Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Zunächst einen schönen guten Morgen.
({0}) Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Ludwigsburg, Hindenburgstraße 37 bis 45 - Drucksache 11/5714 - erweitert werden. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Antrag soll dem Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Beratungen zu Punkt I der Tagesordnung fort.
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990
({1}) .
- Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Ich rufe auf: Einzelplan 16
Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 11/5566, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Waltemathe Schmitz ({3})
Dr. Weng ({4}) Frau Vennegerts
Dazu liegen Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksachen 11/3216 und 11/3231 vor. Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD liegen auf den Drucksachen 11/5777 bis 11/5780, 11/5882 Nr. XIII und 11/5889 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Auch damit sind Sie einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten haben ihre eigenen Rituale, deren Ablauf und Ergebnis schon im Vorfeld feststehen. Die Diskussion über den Umweltetat des Bundes wird danach etwa folgenden Verlauf haben:
Erstens. Die Opposition wirft der Regierung vor, von ihren ganzen 300 Milliarden DM im Gesamthaushalt 1990 nicht einmal eine lumpige Milliarde DM für das Ressort Töpfer vorzusehen.
Zweitens. Die Regierung wirft der Opposition vor, wieder einmal zu dramatisieren. Auch an anderen Stellen fänden sich Mittel, die dem Umweltschutz dienen. Es sei also unfair, nur über den Töpfer-Topf zu reden.
({0})
Drittens. Die Opposition wirft der Regierung vor, sie habe versprochen, ein Nord-/Ostsee-Sanierungsprogramm anzuschieben, das Bundesnaturschutzgesetz zu novellieren, die FCKW-Produktion drastisch zu vermindern und weitere Aktivitäten zu entfalten. Aber außer Versprechungen und Spesen nichts gewesen!
({1})
Viertens. Daraufhin wirft die Regierung der Opposition vor, ganz zu verschweigen, daß es ein Strukturhilfeprogramm mit Finanzzuweisungen an viele Bundesländer von insgesamt 2,4 Milliarden DM jährlich gibt, von denen die Länder insbesondere auch Umweltprojekte finanzieren könnten.
({2})
Naturschutz bleibe ein Schwerpunkt, aber leider sei nicht genügend Geld vorhanden. Und Ökosteuern wolle man nicht; das sei ideologisches Teufelszeug.
Fünftens. Daraufhin heult natürlich die Opposition auf und erinnert die Regierung an ihre eigenen Ziele
einer marktwirtschaftlichen Regelung der Umweltvorsorge.
Sechstens. Die Regierung stellt sich als das dar, was sie ist, als konservativ und fest, sie bleibt ganz ihrer eigenen Meinung,
({3})
und die Koalitionsabgeordneten besiegeln dies, lehnen alles ab, was die Opposition vorschlägt und beschließen den Umweltetat ohne jegliche Veränderungen.
({4})
So wird die Debatte wohl auch heute ablaufen.
({5})
Wir könnten also auf sie verzichten, wenn sie nicht fester Bestandteil unserer parlamentarischen Ordnung wäre.
Oder ließe sich die Debatte nicht doch ganz anders führen? Das müßte eigentlich möglich sein! Deshalb werde ich am Schluß meiner Ausführungen die Frage stellen, ob wir es heute einmal ganz anders machen wollen.
({6})
Wenn ich jetzt sage: der Etat des Bundesumweltministeriums ist zwar von einer runden halben Milliarde DM im Jahre 1989 auf eine knappe ganze Milliarde im Jahre 1990 angestiegen - aber nur deshalb, weil das Strahlenschutzamt mit Personal- und Sachmitteln aus anderen Ressorts, insbesondere dem Wirtschaftsetat, gespeist wurde - , dann wird mir entgegengehalten werden, daß im Gesamthaushalt aber fast 6 Milliarden DM für den Umweltschutz vorhanden sind. Das hört sich an wie moderne Mengenlehre.
({7})
Die Summe wird nicht größer, aber die Teilmengen werden anderen zugeordnet und anders benannt. Da das Wort „Umwelt" hoch im Kurs liegt, betreibt also jedes Ministerium seinen eigenen Umweltschutz. Der tatsächliche Stellenwert, den Natur- und Umweltschutz in dieser Regierung erhalten, wird dadurch allerdings nicht größer.
({8})
Am 12. Oktober 1989 haben der Finanzminister und der Umweltminister dem Haushaltsausschuß ein gemeinsames Papier vorgelegt. Da gibt es etwa 60 Einzelpunkte, die den Eindruck erwecken sollen, als fänden sich in anderen Einzelplänen des Haushalts 1990 ungefähr 5 Milliarden DM, die eigentlich dem Umweltschutz zuzurechnen wären. Zum Beispiel wird da behauptet, aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur" seien 35 Millionen DM umweltdienlich, und das Auswärtige Amt verfüge immerhin über ein Referat „Internationale Umweltpolitik" mit Personalkosten von 200 000 DM. Der Landwirtschaftsminister habe 325 Millionen DM in seinem Etat für Küstenschutz und Agrarstruktur. Ganz klar: Das ist ja alles Umweltschutz. Der Verkehrsminister gebe weit über 100 Millionen DM für Schallschutzmaßnahmen aus, und der Verteidigungsminister entsorge Grundstücke von Kampfstoffen und Sondermüll für 150 Millionen DM und setze Simulatoren und andere Umweltschutzgeräte für 354 Millionen DM ein, um - wohlgemerkt: als Verursacher - die Tiefflieger vom Himmel zu holen. So ließen sich die Beispiele fortsetzen: über Teile des Bauetats, des Technologiehaushalts, des Bildungsetats und weiterer Fundquellen. Nicht zu vergessen die Umweltkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau und aus dem ERP-Sondervermögen.
Ich frage mich nur: wenn diese 5 Milliarden DM - und dazu noch 8 Milliarden DM Kreditmittel - allesamt dem Umwelt- und Naturschutz dienen, warum stehen sie dann an ganz anderen Stellen im Etat? Selbst die Koalition denkt ja gar nicht daran, die 60 Fundquellen zu Herrn Töpfer umzuschichten, sondern sie will sie dort belassen, wo sie den einzelnen Fachministerien zur Verfügung stehen. Insoweit handelt es sich bei der Fleißarbeit von Finanzministerium und Umweltministerium mehr um eine Lachnummer, die nicht einmal von der Koalition ernstgenommen wird.
({9})
Übrigens, Herr Bundesminister, da hört man, daß der Erlös aus dem Verkauf der Salzgitter AG in eine Umweltstiftung gegeben werden soll, die vom Bundesfinanzminister beaufsichtigt werden soll. Demonstriert die Bundesregierung damit, daß der Umweltminister für den Umweltschutz gar nicht zuständig ist?
Die Naturschutzabgabe, die Herr Töpfer forderte, ist ihm schon auf dem Parteitag seiner CDU gestrichen worden,
({10})
und 120 Millionen DM für die Finanzierung von Ausgleichszahlungen an Landwirte in Naturschutzgebieten stellte Herr Waigel Herrn Töpfer nicht zur Verfügung.
({11})
Der Schwerpunkt der Arbeit des Herrn Töpfer - von ihm selbst so bezeichnet - , nämlich die Novellierung des Naturschutzgesetzes, ist zum Schwerpunkt des Scheiterns geworden.
({12})
Es wird keine Novelle geben, keine Aufhebung der Landwirtschaftsklausel, kein Mitwirkungsrecht der Naturschutzverbände, keine Verbandsklage, keinen Biotopschutz.
({13})
Geben wird es mehr für Propaganda. Das wird aber als „Aufklärung der Bevölkerung" getarnt.
({14})
Kat sei Dank, wird der Herr Töpfer da sagen, wenigstens etwas.
Ein weiterer Punkt: Der Bundesumweltminister braucht eine Behausung - das ist auch unstreitig -, nicht wegen seines eigenen Unterkommens, denn er
will ja ab Februar im Saarland als Oppositionsparlamentarier agieren.
({15})
So bringt er heute seinen dritten Haushalt ein, wird ihn aber nicht mehr bewirtschaften.
({16})
Aber die mittlerweile über 600 Mitarbeiter bzw. die endgültig vorgesehenen 750 bis 800 Ministeriumsgehilfen müssen an einem Dienstsitz vereinigt werden. Darüber gibt es gar keinen Streit, auch nicht darüber, daß ein Ökologieministerium so zu planen und so zu bauen ist, daß mit einem Maximum an Umweltschonung und einem Minimum an Energieverbrauch modellhaft Beispiele für ökologisches Bauen gesetzt werden sollten.
({17})
Aber wir haben auch die Verpflichtung, mit den Geldern der Steuerzahler sorgsam umzugehen.
({18})
Deshalb kann die Aufgabe nicht lauten: Es muß um jeden Preis ein Umweltministerium her. Nach bisherigen Vorplanungen würden sich die Herstellungskosten nach heutigen Preisverhältnissen bei den Hauptnutzflächen schon auf etwa 8 500 DM pro Quadratmeter belaufen, so daß ein Arbeitsplatz nackt, ohne Ausstattung, weit über 200 000 DM an Kosten verursachen würde. Da ich aus Bremen komme, kann ich sagen: Das ist bei uns etwa der Preis für ein Einfamilienhaus.
({19}) - In Stuttgart ist das anders, das weiß ich.
In den Unterlagen für den Haushaltsausschuß standen zunächst 148 Millionen DM an Gesamtkosten. Im September waren es schon 166 Millionen DM. Und nunmehr sind es schon knapp 180 Millionen DM, die zur Debatte stehen. Alles innerhalb von drei bis fünf Monaten und alles ohne etwaige konjunkturbedingte Preissteigerungen.
({20})
Mit anderen Worten: Wir sagen ja dazu, daß ein Umweltministerium gebaut werden soll. Wir werden aber im kommenden Jahr die konkreten Bauplanungen sehr sorgfältig auf das richtige Preis-Nutzen-Verhältnis prüfen und abklopfen; denn neue Abenteuer wie beim Petersberg oder wie bei den Bauten des Bundestages wollen wir eigentlich nicht erleben. ({21})
Herr Abgeordneter Weng, Herr Abgeordneter Waltemathe erlaubt eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Waltemathe, habe ich nur überhört, daß Sie gar nichts über die ökologische Ausrichtung des Hauses und über die
energiesparenden Vorrichtungen, die in dem Haus eingebaut werden sollen, gesagt haben,
({0})
daß Sie vor allem den Aspekt, daß die energiesparenden Einrichtungen hier ständig so fortentwickelt werden sollen, daß die anderen Behörden hier ein Vorbild, eine Zugriffsmöglichkeit haben, nicht betont haben? Habe ich das überhört?
({1})
Ich könnte jetzt einfach sagen: Ja, das haben Sie überhört. Ich habe gesagt: Wir wollen ein Beispiel setzen. Es geht nicht darum, daß ein Gebäudekomplex gebaut werden soll, der nichts kosten darf. Das wäre Quatsch. Ich sage nur: Wenn schon innerhalb von drei bis fünf Monaten in den Schätzungen Differenzen von 32 Millionen DM sind, müssen wir als Parlamentarier uns alle gemeinsam davor schützen, daß uns die Preise davonlaufen.
({0})
Wir müssen uns deshalb die Bauplanung sehr genau angucken. Ich gehe davon aus: Das werden Sie genauso tun wie wir.
({1})
Das ist nicht allein die Aufgabe der Opposition, das ist die Aufgabe des Parlaments. Gebrannte Kinder sollten das Feuer scheuen.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist vorgestern gesagt worden - ich glaube, Kollege Austermann war es -, für sechs Umweltprojekte in der DDR seien 300 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt worden. Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist zunächst einmal - und das will ich herausstellen - , daß alle Fraktionen dieses Hauses gefordert haben, daß aus den Investitionsmitteln des Umweltetats auch Projekte auf dem Gebiet der DDR finanziert werden dürfen. Wir haben entsprechende haushaltsrechtliche Voraussetzungen gemeinsam getragen. Die konkret ausgehandelten sechs Projekte in der DDR haben wir auch gemeinsam gebilligt. Richtig ist auch, daß dafür in fünf Jahren insgesamt etwa 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden müssen und sollen.
({3})
Insgesamt gibt es insoweit seitens der Opposition keine Kritik. Aber die Finanzplanung des Bundes ist im Hinblick auf diese sechs Projekte lediglich um 175 Millionen DM in fünf Jahren aufgestockt worden. Dies bedeutet, daß für bisher aus Investitionsmitteln finanzierbare Vorhaben in der Bundesrepublik im nächsten Fünf-Jahres-Zeitraum 125 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen.
Dann haben wir erneut den Antrag gestellt, für Maßnahmen zur Sanierung grenzüberschreitender Flüsse und zur Rettung von Nord- und Ostsee 550 Millionen DM im Umwelthaushalt auszubringen.
({4})
Nun weiß ich, daß ich den Bundesminister damit nerve: 50 Millionen DM sind für ein Programm zur Sanierung von Mosel und Saar vorzusehen.
({5})
Es ist nun das dritte Mal seit 1987, daß eine Mehrheit des Bundesrates eine solche Mitfinanzierung durch den Bund mit Recht verlangt, denn die Bundesregierung ist im Rahmen der Internationalen Kommission zum Schutze der Mosel und der Saar gegen Verunreinigungen Verpflichtungen eingegangen, die nicht allein auf die beiden betroffenen Bundesländer abgeladen werden können.
({6})
In diesem Jahr ist ein Abkommen zwischen Frankreich, Luxemburg und der Bundesrepublik abgeschlossen worden, in dem die Einrichtung eines Sekretariats vereinbart wurde. Für dieses Sekretariat steht im Haushalt eine Summe für anteilige Personalkosten - völlig in Ordnung - , aber für das, was eigentlich bewirkt werden soll, kein einziger Pfennig.
Es ist hier nicht die Zeit, die Rede zu verlesen, die der rheinland-pfälzische Staatsminister Keller am 22. September im Bundesrat gehalten hat, aber seine Begründung dafür, daß auch der Bund im Obligo ist, ist eindeutig und nach wie vor aktuell, und wir können sie uns voll zu eigen machen.
Wir brauchen endlich ein Sonderprogramm zur Rettung von Nord- und Ostsee.
({7})
Wir wollen dafür bundesseitig im nächsten Jahr 500 Millionen DM vorsehen. Es handelt sich natürlich nur um einen Anteil, denn natürlich müssen Ländermittel und auch kommunale Mittel einschließlich kommunaler Gebühren hinzukommen. Hier ist es eben nicht damit getan, darauf hinzuweisen, daß die Strukturhilfezuwendungen des Bundes auch für Umweltprojekte Verwendung finden können.
({8})
Denn wir brauchen ein gezieltes Programm für die Sanierung grenzüberschreitender Flüsse, wenn wir mit einer Schadensbeseitigung in Nord- und Ostsee und Umweltvorsorge für die Zukunft ernst machen wollen.
({9})
Im vergangenen Jahr schien unter dem Eindruck von Algenpest und Robbensterben auch die Koalition bereit, wenigstens etwas in die Richtung unseres Antrags zu tun. Auch der Bundesumweltminister hat den Eindruck erweckt, als hätte er ein Zehn-Punkte-Programm zur Rettung von Nord- und Ostsee, und es wären nur die bösen anderen auf internationalen Konferenzen, die die Bremsen angezogen hätten. Natürlich müssen auch andere Staaten und Länder etwas tun. Das darf uns aber nicht veranlassen, abzuwarten, bis sie etwas tun.
({10})
Wir hätten längst selbst anfangen müssen, das voranzubringen, was in unserem eigenen nationalen Interesse liegt.
Meine Damen und Herren, es waren nur wenige Punkte, die ich konkret anschneiden konnte. Das übliche Ritual habe ich eingangs meines Beitrags in Stichworten geschildert. Sie haben die Chance - es ist eine einmalige Chance - mir unrecht zu geben, indem Sie unserem Antrag zustimmen, 550 Millionen DM aus dem Verteidigungshaushalt für lebensnotwendige Rettungsmaßnahmen an unseren Gewässern umzuschichten.
({11})
Es wäre eine Sensation, nicht so sehr in der Sache, wohl aber ein Beweis dafür, daß Sie sich den besseren Argumenten nicht verschließen.
({12})
Wenn ich aber davon ausgehen muß, daß Sie lieber das übliche Ritual einhalten, so bleibt leider auch mir nichts anderes übrig, als die Ablehnung des Umweltetats durch die SPD-Bundestagsfraktion anzukündigen.
Im übrigen, Herr Minister, bedanke ich mich für die Zusammenarbeit mit den Damen und Herren in Ihrem Ministerium. Es bleibt trotzdem dabei: Geben Sie sich einen Ruck, und folgen Sie unserem Antrag, dann könnten Sie auch einmal eine Zustimmung zu Ihrem Etat finden!
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schmitz ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Waltemathe, wenn ich mir so die gesamten Reden anhöre und alle Anträge aus der Opposition durchlese, dann müßte der Verteidigungsetat zwischenzeitlich mehr als 100 Milliarden DM betragen; denn so viel wollten Sie mit Ihren Anträgen streichen.
({0})
Meine Damen und Herren, der Etat des Bundesumweltministers weist auch für das Jahr 1990 eine ausgezeichnete Bilanz auf.
({1})
Der Umwelthaushalt steigt nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß auf 967 Millionen DM, auf fast eine Milliarde. Sieht man von dem Sonderfaktor der Errichtung des Bundesamtes für Strahlenschutz einmal ab, so beträgt die Steigerung im Umweltetat immerhin 16,2 %. Sie liegt also mehr als fünfmal so hoch wie beim Gesamthaushalt, der um 3 steigt. Die Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung setzen damit den konsequenten Ausbau der Ressourcen des Umweltschutzes auch in diesem Jahr und im kommenden Jahr fort.
({2})
Schmitz ({3})
Im Haushaltsausschuß haben die Koalitionsfraktionen gegenüber dem Regierungsentwurf 11,8 Millionen DM zusätzlich in den Etat eingestellt, und zwar ist der Bereich Naturschutzgroßprojekte um 3 auf 25 Millionen DM erhöht worden. Aus diesem Programm, das in der Öffentlichkeit große Resonanz gefunden hat, werden Vorhaben gefördert, die national und international beispielhafte Anstöße für konkreten Naturschutz geben.
({4})
Weitere 5 Millionen DM haben wir im Haushaltsausschuß zusätzlich für die Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiete des Naturschutzes bewilligt. Darüber hinaus haben wir weitere Erhöhungen der Investitionsmittel für Umweltschutzprojekte um 5 auf 140 Millionen DM beschlossen. Insgesamt erfährt dieser Titel gegenüber dem laufenden Jahr eine Steigerung um 25 Millionen DM, d. h. um mehr als 20 %.
Umweltpolitisch vordringlich sind neue Projekte im Bereiche der Sonderabfallverbrennung sowie zusätzliche Pilotprojekte zur Verminderung grenzüberschreitender Schadstoffbelastungen, vor allen Dingen in Zusammenarbeit mit der DDR, mit der CSSR und mit Polen. Auf diesen Punkt komme ich noch zurück, meine Damen und Herren.
Auch die Mittel für die Aufklärung der Bevölkerung auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben wir erhöht, nämlich um 2 auf 11,4 Millionen DM. Das, Herr Kollege, fand ja Ihre Kritik. Wir sprechen hier von Aufklärung der Bevölkerung. Wenn ich mir ansehe, was in diesem Bereich von grünen Gruppen und von Verbänden der verschiedensten Art an falscher Aufklärung in Szene gesetzt wird, dann ist es notwendig, daß wir Sachaufklärung betreiben; denn eines ist klar: Wir müssen dies für das umweltgerechte Verhalten der Bevölkerung machen. Umweltgerechtes Verhalten im Alltag bedeutet - das zeigt das Beispiel des Katalysators - , daß dieser Erfolg mit den umweltpolitischen Entscheidungen, aber auch mit dem Verhalten des einzelnen Bürgers steht und fällt. Darauf kommt es ganz entscheidend an.
({5})
- Herr Kollege Jungmann, hören Sie gut zu.
Wenn man Umweltpolitik wie wir im Gegensatz zu anderen für den Bürger und mit dem Bürger gestalten will,
({6})
dann bedarf es der umfassenden Information.
({7})
Dabei halte ich es für außerordentlich wichtig, daß wir damit bereits in den Schulen ansetzen, damit wir den jungen Mitbürger über die richtige Umweltpolitik aufklären.
Umweltschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Ich könnte das tun, was von Ernst Waltemathe gesagt
worden ist: Jetzt würden wir darauf verweisen. Aber es ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe. Man kann nicht auf der einen Seite Anträge zum Schutz der Insel Sylt stellen und den Einzelplan 10 damit behelligen - ich sage das einmal ganz deutlich - und andererseits sagen: Das hat alles nichts mit Umweltschutz zu tun; das ist etwas ganz anderes; das hat mit der Regierung nichts zu tun. Wenn wir nun aus dem Einzelplan 10 5 Millionen DM zum Schutz der Insel Sylt zur Verfügung stellen, dann müßte es doch auch Ihnen, Herr Kollege Waltemathe, und den anderen einleuchten, daß das eine Querschnittsaufgabe ist und daß das mit Umweltschutz ganz konkret etwas zu tun hat.
({8})
Politik ist bei Ihnen mehr mit politischer Absicht gepaart, nicht mit Einsicht. Dies ist der Punkt, an dem wir das machen. Ich bin ja gerne bereit, Herr Kollege Jungmann, Ihre Anträge unter diesem Aspekt demnächst abzulehnen, wenn Sie Ihre Argumentation so fortsetzen.
Meine Damen und Herren, von den gesamten 5,9 Milliarden DM der Umweltschutzausgaben aus dem Bundeshaushalt entfallen 735 Millionen DM auf Umweltschutzmaßnahmen im Rahmen des Strukturhilfeprogrammes, und zwar 1989 und folgende: jedes Jahr, zehn Jahre lang. Dies hat für die Finanzierung von Umweltprojekten große Bedeutung gewonnen, eigentlich auch gegen Ihren Willen; das haben wir heute morgen ja schon gehört. Wir hatten das immer vorausgesagt, auch wenn die Opposition das jetzt nicht wahrhaben will.
Die zusätzlichen Gelder aus diesem Strukturhilfegesetz fließen vor allen Dingen in den Bau moderner Kläranlagen und kommen damit vorrangig dem Schutz der Gewässer zugute. Hier wird also Entscheidendes für die Nordsee und die Ostsee getan.
({9})
Nur wer das nicht wahrhaben will, der verschließt einfach die Augen und will den Leuten Sand in die Augen streuen.
({10})
Diesen Beitrag kann allerdings nur derjenige leisten - jedes Land hat den Auftrag dazu - , der diese Mittel auch abruft. Da müssen Sie dem Johannes Rau mal Beine machen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren allein für den Gewässerschutz 550 Millionen DM aus ihren Etats gestrichen, und sie hat von dem, was die Bundesregierung ihr jetzt zur Verfügung stellt, nämlich über 750 Millionen DM im Jahr, für das Jahr 1989 200 Millionen DM überhaupt nicht belegt. 167 Millionen DM werden gar nicht abgerufen, meine Damen und Herren.
Demjenigen, der es beim Umweltschutz nun wirklich gut meint, müßte doch eigentlich einleuchten, daß die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die jetzt Kläranlagen bauen müssen, die jetzt ihre Vorfluter verändern müssen, dieses Geld dringend brau13738
Schmitz ({11})
chen. Ich kann nur jeden Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen aufrufen: Wenden Sie sich an Johannes Rau. Und ich kann der Opposition nur sagen: Machen Sie dem Johannnes Rau in dieser Hinsicht mal Beine.
({12})
Sonst geht er, was den Umweltschutz angeht, als lahmer Gaul durchs Ziel.
({13})
Das müssen wir hier zur Klarheit und Wahrheit einmal sagen.
Anstatt die bereitgestellten Mittel auszuschöpfen, wird hier lamentiert. Dies ist keine gerechte Politik. Herr Kollege Waltemathe, deswegen ist der Antrag, den Sie hier gestellt haben, abzulehnen.
Meine Damen und Herren, diese Art der Umweltpolitik, wie sie die Opposition betreibt, führt schlußendlich dazu, daß wir mehr den Verbraucher und nicht denjenigen belasten, der verursacht. Das ist der grundsätzliche Streit, den wir austragen müssen.
({14})
Die Qualität einer Umweltpolitik zeigt sich daran, ob konsequent das Verursacherprinzip angewandt und durchgesetzt wird oder nicht.
({15})
Wenn Sie das nicht wollen, dann müssen Sie sich hier hinstellen und das sagen.
({16})
- Warten Sie ab, da unterscheiden wir uns. - Wer dieses Prinzip ernst nimmt, muß dafür eintreten, daß sich die Kosten der Umweltbelastung im Budget und in den Bilanzen der Verursacher niederschlagen und nicht im Bundeshaushalt. Das haben Sie bis heute immer noch nicht begriffen.
Nur über die Kosten, die sich in den Preisen niederschlagen, führt der Weg vom Verursacherprinzip zum Vorsorgeprinzip und zum Vermeidungsprinzip. Das haben SPD und GRÜNE bis heute offenbar immer noch nicht begriffen. Wer wie die Opposition eine Finanzierung nur über die öffentlichen Haushalte fordert, der belastet schlußendlich ausschließlich den kleinen Mann, der mit der Beseitigung von Schäden nichts zu tun hat. Diejenigen sind für die Schäden verantwortlich, die sie anrichten.
Verursacherorientierte Umweltpolitik ist nur erfolgreich, wenn, wie geschehen, Industrie und Gewerbe für das laufende Jahr und für die kommenden Jahre mehr als 17 Milliarden DM mit steigender Tendenz für den Schutz unserer Umwelt ausgeben, ohne daß dafür nur eine einzige Mark hier in diesem Bundeshaushalt aufzutauchen braucht. Wir brauchen umweltpolitische Instrumente und Rahmenbedingungen, die das finanzielle Eigeninteresse der Wirtschaft und des einzelnen Bürgers für den Umweltschutz mobilisieren helfen. Dazu gehört auch wachstumsfreundliches Klima - eigentlich hatte ich hier den Zwischenruf von den GRÜNEN erwartet, was schon
Wachstum sei; aber wir brauchen das - , das umweltverträglichen technischen Fortschritt fördert. Die gegenwärtige Lage der deutschen Wirtschaft bietet hierfür günstige Voraussetzungen.
Ich darf daran erinnern, daß wir unserer Wirtschaft schon einiges zugemutet und abverlangt haben. Das ist auch richtig so. Ich nenne beispielsweise das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, durch das die Grundlage für einen umfassenden „Umwelt-TÜV" gelegt wurde, die Novellierung des Chemikaliengesetzes, den Ausbau des Immissionsschutzgesetzes zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz, die neue Störfallverordnung, die neue TA Abfall, die Erhöhung der Abwasserabgabe. Hinzu kommt, daß wir die Verbrennung von deutschem Giftmüll auf der Nordsee Ende 1991, also drei Jahre früher als geplant, einstellen können. Meine Damen und Herren, das sind alles Ordnungsrahmen, die eine umweltverträgliche soziale Marktwirtschaft braucht.
Es ist schon erstaunlich, zu sehen, daß der Opposition immer noch nicht aufgefallen ist, daß wir mit diesem Ordnungsrahmen, den wir geschaffen haben, und mit marktwirtschaftlichen Anreizen sogar unmittelbar arbeitsmarktpolitische Erfolge erzielt haben und daß das Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", das immer wieder dargestellt wird, längst in der Verwirklichung begriffen ist, nur weil wir die richtigen Akzente gesetzt haben, und zwar nicht ausschließlich dadurch, daß wir im Bundeshaushalt Gelder eingestellt haben. Ein Beschäftigungsprogramm im Stil der SPD, das ist ein Schlag ins Wasser; das ist eine alte Platte, meine Damen und Herren. Sie sollten es nicht mehr aufwärmen.
Es ist richtig - wir spüren ja in den letzten Tagen das besondere politische Gewicht sehr deutlich; lassen Sie mich auch das in aller Deutlichkeit sagen -, daß wir - ich erinnere mich noch an die Diskussionen, die wir untereinander im Haushaltsausschuß geführt haben - mit der DDR bereits frühzeitig im Vorfeld diese Fragen klären. Das war ja gar nicht so einfach. Es hat sich herausgestellt, daß die Idee des Bundesumweltministers, sich, was die DDR angeht, mit konkreten Projekten in diese Richtung zu beschäftigen und dort zu einem Dialog zu kommen, wie man das macht, die richtige Richtung ist.
Ich denke, wir müssen auch, wenn sich dies so weiterentwickelt, darüber nachdenken, in welche Bereiche wir noch zusätzlich hineingehen. Da sollte es nicht an Mitteln fehlen, meine Damen und Herren. Dies ist gut angelegtes Geld.
Ich stehe nicht an, zu erklären: Wir wären bereit, hier einiges zu tun. Denn eines bedrückt auch uns: Umweltpolitik macht an den Grenzen nicht halt.
({17})
Ich nehme nur einen einzigen Fall heraus. Wenn es richtig ist, daß innerhalb der DDR, was die Nutzung der Braunkohle angeht, 300 Millionen Tonnen und mehr verbrannt werden, dann brauchen wir uns nicht zu fragen, welche Umweltschäden dies bedeutet. Denn die Kraftwerke sind nicht mit Filteranlagen versehen. Deshalb begrüßen wir eigentlich das hier beispielhafte Vorhaben der Modernisierung der EntSchmitz ({18})
schwefelungsanlage im Braunkohleveredlungswerk Espenhain.
({19})
- Ich sage: beispielhaft. ({20})
- Deshalb begrüßen wir das, und wir denken, daß dies fortgesetzt werden kann.
Wer die Verhandlungen und die Hintergründe der Verhandlungen der letzten Jahre kennt, muß wissen, daß es gar nicht so einfach gewesen ist. Hier möchte ich ausdrücklich Bundesminister Töpfer und seinem Haus einmal dafür danken, daß er dies in einer schwierigen Phase der Verhandlungen und in einer schwierigen Situation, in der sich die DDR befunden hat, und in diesem Umbruch in dieser subtilen Art und Weise verhandelt hat, so daß diese Projekte jetzt durchgeführt werden können. Das ist ein Pfund, mit dem wir deutsch-deutsch wuchern können, meine Damen und Herren. Sie sollten das hier endlich einmal anerkennen.
({21})
Da hätte ich auch einmal Beifall von Ihnen erwartet; aber das können Sie ja wahrscheinlich nicht.
({22})
- Das ist eben der Punkt. Der Ton macht die Musik, Herr Kollege. Da sind Sie wahrscheinlich amusikalisch, wie wir feststellen können.
Meine Damen und Herren, in den vor uns liegenden Jahren wird es darauf ankommen, daß wir in der innerdeutschen Zusammenarbeit im Bereich des Umweltschutzes auf allen Ebenen die Dinge weiter ausbauen. Hier sehe ich beispielsweise Förderungsmöglichkeiten auch für die Umweltstiftung des Bundes.
Es ist jetzt auch von Ihnen kritisiert worden, daß diese vom Finanzminister verwaltet wird. Meine Damen und Herren, das ist nun einmal im Stiftungsrecht so; das ist kein böser Wille in diese Richtung. Aber ich denke, im Verhältnis zur Koalition können wir dies auch noch regeln. Ich meine jedoch ebenfalls, daß es wichtig ist, daß diese Mittel unbedingt den mittelständischen Unternehmen mit zur Verfügung gestellt werden. Große Unternehmungen sind imstande, das oft aus eigener Kraft machen zu können. Ich würde den Finanzminister bitten, mit darauf zu achten, daß dies auch mittelständischen Unternehmen zur Verfügung gestellt wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich festhalten: Der Bundesumweltminister Klaus Töpfer und sein Haus haben im zurückliegenden Jahr mit großem Einsatz hervorragende Arbeit geleistet. Es wundert ja nicht - das ärgert Sie wahrscheinlich ganz besonders - , daß Klaus Töpfer der bekannteste Umweltpolitiker in der Bundesrepublik Deutschland ist, meine Damen und Herren; ob Sie das haben wollen oder nicht, er ist es.
({23})
Es ist ein Politiker, dem die Menschen zutrauen, daß er die ökologischen Zukunftsaufgaben zu bewältigen in der Lage ist.
({24})
- Das freut den Herrn Schäfer mit Sicherheit nicht; da haben Sie recht.
({25})
Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Umweltschutz auch in den kommenden Jahren bei der Verteilung der personellen - ich betone: der personellen; Herr Kollege Weng telefoniert gerade - und finanziellen Ressourcen den hohen Stellenwert einräumen, den wir vor allen Dingen unseren Kindern, aber auch den dann kommenden Generationen schuldig sind, meine Damen und Herren. Deswegen werden wir von der Union diesem Etat und dieser Regierung und auch besonders diesem Minister
({26}) begeistert zustimmen.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Debatte steht der Haushalt des Bundesumweltministeriums. Heute und in den vergangenen Tagen ist mehrmals auf die Erhöhung des Etats mit Stolz hingewiesen worden. Sieht man jedoch, wofür diese Erhöhung erfolgte, so wird klar erkenntlich, daß es sich hier in Wirklichkeit um ein Atomministerium handelt. Deshalb sollte der Bundestag der Ehrlichkeit halber endlich die Umbenennung des Ministeriums beschließen. Das katastrophale Absinken des Herrn Ministers auf der Beliebtheitsskala, auf der er doch einmal ganz oben stand, beweist, daß niemand mehr auf diesen Etikettenschwindel hereinfällt.
Umweltschutz, wenn man ihn wirklich will, müßte den gesamten Etat wie ein roter Faden durchziehen. Davon kann jedoch überhaupt nicht die Rede sein. Das wäre auch von einer Regierung wie der unseren einfach zuviel verlangt. Bei einer Politik, die ausschließlich auf Wachstum und sogenannten Lebensstandard auf Kosten von Umwelt und Lebensqualität programmiert ist, erscheint das Wirken eines Umweltministers im Nebenberuf wie der Kampf des Don Quichotte gegen Windmühlenflügel.
({0})
Dabei wird er - genau wie der oben Genannte - nicht müde, immer neue, großartige Maßnahmen anzukündigen. Die Ergebnisse geraten dann allerdings meistens zur Blamage, z. B. die Umweltverträglichkeitsprüfung, eine gute und wichtige Idee - ohne Frage. Nach langer, schwerer Schwangerschaft kreißte der Berg und gebar eine Maus.
({1})
Nächster Punkt, das Umwelthaftungsrecht: Ergebnis gleich Null. Herr Töpfer möchte ja vielleicht, aber die Kollegen spielen nicht mit.
({2})
Besonders Herr Engelhard hat Bedenken. Und so kann man sagen: Außer Spesen nichts gewesen.
Bei dem großen Thema Klimaschutz - viel Gerede, aber Taten? Beim FCKW-Verbot wollte Herr Töpfer der Industrie nicht wehtun und bestand auf langen Fristen. Da mußte Herr Schmidbauer ihm das Heft aus der Hand nehmen und ein Verbot bis 1991 durchsetzen.
Wie verhält es sich mit der Giftmüllverbrennung auf hoher See? Zuerst hieß es, daß es die umweltverträglichste Art der Entsorgung sei. Erst als sich die Folgen nicht mehr vertuschen ließen, wurde ein Ende angekündigt, aber von Jahr zu Jahr verschoben. Nun soll es 1991 sein, aber nur, wenn bis dahin zehn Verbrennungsanlagen an Land vorhanden sind. Eine typisch Töpfersche Lösung: Die nächste Verschiebung ist schon vorprogrammiert.
Aber das Naturschutzgesetz, das sollte nun wirklich der große Wurf, das Kernstück der Umweltpolitik werden. Aber was ist daraus geworden? Wieder die Rechnung ohne den Wirt oder ohne Ihre Kollegen gemacht, Herr Töpfer! Da hat Herr Kiechle Angst um seine Großagrarier,
({3})
und Herr Waigel sitzt auf dem Geldsack und zeigt die kalte Schulter.
Das Scheitern des Umweltministers Töpfer ist das Scheitern der Umweltpolitik der Regierung, wenn sie es damit denn jemals ernst gemeint hätte!
