichtbare Voraussetzung für eine aktive Ostpolitik. Dazu ist erforderlich, daß die Gemeinschaft ihre selbstgesteckten Ziele konsequent realisiert und auf dem Straßburg-Gipfel einen verbindlichen Zeitplan für die Realisierung der angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion beschließt. ({7}) Für die Stärke des europäischen Pfeilers in der Allianz ist nicht mehr die Höhe des Verteidigungsbeitrages entscheidend, sondern unser Wille und unsere Fähigkeit, wirtschaftlich und politisch gesamteuropäische Verantwortung zu tragen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Anmerkung vorweg, weil ich den Kollegen Amling hier sehe. Wir haben uns vor kuzem noch sehr intensiv darüber unterhalten. Lieber Kollege Amling, auch wir werden die Lücke nicht füllen können, die der Austritt Frankreichs aus der militärischen Integration hinterlassen hat. Aber wir können mit viel Behutsamkeit und Verständnis unseren französischen Partnern klarmachen, daß ein Angriff auf Deutschland zugleich ein Angriff auf die Lebensinteressen Frankreichs wäre. Das übrige lassen Sie mich bitte in einem Satz sagen. Der Antrag der Sozialdemokraten zur Weiterentwicklung der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit verdient diesen edlen Titel leider nicht, obwohl ich dem ersten Satz im Antrag gern zustimmen würde, wonach Europas Zukunft ... ohne eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs auf allen Feldern der Politik, Wirtschaft und Kultur nicht vorstellbar sei, wenn dieser Satz nicht gar so fürchterlich pathetisch wäre und den Antragstellern nicht als Podest für eine Reihe von Platitüden, unfairen Angriffen gegenüber dem französischen Partner und Besserwisserei dienen würde, ({0}) noch dazu, wenn es so dramatisch im Antrag heißt, daß die - ich zitiere Stärkung des europäischen Pfeilers des westlichen Bündnisses ... die Friedens-, Abrüstungsund Rüstungskontrollpolitik mehr als bisher einbeziehen müsse, ({1}) was ja wohl nur bedeuten kann, daß in Frankreich, außerhalb deutscher - oder sagen wir: sozialdemokratischer - Kontrolle ein paar „kalte Krieger" herumgeistern, die es zu zähmen gelte, weil sie sich bislang nicht in kühne sozialdemokratische Patentrezepte hätten einbinden lassen wollen, lieber Herr Kollege Gerster. Die Bundesregierung hat hierfür nichts Ausreichendes bzw. nur demonstrativ Symbolisches getan, obwohl gerade die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit Hervorragendes leistet. ({2}) Gerade die von den Sozialdemokraten als „demonstrativ symbolisch" kritisierte gemischte Brigade stellt eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, die Zusammenarbeit auf Verbands- und Einheitsebene zwischen verschiedenen Nationen mit unterschiedlichen Sprachen, Verteidigungsstrukturen und -auffassungen erfolgreich zu erproben und damit ein Modell für eine engere europäische Zusammenarbeit zu entwickeln. Es macht auch die Einbindung Frankreichs, das nicht Bestandteil der militärischen Integration der NATO ist, in das deutsche, wenn nicht sogar in ein westeuropäisches Verteidigungskonzept deutlich, bei der der Bundesrepublik Deutschland die Rolle eines wichtigen Bindeglieds zukommt. Die weitgehende Selbständigkeit Frankreichs, die übrigens mit höheren Kosten erkauft wird, als es unserem eigenen Verteidigungsetat entspricht, stellt durchaus einen erhöhten Unsicherheitsfaktor für einen möglichen Angreifer dar, wofür wir unseren französischen Partnern einmal offen danken sollten. In der großen Rede Präsident Mitterrands, die er am 20. Januar 1983 vor diesem Parlament hielt - Herr Kollege Gerster, Sie wären damals, jedenfalls nach Ihren Ausführungen hier, sicher auch sehr beeindruckt gewesen - und in der es u. a. heißt, Frankreich sei sich seiner - ich zitiere Solidarität zu den freien Völkern bewußt, wenn es in der Bundesrepublik Deutschland einen großen Teil der ersten französischen Armee stationiert habe, zu seinen Verpflichtungen in Berlin stehe und bekräftige, daß es loyaler Partner des Atlantischen Bündnisses bleibe und im Bewußt14026 sein dieser Verpflichtung der getreue Freund der Bundesrepublik Deutschland sei. Gegenüber dieser Verpflichtung erscheint der Antrag der SPD etwas kleinkariert und provinziell, zumal der deutsch-französische Vertrag die engste ständige militärische Kooperation und Konsultation vorsieht, die zwischen souveränen Staaten bislang praktiziert wird, und Frankreich gerade bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Sicherheit in Europa eine außergewöhnlich kooperative Rolle spielt. Das heißt, daß sich Frankreich voll in die 16 westlichen Verhandlungspartner - für Abrüstung und Rüstungskontrolle, für Frieden und Sicherheit - eingereiht hat. Ich kann zusammenfassend sagen: Auch wenn wir uns mancher Formulierung im Antrag der SPD nicht verschließen wollten, hätten wir bessere Vorschläge, z. B. für die sprachliche Ausbildung unserer Soldaten, und eine intensivere Zusammenarbeit unserer Parlamente, auch des Verteidigungsausschusses erwartet, dagegen weniger Überheblichkeit im Ton des Antrags, dessen besserwisserischer Akzent in einem so sensiblen außen- und sicherheitspolitischen Bereich im Gegensatz zu den tatsächlichen politischen Erfolgen der Antragsteller steht. Danke. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Frau Adam-Schwaetzer.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende SPD-Antrag, über den wir debattieren, ist vielleicht angesichts der dynamischen Entwicklungen in Europa etwas alt, aber er ist nach wie vor aktuell; denn die deutsch-französische Partnerschaft auf der Grundlage des Elysee-Vertrages ist nach wie vor Kern und Grundlage einer zukunftsorientierten Zusammenarbeit aller freien und demokratischen Kräfte Europas. ({0}) Das Ziel all unserer Politik ist nach wie vor, wie wir das im Harmel-Bericht formuliert haben, eine europäische Friedensordnung vom Atlantik bis zum Ural. Bei der Schaffung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates haben wir uns von der Überzeugung leiten lassen, gemeinsame Einsichten in konzertiertes politisches Handeln umzusetzen. Der Rat trat unter Leitung von Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl am 20. April 1989 zu seiner konstituierenden Sitzung in Paris und am 3. November 1989 zu seiner zweiten Sitzung in Bonn zusammen. Ihm arbeiten hochrangige gemischte Gremien zu. Ein ständiges deutsch-französisches Sekretariat mit Sitz in Paris hat Mitte des Jahres seine Arbeit aufgenommen. Dieser Zeitplan macht schon deutlich, daß es sich hier um ein Projekt handelt, das sicherlich noch weiter entwicklungsfähig ist. Es beginnt derzeit. Dennoch kann man heute schon sagen, daß die fortlaufende politische und persönliche Abstimmung auch in sicherheitspolitischen Fragen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zur Selbstverständlichkeit geworden ist. ({1}) Die institutionalisierte deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit entwickelt sich im Rahmen der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Atlantischen Bündnis und zur Westeuropäischen Union sowie im Einklang mit dem europäischen Einigungswerk. Sie folgt aus der Erkenntnis, daß eine Stärkung des europäischen Pfeilers des Bündnisses nach wie vor wichtig ist für eine reife und ausgewogene transatlantische Partnerschaft. Sie ist auch deshalb wichtig, weil natürlich wir Europäer besondere Sicherheitsinteressen haben, die wir aber im Rahmen des Atlantischen Bündnisses verwirklichen wollen. Sie stellt eines der Fundamente für Europas künftige Struktur dar. Aus dem Ziel der gesamteuropäischen Friedensordnung erfährt die deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit ihre politische Legitimation. Sie ist daher nicht exklusiv, sondern eine unumkehrbare Partnerschaft für Europa. ({2}) Auch unsere europäischen Nachbarn empfinden einen engen Schulterschluß zwischen Paris und Bonn als Chance für ganz Europa. Die sicherheitspolitische Kooperation beider Staaten zielt vor allen Dingen darauf ab, die Auffassungen der beiden Länder in allen die Verteidigung und Sicherheit Euopas berührenden Fragen einander anzunähern, um zu gemeinsamen Konzeptionen zu gelangen. Das heißt konkret: Beide Staaten stimmen ständig ihre Analyse der West-Ost-Beziehungen ab. Sie messen diesem Aspekt gerade im Zeitpunkt rapider Veränderungen in Mittel- und Osteuropa besondere Bedeutung bei. Verteidigungsminister Chevènement hat vorgestern in seiner Rede vor der WEU-Versammlung zu Recht zu Überlegungen über eine europäische Identität im Bereich der Sicherheitspolitik aufgefordert. Dies ist kein Gegensatz zur NATO und zur Beteiligung der USA und Kanadas an dem Verteidigungsbündnis der westlichen demokratischen Staaten. Die Gremien der deutsch-französischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit haben inzwischen auch das Thema der europäischen Identität aufgegriffen. Die beiden Staaten arbeiten eng in allen Abrilstungs- und Rüstungskontrollforen zusammen, insbesondere bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa und den Verhandlungen über sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa. Es gilt dabei sicherzustellen, daß der zentrale Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle mit den politischen Entwicklungen in ganz Europa Schritt hält. Dabei sind wir uns, glaube ich, auch in diesem Haus einig - zumindest weitgehend einig - : Die Herstellung konventioneller Stabilität ist das Kernproblem europäischer Sicherheit. Wir messen einem substantiellen Verhandlungsergebnis bei den Wiener Verhandlungen bis Mitte 1990 hohe Priorität bei. ({3}) Wir sind froh, daß der NATO-Gipfel am Montag dieses Ziel noch einmal unterstrichen hat. Präsident Mitterrand hat dies in seiner Erklärung zum Gipfel von Malta ebenfalls erneut bekräftigt. Der europäische Pfeiler innerhalb der NATO ist immer wieder in der Diskussion. Die Europäische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, die auch in sicherheitspolitischen Fragen zusammenarbeitet; denn Sicherheit hat, wie wir alle wissen, auch politische Dimensionen. Das wird einerseits deutlich in der Zusammenarbeit der zwölf EG-Partner im Rahmen der KSZE, andererseits aber natürlich auch darin, daß die militärischen Fragen der europäischen Sicherheit im Rahmen der Westeuropäischen Union und der NATO behandelt werden. Ich denke, daß dies eine Verteilung der Arbeiten und Aufgaben ist, wie sie auch dem Ziel der Europäischen Gemeinschaft als einer Gemeinschaft demokratischer Staaten mit einer Öffnung für andere demokratische europäische Staaten Rechnung trägt. Praktische Fortschritte bei der militärischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich tragen zur Stärkung des europäischen Pfeilers des Atlantischen Bündnisses bei. Beispiele sind gemeinsame Übungen und Manöver, um eine bessere Effizienz im Bereich der Strategie und der operativen Zusammenarbeit zu gewährleisten. Beide Seiten unterrichten sich über ihre künftigen Streitkräfteplanungen und prüfen gemeinsame Rüstungsprojekte mit dem Ziel, die Kosten zu senken. Anfang Oktober 1989 wurde der Großteil der deutschen und französischen Truppenteile planmäßig dem Kommandeur der deutsch-französischen Brigade im Raum Stuttgart unterstellt. Im Herbst 1990 soll die Brigade ihre volle Stärke von etwa 4 200 Mann erreichen. Sie ist ein Experiment, das für die Zukunft richtungweisend sein kann. Allen Skeptikern im Hause möchte ich sagen, daß sich derzeit mehr Rekruten für den Dienst in der Brigade bewerben, als die Brigade aufnehmen kann. ({4}) Dies zeigt, daß die Jugend diesem Experiment positiv gegenübersteht. ({5}) Die deutsch-französische Zusammenarbeit bleibt in allen ihren Aspekten gerade in Zeiten eines rapiden Wandels in Europa eine feste Konstante der europäischen Politik. Für unsere Außenpolitik besitzt sie zentrale Bedeutung auf dem Weg zu einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in ganz Europa. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Die Überweisung ist so beschlossen. Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir beginnen mit der Fortsetzung des Punkts 1 der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksache 11/5951 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung. Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf: Wie hat sich der neue Straftatbestand der §§ 17a, 27 VersG der Vermummung und der passiven Bewaffnung, der diese Taten immerhin mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr bedroht, angesichts der Krawalle vom 27. November 1989 in Göttingen ausgewirkt, an denen zahlreiche Personen vermummt und behelmt teilgenommen haben? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, die Beantwortung der Frage fällt in die Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Auf meine Anfrage hat der niedersächsische Minister des Innern folgende Stellungnahme übermittelt: Die geänderten Rechtsnormen haben bei diesem Einsatz nicht dazu geführt, daß eine Vermummung unterblieben ist. Eine erhebliche Anzahl von Autonomen, ca. 2 500 Personen, hatte sich vermummt. Gleichwohl entschloß sich der Einsatzleiter nach einer sorgfältigen Rechtsgüter-und Pflichtabwägung, zunächst nicht gegen die Vermummten einzuschreiten, da auf Grund des vorangegangenen tödlichen Verkehrsunfalles einer Studentin die gegen die Polizei gerichtete Stimmung unter den Demonstrationsteilnehmern sehr von Emotionen geprägt war. Darüber hinaus war neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die räumliche Enge in der Innenstadt Göttingen, ferner die hohe Anzahl von unbeteiligten Dritten zu berücksichtigen. Ein sofortiges Einschreiten hätte insbesondere angesichts der Örtlichkeit und der Stärke des straff organisierten Gewalttäterpotentials zu einer tätlichen Auseinandersetzung geführt, deren Verlauf und Ausgang nicht kalkulierbar waren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, indem ich vorausschicke, daß ich keine Sympathien für Vermummte, wohl aber eine tief sitzende Antipathie gegen unwirksame Gesetze habe, ({0}) und indem ich weiter vorausschicke, daß die Zuständigkeit über die Wirksamkeit von Strafvorschriften bundesrechtlicher Art natürlich die Bundesregierung und nicht das Land Niedersachsen betrifft, frage ich Sie zunächst, ob Sie denn glauben, daß dem Rechtsstaat dann gedient wird, wenn der Deutsche Bundestag - gegen alle Warnungen - eine Strafvorschrift einführt, die für Vermummungen ein Jahr Gefängnis auswirft ({1}) - immerhin, bis zu einem Jahr Gefängnis - , und die Polizei eines Landes sich dann entschließt, nichts zu tun, also das Begehen einer solchen Straftat sehenden Auges, vor ihren Augen nichts tuend zu dulden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich möchte nochmals zum Ausdruck bringen, daß es nicht Sache der Bundesregierung ist, ({0}) die Entscheidungen der Polizei in Niedersachsen zu bewerten. Das liegt allein in der Verantwortung der dort Zuständigen. Ich meine, daß aus dem Verlauf dieser gewalttätigen Aktion nicht der Schluß gezogen werden kann, das Gesetz sei überflüssig oder unwirksam. Vielmehr ist das eine Frage, die vor Ort unter dem Gesichtspunkt entschieden worden ist, inwieweit dem Gesetz Geltung verschafft werden kann oder nicht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind Sie denn der Meinung, daß wir in einem Rechtsstaat leben, wenn es bei der Polizei liegt zu entscheiden, ob dem Gesetz entsprochen wird oder nicht? ({0}) Ist es nicht vielmehr so, daß das Legalitätsprinzip auch unabhängig von dem von Ihnen soeben genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt, d. h. verpflichtet das Legalitätsprinzip nicht die Polizei, auf jeden Fall zumindest die Personalien von Tätern festzustellen, um sie dann verfolgen zu können?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, zu dem Problem des Legalitätsprinzips und auch des Opportunitätsprinzips, das beim polizeilichen Einsatz natürlich auch eine Rolle spielt, darf ich folgendes ganz allgemein ausführen. Auch nach Einführung der Straftatbestände der Vermummung und der passiven Bewaffnung für den polizeilichen Aufgabenbereich der Gefahrenabwehr, die ebenso wie die Strafverfolgung Ziel des polizeilichen Einsatzes ist, bleibt das Opportunitätsprinzip gültig. Soweit ein hiernach angezeigtes Verhalten der Polizei mit ihrer Pflicht zur Strafverfolgung im Einzelfall kollidiert, hat sie nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung neu zu entscheiden, ob der Aufgabe der Gefahrenabwehr oder der der Strafverfolgung zunächst Vorrang einzuräumen ist. Im übrigen ist die Ermittlungsverpflichtung der Polizei nach § 163 Abs. 1 StPO nicht so auszulegen, daß die Einsatzkräfte ohne Rücksicht auf die Situation und die in ihr gefährdeten Rechtsgüter verpflichtet ist, in jedem Fall sofort und ohne Rücksicht auf taktische Gesichtspunkte einzuschreiten. Sie kann die Ermittlungen und etwa mögliche Festnahmen auf einen Zeitpunkt verschieben, der eine Minderung der konkreten Rechtsgütergefährdung erwarten läßt. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Hirsch, Sie haben bei Ihrer nächsten Frage noch zwei Zusatzfragen. Nunmehr hat Herr Dr. Nöbel die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem am 21. April dieses Jahres die sogenannten Sicherheitsgesetze verabschiedet worden sind und jetzt erstmals im größeren Rahmen zur Bewährung anstanden - und sich nicht bewährt haben, wie Sie selber zugegeben haben - : Hat die Bundesregierung jetzt die Absicht, Konsequenzen auf gesetzgeberischem Gebiet zu ziehen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, um es klarzustellen: Ich habe keine Bewertung dergestalt abgegeben, daß sich dieses Gesetz nicht bewährt hat. Ich habe vielmehr die Entscheidung der Polizei beschrieben, die nach den Rechtsgrundlagen, die wir alle haben und die ich jetzt noch einmal erläutert habe, im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip als rechtlich nicht zu beanstanden anzusehen ist. Es steht mir nicht an, unter anderen Gesichtspunkten eine Wertung der Entscheidung der Polizei vorzunehmen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Lippelt, bitte sehr, eine Zusatzfrage.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben auf den schrecklichen Unfall und auf das, was danach passierte, Bezug genommen haben: War es nicht so, daß dieser entsetzliche Unfall gerade auf Grund des Räumungseingreifens der Polizei zustande gekommen ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bitte, jetzt keine Analyse dieses Unfalls im einzelnen vorzunehmen. Ich habe mich mit der Demonstration und dem Auftreten von 2 500 Vermummten und der Entscheidung der Polizei zu befassen. Das habe ich getan. Ich habe lediglich die Stimmungslage beschrieben, die die Polizei bei ihrem Einsatz auch zu berücksichtigen hatte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Langner, bitte sehr, eine Zusatzfrage.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bei aller Zurückhaltung bei der Bewertung des Einsatzes einer Landespolizei: Haben nicht gerade die Göttinger Ereignisse und das Vorgehen der niedersächsischen Landespolizei die Unkenrufe derer Lügen gestraft, die bei Einführung des Vermummungstatbestandes vorausgesagt haben, daß durch das Legalitätsprinzip die polizeiliche Opportunität in einem solchen Falle unverhältnismäßig eingeschränkt werde?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Das ist zutreffend, Herr Kollege Langner. Die Ereignisse in Göttingen Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode Parl. Staatssekretär Spranger haben insbesondere auch gezeigt, welches Gefährdungspotential von den Vermummten ausgeht. Es ist eine Aktion gewesen, in deren Verlauf über 97 Polizeibeamte verletzt worden sind. Das zeigt das Gewaltpotential, das sich hinter Vermummten verbirgt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Teilen Sie meine Einschätzung, Herr Staatssekretär, daß sich die Erwartungen derjenigen Befürworter der Sicherheitsgesetze nicht erfüllt haben, die sich davon erhofften, daß die von uns allen abgelehnte Vermummung aufhören würde? ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich glaube nicht, daß bei dem Tätertyp, der hier Grundlage einer Gesetzesänderung war, jemand realistischerweise bei dieser Strafbestimmung von einer solchen Abschreckungswirkung ausgehen konnte, daß eine solche Straftat praktisch verschwinden würde. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Penner, eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen des sehr geschätzten Dr. Langner fragen: Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr so, daß das Beispiel Göttingen beweist, wie leicht das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip überlagert werden kann mit dem Ergebnis, daß diejenigen Recht behalten, die immer dem Opportunitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Vermummungsverbot das Wort geredet haben? ({0}) Spranger, Pari. Staatsekretär: Herr Kollege Dr. Penner, ich möchte jetzt nicht Bewertungen, ob es leicht ist, das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip zu überlagern, abgeben, sondern ich habe auf die Zusammenhänge hingewiesen und deutlich gemacht - das ist der allgemeine Grundsatz, den auch alle anerkennen - , daß das Legalitätsprinzip das Opportunitätsprinzip nicht ausschließt und daß hier immer Abwägungen stattzufinden haben, die in dem Fall zu diesem Ergebnis geführt haben. Das kann man beklagen, das kann man kritisieren. Das kann man durchaus auch anders bewerten, als es die polizeiliche Einsatzleitung dort getan hat. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir neben dem Opportunitätsund Legalitätsprinzip das Prinzip haben, möglichst keine Dreiecksfragen zuzulassen. Ich wäre dankbar, wenn das ein wenig berücksichtigt würde. Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meinen Sie nicht, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß den Menschen draußen die ganzen Prinzipien, die Sie jetzt angeführt haben, eigentlich egal sind und daß, wenn so etwas vorkommt, wie es jetzt vorgekommen ist, möglicherweise gerade das gezüchtet wird, was Sie mit dem Vermummungsverbot in den Griff zu kriegen gedacht haben, daß dadurch also die Radikalität gewisser Jugendlicher nicht nur zunimmt, sondern die Reps einen enormen Anstieg der Zahl ihrer Wähler und Wählerinnen bekommen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Solche Zusammenhänge, wie Sie sie konstruieren, kann ich nicht sehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf: In wie vielen Fällen hat die Polizei die scharenweise herumlaufenden Straftäter festgenommen oder ihre Personalien festgestellt, und in wie vielen Fällen sind dementsprechend Strafverfahren eingeleitet worden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, zu Ihrer Frage hat sich der niedersächsische Minister des Innern wie folgt geäußert: Straftäter sind nicht scharenweise herumgelaufen, sondern bewegten sich straff organisiert in abgeschotteten Blöcken. ({0}) Ich gebe die Information des niedersächsischen Ministers des Innern wieder. Nach dem Stand vom 1. 12. 1989 sind 99 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, davon 62 gegen bekannte Täter, die hinreichend verdächtig sind, gegen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes verstoßen zu haben. Im übrigen war es aus Zeitgründen nicht möglich, die Antwort mit der Justiz abzustimmen. Das gilt auch für die vorangegangene Frage.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nur, damit Sie erst einmal auf die Frage antworten, die ich gestellt habe: Würden Sie mir bitte mitteilen, gegen wie viele der 2 500 vermummten Straftäter, die ja nach unseren hier beschlossenen Gesetzen ein Vergehen begangen haben, von der Polizei in Niedersachsen oder der Staatsanwaltschaft wegen dieses Tatbestandes, der Vermummung, ein Verfahren eingeleitet worden ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sagte schon: Nach dem jetzigen Stand sind 99 Ermittlungsverfahren eingeleitet. ({0}) - Mir ist nicht mitgeteilt worden, was der Anlaß der Einleitung dieser Ermittlungsverfahren ist. Das kann der Tatbestand der Vermummung sein, es können auch andere Tatbestände sein, deretwegen Ermittlungsverfahren laufen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, da Sie nicht für den niedersächsischen Innenminister, sondern für die gesamte Bundesregierung antworten und da sich ein Polizeibeamter, der das Legalitätsprinzip verletzt, der Strafvereitelung im Amt schuldig, also strafbar macht, bitte ich Sie, uns jetzt für die Bundesregierung zu sagen, wo Sie die Grenze ziehen, ab der ein Polizeibeamter nach Meinung der Bundesregierung nicht mehr verpflichtet ist, das Gesetz zu vollziehen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, diese abstrakte Frage ({0}) läßt sich konkret überhaupt nicht beantworten. Das hängt jeweils vom Einzelfall ab. Ich habe Ihnen bereits bei der Darlegung der Rechtslage die Probleme der Abgrenzung zwischen dem Legalitätsprinzip und dem Opportunitätsprinzip klar dargestellt. Diese sind auf den jeweiligen Einzelfall zu übertragen. Das läßt sich abstrakt überhaupt nicht beantworten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie im Anschluß an eine Frage des Kollegen Dr. Hirsch Zweifel daran angemeldet, daß die Strafandrohung von höchstens einem Jahr abschreckend wirken könne. Denken Sie daran, den Straftatbestand der Vermummung als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentziehung einzustufen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Penner, hier haben Sie meine Antwort offenkundig mißverstanden. Insbesondere ist überhaupt nicht daran gedacht, in der von Ihnen erwähnten Richtung erneut eine Gesetzesänderung anzustreben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich muß den Abgeordneten Penner darauf aufmerksam machen, daß dies sicherlich eine Zusatzfrage zur Frage 54, nicht aber zur Frage 55 war. Insoweit hätte der Herr Staatssekretär nicht darauf zu antworten brauchen. ({0}) Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben vorhin die Frage des Herrn Dr. Hirsch als abstrakt abgewertet. Wie würden Sie es z. B. bewerten, wenn Ihre Tochter nicht mehr lebte? Wie würden Sie dann die Verantwortung der Bundesregierung einschätzen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich habe die Frage des Herrn Dr. Hirsch nicht abgewertet, sondern ich habe sie nach meiner Auffassung zutreffend beschrieben. Im übrigen beabsichtige ich nicht, diese von Ihnen konstruierte Frage in irgendeiner Form zu beantworten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da offensichtlich den ehrenwerten Damen und Herren Abgeordneten nicht mehr bewußt ist, daß die Frage lautete: „In wie vielen Fällen hat die Polizei die scharenweise herumlaufenden Straftäter festgenommen oder ihre Personalien festgestellt, und in wie vielen Fällen sind dementsprechend Strafverfahren eingeleitet worden?", bitte ich die Zusatzfrager, darauf zu achten, daß der sachliche Zusammenhang hergestellt wird, da ich anderenfalls hier oben doch in Teufels Küche komme. - Herr Abgeordneter Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich möchte an Ihre eben gegebene Antwort anknüpfen und Sie fragen, ob Sie die Befürchtung teilen, daß bei einer solchen Einschätzung, wie Sie sie eben gegeben haben, die Verantwortung letztendlich auf den einzelnen Polizeibeamten zurückfällt.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Nein, diese Meinung teile ich nicht. Der Einsatzleiter, die polizeiliche Führung in Göttingen hat so entschieden. Sie trägt dafür auch die Verantwortung und nicht der einzelne Polizeibeamte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun kommen wir zu den Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Dr. Nöbel, bei denen ich nicht sicher bin, ob sie nicht eben schon zum Teil mitbeantwortet worden sind. Aber wenn Herr Dr. Nöbel nicht den Eindruck hat, wollen wir dem Herrn Staatssekretär die Möglichkeit geben, noch einmal eine Antwort zu geben. Ich rufe zunächst die Frage 56 auf: Wie viele vermummte Personen hat die Polizei bei der Demonstration am 25. November 1989 in Göttingen festgenommen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, die Beantwortung der Frage liegt ebenfalls wieder in der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Der niedersächsische Minister des Innern hat sich auf meine Anfrage wie folgt geäußert: Keine.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem wir uns in diesem Hause über ein Jahrzehnt lang gestritten haben, was das sogenannte Sicherheitsgesetz angeht, und es hier erstmals zur Bewährung stand, sind Sie mit mir der Meinung, daß es sich nicht bewährt hat?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, ich würde aus der Handlungsweise der Polizei in Göttingen nicht den Schluß ziehen, daß damit das Gesetz bereits als nicht bewährt betrachtet werden könne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Nöbel, bitte.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da es zwei aktuelle Sachverhalte gibt, nämlich Göttingen und leider auch Herrhausen, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß in beiden Fällen - in dem letzten von mir angesprochenen Fall geht es um die Kronzeugenregelung, in dem anderen um die Regelung des Vermummungsverbots - das Gesetz eklatant versagt hat, wo es sich hätte bewähren müssen. ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, ich möchte hier eine Verknüpfung beider Fälle strikt ablehnen. Ich beschränke mich auf den aktuellen Fall, den wir hier in der Fragestunde zu behandeln haben. Dazu habe ich mich schon geäußert.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen - ich meine das jetzt sehr ernst - , daß auf den Inhalt der Frage Rücksicht genommen werden muß. Herr Dr. Nöbel, Ihre beiden Zusatzfragen für diese Frage sind verbraucht. Nun hat der Abgeordnete Penner das Wort zu einer Zusatzfrage.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hoffe, Herr Präsident, daß ich Ihren Vorgaben genüge; denn ich habe Sie vorhin überstrapaziert. Herr Staatssekretär, es war davon die Rede, daß 2 500 Vermummte gegen den Straftatbestand der Vermummng verstoßen haben. Denkt die Bundesregierung angesichts dieser Zahl darüber nach, zusätzliche Haftplätze zu schaffen, weil sie doch nicht immer damit rechnen kann, daß die überwiegende Zahl einer solch großen Gruppe unerkannt entkommt? ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Dr. Penner, nachdem der Herr Präsident wiederholt auf das Erfordernis des Sachzusammenhangs zwischen den Zusatzfragen und der Hauptfrage hingewiesen hat und meine Antwort klar war, daß nämlich keine Festnahmen erfolgt sind, möchte ich hier sagen, daß ich keinen Zusammenhang zwischen Ihrer Zusatzfrage und der ursprünglichen Frage sehe.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Penner, zu der Frage: Wie viele vermummte Personen hat die Polizei bei der Demonstration am 25. November 1989 in Göttingen festgenommen? besteht in der Tat kein Zusammenhang. Aber bei der Frage 57, die gleich folgt, würde ich Ihre Frage wohl zulassen müssen. Herr Dr. Hirsch, nun haben Sie das Wort zu einer Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, da es nach Ihrer Antwort, die Sie dem Kollegen Richter gegeben haben, von der Entscheidung des Einsatzleiters abhängt, wie viele Personen er festnehmen läßt, ob er also vorgehen läßt oder nicht, frage ich Sie: Sind Sie denn tatsächlich der Meinung, daß der Einsatzleiter frei ist, zu entscheiden, ob er ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz vollziehen, das Legalitätsprinzip also befolgen will, oder soll er nach Ihrer Meinung auf seine eigene Mütze entscheiden, ob er handeln will oder ob er sich der Strafvereitelung im Amt strafbar macht?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, ich muß hier korrigieren. Ich habe nicht gesagt, es ist dem Einsatzleiter überlassen, zu entscheiden, wieviel Personen festgenommen werden sollen. ({0}) Vielmehr ist es ihm überlassen, in welcher Form er in einer Situation, wie er sie in Göttingen vorgefunden hat, den Einsatz der Polizei organisiert, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Wie er nun in Abwägung der beiden Prinzipien entscheidet, kann ich erstens hier im Bundestag nicht beurteilen, weil das Sache der Länderpolizeien ist, und zusätzlich muß ich das dem verantwortlichen Polizeiführer überlassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Jetzt hat die Abgeordnete Frau Unruh das Wort.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie viele Tote ist die Bundesregierung bereit in Kauf zu nehmen, bis dieses Gesetz wieder wegkommt?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sehe bei dieser Fragestellung keinen Zusammenhang. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann hat die Abgeordnete Frau Wollny das Wort zu einer Zusatzfrage.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hätte gerne gewußt, wie groß die Zahl der Polizisten sein müßte, um bei einer Anzahl von 2 500 Vermummten dem Gesetz Genüge tun zu können. ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bitte hier sehr um Verständnis, daß ich mich nicht in der Lage sehe, dazu eine allgemeingültige Antwort zu geben, weil natürlich auch immer die jeweilige Situation vor Ort ganz entscheidend bei den Überlegungen der in der Polizei für die Einsätze Verantwortlichen mitbestimmend ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun kommen wir zur Beantwortung - Dr. Penner ({0}): Herr Präsident, Sie hatten meine Frage gestrichen. Dann habe ich eigentlich noch eine.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Wir sind aber noch nicht bei Frage 57.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte eine andere Frage stellen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das ist eine recht beachtliche Auslegung der Geschäftsordnung, aber mit Anstand kann ich mich dagegen wohl nicht wehren. - Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie beschämen mich. Herr Staatssekretär, würden Sie sich, nachdem Sie festgestellt haben, daß es in Göttingen nicht zu Festnahmen gekommen ist, wenigstens für den Vorgang in Göttingen so äußern können, daß der Straftatbestand der Vermummung jedenfalls insoweit an diesem Ort ins Leere gelaufen ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich würde diesen Begriff nicht verwenden wollen, sondern sagen: Es ist eine Entscheidung der Polizei vor Ort getroffen wor14032 I den, die eine Umsetzung der Gesetzeslage nicht möglich machte. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

So, nun kommen wir zur Beantwortung der Frage 57 des Abgeordneten Dr. Nöbel: Wie viele der ca. 2 500 vermummten Personen, die an dieser Demonstration teilgenommen haben, müssen mit einer Bestrafung rechnen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Hier hat sich, Herr Kollege Dr. Nöbel, der niedersächsische Minister des Innern wie folgt geäußert: „Eine definitive Aussage ist zur Zeit nicht möglich. Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an. Im übrigen war es aus Zeitgründen nicht möglich, die Antwort mit der Justiz abzustimmen. " ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Mehrheit dieses Hauses, die am 21. April die sogenannten Sicherheitsgesetze beschlossen hat, nach dem, was Sie hier geantwortet haben, eingestehen müßte, daß es ein absurdes Gesetz gewesen ist, das dort verabschiedet wurde?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, dieser Meinung bin ich nicht.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nicht meiner Meinung, ({0}) daß Gesetze, wenn sie einen Sinn haben sollen, auch anwendbar sein müssen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Nöbel, vom Grundsatz her haben Sie recht. Wenn Sie aber die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland jährlich begangenen Straftaten betrachten, dann werden Sie sehen, daß das in die Größenordnung von Millionen geht. Das heißt, daß diese Gesetze, die ja doch Straftatbestände festlegen, die wir alle akzeptieren - von Ihrer Seite das Vermummungsverbot vielleicht nicht - , nicht in der Form umgesetzt werden, wie wir es uns alle wünschen würden. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn Sie sich noch einmal in aller Ruhe ({0}) - das zeichnet Sie ja so aus - das Verhältnis von 2 500 offen auf der Straße - ob nun im Block oder nicht, wie auch immer, jedenfalls vor den Augen der Polizei - herumlaufenden Straftätern auf der einen Seite zu den Verfolgungstatbeständen auf der anderen Seite, die nach Ihrer oder des niedersächsischen Innenministers Auskunft null sind, vergegenwärtigen: Finden Sie nicht, daß Sie uns dann viel überzeugendere, auch für Sie leichtere, richtigere Antworten hätten geben können, indem Sie einfach sagen, daß sich das Gesetz nicht bewährt hat, wie es vorausgesagt wurde?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Hirsch, das wäre sicherlich eine ganz einfache Antwort, und Sie würden diese Antwort sicherlich auch sehr begrüßen. Aber ich bitte sehr um Verständnis, daß ich diese Antwort nicht gebe. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Penner hat nun die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zur Frage 57 zu stellen.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt komme ich auf meine Frage von vorhin zurück, bei der der Präsident zu Recht darauf hingewiesen hat, daß da nichts benamt war. Also, die Frage lautete: Da in Göttingen 2 500 Vermummte gegen den Straftatbestand der Vermummung verstoßen haben, frage ich Sie, ob die Bundesregierung angesichts dieser Menge zusätzliche Haftplätze schaffen muß, weil sie ja nicht immer damit rechnen kann, daß alle diese Straftäter entkommen.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Penner, die Zahl der Festnahmen in Göttingen macht deutlich, daß Ihre Überlegungen nicht ganz sinnvoll erscheinen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten Sie es, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nicht für absurd, ein Gesetz auf Grund eines einzigen Beispiels einer gewaltsamen Demonstration bereits für absurd zu erklären?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich habe das schon in mehreren Antworten sinngemäß zum Ausdruck gebracht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001288, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung es angesichts der in verschiedenen Fragen der Oppositionskollegen zum Ausdruck gekommenen großen Sorge, daß die Polizei hier nicht ausreichend zugegriffen und verhaftet hat, begrüßen, wenn die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag Anträge zur Vermehrung der Zahl der Stellen bei der Polizei stellen würden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Das würde die Polizeiführung, die in Göttingen entscheiden mußte, sicherlich ebenso positiv sehen, wie Sie es angeregt haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Langner, die Antwort verdanken Sie nur der Großzügigkeit des Staatssekretärs. Der direkte Bezug war auch hier nicht gegeben. ({0}) Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß Sie sich überall lächerlich gemacht hätten, wenn es - nach dem Gesetz - zu Massenverhaftungen von 2 500 Personen in Hannover gekommen wäre, zumal das Thema DDR und die Übersiedlerfrage ja ganz oben auf der Tagesordnung standen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Abgeordnete, ich habe hier wiederholt erklärt, daß ich es ablehne, hypothetische Antworten zu hypothetischen Fällen zu geben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Auskunftsbereitschaft. Wir kommen sodann zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht uns zur Beantwortung der einzigen Frage zu diesem Geschäftsbereich zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Frau Wollny auf: Verfügt der Bundesnachrichtendienst über Erkenntnisse, nach denen der Bau eigener U-Boote in Südafrika bereits begonnen hat bzw. daß entsprechende Vorbereitungen hierfür bereits getroffen wurden, z. B. in der Form, daß die Anlagen südafrikanischer Werften entsprechend verändert wurden? Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat aus keiner der ihr zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne Ihrer Fragestellung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, Sie haben zwei Zusatzfragen.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hat es von seiten der amerikanischen Regierung oder des amerikanischen Geheimdienstes - ähnlich wie im Fall Rabta/Libyen - irgendwelche Anfragen oder Hinweise bezüglich des U-Boot-Baus in Südafrika an den Bundesnachrichtendienst oder an die Bundesregierung gegeben?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung gibt im Parlament nur in der dafür vorgesehenen Parlamentarischen Kontrollkommission Auskunft über die Tätigkeit und die Informationen der Dienste im einzelnen. Wenn Sie aber meine eingangs gegebene Antwort, die allgemein und umfassend gehalten war, bewerten, dann können Sie daraus Ihre Schlüsse ziehen. Ich habe gesagt, daß uns aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne Ihrer Frage vorliegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Lieselotte Wollny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002560, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt es denn die Bereitschaft der Bundesregierung, sich Luftaufnahmen des Werftgeländes der Firma Austral Sandock in Durban/Südafrika zu besorgen, um zu überprüfen, ob dort in den letzten Jahren bauliche Veränderungen vorgenommen worden sind, die auf die Absicht schließen lassen, dort U-Boote zu bauen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich wüßte nicht, wie wir uns solche Luftaufnahmen besorgen könnten. Da ich eingangs schon sagte, daß wir keine Erkenntnisse haben, aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen, liegen uns auch keine Luftaufnahmen vor.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wollen Sie Frau Kollegin Wollny nicht fragen, ob sie nicht selbst in der Lage ist, die Luftaufnahmen, die sie vermißt, zu beschaffen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Dreiecksfragen sind nicht zugelassen. ({0}) Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wertet der Bundesnachrichtendienst bei seiner Arbeit nicht auch Pressemeldungen aus, und trifft es zu, daß in der deutschen Presse berichtet worden ist, daß sich Experten deutscher Kriegsschiffswerften zur Modernisierung der U-Boot-Werft Austral Sandock in Südafrika aufgehalten haben, und trifft es weiter zu, daß die südafrikanische Presse darüber berichtet hat, daß der südafrikanische Premierminister erklärt hat: Wir haben inzwischen die Kapazitäten zum U-Boot-Bau? Sind dem Bundesnachrichtendienst solche Pressemeldungen unbekannt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich sehe mich nicht in der Lage, eine vollständige Presseübersicht über das von Ihnen angesprochene Thema zu haben, sondern ich weise noch einmal darauf hin, daß wir aus keiner der uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung haben. Ich kann aber nicht jede Pressemeldung, die Sie angesprochen haben, hier würdigen, weil sie mir nicht vorliegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, müssen diese Pressemeldungen die Bundesregierung nicht alarmieren, nachdem sie ansonsten bestreitet, daß das UBoot-Geschäft zum Bau von U-Booten führen kann, und sind Sie beim Auftauchen solcher Pressemeldungen und Erklärungen der südafrikanischen Regierung nicht von sich aus als Regierung tätig geworden, um diesen Berichten nachzugehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich darf noch einmal auf das hinweisen, was ich auf die, wie ich glaube, erste Zusatzfrage geantwortet habe, nämlich daß wir über die Tätigkeit der Dienste im ein14034 zelnen hier nicht Auskunft geben können. Dies tun wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Ich wiederhole noch einmal, daß uns Erkenntnisse im Sinne der Frage der Frau Kollegin nicht vorliegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist Ihrer Feststellung, daß dem Bundesnachrichtendienst insoweit keine Erkenntnisse vorliegen, in der Parlamentarischen Kontrollkommission widersprochen worden? ({0})

Not found (Gast)

Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Kollege, der mir die Antwort erlaubt, daß die Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission und die Inhalte geheim sind. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Wortmeldung des Abgeordneten Lippelt hat sich offensichtlich erübrigt. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen, ich bedanke mich im Namen des Hauses für Ihre Auskunftsbereitschaft. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Verfügung steht uns Frau Staatsminister Dr. Adam-Schwaetzer. Zunächst einmal kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, Frau Staatsminister, daß die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Reuter sowie die Fragen 30 und 31 der Abgeordneten Frau Dr. Timm zurückgezogen sind. Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Beer auf: Hält die Bundesregierung die in insgesamt vier Gutachten des Auswärtigen Amtes für die Oberfinanzdirektion Kiel und die Staatsanwaltschaft Kiel geäußerte Auffassung, das U-Boot-Geschäft der Firmen HDW und IKL mit Südafrika habe keine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland verursacht, auch nach der Verabschiedung der UNO-Resolution A/44/L.34/Rev. 1 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen für zutreffend, und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die genannte Resolution mit großer Mehrheit, d. h. mit 106 gegen 17 Stimmen bei 26 Enthaltungen, verabschiedet wurde?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, die Frage der erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen wird auf Bitten des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kiel vom Auswärtigen Amt erneut geprüft. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Haben Sie eben die beiden Fragen 32 und 33 zusammen beantwortet?

Not found (Gast)

Das war die Frage 32, Frau Abgeordnete.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte von Ihnen gern wissen, ob der Bundesregierung ein vergleichbarer Fall bekannt ist, daß die UNO-Vollversammlung die Regierung eines Landes aufgefordert hat, ihren Verpflichtungen nach dem UNO-Rüstungsembargo gegen Südafrika nachzukommen, indem sie zwei Firmen gerichtlich verfolgen lassen soll, weil diese das genannte Embargo verletzt haben.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, Sie greifen hier auf Fragen vor, die im Zuge der Fragestunde behandelt werden. Aber ich bin gern bereit, Ihnen schon jetzt darauf zu antworten. Ihre Kollegen werden es ihnen vielleicht danken. Die Bundesregierung hat ihre Verpflichtungen aus dem UN-Rüstungsembargo erfüllt, indem sie die Vorschriften dieses mandatorischen Rüstungsembargos in innerstaatliches Recht umgesetzt hat, indem sie Gesetze und Verordnungen entsprechend angepaßt hat, indem sie die Kontrolle in der erwarteten Weise ausgestaltet hat. Die Verfolgung von möglichen Straftaten ist nicht eine Aufgabe der Bundesregierung, sondern liegt nach unserer innerstaatlichen Ordnung in den Händen der dafür zuständigen Staatsanwaltschaften.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, entschuldigen Sie, das war nicht meine Frage. Ich habe gefragt - ich wiederhole es - , ob der Bundesregierung ein vergleichbarer Fall bekannt ist, in dem die UNO-Vollversammlung die Regierung eines Landes aufgefordert hat, in dieser Form aktiv zu werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Frau Staatsministerin hat die Frage verstanden und auch indirekt beantwortet, Frau Abgeordnete.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe nicht hinsichtlich dieses Falles gefragt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich lasse mich auf keinen Streit ein. Frau Staatsminister, wollen Sie noch einmal irgendeine Bemerkung dazu machen?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, ich denke, ich habe Ihre Frage hinreichend beantwortet. Es liegt eine Resolution der UNOVollversammlung vor. Dieses hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Jede Resolution ist in einer gewissen Weise anders, wenngleich wir bei dieser Resolution sagen müssen: Sie stellt eigentlich nur eine Variation dessen dar, was in den vergangenen Jahren innerhalb der Vereinten Nationen immer wieder auf den Tisch gekommen ist. In den vergangenen Jahren sind diese Resolutionen in der einen oder anderen Form ebenfalls verabschiedet worden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da Sie das eben als eine Wiederholung betrachtet haben, gestatte ich Ihnen Ihre zweite Zusatzfrage. Bitte sehr.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne die Auffassung der Bundesregierung wissen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit man durch ein ungenehmigtes Außenwirtschaftsgeschäft mit Südafrika die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland als erheblich gestört bezeichnen kann, und trifft es vielleicht nicht zu, daß in der internatioFrau Beer nalen Debatte auch das Handeln einzelner Firmen zu einer solchen Störung führen kann, insbesondere, wenn es sich wie im Falle von HDW um eine staatseigene Firma handelt?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, die Bundesregierung wendet für die Bewertung der Frage, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen gegeben ist, allgemein gültige Erwägungen an, die sich nicht nur auf ein einziges Land beziehen. Diese Erwägungen kann man dahin gehend formulieren, daß man sagt: Insgesamt ist abzuwägen, ob die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das internationale Echo durch die in Frage stehenden außenwirtschaftlichen Handlungen in eine Lage gebracht wird, die es ihr unmöglich macht oder zumindest ernsthaft erschwert, ihre außenpolitischen Interessen zur Geltung zu bringen und glaubhaft zu vertreten. Durch die Formulierung „die in Frage stehenden außenwirtschaftlichen Handlungen" wird, glaube ich, hinreichend deutlich, worauf sich dies alles beziehen kann.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Jetzt hat der Abgeordnete Bohl die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, die Ursprungsfrage lautete ja, wie die Bundesregierung die Frage beurteilt, ob es hier eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik gibt. Sie antworteten, daß das noch geprüft werde. Dazu meine Frage: Wird bei dieser Prüfung auch eine Rolle spielen, daß der eigentliche Vorgang über vier Jahre zurückliegt, seit mindestens drei Jahren bekannt ist und diese öffentliche Bekanntmachung nicht dazu geführt hat, daß innerhalb der UNO eine solche Resolution verabschiedet worden ist, daß wohl aber eine solche Resolution unmittelbar nach dem Besuch des Abgeordneten Gansel bei der UNO verabschiedet wurde, vor der der Abgeordnete Gansel wahrheitswidrige Behauptungen über Sachverhalt und den Stand des Verfahrens aufgestellt hat? ({0})

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird bei ihrer erneuten Bewertung, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, alle bisher in diese Überlegungen einbezogenen bekannten Dinge, aber auch die Entwicklungen der letzten Woche mit einbeziehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann hat zunächst einmal der Abgeordnete Gansel das Wort zu einer Zusatzfrage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trifft es zu, Frau Staatsministerin, daß Sie auf die Frage der Kollegin Beer eben geantwortet haben, die Verfolgung von Straftaten stehe in der Unabhängigkeit der Justiz und, wenn ja, haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Bundesregierung erstens durch eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers vom Sommer dieses Jahres staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in dem Rüstungsgeschäft verhindert hat ({0}) und - nächster Punkt - warum die Bundesregierung weiterhin das Eintreten einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik bestreitet mit dem Ziel, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und eine gerichtliche Entscheidung nicht zuzulassen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie Jurist. Das heißt, schon von Ihrer Ausbildung her müssen Sie sehr genau die innerstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland kennen und deshalb wissen, wer für die Verfolgung von Straftaten, wer für die Einleitung der Verfolgung zuständig ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsminister, nachdem Sie meiner Kollegin soeben geantwortet haben, Resolutionen solcher Art gebe es halt gelegentlich, hin und wieder einmal, frage ich: Können Sie mir einen Fall nennen, in dem die Bundesregierung, in dem die Bundesrepublik Deutschland schon einmal von einer so gewichtigen Resolution betroffen worden ist, und können Sie den Fall dann auch genau nennen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, aus dem Gedächtnis ist mir kein solcher Fall bekannt. Der Kollege Bohl hat ja bereits darauf hingewiesen, daß die Frage des Blaupausenexports nach Südafrika bereits seit vielen Jahren bekannt ist und daß es zu einer solchen Resolution nicht gekommen ist. ({0}) Dies unterstützt die Bewertung der Bundesregierung, daß es auch in diesem Falle ungerechtfertigt gewesen ist, daß eine solche Nennung erfolgt ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, nachdem vier Jahre lang versucht wurde, diese Angelegenheiten zu vertuschen, frage ich: Trifft es zu, daß die mit dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika verbundenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1989 verjähren können, und, wenn nein, wann ist nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung mit einer Verjährung zu rechnen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich sehe mich nicht in der Lage, auf Fragen der Verjährung zu antworten - dafür wäre ja auch der Kollege vom Justizministerium zuständig -, möchte allerdings darauf hinweisen, daß hier nichts vertuscht worden ist und auch nichts vertuscht werden konnte, schon deshalb nicht, weil es zu der gesamten Frage des Exports von Blaupausen für den UBoot-Bau nach Südafrika einen parlamentarischen Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzer Untersuchungsausschuß gegeben hat, sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch in dieser Legislaturperiode. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Adam-Schwaetzer, trifft es denn zu, daß die staatsanwaltschaftliche Überprüfung in der Sache gar nicht stattfinden kann, weil die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung überhaupt nicht gegeben hat? ({0})

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, wenn ich das recht sehe, bewegen wir uns derzeit in der Beantwortung der Frage 32. Darin hat die Kollegin danach gefragt, ob die Bundesregierung die Bewertung der erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen verändert hat, nachdem die Resolution verabschiedet worden ist. Ich sehe keinen direkten Zusammenhang. Aber wenn Sie noch etwas warten und Ihre Zusatzfragen nicht schon bei der falschen Frage anbringen, können Sie vielleicht noch eine Antwort bekommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dem habe ich nichts hinzuzufügen. - Frau Abgeordnete Unruh!

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatsministerin, Herr Genscher hat in der Presse irgendein Rechenexempel gemacht; deshalb möchte ich von Ihnen lediglich eine Bestätigung haben. Stimmt es, daß die UNO-Resolution so verabschiedet worden ist, wie das auch hier steht, nämlich mit großer Mehrheit, d. h. mit 106 gegen 17 Stimmen bei 26 Enthaltungen? Ist das so? Ich frage das, weil Herr Genscher der Bevölkerung irgend etwas anderes mitgeteilt hat; ich glaube, es war sogar in der „Bild"-Zeitung. ({0})

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, ich werde im Zuge einer anderen Frage, deren Nummer mir im Moment gerade nicht geläufig ist, die Zahlen noch konkret nennen. In der UNO hat es ja zwei Abstimmungen zu diesem Komplex gegeben. Bei einer Abstimmung ging es darum, ob die Bundesrepublik überhaupt namentlich erwähnt werden soll. Dieser Antrag ist mit 56 gegen 43 Stimmen - wenn ich das richtig im Kopf habe - bei sehr, sehr vielen Enthaltungen mit knapper Mehrheit angenommen worden. Bei der Abstimmung über die endgültige Resolution gab es - ({0}) Ich kann Ihnen jetzt die genauen Zahlen für die erste Abstimmung sagen: 53 Ja-Stimmen, 45 NeinStimmen, 38 Enthaltungen. Das heißt: Eine Minderheit der Vereinten Nationen hat dafür gestimmt, die Bundesrepublik hier namentlich zu erwähnen. Die Bundesrepublik ist ja nicht verurteilt worden, sondern sie ist namentlich erwähnt worden. Was die Endabstimmung angeht, so sind die Zahlen korrekt, wie sie in der Frage 32 aufgeführt worden sind. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stobbe.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, spielt bei der Beurteilung des politischen Gewichts dieser Resolution der Vereinten Nationen und der Abwägung darüber, ob ein außenpolitischer Schaden eingetreten ist oder nicht, nicht in besonderer Weise eine Rolle, daß die Bundesregierung in den Vereinten Nationen in den vergangenen drei Jahren darauf hingewiesen hat, dieser Vorgang werde in der Bundesrepublik untersucht, und muß nicht aus dem Umstand, daß jetzt eine solche Resolution kommt, geschlossen werden, daß die Staatengemeinschaft darüber verärgert ist, daß diese Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht vorankommen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen - der Kollege Bohl hat ebenfalls darauf hingewiesen -, daß es bestimmte Aktivitäten in den vergangenen Wochen gegeben hat, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie auch eine Auswirkung gehabt haben. All dies wird im Zusammenhang noch einmal bei der Beurteilung der Frage bewertet werden, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen vorliegt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wollny, ({0}) - Dann rufe ich Frage 33 der Abgeordneten Frau Beer auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, daß die U-Boot-Pläne-Lieferungen der Firmen HDW und IKL nach Südafrika einen Bruch des UNO-Rüstungsembargos darstellen, und welche Antwort wird die Bundesregierung der UNO auf die Forderung der UNOGeneralversammlung geben, die Bundesregierung möge die beiden U-Boot-Firmen gerichtlich verfolgen lassen?

Not found (Gast)

Ich kann es nicht ändern, aber ich werde jetzt natürlich auf Fragen noch einmal antworten müssen, die bereits als Zusatzfragen gestellt worden sind. Aber ich tue das gerne. Frau Abgeordnete, das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen richtet sich an Staaten und nicht direkt an einzelne Firmen. Die Bundesregierung hat ihre Verpflichtungen aus dem Rüstungsembargo der Vereinten Nationen innerstaatlich voll umgesetzt und diese strikt eingehalten. Die Resolution erfordert keine Antwort der Bundesregierung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Antwort, wenn ich sie richtig verstanden habe, entspricht der Äußerung von Außenminister Genscher, der jetzt leider nicht da ist, während der Haushaltsdebatte in der vergangenen Woche. Gerade weil dieser Bereich angesprochen ist, nämlich die Tatsache, daß seitens der Bundesregierung kein Handlungsbedarf in bezug auf ein Strafverfahren gesehen wird, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß zumindest im April ein Ermittlungsverfahren anhängig war. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen bekannt ist, daß zur Zeit ein Strafverfahren läuft, das nicht mehr nur das Geheimschutzabkommen, sondern den gesamten Vorgang betrifft.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß der Bundesminister des Auswärtigen derzeit an einer Personalversammlung des Auswärtigen Amts teilnimmt. Diese Personalversammlung ist seit Monaten geplant. Sie alle wissen, wie wichtig es für die Mitarbeiter des Hauses sein kann, mit dem Minister zu diskutieren. Selbstverständlich ist der Minister gern bereit, auch hier dabeizusein, und ich bin sicher, daß die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes viel Verständnis für diesen Wunsch der Opposition hätten. Auf Ihre weitere Frage kann ich Ihnen nur sagen: Es ist mir bekannt, daß es Untersuchungen gegeben hat und daß ein Strafverfahren wegen einer Verletzung des Geheimschutzes eingeleitet worden ist. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte zu dem nachfragen, was Sie eben sagten. Sie sagten als Antwort, daß nur. ein Verfahren bezüglich des Geheimschutzabkommens eingeleitet worden ist. Ich habe Sie gefragt, ob bekannt ist, daß eine Js-Strafsache läuft, die jetzt den ganzen Skandal betrifft. Ich beziehe mich dabei auf die Auskunft von Oberstaatsanwalt Straube vom heutigen Tage.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, in der Tat gibt es ein weiteres Verfahren, das in Kiel anhängig ist. ({0}) - Ein Ermittlungsverfahren bezüglich einer möglichen Strafsache ist eingeleitet.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trifft es zu, daß die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die von 116 - in Worten: einhundertundsechzehn - Mitgliedstaaten beschlossen worden ist und die zutiefst mißbilligt hat, daß Firmen aus der Bundesrepublik Konstruktionsunterlagen für den Bau von U-Booten nach Südafrika geliefert haben, und die die Bundesregierung aufgefordert hat, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungen stattfinden können, auch den Beschluß enthält, daß in der nächsten Generalversammlung der UNO darüber zu berichten ist? Und gedenkt die Bundesregierung an ihrer Haltung, die Sie eben deutlich gemacht haben, festzuhalten, der Generalversammlung keinen Bericht zu geben, d. h. nicht zu reagieren? Wollen Sie damit die Mißachtung der Vereinten Nationen durch die Bundesregierung in dieser Angelegenheit noch weiter erhöhen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß sich dies mit der Frage 33 so nicht deckt. Dort wird lediglich danach gefragt, ob die beiden Firmen gerichtlich verfolgt werden sollen. Ihre Frage geht weit über das hinaus. ({0}) Ich stelle der Staatsministerin frei, darauf zu antworten oder nicht. Denn alles, was Ihre Frage zum Inhalt hat, steht in späteren Fragen noch einmal zur Diskussion.

Not found (Gast)

Herr Präsident, in seinem letzten Schlenker hat der Abgeordnete Gansel noch den Anschluß an die Frage 33 bekommen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in der Resolution der Vereinten Nationen nicht aufgefordert wird, die Voraussetzungen für die Strafverfolgung zu schaffen, sondern sie wird aufgefordert, die Strafverfolgung vorzunehmen. ({0}) Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß nach unserem innerstaatlichen Recht dafür nicht die Bundesregierung zuständig ist, sondern die dafür vorgesehenen Behörden. ({1}) Des weiteren möchte ich den Kollegen Gansel doch noch einmal bitten, sich die Resolution wirklich genau durchzulesen. Da wird nämlich nicht die Bundesrepublik zu einem Bericht aufgefordert, sondern das Special Committee on Apartheid. Ich bin ganz sicher, daß das Special Committee on Apartheid diesen Bericht auch geben wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr, Frau Rust.