({4})
Wen wundert es, daß in dieser Situation die revolutionäre Entwicklung in der DDR und anderen osteuropäischen Ländern der Bundesregierung und auch Herrn Töpfer gelegen kommt? Eine willkommene Ablenkung von den eigenen Problemen! Mit dem Tenor „Ein Reich, ein Volk, ein Profit" will man die Früchte des Widerstandes der Bevölkerung in der DDR für sich einheimsen und für die eigene Profilierung nutzen.
Die DDR mit ihren gravierenden Umweltproblemen verspricht, ein umfangreicher Markt für Reparaturtechnologien zu werden. Da muß ja schließlich jedes Unternehmerherz höherschlagen. Doch so begrüßenswert es ist - das bestreiten wir keineswegs, Herr Töpfer - , daß jetzt auf Grund der Umweltvereinbarung von 1987 konkrete Projekte mit bundesdeutscher finanzieller Unterstützung zur Reduzierung der Wasser- und Luftbelastung realisiert werden sollen, so sehr ist auch vor einem Ausnutzen dieser umweltpolitischen Situation durch schnellen Verkauf von Reparaturtechnologien, die dann einen grundlegenden Wandel der Produktionsstruktur verhindern, zu warnen. Denn die DDR hat in ihrer heutigen Situation die einmalige Chance, mit der notwendigen Umstrukturierung ihrer Wirtschaft zu einem ökologischen Wirtschaften zu gelangen. Doch dafür bedarf es Zeit, Geld und gut überlegter Konzepte.
Wir können unser Wissen, unsere Vorstellungen, unser Know-how zur Selbstfindung zur Verfügung stellen, und zwar ohne Bedingungen. Es darf nicht nur um einen schnellen Absatz für unsere Reparaturtechnologien gehen, um eine Abfallkippe für unseren Müll, um den Export unseres Weges der Umweltzerstörung. Leider aber sieht es so aus, als ob dieser Weg beschritten werden soll.
Im Energiebereich spekulieren Sie bereits über Stromlieferungen, um den Braunkohleeinsatz in der DDR zu vermindern. Natürlich muß da etwas getan werden, aber die Besorgnis kann nicht darauf reduziert werden, daß man dabei gleich den Absatz deutschen Atomstroms im Kopf hat. Das Energieproblem in der DDR ist vor allem ein Problem der Effizienz. Der Primärenergieverbrauch pro Kopf ist doppelt so hoch wie in der BRD, und der ist, wie wir alle wissen, nicht gerade sparsam.
Umstrukturierung in der Industrie, Schließung veralteter Anlagen und ein System effizienter Energienutzung werden das Energieproblem in der DDR ganz anders aussehen lassen. Doch hört man von den Plänen der EVU, die DDR jetzt an das Verbundnetz anzuschließen, dann wird die Absicht deutlich. Einer Energiewende will man in der DDR offenbar überhaupt erst gar keine Chance geben. Oder warum will Siemens/KWU in den Bau des AKW Stendal einsteigen? Die Atomwirtschaft wittert neue Absatzmöglichkeiten. Daß die DDR in die Reaktorsicherheitskommission einbezogen werden soll, kann wohl als eindeutiges Indiz dieser Marschrichtung angesehen werden. Just diese atomhörige Kommission soll nun ihre hausgemachte Sicherheitsphilosophie auch noch in die DDR transportieren. In der BRD ist von der RSK nur Negatives zu vermelden. Sie hat das Monopol auf die Reaktorsicherheit und schafft es, auch jeden Störfall, jedes Sicherheitsproblem zu negieren. Öffentlichkeit bleibt da wie selbstverständlich vor der Tür.
Offenheit - Glasnost im Neudeutschen - , die DDRler und DDRlerinnen sich gerade erkämpfen, wäre auch bei uns absolut notwendig.
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Wir können heute von der DDR-Bevölkerung lernen, von ihrem Mut, von ihrer Zivilcourage und von ihrer Durchsetzungskraft. Glasnost in der BRD, eine sanfte ökologische Revolution, das wäre auch hier angesagt. Wenn sich das Gefälle zwischen BRD und DDR verändern soll, dann muß sich auch in diesem Punkt etwas verändern. Auch hier heißt es, Offenheit zu fordern; Offenheit in Fragen der Situation der Umwelt, der gesundheitlichen Gefährdung, hinsichtlich aller zur Verfügung stehender Fakten und Daten.
Wann wird auch in der Bundesrepublik der Wille der Bevölkerung respektiert, sei es in den Fragen des Ausstiegs aus der Atomenergie, sei es in der Frage des Willens nach einer sauberen und zukunftsträchtigen Umwelt? Oder soll es dem Prinzip der demokratischen Beteiligung an Entscheidungsprozessen entsprechen, wenn die eh bescheidenen Mitspracherechte durch Polizeieinsatz und behördliche Schikanen verweigert werden, wie z. B. kürzlich im Erörterungsverfahren in Mülheim-Kärlich?
Entspricht es dem Grundsatz der Demokratie, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes permanent in mühseliger Kleinarbeit ihre Informationen über Umweltbelastung usw. besorgen müssen, wenn selbst Parlamentarier oftmals nur durch heimlich gegebene Informationen die wichtigsten Dinge erfahren, wenn Wissenschaftler, die es wagen, gegen die verordnete Meinung zu sprechen, Repressionen ausgesetzt werden, die oftmals bis zum Verlust der Existenz reichen?
Erst wenn alle diese Forderungen auch bei uns erfüllt sind, kann bei uns ernsthaft von einem Willen zum Umweltschutz gesprochen werden.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen alle unter dem Eindruck der furchtbaren Nachricht über das schlimme Attentat auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Wenn ich richtig informiert bin, wird der Deutsche Bundestag hierzu nachher eine Erklärung des Bundesinnenministers hören. Ich habe Verständnis, wenn die jetzige Debatte nicht ganz so aufmerksam verfolgt wird. Auf der anderen Seite bitte ich um Verständnis dafür, daß wir die Debatte zunächst fortführen.
Meine Damen und Herren, die vorausschauende Umweltpolitik der Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß und ihrer Berichterstatter für das Umweltministerium dokumentiert sich in diesem Jahr besonders eindrucksvoll. Erstmals im laufenden Haushalt 1989 haben wir erreicht, daß aus dem Etat des Umweltministers auch Pilotprojekte in der DDR zur Verminderung von Umweltbelastungen finanziert werden können.
Ich habe seinerzeit darauf hingewiesen, daß dies in zweierlei Hinsicht von großem Nutzen für uns ist. Zum ersten ist hier die Verringerung der Belastung zu nennen. Schadstoffemissionen in Luft und Wasser kennen ja keine Grenzen. Wenn in der DDR in der Nähe der Grenze eine Reduzierung der Schadstoffe mit unserer Unterstützung erreicht wird, so ist dies von direktem Nutzen auch für unsere Bürger.
Zweitens. Uns war klar, daß ein solches Unterfangen auch indirekte Auswirkungen in die DDR hinein haben würde. Die dortigen Bürger, die nicht in Grenznähe wohnen, haben natürlich ein gleiches Interesse an sauberer Luft und gutem Wasser. Sie werden entsprechende Maßnahmen auch in ihrem Umfeld fordern.
Wenn jetzt sechs Projekte zur Luft- und Gewässerreinhaltung, die von uns mit insgesamt 300 Millionen DM unterstützt werden, unmittelbar vor der Auftragsvergabe stehen und Bürger der DDR von westdeutscher Umwelttechnologie profitieren können, zeigt dies, in welchem Maß wir bereits vor dem Abbau der Mauer und vor der Öffnung der Grenzen zu konkreten Schritten der Zusammenarbeit bereit waren.
Umweltpolitische Überlegungen der Koalition - ich übertreibe nicht, wenn ich die FDP hier als drängenden Teil bezeichne - haben zusätzlichen Anschub durch den CDU-Bundesparteitag erhalten, auf dem mit Bundesumweltminister Töpfer nicht nur eine Person, sondern ein qualifizierter und engagierter Umweltpolitiker mit dem höchsten Stimmergebnis in den Vorstand der CDU gewählt worden ist.
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Eine indirekte Auswirkung dieses Parteitagsbeschlusses war, daß wir einmütig u. a. die Investitionen zur Verminderung der Umweltbelastung weiter erhöht haben. Bekanntlich hatten ja die Kollegen der Koalition in all den Jahren seit dem Bestehen des Umweltministeriums dieses Haus aus den grundsätzlichen Spar- und Kürzungsüberlegungen ausgenommen, was ebenfalls deutlich macht, daß wir die Notwendigkeiten aktiver Umweltpolitik längst erkannt haben.
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Meine Damen und Herren, Punkt 2 der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom vorgestrigen Tag zur Entwicklung des Verhältnisses zur DDR betrifft ausdrücklich die Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich des Umweltschutzes. Wir fühlen uns dadurch zusätzlich bestätigt und motiviert. Wir wissen, daß im Augenblick elf weitere Umweltvorhaben für eine vergleichbare Unterstützung der DDR vorgeschlagen sind. Wir gehen davon aus, daß nach dem Besuch des Bundeskanzlers in der DDR auf der Basis eines gemeinsamen Maßnahmenpakets weitere Projekte in den Förderkatalog aufgenommen werden. Beim Umweltschutz haben wir einen Bereich, der unabhängig vom Zeitpunkt der angekündigten politischen Änderungen in der DDR umgehend in Angriff genommen werden kann und bereits in Angriff genommen worden ist und der jetzt umgehend verstärkt werden kann. Wir stehen hierzu.
Den im Raum stehenden Zahlen an Technologietransfer von ca. 360 Millionen DM aus der Bundesrepublik würden Eigenleistungen der DDR im Wert von ca. 630 Millionen Ost-Mark gegenüberstehen. Leider reicht die Zeit nicht, die Maßnahmen im einzelnen darzustellen. Aber es sind sehr wichtige, sehr interessante und auch für unsere Bevölkerung sehr weitreichende Projekte, die hier in Angriff genommen werden.
Ein zusätzlicher Hinweis: Das Sachverständigengutachten 1989/90 weist unter anderem ausdrücklich darauf hin, daß die Qualität unseres Wirtschaftswachstums durch die Investitionen im Umweltschutz und durch den Umweltschutz als solchen zunehmend verbessert wird.
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Eine weitere Entscheidung, die durch die Aktivität der Koalitionsberichterstatter zustande kam - und ich bin hier dem Kollegen Schmitz ({3}) für seine Kooperation ausdrücklich verbunden - : Es wird künftig möglich sein, daß der Bund auch Pilotprojekte zur Sanierung von Fließgewässern im ökologischen Bereich dieser Projekte fördert. Auf die Idee gebracht hatte uns das Gewässersanierungsprogramm Glems des Regierungspräsidiums von Stuttgart, dem wir aufgrund seiner sorgfältigen konzeptio13742
Dr. Weng ({4})
nellen Erarbeitung gern einen Anstoß von Bundesseite geben wollen. Ein kleines Flüßchen, das einen großen, bevölkerungsreichen Ballungsraum entwässert, soll konsequent saniert werden. Wenn das Umweltministerium mitteilt, daß hierbei zusätzliche Maßnahmen, insbesondere die Schaffung von Lebensräumen für wildlebende Pflanzen und Tiere im Uferrandbereich, einschließlich erforderlicher Vernetzungselemente sowie Maßnahmen gegen Stoffeinträge im Einzugsbereich der Nebenbäche wünschenswert und erforderlich seien, so ist dies in unserem Sinn.
Ich sage das auch mit Blick auf andere Diskussionen über Landesaufgaben und die Finanzierung von Landesaufgaben. Die Finanzverteilung hat sich in letzter Zeit ausdrücklich zugunsten der Länder verändert - zu Lasten des Bundes; an vielen Stellen sehr zugunsten der Gemeinden. Die Gemeinden stehen finanziell unter den Gebietskörperschaften wirklich am besten da. Man muß auch einmal sagen, daß diese Gebietskörperschaften mit ihrer dafür vorhandenen Finanzausstattung ihre Aufgaben erledigen müssen und nicht bei allem auf den Bund weisen dürfen. Ich sage deshalb ausdrücklich: Wir können nicht und wir wollen nicht die Aufgaben der Bundesländer übernehmen. Dafür haben sie ihre Finanzausstattung. Aber wir wollen Signale und Impulse setzen, damit politisch Wichtiges und politisch Wünschenswertes schneller in Gang kommt, als es ohne diese Signale in Gang käme.
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Natürlich wollen wir Eigeninitiativen fördern. Hierbei sind die Umweltverbände wichtige Ansprechpartner - viel zu schade, um sie grünen Ideologen zu überlassen.
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Der Umweltminister hat bei unserem gemeinsamen Besuch im Wollmatinger Ried bei Konstanz gesehen, welch vorzügliche Arbeit hier z. B. der Deutsche Bund für Vogelschutz und seine Helfer leisten. Sie erinnern sich: Der Bund fördert den Ankauf und die Weiterentwicklung von Naturschutzgebieten von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Auch hier hat die Koalition im Haushaltsausschuß ja eine deutliche Erhöhung der Mittel beantragt und den Beschluß erreicht. Zusätzlich aber haben wir beschlossen, daß der Deutsche Bund für Vogelschutz künftig um 50 000 DM erhöhte Mittel im Jahr für Projektförderung seines Naturschutzseminars erhält.
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Wir wollen hiermit ausdrücklich das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen in den Umweltverbänden würdigen, die in täglichem Einsatz einen wertvollen und wichtigen Beitrag zur Verbesserung unserer Umweltsituation leisten.
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Die meisten Fortschritte im Umweltbereich werden nicht durch den Haushalt des Umweltministers erreicht; sie werden durch Gesetze, durch Auflagen, durch steuerliche Förderung, auch durch die wachsende Vernunft unserer Bürger erreicht. Auch durch
Appelle aus dem politischen Raum werden diese Verbesserungen erreicht. Wer nur den Etat des Bundesumweltministers hier in der Diskussion in den Raum stellt, der - das hat der Finanzminister ja gestern gegenüber der Frau Matthäus-Maier schon deutlich gemacht - versucht, hier falsche Eindrücke nach außen zu geben. Der Bundeshaushalt zahlt nicht die Entschwefelung der Kraftwerksanlagen. Was wäre, wenn wir die steuerlichen Gegebenheiten beim Kfz belassen hätten und dann aus diesem Topf der zusätzlichen Steuereinnahmen den Menschen, die ihre Kraftfahrzeuge mit Katalysator kaufen, den Katalysator bezahlt hätten? Es wäre eine unsinnige Geschichte. Hier werden Dinge einfach auf andere Weise erledigt, die für die Umwelt nötig und wichtig sind.
Ich sage trotzdem: Der Umfang des Haushalts des Umweltministeriums spielt zwar keine Rolle, aber die Maßnahmen dort und das Wachstum dieses Haushalts haben Signalcharakter. Das überproportionale Wachstum ist auch eine Demonstration politischen Willens. Denn die Koalition hat die umweltpolitischen Notwendigkeiten längst erkannt; sie trägt ihnen weiterhin Rechnung. Die FDP-Fraktion unterstützt dies aus voller Überzeugung. Sie stimmt dem Haushalt des Umweltministers zu.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaften ist in Ost und West, in der DDR und bei uns gleichermaßen überlebensnotwendig angesichts der globalen Dimensionen der Umweltprobleme. Niemand bestreitet, daß der Zustand von Natur und Umwelt in den Ländern Osteuropas und auch in der DDR wesentlich schlechter ist als in der Bundesrepublik. Aber solche Vergleiche verlieren immer mehr ihren Sinn in einer Zeit, in der die zunehmenden Umweltprobleme grenzüberschreitend sind. Die friedlichen Revolutionen in den Ländern Mittel- und Osteuropas bieten neue Chancen für die Zusammenarbeit bei der Lösung der globalen Umweltkrisen und der grenzüberschreitenden Umweltbelastungen.
Wir müssen daher noch mehr als bisher daran denken, daß es in vielen Bereichen ökologisch effektiver ist, in Umweltschutztechnik in der DDR und in der CSSR zu investieren als bei uns. Umwelt- und Naturschutz sind ein Kernbereich bei der Zusammenarbeit mit den Ländern Osteuropas und der DDR.
Wir in der Bundesrepublik, wie alle westlichen Industrienationen haben dabei aber keinen Anlaß, uns als umweltpolitische Musterschüler oder gar als unfehlbare Lehrmeister darzustellen. Auch wir haben alles andere als eine weiße Weste. Einen beträchtlichen Teil unserer eigenen Umweltprobleme haben wir in die DDR exportiert. Weil es so einfach und so billig war, haben wir unseren Giftmüll z. B. in die Deponie Schönberg gebracht, ohne uns viel um die ökologischen Folgen zu kümmern. Auch West-Berlin wäre längst am Müll erstickt, würde er nicht in der DDR entsorgt.
Schäfer ({0})
Voraussetzung einer guten Zusammenarbeit auch im Ökologiebereich ist, daß wir unsere Partner nicht bevormunden, sondern als gleichberechtigt anerkennen. Es geht bei dieser Zusammenarbeit nicht nur um materielle Hilfe, es geht nicht nur um den Bau von Kläranlagen und Rauchgasreinigungen. Es geht vielmehr auch darum, Erfahrungen zu vermitteln und den Partnern in der DDR und Osteuropa zu helfen, Fehler zu vermeiden, die wir gemacht haben und leider zum Teil heute noch machen. Es geht um eine umfassende Ökologiepartnerschaft.
Es ist keineswegs so, daß die marktwirtschaftliche Entwicklung bei uns automatisch zu einer verbesserten Umweltsituation geführt hätte. Im Gegenteil: Die marktwirtschaftliche Wachstumsdynamik hat die großen globalen Umweltprobleme erzeugt bzw. verschärft, deren Lösung heute dringlicher denn je ist. Robbensterben, Algenpest, Trinkwasserverseuchung, Sandoz, Seveso, Waldsterben, das Ansteigen umweltbedingter Krankheiten sind doch die negativen Folgen eines Wachstums, das auf die Ökologie zu wenig Rücksicht genommen hat.
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Es kann doch niemand leugnen, daß die bescheidenen umweltpolitischen Erfolge bei uns, vom Benzinbleigesetz über die Großfeuerungsanlagen-Verordnung bis zur viel zu späten Einführung des Dreiwegekatalysators, gegen den Widerstand und gegen zum Teil auch falsche Informationen mächtiger Interessengruppen durchgesetzt werden mußten.
Die Polemik aus Teilen einzelner Wirtschaftsverbände und der Regierungsparteien gegen das ökologische Umbaukonzept der SPD ist ein weiterer Beleg, daß ökologische Fortschritte nicht von selbst kommen, sondern mühsam erkämpft werden müssen.
Sie, Herr Töpfer, und die Bundesregierung haben nicht einmal ansatzweise ein Konzept für den ökologischen Umbau. Ohne politische Vorgaben, ohne Eingriffe und Korrekturen beim Marktgeschehen kann die zunehmende Zerstörung der Umwelt nicht aufgehalten werden.
Allein durch die Übernahme einer marktwirtschaftlichen Ordnung wird sich die Lage von Natur und Umwelt in Osteuropa und in der DDR nicht verbessern. Wenn Fehlentwicklungen unserer westlichen Wohlstands- und Wegwerfgesellschaften im Zuge des dortigen ökonomischen und politischen Reformprozesses vermieden werden sollen, müssen frühzeitig ökologische Kriterien bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den Ländern Osteuropas und der DDR berücksichtigt werden. Die Zusammenarbeit darf sich deshalb nicht auf technologische Projekte der Umweltsanierung beschränken.
Die notwendige Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in der DDR-Wirtschaft sollte von Anfang an neben dem sozialen auch den ökologischen Rahmen einschließen. Auch hier gilt, daß die nachträgliche Sanierung entstandener Schäden allemal teurer kommen wird als die rechtzeitige Vorsorge. Die Ausweitung der Güterproduktion und die Verbesserung der Versorgung in der DDR muß daher möglichst mit einer Reduzierung der Gesamtbelastung der Umwelt einhergehen. Dies gilt es bei allen jetzt genannten Projekten der Zusammenarbeit, die wir grundsätzlich unterstützen, wie auch bei den Vorhaben, die zukünftig gemeinsam angepackt werden sollen, zu berücksichtigen.
Wir erwarten, meine Damen und Herren, daß es umgehend zu weiteren Vereinbarungen mit der DDR über eine Zusammenarbeit in den Bereichen rationelle Energieversorgung und Energieeinsparung, Luftreinhaltung, Gewässersanierung, umweltverträgliche Chemiepolitik und Abfallvermeidung kommt. In einer großen Kraftanstrengung müssen dazu Milliarden-Investitionen über Jahre hinweg in der DDR vorgenommen werden. Dies sind aber Investitionen in die Zukunft Europas. Sie werden dazu beitragen, daß Nord- und Ostsee vor dem ökologischen Zusammenbruch bewahrt werden und die grenzüberschreitenden Umweltbelastungen reduziert werden können.
Wahrer Patriotismus und wahre europäische Gesinnung müssen sich auch darin erweisen, daß uns die Rettung der Wälder im Erzgebirge und im Thüringer Wald genausoviel wert ist wie die Rettung des Schwarzwaldes und des Bayerischen Waldes.
Instrumente, die uns diesem Ziel näherbringen könnten, sind unter anderem ein gemeinsamer Umweltfonds - der Nordische Rat der Länder Skandinaviens hat gegenüber Polen ein erstes Zeichen gesetzt - , eine gemeinsame Umweltbank unter Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine gemeinsame Umweltkommission z. B. zum Schutz der Elbe, zum Klimaschutz und zur rationellen Energieverwendung, ein gemeinsames Umweltmeß- und -statistiksystem als Beitrag zu einer europäischen Umweltagentur, die ihren Sitz in Berlin haben sollte.
So sehr wir eine Intensivierung der umweltpolitischen Zusammenarbeit mit der DDR und den Ländern Osteuropas unterstützen, so sehr müssen wir auf der anderen Seite anmahnen, daß die entscheidenden Aufgaben in der Umwelt- und Energiepolitik bei uns unerledigt sind. Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen, daß gerade die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa zu einem Überdenken der Verkehrspolitik führen muß. Dabei darf es nicht nur darum gehen, neue Verkehrsverbindungen zu planen, wir brauchen auch ein gesamteuropäisches Konzept für die umweltverträgliche Abwicklung der wahrscheinlich dramatisch zunehmenden Verkehrsleistungen in Europa. Der Beitrag des Hauses Zimmermann beschränkt sich im Grunde auf kleinliche Gegenmaßnahmen zur umweltpolitischen Notwehrmaßnahme des österreichischen Nachtfahrverbotes.
Meine Damen und Herren, ich denke, Sie stimmen mir alle zu, daß wir gegenwärtig in einer Zeit des Umbruchs leben. Wir haben eine historische Chance. Lassen Sie uns gemeinsam diese historische Chance nutzen, in Ost und West, in Nord und Süd, die Chance nämlich, ökologische Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem ökologischen Imperativ dienen, ein Optimum an Gütern und Dienstleistungen mit einem Minimum an Energie, Rohstoffeinsatz und Umweltbelastung zu erzielen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. - Ich habe einen Teil meines Manuskripts ausgelassen, den Teil, in dem wir uns mit
Schäfer ({2})
Ihnen, von den Regierungsparteien, kritisch auseinandergesetzt haben. - Vielen Dank fürs Zuhören.
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Meine Damen und Herren, auf Grund eines tragischen Anlasses werde ich gleich die Sitzung unterbrechen, gebe aber zunächst noch das Wort dem Bundesminister des Innern, Herrn Schäuble, für eine Erklärung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus davon unterrichten, daß nach mir vorliegenden Meldungen um 8.34 Uhr der Sprecher der Deutschen Bank, Herr Dr. Alfred Herrhausen, einem Mordanschlag zum Opfer gefallen ist.
Nähere Tatumstände und Hinweise auf etwaige Täter sind bisher nicht bekannt. Mir ist auch nicht mit Sicherheit bekannt, ob der Mordanschlag weitere Opfer gefordert hat.
Der Generalbundesanwalt hat unverzüglich die Ermittlungen übernommen und das Bundeskriminalamt mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt.
Ich bin dem Hohen Hause dafür dankbar, daß die Beratung des Einzelplans 06, die jetzt in Kürze vorgesehen war, verschoben wird, weil ich mich - dafür bitte ich Sie um Verständnis - jetzt unmittelbar an den Tatort begeben möchte.
Alfred Herrhausen war nicht nur als Sprecher der Deutschen Bank ein besonders erfolgreicher Bankier und Unternehmer, sondern er war auch ein Mann, der sich immer in besonderer Weise auch für das öffentliche Wohl verantwortlich gefühlt und engagiert hat. Ich erinnere an die Initiative für seine Heimat, das Ruhrgebiet. Ich erinnere an vielfältige Aktivitäten und Engagements für Deutschland und für Europa. Ich erinnere in dieser Stunde daran, daß er maßgeblich an der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion, zu Ungarn und zu anderen Staaten des Warschauer Pakts beteiligt war und daß er einer der markantesten und profiliertesten Sprecher nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern der Bundesrepublik Deutschland weit über Europa hinaus, weltweit und insbesondere auch in Amerika war.
Das ist aber nicht die Stunde, hier einen Nachruf zu sprechen. Wir alle empfinden tiefe Betroffenheit und Bestürzung über einen entsetzlichen Mordanschlag, dessen Hintergründe wir nicht kennen. Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor dem Toten.
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Ich denke, wir alle sollten uns in dieser Stunde einig sein in dem Kampf für die Bewahrung unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht in der Sitzung fortfahren, sondern sie für fünf Minuten unterbrechen. Erst danach werden wir die Beratung wiederaufnehmen.
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Meine Damen und Herren, wir nehmen die Beratung nach der Unterbrechung der Sitzung wieder auf.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entsprechend dem Beispiel des Herrn Abgeordneten Schäfer möchte auch ich meine Ausführungen, die ich für diese Debatte vorgesehen habe, entscheidend kürzen. Ich möchte sie auf die Punkte konzentrieren, bei denen ich davon ausgehe, daß sie in weiten Bereichen auch in diesem Hohen Hause eine Übereinstimmung in der Bewertung erlangen und daß wir bei dem einen oder anderen vielleicht auch zu einer gemeinsamen Bewertung des Weges finden können, den wir zu gehen haben.
Deswegen lassen Sie mich an den Anfang der Ausführungen die Überzeugung stellen, daß wir diesen historischen Durchbruch zu Freiheit, zu Demokratie, zu Selbstbestimmung, zu grundlegenden Reformen in Gesellschaft und Wirtschaft bei unseren östlichen Nachbarn, insbesondere bei der DDR, aber auch bei Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien oder der Sowjetunion, nutzen müssen, um die Möglichkeit der umweltpolitischen Partnerschaft noch weiter voranzutreiben, von der wir glauben, daß wir sie zu Zeiten in Angriff genommen haben, als dies noch ungleich schwieriger war.
Wir haben mit all diesen Ländern, wie Sie wissen, in den vergangenen zwei Jahren bilaterale Umweltvereinbarungen abgeschlossen, mit der DDR im September 1987. Diese Vereinbarungen sind eine gute Voraussetzung dafür, daß wir heute in sehr konkreten Fragen zusammenarbeiten können. Sie sind die gute Grundlage für eine progressive Weiterentwicklung der von mir in den letzten Jahren in die Wege geleiteten umweltpolitischen Zusammenarbeit mit der DDR. Entscheidend ist dabei - lassen Sie mich das ohne jede Schärfe und Härte sagen - , daß wir uns hier nicht in eine Entwicklung hineindiskutieren sollten, als wäre das wieder einmal die liebgewonnene Chance des kapitalistischen Systems, neue Verwertungsinteressen für sein Kapital zu finden. Das ist vielmehr die Chance derer, die gegenwärtig über bessere wirtschaftliche Voraussetzungen verfügen, die bessere Techniken entwickelt haben, um damit anderen dabei behilflich zu sein, dies auch bei sich durchzuführen.
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Da geht es eben nicht darum, daß wir sagen: da müssen wir Zeit haben, die gesamte Umstellung abwarten, sondern da müssen wir natürlich kurzfristig, mittelfristig und langfristig richtig handeln, und das bedeutet z. B. -lassen Sie mich das dazu sagen -, daß es nicht ein Verkaufen deutschen Atomstroms ist, wenn wir uns überlegen, ob man die Zusammenarbeit in der Stromlieferung verbessern könnte, sondern die schlichte Erkenntnis, daß eine Stromlieferung heute, gerade zu den Belastungsspitzen in der DDR gebracht, diese Belastungsspitzen der Umwelt kappt
und damit eine unmittelbare Entlastung bei Schwefel, bei Stickoxiden, bei CO2 ermöglicht. Nicht irgendeine sonstige Überlegung ist dabei leitend, sondern es geht um diese kurzfristige Chance, die wir dabei haben.
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Natürlich ist es richtig, daß wir diese umweltpolitische Zusammenarbeit nicht abkoppeln können und nicht abkoppeln dürfen von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der DDR und mit den anderen Partnern im Osten; denn wir haben uns immer und immer wieder auch bei uns Klarheit darüber verschafft, daß es unumgänglich notwendig ist, wo immer möglich, in den Investitionsprozeß hinein schon Umweltfortschritt zu integrieren, nicht eine End-of-the-pipeTechnik zu machen, sondern dort, wo jetzt neu investiert wird, mit der neuen Investition sowohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch die ökologische Entlastungsmöglichkeit zu nutzen. Diese Klammer, meine ich, ist ebenfalls von jedem, der hier spricht, doch gar nicht zu übersehen, und ich habe das ohne jeden Zweifel auch bei dem Herrn Abgeordneten Schäfer so herausgehört, genau wie bei allen, die hier in dem Zusammenhang gesprochen haben.
Dabei geht es im entscheidenden Sinne natürlich um die Frage, wie wir etwa die Energieeffizienz erhöhen können. Wenn wir heute wissen, daß in der Bundesrepublik Deutschland eine Kilowattstunde Strom aus Kohle mit etwa 350 Gramm Kohle hergestellt wird und daß für eine Kilowattstunde Strom in der DDR etwa 850 Gramm Kohle gebraucht werden, dann sieht man daran, welche Effizienzunterschiede und welche Umweltbelastungen von CO2 bis zu SO2 damit verbunden sind und daß man an diese Energieeffizienz herangehen muß,
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und dies natürlich nicht als Alibi für eigenes Nichtstun, sondern um die Prioritäten aufzuzeigen. Man kann jede Mark nur einmal ausgeben, und das sollten wir nicht nur aus der nationalen Brille allein tun, sondern im Zusammenhang in einem Europa, das sich mehr aufeinander zubewegt. Das europäische Haus muß eine Umweltdimension ganz am Anfang haben. Ich bin dem Bundeskanzler außerordentlich dankbar dafür, daß er in seiner großartigen deutschlandpolitischen Rede vorgestern in diesem Hohen Hause ohne Wenn und Aber gerade den Umweltschutz mit in den Mittelpunkt gestellt hat. Sein Punkt 2 hat dies aufgegriffen.
Meine Damen und Herren, wir fangen - ich sage es noch einmal - hierbei nicht beim Punkt Null an. Wir haben erstens die Möglichkeiten durch das Umweltabkommen geschaffen. Zweitens haben wir bereits damals im Rahmen der Umweltabkommen mit der DDR und auch mit anderen Ländern ständige Beauftragte für Umweltschutz bestellt. Diese verantwortlichen Beauftragten treffen sich in regelmäßigen Abständen, und dies wird jetzt intensiviert und ausgebaut. Ich bin ziemlich sicher, daß ich noch in diesem Jahr in der DDR sein kann, den Kollegen Reichelt, der Umweltminister geblieben ist, sehen werde, ebenso wie ich den für die Reaktorsicherheit zuständigen dortigen Kollegen ebenfalls aufsuchen werde. Ich sage
noch einmal: Dies ist Umweltpartnerschaft, wie wir sie dringlich brauchen. Wir wollen also - ich sage es noch einmal - diese ständige Kommission entwikkeln.
Drittens. Auf der Grundlage dieses Abkommens und entsprechend koordiniert durch die Beauftragten haben eine Vielzahl von Fachgesprächen stattgefunden. Es ist wirklich eine Expertenkenntnis wechselseitig entstanden. Über 30 derartige Gespräche über alle Teilbereiche der Umweltpolitik sind in Gang gekommen unter Einbindung der Experten auf der Länderebene, worauf ich sehr viel Wert gelegt habe. Denn wir können ja nicht übersehen, daß der Vollzug der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland vornehmlich von den Bundesländern vorgenommen wird, daß dort der Fach- und Sachverstand ist und daß es deswegen richtig ist, auch diese Kollegen in die Expertengespräche einzubinden. Ich sage noch einmal: Allein mit der DDR gab es in den letzten zwei Jahren weit über 30 derartige Expertengespräche. Hier ist wirklich auch in der Atmosphäre eine Kollegialität gewachsen, die ich als außerordentlich wichtig dafür empfinde, daß wir unsere Tätigkeiten umfassend abstimmen können.
Wir glauben, daß wir jetzt in der Lage sind - die Gespräche haben das bestätigt -, auch zu einer Abstimmung von Emissions- und Immissionswerten zu kommen. Das halte ich für sehr wichtig.
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Es ist wichtig, daß wir auch dabei von gleichen Standards, von gleichen Zielwerten ausgehen können, um Prioritäten festlegen zu können. Diese Abstimmung von Emissions- und Immissionsgrenzwerten ist sehr bedeutsam.
Meine Damen und Herren, viertens sage ich in diesem Zusammenhang, daß am 6. Juli, wie Sie wissen, mit der DDR erstmals sechs Pilotprojekte vereinbart worden sind. Gestern und vorgestern waren meine Mitarbeiter wieder in Berlin ({4}). Sie haben dort die Konkretisierung weiter vorangebracht. Die Projekte müssen ja so weit entwickelt werden, daß Aufträge vergeben werden können. Ausgeschrieben sind sie. Aller Voraussicht nach werden sie am 19./20. Dezember hier in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam von seiten der DDR und von unserer Seite vergeben werden können, soweit die Ausschreibungen zu brauchbaren Ergebnissen geführt haben.
Lassen Sie mich eines ganz deutlich sagen: Hier sind Vorbedingungen o. ä. überhaupt kein Thema. Das einzige, was wir als Bedingung haben, ist etwas, was die DDR und wir uns natürlich gemeinsam vorgenommen haben. Die Meßlatte ist: Diese Projekte müssen zu einer unmittelbaren Entlastung der Umwelt in der DDR und bei uns führen. Das ist eine, wie ich glaube, nachvollziehbare „Bedingung", die auf beiden Seiten genauso gesehen wird und die von beiden Seiten deswegen als Meßlatte herangezogen worden ist und weiter herangezogen wird.
Aber Sie müssen natürlich sehen, daß es nicht nur um die Frage der Verfügbarkeit von Mitteln geht. Es gibt auch so etwas wie eine Bewältigungskapazität im technisch-administrativen Sinne in der DDR, eine Kapazität, die bisher nicht ausreicht. Auf Grund der lau13746
fenden Verhandlungen kann ich sagen, daß es schwierig ist, eine Zeitebene herauszuarbeiten, auf der wir die komplementären Leistungen der DDR sicher einbringen können. Das geht bis hin zu der Frage: Wird denn eine erforderliche Straße auch zeitgerecht gebaut, sind die Bauleistungen vorhanden? Hier geht es also nicht nur darum, daß wir sagen: Wir haben Geld in der Hand, und nun macht mal. Vielmehr müssen wir dies sehr eng koordinieren. Eine bisher zentral geplante Wirtschaft ist bei der Beantwortung gerade solcher technischer Fragestellungen enorm schwerfällig. Das möchte ich hier sehr deutlich und sehr nachhaltig allen mitteilen, damit nicht der Eindruck entsteht, Verzögerungen hätten etwas damit zu tun, daß das Geld nicht da ist. Nein, sie haben etwas damit zu tun, daß schlicht und einfach die administrative Kraft eines solchen zentral orientierten Staates nicht da ist. Dies alles weist darauf hin, daß wir dezentralen Kräften mehr Chancen geben müssen, dies alles weiter voranzubringen.
Wie gesagt, dies ist abgestimmt, und dies ist durch die gemeinsame Entscheidung im Haushaltsausschuß - ich unterstreiche das, was die Kollegen Waltemathe, Schmitz und Weng gesagt haben - möglich geworden. Ich habe mich dafür zu bedanken, daß aus diesem kleinen Pflänzchen der Öffnung eines Projektes zu Zeiten, als an die jetzige Entwicklung der Gesamtsituation noch nicht zu denken war, eine so kräftige Pflanze, ein so kräftiger Baum der guten partnerschaftlichen Zusammenarbeit geworden ist.
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Meine Damen und Herren, dieser Prozeß geht weiter, und so kann ich fünftens darauf hinweisen, daß elf weitere derartige Projekte vorliegen. Auch sie sind dem Hohen Hause bekannt; ich kann sie hier nur erwähnen. Wir diskutieren über sie jetzt ebenfalls auf Expertenebene, und ich möchte sie in meinem Gespräch mit Herrn Reichelt entsprechend vorantreiben, damit klar wird: Besser vorankommen können diejenigen, die drüben auf Grund ihrer eigenen Leistungsfähigkeit unsere Angebote aufgreifen können. Das ist keine Bedingung, sondern die Heranführung an solche schwierigen Investitionsprojekte.
Dieser Bereich der einzelnen umweltbezogenen Aufgaben und Investitionsprojekte wird erweitert. Ich gehe davon aus, daß wir bereits in Kürze eine weitere Projektliste haben und daß wir sie ebenso konstruktiv überprüfen.
Sechstens. Die Information auf allen Gebieten des Umweltschutzes muß weiter verdichtet werden. Ich unterstreiche das, was gesagt wurde. Wir haben das nicht nur verbal hier zu erklären, sondern wir haben die damit verbundenen Voraussetzungen zu schaffen. In der ersten Tranche unserer Zusammenarbeit werden sechs Luftmeßstationen gebaut, die denen entsprechen, die bei uns in den einzelnen Meßnetzen unserer großen Städte vorhanden sind und rund um die Uhr die Hauptluftbelastungsstoffe messen. Wir haben jetzt vereinbart, daß wir dort weitere fünf Meßstationen für die Überwachung der Gewässerbelastung erstellen, drei an der Elbe, eine an der Spree, eine an der Havel, so daß auch dort die Belastungsdaten für die Gewässer vorhanden sind. Wir wollen alles daransetzen, daß wir auch unser Meßnetz bezüglich
der Strahlenbelastung, das wir gegenwärtig aufbauen, mit einem in der DDR in Einklang bringen können.
Ich darf Sie davon unterrichten, daß wir gestern, bis in die Nacht hinein, unsere Umweltministerratssitzung in Brüssel gehabt haben und daß es unter französischem Vorsitz möglich geworden ist, die Voraussetzungen für eine Europäische Umweltagentur zu schaffen. Diese Richtlinie ist im Grundsatz verabschiedet worden. Wir haben sehr, sehr hart daran mit-diskutiert, daß diese Umweltagentur für Drittländer offen bleibt. Dies war nicht leicht. Ich sage das ganz deutlich. Es gab und gibt bei einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Vorbehalte gegen diese Öffnung für Drittländer. Wir halten sie aber für absolut notwendig, sowohl mit Blick auf die EFTA-Länder als auch auf die Länder in Ost- und Mitteleuropa.
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Deswegen ist unser Standortvorschlag Berlin sehr nachvollziehbar. Die Entscheidung selbst wird auf dem europäischen Gipfel am 8. und 9. Dezember in Straßburg erarbeitet werden müssen. Ich hoffe, daß sich diese guten Argumente auch bei unseren Partnern in der Gemeinschaft durchsetzen.
Meine Damen und Herren, ich darf siebtens darauf hinweisen, daß wir nicht bei Projekten stehenbleiben wollen, sondern daß wir einen gemeinsamen ökologischen Handlungsplan aufstellen wollen. Auch dies ist nach meiner festen Überzeugung eine Konsequenz der bisherigen Zusammenarbeit. Auch hier gibt es ermutigende Zeichen.
Ich weise, achtens, darauf hin, daß wir nicht im technischen Umweltschutz verharren werden, sondern daß wir die Möglichkeiten, im Naturschutz zusammenzuarbeiten, voranbringen müssen. Wir haben das an der innerdeutschen Grenze mit einigen Projekten versucht. Das war in der Vergangenheit sehr schwer. Also das, was etwa beim Schaalsee in Schleswig-Holstein, beim Drömling in Niedersachsen oder im Raum Coburg in Angriff genommen worden ist, hat sehr, sehr viele Hemmnisse im Zusammenhang mit der innerdeutschen Grenze gehabt. Sie wurden auf die Grenzkommission verwiesen.
Ich bin dem Vorsitzenden des BUND, Herrn Weinzierl, durchaus dankbar, daß er dieses Thema ebenfalls aufgegriffen hat.
({7})
Ich habe für den 13. Dezember alle Umweltverbände zu mir eingeladen, um mit ihnen gemeinsam die Möglichkeiten auch der Nichtregierungsorganisationen in der Weiterentwicklung der umweltpolitischen und naturschutzpolitischen Zusammenarbeit mit der DDR abzugreifen. Ich hoffe, daß auch der eine oder andere Vertreter der Umweltorganisationen aus der DDR mit in dieses Gespräch eingebunden werden kann. Ich glaube, es ist eine gute, eine notwendige Ergänzung unserer Zusammenarbeit mit der DDR, daß wir auch die Umweltverbände entsprechend miteinbinden.
({8})
Ich möchte, neuntens, darauf aufmerksam machen, meine Damen und Herren, daß wir über die zweiseiBundesminister Dr. Töpfer
tige Arbeit hinaus zu einer dreiseitigen Zusammenarbeit besonders mit Blick auf die Elbe kommen wollen. Die Signale der DDR sind so, daß man jetzt bereit ist, zu einer dreiseitigen Elbe-Schutz-Kommission zu kommen, so wie wir sie am Rhein haben. Gegenwärtig tagt die Rheinministerkonferenz in Brüssel, und ich werde mich hinterher sehr schnell dort einfinden müssen. Wir wollen also dreiseitige Abstimmung haben, um zu einer Gewässerbewirtschaftung der Elbe zu kommen und dort nicht nur punktuell zu entlasten, sondern die Elbe systematisch an einen Zustand heranzuführen, der bei unseren anderen Gewässern bereits erreicht ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte, zehntens, darauf aufmerksam machen, daß ich auch gegenüber den Umweltministern der Bundesländer die Notwendigkeit neuer Instrumente in der Zusammenarbeit mit der DDR und mit anderen Staaten in dem mittel- und osteuropäischen Bereich angesprochen habe. Das, was wir gegenwärtig in der Ergänzung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes mit der Kompensationslösung angesprochen haben, möchten wir gern auch mit auf die DDR ausdehnen.
({9})
Ich freue mich, daß auch der Senat von Berlin auf diesem Gebiet vergleichbare Ideen entwickelt. Dies ist eine sinnvolle Umweltpartnerschaft, die es auch ermöglicht, daß die einzelnen Unternehmen enger in die Zusammenarbeit einbezogen werden können.
Damit möchte ich wirklich noch einmal deutlich machen, daß auch das Land Berlin eine ganz elementare Bedeutung hierbei hat. Ich habe mich mit meiner Kollegin darüber ausgetauscht. Wir haben drei Projektwünsche, Projektvorschläge des Senats von Berlin vorgelegt bekommen. Wir untersuchen sie. Wir haben sie der DDR bereits übergeben, so daß sie auch dort geprüft werden können. Dies betrifft z. B. eine gemeinsame Heizzentrale, die im Osten der Stadt gebaut werden könnte und dann Wärme und Strom in den Westen liefern könnte. Dies ist nichts anderes als eine Kompensationslösung, die wir für sinnvoll und richtig erachten.
Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit der DDR ein Beispiel eines Gesamtkonzepts, daß sich nicht auf Ankündigungen beschränkt, sondern die Arbeit der letzten zwei Jahre weiterführt, aber mit besseren Chancen und, wie ich glaube, mit Unterstützung der DDR in ihren Strukturen. Das ist für uns sehr wichtig. Ich möchte das an dieser Stelle nur angedeutet, nicht weiter ausgeführt haben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber auch deutlich machen, daß wir diese am Beispiel der DDR gekennzeichnete grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht als ein Alibi für Nichtstun zu Hause oder in der Europäischen Gemeinschaft mißbrauchen werden oder mißbraucht haben. Wir haben das nicht getan, und wir werden es weiterhin nicht tun.
Meine Damen und Herren, ich will auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse keine Leistungsbilanz vorlegen, wie es eigentlich gute Gelegenheit bei einer Beratung eines Haushalts wäre. Aber es ist nicht zu übersehen, daß wir in der Entwicklung und in der Anwendung von Umwelttechnologien
nun wirklich deutlich vorangekommen sind. Es ist nicht zu übersehen, daß die Umrüstung und Nutzung besserer Techniken im Kfz-Bereich wirklich bedeutsame Entlastungen bewirkt haben. Die letzte Zahl der Zulassungen bei Autos mit Otto-Motor belegt, daß knapp unter 80 % bereits einen Drei-Wege-Katalysator haben. Ich sage das nicht unserer guten Politik wegen, sondern auch als Dank gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die unsere Initiativen mit aufgegriffen haben, die die steuerliche Förderung nutzen, um damit auch die Umwelt zu entlasten. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Technik, Verhalten und finanzielle Hilfen zu einem greifbaren Erfolg der Umweltpolitik verbinden kann.
({10})
Natürlich sind wir auch auf wichtigen anderen Gebieten wesentlich vorangekommen. Ich möchte dem Abgeordneten Waltemathe nicht in der Ritualisierung seiner Eingangspunkte gerecht werden, obwohl er selbst dieser Ritualisierung nicht ganz fern gewesen ist. Ich will nur darauf hinweisen, daß wir schon der Überzeugung sind, ein Nordseeprogramm nicht nur angekündigt und niedergeschrieben, sondern es durchgeführt zu haben. Wir haben das in allen Bereichen der Öffentlichkeit vorgestellt. Sollte das, Herr Abgeordneter Waltemathe, Ihnen oder Ihrer Fraktion entgangen sein, bin ich gerne bereit, Ihnen im Nachgang zu der Diskussion die damit verbundenen schriftlichen Veröffentlichungen zur Verfügung zu stellen.
({11})
Es gibt hier also wichtige Fortschritte. Diese Fortschritte beruhigen uns keineswegs, hier muß auch weitergearbeitet werden. Ich bin der Überzeugung, daß dieser Bundeshaushalt dafür eine wichtige zusätzliche Chance bietet.
Ich sage noch einmal: Jede Umweltpolitik, die dem Verursacherprinzip verpflichtet ist, muß ihre zentrale Aufgabe zunächst einmal darin haben, die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu erlassen und sie wirksam umzusetzen. Deswegen ist und bleibt für mich der entscheidende Punkt auch: Wie kann ich mit meinem Personal das bewältigen, was mir abverlangt wird? Ich habe meinen Mitarbeitern sehr nachhaltig dafür zu danken, daß sie in vielen, vielen Bereichen Überlast getragen haben. Es ist eine junge Mannschaft, die motiviert ist und die weit über das hinaus, was ihnen beamtenrechtlich abverlangt werden kann, tätig ist. Wir haben natürlich auch hier Weiterentwicklungen gehabt. Als ich das Ministerium übernahm, haben wir in meinem Geschäftsbereich insgesamt 1 085 Mitarbeiter gehabt. Wir haben jetzt 1 700 Mitarbeiter, d. h. die Zahl der Mitarbeiter ist um etwa 57 % angestiegen.
Wir haben auch in diesem Haushalt einen Zuwachs der Mitarbeiter um 185. Das ist natürlich auch in wichtigen Teilen des nachgeordneten Bereichs angesiedelt. Aber das ist ja gerade das, was die Opposition mir immer abverlangt, daß wir nicht nur das Ministerium stärken, sondern auch die nachgeordneten Behörden wie das Umweltbundesamt, die Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie und auch das neue Bundesamt für Strahlenschutz.
Ich sage Ihnen noch einmal, Frau Abgeordnete Wollny: Selbst wenn wir nie etwas mit der Kernenergie zu tun gehabt hätten, wäre es unumgänglich und dringend notwendig, daß wir ein Bundesamt für Strahlenschutz aufbauen; denn daß wir auch von solchen Ereignissen wie Tschernobyl in der Sowjetunion Betroffene gewesen sind, hat jeder Bürger gesehen. Er wird kein Verständnis dafür haben, wenn wir sagen: Aber bei uns passiert das nicht; deswegen brauchen wir auch keine organisatorischen Voraussetzungen. Er erwartet von uns vielmehr, daß wir uns in unseren organisatorischen Strukturen so qualifizieren, daß wir auch diese Probleme bewältigen können.
({12})
Insgesamt ist dies also, meine Damen und Herren, ein Bundeshaushalt, der diesen Schwerpunkten Rechnung trägt. Ich danke all denen im Haushaltsausschuß, die ihn mitentwickelt haben und die weitere Signale gesetzt haben. Ich bin der Überzeugung, daß wir eine Umweltpolitik machen, die über unsere Grenzen hinausstrahlt und die deswegen ganz sicherlich nicht aus Selbstgefälligkeit gelobt, aber aus Selbstbewußtsein so dargestellt werden kann, daß auch andere diesen Wegen zu folgen in der Lage sind.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({13})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5777? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5778? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5779? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5780? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XIII? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5889? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 16.
Wer stimmt für den Einzelplan 16? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und FDP, angenommen.
Ich rufe jetzt auf Grund der gegebenen Umstände in Abänderung der Tagesordnung den Einzelplan 31 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 11/5573, 11/5581 Berichterstatterinnen:
Abgeordnete Frau Männle Frau Dr. Wegner
Frau Rust
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/5810 bis 11/5819, 11/5882 Nr. XVIII und 11/5894 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wegner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst etwas zur Gesamteinschätzung der Bildungspolitik aus unserer Sicht sagen. Anschließend möchte ich dann einige Bemerkungen zum Ablauf der Haushaltsberatungen im einzelnen machen und dabei verdeutlichen, wo wir Sozialdemokraten die Akzente anders setzen als die Regierungskoalition.
Nach der doch etwas tristen bildungspolitischen Bilanz der Ära Wilms hat der Bildungsminister Möllemann mehrfach eine Kurskorrektur in der Bildungspolitik gefordert. Im Frühjahr hat er sogar eine 20prozentige Steigerung des Haushalts gefordert.
Der Minister beherrscht die Kunst der Selbstdarstellung; das muß man ihm lassen.
({0})
Ich denke da etwa an die hübsche Broschüre aus dem Bildungsministerium mit dem Titel „Angefragt: Jürgen Möllemann" . Sie ist innerhalb des Titels „Zielinformationen" etatisiert. In dieser Broschüre plaudert der Minister ganz locker mit seinem Interviewer über bildungspolitische Fragen, aber auch über sein Privatleben. Er ist dort abgelichtet beim Gokart-Fahren im Urlaub und beim Fallschirmabsprung. Pikanterweise prangt gerade neben dem Bild, das Möllemann beim Absprung zeigt, die Überschrift: „Weiterbildung wichtig".
({1})
- Ich fürchte, aus dem Alter bin ich heraus, Herr Kollege. - Gekostet hat diese Broschüre immerhin fast 30 000 DM.
({2})
Aber zurück zum Ernst: Unleugbar hat es der Minister geschafft, warnende Signale aufzunehmen und die Bildungspolitik und natürlich auch sich selbst ins Gespräch zu bringen. Bei näherer Betrachtung stellt
sich diese Politik als eine Mischung von unbestreitbaren Erfolgen, von spektakulären Ankündigungen und auch von politischen Bruchlandungen dar, um im Bild des Fallschirmspringers zu bleiben.
({3})
Ich will versuchen, das an ausgewählten Beispielen zu erläutern.
Der Aufwuchs des Haushaltsentwurfs um insgesamt 8,8 % ist gegenüber der Kahlschlagspolitik seiner Vorgängerin unleugbar ein Erfolg, auch wenn die Steigerungsrate von 8,8 % hinter den Ankündigungen zurückbleibt und wenn dieser Bildungshaushalt mit einem Soll von 4,1 Milliarden DM immer noch um 400 Millionen DM unter dem letzten Bildungshaushalt der sozialliberalen Koalition von 1982 liegt. In diesem Haushalt steht manches, das auch wir Sozialdemokraten für richtig halten. So begrüßen wir z. B. ausdrücklich den fünfprozentigen Aufwuchs für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, und wir haben auch das nachgeschobene Programm für den studentischen Wohnraumbau unterstützt.
In dem Bereich der spektakulären Ankündigungen gehört das zweite Hochschulsonderprogramm. Mal ist hier von der Schaffung von 10 000 Stellen als Qualifizierungsbrücke die Rede, mal von gezieltem Aufwuchs bestimmter Bereiche innerhalb der Forschungsförderung. Inzwischen verdichtet sich jedoch der Eindruck, daß es beim bevorstehenden Bildungsgipfel wohl wieder nur zu verschiedenen Interpretationen der Hochschulpolitik, aber nicht zu konkreten Maßnahmen kommen wird.
In die Kategorie der Bruchlandungen gehört die geplante Neuregelung der Hochschulzulassung, die bei ihrer Verwirklichung zu einem Zweiklassensystem innerhalb der Hochschulen und einem enormen bürokratischen Aufwand für die Länder geführt hätte.
({4})
Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert hat sich bei der Beantwortung meiner schriftlichen Anfrage nach den Kosten dieser geplanten Neuregelung zwar elegant um eine Antwort herumgedrückt, aber die schwarz-rote Riege der Länder hat sehr genau gemerkt, was da auf sie zukommt und hat rund und nett mit 11: 0 abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Hektik im Bildungsbereich; wir brauchen kein wahlloses Aneinanderreihen von Sonderprogrammen, sondern wir brauchen solide finanzierte, im Einklang von Bund und Ländern konzipierte Strukturprogramme, die unsere Gesellschaft auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte vorbereiten, selbstverständlich unter Einbeziehung der europäischen Belange und selbstverständlich auch unter Einbeziehung der jüngsten Entwicklung in der DDR. Meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Bildungsbereich werden dieses sicher näher erläutern.
Nun einige Worte zu den Haushaltsberatungen im einzelnen. Weshalb müssen wir diesen Haushaltsentwurf ablehnen? Wo setzen wir die Akzente anders als die Regierung?
Zur zweiten Lesung haben wir uns auf die Stellung einiger weniger wichtiger Anträge beschränkt.
Erstens. Wir fordern die Aufstockung der Mittel für den Ausbau und Neubau von Hochschulen von derzeit 1,1 Milliarden DM auf 1,3 Milliarden DM. Angesichts des zahlenmäßigen Mißverhältnisses zwischen derzeit etwa 1,5 Millionen Studierenden - diese Zahl wird auch kurzfristig nicht sinken - und den derzeit etwa 800 000 vorhandenen Studienplätzen und einer Vorfinanzierung der Länder von fast einer halben Milliarde DM ist diese Aufstockung unumgänglich notwendig.
({5})
Zweitens. Wir fordern die volle Wiederherstellung des Schüler-BAföG im Sinne der Empfehlungen des Beirats für Ausbildungsförderung. Dieser hat in der Kritik des neuen BAföG-Gesetzentwurfs der Regierung darauf hingewiesen - ich zitiere -; daß in dem Gesetzentwurf die Grundsätze der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung noch nicht verwirklicht sind.
Wir bedauern, daß der Minister die überfällige BAfäG-Strukturreform nur halbherzig vollzieht, halbherzig aus einer Mischung von finanziellen, aber auch ideologischen Bedenken, Stichwort: zu viele Gymnasiasten, zuwenig Klempner.
({6})
- Ich erinnere an die erste Lesung, bei der der Herr Minister ein Beispiel gebracht hat, daß er befürchtet, daß wir zu viele Gymnasiasten haben und daß er niemand mehr finden wird, der seine Wasserleitung repariert.
({7})
Ich habe mir erlaubt, in geraffter Form daran zu erinnern.
({8})
Drittens. Wir beantragen bei Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu zehn Jahren die Leistung von Ausbildungsförderung über die Förderhöchstdauer hinaus. Damit leisten wir einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Studium und Familie.
Viertens. Zur Behebung der studentischen Wohnungsnot haben wir nicht innerhalb des Einzelplans 31, sondern im Rahmen unseres Antrags zur Förderung des Wohnungsbaus, vor allem des sozialen Wohnungsbaus, in einem Volumen von insgesamt 3,5 Milliarden DM beantragt, hier eine angemessene Quote für studentischen Wohnraum in den Universitätsstädten auszuweisen.
Die Wohnungssituation von Studenten ist katastrophal. Das wird jeder zugeben, der die Situation vor Ort beobachtet hat. Hier findet ein Verdrängungswettbewerb zu Lasten der Schwächsten statt, und zu diesen Schwächsten gehören auch viele Studenten, sofern sie nicht reiche Eltern haben. Hier muß - über das Sonderprogramm der Regierung hinaus - etwas geschehen; das ist unbedingt nötig.
So weit zu unseren Anträgen in der zweiten Lesung. Die finanzielle Deckung dieser Anträge erfolgt über Einsparungen im Verteidigungshaushalt.
({9})
- Nein, das ist ganz genau überlegt, Herr Kollege.
Abgesehen von diesen größeren Defiziten, die wir mit unseren Anträgen korrigieren wollen, zeigte der Haushaltsentwurf aber zunächst noch einige Schönheitsfehler.
({10})
Bei den Beratungen der Berichterstatterinnen - es waren ausnahmslos Damen, die hier beraten haben - gelang es erfreulicherweise, in den meisten Fällen einvernehmlich nachzubessern. So wurden die Zuschüsse an Studentenförderungswerke um 3 Millionen DM aufgestockt, damit der Leistungsstand dort wenigstens gehalten werden kann.
Einvernehmlich wurde auch ein eigener Titel zur Förderung der Forschung an Fachhochschulen geschaffen. Denn was an Fachhochschulen gelehrt wird, bedarf auch der Forschung.
({11})
Angesichts der Strukturen der Deutschen Forschungsgemeinschaft erschien uns, dem Haushaltsausschuß - wir haben das sehr ausführlich mit Pro und Kontra debattiert - die Ausbringung eines eigenen Titels als beste Möglichkeit, um den Fachhochschulen in ihrer derzeit sehr schwierigen Situation etwas zu helfen.
({12})
Einvernehmen herrschte zwischen den Berichterstatterinnen auch über die Notwendigkeit, für die Verbesserung der Situation der unverschuldet in Not geratenen ausländischen Studenten endlich etwas zu tun, und zwar nicht nur für chinesische Studenten.
({13})
Leider ist dieses Einvernehmen vom Finanzminister mit großem Geschick hintertrieben worden. Der SPD- Antrag und der Antrag der Kollegin von den GRÜNEN wurden schließlich abgelehnt. Das Problem bleibt somit wieder einmal ungelöst. Und es bleibt auch das Erstaunen, wofür dieser Staat Geld hat und wofür nicht.
({14})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Investitionen für Bildung sind Zukunftsinvestitionen; darin sind sich alle einig. Die Schätzungen der Bildungspolitiker über die allein im Hochschulbereich in den nächsten Jahren unbedingt notwendigen Investitionen belaufen sich auf etwa 6 Milliarden DM - über fünf Jahre hin. Das notwendige Geld dazu ist durchaus vorhanden, aber es ist auf Grund falscher politischer Prioritätensetzung in unserer Gesellschaft derzeit nicht verfügbar. Und diese falsche politische Prioritätensetzung prägt auch weite Teile dieses Bundeshaushalts 1990. Für Bildung wird nie genug Geld dasein, solange wir Unsummen in Rüstung, in Bundesfernstraßenbau und in Steuergeschenke für Gutverdienende stecken.
({15})
- Stimmt trotzdem.
Angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen eröffnet sich die Perspektive einer drastischen Kürzung der Verteidigungsausgaben.
({16})
Als Haushälterin und als Bürgerin wünsche ich mir, daß der Verteidigungshaushalt künftig kräftig schrumpfen und der Bildungshaushalt künftig kräftig wachsen möge.
({17})
Ich denke, diesem Wunsch können auch Sie sich anschließen.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beständiges Wirtschaftswachstum und finanzpolitische Solidität haben Spielräume eröffnet, dank derer im Bundeshaushalt 1990 neue Schwerpunkte gesetzt werden. Und am Ende der Haushaltsberatungen ergibt sich für den Einzelplan Bildung und Wissenschaft ein Zuwachs von 10,1 % gegenüber dem letzten Haushaltsansatz.
({0})
Eine Zunahme von 8,8 % beinhaltete der Haushaltsansatz, der vom Ministerium vorgelegt worden war. Wir haben eine Erhöhung durchgesetzt, erreicht, sicherlich vor allen Dingen dank der Aufnahme des studentischen Wohnraumprogramms,
({1})
und es sind jetzt 10,1 %. Wenn man den Gesamtzuwachs des Haushaltes sieht, sind dies hier überproportionale Steigerungen, überproportionale Steigerungen, die wir aus dem Gesamthaushalt nehmen, die nicht zu Lasten des Verteidigungshaushaltes gehen.
Ich würde mich freuen, Frau Dr. Wegner, wenn Sie so ehrlich wären wie Ihre Kollegin Renate Schmidt. Ich war vor kurzem mit ihr auf einer Podiumsdiskussion. Auf Vorstellungen von Diskussionsteilnehmern, dies und dies und dies und dies könne man finanzieren, wenn man den Jäger 90 usw. nicht mehr im Haushalt hätte,
({2})
antwortete sie ganz ehrlich: Wenn wir alles zusammenrechnen, was hier an Vorschlägen kommt und für
die als Deckung der Verteidigungshaushalt herangeFrau Männle
zogen werden soll, dann haben wir den Jäger 90 schon zehnmal verplant.
({3})
Ich bitte um etwas mehr Ehrlichkeit in diesem Bereich. Wie so häufig sind bestimmte Ausgaben bereits vielfach getätigt worden.
({4})
- Fragen Sie Ihre Kollegin.
Klagelieder vom angeblichen Schattendasein der Bildungspolitik, die hier häufig angestimmt werden, müssen angesichts der Tatsache, daß wir eine Steigerung um 10,1 % zu verzeichnen haben, verstummen.
({5})
Meiner Meinung nach wurden in den 70er Jahren viel zu lange - gerade im Bereich der Bildungspolitik - durch eine falsche Prioritätensetzung ideologisch gefärbte Diskussionen über die richtigen Inhalte von Bildung und Erziehung geführt, anstatt durch flexible und praxisnahe Maßnahmen auf die vielfältigen Herausforderungen einer hochtechnisierten modernen Gesellschaft zu reagieren.
({6})
- Doch. - Diese Versäumnisse sind inzwischen nachgeholt worden. Ich sage sehr deutlich: An der Schwelle zu den 90er Jahren stellen sich uns neue Aufgaben, für die Haushaltsmittel bereitgestellt werden müssen.
Frau Dr. Wegner, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, als Sie sagten, Sie wollten neue Akzente im Bereich der Bildungspolitik und im Bereich der Hochschulpolitik setzen. Ich muß jedoch sagen: Ich habe wenige neue Akzente gefunden.
Sie sagten, Sie seien für eine Aufstockung der Mittel im Rahmen des Titels Hochschulbau. Das ist kein neuer Akzent. Das bedeutet schlicht und einfach, daß noch ein paar Milliarden draufgesattelt werden sollen.
({7})
Sie haben weiterhin gesagt, der Bau von Wohnungen für Studenten müsse gefördert werden. Das ist im Haushalt bereits etatisiert. Die von Ihnen befürwortete strukturelle Veränderung bzw. der von Ihnen gesetzte neue Akzent besteht darin, diese Vorhaben im Rahmen des Wohnungsbauprogramms durchzuführen. Einmal ganz ehrlich: Ist es nicht gleichgültig, ob dies im Bildungshaushalt oder im Wohnungsbauhaushalt angesiedelt ist? Die Hauptsache ist doch, daß unseren Studenten jetzt Wohnraum zu erschwinglichen Mieten zur Verfügung gestellt wird. Das ist doch die Grundlage.
({8})
Der einzig scheinbar neue Akzent, den Sie gesetzt haben, bezieht sich auf die Frage des BAföG, hier auf die Wiedereinführung des Schüler-BAföG. Dabei möchte ich herausstellen, daß es zum Teil in den
Ländern Schüler-BAfäG gibt. Ist das etwas Neues? Ist das eine neue Akzentsetzung? Ist das eine strukturelle Änderung? Das stellen Sie schon seit Jahren gebetsmühlenhaft immer wieder in den Mittelpunkt der Diskussion.
Ich möchte aus Ihren Bemerkungen zu neuen Akzentsetzungen im Bereich der Bildungspolitik folgende Schlußfolgerungen ziehen: In zwei Punkten fordern Sie ein bißchen mehr Geld, und der dritte Punkt ist ein Ladenhüter.
({9})
Lassen Sie mich zu den Akzentsetzungen kommen, die uns in diesem Haushalt wichtig erscheinen. Vorrangig ist für uns die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ohne qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wird in den 90er Jahren auf Grund von Emeritierungen bei vielen Professorenstellen eine ganz große Lücke entstehen. Sie wird dann entstehen, wenn wir nicht rechtzeitig eine Förderung bewerkstelligen.
Wir müssen den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern. Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gehört, daß wir z. B. den Mittelansatz für die Promotionsförderung um 3 Millionen DM erhöht haben. Wir brauchen zunächst promovierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die dann den Weg der Habilitation wählen.
({10})
- Die Habilitation ist eine wichtige weitere Qualifizierung. In den Hochschulgesetzen sind neben einer Habilitation durchaus auch andere gleichwertige Leistungen vorgesehen. Dies hängt vom Hochschultyp und von dem gewählten Fach ab.
({11})
Aber es ist wichtig, daß wir Wissenschaftler mit Promotion weiterhin fördern. - Ich gehe ganz gern auf Zwischenrufe ein, denn das macht die Debatte ein bißchen lebendiger,
({12})
als wenn man einfach etwas abliest, was man vorher erarbeitet hat.
Wir brauchen qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir müssen den hochqualifizierten Nachwuchs, diejenigen, die bereits promoviert sind, stärker fördern. Ich glaube, daß wir hier noch ein großes Reservoir haben. Wir wissen, daß in der gegenwärtigen Hochschulsituation viele junge Leute von der Hochschule abgewandert sind, weil sie sich keine ausreichende Karriere vorstellen konnten, da keine Möglichkeiten für Berufungen bestanden.
Dies wird sich in den 90er Jahren entscheidend verändern. Wir müssen die jungen Leute darauf vorbereiten, damit sie an den Hochschulen bleiben bzw. wir müssen diejenigen zurückgewinnen, die von der Hochschule abgewandert sind. Wir können sie zurückgewinnen durch eine entsprechende Förderung. Im Rahmen der DFG sind Mittel eingesetzt.
Ich möchte in diesem Rahmen erwähnen, daß wir bei der Rückgewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses auch an die vielen Frauen denken müssen, die wegen der Erfüllung von Familienaufgaben nach der Promotion zu Hause geblieben sind, um sich der Erziehung zu widmen. Sie suchen heute neue Aufgaben, neue Perspektiven. Wir haben es im Rahmen einer Fußnote im Haushaltsplan erreicht, daß über die Mittel der DFG für diese Frauen, die sich der Erfüllung von Familienaufgaben gewidmet haben und an die Hochschule zurückkehren wollen, 2 Millionen DM bereitgestellt wurden.
Ich meine aber, daß finanzielle Maßnahmen in diesem Bereich nicht ausreichend sind, sondern daß wir auch andere Maßnahmen ergreifen müssen. Gerade im Rahmen der Rückgewinnung vieler qualifizierter Wissenschaftler, die an anderen Institutionen tätig sind, halte ich es für sinnvoll, Altersgrenzen abzuschaffen.
({13})
Ich halte es wirklich nicht für richtig, daß im Rahmen der Heisenberg-Stipendien, bei den Fiebinger-Professuren und auch bei den allgemeinen Berufungen Altersgrenzen bestehen. Wir müßten darüber nachdenken, wie wir hier flexibler reagieren.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Nachwuchsförderung eine weitere Schwerpunktsetzung ansprechen, nämlich die Einrichtung und Förderung von Graduiertenkollegs. In den nächsten drei Jahren werden etwa 50 derartige Einrichtungen aufgebaut sein, die im Haushalt 1990 mit 10 Millionen DM gefördert werden. Ich halte dies für eine wichtige Ausfüllung des Hochschulrahmengesetzes und für eine neue Akzentsetzung in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik.
Auch die Mittel für die Förderung der Forschung sind - ich habe es schon angedeutet - erhöht worden. Die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurden um 5 % aufgestockt. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zur Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen und zur Förderung der weiteren wissenschaftlichen Entwicklung.
Lassen Sie mich aber auch hier eine kleine kritische Anfrage an die Deutsche Forschungsgemeinschaft richten: Auf welche Zweige, auf welche Fachrichtungen werden die Mittel aufgeteilt? Welche Hochschularten werden bei der Vergabe dieser Mittel berücksichtigt? Werden die Frauen in diesem Zusammenhang - gestatten Sie mir diese Frage - ausreichend berücksichtigt?
Ich habe den gezielten Einsatz von Forschungsmitteln bereits angesprochen. Hierzu gehört sicherlich auch, daß wir den wichtigen Beitrag der Fachhochschulen in der Hochschullandschaft der Bundesrepublik würdigen und mit der Einbeziehung der Fachhochschulen die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis dokumentieren.
Wir haben in diesem Haushalt erfreulicherweise durch das Zusammenwirken aller Berichterstatterinnen sowie durch die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß erreicht, daß wir erstmals die Fachhochschulforschung, und zwar anwendungsbezogene Forschung, etatisiert haben. Es
geht uns darum, daß in Zusammenarbeit mit den Ländern ein Konzept erarbeitet wird, das 1991 mit 10 Millionen DM wirksam werden kann. Ich halte dies ebenfalls für einen wichtigen Beitrag in Ausfüllung des Hochschulrahmengesetzes. Das Programm setzt Akzente in unserer Hochschul- und Wissenschaftspolitik.
Natürlich sichern auch die Erhöhung der Mittel im Hochschulbau sowie die Mittel des mit den Ländern vereinbarten Programms zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und zum Offenhalten der Hochschulen in besonders belasteten Fachrichtungen die Weiterentwicklung unserer Hochschulen.
Hervorheben möchte ich jedoch, daß für uns von besonderer Bedeutung in diesem Haushalt die Wiederaufnahme der Förderung studentischen Wohnraums, die 1980 noch unter der alten Koalition eingestellt wurde,
({14})
in die Bundesförderung ist.
Wir werden ein Konzept entwickeln, in dem Bund, Länder und private Träger das Sonderprogramm für Studentenwohnraum umsetzen. Ab 1990 wird hierfür insgesamt 1 Milliarde DM zur Verfügung gestellt. Wir gehen davon aus, daß damit 20 000 Studentenwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Ich halte auch das für sehr wichtig zum Funktionieren unseres Wissenschaftsbetriebs.
Gestatten Sie mir auch hier eine persönliche Bemerkung. Staatliche Mittel allein reichen nicht aus. Wir müssen dafür sorgen, daß private Vermieter mehr als bisher in diese wichtige Aufgabe der studentischen Wohnraumvermietung einsteigen. Wenn Eltern klagen, daß ihre Kinder keine Wohnung am Hochschulort finden, frage ich zurück: Wie viele habt ihr aufgenommen? Denn nicht wenige Kinder studieren an anderen Orten, und in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus steht genug Platz zur Verfügung.
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Ich denke, wir dürfen nicht nur fordern, und der einzelne darf nicht nur erwarten, daß der Staat für den eigenen Bereich, für den eigenen Bedarf etwas zur Verfügung stellt; sondern wir müssen auch fragen: Was leisten wir selbst dafür?
({16})
Daß ich in meinen Ausführungen sehr viel Wert auf die Hochschule gelegt habe und auf Fragen der Wissenschaftsförderung und der Nachwuchsförderung ausgiebig eingegangen bin, bedeutet nicht, daß wir andere Bereiche des Bildungswesens, etwa berufliche Bildung, Bildungsplanung, Bundesausbildungsförderung, vernachlässigt haben. Im Gegenteil, kontinuierliche Hebung der Mittel garantiert das Funktionieren dieser Bereiche. Gerade die Aufnahme mittlerer EinFrau Männle
kommensgruppen im Rahmen der Bundesausbildungsförderung zeigt, daß hier in Zukunft wesentliche Verbesserungen durchgesetzt werden. Auch die Investitionen in überbetriebliche Ausbildungsstätten stärken die berufliche Bildung. Auch zahlreiche Projekte, die verstärkt durchgeführt werden, machen die Bedeutung dieses Bildungsbereichs deutlich.