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, ist Ihnen bekannt, daß die Oberfinanzdirektion Kiel aufgefordert wurde, alle Akten an die Staatsanwaltschaft Kiel abzugeben? Sind Sie nicht der Meinung, daß es hier nur noch einer Initialzündung seitens der Bundesregierung bedarf, in der sie ihrer Einschätzung Ausdruck gibt, daß nach dieser UNO-Resolution tatsächlich davon auszugehen ist, daß es zu erheblichen Störungen in den außenpolitischen Beziehungen gekommen ist, so daß die Staatsanwaltschaft Kiel in vollem Umfang ermitteln kann?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, ich habe bereits mehrfach ausgeführt, daß die Bundesregierung prüft, ob eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen vorliegt, und daß wir selber daran interessiert sind, diese Prüfung so früh wie möglich abzuschließen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir zu dieser Frage nicht vor. Dann rufe ich die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Lippelt auf: Mit welchen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vor der Verabschiedung der UNO-Resolution A/44/L.34/Rev. 1 diesbezügliche Gespräche geführt, und kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, daß die Länder Antigua und Barbuda, Benin, Burundi, Komoren, Djibouti, Gambia, Kenia, Liberia und Niger ihre Unterschrift unter die genannte Resolution auf Grund der Gespräche mit den bundesdeutschen Vertretungen zurückgezogen haben?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich vor Verabschiedung der genannten Resolution mit den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in geeigneter Weise in Verbindung gesetzt, um sie über den Sachverhalt zu unterrichten und auf die Streichung der aus der Sicht der Bundesregierung nicht gerechtfertigten namentlichen Nennung der Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken. Es trifft zu, daß die von Ihnen genannten Länder ihre Miteinbringerschaft vor der Verabschiedung des Resolutionsentwurfs in seiner geänderten Fassung zurückgezogen haben. Der Resolutionsentwurf wurde daraufhin nur noch von 26 Staaten eingebracht. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die in den erwähnten Kontakten vorgetragenen Sachargumente dazu beigetragen haben, viele Länder davon zu überzeugen, daß die Namensnennung ungerechtfertigt war. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, ich hatte gefragt, mit welchen Mitgliedstaaten gesprochen wurde. Sie haben das eben sehr pauschal beantwortet, ohne sie zu nennen. Deshalb frage ich ganz spezifisch, weil das vielleicht auch ganz interessant ist: Gehört zu diesen Staaten auch die DDR?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen sagen, daß die Bundesregierung allen Staaten der Vereinten Nationen ihre Sicht der Dinge auch schriftlich übermittelt hat. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfragen? - Erst einmal Herr Dr. Lippelt, dann Herr Gansel, und dann ist die Zeit abgelaufen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, wären Sie bereit, dem Auswärtigen Ausschuß dieses Papier, das Sie allen Mitgliedstaaten zugeschickt haben, zugänglich zu machen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, selbstverständlich sind wir bereit, im Auswärtigen Ausschuß noch einmal unsere Sicht der Dinge vorzutragen. ({0}) - Herr Abgeordneter, da es sich dabei um die Aufzeichnung der Sicht der Bundesregierung handelt, können wir selbstverständlich über diese Sicht der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß reden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, können Sie glaubwürdig die Gerüchte widerlegen, daß von seiten der Bundesregierung in schwarzafrikanischen Hauptstädten - es handelt sich bei den Staaten, die ihre Unterschrift zurückgezogen haben, zum Teil um die ärmsten Staaten Schwarzafrikas - eine Verbindung zwischen Gewährung von Entwicklungshilfe und Schuldenerlaß und dem Abstimmungsverhalten dieser schwarzafrikanischen Staaten über das Rüstungsgeschäft mit Südafrika in den Vereinten Nationen hergestellt worden ist? ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Staatsminister, ehe Sie antworten, möchte ich der Abgeordneten Rust sagen: Sie können Ihre Mühe einstellen. Wir haben die Zeit der Fragestunde überschritten.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist bei einer ganzen Reihe von schwarzafrikanischen Staaten vor der Abstimmung der Resolution demarchiert. ({0}) - In den Hauptstädten. ({1}) Ich dachte, ich hätte darauf hingewiesen. Sie ist in den Hauptstädten demarchiert. Ihre Frage enthält einen Begriff, der schon sehr deutlich macht, daß ich hier ausführen kann, was immer ich will; Sie werden es nicht glauben. Ich möchte für die Glaubwürdigkeit meiner Behauptung, daß wir keinerlei Verbindung in dem von Ihnen unterstellten Sinne hergestellt haben, die Tatsache anführen, daß einen Tag nach der Abstimmung in den Vereinten Nationen die Bundesregierung bei Ghana und Sambia, die beide gegen uns gestimmt haben, einen Schuldenerlaß vorgenommen hat. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. *) *) Die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Kirschner wurden vom Fragesteller zurückgezogen. Vizepräsident Cronenberg Der Abgeordnete Hüser hat die Absicht, nach § 106 der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Wollen Sie das noch begründen? - Bitte sehr.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, alle, die an dieser Fragestunde teilgenommen haben, werden meiner Feststellung folgen müssen, daß die Antworten nicht ausreichend waren, daß sie nicht diesem Thema entsprochen haben. ({0}) Gerade dieses Thema erlaubt es nicht, in einem Frage-Antwort-Spiel abgehandelt zu werden. Deshalb beantragen wir nach § 106 diese akzessorische Aktuelle Stunde. Ich möchte dies gleichzeitig damit verbinden, nach § 42 unserer Geschäftsordnung den Antrag zu stellen, daß an dieser Aktuellen Stunde der Bundesaußenminister Genscher teilnimmt. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Hüser, ich gehe einmal davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, daß der Bundesaußenminister sofort von Ihrem Wunsch unterrichtet wird und daß wir trotzdem mit der Aktuellen Stunde, die Sie entsprechend unserer Geschäftsordnung nach Anlage 5I Nr. 1 Buchstabe b beantragt haben, beginnen können. ({0}) - Danke schön. Dann, meine Damen und Herren, erteile ich das Wort Frau Beer. Ich bitte die Geschäftsführer, zu veranlassen, daß die weiteren Wortmeldungen vorgelegt werden. Anderenfalls ist die Aktuelle Stunde relativ schnell zu Ende.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Diese Fragestunde hat gezeigt, daß die Bundesregierung auch heute, zwei Wochen nach der UNO-Resolution, die der Bundesregierung nicht nur vorwirft, dieses Embargo gegen Südafrika zu verletzen, sondern sie auch auffordert, dafür zu sorgen, daß gegen die beiden Firmen, die diese Verträge ausgeführt haben, Strafverfahren aufgenommen werden, daraus noch keine Schlüsse gezogen hat. Man muß dazu noch einmal ganz deutlich sagen: Es gibt einen Untersuchungsausschuß, diesen angeblichen U-Boot- „Untersuchungsausschuß", der seit fast drei Jahren durch die Regierungskoalition gelähmt wird, die versucht, jede vernünftige Sitzung zu blockieren, die versucht, Zeugenanhörungen zu vereiteln usw. ({0}) Wir haben durch die Entscheidung der UNO-Vollversammlung zum erstenmal die Situation, daß dieser Dilettantismus der Regierungskoalition aufhört. Er ist überflüssig geworden, weil die Schädigung im Ausland vorhanden ist und wir nicht mehr auf dieses Spiel, auf dieses Theater in diesem Ausschuß angewiesen sind. ({1}) Die entscheidenden Fragen sind heute nicht beantwortet worden, ({2}) Frau Staatssekretärin, sie sind offengeblieben. ({3}) Warum verweigert das Auswärtige Amt so hartnäckig, den erheblichen Schaden in den auswärtigen Beziehungen durch das U-Boot-Geschäft klipp und klar zuzugeben? Was soll denn noch passieren? Was kann man denn noch mehr machen, als Mordinstrumente in ein rassistisches Regime zu schicken und zuzusehen, wie dort damit umgegangen wird? Muß es dazu kommen, daß das Auswärtige Amt während und am Rande der UNO-Vollversammlung versucht, die Staaten zu beeinflussen, zu erpressen ({4}) und dadurch - Gott sei Dank - nur zu erreichen, daß die Schärfe der Resolution etwas zurückgenommen wird? Es gibt eine zweite Verurteilung der UNO auf der gleichen Sitzung, wo die Bundesregierung auch namentlich gerügt wird, nämlich dafür, daß genau sie zu den intensivsten Handelspartnern dieses Regimes in Südafrika gehört. Sie haben gesagt: Was gehört denn schon dazu, wo soll denn überhaupt der Schaden sein! Ich kann Ihnen das sagen. Gucken Sie sich das Rheinmetall-Urteil des Landgerichts Düsseldorf an. Dort ist gesagt worden: Es handelt sich ganz eindeutig um einen Schaden, wenn irgendwelche Beteiligten in der Bundesrepublik - das heißt, nicht nur die Bundesregierung selber, sondern auch irgendwelche Firmen, auch wenn sie nicht im Auftrag der Bundesregierung gehandelt haben - in einer solchen Form gegen ein Embargo verstoßen. Das bedeutet nämlich im Ergebnis, daß die Bundesregierung nicht mehr glaubhaft machen kann, daß sie sich in Zukunft an die internationalen Verträge halten wird. ({5}) Ich frage Sie wirklich: Wie kann man denn hier von Frieden, Abrüstung, Zusammenarbeit und allem möglichen sprechen und auf der anderen Seite an ein Land wie Südafrika Waffen liefern? Wie kann man das machen und gleichzeitig Giftgas in den Irak und weiteres liefern? Das ist doch der Skandal, auch wenn Sie im14040 mer wieder versuchen, davon abzulenken; das ist der politische Punkt. ({6}) Sie müssen auch noch einmal bedenken: HDW ist nicht irgendein Unternehmen, es ist zu 75 % im Besitz der Bundesregierung und zu 25 °A) im Besitz der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Das heißt, daß diese beiden die Verantwortung für die Ausführung tragen. Ich möchte auch dem Auswärtigen Amt, dem Außenminister Genscher, der leider immer noch nicht da ist, noch einmal sagen: Das, was hier fabriziert wurde und verdeckt und vertuscht wird und immer wieder unter den Teppich zu kehren versucht wird, geht auf seine Verantwortung. Die Weltöffentlichkeit spricht längst nicht mehr nur davon, daß diese Exporte erfolgt sind - das weiß inzwischen jeder, auch die Regierung - , sondern auch davon, daß sehr wohl Genscher, Kohl, Strauß, Stoltenberg und alle andern davon wußten - das ist der Skandal - und daß Sie nicht in der Lage sind, das zuzugeben. ({7}) Frau Staatssekretärin, ein Letztes möchte ich dazu noch sagen. ({8}) - Ja, Staatsministerin. Das macht den Sachverhalt leider nicht einfacher und auch nicht harmloser. Es gibt dieses Verfahren in Kiel, und es gibt auswärtige Störungen. Die Akten der Firmen sind heute beim Landgericht eingegangen. Das heißt, es ist nicht mehr eine OFD-Sache, es ist ein staatsanwaltschaftliches Verfahren. Es geht genau darum, daß die Bundesregierung hier zu ihrer Verantwortung stehen muß; sonst kann sie sich nämlich gleich verabschieden. So eine Bundesregierung brauchen wir nicht! ({9}) Wenn internationale Beziehungen gestört worden sind, geben Sie es zu, sonst können Sie gehen. Andererseits: Haben Sie die Kritikfähigkeit und geben Sie die Sache zu. Dann hat dieser U-Boot-Ausschuß, der drei Jahre versumpft ist, endlich wieder einen Sinn; dann haben nämlich die Herren Genscher, Kohl, Stoltenberg und andere endlich die Pflicht auszusagen. ({10}) Dann wird auch das Strafverfahren, die Strafanzeige gegen Herrn Kohl wieder laufen. Das ist der Sinn eines Untersuchungsausschusses. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja nicht überraschend, daß diese Debatte kommt. Sie hatten sie ja geplant. Das pfiffen die Spatzen schon vom Dach. Es ist ja keineswegs so, daß die Fragen nicht beantwortet wären, ({0}) sondern das gehört zu dem Szenarium, das Sie auch im Hinblick auf die in der nächsten Woche stattfindende Debatte in der UNO beabsichtigt hatten. Deshalb empören Sie sich hier nicht künstlich, ({1}) sondern geben Sie zu, daß es Ihnen nur darum geht, einen außenpolitischen Schaden herbeizureden. Das ist Ihr politisches Ziel. ({2}) Wenn Sie die Frechheit besitzen, hier zu behaupten, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hätten vor diesem Untersuchungsausschuß noch nicht ausgesagt, ({3}) dann wirft das ein bezeichnendes Licht darauf, wie Sie es mit der Glaubwürdigkeit halten. Der Bundesaußenminister und der Bundeskanzler haben im Februar 1987 vor diesem Untersuchungsausschuß ausgesagt. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie ständig mit der Wahrheit umgehen! ({4}) - Es ist die Wahrheit; anscheinend waren Sie nicht da. Der Untersuchungsausschuß der letzten Wahlperiode hat im Februar 1987 Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl und Herrn Bundesaußenminister Genscher gehört. Das ist die Wahrheit. Verdrehen Sie sie doch bitte nicht! Hier wird ständig behauptet - ich finde, das ist eine bodenlose Unverschämtheit - , wir würden vertuschen und verharmlosen. Was bilden Sie sich überhaupt ein, Frau Beer? Ich verbitte mir das! ({5}) Ich bin seit 19 Jahren Abgeordneter. Ich bin von Beruf Rechtsanwalt und Notar. Was fällt Ihnen überhaupt ein, mir zu unterstellen, ich wollte etwas vertuschen, was strafbar ist? Ich verwahre mich dagegen! Das ist ehrabschneiderisch; das lassen wir nicht länger mit uns machen. ({6}) Das ist die reine Wahrheit. Nun will ich Ihnen noch etwas sagen. Bisher ist bei der UNO dieser Sachverhalt nicht zum Anlaß genommen worden, eine Verurteilung oder sonstige Resolutionen zu verabschieden. Wie ist der Sachverhalt? Herr Gansel ist vor wenigen Wochen dort gewesen und hat wahrheitswidrig - jawohl, Herr Gansel, wahrheitswidrig! - vor den Gremien der UNO ausgesagt. ({7}) Die Folge war dann, daß in Unkenntnis des Sachverhaltes Mitglieder der UNO diese Resolution verabschiedet haben. ({8}) Es ist schäbig, Herr Gansel, daß Sie sich zu so etwas hergeben. ({9}) Meine Damen und Herren, nun will ich hier ein Weiteres sagen. Die bisherige Arbeit des Untersuchungsausschusses hat ergeben, daß bisher keine rechtliche Beanstandung vorzunehmen ist ({10}) und daß - was Sie hauptsächlich interessiert - auch der Bundesregierung nichts vorzuwerfen ist. ({11}) - Nun hören Sie doch mal einen Moment zu; Sie können ja nicht zuhören. Herr Gansel, in Ihrem Bericht schreiben Sie, daß die Bundesregierung keine Genehmigung für dieses Blaupausengeschäft erteilt hat; das steht in Ihrem Bericht. Nun frage ich mich: Was werfen Sie denn der Bundesregierung vor, wenn Sie gleichzeitig feststellen, daß es keine Genehmigung gegeben hat? ({12}) Das, was Sie sich hier erlauben, ist doch schizophren. ({13}) - Herr Bindig, wenn Sie hier wahrheitswidrige Dinge vortragen, müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß ich Ihnen das hier auch einmal entsprechend repliziere. Was nun das Augenzwinkern betrifft - das war Ihr Zwischenruf, Herr Lippelt - : Wissen Sie, ich muß Ihnen einmal ganz ehrlich sagen: Wir haben hier einen Untersuchungsausschuß, der öffentliche Gewalt ausübt. Wir haben Sie davor gewarnt. Dieser Untersuchungsausschuß ist von dem zuständigen deutschen Gericht, von dem hiesigen Bonner Gericht, als verfassungswidrig bezeichnet worden. ({14}) Nun bitte ich Sie, nun bitte ich Sie wirklich: Wenn Sie als Untersuchungsausschuß und ich als Mitglied bescheinigt bekommen und das zuständige Gericht feststellt ({15}) - aber das ist doch zuständig; werten Sie das nicht ab; Sie kommen doch ebenfalls aus irgendeinem Amtsgerichtsbezirk, Herr Verheugen, seit einiger Zeit in Bayern -, unser Auftrag sei verfassungswidrig, dann frage ich Sie einmal: Was erwarten Sie eigentlich von uns? Daß wir uns darüber hinwegsetzen und in verfassungswidriger Weise Zeugen laden, Beschlagnahmen durchführen, Vernehmungen durchführen und dergleichen mehr? Mit uns nicht, mit uns auf keinen Fall! Deshalb ist das alles zurückzuweisen, was Sie hier vortragen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich dem Abgeordneten Stobbe das Wort gebe, erteile ich dem Abgeordneten Gansel einen Ordnungsruf. Herr Abgeordneter, ich wäre wirklich dankbar, wenn Sie sich solcher Äußerungen enthalten würden. ({0}) Herr Abgeordneter Stobbe, Sie haben das Wort.

Dietrich Stobbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002253, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was steht politisch fest? Politisch steht fest, daß eine Mehrheit der Staatengemeinschaft in der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen politischen Beschluß gefaßt hat, der die Bundesrepublik Deutschland belastet, in dem Aufforderungen an unser Land gerichtet werden. Jetzt möchte ich erstens zu dem Stellung nehmen, was Herr Bohl hier über die Aussage meines Kollegen Gansel vor der Unterkommission des UN-Sicherheitsrats gesagt hat, die sich mit dem Embargo befaßt, und was zu meinem politischen Entsetzen die Frau Staatsministerin in Beantwortung einer der Fragen in dieser Fragestunde aufgenommen hat. Ich war damals mit in New York. Herr Gansel hat dort im Rahmen einer Anhörung, in der es viele andere Zeugen vor diesem Unterausschuß gab, seine Auffassung dargelegt. ({0}) Diese Rechtsauffassung ist dem Herrn Vertreter der Bundesrepublik Deutschland ({1}) bei den Vereinten Nationen auch übergeben worden, genauso wie dem Auswärtigen Amt. Wir haben negative Stellungnahmen dazu seitdem nie gehört. Die Vorstellung, daß ein einziger Abgeordneter des Deutschen Bundestags nach New York geht und durch eine Aussage vor einem Subcommittee eine Mehrheit der Staatengemeinschaft dieser Welt durch seine Aussage hinter sich bringt, zeigt, wie einfach es sich diese Bundesregierung mit diesem Thema macht. ({2}) Denn man darf wohl unterstellen, daß souveräne Staaten sich selber eine Meinung zu dem Thema bilden und mit Sicherheit gebildet haben. Das drückt sich in der Mehrheitsentscheidung der Vereinten Nationen aus; nichts anderes. Herr Abgeordneter Bohl, es ist zwar richtig, daß der Bundeskanzler und der Herr Außenminister vor dem Untersuchungsausschuß der vorigen Wahlperiode ausgesagt haben. Aber wir führen über drei Jahre einen Kampf in dem Untersuchungsausschuß dieser Legislaturperiode, um diese Zeugen zu laden. Daran wird deutlich, mit welchem Konflikt wir da seit drei Jahren ringen, nämlich mit dem Konflikt, daß ein durch das Grundgesetz garantiertes Minderheitenrecht durch die Praktizierung der Geschäftsordnung und die Nutzung der Geschäftsordnungsmöglichkeiten durch die Mehrheit praktisch außer Kraft gesetzt wird. Denn sonst hätten wir die verantwortlichen Minister dieser Regierung schon längst vor dem Untersuchungsausschuß haben müssen. ({3}) - Herr Kollege, wenn Sie ernsthaft dieser Auffassung sind, dann zeigt das eine gefährliche Einstellung zu dem, was die Vereinten Nationen auch für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten und bedeuten müssen, ({4}) wenn wir alle unsere Worte über internationale Politik ernst nehmen wollen. ({5}) Jetzt noch ein Wort zu den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Denn das ist der Kernpunkt dessen, was wir in dem Untersuchungsausschuß die ganze Zeit über gesehen haben. Diese Bundesregierung hat eine Untersuchung durch eine regierungsabhängige Behörde angestellt. Die Koalitionsmehrheit inhibiert die Untersuchungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dort, wo es ernst wird oder ernst werden könnte, nämlich bei der unabhängigen Justiz und bei der Frage der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, hat sie alles, aber auch alles getan, um ein Tätigwerden hier zu verhindern. Das haben wir im Ausschuß von Anfang an erlebt. Genau das ist unser Vorwurf. ({6}) Die Koalition hat das getan, weil es in diesem Fall darum geht, daß auch die Bundesregierung politisch in diesen Rüstungsexportfall von Anfang an verwikkelt war. Es geht ihr um Selbstschutz. Haben Sie wenigstens den Mut, öffentlich zu bekennen, daß Sie die Dinge so sehen und ihre Regierung schützen wollen! Aber tun Sie nicht so, als wäre das Ganze eine Frage, für die man das deutsche Recht sozusagen ausklammern könnte. Das wird Ihnen politisch schwer auf die Füße fallen, auch wenn die Öffentlichkeit von unserer Arbeit jetzt nicht so viel Kenntnis nimmt wie vielleicht am Beginn unserer Arbeit. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vergießt die Opposition Krokodilstränen über angeblich entstandenen außenpolitischen Schaden. ({0}) Sie vergießt Krokodilstränen, nachdem sie über Wochen und Monate nichts anderes getan hat, als eben diesen außenpolitischen Schaden herbeizureden. Aber es ist ihr nicht gelungen. ({1}) Es ist nun einmal so, meine Damen und Herren: Für die Strafverfolgung nach dem Außenwirtschaftsrecht ist der Umfang der Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland als Folge des Verstoßes gegen deutsches Außenwirtschaftsrecht maßgeblich. Herr Gansel und die SPD scheinen dabei der Maxime zu folgen: Wenn kein außenpolitischer Schaden durch Unternehmensaktivitäten eingetreten ist, dann stellen wir ihn notfalls selber her. ({2}) Das, meine Damen und Herren, ist eine empörende und auch beschämende Handhabung der Rechte eines Abgeordneten dieses Hauses. ({3}) Als der Versuch der SPD, die Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland herbeizureden, nicht gelang, mußte schließlich der Kollege Gansel den objektiven Sachverständigen spielen und vor dem Sonderausschuß des UNO-Sicherheitsrats auftreten, ohne deutlich zu machen, daß seine Sicht die eines Oppositionspolitikers ist. Er ist nur an der Kritisierung der Bundesregierung interessiert, nicht aber an der Darstellung eines objektiven Sachverhalts. ({4}) Man braucht nur seine Statements zu lesen, um die einseitige, unvollständige und lückenhafte Darstellung zu erkennen. Gesichtspunkte, die für die Bundesregierung sprechen, werden verschwiegen, werden unterdrückt. ({5}) Noch am 1. Dezember 1989 erklärte Herr Gansel: Der Bundesaußenminister bemühte sich seinerseits in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages, den Beschluß der Vereinten Nationen herunterzuspielen. Da er selbst in die Affäre verwickelt ist, kann an seiner Befangenheit kein Zweifel bestehen. ({6}) Das ist eine Unverschämtheit, meine Damen und Herren. ({7}) Weder ist der Bundesaußenminister in eine Affäre verwickelt, noch ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Bundesregierung oder einzelner Mitglieder der Bundesregierung. Zu keinem Zeitpunkt war es eine Affäre der Bundesregierung. Aber lange schon ist es eine Affäre Gansel. ({8}) In Wahrheit hat die Bundesregierung keine Genehmigung für den Blaupausenexport erteilt. ({9}) In Wahrheit hat sie nach dem Bekanntwerden der Lieferungen die gebotenen Schritte zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ergriffen. ({10}) Die Opposition wird nicht müde, auch durch die Vielzahl von Fragen in der heutigen Fragestunde und schließlich durch diese Aktuelle Stunde zu versuchen, den Eindruck des außenpolitischen Schadens zu erwecken. Aber es ist doch nur ein Herbeireden. Im übrigen nimmt man es mit der Wahrheit nicht immer genau. Immer und immer wieder wird der Eindruck erweckt, als wäre die Bundesrepublik durch die UNO verurteilt worden. Das ist schlicht falsch. Es wird der Bundesrepublik Deutschland in der Resolution keineswegs eine Verletzung des Waffenembargos des UN-Sicherheitsrats über Südafrika vorgeworfen. Die Rede ist lediglich von tiefem Bedauern gegenüber zwei Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland. ({11}) Daß Herr Gansel und andere mit Hilfe von Strafanzeigen und Strafverfahren Politik zu machen versuchen, daran haben wir uns beinahe schon gewöhnt. Daß er aber nun dazu übergeht, zu versuchen, durch Auftritte im Ausland außenpolitischen Schaden für die Bundesrepublik herbeizuführen, das ist beschämend. Diesen Herrn Gansel hier in der Pose des Anklägers zu erleben, das heißt den Bock zum Gärtner gemacht zu haben. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Nachdem nun auch der Bundesaußenminister hier erschienen ist, können wir vielleicht zum Punkt kommen. Am 28. September hat Außenminister Genscher in der UNO-Generalversammlung in einer - wie die Presse schrieb - großen Rede folgendes ausgeführt: Regionale Krisenherde werden durch einen zügellosen Waffenhandel verschärft. Der Waffenhandel muß für die internationale Öffentlichkeit transparenter gemacht werden. Eine solche Transparenz bringt sowohl Importeure als auch Exporteure in einen Begründungs- und Rechtfertigungszwang, der allein schon eine mäßigende Wirkung ausübt. ({0}) Dies sagte Herr Genscher öffentlich in der ersten Etage des Gebäudes der UNO-Generalversammlung zur gleichen Zeit, als ich im Erdgeschoß desselben Hauses in einer vertraulichen Sitzung eines Unterausschusses des UN-Sicherheitsrats über den zügellosen Waffenhandel mit Südafrika gehört wurde. Der Importeur, der dort unter Rechtfertigungszwang gesetzt werden sollte, ist Südafrika. Und der Exporteur ist die Bundesrepublik Deutschland. ({1}) - Wenn Sie, Herr Kollege, fragen: wer ist auf die wahnsinnige Idee gekommen?, dann sage ich Ihnen: Es war der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Und ich empfinde es als deutscher Abgeordneter als eine Auszeichnung, von ihm eingeladen zu werden. ({2}) Ich habe übrigens mein Statement aus der vertraulichen Sitzung unmittelbar nach der Sitzung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der UNO in New York zur Verfügung gestellt, wozu ich nicht verpflichtet war. ({3}) Ich wollte aber nicht, daß die Bundesregierung auf die Weitergabe durch andere Staaten angewiesen sein würde. Ich habe weiter, drei oder vier Tage danach, in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses dem Herrn Außenminister persönlich oder seiner Vertreterin im Amt dieses Statement überreicht, das bis dahin vertraulich war. Zu meiner großen Überraschung ist damit dann zwei Tage später in einer Pressekonferenz der FDP-und der CDU/CSU-Fraktion herumgewinkt worden; aber den Mut, es der Presse auf den Tisch zu legen, haben Sie nicht gehabt. ({4}) Man hätte nämlich erkennen können, daß ich versucht habe, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland deutlich zu machen, daß das, was bei dem illegalen Geschäft mit Südafrika passiert ist, nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme ist. Es ist allerdings eine schlimme Ausnahme. Denn worum geht es? Es geht darum, daß Firmen aus der Bundesrepublik Pläne zum Bau von U-Booten und zum Bau von U-Boot-Werften an das Rassistenregime Südafrika liefern sollten, obwohl es nach dem UN-Waffen14044 embargo, das völkerrechtliche Qualität hat und dem wir zugestimmt haben, verboten ist, ({5}) und daß über dieses Vorhaben Mitglieder der Bundesregierung schon im Herbst 1983 informiert waren. Dies ist sozusagen gerichtsnotarisch und durch Dokumente belegbar. ({6}) Es ist auch belegbar, daß über dieses Vorhaben der Herr Bundesaußenminister persönlich mit dem Bundeskanzler gesprochen hat, z. B. am 15. Januar 1985, Herr Bundesaußenminister. Es ist auch bekannt, daß der Bundeskanzler ausgerechnet mit dem südafrikanischen Premierminister Botha über das beabsichtigte U-Boot-Geschäft gesprochen hat. ({7}) Die Bundesregierung hat gewußt, daß es ein Papier gab, in dem der unglaubliche Satz stand: Die Unterlagen für die U-Boote sollen auf Mikrofilm über die Grenze gebracht werden, im Diplomatengepäck. Eine solche mafiotische Sprache in den Schreibtischen der Bundesregierung, ohne daß schon da Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden ist, das ist und bleibt ein Skandal, ({8}) vor allen Dingen deshalb, weil diese Lieferungen dann tatsächlich erfolgt sind ({9}) und weil bis heute keine Mark von den vereinnahmten 45 Millionen DM zurückgezahlt worden ist. Es ist ein Skandal, weil in diese Affäre der ehemalige CSU-und FDP-Abgeordnete Zoglmann als Vermittler verwickelt war, der bei dem Geschäft eine Provision in Höhe einer zwei- bis dreistelligen Millionensumme erhalten sollte. Das sind Summen, die sich ein normaler Sterblicher nicht vorstellen kann, wenn von Provision die Rede ist. ({10}) Und es ist ein Skandal, daß bis heute noch keine Bestrafung erfolgt ist. Herr Bundesaußenminister, Sie müssen schon erklären, wie es kommt, daß Sie z. B. dem jetzigen Präsidenten der Generalversammlung der UNO - ich komme zum Schluß, Herr Präsident ({11}) im Frühjahr 1987 erklärt haben, Sie könnten in der Angelegenheit nichts machen, denn das sei Aufgabe der unabhängigen Justiz, und warum gleichzeitig bis heute das Auswärtige Amt durch die Anfertigung von Gutachten, die eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland verneinen, die Staatsanwaltschaft in Kiel daran hindert, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Weil Ihnen die UNO dieses Doppelspiel, diese Heuchelei, nicht länger abgenommen hat, deshalb sind Sie verurteilt worden. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition mißbraucht den 1. Untersuchungsausschuß für Zwecke der Strafverfolgung, und sie agitiert vor der UNO gegen das eigene Land, um die Voraussetzungen für die Strafverfolgung zu schaffen. ({0}) - Ich will Ihnen das in aller Ruhe belegen. Hören Sie doch bitte zu! Auf Seite 105 Ihres Zwischenberichtentwurfs, Herr Gansel, heißt es wörtlich: ({1}) „Die Verantwortlichen der Firmen haben sich einer Straftat schuldig gemacht." Gemeint ist § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes. ({2}) Sie treffen in einem Zwischenbericht die Feststellung, jemand habe sich strafbar gemacht, obwohl Sie doch wissen, daß dies nach unserem Grundgesetz allein den Gerichten obliegt. Sie treffen diese Feststellung als ein bei der UNO ja sehr versierter Herr, obwohl nach Art. 11 der UN-Menschenrechtsdeklaration jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, so lange als unschuldig anzusehen ist, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist. Trotzdem scheuen Sie sich nicht im geringsten, hier schon von vornherein den Stab über Personen zu brechen. ({3}) Sie berufen sich nur auf UN-Deklarationen, wenn es Ihnen in den Kram paßt. Sonst sind Ihnen solche Deklarationen, wenn es Ihnen um Ihre politischen Ziele geht, nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. § 34 AWG setzt neben anderen Voraussetzungen voraus, daß eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik vorliegt. Ob das der Fall ist, haben - das wird auch bewußt vertuscht; hören Sie doch bitte einmal zu! - Staatsanwaltschaften und Gerichte zu entscheiden. ({4}) Bei der Staatsanwaltschaft in Kiel ist ja extra ein Generalstaatsanwalt ausgetauscht worden, um den nötiDeutscher Bundestag -- 11. Wahlperiode Eylmann gen Druck zu machen, was die Strafverfolgung angeht. ({5}) Nachdem Sie nun merkten, Herr Kollege Gansel, daß da nichts kam - die Bundesregierung hat sich nur gutachtlich geäußert -, ({6}) haben Sie beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie sind zu dem Unterausschuß des Sicherheitsrats gefahren und haben dort am 27. September Halb- und Unwahrheiten ausgebreitet. Sie haben sogar ab und zu die Bundesregierung etwas gelobt und damit das alte Rezept des Marc Antonius befolgt, der ja die Wut der Römer über den Mörder Caesars mit der immer wiederholten Feststellung angestachelt hat: „Aber Brutus ist ein ehrenwerter Mann." Herr Kollege Gansel, jetzt kommt es: Sie haben ausführlich dargelegt, daß es die Bundesregierung sei, die eine Strafverfolgung blockiere. Sie haben dann - ich könnte es Ihnen wörtlich vorhalten - auf Seite 12 dargelegt ({7}) - meine Damen und Herren, hören Sie jetzt einmal zu -, daß es von der Reaktion dieses Unterausschusses und des Sicherheitsrats abhängen werde, ob in Zukunft die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung in der Bundesrepublik gegeben seien. ({8}) Das heißt auf deutsch: Sie haben die UN-Gremien aufgefordert, etwas gegen die Bundesrepublik zu unternehmen, damit endlich eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen eintritt. Das haben Sie getan. ({9}) - Das steht doch wörtlich darin. ({10}) Wenn Sie das für richtig halten und wenn es in Zukunft die Methode der Oppositionsparteien sein soll, Ihre Abgeordneten, wenn sie hier im Bundestag nicht zu Rande kommen, nach New York zu schicken, damit sie dort gegen die Bundesregierung und die Bundesrepublik agitieren und unser Land selbst denunzieren, dann sagen Sie es bitte. Ich glaube, die Fraktionsführung der SPD muß einmal für Klarheit sorgen, ob das beabsichtigt ist. ({11}) Herr Kollege Gansel, ein Letztes: Das Ungewöhnliche Ihres Vorgehens war Ihnen durchaus bewußt; denn Sie haben ausweislich Ihres Manuskripts selbst die Frage gestellt, ob man es nicht als ungewöhnlich empfinde, daß ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages dort die eigene Bundesregierung kritisiert. ({12}) Mit der von Ihnen selbst gegebenen Antwort haben Sie eigentlich das I-Tüpfelchen noch daraufgesetzt. ({13}) Sie haben nämlich gesagt, das täten Sie mit Rücksicht auf die jüngere deutsche Geschichte; denn es dürften von deutschem Boden nie wieder Krieg und Diktatur ausgehen. ({14}) Dies hieß auf deutsch: Sie wollen der Bundesregierung unterstellen, daß sie etwas mit Krieg und Diktatur am Hut hat! ({15}) Herr Kollege Gansel, mir scheint es wirklich an der Zeit zu sein, daß sich die Fraktionsführung der SPD zu diesem Vorgehen einzelner Mitglieder äußert. Wenn es Übung werden soll, daß sozusagen die Oppositionstätigkeit nach New York verlegt wird und Sie dort mit unwahren Behauptungen gegen unser Land agitieren, dann gehen wir einer schlimmen Entwicklung entgegen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen. ({0})

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bohl, Herr Eylmann und Herr Richter, es wird Ihnen nicht gelingen, aus der Debatte, die hier geführt werden muß und in der es um das Verhalten der Bundesregierung geht, eine Debatte gegen meinen Kollegen Gansel zu machen. ({0}) Das Verhalten des Kollegen Gansel im Ausschuß der Vereinten Nationen entspricht der Verantwortung eines Mitglieds dieses Hauses. ({1}) Meine Damen und Herren, Sie hätten im Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit gehabt, sich gegenüber dem Präsidenten des Special Committee on Apartheid zu äußern, als er eigens nach Bonn gekommen war, um mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages über die Frage zu reden, wie das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen hier eingehalten wird oder nicht eingehalten wird. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und leider auch von der FDP, haben dieses Gespräch mit dem jetzigen Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen abgelehnt. ({2}) - Sie haben es abgelehnt! Sie hätten da Ihre Auffassung darlegen können. Kollege Eylmann, ich muß mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, daß Sie hier den Eindruck erweckt haben, ein bisher dem Deutschen Bundestag noch nicht einmal bekannter Entwurf eines Zwischenberichts für den Untersuchungsausschuß wäre den Vereinten Nationen bekannt gewesen. Das, was Sie Herrn Gansel vorgeworfen haben, die Beurteilung in diesem Zwischenberichtsentwurf, daß es sich um strafbare Handlungen handelt, ist nicht etwa die Beurteilung des Kollegen Gansel allein, sondern die Beurteilung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Ich wiederhole sie hier: Hier liegen strafbare Handlungen vor. ({3}) Wir bemühen uns seit drei Jahren darum, daß die Bundesregierung ihre Blockadepolitik aufgibt, damit diese strafbaren Handlungen verfolgt und aufgeklärt werden können; darum geht es hier. ({4}) Es kann doch überhaupt kein Zweifel daran bestehen, Herr Bohl, nachdem wir Ihren Auftritt hier erlebt haben und nachdem wir wissen, wie Sie sich im Untersuchungsausschuß verhalten, daß Sie etwas ganz Ungeheuerliches zu verbergen trachten. Ich frage mich schon seit Jahren, was dieses Ungeheuerliche sein mag, das Sie zu verbergen trachten; denn das, was Sie uns seit drei Jahren vorführen, ist in der Geschichte dieses Parlaments einmalig. Es war noch nie da, daß eine Mehrheit das verfassungsmäßig gesicherte Recht, eine Untersuchung ordentlich durchzuführen, mit allen nur denkbaren Tricks sabotiert. Sie haben gesagt, Sie wollen nichts vertuschen. Ich sage Ihnen, Herr Bohl: Sie sind der Chefsaboteur in dieser Angelegenheit. ({5}) Ich frage mich ja, von wem Sie da möglicherweise gesteuert sind und wen Sie mit Ihrer Handlungsweise zu decken versuchen. Denken Sie aber nicht, es ginge hier lediglich um ein paar Kleinigkeiten. Hier geht es inzwischen um mehr als nur diesen U-Boot-Skandal. ({6}) Herr Bohl, hier geht es auch darum, wie die Mehrheit dieses Hauses mit verfassungsmäßigen Rechten umgeht. Ich habe übrigens nichts gegen Zuständigkeiten von Amtsgerichten, weder in Nordrhein-Westfalen noch in Bayern. Aber die Frage, ob sich der Deutsche Bundestag verfassungsmäßig verhält oder nicht, lassen wir doch bitte vom Bundesverfassungsgericht entscheiden. Sie wissen, daß das Verfahren dort anhängig ist und daß noch nicht entschieden ist. Tun Sie also doch nicht so, als wäre der Spruch eines Bonner Amtsrichters über die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Untersuchungsausschusses das letzte und verbindliche Wort. Wenn Sie wirklich dieser Meinung wären, dann hätten Sie ihre Mitarbeit am verfassungswidrigen Tun dieses Untersuchungsausschusses ja auch längst einstellen müssen. ({7}) Meine Damen und Herren, der außenpolitische Schaden, der hier entstanden ist, kann doch nicht wegdiskutiert werden. Die Frage des Umgangs mit dem Apartheidsystem in Südafrika, die Frage der Unterstützung und Stabilisierung dieses Systems durch Lieferungen von Technologie und Waffen ist eine der sensibelsten außenpolitischen Fragen überhaupt. ({8}) Wenn Sie sich ansehen, daß mehr als 100 Staaten dieser Welt - wenn Sie sich die Resolution der Vereinten Nationen ansehen, sind es 150 - Jahr für Jahr mit überwältigenden Mehrheiten dieses System verurteilen und es in den Mittelpunkt großer Debatten stellen, dann wissen Sie, für wieviel Länder, gerade der Dritten Welt, die Frage, wie man mit Südafrika umgeht, eine ganz entscheidende außenpolitische Frage ist. Diese Sensibilität fehlt eben. Dadurch ist der Schaden entstanden. Schaden ist dadurch entstanden, daß die Mehrheit der Staatengemeinschaft zu der Auffassung gekommen ist, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland es mit der Einhaltung des Rüstungsembargos nicht so genau nimmt, weil sie eben große deutsche Unternehmen nicht daran hindern will, ihre Geschäfte mit der Apartheid weiter zu betreiben. Das ist der Kern der Sache, um die es hier geht. ({9}) Das darf so nicht weitergehen. Sie haben auch versäumt, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Waffengeschäfte übrigens selber sagt, daß es sie gibt. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Frühjahr dieses Jahres nach den Wirtschaftsbeziehungen mit Südafrika wird ja ausdrücklich zugegeben, daß Waren nach Teil A, B und C der Ausfuhrliste nach Südafrika geliefert werden, und Teil A ist mit dem Wort „Waffen" überschrieben, meine Damen und Herren. Aber niemals ist die Bundesregierung bereit gewesen, uns aufzuklären, was für Genehmigungen sie da eigentlich erteilt hat. Sie sehen also: Hier ist eine ganze Menge aufzuklären. Hier ist nicht aufzuklären, was der Kollege Gansel vor den Vereinten Nationen gemacht hat, sondern hier ist aufzuklären, warum Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Auftrag des Untersuchungsausschusses blockieren und warum die Bundesregierung nicht bereit ist, die Strafverfolgung zuzulassen. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bonner U-Boot-Untersuchungsausschuß hat alles, was möglich war, zutage gefördert. ({0}) - Das kommt gleich noch. Warten Sie einen Augenblick! Und wenn der Außenminister der Meinung ist, durch diese Affäre sei kein außenwirtschaftlicher Schaden entstanden, dann handelt es sich hier nicht um eine leichtfertige Äußerung. Das ist genau das Zitat. Ich gebe das wieder, meine Damen und Herren, was der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein den „Kieler Nachrichten" gegenüber am 17. August 1989 wörtlich erklärt hat. Er hat gesagt - ich zitiere, wenn der Präsident einverstanden ist - : ({1}) Angesprochen auf die Kieler U-Boot-Affäre winkte Engholm ab. Wenn es neue Erkenntnisse gebe, dann offenbar nicht in Kiel. Die Landesregierung werde der Kieler Staatsanwaltschaft keine Weisung geben, doch noch Ermittlungen aufzunehmen. Er glaube, der Bonner Untersuchungsausschuß habe alles, was jetzt möglich sei, schon zutage gefördert. Die Auffassung des Außenministeriums, durch die Affäre sei kein .. . Schaden entstanden, hält Engholm nicht für leichtfertig. Außerdem müsse man auch die Sorgen der Arbeiter bei Howaldt und beim Ingenieurkontor Lübeck sehen. Ende des Zitats. Ja, auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Howaldt, Herr Gansel, wird dieser Betrieb seit drei Jahren ins Gerede gebracht, verleumdet, diffamiert und zum Teil sogar verketzert, wenn man an die Hetzveranstaltung zum 17. Juni dieses Jahres denkt, Frau Beer, die Sie mit einem bekannten „Festredner" organisiert haben. ({2}) Ein Howaldt-Arbeiter hat mir damals geschrieben: Die Unternehmensleitung hat den Fehler gemacht, mit Südafrika Geschäfte abschließen zu wollen. Sicher, damals, - hat er geschrieben als sie es versuchten, galoppierte die Arbeitslosigkeit hier - ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Beer, es ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß der Abgeordnete Börnsen das Wort hat und nicht Sie. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Herr Präsident. - Der Howaldt-Arbeiter hat sich heftig dagegen gewehrt, daß sein Betrieb immer wieder ins Gerede gebracht wird und die Arbeiter oft noch als „Kriegsanheizer" diffamiert werden. Er hat geschrieben, daß Schluß damit sein muß. Und wenn der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein das noch einmal verdeutlicht, dann sollte man auch bei Ihnen langsam zu der Einsicht kommen, daß irgendwann einmal Ende der Fahnenstange ist. ({0}) Ich glaube, daß dieser Sache eine völlig andere Problematik zugrunde liegt, eine Problematik, die vor allen Dingen mit dem Namen Gansel verbunden ist - denn es ist ein Skandal, der hier aufgedeckt wird ({1}) von dem seine Genossen in Kiel sagen: Das ist der Feldzug eines verschmähten Kieler Ministerkandidaten, der hier stattfindet, weil immer wieder auch Engholm von der Seite angegriffen werden soll. Weder der Generalbundesanwalt noch die Staatsanwaltschaft in Kiel noch die Oberfinanzdirektion haben irgendeinen Anlaß zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gesehen. Niemand hat bisher einen Anlaß dafür gesehen. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Es ist nicht gegen die UN-Resolution verstoßen worden. Nur, Sie mißbrauchen ein wichtiges Kontrollinstrument, nämlich den Untersuchungsausschuß, als Wahlkampfinstrument, als Kampfinstrument. Ich denke, daß Sie hier eine Strategie fahren, die ganz deutlich macht, daß der Untersuchungsausschuß für Sie ein solches Instrument ist. Erst wird die Regierung wegen angeblicher Mitwisserschaft angegangen. Als sich dieser Vorwurf als ein Schuß in den Ofen erweist, werden die Firmen angegangen. Nachdem man auch hier das Ende der Fahnenstange erreicht hat, bemüht man die Vereinten Nationen, um das Feuer heiß zu machen. Das ist die Strategie, die hier gefahren wird und die dazu führt, immer wieder Vermutungen, Verdachtsmomente und Befürchtungen zu äußern, um ja wieder einen Anlaß zu haben, zu neuen Gesprächen, zu neuen Bemühungen im Untersuchungsausschuß zu kommen. Es läßt sich feststellen: Das Verhalten der Bundesregierung war einwandfrei. Es ist rechtlich und politisch nicht zu beanstanden. Zusagen für die Billigung eines Geschäfts hat es nie gegeben. ({2}) Das sind die Tatsachen. Börnsen ({3}) Ein letztes Wort. Ich glaube, daß mein Kollege Fritz Bohl im Untersuchungsausschuß sehr wohl ausgesprochen fair und respektabel ({4}) und mit großer Sachkenntnis agiert hat, um - wie wir alle gemeinsam - der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Nur, eines ist doch deutlich geworden: Bereits nachdem die Arbeit des ersten U-Boot-Untersuchungsausschusses beendet war, war der Brunnen ausgeschöpft. Es gab nichts mehr zu bohren, Sie sind auf Sand gestoßen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, es ist an der Zeit, noch einmal zu sagen, worum es hier eigentlich geht. ({0}) Ich zitiere den Text der UNO-Vollversammlung, der ins Deutsche übersetzt ist. Dort steht, daß die Vollversammlung „das Verhalten derjenigen Staaten und Organisationen zutiefst bedauert, die nach wie vor systematisch das UNO-Embargo verletzen". Dann wird Israel, dann Chile genannt. Das soll kein außenpolitischer Schaden sein? Ich frage Sie: was denn sonst? ({1}) Sie dürfen eines nicht übersehen: Wir sind inzwischen einen Schritt weiter. Es geht nicht mehr darum, hier irgend jemanden noch beeinflussen oder diffamieren zu können. Das ist jetzt auf einer anderen Ebene anzusiedeln, nämlich auf der internationalen Ebene. Diese Ebene betrifft nicht nur irgendwelche Parteien, die gerade einmal an der Regierung sind, sondern es betrifft jeden Bürger dieses Staates, ({2}) weil nämlich jeder Bürger in der Bundesrepublik durch die Resolution der 106 Staaten betroffen ist. Jede Bürgerin und jeder Bürger wird dieses auch deutlich äußern. Wenn Sie noch einmal solche Diffamierungen vornehmen, dann nennen Sie die Namen. Sagen Sie, ob Sie Abdul Minty, ob Sie David Goldberg, ob Sie Leute meinen, die 20 Jahre in Südafrika eingesperrt waren und die sich hier, endlich in Freiheit, in der angeblichen Demokratie endlich trauen, den Mund aufzumachen. So etwas vorgesetzt zu bekommen, ist ein Skandal für sich, entschuldigen Sie! ({3}) Das als persönliche Anmerkung. Lassen Sie mich zu zwei Punkten noch etwas sagen. Ich denke, man sollte noch einmal sagen: Das Auswärtige Amt hat vier Gutachten für die bisherigen Verfahren erstellen lassen. Alle Gutachten besagten, daß es keinen außenpolitischen Schaden gibt. Die Staatsanwaltschaft wird ein fünftes Gutachten beantragen. Ich bin neugierig, was in diesem fünften Gutachten stehen wird, und ich bin neugierig, welche neuen Ausreden Ihnen dann noch einfallen werden, wenn Sie die geltende Rechtsprechung darin berücksichtigen werden. Ein letztes Wort zu Schleswig-Holstein. Dazu hat ein Kollege soeben schon viel gesagt. Auch die Bundesregierung antwortet heute: Sie kann nicht sagen, ob dieser Vertrag mit diesem Regime, auf dessen Grundlage Waffen und Rüstung nach Südafrika geliefert werden, überhaupt noch in Kraft ist oder nicht. Das heißt: Diese Bundesregierung ist nicht mal in der Lage, vor diesem Gremium zu sagen, ob dieser Skandal zumindest beendet wurde und ob er noch weiter durchgeführt wird oder ob diese Waffen dort unter der Verantwortung dieser Bundesregierung noch immer hergestellt werden. Das ist der weitere Skandal. ({4}) Herr Außenminister Genscher, es ist natürlich peinlich, daß sich auch die Landesregierung nicht dafür einsetzt, daß 30 Millionen DM - das ist der Ertrag aus diesem Abkommen - , die dort gesperrt worden sind, zurückgezahlt werden. Aber es ist genauso peinlich, daß Sie in der Haushaltsdebatte in der letzten Woche, in der Sie viermal auf die UNO-Resolution angesprochen worden sind, nicht einmal in der Lage waren, Stellung zu nehmen, und dann auch noch falsche Zahlen nannten. Noch dazu verdrehen Sie eine Sache schlichtweg und werfen uns auch da schon wieder vor, Ihnen etwas unterstellt zu haben. ({5}) Das ist nachzulesen. Ich fordere Sie letztmalig auf: Äußern Sie sich zu dem entstandenen außenpolitischen Schaden, und berücksichtigen Sie endlich auch den innenpolitischen Schaden, der zur Zeit gerade entsteht. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Irmer. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das „mein Gott" will ich überhört haben. Der Abgeordnete des Deutschen Bundestages Norbert Gansel fährt nach New York und hetzt dort Mitglieder der Vereinten Nationen auf, ({0}) einen Beschluß mitzutragen, aus dem er nachher ableiten will, es sei für die Bundesrepublik Deutschland außenpolitischer Schaden angerichtet worden. ({1}) Ich will einmal ganz kurz und sachlich daran erinnern, wie denn das Außenwirtschaftsrecht vor 1976 ausgesehen hat. Da waren nämlich die Voraussetzungen für die Strafbarkeit von Embargoverstößen noch nicht im Gesetz verankert, die man heute dortselbst findet, nämlich die Voraussetzungen, daß entweder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist oder das friedliche Zusammenleben der Völker gestört ist oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden. Es fehlt, daß die empfindliche Störung der Nachtruhe des Papstes auch noch verankert worden wäre. ({2}) Meine Damen und Herren, wer hat diese Änderungen damals betrieben? Gegen den Widerstand des damaligen Bundeswirtschaftsministers war es niemand anderes als der damalige Bundesjustizminister Vogel, der sich für diese einschränkenden Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes eingesetzt hat. ({3}) In dieses Bild paßt natürlich auch, daß im Ordnungswidrigkeitenbereich damals bei formellen Verstößen lediglich 20 000 DM Bußgeld, bei materiellen Verstößen lediglich 100 000 DM Bußgeld vorgesehen waren und daß das Bundeswirtschaftsministerium damals verlangt hat, das Bußgeld bei materiellen Verstößen auf 1 Million DM zu erhöhen. Es war der damalige Bundesjustizminister Vogel, der dafür gesorgt hat, daß das Bußgeld in diesen Fällen nur auf 500 000 DM erhöht wurde. ({4}) - Ich wollte nur einmal ein bißchen Rechtsgeschichte betreiben. Herr Gansel, ich finde Ihr Verhalten ausgesprochen empörend, und zwar vor allem deshalb, weil Ihre Fraktion normalerweise durchaus ehrlich und anständig zusammen mit dem Bundesaußenminister HansDietrich Genscher dafür kämpft, daß sich die Verhältnisse in Südafrika nachhaltig verbessern. Was haben dieser Außenminister und diese Fraktion nicht alles getan, um zu einer Überwindung dieser extrem schwierigen und menschenverachtenden Situation in Südafrika beizutragen! ({5}) Erste Erfolge zeichnen sich doch ab. Wir erleben den Unabhängigkeitsprozeß in Namibia, wir erleben den Abzug der Kubaner aus Angola. Wir erleben im südafrikanischen Regime selbst Aufweichungserscheinungen, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, daß wir uns hier beharrlich und seit Jahren immer wieder für die Wahrung der Menschenrechte und für vernünftige Reformen in Südafrika einsetzen, wobei wir auch immer gesagt haben: Apartheid ist nicht reformierbar, sie muß abgeschafft werden. Wenn Sie jetzt hier in dieser Weise aus einzelnen Verstößen, die zugleich Gesetzesverstöße sind, ableiten, daß die Bundesrepublik Deutschland selbst und diese Bundesregierung das Apartheidsregime unterstützen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Um dieses glaubhaft darzustellen, sind Sie zu klein. Sie sind allenfalls ein Westentaschendemagoge. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kampagne, die hier gegen Firmen und ihre Mitarbeiter, gegen Angehörige der Justizbehörden, gegen das Auswärtige Amt, das Wirtschaftsministerium und führende Politiker der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird, hat offensichtlich pathologische, um nicht zu sagen: hysterische Züge angenommen. Kollege Gansel, beim besten Bemühen, Ihre Profilsucht und Ihre Neurotik insoweit zu verstehen: was Sie hier machen, sollte Ihnen nicht den Eindruck vermitteln, daß es etwa um Ihre großartige Persönlichkeit geht, der diese Aktuelle Stunde gewidmet ist. Vielmehr wollen wir uns darüber unterhalten, in welcher Art die Auseinandersetzung im Parlament stattfinden kann, und ob der Weg, den Sie beschreiten, der richtige Weg ist. Als „Gröbaz", als „größter Bundestagsabgeordneter aller Zeiten" , der Sie sein wollen, können Sie von uns vielleicht anerkannt werden. Daß Sie in den „Kieler Nachrichten" ein willfähriges Instrument haben, eine Plattform, die Ihnen immer wieder Bestätigung gibt, ist ein trauriges Beispiel einer nicht ausreichenden journalistischen Arbeit, vor allen Dingen Aufklärungsarbeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, wir haben völlig vergessen, worum es hier eigentlich geht: Es geht um die Frage, ob der ermittelte Sachverhalt, daß Blaupausen, also Konstruktionspläne, über U-Boote nach Südafrika gegangen sind, einen Verstoß gegen deutsches Recht darstellt und ob an diesem Verstoß Bundesbehörden mitgewirkt haben. ({0}) Gerade zu diesem Ergebnis hat der Untersuchungsausschuß nicht geführt. Ich bin dankbar, daß darauf hingewiesen wurde, daß unser Außenwirtschaftsrecht in der Verantwortung eines sozialdemokratischen Justizministers neu definiert und formuliert wurde. Denn gerade diese Lücke hat sich im Untersuchungsausschuß herausgestellt, nämlich daß keine Strafbarkeit vorgelegen hat. Dann hat der Kollege Gansel gemeint, jetzt müsse er einen neuen Trick finden, um an die Sache heranzukommen, und daraufhin kam das Geheimschutzabkommen mit Indien. Hier hat man versucht, Dinge hineinzubringen, die ursprünglich im Untersuchungsauftrag überhaupt nicht erschienen waren. Es war im Grunde genommen eine Ausweitung, und letztlich ging es um einen völlig unterschiedlichen Untersuchungsgegenstand. Es ist ein unglaublicher Skandal, daß eine Regierung in einem Bundesland einen Generalstaatsanwalt entläßt, der eine objektive, ausgewogene Entscheidung getroffen hat, und ihn durch einen anderen Generalstaatsanwalt ersetzt, damit dort das gemacht wird, was man als eine politische Entscheidung gegen eine objektive Entscheidung der Justiz durchsetzen will. Kollege Gansel, Sie sind nicht der liebe Gott, auch wenn Sie das sein wollen. Sie sollten auch respektieren, daß wir ein Prinzip der Gewaltenteilung haben, nach dem nicht der Abgeordnete alles bestimmen kann, auch wenn er einen Teil der Presse auf seiner Seite hat. - Nicht nur Ihre Diskussion in New York, sondern auch der Inhalt der Korrespondenz, die uns teilweise bekannt ist, sollte einmal an die Öffentlichkeit kommen. - Wir haben eine Justiz, die Gott sei Dank nicht darauf reagiert, ob eine Bundesregierung ihr irgendwelche Anordnungen, notfalls über einen Beschluß, den Sie herbeiführen wollten, erteilt. Wir haben eine unabhängige Justiz, und so soll es auch in Zukunft bleiben. Auch Sie haben sich daran zu halten. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich belasse es jetzt bei wenigen Sätzen. Es geht einmal um ein schlimmes Rüstungsgeschäft mit dem Rassistenregime in Südafrika, es geht zweitens um eine mögliche Korruptionsaffäre, es geht drittens um eine Bundesregierung, die staatsanwaltschaftliche Ermittlungen verhindert und sich dadurch selber schützt, ({0}) es geht viertens darum, daß man die Autorität der Vereinten Nationen im Eigeninteresse kaputtmacht, es geht fünftens um den parlamentarischen Stil in einem Untersuchungsausschuß, und es geht sechstens auch um den parlamentarischen Stil in diesem Bundestag. Wenn ein Bundesaußenminister in eine Bundestagssitzung zitiert wird, wenn er sich Kritik und Fragen anzuhören hat und wenn er dann die Chance nutzt, von seinem Recht als Regierungsmitglied erst dann Gebrauch zu machen und zu sprechen, wenn kein Abgeordneter ihm mehr antworten kann, ({1}) dann zeigt das, Herr Bundesaußenminister, daß auch Sie nicht in der Lage sind, über unsere Fragen und über Ihre Verwicklung in die Affäre zu sprechen und hier im Parlament Rede und Antwort zu stehen. ({2}) Ich weiß, daß Herr Stoltenberg, ich weiß, daß Herr Wörner durch diese Affäre sehr viel stärker belastet sind als Sie. Aber wenn selbst Sie noch nicht einmal den Mut haben, im Parlament auf Fragen zu antworten, dann erinnere ich an die Frage von Günter Verheugen: Was haben Sie alles in dieser Affäre zu verbergen, daß Sie sich so aufführen? ({3}) Es ist fast ziemlich genau drei Jahre her, daß der Deutsche Bundestag das erstemal über diese Affäre diskutiert hat. Die ganze Affäre, die ja schon eine Oberfinanzdirektion seit Monaten vor sich hergeschoben hatte, wurde damals erst durch eine Pressemeldung bekannt. ({4}) Erst aufgrund der Pressemeldung haben Sie, Herr Bundesaußenminister, den Embargoausschuß der Vereinten Nationen informiert. Die Presse hat Sie dazu gezwungen. Als wir hier in der Haushaltsdebatte am 26. November 1986 die Affäre das erstemal ansprachen, gab es Entsetzen - ich entsinne mich noch daran -, übrigens auf beiden Seiten des Hauses; denn weder Sie noch erst recht Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, haben sich damals vorstellen können, daß nach vorheriger Information von Mitgliedern der Bundesregierung Rüstungsmaterial nach Südafrika hätte geliefert werden können. Ich erinnere mich noch deutlich an das Entsetzen in diesem Raum. Da eilte der Bundesaußenminister nach vorn ans Rednerpult und sprach - ich zitiere - von der Erforderlichkeit der „Untersuchung eines strafwürdigen Tatbestandes". Das war eine Vorverurteilung, Herr Bundesaußenminister, als es opportun war. Jetzt, nachdem wir uns über Jahre auch das Wissen angeeignet haben, können wir ein Urteil sprechen. ({5}) Jetzt versuchen Sie, sich vor den Konsequenzen zu drücken. Das ist ein schäbiger parlamentarischer Stil und ein schlimmer politischer Vorfall. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament gehört, daß sich derjenige, der für die Bundesregierung spricht, die Argumente des Parlaments anhört. Das habe ich getan. Zweitens möchte ich feststellen: Ich habe heute mittag in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses angekündigt, daß ich heute an einer Personalversammlung teilnehme, die seit Monaten angesetzt war. Das war der Grund dafür, daß ich erst später gekommen bin. Ich habe als Innenminister ein fortschrittliches Personalvertretungsgesetz vorgelegt und nehme meine Anwesenheit in diesen Sitzungen ernst. Drittens. Herr Kollege Gansel, ich habe nicht die Absicht, in Kurzschrift die Untersuchungen des Untersuchungsausschusses hier in irgendeiner Weise zu präjudizieren, fortzusetzen oder zu ergänzen. ({0}) Das ist Sache des Untersuchungsausschusses. Ich möchte folgendes feststellen: Erstens. Die hier in Frage stehende Resolution der Vereinten Nationen enthält keine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Sie, Herr Abgeordneter Gansel, haben Ihren ersten Diskussionsbeitrag heute mit den Worten beendet: Und deshalb sind Sie verurteilt worden. - Das ist in der Sache nicht zutreffend. ({2}) - Sie wissen genau, daß die Vereinten Nationen zwischen Bedauern und Verurteilungen unterscheiden. Aber wenn Sie nun schon darauf abstellen, dann muß ich sagen, daß sich selbst das Bedauern gegen andere Staaten richtet, in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland aber nur gegen zwei Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland gelegen sind. ({3}) Insofern ist die Erwähnung der Bundesrepublik Deutschland in der Resolution von anderer Qualität als die anderer Staaten. Zweitens. Die Resolution wurde von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht wegen des uns betreffenden Absatzes verabschiedet, sondern wegen des übrigen Inhalts. Bei der getrennten Abstimmung über unsere Namensnennung haben lediglich 53 Staaten, ({4}) d. h. nur ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen, für die Namensnennung gestimmt. 45 stimmten dagegen. 38 enthielten sich der Stimme. ({5}) Der Rest nahm an der Abstimmung nicht teil. Diese Gesamtabstimmung und die Mehrheit, die dabei festgestellt wurde, Frau Kollegin Beer, bezog sich also in der großen Mehrheit nicht auf die Bundesrepublik Deutschland. Im übrigen haben von den 50 afrikanischen Staaten nur 22 für die Namensnennung gestimmt, die restlichen enthielten sich der Stimme. ({6}) Meine Damen und Herren, das möchte ich der Ordnung halber hier mal feststellen: Es ist nicht so, daß die Bundesrepublik Deutschland verurteilt wurde; es wurde das Verhalten zweier Unternehmen bedauert, die in der Bundesrepublik Deutschland gelegen sind. ({7}) Das ist der Sachverhalt, über den wir hier reden. Über die Frage, ob darin eine Ordnungswidrigkeit zu sehen ist oder ob ein Strafverfahren einzuleiten ist, entscheiden die zuständigen Behörden dieses Landes. Weder das Parlament noch die Bundesregierung sollten sich in dieses Verfahren einmischen oder hier gar Vorgaben machen. ({8}) Die Frage, die zu beantworten ist, ist die Frage, ob die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört sind, und nicht, wie hier gesagt wird, ob sie gestört sind. Ich habe den Unterschied schon im Untersuchungsausschuß dargelegt. Ob das der Fall ist oder nicht, wie die Lage jetzt zu beurteilen ist, dazu Stellung zu nehmen sind wir von den Strafverfolgungsbehörden aufgefordert worden. Das Auswärtige Amt wird diese Stellungnahme abgeben, nach bestem Wissen und Gewissen, aber nicht nach politischer Opportunität. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Solms einen Ordnungsruf für eine persönlich verletzende Bemerkung gegenüber dem Abgeordneten Gansel. ({0}) - Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß die Sitzung nicht beendet ist. Ich bitte, Platz zu nehmen. Wir haben eine Reihe von Abstimmungen und Beratungen vorzunehmen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 a auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hüsch, Dr. Wittmann, Buschbom, Eylmann, Geis, Helmrich, Hörster, Dr. Langner, Marschewski, Dr. Kreile, Seesing, Dr. Stark ({1}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert ({2}), Funke, Irmer, Baum, Gries, Lüder, Richter, Frau Dr. Segall, Wolfgramm ({3}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze - Drucksache 11/4415 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 11/5423 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Hüsch Stiegler ({5}) Der Herr Abgeordnete Dr. Hüsch hat als Berichterstatter das Wort für eine Korrektur.