Natürlich spielen auch im Bildungshaushalt Fragen von Aussiedlern und von Übersiedlern eine Rolle. Wir haben in unserem Haushalt das sogenannte Akademikerprogramm, in dem wir Übersiedler und Aussiedler fördern, die einen wissenschaftlichen Abschluß haben, die aus der DDR oder osteuropäischen Ländern kommen und deren Wissen bei uns schwer verwertbar ist. Denken Sie an die unterschiedlichen Rechtssysteme und das unterschiedliche Wirtschaftssystem. Ein Jurist aus der DDR tut sich bei uns mit seinem Abschluß schwer, ebenso ein Volkswirt, ein Betriebswirt. Auch in vielen technischen Disziplinen besteht ein bestimmter Bedarf an neuen Kenntnissen. Diesen Übersiedlern und Aussiedlern müssen wir Angebote machen. Das findet statt. Wir haben den Titel im Haushalt gerade in diesem Bereich um fast 100 % erhöht. Ich denke, daß auch der Bildungshaushalt damit der Bedeutung der aktuellen Wandlungsprozesse im Ostblock und der Übersiedlungsbewegung zu uns durchaus Rechnung trägt.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Heutige Investitionen in die Bildungs- und Wissenschaftspolitik sichern die Lebensqualität von morgen und entscheiden über die Zukunftschancen der jungen Menschen und künftiger Generationen. Der Haushalt für den Einzelplan 31 schafft eine solide Finanzgrundlage für eine aktive Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Ich bitte Sie deshalb um die Zustimmung zu dem Entwurf mit den vom Ausschuß beschlossenen Veränderungen.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungspolitik fristet trotz bescheidener Zuwächse auch in diesem Haushaltsplan ein Schattendasein - Frau Männle, da bin ich anderer Meinung als Sie. Im Hochschulbereich, zu dem sich mein Kollege Dietrich Wetzel noch ausführlich äußern wird, scheint diese Bundesregierung inzwischen auf das Prinzip Abschreckung zu setzen. Gegenüber der alarmierenden Wohnraumnot für Studenten und Studentinnen hat sie im Herbst ihre Handlungsunfähigkeit deutlich demonstriert. So weit mußte es kommen, bis studentische Wohnraumförderung überhaupt wieder als öffentliche Aufgabe erkannt wurde.
An der katastrophalen Überlastsituation will diese Bundesregierung offensichtlich nichts ändern. Sie läßt ihren Bildungsminister im Regen stehen und begibt sich statt dessen in Komplizenschaft mit dem sozialdemokratischen Finanzminister Nordrhein-Westfalens, der offenbar Meinungsführer der übrigen Länderfinanzminister geworden ist, um jegliche Vereinbarung
zwischen Bund und Ländern über ein weiteres Entlastungsprogramm zu verhindern.
Kärgliche Nachbesserungen gibt es beim BAföG für Studierende. Aber immer noch wird Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II das BAföG verweigert, dies begleitet von Äußerungen, daß ohnehin zu viele das Gymnasium besuchen, die eigentlich nicht dort hingehören.
In der Berufsbildungspolitik gehörte es schon immer zum Programm des Bildungsministers, politische Initiative und Gestaltung an die Wirtschaft abzugeben. Seine Politik erschöpft sich in Subventionierungen ohne bildungspolitische Auflagen und in Werbung. In Ihren zahlreichen Reden vor Handwerkskammern und Industrieverbänden beschwören Sie, Herr Minister, die stets bedrohte Wettbewerbsposition der bundesrepublikanischen Wirtschaft am Weltmarkt und im Binnenmarkt Europa, um an das Eigeninteresse an qualifiziertem Nachwuchs zu appellieren.
Von den Bildungsansprüchen junger und erwachsener Menschen, die sich nicht umstandslos mit den Eigeninteressen der Wirtschaft decken, ist dagegen kaum die Rede. Dafür brachte der Bundeskanzler in seiner mit stolzgeschwellter Brust vorgetragenen Rede es fertig, ungetrübt von jeglichem bildungspolitischen Sachverstand dem von den Unternehmern selbst verschuldeten Facharbeitermangel mit den subventionierten Arbeitsplätzen für Langzeiterwerbslose beikommen zu wollen. Das Lachen über so viel Dummheit bleibt einem deswegen im Hals stecken, weil dies zynisch gegenüber den inzwischen 700 000 Langzeiterwerbslosen ist. Für die Zerstörung ihrer Bildungsmöglichkeiten fühlt sich weder die Wirtschaft noch diese Bundesregierung verantwortlich.
In den 80er Jahren hat unser angeblich so bewährtes berufliches Ausbildungswesen 1,5 Millionen junge Menschen ohne Ausbildung gelassen. Mit keinem Wort, Herr Minister, haben Sie bisher zu dieser bildungpolitischen Hypothek Stellung genommen. Bis zum Jahre 2000 ist mit einer weiteren Million junger Menschen ohne Ausbildung zu rechnen. Die schlechten Beschäftigungschancen ungelernter Frauen und Männer sind allen bekannt. Wo bleibt da eigentlich Ihre Bildungs- und Qualifizierungsoffensive?
Sie wissen genau, daß die Fördermöglichkeiten sozialpädagogisch gestützter Ausbildung, wie sie das Benachteiligtenprogramm vorsieht, bei weitem nicht ausgeschöpft sind und daß es hierfür gute Verbesserungsvorschläge der Träger gibt. Sie wissen ebenfalls, daß es sich hierbei vorrangig um Aufgaben der Bildungspolitik und nicht der Arbeitsmarktpolitik handelt, weshalb auch die finanzielle Zuständigkeit hierfür in den Bildungshaushalt der Bundesregierung gehört.
Anstatt diese Fördermöglichkeiten weiterzuentwikkeln, um möglichst allen Jugendlichen einen qualifizierten Abschluß auf Facharbeiterniveau zu ermöglichen, wie dies unser Entschließungsantrag für ein Programm zur Sicherung der Berufsbildung vorsieht, werden Sie, Herr Minister, nicht müde, das Ende der Fahnenstange bei den Fördermöglichkeiten zu verkünden und lernbeeinträchtigten Jugendlichen eine
verkürzte Ausbildung mit drittklassigem Abschluß anzudienen. Wie diese jungen Menschen künftigen Weiterbildungsanforderungen gewachsen sein sollen, auf diese Frage bleiben Sie nach wie vor eine Antwort schuldig.
Überhaupt zum Thema Weiterbildung: Es spricht ja prinzipiell nichts dagegen, in einer konzertierten Aktion Konsense mit den Trägern der Erwachsenenbildung und mit den für berufliche Weiterbildung Zuständigen in Staat und Wirtschaft zu suchen. Inzwischen haben Sie sich sogar zu einer öffentlichen Zwischenbilanz bequemt, auf die wir bildungspolitisch engagierten Abgeordneten schon lange warten. Weshalb aber die äußerst mageren Ergebnisse von Ihnen als „großer Erfolg" bewertet werden, ist mir schleierhaft.
Geradezu grotesk aber ist es, nach eineinhalb Jahren bildungspolitische Platitüden als gemeinsam erkannte Prioritäten für die künftige Arbeit vorzustellen. Ich zitiere hierzu als eine Kostprobe aus der Presseerklärung des Ministers:
Kulturelle Weiterbildung leistet einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung der Persönlichkeit und zur Bewältigung neuer Lebensbedingungen.
({0})
Wer hätte das gedacht?
Politische Bildung wird im konzertierten Kreis lediglich Aussiedlern in Verbindung mit Landeskunde zugestanden, um ihre Integration in unser Wirtschaftssystem zu erleichtern. Das kann man doch wirklich nur als hochgradige Ignoranz bezeichnen gegenüber der Erosion politischer und demokratischer Glaubwürdigkeit von Parteien, von politischen Entscheidungsprozessen und von Regierungshandeln in unserer Gesellschaft.
({1})
Im übrigen entheben konzertierte Gespräche Sie, Herr Minister, nicht von der Verantwortung, bildungspolitisch erkennbaren Handlungsbedarf in der Weiterbildung jetzt schon anzugehen. Hier wäre in erster Linie eine Offensive zur Gewinnung und Weiterbildung von Ausbilderinnen und Ausbildern für die Umsetzung der beruflichen Neuordnung zu nennen.
({2})
Mit den neuen Ausbildungszielen, insbesondere mit der Vermittlung der als Schlüsselqualifikationen bezeichneten personalen und sozialen Kompetenzen mit dem Erfordernis der Umweltbildung in allen Berufen und mit den neuen Ausbildungsmethoden, ist nämlich die Mehrzahl der jetzigen Ausbilder schlicht überfordert. Die 1,8 Millionen DM, wie sie in den Erläuterungen zu den Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung im Einzelplan 31 angesetzt sind, sind doch allenfalls das Tröpfchen auf den heißen Stein.
Eine weitere mit der erstgenannten zu verbindende Weiterbildungsoffensive ist dringend nötig, um berufliches Arbeiten umweltverträglich zu gestalten. Daß
hierzu nicht einmal eine Arbeitsgruppe in der konzertierten Aktion eingerichtet wurde, zeigt ihre Blindheit gegenüber der zentralen Herausforderung unseres Wirtschaftssystems und unserer Lebensweise.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend zum Thema bildungspolitische Förderung von Mädchen und Frauen. Wir GRÜNEN halten es für dringend notwendig, daß der Abbau nach wie vor bestehender Diskriminierung von Mädchen und Frauen in allen Teilen des Bildungs- und Berufsbildungssystems endlich konzentriert angegangen wird, allerdings auf einem anderen Niveau, als es die unglaublich originellen Werbesprüche des Bildungsministers wie „Minirock und Mikrochip" nahelegen.
({3})
Hierzu haben wir einen Entschließungsantrag zur verbindlichen finanziellen Ausstattung eines entsprechenden Förderschwerpunkts für Modellvorhaben in der allgemeinen und beruflichen Bildung und im Hochschulbereich im Rahmen des Modellversuchsprogramms der BLK eingebracht. Es gibt inzwischen genügend Erkenntnisse aus der Frauenforschung und Berufsbildungsforschung, um Modellversuche gezielt für die Verbesserung der Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen zu entwickeln und in diesem Zusammenhang auch die sozialen Lerndefizite von Jungen und Männern anzugehen. Hierfür finden Sie Vorschläge in unserem Antrag. Ich bitte um Lektüre und um Ihre Zustimmung für die dritte Lesung.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Kastning.
Herr Präsident, ich bin überrascht.
Das ist genau die Reihenfolge, Herr Kollege, die Sie selber eben auf diesen Zettel geschrieben haben.
Das soll keine Kritik sein. Ich weiß schon, was ich sagen will.
Meine Damen und Herren! Ende 1987 - das ist hier schon angesprochen worden - hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft seine Konzertierte Aktion Weiterbildung ins Leben gerufen. In dem Zwischenbericht steht wörtlich:
Ausgangspunkt war die Erkenntnis, daß Weiterbildung nur durch eine große gemeinsame Anstrengung von Staat, Wirtschaft und allen gesellschaftlichen Kräften rechtzeitig zu einem gleichwertigen Teil unseres Bildungswesens ausgebaut werden kann.
Ich muß sagen, daß das eine geradezu tolle Erkenntnis ist, wenn sie auch nicht neu ist. Herr Minister, aber wo bleibt die große Anstrengung des Bundes, von der hier die Rede ist?
({0})
Zum Staat gehört ja laut Verfassung und nach unserem Verständnis der Bund. Da stimmen wir ja wohl überein; darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Sie haben den Anstoß gegeben. Dann müssen Sie sich aber auch fragen lassen, was die Konsequenz ist. Ich denke, daß die Verwaltung des runden Aktionstisches und ein bißchen Werbung wohl nicht alles sein kann. Erwartungen im Hinblick auf ein größeres Engagement auch des Bundes durch die Konzertierte Aktion dürften bereits genügend geweckt worden sein. Die Frage ist: Wo bleibt die haushaltsmäßige Entsprechung?
Die Frau Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes, Ihnen allen in einer anderen Funktion persönlich bekannt, hat beim Spitzengespräch mit Ihnen, Herr Minister, am 30. Oktober - sie hat mir das heute noch einmal bestätigt - zu Recht darauf hingewiesen, daß die Konzertierte Aktion nicht ohne finanzielle Folgen bleiben könne. Ich beziehe hier den Bund ein. Die Verbreitung Ihres Slogans oder - wie heißt das in der Werbesprache? - des Logos „Mach aus dir, was in dir steckt" bleibt so lange Unsinn, wie nicht auch der Staat aktiv zur Schaffung gleicher Nutzungschancen für alle in der Weiterbildung beiträgt.
({1})
Meine Damen und Herren, selbstverständlich sind die Vielfalt des Angebots und die Innovativkraft, die aus der Pluralität der Weiterbildung entstehen, Grundlagen unseres Weiterbildungssystems. Jedoch müssen wir ja wohl zur Kenntnis nehmen, daß unsere Weiterbildungslandschaft schon jetzt durch eine Fülle von Defiziten geprägt ist. Sie wird bei zunehmender Marktübereignung à la Möllemann eben nicht den qualitativen und den sozialen Anforderungen eines Weiterbildungssystems gerecht werden können, geschweige denn eine vierte eigenständige Säule unseres Bildungswesens werden.
({2})
Es ist auch unbestritten, daß der Wandel in der Arbeitswelt immer mehr Arbeitnehmern nicht nur ein vertieftes Fachwissen, sondern auch ein immer weiteres Spektrum an fächerübergreifenden Qualifikationen abverlangt. Dennoch wäre es unzureichend und gefährlich, den gesellschaftlichen Weiterbildungsbedarf und die individuellen Bildungsbedürfnisse der Menschen ausschließlich von den Anforderungen des technischen Wandels, meine Herren, und zumeist kurzfristigen Anpassungsinteressen der Wirtschaft her zu definieren und Weiterbildungspolitik darauf aufzubauen.
({3})
Herr Abgeordneter, ich will Ihnen etwas Entlastung schaffen - Kastning ({0}): Ich bin bereit, Zwischenfragen zu beantworten, wenn klar ist, von welcher Seite sie kommen, Herr Präsident.
Zunächst einmal von dem Abgeordneten Kühbacher. Der soll auch fragen. Dann wäre ich aber dankbar, wenn wir das hier ein bißchen stiller abwickeln könnten.
Würden Sie mir darin zustimmen, daß die Unruhe hinter Ihnen und neben Ihnen dadurch begründet sein könnte, daß der Bundesbildungsminister Möllemann 30 Minuten Redezeit für sich reklamiert hat und offensichtlich noch den Anspruch erhebt, als letzter zu reden, und daß das dazu führt, daß hier im Parlament etwas Trubel während Ihrer Rede ist? Können Sie sich das vorstellen?
Ich kann niemanden dazu zwingen, mir zuzuhören. Da ist die Frage, ob er einen Lernprozeß mitmacht oder nicht. Das muß jeder für sich entscheiden. Die Ursache für die Unruhe kenne ich nicht. Ich kann mir vorstellen, daß der Minister 30 Minuten reden will; denn Werbung kostet Zeit; das wissen wir; das ist eine alte Erfahrung.
({0})
Meine Damen und Herren, ich denke, Weiterbildung soll den einzelnen auch dazu anregen, -
Herr Abgeordneter, würden Sie denn auch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Seiler-Albring beantworten?
Bitte sehr; wenn mir das nicht alles von der Redezeit abgezogen wird.
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir aufgrund der tragischen Ereignisse eine Umstellung in der Tagesordnung haben, daß wir zunächst davon ausgegangen sind, daß dieser Haushalt am Nachmittag beraten wird, und daß der Kollege, der eigentlich sprechen sollte, verhindert ist und deshalb die FDP-Fraktion vereinbart hat, daß die gesamte Zeit, die ihr zusteht, dem Minister zur Verfügung gestellt wird? Sind Sie also bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
Ich habe keine Probleme damit, das zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Mir ist jeder Redner von der FDP willkommen, ob Minister oder nicht. Also, die Frage hätten Sie sich sparen können.
Ich wäre dankbar, wenn die Zwischenfragen nicht weiter zur gegenseitigen Information mißbraucht würden und der Redner fortfahren könnte.
({0})
Der Ernst der Lage, Herr Präsident, ist mir sehr wohl bekannt. Ich habe vorhin als Schriftführer oben gesessen und mitbekommen, was geschehen ist. Ich will darauf jetzt nicht näher eingehen; ich denke, wir befinden uns wieder in der Bildungsdebatte.
Weiterbildung soll also den einzelnen Menschen dazu anregen und in seinem Bemühen unterstützen, berufliche Qualifikation in ihrer Bedeutung zu erkennen, zu bewerten, sie zu erhalten, zu steigern und zu verändern, um Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht werden zu können, aber auch den Arbeitsplatz wechseln zu können. Weiterbildung muß ihm aber
auch dabei helfen, politische, soziale und kulturelle Erfahrungen, Kenntnisse und Vorstellungen kritisch zu verarbeiten, um die gesellschaftliche Wirklichkeit und seine Stellung in ihr zu begreifen und ändern zu können.
Auch hier beziehe ich mich auf den Deutschen Volkshochschulverband. Ihnen gegenüber, Herr Minister, ist bei dem Spitzengespräch KAW ja auch mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß wir mehr politische Bildung brauchen, auch politische Weiterbildung, daß die Kluft zwischen dem technologischen Wandel und dessen geistiger Verarbeitung überwunden werden muß und daß eine bessere Förderung politischer Bildung notwendig ist, und dies auch von seiten des Bundes.
({0})
Meine Damen und Herren, Weiterbildung muß darüber hinaus viel mehr als bisher auch durch soziale Herkunft, Geschlechtszugehörigkeit oder Bildungsprozesse selbst entstandene oder neu entstehende Ungleichheiten abbauen helfen. Ich denke, wir können es uns - auch aus wirtschaftlichen Gründen - überhaupt nicht leisten, große Qualifikationspotentiale etwa von Frauen oder von Un- und Angelernten künftig brachliegen zu lassen. Wenn ich das so sage und wenn das im Grundsatz Zustimmung findet, dann darf sich der Staat - da sollten wir uns auch einig sein - doch wohl nicht auf eine väterlich wohlwollende Empfehlungsposition zurückziehen. Eine konzertierte Aktion ist dann nicht das ausreichende Mittel, um öffentliche Verantwortung auszufüllen.
Meine Damen und Herren, ich will hier nur einige Beispiele anfügen - man könnte noch über mehr reden - , bei denen ich glaube, daß sich der Staat, hier der Bund, stärker engagieren müßte. Ich stimme z. B. mit der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik in der Forderung überein - ich zitiere - : Der Bund muß endlich ernsthaft seine Kompetenzen im Bereich der beruflichen Weiterbildung ausschöpfen und die durch die Vielzahl von Kammerregelungen verursachte Rechtsunsicherheit durch Rechtssicherheit ersetzen.
({1}) Qualitätsstandards sind dringend notwendig.
Ähnlich äußert sich übrigens die BLK in einer Empfehlung vom Frühjahr 1988. Da ist der Bund selbst beteiligt gewesen, also sollte er auch Konsequenzen daraus ziehen. Meine Damen und Herren, ich denke, die Bundesregierung hat eben die Möglichkeit des Berufsbildungsgesetzes, zur Sicherung der Qualität der beruflichen Weiterbildung und der Vergleichbarkeit der Abschlüsse eine Weiterbildungsordnung zu erlassen, ungenügend genutzt.
Zum zweiten. Ich denke, Herr Minister, wir müssen als Politiker allmählich wohl auch qualitative und quantitative Anforderungen an den sehr vielschichtig schillernden Bereich betrieblicher Weiterbildung stellen.
({2})
Von vielen Unternehmen wird erfreulicherweise die
Weiterbildung der Mitarbeiter als wichtiger sogenannter Produktionsfaktor erkannt. Dennoch ist die
Weiterbildungspraxis der Betriebe durch ihren geringen Anteil am Gesamtumfang der Aktivitäten, durch die einseitige Berücksichtigung der mittleren und oberen Qualifikationsgruppen und durch Maßnahmen mit nur betrieblich verwertbarer Qualifikation gekennzeichnet. Ich denke, das ist unbefriedigend. Weiterbildung im betrieblichen Rahmen sollte auch schlechter Qualifizierten und von Arbeitslosigkeit Bedrohten Berufschancen eröffnen, sollte Arbeitnehmern ohne Berufsausbildung die Möglichkeit geben, diese nachzuholen. Ich denke, die Wirtschaft hat auch die Pflicht, Menschen nach zeitweiligem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die Wiedereingliederung zu ermöglichen.
Wie wäre es zum Beispiel damit, Herr Minister, wenn Sie sich dafür einsetzen würden, die Arbeitgeber im Zusammenhang mit Personalplanung zu einer betrieblichen Weiterbildungsplanung und zu gemeinsamer Festlegung der Aktivitäten mit der Arbeitnehmervertretung zu verpflichten? Dies wäre eine sehr sinnvolle Erweiterung betrieblicher Mitbestimmung. Die Arbeitsverwaltung sagt mir nämlich - um nur einen Grund dafür zu nennen - , daß zu viele Betriebe nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihren mittelfristigen Qualifikationsbedarf gegenüber der Arbeitsverwaltung zu beschreiben, so daß diese auch durch AFG-geförderte Maßnahmen gar nicht rechtzeitig reagieren kann; denn Weiterbildung braucht nun einmal Zeit; es braucht einen gewissen Vorlauf, bis jemand entsprechend dem Bedarf der Wirtschaft qualifiziert ist. Hier könnte doch innerbetriebliche Zusammenarbeit, der Versuch eines Konsenses über solch eine Einschätzung des Bedarfs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von Nutzen sein. Ich jedenfalls bin davon überzeugt: Nur wenn wir einen solchen Weg gehen, kommen wir in diesem Bereich voran.
Herr Präsident, ich möchte eine Bemerkung zur Geschäftsordnung machen. Ich bin davon ausgegangen, daß ich ein oder zwei Minuten länger reden darf, weil meine Kollegin Wegner ihre Redezeit längst nicht ausgeschöpft hat. Ich bitte um Genehmigung dafür. - Danke.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, über den sich Regierung und Politiker etwas mehr Gedanken machen sollten. Es ist die Tatsache, daß der berufliche Weiterbildungsbereich weitgehend gespalten ist: auf der einen Seite betriebliche Weiterbildung für ausgesuchte Arbeitnehmer und auf der anderen Seite außerbetriebliche Weiterbildung für Arbeitslose. Ist es nicht so, daß sich auch der Bildungsminister - obwohl das AFG bei seinem Kollegen ressortiert ist - etwas mehr einfallen lassen müßte und daß er aktiv werden müßte, um die AFG-geförderte Weiterbildung qualitativ zu verbessern, den präventiven arbeitsmarktlichen Charakter dieser Maßnahmen insgesamt hervorzuheben, auszubauen und vor allen Dingen - meine Damen und Herren, das geht an alle, auch an die Haushalts- und die Sozialpolitiker - das AFG von der Haushaltskonjunktur unabhängig zu gestalten, statt andauernd an der Finanzierung herumzuschnippeln?
({3})
Meine Damen und Herren, der letzte Punkt - jetzt werden vielleicht einige aufschreien, aber ich sage es trotzdem
({4})
- Herr Weng, wenn ich Sie höre, freue ich mich auch immer endlos; tun Sie es doch auch einmal ({5})
Zur Wahrnehmung von Bildungschancen gehört das Vorhandensein eines angemessenen Zeitbudgets. Das heißt: Dazu gehört die Chance, für die Weiterbildung zeitweilig von Arbeit freigestellt zu sein. Wer von Investitionen in die Weiterbildung als Investitionen in den Produktionsfaktor Bildung oder als Investitionen in das Humankapital spricht - ich finde den Begriff zwar furchtbar, aber er wird immer genannt -, liefert doch wohl selbst das Argument dafür, eine Freistellungsregelung für Arbeitnehmer endlich zu verwirklichen.
({6})
So erfreulich tarifvertragliche Regelungen sind - ich wünsche mir auch möglichst viele - , müssen wir doch davon ausgehen, daß sie niemals flächendekkend und für alle Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umfassend Wirklichkeit werden können. Deswegen, denke ich, ist in dieser Frage der Gesetzgeber gefordert, und der Bund hat hier - ich habe mich da schlau gemacht - eindeutige Kompetenzen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß sich die Bundesregierung nicht vollends auf die Rolle des Anführers eines liberalen Nachtwächterstaates zurückziehen wird. Das würde, glaube ich, mit dem Sozialstaatsgebot unserer Verfassung nicht übereinstimmen. Es würde auch nicht die künftigen Anforderungen aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht an unser Weiterbildungssystem erfüllen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Haushaltsdebatten pflegt das wichtigste Kriterium der Aufwuchs oder der Abmangel zu sein. In früheren Debatten hat die Opposition immer wieder darauf hingewiesen, es sei ein zu geringer Aufwuchs oder gar ein Abmangel vorhanden. In diesem Jahr wäre in dieser Beziehung quantitativ mit dem Aufwuchs von 10,1 % im Bildungsbereich Anlaß zur Freude.
Ich möchte es heute aber genauso sagen, wie ich es früher gesagt habe: Die Frage der Menge von Mitteln, die man für einen Bereich auswirft, ist noch nicht das Entscheidende. Die entscheidende Frage ist vielmehr die der Schwerpunktsetzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie, Frau Kollegin Hillerich, kurz ansprechen, weil Sie die Frage der Schwerpunktsetzung angesprochen haben und in diesem Zusammenhang Ausdrücke wie „Gipfel der Ignoranz", „unglaubliche Dummheit" und dergleichen genannt haben.
({0})
Frau Kollegin, ich kenne Sie aus dem Ausschuß und aus der Kommission, wo wir zusammenarbeiten, und da diskutieren wir sehr sachlich und sehr angemessen. Ich weiß nicht, warum es sein muß, daß man im Parlament mit solchen Ausdrücken um sich wirft. Ich glaube, daß wir auch den Bürgern gegenüber deutlich machen sollten, daß hier - ganz gleich, ob es sich um Regierung, um Parlament oder um Ausschüsse handelt - eine sehr intensive und sachbezogene Arbeit geleistet wird, und wir sollten uns nicht selbst mit solchen Ausdrücken abwerten.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben dem quantitativen Aufwuchs gibt es in der Tat ein paar Schwerpunktsetzungen. Frau Männle hat ja auf die große Zahl bereits hingewiesen; deshalb möchte ich ein paar Schwerpunkte gebündelt nennen. Das erste ist der Schwerpunkt, daß man einen zentralen Begriff der Bildungsreformdiskussion, den der Chancengerechtigkeit, in einem Bereich aufgestockt hat, in dem er aus der Hand zu gleiten drohte. Das ist die Frage der Bundesausbildungsförderung im studentischen Bereich; wo folgendes geschehen war: Zwar ist derjenige, dessen Eltern ein ganz geringes Einkommen haben, durchaus in die Vollförderung hineingekommen; aber dann, wenn das Einkommen angestiegen ist und damit die Transferzahlungen gesunken sind, mußten die Eltern aus voll versteuertem Einkommen die Bildungsleistungen aufbringen, und dadurch ist eine Lücke in der Chancengerechtigkeit eingetreten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr lobend erwähnen, wie in dieser schwierigen Frage vorgegangen worden ist. Man hat eine Kommission eingesetzt, in der die Beteiligten mit vertreten waren, und ich glaube, es steht uns an, an dieser Stelle Professor Dams einen Dank auszusprechen, der als Vorsitzender dieser Kommission die schwierigen Beratungen geleitet hat und bei diesen Beratungen nicht auf Maximalforderungen aus gewesen ist, sondern durchaus die Realität begrenzter Staatsfinanzen gesehen und nun geprüft hat, wie man durch Umschichtungen und durch entsprechende Gewichtung der Mittel diese Problematik des sogenannten Mittelstandsloches beseitigen kann. Nun wird also durch die Erhöhung der relativen Elternfreibeträge immerhin eine Anzahl von 30 % mehr Studenten gefördert werden können, als dies früher der Fall gewesen ist.
({2})
Nun steckt in dem Schwerpunkt BAföG ein Zweites - Herr Kollege Kastning, Sie haben es in anderem Zusammenhang angesprochen - , nämlich die Frage des Zeitbudgets. Wir sprechen sehr viel theoretisch davon, daß man die Studienzeit verkürzen sollte, aber in der Praxis haben wir Probleme. Wenn etwa über
80 % der BAföG-Geförderten in der vorgesehenen Studienzeit nicht in der Lage sind, ihr Studium abzuschließen,
({3})
dann ist hier eine Situation, bei der man abhelfen muß.
Hier ist vor allem zu berücksichtigen, daß es sehr unterschiedliche Situationen gibt, und deshalb wird jetzt die Möglichkeit der Verlängerung durch eine Studienabschlußförderung geschaffen. Gleichzeitig wird durch eine Zeitkomponente in der leistungsbezogenen Erlaßregelung dafür gesorgt, daß es nicht zu einer generellen Verlängerung der Studienzeit kommt, sondern daß demjenigen, der sein Studium nach kürzerer Zeit abschließen kann, tatsächlich ein entsprechender Anreiz gegeben wird. Es ist also ein Prinzip der Flexibilität in die Studiendauer hineingekommen, daß mir außerordentlich positiv erscheint. Zum Beispiel darf ich auch noch anführen, daß Frauen, die Kinder bis zu drei Jahren aufziehen, ebenfalls länger studieren können. Auch für Behinderte ist eine besondere Regelung vorgesehen worden.
Ein weiterer gewichtiger Punkt ist die Halbierung in Förderung und Zuschuß. Sie wissen, daß ich selbst eigentlich immer ein Vertreter des Gedankens der Bildungsinvestition gewesen bin und deshalb die volle Darlehensgewährung insbesondere im Hinblick darauf gar nicht so negativ gesehen habe, daß auch im Arbeitnehmerbereich Volldarlehen gegeben werden.
Das Problem, das hier gesehen werden mußte, war eine psychologische Barriere. Gerade Kinder aus Familien - das ist ja in früheren Debatten vorgetragen worden - in denen wenig Einkommen vorhanden war,
({4})
sind von der Vorstellung des riesigen rückzahlbaren Darlehens abgeschreckt worden. Tatsächlich wäre das bei den geringen Rückzahlungsraten und den langen Freistellungsfristen gar nicht so tragisch gewesen. Aber das eigentliche Problem ist die psychologische Barriere. Die wird hiermit wieder abgebaut.
Schließlich konnte der Bereich Schülerförderung im Komplex der beruflichen Bildung wieder ausgedehnt werden. Aber wir haben ja noch genügend Zeit, bei der Beratung des BAföG-Gesetzes auf die Einzelheiten einzugehen.
Ich möchte einen zweiten Schwerpunkt ansprechen, der die erheblichen Erhöhungen im Bereich des Hochschulbaus und des studentischen Wohnungsbaus betrifft. Es ist zu erkennen, daß wir hier einer Entwicklung folgen, die so nicht vorhergesehen worden ist. Es ist interessant, in den vielfältigen Debatten - auch in der Komission „Bildung 2000" - zu sehen, daß Bildungsplanung immer obsoleter wird. Rechnen wir die Zeit, die man bis zum Abitur braucht, zum Geburtsjahrgang hinzu, dann hätte die Jahrgangsstärke die zwischen 1960 und 1970 hoch war und ab 1970 stark abgenommen hat, ab 1988 beim Hochschulzugang abrupt abnehmen müssen. Statt dessen
sind die Studentenzahlen nicht zurückgegangen, sondern hoch geblieben, ja sogar noch gestiegen.
({5})
Die Entscheidung, im Hochschulbau und im studentischen Wohnungsbau etwas zu tun, beinhaltet gleichzeitig das Anerkenntnis: Wenn es der Wunsch der jungen Leute ist, in erhöhtem Maße zu studieren, und wenn die Studentenzahlen bis zum Jahrhundertende bei 1,5 Millionen bleiben werden, stellen wir uns eben darauf ein und sagen nicht: Wir rechnen mit Überlastquoten unendlich weiter in der Hoffnung, daß die Studentenzahlen wieder sinken.
Ein Letztes - Frau Männle hat es schon angesprochen - : Bei der Forschungsförderung hat man auf ein Reservoir zurückgegriffen, das bisher vielleicht zuwenig genutzt worden ist. Es geht um die Forschungsmöglichkeiten, die sich im Fachhochschulbereich ergeben. Ich möchte den Punkt nicht weiter vertiefen; denn meine Redezeit geht zu Ende.
Ich darf abschließend sagen, daß es in diesem Etat nicht nur um einen finanziellen Aufwuchs geht, sondern um eine tatsächliche bildungspolitische Schwerpunktsetzung, die ich außerordentlich begrüße.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt schwer, sich an diesem Vormittag wieder auf das Alltagsgeschäft des Parlaments zu konzentrieren. Aber das muß wohl sein.
Ich möchte im Zusammenhang mit dem vorgelegten Haushalt nur einen Aspekt herausgreifen - das ist sicherlich einer der zentralen Aspekte - , nämlich die Art und Weise, wie in diesem Haushalt mit den krisengeschüttelten Hochschulen umgegangen wird. Ich möchte dabei Ihre Aufmerksamkeit auf ein ganz zentrales, grundsätzliches Problem lenken.
Statt mit einer konzeptionell durchdachten Haushaltspolitik haben wir es - das sehen wir als das grundsätzliche Problem an - im Hause Möllemann inzwischen mit einer hektischen Politik der Sonderprogramme zu tun. Das beinhaltet weitreichende Gefahren für die Zukunft. Der Unterschied zwischen einem Sonderprogramm und regulärer Haushaltspolitik liegt doch wohl darin: Sonderprogramme mögen für die Bewältigung kurz- und höchstens mittelfristiger Notlagen tauglich sein, aber für die Lösung von strukturellen, langfristigen Problemen, wie sie gegenwärtig im Hochschulsystem existieren, sind Sie ungeeignet.
({0})
Ich frage Sie, Herr Möllemann: Halten Sie die Überlastung der Hochschulen tatsächlich für ein kurz- oder mittelfristiges Problem? Ich weiß, die Antworten kennen Sie selber. Die Überlast hat sich bereits tief in die Strukturen unserer Hochschulen hineingefressen. Wenn sich nichts ändert, bleibt die Überlastmisere der Normalzustand der Hochschulen in den nächsten
zwei Jahrzehnten, bleibt deren Bewältigung also politisch eine Langfristaufgabe, die nicht mit Sonderprogrammen zu lösen ist.
({1})
Weder die Überlastproblematik noch die Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses noch die Probleme bezüglich der studentischen Wohnheime noch die besonderen Probleme der Fachhochschulen noch die großen Defizite in der autonomen Hochschulforschung sind kurz- oder mittelfristig zu bewältigende Probleme. Sie verlangen eine Gesamtkonzeption. Sie vertragen keine Sonderprogrammhektik. Sie verlangen nach einer stetigen und regulären Haushaltspolitik.
Meine Damen und Herren, aber nicht allein daß im Ministerium weder an einem inhaltlichen noch an einem entsprechenden finanzpolitischen Konzept gearbeitet würde bzw. daß ein derartiges vorläge, nein, Herr Möllemann benutzt nach unserem Dafürhalten seine Politik der Sonderprogramme als Schutzschild, als Versteck. Wenn es einmal nicht so klappt, wie es angekündigt wurde, dann haben eben - das ist die Standardausrede - die Länder schuld.
({2})
Vor allem die Finanzminister der Länder sind dann schuld.
({3})
- Sicher, Herr Kollege. Auch ich halte die letztens dargelegte Position der Finanzminister der Länder für reichlich übergeschnappt.
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In der Sicht der Finanzminister der Länder sind ja von den 1,5 Millionen, die heute in der BRD studieren, ungefähr 500 000 Phantomstudenten. Sie gelten als „nicht belastungsrelevant". Das ist zweifellos ein gefährlicher Unsinn, gefährlich, weil hier die Fundamente der zukünftigen Wissenschafts- und Hochschulpolitik zur Disposition gestellt werden.
Aber je verrückter die Finanzminister, um so leichter können Sie sich, Herr Möllemann - und das tun Sie in letzter Zeit ständig - , hinter der Rolle eines Ankündigungsministers von Sonderprogrammen verstecken. Ich kann dies hier aus Zeitgründen nur an einem Beispiel deutlich machen, an der Nachwuchsförderung und dort vor allem an der Frauenförderung:
Herr Minister, ich nehme an, Ihre Ministerialbeamten haben Sie mittlerweile darüber informiert, daß Sie zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses keine Sonderprogrammvereinbarungen mit den Ländern benötigen, sondern eigene Kompetenzen haben.
({5})
Und ich frage: Wie nehmen Sie diese Kompetenzen eigentlich wahr? In der Studienförderung z. B. verzeichnen wir vom Haushalt 1989 auf den Haushalt 1990 einen Zuwachs von ganzen 0,5 Millionen DM,
({6})
in der Promotionsförderung einen Zuwachs von 0,5 Millionen DM. Da muß ich Frau Männle korrigieren - ich sehe jetzt gar nicht, wo sie sitzt; sie ist nicht mehr da - , denn sie sprach von einem Zuwachs von 3 Millionen DM. Das ist ein Rechenkunststück; denn ursprünglich war der Ansatz um 2,5 Millionen DM gekürzt.
({7})
Dann ist in den Haushaltsberatungen diese Kürzung rückgängig gemacht worden, und 0,5 Millionen DM sind dazugekommen. Also nicht um 3 Millionen DM, sondern gerade mal um 500 000 DM ist die Promotionsförderung in dieser gegenwärtigen Notsituation erhöht worden, von der wir alle wissen, daß sie vor allem auch eine Situation des Mangels an wissenschafltichem Nachwuchs ist.
Ähnlich sieht es in der Förderung des promovierten wissenschaftlichen Nachwuchses aus. Hier haben wir einen Zuwachs von ganzen 100 000 DM. Bei der Förderung im Rahmen des Heisenberg-Programms haben wir schließlich einen Zuwachs in Höhe von 0,0 Millionen DM.
So nehmen Sie Ihre Kompetenzen im Rahmen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wahr! Herr Möllemann, da muß ich fragen: Für wie dumm halten Sie die Öffentlichkeit eigentlich? Da wir gerade bei einer Haushaltsberatung sind: Man muß sich doch inzwischen wirklich auch fragen, wie teuer diese Unmengen von Sand sind, die Sie hier der Öffentlichkeit in die Augen streuen.
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Auf der einen Seite jammern Sie völlig zu Recht in der Öffentlichkeit mehr als ein halbes Jahr lang, wie notwendig doch ein Bund-Länder-Sonderprogramm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei. Sie wollten es mit stolzen 480 Millionen DM aus Bundesmitteln ausstatten. Wenn es dagegen um die reguläre Haushaltspolitik geht, wo Sie unmittelbare Eingriffs-, Zugriffs- und Konzeptualisierungschancen haben, dann sind Sie, wie wir an den geschilderten Beispielen sehen, gerade noch bereit, 1,1 Millionen DM zuzulegen. Also - einmal umgerechnet - ganze 0,2 % Ihrer öffentlichen Versprechungen für Sonderprogramme bringen Sie in Ihrer eigenen regulären Haushaltspolitik unter.
Meine Damen und Herren, da werden die Sonderprogramme und der Widerstand der Länder und ihrer Finanzminister plötzlich zu einem Verschiebebahnhof, bei dem übrigbleibt, daß hochschulpolitisch nichts Entscheidendes passiert. Ich nenne das eine systematische Unterlassungs- und Vernebelungspolitik. Gerade für die Frauen verbirgt sich dahinter eine Entwicklung, die deprimierend und verheerend ist. - Ich sehe gerade die rote Lampe leuchten. Diesen Gedanken darf ich aber kurz noch zu Ende führen.
Sie haben völlig recht, Herr Minister und die anderen Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie davon ausgehen, daß ab 1995 in den darauffolgenden zehn Jahren eine große Nachwuchslücke klafft, weil mehr als 50 % der Lehrstuhlinhaber ausscheiden werden. Gerade hier besteht die große Chance, das extreme Un13760
Bleichgewicht zwischen Männern und Frauen an den Hochschulen durch eine systematische Nachwuchsförderung für Frauen zu korrigieren. Indem aber die Förderung insgesamt unterbleibt, werden die Frauen ein weiteres Mal auf, ich schätze, einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren vertröstet, bis sie an den Hochschulen endlich eine Chance als Wissenschaftlerinnen bekommen können.
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Meine Damen und Herren, mit dieser Politik sind wir im Grundsätzlichen und im Detail nicht einverstanden. Was aussteht, sind eine hochschulpolitische Konzeption und entsprechende Finanzierungsmodelle und eine öffentliche Debatte darüber, wie das gemeinsam mit Bund und Ländern zu realisieren ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, bevor ich dem Bundesminister Möllemann das Wort gebe, möchte ich Sie kurz über die Geschäftslage orientieren. Ich gehe davon aus, daß diese Debatte gegen 12.40/12.45 Uhr beendet sein wird. Wir werden dann in die Mittagspause eintreten und ganz normal um 14 Uhr fortfahren. Es gibt also keine Vorverlegung des Wiederbeginns der Sitzung. Der Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern wird ab 17 Uhr beraten. Ich hoffe, daß damit einige Unklarheiten beseitigt sind.
Wir können in der Debatte fortfahren. Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem nun bekanntgeworden ist, daß nach Alfred Herrhausen auch sein Fahrer am Ort des Verbrechens umgekommen ist, fällt es mir um so schwerer, hier überhaupt noch eine Rede zu halten. Offen gestanden würde ich meinen Text am liebsten zu Protokoll geben. Es ist auch schwierig, sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen, wiewohl die Argumente und auch die Form ihres Vortrags durch einige meiner Vorredner dazu reizen würden. Erlauben Sie mir deswegen, daß ich nur das vortrage, was ich zum Haushalt zu sagen habe.
Die Bundesrepublik Deutschland steht in den kommenden Jahren vor einer Reihe tiefgreifender Herausforderungen: demographisch, wirtschaftlich, technisch, ökologisch und kulturell. Wir können diese Herausforderungen nur bestehen, wenn wir durch zusätzliche Investitionen in die Bereiche Bildung und Kultur, Wissenschaft und Forschung die notwendigen Qualifikationen schaffen. Dabei geht es nicht nur um Inhalte. Es geht auch um notwendige Qualitätssteigerungen in diesen Bereichen, wenn wir den Anschluß an internationale Standards in Lehre, Wissenschaft, Forschung und Qualifizierung unserer Fachkräfte nicht verlieren wollen. Diese - wie von mehreren Vorrednern zu Recht gesagt wurde - zukunftssichernden Investitionen verlangen in vielen Fällen einen erheblichen zusätzlichen Kostenaufwand.
Der Entwurf des Bundeshaushalts 1990, so wie er jetzt verabschiedet werden soll, trägt diesem Erfordernis Rechnung. Er sieht eine überproportionale Steigerung der Ausgaben in dem von mir zu vertretenden Haushalt um 10,1 % gegenüber dem Vorjahr vor. Das ist angesichts der Steigerung des Gesamthaushalts um 3 % eine beachtliche Steigerungsrate. Die Bundesregierung führt damit ihre bereits mit dem vorigen Haushalt eingeleitete finanzielle Trendwende im Bildungs- und Wissenschaftsbereich fort. Ich freue mich darüber und werte das als einen weiteren Schritt, der deutlich macht, daß wir den hohen Stellenwert der Bildungs- und Wissenschaftspolitik im Rahmen einer vernünftigen Gesamtpolitik richtig sehen.
Die für das Jahr 1990 zusätzlich vorgesehenen Mittel sollen schwerpunktmäßig zur Förderung des Hochschulbaus und der Hochschulforschung, für Leistungsverbesserungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, für den Studentenwohnraumbau, für verstärkte internationale Zusammenarbeit und für die Integration von Aus- und Übersiedlern eingesetzt werden.
Ich möchte auf vier Schwerpunkte des Einzelplans näher eingehen.
Erster Punkt: Hochschule und Wissenschaft. Die Hochschul- und Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik befindet sich in einer Phase höchster Anforderungen und Anstrengungen. Die anhaltende Belastung unserer Hochschulen sowie die Sicherung des wissenschaftlichen Nachwuchses machen zusätzliche finanzielle Anstrengungen erforderlich. Der Haushaltsentwurf sieht dazu eine ganze Reihe von Verbesserungen vor.
Erstens. Für das von Bund und Ländern vereinbarte Zwei-Milliarden-Programm zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und zum Offenhalten der Hochschulen in besonders belasteten Fachrichtungen wird wie schon im Nachtragshaushalt 1989 auch in diesem Haushalt die entsprechende Rate von 150 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Zweitens. Die Mittel für den Hochschulbau werden um 100 Millionen DM, also um 10 %, auf 1,1 Milliarden DM erhöht. Auf der Grundlage dieser Entscheidung konnte bereits im Juli dieses Jahres der 19. Rahmenplan für den Hochschulbau mit den Ländern verabschiedet werden. Er ist in Kraft. Er umfaßt ein Gesamtvolumen von 10,8 Milliarden DM.
Drittens. Der Zuschuß des Bundes an die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Förderung und Verbesserung der Hochschulforschung steigt um 5 % von 609,7 auf 639,9 Millionen DM.
Viertens. Die Mittel der Begabtenförderung und der Begabtenförderungswerke wurden auf 90 Millionen DM angehoben. Dadurch wird es möglich, diese Mittel stärker als bisher zur Förderung auch besonders qualifizierter Fachhochschulstudenten und Fachhochschulabsolventen einzusetzen.
Fünftens. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich darüber hinaus am 9. November meine Zielsetzung zu eigen gemacht, für die Verbesserung anwendungsbezogener Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen ein Programm aufzulegen. Über seine Ausgestaltung im einzelnen müssen
Bund und Länder noch verhandeln. Der Bund erhält danach die Möglichkeit, Verpflichtungen in Höhe von 10 Millionen DM einzugehen. Neben den Fachhochschullehrern profitiert davon vor allem die Praxis. Für die Fachhochschulen ist diese Zusammenarbeit ein wichtiges Instrument zur kontinuierlichen Anpassung von praxisorientierter Lehre und Forschung sowie zum Wissenschaftstransfer.
Sechstens. Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs in Graduiertenkollegs werden erstmals mit 10 Millionen DM gefördert. Am 21. Dezember werden die Regierungschefs von Bund und Ländern eine Vereinbarung nach Art. 91b des Grundgesetzes zur Einrichtung und Förderung von Graduiertenkollegs unterzeichnen. Die Planungen gehen dahin, in den nächsten drei Jahren bis zu 50 Graduiertenkollegs einzurichten. Ich bewerte dies als einen wichtigen Schritt zu einem in der Bundesrepublik neuartigen Forschungsstudium im Anschluß an die Graduierung.
Meine Damen und Herren, trotz der genannten Verbesserungen sind im Hinblick auf die neuesten Prognosen und Annahmen zur Entwicklung der Studentenzahlen weitere erhebliche finanzielle Anstrengungen von Bund und Ländern für den Hochschul- und Wissenschaftsbereich in den nächsten Jahren erforderlich. Dies betrifft den Hochschulbau, aber auch andere wichtige strukturelle Fragen unseres Hochschulsystems, vor allem die Sicherung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Hier besteht - da stimme ich mit meinen Vorrednern völlig überein - weiterer dringender Handlungsbedarf. Sie wissen aber auch, daß wir darüber, weil das natürlich eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern ist, am 21. Dezember in einem Gespräch des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten, einigen Hochschulministern und den Präsidenten der Wissenschaftsorganisationen sprechen wollen.
Ich kann Ihnen hier berichten, daß wir gestern abend ein Gespräch des Bundeskanzlers, des Forschungs- und des Bildungsministers mit den Präsidenten der sechs Wissenschaftsorganisationen hatten. Dort war einmütig die Meinung, daß das von Herrn Riesenhuber und mir zur Diskussion gestellte Programm - es ist ein Programm, weil sich dieses Erfordernis jetzt in besonderer Dringlichkeit stellt - von Bund und Ländern über 6 Milliarden DM in einem Zeitraum von zehn Jahren vernünftig ist. Aber Sie wissen auch, daß sich die Bundesländer dazu noch nicht verbindlich und gemeinsam eingelassen haben.
Heute und morgen tagen die Kultusminister der Länder in Berlin. Ich bin gespannt, was man dort sagen wird; denn ich habe die Stellungnahme der Länderfinanzminister sehr sorgfältig gelesen.
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- Ich spreche hier für die Bundesregierung. Seien Sie ganz entspannt, Herr Kollege. Sie haben, als ich das erste Sonderprogramm, das ich vorhin beschrieb, vorgeschlagen habe, Zweifel geäußert, ob das durchkommen würde. Es ist umgesetzt. Sie haben Zweifel geäußert, ob wir für den Studentenwohnraumbau ein gemeinsames Programm hinbekommen würden. Es ist beschlossen und wird umgesetzt. Gehen Sie davon aus, wir werden auch zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses von Bundesseite aus das tun, was notwendig ist. Wir warten jetzt auf die Festlegung der Länder.
({1})
Der zweite Punkte ist das Sonderprogramm für den Studentenwohnraumbau; ich deutete es gerade an. Die am 7. November 1989 getroffene Entscheidung der Koalition zum studentischen Wohnungsbau ist ein wirksamer Beitrag zur Beseitigung der unbestreitbaren Engpässe auf dem Wohnungssektor. Die Regierungskoalition ist damit meinem Vorschlag gefolgt, zur Schaffung zusätzlicher Studentenwohnungen ab 1990 ein neues Programm aufzustellen, bei dem Bund und Länder zusammenwirken. Ich möchte an dieser Stelle dem Haushaltsausschuß meinen Dank dafür aussprechen, daß er bei den abschließenden Beratungen einmütig dieses Programm noch in den Haushalt 1990 eingestellt hat. Mit diesem Programm wird ab 1990 in sehr kurzer Zeit etwa 1 Milliarde DM in den studentischen Wohnraumbau fließen. Der Bund bringt davon 300 Millionen DM auf. Von den Ländern wird ein Betrag in gleicher Höhe erwartet. Der Rest muß von den Trägern aufgebracht werden. Auf diese Weise wird es möglich sein, binnen kurzer Zeit etwa 20 000 zusätzliche Studentenwohnplätze zu schaffen. Gegenwärtig stehe ich in Verhandlungen mit den Ländern über den Abschluß einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung. Ich hoffe, daß auch diese am 21. Dezember von den Regierungschefs unterschrieben werden kann.
Die gegenwärtige Unruhe bei den etwa 1,5 Millionen Studierenden hat ihre Ursache auch in deren Schwierigkeiten, eine angemessene Unterbringung am Hochschulort zu erträglichen Preisen zu erhalten. Mit Unterstützung des Bundes sind bereits in der Vergangenheit 136 000 Wohnplätze geschaffen worden. Dafür hat der Bund 1,1 Milliarden DM ausgegeben. Unter der seinerzeitigen Federführung der Minister Engholm und Apel hat der Bund Ende 1980 seine Förderung des studentischen Wohnraumbaus abrupt beendet. Ich glaube, Herr Kollege Kuhlwein, Sie waren da irgendwo auch noch mitbeteiligt. Danach ist in vielen Ländern auf diesem Gebiet zu wenig geschehen.
({2})
- Sie müssen sich nachher zu Wort melden.
({3})
Herr Minister, der Abgeordnete Kuhlwein möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Minister Möllemann, ist Ihnen bekannt, daß es im Zusammenwirken von FDP und SPD im Herbst 1980 nach der Koalitionsbildung
eine große Sparrunde gab, in der auch die Einstellung der Gemeinschaftsfinanzierung des Studentenwohnraumbaus beschlossen wurde, und daß Herr Engholm erst Ende Januar 1981 Bundesminister geworden ist und ich damals erst Parlamentarischer Staatssekretär geworden bin? Nur wegen der historischen Richtigkeit.
Herr Kollege, ich will hier einmal klarstellen: Es war die Aufkündigung einer vorher gemeinschaftlich durchgeführten Aktion - sagen wir es etwas allgemeiner - unter Beteiligung der Sozialdemokratischen Partei.
({0})
- Nur, die FDP wirft mir ja auch nicht vor, daß es so gewesen ist. Sie aber üben Kritik an dem, was Sie selber beschlossen haben. Das ist nicht seriös, verstehen Sie? Wir ändern das jetzt.
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- Ich habe vorhin gehört, daß hier gesagt worden ist, wir hätten hier absolut zu wenig getan. Wenn Sie selbst das beendet haben, ist das nicht sehr überzeugend. Sie müssen sich das schon überlegen.
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Herr Minister, Frau Odendahl möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte gern weiter fortfahren. Frau Odendahl spricht ja nach mir. Ich habe ausdrücklich darauf verzichtet, als letzter zu sprechen. An sich hätte ich gern alle Parlamentarier vor mir reden lassen, wie der Respekt vor dem Parlament mir das geboten hätte. So aber kann Frau Odendahl ja gleich als Rednerin etwas sagen.
Die Verbesserung der Wohnsituation der Studenten hat sowohl eine soziale als auch eine hochschulpolitische Komponente. Je mehr Zeit Studenten aufwenden, um am Hochschulort ein Dach über dem Kopf zu finden, oder solange sie lange Anfahrtswege und Provisorien aller Art in Kauf nehmen müssen, konzentrieren sie sich nicht in der gewünschten Weise auf ihr Studium. Dies trägt mit zur Verlängerung der Studienzeiten bei, an deren Verkürzung wir ja alle ein erhebliches Interesse haben. Hinzu kommt, daß allein für Miete ganz beachtliche Beträge - manchmal sogar bis 20 DM je Quadratmeter - auf dem freien Wohnungsmarkt gezahlt werden müssen. Das ist natürlich für Studierende schwer zu finanzieren. Ich denke hier vor allem auch an die Belastung derjenigen, die Ausbildungsförderung erhalten, weil ihre Eltern ein niedriges Einkommen haben.
Das jetzt geplante Hilfsprogramm ist ein weiteres Signal einer zukunftsorientierten Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Ich bin sicher, die Länder und die Träger von Studentenwohnheimen werden dieses Signal aufnehmen, zumal es ja mit der Mitteilung verbunden war, daß es, wenn der Bedarf durch Länder und Träger entsprechend qualifiziert wird, im nächsten Jahr in der gleichen Höhe erneut eingebracht werden kann.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum dritten einen Punkt ansprechen, in dem strukturelle Verbesserungen im sozialen Bereich bereits weitgehend verwirklicht sind: das Bundesausbildungsförderungsgesetz. Der Regierungsentwurf der 12. Novelle ist verabschiedet. Der Bundesrat wird morgen, wenn ich dies nach dem Ergebnis bei den Ausschußberatungen richtig beurteile, alle wesentlichen Änderungsvorschläge positiv bewerten. Danach werden mit aller Wahrscheinlichkeit ab Mitte 1990 die Förderungsleistungen im Tertiärbereich zu 50 To als Zuschuß gewährt, also Hälfte Zuschuß, Hälfte Darlehen. Familien des mittleren Einkommensbereichs werden in die Förderung einbezogen. Die Förderung in der Examenszeit wird durch eine Studienabschlußförderung gesichert. Schüler des zweiten Bildungsweges zu den Fachhochschulen und Berufsfachschulen, die sich auf einen berufsqualifizierenden Abschluß vorbereiten, werden Förderungsleistungen erhalten.
Damit habe ich nur wenige Aspekte des BAföG 1990 angesprochen. An ihnen aber wird deutlich erkennbar, daß die Sozialleistung Ausbildungsförderung nicht nur neu geordnet und in sich stimmig gemacht, sondern zudem in ihrem Leistungsniveau wesentlich angehoben wird. Die Zahl der Geförderten wird dadurch von 328 000 auf 428 000 steigen, d. h. um rund 30 %. Bund und Länder werden für diese Verbesserungen im ersten Jahr ihrer vollen Wirksamkeit 650 Millionen DM mehr aufwenden.
Ein vierter Punkt: berufliche Bildung. Die Berufsbildungspolitik bleibt in der primären Finanzierungsverantwortung der Wirtschaft. Dabei bleibt es auch; darauf lege ich größten Wert. Ich bin gerne bereit, gerade im Vorfeld einer wichtigen Entscheidung im nächsten Jahr, mit Ihnen darüber vor Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammern zu streiten.
Also, die primäre Finanzierungsverantwortung der Wirtschaft bleibt. Deswegen schlägt sich die Berufsbildungspolitik auch nicht mit so hohen Haushaltsansätzen wie die Hochschulpolitik im Etat nieder. Dennoch sollten wir nicht vergessen, welche Bedeutung sie für die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftspolitische Weiterentwicklung hat. Der EG-Binnenmarkt und die Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa stellen uns gerade in der Berufsbildung vor zusätzliche Herausforderungen.
Nachdem der Ausbildungsplatzmangel immer mehr in einen Leistungs- und Fachkräftemangel besonders bei den kleinen und mittleren Betrieben umschlägt und davon erhebliche Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt ausgehen werden, müssen wir uns mit größerem Nachdruck darum kümmern, daß die Zahl der Jugendlichen, die bisher ohne berufliche Qualifizierung geblieben sind oder ohne zusätzliche Anstrengungen ohne Ausbildung bleiben würden, erheblich reduziert wird und daß gleichzeitig klar ist, daß es notwendig ist, die Attraktivität des dualen Systems auch für leistungsstarke Jugendliche zu erhöhen, damit sich das Ungleichgewicht zwischen dem
Angebot an Qualifikation und dem gesellschaftlichen Bedarf nicht vergrößert. Beides zusammen habe ich die Notwendigkeit zur inneren Differenzierung der Berufsausbildung genannt, die ich mit allem Nachdruck weiter verfolgen werde. Nur so kann das Potential für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung besser ausgeschöpft werden. Es geht dabei entgegen gewissen Unterstellungen nicht um weniger Qualifizierung, sondern um mehr und jeweils angemessene Qualifizierung.
Im übrigen wird diese zusätzliche Anstrengung nur dann voll zum Tragen kommen, wenn auch die Länder und besonders auch die Berufsschulen dazu ihren Beitrag leisten. Eine Entschließung des Bundesrates zu den unbeeinträchtigten und den benachteiligten Jugendlichen gibt mir die Hoffnung, daß dies auch erwartet werden kann.
Ein zweiter großer Komplex der beruflichen Bildung, der mit Nachdruck vorangebracht werden muß, ist die berufliche Weiterbildung in allen ihren Ausprägungen. Die Begründung liegt in der technologischen Entwicklung ebenso wie in der Bevölkerungsentwicklung, nicht zuletzt aber auch in einer verstärkten internationalen Arbeitsteilung und in neuen Formen der Arbeitsorganisation. Auch hier sind in erster Linie Betriebe und Wirtschaft gefordert und, wie eine kürzlich vorgestellte Untersuchung des IW, des Instituts der deutschen Wirtschaft, ausgewiesen hat, bereits in erheblichem Umfang tätig. Ca. 26,2 Milliarden DM
({0})
sind im letzten Jahr für berufliche betriebliche Weiterbildung aufgewandt worden.
({1})
- Nun, ich kann hier natürlich jede Zahl anzweifeln, die ich nicht selbst erhoben habe. Aber ich gehe davon aus, daß die Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft genauso präzise Zahlen liefern wie die Vorstände der Gewerkschaften.
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Wir müssen durch subsidiäre Hilfen mit dazu beitragen, daß auch hier wiederum vor allem die Klein- und Mittelbetriebe mithalten können und vor allem die Gruppen von Arbeitnehmern, die sich bislang noch zuwenig beteiligen, obwohl sie es als Un- und Angelernte besonders notwendig hätten, stärker einbezogen werden. So müssen z. B. Rückkehrer nach der Familienphase sowie Arbeitslose, besonders Langzeitarbeitslose, eine reale Chance haben, sich im Beschäftigungssystem zu halten oder, ohne qualitativ zurückgestuft zu werden, eine wirkliche Wiedereingliederung in die Beschäftigung wahrzunehmen. Dazu sind ja eine Reihe von Maßnahmen beschlossen worden, die durchgeführt werden.
({3})
Soweit das jetzt schon möglich war und soweit das Bildungsministerium dazu beitragen kann - Sie haben ja auf die Kompetenzverteilung in diesen Fragen hingewiesen -,
({4})
finden sich sowohl für die Ausbildung als auch für die Weiterbildung erhöhte Ansätze im Einzelplan 31: Die Berufsbildungsforschungsausgaben werden um 31,5 % gesteigert; der Austauschtitel wird, gerade im Hinblick auf Ost- und Mitteleuropa, um 20 % erhöht; die Mittel für die Förderung überbetrieblicher beruflicher Bildungsstätten werde mit 117 Millionen DM auf sehr hohem Niveau gehalten; die Mittel für allgemeine und berufliche Weiterbildung werden um 5 % gesteigert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter auf folgendes hinweisen: Für die anderen - von mir nicht besonders erwähnten - Vorhaben des Einzelplans 31 sind die Ansätze für 1990 im wesentlichen auch überproportional angehoben worden, so z. B. für die internationale Zusammenarbeit sowie für die dringend notwendigen Maßnahmen zur Eingliederung von Aussiedlern und Übersiedlern im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, die um 65 % von 14,5 Millionen DM auf 24 Millionen DM gesteigert werden. Das liegt nun natürlich in der großen Zahl begründet, die keiner von uns so erwartet hatte.
Diese zusätzlichen finanziellen Spielräume des Bildungshaushalts 1990 machen es möglich, stärkeres Gewicht auf notwendige Maßnahmen zur Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Weiterbildung zu legen. Angesichts der strukturellen Umbrüche, in deren Mitte wir uns ja bereits befinden, und angesichts der absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der 90er Jahre halte ich dies aber auch für unabdingbar.
Erlauben Sie mir zwei Schlußbemerkungen: Die eine bezieht sich auf die Frage der Verantwortlichkeiten angesichts der gegebenen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir haben im Gesamtbereich der Bildungspolitik eine sehr ausgeprägte Verantwortlichkeit der Bundesländer, eine sehr viel stärkere als die des Bundes. Wir geben in diesem Bildungshaushalt nun mit 4,1 Milliarden DM deutlich mehr, 10,1 % mehr, aus als im Vorjahr. Aber bundesweit werden, wenn man alle Zuständigkeiten zusammennimmt, von Bund, Ländern und auch Kommunen und Kreisen, mehr als 95 Milliarden DM für die Bildungspolitik aufgewandt. Es ist, glaube ich, wichtig, sich das zu vergegenwärtigen, weil angesichts der Zahl von 4,1 Milliarden DM im Bundeshaushalt bei denen, die sich die Kompetenzverteilung nicht ständig vor Augen halten, gelegentlich der Eindruck entsteht - indem dann diese Zahl in bezug zu anderen Titeln des Bundeshaushalts gesetzt wird, für die beispielsweise der Bund die alleinige Zuständigkeit hat - , als werde für die Bildung drastisch zuwenig getan. Die Zahl von etwa 95 Milliarden DM, die ich soeben nannte, zeigt, daß ja beachtliche Anstrengungen unternommen werden. Dennoch teile ich die Auffassung all derer, die hier gesagt haben, mehr Qualifizierung sei die einzige Chance, den hohen sozialen Standard, den hohen ökonomischen Standard und die Problemlösungsfähigkeit der Bundesrepublik
Detuschland zu bewahren und auszuweiten. Wir haben ja keine anderen Grundlagen. Investitionen in die Kompetenz von Menschen in allen Bereichen sind daher dringend erforderlich.
Wenn die Länder mehr Zuständigkeiten haben, dann sind sie auch mehr gefordert, es sei denn, sie möchten die Zuständigkeiten abgeben. Die Erklärung der Länderfinanzminister war, wie ich fand, deswegen so überraschend und angreifbar, weil sie angesichts unbestreitbarer zusätzlicher Notwendigkeiten ein Stoppsignal gesetzt haben. Die Durchsetzungsfähigkeit meiner geschätzten Kolleginnen und Kollegen in den vergleichbaren Ressorts der Länder wird sich daran messen lassen müssen, ob sie bei ihren Haushalten auch Steigerungsraten von 8,8 % - wie im letzten Jahr - und von 10,1 % - wie in diesem Jahr - durchsetzen können. Das gilt für alle Bundesländer.
Ich sehe nach Ihren Erläuterungen mit besonderem Interesse der Entscheidung des Landes Berlin entgegen, denn dort regiert ja ein rot-grünes Bündnis. Nach den Entwürfen, die mir bekannt sind, kann von Ihren Worten dort nicht auf Taten geschlossen werden.
({5})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es wäre angesichts der Tatsache, daß wir alle ja Parteien angehören, die Verantwortung auf ganz verschiedenen Ebenen tragen, für die Glaubwürdigkeit der Parteien schon überzeugender und hilfreicher, wenn Forderungen, die die Parteien hier stellen, dort, wo sie selbst Verantwortung tragen, nämlich in den Bundesländern, umgesetzt werden. Das heißt: Bevor Sie den Bundesbildungsminister auffordern, eine höhere Steigerungsrate als 10 % durchzusetzen, wäre es schon ganz gut, wenn die von Ihrer Partei gestellten Minister in ihren Haushalten auch nur in die Nähe der Hälfte dieser Steierungsrate kämen. Dann würde mich das mehr beeindrucken.
({6})
- Ich streite ja auch dafür.
({7})
- Ja, dann lassen Sie uns das gemeinsam machen.
Eine zweite Bemerkung zum Schluß. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiter in meinem Ministerium sagen. Sie sind in den letzten Jahren durch die Intensivierung der bildungspolitischen Anstrengungen sehr stark gefordert worden, zum Teil bis an die Grenzen ihrer Leistungskraft. Jedermann, der weiß, wie gerade in den Ministerien - dann, wenn die Haushaltsberatungen zu Ende gehen - wirklich alle gefordert sind, wird verstehen können, daß ich hier, was absolut nicht selbstverständlich ist, allen meinen Mitarbeitern Dank ausspreche.
Zum guten Schluß danke ich auch den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, daß sie es möglich gemacht haben, hier heute einen so erfreulichen Haushalt zur Abstimmung zu stellen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Möllemann, wären Sie in Ihrer Tonlage doch so staatstragend geblieben, wie Sie begonnen haben. Ich finde es beschämend, wie Sie ausgerechnet die angespannte Situation der Stadt Berlin hier dazu benutzen, auf Fehlleistungen einzelner Bundesländer hinzuweisen.
({0})
Es kann auch Ihnen nicht entgangen sein, wie angespannt auf Grund heute wieder ständig steigender Übersiedlerzahlen die Situation in Berlin ist. Ich halte es für unangemessen, diese Zahlen hier für Ihre Zahlentrickserei zu verwenden.
({1})
Es war ja zu erwarten, meine Damen und Herren, daß von seiten der Regierungskoalition heute der Versuch unternommen wird, den Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft als besonderes Glanzstück zu preisen. Daß das über lange Strecken in Eigenlob geschehen ist, verstehen wir auch.
({2})
- Das ärgert uns überhaupt nicht; denn wir haben Ihnen schon bei der ersten Lesung des Bildungsetats bescheinigt, daß wir Ihre Anstrengungen, in der Bildungspolitik endlich wieder Boden unter die Füße zu bekommen, im Interesse der Sache sehr gern anerkennen.
Angesichts der von Ihnen seit 1983 zu verantwortenden und - ich unterstreiche das - auch bei den Kollegen und Kolleginnen aus der Bildungspolitik der Regierungskoalition zum Teil schmerzlich zur Kenntnis genommenen rasanten Talfahrt der Bildungsausgaben stimmen schon die kleinsten Besserungsbemühungen wieder hoffnungsfroh. Nur können Sie bei noch so gutem Willen das, was Sie in den letzten sieben Jahren angerichtet haben, nicht in diesem einen Haushalt wiedergutmachen. Das ist uns auch klar; wir könnten das ebenfalls nicht.
Also kann dieser Haushalt den gesellschaftlichen Bedarf - sei es bei der Ausbildungsförderung, sei es bei den Hochschulen, sei es bei der beruflichen Bildung, sei es bei der Förderung von Frauen, sei es bei der Weiterbildung - nicht decken. Bildungspolitisch bleibt der Haushalt noch lange im Defizit. Es wird sehr viel Geld kosten - da stimme ich auch mit Ihnen überein, Herr Möllemann - , den damit angerichteten Schaden wiedergutzumachen.
Ich verkenne gar nicht, daß Sie inzwischen eingesehen haben, daß Sie lange Jahre auf dem falschen Dampfer gefahren sind. Nur sollten Sie jetzt nicht in den Fehler verfallen, genauso undifferenziert, wie Sie gekürzt haben, heute bei der Wiedergutmachung zu verfahren. Dazu hat der Kollege Wetzel für den Bereich der Hochschulen sehr Interessantes ausgeführt.
In den Jahren seit 1983 haben sich auch für die Bildungspolitik die Anforderungen sicherlich verändert. Nicht verändern konnten sich wegen fehlender Mittel die Bildungsstrukturen. Wenn Sie nun heute Ihre bildungspolitische Wiedergutmachung über eine Serie von Sonderprogrammen und -aktionen betreiben, alle geschmückt mit Ihrem Namen - das ist Ihr Stil, das wissen wir, recht planlos Geld in die Bildung zu pumpen, ohne dabei die Strukturen zu überprüfen -,
({3})
ist niemandem geholfen, weder den Menschen, die Bildung nachfragen, noch denen, die im Bildungsbereich arbeiten. Aktionismus ersetzt nun einmal keine Politik. Auch der geplante Bildungsgipfel unter Führung des Bundeskanzlers wird dann bildungspolitische Höhen gar nicht erreichen können.
Lassen Sie uns also die gravierendsten Schwachstellen beleuchten. Nachdem Sie hier die positiven Seiten so angestrengt dargestellt haben, war es schon beeindruckend, daß auch die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, eine ganze Menge davon entdecken konnten.
Sondermittel sind notwendig, um die größten Mängel abzudecken. Leider haben Sie genug entstehen lassen. Sie müssen gleichzeitig den Weg freimachen für strukturelle Verbesserungen. Für diese Strukturveränderungen, die an den Hochschulen besonders dringend sind, eine ausreichende Finanzierung als Zukunftsinvestition sicherzustellen, wäre eine ganz gescheite Politik, der sich auch die Bundesländer aus eigener Einsicht auf Dauer gar nicht verschließen können und auch nicht werden.
Bei allen versuchten Rechenmanövern aufgeschreckter Finanzminister - ich werte da genau gleich - , wie es denn im Jahr 1995 und in den folgenden Jahren an den deutschen Hochschulen aussehen könnte, haben uns die heute 1,47 Millionen Studierenden des letzten Wintersemesters und die Tatsache, daß bis 1995 ständig 1,3 bis 1,5 Millionen junger Menschen studieren werden, zu beschäftigen. Das ist die Ausgangsposition. Sie sind nicht erfunden, sie sind keine Schein- oder Pro-forma-Studenten; sie sind schlichtweg da.
({4})
Die heute vorhandenen Studienplätze waren schon im letzten Wintersemester mit ca. 180 % belegt, bei den Fachhochschulen mit 216 %. Heute noch von einer zeitlich begrenzten Überlast zu sprechen, ist schlichtweg absurd.
({5})
Hier stimme ich gern mit Ihnen überein. Auch Finanzminister können irren. Sie haben im Bereich der Bildung schon einmal geirrt.
Bis zum Jahr 2000 werden rund 10 000 Professoren - Professorinnen sind nicht so viele darunter - an den Universitäten und rund 4 000 an den Fachhochschulen ausscheiden. Eine Strukturveränderung der Hochschulen kann also sinnvoll nur dann in Angriff genommen werden, wenn jetzt und heute mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses begonnen wird.
Hier ist auch der Punkt, wo die von Ihnen inzwischen glücklicherweise gewonnene Einsicht, daß die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen höchste Priorität haben muß, in die Tat umzusetzen ist.
Nur, in Ihrem Haushalt entdecke ich das halt um alle Welt nicht. Sie sagen jetzt schon wieder, Sie fangen gleich an. Sie hätten es schon tun müssen!