Dr. Heinz Günther Hüsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000977, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! In der Drucksache 11/5423 empfiehlt der Rechtsausschuß einstimmig die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 11/4415. Als Datum für das Inkrafttreten Dr. Hasch ist der 1. Januar 1990 eingesetzt. Dies erfolgte im Juni dieses Jahres mit einer anderen Zeitperspektive. Um die Beratung des Bundesrates und auch eine ordnungsgemäße Veröffentlichung des Gesetzes ermöglichen zu können, bittet der Rechtsausschuß, das Datum nunmehr durch 1. Juli 1990 zu ersetzen. Die Beschlußfassung im Rechtsausschuß in der gestrigen Sitzung war einstimmig. Auch haben die Fraktionen erklärt, daß sie mit der dritten Lesung sofort einverstanden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke schön, Herr Berichterstatter. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf, mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Änderung des Datums in 1. Juli 1990. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist in der zweiten Lesung einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 6 b: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 11/4931 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 11/5659 Berichterstatter: Abgeordneter Poß ({1}) Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. - Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN ist das Gesetz angenommen. ({2}) Tagesordnungspunkte 6 c bis 6 e: c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) - Sammelübersicht 138 zu Petitionen - Drucksache 11/5605 - d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) - Sammelübersicht 139 zu Petitionen - Drucksache 11/5606 - e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) - Sammelübersicht 140 zu Petitionen - Drucksache 11/5694 - Meine Damen und Herren, wer stimmt den Beschlußempfehlungen zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Tagesordnungspunkte 6f bis 6i: f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 30 05 Titel 683 15 - Risikobeteiligungen des Bundes im Bereich der Kernenergie -- Drucksachen 11/5144, 11/5356 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Rust Austermann Zander Zywietz g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02 ({8}) - Drucksachen 11/5361, 11/5661 - Berichterstatter: Abgeordnete Esters Dr. Neuling Frau Seiler-Albring Frau Rust h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 03 - Asiatische Entwicklungsbank -- Drucksachen 11/5387, 11/5717 - Berichterstatter: Abgeordnete Esters Dr. Neuling Frau Seiler-Albring Frau Rust i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 896 03 - Bilaterale Technische Zusammenarbeit -- Drucksachen 11/5398, 11/5718 Berichterstatter: Abgeordnete Esters Dr. Neuling Frau Seiler-Albring Frau Rust Vizepräsidentin Renger Ich lasse auch hier über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Wer diesen Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN sind die Beschlußempfehlungen mit großer Mehrheit angenommen. Tagesordnungpunkt 6j: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({11}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Ingolstadt, Bruckner-, Hindemith- und Schubertstraße - Drucksachen 11/5162, 11/5616 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Diederich ({12}) Roth ({13}) Zywietz Frau Vennegerts Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Wir haben jetzt die Tagesordnungspunkte 6k bis 6p: k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({15}) des Rates über züchterische und genealogische Bedingungen für die Vermarktung reinrassiger Tiere - Drucksachen 11/3703 Nr. 2.20, 11/5612 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({17}) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Mastkälbern in Intensivhaltungen - Drucksachen 11/5051 Nr. 35, 11/5644 Berichterstatter: Abgeordneter Sauter ({18}) m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({19}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({20}) des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen in Intensivhaltungen - Drucksachen 11/5051 Nr. 36, 11/5645 - Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von Schorlemer n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestanforderungen an Schiffe, die in Seehäfen der Gemeinschaft einlaufen oder aus ihnen auslaufen und gefährliche oder schädliche Versandstücke befördern - Drucksachen 11/5051 Nr. 43, 11/5583 Berichterstatter: Abgeordneter Weiss ({22}) o) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({24}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({25}) Nr. 1188/81 des Rates zur Gewährung angepaßter Erstattungen für in Form bestimmter alkoholischer Getränke ausgeführtes Getreide auch für spanischen Whisky - Drucksachen 11/5145 Nr. 3.31, 11/5643 - Berichterstatter: Abgeordneter Koltzsch p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung ({27}) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG - Drucksachen 11/4161 Nr. 2.2, 11/5735, 11/5946 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Faltlhauser Ich lasse auch hier gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 11/5612, 11/5644, 11/5645, 11/5583, 11/5643 und 11/5735? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Ich danke Ihnen. Diesen Komplex haben wir erledigt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Struktur der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz ({28}) - Drucksache 11/5831 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist das Kernstück unserer Maßnahmen zur Verbesserung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. 170 Millionen DM im Jahr sollen nach diesem Vorschlag für die Verbesserungen aufgewandt werden. Das bedeutet für 440 000 Versorgungsberechtigte eine Verbesserung ihrer laufenden Leistungen. Wir erfüllen damit auch die Ankündigung aus der Regierungserklärung vom 18. März 1987, noch in dieser Legislaturperiode das Recht der Kriegsopferversorgung strukturell zu verbessern. Wir halten, was wir versprochen haben. Diesem Gesetz ist bereits eine Änderung der Orthopädieverordnung vorausgegangen. Sie wird am 1. Januar 1990 in Kraft treten. Gleichzeitig werden in der Kriegsopferfürsorge verbesserte Richtlinien zur Kraftfahrzeughilfe für besonders schwer Kriegsbeschädigte wirksam. Weitere Maßnahmen werden bald folgen und das Gesamtvorhaben abrunden. Die Änderungsverordnung zur Ausgleichsrentenverordnung hat in der vorigen Woche den Bundesrat mit einigen Änderungsvorschlägen passiert. Verbesserungen in der Auslandsversorgung für Deutsche in Ost- und Südosteuropa werden in dem Entwurf für das Anpassungsgesetz 1990 enthalten sein. Es ist also ein ganzes Bündel von Verbesserungen der Kriegsopferversorgung. Mit einem finanziellen Mehraufwand von jährlich 170 Millionen DM ist dieses Bündel von Verbesserungen seit vielen Jahren das größte Vorhaben zur Fortentwicklung in der Kriegsopferversorgung. Dabei sollten wir allerdings nicht vergessen: Zum 1. Januar 1989 gab es Verbesserungen im Umfang von 26 Millionen DM; 70 Millionen DM ab 1. Januar 1987. Wir haben die Kriegsopferversorgung in vielen - das gebe ich auch zu - kleinen Schritten verbessert. Ich finde es viel besser, in kleinen Schritten vorwärts zu kommen, als große Schritte anzukündigen und sie nicht durchzuführen. ({0}) Mit dem Strukturgesetz wird die Reihe der großen Änderungsgesetze zum Kriegsopferrecht fortgesetzt. Ich freue mich, daß es im Laufe der Vorbereitungen des Gesamtkonzeptes dabei gelungen ist, durch den gemeinsamen Willen der Koalitionsfraktion den ursprünglichen Ansatz wesentlich zu verbessern. Wir legen ein Konzept vor, das wir auch mit den Kriegsopferverbänden besprochen haben. Wir sind auf ihre Erfahrungen angewiesen. Ich will dabei ausdrücklich den verstorbenen Präsidenten Weishäupl erwähnen, der an der Vorbereitung dieses Gesetzes wesentlich beteiligt war. Der Entwurf hat folgende Schwerpunkte: Berufsschadensausgleich für Beschädigte, Schadensausgleich für Witwen, Pflegezulage für Beschädigte sowie Ausgleichsrente für Witwen und Elternrente. Mit der Einführung einer nettoorientierten Mindestklausel beim Berufsschadensausgleich und beim Schadensausgleich für Witwen wollen wir dem Entschädigungsgesetz verstärkt Rechnung tragen. Wir wollen durch diese Änderung bewirken, daß Beschädigte und Witwen, die heute noch keine volle Abgeltung ihres beruflichen oder wirtschaftlichen Schadens erhalten, im Rahmen des pauschalierten Systems eine volle Entschädigung bekommen. Bei der Pflegezulage kümmern wir uns besonders um die Beschädigten, deren Ehefrauen älter werden und die deshalb die Pflege nicht mehr in vollem Umfang erbringen können. Ihnen und ihren Ehefrauen soll der Entschluß, eine bezahlte Pflegekraft einzustellen, erleichtert werden. Zwar konnten nach dem Bundesversorgungsgesetz schon bisher die vollen Kosten einer fremden Pflegekraft von der Versorgungsverwaltung übernommen werden. Die Übernahme der Kosten war jedoch mit dem Verlust der pauschalen Pflegezulage verbunden. Dem wollen wir abhelfen. Ich denke, daß dies auch ein Gebot der praktischen Hilfe ist. Soll eine Frau, die ihren Mann ein Leben lang gepflegt hat und deren Kräfte im Alter abnehmen, die deshalb jetzt eine fremde Pflegekraft braucht, auf jede staatliche Unterstützung verzichten? Sie wird ja, auch wenn sie eine fremde Pflegekraft in Anspruch nimmt, dennoch für ihren Mann da sein. Und deshalb soll die Zulage nicht völlig entfallen. Das ist ein Gesetz, das aus einer neuen Situation geboren wurde. Denn jetzt kommen zu den Kriegsfolgen, zu den Kriegsschäden die Altersbeschwerden hinzu. Insofern liegt in diesem Anpassungsgesetz auch die Antwort auf veränderte Bedingungen unter den Kriegsopfern, deren Schaden weit zurückliegt, und die heute noch ihren Dienst erbringen. Ich sehe in dem, was wir hier vorlegen, nicht nur eine materielle Verbesserung, sondern auch die Bestätigung, daß nach vielen Jahrzehnten nach dem Krieg das Opfer derjenigen, die Kriegsfolgen tragen, nicht vergessen ist. Wir zeigen ihnen mit der Hilfe, die wir ihnen schulden, daß wir sie nicht vergessen haben. Das ist ein Rechtsanspruch, es sind keine Almosen. ({1}) Wir verbessern auch die Witwenausgleichsrente. Das ist zum erstenmal seit längerem wieder eine Leistungsverbesserung für eine größere Zahl von Witwen, und zwar, wie ich meine, eine beachtliche. Für rund 300 000 Witwen werden die Renten um mindestens 12 DM monatlich verbessert. Der Personenkreis, dem es weniger gut geht, bekommt 58 DM im Monat mehr. Das ist, wie ich glaube, nicht die Lösung aller Probleme, aber das Zeichen dafür, daß wir die Kriegsopfer nicht vergessen. Das Beste, das wir tun können, ist eine Politik, die nie mehr Kriegsopfer entstehen läßt: Friedenspolitik. ({2}) In dieser Pflicht stehen wir auch gegenüber der Generation, deren Leiden und Opfer wir mit diesem Gesetz anerkennen. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hasenfratz.

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir heute in erster Lesung beraten, fällt, wenn ich das einmal so sagen darf, etwas aus dem Rahmen. Wir sind es gewohnt, hier in der Kriegsopferversorgung alljährlich nachzuvollziehen, was sich in der Rentenversorgung an Rentenanpassung ergeben hat. Dementsprechend wurden dann auch die Leistungen für die Kriegsopfer - Beschädigte wie Hinterbliebene - dynamisiert. Bei dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist das anders. Er enthält keine allgemeine Dynamisierungsregelung, sondern Vorschläge zu einer strukturellen Verbesserung der Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, das insbesondere für Kriegsopfer maßgeblich ist. Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten in den letzten Jahren bereits mehrfach die strukturelle Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung gefordert und auch entsprechende Regelungsvorschläge zur Abstimmung gestellt haben. Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der dieses Ziel ebenfalls verfolgt. Dies will ich hier auch ganz deutlich sagen. Ich muß auch deutlich sagen, daß es keinen zwingenden Grund dafür gab, die Kriegsopfer so lange - ich würde sagen, es war zu lange - auf strukturelle Verbesserung ihrer Entschädigungsleistungen warten zu lassen. ({0}) Hinzu kommt, daß das Inkrafttreten der wesentlichen Leistungsverbesserungen nicht mit dem nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgen, sondern auf den 1. Juli hinausgezögert werden soll. Dies ist dann allerdings schon untragbar. ({1}) - Nicht alle. Ich habe ja gesagt: die wesentlichen Leistungsverbesserungen. Ich darf uns allen anläßlich der Beratung in Erinnerung rufen, daß heute, nahezu 45 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch etwa 1,4 Millionen Kriegsopfer Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten. Die Zahl derer, die heute noch die Auswirkungen der schrecklichen Kriegsereignisse durch großes persönliches Leid und vielfältige Entbehrungen tragen müssen, ist also immer noch sehr groß. Bei den verschiedensten Gelegenheiten ist schon vielfach darauf hingewiesen worden, daß niemand den Beschädigten, den Hinterbliebenen oder den Kriegereltern das große Opfer, das sie für die Allgemeinheit erbringen mußten, abnehmen kann. Das ist alles richtig, aber wir tragen die Verantwortung dafür, daß die Kriegsopferversorgung in ihrer Entwicklung nicht stehen bleibt und auch in Zukunft diesem Sonderopfer gerecht wird. Dafür müssen wir sorgen. Diesem Anspruch muß auch das Gesetz, das am Ende der parlamentarischen Beratung stehen soll, gerecht werden. Der Entwurf, den die Bundesregierung dazu vorgelegt hat, wird diesem Anspruch jedenfalls noch nicht gerecht. Er muß in diesem Sinne noch wesentlich verbessert werden, wobei wir der Tatsache besondere Bedeutung beimessen müssen, daß die anspruchsberechtigten Beschädigten zwischenzeitlich ein Durchschnittsalter von 70 und die Hinterbliebenen gar von 76 Jahren erreicht haben. Infolge dieses Älterwerdens haben sich die Lebensbedingungen der Kriegsopfer in besonderer Weise verschlechtert. Zu den schädigungsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen treten häufig altersbedingte Erkrankungen und Beschwernisse hinzu, so daß heute vielfach auch dort gesellschaftliche Leistungen erforderlich werden, wo früher noch Eigenhilfe möglich war. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte. Besonders rühmlich für die Bundesregierung ist diese Geschichte allerdings nicht. Schon im März 1987 hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dargelegt, daß das Leistungssystem der Kriegsopferversorgung durch strukturelle Verbesserungen weiterentwickelt werde. Jene, die für unser Land vielfach schwere Opfer gebracht haben, sollten nach des Kanzlers Worten von uns allen Solidarität erwarten können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte also auch die Bundesregierung erkannt, daß eine strukturelle Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung notwendig ist. Nur, mit der Umsetzung dieser Versprechungen hat sie sich dann allerdings viel Zeit gelassen. Über Jahre hinweg hat sich, von Minimalverbesserungen abgesehen, in Richtung bedarfsgerechter Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung nichts getan. Dabei hat es an entsprechenden Forderungen und Regelungsvorschlägen wahrlich nicht gemangelt. Schon im Mai 1987 ist uns anläßlich der Ausschußanhörung von den Kriegsopferverbänden übereinstimmend dargelegt worden, daß die altersbedingte besondere Situation in der Kriegsopferversorgung sofortiges Handeln notwendig mache. ({2}) Heute nun liegt uns das Ergebnis des Handelns der Bundesregierung vor. Man hätte sich wirklich gewünscht, sie hätte sich früher und auch großzügiger zu Leistungsverbesserungen durchringen können. Ich bedauere, daß sie das nicht getan hat. Innerlich können wir Sozialdemokraten mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf einen Teil der Forderungen aufgreift, die wir Sozialdemokraten zur strukturellen Verbesserung der Kriegsopferversorgung bereits mehrfach in die Beratungen zu den vorausgegangenen Kriegsopferversorgungsanpassungsgesetzen eingebracht haben. ({3}) Insbesondere gilt dies für die Verbesserung der Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, die Verbesserung des Berufsschadensausgleichs für Beschädigte und des Schadensausgleichs für Witwen, die Anhebung der Alterszulage zur Grundrente für Schwerbeschädigte, die Schonung der Pflegezulage vor Auszehrung in besonderen Fällen sowie die Anhebung der Elternrenten. Nur nebenbei sei bemerkt, daß dies in ihrer Zielsetzung genau jene Vorschläge von uns Sozialdemokraten sind, die die Koalitionsfraktionen noch im Frühjahr dieses Jahres in diesem Hause in Bausch und Bogen abgelehnt haben. Weil wir aber nicht nachtragend sind, machen wir Ihnen dies auch nicht zum Vorwurf und sind vielmehr bereit, im Zuge der weiteren Gesetzesberatungen an der Verfeinerung und in dem einen oder anderen Fall auch an der gerechteren Ausgestaltung der vorgelegten Regelungsvorschläge konstruktiv mitzuarbeiten. ({4}) Daß ich dies nicht ohne Grund sage, wird deutlich, wenn ich als Beispiel die Frage der Verbesserung des Berufsschadensausgleichs für Beschädigte sowie des Schadensausgleichs für Witwen herausgreife. Wir wissen alle, daß dies ein sehr schwierig zu regelnder Bereich ist und daß der im Gesetzentwurf enthaltene Regelungsvorschlag sicherlich noch verbesserungsfähig ist. Ich meine, wir sollten gemeinsame Überlegungen anstellen, wie wir den Personengruppen, die noch immer unterversorgt sind, gerecht werden und gleichzeitig einer möglichen Überversorgung vorbeugen können. Nach dem Bericht, den die Bundesregierung selbst dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages vorgelegt hat, stellt sich in diesem Zusammenhang die Entschädigung bei den noch erwerbstätigen Beschädigten als besonders ungerecht dar. Diese Personengruppe nicht in die neue Regelung des Berufsschadensausgleichs einzubeziehen, weil man noch kein tragfähiges und gerechtes Lösungsmodell gefunden hat, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Der Kreis der anspruchsberechtigten Beschädigten im erwerbsfähigen Alter ist jetzt schon sehr klein und wird in den nächsten Jahren rapide abnehmen. Ich denke nicht, daß man in dieser Situation noch weiter abwarten kann, bis man eine optimale Lösung gefunden hat. Im Bundesrat sind im Zusammenhang mit dem ersten Durchgang des Gesetzentwurfs dazu bereits Lösungsvorschläge diskutiert worden. Auf der Grundlage dieser Vorschläge müßte es im Zuge der Ausschußberatungen möglich sein, bereits mit diesem Gesetz zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Dieses Problem weiter vor uns herzuschieben wäre sicherlich ein großer Fehler. Lassen Sie mich noch einen weiteren Regelungsbereich aus dem Gesetzentwurf herausgreifen, der mir besonders am Herzen liegt und für den wir sicherlich noch eine bessere Lösung finden können. Ich meine die Verbesserung der Pflegezulage. Hier haben wir die Situation, daß die Ehegatten von pflegebedürftigen Beschädigten, die eine Pflegezulage erhalten, zwischenzeitlich ebenfalls ein Alter erreicht haben, das in zahlreichen Fällen die Fortführung der Pflege in dem erforderlichen Umfang erschwert oder gar unmöglich macht. Der Beschädigte ist dann gezwungen, die Pflege einer bezahlten fremden Pflegeperson ganz oder teilweise zu übertragen. Auch die Bundesregierung hat das Problem jetzt aufgegriffen und einen Verbesserungsvorschlag unterbreitet. Dies reicht unseres Erachtens aber für die besonders schweren Pflegefälle, in denen die Ehegatten neben der bezahlten Pflegekraft in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Pflegeleistungen erbringen, nicht aus. Keine Regelungsvorschläge enthält der vorliegende Gesetzentwurf allerdings zu so wichtigen Fragen wie etwa zur Verbesserung der Gesundheitssicherung von Pflegepersonen oder zur Verbesserung von Witwen- und Waisenbeihilfen. Auch diese Bereiche müssen in die weiteren Gesetzesberatungen mit einbezogen werden. Herr Bundesarbeitsminister Blüm hat in seiner Rede vor dem Bundesrat dargelegt, daß es sich bei dem vorgelegten Gesetzentwurf um einen weiteren Schritt zur Verbesserung der Kriegsopferfürsorge handle. Auch wenn dies richtig ist, so meine ich doch, daß uns nicht zuletzt das zwischenzeitlich sehr hohe Durchschnittsalter der Beschädigten und der Hinterbliebenen dazu zwingt, nicht mehr schrittweise vorzugehen, sondern alle Anstrengungen zu unternehmen, jetzt zu einem umfassenden, insgesamt zufriedenstellenden und gerechten Leistungssystem in der Kriegsopferversorgung zu kommen. ({5}) Zu dieser konstruktiven Mitarbeit in diesem Sinne sind wir Sozialdemokraten bereit. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hasenfratz, Sie haben einiges am Zeitpunkt gerügt, weil Sie schon in diesem Frühjahr entsprechende Vorschläge gemacht haben. Inhaltlich habe ich diesen Vorschlägen schon im Frühjahr zugestimmt. Ich habe gesagt: Wir werden die Anregungen aufnehmen und, wenn es finanziell möglich ist, umsetzen. Daran sind wir heute. Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der den soliden Ausbau zugunsten der Kriegs- und Wehrdienstopfer und deren Witwen fortsetzt. Für diese Zielgruppe setzt sich die Koalition in besonderer Weise ein. Der Sozialhaushaltsplan sieht für das Jahr 1990 insgesamt Ausgaben in Höhe von 70,4 Milliarden DM vor. Das ist der höchste Einzelposten im Gesamthaushalt. Davon werden 11,9 Milliarden DM für die Kriegsopferversorgung für ca. 1,4 Millionen Berechtigte bereitgestellt. Das entspricht fast 17 % des Gesamtvolumens des Sozialhaushalts. Dieses hohe Niveau kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nach wie vor zu kurz Gekommene unter den Berechtigten gibt. Deshalb war es auch mein Anliegen, gezielt Leistungen in der Weise einzusetzen, daß auch denjenigen Kriegsopfern und Witwen, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden, jetzt besonderes Augenmerk geschenkt wird. In Zusammenarbeit mit den betroffenen Verbänden haben wir eine differenzierte Neuregelung erarbeitet, die einem konsequenten Ausbau der Kriegsopferversorgung Rechnung trägt. Eine halbe Million Menschen kommen nach unseren Vorschlägen ab April 1990 in den Genuß der angestrebten Verbesserungen. Die Leistungen im einzelnen haben im wesentlichen folgende Punkte zum Inhalt: Erstens. Eine besonders bedeutsame Leistungsverbesserung ist die Anhebung der Ausgleichsrente. 300 000 Witwen, die wegen der geringen Höhe ihres sonstigen Einkommens eine Ausgleichsrente beziehen, werden ab April monatlich bis zu 58 DM mehr erhalten. Zweitens. Weiterhin ergänzt die neue Regelung den geltenden Leistungsplan im Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich für Beschädigte und Witwen. Auch bei dieser Regelung ließen wir uns von dem Gedanken leiten, daß Unterversorgung im Leistungssystem besser ausgeglichen werden muß. Wir erreichen mit dieser Ergänzung eine volle Schadensabgeltung für den Berufsschadens- und Schadensausgleich. 21 000 Beschädigten und Witwen kommen dabei zum Teil erhebliche Verbesserungen von bis zu mehreren hundert Mark zugute. ({0}) Drittens. Für 125 000 Schwerbeschädigte sollen 19 Millionen DM als Alterszulage zur Grundrente bereitgestellt werden. Herr Kollege Hasenfratz, Sie haben auf das hohe Alter der Betroffenen hingewiesen. Das war der Grund dafür, daß wir hier entsprechende Verbesserungen vornehmen. Auf Grund des hohen Alters und des starken Verschleißes ihrer Kräfte ist es höchste Zeit, die Grundrente für die Schwerbeschädigten anzuheben. Auch hier haben wir durch eine differenzierte Anhebung der Alterszulage, gestaffelt nach der Minderung der Erwerbstätigkeit, der unterschiedlichen physischen Belastung dieser Personen Rechnung getragen. Viertens. Neu geregelt wird auch die Auszahlung der Pflegezulage. Bisher erhielten Beschädigte, die infolge der Schädigung so hilflos sind, daß sie fremder Hilfe bedürfen, Mehraufwendungen für eine Pflegehilfe erstattet. Doch die mitpflegende Ehefrau ging leer aus. Die neue Regelung im Sinn einer pauschalierten Lösung fördert die Pflege im privaten Bereich und die Weiterführung dieser Pflege nach Entlassung aus dem stationären Bereich. Im Sinne einer humanen, familienfreundlichen Politik können nun mitpflegende Familienangehörige Aufwendungen aus der pauschalen Pflegezulage in Anspruch nehmen. Die häusliche Pflege wird dadurch weiter gestärkt. Fünftens. Lassen Sie mich zu dem Schadensausgleich für Witwen von Pflegezulageempfängern und zu den Forderungen der Kriegsblinden folgendes sagen: Die mir bis jetzt vorliegenden Unterlagen für eine einkommensunabhängige Gewährung dieser Leistungen sind so widersprüchlich, daß ich mir erst im Lauf der Beratungen und nach der Anhörung eine endgültige Meinung bilden kann. Wir werden also hier im Rahmen der Beratungen sehen, wie weit wir auf diesem Gebiet kommen können. Sechstens. Um die wirtschaftliche Lage der Eltern zu verbessern, werden die Beträge der Elternrente entsprechend der Regelung bei der Witwenausgleichsrente bis zu 64 DM bei Elternpaaren erhöht. Des weiteren wird der Unfallschutz differenziert auf pflegende Familienangehörige und sonstige pflegende Personen ausgedehnt. So kommen auch Begleitpersonen blinder Menschen bei Unfällen, die sich im Zusammenhang mit der Pflege ereignen, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zugute. Zählt man alle Leistungsverbesserungen zusammen, so kommt man auf die stolze Summe von 170 Millionen DM, eine Größenordnung, die nur deshalb möglich war, weil eine vernünftige Wirtschafts-und Finanzpolitik des Bundes die Basis für weitere sozialpolitische Verbesserungen in diesem Bereich ermöglicht hat. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei dem von der Regierungskoalition vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über strukturelle Veränderungen in der Kriegsopferversorgung ({0}) gibt es zwischen den Fraktionen bei den weiteren Beratungen wahrscheinlich keine allzu großen Differenzen. An dieser Stelle ist es aber angebracht, an etwas zu erinnern. Jedes Mal, wenn es darum geht, die Kriegsopferversorgung zu verändern, sollte man kurz innehalten und darüber nachdenken, daß die Tatsache, daß 44 Jahre nach Beendigung des letzten Krieges noch Opfer dieses Krieges unter uns leben, die versorgt werden, Grund und Mahnung für uns sein muß, eine Sicherheitspolitik zu betreiben, die in Richtung einer friedlichen Lösung geht, und in Richtung Abrüstung zu arbeiten. ({1}) Das betrifft auch die Frage, die wir heute morgen in diesem Hause behandelt haben, als es um die Sollstärke der Bundeswehr ging. Selbst in diesem Punkt gibt es Differenzen. Obwohl Sie bereit sind, jetzt mehr für die Kriegsopfer zu tun, sind Sie doch sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, im jetzigen Abrüstungsprozeß in Europa einen echten bundesrepublikanischen Beitrag mit einer Absenkung der Sollstärke der Bundeswehr einzubringen. ({2}) Die strukturellen Verbesserungen im Bereich der Kriegsopferversorgung haben mit der Erhöhung der Ausgleichsrente für Witwen, mit Verbesserungen beim Berufsschadensausgleich, mit einer Erhöhung der Alterszulage für Schwerbeschädigte, mit Pflegezulagen für Familienangehörige, wenn fremde Pflege vorhanden ist, zu tun. Gegen diese Verbesserungen haben wir überhaupt nichts einzuwenden. Das finden wir okay. In den Beratungen werden wir einen Punkt aufgreifen, den man unserer Meinung nach hineinbringen muß. Das ist der Umstand, daß beim Tod eines anerkannten kriegsversehrten Schwerbehinderten die Beweislast darüber, ob er an den Folgen seiner Kriegsverletzung gestorben ist, bei der hinterbliebenen Witwe liegt. Ich denke, wir sollten einen Passus einfügen, daß der Tod automatisch als Folge der Verletzung gewertet wird. Wenn es Gründe gibt - es gibt solche Gründe - , die dafür sprechen, daß er nicht an den Folgen dieser Kriegsverletzung gestorben ist, sollte die Beweislast bei den Behörden liegen und nicht bei der hinterbliebenen Witwe. ({3}) Das ist eine Sache, die unbedingt da hineingebracht werden muß. Es bleibt noch das Problem, daß Sie in den Jahren 1982 und 1983 die Kriegsopfer, die Sie heute so beschwören, bei der Verkürzung von Rentenanpassungen einbezogen haben, um bestimmte Mittel lockerzumachen, die im Etat anderweitig verwendet wurden. Erst zu Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie in einer Regierungserklärung versprochen, die strukturellen Änderungen einzubringen. Ich kann nicht verstehen - ich sage das, damit sich die Bürger darüber ein Bild machen können - , daß Sie das erst jetzt, zwei Jahre später, tun. ({4}) Daß Sie das Gesetz mit Wirkung vom 1. April in Kraft treten lassen, hat den Geschmack eines Wahlgeschenks. ({5}) Immerhin hat Kollege Heinrich gesagt, daß eine halbe Million Menschen davon profitieren. Sie sollten darüber nachdenken, daß hier vielleicht wieder Politik gemacht worden ist. Danke. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Sehr geehrter Herr Minister! Dagegen, daß nun die vom Krieg Betroffenen nach 44 Jahren etwas mehr bekommen, kann niemand sein. Man muß sich vor Augen führen, daß 98 To dieser Menschen, die Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten, Opfer des Zweiten Weltkrieges sind. Daß Sie die 40 Millionen DM, die der Vorschlag des Bundesrates an Verbesserungen bringen sollte, nicht locker gemacht haben, Herr Minister, verstehe ich nicht. Man muß sich überlegen, daß es um einen minimalen Betrag von 40 Millionen DM geht, wenn wir im Vergleich dazu zur Kenntnis nehmen müssen, daß über Nacht Hunderte von Millionen DM da sind, um anderen armen Menschen Geld zu geben. Ich, die ich Teilnehmerin des Zweiten Weltkrieges war, kann überhaupt nicht kapieren, daß Sie nicht die vom Bundesrat vorgeschlagenen 40 Millionen DM diesen Menschen, die ja im Durchschnitt über 70 Jahre alt sind, als eine der wenigen Verbesserungen für ihr persönliches Altersleben geben. Ich kann solch einen Finanzminister nicht verstehen. Ich kann die ganze Bundesregierung nicht verstehen. ({0}) Auf der einen Seite sagt die Bundesregierung immer: Wir helfen unseren Brüdern und Schwestern in der DDR, wir helfen den deutschstämmigen Aussiedlern und und und, aber hier vernachlässigt sie Menschen, die weit über 70 sind, z. B. Witwen, Herr Minister, die unter 600 DM Rente haben. Darüber wird sorglos weggegangen, aber nach draußen wird getönt, was für ein sozialer Staat wir sind. ({1}) Die Ärmsten der Armen, die Hinterbliebenen des letzten Weltkrieges, die Betroffenen des letzten Weltkrieges, die vergessen wir selbst dann, wenn es um kleinste finanzielle Aufbesserungen geht, schamlos. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Louven.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hasenfratz, am 18. März 1987 hat Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung strukturelle Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung für die zweite Hälfte der Legislaturperiode versprochen. ({0}) Ich muß immer wieder sagen, weil Sie es offensichtlich vergessen haben, daß er bewußt gesagt hat: für die zweite Hälfte. ({1}) Nun liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor. Entgegen allen Unkenrufen von Ihrer Seite hat die Bundesregierung Wort gehalten. ({2}) Ich habe mir Ihre starken Sprüche, die Sie in der Vergangenheit, auch Sie, Frau Weiler, zu dieser Problematik hier gemacht haben, noch einmal herausgeschrieben. ({3}) Ich erspare es mir, sie hier zu wiederholen, weil sich Herr Kollege Hasenfratz und Herr Kollege Hoss heute sehr moderat geäußert haben. Herr Kollege Hasenfratz, dafür, daß sie die Bundesregierung nicht noch mehr loben konnten, habe ich Verständnis; denn seit dem vorigen Dienstag ist es ja gefährlich, von ihrer Seite die Bundesregierung zu loben. ({4}) Bei der Beratung des Anpassungsgesetzes im Frühjahr dieses Jahres haben wir bereits angekündigt, daß es einen eigenen Gesetzentwurf über strukturelle Verbesserungen geben werde. Damals habe ich von diesem Platz von 100 Millionen DM gesprochen. ({5}) - Nunmehr betragen die Verbesserungen, Frau Steinhauer, 170 Millionen DM. Dieser für die Kriegsopfer bedeutungsvolle Erfolg ist durch ein gutes Zusammenwirken zwischen dem Bundesarbeitsminister, den Koalitionsfraktionen und den Kriegsopferverbänden erzielt worden, ({6}) die den Bundesfinanzminister von der Notwendigkeit zusätzlicher struktureller Verbesserungen überzeugen konnten. Das Inkrafttreten des Gesetzes verzögert sich leider in der Tat etwas. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die Vorschriften über den Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich umfangreiche Vorbereitungen der Versorgungsämter in der elektronischen Datenverarbeitung erfordern. Vorrangiges Ziel des Gesetzentwurfes ist es, auch im Hinblick auf die mit zunehmendem Alter wachsenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Probleme der Beschädigten und Hinterbliebenen strukturelle Leistungsverbesserungen für solche zu schaffen, die nach dem derzeitigen Leistungssystem noch nicht ausreichend versorgt sind. Das heißt, es soll schwergewichtig den Kriegsopfern geholfen werden, die es aus sozialen Gründen besonders notwendig haben. ({7}) Der Gesetzentwurf hat drei Schwerpunkte. Darauf ist hier hingewiesen worden; ich muß sie nicht noch einmal erläutern. Wir begrüßen es, daß die Kriegsopferverbände diese strukturellen Verbesserungen überwiegend gutheißen. Natürlich wissen wir auch, daß es weitergehende Forderungen gibt, insbesondere vom Bund der Kriegsblinden. Diese weitergehenden Forderungen betreffen die Einführung einer Pflegeleistungszulage für Witwen von Pflegezulagenempfängern der Stufen 3 und 4 sowie die Zahlung der pauschalierten Pflegezulage auch neben den Kosten für eine fremde Pflegekraft. ({8}) Ich habe schon auf dem Bundeskongreß der Kriegsblinden am 28. September in Dortmund darauf hingewiesen, daß wir uns mit diesen Argumenten im Ausschuß noch auseinandersetzen wollen. In der Sachverständigenanhörung, die wir ja wohl beschließen werden, werden wir dann die Kriegsopferverbände nach diesen Realisierungsmöglichkeiten noch befragen. Meine Damen und Herren, das nun bald zu Ende gehende Jahr, in dem auch 40 Jahre Sozialstaat gefeiert wurden, veranlaßt mich abschließend noch zu einem kurzen Rückblick auf die Enwicklung der Kriegsopferversorgung. Das Gesetz vom 20. Dezember 1950 über die Versorgung der Opfer des Krieges wird in diesen Tagen zwar erst 39 Jahren alt; aber es war das erste große sozialpolitische Gesetzeswerk der 1. Wahlperiode. Durch zahlreiche Änderungen im strukturellen und im Leistungsbereich - ich habe 39 Änderungs- und Neuordnungsgesetze gezählt - ist das im Bundesversorgungsgesetz verankerte soziale Entschädigungsrecht als ein fester Bestandteil des sozialen Sicherungssystems in unserem Sozialstaat schrittweise ausgebaut und verbessert worden. ({9}) Unser Kriegsopferrecht gilt im internationalen Bereich als vorbildlich. Meine Damen und Herren, mit der Vorlage des Gesetzentwurfes haben wir wiederum deutlich gemacht, daß wir Wort halten und daß sich die deutschen Kriegsopfer auf uns verlassen können. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/5831 an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse zu überweisen. Ist jemand dagegen? - Das ist dann so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: a) Weitere zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Steuerreformgesetzes 1990 - aus Drucksache 11/2157 - und Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude ({0}) - Drucksache 11/5680 - aa) Zweite Beschlußempfehlung und zweiter Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 11/5970 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos Huonker Dr. Solms bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksache 11/5970 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos Huonker Dr. Solms ({3}) cc) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5971 14060