Nun reisen Sie durch die deutsche Hochschullandschaft mit der Ankündigung eines zweiten Sonderprogramms - Leertitel: Möllemann II - , das in den Ansätzen gar nicht falsch wäre, Herr Möllemann. Es hat nur einen ganz entscheidenden Fehler: Überall da, wo Sie in diesem Haushalt für das Jahr 1990 konkret werden müßten, ist Fehlanzeige. Es ist schlichtweg billig, hier den Ländern den Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn Sie selber nicht in der Lage gewesen sind, zumindest die Mittel für den Hochschulausbau um die 200 Millionen DM zusätzlich aufzustocken, die Ihnen alle Sachverständigen empfohlen haben.
({6})
Herr Möllemann, wir wollen Ihnen heute die Peinlichkeit ersparen, Ihre eigenen hochschulpolitischen Versprechungen in einer namentlichen Abstimmung über den entsprechenden SPD-Antrag zu diesem Punkt ablehnen zu müssen. Es wäre die traurige Wiederholung dessen, was sich hier schon bei der Verabschiedung des vorigen Haushalts abgespielt hat.
Nur eines, Herr Minister Möllemann, auch gerichtet an die Länder: Wenn Sie heute Wohltaten versprechen, werden Sie an dem gemessen, was Sie heute in Ihrem Haushalt sichtbar machen. Da haben Sie eine ganze Menge Möglichkeiten. Vor einiger Zeit haben wir Ihnen bei der ersten Lesung vorgehalten, daß Sie mit einer halben Milliarde DM bei den Ländern in der Kreide stehen.
({7})
Wissen Sie: Auf die Verpflichtung hinweisen kann ich nur, wenn ich meine Schulden bezahlt habe. Sonst weist der Finger auf mich selbst zurück.
({8})
Ich sage Ihnen noch etwas zum studentischen Wohnraumbau. Sie haben ja meine Frage nicht zugelassen. Wenn Sie schon die Versäumnisse der sozialliberalen Koalition hier erwähnt haben - das ist Ihr gutes Recht, obwohl Sie beteiligt waren; ich bin da relativ ({9})
- nein, nein; ich habe es da etwas leichter; ich kam erst 1983 -, dann hätte es der Redlichkeit bedurft, daß Sie sagen, wie es denn z. B. in diesem Jahr, als der studentische Wohnraumbau gekippt wurde, mit dem sozialen Wohnungsbau aussah, nämlich nicht so defizitär, wie Sie ihn in den vergangenen Jahren hineingeritten haben. Aus diesem Grund waren die Studenten damals in einer anderen Wohnungssituation, als sie es heute sind.
({10})
Nun haben Sie ja ein Angebot dazu gemacht. Das ist ja auch schon etwas. Wir haben ja gar nicht gesagt: Das wollen wir nicht.
Aber eines sage ich Ihnen, weil es im Denken nun so sehr auch Ihre Handschrift trägt: Herr Möllemann, das einzige Konzept, das Ihnen da eingefallen ist, ist aus meiner Sicht - ich muß das so nennen - gar nichts weiter als das Angebot eines studentischen Bauherrenmodells.
Nun haben wir ja schon schlechte Erfahrungen mit Bauherrenmodellen gemacht. Ich kann Ihnen heute schon voraussagen: Da sie erstens mißbraucht worden sind, werden sie zweitens auch wieder einstürzen.
({11})
- Ich habe 'ne Menge. Wissen Sie: Ich rede mit denen!
({12})
Der nächste der Defizitposten - Sie haben ja auch darauf Ihre Glanzlichter gesetzt - : Wenn Sie schon sagen, daß dieser BAföG-Beirat so gescheite Empfehlungen gemacht hat, dann verstehe ich nicht, warum Sie in diesem Haus verschweigen, daß Ihnen zu Ihrem Regierungsentwurf der BAföG-Beirat bescheinigt hat, daß Sie die zentrale Forderung nach Chancengleichheit dadurch nicht erfüllen, daß Sie die Wiederherstellung der Schülerförderung ab Klasse 11 in den Vordergrund stellen.
({13})
Das ist der gravierende Fehler. Deshalb ist Ihre Reform kein Reformwerk, sondern ein „Reförmchen" .
Die fehlende Schülerförderung belastet nicht nur die Bundesländer und hier vor allem die Gemeinden über die Sozialhilfe, die fehlende Schülerförderung führt auch zu Umwegen bei der Ausbildung bei Kindern aus Familien mit kleineren Einkommen, die bei einer ausreichenden Schülerförderung nicht sein müßten.
Wenn diese nicht geförderten Schülerinnen und Schüler über den zweiten Bildungsweg Ihre Hochschulreife erlangen müssen, bedeutet es für sie erstens einen Zeitverlust und zweitens einen erschwerten Weg zum Studium. Ich frage mich schon, worin die bildungspolitische Weisheit liegt, daß bei diesem Umweg der Anspruch auf Schülerförderung dann besteht.
Deshalb ist diese Verweigerung der Schülerförderung sozial ungerecht, aber - das wird Sie schwerer treffen, das andere trifft Sie anscheinend nicht so sehr - finanzpolitisch kurzsichtig.
Wir werden in der kommenden Woche den Antrag der SPD-Fraktion zur Ausbildungsförderung hier diskutieren. Im Haushalt 1990 werden wir die für unseren BAföG-Antrag notwendigen Mittel beantragen.
Es wäre interessant, wenn Sie uns bei dieser Gelegenheit auch beantworten könnten, wie Sie die schon heute bekannten 30 000 BAföG-berechtigten Studentinnen und Studenten aus dem Personenkreis der Aus- und Übersiedler in Ihrem Haushalt jetzt berücksichtigt haben. Wenn ich richtig rechne, ergeben sich
aus diesen 30 000 weitere 300 Millionen DM. 300 Millionen DM sind eine ganz entscheidende Schwachstelle, wenn man sie vergißt.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen vor lauter Aktionismus in der Ankündigung von Sonderprogrammen entgangen ist, welch großes bildungspolitische Fragezeichen bei der Integration der Aus- und Übersiedler besteht. Wo sind Sie denn als Bildungsminister gewesen, als es darum ging, daß die Qualität der Ausbildung Vorrang vor Billigkeit hat? Es ist Ihre Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Qualität der Sprach- und Qualifizierungskurse Bestand haben kann. Es ist Ihre Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Bundesländer den nicht vorhersehbaren Andrang auf die bestehenden Bildungseinrichtungen, also auf Schulen, Berufsschulen und Universitäten, bewältigen können.
Wer rechnen kann, weiß, daß diese vordringlichen Aufgaben - das hat der Minister hier sehr richtig angeführt - im Bereich der Bildung sehr viel Geld kosten, sehr viel mehr, als in allen bisherigen mittleren Finanzplanungen vorgesehen war.
Wir wissen auch, daß der Bildungsbereich in den gesamtgesellschaftlichen Bedarf eingeordnet werden muß. Nur, Herr Minister Möllemann, wo es heute an der erforderlichen Konzeption mangelt - wir haben Ihnen ganz gravierende Mängel aufgezeigt - , werden Sie bei der Durchsetzung dieser Ansprüche schlechte Karten haben.
Zu Ihrem Haushalt 1990, bei allem Lob für die Steigerung, fällt mir ein Berliner Spruch ein - mit der Situation der Berliner habe ich begonnen - , der zu der Beurteilung hervorragend geeignet ist: Nackte Beene, aber in Lackschuhen.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen Möllemann.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur eine kleine Klarstellung geben. Hier ist davon geredet worden, ich hätte die spezifischen Probleme, die das Land Berlin durch den verstärkten Zustrom von Übersiedlern hat, nicht im Auge. Wir haben sie selbstverständlich im Auge.
({0})
Sie wissen auch, daß über diese Frage Gespräche zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat laufen.
Aber ich hatte auf einen Haushaltsentwurf abgehoben, der lange vor dem 9. November und den Tagen davor eine Rolle gespielt und deutlich gemacht hat, daß die Prioritätensetzung des Landes Berlin nicht so ist, wie Sie sie hier proklamiert haben.
Sie sprachen außerdem von einem Ankündigungsaktionismus von Sonderprogrammen. Ich stelle noch einmal klar, daß es zwei Sonderprogramme, die ich für die Bundesregierung angekündigt habe, gibt; diese sind verwirklicht worden. Das eine Sonderprogramm
war das Zwei-Milliarden-Programm zur Verbesserung der Lage an den Hochschulen, das andere war das Programm über eine Milliarde DM für die Verbesserung der studentischen Wohnraumversorgung, wofür wir allein 300 Millionen DM geben. Das Modell, auf das wir uns verständigt haben zwischen Bund und Ländern - auch mit allen SPD-regierten Ländern -, deckt sich mit den Überlegungen der Kultusministerkonferenz.
Es gibt lediglich noch ein drittes Sonderprogramm, das noch im Gespräch ist.
({1})
Über das Programm „Wissenschaftlicher Nachwuchs" - dieses Programm ist noch nicht realisiert - haben wir gestern mit den Präsidenten der Wissenschaftsorganisationen gesprochen. An diesem Wochenende spricht darüber die Kultusministerkonferenz. Darüber werden dann am 21. Dezember der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder auf der Grundlage eines von mir ausgearbeiteten Vorschlages beraten und, wie ich denke, beschließen.
Also entspannen Sie sich. Das ist kein Aktionismus, sondern entschlossenes Handeln. Daran werden Sie sich messen lassen müssen.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß wir zur Abstimmung kommen können. Zunächst einmal stimmen wir über die Änderungsanträge ab.
Mir liegen zehn Änderungsanträge in den Drucksachen 11/5810 bis 11/5819 vor. Ich hoffe, davon ausgehen zu dürfen, daß ich darüber en block abstimmen lassen darf.
({0})
- Dann nehmen wir Einzelabstimmungen vor.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Drucksache 11/5810. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der GRÜNEN Drucksache 11/5811. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag der GRÜNEN mit den Stimmen der SPD, CDU/ CSU und FDP abgelehnt worden.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der GRÜNEN Drucksache 11/5812. Wer für diesen Änderungsantrag stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.
Ich komme zum Änderungsantrag der GRÜNEN Drucksache 11/5813. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt worden.
Ich komme zum Änderungsantrag Drucksache 11/5814. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag Drucksache 11/5815. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Zustimmung der SPD abgelehnt worden.
Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/5816. Wer diesem Änderungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Ich komme zum Änderungsantrag Drucksache 11/5817. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag Drucksache 11/5818. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt worden.
Ich komme nun zum Änderungsantrag der GRÜNEN Drucksache 11/5819. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag der GRÜNEN mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag Drucksache 11/5882, der unter XVIII aufgeführt ist? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt worden.
Wer stimmt nun für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5894? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag bei dem gleichen Stimmverhalten wie der soeben abgelehnte Antrag auf Drucksache 11/5882 abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über den gesamten Einzelplan 31 ab. Wer stimmt für den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Einzelplan 31 mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Vizepräsident Cronenberg
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Wie eben schon angekündigt, wird die Sitzung um 14 Uhr fortgesetzt. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.
({1})
Wir fahren in den Beratungen fort.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Einzelplan 11 auf:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen 11/5561, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({0}) Strube
Frau Rust
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie des Abgeordneten Wüppesahl auf den Drucksachen 11/5861 bis 11/5865, 11/5882 unter VIII, 11/5883 und 11/5884 vor.
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Beratung 90 Minuten vorzusehen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Knapp unter 70 Milliarden DM bewegt sich der Haushalt des Arbeitsministers im kommenden Jahr, für viele Menschen eine riesige, fast nicht vorstellbare Summe. Und dennoch umfaßt der Einzelplan 11 nur einen Teil der für den sozialen Bereich aufzubringenden Geldausgaben und Finanzierungsgrundlagen unserer sozialen Sicherheit.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, daß wir dieser sozialen Sicherheit zu verdanken haben, was wir bisher immer zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität dieser Republik gesagt haben.
Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR und bei unseren östlichen Nachbarn, mit denen wir uns ja am vergangenen Dienstag so vehement auseinandergesetzt haben, schlagen auch auf den Sozialhaushalt durch. Zwar spürt man die vollen Auswirkungen im Haushalt 1990 noch nicht; denn niemand kennt die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen für wesentliche Teile unseres sozialen Sicherungssystems. Es wird allerdings Zeit, meine Damen und Herren, sich möglichst bald zusammen mit den politischen und gesellschaftlichen Kräften in der Bundesrepublik und der DDR ein Bild darüber zu machen, welche Lösungsmöglichkeiten denkbar und realisierbar sein können.
So begrüßen wir ausdrücklich, daß hier im Einzelplan 11 über einen neuen Titel konkrete Hilfsmaßnahmen eingeleitet und finanziert werden können,
die Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten bei der Reform und bei der Neugestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme und bei der Neugestaltung der Arbeitsbeziehungen helfen könnten.
Weniger hilfreich, meine Damen und Herren, sind die Kürzungen von 4 Millionen DM bei den Ausgaben für Betreuungsmaßnahmen für ausländische Mitbürger, die den Wohlfahrtsverbänden erhebliche Einschränkungen auch bei deren Personal auferlegen. Aber noch einschneidender sind die vorgesehenen Kürzungen bei der Sprachförderung, die von uns abgelehnt werden, weil sie nämlich für den Integrationsprozeß der deutschstämmigen Aussiedler aus den osteuropäischen Staaten nicht besonders hilfreich sind. Wir sind nicht gegen die Entwicklung spezieller Lernmittel und Lehrmethoden für Sprachkurse, die den Besonderheiten der Lernfähigkeit, der Herkunft der Aussiedler und deren Vorbildung gerecht werden.
Wir sind aber dagegen, daß aus kurzsichtigen finanziellen Überlegungen des Finanzministers die Eingliederung von Aussiedlern in unsere Arbeitswelt scheitern muß oder behindert wird. Die Kosten dafür werden wir nämlich dann an einer ganz anderen Stelle zu bezahlen haben.
Nachdrücklich begrüßen wir die zweite Stufe der Modellmaßnahmen zur besseren Versorgung von Krebspatienten und die Verstärkung der Mittel für überregionale Modelleinrichtungen der beruflichen und medizinischen Rehabilitation und der medizinischen Prävention.
({0})
Es wäre nämlich, meine Damen und Herren, nicht zu verantworten, wenn wir bei dem heutigen Stand der Versorgung krebskranker Menschen aufhören würden und wenn die bisher erfolgreich verlaufenden Maßnahmen eingestellt werden müßten.
Ich bitte daher noch einmal von dieser Stelle aus die Bundesländer, in ihren Bereichen für entsprechende Anschlußfinanzierungen bzw. Überführung der Maßnahmen in die Regelfinanzierung zu sorgen. Es macht Sinn, meine Damen und Herren - wir begrüßen diese Möglichkeit ausdrücklich - , daß mit den ersten 5 Millionen DM Erfahrungen im speziellen Modellvorhaben zur Erprobung der ambulanten Versorgung schwerpflegebedürftiger Menschen gesammelt werden können.
Wir wissen doch heute, daß wir das aktuelle Problem der Pflege nicht nur bald aufgreifen müssen, daß wir es auch bald vernünftig lösen müssen, wenn die Menschlichkeit mit dem Altwerden in unserer Gesellschaft nicht vor die Hunde gehen soll.
Seit Jahren beschäftigen sich Frauen und Männer - in diesem Gebiet allerdings meistens mehr Frauen als Männer - in einer Vielzahl von sozialen Hilfseinrichtungen, Sozialstationen karitativer und kirchlicher Träger mit der tätigen Hilfe für solche pflegebedürftigen Menschen, die, wenn wir sie staatlich organisieren müßten, von uns nicht mehr zu finanzieren wäre. Wir wissen ja, wie schwierig die Abgrenzung zwischen stationärer Behandlung und Pflege ist und
Sieler ({1})
welche Kosten damit verbunden sind. Um so mehr zählt die humane ambulante häusliche Pflege durch diese Frauen und Männer, denen ich an dieser Stelle auch einmal ein Wort der Anerkennung und des Dankes aussprechen möchte;
({2})
denn sie tun ihre Pflicht und ihre Aufgabe meistens im Verborgenen ohne große Begleitung durch die Öffentlichkeit.
Diese Männer und diese Frauen kennen die Belastungen der ambulanten Pflege, sie kennen aber auch die Dankbarkeit jener Menschen, denen sie in ihrem unmittelbaren Lebensbereich helfen, mit dem Alter, mit der Gebrechlichkeit und mit der Behinderung fertigzuwerden. Hier, meine Damen und Herren, sollen zusätzliche Erfahrungen in einem Abschnitt menschlichen Lebens gemacht werden, dem bisher noch zu viele Menschen nicht die notwendige Beachtung schenken, den sie meistens aus ihrem Bewußtsein verdrängen, weil sie glauben, mit ihrem Sozialversicherungsbeitrag hätten sie dieses Problem für sich gelöst.
({3})
Wenn wir hier künftig helfen wollen, müssen wir ein paar Fakten kennen. Wir müssen nämlich wissen, welche Hilfe notwendig ist. Wir müssen wissen, welche Arbeit bei der Pflege anfällt und welche Qualifikation das Pflegepersonal benötigt. Wir müssen aber auch wissen, welche organisatorischen Maßnahmen die Kassen und Maßnahmenträger ergreifen müssen, wie die Leistungen nach § 53 des Sozialgesetzbuchs V in unser Sozialleistungssystem integriert werden müssen und können und ob diese Maßnahmen Krankenhauspflege abkürzen und die Aufnahme der Bedürftigen in Pflegeheimen hinauszögern können.
Nun noch einige Bemerkungen zur Kriegsopferversorgung. Seit Jahren hat die Bundesregierung die anspruchsberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen mit Versprechungen hingehalten, bevor sie sich jetzt endlich zu einer längst fälligen strukturellen Leistungsverbesserung bereitgefunden hat.
Wenn es einerseits zu begrüßen ist, daß mit dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf ein Großteil unserer Verbesserungsvorschläge aufgegriffen worden ist, die Sie noch im Frühjahr dieses Jahres in Bausch und Bogen abgelehnt haben, so ist es andererseits wiederum enttäuschend, daß Sie auch dabei wieder auf halbem Wege stehengeblieben sind und mit den im Ansatz eingestellten Mitteln der Bedarfslage der Beschädigten und Hinterbliebenen in der Kriegsopferversorgung in keiner Weise gerecht werden.
Hier hätten Sie eigentlich, meine Damen und Herren, Ihr soziales Verantwortungsgefühl beweisen können. Statt dessen haben Sie die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Witwen- und Waisenbeihilfen oder der Gesundheitssicherung der Pflegepersonen anderen finanziellen Prioritäten geopfert.
Nun zur Bundesanstalt für Arbeit, die sich offensichtlich wieder einmal besonders als finanzieller Steinbruch für den Bundeshaushalt eignet. Seit der Wende 1982 leben wir mit einer hohen Arbeitslosigkeit von über zwei Millionen Menschen. Dies läßt sich natürlich schlecht in die aufpolierte Bilanz dieser Regierung eingliedern. Kürzungen der gesetzlichen Leistungen für Arbeitslose und kosmetische Korrekturen der Arbeitslosenstatistik sollen seitdem den Eindruck erwecken, als wäre bei uns alles in bester Ordnung. Die Kritik der Opposition wird immer wieder als Horrorgemälde von Neidhammeln dargestellt.
So paßt es natürlich gut ins Bild der Koalition, daß da und dort ein Arbeitgeber die angebliche Unfähigkeit der Arbeitsverwaltung öffentlich beklagt, weil die von ihm gewünschten Arbeitskräfte durch die Arbeitsämter nicht vermittelt würden, obwohl es sie auf diesem Arbeitsmarkt in großer Zahl gebe. In allen Fällen haben sich solche Behauptungen als vordergründige Polemik und ausgemachte Windeier erwiesen, die an Hand der Fakten von der Arbeitsverwaltung zu widerlegen waren.
Es blieb nun erneut einem Mitglied dieser Bundesregierung vorbehalten, die Bundesanstalt in Nürnberg für Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt in die Pfanne zu hauen, die sie selbst verursacht und gefördert hat.
({4})
Herr Spranger kommt nun wieder mit einem alten Hut und wärmt das Märchen von der angeblichen „Ausbeutung unseres Sozialsystems durch die faulen Arbeitslosen" auf. Er fordert erneut die „statistische Bereinigung" in der Arbeitslosenversicherung.
({5})
Der Gipfel der politischen Dummheit ist wohl auch die Forderung nach einer „Teilprivatisierung der Arbeitsvermittlung", als wenn es diesen Unfug nicht schon seit Jahren dank Ihrer Politik gäbe.
Der massive Druck des Finanzministers auf die Bundesanstalt für Arbeit hat doch gerade ihre einzigen Instrumente für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Bereich Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Fortbildung und Umschulung unwirksam gemacht und erheblich eingeschränkt.
({6})
Wer hat denn den Bundeszuschuß an die Bundesanstalt in Nürnberg heruntergerechnet und die Erwirtschaftung dieser Mittel aus dem Haushalt der Bundesanstalt erzwungen? Dafür die Bundesanstalt für Arbeit zu prügeln und unausgesprochen den Beschäftigten dort in den Arbeitsämtern die Schuld zuzuschieben ist doch der eigentliche Skandal.
Die Struktur der Arbeitslosigkeit hat sich doch trotz der seit sechs Jahren anhaltenden guten Konjunktur nicht gebessert, im Gegenteil. Der anhaltend hohe Anteil der Finanzierung der Arbeitslosenhilfe im Haushalt des Bundesarbeitsministers von 8 Milliarden DM und die permanente Weigerung der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen, waren doch die Ursache für ein hektisches Programm zur Bekämpfung der „Langzeitarbeitslosigkeit" unmittelbar vor dem Wahljahr 1990.
({7})
Sieler ({8})
Mit dieser Beruhigungspille, die von allen Fachleuten als untauglicher Therapieversuch am Problem Massenarbeitslosigkeit bezeichnet wurde, sollte zugleich natürlich von den Folgen der Einschränkungen auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und auf dem Gebiet der Fortbildung und Umschulung abgelenkt werden.
Der Haushaltsausschuß hat nicht erst gewartet, bis Herrn Spranger diese Weisheit eingefallen ist, die er, wie ich hier zitiert habe, Anfang dieses Monats der staunenden Öffentlichkeit unterbreitet hat. Wir haben schon vor einigen Jahren die Verwaltung und Organisation der Bundesanstalt für Arbeit auf den Prüfstand stellen lassen. Die Maßnahmen der Bundesanstalt und ihrer Verwaltung mit den Schwachstellen aufzuräumen, zeigen Wirkung und sind anzuerkennen. Wenn dennoch die zunehmenden Aufgaben, die wir ihnen auferlegt haben und die ihnen in diesen Tagen vor dem Hintergrund überschwappender Übersiedlerprobleme zusätzlich vor die Tür gekippt worden sind, von den Mitarbeitern dieser Bundesanstalt in den Arbeitsämtern ganz selbstverständlich übernommen werden, dann verdient dies auch mal ein Wort des Dankes und ein Wort der Anerkennung. Auf jeden Fall ist ein Wort des Dankes an dieser Stelle besser angebracht als die Prügel, die man diesen Menschen derzeit zwischen die Beine wirft.
Anzuerkennen sind vor allem die unzähligen Bemühungen des Personals der Bundesanstalt für die Arbeit in den Arbeitsämtern, die mit der nun schon über sieben Jahre andauernden Massenarbeitslosigkeit fertigzuwerden haben, die aber auch mit den permanenten Gesetzesänderungen dieses Hohen Hauses konfrontiert sind und denen auch noch die Instrumente genommen werden, mit denen sie bisher einigermaßen arbeiten und die Probleme bewältigen konnten.
Präsident Franke und die Selbstverwaltungsspitze vom Vorstand und Verwaltungsrat haben keinen Zweifel an der finanziellen Dimension der vor ihnen stehenden Aufgaben gelassen, die in einer Größenordnung von rund 6 Milliarden DM Integrationsaufwand für Aus- und Übersiedler in den nächsten Jahren auf die Bundesanstalt zukommen und eigentlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müßten. Ich kann Ihnen nur empfehlen, den heutigen Artikel darüber in der „Süddeutschen Zeitung" einmal nachzulesen.
Wie allerdings die Bundesanstalt für Arbeit mit all diesen Aufgaben und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln fertigwerden soll, bleibt das Geheimnis dieser Regierung. Der negative Einfluß des Bundesfinanzministers mit seinen Entscheidungen auf den Kurs unserer Sozialpolitik und der Bundesanstalt für Arbeit ist im wesentlichen der Grund dafür, daß wir diesen Einzelplan ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Strube.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann von den
Rednern der Opposition natürlich nicht erwarten, daß sie die Schwerpunkte unseres Haushalts darlegen. Darum eine ganz kurze Skizze.
({0})
Mit knapp 70 Milliarden DM sprechen wir beim Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung von dem größten Einzeletat.
({1})
Die Steigerungsrate für den Bereich Arbeit und Soziales beträgt 3 % gegenüber 1989.
({2})
Wir sprechen hier von einem Viertel des Gesamthaushalts.
({3})
Kriegsopferversorgung, Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und Zuschüsse an die Rentenversicherung erfahren die höchsten Ansätze.
Am 9. dieses Monats haben wir im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung das von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam getragene Rentenreformgesetz 1992 beraten und verabschiedet.
({4})
- Sie konnte ich dabei leider nicht erwähnen, gnädige Frau. - Ich möchte dieses historische Ereignis der zweiten großen Rentenreform nach der Einführung der dynamischen Rente im Jahre 1957 zum Anlaß nehmen, um auf die Finanzentwicklung der Rentenversicherung kurz einzugehen.
Bei der Einbringung des Entwurfs des Rentenreformgesetzes 1992 im März dieses Jahres ist man noch von einer Beitragssatzerhöhung ab 1994 ausgegangen. Mittlerweile hat die anhaltend gute Konjunktur der Rentenversicherung mehr Liquidität gebracht, als ursprünglich erwartet. Dadurch kann der Beitragssatz bis 1996 stabil gehalten werden.
({5})
Inzwischen haben die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung die Schwankungsreserve auf 25,4 Milliarden DM geschätzt - das sind 3,1 Milliarden DM mehr, als bei Berichterstellung kalkuliert -, bedingt durch die günstige Beitragsentwicklung in diesem Jahr, die maßgeblich von dem hohen Anstieg der Beschäftigung als Folge der anhaltend guten Wirtschaftslage bestimmt wird. Mit dem für dieses Jahr erwarteten Überschuß hat die Rentenversicherung nun in fünf aufeinander folgenden Jahren Überschüsse erzielt.
({6})
Die gute Entwicklung der Rentenfinanzen ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung durch langfristig wirksame Maßnahmen, wie sie das RentenreformgeStrube
setz 1992 beinhaltet, über die Jahrtausendwende hinaus zu sichern;
({7})
denn die deutsche Bevölkerung wird weiter altern; auch Sie, gnädige Frau. Immer weniger Aktive müssen immer mehr Rentner absichern. Gegenwärtig finanzieren 100 Beitragszahler die Leistungen für 48 Rentner.
({8})
Im Jahre 2000 werden es 61 Rentner sein.
Das Rentenreformgesetz 1992 - hier besteht der unmittelbare Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt - beinhaltet bereits im Vorgriff eine Anhebung des Bundeszuschusses im Jahr 1990 um 0,3 Milliarden DM und im Jahr 1991 um 2,3 Milliarden DM.
({9})
Ab 1992 wird der Finanzierungsanteil des Bundes aufgestockt und zusätzlich mit der Entwicklung des Beitragssatzes der Rentenversicherung gekoppelt. Das bedeutet: Muß der Beitragssatz erhöht werden, steigt der Bundeszuschuß um denselben Prozentsatz.
({10})
Ein höherer Rentenversicherungsbeitrag bedeutet also Mehrkosten für den Bundeshaushalt.
Diese Neuregelung ist unter sozialpolitischen und unter finanzpolitischen Aspekten eine gute Grundlage für eine langfristig tragfähige Rentenreform.
({11})
Das verstärkte Engagement des Bundes wird dazu beitragen, den Belastungsanstieg aus der Bevölkerungsentwicklung für die Rentner und für die Beitragszahler in vertretbaren Grenzen zu halten.
Die Rentenversicherung wurde mit Vernunft und mit Weitsicht weiterentwickelt. Die sich aus dem Bevölkerungsrückgang, der steigenden Lebenserwartung und 'dem daraus veränderten Altersaufbau der Bevölkerung ergebenden Belastungen sind gleichmäßig verteilt worden auf Beitragszahler, auf den Bund und auf die Rentner.
({12})
Daß hierzu eine gemeinsame Gesetzesänderung mit der SPD durchgeführt werden konnte, ist für alle Beteiligten und Betroffenen zu begrüßen.
Bei allem Respekt vor der Tarifhoheit möchte ich an dieser Stelle allerdings unseren Rentnern abschließend sagen,
({13})
daß Tarifabschlüsse, die mehr auf zusätzliche Freizeit als auf Lohnerhöhung setzen, die Renten zukünftig nur mäßig steigen lassen.
Ich komme nunmehr zum Thema Arbeitsmarkt: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt, meine Damen und Herren, hat sich erfreulich entwickelt.
({14})
Im September haben wir in der Bundesrepublik mit fast 28 Millionen Erwerbstätigen einen neuen Nachkriegsrekord aufgestellt, 332 000 mehr als im entsprechenden Vorjahresmonat. Die Arbeitslosigkeit hat im Oktober mit 1,87 Millionen einen Tiefststand seit Oktober 1982, wo 1,92 Millionen Personen gezählt wurden, erreicht. Seit dem Tiefststand der Beschäftigung Ende 1983 ist die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ständig angestiegen, bisher um rund 1,5 Millionen. Allein in diesem Jahr werden 350 000 bis 400 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
({15})
Die Kurzarbeit hat sich gegenüber Oktober 1988 auf ca. 50 000 fast halbiert. Für sie spielen nur noch arbeitsmarktpolitische Besonderheiten eine Rolle.
Weiter verringert hat sich die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen. 20jährige und jüngere Arbeitslose gab es Ende Oktober „nur noch" 68 200. Das sind 23 700 weniger als vor einem Jahr.
Seit Ende 1983 konnte die Zahl der Arbeitslosen um über 400 000 gesenkt werden, trotz der Mitte der 80er Jahre großen Zahl der Schulabgänger, die auf den Arbeitsmarkt drängten, trotz der gestiegenen Erwerbstätigkeit der Frauen, trotz der wieder zunehmenden Zahl der Ausländer und trotz der stark zunehmenden Zahl der Aus- und Übersiedler.
Diese Erfolge sind untrennbar mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung von CDU/ CSU und FDP unter unserem Bundeskanzler Helmut Kohl verbunden.
({16})
Seit dem Amtsantritt dieser Regierung sind auf dem Arbeitsmarkt immer wieder erfolgreiche Bemühungen zur Verbesserung der Lage eingeleitet worden. Jüngstes Beispiel neben der seit Jahren bewährten Qualifizierungsoffensive sind die seit Juli diese Jahres laufenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Bundesregierung hat zum einen 1,5 Milliarden DM als Lohnkostenzuschüsse, um Arbeitgebern die Einstellung Langzeitarbeitsloser zu erleichtern, und zum anderen 250 Millionen DM für eine gezielte Betreuung und Unterstützung besonders beeinträchtigter Arbeitsloser und anderer schwerstvermittelbarer Arbeitsloser bereitgestellt.
Und diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, zeigen große Erfolge. Bis zum 20. November 1989 - das ist die jüngste Erhebung durch die Bundesanstalt - gab es 12 200 Bewilligungen für Lohnkostenzuschüsse. 1 500 weitere Anträge waren in Bearbeitung. Die Bundesanstalt geht für dieses Jahr von 16 000 Bewilligungen und einem ausgeschöpften Ansatz aus. Für Zuschüsse zur Förderung von Maßnahmen für besonders benachteiligte Langzeitarbeitslose und andere schwerstvermittelbare Arbeitslose lagen bis zum 30. September 329 Anträge für durchschnittlich je 20 Teilnehmer mit einem Gesamtvolumen von etwa 150 Millionen DM vor.
Meine Damen und Herren, die Bundesanstalt in Nürnberg gibt jährlich große Summen zur Qualifizierung Benachteiligter aus. Wir müssen aber zur Kennt13772
nis nehmen, daß es in unserer Gesellschaft auch Menschen gibt, die nicht qualifizierbar sind und die, aus welchen Gründen auch immer, das hohe Tempo am Arbeitsplatz nicht oder nicht mehr gehen können, das normalerweise verlangt wird.
({17})
Auch für diese Menschen haben wir eine sozialpolitische Verantwortung, denn Arbeit hat bekanntlich zwei Dimensionen, nämlich Broterwerb und Selbstverwirklichung. Ob das laufende Langzeitarbeitslosenprogramm mit den ausgewiesenen Lohnkostenzuschüssen hier den richtigen Weg beschreibt, bleibt abzuwarten. Aber eines muß klar sein: Wer nicht ausgrenzen will, muß für die Schwachen einen subventionierten zweiten Arbeitsmarkt vorhalten.
Vollkommen überzogen sind meiner Ansicht nach die Horrorgemälde, die die Opposition so gerne von unserem Sozialstaat zeichnet. Wenn das Elend der Massen hier wirklich so himmelschreiend wäre, wie behauptet, warum kommen dann eigentlich die Asylanten in Scharen aus aller Herren Länder ausgerechnet zu uns?
({18})
Warum reden die gleichen Gewerkschaftsfunktionäre einmal von der großen Armut, um Stunden später die Sicherung deutschen sozialen Standards im Hinblick auf Europa zu fordern? Das kann vielleicht einer der Redner der Opposition gleich einmal aufklären.
({19})
Meine Damen und Herren, ich möchte einen dritten und letzten Punkt ansprechen: Maßnahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der Krebsbekämplung. Für Modellmaßnahmen zur besseren Versorgung von Krebspatienten sind seit 1981 über 180 Millionen DM bereitgestellt worden. Im Haushalt 1990 sind weitere 10 Millionen DM vorgesehen. Im Rahmen des Ende 1981 angelaufenen Förderprogramms wurden bis Ende 1990 24 Tumorzentren, 32 Einrichtungen der pädiatrischen Onkologie, 32 onkologische Schwerpunkte und 10 Schwerpunktpraxen mit Bundesmitteln gefördert. Der größte Teil der Projekte ist bereits abgeschlossen und auf der Grundlage der Bundespflegesatzverordnung von 1986 in die Regelfinanzierung überführt worden. Die Modellmaßnahmen haben entscheidend zu einer Verbesserung der Behandlung von Krebspatienten in der Bundesrepublik beigetragen. Dennoch sind in der Versorgung von Krebspatienten noch Defizite festzustellen. Bisher werden nur 55 % der Patienten in einem Tumorzentrum oder onkologischen Schwerpunktkrankenhaus behandelt. Die Ursache hierfür liegt in der immer noch unzureichenden Kooperation gerade kleinerer Krankenhäuser und niedergelassener Ärzte mit den Tumorzentren und onkologischen Schwerpunkten.
Die ständige Weiterentwicklung medizintechnischer Geräte für Diagnostik und Therapie erfordert Ersatzbeschaffungen und Neuinvestitionen, um eine Behandlung auf dem neuesten Stand des medizinischen Fortschritts durchführen zu können. Ohne den Impuls eines Bundesprogramms zur abschließenden Ausstattung der Zentren und Schwerpunkte ist mit einer notwendigen Modernisierung der technischen Ausstattung im Wege der üblichen Finanzierung durch die Länder nicht zu rechnen.
In den letzten Jahren sind auf Grund des therapeutischen Fortschritts zunehmend Fragen der Erhaltung der Lebensqualität bei der Versorgung schwerkranker Krebspatienten in der Sterbephase in den Vordergrund getreten. Derartige Modelle, z. B. Hospizeinrichtungen, müssen in einem größeren Rahmen erprobt werden. Um eine Behebung der aufgezeigten Defizite zu erreichen, wird das Modellprogramm in einer zweiten Stufe fortgeführt.
Sie sehen, meine Damen und Herren, der Sozialstaat und die Sozialpolitik sind bei uns in guten Händen.
({20})
Wir werden mit Norbert Blüm an der Spitze diesen Sozialstaat weiter aus- und umbauen.