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Roth ({0}) Dr. Weng ({1}) Dr. Struck Frau Vennegerts ({2}) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Vosen, Bulmahn, Catenhusen, Fischer ({4}), Ganseforth, Grunenberg, Lohmann ({5}), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Börnsen ({6}), Dr. Hauchler, Huonker, Dr. Jens, Kastning, Lennartz, Matthäus-Maier, Dr. Mertens ({7}), Oesinghaus, Opel, Poß, Reschke, Stahl ({8}), Westphal, Dr. Wieczorek, Zander, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Fortführung der Steuerbegünstigung für Erfinder - Drucksachen 11/3101, 11/5970 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Faltlhauser Glos Huonker Dr. Solms Zu Tagesordnungspunkt 8 a) liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5975 und 11/5990 vor. Der Ältestenrat schlägt vor, für eine gemeinsame Beratung eine Stunde vorzusehen. Das Haus ist damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Weihnachtsfest und damit die dritte Stufe der Steuerreform stehen vor der Tür. Zum Fest wird es Geschenke geben, die Freude bereiten. Eine ganz besonders große Freude für die Lohn- und Einkommensteuerzahler ist die massive Steuersenkung zum 1. Januar 1990. ({0}) Entgegen den ständigen Behauptungen der SPD verteilt diese Reform keine Steuergeschenke, schon gar nicht für die „Reichen". Der neue Steuertarif bringt dauerhafte Steuerentlastungen für alle Lohn- und Einkommensteuerzahler. Millionen Steuerzahler können sich freuen über die Abschaffung einer Steuerstrafe auf das Ergebnis von beruflicher Leistung und von unternehmerischer Initiative. ({1}) Im Vergleich zum SPD-Tarif, der bis 1985 galt, ist 1990 - bei gleichem Einkommen - im Durchschnitt ein Viertel weniger an Lohn- und Einkommensteuer zu zahlen. Bei 500 000 Kleinverdienern entfällt die Steuerpflicht zu 100 %. ({2}) Ganz besonders freuen wir uns über das Zusammenwirken von Grundfreibetragserhöhung, Tarifsenkung und Erhöhung der Kinderfreibeträge; denn Eltern, deren Portemonnaie durch Kindesunterhalt belastet ist, können nicht in gleicher Weise besteuert werden wie Ledige. Dies gebietet der Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, den die SPD in den 70er Jahren und in den frühen 80er Jahren sträflich mißachtet hat. Mit der Verabschiedung des Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurfs schließen wir die Steuerreform 86/88/90 ab. Auch nach der Ergänzung der Steuerreform durch das vorliegende Gesetzesvorhaben ändert sich nichts an der steuerlichen Vorfahrt für die Familie. Im Gegenteil: Das Gesetz bringt zahlreiche zusätzliche Verbesserungen für Selbständige und Arbeitnehmer, die selbstverständlich auch den Familien zugute kommen. ({3}) Ich greife stellvertretend einige Rechtsänderungen heraus. Der geldwerte Vorteil von Fahrtkostenzuschüssen des Arbeitgebers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seines Arbeitnehmers wären nach den Lohnsteuerrichtlinien 1990 künftig als sogenannter geldwerter Vorteil voll steuer- und sozialversicherungspflichtig. Dies entspricht nicht dem Willen der Koalition. Wir wollen nicht, daß die Senkung der tariflichen Lohnsteuer 1990 in dieser Weise geschmälert wird. Deshalb wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt, die Lohnsteuer für Fahrtkostenzuschüsse mit 15 % pauschal zu besteuern. Da die Pauschalsteuer Betriebsausgabe ist, ergibt sich eine vertretbare Zusatzbelastung beim Arbeitgeber; beim Arbeitnehmer fällt dann weder Lohnsteuer noch Sozialversicherung an. Nach dem Steuerreformgesetz 1990 sind Zuschläge, die Arbeitnehmer für Nachtarbeit erhalten, grundsätzlich bis zu 25 % des Grundlohns steuerfrei. Für Nachtarbeit von 0 bis 4 Uhr gilt ein erhöhter Zuschlagssatz von 40 % , wenn der Arbeitnehmer überwiegend nachts arbeitet. Diese Voraussetzungen sollen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf entfallen, so daß der steuerfreie Zuschlagsatz von 40 % künftig für alle Arbeitnehmer greift, welche die Nachtarbeit betriebsbedingt vor 0 Uhr aufnehmen. ({4}) - Wir sind immer vernünftig, Herr Kollege. Ich freue mich, wenn Sie das anerkennen. Ich möchte noch drei weitere Verbesserungen herausheben: In erster Lesung haben wir gestern - das ist hier nicht ausdrücklich gesagt worden, und ich freue mich über die Gelegenheit, dies zu sagen - eine weitere dringende Verbesserung eingebracht. Sie betrifft den gewerblichen Kraftfahrzeughandel, aber auch die Autokäufer. In dem Gesetzentwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ist vorgesehen, für den gewerblichen Gebrauchtwagenhandel ab 1. Juli 1990 die sogenannte Differenzbesteuerung einzuführen. ({5}) Bei dieser Besteuerung wird die Umsatzsteuer künftig nur noch nach dem Unterschied zwischen dem Verkaufspreis und dem Einkaufspreis beim Händler bemessen. ({6}) Ich bin überzeugt, daß wir da alle zustimmen werden. Damit wird ein langjähriges steuerpolitisches Ärgernis beseitigt, nämlich die Benachteiligung des gewerblichen Kraftfahrzeughandels bei der Umsatzbesteuerung im Vergleich zum Pkw-Verkauf von Privat an Privat, bei dem keine Umsatzsteuer anfällt. Insofern können auch keine großen Steuermindereinnahmen entstehen. In § 6 b des Einkommensteuergesetzes wird die Frist für die steuerfreie Wiederanlage des Erlöses aus der Veräußerung von Grund und Boden sowie von Gebäuden von zwei auf vier sowie von vier auf sechs Jahre verlängert. Damit leisten wir vor allem einen Beitrag zur notwendigen Mobilisierung von Grund und Boden für den Wohnungsbau und für Strukturverbesserungen in der Landwirtschaft. ({7}) Mein Kollege Faltlhauser wird auf diesen Teil dann noch näher eingehen. Die Wertgrenze für den Betriebsausgabenabzug von Werbegeschenken wird von 50 auf 75 DM angehoben. Dadurch tragen wir der Preisentwicklung seit Beginn der 70er Jahre Rechnung. Die Anhebung der Wertgrenze verbessert die Wettbewerbssituation der deutschen Werbemittelhersteller entscheidend, die ja auch in Bayern zu Hause sind. ({8}) - Ich hatte gesagt, verehrter Herr Kollege: „auch in Bayern". - Ich denke dabei insbesondere an die Schneidwaren- und Lederwarenhersteller, und die Schneidwarenhersteller sind meines Wissens in Westfalen. Deswegen freue ich mich über Ihre Zustimmung. Wir werden denen also damit die Möglichkeit geben, ihre hochwertigen Produkte zu verkaufen, und drängen damit die billigen Importprodukte aus Fernost im Werbeartikelsektor zunehmend zurück. Zum Schluß möchte ich eine Steuerrechtsänderung ansprechen, die nach wie vor wünschenswert ist, aber im Zuge dieses Gesetzgebungsvorhabens leider nicht zu verwirklichen war. Ich meine die Regelung des Problems der sogenannten Gesellschafter-Fremdfinanzierung. Auch hierbei handelt es sich um ein Relikt aus SPD-Zeiten. Seit der Körperschaftsteuerreform 1977 zeigt sich, daß Anteilseigner deutscher Kapitalgesellschaften aus steuerlichen Gründen verstärkt von der Eigenfinanzierung zur Fremdfinanzierung ihrer Gesellschaft übergehen. Es handelt sich vor allem um solche Anteilseigner, die nach diesem Körperschaftsteuersystem nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer auf ihre persönliche Steuerschuld berechtigt sind. Mit dieser sogenannten Fremdfinanzierung entgehen dem Fiskus Steuereinnahmen in nicht bezifferbarer Höhe. Der Steuertrick besteht darin, daß Aufwendungen für Fremdkapital fingiert werden, die - anders als Gewinnausschüttungen auf das Eigenkapital - Betriebsausgaben bei der Gesellschaft sind. Der Finanzausschuß hat eine Anhörung zu dem Problem der Gesellschafter-Fremdfinanzierung durchgeführt, der eine Formulierungshilfe des Bundesministers der Finanzen zugrunde lag. Die Anhörung hat überwiegend Ablehnung der vorgesehenen gesetzlichen Regelung ergeben. Im Kern wurde die Auffassung vertreten, daß der sachliche Gehalt einer Regelung von Mißbrauchsfällen, wie sie zur Zeit in einem Verwaltungserlaß enthalten ist, in das Gesetz übernommen werden sollte. Es ist dann nicht möglich gewesen, diese Formulierungshilfe umzuwandeln, weil sich in diesem Hearing zu starke Bedenken ergeben haben und es sich gezeigt hat, daß es so, wie vorgeschlagen, nicht zu praktizieren gewesen wäre. Wir sind der Meinung, dieses Problem bedarf nach wie vor einer Lösung. ({9}) Wir müssen sie aber, da wir das Steuerreformgesetz abschließen mußten, leider in die nächste Stufe der Steuerreform verschieben, die wir uns für die nächste Legislaturperiode zum Ziel gesetzt haben. ({10}) Meine Damen und Herren, weniger Steuern auf das Ergebnis von mehr Leistung und mehr Investitionen sind das wirksamste Instrument zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes. Die dritte Stufe der Steuerreform, einschließlich der jetzt zu beschließenden Ergänzungen, wird unserer Wirtschaft zugute kommen; sie wird unsere Wirtschaft weiter voranbringen. Sie wird zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Sie wird das Wirtschaftswachstum stärken und damit unseren Sozialstaat sicherer machen. Wir brauchen diese Leistungsfähigkeit auch, um dem anderen Teil unseres Vaterlandes helfen zu können, um den Ländern helfen zu können, die bisher unter kommunistisch-sozialistischer Zwangsherrschaft gestanden sind und die jetzt unserer Hilfe bedürfen. Ich bin überzeugt, daß es Ihnen leicht fallen wird, diesem Gesetz zuzustimmen. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz wird der vorläufige Schlußpunkt unter das Steuerreformpaket 1990 gesetzt. Zurückschauend muß man feststellen: Noch nie hat es eine so konfuse Gesetzgebung im deutschen Steuerrecht gegeben wie bei der Steuerreform 1990. ({0}) Mit einer vorausschauenden und geradlinigen Finanzpolitik hat dies alles nichts zu tun. Begonnen hat dies schon im Bundestagswahlkampf 1986/87 mit den sich ständig überbietenden Steuersenkungsversprechen der Koalitionsparteien. Eine Steuersenkung von 1 000 DM für jeden wurde damals versprochen. Heute wissen wir, daß dies nicht stimmt. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Bürger erhält eine weit geringere Entlastung. Nach der Bundestagswahl begann das Gerangel um die konkrete Ausgestaltung der Steuerreform. Die Senkung des Spitzensteuersatzes war für Norbert Blüm „ein Faustschlag ins Gesicht der Malocher". Er und die Sozialpolitiker der Union waren die Verlierer bei diesem Gerangel. Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt, und die unsoziale Steuerreform wurde damit festgeschrieben. Es gibt heute auch keinen Streit mehr darüber, meine Damen und Herren, daß es ein großer politischer Fehler von Herrn Stoltenberg war, den Bürgern zunächst nur die Speckseite der Steuerreform, die Entlastungsseite, zu präsentieren, und die zur Finanzierung erforderlichen Steuererhöhungen zu verschweigen. Monatelang wurden den Bürgern riesige Entlastungszahlen vorgegaukelt. Um so größer war die Enttäuschung, als im Herbst 1987 der Finanzierungsteil bekannt wurde: Streichung des Weihnachtsund Arbeitnehmerfreibetrages, Besteuerung der Schichtarbeitszuschläge, der Personalrabatte und des Essensfreibetrages, um nur einige der Steuererhöhungsmaßnahmen zu nennen. Damals wurde auch die Quellensteuer für Zinseinkünfte beschlossen, die wir von Anfang an als den falschen Weg zur Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit abgelehnt haben. Während der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs zur Steuerreform wurde im Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen eine Vielzahl von Einzeländerungen vorgenommen, die erkennbar nur einem Ziel dienten: Der ursprünglich vorgesehene und ohnehin zu geringe Finanzierungsbeitrag der Unternehmen wurde deutlich zurückgeführt, und neue Steuervergünstigungen für Unternehmen wurden geschaffen. Ich nenne z. B. die Lifo-Bewertungsmethode, die allein zu Steuerausfällen bis zu 2 Milliarden DM jährlich führen wird. Die Beratungen des vor der Sommerpause 1988 verabschiedeten Steuerreformgesetzes wurden unter einen enormen zeitlichen Druck gestellt, wie Sie ja noch wissen, meine Herren von der Koalition, obwohl es hierfür - rund eineinhalb Jahre vor seinem Inkrafttreten - keinen sachlichen Grund gab. Die auf Grund dieser Hektik, Herr Solms, bei den vielen Änderungen zwangsläufig entstehenden Fehler mußten später in mehreren Reparaturgesetzen mühsam korrigiert werden. Überschattet wurde die Verabschiedung des Steuerreformgesetzes von dem mit der kurzerhand eingeführten Steuerbefreiung für Hobby- und Privatflieger geschaffenen Flugbenzinskandal. Dieser Flugbenzinskandal wurde in einem ersten Reparaturgesetz zur Steuerreform im Herbst 1988 teilweise zurückgenommen. Er ist aber immer noch nicht vollständig beseitigt. Das ist die Chronik eines steuerpolitischen Skandals, die ich hier vorgeführt habe, meine Damen und Herren! ({1}) Da die Steuererhöhungen für Arbeitnehmer zur Finanzierung der Steuerreform nicht ausreichten, wurde - ebenfalls im Herbst 1988 - die Erhöhung der Verbrauchsteuern beschlossen. Die bereits seit Beginn dieses Jahres wirksamen Verbrauchsteuererhöhungen führen dazu, daß die Arbeitnehmer einen großen Teil ihrer Lohnsteuersenkung vorfinanzieren müssen. Für viele Verbraucher, die - wie z. B. die Rentner oder die Arbeitslosen - keine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer erhalten, wirken sich die Verbrauchsteuererhöhungen auf Dauer sogar als eine Minderung ihres verfügbaren Einkommens aus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Faltlhauser?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Poß, sind denn die Verbrauchsteuererhöhungen - insbesondere die Erhöhung der Mineralölsteuer - nicht ein zentraler Bestandteil Ihres Programms Fortschritt '90, das Sie noch in diesem Jahr verabschieden wollen, und gehen diese Erhöhungen nicht wesentlich über die von uns in der Vergangenheit vorgenommenen maßvollen Erhöhungen hinaus?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben die Verbrauchsteuern erhöht, um die Kriegskasse zu füllen ({0}) und um Entlastungen bei den Unternehmenssteuern vornehmen zu können. Wir entwickeln ein zukunftsgerichtetes ökologisches Konzept, wobei die Mineralölsteuer eine gewisse Rolle spielt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie erhöhen Steuern nur um eines Entlastungseffekts willen - Sie entlasten an der falschen Stelle ; ich erinnere an den Spitzensteuersatz - , während wir das in zukunftsgerichtete Konzepte einbetten. Herr Faltlhauser, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({1}) Im Frühjahr dieses Jahres legten Sie das nächste große Reparaturgesetz zum Steuerreformgesetz vor. Der neue Bundesfinanzminister Waigel strich die von seinem Vorgänger eingeführte und hartnäckig verteidigte Quellensteuer. Da aber gleichzeitig der gesetzliche Schutz der großen Steuerhinterzieher unangetastet blieb, haben wir jetzt den verfassungswidrigen Zustand, daß die Besteuerung von Zinseinkünften zu einer Dummensteuer degradiert wird, wie sogar von maßgebenden Professoren formuliert wurde. Auch mit diesem Steuerreform-Änderungsgesetz wurde der Finanzierungsbeitrag der Unternehmen durch die Rückführung der Besteuerung von betrieblichen Veräußerungsgewinnen weiter gemindert. Darüber hinaus wurden mit dem Dienstmädchenprivileg weitere Steuervergünstigungen für Betuchte eingeführt. Bei den speziellen Steuererhöhungsmaßnahmen für Arbeitnehmer blieb hingegen alles beim alten. Ausgerechnet bei der Abschaffung des Weihnachtsfreibetrags will Bundesfinanzminister Waigel Beständigkeit demonstrieren. Hier setzt sich der CSU-Vorsitzende über das Steuerkonzept seiner eigenen Partei hinweg, Herr Faltlhauser, das eine Wiedereinführung des Weihnachtsfreibetrags vorsieht. Mit den von der Bundesregierung im Oktober beschlossenen Lohnsteuerrichtlinien wurde die arbeitnehmerfeindliche Steuerpolitik sogar noch verschärft. Nun wurden auf leisem Weg und ohne Beteiligung des Parlaments in kleinlicher Weise zahlreiche Vereinfachungsmaßnahmen wie die steuerfreie Erstattung von Kontoführungsgebühren oder die pauschale Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen gestrichen. Auch hierbei wurde noch einmal die Grundphilosophie der Steuerpolitik der Bundesregierung deutlich: Den Großen wird reichlich gegeben, bei den Kleinen holt man sich, was man nur kriegen kann. Das heute hier vorliegende sogenannte Restantengesetz ist nun das dritte große Reparaturgesetz zum Steuerreformgesetz, Herr Glos. Auch mit diesem Gesetz werden neue Steuergeschenke an Unternehmen und Betuchte verteilt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wird ja nicht angerechnet?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da ich schon eine ganze Weile im Finanzausschuß bin und es immer noch nicht kapiert habe, frage ich Sie, wie das gehen soll, daß bei der Steuer gegeben wird. Ich denke immer, bei der Steuer wird genommen. Jedenfalls ist das bei mir so. Mache ich irgend etwas falsch bei meiner Steuererklärung? Können Sie mir einen Tip geben, daß mir auch etwas gegeben wird?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Worauf bezieht sich das?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben gesagt: Den Großen wird gegeben. Darauf bezieht es sich. ({0}) Ich bin 1,86 m groß. Vielleicht kriege ich auch mal was. ({1})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Glos, wenn Sie sich die Steuerentlastung des Einkommensmillionärs mit 30 000 bis 40 000 DM im Verhältnis zum Einkommen des Durchschnittsverdieners vor Augen führen, dann sehen Sie, wem gegeben wird und wem weniger gegeben wird. Das ist der Unterschied. ({0}) Die Zahlen sind doch nicht zu bestreiten. Im übrigen brauchen wir hier nicht herumzufilibustern. Sie wissen ganz genau, was los ist. Sie sind an dieser Stelle angreifbar und versuchen nun, mit großen Broschüren, mit Äpfeln, deren Wurmstichigkeit man von außen nicht erkennt, die Bevölkerung einzulullen. Das ist Ihre Strategie. ({1}) So wird die Grenze für die steuerliche Berücksichtigung von Geschenken der Unternehmen an Geschäftsfreunde von 50 DM auf 75 DM je Geschenk erhöht. Die Unternehmer können damit im nächsten Jahr ihren Geschäftspartnern zu Weihnachten größere Geschenke machen. Die Arbeitnehmer jedoch, denen der Weihnachtsfreibetrag gestrichen wird, haben im nächsten Jahr weniger für Geschenke an ihre Kinder zur Verfügung. Für sie fällt Weihnachten etwas kleiner aus. Dieses Beispiel ist symbolisch für die unsoziale Grundstruktur Ihrer Steuerpolitik. Das zeigt sich auch am Beispiel der steuerlichen Behandlung von Unterhaltsleistungen bei geschiedenen Ehegatten. Der Abzugsbetrag wird von 18 000 DM auf 27 000 DM erhöht und erreicht damit eine Größenordnung, die in keinem Verhältnis mehr zu anderen steuerlichen Freibeträgen steht. Der höchstmögliche Steuervorteil steigt um 2 700 DM. ({2}) - Das ist klar. Das ist auch jetzt schon so. Die den normalen Familien gewährten Leistungen für den Unterhalt und die Erziehung von Kindern nehmen sich demgegenüber mehr als bescheiden aus. Nach Auskunft der Bundesregierung, von mir erfragt, werden von der Erhöhung rund 10 000 Fälle betroffen. Es handelt sich hier um eine ganz gezielte Vergünstigung für eine verschwindend kleine Zahl von gut und sehr gut verdienenden Personen, die wegen ihres hohen Einkommens hohe Unterhaltsleistungen zu zahlen haben. Das ist reine FDP-Klientel-Politik, die hier betrieben wird, mehr nicht. Die Rechtsstellung der unterhaltsberechtigten Personen - meist geschiedene Ehefrauen - wird drastisch verschlechtert und deutlich geschwächt. Dies ist eine ausgesprochen frauenfeindliche Regelung. Die gestern durchgeführte Anhörung zur Unternehmensbesteuerung hat u. a. gezeigt, daß es sinnvoll sein kann, liebe Kollegen von der Koalition, über einen Abbau von Sonderregelungen, also über eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nachzudenken, die den finanziellen Spielraum für eine Änderung oder Neukonstruktion der Steuersätze schaffen würde. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf gehen Sie jedoch genau den entgegengesetzten Weg: Sie schaffen noch mehr Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände und verengen damit die Bemessungsgrundlage immer mehr. Das verbirgt sich in Einzelregelungen wie z. B. der Übernahme des Importwarenabschlags für die Lifo-Bewertungsmethode, Ausdehnung des § 6 b und die Schaffung einer neuen Steuerbefreiung für die Entnahme von Grundstücken aus dem Betriebsvermögen. Die vielen Einzelregelungen zeigen auch, daß die Bundesregierung an dem selbstgesteckten Ziel, das Steuerrecht zu vereinfachen, kläglich gescheitert ist. Es hat keine Phase in der deutschen Steuergesetzgebung gegeben, in der das Steuerrecht so verkompliziert wurde wie in den letzten beiden Jahren. Seit der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes, das erst in einigen Wochen in Kraft treten soll, ist das Einkommensteuergesetz durch zehn andere Gesetze geändert worden. Allein durch das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz wird das Einkommensteuergesetz um sieben neue Paragraphen verlängert. Ihr in der Öffentlichkeit propagiertes Ziel, lieber niedrige Steuersätze und wenige Ausnahmen statt hoher Steuersätze und vieler Ausnahmen, haben Sie inzwischen selber aufgegeben. Sie verfahren jetzt nach dem Motto: lieber niedrige Steuersätze und viele Ausnahmen statt eines einfachen und gerechten Steuersystems. Das ist Ihre Steuerpolitik, und damit können wir uns überhaupt nicht einverstanden erklären. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Glos, wenn ich Ihnen die Frage beantworten darf, die Ihnen der Kollege Poß nicht beantwortet hat: Sie machen nichts falsch. ({0}) Es wird ihnen nämlich nichts gegeben. Dahinter steht schlicht und ergreifend die Philosophie, daß alles, was die Bürger verdienen, dem Staat gehört und daß das Nettoeinkommen dasjenige ist, das dem Bürger vom Staat gegeben wird. Folgerichtig wird ihnen mehr gegeben, wenn weniger Steuern abgezogen werden. Das ist die Philosophie, das ist die Erklärung. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei ganz unterschiedliche Absichten werden hier in einem Gesetz zusammengeführt, in dem so viele Einzelvorschriften enthalten sind. Es ist übrigens das zweitumfangreichste Steuergesetz dieser Legislaturperiode. Wir werden kaum Gelegenheit haben, in einer sehr unzulänglichen Debattenzeit die vielen günstigen Regelungen für Bürger und Unternehmen im einzelnen darzustellen. Deswegen wird es sicherlich notwendig sein, daß die Bundesregierung hier sehr schnell und sehr gute Aufklärungsarbeit leistet. Was die Ergänzungs- und Abschlußarbeiten zur Steuerreform 1990 betrifft, ist hier schon einiges gesagt worden; ich will diese Nachhutgefechte nicht verlängern. Nur zwei Anmerkungen - der Kollege Glos hat schon darauf hingewiesen - : Wir haben vor der Aufgabe kapitulieren müssen, die wir uns mit einem Entschließungsantrag selber gestellt hatten, nämlich die verdeckte Gewinnausschüttung durch Gesellschafterfremdfinanzierung gesetzgeberisch zu lösen. Wir sind übrigens bei dieser Kapitulation nicht allein; das ergeht auch anderen Steuergesetzgebern so, u. a. dem in den Vereinigten Staaten. Es geht darum, zwischen mißbräuchlicher Finanzierungsgestaltung und vernünftiger Fremdfinanzierung abzugrenzen. Hier das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten ist gesetzestechnisch ungeheuer schwierig. Aber damit sich niemand aufgefordert fühlt, hier nun neue Steuerumgehung zu praktizieren oder bisher praktizierte zu erweitern, will ich in aller Klarheit sagen, daß wir die Bundesregierung mit allem Nachdruck aufgefordert haben, dafür zu sorgen, daß die Finanzverwaltung vermehrt Mißbrauchsfälle aufgreift, um sie einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zuzuführen. ({2}) Das zweite, was ich aus diesem Bereich noch sagen will, ist das von Ihnen angesprochene Realsplitting. Das bedeutet, wir haben den Höchstabzugsbetrag - Sie haben es gesagt - auf 27 000 DM erhöht, und wir haben die jährliche Zustimmungserklärung in eine Dauerzustimmungserklärung bis zum Widerruf geändert. Das bedeutet für einen Kreis von geschiedenen Unterhaltspflichtigen eine deutliche materielle Verbesserung. Das bedeutet für alle geschiedenen Unterhaltsberechtigten weniger Bürokratie und weniger nachwirkenden familiären Ärger. ({3}) Vor allen Dingen haben wir in der Dauerauseinandersetzung über das Ehegattensplitting in der Tat ein Datum gesetzt, Herr Kollege Poß. Wer immer mit verteilungspolitischer Polemik in Zukunft am Ehegattensplitting drehen will, der muß über die Hürde hinweg, die wir für die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten, nachwirkend zu einer gescheiterten Partnerschaft, gesetzt haben. Diese Hürde wird von dem genommen werden müssen, der hier etwas ändern will. Neben den Nachhutgefechten zur Steuerreform, die längst geschlagen sind, machen wir heute Ernst mit weitreichenden Steuerrechtsänderungen mit wohnungsbaupolitischer Zielsetzung. Wir haben hierbei in der Tat eine Menge steuersystematischer Bedenken zurückgestellt. Es dient auch nicht der Vereinfachung, Herr Kollege Poß; Sie haben völlig recht. Deshalb handelt es sich ja auch durchweg um befristete Maßnahmen; denn wir müssen in der aktuellen Situation einfach unkonventionell reagieren. Es ist ja nach wie vor richtig, daß wir eigentlich genügend Wohnraum hätten, wenn er denn nur gerecht verteilt wäre. ({4}) Wir haben aber einen mörderischen Wettbewerb am unteren Ende der Schlange der Nachfrager. Dieser Wettbewerb wird natürlich um so mörderischer, je mehr Neubürger als Nachfrager noch hinzukommen. Wir müssen schnell handeln. Wir haben im Frühjahr gehandelt, was den allgemeinen Wohnungsbau betrifft. Wir haben jetzt gehandelt, bezogen auf bezahlbaren Wohnraum für die letzten in der Schlange. Dazu gibt es die Superabschreibung des § 7 k. Dafür gibt es die Megaabschreibung des § 7 c, alles mit Sozialbindungen für - ({5}) - Entschuldigung. Der § 7 c zunächst nicht, aber im zweiten Gang sehr wohl mit Sozialbindung, was die steuerfreie Entnahme des Grund und Bodens und der Gebäude betrifft. ({6}) Wir sind sicher, daß hiermit Instrumente angeboten worden sind, die wirken. Wir haben auch Unsicherheiten für die Investoren herausgenommen, was den Bereich der Stadtsanierung und was den Bereich des Denkmalschutzes betrifft. Wir haben hier auch Dauerrecht geschaffen, damit man sich langfristig auf diese Regelungen verlassen kann. ({7}) Das alles ist ein Bündel von Maßnahmen, von dem wir sicher sind, daß es das Wohnungsangebot schnell erhöht. Last but not least: Wir haben den Präferenzvorsprung für Berlin gewahrt. Wir haben mehr getan, als der rot-grüne Senat haben wollte. ({8}) Wir gehen davon aus, daß die Berlinerinnen und Berliner mit ihrem berühmten wachen Instinkt und mit ihrem hellen Köpfchen sehr schnell merken werden, wer ihre wahren Freunde sind. Wir lassen jedenfalls die aus parteipolitischem Revanchismus erfolgte Beschimpfung, nicht das Notwendige für Berlin zu tun, nicht auf uns sitzen. ({9}) In der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages ist durch die Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich geworden, daß wir über die Direktförderung eine ganze Menge tun wollen. Heute verabschieden wir die steuerrechtlichen Instrumente, die schnell und wirksam - davon bin ich überzeugt - greifen werden. Heute noch wird über das Maßnahmengesetz zum Baurecht, Bodenrecht und Mietrecht diskutiert. ({10}) Auch das wird schnell verabschiedet werden. Diese Regierung, meine Damen und Herren, hat die wohnungspolitische Herausforderung angenommen. Sie hat ein intelligentes Konzept entwickelt. Sie hat es schon teilweise umgesetzt und wird es schnellstens umsetzen. Und es wird wirken. Eines ist natürlich sicher: Wohnungen bauen, selbst aus dem Bestand, dauert seine Zeit. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kolleginnen und Kollegen! GRÜNE haben nur sieben Minuten Redezeit. GRÜNE müssen sich auf das Wesentliche beschränken. ({0}) Deswegen spreche ich zu dem Gesetzentwurf der Regierung zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus. Zum wiederholten Male versucht die Bundesregierung, den Wohnungsbau dadurch anzukurbeln, daß sie Steuergeschenke verteilt. Sie will private Investoren dazu animieren, Wohnungen zu bauen. Private Investoren sind aber keine geeigneten Träger für einen sozialen und ökologischen Wohnungsbau. ({1}) Vielmehr haben sie Interesse daran, ihre Wohnungen teuer zu vermieten. Das kann man ihnen in dem System, in dem wir leben, überhaupt nicht verübeln. ({2}) Es gibt aber auch überhaupt keinen Grund dafür, das staatlich zu fördern; denn was nicht sozial ist, ist auch nicht ökologisch. Zum Teil werden die steuerlichen Förderungen, die Sie vorschlagen, nur nichts nützen - sie sind deswegen relativ harmlos -, zu einem anderen Teil sind sie jedoch ausgesprochen schädlich und dazu geeignet, die bestehende Wohnungsnot auch noch zu verschärfen. Ich will auf Ihre Vorschläge im einzelnen eingehen. Die erhöhte Absetzung für Baumaßnahmen an Gebäuden zur Schaffung neuer Mietwohnungen, § 7 c, ist absolut kein taugliches Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Die so hergestellten Wohnungen werden entweder gar nicht vermietet - denn einen Vermietungsnachweis gibt es in diesem Gesetz nicht; es können also auch Zweitwohnungen oder Ferienwohnungen davon gebaut werden - oder sie werden teuer vermietet; denn es gibt keine Mietobergrenzen, und die Wohnungen sind nicht für die Berechtigten des sozialen Wohnungsbaus reserviert. Wenn man sich jetzt auch noch Ihre Änderungen der mietrechtlichen Vorschriften ansieht, die Sie heute so ganz nebenbei auch noch unter der Hand einbringen wollen, dann wird klar: Wenn die so entstandenen Wohnungen überhaupt vermietet werden, genießen die Personen, die sie dann mieten, keinen Kündigungsschutz mehr und können jederzeit aus diesen Wohnungen wieder rausgeschmissen werden. Zusammengenommen sehen beide Gesetzentwürfe im Klartext so aus: Besitzer von Zweifamilienhäusern, die in ihrem Haus eine zusätzliche Wohnung einbauen, bekommen vom Staat ohne jede Gegenleistung bis zu 30 000 DM geschenkt. Den Mietern und Mieterinnen dieser Wohnungen schenkt der Staat den gelockerten Kündigungsschutz, die absolute Unsicherheit und Ungewißheit darüber, wie lange sie in diesen hoch subventionierten Wohnungen bleiben können. ({3}) Bei Ihrer nächsten Maßnahme, der erhöhten Absetzung bei Gebäuden in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsgebieten - § 7 h - , handelt es sich um die Festschreibung der Förderung von Luxusmodernisierungen, die schon in der Vergangenheit zur Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen aus den ihnen angestammten Gebieten geführt haben. Diese steuerliche Förderung, die mit der Steuerreform 1990 eigentlich zu Recht abgeschafft werden sollte, ist eine der Ursachen für die heutige Wohnungsnot. Sie festzuschreiben heißt die Zerstörung von preiswertem Wohnraum weiterhin zu subventionieren. Für diejenigen, die es nicht wissen: Es handelt sich um die Förderung von Modernisierungsmaßnahmen ohne jede Kostenobergrenze - deswegen spreche ich hier von Luxusmodernisierungen - und um Wohnungen, die keinerlei sozialen Bindungen unterliegen. Als neuer Vorschlag kommt die Steuerabschreibung für Wohnungen mit zehnjähriger Sozialbindung, § 7 k. Die Abschreibungsbedingungen sind extrem günstig, die Bindungsdauer dafür extrem kurz. Innerhalb der ersten zehn Jahre können 85 To der Baukosten steuerlich abgeschrieben werden. Bei einer angenommenen Bausumme von 200 000 DM und einem Steuersatz von 50 % bedeutet das eine Steuerersparnis, d. h. ein Steuergeschenk von 85 000 DM. Zum Vergleich: Der Subventionswert einer normalen sozialen Mietwohnung, die 30 Jahre lang gebunden ist, beträgt 100 000 DM. Jetzt werden 85 000 DM für eine Bindungsdauer von nur zehn Jahren verschenkt. ({4}) Ärgerlich an der ganzen Geschichte ist die Tatsache, daß der gesamte Maßnahmenkatalog für die Nicht-Fachfrau und für den Laien relativ unübersichtlich ist, was viele Leute glauben läßt, die Regierung täte wirklich etwas gegen die Wohnungsnot. Diesen Leuten muß gesagt werden: Die Regierung tut nicht nur zu wenig, sie tut auch noch das Falsche. Wolfgang Neuss hat einmal gesagt: „Es genügt nicht, keine Ideen zu haben, man muß auch unfähig sein, sie auszuführen. " Ich sage Ihnen: Es genügt der Regierung offensichtlich nicht, die Wohnungsnot nicht zu bekämpfen, sie muß auch noch viel Geld dafür aus dem Fenster rausschmeißen. ({5}) Das wohnungspolitische Konzept der GRÜNEN sieht anders aus. Es baut auf konsequente Bestanderhaltung und auf Neubau ausschließlich nach sozialen und ökologischen Kriterien. Wenn Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen, machen Sie bestimmt keinen Fehler. Wir können Ihrem Entwurf und dem Entschließungsantrag der SPD leider nicht zustimmen. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind es ja gewohnt, ein wöchentliches Wechselbad zu genießen zwischen unserer Arbeit in Bonn und dem Wahlkreis. In der letzten Woche habe ich nach Abschluß der Beratungen im Finanzausschuß dafür wieder ein besonderes Beispiel erlebt. In Bonn haben wir nach, wie ich meine, fachlich hervorragender Debatte im Ausschuß das Wohnungsbauförderungsgesetz verabschiedet. Dabei haben wir gemeinsam gedacht, daß hier eigentlich ein ganz großartiges Gesamtpaket verabschiedet wird. ({0}) Erstens erleichtern und beschleunigen wir die Durchführung des Planungs- und Baurechts. Zweitens halten wir mit 66 Millionen DM die Förderung für den Städtebau auf hohem Niveau. Drittens stocken wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 2 Milliarden DM auf. Viertens schaffen wir massive steuerliche Anreize, damit privates Kapital schnell in den Wohnungsbau fließt. ({1}) Hier wird also von der Bundesregierung nicht geklekkert, sondern geklotzt. Es wird rundum schnell und entschlossen gehandelt. Die Wohnungsbauministerin Gerda Hasselfeldt ({2}) und der Finanzminister werden einer außergewöhnlichen Situation durch außergewöhnliche Maßnahmen gerecht. Und dann kommt man in den Wahlkreis. Da sieht man dann im Münchener Wahlkreis, in dem ich meine politische Arbeit verrichte, wieder die üblichen Beschwerden auf dem Tisch. Da liegen Beschwerdebriefe von Bürgern, daß ihre ordentlichen Baugesuche von der Münchener Stadtverwaltung nicht in den angemessenen drei Monaten bearbeitet werden, sondern einfach bis zu zwei Jahren liegenbleiben und verschlampt werden. Oder: Da liegen fertige Wohnungsbaupläne von Baufirmen vor, die nur deshalb nicht realisiert werden können, weil der Münchener Oberbürgermeister eine Baugenehmigung aus unerfindlichen Gründen nicht will. Der will viele Baugenehmigungen nicht. Aber er kommt zu einer Anhörung nach Bonn und sagt, die Bonner seien es. ({3}) Nein, daran sieht man wieder einmal, wie die Realitäten in unserem Lande. sind. ({4}) Diese Bundesregierung tut in hervorragender Weise ihre Pflicht. Aber unten an der kommunalpolitischen Basis wird aus ideologischen Gründen oder aus schlichter Unfähigkeit und Verschlafenheit dafür gesorgt, daß dieses Angebot nicht angenommen werden kann. Wir können in Bonn tun und beschließen, was wir wollen. Wenn z. B. ein Oberbürgermeister Kronawitter in München in seiner erschütternden Handlungs- und Gestaltungsunfähigkeit nichts bewegt, dann sind unsere Bemühungen in Bonn völlig für die Katz'. ({5}) Warum ergänzen wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau durch steuerliche Anreize? Wir haben zwei Gründe. Zum einen wollen wir zusätzlich zu den öffentlichen Mitteln vor allem privates Kapital mobilisieren. Wir haben einen wachsenden Stock von Geldvermögen in diesem Lande. Wir können einen wesentlichen Teil dieses Geldvermögens nur durch steuerliche Anreize zum Wohnungsbau hinlenken, da der Wohnungsbau in der Konkurrenz mit anderen Anlagemöglichkeiten ansonsten nicht rentabel genug ist. Wir wollen weiter - das ist vielleicht noch wichtiger -, daß besonders angesichts der Über- und Aussiedler schnell gebaut wird. Durch steuerliche Maßnahmen können wir Baumaßnahmen viel schneller vorantreiben als etwa durch komplizierte, bürokratisch überlastete Wege der öffentlichen Mittelvergabe. Die steuerliche Förderung ist insofern eine ideale Ergänzung der 2 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau. Sie ist ein richtiges Instrument. ({6}) Das vorliegende Wohnungsbauförderungsgesetz sieht insgesamt zehn - ich wiederhole: zehn - Einzelmaßnahmen zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus vor. Da sind die Berliner Sondermaßnahmen noch gar nicht mitgezählt. ({7}) Ich will nur die drei wesentlichen Maßnahmen herausgreifen. Das ist zum einen § 6 des Einkommensteuergesetzes, in dem wir die steuerfreie Entnahme von Gebäuden aus Betriebsvermögen schaffen, wenn anstelle dieser Gebäude Wohnungen gebaut werden und diese zehn Jahre lang zu einer sozialverträglichen Miete an Personen mit einem Wohnberechtigungsschein vermietet werden. Was heißt das praktisch? Wir kennen alle in kleinen und großen Gemeinden alte Fabrikgebäude, die vor sich hin schimmeln, unrentabel sind. Oder stellen Sie sich ein altes Gebäude neben einem Bauernhof vor. Bei einem Verkauf dieser alten Gebäude müßten die stillen Reserven normalerweise realisiert und versteuert werden. Nun bieten wir - zeitlich befristet bis Ende 1992 - die steuerfreie Entnahme ins Privatvermögen als Anreiz, wenn dafür Wohnungen mit Sozialbindung gebaut werden. Natürlich ist dies - der Vorsitzende des Finanzausschusses hat das schon gesagt - ein steuersystematisch ungewöhnlicher Weg. Natürlich ist das auch ein massiver Anreiz. Aber ich sage Ihnen: Das wird draußen auf dem Land ebenso wie in den Städten wirken. Dadurch werden schnell Wohnungen gebaut werden. Ich freue mich, daß auch Kollegen der SPD - insbesondere im Bauausschuß, wie mir berichtet wurde - genau dies fachlich so gesehen haben. Zweitens. Wir haben verstärkte Abschreibungsmöglichkeiten für Wohnungsbauten geschaffen, für die nach dem 28. Februar 1989 ein Bauantrag gestellt wurde und die bis zum 31. Dezember 1992 fertiggestellt werden. Derartige Wohnungen, die bei der Vermietung wiederum einer stringenten Sozialbindung unterliegen, ({8}) können in nur zehn Jahren bis zu 85 % - 85 % ! - abgeschrieben werden. Im Bericht des Finanzausschusses steht ein interessanter Satz. Da steht drin, daß die SPD meint, daß diese Abschreibung von 85 % zu gering ist. ({9}) Aber der eigentlich verwirrende Punkt ist dabei ja dies: Sie polemisieren immer dagegen, daß man Abschreibungen überhaupt möglich macht, weil das so unsozial sei, weil das eine soziale Schräglage verursache. Und dann sind Abschreibungen zur Baumobilisierung plötzlich zu gering. Ja, meine Damen und Herren von der SPD, was gilt nun? ({10}) Wollen Sie Abschreibungen oder wollen Sie sie nicht? Die dritte Maßnahme scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein: die erhöhte Absetzung nach § 7 c des Einkommensteuergesetzes. Mit diesem Paragraphen ermöglichen wir es, innerhalb von fünf Jahren Bauinvestitionen an vorhandenen Gebäuden bis zu 60 000 DM abzusetzen. Das sind also jährlich bis zu 20 % Abschreibung ({11}) - das ist die Megaabschreibung - , wenn dabei in bestehenden Gebäuden zusätzliche Mietwohnungen gebaut werden. Wir fördern also z. B. Dachgeschoßausbau nicht nur durch die Lockerung im Baurecht, nur durch die Flexibilisierung im Mietrecht, sondern wir schieben das auch noch mit dem Steuerrecht an. Das wird sehr schnell sehr viele neue Wohnungen bringen, es sei denn, irgendein intransigenter Bürgermeister oder Oberbürgermeister verhindert das durch wohnungspolitischen Bummelstreik. Meine Damen und Herren, wir haben ein steuerpolitisches Paket vorgelegt, dessen Kosten wir bis 1993 etwa auf 2,1 Milliarden DM veranschlagen. Wir haben steuersystematische Bedenken zurückgestellt, damit wir schnell und wirksam Wohnungen bekommen. Ich fordere Sie, liebe Kollegen von der SPD, auf: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten und stimmen Sie diesem Gesetz zu. Diejenigen, die draußen im Land jetzt Wohnungen suchen, und diejenigen, die in den nächsten Jahren dringend Wohnungen brauchen, werden es Ihnen dann danken. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Reschke.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich zuerst mit dem Intelligenzquotienten - dem IQ, wie Herr Gattermann sagte - der Regierung beschäftigen. Im Gesetzentwurf führen Sie ja selbst aus, daß die Wohnungsnachfrage kräftig gestiegen ist. Als Grund führen Sie in vielen Bereichen die Übersiedler an. Dabei haben Sie allerdings vergessen aufzuführen, daß die Talfahrt im Wohnungsbau in der Bundesrepublik in den letzten sechs Jahren von dieser Regierung planmäßig herbeigeführt worden ist. Ich füge hinzu: Die Wohnungsnot ist sicherlich auch mit großer Intelligenz herbeigeführt worden. ({0}) Der Intelligenzquotient - sprich: die Wohnungspolitik - der Regierung Kohl verfolgte von Anfang an zwei Grundlinien: erstens Abbau des öffentlichen Engagements im Wohnungsbau und Einsparung der Mittel zur Haushaltssanierung - das war Ihre Zielrichtung - , zweitens Umverteilung der Förderung von unten nach oben, d. h. weg von der Hilfe für Einkommensschwache hin zu den Einkommensstarken. ({1}) - Ich sage Ihnen da gleich etwas aus der Anhörung. Fragen Sie mal Ihren Kollegen Möller. Die Schleifspuren sind ja deutlich sichtbar: Streichung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau, Ausstieg des Bundes aus der Förderung des Mietwohnungsbaus, Einstellung der direkten Mietförderung und der Modernisierungsförderung, Kürzung beim Bausparen und Anhebung der Grundsteuerbefreiung. Schon 1983 fingen Sie im Grunde damit an, als Sie die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und für Eigenheimbauten gestrichen haben. Die Aufhebung der Wohungsgemeinnützigkeit ab 1. Januar 1990 wird ein Weiteres tun. Uns wird dann in vielen Bereichen noch Hören und Sehen vergehen. Mietpreisexplosionen sind die Folge Ihrer Politik. Preiswerter Wohnraum steht schon nicht mehr für Durchschnittseinkommen zur Verfügung. Früher sprachen wir immer von unteren und mittleren Einkommensgruppen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann? - Herr Gattermann, bitte.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und auch den mangelnden Neubau an Mietwohnungen in den letzten Jahren beklagt haben: Können Sie mir sagen, in welchem Umfang die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in den letzten Jahren Mietwohnungen gebaut hat?