Ich darf für meine Fraktion hier heute erklären, daß wir dem Einzelplan 11 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses vorbehaltlos zustimmen werden.
Ich bedanke mich.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der jetzigen Beratung des Etats des Bundesministeriums für Arbeit 1990 ist ein wichtiges sozialpolitisches Thema schon im Vorfeld weitgehend ausgeklammert worden, da sind Fakten geschaffen worden: Ich meine die Rentenfrage.
Angestanden hätte in den Zahlen des jetzigen Etats eine Erhöhung des Bundeszuschusses von 8 Milliarden DM, zu denen wir in den Beratungen einen Antrag eingebracht haben, Armut im Rentenalter abzubauen, die eigenständige Sicherung der Frauen voranzutreiben, die Vereinheitlichung der verschiedenen Alterssicherungssysteme und den Abbau von real vorhandenen Privilegien im Bereich der Beamtenversorgung, im Bereich von Selbständigen und anderer und die Eröffnung neuer Finanzquellen in Angriff zu nehmen. In diesem Bereich ist sozialpolitisch Bedeutsames nicht geschehen.
Das wird heute bei der Auseinandersetzung mit dem Bundeshaushalt 1990 um so deutlicher, als sich die Regierungsvertreter unentwegt mit der anhaltenden wirtschaftlichen Prosperität brüsten. Daß die Mittel vorhanden wären, haben wir Ihnen mit der Vorlage unseres Alternativhaushaltes in der ersten Beratung bewiesen. Statt dessen müssen die Rentnerinnen und Rentner nun die Folgen dieser weiteren Sparreform mit Zustimmung der SPD tragen, die ihnen eine Senkung des Nettorentenniveaus beschert, und zwar ohne Mindestabsicherung.
Zu spüren bekommen werden die Folgen vor allem die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Sie werden länger arbeiten müssen und dafür weniger Rente
bekommen. Für Zeiten der Krankheit und der Erwerbslosigkeit werden sie weitere Renteneinbußen hinnehmen müssen. Fest steht: Die Verantwortlichen für diese als Jahrhundertwerk angekündigte Reform
({0})
werden in die Geschichte der bundesrepublikanischen Sozialpolitik nicht als große Geister eingehen.
({1})
Der Etat, der von der Koalition der Regierungsparteien vorgelegt worden ist, ist kein innovativer Etat, sondern ein defensiver Etat, der sich auf die soziale Absicherung der Folgekosten von Wachstum und Leistungsgesellschaft, von Produktion und Konsumtion in dieser Gesellschaft versteht, aber das in dieser Absicherung nur notdürftig tut.
Wenn wir den Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der in diesen Tagen vorgelegt worden ist, zur Hand nehmen, dann sehen wir eine erschreckende Zunahme von Armutserscheinungen in unserer reichen Gesellschaft. Herr Strube, Sie haben vorhin gesagt, man sollte doch einmal fragen, warum denn die Übersiedler und die Aussiedler hierher kommen.
({2})
Es bestreitet doch niemand, daß wir eine reiche Gesellschaft sind. Die Frage müssen Sie an die richten, die in dieser reichen Gesellschaft in Armut leben.
({3})
Diese müssen darüber befinden und entscheiden.
({4})
So wie es ökologische Folgekosten unseres Wirtschaftens gibt, so gibt es auch soziale Folgekosten. Sie verzichten darauf, Anstöße zu geben, wie man diese sozialen Folgekosten, anstatt sie nur zu bedienen, verändern könnte.
Die Aufstockung des Sozialhaushaltes um 2,8 Milliarden DM ist nicht etwa ein Indiz für die Erweiterung sozialpolitischer Gestaltungsräume, die an die Wurzeln des Problems geht, sondern dafür, daß die Folgekosten Ihrer aggressiven Wirtschaftspolitik gestiegen sind, die Sie jetzt auf eine bestimmte Weise bedienen.
Der Haushalt enthält keinen Ansatz, keine hinreichende Idee, wie z. B. die Massenerwerbslosigkeit, unter der nach wie vor knapp 2 Millionen Menschen unverschuldet zu leiden haben, spürbar und effektiv zu senken ist, selbst wenn man von Ihren Statistiken ausgeht, die ja schon bereinigt sind. Der von Ihnen so gefeierte Beschäftigungszuwachs geht an wichtigen Gruppen des Arbeitsmarktes vorbei und ändert nichts an der hohen Sockelerwerbslosigkeit.
({5})
Im übrigen ist der tatsächliche Beschäftigungseffekt weitaus geringer, als von Ihnen unterstellt, und basiert zum größten Teil auf der Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeitsverhältnisse
({6})
und damit auf gravierenden Einkommenseinbußen der abhängig Beschäftigten. Wenn wir die Gesamtsumme der aufgewendeten Produktionsstunden von heute ins Verhältnis setzen zu der von vor einigen Jahren, dann stellen wir fest, daß sich daran trotz gestiegener Beschäftigtenzahl nichts geändert hat. Das ist der Beweis dafür, daß vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilt wurde in dem Sinne, daß mehr Teilzeitarbeit eingeführt wurde. Außerdem hat sich die Lohnquote aller Beschäftigten verändert. 1981 betrug sie 74,4 % des Volkseinkommens, und sie ist im Jahre 1989 - das ist eine Schätzung, die den Dezember mit einbezieht - auf 67,3 % gesunken. Das zeigt, daß hier Dinge vor sich gehen, die Sie nicht in Rechnung stellen.
({7})
Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung sind - das wissen Sie ja selber - mit der 8. und 9. Novelle zum AFG so weit zusammengestrichen worden, daß sie nur noch als Beitrag zur Erhaltung von Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet werden können. Ich nenne hier nur Kürzungen bei ABM, Höchstfördersatz 75 %, Limitierung der 100-%- Förderung auf 15 % der Gesamtförderung und weitere Dinge mehr. Die Folgen dieses Streichkonzerts haben die ABM-Träger - Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Kommunen - und vor allem die Erwerbslosen selber zu tragen. Die Zahl der Qualifizierungsmaßnahmen ist um 75 000 oder um 18 % zurückgegangen und sinkt weiter. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind um 24 000 oder um 20 % zurückgegangen. Die Chancen der besonders benachteiligten Gruppen am Arbeitsmarkt sind damit weiter minimiert worden.
Ein „Glanzstück" stellt auch die sozialpolitische Unausgewogenheit bei der Finanzierung der Sprachförderung dar, von der Sie ja wissen, daß Sie einen Betrag, der aus Bundesmitteln zu finanzieren ist, auf die Bundesanstalt für Arbeit überwälzt haben. Damit arbeiten Sie mit Mitteln, die eigentlich zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit herangezogen werden müßten. Dabei darf die Sprachförderung von Aussiedlern und Übersiedlern, dabei dürfen aber auch die Eingliederungsbeihilfen nicht zu Lasten der Kasse der Bundesanstalt für Arbeit gehen, sondern dann, wenn wir das als politische Aufgabe annehmen und sie auch lösen wollen, muß die Gesamtheit unserer Gesellschaft, müssen alle, auch die Beamten, die Selbständigen, die Unternehmer, mit herangezogen werden, um diese Aufgabe zu lösen.
({8})
Es geht aber nicht so, wie Sie es gemacht haben, indem Sie es der Bundesanstalt für Arbeit übertragen haben, aus deren Kasse das dann bezahlt wird.
({9})
In unserer Gesellschaft hat sich ein Bewußtsein für Probleme entwickelt, deren Lösung ansteht. Das signalisiert, daß wir in der Sozial- und Arbeitspolitik neue Wege gehen müssen und auch gehen können, weil sich das Bewußtsein in der Bevölkerung schon verändert hat,
({10})
und zwar nicht im Sinne eines bloßen Ausbaus des sozialen Netzes, was Sie uns immer vorwerfen, sondern im Sinne einer neuen Bewertung und Gestaltung des Netzes der Beziehungen von Erwerbsarbeit, die in unserer Gesellschaft geleistet wird, von vorhandener Freizeit in unserer Gesellschaft und von dem, was gesellschaftlich als notwendige Arbeit anerkannt wird, die allerdings unbezahlt ist. Diese Beziehungen, wie sie heute bestehen, können wir verändern, wir können sie durchlässig machen. Dazu müssen wir eben bestimmte Schritte tun. Aber Sie tun da nichts. Sie tun selbst in der einfachsten Frage nichts, nämlich in der Frage der Behandlung von Überstunden. Es sind wieder 1,85 Milliarden Überstunden geleistet worden. Das entspricht 900 000 Vollzeitarbeitsplätzen.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie mit der Rechnung fertig sind?
({0})
Ich müßte jetzt eigentlich meine Ausführungen zu Ende bringen; ich habe nur noch eine Minute. Lassen Sie mich das eben machen. Es geht darum, in der Frage der Überstunden energische Schritte zu tun und sich etwas einfallen zu lassen. Ich könnte mir z. B. denken, daß die Unternehmer für jede geleistete Überstunde einen Lohnanteil oder einen Gesamtlohn für Überstunden an die Bundesanstalt für Arbeit überweisen müssen, wodurch dann ein neuer Fonds entstehen könnte bzw. Mittel vorhanden wären zur Beseitigung von Massenarbeitslosigkeit. An solche Dinge denken Sie nicht, weil Sie die Unternehmer schonen.
Ich will jetzt meine eine Minute noch mit folgendem zubringen, und zwar will ich mich damit beschäftigen, welches Verhältnis zwischem dem Sozialetat, der hier vorliegt, und der derzeitigen Politik, den deutschdeutschen Beziehungen, die sich neu entwickelt haben, und den deutsch-osteuropäischen Beziehungen, besteht.
({0})
Es ist ganz klar, daß hier eine Beziehung besteht und daß es von der Politik, die in diesem Hause gemacht wird, abhängt, ob der Sozialetat im laufenden oder vor allen Dingen im nächsten Jahr Belastungen erfährt oder nicht. Es wird davon abhängen, ob wir die Politik so anlegen, daß wir mehr und mehr Leute herausfordern, als Übersiedler hierherzukommen, oder ob wir
eine Politik anlegen, die so aussieht, daß wir die Verhältnisse in der DDR so stabilisieren, daß die Leute zu Hause bleiben und dort in ihrer Heimat arbeiten und ihre Gesellschaft neu aufbauen und gestalten.
({1})
Was hier am Dienstag durch Herrn Kohl vorlegt worden ist,
({2})
läuft darauf hinaus, daß die Bedingungen, die er für notwendige Hilfsmaßnahmen im ökonomischen Bereich, im sozialen Bereich und im Verkehrsbereich gestellt hat, die ganze Geschichte hinausschieben. Das ist eine Politik, die dazu führen wird, daß mehr und mehr Übersiedler und auch Aussiedler in die Bundesrepublik kommen
({3})
und u. a. zu einem sozialen Problem in unserer Gesellschaft werden. Das ist keine Aversion gegen die Leute, die in der DDR wohnen oder die als Deutsche in Osteuropa wohnen. Es geht hier vielmehr um die Gestaltung von Politik in einem Sinne, die allen dient, die den Interessen unserer Gesellschaft dient und die den Interessen in der DDR und in den osteuropäischen Staaten dient. Ich denke deshalb, daß es darauf ankommt, sich dessen bewußt zu sein - davon atmet dieser Haushalt noch nichts -, daß es von uns abhängt, diese Frage in einem Sinne zu lösen, der für alle Beteiligten einen Fortschritt bedeutet.
Danke.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Rahmen der Haushaltsdebatte zu diesem Einzelplan ein wenig auf den Hintergrund der Politik eingehen, die sich darin ausdrückt, und ein wenig diesen Haushalt charakterisieren und dann bewerten.
Ich darf zunächst einmal ganz einfach feststellen, daß der Einzelplan 11 mit 70 Milliarden DM der größte Einzelplan im Rahmen des Gesamthaushaltes von gut 300 Milliarden DM ist. Es ist ein hoher Einzelplan, der nicht investiv verwendet wird. Es ist vielmehr, wenn man so will, ein Einzelplan der Umverteilung, der einkommenswirksam ist. Insofern wundert es mich ein bißchen, daß von der linken Seite des Hauses diesem Einzelplan nicht zugestimmt werden kann. Denn ansonsten vernehme ich immer sehr viel Bereitschaft, bei Umverteilung mit dabeizusein. Bei diesem Einzelplan gäbe es gute Gründe dafür; denn er ist in den meisten Fällen einkommenswirksam, indem er die Renten durch Zuschüsse ausstattet, indem Zahlungen für Kriegsopfer in der Größenordnung von
12 Milliarden DM getätigt werden und indem direkte Zahlungen für Arbeitslose erfolgen.
Wenn man sich diesen Etat von 70 Milliarden DM insgesamt anschaut, dann stellt man fest, daß er nur einen äußerst minimalen investiven Anteil, aber einen fast eindeutigen umverteilenden, einkommensschaffenden Anteil hat.
({0})
- Ich wollte das Ihnen auf dieser Seite des Hauses nur einmal gesagt haben. Denn ich habe eigentlich mit Bedauern vernommen, daß die Sozialdemokraten diesem Etat nicht zustimmen können.
Aber ich möchte diesen Etat noch ein bißchen weiter skizzieren. Es ist ein Haushalt, der bei den Empfängern einkommenswirksam ist. Es ist ein Haushalt, dessen Ausgabenpositionen wir nicht so sehr als Haushälter im einzelnen bestimmen, fast gar nicht, sondern dessen Ausgabenblöcke durch Gesetze, d. h. durch Mehrheitsentscheidungen dieses Hauses, vorgegeben sind. Das gilt für den ganzen Bereich der Renten, der erwähnten Kriegsopferleistungen und der Arbeitslosengelder nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Wenn man hinschaut, stellt man fest: Alles, fast alles ist gesetzlich fixiert. Das macht deutlich: Dieser Haushalt kann nur in minimalen Bereichen im Rahmen der Haushaltsberatungen gestaltet werden. Er wird im wesentlichen über die Fraktions-, über die Mehrheits-, über die Koalitionsarbeit gestaltet.
({1})
- Ich stelle das ja auch nur erst einmal fest, damit wir uns im Wald nicht verlaufen, bevor man zu Schlußfolgerungen kommt. Denn einige dieser Schlußfolgerungen, die ich hier vernommen habe, waren nicht sehr sachlich begründet und nicht aus den Gegebenheiten abgeleitet.
Ein Weiteres: Es handelt sich hier um einen Haushalt für Arbeit und Soziales. Je mehr Arbeit da ist, je mehr Arbeitsplätze vorhanden sind, desto weniger brauchen Sie nachher für Soziales aufzuwenden. Auch dieser einfache Hintergrund muß hier einfach einmal gesagt werden.
({2})
Ein gut Teil vernünftiger Sozialpolitik besteht darin, eine ordentliche Wirtschaftspolitik zu betreiben - nicht nur, aber im wesentlichen.
({3})
Dann haben Sie nämlich die Chance, daß ich viele über den Arbeitsplatz - das war hier vom Kollegen Strube gesagt - selbst verwirklichen können, ihr eigenes Einkommen schaffen und es nicht von anderen über Umverteilung erhalten müssen. Das ist allemal der beste Weg. Deswegen ist dieser Zusammenhang zu erwähnen, und er ist auch besonders wichtig.
Nur wenn wir viele Arbeitsplätze haben, rechnen sich auch, möchte ich einmal bildhaft sagen, die sozialen Systeme; denn es sind Versicherungssysteme.
({4}) Dann können auch möglichst viele
({5})
die Sozialleistungen der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung aus dem System heraus in Anspruch nehmen. Der Bedarf an Bundeszuschuß würde sich dann kleinhalten, und damit sind wir dann beim Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen.
({6})
Es kann gar nicht angehen, sich da irgendein paar Tupferchen herauszugreifen und hier so ein bißchen darüber wegzugehen. Denn die FDP, diese Koalition hat für eine vernünftige Wirtschaftspolitik gesorgt, und das ist das A und O einer soliden Sozialpolitik,
({7})
über die wir hier diskutieren und um deren Haushalt es hier geht.
({8})
Die florierende Wirtschaft ist der Dreh- und Angelpunkt, und Sie haben sich der Unterstützung einer florierenden Wirtschaft in vielen Teilen entzogen. Sie haben beispielsweise gestern den Forschungsetat abgelehnt, obwohl Qualifizierung, Forschung und Entwicklung für Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen sehr wichtig sind.
({9})
Da beißt keine Maus den Faden ab. Es beißt auch keine Maus den Faden ab, wenn man sagt: Je geringer die Belastung durch Steuern ist, und je geringer die Belastung durch Sozialbeiträge verschiedener Kassen ist, desto mehr Motivation schaffen Sie für eine wirtschaftliche Dynamik, desto besser entwickeln sich die Sozialsysteme, desto weniger brauchen Sie aus dem Haushalt unter dem Stichwort „Soziales", desto besser funktioniert das Ganze.
Wir als Koalition und als FDP haben eine Politik der Steuersenkung eingeleitet, die ihre Früchte trägt. Wir von der FDP haben auch - im Bereich der Renten haben Sie mitgemacht - eine Politik zumindest der Stabilisierung der Abgaben für die verschiedenen Sozialsysteme eingeleitet und erfolgreich durchgestanden. Darum geht es hier: um die Stabilisierung der Beiträge zur Rentenversicherung, um dennoch sichere Renten, wachsende Renten zu haben. Es geht darum, die Arbeitslosenversicherung zu stabilisieren, indem möglichst nicht so viele Arbeitslose vorhanden sind, viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Es geht auch darum, daß auch die Krankenversicherungssy13776
sterne, die nicht am „Tropf" des Bundeshaushalts hängen, die sich aus sich selbst finanzieren, durch die Zahl und das Ausmaß der Beiträge ihren Verpflichtungen nachkommen können. Auch dort haben wir für eine Konsolidierung gesorgt.
({10})
- Immer gemach, immer gemach!
Dieses Bild - ich hoffe, damit bin ich in einer Haushaltsdebatte nicht parlamentarischer Exot - möchte ich einmal mit den ganz nüchternen Zahlen dieses Haushaltes zusammenzufügen versuchen. Wir haben ja eine Haushaltsberatung. Da braucht man ja nicht nur Worte zu benutzen, sondern es können vielleicht auch einmal fünf oder sechs Zahlen mitbenutzt werden, so z. B. die schon zitierten 70 Milliarden DM als Gesamtvolumen. Jetzt möchte ich mich einmal der SPD zuwenden.
({11})
- Weil vorhin kritisiert wurde, es werde nicht genügend für das Soziale getan. - Von diesen 70 Milliarden DM werden rund 44 Milliarden DM für die MitDotation verschiedener Rentensysteme verwendet. Dann bleiben - nach Adam Riese, ohne Kleincomputer - 26 Milliarden DM übrig.
Die soeben genannten 44 Milliarden DM teilen sich wie folgt auf: 24 Milliarden DM - Milliarden! - werden für den Bundeszuschuß zur Arbeiterrentenversicherung, der im Einzelplan drinsteht, verwendet. 5 Milliarden DM werden für die Angestelltenversicherung aufgewendet, aber 10 Milliarden DM, Herr Dreßler - ich glaube, Sie kommen aus NordrheinWestfalen -, für die Knappschaft.
({12})
10 Milliarden DM für die Knappschaft!
({13})
Was wir gern getan haben: Wir haben Kindererziehungszeiten eingeführt, die in der Tat auch einen Zuschuß von rund 4 Milliarden DM zur Folge haben.
Ich sage das in aller Nüchternheit; denn nur mit dem Aufkommen aus dem Versicherungssystem plus der Finanzierung aus Steuergeldern macht das Ganze Sinn, und die Renten sind sicher
({14})
und auch steigerungsfähig. Aber diese Zuschüsse muß man auch einmal gewichten. Man muß sich anschauen, was in diesem Etat in vorzeigbarer Weise für das soziale Sicherungssystem in die Mitte getan wird.
({15})
Worüber zumindest zu diskutieren ist, sind die 10 Milliarden DM für die Knappschaft. Ich weiß auch ein bißchen, wie dieser Zuschuß einmal entstanden ist, nämlich aus einer Situation, in der im Bergbau in
der Tat schwierige Umstrukturierungen anstanden. Aber aus dieser Bestsituation hat man sich Konditionen geschaffen,
({16})
die über 20 Jahre hinweg bis heute und auch weiter fortgeführt werden. Herr Dreßler, können Sie mir einmal sagen, was es mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat, wenn ein Kraftfahrer aus einem Bergbauunternehmen 80 % seiner Rente aus dem Bundeshaushalt finanziert bekommt, während der Kraftfahrer des Mittelständlers nebenan - vielleicht in der gleichen Stadt - nur das bekommt, was er an eigenen Beiträgen eingezahlt hat? Können sie mir einmal sagen, wo da soziale Gerechtigkeit herrscht?
({17})
Ich habe sie jedenfals nicht erkannt, aber das kann an mir liegen. Diese Diskussion können wir noch einmal fortgesetzen. Ich will damit jedenfalls sagen, daß dieses System in der Knappschaft in der Form, wie es sich entwickelt hat nach meinen Kriterien nicht sozial gerechtfertigt ist.
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Vielen Dank.
Nein, Herr Hoss.
({0})
Das können wir mal an anderer Stelle machen. Wir sehen uns ja häufiger. Ich möchte die zehn Minuten Redezeit, die mir zustehen, nutzen.
({0})
- Na, das bezweifle ich. Wir haben in den letzten zwei Tagen hier schon zu viele Beweise dafür bekommen, daß es mit der Lernfähigkeit dieses Teils des Hauses nicht so weit her ist.
({1})
Es hofft der Mensch, solang' er lebt; das ist auch mein Grundsatz. - Aber zu anderer Zeit.
({2})
Von den verbleibenden 26 Milliarden DM - ich habe die Zahl erwähnt - entfallen 12 Milliarden DM auf die Kriegsopferversorgung. Ich möchte für die FDP sagen: Wir stehen zu der Erhöhung und auch zu der Strukturanpassung. Wenn man überhaupt einen Satz zu dieser eigentlich selbstverständlichen Ausgabenposition sagen möchte, kann man nur sagen: Diese Zahlungen sind eine ständige Mahnung, eine
vernünftige Friedens- und Entspannungspolitik zu betreiben.
({3})
Damit komme ich zu den verbleibenden - wer mitgerechnet hat, wird das bestätigen - 14 Milliarden DM, von denen 12,7 Milliarden DM für die Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden. Dazu möchte ich schon etwas sagen, weil hier in bezug auf die Bundesanstalt für Arbeit und überhaupt in bezug auf die Arbeitsmarktpolitik doch ziemlich viele Nebelkerzen abgeschossen worden sind.
Natürlich ist das auch für uns noch ein Problem. Wir hätten die Zahl der Arbeitslosen gern noch verringert, aber festzustellen ist auch, daß es seit 1983 ein reales Plus bei den Beschäftigten - das ist der entscheidende Punkt - von 1,2 Millionen gibt und daß in dem Sachverständigengutachten für das nächste Jahr ebenfalls steigende Zahlen prognostiziert worden sind. Das ist das Ergebnis der vorhin im Ansatz skizzierten Politik, und das sind gute Ergebnisse.
({4})
Denn wenn die Arbeitsmarktpolitik besser wird, dann brauchen wir nicht - wie jetzt - noch 8,2 Milliarden DM für Arbeitslosenhilfe auszugeben. Das sind die Zusammenhänge. Wir geben es auch aus Überzeugung, aber noch besser ist es natürlich, wenn die Zahlen durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik reduziert werden. Da beißt keine Maus den Faden ab.
({5})
- Das kann man doch nicht formal behandeln. Sie müssen eine Wirtschaft leistungsfähig erhalten,
({6})
und das ist nur dann der Fall, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind, wenn Leistungen und Produkte entstehen, die verkauft werden können, die die Kosten dekken und die Ertrag bringen. Damit und mit nichts anderem können Sie das soziale System finanzieren. Ein gutes Wort mag ja auch gut sein, aber letztlich ist Sozialpolitik immer noch das Bereitstellen von Geldmitteln, die andere erworben haben, und zwar für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - in dem Wettbewerbsprozeß und in dem Leistungsganzen nicht ganz mitgekommen sind oder nicht mitkommen konnten, was auch immer im Hintergrund eine Rolle gespielt haben mag.
So sehen wir die Politik, die wir eingeleitet haben. Wir sind der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik, die wir von der FDP aus maßgeblich mitgestaltet haben, der zentrale Hintergrund dieses Haushalts ist.
({7})
Es wird deutlich, daß wir für die leistungsorientierte Arbeitsmarktförderung - nicht für die Beschäftigungsförderung; das ist etwas anderes - das Entsprechende tun. Wir ermöglichen so eine Wirtschaft, die es gestattet, das soziale Netz so zu finanzieren, wie es in diesem Haushalt seinen Ausdruck findet.
Darauf sind wir stolz. Dies halten wir für richtig. Darum stimmen wir im Gegensatz zur SPD diesem Einzeletat zu.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen!
({0})
- Ich fange mit einer großen Höflichkeit an. - Es sind heute in der Bundesrepublik Deutschland zwei Morde passiert. Ob sie politisch sind, weiß noch niemand. Aber es sollte uns doch zu denken geben, daß so etwas in der Bundesrepublik überhaupt möglich ist. Da sollten wir alle in uns gehen. Ob es fanatische Menschen sind, ob es die RAF ist, gleichgültig, wer es ist: Irgendwo hat alles seine menschliche Ursache.
Millionen von Menschen fühlen sich in diesem unserem Vater- oder Mutterland sehr benachteiligt. Christliche Grundwerte anerkennen das bis heute nicht. Es wird gelacht, wenn über Altersarmut gesprochen wird, es wird gelacht, wenn es z. B. um Ihren Medizinischen Dienst geht, Herr Minister.
({1})
Ich will Ihnen einmal Briefe vorlesen, die deutlich machen, was es heißt, diesem Medizinischen Dienst ausgeliefert zu sein und ihn als Mensch ertragen zu müssen.
({2})
- Das hat damit zu tun, daß es bei uns REPs gibt, daß die Rechten im Kommen sind.
Zu Ihrem Medizinischen Dienst, Herr Minister, möchte ich Ihnen folgendes vorlesen - ich übergebe es Ihnen anschließend -; zunächst geht es um einen Brief an Sie, dessen Kopie an mich geschickt wurde. Ich zitiere:
Wie Sie aus der Kopie des Krankenhausberichtes ersehen, bin ich seit einem Sturz im Jahre 1976 querschnittsgelähmt ({3}) und auf den Rollstuhl und ganztätig auf eine Pflegekraft ... angewiesen. Um ihm
- gemeint ist die Pflegekraft einen Urlaub zu ermöglichen, stellte ich obigen Antrag.
Ich will nicht alles vorlesen. In dem Brief heißt es weiter:
Der mir vorgelegte umfangreiche Fragenkatalog bestätigte meine volle Pflegebedürftigkeit - bis auf zwei Punkte:
Punkt 1: Ich kann selbständig meine Zähne putzen und
({4})
- jetzt hören Sie doch mal zu, Sie Christen Punkt 2: Meine soziale Kontaktfähigkeit, also meine Fähigkeit, mich mit ihm
- gemeint ist der Medizinische Dienst - zu unterhalten, sei gegeben.
Daraus wurde der Schluß gezogen: Ablehnung. Jetzt hören Sie weiter gut zu:
Während des Gesprächs zitierte Dr. H. den ähnlich gelagerten Fall einer MS-Patientin, die beide Arme und beide Beine nicht gebrauchen kann, also total pflegebedürftig ist, aber von Dr. H. dennoch nicht anerkannt wurde.
Das hat Ihr Medizinischer Dienst so entschieden. Sie stellen zwar 5 Milliarden DM für die berühmt-berüchtigten Pflegestunden zur Verfügung. Nur, wer bekommt sie denn dann in der häuslichen Pflege, wenn sie einen Medizinischen Pflegedienst in die Haushalte reinschieben und so etwas dabei rauskommt, Herr Minister? Ich schäme mich für Sie. Und ich bin froh, daß es „Die Grauen" gibt, denn so haben diese Menschen wenigstens eine Möglichkeit, das, was ihnen wehtut, das, was sie beleidigt und demütigt, zumindest an meine Adresse zu geben.
({5})
Ich gebe es nicht auf, Herr Minister Blüm, daß Sie sich mit dieser Partei noch ändern. Wir haben einen Appell an Sie gerichtet; auch an Sie. Die Hälfte von Ihnen kann ich vergessen. Ich hoffe ja, daß dann andere Menschen im nächsten Deutschen Bundestag hier sitzen. Daß die GRÜNEN für Soziales und Arbeit nicht viel im Kopf haben, das sehen sie auch selbst. Deshalb bin ich froh, daß wir Grauen Panther diesen Schritt gewagt haben und daß wir den kleinen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland wieder Lebensmut geben können, egal, ob wir in den Bundestag reinkommen, oder nicht, meine Herren. Aber Sie werden sich im Laufe des Wahlkampfs ändern müssen, sonst verlieren Sie nämlich noch mehr Wählerstimmen. Dafür werde auch ich sorgen!
Eine halbe - halbe! - Million Personen in Rentnerhaushalten hat weniger als 600 DM Haushaltseinkommen, Herr Minister. Insgesamt 5,7 Millionen in Rentnerhaushalten haben weniger als 1 000 DM pro Kopf zum Leben zur Verfügung. Eine Beamtenmindestpension ist 1 600 DM,
({6})
für höhere Beamte 3 000 DM - neu geordnet -. Was meinen Sie, was Sie diesem Volk, diesem Staat noch alles zumuten können? Dick im Fettnäpfchen sitzen und kürzen und kürzen und kürzen, rumtäuschen mit einem Medizinischen Dienst,
({7})
rumtäuschen mit persönlichen Hilfen, die es dann nicht gibt: Daß diese Menschen verzweifeln müssen, das glauben Sie doch wohl selbst.
({8})
Und ich kann Ihnen sagen: Lesen Sie einmal die Bibel durch, dann wissen Sie vielleicht, wenn es einen Herrgott gibt, was Sie - ({9})
- Wenn es ihn gibt, dann haben Sie alle keinen Gott als Gewissen. Dann würden Sie nämlich bei den schwächsten Menschen hier bei uns in der Bundesrepublik nicht so furchtbar täuschend handeln.
({10}) Ich kann Ihnen noch Briefe vorlesen,
({11})
Sie kriegen sie doch auch. Oder nicht? Sonst wären Sie doch keine Volksvertreterin.
So eine „alte Arme in Deutschland" bin auch ich, so wie viele Tausende auch. Aufgewachsen in Berlin, 4 Kinder großgezogen. Alarm jede Nacht, evakuiert nach Ost-Preußen. Nach dem Krieg kamen wir ({12})
- da und dahin Stand ({13})
- jahrelang auf dem Wochenmarkt Obst/Gemüse. Mit 50 kam die Scheidung; schuldlos geschieden, auf Unterhalt aus Angst ({14})
Viele Frauen haben heute noch Angst. Es gibt ja Frauenhäuser, meine Herren.
({15})
- Das fehlt mir noch, dieser dreckige Zwischenruf „Männer auch". Lassen Sie es doch endlich! Bemerken Sie doch mal, was in dieser Gesellschaft möglich ist!
({16})
Aus Angst! Aus Angst auf Unterhalt verzichtet: Wissen Sie überhaupt, was das heißt? Wissen Sie überhaupt, was in Ihrer Nachbarschaft los ist? Also lassen Sie diese furchtbare Zwischenbemerkung.
({17})
Ich zitiere weiter:
Dann bei der Arbeiterwohlfahrt ({18})
({19})
- Sie sind doch ganz ruhig, Sie Frauenheld! ({20}) Also:
Dann bei der Arbeiterwohlfahrt ({21})
- Ich zeige Ihnen den Typen nachher! - als „Küchenhilfe".
Weiter heißt es da:
Ich wollte immer arbeiten; meine Rente ist heute
insgesamt 408 DM; ich habe vier Kinder; die geFrau Unruh
ben mir auch Geld; nur, wie demütigend es für mich als Mutter ist, das kann ich nicht begreifen in diesem Staat. Es ist furchtbar, so ärmlich darzustehen.
Der letzte Brief.
({22})
- Der letzte Brief. Hören Sie zu! Sie haben es ja nicht nötig mit Ihren Pensionen in der Tasche, wofür Sie nichts tun.
({23})
Jetzt habe ich das letzte Mal 9 DM Rentenerhöhung bekommen. Nun beträgt meine Rente 470 DM ... Und wie teurer ist alles wieder geworden?
Gut zugehört? Ich habe nicht umsonst den Antrag eingebracht: Bitte Rente um 1 % aufstocken, weil das alles vorne und hinten nicht langt. Wer macht denn diese Mieterhöhung? Warum ist das alles möglich? Sie wissen es doch, warum! Alte Menschen müssen 600, 700 DM bezahlen.
({24})
- Halten Sie die Klappe, Mensch! Wissen Sie überhaupt, was Sie in dieser Bundesrepublik Deutschland mit Ihrem Gequatsche anrichten?
({25})
- Ich brauche keine Zeit. Ihre Zeit läuft ab.
Jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Ich war sogar voriges Jahr beim Sozialamt, mit meinen 470 DM Rente. Was meinen Sie, was sich da abgespielt hat? Da habe ich 110 DM ... bekommen. Aber das werde ich nie wieder tun. Das ist ja so entwürdigend ... Ich wäre am liebsten weggelaufen. Diese Bettelei. Warum können wir nicht bei der Rente was dabeibekommen, damit man nicht betteln gehen muß?
- Haben Sie schon einmal gebettelt? ({26})
- Sie haben gebettelt? Wann haben Sie denn gebettelt?
({27})
- Für andere haben Sie gebettelt? Wo denn? Das würde mich schon einmal interessieren. Das wird ja immer dramatischer: Die Herren Abgeordneten der CDU gehen für andere betteln.
({28})
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine ganz andere
Erkenntnis in diesem Staate, daß in diesem Staate hoffentlich die soziale Gerechtigkeit einkehrt. Deshalb
muß die SPD wieder dran, aber nicht mit der FDP, sondern mit den „Grauen" .
({29})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme zu Koalitionsaussagen im Augenblick keine Stellung.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind Zeitzeugen eines politischen Umbruchs in der DDR und den osteuropäischen Ländern, der nicht nur dort ungeahnte Veränderungen bewirken wird, sondern auch unsere sozialen Systeme beeinflußt. Ein weiterer Zuzug von Aus- und Übersiedlern wirkt sich direkt auf alle Bereiche der sozialen Sicherheit aus: Kranken- und Rentenversicherung, Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld usw.
Der Arbeitsmarkt, immer noch durch zwei Millionen Arbeitslose gekennzeichnet, ist ebenso betroffen wie der Wohnungsmarkt, wo Unterversorgung auf Grund sträflicher Vernachlässigung dieser Bundesregierung über Jahre mit gestiegener Nachfrage zusammentrifft.
Die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Matthäus-Maier, hat in dieser Woche in ihrem Debattenbeitrag darauf hingewiesen, daß das Ziel der deutschen Einheit nicht den Blick dafür verstellen darf, welche Sorgen und Nöte die Menschen in der Bundesrepublik bewegen.
Genau an diesem Punkt muß die Auseinandersetzung geführt werden. Das, was in diesen Wochen in den Schatten gestellt wurde, wird alsbald wieder zum Vorschein kommen, deutlicher, dynamischer als vorher. Nach verständlichen, ja, notwendigen Emotionen wird etwas eintreten, was ich Ernüchterung nennen will, was neue und alte Fragen aufwerfen wird.
Der politische Umbruch in der DDR und den osteuropäischen Ländern hat dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine wochenlange Atempause verschafft. Er durfte wegtauchen. Seine Hinterlassenschaft wird von sich überschlagenden Ereignissen überdeckt.
Für jeden von uns ist klar, daß der Haushalt von Herrn Blüm bereits Makulatur ist, bevor er heute von CDU/CSU und FDP mit geschlossenen Augen bestätigt wird.
({1})
Die großen Probleme der Bundesrepublik werden unberücksichtigt gelassen; sie bleiben ungelöst; sie werden verdrängt; Herr Blüm nimmt sie nicht zur Kenntnis. Die neuen Fragestellungen läßt der zuständige Bundesminister gar nicht erst an sich heran. Kein Thema ist zu banal für Presseverlautbarungen, kein Schatten für Spielereien eines Schattenkabinetts zu absurd, nordrhein-westfälischen Wahlkampfspiele13780
reffen wird der Vorzug vor konzeptioneller Politik des Arbeitsministeriums gegeben.