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde Ihnen gleich sagen, welche Bedeutung der Bestand in der Wohnraumversorgung hat, Herr Kollege Gattermann. Dann beantworte ich Ihnen auch Ihre Frage. Der von der Koalition eingebrachte Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und denkmalgeschützter Gebäude ist völlig unzureichend und wird den sich weiter verschärfenden Problemen am Wohnungsmarkt nicht gerecht werden. Die neue Wohnungsnot ist im Kern im Grunde genommen die alte, nämlich das Problem der unteren Einkommensgruppen. Jetzt sind, wie ich eben schon ausführte, zunehmend Durchschnittseinkommen betroffen. Mittlerweile - so rechnen Experten - ist ein gutes Drittel der Bevölkerung von akuter Wohnungsnot am Markt bedroht und kann sich mit seinen Wohnungswünschen nicht mehr durchsetzen. ({0}) - Mittlerweile schon ein gutes Drittel mittlerer Einkommen. Sie wissen ja gar nicht, was in den Städten los ist, Kollege Hitschler. Hinzu kommt, daß die Obdachlosenzahl rasch steigt. Im Durchschnitt wird 1 % der Gebäude einer Stadt pro Jahr umgebaut oder erweitert, und das auch ohne ein Steuerförderungsmodell, wie es die Regierung bzw. die Koalition jetzt vorschlägt. Im Klartext, Herr Kollege Gattermann, heißt das - und jetzt komme ich zu Ihrer Frage - : Wohnungspolitik ist im wesentlichen Bestandspolitik. Dafür tun Sie nichts. Im Gegenteil: Sie halten noch nicht einmal den sozialen Bestand. Es ist also notwendig, sowohl das Angebot an preiswertem Wohnraum im Bestand zu sichern als auch gleichzeitig durch Neubau auszuweiten. Genau das Gegenteil tut mittlerweile diese Regierung. Statt sich der vom Wohnungsmarkt besonders Betroffenen durch eine sozial ausgerichtete Wohnungspolitik anzunehmen mit dem Ziel, kurzfristig zusätzlichen und bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen, bietet die Koalition ein Steuersparmodell für Investoren an und meint, damit Wohnungen bauen zu können. Die Regierung nimmt damit endgültig Abschied vom sozialen Wohnungsbau. Soziale Bindung geht nur über vorgezogene Abschreibung, für wenige Jahre erkauft. Die Selbstvernichtung für die heute zu beschließenden Sozialwohnungen ist gleich in Ihrem Gesetzentwurf mit eingebaut: nach spätestens zehn Jahren, in anderen Fällen früher. Mieterhöhungssprünge sind damit auch vorprogrammiert. Mit ihren Auswirkungen auf die Mietwertspiegel werden sie allgemeine, erhöhende Wirkung haben. Was Sie heute beschließen und an öffentlichen Mitteln für den sozialen Wohnungsbau nicht zur Verfügung stellen, bedeutet nichts anderes als die planmäßige Ausräumung der Staatskasse über das Wohngeld. In der Eigentumsförderung wird wieder mit zweierlei Maß gemessen. Die einen - das sind die meisten Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen, die preiswert bauen müssen - können schon jetzt die Höchstbeträge bei der Eigentumsförderung gar nicht ausschöpfen. Die erhalten wieder nichts. Für die Großverdiener wird in Zukunft eine neue Eigentumsförderung kreiert, nämlich das Wohneigentum in denkmalgeschützten Gebäuden, umgebaut und gefördert nach Kriterien, die in naher Zukunft alles in den Schatten stellen und erblassen lassen. Da wird auf der einen Seite eine Eigentumswohnung mühsam mit hoher Verschuldung erspart, über neun Jahre mit einer Barförderung vom Staat zwischen 30 000 und 40 000 DM bedacht, nach § 10 e EStG abgeschrieben. Auf der anderen Seite bekommen diejenigen, die in Zukunft Schloß oder Mühle zu selbst genutztem Wohneigentum umbauen, Millionenbeträge, die dann steuerlich in vielen Bereichen geltend gemacht werden können. Die von der Koalition vorgeschlagenen steuerlichen Lösungen haben nun einmal den großen Nachteil, daß sie in starkem Maße anfällig sind durch Mitnahmeeffekte und Umgehungsmaßnahmen, daß sie erst mit zeitlicher Verzögerung wirken und daß sie verteilungspolitisch negative Wirkung haben, und daß sie die Gründung sogenannter Bauherrengemeinschaften nach sich ziehen werden. Ich sagen Ihnen jetzt schon voraus: Es entstehen Modellgemeinschaften zur Förderung und Pflege von denkmalgeschützten Gebäuden, natürlich in selbst genutzter Form, als Zweit- oder Drittwohnung, steuerlich voll abgeschrieben, in vielen Bereichen ohne Mehrwertsteuerabzug, wie sich natürlich versteht. Daß die Befristung der steuerlichen Regelung zu einer konjunkturellen Verstetigung in der Bauwirtschaft nicht beiträgt, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, Kollege Faltlhauser. Baupreissteigerungen und höhere Mieten sowie ein höheres Zinsniveau sind für die kommenden Jahre angesagt. Und das alles zahlt ja nicht der Investor, sondern entweder der Staat durch Steuerverzichte, der Mieter oder der Bund und die Länder über das Wohngeld. Die Steuerverwaltung wird durch die neuen Vorschriften stark belastet. Der hohe Verwaltungsaufwand ist erforderlich, weil Sachverhalte ermittelt werden müssen und Angaben der Überprüfung bedürfen. Außerdem ist es ein Skandal, daß viele Bürger das, was Sie an Förderung anbieten, mittlerweile gar nicht mehr überschauen können. Hinzu kommt, daß in einigen Bereichen sogar die Verfassungsfrage zu stellen ist. Nicht wir, sondern Sie eröffnen ja die Überschußrechnung ab 1998, sofern die Maßnahmen im Bereich der denkmalgeschützten Gebäude oder Gebäudeteile das Betriebsvermögen betreffen. ({1}) - Das hat insofern etwas mit der Verfassung zu tun, als mittlerweile selbst genutztes Eigentum ungleich behandelt wird. Es muß doch dieser Regierung eine Mahnung sein, daß die Eigentumsquote bei hohen Einkommen in den letzten Jahren gestiegen und bei durchschnittlichen Einkommen drastisch gesunken ist. Wir sagen Ihnen schon jetzt voraus - das hat die SPD veranlaßt, einem solchen Vorhaben nicht zuzustimmen - , daß der tatsächliche Wohnungseffekt dieses Gesetzentwurfes gleich Null sein wird. Herr Faltlhauser, jetzt komme ich zu Ihnen. Die freie Wohnungswirtschaft und die Investorengruppen, die anwesend waren, haben uns gestern in einer Anhörung bestätigt - das kann Ihnen auch der Kollege Möller sagen - , daß die bloße Verminderung der Steuerschuld bei 10 % Abschreibung Sie nicht veranlassen werde, soziale Bindungen einzugehen; ihnen genüge die siebenprozentige Abschreibung. Sie wollen keine zehnprozentige Abschreibung. Insofern ist Ihre Behauptung, die von uns geäußerte Befürchtung werde dazu führen, daß wir keine Sozialwohnungen mehr haben würden, unsinnig. Die Verlängerung der steuerlichen Förderung von Baudenkmälern und von Gebäuden in Sanierungsgebieten nach der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist aus Gründen des Städtebaus und des Denkmalschutzes sicherlich geboten. Diese Verlängerung steht jedoch in keinem direkten Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel des Gesetzentwurf es, nämlich der Schaffung von neuen und preiswerten Wohnungen, da die Regelung erst 1991 ausläuft. Wir würden lieber den Bericht der Bundesregierung in dieser Frage abwarten, der seit 1986 aussteht, und dann entscheiden, wie der Fördermodus sein sollte. Die geplante Neuregelung der steuerlichen Förderung kommt vor allem besser Verdienenden zugute, da die Anschaffungskosten mit in den Förderbereich aufgenommen wurden und zur unbegrenzten Absetzung der Kosten führen kann. Es ist deshalb gerade in diesem Bereich nicht sinnvoll, durch zusätzliche Regelungen spekulative Investitionen in Baudenkmäler anzureizen. Das führt nicht zum Schutz, sondern zur Verwertung von Baudenkmälern. Dagegen sollten wir uns in vielen Bereichen wehren. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU und der FDP macht erneut deutlich, wie krampfhaft die Bundesregierung immer noch versucht, den Neubau langfristig gebundener Sozialwohnungen zu unterlaufen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb einen Entschließungsantrag vorgelegt, der aufzeigt, welche Wege zu gehen sind, um im kommenden Jahrzehnt den Wohnungsmarkt zu entspannen. Was Sie tun, ist eine vorprogrammierte Vertreibung von Sozialmietern und sozialer Wohnungsbau mit eingebauter Selbstvernichtung. Unsere Städte und Gemeinden benötigen Wohnungen, über die sie verfügen können und die für Mieter erschwinglich sind. Die Zusage des Bundeskanzlers vor wenigen Wochen, die Wohnungspolitik zur Chefsache zu machen, hat sich als wertlos erwiesen. Das von Ihnen vorgelegte Wohnungsbauprogramm ist enttäuschend und bleibt nach Qualität und Quantität weit hinter den Forderungen aller Experten zurück. Es weckt unerfüllbare Erwartungen, täuscht die Öffentlichkeit und schafft kaum neuen Wohnraum für die, die versorgt werden müssen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf verknüpft den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Wohnungsbauförderungsgesetzes mit dem noch ausstehenden Teil des Steuerreformgesetzes. Der Kollege Gattermann hat bereits darauf hingewiesen. Dieser Gesetzentwurf soll noch in diesem Monat vom Bundesrat beraten werden, damit die einzelnen Rege14070 Lungen zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten können. Der wohnungspolitische Teil des Gesetzes enthält ein Bündel einzelner Maßnahmen, das geeignet ist, neben dem deutlich verbesserten Instrumentarium des sozialen Wohnungsbaus einen wirksamen Beitrag zur Milderung des in diesem Umfang nicht vorhersehbaren akuten Wohnungsmangels zu leisten. Die Koalititonsfraktionen haben sich für steuerliche Anreize entschieden ({0}) - ganz zu Recht, Herr Kollege Faltlhauser - , weil es jetzt in erster Linie darauf ankommt, zusätzlich schnell wirkende Maßnahmen anzubieten. Erhöhte Absetzungen von 5 x 20 v. H. für Baumaßnahmen, durch die zusätzliche Mietwohnungen in bereits bestehenden Gebäuden geschaffen werden, sollen Anreiz insbesondere für den Ausbau bisher nicht zu Wohnzwecken genutzter Dachgeschosse bieten. Die begünstigten Aufwendungen sind auf 60 000 DM je Wohnung begrenzt. Es wird zudem durch einen weiteren Schritt des Gesetzgebers angestrebt, Hindernisse zu beseitigen, die aus bauordnungsrechtlichen Gründen einer nachhaltigen Entfaltung der Bautätigkeit entgegenstehen. Auch das hat Herr Kollege Gattermann bereits soeben erwähnt. Für die Neuerrichtung von Mietwohnungen, die einer zehnjährigen Belegungs- und Mietpreisbindung unterliegen sollen, werden erhöhte Absetzungen von 5 x 10 v. H. und 5 x 7 v. H. in den ersten Jahren nach Bezugsfertigkeit ermöglicht. Dieser Vorschlag wird um die Möglichkeit ergänzt, steuerneutral Grundstücke mit Gebäuden, die erst durch Umbau Wohnzwecken dienen können, aus dem Betriebsvermögen zu entnehmen. Aus Gründen der Gleichbehandlung sind in diese Neuregelung nicht nur Grundstücke des landwirtschaftlichen Betriebsvermögens, sondern auch Grundstücke des gewerblichen und des freiberuflichen Betriebsvermögens einbezogen worden. Die Regelung stellt auf Grundstücke des Betriebsvermögens mit aufstehenden Gebäuden ab. Dem Vorschlag einer umfassenden Begünstigung aller unbebauten Flächen ist der Finanzausschuß nicht gefolgt. Die Abschreibungsvergünstigungen sind zeitlich befristet. Sie kommen nur für Wohnungen in Betracht, die bis zum Ende des Jahres 1992 fertiggestellt werden. Die eingeführte Belegungs- und Mietpreisbindung ist ein Novum unseres Steuerrechts. Wir haben zusammen mit den Ländern Lösungen gesucht, die die Bewertungen der wohnungspolitischen Voraussetzungen den örtlichen Wohnungsämtern überlassen. Sie erteilen nach Prüfung dem Steuerpflichtigen entsprechende Bestätigungen, die ohne zusätzliche Prüfung dem Besteuerungsverfahren zugrunde gelegt werden. Die verstärkten steuerlichen Anreize zur Schaffung von Wohnraum können auch in Berlin wirksam werden. Der in Berlin ohnehin zu knappe Wohnungsbestand reicht nicht aus, um alle Übersiedler aufnehmen zu können, die in Berlin bleiben wollen. Mit den im Berlinförderungsgesetz getroffenen Neuregelungen kann auch dort verstärkt Kapital zu attraktiven steuerlichen Bedingungen in den Wohnungsbau fließen. Die Regelungen von Steuervergünstigungen für Baudenkmale und Gebäude in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsbereichen verstetigen die einkommensteuerliche Förderung der Sanierung von Altbausubstanz, die unter städtebaulichen, wohnungs- und kulturpolitischen Aspekten für die Entwicklung eines menschenwürdigen Umfelds unverzichtbar ist. Das Steuerreformgesetz 1990 ist im Juli 1988 nicht in allen Teilen abgeschlossen worden. Die dritte Stufe der Steuerreform, an der wir trotz aller Gegenvorschläge der Opposition auch unter den heutigen Verhältnissen festhalten, verwirklicht den arbeitnehmerund mittelstandsfreundlichen linear-progressiven Einkommensteuertarif. Ab 1. Januar 1990 werden die Entlastungen erstmals „amtlich" auf den jeweiligen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen ausgewiesen. Der positive Einfluß dieses Reformschrittes auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist inzwischen unbestritten. Das sollten auch Sie, Herr Kollege Poß, zur Kenntnis nehmen. ({1}) Denn fast täglich berichten die Medien über vorhandene Kaufkraftzuwächse gegenüber dem Vorjahr. Die Erwartungen, daß das siebenjährige Wachstum der Volkswirtschaft auch 1990 anhält, werden immer gefestigter. ({2}) Die dritte Stufe der Steuerreform mit einem Bruttoentlastungsvolumen von 38 Milliarden DM war aus der Sicht der öffentlichen Haushalte damals nur durch eine Gegenfinanzierung zu verwirklichen. Die nähere Ausgestaltung einzelner Maßnahmen, mit denen Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen zurückgeführt werden sollten, hat nachträglich gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich werden lassen. Wir haben deshalb einige Verbesserungen im Arbeitnehmerbereich neu in den Katalog der offen gebliebenen Fragen aufgenommen. Der Begriff der Nachtarbeit ist nunmehr günstiger als bisher bestimmt worden. Auch das hat Herr Kollege Glos bereits ausgeführt. Außerdem kann der Arbeitgeber Fahrkostenzuschüsse, die er an den Arbeitnehmer für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte leistet, pauschal mit 15 v. H. versteuern. Diese Möglichkeit der pauschalen Versteuerung besteht auch für Beiträge zu Gruppenunfallversicherungen für Arbeitnehmer bis zu 120 DM jährlich. Die positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate hat dazu beigetragen, diese Lösungen zu ermöglichen. Eine im ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Regelung zur Begrenzung der Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften durch ihre Gesellschafter ist nicht Gesetz geworden. Die vom Finanzausschuß durchgeführte Anhörung hat Zweifel daran aufkommen lassen, daß die vorgeschlagenen Lösungsansätze das erstrebte Ziel erreichen lassen. Die Landesfinanzbehörden sollten daher in den nächsten Jahren die bestehenden Verwaltungsanweisungen ausschöpfen, um Fälle der Fremdfinanzierung, besonders bei mißbräuchlichen Gestaltungen, aufzugreifen, wie der Herr Kollege Gattermann das eben nochmals gefordert hat. Ich gehe davon aus, daß die dabei zu gewinnenden Erfahrungen bessere Lösungsvorschläge in der nächsten Legislaturperiode ermöglichen. Für heute, meine Damen und Herren, bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. D anke schön. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung über den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und zur Ergänzung des Steuerreformgesetzes 1990 in der Ausschußfassung. Das sind die Drucksachen 11/2157, 11/2226, 11/5680 und 11/5970. Die Fraktion der SPD hat hierzu getrennte Abstimmung verlangt. Das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht unnötig verlängern. Aber da Einzelabstimmung beantragt worden ist und, wie auch Herr Gattermann schon gesagt hat, eine Unzahl von Artikeln unterschiedlicher Inhalte zur Abstimmung steht, muß ich zu zwei Sachen noch kurz etwas sagen. Wir werden den Nrn. 1 und 2 des Art. 1 natürlich zustimmen, weil hier Regelungen getroffen werden, die die Vorschläge der Opposition aus der ersten Lesung enthalten, zumindest zum Teil. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß wir dem zustimmen. Art. 4, Änderung des Berlinförderungsgesetzes, können wir - ich weiß, daß das Geschrei auch nachher kommen wird; es kam schon im Ausschuß - , auch wenn der Berliner Senat dem zugestimmt hat, nicht zustimmen - wir sind nicht in einem Koalitionszwang - , weil das Berlinförderungsgesetz in dieser Fassung, wie vorhin von meiner Kollegin dargestellt, auf dem schlechten Gesetz zur Wohnungsbauförderung fußt. Von daher können wir dem Berlinförderungsgesetz nicht zustimmen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Art. 1 Nr. 1 und 2 auf. Wer stimmt für diese beiden Abschnitte? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sie sind einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 3 bis 22 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 23 und 24 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind einstimmig angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 25 bis 27 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist Art. 1 angenommen. Ich rufe die Art. 2 und 3 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Art. 4 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen. Ich rufe die Art. 5 bis 15 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Art. 16 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der GRÜNEN ist diese Vorschrift angenommen. Ich rufe Art. 17 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Die Vorschrift ist mit Mehrheit angenommen. Es ist noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit sind Einleitung und Überschrift angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. ({0}) - Nein mit der Mehrheit. ({1}) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Meine Damen und Herren, wer stimmt für den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5975? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5990? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt. Die SPD hat sich dabei enthalten. Tagesordnungspunkt 8b: Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5970 ab. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion der SPD zur Fortführung der Steuerbegünstigung für Erfinder auf Drucksache 11/3101 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vizepräsidentin Renger Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 11/4610 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) - Drucksache 11/5949 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Pinger Dr. Jens ({3}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Pfuhl, Stiegler, Dr. Hauchler, Dr. Gautier, Jung ({5}), Dr. Martiny, Dr. Ehrenberg, Meyer, Dr. Mitzscherling, Müller ({6}), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Stärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht ({7}) - Drucksachen 11/2017, 11/5630 -Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Saibold c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur 5. GWB Novelle - Drucksachen 11/4069, 11/5629 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN Demokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft - Drucksachen 11/4070, 11/5631 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Pinger e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. Gautier, Dr. Ehrenberg, Dr. Hauchler, Jung ({11}), Meyer, Müller ({12}), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Für eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung - Drucksachen 11/4378, 11/5628 - Berichterstatter: Abgeordneter Grünbeck Zu Tagesordnungspunkt 9 a liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5976 ({13}) und 11/5978 vor. Der Ältestenrat empfiehlt eine gemeinsame Beratung von zwei Stunden. Das Haus ist damit einverstanden. - Dann ist das so beschlossen. Ich bitte um einen Moment Geduld. Der Herr Vizepräsident Stücklen wird die Verhandlungen weiterführen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte über die vorgelegte fünfte Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen schließen wir eine dreijährige intensive Beratungszeit in Politik, ({0}) Wirtschaft und Wissenschaft ab und ergänzen das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, um wichtige Bestimmungen, die insbesondere der dramatischen Konzentrationsentwicklung im Handel wirksam begegnen sollen. ({1}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits am 12. November 1986 die Grundzüge dieser Novelle zur Diskussion gestellt. Wir sind froh, daß es nach einem ernsthaften und manche Schwierigkeiten überwindenden Diskussionsprozeß auch innerhalb der Koalition nun gelungen ist, einen überzeugenden Entwurf einer Novelle zur abschließenden Beratung im Bundestag vorzulegen. Was sind die Gründe, warum wir diesen Entwurf hier vorlegen? In den letzten Jahren hat sich der Konzentrationsprozeß insbesondere im Handel in einer besorgniserregenden Weise beschleunigt. Anfang der 70er Jahre hatten wir noch etwa 170 000 Lebensmittelgeschäfte in der Bundesrepublik Deutschland. Heute sind es noch etwa 60 000 Betriebe. ({2}) Aber nicht nur im Lebensmittelhandel, auch im Möbelhandel, im Drogeriebereich, im Rundfunk- und Phonobereich, in vielen sogenannten Non-Food-Sektoren hat der Konzentrationsprozeß erheblich zugenommen. Die Gefahr ist groß, wie Professor Kartte es einmal gesagt hat, daß nicht mehr nur die ganz Kleinen abgeräumt werden, sondern auch die sogenannte Mitte. Im Lebensmittelhandel geht es um die Frage, ob Unternehmen mit einem Umsatz von 600 Millionen DM bis 3 Milliarden DM mittelfristig noch eine Chance haben zu überleben. Mit Größe ist in den letzten Jahren nicht selten auch eine Art des Mißbrauchs von wirtschaftlicher Macht zum Ausdruck gekommen, die jeden überzeugten Marktwirtschaftler zum Nachdenken bringen muß. Da wird, um nur ein Beispiel zu nehmen, von einem großen Handelsunternehmen nach Abschluß aller Verhandlungen mit einem mittelständischen Hersteller über Rabatte und Preise kurzerhand eine zusätzliche Forderung von sage und schreibe 2 Millionen DM als sogenanntes Eintrittsgeld ({3}) als Bedingung für einen Abschluß überhaupt gestellt. Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: Da findet die Fusion zweier Handelsriesen statt, und unmittelbar danach lädt der neue Riese alle Lieferanten, auch die kleinen und mittleren, in ein Frankfurter Hotel ein, um ihnen Verträge zu präsentieren, wonach ein Prozent des gemeinsam getätigten Umsatzes in Zukunft sozusagen als Morgengabe zusätzlich zu allen Rabatten und Preisen abgeliefert werden soll. ({4}) Meine Damen und Herren, wir diskutieren in diesen Tagen das Thema Coop. Der Riese Coop hat gerade zu denen gehört, die bei solchen Wild-West-Methoden gegenüber kleinen und mittleren Lieferanten, die am Ende ja auch zum Nachteil des kleinen und mittleren Händlers geworden sind, eine unrühmliche federführende Rolle gespielt haben. Ich finde, es ist ganz gut, einmal darauf hinzuweisen, daß derjenige, der von Marktwirtschaft überzeugt ist, sozusagen die Verwirklichung der Marktwirtschaft nicht in dem Mißbrauch von Nachfragemacht einiger großer Riesen sieht, sondern im Erhalt eines fairen Leistungswettbewerbs, ({5}) der doch eigentlich ein Grundelement der Sozialen Marktwirtschaft ist. Ich sage das auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von GRÜNEN und SPD, auch im Hinblick auf ihre Anträge, die hier vorliegen. Wenn wir von Wettbewerbsrecht auf nationaler und europäischer Ebene reden, ({6}) reden wir von der Erhaltung des fairen Leistungswettbewerbs. Wir reden nicht von einem Schutzzaun um einzelne Unternehmen oder um den Mittelstand. Wenn wir von europäischem oder nationalem Kartellrecht reden, dann reden wir von dem Kriterium der Marktbeherrschung. Wenn das entsteht, dann muß untersagt werden. ({7}) Wir reden nicht von regionalpolitischen, sozialpolitischen oder anderen Gründen, die zu einem Verbot führen dürfen. Das unterscheidet uns, Frau Saibold, von Ihrem Antrag zur Demokratisierung der Wirtschaft, der sehr stark den Stempel trägt, neue Interventionsformen zu finden, um sich als Staat in wirtschaftliches Verhalten einzumischen. Wir wollen uns nicht durch Intervention in die Einzelentscheidung von Unternehmen einmischen, sondern wir wollen dafür sorgen, daß der Mißbrauch von Macht unterbleibt, damit nicht Konzentration durch die Verhinderung fairen Leistungswettbewerbs entsteht. ({8}) Das ist der Grundunterschied zwischen unseren Positionen. Wir haben in der fünften Kartellgesetznovelle folgende Punkte angegangen: Erstens. Durch Erweiterung der Kriterien zur Feststellung einer überragenden Marktstellung - § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB - soll die Nachfragemacht bei der Fusionskontrolle im Handel besser erfaßt werden. Ziel ist, daß die Größten im Handel miteinander nicht mehr Hochzeit halten können. Zweitens. Die Belieferungspflicht marktstarker, aber nicht marktbeherrschender Unternehmen -§ 26 Abs. 2 Satz 2 GWB - wird auf das Verhältnis zu kleinen und mittleren Unternehmen beschränkt. Insofern soll vermieden werden, daß beispielsweise Markenartikelhersteller durch Ausräumtendenzen großer Händler in eine Lage gebracht werden, in der das Markenprodukt zu Lasten des Mittelstandes, zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen kaputtgemacht werden kann. Drittens. Wir wissen ja genau, daß sich kleine und mittlere Unternehmen vor allem dadurch wehren können, daß sie sich in Einkaufskooperationen zusammenschließen, damit sie ähnliche Bedingungen beim Einkauf wie Große haben, damit sie gemeinsame Marketing- und Franchise- Systeme absprechen können. Wir sichern jetzt im neuen GWB diese Einkaufskooperationen langfristig ab und machen sie von heutigen oder künftigen gerichtlichen Auseinandersetzungen in ihrer Existenz unabhängig. Viertens. Wir führen die Zivilklage gegen unbillige Behinderungen im GWB ein, wo sie bisher nicht vorhanden war, ({9}) etwa durch eine Entschlackung der Voraussetzungen des alten Untersagungstatbestandes in § 37 a Abs. 3 und seine Umwandlung in eine neue Verbotsnorm. Wir wollen damit erreichen, daß sich Kleine und Mittlere oder ihre Verbände wehren können, beispielsweise gegen den systematischen Verkauf unter Einkaufspreis zu Lasten der Existenz derer, die sich mit fairen Mitteln im Wettbewerb zu behaupten suchen. Meine Damen und Herren, damit erreichen wir einen besseren Schutz eines fairen Leistungswettbewerbs. Ich bin froh, Ihnen sagen zu können, daß es uns in den letzten Beratungen in der Koalition nach der ersten Lesung gelungen ist, noch zwei wesentliche Verbesserungen durchzusetzen. Wir haben zum einen bei den Einkaufskooperationen gegenüber dem Regierungsentwurf klargestellt, daß der heute praktizierte Tätigkeitsbereich der Einkaufskooperationen umfassend gesichert und auf eine feste Rechtsgrundlage gestellt wird. Wir sind der Meinung, entsprechend der bisherigen Praxis des Bundeskartellamtes sollten auch zentral gesteuerte Vermarktungsaktivitäten von Einkaufskooperationen freigestellt werden, die zur Realisierung neuer Produktlinien oder innovativer Vertriebslinien führen, den Wettbewerb beleben und keine Preisbindungs- oder Preisbindungsersatzstrategien enthalten. Wir wollen auch noch einmal klarstellen, daß von dem Verbot eines generellen Bezugszwangs im neuen § 5 c GWB Ausnahmen erlaubt sein müssen, etwa ein zeitlich befristeter Bezugszwang im Rahmen der Unterstützung durch eine Kooperation für neu in den Markt eintretende Existenzgründer oder im Rahmen eines Franchising. Der wichtigste Fortschritt, den wir hier gegenüber dem Regierungsentwurf erzielt haben, ist folgender: Wir haben das ursprünglich vorgesehene Anmeldeverfahren, das möglicherweise zu einem großen Bürokratieaufwand für viele kleine Einkaufskooperationen und Genossenschaften geführt hätte, nach sorgfältiger Beratung in den Koalitionsfraktionen im endgültigen Entwurf beseitigt und haben damit den guten Argumenten gegen zuviel Bürokratie, meine ich, in der sorgfältigen Beratung Raum gegeben. Wir wollen nicht mehr Bürokratie. Wir wollen eine Absicherung der Einkaufskooperationen für die Zukunft. ({10}) Wir haben eine zweite wesentliche Verbesserung gegenüber der ersten Lesung in den Beratungen erreicht. Wir haben sichergestellt, daß durch einen zusätzlichen Abs. 5 eine Beweiserleichterung für den Kläger bei der Ausgestaltung der Vorschrift gegen unbillige Behinderungspraktiken gesichert wird. Nach unserer Auffassung wird nur so das zukünftig mögliche zivilrechtliche Verfahren zu einem wirklich scharfen Schwert für behinderte Wettbewerber oder deren Verbände; denn wir wissen ja, gerade in den hier erfaßten Fällen liegen anspruchsbegründende Umstände regelmäßig in der Wissenssphäre des behindernden Unternehmens und können vom Kläger, also dem Kleinen und Mittleren, oftmals gar nicht nachgewiesen werden. Sofern konkrete Umstände den Anschein der Verwirklichung des neuen Verbotstatbestandes in § 26 Abs. 4 ergeben, hat das behindernde Unternehmen zukünftig diesen Anschein zu widerlegen und im Rahmen der Zumutbarkeit anspruchsbegründende Umstände aufzuklären, soweit dies dem betroffenen Wettbewerber selbst nicht möglich ist. Wir wollen damit eindeutig klarstellen, daß der Gesetzgeber dem im Wettbewerb behinderten Unternehmen auch verfahrensrechtlich alle Instrumente an die Hand geben will, um dessen Position im fairen Leistungswettbewerb zu sichern. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben eine Novelle erreicht, durch die wichtigen Mißbrauchsfällen in Zukunft wirksamer entgegengetreten werden kann. Ich verspreche mir von der Einführung der Zivilklage auch, wie Herr Kartte sagt, eine Vorfeldwirkung. Das heißt, mancher Riese wird sich in Zukunft genauer überlegen müssen, ob er seine WildWest-Methoden noch aufrechterhält, weil er immer mit der Klage rechnen muß. Diese zivilrechtliche Klagemöglichkeit ist wahrscheinlich die schärfste Waffe, die wir in das GWB neu einführen und die wir in der zweiten und dritten Lesung jetzt auch mit den notwendigen Instrumenten ausgestattet haben. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einen letzten Hinweis im Zusammenhang mit den Einkaufskooperationen. Wir haben ja das Problem, daß von einigen versucht werden könnte, ihre Nachfragemacht gegenüber der Marktgegenseite, also vielfach ebenfalls mittelständischen Lieferanten, mißbräuchlich einzusetzen. Dies könnte z. B. - ich gehe auf aktuelle Fälle ein - dann der Fall sein, wenn Handelskonzerne einer Einkaufskooperation beitreten und dies bei der Zentralregulierung und dem Delkrederegeschäft - beides ist durch die jetzige Formulierung des § 5 c GWB ausdrücklich als eine der Betätigungsformen einer Einkaufskooperation legalisiert - für den Konzern, der der Einkaufskooperation beitritt, eine sachlich und wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Umsatzvergütung oder Delkredereübernahme bewirkt. Daher muß, meine ich, auch noch einmal klargestellt werden, daß durch die Mißbrauchsaufsicht gemäß § 12 GWB sicherzustellen ist, daß von der Freistellung in § 5 c GWB nicht in einer zu mißbilligenden Weise Gebrauch gemacht wird - ein praktisches Problem, auf das ich uns hinweise. Es spielt gerade in diesen Wochen und Monaten eine große Rolle. Wir haben aber neben der Novellierung, die vor allem den Handelsbereich betrifft, einen erheblichen Fortschritt, einen ordnungspolitischen Fortschritt auch in den Ausnahmebereichen des GWB vorgesehen. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die Banken und Versicherungen bisher gegenüber normalen Unternehmen haben, deutlich abgebaut werden. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die die Versorgungswirtschaft gegenüber anderen hat, deutlich reduziert werden. In Zukunft werden die Kartellprivilegien, die es im Verkehrsbereich immer noch in Fülle gibt, deutlich reduziert werden. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Mir sind - statt einer plakativen Diskussion über die Bankenmacht an sich - konkrete Gesetze wie hier, die mehr frischen Wind des Wettbewerbs in den Banken-, Versicherungs-, aber auch in den Versorgungsbereich hineinbringen, lieber. Und, Herr Kollege Jens: Ich würde mir einmal wünschen, daß die Sozialdemokraten nicht nur plakative Formeln zu dem Thema äußern, sondern daß sie einem konkreten Gesetz mit einer Minderung der Kartellprivilegien große Unterstützung zuteil werden lassen und heute zustimmen, statt dem Gesetzentwurf politisch zu widersprechen. ({11}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend, weil ja Anträge von SPD und GRÜNEN auch zum europäischen Kartellrecht vorliegen -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie erst noch eine Zwischenfrage?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön, Herr Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wissmann, weil Sie das Thema gerade angesprochen haben: Sind Sie denn bereit, unserem Entschließungsantrag, der vorsieht, die Privilegien bei den Versicherungen und im Kreditwesen wesentlich stärker zu beschränken als Ihr Vorschlag, zuzustimmen? Denn das wäre sinnvoll.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, Herr Kollege Jens, wir sind zu weitergehenden, sorgfältigen Überlegungen auch zum Banken- und Versicherungsbereich bereit. Sie wissen, wir werden - wohl noch im kommenden Jahr - Vorschläge zur besseren Transparenz gerade im Banken- und Versicherungsbereich vorlegen. Wir machen uns die Sache nur nicht so einfach wie Sie. Sie formulieren fünf Sätze auf ein Blatt, machen aber keinen Gesetzentwurf, der konkret ausgearbeitet ist. Wir dagegen legen hier einen ganz konkreten Gesetzentwurf vor, über den heute abgestimmt wird. Wenn Sie mitgehen, tritt er am 1. Januar 1990 in Kraft. Also, gehen Sie doch den Schritt mit uns mit und lassen Sie uns im nächsten Jahr über weitere Schritte reden! Aber machen Sie es sich nicht so einfach, wie Sie es jetzt tun: eine große Resolution zu machen, die ohne Wirkung ist, und sich damit dem zu verweigern, was wir hier konkret vorgeschlagen haben. ({0}) Also, machen Sie mit, seien Sie konstruktiv! Im übrigen, Herr Kollege Jens - Herr Roth ist ja heute leider nicht da - : Wolfgang Roth hatte mir noch in Podiumsdiskussionen der Jahre 1988 und 1989 gesagt, er werde Vorschlägen zu einer „Entschlackung" in den Ausnahmebereichen und zur Verbesserung der Mißbrauchsaufsicht im Bereich Handel zustimmen. Ich bedaure sehr, daß er seine ursprünglichen Zusagen für die SPD-Fraktion nicht einlöst. Überlegen Sie es sich also noch einmal. Machen Sie mit! Sie leisten damit einen Beitrag zur Verbesserung des fairen Leistungswettbewerbs. Ich komme zum letzten Punkt meiner Ausführungen. Wir alle sind gegenwärtig mit der Frage beschäftigt, wie die künftige Gestaltung des europäischen Wettbewerbsrechts aussehen soll. Der Bundeswirtschaftsminister befindet sich in abschließenden Verhandlungen zu dem Thema der europäischen Fusionskontrolle. Am 21. Dezember soll der Binnenmarktrat tagen. Deswegen, so glaube ich, muß in einer Debatte über Wettbewerbsrecht heute ein Wort dazu gesagt werden, denn es geht um die Frage: Wird dieses europäische Wettbewerbsrecht unseren Vorstellungen von Wettbewerbsorientierung entsprechen, oder wird es ein Einfallstor für Industriepolitik, Regionalpolitik und Sozialpolitik? Es geht dabei um drei Punkte, erstens um die Einführung eines präventiven Fusionskontrollverfahrens, zweitens um wettbewerbsorientierte Eingriffskriterien und drittens um den zweifelsfreien Ausschluß von Marktbeherrschung im Inland, auch bekannt unter der Bezeichnung „nationale Restkontrolle". Herr Bundeswirtschaftsminister, wir danken Ihnen für Ihr Bemühen in dieser Frage und anerkennen es. Aber Sie stehen - zusammen mit dem gesamten Kabinett - jetzt vor schwierigen Entscheidungen, beispielsweise vor der Frage, ob Sie akzeptieren wollen, daß der technische und wirtschaftliche Fortschritt auch Eingang in die Beantwortung der Frage findet, ob man eine Fusion in Europa erlauben kann oder ob man sie zu untersagen hat, und daß es andere, ziemlich vage formulierte Gründe gibt, die nicht sehr scharf wettbewerbspolitisch bestimmt sind. Unsere Bitte ist: Gehen Sie weiter auf diesem Weg einer klaren wettbewerblichen Orientierung. Lassen Sie sich nicht unter Zeitdruck Aspekte abhandeln, die unser Ordnungsbild marktwirtschaftlicher Prägung in Gefahr bringen. ({1}) Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie bei dieser klaren Linie bleiben. Wir bitten Sie: Opfern Sie nicht Vorstellungen der Marktwirtschaft auf dem Altar der Europäischen Gemeinschaft. Wir unterstützen Sie bei diesem Bemühen. Wir wissen, wie entscheidend dieses künftige europäische Kartellrecht für die Gestaltung der Wettbewerbsordnung in der gesamten Europäischen Gemeinschaft ist. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wissmann hat hier den Eindruck erweckt, als bringe diese Kartellgesetznovelle Entlastungen für die kleinen und mittleren Unternehmen. ({0}) Dies ist ein völlig falscher Eindruck, und Sie sollten keine falschen Hoffnungen wecken. Sie haben es schon einmal getan, und zwar im Zusammenhang mit der Novellierung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb. Mittlerweile merken die kleinen und mittleren Unternehmen, wie sie von Ihnen aufs Glatteis gelockt worden sind und welch falsche Versprechungen damals gemacht worden sind. ({1}) Bei diesem Gesetz wird es ähnlich sein. Wir stimmen dem vorgelegten Entwurf ja in einigen Punkten zu, aber insgesamt stimmt die Tendenz dieser Novelle nicht mehr. Ich glaube, die CDU/CSU hat mit dieser fünften Novelle zur Änderung des GWB den Pfad der gemeinsamen Wettbewerbspolitik verlassen. Die Interessen bestimmter Wirtschaftskreise dominieren in der Regierungskoalition gegenüber den ordnungspolitischen Grundsätzen, die einmal allgemein anerkannt waren. Viele von Ihnen wissen das nicht mehr, aber Ludwig Erhard konnte das Verbotsprinzip 1957 im GWB nur mit sozialdemokratischer Hilfe durchsetzen. Wir sind jetzt nicht bereit, die Hand dafür zu heben, daß diese bewährten Grundsätze des Wettbewerbs aufgelockert und beseitigt werden. Diese Veränderung bewährter Prinzipien erfolgt bekanntlich nicht etwa durch einen plötzlichen Glokkenschlag, aber dieses Gesetz ist ein Beispiel dafür, wie Grundsätze in der Politik peu à peu, Schritt für Schritt, an Bedeutung verlieren. Es geht hier - das kann man an dem Beispiel dieses Gesetzes hervorragend sehen - um die schleichende Erosion bewährter Prinzipien. Dies bringt unsere Politik insgesamt in Verruf. Der Einfluß der Lobby in der Wirtschaftspolitik nimmt immer mehr zu. Hier macht er sich besonders bemerkbar. Immer stärker setzen sich partikulare In14076 teressen durch. Immer deutlicher wird der Verlust der Fähigkeit, ordnungspolitisch zu denken. ({2}) Dieser Entwicklung gilt es entgegenzutreten. Mir hat vor kurzem ein junger Mann gesagt, DTA sei die neue Formulierung, die in den Kreisen der Jugend gebraucht wird: don't trust anybody. Man wird immer mißtrauischer. Wir sollten einmal überlegen, ob wir Politiker nicht auch ein bißchen Schuld an diesem DTA haben, was offenbar verstärkt der Spruch unter jungen Leuten geworden ist. ({3}) Ich will auf die einzelnen Punkte eingehen. Die Forderung, § 37 a zu einem § 26 Abs. 4 umzugestalten und damit die horizontale Diskriminierung verstärkt in den Griff zu bekommen, stammt von den Sozialdemokraten. Hier laufen Sie also offene Türen ein. Diesen Schritt können wir durchaus gemeinsam tun. Die Regierung braucht jedoch in diesem Fall erneut sozialdemokratische Hilfe, Herr Haussmann, nämlich zur Abwehr übertriebener Forderungen aus der CDU/CSU. Wenn die CDU/CSU z. B. versucht, mit § 26 Abs. 5 eine völlige Umkehr der Beweislast über die bisherige Rechtsprechung hinaus einzuführen, so verläßt sie wiederum den Boden der Gemeinsamkeiten. Fragen Sie einmal Ihren Herrn Geberth, der hinter Ihnen sitzt. Die notwendige Beweislasterleichterung hängt von der Zumutbarkeit und von einem deutlichen Anschein für eine unbillige Behinderung ab. Es geht nicht, daß ein Unternehmer vor Gericht einfach behauptet, er werde unbillig behindert, und dann hat der Beschuldigte sofort nachzuweisen, daß das nicht der Fall ist. So weit geht das nicht! Hier hört die Zumutbarkeit auf - und auch die Verfassungsmäßigkeit. Kreise der CDU/CSU wollen diese Grenze überschreiten. ({4}) Es geht für uns auch nicht an, daß wir ein generelles Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen etablieren. Das kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Das ist in Kreisen der CDU/CSU immer wieder diskutiert worden. ({5}) Wenn ein Großunternehmen lange Zeit unter Einstandspreisen verkauft, und zwar gezielt und systematisch, um den Wettbewerb zu zerstören, dann kann das sehr wohl eine unbillige Behinderung sein. Das gebe ich gern zu. Aber grundsätzlich ist ein Verkauf unter Einstandspreis keine unbillige Behinderung. Grundsätzlich gehört zur marktwirtschaftlichen Ordnung die freie Preisbildung eines jeden einzelnen Unternehmers. Es wäre wirklich an der Zeit, daß auch die CDU/CSU den Interessenvertretern der Wirtschaft einmal ihre Grenzen aufzeigt, die es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung gibt. ({6}) Hier hört also wieder unsere Gemeinsamkeit auf. Reine Interessenvertretung jenseits jeder ordnungspolitischen Akzeptanz ist deshalb die vorgesehene Novellierung des § 26 Abs. 2, auf die ich jetzt zu sprechen komme. ({7}) - Passen Sie doch auf; werfen Sie doch nicht immer alles durcheinander. Zu § 26 Abs. 2 haben wir von vornherein gesagt: Das machen wir nicht mit. ({8}) - Auch Herr Roth hat das gesagt. Er hat entsprechende Anträge mit uns gemeinsam unterschrieben. Fragen Sie ihn doch mal! ({9}) Hierdurch wird die Preisbindung der zweiten Hand, die wir einmal gemeinsam 1973 abgeschafft hatten, für die Markenwarenindustrie gewissermaßen durch die Hintertür wieder eingeführt. ({10}) Für marktstarke Unternehmen soll die Belieferungspflicht, die es zur Zeit gibt, gegenüber größeren Unternehmen aufgehoben werden; gegenüber kleinen und mittleren soll sie weitergelten. Hierdurch werden die Größeren, wer auch immer es ist - keiner kann das genau definieren; das sind häufig die Tüchtigeren - , diskriminiert. Das ist deshalb völlig verfehlt. Lesen Sie einmal im Bericht, von Herrn Pinger und mir geschrieben, nach. ({11}) Wenn es z. B. um Informationen für die Monopolkommission über Großunternehmen geht, ist nach Ansicht der Regierungsmehrheit eine Differenzierung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits nicht möglich. Mehr Informationen über marktstarke Unternehmen sind jedoch dringend angebracht. Wir unterstützen deshalb nach wie vor die berechtigten Interessen der Monopolkommission. Das Diskriminierungsverbot wird dagegen mir nichts, dir nichts aufgehoben. Hieran wird sonnenklar, welche Interessen die CDU/CSU und die Regierungskoalition wirklich vertreten. Informationen sollen die marktbeherrschenden, marktstarken Unternehmen nicht liefern müssen. Aber ihre Pflicht zur Belieferung gegenüber anderen großen Unternehmen wird aufgehoben. Das alles wird dann noch den kleiDr. Jens nen und mittleren Unternehmen als Mittelstandspolitik verkauft. ({12}) In Wirklichkeit sind es ausschließlich Maßnahmen zugunsten marktstarker Markenwarenhersteller. Aber die Kleinen und Mittleren sind nicht so blöd, wie Sie manchmal glauben; die werden das schon erkennen und durchschauen. ({13}) Ich komme zur Fusionskontrolle; das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Die Regierung versucht mit zwei neuen Begriffen eine schärfere Definition der marktstarken Unternehmen. Sie will verhindern, daß die sechs großen Konzerne im Handel miteinander fusionieren. Das würden sie sowieso nicht tun. Die Novellierung in diesem Punkte können Sie sich also getrost schenken. Das hat übrigens auch das Kartellamt festgestellt. Seit 1983, seitdem die konservative Regierung an der Macht ist, verzeichnen wir in der Bundesrepublik eine ständig steigende Konzentrationswelle in der Wirtschaft. ({14}) - Vorher war es wesentlich besser, gucken Sie sich einmal die Daten im Kartellbericht an, Herr Wissmann. - Eine entscheidende Bekämpfung dieser Konzentration würde nur mit unseren Vorschlägen, die wir auf den Tisch gelegt haben, möglich sein. In unserem Antrag „Stärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht" verlangen wir erstens die Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen schon dann, wenn es zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt - man nennt das Abkoppelung -, nicht erst bei Marktbeherrschung, sondern schon dann, wenn der Wettbewerb stark gefährdet ist; zweitens ein Verbot von Größtfusionen, sofern die an der Fusion beteiligten Unternehmen einen Umsatz von etwa 1 °A° des Bruttoinlandsprodukts haben - damit würde eine Fusion Daimler-Benz/MBB in Zukunft nicht mehr möglich sein -, ({15}) und drittens schließlich die Einführung einer stringenten Entflechtungsregelung. Hier ist eine Lücke im Wettbewerbsrecht, und diese Lücke gilt es in der Tat zu schließen. Wir müssen in der Lage sein, ganz große Konglomerate einmal zu entflechten. Ich wäre froh, wenn auch die CDU/CSU diesen Gedanken überprüfen könnte. Nur auf diese Weise werden wir, mit Walter Eucken gesprochen, einen starken Staat und eine dezentrale Ordnung auf Dauer erhalten. Die Neufassung des § 102 - wir hatten darüber eben schon ein kleines Techtelmechtel betreffend Kreditwesen und Versicherungen - bringt in der Form, wie sie von der Regierung vorgeschlagen worden ist, keine substantielle Veränderung. Die Versicherungen haben dem auch zugestimmt. Warum wohl? ({16}) Weil ihre Privilegien erhalten bleiben. Die Umänderung des Mißbrauchsprinzips in ein Verbotsprinzip mit einer Fülle von Ausnahmen ist nur eine graduelle Veränderung. Im Grundsatz bleibt hier alles beim alten. Die Versicherungen und Banken sind deshalb dafür, ({17}) und das Wirtschaftsministerium hat dies alles akzeptiert. Wer wirklich substantiell etwas ändern will, muß unseren Entschließungsantrag für die dritte Lesung akzeptieren. Hierin ist festgehalten, daß der § 102 völlig gestrichen werden soll. Ich hoffe sehr, daß auch die FDP, die immer so gerne lautstark von Deregulierung spricht, diesen Antrag akzeptiert. Auf alle Fälle müssen wir in Zukunft mehr denn je erkennen, daß unser Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kein Schutz für die Wirtschaft ist. Vielmehr ist es ein Schutzgesetz für den Wettbewerb. ({18}) Mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kann man auch keine Politik für den Mittelstand betreiben, Herr Hinsken; das wäre völlig verfehlt. Wir wollen den Wettbewerb sichern, aber nicht die kleinen und mittleren Unternehmen. ({19}) Belasten wir doch dieses Gesetz nicht immer mit falschen Zielsetzungen! Wir verfolgen doch alle gemeinsam die gleichen Ziele: Wir wollen eine bessere Politik, eine stärkere Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Dafür haben wir Vorschläge gemacht. Ich sage erst einmal: Es war ein elementarer Fehler dieser Bundesregierung, das Eigenkapitalhilfeprogramm und die Lohnkostenzuschüsse für kleine und mittlere Unternehmen so zusammenzustreichen - ein elementarer Fehler! Wir würden diesen Fehler sofort wieder beseitigen. ({20}) Nach unserer Überzeugung müssen vor allem auch die Mittel für Forschung und Technologie stärker für kleine und mittlere Unternehmen eingesetzt werden. Wir Sozialdemokraten halten es für unerträglich, daß Großunternehmen vor dem Zusammenbruch geradezu geschützt sind und dem Staat in die Tasche greifen können, während kleine und mittlere Unternehmen immer wieder in Konkurs gehen, zum Teil völlig unberechtigt. Wir müssen deshalb, so glauben wir, darüber nachdenken, ob wir nicht eine sogenannte Konkursauffanggesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen gründen müßten, um diese un14078 gerechtfertigten Unternehmenszusammenbrüche zu verhindern. Aber vor allem wursteln wir uns doch seit Jahren gewissermaßen so durch, wenn es um Mittelstandspolitik geht, um Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Es fehlt an einem geschlossenen Konzept. Zur Zeit herrscht Tohuwabohu. Der Bund fördert, die Länder fördern, die EG-Kommission fördert. Keiner weiß so recht, was eigentlich wo gemacht wird. Man arbeitet zum Teil sogar gegeneinander. Zunächst bräuchten wir also ein Konzept für die Mittelstandspolitik, das mehr Rationalität zum Inhalt hat, das dafür sorgt, daß endlich eine geschlossene, in sich kongruente Politik für diesen Bereich betrieben wird. Eine abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren, zum Kapitel „Einführung einer EG-Fusionskontrolle"; Herr Wissmann hat auch etwas dazu gesagt. Hier versucht Ihr Haus, Herr Bundeswirtschaftsminister, offenbar krampfhaft, seine schwache Interessenvertretung in Brüssel zu vertuschen. Bisher war sie sehr schwach. Das haben wir zumindest im Wirtschaftsausschuß gestern einvernehmlich festgestellt. ({21}) Alles, was an Informationen zu diesem Thema aus Ihrem Hause gekommen ist, war - gelinde gesagt - geschönt. Ich sage Ihnen: Sie entpuppen sich immer mehr als ein Anti-Erhard, nicht etwa als ein neuer, sondern als ein Anti-Erhard. ({22}) Sie sind dabei, ordnungspolitische Grundsätze, die wir gemeinsam hochgehalten haben, zu zerstören. ({23}) Zunächst haben Sie die Mammutfusion zwischen Daimler-Benz und MBB genehmigt. Das war eine gravierende Fehlentscheidung. ({24}) Jetzt sind Ihr Haus und Sie offenbar bereit - Herr Schlecht ist ja auch da; ich habe seine Philippika gestern so verstanden -, ({25}) durch die Einführung der europäischen Fusionskontrolle die deutsche Fusionskontrolle zu zerstören. In der Tat wird unsere Fusionskontrolle, die wir 1973 eingeführt haben, überflüssig, wenn Sie diese europäische Fusionskontrolle, die zur Zeit auf dem Tisch liegt, akzeptieren. ({26}) Nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen über die Einführung der EG-Fusionskontrolle ist keiner der drei Grundsätze, die wir im Wirtschaftsausschuß aufgestellt haben, erfüllt. Es gibt keine präventive, keine vorbeugende Fusionskontrolle, sondern im allgemeinen werden die Großfusionen vollzogen werden, um nachher kontrolliert zu werden - ein unmögliches Unterfangen! Es gibt keine Entscheidung nach rein wettbewerblichen Kriterien, wie sie dringend notwendig erscheint; im Gegenteil: Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe, die in der jetzigen Verordnung vorgesehen sind, lassen gewissermaßen jede Entscheidung der Kommission nach freiem Gutdünken zu. Die Kompetenzen werden eindeutig nach Brüssel verlagert, und das Berliner Kartellamt kann selbst dann nicht wirksam eingreifen, wenn auf deutschem Boden eine marktbeherrschende Stellung entstehen sollte. Wenn wir uns nicht in die Tasche lügen, müssen wir sehen, daß es in Wirklichkeit so ist, daß die deutsche Fusionskontrolle am Ende kaputt ist. Diese Fusionskontrolle wurde 1973 von Sozialdemokraten und Liberalen eingeführt, und sie wird jetzt von der konservativen Regierung wieder abgeschafft. Ein Zweiklassenrecht bei der Fusionskontrolle kann es nämlich ein für allemal nicht geben. Es geht nicht an, daß etwa die Großfusionen in Brüssel leicht, oberflächlich, einfach geprüft und genehmigt werden und daß alle Zusammenschlüsse von kleinen und mittleren Unternehmen in Berlin nach einem strengen Fusionsrecht möglicherweise verboten werden. Nein, wenn Sie das machen, was Sie jetzt vorhaben, müssen Sie sofort eine nächste Novelle zum GWB einbringen, die vorsieht, die deutsche Fusionskontrolle abzuschaffen. ({27}) Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Es gibt ja auch in anderen Bereichen so etwas wie ein Verfahren der zwei Geschwindigkeiten. Denken Sie einmal darüber nach! Am EWS sind auch nicht alle beteiligt. Warum wollen wir eigentlich nicht darauf pochen, daß unsere Fusionskontrolle für eine bestimmte Zeit erhalten bleibt und daß die schwache, die Sie jetzt in Brüssel ausgearbeitet haben, zunächst einmal für die eingeführt wird, die überhaupt noch keine Fusionskontrolle haben? Das wäre im Grunde ein sinnvoller Weg, finde ich wenigstens. Es ist für mich purer Hohn, wenn Herr Wissmann behauptet und wenn überhaupt behauptet wird, mit der Novelle, die heute hier in erster Linie zur Diskussion steht, würde unsere Wettbewerbsordnung ausgebaut. Einzig und allein sinnvoll wäre es, die Beratungen in Brüssel abzuwarten und die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen heute zu vertagen. ({28}) Wir Sozialdemokraten können deshalb der vorgesehenen Novellierung unsere Zustimmung nicht geben. Der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mangelt es an Übersicht, an Koordination und ordnungspolitischer Logik. Die ordnungspolitischen Fehler dieser Regierung häufen sich - MBB, Abschaffung der deutschen Fusionskontrolle - , und sie werDr. Jens den auch immer schlimmer. Wer jedoch wie die CDU/CSU seine Grundsätze - die Sie einmal so hochgehalten haben ({29}) über Bord wirft, der hat wirklich kein Recht, weiterhin an Bord zu bleiben. Schönen Dank. ({30})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Jens, es ist schon ein bißchen putzig, daß sich gerade die Sozialdemokraten auf Walter Eukken berufen. Ich kann nur anregen, daß sie das auch weiterhin tun, aber dann auch in ihren Programmen. ({0}) Dann werden sie sicherlich eine bessere Wirtschaftspolitik festschreiben, ({1}) als im „Fortschritt '90" bislang steht. ({2}) - Ich glaube, wir brauchen keine Belehrung von Ihnen, solange Sie solche Programme schreiben. Ich denke, daß wir liberale Wirtschaftspolitik besser vertreten können als Sie als Sozialdemokraten. ({3}) Meine Damen und Herren, mit der vorliegenden 5. Kartellnovelle kommt die Koalition ihrer Zusage nach, im Bereich des Handels Instrumente der Fusions- und Verhaltenskontrolle wirksamer zu gestalten. Gleichzeitig werden die bisherigen Ausnahmebereiche Verkehr, Banken, Versicherungen und Versorgungswirtschaft beseitigt. Außerdem wird es möglich gemacht, daß die Monopolkommission ihre Datenbasis verbessert. Es ist eine ganz natürliche Angelegenheit, daß gerade das Kartellrecht ständigen Überprüfungen und damit Novellen unterliegt. Schließlich muß sich das Kartellgesetz den Marktverhältnissen anpassen. Es ist einmal zu Recht gesagt worden, daß das Kartellrecht das Grundgesetz der Marktwirtschaft darstellt. Es ist aber genauso richtig, daß die Marktteilnehmer immer mit großer Phantasie danach streben, Markt- und Mitwettbewerber auszuschalten. Diesen natürlichen Bestrebungen muß der Gesetzgeber entgegenwirken, um den Wettbewerb im Interesse der Verbraucher, aber auch im Interesse der Wirtschaft zu erhalten. Ich wage daher die Prognose, daß diese 5. Kartellnovelle nicht die letzte gewesen ist, sondern daß sich das Kartellrecht an zukünftige Entwicklungen anzupassen hat. Ich sage dies auch bewußt im Hinblick auf die Bestrebungen, am 21. Dezember 1989 im Ministerrat eine europäische Fusionskontrolle zu beschließen. Ich erinnere daran, daß es einer der drei Essentials der Bundesregierung ist, daß eine nationale Restkompetenz gegeben sein muß. Wir haben unser Kartellrecht wettbewerbsorientiert ausgestaltet. Hiermit sind wir auch immer gut gefahren, und zwar sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher. Industriepolitische Erwägungen haben in der Vergangenheit mit wenigen Ausnahmen, Herr Minister, die dann auch publizistisch natürlich mit großem Getöse begleitet wurden - wir haben das vor kurzem gerade bei den Sozialdemokraten in diesem Hause erlebt; in Hamburg und Bremen ist das wieder ganz anders gewesen - , kaum eine Rolle gespielt. ({4}) Die Bundesregierung sollte daher gegenüber der Kommission und im Ministerrat an ihren im Kabinett beschlossenen Grundsätzen festhalten. Insbesondere sollte sie die wettbewerbspolitische Komponente bei der europäischen Fusionskontrolle sowie eine klare Regelung hinsichtlich der Restkompetenzen für die Fusionskontrolle sowie eine wirksame Prävention für Fusionen fordern. Ein Scheitern der Verhandlungen am 21. Dezember sollte und darf nicht ausgeschlossen werden, dann nämlich, wenn die Essentials der Bundesregierung, wie wir sie im übrigen auch gemeinsam im Wirtschaftsausschuß festgelegt haben, nicht durchgesetzt werden können. ({5}) Wir Liberalen begrüßen die vorliegende Kartellnovelle, die - was nicht immer selbstverständlich ist - gründlich in den Ausschüssen beraten worden ist. ({6}) Herr Kollege Wissmann hat ja an die dreijährigen Beratungen erinnert. Darüber hinaus ist eine intensive Anhörung erfolgt, bei der die Wissenschaft und die interessierten Verbände gehört wurden. Wir wissen auch auf Grund weiterer Eingaben, daß nicht jedermann mit dieser Kartellnovelle zufrieden ist. Zu unterschiedlich sind nun einmal die Interessen. Aber auch hier sage ich, daß wir bereit sind, diese Kartellnovelle erneut zu überdenken, wenn sich herausstellen sollte, daß einzelne Bestimmungen nicht praktikabel sind oder sich der angestrebte Zweck nicht umsetzen läßt. ({7}) - Das ist nicht nur lobenswert, sondern ein Gebot der Vernunft. Das gleiche gilt für die Aufgabe der Ausnahmeregelungen, wenn sich dort herausstellen sollte, daß z. B. internationale Wettbewerbsnachteile entstehen. Wir machen Gesetze nicht gegen den Markt, sondern für den Markt. Wenn Nachteile entstehen, müssen sie nachgewiesen werden; und dann werden solche Überlegungen in die nächste Kartellnovelle Eingang finden. Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt für diese Kartellnovelle sind zweifelsohne die Wettbewerbsprobleme im Handel gewesen. Diese Kartellnovelle soll dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit dienen. Der Wettbewerb ist so weit wie möglich durch14080 zusetzen. Der Staat gewährleistet den dynamischen Leistungswettbewerb. Im Hinblick auf den Handel sieht der Gesetzentwurf vor allen Dingen folgende Änderungen vor: erstens eine bessere Erfassung der Nachfragemacht insbesondere bei der Fusionskontrolle durch Erweiterung der im Gesetz genannten Kriterien, die bei der Feststellung einer überragenden Marktstellung zu berücksichtigen sind, ({8}) um zusätzliche nachfragebezogene Elemente im § 22 Abs. 1 Nr. 2 wie z. B. die Umstellungsfähigkeit und die Ausweichmöglichkeiten. Dabei halten wir an dem bislang bewährten System des Kartellrechts fest, nehmen also keine sektorspezifische Regelung für den Handelsbereich vor. Zweitens: Eine wirksamere Gestaltung der Vorschrift gegen unbillige Behinderung kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht ist ein ganz entscheidender Punkt dieser Kartellnovelle. ({9}) Die Vorschrift des § 26 Abs. 4 wird als Verbotsnorm ausgestaltet und schafft zivilrechtliche Klagemöglichkeiten. Herr Wissmann hat darauf hingewiesen, daß dieses Damoklesschwert für die starken Unternehmen am Markt nun da ist. Das kann echt ins Geld gehen, wenn Mißbrauch ausgeübt wird. ({10}) In § 26 Abs. 5 ist eine Beweiserleichterung - ich sage bewußt „Beweiserleichterung", weil es ja keine Beweislastumkehr ist - durch die Kodifizierung der Grundsätze für den Anscheinsbeweis vorgenommen worden. Mit anderen Worten, diese Beweiserleichterung begründet eine Aufklärungspflicht für in Anspruch genommene Unternehmen, wenn der Anschein besteht oder entsteht, daß die Marktmacht ausgenutzt wurde und dem betroffenen Wettbewerber eine Aufklärung nicht möglich ist, was allzu häufig vorkommt. Ziel dieser Bestimmung ist der Schutz des Leistungswettbewerbs gegen aggressive Preisstrategien von Großunternehmen, z. B. durch systematische Verkäufe unter Einstandspreis. Andererseits ist von einem generellen Verbot des Verkaufs unter Einkaufspreis Abstand genommen worden. Drittens. In § 26 Abs. 2 Satz 2 ist für relativ marktstarke Unternehmen eine Einschränkung des Diskriminierungsverbots insbesondere im Hinblick auf die Belieferungspflicht vorgenommen worden. Schließlich haben sich auch dort die Marktrealitäten verändert. Große Unternehmen brauchen relativ marktstarken Unternehmen gegenüber den Schutz des Diskriminierungsverbots nicht, da preisaktive Großunternehmen auf den immer größer werdenden EG- und sogar Weltmärkten hinreichend Ausweichmöglichkeiten haben. Es besteht also keine Gefahr von Preisbindungsersatzstrategien und Preissteigerungen zu Lasten des Verbrauchers. ({11}) Viertens. Da durch die Koalitionsfraktionen die Einkaufskooperationen positiv beurteilt werden und wir uns bewußt sind, daß ohne gemeinsamen Einkauf häufig kleine und mittlere Unternehmen keine Überlebenschance haben, ist in § 5 c ein Freistellungstatbestand für Einkaufskooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen vorgesehen worden, wenn hierdurch deren Wettbewerbsfähigkeit verbessert wird. Das Freistellungsverfahren - darauf hat auch der Kollege Wissmann ausführlich hingewiesen - ist unbürokratisch geregelt. Die Änderungen in den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen für die Sektoren Verkehr, Banken, Versicherung und Versorgungswirtschaft sind u. a. auch bedingt durch die extensive Anwendungspraxis der Wettbewerbsregeln durch den EuGH. Wir werden hier darauf achten müssen, daß durch die Änderungen keine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsbedingungen dieser Dienstleistungsbereiche eintritt. Dies gilt insbesondere für den Bereich Seeschiffahrt und für den Bereich der Banken. Wir begrüßen, daß die Monopolkommission durch § 24 c einen vernünftigen Datenkranz erhält, um für die Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration bessere Grundlagen zu haben. Mit dem Gesetz ist aber auch sichergestellt, daß die so erlangten Daten dem erforderlichen Schutz unterliegen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß das Kartellrecht im Bereich des Handels behutsam fortentwickelt worden ist und sich die neuen Vorschriften im bisherigen Bewertungsrahmen halten. Es bleibt beim primären Schutz der Wettbewerbsfreiheit. Das Kartellrecht ist sicherlich ein Beitrag zur Sicherung des dynamischen Leistungswettbewerbs. Dies ist die Aufgabe des Kartellrechts. Mehr kann es nicht und soll es auch nicht leisten. Eine Schutzzaunpolitik zugunsten bestimmter Wirtschaftsbereiche und Unternehmensgruppen ist nicht die Aufgabe des Kartellrechts. ({12}) Dieses Recht muß jetzt angewandt und beobachtet werden. Die nächste Novelle wird als Mittelpunkt die Angleichung an das EG-Kartellrecht haben. Mit anderen Worten: Die Arbeit an der nächsten Novelle könnte alsbald beginnen. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unternehmenslandschaft in der Bundesrepublik war in der Vergangenheit bereits durch eine von Jahr zu Jahr steigende Anzahl von Unternehmenszusammenschlüssen gekennzeichnet. Mit 1 159 Zusammenschlüssen von Unternehmen ist 1988 in der Bundesrepublik eine Rekordmarke erreicht worden. Mehrheitlich handelt es sich dabei eben nicht um eine Verbindung mehr oder minder gleichstarker kleinerer Unternehmen, sondern um den Zukauf von kleinen und mittleren Unternehmen durch große Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 2 Milliarden DM. Herr Wissmann hat das ja auch angesprochen. Eine besonders aktive Rolle spielen dabei die Spitzenunternehmen. Die 100 größten Gesellschaften waren 1986/87 an 539 der 1 986 Zusammenschlüsse, d. h. also an fast einem Drittel der angezeigten Fusionen beteiligt. Ganze Industriezweige werden von einigen wenigen Großunternehmen beherrscht. Besonders eklatant ist die Entwicklung im Handel. Nur zehn Unternehmen beherrschen fast den gesamten Lebensmittelhandel. Die Novellierung kommt viel zu spät. Es ist praktisch schon alles gelaufen. Das gesamte marktwirtschaftliche System wird immer weiter ausgehöhlt und letztlich ad absurdum geführt. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, kann man wirklich von Systemveränderung sprechen, bloß - das ist ja das Pikante daran - handelt es sich dabei nicht um einen politischen Angriff von den vielgescholtenen linken Systemveränderern, sondern um einen aus diesem Wirtschaftssystem sich selbst ergebenden Zerstörungsprozeß. Beim Menschen nennt man so etwas Krebs. Die Bundesregierung bekämpft ihn aber nicht, sondern bestärkt und ¡fördert diesen Prozeß. Die wirklichen Systemveränderer sitzen auf der Regierungsbank und in den Vorstandsetagen von Banken und Großunternehmen, nicht auf den Oppositionsbänken. ({0}) Die zwischenzeitlich vollzogene Fusion von Daimler und MBB sowie die geplante Übernahme der bundeseigenen Salzgitter AG durch den Preussag-Konzern haben zu kritischen Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt. Es werden verstärkt Fragen nach der Notwendigkeit und den wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und politischen Folgen zunehmender Unternehmensgröße und der Ballung privater Wirtschaftsmacht gestellt. Das Gewicht einzelner Konzerne, ihre Arbeitsplätze und die Steuerzahlungen für Städte und Gemeinden, zum Teil sogar für einzelne Bundesländer, schaffen Abhängigkeiten bis hin zur Erpreßbarkeit. Eine bedeutende Rolle spielt auch die Frage der Konzentration im Bankensektor und der Bankenmacht. Die Gewinne konzentrieren sich immer mehr bei den drei großen Banken. Ihr Anteil an den Jahresüberschüssen aller Kreditbanken, der 1981 noch bei gut einem Drittel gelegen hatte, stieg bis 1988 auf über die Hälfte. Während die Gewinne der drei Großbanken um 42 % stiegen, wuchsen die Gewinne der restlichen 304 Kreditbanken nur um 1,2 %. Diese Gewinnkonzentration ist weder durch das Kreditgeschäft noch durch das Geschäftsvolumen insgesamt zu erklären. ({1}) Sie ist Ausdruck von Machtpositionen, die die Großbanken auf Grund von Unternehmungsbesitz, Kontrolleinflüssen in Aufsichtsräten sowie durch das Depotstimmrecht ausüben. Durch diese Verflechtungen der Banken mit Industrie und Handel können die Großbanken heute in erheblichem Maße, ohne dafür von irgend jemand legitimiert zu sein, Industrie- und Strukturpolitik betreiben. Nicht nur die Vorgänge um den Daimler-MBB-Konzern, sondern auch bei Feldmühle-Nobel-AG beweisen dies deutlich. Entgegen den Aussagen der Konsortialbanken unter Führung der Deutschen Bank, für eine breite Streuung der Feldmühle-Nobel-Aktien zu sorgen, erfolgte schon nach kurzer Zeit eine Rekonzentration und eine Eingliederung in die VEBA. Die Zweifel wachsen, ob das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt einen ausreichenden Schutz gegen das Entstehen und mißbräuchliche Ausnutzen privater Wirtschaftsmacht bietet. Aber selbst dieser unzureichende Schutz droht wegzufallen, wenn es zu Kompetenzverlagerungen an die EGKommission kommt. Das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen im EG-Ministerrat ist genauso ausgefallen, wie man es nach der Genehmigung des DaimlerMBB-Zusammenschlusses durch Minister Haussmann erwarten konnte. Ich habe manchmal den Eindruck, Herr Haussmann, daß Ihnen die Regelungen, die jetzt in der EG-Kommission vorliegen, insgeheim gar nicht so ungelegen kommen. Tatsache ist: Wenn die EG-Fusionskontrolle in der vorliegenden Fassung am 21. Dezember verabschiedet wird, werden EG-weite Unternehmenszusammenschlüsse in nahezu jeder Größenordnung möglich sein. Wolfgang Kartte, Präsident des Bundeskartellamts, findet hierfür eindeutige Worte. Ich zitiere: Wozu haben wir die Fürsten abgeschafft, wenn wir uns jetzt - in Europa - einer neuen Aristokratie von Unternehmensführern ausliefern sollen? Und weiter: Wer wird die Multis kontrollieren, wer kann sie abwählen? Das sind Fragen, auf die Sie natürlich keine Antwort geben. ({2}) Vor diesem Hintergrund haben die GRÜNEN zwei Anträge eingebracht. Auf EG-Ebene soll danach die Gesetzgebungs- und Entscheidungskompetenz vorrangig bei den jeweiligen Mitgliedsländern verbleiben. Die EG-Behörde soll sich mit Großfusionen nur befassen, soweit die fusionierenden Unternehmen mindestens einen Umsatz von 10 Milliarden ECU auf sich vereinigen. Die Entscheidungskompetenz des Bundeskartellamts bleibt damit für die meisten Fusionen erhalten. Unternehmenszusammenschlüsse sind zu untersagen, wenn sie EG-weit zu einem Marktanteil von über 5 % führen. Zum Schutz der wirtschaftlich kleineren Mitgliedsländer wird eine Quotierungsregel eingeführt, die jedem Mitgliedsland bestimmte Marktanteile sichert. Auf nationaler Ebene verlangen wir eine deutliche Herabsetzung der Marktanteile, ab denen Marktbeherrschung vermutet wird. Marktbeherrschung soll bei einem Unternehmen bereits bei einem Marktanteil von 25 % statt bisher 33 % vermutet werden, bei einem bis drei Unternehmen bei 33 % statt bisher bei 50 % und bei einem bis fünf Unternehmen bei 50 % statt wie bisher bei 66 %. Um die rasante Konzentration im Handel zu stoppen und um den wesensgemäßen Unterschieden zwischen Industrie und Handel gerecht zu werden, sollen im Handelsbereich die Grenzen für die Vermutung einer Marktbeherrschung noch drastischer gesenkt werden. Wenn ein Unternehmen über mehr als 5 %, ein bis drei Unternehmen über mehr als 12 % oder ein bis fünf Unternehmen über mehr als 20 % Marktanteil verfügen, soll dies der unwiderlegbare Beweis für Marktbeherrschung sein. Nur auf diese Weise wird der Nachfragemacht des Handels wirksam begegnet werden können. Damit wird auch gleichzeitig der Tatsache Rechnung getragen, daß der Handel im Vergleich zum Hersteller eine wesentlich höhere Flexibilität in der Umstellung seines Produktangebots aufweist. Einmal abgesehen von den wettbewerbspolitischen Aspekten bergen Zentralisierung und Konzentration im Handel erhebliche Probleme für die Verbraucherschaft, aber auch für die Umwelt. Zentralisierte Großstrukturen im Handel machen Produktstandardisierung auf der landwirtschaftlichen Erzeugerebene notwendig. Produktstandardisierung z. B. im Hinblick auf Größe, Farbe, Maserung und Verarbeitbarkeit sind aber nur mit einem massiven Einsatz von Agrochemikalien erreichbar, deren vielfältige schädliche Auswirkungen auch auf die Umwelt selbst Ihnen hinlänglich bekannt sein sollten. ({3}) Des weiteren fördern Zentralisierung und Konzentration im Handel den Trend zu verarbeitungs- und handelsfreundlichen Nahrungsmitteln. Das heißt also, ernährungsphysiologische Qualitätskriterien treten in den Hintergrund gegenüber Aspekten wie Haltbarkeit, Absetzbarkeit und Transportfähigkeit. Mithin ist der Lebensmittelbereich ein Wirtschaftssektor, in dem sich ein direkter negativer Zusammenhang zwischen Unternehmenskonzentration und Produktqualität sowie Umweltbeeinträchtigungen nachweisen läßt. ({4}) Wer diese Zusammenhänge nicht sieht und berücksichtigt, wie es z. B. bei Herrn Wissmann vorhin der Fall war, zeigt, daß er nicht fähig ist, eine zukunftsträchtige Politik zu gestalten. ({5}) - Für neue Ideen ist man natürlich bei der CDU/CSU meist nicht empfänglich. ({6}) - Es gibt Unterschiede. Meine Damen und Herren, einer der zentralen Punkte, um die es bei der Neuregelung geht, ist die Frage nach dem Verhältnis von Wettbewerbs- und Industriepolitik. Soll und darf der Staat in bestehende Märkte intervenieren? Soll und darf der Staat unternehmerische Entscheidungen korrigieren, wo diese nicht im Einklang mit den politischen Vorgaben stehen? Herr Haussmann, Sie haben dazu erklärt, Ordnungspolitik heißt für Sie in erster Linie, marktwirtschaftliches Bekenntnis und tagespolitisches Tun in Einklang zu bringen. ({7}) - Wissen Sie das gar nicht mehr? Doch wer will den öffentlichen Lippenbekenntnissen zur Marktwirtschaft eigentlich noch glauben, wenn sich die Bundesregierung wie im Fall des schon oft zitierten Daimler-MBB-Konzerns als Konzernschmied betätigt? Mit einer Vielzahl von Scheinargumenten, die man schon gar nicht mehr hören kann, wird versucht, diese staatskapitalistische Veranstaltung zu rechtfertigen. Was im Osten gerade abgeschafft wird, wird bei uns hier eingeführt. ({8}) - Die Wahrheit wollen Sie wohl wieder nicht hören. Wir meinen, daß es darauf ankommt, Wettbewerbs-und Industriepolitik zu verzahnen. Marktwirtschaftliche Instrumente haben ihre volle Berechtigung, solange sie sich zur Lösung der wichtigsten Zukunftsfragen eignen. Das sind heute zweifelsohne die ökologischen Probleme. Denn in den Industrieländern geht es doch nicht mehr darum, Menschen mit kurzfristigen Konsumgütern zu versorgen und die Haushalte mit Pkws, Fernsehern, Waschmaschinen und anderen Gütern weiterhin vollzustopfen. Gerade im Bereich des Konsums ist es überdeutlich, daß die Grenzen dessen, was vernünftig und verantwortbar ist, längst erreicht sind. Was wir brauchen, ist eine Konzeption für den 3. Weg in der Wirtschaftspolitik, d. h. eine staatliche Rahmenplanung, in die das Wettbewerbssystem integriert ist. Eine solche Politik, die wirklich Wert auf Wettbewerb legt, aber auch andere Auswirkungen, z. B. im sozialen und im ökologischen Bereich, berücksichtigt, muß den Mut aufbringen, Großunternehmen zu entflechten. Dies gilt insbesondere dort, wo Marktmacht offensichtlich mißbraucht wird. Die Politik müßte solche für Wirtschaft und Gesellschaft fatalen Auswüchse korrigieren. Das Gegenteil ist aber bei dieser Regierung der Fall. Eine generelle Verschärfung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften und gezielte industriepolitische Eingriffe sind jedoch notwendig, um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft durchzusetzen. ({9}) Das ist dringend erforderlich, wenn wir in der Zukunft weiterhin bestehen wollen. Frau Saibold Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider sind wir in der Tagesordnung etwas nach hinten gerückt. Es wäre eigentlich gut, wenn wir für diese zentralen wettbewerbs- und ordnungspolitischen Themen einmal mehr Zeit vor größerem Publikum hätten. ({0}) Das ist eine komische Debatte. Wir erleben ja in diesen Wochen, daß von vielen Ländern in Osteuropa, bei Verhandlungen in der OECD und bei Gesprächen in den USA oder Japan die Bundesrepublik Deutschland als eine der führenden marktwirtschaftlichen Nationen beteiligt wird. ({1}) Das Wachstum an Arbeitsplätzen, Beschäftigung und Umsatz hat in der Bundesrepublik vor allem in kleinen und mittleren Betrieben stattgefunden. Natürlich verkenne ich nicht, daß es einzelne Märkte gibt, wo Konzentration zunimmt. Aber in einer Welt, wo Forschung und Entwicklung immer intensiver werden und die Globalisierung der Märkte zunimmt, ist es dringend erforderlich, daß wir auch unser Wettbewerbsdenken zunehmend internationalisieren. Die Ordnungspolitik braucht eine europäische Dimension, wenn wir in der internationalen Diskussion weiter Geltung behalten wollen. Deshalb bleibt es dabei: Wettbewerb ist die Grundlage unserer Ordnung. Er ist die Grundlage für die überlegene Wirtschaftskraft und damit für unsere finanziellen Möglichkeiten zu einer Verbesserung der Sozialpolitik und der Umweltpolitik. Dort, wo Wettbewerb fehlt, zeigt sich sehr schnell, daß die finanziellen Möglichkeiten für eine gerechte Sozialpolitik und eine fortschrittliche Umweltpolitik nicht vorhanden sind. Mit dem Kartellrecht garantiert unser Staat die Funktionsfähigkeit dieses überlegenen Wirtschaftssystems. Dabei darf und muß die zunehmende Bedeutung der europäischen und der internationalen Wettbewerbspolitik nicht außer acht gelassen werden. Sie ergibt sich zwangsläufig aus dem von uns auch politisch gewollten fortschreitenden Zusammenwachsen der Märkte. Wir müssen heute europäische Antworten geben. Das heißt, eine unter rein nationalem Blickwinkel geführte ordnungspolitische Diskussion reicht nicht mehr hin. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung den Entwurf einer fünften Kartellgesetznovelle vorgelegt. Ich würdige ausdrücklich, daß dabei die Unionsfraktion, insbesonders Sie, Herr Kollege Wissmann, eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. ({2}) Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung packen sowohl die Unionsparteien als auch die FDP vor allem die Wettbewerbsprobleme im Handel an. Diese Novelle ist keine Gefälligkeitsreform für den Handel, sondern eine aus unserer Sicht vernünftige Vorsorge gegen eine denkbare und leider zu befürchtende weitere Gefährdung des Wettbewerbs im Handelsbereich. In Zukunft wird es dem Kartellamt leichter fallen, unter dem Gesichtspunkt der Nachfragemacht gegen weitere Machtzusammenballung in der Spitzengruppe des Lebensmittelhandels vorzugehen. ({3}) Wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen können in Zukunft wirksamer bekämpft werden. Das nützt kleinen und mittleren Unternehmen, wenn sie sich den Verdrängungsstrategien von Branchenriesen ausgesetzt sehen. Die 5. GWB-Novelle stärkt die Dynamik des Wettbewerbs. Ich betone: Trotz einiger Unkenrufe aus dem Kreis der Verbände dämpft, meine verehrten Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, auch der neue § 26 Abs. 5 die Intensität des Wettbewerbs nicht. Mit dieser Vorschrift wird die bestehende Rechtsprechung über Beweiserleichterungen in eine gesetzliche Form gegossen. Im Kern stellt der neue § 26 Abs. 5 klar, daß die Grundsätze über den Anscheinsbeweis auch in einem Zivilprozeß wegen unbilliger Behinderung zur Anwendung kommen. Eine Beweislastumkehr ist damit nicht verbunden. Wie nach der bisherigen Rechtsprechung enden Beweislasterleichterungen zugunsten des Klägers dort, wo dem Beklagten eine Aufklärung nicht zumutbar ist. Damit bleibt der grundsätzliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen unangetastet, und der wettbewerbspolitisch wichtige Geheimwettbewerb bleibt gewahrt. Ich gebe zu: Vor überzogenen Erwartungen an die 5. GWB-Novelle muß gewarnt werden. Ich sage ganz offen: Wir sind durch das Wettbewerbsrecht nicht in der Lage, einen Schutzzaun zu bauen, der das Ausscheiden solcher Betriebe verhindert, deren Größe und Umsatz bei den heutigen Verbrauchererwartungen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ziel des Wettbewerbsrechts kann es nicht sein - das ist wiederholt gesagt worden - , ganz bestimmte Strukturen zu konservieren. Hier stimme ich mit Herrn Jens und Herrn Wissmann überein. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen: Für den Markterfolg mittelständischer Unternehmen sind neben dem Kartellrecht natürlich eine ganze Anzahl anderer Faktoren von großer Bedeutung. Mit ihrer konsequenten Neuorientierung der Wirtschaftspolitik an marktwirtschaftlichen Grundsätzen, der leistungsfördernden Ausgestaltung staatlicher Regelungen von der Steuergesetzgebung bis hin zu Fördermaßnahmen schafft die Bundesregierung Voraussetzungen, damit sich mittelständische Betriebe besser als bisher entfalten können. Meine Damen und Herren, sicher wäre manche tarifpolitische Diskussion, manche Arbeitszeitdiskussion im Hinblick auf ihre Rückwirkung auf die Konzentration im Handel hier vertieft zu führen. Mein heutiges Gespräch mit der Monopolkommission hat gezeigt, daß sich diese in Zukunft vertieft mit den grundlegenden Ursachen der Konzentration beschäftigen wird. Wir werden einige wichtige Konzentrationsursachen in der Sozialpolitik, in der Tarifpolitik und in der Arbeitszeitpolitik finden. Der zweite wichtige Schwerpunkt dieser Novelle sind wettbewerbliche Auflockerungen in Ausnahmebereichen: Banken und Versicherungen, Verkehr und Energieversorgung. Ich empfinde es als wettbewerbspolitisch ermutigend - ich möchte mich dafür bei den Kollegen bedanken -, daß in den Ausschüssen des Bundestages kein Versuch unternommen wurde, hier etwas zu verwässern. Ich hoffe, daß sich der Bundesrat beim zweiten Durchgang nicht anders verhält und insbesondere seine Zurückhaltung im Bereich von Strom und Gas aufgibt. Damit könnte auch in der Versorgungswirtschaft wenigstens eine kleine Bresche für mehr wettbewerbliche Dynamik geschlagen werden. Meine Damen und Herren, mit Blick auf Europa sind Auflockerungen in den Ausnahmebereichen angezeigt, genauso wie die Klarstellung der Befugnisse unseres Kartellamtes in EG-Sachen. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, aus meiner Sicht etwas zum Thema der europäischen Wettbewerbspolitik zu sagen. Meine Damen und Herren, ich stehe bei den Verhandlungen nicht unter Zeitdruck. 16 Jahre ist versucht worden, eine europäische Fusionskontrolle zu verwirklichen. Ich habe mich von Beginn meiner Amtszeit an persönlich in die Verhandlungen in Brüssel eingeschaltet. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen: Ich würde mich freuen, wenn mehr Kollegen aus den nationalen Parlamenten eine Möglichkeit hätten, sich an solchen europäischen Abstimmungsgesprächen zu beteiligen. Mancher Sozialdemokrat, sogar mancher Christdemokrat, sollte deshalb verstärkt das Gespräch mit anderen Regierungen suchen, mit sozialdemokratischen, sozialistischen oder manchmal auch christdemokratischen Industrieministern in Italien, Frankreich oder anderen Ländern. Wir müssen hier europäischer denken. ({4}) Natürlich kann ich im nationalen Bereich Absolutheitsforderungen aufstellen. Aber wir wollen aus deutscher Sicht etwas im europäischen Rahmen verändern. Wir wollen aus deutscher Sicht eben nicht, daß es beim jetzigen Rechtszustand in Brüssel bleibt, daß die Kommission allein nach Art. 85, 86 weiter agieren kann. Ich als deutscher Wirtschaftsminister will nicht, daß sich mittlere Unternehmen in Italien, England, Frankreich verstärkt betätigen, während gleichzeitig ohne europäische Fusionskontrolle die Vermachtung dieser Märkte ständig vorangeht. Das ist die Ausgangssituation, verehrte Kollegen. Vor diesem Hintergrund will ich vor diesen wichtigen Entscheidungen noch einmal folgendes festhalten: Bei den Verhandlungen im Binnenmarktrat, zuletzt am 23. November, konnte ich zusammen mit Herrn Schlecht wichtige deutsche Wettbewerbsinteressen gegenüber dem bisherigen Zustand durchsetzen. ({5}) - Die Belehrung von GRÜNEN und Sozialdemokraten in Sachen Ordnungspolitik ist zumindest wirtschaftshistorisch eine wichtige Erfahrung für mich, aber ich nehme das mit, ich nehme das sehr ernst. ({6}) Ein ganz wichtiges Ergebnis ist, daß der Eingriffstatbestand für Fusionsuntersagungen in der EG die Marktbeherrschung sein wird. Frau Saibold, wir haben dafür gesorgt, daß die quantitative Schwelle bei 10 Milliarden DM liegt. Das war eine ganz erbitterte Diskussion. Und darunter wird weiter nach nationalem Kartellrecht verfahren. ({7}) Ich werde auch in der Öffentlichkeit sehr deutlich machen: Die „Zweiklassendiskussion" ist in diesem Punkt keine faire Diskussion. Wir haben für eine sehr, sehr hohe Aufgreifschwelle gesorgt. Das halte ich für eine wichtigen Erfolg der deutschen Verhandlungsführung. Die industriepolitisch interpretierbaren Wertungsgründe des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts müssen klar wettbewerblich eingebunden sein. Außerdem, Herr Jens, konnte für die europäische Fusionskontrolle wenigstens der Einstieg, schwierig genug, aber wenigstens der Einstieg in die Prävention durchgesetzt werden. ({8}) - Ja, das heißt, Fusionen dürfen nicht vor Anmeldung und erster Prüfung vollzogen werden. Für die nächste Ministerratssitzung am 21. Dezember ist es ganz wichtig, die entscheidende Frage der nationalen Restkompetenz weiter in unserem Sinne zu klären. Der Kompromiß zur europäischen Fusionskontrolle muß das deutsche Interesse anerkennen, ({9}) auf nationalen Märkten in der Bundesrepublik marktbeherrschende Stellungen zu verhindern. Das ist eine sehr schwierige Sache, weil eine Großzahl von EGMitgliedsländern keinerlei nationale Fusionskontrolle kennt und daher diese Forderung der Deutschen kategorisch als nationalistisch ablehnt. - Ich gebe hier nur einmal die Diskussion wieder.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jens?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Im Interesse der nachfolgenden Redner, nein. Ich pflege das Gespräch im Ausschuß. Ich bitte um Verständnis. Ich möchte zu Ende kommen. ({0}) - Tut mir leid. ({1}) - Sie kennen den Grund, der ein sehr trauriger Grund war. Ich sehe daher noch in diesem Jahr die Chance, einen aus unserer Sicht zufriedenstellenden Kompromiß zu erzielen. ({2}) Dabei werde ich mich, auch entsprechend der jüngsten Beratung im Wirtschaftsausschuß, bemühen, daß unsere essentiellen Punkte in der Substanz gewahrt bleiben. Aber aus langen Erfahrungen mit der EG wissen wir, daß alle Verhandlungspartner aufeinander zugehen müssen, wenn eine Einigung erzielt werden soll. Dabei wird für unsere abschließende Bewertung von besonderer Bedeutung sein, daß bei einem Scheitern der Fusionskontrollverordnung auf absehbare Zeit jede Chance vertan sein wird, den Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt wirksam vor wettbewerbsschädlicher Konfrontation zu schützen. Meine Damen und Herren, das heißt, daß alle Forderungen, die dazu führen, daß die Fusionskontrolle scheitert, bedeuten - das ist die politische Realität -, daß der Binnenmarkt ohne europäische Fusionskontrolle vollendet wird. Vor 1993 gibt es keine Chance. Alle Länder haben angekündigt: entweder einen Kompromiß unter französischer Präsidentschaft oder ein Zurückfallen in die alten nationalen Positionen. Damit ist das Thema Fusionskontrolle bis zur Vollendung des Binnenmarktes abgeschlossen. ({3}) Das sollte man vorher wissen. Ich schließe ja ein Scheitern nicht aus. Aber ich fühle mich verpflichtet, dem nationalen Parlament vorher die langfristigen Konsequenzen vorzulegen. Meine Damen und Herren, nach den Wandlungen in den osteuropäischen Staaten wird auch in diesen Ländern die Marktwirtschaft zunehmend ihre Chance erhalten. Wenn der Deutsche Bundestag der fünften Kartellgesetznovelle zustimmt, dann kommen wir hier wieder ein sicherlich kleines, aber wichtiges Stück in Richtung Marktwirtschaft voran. Ich bitte daher um Zustimmung zu dieser Novelle. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft, daß sich alle Unternehmen einem harten Ausleseprozeß im Ringen um die bessere Leistung stellen müssen. Es kann für kleine und mittlere Unternehmen nichts anderes als für große Konkurrenten gelten. Skandalös aber ist es, wenn diese mittelständischen Unternehmen einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sind, in dem Großunternehmen allein auf Grund ihrer Finanzkraft und ihrer Marktmacht mit leistungswidrigen Praktiken relativ kleinere Unternehmen vom Markt verdrängen. Zu keiner Zeit in der Wirtschaftsgeschichte und in keinem Land der westlichen Wirtschaftsnationen - so stellte Professor Harms fest - war es möglich, so wie heute in der Bundesrepublik Marktmacht einzusetzen, um allein durch sie und unter Verletzung des Leistungswettbewerbs mittelständische Betriebe an die Wand zu drücken. Unter zehn von ihm untersuchten Wirtschaftsnationen gibt es in den USA die besten Regeln zur Sicherung des Leistungswettbewerbs. Am anderen Ende der Skala, nämlich da, wo Verstöße auf Grund eines übertriebenen liberalistischen Systems am leichtesten möglich sind, steht heute noch die Bundesrepublik. ({0}) Gegen diesen unerträglichen Zustand versucht die fünfte Kartellnovelle vorzugehen. Durch die Beschränkung der Belieferungspflicht in § 26 Abs. 2 Satz 2 auf abhängige kleine und mittlere Unternehmen erhalten nicht marktbeherrschende Hersteller wieder eine größere Freiheit in der Entscheidung über ihre Vertriebswege. Damit wird sichergestellt, daß Markenartikelproduzenten nicht wie bisher wehrlos zusehen müssen, wie große Handelsunternehmen ihre Markenwaren als Lockmittel verramschen. Die Neuregelung eröffnet auch die Möglichkeit, den Vertrieb auf den beratungsqualifizierten Fachhandel zu beschränken. Dadurch wird ausgeschlossen, daß der Verbraucher sich in mittelständischen Fachgeschäften qualifiziert beraten läßt, dann aber in erheblich billigeren Großdiscountern einkauft. Ich komme zu § 26 Abs. 4. Die neue Verbotsnorm ist eine der zentralen Regelungen der fünften GWB-Novelle, nicht etwa weil ihr Ansatz so neu wäre. Die hier bestehende Schutzlücke wollte der Deutsche Bundestag bereits im Rahmen der vierten GWB-Novelle mit gleicher Zielrichtung durch § 37 a Abs. 3 schließen. Dieser Paragraph wird inzwischen allgemein als völlig verfehlt angesehen. Ein Wissenschaftler und Experte des Wettbewerbsrechts bezeichnete diesen Paragraphen vor einiger Zeit als das Produkt eines heruntergekommenen Gesetzgebers. Mit einem dreifach gestaffelten unbestimmten Rechtsbegriff wurde diese Vorschrift damals mit so vielen Anwendungshindernissen befrachtet, daß sie in der Praxis nicht angewendet werden konnte, ein Ergebnis, das allerdings von manchen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten so gewollt war. Mit der Neuregelung des § 26 Abs. 4 beseitigen wir diesen alten § 37 a und leisten mit einer Entschlackung der Vorschrift, mit einer Umwandlung in eine Verbotsnorm und einer Neuinterpretation des Begriffs der unbilligen Behinderung einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Leistungswettbewerbs. Allerdings sind wir auf eine Mitwirkung der Rechtsprechung angewiesen, da wir auf unbestimmte, d. h. interpretationsbedürftige Rechtsbegriffe im Wettbe14086 werbsrecht nicht verzichten können, z. B. den Begriff der unbilligen Behinderung. Wir müssen ein hohes Vertrauen in die Rechtsprechung setzen, obwohl wir gerade in letzter Zeit - ich denke an die §.§ 6 d und 6 e UWG - als Gesetzgeber schwer enttäuscht worden sind. § 26 Abs. 4 legt Unternehmen mit überlegener Marktmacht im Machtgefälle gegenüber Meinen und mittleren Unternehmen erhöhte Rücksichtspflichten auf, sobald die marktmächtigen Unternehmen den Bereich des Leistungswettbewerbs verlassen. Dies bedeutet, daß bei der Interpretation des Begriffs der unbilligen Behinderung nicht einfach die Maßstäbe, die die Rechtsprechung bisher z. B. bei der Bewertung von Unter-Einstandspreis-Verkäufen im Rahmen des UWG aufgestellt hat, übertragen werden können. Eine solche Rechtspraxis würde die Novelle ad absurdum führen, weil geregelt würde, was unter geringeren Voraussetzungen bereits im UWG, nämlich in § 1, geregelt ist. Anhaltspunkt für verbotene leistungswidrige Praktiken ist die fortgeschriebene Gemeinsame Erklärung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft. Dies gilt insbesondere für die Rabattspreizung und systematische, sachlich nicht gerechtfertigte Unter-Einstandspreis-Verkäufe. Dabei ist der Unter-Einstandspreis-Verkauf nicht erst dann eine unbillige Behinderung, wenn die Existenz kleiner und mittlerer Wettbewerber vernichtet oder konkret gefährdet wird, sondern bereits dann, wenn das Wettbewerbsverhalten generell geeignet ist, die Wettbewerbssituation zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen zu verzerren, ({1}) d. h. also auch dann, wenn der Unter-EinstandspreisVerkauf systematisch, planmäßig durchgeführt wird. Die Durchsetzung hoher Rabatte ist im Horizontalverhältnis als mittelbare Behinderung unbillig, wenn sie nichtleistungsgerecht ist, sondern auf überlegener Marktmacht beruht. § 26 Abs. 5 soll eine Beweiserleichterung sein, was nur Sinn gibt, wenn nicht nur die Rechtsprechung festgeschrieben wird, sondern darüber hinausgegangen wird. Die jetzt vorhandene Regelung ist keine generelle Beweislastumkehr, aber partiell eine Beweislastumkehr, d. h. an bestimmte Begriffe und Voraussetzungen gebunden, die im Gesetz festgelegt sind. Der Wortlaut gibt das klar so her. Der Gesetzgeber hat nun seine Hausaufgaben auf einem wichtigen Feld erledigt. Es liegt jetzt an der Rechtsprechung, den Leistungswettbewerb mit ihren Entscheidungen besser abzusichern. Abschließend möchte auch ich feststellen: Die Menschen im bankrotten Sozialismus des Ostens suchen hoffnungsvoll nach besseren Lösungen. Um so mehr ergibt sich daraus für uns die Verpflichtung, das erfolgreiche Modell der Sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und von Fehlern und Schwächen zu befreien. Dies gilt in besonderem Maße für das Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Wir leisten - wie ich meine - hierzu mit der fünften Kartellnovelle einen wichtigen Beitrag. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl.

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Pinger, im Hinblick auf die Analyse, die Sie zuerst gegeben haben, stimme ich Ihnen voll zu. Aber die hier zur Beratung anstehende fünfte Kartellnovelle ist nach meiner Meinung kein Ruhmesblatt in der Geschichte dieses Gesetzes und auch dieses Hauses. Eine ganze Legislaturperiode haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien gebraucht, um einen Entwurf vorzulegen, der nach übereinstimmender Auffassung nahezu aller Experten - das hat ja auch die Befragung bewiesen - nicht geeignet ist, den zunehmenden Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft und die damit verbundene Gefahr einer wachsenden Beschränkung des Wettbewerbs zu verhindern. ({0}) Mehr als 2 000 Unternehmenszusammenschlüsse gab es allein in den Jahren 1987/88. Allein 550 Handelsunternehmen sind in dieser Zeit von anderen Unternehmen geschluckt worden. 94 Zusammenschlüsse mit einem Umsatz von 28 Milliarden DM betrafen dabei den Lebensmittelhandel. Nur 1 % der Einzelhandelsunternehmen in diesem Bereich vereinigt heute mehr als 65 % des Umsatzes auf sich. 1962 waren es lediglich 30 %. Statt dieser Entwicklung wirksam entgegenzutreten und eine grundsätzliche Überarbeitung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorzunehmen, die den Problemen wirklich gerecht geworden wäre, hat die Bundesregierung eine „kleine Reparaturnovelle" vorgelegt, ({1}) die im Bereich der Fusionskontrolle nicht greifen wird, ja, von der, wie dies ein Experte anläßlich der Anhörung ausdrückte, „noch nicht einmal ein Signal ausgehen wird". Daß das so ist, kann niemanden verwundern, der sich die Entstehungsgeschichte dieser Novellierung noch einmal vor Augen führt. Wir alle wissen doch, daß die Bundesregierung - genauer: der Bundeswirtschaftsminister - überhaupt kein Interesse an einer Verschärfung des Wettbewerbsrechtes hatte. Aus einem Wahlversprechen der CDU wurde ein „Prüfungsauftrag", der dann aus kosmetischen Gründen in dieser Vorlage endete. Es dürfte auch in den Reihen der Regierungskoalition doch wohl niemand ernsthaft daran geglaubt haben, daß diese Bundesregierung mit ihrer fünften Kartellnovelle in aller Schärfe gegen Machtkonzentration und Machtmißbrauch in der Wirtschaft vorgehen würde. Zur gleichen Zeit, als im Bundeswirtschaftsministerium eine „Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht" mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt war, tagte einige Türen weiter die „Arbeitsgruppe Industriepolitik" . Und was tat sie? Unter Federführung des damaligen Bundeswirtschaftsministers Bangemann und seines Parlamentarischen Staatssekretärs Riedl hat sie den größten Konzentrationsfall in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich Daimler-Benz/MBB, vorbereitet. Dies zeigt die wahre Interessenlage dieser Regierung. Und es verwundert demzufolge auch nicht, daß die Arbeitsgruppe Daimler-Benz/MBB sehr viel schneller zu Ergebnissen kam als die in diesem Zusammenhang geradezu zur Statistenrolle degradierte „Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht" . ({2}) - Entschuldigung, verehrter Herr Wissmann. Da müssen Sie die fragen und nicht mich. Ich bin ja nicht von Norddeutschland. ({3}) Aber die Interessenlage von Hamburg und Bremen ist wahrscheinlich eine andere als die, die wir als Bundestagsfraktion hier zu vertreten haben, wenn es um die Eigeninteressen dieser Städte und die Arbeitsplätze geht, die dort vorhanden sind und gehalten werden müssen, die aber nur gehalten werden können, wenn sie zustimmen. Wir alle kennen die Situation, in die Sie Hamburg und Bremen mit Ihren Fusionsmaßnahmen gebracht haben. ({4}) Mein Kollege Dr. Jens hat unsere Grundsatzpositionen noch einmal verdeutlicht: Wir halten es für notwendig - und sehen uns durch die Sachverständigenanhörung auch bestätigt - , daß zur wirkungsvollen Verhinderung von wettbewerbsschädlichen Fusionen eine deutliche Herabsetzung der Anteilsgrenze und vor allem die Abkoppelung vom Kriterium der Marktbeherrschung bei den Untersagungen von Unternehmenszusammenschlüssen erfolgen. Zusammen mit dem von uns gleichfalls geforderten Verbot von Größtfusionen wäre dies das geeignete Instrument, um auch die dramatische Konzentration im Einzelhandel besser als bisher bekämpfen zu können. Wir haben dies in unserem Antrag in der Drucksache 11/2017 bereits im März 1988 ausdrücklich gefordert. Gerade mit Blick auf den Handel, in dem bereits heute sechs Gruppen über die Hälfte des Umsatzes auf sich vereinigen, muß eine weitere Konzentration verhindert werden. Die Mittel der Verhaltenskontrolle allein reichen nicht aus, um die bekannten Mißstände hier zu unterbinden. Ich denke hier insbesondere an die nicht leistungsgerechten, von marktmächtigen Handelsunternehmen erzwungenen Rabatte und Konditionen. - Herr Kollege Wissmann hat ja in seiner Rede soeben einiges zu dem Thema Mißbrauch gesagt. Ich glaube, diese erzwungenen, nicht leistungsgerechten Konditionen sind eine wichtige Ursache für den besonders scharfen Verdrängungswettbewerb im Handel. Um diese Wettbewerbsverzerrungen besser als bisher bekämpfen zu können, müssen die Bestimmungen über die unbillige Behinderung in § 37 a GWB verschärft und muß vor allem eine Beweislasterleichterung bzw. -umkehr eingeführt werden. Ich begrüße es ausdrücklich, daß die Regierungskoalition wenigstens in dieser Frage lernfähig war und unseren Vorstellungen, die wir in unserem Antrag konkret erläutert hatten, zumindest tendenziell gefolgt ist. Dies gilt ganz besonders für die von uns geforderte Beweiserleichterung für Fälle der unbilligen Behinderung, die wohl gegen den Willen der Bundesregierung in das Gesetz aufgenommen wurden, weil Sie, meine Herren von der CDU/CSU, darauf gedrängt hatten. Die Regierungskoalition wäre aber gut beraten, wenn sie auch die anderen von mir bereits erwähnten Forderungen übernommen hätte und Änderungen unterlassen hätte. Ich meine beispielsweise die vorgesehene Einschränkung der Belieferungsverpflichtung nach § 26 Abs. 2 GWB, die nach unserer Auffassung dazu führen wird, daß die Preisbindung der zweiten Hand durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Mit diesem Rückfall in die 60er Jahre führt diese Koalition Wettbewerbsbeschränkungen in ein Gesetz ein, dessen Aufgabe aber darin bestehen sollte, den Wettbewerb zu sichern und ihn zu fördern. Wer auch immer der Nutznießer einer solchen Regelung sein mag, Verbraucher und kleine Einzelhändler werden es sicher nicht sein. ({5}) Dies gibt die Bundesregierung im übrigen unumwunden zu, wenn sie in der Begründung zu dieser Gesetzesänderung klipp und klar feststellt, daß sich an den Marktrealitäten in Zukunft nichts Wesentliches ändern wird, wenn die gesetzliche Verpflichtung zur Belieferung entfällt. Mit anderen Worten: Für den kleinen Einzelhändler bringt dies nichts. Ich wundere mich, daß einige von Ihnen, lieber Kollege Hinsken, die - wie auch ich - aus dem Bereich der kleinen Einzelhändlerschaft kommen, einer solchen Regelung zustimmen. ({6}) - Nur, wenn der Spatz schon die Federn verloren hat und auf dem letzten Loch pfeift, dann nutzt er mir auch nichts mehr. Eine wichtige Frage in den Ausschußberatungen war die kartellrechtliche Behandlung von Einkaufsvereinigungen im Handel. Wir sind der Auffassung, daß Kooperationen auf der Einkaufsseite als Instrument der gegengewichtigen Marktmacht für kleine und mittlere Unternehmen unentbehrlich sind. Dabei muß aus unserer Sicht selbstverständlich sichergestellt sein, daß diese Einkaufsvereinigungen auch tatsächlich die Interessen der kleinen und mittleren Einzelhändler wahrnehmen und nicht dazu mißbraucht werden, die Einkaufsmacht von Großunternehmen des Handels noch zu stärken. Die Bundesregierung will die Einkaufskooperationen nunmehr mit einem neuen § 5 c kartellrechtlich regeln. Alle betroffenen Verbände - vom Zentralverband des genossenschaftlichen Großhandels über den Deutschen Industrie- und Handelstag, den Zentralverband des Deutschen Handwerks bis hin zur Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels - haben sich entschieden gegen eine solche gesetzliche Normierung ausgesprochen, weil sie die Tätigkeit von Einkaufsvereinigungen eher behindern als fördern würde. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pfuhl, darf ich Sie nur darauf hinweisen, daß sich die Kritik der beteiligten Wirtschaft auf den ursprünglichen Entwurf richtete und daß wir große Teile der Bedenken - etwa zum Anmeldeverfahren - aufgenommen haben und daß jetzt in der zweiten und dritten Lesung ein anderer Entwurf die Grundlage ist?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wissmann, das, was bei der Anhörung herausgekommen ist, habe ich vorgetragen. Aber sollte sich in der Zwischenzeit aus Paulus ein Saulus entwickelt haben, dann könnte ich mir das nicht vorstellen. ({0}) Lassen Sie mich fortfahren. Ich glaube, wir wären gut beraten, keine neuen gesetzlichen Regelungen festzuschreiben, die nach Auffassung aller Betroffenen überflüssig, wenn nicht sogar kontraproduktiv sind und darüber hinaus auch zu mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand führen. Meine Damen und Herren, die vorliegende fünfte Kartellnovelle trägt nicht dazu bei, wettbewerbsrechtliche Strukturen wirksam zu sichern. Sie ist in manchen Punkten schädlich, in anderen überflüssig. Der eigentliche Zweck dieses unzulänglichen Gesetzentwurfs scheint mir darin zu liegen, mit großem, scheinbar mittelstandsfreundlichem Getöse davon abzulenken, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien in nur wenigen Jahren die von der sozialliberalen Koalition entwickelte und ausgebaute Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen sang- und klanglos beerdigt haben. Wer sich die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung anschaut, glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Von den 1,1 Milliarden DM im Jahre 1987 kürzt die Bundesregierung nach den Vorstellungen die Finanz-Mittelstandsförderung auf 550 Millionen DM im Jahre 1993. Das ist Ihre Vorausplanung. Dieser einzigartige Kahlschlag führt zu einer substantiellen Auszehrung der bisher sehr wirksamen Programme zum Nachteilsausgleich für kleine und mittlere Unternehmen. Betroffen sind vor allem mittelstandsbezogene Programme zur Förderung von Forschung und Entwicklung, die noch unter sozialdemokratisch geführten Regierungen eingeführt bzw. weiterentwickelt wurden. Das Personalkostenzuschußprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums zur Förderung des Forschungs- und Entwicklungspersonals in kleinen und mittleren Betrieben ist bereits 1987 eingestellt worden. Das Personalzuwachsprogramm des Bundesministers für Forschung und Technologie zur Förderung zusätzlicher Personaleinstellungen im Forschungs-und Entwicklungsbereich ist 1989 eingestellt worden. Die Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie wird nur halbherzig weitergeführt. Die Mittel werden von 50 Millionen DM in 1981 auf nur 25 Millionen DM im Jahre 1993 - so Ihre Planung - reduziert. Dabei sind die ursprünglichen Absichten der Regierung, dieses Programm sogar schon Anfang 1990 auslaufen zu lassen, noch nicht vom Tisch. Die Mittel für die Auftragsforschung im Zusammenhang mit der Entwicklung von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft im Bundesministerium für Forschung und Technologie werden ebenfalls drastisch gekürzt: von 58 Millionen DM in diesem Jahr auf planungsgemäß 21 Millionen DM im Jahre 1993. Zusätzlich zu diesem Programmkahlschlag werden die Sonderabschreibungen und Investitionszulagen für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen im Zuge der Steuerreform abgeschafft. Neben diesen Kürzungen wird auch die Existenzgründungsförderung weiter eingeschränkt. Das Eigenkapitalhilfeprogramm soll 1991 eingestellt werden. Wir halten diesen Kahlschlag - ich sage es deutlich - und auch diese Programmkürzungen für verhängnisvoll. Alle Programme haben unbürokratisch und wirkungsvoll in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen zu steigern, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen und die Existenzgründung zu erleichtern. Völlig unzureichend ist auch die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen für den EG-Binnenmarkt. Von den dazu 1990 bereitgestellten 28 Millionen DM entfallen allein 13 Millionen DM auf sogenannte Informationsmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums. Wie diese Information im Wahljahr 1990 aussehen wird, läßt sich leicht ausmalen. Herr Minister, diese öffentliche Finanzierung von Wahlpropaganda Ihrerseits kann unsere Billigung nicht finden. Sie muß verhindert werden. Statt dessen sollten zusätzliche finanzielle Mittel für qualifizierte Maßnahmen zur Beratung und Information im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt bereitgestellt werden. Dies kann man nicht durch Propaganda des Ministeriums. ({1}) - Weil sich hier zeigt, wie Sie wirklich zu den kleinen und mittleren Unternehmen stehen. Genau das ist es. Dasselbe gilt für die Fortführung der Programme zur Förderung von Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen und auch zur Gründung selbständiger Existenzen. Diese Anträge sind durchweg von der Regierungskoalition abgelehnt worden. Wir haben versucht, sie ihnen klarzumachen. Gleiches gilt für unsere Forderung, endlich auch für kleine und mittlere Unternehmen die steuerPfuhl freie Investitionsrücklage einzuführen. Viele von Ihnen haben mir persönlich gesagt: Jawohl, richtig wäre es, aber der Finanzminister blockiert. Die entscheidende Möglichkeit dabei wäre, Liquidität und Kapitalgrundlage der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken und so auch die Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen zu erleichtern. Das ergäbe sich durch diese steuerfreie Investitionsrücklage. ({2}) Ich glaube, hier zeigt sich das wahre Gesicht Ihrer Mittelstandspolitik. Ich bedaure diejenigen, die als Mittelständler solche Politik mit unterstützen müssen. Meine Damen und Herren, diese konkreten Beispiele zeigen, daß diese Bundesregierung ganz bewußt die gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zerstört. Die hier in der zweiten und dritten Lesung zu behandelnde, sachlich völlig unzureichende fünfte Kartellnovelle ist nichts anderes als ein Deckmäntelchen, unter dem die Bundesregierung ihren Ausverkauf der Mittelstandspolitik zu verbergen versucht. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich, wenn ich auch mit den Ausführungen meines Vorredners Pfuhl nicht übereinstimme, doch die Möglichkeit nutzen, ihm zu seinem 60. Geburtstag vor wenigen Tagen auf das herzlichste zu gratulieren. ({0}) Diese Gratulation kommt über Fraktionsgrenzen hinweg, weil wir wissen, daß er in den Ausschüssen immer ein sehr netter, aufgeschlossener Kollege ist. ({1}) Ich meine aber - um diese Geburtstagsfreude gleich ein bißchen zu dämpfen - , lieber Kollege Pfuhl: Selten hat eine Regierung so viel für den Mittelstand getan wie die momentane Regierung, in der Dr. Waigel Finanzminister und Helmut Haussmann Wirtschaftsminister ist. ({2}) Ich meine, auch in Erinnerung bringen zu müssen, daß gerade in der Zeit der sozialliberalen Koalition die meisten kleinen und mittelständischen Betriebe von der Bildfläche verschwunden sind. Auch dies wurde jetzt umgedreht. Wir können etwa feststellen, daß der Drang in die Selbständigkeit wieder vermehrt eingesetzt hat. Jetzt aber zum konkret gestellten Thema, das wir heute abhandeln sollen. Es geht schließlich um die Novellierung des Kartellrechts, und zwar um die sofortige Novellierung. Wir können nicht zunächst eine europäische Regelung abwarten. Hier muß sich die SPD durch die harte Sprache der Tatsachen belehren lassen, lieber Kollege Dr. Jens. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, was Sie meinten uns heute vortragen zu müssen. Allein für die Jahre 1987/88 meldet das Bundeskartellamt eine Rekordhöhe an Unternehmenszusammenschlüssen. 550 Handelsunternehmen sind von anderen Unternehmen übernommen worden. ({3}) Dabei liegt der Schwerpunkt im Lebensmittelhandel mit 94 Zusammenschlüssen und 28 Milliarden DM Umsatzvolumen. Ein Ende dieses Konzentrationsprozesses ist nicht in Sicht, und der Mißbrauch von Marktmacht nimmt zu. Wir können nicht mehr ausschließen, daß schon Mitte der 90er Jahre nur 50 Unternehmen zwei Drittel des Umsatzes im europäischen Lebensmittelhandel auf sich vereinigen werden. Wir greifen der Europäischen Gemeinschaft nicht vor, Herr Kollege Jens, wenn wir in der Bundesrepublik unsere Hausaufgaben machen. Der Hauptteil der Unternehmenszusammenschlüsse im Handelsbereich wird auch künftig unter der europäischen Eingriffsschwelle von 5 Milliarden ECU liegen und in nationaler Verantwortung bleiben. Die Wettbewerbspolitik in unserem Lande steht in der Kontinuität der Sozialen Marktwirtschaft. Sie dient dem Ziel, die Selbständigkeit und Handlungsfreiheit einer Vielzahl von Unternehmen zu sichern. Das erfordert Machtkontrolle und Schutz des Leistungswettbewerbs. In dieser Zielsetzung ist die Wettbewerbspolitik nicht zuletzt auch Politik für kleine und mittlere Unternehmen. Daran orientiert sich unsere Haltung zur Reform des Kartellrechts. Besonders möchte ich den neuen § 5 c hervorheben, der heute schon mehrmals apostrophiert wurde. Er wurde zunächst vielfach mißverstanden. Künftig sollen kleine und mittlere Unternehmen ihr Einkaufsvolumen kooperativ bündeln können, ohne gegen das Kartellverbot zu verstoßen. ({4}) Die SPD irrt sich, wenn sie diese Regelung für überflüssig hält. Denn der § 5 c ermöglicht es den kleinen und mittleren Unternehmen, im Verhältnis zu Großbetrieben eine Gegenmachtposition aufzubauen, die schon das Entstehen von Nachfragemacht erschwert. Wettbewerbspolitisch positive Einkaufskooperationen erhalten so eine sichere Rechtsgrundlage für ihre Arbeit. Wir haben für eine Ausgestaltung des § 5 c gesorgt, die in der praktischen Durchführung zu wettbewerblich tragbaren Ergebnissen führen wird, wie dies bei anderen mittelstandsfreundlichen Kartellausnahmen auch gelungen ist: Erstens. Der Freistellungsbereich für mittelständische Kooperationen wurde über den Einkauf hinaus auf alle damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten erweitert. Zweitens. Ein genereller Bezugszwang wird im Rahmen der Kooperationsvereinbarungen unzulässig sein. Der Ausschußbericht stellt jedoch klar, daß vertikale Bindungen der Kooperationszentrale mit einzelnen Mitgliedern, z. B. bei Kreditvergaben anläßlich der Existenzgründung neuer Mitglieder möglich bleiben. Drittens. Jede unnötige Bürokratie wird vermieden; das ist auch ein wesentlicher Gesichtspunkt, der hier angesprochen werden muß. Das Anmeldeverfahren ist entfallen. Wir gehen davon aus, daß Einkaufskooperationen in wettbewerbsrechtlich relevanter Größenordnung den Kartellbehörden nicht verborgen bleiben. Eine Verbesserung sehe ich auch bei der Fusionskontrolle. Hier werden zwei nachfragebezogene Elemente in den Kriterienkatalog des § 22 Abs. 1 Nr. 2 zur Bestimmung der Marktstärke eines Unternehmens einbezogen, nämlich die Fähigkeit eines Unternehmens, sein Angebot oder seine Nachfrage umzustellen, und die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen. Damit sollen der Rechtsprechung ein Signal und die Möglichkeit der Fortentwicklung der bisherigen Rechtsanwendung gegeben werden. Auf jeden Fall muß eine Fusion von zwei der sechs größten Unternehmen verhindert werden. Darin sind sich doch Regierung und Gesetzgeber, insgesamt gesehen, einig. ({5}) - Gerade von Ihrer Seite wurde auch das heute angesprochen, Herr Dr. Jens. Eine wettbewerbsschädliche Konzentration von Nachfragemacht muß unmöglich gemacht werden. Entscheidend ist, daß auch die Gerichte diese Auffassung nachvollziehen. Sollten die jetzt beschlossenen Kriterien zur Fusionskontrolle nicht ausreichen, werden wir, so meine ich, auf den bayerischen Vorschlag einer eigenständigen Definition der Nachfragemacht und daran anschließender gesetzlicher Vermutungen zurückkommen müssen. Ich bitte vor allem Sie, meine Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, das zur Kenntnis zu nehmen und dann eben das Augenmerk darauf zu richten, ob dringendster Handlungsbedarf gegeben ist. Entsprechendes gilt für die Frage der systematischen Verlustpreisverkäufe, die wir gern als Beispielfall unbilliger Behinderung in das Gesetz und nicht nur in die Begründung des Gesetzes aufgenommen hätten. Uns allen geht es darum, die Möglichkeiten zu verbessern, gegen unbillige Behinderungen kleiner und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht vorzugehen. Ein Schritt in diese Richtung ist mit der Umwandlung und Vereinfachung der ursprünglich in § 37 Abs. 3 nur den Kartellbehörden eingeräumten Untersagungsbefugnis in ein Verbot zweifellos getan. Betroffene Unternehmer können sich nunmehr selbständig auf dem Zivilrechtsweg gegen unbillige Behinderungen durch überlegene Wettbewerber zur Wehr setzen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dieses Klagerecht durch Beweiserleichterungen in § 26 für den Kläger effizient auszugestalten; denn die den Anspruch begründenden Tatsachen liegen oft im Geschäftsbereich des überlegenen Wettbewerbers, von dem die unbillige Behinderung ausgeht. In der Praxis wird sich nun zeigen müssen, ob die zivilrechtliche Klagemöglichkeit in Verbindung mit der verbesserten Beweislastregelung auch dazu beitragen kann, das Kernproblem des Machtmißbrauchs, nämlich das Gewähren oder Fordern ungerechtfertigter Vorzugskonditionen, in den Griff zu bekommen. Das Problem ist hier, daß die unbillig behinderten Unternehmen vielfach den Gang zur Kartellbehörde oder zum Gericht und die Offenlegung ihres Konditionensystems scheuen, weil sie weitergehende Behinderungen durch den Nachfrager befürchten. Es bleibt zu hoffen, daß mit den zivilrechtlichen Beweiserleichterungen die Erfolgsaussichten in der Verteidigung gegen mißbräuchliche Ausübung von Nachfragemacht wachsen und das Problem der Konditionenspreizung dadurch zumindest deutlich abgemildert wird. Anderenfalls müßte auch hier auf den bayerischen Vorschlag, den ich vorhin schon besonders erwähnt habe, nämlich eine Auskunftsbefugnis für die Kartellbehörde, zurückgegriffen werden. ({6}) - Gerade aus dem Land Bayern kommen immer gute Vorschläge, Herr Kollege Oswald. ({7}) Man wäre gut beraten, hierauf mehr Augenmerk zu richten ({8}) und sich das eine oder andere sagen zu lassen und auch das eine oder andere von dem umzusetzen, was hier gerade von München an Vorschlägen und an Aussagen kommt. ({9}) Von den Ausnahmebereichen möchte ich in der Kürze der Zeit nur die Energieversorgungsunternehmen, den § 103, ansprechen. Bayern hatte hier im Bundesrat eine Mehrheit für seinen Vorschlag für eine einzelfallbezogene Synchronisierungsregelung von Demarkations- und Konzessionsverträgen und zur Präzisierung der Mißbrauchsaufsicht gefunden. Der Bundesrat war der Ansicht, daß eine generelle relative Unwirksamkeit von Demarkationsverträgen beim Auslaufen eines Konzessionsvertrages das Demarkationsprivileg in seinem Kern berührt, so daß es in Flächenstaaten zu einem Auszehren von Versorgungsgebieten kommt und gerade kleinere Abnehmer dafür mit höheren Preisen bezahlen müssen. Die Lage hat sich seither allerdings verändert. Durch die neue Bundestarifordnung Elektrizität wurde die Preisaufsicht erweitert. Der Abgabepreis der Erzeugerunternehmen an Verteilerunternehmen ist jetzt der Preisaufsicht unterworfen worden. Mit Rücksicht auf diese veränderte Situation erscheint der Regierungsvorschlag auch aus Sicht meiner Kollegen jetzt akzeptabel. Nach den mir vorliegenden Informationen - das ist für die Kollegen meiner Fraktion wichtig - wird Bayern im Bundesrat wegen dieser Frage nicht die Anrufung des Vermittlungsausschusses beantragen. Ihre diesbezüglichen Sorgen, Herr Bundeswirtschaftsminister, sind unbegründet. Damit wird die Kartellgesetznovelle zum 1. Januar 1990 in Kraft treten können. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die CDU/CSUFraktion, insbesondere die Kollegen Wissmann, Hauser, Professor Pinger und vor allen Dingen meine Freunde aus der CSU, haben sich in besonderem Maß für eine Novellierung des Kartellrechts eingesetzt, um die Instrumente gegen den Mißbrauch und die Entstehung von Nachfragemacht wirksamer auszugestalten und nicht mehr gerechtfertigte Ausnahmen vom allgemeinen Kartellrecht zu beseitigen. In einer Koalition muß man bereit sein, Kompromisse zu schließen. Die Zeit drängt. Wir haben nicht alle unsere Wünsche durchsetzen können - wir von der CSU wollten natürlich mehr, Herr Bundeswirtschaftsminister - , aber wir haben viel erreicht. Deshalb stimmen wir der Novelle zu. Sie bringt Verbesserungen, deren Tragweite es nunmehr auszuloten gilt. Kartellbehörden, Kartellgerichte und vor allem die Unternehmen selbst sind aufgerufen, im Interesse des Wettbewerbs der Novelle zum Erfolg zu verhelfen. Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Drucksachen 11/4610 und 11/5949. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit ist das angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5976? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5978? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5630 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD zur Stärkung des Wettbewerbs und der Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht auf Drucksache 11/2017 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit Mehrheit ist dieser Antrag auf Ablehnung angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5629. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4069 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit ist der Ausschußempfehlung zugestimmt worden. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5631 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4070 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit großer Mehrheit ist der Ausschußempfehlung zugestimmt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5628. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4378 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist der Antrag des Ausschusses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts - Drucksache 11/5700 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0}) - Drucksache 11/5979 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Wilms-Kegel ({1}) Meine Damen und Herren, es ist der Vorschlag gemacht worden, die Beiträge zur Aussprache zu Protokoll zu geben. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. *) Damit haben wir die Chance, daß wir ungefähr gegen Mitternacht fertig werden. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts, Drucksache 11/5700 und 11/5979. Ich rufe Art. 1 bis 3, 4 Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift sind mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. *) Anlage 2 Vizepräsident Stücklen Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltung? - Eine Enthaltung. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tierzuchtgesetzes - Drucksache 11/4868 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) - Drucksache 11/5931 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Göhner Oostergetelo ({3}) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5991 vor. Meine Damen und Herren, es soll genau wie beim vorigen Tagesordnungspunkt verfahren werden, daß also die Beiträge zu Protokoll gegeben werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. *) Wir kommen dann zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Tierzuchtgesetzes in der Ausschußfassung. Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über § 1 in der Ausschußfassung ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist § 1 in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer stimmt für § 2 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit großer Mehrheit ist § 2 in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe den § 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für den Änderungsan- *) Anlage 3. Die Rede des Abgeordneten Göhner wird als Anlage im Plenarprotokoll 11/183 abgedruckt. trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen über den § 3 in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist der § 3 mit großer Mehrheit in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die §§ 4 bis 13 auf. Wer für diese Paragraphen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. - Mit großer Mehrheit sind die §§ 4 bis 13 angenommen. Ich rufe den § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 4 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer für den § 14 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der § 14 ist mit großer Mehrheit in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe die §§ 15 bis 20 auf. Wer für diese Paragraphen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. - Die §§ 15 bis 20 sind mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe § 21 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5991 unter Nr. 5 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer ist für diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer für den § 21 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 21 ist mit großer Mehrheit angenommen. Ich darf einmal sagen, daß immer, wenn bei diesem Gesetz Gegenstimmen waren, diese aus der Fraktion DIE GRÜNEN kamen. Ich rufe die §§ 22 und 23, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen liegen keine vor. Mit großer Mehrheit sind diese Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN Vizepräsident Stücklen Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren durch Perchloräthylen und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe - Drucksachen 11/1673, 11/3924 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Lippold ({5}) Müller ({6}) Frau Garbe Meine Damen und Herren, hier soll genauso verfahren werden wie bei Tagesordnungspunkt 11: die Beiträge sollen zu Protokoll genommen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. *) Herr Dr. Göhner wünscht das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, die CDU/CSU-Fraktion beantragt die Rücküberweisung der Drucksachen 11/1673 und 11/3924 an den Ausschuß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Rücküberweisung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe? - Die Rücküberweisung ist einstimmig beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schmidt ({0}), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Dobberthien, Egert, Faße, Fuchs ({1}), Fuchs ({2}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kuhlwein, Koschnick, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Müller ({3}), Dr. Niehuis, Odendahl, Peter ({4}), Renger, Seuster, Simonis, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Kretkowski, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Auswirkungen der Privatisierung von Reinigungsdiensten und zu den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen im Bereich der Bundesverwaltung, der Bundesgerichte, der in bundeseigener Verwaltung geführten Einrichtungen sowie in den bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts - Drucksachen 11/2366, 11/4129 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Faße, Schmidt ({5}), Dr. Penner, Roth, Dreßler, Dr. Däubler-Gmelin, Adler, Bachmaier, Bekker-Inglau, Bernrath, Blunck, Börnsen ({6}), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Egert, Fuchs ({7}), Fuchs ({8}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kretkowski, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Müller ({9}), Dr. Niehuis, Odendahl, Paterna, Peter ({10}), Renger, Schröer ({11}), Seuster, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, *) Anlage 4. Die Reden der Abgeordneten Göhner und Baum werden als Anlagen im Plenarprotokoll 11/183 abgedruckt. Walther, Weiler, Dr. Wegner, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen bei der Deutschen Bundespost - Drucksache 11/3997 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen ({12}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Faße, Schmidt ({13}), Dr. Penner, Roth, Dreßler, Matthäus-Maier, Dr. Däubler-Gmelin, Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Bernrath, Blunck, Dr. Böhme ({14}), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Egert, Fuchs ({15}), Fuchs ({16}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kastner, Kolbow, Kretkowski, Kuhlwein, Leidinger, Luuk, Müller ({17}), Dr. Niehuis, Odendahl, Opel, Peter ({18}), Renger, Schulte ({19}), Seidenthal, Seuster, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Dr. Wegner, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung - Drucksache 11/5689 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({20}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Im Ältestenrat wurde für die Aussprache über die beiden Tagesordnungspunkte eine Redezeit von einer Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Faße. ({21})

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei passenden und unpassenden Gelegenheiten umgibt sich der Bundesminister für Post und Telekommunikation gerne mit dem Mäntelchen, ein frauenfreundlicher Arbeitgeber zu sein. Seine öffentlichkeitswirksamen Klänge stehen aber einmal mehr im krassen Gegensatz zur betrieblichen Wirklichkeit, zur Situation der allermeisten Frauen bei der Deutschen Bundespost. „Senkung der internen Produktionskosten", „betriebsangepaßte Dienstplangestaltung" sind nur zwei Stichworte für die unterm Strich eher als frauenfeindlich zu bezeichnende Politik von Dr. Schwarz-Schilling. Urlaubsrückstände, steigende Krankenzahlen und Frühverrentungen sowie Überstundenberge sind nur einige der Auswirkungen dieser unsozialen Politik. Ein dazu genutztes Instrument ist die Teilzeitbeschäftigung, sie betrifft in erster Linie Frauen. Die Postfrauen bilden innerhalb der Teilzeitbeschäftigten bei der Deutschen Bundespost die absolute Mehrheit. Von 98 000 Teilzeitbeschäftigten sind über 90 000 Frauen. Der Frauenanteil nimmt weiter zu. Diese teilzeitbeschäftigten Postfrauen werden arbeits- und tarifrechtlich vielfach diskriminiert. So z. B. besitzen sie oftmals keinen Anspruch auf Zusatzversorgung, sind ihre Kündigungsschutzfristen kürzer, sind sie vom Schutz gegen Rationalisierungsmaßnahmen weitestgehend ausgenommen und dienen demzufolge nicht selten als Rationalisierungspuffer und werden hinsichtlich der Gewährung von Erschwerniszulagen und deren Sicherung - z. B. nach Arbeitsunfällen - schlechtergestellt. Meines Erachtens liegt hier eindeutig - auch im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - eine unzulässige Diskriminierung von Frauen vor. Immer mehr Vollzeitarbeitsplätze werden bei der Bundespost zugunsten von Teilzeitarbeit gesplittet. Viele Frauen stehen in „Mini-Arbeitsverhältnissen" mit Wochenarbeitszeiten von z. B. 12 oder 14 Stunden. Das Einkommen reicht nicht einmal aus, um die eigene Existenz zu sichern, geschweige denn, Kinder davon mitzuversorgen. Auf der sozial nächstniedrigen Stufe rangieren Frauen in sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Da ihre Arbeitszeit unter der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze liegt, existiert für sie faktisch kein arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Schutz mehr. Enorm zugenommen hat bei der Post die sogenannte Abrufarbeit. Wegen der extrem ungeschützten Lage dieser Abrufkräfte werden selbst noch die minimalsten Arbeitnehmerschutzvorschriften unterlaufen. Mit bis zu 300 Abrufen, also Arbeitseinsätzen, im Jahr werden Versicherungspflichtgrenzen umgangen, Arbeitnehmerschutzrechte ad absurdum geführt und die Rechte der Personalräte unterlaufen. Folgende Beispiele werden die diskriminierende Behandlung der Betroffenen erläutern. Wie der Parlamentarische Staatssekretär Rawe 1988 auf meine Frage selber festgestellt hat, machen es die betrieblichen Erfordernisse bei der Deutschen Bundespost nötig, „einen hohen Arbeitsaufwand in oft sehr kurzen Zeiträumen zu erbringen" . Angesichts der sich verschärfenden Arbeitsbelastung ist es nicht verwunderlich, daß der Krankenstand bei der Bundespost sehr hoch ist. Es stellt sich die Frage des direkten Zusammenhangs zwischen Arbeitsbelastung und Krankheitsfall. Diese Frage will sich offenbar der Bundesminister aber nicht stellen. Ihm assistiert dabei der Bundesrechnungshof. Anstatt die Ursachen des hohen Krankenstandes bei der Arbeitsbelastung zu suchen, um dann entsprechend nicht an Symptomen zu kurieren, sondern die Ursachen zu beseitigen, werden die Gründe offenbar im sozialen Umfeld der Betroffenen gesucht. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn der Bundesrechnungshof bei einer Erfassung der erkrankten Beschäftigten neben Namen und Vornamen auch die Nationalität, den Familienstand und die Anzahl der nach dem 31. Dezember 1979 geborenen Kinder festgehalten hat. Auf die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen dieses Verfahren will ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Aber die Vermutung liegt doch nahe, daß beabsichtigt war - man hat es mir ja nicht zugestanden - , aus diesen Daten Schlußfolgerungen zu ziehen - wozu würden sie sonst erhoben werden? - , Schlußfolgerungen, die die Ursachen bei den Betroffenen selbst und nicht bei der zu hohen Arbeitsbelastung suchen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die Arbeitssituation der Frauen im ländlichen Raum. Die Deutsche Bundespost ist dort oft neben dem eventuell noch vorhandenen TanteEmma-Laden und einem Spielkreis für Kinder der einzige Arbeitgeber. Das liegt unter anderem daran, daß die Männer mit dem Auto zur Arbeit fahren und die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs bekanntermaßen schlecht sind. Den Frauen werden nun durch die neuen Bemessungszahlen die geringen Arbeitsmöglichkeiten nochmals eingeschränkt. Die Folge ist wiederum der zuvor erwähnte Konzentrierungseffekt zum finanziellen und gesundheitlichen Nachteil der Frauen. Der Bundesminister für Post und Telekommunikation ist aufgefordert, mit Hilfe eines offensiven Dienstleistungskonzepts für die Poststellen die ländliche Infrastruktur zu stärken und die Arbeitssituation der dort Beschäftigten zu verbessern. Diese Personalpolitik der maximierten Effizienz gegenüber dem minimalsten Einsatz läßt die Statistiken allerdings aufblühen. Nur Frauen halten dafür ihren Kopf hin. Durch den Trick des Köpfezählens erscheinen die beiden Personen, die sich einen Arbeitsplatz teilen, als Verdoppelung des Personaleinsatzes. Das ist der blanke Hohn, wenn man bedenkt, daß damit zwei Frauen die Möglichkeit der arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung genommen wird. Es zeigt sich auch die Tendenz, Arbeiterinnen und Angestellte schlechter als Beamtinnen zu stellen. Während letztere das Recht haben, im Rahmen von Sonderurlaub bis zu neun Jahre lang Angehörige und Kinder zu betreuen, wird dieses Recht Angestellten nur eingeschränkt auf sechs Jahre und dann lediglich zur Kinderbetreuung gewährt. Es geht doch wohl nicht an, daß sich die Deutsche Bundespost als größter Arbeitgeber ihrer arbeitspolitischen Verantwortung entzieht. Aus diesem Grunde wird die Bundesregierung aufgefordert, folgende Forderungen im Bereich der Bundespost sicherzustellen: Alle ungeschützten Arbeitsverhältnisse müssen schrittweise abgebaut werden und müssen in der Regel in Zukunft unterbleiben. Die Tendenz, über das Absenken von Wochenarbeitszeit geringfügige Beschäftigungsverhältnisse herbeizuführen, muß gestoppt werden. Das heißt im Klartext, daß Teilzeitarbeitsverträge mit mindestens der Hälfte der Wochenarbeitszeit abgeschlossen werden müssen. Bestehende Verträge, die weniger als die Hälfte der Wochenarbeitszeit beinhalten, sind entsprechend umzuwandeln. Natürlich bedeutet dies auch, daß Rationalisierungsmaßnahmen keine Minderung der Wochenarbeitszeit unter deren Hälfte zur Folge haben dürfen. Teilzeitbeschäftigung ist rechtlich und tatsächlich mit Vollzeitbeschäftigung gleichFrau Faße zustellen. Gleichzeitig sind teilzeitbeschäftigte Frauen, die eine Vollzeitbeschäftigung wünschen, bei der Vergabe von freiwerdenden Arbeitsplätzen zu bevorzugen. Angestellte und Arbeiterinnen müssen bei der Gewährung von familienbedingtem Sonderurlaub Beamtinnen gleichgestellt werden. Ersteren muß die Möglichkeit der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen genauso gegeben werden wie ihren beamteten Kolleginnen. Der Wiedereinstieg in das Berufsleben muß für diese Frauen erleichtert werden. Das heißt, daß die Möglichkeit zum beruflichen Kontakthalten durch Fortbildung, durch Aushilfen oder Urlaubsvertretungen und durch Auffrischungskurse gegeben sein muß. Es müssen für Frauen bei der Deutschen Bundespost Rahmenbedingungen geschaffen werden, die verbesserte Arbeitsmöglichkeiten nach sich ziehen. Dazu gehört, daß die Vorschläge der Postgewerkschaft zur humanen Gestaltung des Arbeitsablaufs umzusetzen sind. In diesem Zusammenhang sind Forschungsprojekte, die die Arbeitsbelastung von Frauen zum Inhalt haben, in Auftrag zu geben. Gleichzeitig muß die Arbeit von Frauenbeauftragten - ich spreche im Plural - bei der Deutschen Bundespost verbessert werden. Hierzu gehören feste Planstellen für Frauenbeauftragte und das Einrichten von Planstellen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ein Frauenförderungsplan für die Post ist auf jeden Fall erforderlich. Aber nicht nur die Post ist ein frauenfeindlicher Arbeitgeber. Unsere Große Anfrage zu Frauen im Reinigungsdienst bei der Bundesverwaltung und ihr unterstellten Bereichen zeigt eindeutig, daß bei Verträgen mit Privaten in der Regel die Frauen große Nachteile haben. Auf rund 60 Seiten versucht die Bundesregierung in ihrer Antwort zu rechtfertigen, daß und warum in der überwiegenden Mehrzahl der Bundesbehörden und der Einrichtungen des Bundes, der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts geringfügige Beschäftigung insbesondere von Hausfrauen üblich ist, sei es über private Reinigungsfirmen, sei es durch die Bundesbehörden selbst. Über solch eine kurzsichtige und auf unmittelbar betriebswirtschaftliche Aspekte eingeengte Sichtweise kann man nur noch den Kopf schütteln. Sicher muß unser derzeitiges Haushaltsrecht dazu verleiten, in voneinander getrennten Titeln und Haushaltstöpfen zu denken. Von der Bundesregierung erwarten wir jedoch, daß sie in der Lage ist, auch die mittel- und langfristigen gesellschaftlichen Kosten zu berücksichtigen und in Rechnung zu stellen. Es dürfte bekannt sein, daß eine Folge der geringfügigen Beschäftigung die Armut von Frauen im Alter ist. Im Juli 1987 belief sich die Durchschnittsrente einer Arbeiterin auf 491,10 DM, die eines Arbeiters auf 1 316,40 DM. Keine oder unzureichende Rentenansprüche als Folge früherer geringfügiger Beschäftigung müssen also über die Sozialhilfe aufgefangen werden. Die Bundesregierung „spart" hier ganz bewußt auf Kosten der Gemeinden. Trotz der Ankündigungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom Januar 1987, also vor der letzten Bundestagswahl, in der 11. Legislaturperiode die geringfügige Beschäftigung abzuschaffen, sieht die Bundesregierung darin keinerlei unsoziale Personalpolitik. Trotz erwiesener erheblicher Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Frauen im Reinigungsdienst durch Privatisierung, z. B. höhere Leistungsanforderungen, Zunahme der gesundheitlichen Belastungen durch Akkordarbeit und isoliertes Arbeiten, Nachtarbeit und vor allem Arbeitsplatzverluste insbesondere von Vollzeitarbeitsplätzen, vermag die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen Privatisierung von Reinigungsarbeiten und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten nicht zu erkennen. Gleichzeitig bestätigt sie die Tatsache, daß die Sozialversicherungsuntergrenze in der Praxis häufig mißbraucht wird. Ich fordere als ersten Schritt, daß alle erwähnten Einrichtungen die Pflicht zur Sozialversicherung als Auflage bei Vergabe an Private machen. Dies geschieht in einigen Ministerien, in einigen aber überhaupt nicht. Das ist natürlich im Gesamtzusammenhang wirklich nur ein erster minimaler Schritt. Aber da das in einigen Ministerien schon möglich ist, fragt man sich, warum diese Einsicht eigentlich nicht in allen Ministerien vorhanden ist. ({0}) Dieser Eiertanz bestätigt die Richtigkeit der SPDForderung nach Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten- und Krankenversicherung, ({1}) wie sie die SPD-Bundestagsfraktion zuletzt in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung von Mann und Frau im Berufsleben vorgebracht hat. Alle Fraktionen haben im Zusammenhang mit der Vereinbarung zur Rentenreform Handlungsbedarf erkannt. Die Regierung muß, um glaubwürdig zu sein, erst einmal bei sich anfangen und in ihrem Bereich diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abschaffen. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Kappes.

Dr. Franz Hermann Kappes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche hier zu den Punkten 13 a und 13 c der Tagesordnung, Frau Kollegin Schätzle anschließend zum Punkt 13 b. Meine Damen und Herren, eigentliches Ziel sowohl der Großen Anfrage der SPD zu den Auswirkungen der Privatisierung von Reinigungsdiensten und zu den sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen in der Bundesverwaltung als auch des Antrags der SPD zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch - wie es dort heißt - Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung ist es, wie wir eben noch einmal von Frau Kollegin Faße gehört haben, die Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu beseitigen oder, wie es unter II Ihres Antrags unklar und, wie ich denke, offenkundig auch etwas unsicher heißt, „die weitgehende Abschaffung" dieser Grenzen zu betreiben. Dieses Wörtchen „weitgehend" läßt bereits erkennen, daß Sie selbst daran zweifeln, ob eine völlige Abschaffung den Erfordernissen unserer Gesellschaft gerecht würde. In der Tat kommen wir heute in vielen Lebensbereichen ohne solche kurzfristigen Beschäftigungen gar nicht aus. ({0}) In den öffentlichen Verwaltungen gilt dies wegen der dortigen Besonderheiten im wesentlichen für die Bundespost und für die Bundesbahn, im übrigen aber, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung vor allem für die vielfältigen Erfordernisse des Gebäudereinigungsdienstes. ({1}) Nun kann allerdings leider nicht bestritten werden, daß es auf dem Gebiet der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse zu verschiedenerlei Mißständen gekommen ist und auch noch kommt. ({2}) Manches hat sich da schon gebessert, ({3}) aber einiges bleibt auch noch zu tun, wie ich durchaus anerkenne. ({4}) Dem dienen, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, vor allem die Anhebung der Pauschalsteuersätze bei Teilzeitbeschäftigten zum 1. Januar 1990 zur Minderung von Wettbewerbsverzerrungen, ({5}) die Anfang dieses Jahres in Kraft getretene Neuregelung über die Meldepflicht in der Sozialversicherung und insbesondere die bereits beschlossene Einführung eines Sozialversicherungsausweises als voraussichtlich sehr wirksames Mittel gegen den Mißbrauch der Sozialversicherungsuntergrenze. Unser gemeinsames Ziel muß es bleiben, jeglichen Mißbrauch auf diesem Gebiet zu unterbinden. Ich sage das ausdrücklich und sehr betont. ({6}) Was die SPD nun allerdings möchte, ist: statt einer intelligenten Bekämpfung des Mißbrauchs einer an sich guten Sache, ({7}) diese als solche kurzerhand abzuschaffen, nach dem Motto: Wenn es keine sozialversicherungsfreien Kurzzeitbeschäftigungsverhältnisse mehr gibt, kann man sie auch nicht mehr mißbrauchen. ({8}) So einfach ist das! In Wahrheit muß das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis, also die sozial abgesicherte Teilzeitarbeit, zwar unbedingt der Regelfall und dürfen geringfügige Beschäftigungen nur die Ausnahme sein, aber sinnvoll oder gar notwendig sind sie nun einmal in einer so stark entwickelten Dienstleistungsgesellschaft mit flexiblen Arbeitszeiten wie der unseren allemal. ({9}) Dabei wird für den Regelfall zu Recht davon ausgegangen, daß der Beschäftigte oder - hier meistens - die Beschäftigte in diesen Fällen ihre Existenz auf andere Weise sichert und deshalb ein zusätzlicher solidarischer Schutz in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nicht erforderlich ist. ({10}) Insoweit stimmen wir der Antwort der Bundesregierung - die Sie, Frau Kollegin Faße, nach meiner Beobachtung nicht mit beiden Augen, sondern sorgfältig nur mit dem linken gelesen haben - auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion ausdrücklich zu. Was bleibt, ist also die Notwendigkeit einer wirksamen Bekämpfung des Mißbrauchs. Das gilt zweifellos in besonderem Maße für den großen Wirtschaftssektor Gebäudereinigung. Hier sind allerdings die Arbeitsverhältnisse von Arbeitskräften mit geringfügiger Beschäftigung durchaus tarifvertraglich abgesichert. Außerdem ist, soweit die öffentliche Hand Reinigungsaufträge erteilt, nach der Verdingungsordnung für Leistungen, also der VOL, Teil B, der Auftragnehmer nicht nur für die Erfüllung der gesetzlichen, polizeilichen und berufsgenossenschaftlichen Verpflichtungen verantwortlich, sondern er hat auch sein Verhältnis zu den Arbeitnehmern, wie es dort heißt - sicher auslegungsfähig - unter Beachtung bestehender Tarifverträge zu regeln. Es ist daher eigentlich nicht unbedingt erforderlich, zusätzlich noch einzelvertragliche Vereinbarungen hierzu zu treffen. Die Bundesregierung empfiehlt daher in ihrer Antwort lediglich eine besonders sorgfältige Prüfung der Zuverlässigkeit der Auftragnehmer auch in der Frage der Erfüllung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen. Persönlich meine ich allerdings, meine Damen und Herren, insoweit nicht ganz in Übereinstimmung mit der hier zurückhaltenderen Stellungnahme in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD, daß man zumindest beim Abschluß künftiger Verträge, insbesondere eben im Bereich der Gebäudereinigung, durchaus auch einzelvertragliche Regelungen gegen den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenzen vereinbaren sollte. Die öffentliche Verwaltung könnte so ihrer Vorbildfunktion demonstrativer als rechtlich eigentlich nötig gerecht werden. Mehrere Bundesministerien haben ja auch bereits gewisse Bedenken zurückgestellt und sind hier den Vorstellungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gefolgt, so übrigens auch das Bundeskanzleramt und der BunDr. Kappes desminister des Innern. Hier wäre Einheitlichkeit in der Bundesverwaltung und in den Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und sonstigen Einrichtungen des Bundes auch nach meiner Auffassung wünschenswert. In diesem Sinne lehnen wir also die Abschaffung der Geringsfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung ab, wenden uns aber ebenso entschieden gegen jeden Mißbrauch. Der Überweisung des Antrages auf Drucksache 11/5689 in die Ausschüsse stimmen wir zu. Dabei bin ich jedoch der Auffassung, daß auch der Innenausschuß des Bundestages - Sie werden mir das nicht verdenken - zumindest mitberatend, zu Punkt I des Antrages eigentlich sogar federführend, beteiligt werden müßte. ({11}) Ich möchte Ihnen, Frau Kollegin Faße, allerdings empfehlen, doch die Antwort der Bundesregierung auch unter dem Gesichtspunkt der Abrufkräfte der Bundespost noch einmal sehr sorgfältig zu lesen. Sie haben selbst von Aushilfenotwendigkeiten gesprochen. Das werden halt häufig Kräfte sein, die sozialversicherungsfrei kurzzeitig zu beschäftigen sind. Es wird dort auch nur im Notfall davon Gebrauch gemacht. ({12}) - Das ist eine gute Sache, wenn die Studenten diese Chance haben. Sie sollten sich die Zahlen noch einmal genau ansehen. Im übrigen stimmen wir der Überweisung zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nach der Reihenfolge käme jetzt Herr Abgeordneter Herr Hoss. Aber er ist nicht anwesend. ({0}) - Gut. Dann setze ich fort mit Frau Walz.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte mich grundsätzlich mit der Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen beschäftigen und nicht auf die einzelnen Aspekte der Vorlagen eingehen. Wir meinen, wir sollten uns davor hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten, d. h. die sozialversicherungsfreie Beschäftigung so zu erschweren, daß davon nur noch wenige Gebrauch machen; denn dies wäre angesichts der Ergebnisse des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gegebenen Gutachtens ein Schwabenstreich. Das Gutachten kommt nämlich zu zwei wichtigen Ergebnissen: Erstens. Die überwiegende Mehrzahl der geringfügig Beschäftigten ist offenbar zumindest durch die gesetzliche Krankenversicherung abgesichert. Es sind dies 85 %. Zweitens. Nur insgesamt 11 % sind daran interessiert, Rentenversicherungsbeiträge abzuführen. Sie sollten sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das Gutachten sagt auch aus - und das würde das eben von mir Gesagte erklären - , daß die Mehrzahl, also die rund 55 % Frauen, offensichtlich durch andere Beschäftigungsverhältnisse oder durch Ehepartner abgesichert sind. ({0}) Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß der Anteil der Arbeitnehmer die länger als fünf Jahre regelmäßig sozialversicherungsfrei beschäftigt sind, verhältnismäßig gering ist. Er liegt nämlich bei 8 %. Der Anteil der mehr als zehn Jahre sozialversicherungsfrei Beschäftigten beträgt dagegen nur noch 3 %. Aus diesen Zahlen kann sehr viel über den Charakter dieser Beschäftigung herausgelesen werden. Ich möchte es einfach einmal so deuten: 450 DM bar auf die Hand stellen nicht die Lebensgrundlage sicher, sondern ergänzen ein anderweitig vorhandenes Einkommen. Dabei will ich nicht untersuchen, ob es sich bei diesem Zubrot um die Butter auf dem Brot, um ein klein wenig Luxus oder um die Chance für Ältere handelt, unter Menschen zu sein und durch Arbeiten zu beweisen, daß man noch gebraucht wird. ({1}) Die Motivationen für die Arbeit in diesem geringen Umfang sind also vielfältig. Sie werden speziell nachgefragt und im allgemeinen grundsätzlich positiv beurteilt. Ich glaube, diese positive Beurteilung können Sie auch aus Ihrem nächsten Kreis beziehen. Meine Mitarbeiterinnen sind restlos dagegen, daß solche Arbeitsverhältnisse abgeschafft werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Walz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Odendahl?

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe nicht viel Zeit; vielleicht später.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Zwischenfrage wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zu diesem Ergebnis kommt auch das Gutachten. Allerdings läßt die Mißbrauchsrate von 20 % aufhorchen. Dies war auch der Grund, warum die Bundesregierung gehandelt hat. In drei Punkten wird versucht, den Mißbrauch einzudämmen. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Wir halten deshalb nach wie vor die geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigungen im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für richtig, allerdings nicht als Regel, sondern als begründete Ausnahme, weil wir meinen, es ist ein Arbeitsmarkt für Menschen entstanden, die etwas zuverdienen möchten, die über ein kleines eigenes Einkommen etwa auch unabhängig vom Ehepartner verfügen möchten. Schüler und Studenten wollen mehr haben als nur die gelegentlich kargen Zuwendungen von Eltern oder aus der BAföGKasse. Rentner und Pensionäre bessern schlichtweg ihr Einkommen auf und erleben Selbstbestätigung. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse haben zudem eine arbeitsmarktpolitische Pufferfunktion, ({0}) weil sie sowohl auf der Arbeitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite flexibler gehandhabt werden können. Meine Damen und Herren, viele Einrichtungen im Sozialbereich könnten ihre Dienste ohne die geringfügig Beschäftigten überhaupt nicht mehr anbieten; ({1}) denn die Lust an der Arbeit um Gotteslohn hat doch erheblich abgenommen. Viele ausländische Arbeitnehmerinnen finanzieren damit nicht nur einen besseren Lebensstandard hier in der Bundesrepublik, sondern häufig auch Haus und Hof in ihren Heimatgemeinden. Geringfügige Beschäftigungen dämmen Schwarzarbeit ein und erweitern den Dispositionsspielraum der Unternehmen bei Bedarfsspitzen und bei der Beseitigung von Engpässen. Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe diesen Punkt als letzten erwähnt, weil er mir in der Rangfolge als nicht so wichtig wie die vorhergehenden Punkte erscheint. Aus diesen Gründen halten wir die Bemühungen der Sozialdemokraten zwar für höchst ehrenwert, aber in ihren Intentionen, Gutes zu tun, für kontraproduktiv, weil an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und auch an den Bedürfnissen vieler untypischer Arbeitnehmer vorbeigedacht wird. Wir meinen deshalb, daß die Forderung nach weitgehender Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenzen in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung kein gangbarer Weg ist. Als Folgen befürchten wir die Reduzierung solcher Beschäftigungsmöglichkeiten. Wir halten diesen Weg auch deshalb im Ansatz für nicht geeignet, weil versicherungspolitisch nicht nötig, sozialpolitisch zu teuer und wirtschaftspolitisch ineffizient. Darüber hinaus meinen wir, daß die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Maßnahmen, die wir gegen den Mißbrauch beschlossen haben, abgewartet werden müssen. ({2}) Noch ein Wort zur sozialpolitischen Notwendigkeit! Wir halten die von Ihnen vorgeschlagene Regelung für zu teuer. Selbst wenn ein Schutzbedürfnis anerkannt wird, ist dieser Weg eindeutig zu teuer, weil das Ergebnis Minirenten wären. ({3}) Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß nur acht Prozent der geringfügig Beschäftigten circa fünf Jahre arbeiten, drei Prozent bis zu etwa zehn Jahren. ({4}) In der Bewertung würde dies so aussehen - jetzt hören Sie wirklich einmal gut zu und maulen Sie nicht herum - : Geringfügig Beschäftigte erhielten einen vergleichsweise hohen Schutz bei einem geringen Beitrag. Es würde ein Leistungsanspruch entstehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch Beitragszahlung gedeckt wäre. Dies, meine Damen und Herren, wäre eine Ungleichbehandlung anderen Arbeitnehmern gegenüber. In der Krankenversicherung wären Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen, und bei der Arbeitslosenversicherung würden geringe Beiträge zu Anspruchsleistungen führen und zudem zu einer Aufblähung beziehungsweise Verfälschung der Statistik beitragen. ({5}) Bei den geringfügigen Beschäftigungen, meine Damen und Herren, handelt es sich - wie auch das Gutachten ausweist - eben nicht um Dauerarbeitsplätze, sondern um vorübergehende Beschäftigungen. Aus den genannten Gründen halten wir an den geringfügigen Beschäftigungen fest und meinen, daß die Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Arbeitsplätze den tatsächlichen Bedürfnissen der Arbeitnehmer in einer bestimmten Lebenssituation oder in einem bestimmten Lebensabschnitt, aber auch den veränderten Strukturen in der Wirtschaft und im Dienstleistungssektor besser entspricht. Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt muß ich Ihnen halt auch etwas sagen: Gelegentlich ist ein angeblicher Fortschritt in Wirklichkeit ein Rückschritt. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weiler.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte aus Krankheitsgründen auf meine Rede verzichten und gebe sie zu Protokoll.*)

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Schätzle das Wort.

Ortrun Schätzle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001937, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage, ob die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitnehmern, insbesondere von Frauen, durch die Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung verbessert werden können, wird häufig sehr kontrovers diskutiert, übrigens auch im Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Bundesregierung hat bewiesen, daß sie das Problem der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam verfolgt. Ich darf auf das im Januar 1987 erstellte Forschungsprojekt „Sozialversicherungsfreie Beschäftigung" verweisen, das zum erstenmal eine Erhellung der Datenlage brachte. Ich erinnere auch an die Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 21. Juni dieses Jahres zum gleichen Thema oder an die Initiative der CDU/CSU-Frauengruppe vom Mai 1986, in allen Bundesministerien die arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen mit den Gebäudereinigungsunternehmen zu erfragen, eine Initiative, die im *) Anlage 5 die ressorteinheitliche Regelung eines Mustervertrages mit tarif- und versicherungsrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen mündete. Kernpunkt allen Ringens um ein Ja oder Nein zur Beitragsfreiheit bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sind die Mißbrauchsmöglichkeiten und die unerwünschten Ausuferungen, die in den vorhergehenden Redebeiträgen schon genannt wurden. Trotz der Mißbrauchsmöglichkeit lehnt meine Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt eine generelle Beseitigung der Versicherungsfreiheit für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ab. In Ergänzung der Vorbemerkung zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD in der Drucksache 11/4129 möchte ich die Entscheidung meiner Fraktion vom Grundsätzlichen her noch einmal begründen. Erstens. Der Regelfall ist für uns das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis, auch die sozial abgesicherte Teilzeitarbeit. ({0}) Zweitens. Geringfügige Beschäftigungen sollten auf das notwendige Maß beschränkt werden. ({1}) Hier ist die Verantwortung aller Beteiligten, insbesondere der Sozialpartner, gefordert. Die vom BMA in Auftrag gegebene Studie über sozialversicherungsfreie Beschäftigungen bestätigt die weiterhin vorhandenen außerordentlich vielfältigen Beweggründe und Schutzbedürfnisse der Personen, die ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis eingehen. Ihnen würde die undifferenzierte, generelle Streichung der Geringfügigkeitsgrenze nicht gerecht werden. Zum dritten. Klein- und Mittelbetriebe, Saisonbeschäftigungen, Vereine, karitative Verbände und anderes mehr können auf die geringfügige Beschäftigung, vor allem auf die ehrenamtlich Tätigen nicht verzichten. ({2}) Ihre Sorge um Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung gipfelt in dem Ausruf eines Caritas-Vertreters: Wenn das kommt, bricht es uns das Genick. Es ist abzusehen, daß die gänzliche Abschaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse eine Reduzierung von Dienstleistungen, Rationalisierungsmaßnahmen und eine Zunahme von Schwarzarbeit auslösen würde. In dieser Situation hat die Mißbrauchsbekämpfung Vorrang. Deshalb sind auf Initiative der Bundesregierung die Maßnahmen beschlossen worden, die mein Kollege vorhin schon erwähnt hat. Es ist einmal die Pflicht, seit 1. Januar 1989 auch für die geringfügig Beschäftigten Lohnunterlagen zu führen. Es sind außerdem die Meldepflicht für geringfügig Beschäftigte ab 1. Januar 1990 und die Einführung des Sozialversicherungsausweises. Unsere Fraktion wird selbstverständlich über weitere Maßnahmen entscheiden, wenn mit den jetzt bestehenden Regelungen Erfahrungen gesammelt sind. Die gänzliche Abschaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse kann nicht die Lösung des Problems bedeuten. ({3}) Sie würde meinen Erfahrungen nach vor allem den Interessen vieler Frauen widersprechen, die versuchen, den Kontakt zur Arbeitswelt zu halten, die den Hinzuverdienst zum Familieneinkommen brauchen oder die an die Berufs- und Lebenswelt im Verlauf verschiedener Lebensphasen unterschiedliche Ansprüche stellen wollen. ({4}) Auch wenn Freiheit mißbraucht wird, darf sie nicht abgeschafft werden. Deshalb kann ich dem Ansinnen der SPD nicht zustimmen. Vielen Dank.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Schätzle, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Sie hätten noch Redezeit. Sind Sie fertig? - Tut mir leid. Sie hat ihre Rede früher als notwendig beendet. ({0}) Meine Damen und Herren, wir sind bereits am Ende der Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/3997 und 11/5689 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich nun den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe: Gute Besserung für Sie, Frau Weiler! ({1}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei - Drucksache 11/5228 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({2}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Humanitäre Hilfsmöglichkeiten für irakischkurdische Flüchtlinge in der Türkei - Drucksache 11/5229 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Innenausschuß Im Ältestenrat ist für diesen Tagesordnungspunkt ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion ver- Präsidentin Dr. Süssmuth I einbart worden. *) - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Osswald.

Prof. Dr. Klaus Dieter Osswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001658, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einer der besten Gradmesser für Demokratie, Freiheit und Liberalität eines Landes ist seit jeher der Umgang eines Landes mit seinen Minderheiten. Hierbei steht die Türkei sicher nicht besonders gut da, um es gleich ganz klar zu sagen. Der Umgang mit der kurdischen Minderheit in der Türkei gehört seit Jahrzehnten zu den Dauerbrennern unter den Menschenrechtsproblemen. Dieser beklagenswerte Umstand kann auch nicht durch noch so viele Beschwichtigungen türkischer Politiker hinwegdiskutiert werden. Auch die begrüßenswerte Tatsache, daß die Türkei nach den irakischen Giftgasangriffen auf kurdische Dörfer Tausenden von Kurden aus dem Irak Aufnahme gewährt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die türkische Haltung gegenüber der kurdischen Minderheit im Prinzip unverändert ist. Die Zustände in den verschiedenen Gefangenenlagern, in denen nun seit etwa eineinhalb Jahren die irakischen Kurden leben, können nur als menschenunwürdig bezeichnet werden. Die Flüchtlinge leben unter strengster Bewachung, praktisch wie in Gefangenenlagern. Nach wie vor erkennt die Türkei diese irakischen Kurden nicht offiziell als Flüchtlinge an, sondern gewährt ihnen nur den Status von displaced persons, der keinerlei Schutz bietet. Sie haben also nicht den Status von refugees, sondern von displaced persons. Die beiden Anträge der GRÜNEN greifen damit zu Recht ein Problem auf, zu dem auch die deutsche Politik deutlich Stellung nehmen muß. Das um so mehr, als die Türkei selbst mehrfach vorgeschlagen hat, daß die europäischen Länder kurdische Flüchtlinge aufnehmen, und zudem für die Versorgung der Flüchtlinge enorme Geldmittel gefordert hat. Ich möchte die Position meiner Fraktion zu den vorliegenden Anträgen ganz deutlich machen. Erstens. Die Türkei möchte Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden. Die EG ihrerseits verlangt als Vorbedingung die Einhaltung gewisser Mindeststandards bei den Menschenrechten. Diese werden in der Türkei nachweislich weder gegenüber den Kurden noch gegenüber Armeniern und anderen christlichen Minderheiten eingehalten, von der Behandlung der politischen Opposition und der Frage der Folterung in Gefängnissen einmal ganz abgesehen. Zweitens. Dies bedeutet für uns, unseren türkischen Partnern auf allen Ebenen klarzumachen, daß die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte insbesondere auch für die Minderheiten sehr ernst gemeint ist und als Kondition für das Entgegenkommen in allen anderen Fragen gewertet werden muß. *) Die zu Protokoll gegebene Rede des Staatsministers Schäfer ist als Anlage 6 abgedruckt. Drittens - das ist der entscheidende Punkt - : Wir fordern von der Türkei die offizielle Anerkennung der irakischen Kurden als Flüchtlinge und die Zulassung von Hilfsmaßnahmen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, UNHCR. Die inzwischen gewährte Möglichkeit, daß UNHCRBeamte die Lager besuchen dürfen, reicht nicht aus. Volle Arbeitsmöglichkeiten für den UNHCR sind für uns die Vorbedingung für finanzielles Engagement zugunsten humanitärer Arbeit in der Türkei. Ich möchte zwei Forderungen noch einmal ganz deutlich machen. Die erste Forderung: Wir erwarten, daß die aus dem Irak in die Türkei geflohenen Kurden als Flüchtlinge behandelt werden. Die zweite Forderung: Wir erwarten, daß der UNHCR die Möglichkeit hat, diese Flüchtlinge zu betreuen. Wir halten den Antrag der GRÜNEN, daß die Bundesregierung aufgefordert werden soll, möglichst vielen der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, für nicht angemessen. Wir sind der Meinung, daß ein Antrag auf Asyl in Einzelfällen positiv beschieden werden sollte. Aber die Aufforderung an die Bundesregierung, von sich aus tätig zu werden, halten wir nicht für den richtigen Weg. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer. ({0}) - Ich muß darauf aufmerksam machen, daß wir über einen Antrag Ihrer Fraktion beraten. Dann erteile ich dem Abgeordneten Herrn Lummer das Wort. ({1}) Dann erteile ich dem Abgeordneten Herrn Dr. Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja, wie man schon an dem Aufruf gemerkt hat, eine etwas kuriose Debatte. Der Deutsche Bundestag hat sich wiederholt mit den Problemen der in der Türkei lebenden Kurden beschäftigt. Aber nicht nur mit den Kurden in der Türkei, sondern auch mit denen im Iran, im Irak, in Syrien, in der UdSSR und im Libanon. In der letzten Debatte am 22. Juni 1989 hat Frau Hamm-Brücher unsere Meinung ausführlich dargestellt, nämlich daß die Verfolgung der Kurden insbesondere im Irak allmählich die Form eines Völkermordes angenommen hat, der nicht hingenommen werden kann und den die Völkergemeinschaft auch nicht hingenommen hat. Der Antrag der GRÜNEN bezieht sich zunächst einmal auf die irakisch-kurdischen Flüchtlinge in den Lagern Diyarbakir, Mardin und Mus. Der Kollege Vogel und ich haben insbesondere das Lager Diyarbakir im vergangenen Jahr unmittelbar nach seiner Bildung besucht. Wir haben uns damals ohne großes öffentliches Theater und Aufsehen daran beteiligt, fiDr. Hirsch nanzielle und sachliche Hilfen im Wert von allein 2 Millionen DM in Gang zu bringen, um die dort lebenden Menschen vor dem hereinbrechenden Winter zu retten. Es sind noch weitere Mittel geflossen, und zwar 1 Million DM nach Mardin. Aus der Bundesrepublik sind Spenden im Wert von insgesamt etwa 3,5 Millionen DM in diese Lager gegangen. Ich muß die Haltung der türkischen Regierung positiv würdigen, die trotz der beträchtlichen eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und trotz der erheblichen politischen Probleme, die sie mit der kurdischen Minderheit hat, das ihr Mögliche getan hat und über manchen innenpolitischen Schatten gesprungen ist, um den humanitären Anforderungen gerecht zu werden. Es ist auch unbestreitbar, daß sich die Lage in den Lagern verbessert hat, so problematisch sie auch ist und sein muß, wenn viele tausend Menschen ohne konkrete Perspektive in einem Lager zusammengedrängt sind. Wir billigen damit nicht die Art und die Methoden, mit denen die türkische Regierung mit der in ihrem Land lebenden kurdischen Minderheit umgeht. Es fehlt in der türkischen Innenpolitik an überzeugenden Initiativen, der kurdischen Minderheit wenigstens eine kulturelle Autonomie einzuräumen. Es ist ganz klar, daß die militärisch-polizeilichen Maßnahmen das Problem nicht nur nicht lösen können, sondern zu immer weiteren Eskalationen führen müssen. Aber die Lage der Kurden, auch der irakischen Flüchtlinge, muß in der Region verbessert werden. Es wird sich überhaupt nichts daran ändern, wenn wir zu den 300 000 in der Bundesrepublik lebenden Kurden weitere aufnehmen, und zwar diejenigen, die uns die GRÜNEN bezeichnen. Damit ändern wir an dem Schicksal der Zurückbleibenden überhaupt nichts. Was geschehen muß, ist klar: Wir müssen uns in jeder erdenklichen Weise darum bemühen, durch humanitäre Hilfe finanzieller und sachlicher Art die tatsächlichen Lebensverhältnisse in den drei genannten Lagern wesentlich zu verbessern. Wir müssen außerdem zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft insbesondere auf den Irak einwirken, die Verfolgung der ethnischen Minderheit einzustellen. Wir müssen in geduldiger und mühsamer Weise auf die Türkei einwirken, um ihr klarzumachen, daß sie ihren eigenen Weg nach Europa gefährdet, wenn sie die 10 Millionen in der Türkei lebenden Kurden in eine latente Fluchtsituation hineindrängt. Wir glauben nicht, daß es einen besonderen politischen Sinn macht, über die Fragen alle drei oder vier Monate im Bundestag zu debattieren. Aber wir werden uns darum bemühen, die humanitären Leistungen und die konkreten Hilfen, die in den Lagern geleistet werden können und müssen, spürbar zu verbessern. Wir werden uns auch nicht mit lauten Debatten, sondern in der dafür erforderlichen Weise darum bemühen, die Türkei zu einem etwas verständigeren Verhalten gegenüber der kurdischen Minderheit zu bewegen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Flüchtlinge aus Irakisch-Kurdistan verbringen bald den zweiten Winter in ihren provisorischen Lagern in der Südosttürkei. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat Ihnen dazu zwei Anträge vorgelegt, die rein humanitären Charakter tragen. Wir möchten Sie um Ihre Zustimmung zu diesen Anträgen heute bitten. Ich werde nachher noch etwas dazu sagen. Die irakisch-kurdischen Flüchtlinge sind vor den Giftgasangriffen ihrer eigenen Regierung über die Grenzen in die Türkei geflohen. Es ging bei ihnen um Leben und Tod. Jedes Gerede von Wirtschaftsflüchtlingen - das wurde heute auch noch nicht vorgebracht - , wie das sonst so oft der Fall ist, verbietet sich hier von selbst. Ich erinnere daran, daß die irakischen Giftgaseinsätze nicht möglich gewesen wären, wenn nicht Firmen aus der Bundesrepublik durch entsprechende Zulieferungen Beihilfe geleistet hätten. ({0}) - Es ist erwiesen. Daran ändert sich nichts. Sie können gern Zwischenfragen stellen. Es gibt daher eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung der Bundesrepublik, die Opfer dieser Giftgasangriffe nicht einfach zu ignorieren, sondern jede denkbare Form der Unterstützung zu leisten, Herr Kollege. ({1}) Ich erinnere auch daran, daß das Leiden der irakisch-kurdischen Flüchtlinge nicht endete, als sie die Grenze zur Türkei überschritten. Sosehr die Aufnahme der Flüchtlinge durch die Türkei zu begrüßen war und ist - da stimmen wir überein - , so elend und unerträglich sind die Lebensbedingungen, unter denen sie heute leben müssen. In militärisch gesicherten Lagern, hinter Stacheldraht - wie ich mich selber vergewissern konnte - eingesperrt, werden ihnen jede Art von Menschenrechten verweigert. Selbst der Flüchtlingsstatus ist ihnen nicht gegeben. Freizügigkeit und Arbeitsmöglichkeiten fehlen. Die sanitären und medizinischen Bedingungen sind katastrophal. Die Kindersterblichkeit, die Zahl der Krankheiten und der Todesfälle sind entsetzlich hoch. Die Zahl wird in diesem Winter, aber auch im nächsten Sommer weiter steigen. Angesichts des bevorstehenden Winters sind diese Flüchtlinge in einer akuten Notsituation. Sie brauchen internationale Hilfe, und zwar sofort. Ein Beispiel sollte für uns die Bereitschaft Frankreichs sein, ohne große Probleme 300, 400 Flüchtlinge - die Angaben unterscheiden sich - aufzunehmen und so zumindest einen Ansatz von Bereitschaft zu zeigen. Dabei sollte die erste Priorität darin bestehen, ein gesichertes menschenwürdiges Leben in ihrer eigenen Heimat zu garantieren, ein Leben, das die gülti14102 gen Menschenrechte in ihrer ganzen Breite einschließt. In zweiter Linie muß es darum gehen, die gegenwärtigen Lebensverhältnisse der Flüchtlinge in der Türkei erträglicher zu gestalten, also den Flüchtlingsstatus zuzugestehen. Ich glaube, auch hier gibt es Konsens. Freizügigkeit und Arbeitsmöglichkeiten zu gewährleisten und die sonstigen materiellen, medizinischen und sozialen Voraussetzungen für menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen, das sollte unser aller Anliegen sein. Diese beiden Punkte bedeuten ein aktives Einwirken der Bundesrepublik auf die Regierungen in der Türkei und im Irak, um jede Diskriminierung und anderweitige menschenunwürdige Behandlungen der Kurden auszuschließen. Es bedeutet ein höheres Maß an Engagement der Bundesrepublik im humanitären Bereich, als bisher geschehen, wobei diese Unterstützung unserer Meinung nach allerdings über NGOs erfolgen sollte, um das Ankommen auch zu gewährleisten. Drittens ist allerdings erforderlich, als humanitäre Notmaßnahme eine Reihe der kurdischen Flüchtlinge in den Lagern hier aufzunehmen, insbesondere die Flüchtlinge - da setze ich durchaus Prioritäten - aus dem Zeltlager Mardin; die Situation dort ist besonders schlimm. Wir sind uns dessen bewußt, daß das Problem der Flüchtlinge durch dieses positive Zeichen der humanitären Bereitschaft zu helfen nicht gelöst werden kann. Aber wir stehen in der direkten Verantwortung. Gerade deshalb appellieren wir heute an Sie, über diese Anträge - ich weiß sehr wohl: man kann das nicht durch Paragraphen untermauern, man kann wirklich nur durch die humanitäre Art an diese Probleme herangehen - heute zu entscheiden. Um es noch deutlicher zu sagen: Wir stellen den Antrag - auch wenn das der Geschäftsordnung nicht ganz entspricht -, über unsere Anträge heute abzustimmen und sie nicht an die Ausschüsse zu überweisen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Herr Lummer das Wort.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder so, daß die Beiträge von Vertretern der GRÜNEN ein bißchen provozieren. Zunächst darf ich folgende Bemerkung machen, weil der Antrag auch von Frau Oesterle-Schwerin unterschrieben ist. ({0}) - Sie hat die Anträge mit unterschrieben; das habe ich gesagt. - Das ist die Dame, die in der vergangenen Woche von dieser Stelle aus die Bundesrepublik Deutschland so madig gemacht hat, indem sie sagte: Wenn die Leute aus der DDR hierherkommen, kommen sie vom Regen in die Traufe. Sie hat gesagt: Bei uns müssen die alten Leute Hundefutter essen. Das hat sie im Plenum gesagt. Und diese Frau unterschreibt einen Antrag, wonach die Kurden aus der Türkei nach Deutschland kommen sollen. Das reimt sich doch alles nicht, was Sie vor dem Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit für einen Quatsch erzählen. Das vorweg. Jetzt zu den Flüchtlingslagern: Natürlich ist das schlimm. Wir haben uns ja nicht zum erstenmal damit beschäftigt; darauf hat der Kollege Hirsch hingewiesen. Es ist zutiefst bedauerlich und wirklich das Ergebnis einer inhumanen irakischen Politik, daß gegenwärtig in den Lagern in der Türkei noch etwa 35 000 Leute sind und in den zweiten Winter gehen müssen. Aber von daher gesehen muß der erste Appell natürlich an den Irak gehen. Davon ist in den Anträgen der GRÜNEN überhaupt nicht die Rede. Unsere Adresse ist die irakische Regierung. Ich kann die Bundesregierung wirklich nur mit Intensität bitten, dort tätig zu werden; denn es bleibt richtig, daß die Probleme vor Ort dadurch gelöst werden müssen, daß den Kurden Volksgruppenrechte gegeben werden, wenn es schon nicht möglich ist - das bezweifle ich eben - , für sie eine eigene Staatlichkeit zu finden. Aber das steht ihnen zu, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Was die Verhältnisse in den Lagern anbetrifft, folgendes: Die Lager werden permanent beobachtet, auch von der Bundesregierung, vom Roten Kreuz der Bundesrepublik Deutschland, aber inzwischen auch vom UNHCR, der die Möglichkeit hat, dort zu beobachten, obwohl er nicht - ({1}) - Ja, natürlich geht es um die Beobachtung. Die Frage ist: Was ist das Ergebnis der Beobachtung? Die letzte Beobachtung ist im August gewesen. Da war Herr Gröhnke vom Deutschen Roten Kreuz dort, der von einem Legationsrat des Auswärtigen Amtes begleitet worden ist. Das Ergebnis ist jedenfalls, daß sich die Situation in den Lagern nicht verschlechtert, sondern verbessert hat. Das Ergebnis ist z. B. - das sage ich, weil Sie von einer erschreckenden - ({2}) - Monatlich werden in dem einen Lager 40 Geburten verzeichnet und 27 Todesfälle. In diesem Lager sind 7 Ärzte, 10 Krankenschwestern, 20 Hilfskräfte, Apotheke und ein Krankenwagen. Das trifft strukturell auf jedes dieser drei Lager zu. Wenn ein Vertreter des Roten Kreuzes und ein Vertreter des Auswärtigen Amtes zu dem Ergebnis kommen, daß sich die Verhältnisse nicht nur gebessert haben, sondern zufriedenstellend sind, dann glaube ich dem mehr, als wenn Sie solche Horrorbilder malen. Natürlich ist es eine schlimme Geschichte - das wissen wir alle - , aber im Ergebnis bleibt es doch dabei, daß wir die Probleme nicht dadurch lösen können, daß wir die Arme aufmachen nach dem Motto „Kommt alle mit Asyl in die Bundesrepublik Deutschland", sondern wir müssen vor Ort tätig werden. Das gilt für die Leute in der DDR, in Osteuropa, aber natürLummer lich auch bezogen auf die irakischen Flüchtlinge in der Türkei.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Lummer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Lummer, können Sie mir darin zustimmen, daß die Bundesrepublik allein in diesem Jahr für das Lager Mardin 1 Million DM für die Unterbringung der Leute in vernünftigen Unterkünften ausgegeben hat?

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist sicherlich keine Frage der Zustimmung, sondern der Bestätigung. Ich kann es Ihnen bestätigen. Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr 2 Millionen DM gegeben, in diesem Jahr 1 Million DM. Ich finde es auch selbstverständlich und richtig, daß dies geschieht. Vielleicht kann man das sogar noch etwas verstärken. Dagegen habe ich nichts. Ich habe nur etwas dagegen, wenn die GRÜNEN immer sagen, daß alle Probleme in Deutschland gelöst werden sollen nach dem Motto: Kommt alle her, die ihr mühselig und beladen seid; am deutschen Wesen könnt ihr genesen. Das ist nicht richtig.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Osswald?

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Prof. Dr. Klaus Dieter Osswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001658, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lummer, es geht doch im wesentlichen darum, daß die Türkei die aus dem Irak gekommenen Kurden nicht als Flüchtlinge anerkennt, sondern als displaced persons ansieht. Sind Sie der Meinung, wir könnten über unsere Bundesregierung den Versuch unternehmen zu erreichen, daß hier tatsächlich eine Behandlung stattfindet, wie sie Flüchtlingen angemessen ist, d. h. eben kein Aufenthalt in Gefangenenlagern?

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser gegenwärtige Zustand, wonach es den regionalen Vorbehalt gibt, ist unbefriedigend. Aber dieser Vorbehalt berechtigt die Türken zu sagen: Es sind keine Flüchtlinge. Das finde ich nicht in Ordnung. Ich habe schon Verständnis dafür, daß wir uns gemeinsam darum bemühen sollten, daß dieser regionale Vorbehalt geändert wird. ({0}) So weit, so gut. Ich meine, das ist auch der richtige Weg, den wir gemeinsam beschreiten sollten. Insofern verspreche ich natürlich, daß wir wegen der Menschen, um die es geht, die Anträge mit Anstand und in Fairneß beraten. Aber was den Inhalt angeht, so bin ich nach wie vor der Meinung - das kann ich nur sagen - , daß dies nicht der richtige Weg ist und daß ich insofern zunächst einmal für Ablehnung plädiere. Danke.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung Herrn Becker.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beer hat soeben in ihrem Redebeitrag vorgetragen, daß sie darum bittet, daß über die beiden Anträge sofort abgestimmt wird. Wir haben uns in den Vorberatungen und insbesondere auch im Ältestenrat mit diesem Thema beschäftigt und sind übereinstimmend zu der Meinung gekommen, daß wir die Anträge an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse überweisen sollten, nämlich den Antrag zur Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie den Antrag zu den humanitären Hilfsmöglichkeiten zur federführenden Beratung ebenfalls an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Ich bitte doch sehr darum, daß wir dabei bleiben. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Beer, Sie haben noch einmal das Wort zur Geschäftsordnung.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Es ist eine Tatsache, daß dieses Parlament in der nächsten Woche in die Weihnachtsferien geht und frühestens im nächsten Jahr dazu kommt, diese Anträge zu beraten und irgendwann zu entscheiden. Das ist zu spät, sehr geehrte Herren Kollegen. Das ist die Verantwortung, die auf uns liegt. Der Winter ist jetzt, und er ist sehr kalt. Ich war vor zwei Wochen im Irak. Ich habe mit Rückkehrern gesprochen. Ihre Angaben, die Sie eben und auch das Deutsche Rote Kreuz gemacht haben wurden nicht bestätigt. Die neuen Zelte, die Schnellhilfe für den Winter, sind noch nicht aufgestellt. Die Flüchtlinge waren gerade zwei Tage zurück. Die Hilfe ist ganz offensichtlich nicht so, wie sie vom Schreibtisch her aussieht. Ich appelliere wirklich an Sie: Entscheiden Sie heute positiv oder negativ, und behalten Sie - egal, wie Sie entscheiden - die Freiheit dazu. Sagen Sie dann bitte auch ja. Fahren Sie in die Lager, gucken Sie sich das an, damit wir uns einig sein können und nicht diesen bürokratischen Kram vor uns her schieben müssen und nachher womöglich den Vorwurf auf uns lasten haben, daß wir durch Unflexibilität und Schreibtischarbeit Menschenleben dort gefährden. Das ist meine Bitte an Sie: Wenn Sie unsere Anträge heute ablehnen - und sei es durch Überweisung -, dann überwinden Sie sich wenigstens und fahren dort hin. Gucken Sie es sich an. Das ist das mindeste. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, sogleich über die Anträge auf den Drucksachen 11/5228 und 11/5229 abzustimmen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP beantragen demgegenüber Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Über diesen weitergehenden Antrag ist zuerst abzustimmen. Präsidentin Dr. Süssmuth Wer ist also für den weitergehenden Antrag, d. h. für die Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Überweisung gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatztagesordnungspunkt 6 auf: 15. a) Beratung der zweiten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, Frau Rönsch ({1}), Dr. Daniels ({2}), Dörflinger, Niegel, Dr. Friedrich, Geis, Link ({3}), Magin, Dr. Möller, Oswald, Pech, Ruf, Dr. Schroeder ({4}), Seesing, Weiß ({5}), Sauer ({6}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Nolting, Zywietz, Frau Dr. Segall, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDP Probleme hochverdichteter Neubausiedlungen aus den 60er und 70er Jahren b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Die Situation der Mieterinnen und Mieter in den Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre zu dem Antrag der Abgeordneten Conradi, Müntefering, Erler, Großmann, Menzel, Dr. Niese, Oesinghaus, Reschke, Scherrer, Tietjen, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Weiterentwicklung und Verbesserung der nach 1950 erbauten Großsiedlungen - Drucksachen 11/813, 11/2241, 11/1186, 11/4702 Berichterstatter: Abgeordnete Conradi Frau Rönsch ({8}) Frau Oesterle-Schwerin ZP6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Austermann, Börnsen ({9}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hitschler, Gattermann, Grünbeck, Zywietz und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs-und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften ({10}) - Drucksache 11/5972 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({11}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordete Herr Dörflinger.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich das Plenum des Deutschen Bundestages gleichzeitig mit dem Problem hoch verdichteter Neubausiedlungen und dem baurechtlichen und mietrechtlichen Flankenschutz für unsere wohnungsbaupolitische Offensive befaßt, dann setzen wir, gewollt oder ungewollt, ein Zeichen für den dramatischen Wandel in den Schwerpunkten der wohnungsbaupolitischen Diskussion. Die Aufgabe, die es zu lösen gilt, hat der Bundeskanzler in seiner im deutschlandpolitischen Teil historischen Rede am 28. November 1989 auf die griffige Formel gebracht: Wer kurzfristig mehr Wohnraum schaffen will, muß jetzt auch bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen. Die Union ist bereit, diesen Weg zu gehen. Sie läßt sich dabei von folgenden Erkenntnissen und Notwendigkeiten leiten. Erstens. Die Mobilisierung aus dem Bestand allein löst die Probleme nicht. Vielmehr brauchen wir Neubau, und deshalb brauchen wir auch zusätzliche Bauflächen. ({0}) Zweitens. Es sind alle politischen Ebenen gefordert, vom Bund bis hinunter zu den Gemeinden. Drittens. Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, sich insbesondere den Personengruppen in der Versorgung zu widmen, die sich am Markt schwertun. Gleichzeitig ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, für attraktive und verläßliche Rahmenbedingungen für private Investitionen, für die Mobilisierung privaten Kapitals im Wohnungsbau zu sorgen. Viertens. Wo sich die Praxis des Baurechtes, des Planungsrechtes und des Mietrechtes als Bremsklötze erweisen, muß die Politik zumindest temporär diese Bremsen lockern. Was die Ziffern eins und drei des von mir Vorgetragenen angeht, hat der Bund bereits umfassend gehandelt. ({1}) - Herr Kollege Müntefering, das zeigt sich z. B. darin, daß das MW-Programm, das 1,5-Milliarden-Programm bereits ausgebucht ist. ({2}) Was das Baurecht, das Planungsrecht und das Mietrecht angeht, haben wir bereits erste Schritte mit der Novellierung der Baunutzungsverordnung getan. Heute legten Ihnen die Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen diesen Gesetzentwurf zügig und zugleich gründlich beraten. Wir sind - wie immer in diesem Ausschuß - zu konstruktivem, sachlichem Dialog mit den anderen Fraktionen bereit. Wir wollen auch Sachverstand von außen einbeziehen, z. B. in einem internen Hearing mit den kommunalen Spitzenverbänden und auch mit den Vertretern der Bundesländer. Wir haben auch vor - das sage ich ganz offen -, weitere Präzisierungen und Klarstellungen in - zugegeben - hochsensiblen Bereichen vorzunehmen wie z. B. die von uns vorgesehenen Erleichterungen im Außenbereich. ({3}) - Das hat nichts mit heißer Nadel zu tun, das hat etwas mit Verstand zu tun. ({4}) Aber wir brauchen bald Signale. Deswegen streben wir an, dieses Gesetz am 1. April 1990 in Kraft zu setzen. Das müßte auch möglich sein; denn die vorgeschlagenen Maßnahmen stellen weder den Geist noch den Inhalt des Baugesetzbuches auf den Kopf. Das Baugesetzbuch hat sich im wesentlichen bewährt. Das war auch, wenn ich es richtig gehört habe, Bestandteil des Hearings gestern. Wir brauchen also die Schlachten von gestern nicht noch einmal zu schlagen. Die damaligen Angriffe gingen ins Leere. Meine Erwartung ist: Sie werden auch diesmal weitgehend ins Leere gehen, vor allem deswegen, weil die Grundphilosophie des Baugesetzbuches, wie sie vor allem sehr extrem von der Opposition formuliert war - nämlich die totale Konzentration auf den Innenbereich - , angesichts der dramatisch veränderten Lage auf dem Wohnungsmarkt aus sachlichen Notwendigkeiten nicht zu halten ist. ({5}) Es bleibt trotzdem die Notwendigkeit, etwa flächensparend zu bauen, auch die Chance kostensparenden Bauens zu nutzen. Nun zu den Maßnahmen im einzelnen. Vor dem Hintergrund vielfach überholter Prämissen - allein schon was die Bevölkerungsentwicklung angeht - und der allgemein gestiegenen Wohnungsnachfrage sind Ergänzungen in der Bauleitplanung notwendig. Dringender Wohnungsbedarf muß als ein zentrales Kriterium beim Abwägen der Planungsgrundsätze in der Bauleitplanung aufgewertet werden. Das hat Konsequenzen. Wir wollen deswegen die Möglichkeit schaffen, vorzeitig einen Bebauungsplan auch dann anzuwenden, wenn der zugrunde liegende Flächennutzungsplan noch nicht geändert und noch nicht ergänzt worden ist. Wir wollen ferner die Möglichkeit schaffen, Verfahren zu beschleunigen und diese Verfahren im Ablauf zu konzentrieren, auch in der Kombination bestimmter Verfahrensteile zueinander. Wir wollen die vereinfachte Änderung von Bebauungsplänen auch dann ermöglichen, wenn Grundzüge der Planung berührt sind. Ich füge hinzu: Ich habe manchmal den Eindruck, draußen ist ohnehin nur selten das gemacht worden, was wir als Gesetzgeber damals bei der Verabschiedung des Baugesetzbuches wollten. Bei bauleitplanerischen Initiativen dieser Art steht natürlich auch zu befürchten, daß sie mit übergreifenden Rahmenplänen, etwa mit Landschaftsplänen kollidieren. Wir müssen im Laufe der Beratungen überlegen, wie wir Mechanismen schaffen, um diese Konflikte einigermaßen vernünftig und schnell aufzulösen. ({6}) In den Kontext der Bauleitplanung gehören gemeindliche Satzungen nach § 34 des Baugesetzbuches. Wir haben deren Anwendungsbereich bereits bei der Verabschiedung des Baugesetzbuches ausgeweitet, wollen dieses Instrument jetzt dynamisch weiterentwickeln, insbesondere durch den Verzicht auf die Voraussetzung, daß entsprechende Gelände im Flächennutzungsplan als Bauflächen dargestellt sind. Die Notwendigkeit geordneter Versorgung und Entsorgung bleibt. Wir haben bisher Vertrauen in die Fähigkeit der Gemeinden, verantwortungsbewußt zu handeln und verantwortungsbewußte Festsetzungen zu treffen. ({7}) Das gleiche gilt für die Erweiterung des Vorkaufsrechtes für die Gemeinden bei Verkehrswert-Zugrundelegung im Außenbereich, wovon wir uns eine preisdämpfende Wirkung versprechen. Dasselbe gilt auch für die zeitlich befristete Wiedereinführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen unter aktualisierter Aufgabenstellung, z. B. für die Mobilisierung von Brachflächen. Ein wichtiges Anliegen, daß wir mit dem Gesetzentwurf verfolgen, ist die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren bei Einzelvorhaben. Das gilt auch für die Initiativen der Länder. Umgekehrt erwarten wir, daß die vom Bund gesetzten Impulse von den Ländern nicht konterkariert werden, sondern etwa durch eine kritische Überarbeitung der Landesbauordnungen positiv begleitet werden. ({8}) Ziel der Beschleunigung soll es sein, eine Verkürzung der Zeit, in der über Teilungsgenehmigungen entschieden werden muß, von drei auf einen Monat herbeizuführen, die Frist für das Einvernehmen der Gemeinde grundsätzlich von zwei auf einen Monat zu verkürzen. Wenn der Bauantrag für ein Wohnbauvorhaben nicht innerhalb von drei Monaten abgelehnt ist, soll nach den §§ 30 und 31 des Baugesetzbuches nicht mehr abgelehnt werden dürfen. Nun zu dem Teil unseres Gesetzentwurfes, der wohl die heißesten Kämpfe entfachen dürfte, der sicherlich auch Anlaß für Polemik ist - das sind wir gewohnt -, nämlich der Erweiterung der Zulässigkeit von Vorhaben insbesondere im Außenbereich - Stichwort: § 35. Ich warne vor Horrorgemälden über Zersiedelung oder städtebauliches Chaos und fordere zu einer nüchternen Analyse darüber auf, welche Probleme vorhanden sind und welche Probleme angepackt werden müsen. ({9}) Erstes Problem: Wir brauchen so schnell als möglich zusätzlichen Wohnraum unter Nutzung bereits vorhandener Gebäudesubstanz. ({10}) Zweitens. Wir stehen vor einem Strukturwandel im ländlichen Raum einschließlich der Notwendigkeit zusätzlicher außerlandwirtschaftlicher Einkommen. Meine Damen und Herren, sicher sind unsere Vorschläge kritikwürdig, sie sind auch sicher noch verbesserungsfähig. ({11}) Aber wer unserem Vorschlag, bei weitgehender Wahrung des Gebäudeäußeren und unter dem Erfordernis geordneter Erschließung in aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäuden künftig höchstens vier, unter bestimmten Voraussetzungen auch mehr Wohnungen zuzulassen, blind begegnet, dem stelle ich folgende zwei Fragen: Was ist Ihnen lieber, der drohende Verfall oder die sinnvolle Nutzung mit positiven Effekten für den ländlichen Raum? ({12}) Und ich frage Sie zweitens: Was ist Ihnen lieber, Wohnungen in vorhandene Gebäude einzubauen oder auf der grünen Wiese neu zu planen und zu bauen? ({13}) Wo ist der Flächenbedarf größer? - Er ist es ganz bestimmt, wenn Sie auf der grünen Wiese bauen. Dabei sind wir uns über Schwierigkeiten im klaren, klare baurechtliche Bestimmungen zu schaffen, die den spezifischen strukturellen Gegebenheiten des ländlichen Raumes genauso entsprechen wie z. B. der Problematik im Nahbereich von Ballungszentren wie Stuttgart, München oder anderen Großstädten. Wir sehen auch die Problematik der Notwendigkeit, junge Leute als Bestandteil der Gemeinschaft im Dorf zu behalten, ebenso zu entsprechen, wie z. B. der Gefahr zu begegnen, daß in diesen aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäuden zusätzlich Ferienwohnungen entstehen. Unproblematisch dagegen wird es wieder, wenn wir z. B. dringenden Wohnbedarf als Grund der Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes installieren wollen, wenn wir die Bestimmung des § 34 Abs. 3 - bisher ausschließlich für Gewerbe gedacht - nun auch auf wohnungsbaupolitische Vorhaben erweitern. ({14}) - Ja, natürlich. ({15}) - Wir können uns ja zu später Stunde noch einen Spaß machen. ({16}) Aber wir sollten vielleicht ein ernstes Thema einigermaßen vernünftig miteinander diskutieren. Ich will abschließend noch einige wenige Bemerkungen zum mietrechtlichen Teil des Gesetzentwurfes machen. Das Ziel ist klar. Wir wollen die Grundlage dafür schaffen, daß Ferienhäuser und Ferienwohnungen vorübergehend vermietet werden können. Meine Damen und Herren, der Generalangriff auf uns, wir wollten wesentliche Bestandteile des Mietrechts aushebeln, ist schlicht Blödsinn. Die Frage ist: Sind Aussiedler auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren in Hotels oder in Behelfsunterkünften unterzubringen, oder schaffen wir die Möglichkeit, wenigstens einen Teil in nicht genutzten Wohnungen unterzubringen? Wir wollen sozialverträgliche Rahmenbedingungen für das Anmieten von Wohnräumen durch Gemeinden, wobei sie praktisch in der Mittlerfunktion zwischen dem Vermieter und dem Mieter auftreten. Wir wollen eine vereinfachte Kündigung für die dritte Wohnung im selbstgenutzten Eigentum ermöglichen. Wir wollen die Teilkündigung für Räume, die Mietern als Nebenräume bisher zur Verfügung gestellt worden sind, aber für den Ausbau von Dachgeschossen gebraucht werden, erleichtern. Meine Damen und Herren, zum Schluß: Ein altes Sprichwort sagt: „Wer schnell hilft, hilft doppelt." An diesem Wort, an dieser Maxime sollten wir uns auch bei den weiteren Beratungen orientieren. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Weisheit unserer Parlamentarischen Geschäftsführer verdanken wir, daß wir in dieser nächtlichen Debatte hier den Rückblick auf die Großwohnanlagen der 50er Jahre mit dem Ausblick auf das, was nach dem Willen der Bundesregierung gebaut werden soll, auf das schönste miteinander verbinden können. ({0}) - Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu. Über die Mängel der Großsiedlungen der 50er Jahre sind wir unter uns nicht im Streit. Wir haben ja diese Großsiedlungen im großen und ganzen gemeinsam gebaut. Wir sollten die Menschen dort nicht diskriminieren und diese Siedlungen nicht herunterreden, sondern uns gemeinsam darum bemühen, diese Großsiedlungen weiterzuentwickeln und zu verbessern. ({1}) Da gibt es viele Möglichkeiten, z. B. durch die Erhaltung der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit - das wollen Sie nicht -, ({2}) durch die Beteiligung des Bundes an der Sozialhilfe, damit den armen Städten geholfen wird - das wollen Sie auch nicht - , oder durch gezielte Förderung der baulichen Verbesserung dieser Großsiedlungen - wollen Sie natürlich auch nicht - oder durch Beteiligung des Bundes an der Nachsubventionierung der Mieten - wollen Sie auch nicht - oder durch Verlängerung der Mietpreis- und der Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau; das wollen Sie auch nicht. Kurz und schlecht, Sie analysieren die Mängel, aber Sie sind nicht bereit, aus diesen Sünden zu lernen, sondern Sie machen jetzt noch schlimmere wohnungspolitische Sünden. Die Frau Ministerin, die leider heute nicht hier sein kann, weil sie krank ist, deren Ministerium ja als „Ministerium für Panik und Chaos" bezeichnet wird - so die „Frankfurter Rundschau" -, wird sich nicht mehr lange auf die Sünden ihres Vorgängers und auf ihre eigene wohnungspolitische Unschuld berufen können; denn das, was sie jetzt anrichtet, sind die wohnungs- und planungspolitischen Sünden der 90er Jahre; die werden jetzt in diesen Wochen, in diesen Monaten hier beschlossen. ({3}) Ich will zwei Beispiele nennen. In allen Entschließungsanträgen ist die Rede vom monotonen Erscheinungsbild, von der langweiligen Architektur dieser Großsiedlungen, von den großen, schlecht gestalteten Freiflächen und von den bedrohlich wirkenden Baukörpern. ({4}) - Da waren immer Architekten beteiligt, Herr Kollege, selbstverständlich. Aber wenn wir uns darüber einig sind, daß wir das nicht mehr wollen, dann muß doch die Bundesregierung jetzt bei den Tausenden von Wohnungen, die gebaut werden sollen, bei diesem großen Programm auch einmal ein Wort sagen über die städtebauliche, über die architektonische, über die ökologische Qualität dessen, was da gebaut werden soll. Sie redet aber nur vom Geld und von den Zahlen, nicht von der Qualität. ({5}) - Herr Kollege Kansy, reizen Sie mich nicht, sonst kriegen Sie eine böse Antwort. Ich bin jetzt noch ganz friedlich. Ich will Ihnen noch ein Beispiel für Ihre abgrundtiefe Lernunfähigkeit sagen. Einer der schweren Fehler der früheren Wohnungsbauförderung war die Förderung mit den degressiven Zinszuschüssen. Dabei sind dann Mietsteigerungen herausgekommen, die immer schneller waren als die Einkommenssteigerungen, und viele Mieter mußten aus den Wohnungen ausziehen, weil sie sie nicht mehr bezahlen konnten, es sei denn, die Städte und die Länder haben mit Nachsubventionierungen geholfen. Nun, dieses System, von dem heute alle Welt weiß, daß es nichts taugt, setzen Sie jetzt mit Ihrem unsäglichen dritten Förderungsweg fort, und Sie verschlimmern das System noch; denn wenn dann in fünf oder sieben oder in zehn Jahren die Förderung ausläuft, kann man nicht mehr nachsubventionieren, weil Ihre Investorenbauherren, für die Sie ja Ihre Programme konzipieren, dann aus sämtlichen Bindungen entlassen sind. Ich frage mich: Sind Sie eigentlich bereit, Herr Staatssekretär, und sind Sie bereit, Kollegen von der Union und von der FDP, den Familien, die jetzt in diese Wohnungen einziehen, weil sie nichts anderes finden, zu sagen, was ihnen in fünf oder sieben oder zehn Jahren blüht? ({6}) - Was heißt 20 Jahre? Nicht einmal zehn Jahre sind die Bindungsfristen, die Sie vorschlagen. Sie fangen doch schon hier an, die Leute zu belügen. In Wirklichkeit bereiten Sie die wohnungspolitische Misere der zweiten Hälfte der 90er Jahre vor. Das heißt, Sie fahren die Wohnungspolitik wie der Kapitän der Titanic auf den Eisberg zu. ({7}) Das ganze ist eine Verschleuderung von Steuergeldern, wie es sie seit 1945 in diesem Maße nicht gegeben hat. Sie werfen massenhaft Geld hinaus, ohne langfristige Bindungen dafür zu bekommen. ({8}) - Richtig, das sagt sogar der Herr Rommel, und er sagt es noch härter und noch deutlicher, als ich es hier an diesem freundlichen Abend sage. Nun zu den geplanten Erleichterungen. Wir haben Sie vor Monaten davor gewarnt, daß es, wenn jetzt im Wohnungsbau nach jahrelangem „stop" auf „go" geschaltet werden soll, zu großen städtebaulichen und ökologischen Problemen kommen wird. Sie haben das weggewischt, und dann haben Sie monatelang auf den Gemeinden herumgehackt und ihnen vorgeworfen, sie würden ja kein Bauland ausweisen, und sie würden mit ihrer Bürokratie das Bauen verhindern. Meine Damen und Herren, das ist ein dreister Vorwurf. Denn was die Gemeinden anwenden, sind die Gesetze, die wir hier beschlossen haben, und was die Gemeinden anwenden, sind die Verordnungen ({9}) und Erlasse und Einführungserlasse und Richtlinien und Bestimmungen und die Tonnen von Papier, die die Bundesregierung und die Länderregierungen den Gemeinden vor die Füße knallen. Dafür müssen sich diese jetzt noch anhören, sie würden das auch noch ernstlich anwenden. So kann man nicht mit den Gemeinden umgehen. ({10}) Sie wollen - das ist der Unterschied; den wollen wir hier deutlich herausarbeiten - vor allem neues Bauland ausweisen, und wir wollen vor allem vorhandenes Bauland bebauen. ({11}) Das ist billiger, das ist ökologisch vernünftiger, und das geht schneller. Es gibt in diesem Land jede Menge erschlossenes baureifes Bauland. ({12}) Fahren Sie einmal mit offenen Augen durch unsere Städte und schauen Sie sich die Baulücken, die unbebauten Flächen, an, die die Gemeinden nicht zur Bebauung bringen können, weil sie dafür keine Instrumente haben! Die Grundbesitzer wissen, daß mit jedem Jahr Zuwarten die Bodenpreise steigen. Das bißchen Grund- und Vermögensteuer, das ein Grundbesitzer zahlen muß, ist ja lächerlich gegenüber dem, was er jährlich an Wertsteigerung erwarten kann. Ich finde es absurd, daß der Grundbesitzer, der sein Grundstück vom Markt zurückhält, steuerlich dafür belohnt wird, während der Grundbesitzer, der sein Grundstück bebaut, steuerlich dafür bestraft wird. Dies ist absurd. Weil die Gemeinden an die Grundstücke nicht herankommen und auch die Bebauung nicht durchsetzen können, werden sie - so befürchten wir - im Außenbereich bauen. Das heißt, sie werden neues Bauland am Stadtrand ausweisen, dort, wo es ökologisch unvernünftig ist. Die Bodenpreise sind vielleicht niedriger; aber die Erschließung kostet mehr; die Infrastruktur ist nicht da; öffentlicher Nahverkehr ist nicht da; da müssen neue Straßen gebaut werden; da entsteht neuer Autoverkehr. Das Ganze ist ökologisch und ökonomisch ein verdammter Unsinn. ({13}) Was Sie nun vorschlagen, die Verkürzung von Fristen im Planungs- und Genehmigungsverfahren, das mag ja gut und schön sein; es bringt vielleicht ein paar Wochen. Aber in Wirklichkeit ist es weiße Salbe. Genausogut können Sie dem Patienten Wohnungsmarkt Rizinus auf die wunden Stellen gießen; das wird nicht helfen. Schon sehr viel schwieriger ist die Verkürzung der Bürgerbeteiligung. Wenn Sie sagen, Bebauungspläne sollen zukünftig nicht deswegen angefochten werden können, weil die Bürgerbeteiligung unterlassen wird, ist es ein Freibrief an die Gemeinde, die Bürgerbeteiligung weglassen. Das widerspricht eigentlich dem gewachsenen ökologischen Bewußtsein der Bürger; es widerspricht auch dem gewachsenen Interesse der Bürger an dem, was in ihrer Stadt geschieht. ({14}) - Es dauert länger ohne Bürgerbeteiligung, weil die Bürger natürlich hinterher zum Gericht springen. Die weitere Öffnung für das Bauen im Außenbereich halten wir für ökologisch falsch. Wenn Sie beispielsweise die Weiler und die Splittersiedlungen, die im schönen Land Bayern das Bild der Kulturlandschaft prägen, jetzt zur Bebauung freigeben, dann geht damit nicht nur die Zersiedlung der Landschaft unaufhaltsam weiter, sondern dann wird die Kulturlandschaft, die in Jahrhunderten entstanden ist, Stück um Stück geopfert. ({15}) Ihre Kinder und ihre Enkel werden Ihnen einst diesen Ausverkauf deutscher Landschaft vorhalten. Ich finde es schlimm: Sonntags redet ihr mit Tränen in den Augen von Deutschland, und von Montag bis Freitag wird die deutsche Kulturlandschaft dem Gewinnstreben geopfert. Das ist der Widerspruch. ({16}) Wir schlagen statt dessen vor: Das Baugebot soll verstärkt werden, auch für die Fälle, in denen innerstädtische Baugrundstücke dichter bebaut werden können. Es soll nicht nur in Bebauungsplangebieten, es soll auch im unbeplanten Innenbereich des § 34 angeordnet werden können. Das Baugebot soll auch aus Wohnungsversorgungsgründen, nicht nur aus städtebaulichen Gründen angeordnet werden können. Wir schlagen vor, das Vorkaufsrecht der Gemeinden für alle Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes schon nach dem Aufstellungsbeschluß festzulegen. Wir würden das Vorkaufsrecht gerne auf alle unbeplanten Innengebiete des § 34 ausdehnen. Was Sie wollen, das Vorkaufsrecht im Außenbereich, hat sicher einen interessanten Aspekt. Wenn die Gemeinde im Außenbereich frühzeitig kaufen kann, hat sie die Möglichkeit, preisdämpfend auf die Bodenpreise einzuwirken. ({17}) Soweit stimme ich zu; das ist vernünftig. Aber an sich wird daran genau deutlich, was Sie wollen. Sie wollen nämlich in den Außenbereich hineingehen. Nur dort wollen Sie den Gemeinden das Vorkaufsrecht geben. Das heißt, Sie sehen die zukünftige Stadtentwicklung schwerpunktmäßig im Außenbereich, und genau das halten wir ökologisch für falsch. Herr Kollege Dörflinger.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Conradi, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß in den Innenbereichen, in denen beispielsweise Stadt- und Dorferneuerung betrieben wird, den Gemeinden automatisch ein Vorkaufsrecht zusteht? ({0})

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber doch nur dort, wo eine entsprechende Maßnahme planerisch beschlossen ist. Im allgemeinen 34er Bereich hat doch die Gemeinde kein Vorkaufsrecht.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geplant werden muß ja in jedem Fall werden. Aber jeder Verkaufsvorgang innerhalb eines Sanierungsgebiets bedarf der Genehmigung durch die Gemeinde, einschließlich der Vermietung und Verpachtung!

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ein Sanierungsgebiet muß erst mal genehmigt werden, und und und. Ich rede hier von einem ganz normalen 34er Gebiet; kein Bebauungsplan; größere Baulücken; die Grundeigentümer sagen: Warum sollen wir denn verkaufen? Warum sollen wir denn bebauen? Wir gewinnen ja nur an Wert! - Ich meine, hier sollte ein Vorkaufsrecht konstituiert werden. Sie schildern doch einen Sonderfall, nämlich den, wo in einem Sanierungsgebiet örtliche Erneuerungs- und Modernisierungsmaßnahmen beschlossen sind. ({0}) - Also, was den Sachverstand betrifft, können wir uns gern streiten. Aber da bin ich der Meinung des Herrn Bundeskanzlers, was den Sachverstand Ihrer Koalition betrifft. Er hätte ja sonst nicht jemanden, der bisher mit Wohnungs- und Baupolitik überhaupt nichts zu tun hatte, zur Bauministerin gemacht. ({1}) - Ich habe Ihnen ja gesagt: Sie sollen mich nicht ärgern; sonst kriegen Sie eine böse Antwort. Die Gemeinden sollen das Recht haben, durch Satzungen Gebiete zu bestimmen, in denen unbebaute baureife Grundstücke mit einer Baulandsteuer belegt werden, damit dieser Boden nicht länger vom Markt zurückgehalten wird. Ich will Ihnen ein Letztes sagen, wie wir ganz schnell zu Bauland kommen könnten. Wenn Sie den Mut hätten - wir haben ihn; wir würden das mit Ihnen zusammen tragen -, zu sagen: „Ab 1992 werden die steuerlichen Einheitswerte der Grundstücke auf den Verkehrswert angehoben, und ab 1992 werden die Wertzuwächse bei Bodenverkäufen in den ersten zehn Jahren voll, danach degressiv besteuert", dann gäbe es eine Verkaufswelle am Bodenmarkt, daß wir jeder Familie in dieser Bundesrepublik zu einer guten Wohnung auf einem vernünftigen Grundstück verhelfen könnten. Nur, dazu haben Sie nicht den Mut. Das lassen Ihre Spekulantenfreunde und das läßt vor allem natürlich die FDP nicht zu. ({2}) - Das habe ich richtig vermutet. Ich weiß, wo die Spekulation hier ihre Vertreter hat. In der Wohnungspolitik ist ein Aufbruch notwendig. Ihnen geht es bei diesem wohnungspolitischen Aufbruch nur ums Geld. Wir wollen die Chance für einen erneuerten sozialen Wohnungsbau, der diesen Namen verdient, für eine ökologisch und wirtschaftlich vernünftige Entwicklung der Stadt, für eine bessere städtebauliche und architektonische Qualität des Wohnungsbaus. Sie sind dieser Herausforderung leider nicht gewachsen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich, Herr Conradi, wollte ich Ihnen zu Ihrer Fähigkeit gratulieren, in so eloquenter Weise Dinge in Zusammenhang zu bringen, die nichts miteinander zu tun haben. ({0}) Aber nach den etwas unverschämten Nebenbemerkungen, die Sie eingeflochten haben, ({1}) will ich mir das verkneifen. Sie waren - nebenbei bemerkt - nicht nur unverschämt, sondern auch un-charmant, was eigentlich gar nicht zu Ihnen paßt. ({2}) Wir sind auch nicht bereit, all die Fehlschlüsse, die Sie hier aufgelistet haben und die Sie uns als Rezeptur andienen, zu übernehmen. Mit dem Entwurf eines Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes legt die Bundesregierung nunmehr das letzte Teilstück eines umfassenden Programms zur Förderung des Wohnungsbaus zur Entscheidung und Beratung vor. Dabei werden Änderungen im Baurecht vorgeschlagen, die in erster Linie der Beschleunigung der Bauleitplanung und der Baugenehmigungspraxis dienen, aber auch substantielle Änderungen für die Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und im Außenbereich bewirken und darüber hinaus begrenzte Mietrechtsänderungen in Spezialfällen vorsehen, ohne daß das soziale Mietrecht in seinem Grundtatbestand tangiert wird. ({3}) In den Koalitionsgesprächen über diese bau- und mietrechtlichen Änderungen wurden lediglich Grundlinien festgelegt, die von der Verwaltung nunmehr materiell ausgefüllt vorgelegt wurden. Da dieses Verfahren selbst sozusagen beschleunigt durchgeführt wurde, wird es in den Ausschußberatungen darauf ankommen, die Details der Bestimmungen einer genauen Prüfung zu unterziehen, damit in der Eile nicht die gebotene Solidität verlorengeht und damit das, was hier beschlossen werden soll, in der Praxis Bestand hat, auch wenn die Maßnahmen des Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes nur befristet angelegt sind. Von besonderer Bedeutung ist für uns von der FDP die Änderung des § 35 des Baugesetzbuches in zweifacher Hinsicht. Zum einen meinen wir, daß wir landwirtschaftlichen Betrieben eine zusätzliche Möglichkeit zur Einkommenserzielung eröffnen müssen, wenn wir andererseits mit staatlichen Hilfen den Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Produktion fördern und die Strukturverbesserung erleichtern wollen. ({4}) - Ihnen doch wohl auch, Herr Conradi. ({5}) Wir möchten dazu beitragen, daß vorhandene Gebäulichkeiten vor dem Verfall bewahrt und zum anderen für Wohnzwecke genutzt werden können. ({6}) Das bedeutet, daß ein Neubau im Außenbereich verhindert wird, damit Siedlungszersplitterung vermieden wird und, da gleichzeitig die Erschließung als Voraussetzung gesichert sein muß, die Belange des Umweltschutzes gewahrt bleiben und darüber hinaus ein Beitrag zur Beseitigung der Wohnungsnot geleistet werden kann. Ich befürchte nur, daß uns da unter Umständen das Bauministerium bei der Detailformulierung ein Kukkucksei ins Nest gelegt hat, worüber wir im Ausschuß noch etwas nachbrüten dürfen. ({7}) - § 35. Hier wird es in der Tat darauf ankommen, die Detailregelung wasserdicht zu machen, daß kein Mißbrauch möglich ist, daß aber andererseits die bisherige Handhabung des § 35 nicht weiterhin als heilige Kuh angesehen wird. Denn schließlich muß es möglich sein, aufgegebene, bisher landwirtschaftlich genutzte Gebäulichkeiten einer sinnvollen Wohnnutzung zuzuführen. § 4 des Gesetzentwurfes sieht ferner in Abs. 4 vor, Satzungen für bebaute Bereiche im Außenbereich auch dann erlassen zu können, wenn diese bebauten Bereiche im Flächennutzungsplan nicht als Bauflächen dargestellt sind. Da dieses Petitum in den Koalitionsgesprächen nicht detailliert behandelt wurde, gebe ich hier für meine Fraktion zu bedenken, sich dem Abwägungsprozeß hierüber mit besonderer Hingabe in den Ausschußberatungen zu widmen. ({8}) Daß im übrigen die Möglichkeiten zur Genehmigung von Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich für Zwecke des dringenden Wohnbedarfs gemäß § 34 Abs. 3 erweitert werden sollen, halten wir nachgerade für erforderlich und besonders sinnvoll. Für besonders bedeutsam, da kurzfristig wirksam im Sinne einer Mobilisierung von zusätzlichem Wohnraum aus vorhandenem Bestand, halten wir die vorgesehenen mietrechtlichen Änderungen. Durch die beiden Zusätze, die § 564 b BGB angefügt werden, wird es künftig möglich sein, Zeitmietverträge für Ferienhäuser und Ferienwohnungen in Ferienhausgebieten abzuschließen, ({9}) ohne die geradezu fallenhaft angelegte Prozedur des Kündigungsverfahrens und die Kündigungsvoraussetzungen einhalten zu müssen, wie sie in § 564 c BGB für bisherige befristete Mietverhältnisse vorgesehen sind. Das kann die vorläufige Unterbringung auf mittlere Sicht gerade von Aus- und Übersiedlern, von denen gegenwärtig noch über 200 000 in Übergangsheimen untergebracht sind, erheblich erleichtern. Es ist dabei zu bedenken, daß die Ferienwohnungen in der Regel über eine ausgezeichnete Ausstattung verfügen, daß die Ver- und Entsorgung in den Ferienhaus-gebieten gesichert ist und daß auf diese Weise diejenigen, die teils unter unwürdigen Umständen in Turnhallen und anderen Massenquartieren untergebracht sind, in geordnete Wohnverhältnisse gebracht werden können ({10}) und keine Angst vor dem kommenden Winter zu haben brauchen. ({11}) - Herr Kollege Müntefering, Sie sollten sich einmal bei Ihrem Kollegen Müller ({12}) erkundigen, der in einem konkreten Fall in einer Gemeinde in der Vorderpfalz, in Gossersweiler-Stein, an der Basis dafür gesorgt hat, daß eine Anmietung solcher Ferienhäuser verhindert wird. Sie wollen die Unterbringung dieser Leute in solchen Ferienwohnungen gar nicht. Sie wollen sie lieber in den Turnhallen halten. Das ist Ihnen lieber. Denn dann tritt die Wohnungsnot nach außen eklatanter zutage. ({13}) Das ist Ihre Absicht und Ihre Methode, diese Frage zu behandeln. ({14}) Wer in dieser Frage mangelnden Mieterschutz reklamiert, muß sich fragen lassen, ob sein Pochen auf Kündigungsschutzbestimmungen noch das geringste mit sozialer Einstellung und Verantwortung zu tun hat. Zeitmietverträge sind nicht auf dauerhaftes Wohnen angelegt. Sie gelten für die befristete Dauer des Vertrages, und sie erfüllen damit einen ganz bestimmten und beabsichtigten Zweck, nämlich der befristeten Unterbringung von Menschen, die ansonsten in unzuträglichen Massenquartieren hausen müßten. Die befristete Wohnungsversorgung in Ferienwohnungen erleichtert diesem Personenkreis die Zeit, bis eine auf dauerhaftes Wohnen angelegte endgültige Wohnraumversorgung gefunden ist oder gefunden werden kann. Die zweite mietrechtliche Änderung im Sinne einer erleichterten Kündigung betrifft die befristete Anmietung von Wohnungen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts - damit sind Träger öffentlicher Aufgaben wie Gemeinden, Gemeindeverbände, Landkreise, aber auch kirchliche Organisationen und Studentenwerke, nicht dagegen kommunale Wohnungsunternehmen gemeint - zur Weitervermietung an Personen mit dringendem Wohnbedarf oder in Ausbildung befindliche Personen. Mit dieser Regelung wird den Gemeinden zum erstenmal Gelegenheit gegeben, sich in größerem Maße befristete Belegbindungen für Wohnungsnotfälle zu verschaffen. Die Vermieter von Einliegerwohnungen beispielsweise, die ihre Wohnungen dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stellen wollen, weil sie in einer überschaubaren Zeit über die Wohnung wieder selbst verfügen möchten, können nunDr. Hitschler mehr unbeschadet ihre Wohnungen befristet den Gemeinden vermieten. Mit dem eigentlichen Mieter stehen sie in keinem vertraglichen Verhältnis. Dadurch, daß der Vermieter darauf vertrauen kann, über die Wohnung nach Ablauf des befristeten Mietverhältnisses wieder verfügen zu können und vor allen Dingen mit der Prozedur der Räumung nicht belastet zu werden, dürfte es möglich gemacht werden, leerstehende Wohnungen, z. B. Einliegerwohnungen, dem Wohnungsmarkt zuzuführen. ({15}) - Die Gemeinden, der eigentliche Mieter, sicher. In vielen Fällen, z. B. in Scheidungsnotfällen, wird es auch in der Lebenswirklichkeit so sein, daß Wohnungen nur vorübergehend benötigt werden. Insofern bietet der Einstieg über Belegbindungen, über den Abschluß befristeter Mietverhältnisse mit Trägern öffentlicher Aufgaben ein flexibles Instrument zur Bekämpfung des Wohnungsmangels in Dringlichkeitsfällen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hitschler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie im Ernst den Kommunen ein Räumungsrecht für Wohnungen geben, und können Sie mir mal sagen, wer das in der Praxis durchführen soll, wer die Leute aus den Wohnungen herausholen soll? ({0})

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Müntefering, wenn ein befristeter Mietvertrag abgeschlossen wird, dann muß die Wohnung logischerweise vom Mieter nach Ablauf der Frist geräumt werden. Die Kommune kann ja durch Abschluß anderer Verträge dafür sorgen, daß unter Umständen der Mieter dann in eine andere angemietete Wohnung einziehen muß. ({0}) - Ich habe Ihnen ja Fälle gesagt, wo solche befristeten Mietverhältnisse eben sinnvoll sein können. Das ist immerhin besser, als wenn die Leute in einer Turnhalle sitzen. ({1}) Das ist die Alternative, Herr Conradi, für die Sie dann die Verantwortung übernehmen müssen. ({2}) - Entschuldigen Sie bitte, Herr Conradi, wir haben doch gegenwärtig den Fall, daß die Leute in Massenquartieren untergebracht werden, während andererseits noch Wohnungen und die Ferienhäuser Leerstehen, weil rechtliche Hemmnisse dafür bestehen, daß die Leute die zur Verfügung stellen. Die wollen wir mit dieser gesetzlichen Regelung beseitigen. Das ist der Sinn der ganzen Geschichte. ({3}) Damit werden zusätzliche Wohnungen dem Markt zugeführt. Ich nehme doch an, daß das begreifbar ist. Bei den Bestimmungen des Gesetzentwurfs über die Beschleunigung der Bauleitplanung werden wir im Ausschuß sorgfältig zu prüfen haben, ob die Einbeziehung der vorgezogenen Bürgerbeteiligung in das Auslegungsverfahren eine ausreichende Absicherung der Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung für die Bürger darstellt. Ansonsten sind die vorgesehenen Regelungen zu begrüßen. Die gestrige Anhörung im Raumordnungsausschuß hat ergeben, daß auch überprüft und gegebenenfalls noch Erleichterungen eingeführt werden sollen, die das Verhältnis der verschiedenen Planungsebenen zueinander betreffen. Ziele der Landesplanung, des Landesschutzes und der Raumordnung hemmen nicht selten die Bebauungsplanung insbesondere in den Randzonen städtischer Entwicklung. Hier müssen unter Umständen Ziele der Landesplanung gelockert werden, weil selbst bei aller Ausnutzung von Nachverdichtungen im innerstädtischen Bereich auf die zusätzliche Ausweisung von Baugebieten nicht verzichtet werden kann. Hier hat der Städte- und Gemeindebund interessante Vorschläge gemacht, die es zu prüfen gilt. Nachdem nun auch klar ist, daß die Baunutzungsverordnung, in der vorgesehenen Form vom Bundesrat akzeptiert werden wird, was ja doch erhebliche Erleichterungen für den Dachgeschoßausbau bringen wird, muß festgestellt werden: Der Bund hat seine Pflicht getan. Nun sind die anderen Partner, die Verantwortung für die Wohnraumversorgung der Bevölkerung tragen, nämlich die Länder und die Kommunen, gefordert, ihrerseits alles zu tun, bürokratische Hemmnisse, die in ihrer Verantwortung liegen, abzubauen. Wenn es um Forderungen an den Bund ging, haben sich Länder und diverse Oberbürgermeister auffallend lautstark zu Wort gemeldet. Wenn es beispielsweise um die befristete Aussetzung der Stellplatzverpflichtung geht, um den Dachgeschoßausbau zu fördern, verhalten sich dieselben geradezu merkwürdig schweigsam. ({4}) Wir möchten auch die Medien bitten, ihr Augenmerk nunmehr besonders darauf zu richten, was Länder und Gemeinden ihrerseits nicht nur an finanziellen Mitteln einbringen, sondern auch an Anstrengungen, ihre bisher sehr restriktive Baugenehmigungspraxis zu ändern und ihre Bemühungen um Baulanderschließung zu forcieren. Nun müssen die Bauämter, die örtlichen Satzungen und Bebauungspläne sowie die Landesbauordnungen zum TÜV. Die Öffentlichkeit, unsere Bürger, möchte den Prüfstand für die Bereitschaft von Kommunen und Ländern bilden, den Wohnungsbau ihrerseits zu fördern. - Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe noch verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Die Öffentlichkeit ist um diese Stunde nicht mehr beteiligt, wenn man von den Fernsehmenschen einmal absieht. Guten Abend! Sie erinnern sich an Christiane F., die die Geschichte der „Kinder vom Bahnhof Zoo" geschrieben hat, eine Geschichte, die damals, als sie erschien, ziemlich aufgerüttelt hat. Es ist eine authentische Geschichte, wie man so sagt, eine wahre Geschichte. Die Geschichte der Kinder vom Bahnhof Zoo und der Christiane F. hat aber nicht am Bahnhof Zoo begonnen, sondern da geendet. Begonnen hat sie in einer Trabantenstadt. Sie erinnern sich vielleicht, wenn Sie damals das Buch gelesen oder den Film gesehen haben, daß es da sehr beeindruckende Szenen aus dem Märkischen Viertel gibt, aus dem Christiane F. kam. ({0}) Sie berichtet von den Kindern, die zum Klo müssen, nicht an die Klingel kommen und dann dafür verprügelt werden, daß sie sich die Hosen naß machen. Die Kinder müssen nachher einen Kochlöffelstiel nehmen, um an die Klingel zu kommen, und sich dann immer dagegen wehren, daß ihnen die größeren Kinder den Kochlöffel wegnehmen. Das sind Szenen gewesen, die, wie gesagt, sehr beeindruckt haben, beeindruckt auch insofern, als durch die Geschichte der Christiane F. nicht nur das Thema „Drogenproblematik" einer breiten Öffentlichkeit in seiner Brisanz zu Bewußtsein gekommen ist, sondern auch die Problematik des Lebens in sogenannten Großwohnsiedlungen oder Trabantenstädten. Vielen Menschen, die mit diesen Siedlungen nicht selbst konfrontiert waren, weil sie nicht darin leben mußten, ist bis dahin nicht so bewußt gewesen, was es für die Menschen bedeutet, in Großwohnsiedlungen, in Trabantenstädten, in Wohngebirgen wohnen und leben zu müssen, nicht nur schlafen zu müssen wie diejenigen, die anderswo eine Arbeitsstelle haben. Wir haben uns im Ausschuß mit dieser Problematik beschäftigt. Wir haben auch solche Siedlungen besucht und gemeinsam festgestellt, daß die Lebens-und Wohnbedingungen dort nicht als menschlich, nicht als human bezeichnet werden können, ({1}) daß großer Verbesserungsbedarf besteht. Manche sprechen von „Nachbesserungen". In einigen dieser Siedlungen hat dies auch begonnen. Man kann darüber streiten, wie weit es nur Kosmetik ist oder wie weit es grundsätzliche Verbesserungen sind, wenn man in der Infrastruktur, etwa bei der verkehrlichen Erreichbarkeit, etwas verbessert oder nur buchstäblich Fassadenmalerei betreibt. Diese Verbesserungen finden statt. Sie müssen weiterhin gefördert werden. Was wir aber auf jeden Fall - wohl auch übereinstimmend - aus dieser Geschichte der städtebaulichen Fehlplanungen in den 60er und 70er Jahren gelernt haben, ist, daß solche „Lösungsmöglichkeiten" für Wohnungsprobleme nicht wieder aufgelegt werden dürfen. ({2}) Das ist auch im Zusammenhang mit der Wohnungsbaudiskussion dieses Jahres in den letzten Monaten immer wieder von allen Seiten betont worden. Die Frage ist natürlich, wie man die vielen Leute dann unterbringt, wenn man das nicht will. Die Ministerin hat im Oktober - sie hat viele Termine mit verschiedenen Verbänden angesetzt - ein ganz großes Treffen mit allen nur denkbaren am Wohnungsbaugeschehen Beteiligten durchgeführt, zu dem auch die Obleute der Fraktionen eingeladen waren. Dort sollte es darum gehen, gemeinsam darüber nachzudenken und zu beraten, wie man Maßnahmen im Bau- und Planungsrecht ergreifen kann, um Hindernisse zu beseitigen. Ursprünglich war vorgesehen, sich dreimal zu treffen und drei Vormittage lang zu diskutieren. ({3}) Es hat sich dann auf dieses eine Treffen beschränkt. ({4}) Ich möchte einmal Herrn Pflaumer - er kommt gerade - mit dem Fazit zitieren, das er nach diesem Vormittag aus der Beratung gezogen hat. Herr Pflaumer, ich habe mir das extra aufgeschrieben, weil mir das doch bemerkenswert erschien, Herr Pflaumer hat in Zusammenfassung dessen, was die meisten Gemeinde- und Verbandsvertreter zu der Frage „Muß man am Baurecht grundsätzlich oder auch nur vorübergehend etwas ändern?" am Vormittag gesagt hatten, ausgeführt: In der Ausschöpfung des geltenden Rechts ist noch sehr viel Luft. Es fehlt allerdings oft an Informationen auf allen Ebenen. - Mit Bezug auf die neue Baunutzungsverordnung, die demnächst kommt, sagte er dann: Es steckt auch da eine ganze Menge an Erleichterungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten drin. Also, die bestehenden gesetzlichen Grundlagen reichen aus; man müßte sie besser nutzen. Das wäre eine Möglichkeit, auf die unbestritten problematische, besonders in Großstädten und Ballungsgebieten unbestritten problematische Situation in bezug auf die Zurverfügungstellung von Grundstücken zu reagieren. Es gibt generell zwei Wege, wie man damit umgeht. Die eine Möglichkeit - Herr Conradi hat schon darauf hingewiesen - wäre der Zugriff auf vorhandenes Bauland, auf Flächen, die bereits ausgewiesen sind, die aber aus verschiedensten Gründen nicht bebaut werden, die zum Teil überplant sind oder die nicht überplant sind, die man aber relativ geschwind überplanen könnte. Möglich wäre auch der Zugriff auf Wohnungen, auf Gebäude, die schon da sind, die aber nicht als Wohngebäude genutzt werden. Es gibt reichlich Vorschläge, die in der letzten Woche auf dem Städtetag in Köln gemacht worden sind. Herr Kansy, ich habe leider erst im Protokoll nachlesen können, daß Sie bei meiner letzten Rede zweimal dazwischengerufen haben, ich sei ja gar nicht dagewesen. Ich war sehr wohl da, ich habe mich nur nicht in die erste Reihe gesetzt. Deshalb haben Sie mich vielleicht nicht wahrgenommen. Ich habe aber sehr aufmerksam zugehört, was beim Städtetag geäußert wurde. Da war eine der ganz betont vorgetragenen Forderungen, wir mögen doch bitte eine Verschärfung des Baugebots in Betracht ziehen. ({5}) Das fehlt jetzt in dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben. Wir mögen eine Verschärfung des Zweckentfremdungsverbots in Betracht ziehen. Wir mögen in Betracht ziehen, daß man mit verschärften Sanktionen auf vorsätzlichen Wohnungsleerstand reagiert. Was es jetzt, wenn überhaupt reagiert wird, an Sanktionen oder Bußgeldern gibt, ist ein Witz gegenüber dem, was spekulationsbedingt nach einigen Jahren dann dabei herausgeholt werden kann. Es geht einfach nicht, daß hier Leute Eigentum besitzen und es nicht für sozial- und wohnungspolitisch im Moment außerordentlich wichtige Zwecke verwerten und verwenden. ({6}) Es gibt noch Möglichkeiten zur Verdichtung im Innenraum; sie sind allerdings zum Teil beschränkt. Das hat die gestrige Anhörung erwiesen, und das hat auch eine Anhörung erwiesen, die unsere Fraktion, die grüne Fraktion, am Montag durchgeführt hat. Dies ist natürlich immer einer der Hauptkonflikte. Die Frage ist, wie schnell verfügbar die Flächen im Innenraum sind. Da können wir als Ergebnis feststellen: Es ist schon sehr viel nutzbar gemacht worden. Aber das, was gemacht worden ist, reicht nicht aus. Man kann aber noch mehr Zugriff auf Flächen im Innenbereich nehmen. Man kann das tun; das wird allerdings nicht genügen, um den großen Wohnungsbedarf zu befriedigen. Das heißt aber noch lange nicht, daß man jetzt ganz in die Fläche geht und die totale Bauerleichterung und Baubeschleunigung praktiziert. ({7}) - Das wollen Sie durchaus! Sie wollen nicht den Weg mit den Maßnahmen gehen, die ich eben genannt habe. Sie wollen nicht diesen verschärften Zugriff auf das Bauland und auf die Gebäude und Wohnungen, die jetzt da sind. Der Hintergrund ist natürlich klar: Sie würden sich ganz schön Ärger mit denen einhandeln, die auf diesen Flächen sitzen, die über dieses Eigentum verfügen. Es würde dann schnell geschrien: Das ist ein Eingriff in das Eigentum! Davor haben Sie Angst, diesen Mut haben Sie nicht, obwohl sie natürlich auch wissen, daß Eigentum verpflichtet, auch in diesem unserem Staate. ({8}) Deswegen versuchen Sie jetzt, einen grundsätzlich anderen Weg zu gehen. Unseres Erachtens ist das ein Eingriff in die Grundsätze des Baurechts, wie sie im Baugesetzbuch und in anderen Regelungen festgelegt sind. Wenn Sie hergehen und sagen, das sei nur vorübergehend bis zum Jahre 1995, dann frage ich Sie: Was machen Sie mit den Gebäuden, mit dem, was dann im Vorgriff oder vorübergehend errichtet sein wird? Wollen Sie das 1995 alles wieder rückgängig machen, nur weil dann diese Gesetzesänderung nicht mehr gilt? Dann sind Fakten geschaffen, dann sind Tatsachen da, dann ist einiges zerstört, und das müssen Sie eben jetzt verhindern. ({9}) Nun zur Frage der Qualität dieser neuen Wohnungen: Sie haben soeben gesagt: Ja, das ist uns die ganze Zeit bewußt gewesen, und wir haben schon immer davon geredet, daß man auch aufpassen muß, wie gebaut wird. Warum, frage ich Sie, meldet sich die Ministerin dann erst gestern, also mit Datum vom 6. Dezember, bei den Architekten mit einer Presseerklärung, über der steht „Qualitätsappell"? Jetzt geht sie endlich auch einmal darauf ein, daß man Qualitätsstandards beachten muß, wenn man menschlich bauen und eine urbane Lebensweise, wie das immer so schön heißt, über die gegenwärtigen Notsituationen hinaus retten will. Warum sagt sie erst jetzt, sie appelliere an die Gemeinden und an die Länder, daß sie, wenn sie jetzt ihre Förderprogramme initiieren, auch Qualitätsstandards hineinbringen? Warum hat sie das nicht bei ihrem eigenen Förderprogramm gemacht? ({10}) - Das ist eben nicht geschehen. ({11}) Und ich kann nur immer wieder darauf verweisen, daß zu Qualitätsstandards eben auch ökologische und energietechnische Standards gehören. Ich habe Herrn Echternach gestern wieder gefragt: Wie ist das mit der Verschärfung der Wärmeschutzverordnung? - Ja, man prüft, man überlegt noch - als ob man nicht wüßte, was im Moment an Notwendigkeiten angesagt ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden uns sehr detailliert - das versteht sich - , wie wir das immer machen, mit diesem Gesetzentwurf auseinandersetzen. Wir werden Gegenvorschläge einbringen, nämlich in der Richtung, wie wir uns vorstellen, wie man auf das Bauland zugreifen kann. Und wenn wir - das als letzter Satz, und das auch noch einmal im Zusammenhang mit der Großsiedlungs-Debatte - schon nicht wissen, was für die Zukunft richtig ist, dann müssen wir auf jeden Fall das vermeiden, von dem wir wissen, daß es mit Sicherheit falsch ist. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der letzten Wohnungsbaudebatte - es ist erst eine Woche her - darauf verzichtet, meine eigenen Gedanken vorzutragen, um mich nur mit den Argumenten der Opposition auseinanderzusetzen. Deswegen möchte ich heute einige meiner eigenen Gedanken äußern. ({0}) Aber vorher, Herr Conradi, möchte ich Ihnen doch drei Dinge sagen. Warum ausgerechnet Sie, die Sie vor 10 und 20 Jahren Arm in Arm mit Herrn Lappas und Co. die Welt zubetoniert haben ({1}) - die Wohnungen sind dann anschließend verscherbelt worden -, sich hier zum Kritiker dieser Regierung mit ihrem Programm machen, das leuchtet mir auch eine Woche später noch nicht ein. ({2}) Und was die Damen und Herren Architekten betrifft: Wer hat denn die Trennung von Wohnen und Arbeiten erfunden? Wer hat denn mit der sozialistischen Heckenschere die Ideologie „Wir müssen Kasten auf Kasten aufschichten, damit wir keine Unterschiede mehr erkennen" entwickelt? Das waren doch Sie, als Politiker und Architekt, Sie, Peter Conradi, ganz vorneweg! Wenn es in diesem Hause überhaupt einen einzigen gibt, der kein Recht hat, zu kritisieren, dann sind Sie das höchstpersönlich. ({3}) Meine Damen und Herren, wir kommen gerade mit einigen Kollegen von der Bundesarchitektenkammer von einem sehr interessanten Fachgespräch. Herr Conradi, Sie waren nicht dabei; ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf. ({4}) In diesem Gespräch ist breite Übereinstimmung mit dem Programm der Bundesregierung, sind aber auch einige Konflikte festgestellt worden, über die wir noch reden müssen. Das Bild, das Sie hier suggerieren, ist genauso falsch wie das vom Ergebnis der gestrigen fünfstündigen Anhörung des Ausschusses im Langen Eugen, in der der Haupttenor war: Jawohl, das ist ein in jeder Beziehung ausgewogenes Programm, ein Programm, das hauptsächlich kein Finanzierungsprogramm ist, sondern über Finanzierung hinausgeht und auch Fragen der Baukapazitäten, des Baulandes, des Baurechts, des Mietrechts usw. behandelt. Insofern ist Ihr Vorwurf geradezu absurd. „Falsch" wäre ein zu gelinder Ausdruck. ({5}) Nun, meine Damen und Herren, doch noch einige Worte zu den Großsiedlungen; Frau Kollegin Teubner hat das angesprochen. Wir haben ja, als wir diese Probleme aufgegriffen haben - das ist schon einige Jahre her -, Besuche in vielen Städten gemacht. Wer sich noch daran erinnert und das nicht verdrängt - ich nenne z. B. Chorweiler, das Märkische Viertel und erinnere an die Situation in Hamburg - , der weiß, daß dort viele Wohnungen leerstanden. ({6}) - Ja, aber wir wollen ehrlich miteinander umgehen: Es war nicht nur Herr Zöpel, der sich Gedanken darüber gemacht hat, was wir mit diesen überflüssigen Wohnungen machen sollen, ob wir sie eventuell abreißen sollen. Die Architekten haben das dann vornehm Rückbau genannt. Meine Damen und Herren, wir diskutieren diese Situation jetzt vor einem offensichtlich anderen Hintergrund. ({7}) - Herr Präsident, ich habe eine ziemlich kräftige Stimme, und ich fahre fort, nicht?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich finde, Sie sollten das tun. Ich muß mich erst an den Tonfall gewöhnen, denn ich bin gerade erst gekommen.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sollten besonders in Zeiten der Wohnungsverknappung nicht verdrängen und vergessen - insofern bin ich mit Ihnen, Frau Kollegin Teubner, einer Meinung - , was wir im Ausschuß und die Bundesregierung in ihrem Bericht über diese Siedlungen über viele Jahre hinweg erarbeitet haben. Während andere immer noch Kritik an diesen Siedlungen übten, war sich der Ausschuß eigentlich darüber im klaren, daß die Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre einen wichtigen Beitrag zur Wohnungsversorgung der Bevölkerung darstellten und auch heute noch darstellen. Es kann deswegen heute nicht darum gehen, die zweifellos vorhandenen Mängel zum Anlaß zu nehmen, einen Totalabriß im weitesten Sinne des Wortes zu fordern. ({0}) Wir haben zur Kenntnis genommen, daß eine beträchtliche Anzahl von Menschen, die dort wohnen, trotz mancher Mängel mit ihrem Wohnquartier zufrieden waren und sich auch zunehmend damit identifizierten. Wenn wir die Mängel in unserer Beschlußempfehlung benennen, dann geschieht das nicht, um das Image dieser Siedlungsform zu beeinträchtigen oder die dortigen Bewohner zu verunsichern, sondern in der Absicht, die Bemühungen um eine Verbesserung der Wohnsituation dort zu stärken. Meine Damen und Herren, wir haben bei unseren Besichtigungen und Gesprächen festgestellt, daß dort massiv Kritik geäußert wird, wo bauliche und städtebauliche Mängel wie Monotonie und Uniformität mit anderen Defiziten in der Infrastruktur, im Nahverkehr, in der Nahversorgung u. ä. zusammenkommen. Diese Mängel beziehen sich, was die bauliche Seite betrifft, teils zwar auf relativ belanglose Dinge wie Eingangsbereiche - das Beispiel mit den Klingeln, das hier soeben genannt wurde, war sehr schön -, Treppenhäuser usw. ; aber ich glaube, es wäre falsch, nur auf die Verbesserung des Erscheinungsbildes der Gebäude oder der Freiflächen hinzuwirken. Wir haben mit Unterstützung des Bundesbauministeriums im Rahmen des Programms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" sogenannte integrative städtebauliche Konzepte entwickelt, die auf eine umfassende Verbesserung der Großsiedlungen abzielen, und zwar sowohl im baulichen als auch im sozialen, im städtebaulichen, im wirtschaftlichen Bereich usw. Wir erkennen an, daß im Zusammenwirken von Eigentümern, Bewohnern und öffentlicher Hand zwischenzeitlich eine ganze Menge erfolgversprechende Lösungen gefunden worden sind. Ich glaube, es ist besonders erfreulich, daß dort, wo die Bewohner aktiv an der Verbesserung ihres Wohnquartiers mitgearbeitet haben oder noch mitarbeiten und Eigeninitiative entwickeln, diese Maßnahmen zu einem sichtbaren Erfolg geführt haben. Lassen Sie mich jetzt doch noch einmal kurz auf den vorhin schon angesprochenen Zielkonflikt eingehen, bei dem Sie, Herr Conradi, es sich trotz Ihres zweifelsohne vorhandenen Fachwissens zu einfach gemacht haben, indem Sie diesen Zielkonflikt verdrängt haben. Es war wohltuend, die Rede der Kollegin Teubner zu hören, obwohl wir oft unterschiedlicher Meinung sind. Wenn wir uns nicht der Mühe unterziehen, diesen Zielkonflikt seriös auszutragen, sondern vielmehr nur Ihre Luftballonpolitik machen - Sie fordern 500 000 Wohnungen jährlich, sagen aber: Wir wollen dafür kein Bauland zur Verfügung stellen - , dann werden wir die Probleme nicht lösen. Herr Conradi, wir alle sind bei der Beratung des Baugesetzbuches von einer Philosophie ausgegangen, die sinngemäß lautete: Das Land ist aufgebaut, die Bevölkerungszahl stagniert. Laßt uns den Blick nach innen wenden. Laßt uns eine menschlichere Stadt gestalten und nicht unbedingt neue Flächen ausweisen. Meine Damen und Herren, heute ist aus den bekannten Gründen absehbar, daß wir über viele, viele Jahre hinweg wenigstens 400 000 Wohnungen pro Jahr bauen müssen. Natürlich gibt es noch Baulücken. Wer streitet das denn ab? Natürlich gibt es noch unausgebaute Dachgeschosse. Es gibt auch ungenutzte Bausubstanz, die man, wenn man vernünftige Paragraphen macht, nutzen kann. Aber seien wir doch ehrlich: All dies wird nicht ausreichen, Millionen von Wohnungen in den nächsten Jahren zu erstellen. Ohne unsere städtebaulichen und landesplanerischen Konzepte über den Haufen zu werfen, ohne die Probleme der Zersiedlung zu verniedlichen, ohne die Fragen des Wohnumfelds und der Ökologie plötzlich unter den Tisch fallen zu lassen: Der Zielkonflikt muß seriös ausgetragen werden, wenn wir als Politiker in einer so schwierigen Situation noch ernst genommen werden sollen. ({1}) Meine Damen und Herren, soll der zusätzliche Flächenverbrauch minimiert werden, müssen wir, aufbauend auf unseren positiven und auch negativen städtebaulichen Erfahrungen, Konzepte entwickeln, die eine verdichtete Bauweise attraktiver machen als in der Vergangenheit, ohne allerdings wieder in die Aufstapelei von Wohnungen à la 1960/70 zu kommen. Während der Beratung des Wohnungsbauprogramms der Koalition sind Forderungen zur Reduzierung oder Aussetzung der Städtebauförderung erhoben worden. Ich möchte hier klar sagen: Im Namen der CDU/CSU-Fraktion erteile ich dieser scheinbaren Alternative, Geld lockerzumachen, eine klare Absage. Es wäre verhängnisvoll, ({2}) würden wir die notwendigen Maßnahmen zur Überwindung der derzeitigen Wohnungsengpässe dazu benutzen, unser Langzeitziel aus den Augen zu verlieren: eine ständige innere Erneuerung unserer Städte und Dörfer, auch unserer Großsiedlungen, um sie menschengerechter, umweltgerechter und deswegen zukunftsgerechter zu gestalten. Meine Damen und Herren, ich bitte um Annahme unserer Beschlußempfehlung zu diesem Thema. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Großmann.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute abend einen weiteren Akt des Trauerspiels mit dem Titel „Die halbherzige Bekämpfung der Wohnungsnot". ({0}) - Herr Kansy, man hat mir, als ich in den Bundestag kam, gesagt: Je länger ein Abgeordneter im Bundestag ist, desto klüger sind seine Zwischenrufe. Ich stelle bei Ihnen nur das Gegenteil fest. ({1}) Wie viele Akte das Stück schließlich einmal hat, wagt selbst bei der Theaterleitung, der Bundesregierung, heute noch keiner vorauszusagen. Man ist vorsichtig geworden. Einerseits hat man noch während der Vorstellung den Regisseur ausgewechselt - erst Schneider, jetzt Hasselfeldt -; andererseits hat man bereits häufiger den letzten Akt angekündigt, bis heute aber weder ein schlüssiges Finale noch gar ein Happy-End gefunden. ({2}) So haben die Autoren jetzt auf Schubladenmaterial zurückgreifen müssen, das man zunächst mangels erforderlicher Qualität gar nicht veröffentlichen wollte. Herausgekommen ist ein Sammelsurium von Vorschlägen, von denen wenige als durchdacht, die meisten als undurchdacht bis untauglich zu bewerten sind. ({3}) Dabei ist in dem Gesetzentwurf - wir haben ja gemerkt: Wir wissen gar nicht genau, über welchen Gesetzentwurf wir heute reden; denn die FDP hat heute schon jede zweite Passage dieses Gesetzentwurfs in Frage gestellt - vielleicht manches Interessante nachzulesen. Noch interessanter ist es aber, festzustellen, was man gar nicht erst hineingeschrieben hat. Schon die Bezeichnung des Gesetzes ist ein blanker Euphemismus. Statt „Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz" hätte dieser Text auch „Gesetz zur Zersiedlung der Landschaft" oder „Mietrechtsabbaugesetz" genannt werden können. ({4}) Weitere mögliche Bezeichnungen möchte ich nur aus Zeitmangel weglassen. Noch gestern haben wir bei der Anhörung bestätigt bekommen, wo ein Teil der Ursachen dafür liegt, daß es immer weniger preiswerten Wohnraum gibt. Zahlen aus Frankfurt zeigen, daß in den letzten acht Jahren die Mieten dort um 109 % gestiegen sind. ({5}) Bei Neuvermietungen sind teilweise enorme Mietpreissprünge festzustellen. Die Mietspiegel sind nicht genügend am Bestand orientiert und wirken daher eher preistreibend. ({6}) Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen nimmt ständig zu. Das Problem leerstehenden Wohnraums ist offensichtlich so brisant, daß Herr Oberbürgermeister Rommel noch vor etwa einer Woche erklärt hat, er halte es für zumutbar, daß derjenige, der eine abgetrennte Wohnung hat und nicht vermietet, den erzielbaren Mietertrag als Einkommen versteuern solle. Schließlich: Immer mehr Wohnungen fallen aus der sozialen Bindung, aus der Mietpreis- und Belegungsbindung heraus. ({7}) Dies sind einige der zentralen Probleme, die dazu geführt haben, daß - ich nehme wiederum das Beispiel Frankfurt, weil die Zahlen gestern genannt worden sind - in Ballungsräumen etwa 30 % der Bevölkerung Probleme haben, sich überhaupt am Wohnungsmarkt zu behaupten. Wer nun geglaubt hat, der Gesetzentwurf enthalte Lösungsvorschläge zu diesen Problemen, sieht sich getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall: Die geplante Änderung der mietrechtlichen Vorschriften läßt eine weitere Aushöhlung des Mietrechts befürchten. Ich will das an wenigen Beispielen aufzeigen; sicherlich werden wir im Ausschuß darüber zu diskutieren haben. Erstes Beispiel: Durch die Neueinfügung des § 564b Abs. 3 Nr. 4 BGB soll die Teilkündigung von nicht bewohnten Nebenräumen eines Gebäudes ermöglicht werden. Der Härtegesichtspunkt soll lediglich in der sogenannten Sozialklausel berücksichtigt werden. Die Erfahrungen zeigen - ich denke jetzt an die letzten Prozesse und Gerichtsentscheidungen, die es gegeben hat -, daß dies nicht ausreichend ist. Hier besteht die Gefahr, daß Teilkündigungen ermöglicht werden, ohne daß das Vorliegen einer unzumutbaren Härte wirklich geprüft würde, ({8}) - Sie können es doch nachlesen; Sie kennen doch hoffentlich Ihren eigenen Gesetzentwurf. ({9}) Zweites Beispiel: Im Abs. 4 Satz 1 desselben Paragraphen soll die vereinfachte Kündigung unter bestimmten Bedingungen für Dreifamilienhäuser gültig werden. Damit werden für den gleichen Tatbestand, vom Eigentümer bewohnte Dreifamilienhäuser, zwei unterschiedliche Kündigungsrechte geschaffen. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, daß dies in erster Linie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unsere Gerichte wird. ({10}) - Für die Anwälte auch, Herr Geis; wenn Sie einmal nicht wiedergewählt werden, wartet viel Arbeit auf Sie. ({11}) Drittes Beispiel: Im § 564b, also im gleichen Paragraphen, diesmal Abs. 7 Nr. 4, geht es um eine neue Ausnahme vom Kündigungsschutz in Ferienwohnungen und Ferienhäusern. Herr Hitschler, daß es bei solchen Objekten die Möglichkeit zu befristeten Mietverträgen geben muß, sieht wohl jeder ein. Aber bei der Neuaufnahme geht es darum, unbefristete Mietverhältnisse möglich zu machen. Der Mieter muß sich in diesem Fall völlig in die Hände des Vermieters begeben. Er kann ohne Angabe von Gründen gekündigt werden, ({12}) er kann sich nicht auf eine Sozialklausel berufen, und er kann keine Räumungsfrist beantragen. Das steht im Gesetzentwurf. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Großmann, würden Sie einen Unterschied machen zwischen der Vermietung von Ferienhäusern, wie wir es vorhaben, und der bereits bestehenden gesetzlichen Regelung im Mietrecht, nämlich der Vermietung von normalen Wohnungen, wie wir sie seit eh und je auf dem Mietmarkt haben? Würden Sie da einen Unterschied machen?

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Unterschied existiert bereits jetzt, aber mit der Neufassung wollen Sie es ermögliGroßmann chen, daß in Ferienwohnungen unbefristete Mietverhältnisse ohne Kündigungsschutz geschaffen werden können. Darüber müssen wir diskutieren. Wir lehnen das ab; denn damit machen wir die Mieter, die dort wohnen, zu Freiwild. ({0}) - Das ist doch nicht die Alternative. ({1}) - Das ist doch nicht wahr. Wenn Sie vor zwei Jahren angefangen hätten, mehr Sozialwohnungen zu bauen, dann bräuchten wir über diese Frage nicht zu diskutieren. ({2}) - Es ist schon spät; ich möchte jetzt fortfahren. Wir haben nächste Woche im Ausschuß reichlich Gelegenheit, diese kontroverse Frage zu diskutieren. Außerdem halte ich es für unmöglich, eine saubere Trennschärfe für Ferienhausgebiete zu formulieren. - Auch das ist ein Hinweis darauf, daß die Gerichte erneut viel Arbeit bekommen werden. Diese drei Beispiele machen klar, wie groß die Gefahr des weiteren Abbaus von Mietrecht ist. Aber selbst wenn diese Probleme gelöst werden könnten, so bleibt doch die feste Einschätzung: Diese Änderungen des BGB bringen unter dem Strich so gut wie nichts. Wer glaubt, mit diesen Maßnahmen den Ausbau von Wohnungen forcieren zu können, der muß von den Realitäten schon weit weg sein. ({3}) Ich habe Ihnen anfangs aufgelistet, wo die Probleme wirklich liegen. In keinem dieser Bereiche wollen Sie wirklich helfen. Ich will Ihnen an dieser Stelle noch einmal die Forderungen nennen, die wir als Sozialdemokraten für geeignet halten, diesem Problemkreis - es geht um die Erhaltung preiswerten Wohnraums - tatsächlich gerecht zu werden: Um die Mietenexplosion zu bremsen, muß für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete wieder der gesamte Wohnungsbestand zugrunde gelegt werden. ({4}) Die höchstzulässige Erhöhung der Miete im Bestand - heute sind in drei Jahren bis zu 30 % möglich - muß reduziert werden. Entsprechend müssen Mietpreiserhöhungen im Falle von Neuvermietungen gesetzlich begrenzt werden. Die Kommunen müssen die Möglichkeit erhalten, in Problemgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern. ({5}) Alte Mietpreis- und Belegungsbindungen müssen gesichert, neue müssen erworben werden. Vorzeitige Rückzahlung öffentlicher Mittel darf nicht zum vorzeitigen Wegfall der Bindungen führen. Schließlich: Die Schutzfrist gegen die Eigenbedarfskündigung nach der Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung muß von drei auf sieben Jahre verlängert werden. Herr Geis, das fordert sogar die bayerische Staatsregierung. ({6}) - Danke schön. Wir werden sehen, was daraus wird. Auch bei dem zeitlich befristeten Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch muß Kritik zunächst grundsätzlich geäußert werden und grundsätzlich ansetzen. Hier wie bei den Änderungen im Mietrecht entsteht nach einer ersten Einschätzung der Eindruck, man habe Unwesentliches aufgenommen, dafür Wesentliches weggelassen. Kaum jemand wird sich gegen eine Entbürokratisierung oder Beschleunigung von Bebauungsplanverfahren sträuben, wenn sie sinnvoll ist. Aber bringt die vorgesehene Kürzung von Fristen wirklich einen zeitlichen Vorteil? Wieviel Verfahren werden in Wirklichkeit nicht durch zu lange Fristen, sondern durch zu lange Entscheidungsabläufe in den parlamentarischen Gremien und durch eine hohe Arbeitsbelastung bei den Kommunen verschleppt? Wie oft sind wirklich schwierige Auseinandersetzungen zwischen den Behörden und den Trägern öffentlicher Belange auszutragen, die man oft nicht künstlich verkürzen kann, ohne zu starken Qualitätsverlusten bei der Planung zu kommen? Führt nicht die Beschneidung der Bürgerbeteiligung zu einer Vielzahl von Petitionen und Rechtsstreitigkeiten und damit zu einer Verlängerung des Verfahrens? Werden nicht eine umfassende Abwägung und eine angemessene Bürgerbeteiligung unmöglich gemacht? Selbst wenn alle diese Bedenken zerstreut werden könnten, wäre doch die Frage: Liegt das Hauptproblem bei den Fristen? Die meisten Sachverständigen haben uns gestern erzählt: Nein. Schlimm finde ich in diesem Zusammenhang zwei Ihrer Ansätze, die das Bauen im Außenbereich erleichtern sollen. Aufgegebene landwirtschaftliche Betriebsgebäude sollen mit vier oder mehr Wohnungen ausgebaut werden können, und Weiler und Splittersiedlungen sollen als grundsätzlich bebaubares Gebiet bestimmt werden. Diese Lockerungen im Außenbereich stoßen auf unsere massiven Bedenken. Wir sind hier - wie wir gestern gehört haben - nicht allein. Viele Fachleute teilen diese Ablehnung. ({7}) Städtebauliche Fehlentwicklungen werden damit vorprogrammiert. Es werden Flächen bebaut, die zu erheblichen Folgekosten für alle führen, ({8}) und dies alles in Bereichen, in denen „Wohnungsnot" fast ein Fremdwort ist, und für Gebäude, bei denen die Umbaukosten höher liegen als die Neubaukosten. ({9}) Nach den Erfahrungen der letzten Monate kann man sich schon vorstellen, wie sich die vier neuen Mieter mit dem Vermieter anlegen müssen, weil der Hahn zu früh und zu laut kräht. ({10}) Wir haben ja Erfahrungen damit gemacht, wie Gerichte in solchen Fällen urteilen. ({11}) - Ich erzähle Ihnen noch einmal etwas vom Hahn! - Nach dieser geplanten Maßnahme des Baugesetzbuchs würde vielleicht kein Hahn krähen, wenn hiermit nicht alles über Bord geworfen würde, was wir in den letzten Jahren gegen Bodenverbrauch, für Freiflächen und für Naturschutz beschlossen haben. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler?

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Großmann, sind Sie wirklich der Auffassung, daß wir alle Menschen in Wohnsilos, in Kästen des gemeinnützigen Wohnungsbaus unterbringen müssen, oder können sie sich auch vorstellen, daß es einige Leute gibt, die gern auf dem Land wohnen würden, in architektonisch interessant umgebauten Gebäuden, die vorher anders genutzt worden sind? Können Sie sich nicht vorstellen, daß das unter Umständen auch auf eine interessierte Nachfrage stößt?

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann mir das sehr gut vorstellen, aber das ist ja auch schon jetzt möglich. Dazu brauchen wir das Baugesetzbuch nicht zu ändern. Hier geht es darum, daß Sie im Außenbereich auflokkern wollen. Das halten wir aus den Gründen, die ich gerade dargestellt habe, für ökologisch nicht vertretb ar. ({0}) Außerdem bringt es - das haben uns alle Fachleute gesagt - unter dem Strich nichts. Es bringt uns nichts! ({1}) - Sie scheinen sich noch recht wenig mit dem Thema beschäftigt zu haben, Herr Kollege. ({2}) Wenn es um Grundsätzliches geht, etwa beim Raumordnungsgesetz oder bei Herrn Töpfers großen Worten, dann werden hehre Grundsätze verkündet. Wenn es um konkrete Maßnahmen geht, werden diese Grundsätze schnell wieder abkassiert. Dabei sind diese geplanten Lockerungen völlig überflüssig. Aber auch insgesamt muß das Bauen im Außenbereich problematisiert werden. Immer wieder haben kommunale und wissenschaftliche Datenerhebungen ergeben, daß im Siedlungsbestand große Flächenreserven vorhanden sind. ({3}) - Hören Sie gut zu! ({4}) Bauen im Außenbereich sollte daher abhängig gemacht werden von der Entwicklung im Innenbereich. Hierzu enthält der Gesetzentwurf nur wenige Vorschläge. So stellen sich die Fragen: Warum wird das Instrument des Baugebots nicht angewandt? Warum wird nicht wieder ein qualifiziertes Vorkaufsrecht im Innenbereich eingeführt? Warum werden die Vorschläge nicht aufgegriffen, eine Art Baulandsteuer auf unbebaute, aber bebaubare Grundstücke zu erheben? Erst wenn durch solche und weitere Maßnahmen alle Anstrengungen unternommen werden, die nicht genutzten Innenbereiche zu entwickeln, sollten neue Wohngebiete in Außenbereichen ausgewiesen werden, denn erst dann kann man die ökologischen und ökonomischen Bedenken gegen neuen Bodenverbrauch umwandeln in die Akzeptanz derartiger neuer Ausweisungen. ({5}) Aber auch dies nutzt wenig, wenn die Ballungsgebiete - Herr Geis, ich gucke Sie nocheinmal an - keinen Freiraum mehr haben, die Vorortstädte wie die von München aber keine neuen Bebauungspläne aufstellen wollen, weil sie den Zuzug verhindern wollen. ({6}) - Sie haben ja gehört, warum. ({7}) Der Gesetzentwurf läßt mehr Fragen offen, als er beantwortet. Viele unwesentliche Maßnahmen werden vorgeschlagen, wenige davon erscheinen brauchbar. An den wesentlichen Fragen geht dieser Gesetzentwurf jedenfalls vorbei. Aber Kollege Dörflinger hat Änderungen ja schon in Aussicht gestellt. Vielen Dank. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. ({0})

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute genau vor einem Monat hat die Koalition ihr umfangreiches Maßnahmenpaket für den Wohnungsbau beschlossen, mit dem Ziel, den sozialen Wohnungsbau zu verstärken, mit dem Ziel, mehr privates Kapital in den Wohnungsbau zu leiten, mit dem Ziel, den vorhandenen Gebäudebestand für Wohnraumzwecke zu mobilisieren, und schließlich mit dem Ziel, die baurechtlichen Erleichterungen für den Wohnungsbau zu schaffen. In der letzten Woche haben wir bereits die notwendigen Haushaltsbeschlüsse gefaßt. Ebenfalls in der letzten Woche haben wir uns mit den Ländern über die Verwaltungsvereinbarung geeinigt. Heute nachmittag haben wir das Wohnungsbauförderungsgesetz verabschiedet, d. h. den steuerrechtlichen Teil des Maßnahmenpakets, und nunmehr bringen die Koalitionsfraktionen das Wohnungsbauerleichterungsgesetz zur bau- und mietrechtlichen Flankierung ein. Über diesem Gesetz könnte der lateinische Satz als Leitwort stehen: Bis dat, qui cito dat. - Doppelt gibt, wer schnell gibt. - Das gilt für das parlamentarische Verfahren genauso wie für seinen Inhalt. Er greift damit auf, was Praktiker und bauwillige Bürger dringend fordern. Auf fünf Jahre befristet, sollen im Planungs- und Baurecht des Baugesetzbuchs Erleichterungen für Wohnungsbauvorhaben geschaffen werden; sie werden ergänzt durch eingegrenzte Mietrechtsänderungen. Nahezu 700 000 Aus- und Übersiedler sind bisher in diesem Jahr zu uns gekommen. Über 200 000 sind nur notdürftig in Übergangseinrichtungen untergebracht. Für sie, aber auch für alle anderen Wohnungssuchenden brauchen wir dringend mehr Wohnraum. ({0}) Von unserem Planungs- und Baurecht erfordert dies mehr Flexibilität, ohne daß wir an den materiellen Planungsgrundsätzen, Herr Müntefering, Abstriche machen, denn wir streben nicht nur quantitative Ziele in der Wohnraumversorgung an, sondern wollen auch qualitativ und städtebaulich überzeugende Lösungen. ({1}) Wohnungspolitisch am dringendsten ist zur Zeit die Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern in Übergangswohnungen. Der hereingebrochene Winter hat dieses Problem noch verschärft. ({2}) Wir müssen zunächst menschenwürdige Unterkünfte schaffen, damit vor allem Familien mit Kindern nicht länger in Turnhallen oder ähnlichen Einrichtungen wohnen müssen. Ich denke dabei z. B. an die vorübergehende Aufstellung von Mobile Homes oder anderen behelfsmäßigen Häusern. Wir haben uns deswegen an die Länderbauminister genauso wie an den Bundesfinanzminister gewandt, damit geeignete Grundstücke bereitgestellt werden. Bei dem großen Bedarf wird man auch auf Grundstücke zurückgreifen müssen, für die nach den Bauvorschriften eine Wohnnutzung nicht vorgesehen ist. Hiergegen wird es sicherlich hier und dort Vorbehalte geben. Aber lassen Sie mich deutlich sagen: Es sollen keine Wohnungen auf Dauer und keine Schlichtwohnungen errichtet werden. ({3}) Wer in den Vereinigten Staaten einmal Mobile Homes gesehen hat, weiß, wie komfortabel sie sind. All diese Unterkünfte werden auch in dem Augenblick wieder abgebaut, in dem sie nicht mehr benötigt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet zum Problem der übergangsweisen Unterbringung wichtige Beiträge. In der Befreiungsvorschrift des § 31 des Baugesetzbuchs wird klargestellt, daß dringender Wohnbedarf besonders zur vorübergehenden Unterbringung eine Befreiung rechtfertigt. Diese Befreiungsmöglichkeit braucht nicht auf Einzelfälle beschränkt zu sein. So kann z. B. ein Ferienhausgebiet insgesamt zur vorübergehenden Unterbringung zur Verfügung gestellt werden. ({4}) Mietrechtlich wird es dadurch abgesichert, daß bei solchen Mietverhältnissen eine Ausnahme vom Kündigungsschutz möglich ist. Denn die Ferienhausgebiete sollen nur zur vorübergehenden Unterbringung genutzt werden können. Es sollen keine Dauerwohnverhältnisse entstehen; denn dies würde den Charakter dieser Gebiete verändern. Und das kann niemand wollen. ({5}) Leerstehende Wohnungen wollen wir auch dadurch mobilisieren, daß wir Gemeinden als Zwischenmieter einschalten. Oft lassen Vermieter Wohnungen nur deshalb leer stehen, weil sie befürchten, diese Wohnungen dann nicht freizubekommen, wenn sie sie für Kinder oder anderweitig benötigen. ({6}) Hinzu kommt, jetzt können sie sicher sein, daß sie bei einer Vermietung an die Gemeinde nicht nur pünktlich die Miete erhalten, sondern daß auch die rechtzeitige Rückgabe der Wohnung zum vereinbarten Zeitraum garantiert ist. In der Zwischenzeit hat dann die Gemeinde die Möglichkeit oder an Uni-Standorten etwa das Studentenwerk, diese Wohnungen, die bisher leergestanden haben, dringlich Wohnungssuchenden zukommen zu lassen. ({7}) Die vorübergehende Unterbringung muß möglichst bald durch eine Unterbringung in normalen Wohnungen abgelöst werden. Die Bundesregierung setzt deswegen zunächst auf zusätzlichen Wohnraum im Bestand, weil dort am schnellsten Wohnraum geschaffen werden kann. Die Stichworte sind Dachgeschoßaus14120 bau, Anbau, Umbau und Umnutzung zu Wohnzwekken. Über die Kreditanstalten für Wiederaufbau und im Wohnungsbauförderungsgesetz geben wir hierzu beachtliche finanzielle und steuerrechtliche Anreize. ({8}) Das Programm der KfW ist in ganz kurzer Zeit zum Publikumsrenner geworden. Dafür waren ursprünglich für drei Jahre zusammen 1,5 Milliarden DM vorgesehen. Inzwischen sind die gesamten Mittel in nur wenigen Wochen nahezu vollständig belegt. ({9}) Die steuerlichen Anreize dürften ein genau so starkes Echo finden. Angesichts der großen Bereitschaft der Eigentümer zu investieren, aber auch angesichts des großen Problemdrucks fordere ich alle Baugenehmigungsbehörden auf, die Flexibilität unseres Baurechts voll zu nutzen. Dieses Baurecht ist bereits jetzt flexibler, als viele es wahrhaben wollen. Ein Beispiel ist die Stellplatzverpflichtung beim nachträglichen Dachgeschoßausbau. Dieser Fall ist in fast allen Landesbauordnungen geregelt. Bei solchen Vorhaben sind nach der Musterbauordnung Ausnahmen von den materiellen baurechtlichen Anforderungen wie der Stellplatzverpflichtung zulässig. Der dringende Wohnbedarf der Bevölkerung rechtfertigt auch in vielen Fällen eine solche Ausnahme. Wird aber eine Ausnahme erteilt, dann fallen auch keine Ablösebeträge an. Denn Ablösebeträge in fünfstelliger Höhe gefährden den Dachgeschoßausbau, der doch den großen Vorteil hat, daß er nicht nur preiswert ist, sondern schnell Wohnraum schafft, ohne einen Quadratmeter zusätzlichen Grund und Boden zu beanspruchen. Deshalb stellen wir dafür nicht nur finanzielle Fördermittel bereit. Dafür ermöglichen wir auch eine Teilkündigung der Dachgeschosse, wo immer dies sozial vertretbar ist. ({10}) Dafür ändern wir auch die Baunutzungsverordnung. Deshalb bitte ich alle, dies es angeht, den breiten Ausbau der Dachgeschosse jetzt nicht an einer zu kleinlichen Genehmigungspraxis vor Ort scheitern zu lassen. ({11}) Auf der anderen Seite muß aber auch gesagt werden: Die augenblickliche Engpaßsituation auf dem Wohnungsmarkt darf nicht das Vehikel für Bausünden und städtebauliche Fehlentwicklungen sein. Die Genehmigungsbehörden müssen in jedem Einzelfall prüfen, was städtebaulich noch vertretbar ist. Unvertretbares darf auch weiterhin nicht genehmigt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf erhöht die Flexibilität unseres Baurechts. Notwendige Planänderungen können in dafür geeigneten Fällen - vor allem in den vielen einfach gelagerten Fällen - wesentlich schneller durchgeführt werden. ({12}) - Frau Schulte, wenn Sie andere Verpflichtungen haben, habe ich dafür Verständnis, wenn Sie dann der Rede nicht mehr folgen wollen. ({13}) Ich will hier keine Zahlenbehauptungen aufstellen, um wieviel kürzer in Zukunft Bebauungsplanänderungen möglich sind. Das wäre unredlich, weil Bebauungspläne in komplizierten städtebaulichen Situationen auch weiterhin ihre Zeit brauchen, und zwar nicht, weil es das Recht so will, sondern weil es die Probleme erfordern. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche vom Sachverhalt her einfach gelagerte Bebauungspläne, deren Aufstellung nur deshalb so lange dauert, weil es eben das Recht so vorschreibt. Diese Bebauungspläne haben wir mit diesem Gesetz im Auge. Es läßt die materiellen Planungsgrundsätze unberührt, schafft aber die Möglichkeit, die Fristen deutlich zu verkürzen. ({14}) - Das erkenne ich sehr an, Herr Kollege Geis. Der Gesetzentwurf enthält auch materielle Erleichterungen für Wohnbauvorhaben im Innen- und Außenbereich. Mit den Vorschriften zum Bauen im Außenbereich, die hier eben von den Vertretern der Opposition kritisch angesprochen worden sind, leisten wir einen Beitrag zur Wohnraumversorgung, zum Strukturwandel in der Landwirtschaft und zur Stärkung des ländlichen Raums. ({15}) Es ist den Bürgern draußen im Lande eben nicht begreiflich zu machen, daß wir einerseits dringend Wohnraum brauchen und andererseits ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude verfallen lassen, nur weil sie im Außenbereich liegen. ({16}) Natürlich muß dabei die Abwasserbeseitigung gesichert und die Wohnnutzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein. Beides sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor. Zu den möglichen Maßnahmen im Bestand gehören auch die Neubausiedlungen der 60er und 70er Jahre. In der heutigen Debatte sollten sie nicht nur, wie das vorhin geschehen ist, als Beispiele dafür dienen, wie wir die vor uns liegenden Bauaufgaben gerade nicht bewältigen sollen. Die Bundesregierung hat mit dem städtebaulichen Bericht über Großsiedlungen und Modellmaßnahmen Wege für die städtebauliche Entwicklung dieser Gebiete gewiesen. Mir geht es dabei um den Beitrag, den auch diese Siedlungen zur Bewältigung der augenblicklichen Wohnungsengpässe leisten können. Wir wissen, daß diese Siedlungen über eine vollständige Infrastrukturausstattung verfügen, daß es an ihren Rändern noch umfangreiche planungsrechtliche Möglichkeiten gibt und daß diese Siedlungen der städtebaulichen Arrondierung bedürfen. Insofern sind sie auch eine Chance. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die Architektur an den Wünschen der Menschen orientiert und dafür keine weiteren Hochhäuser, sondern nur niedriggeschossige Bauten städtebaulich vorgesehen werden. Die Gemeinden werden aber auch neues Bauland ausweisen müssen. ({17}) Dafür gibt der Gesetzentwurf den Gemeinden Hilfestellungen. Die Verfahren für Bebauungspläne werden zeitlich schneller durchgeführt. Außerdem geben wir den Gemeinden zusätzliche Instrumente an die Hand, damit sie diese Flächen schnell und gezielt mit Wohnhäusern bebauen können: ({18}) zum einen mit dem vorgesehenen Vorkaufsrecht zum Verkehrswert für alle Wohngrundstücke im Außenbereich und dann mit der fortentwickelten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme. Sie ermöglicht großangelegte, zusammenhängende Planung. Sie eröffnet die Möglichkeit, Baugelände auch tatsächlich der Bebauung zuzuführen, und sie schöpft den entstehenden Entwicklungsgewinn ab, um damit Erschließungskosten zu finanzieren. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme kann auch dazu eingesetzt werden, großflächige innerstädtische Brachflächen von den Altlasten zu befreien und mit Wohnhäusern zu bebauen. Wir hellen den Gemeinden dabei mit unserem Aufschließungsprogramm auch gleichzeitig finanziell. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet einen wichtigen Beitrag zur Ankurbelung des Wohnungsbaus. Er enthält sofort wirksame Erleichterungen und mittelfristige Maßnahmen. Die Länder sind aufgerufen, auch ihrerseits entsprechende Maßnahmen zur Erleichterung und Beschleunigung des Wohnungsbaus vor allem im Bauordnungsrecht zu ergreifen. ({19}) Ein gutes Beispiel dafür könnte die Bestimmung des Entwurfs sein, wonach bestimmte Wohnungsbauvorhaben städtebaulich als zulässig gelten, wenn über die Genehmigung nicht innerhalb von drei Monaten entschieden wird. Dies könnte ein Beispiel auch für eine entsprechende Gestaltung des Bauordnungsrechts der Länder sein. ({20}) Einige Länder gehen auch bereits mit gutem Beispiel voran. Baden-Württemberg hat mit der Freistellungsvereinbarung sogar für bestimmte Wohnbauvorhaben innerhalb von Bauplangebieten, wenn dafür keine Befreiung und Ausnahme erforderlich sind, generell auf eine Baugenehmigung verzichtet. ({21}) Rheinland-Pfalz deutet Ähnliches an. Jetzt gibt es die Chance für alle Länder, die Landesbauordnung schon deswegen neu zu fassen, weil die Bauproduktenrichtlinie dies im nächsten Jahr erzwingt. Dies sollte ein Anlaß sein, auch die Landesbauordnung für Wohnbauten insofern zu verbessern. Bei allen Bemühungen um Erleichterung und Flexibilität darf aber die bauliche und städtebauliche Qualität keinen Schaden erleiden. Dies ist eine große Aufgabe für Bund, Länder und Gemeinden, aber natürlich auch für alle Bauherren und auch für die Architekten. Wer heute unzulänglich plant und baut, schafft damit die Leerstände von morgen, schadet sich damit letzten Endes selbst. ({22}) Jeder wirtschaftlich denkende Investor hat ein Interesse an der langfristigen Rendite des Objektes. Dies erfordert eben qualitativ hochwertige Lösungen, erfordert auch eine hochwertige Gestalt des Gebäudes und des Wohnumfeldes. ({23})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, lassen Sie mich Sie einmal einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, Sie sind im Verhältnis zur Tageszeit umgekehrt proportional lebendig. ({0}) Da wir wirklich nur noch kurze Zeit haben, wäre ich dankbar, wenn Sie dem Redner zuhören würden. ({1}) Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Insofern ist das Neubauprogramm auch eine Chance, die vielen Erkenntnisse umzusetzen, die wir im experimentellen Wohnungs- und Städtebau gesammelt haben, in Beispielen der Fachöffentlichkeit vorgestellt haben, z. B. im kosten- und flächensparenden Bauen, z. B. im ökologischen Bauen, im Bereich der Wärmedämmung, die Frau Teubner angesprochen hat, aber auch im Bereich der kinder- und umweltfreundlichen Wohnumfeldgestaltung. Insofern geht es der Bundesregierung um eine größere Quantität bei der Zahl der Wohnungen, um mehr Flexibilität im Baurecht, aber auch um eine gesteigerte Qualität und bessere städtebauliche Lösungen. Das sind die Ziele, die wir anstreben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leisten wir dafür einen entscheidenden Beitrag. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die zweite Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf der Drucksache 11/4702. Wer stimmt für die Nummern I und II der Beschlußfassung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Vizepräsident Westphal Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 11/4702 unter III, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1186 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltung? - Bei einer Enthaltung ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus auf Drucksache 11/4702, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2241 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts ({0}) - Drucksache 11/5948 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern - Drucksache 11/4882 Interfraktionell, meine Damen und Herren, ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. ({2}) - Ja, ja, nicht nur klatschen; ich muß jetzt feststellen, ob Sie mit dieser Abweichung von der Tagesordnung einverstanden sind. - Ich sehe keinen Widerspruch. ({3}) Dann haben wir dafür die ausreichende Mehrheit. Dies ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. *) Das bedeutet, daß wir nur noch zu überweisen und über eine Sache abzustimmen haben. Zunächst einmal wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf den Drucksachen 11/5948 und 11/6002 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD über Integrationsprobleme von Kindern und von jugendlichen Aussiedlern und Zuwanderern auf Drucksache 11/4882. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 8. Dezember 1989, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.