Der offene Fragenkatalog wird immer länger, die Lösungsvorschläge werden immer schwieriger.
({2})
Nach unserem Recht sind Bürger der DDR keine Ausländer. Wenn sie auf dem Gebiet der Bundesrepublik oder in Westberlin sind, werden sie automatisch wie Bundesbürger behandelt.
({3})
Was das für unsere Krankenversicherung und die Arbeitslosenunterstützung bedeutet, wird nicht problematisiert.
({4})
Welche Wirkungen sich für das Kindergeld oder die Sozialhilfe ergeben, steht nicht zur Diskussion.
({5})
Die Auswirkungen für die Rentenversicherung stehen nicht im Plan der Öffentlichkeitsarbeit des zuständigen Bundesministers.
Wir müssen aber Klarheit schaffen, ob wir in einer völlig veränderten sozialen und politischen Situation in den osteuropäischen Ländern noch so tun können, als regele sich die soziale Dimension dieses Vorgangs von selbst.
({6})
Ob die Regelungen des Lastenausgleichs, des Häftlingshilfegesetzes, des Bundesvertriebenengesetzes und anderer speziell auf die Nachkriegssituation zugeschnittener Gesetze heute noch eine zeitgemäße Antwort sind, steht nicht im Spielplan der Bundesregierung.
({7})
Abwarten, ein weiterer Versuch, die Probleme auszusitzen, wird unweigerlich zur Folge haben, daß die Sozialpolitik erneut als Reparaturbetrieb für nicht vorhandene Lösungskompetenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik herhalten muß.
({8})
Wir befürchten, daß diese bewußte Untätigkeit zu weiteren Fehlsteuerungen auf entscheidenden Gebieten führen kann.
Der rasante Anstieg der Sozialhilfeaufwendungen bei den Gemeinden wird nicht gebremst; wir sind heute schon bei 28 Millionen DM. Wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband in diesen Tagen von sechs Millionen Menschen spricht, die unterhalb der
Armutsgrenze leben, dann müßten die zuständigen Minister zu Höchstleistungen getrieben werden.
({9})
Herr Blüm aber verschleudert seine Energie bei dem Versuch, Fußballtrainer oder Dressurreiter in den nordrhein-westfälischen Landtag zu bringen.
({10})
Seit 1982 sank der Anteil der Arbeitnehmer am gesamten Nettovolkseinkommen um 9,1 auf 57,2 %. Das ist der niedrigste Anteil der Arbeitnehmer am gesamten Nettoeinkommen seit 1950. Solche Politikergebnisse müßten einen Arbeitsminister Partei für die Benachteiligten ergreifen lassen. Herr Blüm läßt aber solche Negativrekorde nicht auf seinem Themenkatalog erscheinen.
({11})
Korrekturen falscher Politik, Nachdenklichkeit über eigene Politikergebnisse, das Eingeständnis des Irrtums, etwas falsch gemacht zu haben, gehören nicht zu den Eigenschaften, die Ihnen heute angemessen erschienen.
Wenn wir es uns zum Ziel machen, ein Zusammenleben aller Deutschen, unter welchen Rechtskonstruktionen auch immer, unter einem Dach zu erreichen, dann müssen wir alles unternehmen, damit nicht ein Zimmer kärglich möbiliert, wenn nicht gar leer ist, und in dem anderen ein fürchterliches Gedränge herrscht.
Wir müssen uns fragen, wie lange wir von den Beitragszahlern unserer sozialen Systeme Zustimmung erwarten können, wenn immer mehr Personen Leistungen in Anspruch nehmen, die hierzu in diesem Teil Deutschlands keinen Beitrag geleistet haben.
({12})
- Hören Sie bitte zu: Wer diese Ansprüche in Zukunft unverändert gewähren will, der muß sie auch finanzieren
({13})
und der muß den Bund in die Pflicht nehmen und nicht die Beitragszahler, Herr Feilcke.
({14})
Das Haushaltsgesetz trifft keine ausreichende Vorsorge zur Bewältigung der alten und neuen Arbeitsmarktprobleme. Im Laufe dieses Jahres sind bisher rund 660 000 Aus- und Übersiedler zu uns gekommen, deren berufliche Integration zu einem großen Teil noch bevorsteht. Der Bundesarbeitsminister hat über die Aus- und Übersiedler am 28. September hier gesagt - ich zitiere - :
({15})
„Sie sind geradezu eine Mentalitätshilfe. Sie bringen die Mentalität, seine Lebensgeschicke selber in die Hand zu nehmen, mit. Das könnte auch ein Schub gegen die Gesinnung einer Hängemattengesellschaft werden. "
({16})
Das kann man nicht als Wahlkampfgetöse abtun - er sagte das kurz vor der Kommunalwahl in NRW - und damit vergessen. Wir lassen nicht zu, daß eine Gruppe gegen die andere ausgespielt wird, z. B. die Übersiedler gegen die Langzeitarbeitslosen. Es muß um die Gleichbehandlung gehen. Die Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Punkt zu Recht sehr empfindlich.
Ich kritisiere erneut: Die Bundesregierung beklagt einen Fachkräftemangel und baut gleichzeitig Qualifizierungsmaßnahmen ab.
({17})
Die Eintritte in Maßnahmen der Fortbildung, der Umschulung und Einarbeitung sind in den ersten zehn Monaten dieses Jahres gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um rund 71 000 oder 16 zurückgegangen. Wenn wir diese amtlichen Zahlen der Bundesanstalt nennen, dann tun Sie so, als sei unsere Kritik eine bösartige Erfindung. Ich mache erneut darauf aufmerksam, daß der Umfang der Qualifizierungsmaßnahmen massiv gesteigert werden muß.
({18})
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat auch darauf hingewiesen. Er sagt: Insgesamt ist von einem starken Weiterbildungsbedarf auszugehen, um eine dauerhafte Eingliederung der Aus- und Übersiedler in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. - Ich füge hinzu: Gleiche Anstrengungen sind erforderlich, um die Integration der Arbeitslosen voranzubringen. Deshalb fordern wir eine Verdoppelung der Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose.
({19})
Das Lohnkostenzuschußprogramm der Bundesregierung kann nicht einmal den Abbau der Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kompensieren. 25 000 ABM-Plätze sind schon weg. Nach der eigenen Schätzung der Regierung sollen 17 000 Förderungsfälle erreicht werden. Mit dem Konzept der SPD zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser würde in einem ersten Schritt die berufliche Integration von 100 000 Langzeitarbeitslosen erreicht.
Bevor uns die Regierung nun heute wieder mit Hurrazahlen angeblicher zusätzlicher Arbeitsplätze langweilt, weise ich noch einmal darauf hin, daß das Arbeitsvolumen, also die Summe aller geleisteten Arbeitsstunden, nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heute niedriger ist als zu Beginn der 80er Jahre. Verschonen Sie uns bitte mit
erfundenen Erfolgsmeldungen. Ihre Arbeitsergebnisse sind negativ, seit 1983!
({20})
Wer sich im Rahmen der Beratungen des Einzelplans 11 mit der Sozialpolitik dieses Bundesarbeitsministers kritisch beschäftigt, der wird kaum an jenem Gesetz vorbeigehen können, das zu einem Synonym für soziale Ungerechtigkeit geworden ist. Ich meine das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz. Wie kein anderes Vorhaben auf der langen Liste der sozialpolitischen Grobheiten dieser Koalition pervertiert das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz den Grundgedanken sozialstaatlicher Fürsorge für Benachteiligte und in ihren Lebensverhältnissen Beeinträchtigte in das Gegenteil. Die Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung im Krankheitsfalle zu sozial vertretbaren Kosten für die Beitragszahler wird mit diesem Gesetz umgebogen zu dem Versuch, die soziale Krankenversicherung zu einem Instrument der Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten zu mißbrauchen.
Die von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz durchgesetzte Teilabsicherung für die Pflegebedürftigen und die dazu angeführte Begründung offenbaren geradezu klassisch die Pervertierung einer solidarischen Sozialpolitik in ihr Gegenteil. Da werden durch drastische Erhöhung der Selbstbeteiligungen der Kranken und durch Leistungskürzungen Einsparungen erzwungen, und die Notwendigkeit dieser Einsparungen wird wie folgt begründet: Man braucht dieses Geld zur besseren Absicherung der Pflegebedürftigen.
({21})
Einer Gruppe von Benachteiligten wird Geld aus der Tasche gezogen, um damit einer anderen Gruppe von Benachteiligten zu helfen. Dies ist Sozialpolitik nach dem Motto: Die Benachteiligten finanzieren sich ihre Hilfen selbst. Mit Solidarität, meine Damen und Herren, hat das nichts zu tun. Dies ist das krasse Gegenteil.
({22})
Nachdem das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz nun seit fast einem Jahr in Kraft ist, besteht Anlaß zur Prüfung der Fragen, ob denn nun die versprochenen Kosteneinsparungen in der Krankenversicherung erreicht worden sind
({23})
und ob sich das zugrundeliegende finanzielle Konzept erfüllt hat. Der Bundesarbeitsminister verdient es, daran erinnert zu werden, was er den Bügerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit diesem Gesetz versprochen hat, nämlich Beitragssatzsenkungen.
({24})
Es ist notwendig, ihn daran zu erinnern, weil er so tut, als sei mit der derzeit erreichten Beitragssatzstabilisierung das Ziel seines Gesetzes erreicht.
({25})
- Nein, meine Damen und Herren, das ist nicht erreicht. Das Ziel wurde verfehlt. Beitragssatzsenkungen hat es bisher nicht gegeben,
({26})
allenfalls Beitragssatzstabilität.
Was die Zukunft angeht, so ist die Prognose aller Krankenkassenverbände eindeutig. Mehr als Beitragssatzstabilität - vielleicht auch geringfügige Beitragssatzsenkungen - ist nicht erreichbar.
({27})
Und so sehen denn auch die Beitragssatzkalkulationen der einzelnen Krankenkassen für das kommende Jahr 1990 aus. Von den 268 Ortskrankenkassen können rund 50 die Beitragssätze geringfügig senken, und das war es dann auch schon.
({28})
Die durchschnittliche Beitragssatzbelastung der Versicherten wird sich kaum verändern. Wenn man ganz großzügig rechnet, wird der durchschnittliche Beitragssatz 1990 von derzeit rund 12,8 % auf rund 12,6 % sinken.
({29})
- Wissen Sie, was das ausmacht, Sie Zwischenfrager. Für einen Durchschnittsverdiener mit 3 500 DM brutto sinkt der monatliche Krankenversicherungsbeitrag von 451,50 DM auf 441 DM.
({30})
Der Beitragszahler, meine Damen und Herren, spart also bei dieser gloriosen Reform 10,50 DM im Monat. Wenn dieser Arbeitnehmer von diesen gesparten 10,50 DM die Hälfte an seinen Arbeitgeber abgeliefert hat, bleiben ihm selbst ganze 5,25 DM, d. h. 63 DM im Jahr.
({31})
Diesem Arbeitnehmer, der jährlich 63 DM Krankenversicherungsbeitrag spart, muten Sie im Krankheitsfall bis zu 840 DM im Jahr an zusätzlichen Selbstbeteiligungen zu. So sieht Ihre Rechnung aus. 63 Mark spart der Arbeitnehmer und 840 DM zusätzlich muß er bei Krankheit ausgeben. Das ist Ihre soziale Gerechtigkeit. Da können Sie noch so viele Erfolgsmeldungen in noch so vielen Pressekonferenzen vortragen, die Bürgerinnen und Bürger haben begriffen, was dieses Gesetz für sie bedeutet: Abkassieren im Krankheitsfall. Die SPD-Fraktion, meine Damen und Herren, lehnt - nicht nur aus diesem Grunde - den Einzelplan 11 ab.
({32})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Dreßler hat sich würdig in die Reihe von Oskar Lafontaine eingereiht. Soziale Kälte gegen unsere Mitbürger, gegenüber unseren Landsleuten, die zu uns kommen,
({0})
das ist ein Verrat an den besten sozialdemokratischen Traditionen. Er hat mit dieser Rede nichts anderes mobilisiert als die primitiven Instinkte von Besitzbürgern, die mit den Ellbogen die Fleischtöpfe der Wohlstandsgesellschaft Bundesrepublik verteidigen. Dies ist Chauvinismus, klassischer Chauvinismus, diesmal sozialpolitischer Natur.
({1})
- Nein, ich stelle meinen Beitrag im Zusammenhang dar. - Ich fordere die Opposition auf, zu den besten Traditionen der Solidarität zurückzukommen, zu den besten Traditionen; denn zur nationalen Identität, wie ich sie verstehe, gehört auch, daß die Deutschen zusammenhalten. Unsere Landsleute, die zu uns gekommen sind, sind nicht aus Lust und Laune zu uns gekommen, sondern weil sie den Sozialismus satt hatten, weil sie unter dem Sozialismus gelitten haben; deshalb sind sie zu uns gekommen.
({2})
- Alle sollten zusammenhalten.
Und was diese billigen Gags anbelangt von wegen Fußballtrainer und Dressurreiter: ich stehe hier vor Ihnen nach einer Legislaturperiode mit zwei großen Reformen: Krankenversicherungsreform und Rentenreform. Keine einzige davon haben Sie in 13 Jahren Ihrer Regierung zustande gebracht, keine einzige!
({3})
Beide Reformen sind keineswegs erst die Notwendigkeit dieser Legislaturperiode. Sie waren lange Zeit erkennbar.
({4})
Was den Vorwurf des Abkassierungsmodells anbelangt: Das Abkassieren haben wir eingestellt, denn die Beiträge der Arbeitnehmer sind Jahr für Jahr gestiegen. Das war das klassische sozialdemokratische Abkassierungsmodell. Selbst Beitragsstabilität ist ein Fortschritt, aber wir werden auch zu Beitragssenkungen kommen.
({5})
Was die Lohnquote anbelangt, lieber Kollege Dreßler, dürfte es Ihnen doch nicht entgangen sein, daß, wenn man einen Teil des Produktivitätsfortschrittes in Arbeitszeitverkürzungen steckt, die Lohnquote dann sinkt.
({6})
Dann können Sie sich doch nicht anschließend beschweren.
({7})
Aber vielleicht ist es für die Arbeitnehmer viel interessanter, wie sich ihre realen Einkommen verändert haben. Wenn wir hier schon eine Debatte mit Statistiken führen, habe ich dies nachzutragen. Realer Verdienstrückgang 1981: minus 1,7 %; realer Verdienstrückgang 1982: minus 2,3 % unter einer SPD-geführten Regierung; realer Verdienstzuwachs 1986: plus 4,2 %; 1987: plus 1,8 %; 1988: plus 2,2 % unter der jetzigen Regierungskoalition.
({8})
Und jetzt frage ich Sie: Lohnquote hin, Lohnquote her - wovon hat der Arbeitnehmer mehr? Wenn sein realer Verdienst steigt, und das ist unter der Verantwortung dieser Regierung geschehen, dann ist das ein sozialer Fortschritt.
({9})
Und jetzt noch zu Ihnen, Frau Unruh. Wenn der Fall, den Sie so schildern - ich kenne ihn nicht - , so vorgekommen sein soll, wenn ein Arzt einen Gelähmten als nicht schwerstpflegebedürftig anerkennt, dann ist das ein Unrecht, das man beseitigen muß. Aber Sie sollten diesen einzelnen Fall nicht zur Erklärung des gesamten Sozialstaates benutzen, denn voraussichtlich an die 100 000 Mitbürger, die Angehörige pflegen, werden in diesem Jahr zum erstenmal Urlaub machen können, weil durch das Gesundheits-Reformgesetz eine Vertretungskraft gestellt wird.
({10})
Da sollten Sie nicht diesen einen Fall, den ich, wenn er so stimmt - halbe Wahrheiten sind so schlimm wie ganze Lügen - , genauso ablehne wie Sie, zugrunde legen.
({11})
Der Medizinische Dienst - ich will es noch einmal sagen - ist im übrigen nicht „mein" Medizinischer Dienst, es ist der der Selbstverwaltung. Aber es bleibt dabei: Wo jemand ungerecht behandelt wird, wird er immer unsere Hilfe finden. Auch der Einzelfall bedarf unserer Hilfe.
({12})
Nun, ich wollte diese Debatte eigentlich zum Rückblick benutzen. Sie ist ja auch ein Abschnitt unserer Sozialpolitik, der Anlaß zu Rück- und Ausblick gibt. Wir haben in diesem Jahr 40 Jahre Sozialstaat gefeiert - ein Sozialstaat, von dem ich gar nicht sage, daß wir
ihn allein geschaffen hätten. Da haben Millionen von fleißigen Arbeitnehmern mitgewirkt. Da haben die Parteien dieses Bundestages - auch die SPD - mitgewirkt. Aber wir können doch gemeinsam - bei allem Streit - stolz sein, daß wir uns einen solchen Sozialstaat, wie es kaum einen zweiten auf der Welt gibt, geschaffen haben.
({13})
Stellen wir doch unsere gemeinsamen Leistungen bei allem Streit nicht unter den Scheffel.
Ich frage mich nur, wie geht es mit dem Sozialstaat weiter. Eine solche Debatte sollte auch einmal zu einem Ausblick genutzt werden, und nicht nur zu diesem üblichen Schlagabtausch. Kann es einfach so weitergehen, daß Sozialleistungen nur ausgedehnt werden? Wollen wir mit unserem Sozialstaat diesen Weg beschreiten? Das Sozialbudget umfaßt jetzt rund ein Drittel des Sozialproduktes. Ich frage Sie: Können wir das noch weiter steigern? Die Ausgaben der Rentenversicherung sind inzwischen mehr als zwei Drittel so hoch wie die gesamten Ausgaben des Bundeshaushaltes. Wenn Sie die Ausgaben von Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung zusammenzählen, davon den Bundeszuschuß noch abziehen, dann ist das mehr als der ganze Bundeshaushalt. Salopp gesprochen, die Sozialversicherung könnte den Bundeshaushalt kaufen. Wollen Sie das alles weiter steigern?
Zwei Monatsausgaben der Rentenversicherung sind deutlich höher als die Gesamtausgaben von Bund und Ländern für die Hochschulen. Um weitere Disproportionalitäten darzustellen: Bund, Länder und Gemeinden geben für Kultur nicht viel mehr aus als die gesetzliche Krankenversicherung für Zahnersatz.
Herr Bundesminister, Sie gestatten keine Zwischenfrage?
Doch, bitte schön.
Herr Kollege Blüm, Sie haben ja Bedenken dagegen angemeldet, daß der Sozialetat weiter ausgedehnt werden könnte. Nun hat vorhin der Kollege Dreßler darauf hingewiesen, daß es im Hinblick auf das Zusammengehen der beiden deutschen Teilstaaten Probleme geben kann, die auch den Sozialbereich betreffen. Wie stehen Sie nun dazu? Muß im Hinblick darauf nicht zwangsläufig eine zusätzliche Belastung erfolgen, weil Deutsche gleich Deutsche sind? Oder wollen Sie uns darauf verweisen, daß eine Solidarität eingefordert wird, die nicht benamst wird?
Nein, Herr Kollege, ich glaube schon, daß der Sozialstaat seine Solidarität nicht so organisieren kann, daß er die Ausgaben einfach steigert, denn es gibt Grenzen der Belastbarkeit. Es muß umgebaut werden, aber es muß solidarisch umgebaut werden. Es kann nicht an der Grenze zwischen DDR-Landsleuten und Bundesbürgern umgebaut werden. Deutsche
sind Deutsche, egal, ob sie aus der DDR kommen oder nicht.
({0})
Aber ich plädiere sehr ausdrücklich - wenn das eine Einladung ist - dafür, daß wir uns der gemeinsamen Mühe unterziehen, nicht nur eine expansive Sozialpolitik zu betreiben, sondern eine Sozialpolitik des Umbaus. Das ist eine große, solidarische Anstrengung, denn wir haben in diesem Sozialstaat - ich komme im einzelnen noch darauf zurück - nicht nur Überversorgung, wir haben auch Unterversorgung. Wenn man Unterversorgung beseitigen will, dann muß man Überversorgung abbauen; das ist die Leitlinie unserer Sozialpolitik.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner?
Bitte, ja.
Herr Bundesminister, nun haben Sie wiederum die Solidarität beschworen, und Sie haben hinzugefügt, daß Deutsche gleich Deutsche sind. Darf ich Sie denn so verstehen, daß Sie daran denken, daß diejenigen, die hier aufgewachsen sind, hier gearbeitet haben, einen Teil ihrer Rente zugunsten derjenigen abgeben sollen, die zu uns kommen?
({0})
Ich glaube nicht, daß man diese Debatte noch mit der Angst versehen sollte, die Rentner müßten etwas abgeben.
({0})
Aber daß wir den Zuwachs unseres Sozialstaates sozial gerecht verteilen müssen, ist die Aufgabe des sozialen Fortschrittes, und das ist die Aufgabe der Solidarität.
({1})
Ich appelliere an uns gemeinsam, die Debatte über die deutsche Einheit jetzt nicht mit der Angst der Einheimischen und vor allen Dingen nicht mit den primitiven Neidkomplexen zu versehen, an die Sie hier offenbar anknüpfen wollen.
({2})
Ich wollte über den Ausbau unseres Sozialstaats sprechen. Ich frage mich: Können wir eine Sozialpolitik betreiben, indem wir einfach mehr ausgeben? Als Bismarck die Rentenversicherung schuf, waren 10 % der Bevölkerung Mitglied der Rentenversicherung, 90 O/0 waren draußen. Heute ist es umgekehrt: Heute sind 90 % drinnen, 10 % draußen. Viel mehr werden Sie das nicht steigern können; über 100 % der Bevölkerung werden Sie nicht in die Sozialversicherung aufnehmen können.
Aber gibt es nicht auch Grenzen der individuellen Belastbarkeit? Die Ausgaben der Arbeitnehmer für ihre Beiträge sind seit 1970 auf das Dreifache gestiegen. Mit anderen Worten: Sie zahlen dreimal mehr Beiträge als 1970.
Sie können doch nicht einfach sagen: Sozialpolitik heißt, immer mehr Geld ausgeben. Es könnte doch sein, wenn wir so weitermachen, daß wir nicht Verteilungsgerechtigkeit schaffen, sondern das Opfer von Umverteilungsillusionen sind, wo plötzlich die Geber die Nehmer sind und die Absender und die Empfänger völlig identisch sind. Das wäre dann keine Verteilungsgerechtigkeit, das wäre eine Umverteilungsillusion; das wäre ein Karussell zwischen der rechten und der linken Hosentasche. Was ist daran gerecht?
({3})
- Herr Schreiner, ich übersetze Ihnen das. Das Karussell besteht darin, daß wir eine Umverteilung suggerieren, als würde irgend jemandem etwas gegeben. Das bezahlen die Empfänger alles selber, und deshalb, sage ich, ist es besser: Laßt ihnen ihr Geld; die wissen mit ihrem Geld besser umzugehen als alle Finanzämter zusammen. Das ist unsere Philosophie.
({4})
Laßt uns deshalb die Grenzen neu bestimmen zwischen Eigenverantwortung und Solidarität!
({5}) - Auch darauf komme ich noch zurück.
Die Solidarität kann nicht alles überwuchern, wir brauchen Räume der Eigenverantwortung, einerseits wegen der Selbständigkeit der Menschen, zweitens auch wegen der Finanzierung.
Ich sage Ihnen zu der Kranken- und Rentenversicherung, zu den beiden großen Reformen: Akut bestand keine Einsturzgefahr. Wir hätten das so weiterschieben können wie unsere Vorgänger, auch noch in die nächste Legislaturperiode. Wir haben aus Verantwortung gehandelt; in der Rentenversicherung - das erkenne ich auch in dieser Stunde ausdrücklich an - mit der SPD zusammen, in der Krankenversicherung gegen Sie. Ich halte beide Reformen für eine große Leistung.
({6})
Was haben wir denn gemacht? Wir haben das System stabilisiert. Ich gebe zu, daß Stabilisierung weniger Faszination hat als Neuentwürfe. Auf dem Reißbrett ganz neue Systeme entwickeln, das hat immer die Faszination des Kreativen. Praktische, menschennahe Politik kann nur Evolution betreiben, kann nur weiterentwickeln. Indem wir stabilisiert haben, haben wir überhaupt erst Spielräume geschaffen, die es möglich machen, auf gesichertem Boden unser Sozialsystem weiterzuentwickeln.
Die Rente bleibt lohnbezogen. Sie bleibt an Arbeit gebunden. Aber ist es nicht eine Weiterentwicklung, wenn wir den Arbeitsbegriff ausgedehnt haben, wenn wir Erziehungsarbeit mit der Erwerbsarbeit gleichstellen? Es bleibt jedoch beim Grundgedanken: Rente für Leistung, Rente als Alterslohn für eine Lebensleistung.
Ist es nicht ein Erfolg, liebe Frau Unruh:
({7})
1957 betrugen die Renten höchstens 40 % des Erwerbseinkommens, inzwischen, nach einem erfüllten Erwerbsleben, sind es 70 %.
Sehr verehrte Frau Unruh, wenn Sie mir einen Augenblick Aufmerksamkeit schenken: Ich behaupte, Armut ist nicht mehr das allgemeine Schicksal aller Menschen. Es gibt auch Armut bei uns; sie muß bekämpft werden. Aber nur 200 000 von 12,5 Millionen Rentnern beziehen Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt. Das sind 200 000, denen geholfen werden muß. Aber Sie können doch nicht sagen, die Massen seien arm. Das sind genau 1,6 %. Unsere Rentenversicherung hat sich als erfolgreicher Träger im Kampf gegen Altersarmut erwiesen.
({8})
Wissen Sie, was fast unverantwortlich ist? Wie Sie vorhin dargestellt haben, wie die Frau zu Weihnachten zum Sozialamt gegangen ist und Sozialhilfe beantragt hat. Sie drehen mit dieser Bemerkung - ich hoffe, ungewollt - das Rad der Geschichte zurück. Sie stellen nämlich Sozialhilfe als Bettelei dar.
({9})
Es war doch gerade die Errungenschaft der Sozialhilfegesetzgebung, daß das ein Rechtsanspruch ist. Wenn Sie den Leuten einreden, das sei Bettelei, gehen sie alle in gebückter Haltung zum Sozialamt.
({10})
Wer zum Sozialamt geht, der bettelt nicht, sondern der verwirklicht einen Rechtsanspruch.
({11})
Deshalb hoffe ich, daß Sie das nicht gewollt haben.
({12})
Aber Ihre Rede halte ich für gefährlich, weil Sie ältere Leute in einen Zustand von Bettelei bringen, die einen Rechtsanspruch haben.
({13})
- Bitte schön, Frau Unruh.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß, falls diese Menschen 420 DM beim Sozialamt beantragen, ihre Kinder angeschrieben werden und Lohn- und Gehaltsbescheinigungen beibringen müssen - bei 420 DM?!
Liebe Frau Unruh, angenommen, diejenige
Frau, die 420 DM Sozialhilfe beantragt, hat ein Kind, das Millionär ist: Warum soll dieses Kind seiner Mutter nicht die 420 DM bezahlen?
({0})
In der Tat bin ich der Meinung, daß die Kinder auch Verantwortung für ihre Eltern haben.
({1})
Ich wünsche mir keine Gesellschaft, in der die Kinder ihre Eltern im Stich lassen. Eine solche Gesellschaft können Sie wollen, ich nicht.
({2})
Herr Minister, einen Augenblick bitte.
Frau Unruh, es geht wirklich zu weit, was Sie machen. Ich werde Sie zur Ordnung rufen. Ich sage Ihnen das jetzt sehr nachdrücklich. Sie stören wirklich das ganze Haus.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Hoss, Herr Minister?
Bitte.
Eine Zwischenfrage zu Ihrer letzten Antwort: Können Sie mir sagen - Sie sind ja sehr gut informiert -, wie viele Millionäre wir in der Bundesrepublik haben, deren Angehörige Sozialhilfeempfänger sind?
Nein. Ich habe ein extremes Beispiel geschildert. Auch der Nichtmillionär, auch der gut verdienende Sohn, die gut verdienende Tochter sollte die Mutter nicht einfach dem Staat übergeben. Der Meinung bin ich allerdings.
({0})
Die Höhe der Rente sagt im übrigen nichts über den Lebensstandard aus.
Ich will noch sagen - ich hoffe, das ist auch gemeinsame Auffassung - : Ich bin sehr dafür, daß Rente und Sozialhilfe besser zusammenarbeiten. Selbstverständlich dürfen die älteren Leute nicht sozusagen von einem Schalter zum anderen geschickt werden. Solche Fragen müssen, finde ich, von der Rentenversicherung mit mehr Kreativität behandelt werden.
({1})
Aber ich bin sehr dafür, daß die Armut aus Steuermitteln bekämpft wird. Die Beiträge der Arbeitnehmer sind nicht dazu da, die allgemeine Armut zu bekämpfen. Wenn Sie die allgemeine Armut über die Rente
bekämpfen wollen, dann bezahlen es die Arbeitnehmer. Wieso eigentlich nicht alle Staatsbürger?
({2})
Die Höhe der Renten sagt nichts über den Lebensstandard der Rentner aus.
({3})
Eine jüngere repräsentative Erhebung von Infratest - Sozialforschung zur sozialen Lage älterer Menschen - belegt dies. Danach treffen in der Regel kleine Versichertenrenten mit hohem Haushaltsgesamteinkommen zusammen. Bei Männern beträgt in Fällen einer Versichertenrente von unter 500 DM das Nettohaushaltseinkommen im Durchschnitt fast 2 100 DM monatlich! Bei Frauen mit einer Versichertenrente von unter 500 DM liegt das durchschnittliche Nettohaushaltseinkommen immer noch bei 1 800 DM monatlich.
({4})
Witwen mit einer Witwenrente unter 600 DM haben ein durchschnittliches Nettogesamteinkommen von 1 200 DM im Monat.
Ich will ausdrücklich noch einmal sagen: Ich bestreite nicht, daß es Armut gibt. Nur, aus einer kleinen Rente zu schließen, die Leute seien arm, ist nicht zutreffend.
Ich bleibe dabei: Wer arm ist, dem muß geholfen werden. Aber die Rentenversicherung ist nicht der Lastesel für alle sozialen Probleme.
({5})
Ich glaube, daß wir das Thema Alter auch nicht nur von der Rente her angehen dürfen. Die neue Altersarmut, die ich sehe, ist gar nicht in Mark und Pfennig festzumachen. Die besteht in Einsamkeit. Dafür brauchen wir eine neue familiäre Kultur.
Im übrigen: Alter ist ein dritter Lebensabschnitt mit eigener Würde, mit eigenem Anspruch. Was wir traditionell so alles unter „Ruhestand" zusammenfassen, ist keineswegs so einheitlich, wie uns die Reichsversicherungsordnung suggeriert. Die chronologischen Lebensdaten von 80jährigen mögen übereinstimmen. Aber ein 80jähriger hilfsbedürftig im Pflegeheim ist etwas ganz anderes als ein 80jähriger, der noch mitwirken will und noch mitwirken kann. Wir dürfen nicht alle älteren Menschen zu Pflegefällen erklären.
({6})
Ich glaube, Frau Unruh - und da sollten wir uns gemeinsam anstrengen -,
({7})
daß das Thema Alter von unserer Politik noch nicht so aufgenommen wurde, wie es, auch dank gewachsener Lebenserwartung, aufgenommen werden muß. Ich sehe die Antwort nicht nur in der Rentenversicherung, nicht nur materiell, sondern beispielsweise auch
darin, Bildung auf das Leben zu verteilen und sie nicht nur in das erste Drittel zu drängen. Wir brauchen sanfte Übergänge von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand. Deshalb Teilrenten in der Rentenversicherung. Deshalb Altersteilzeit in der Arbeitsförderung. Alles Angebote, die helfen sollen, aus den alten Erstarrungen herauszutreten.
Auch ich glaube, daß uns, wenn wir heute Bilanz machen, das Thema Pflege auf Aufgaben hinweist, die wir noch zu lösen haben.
({8})
Unser Sozialstaat hat für vieles gesorgt, fast für alle Lebenslagen; an manchen Stellen sind wir sogar überversorgt. Ich glaube aber, daß er das Thema Pflege stiefmütterlich behandelt hat und das die große Herausforderung der Zukunft ist.
Aber wer da etwas tun will, wer glaubt, daß hier ein Bedarf ist, der muß auch bereit sein zu sagen, wo an anderer Stelle gespart werden kann. Der Nachschub fällt jedenfalls nicht vom Himmel. Den müssen wir durch Umbau unseres Sozialstaates schaffen.
Dazu haben wir in der Krankenversicherung ohne viele Worte einen Beitrag geleistet. Was nutzen denn die ganzen langen ordnungspolitischen Diskussionen? Wir haben gehandelt. Ich glaube im übrigen, daß man in der Praxis des Lebens zwischen Langzeitkranken und Pflegebedürftigen nicht so trennscharf scheiden kann, wie uns das die Paragraphen suggerieren. Das war ein Grund, bei der Krankenversicherung damit zu beginnen, einen Beitrag von immerhin 5 Milliarden DM zu leisten - wo gab es das bisher? - , um die Pflege auszubauen.
({9})
Auch hier, meine Damen und Herren: Fixieren wir die Sozialpolitik nicht auf das Geld! Das schönste und größte Geld bringt nichts, wenn keine Infrastrukturen vorhanden sind. Es müssen Infrastrukturen geschaffen werden. Vielleicht könnte die Krankenversicherung der Kristallisationskern für die Schaffung einer Infrastruktur sein, an der sich die Wohlfahrtsverbände beteiligen, an der sich die Kirchen beteiligen, an der sich die Sozialpartner beteiligen. Wir brauchen eine neue Nachbarschaftskultur, auch der Selbsthilfe. Es muß nicht alles vom Staat organisiert werden.
({10})
Mit diesen 5 Milliarden DM haben wir einen ersten wichtigen Schritt abseits aller Theorien geleistet.
Zur Krankenversicherungsreform: Lieber Herr Dreßler, Sie werden es noch so oft vortragen können. Die Versicherten selber, die Patienten selber werden unterscheiden, was auf den Flugblättern der SPD stand und was nach fast einem Jahr Krankenversicherungsreform jetzt die Wirklichkeit ist. „Ab 1. Januar 1989 dürfen Sie nicht mehr krank werden" ; ich erinnere Sie noch an dieses schamlose Plakat der SPD, und es bleibt nicht aus der Erinnerung. Ich frage jetzt alle Mitbürger: Können Sie jetzt nach dem 1. Januar noch zum Arzt gehen? Sie können zum Arzt gehen wie bisher, sie können ins Krankenhaus gehen wie bisher,
viele Arzneimittel sind billiger geworden, die Zuzahlung bei Medikamenten mit Festbetrag ist sogar weggefallen. Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, von Schwachen wird genommen, um anderen Schwachen zu geben: Ich wußte nicht, daß Sie die PharmaIndustrie zu Schwachen erklären. Die Arzneimittelpreise sind um 30 % bis 50 % gesunken. Das bezahlt doch die Pharma-Industrie, oder nicht?
({11})
Sie haben gesagt, nur 50 AOKs haben die Beiträge gesenkt. Das sind 50 mehr als zu Ihrer Zeit. Bisher gab es nur steigende Beiträge, 4 Milliarden, 5 Milliarden DM Jahr für Jahr aus den Taschen der Versicherten. Unsere Krankenversicherungsreform ist schneller erfolgreich, als ich sie selber, der ich geborener Optimist bin, eingeschätzt habe.
({12})
Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage? Haack ({0}) ({1}): Herr Minister Blüm, Ihre vormalige Aussage „Der kleine Norbert Blüm hat die pharmazeutische Industrie auf Trab gebracht" veranlaßt mich zu einer Frage zu den Festbeträgen: Ist Ihnen das Dokument des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen bekannt, wonach die Senkung der Arzneimittelpreise auf Grund des Festpreisprinzips, welches Sie hier vorgestellt haben, durch massive Preiserhöhungen auf den Sektoren, wo das Festpreisprinzip nicht eingeführt bzw. vorgesehen ist, kompensiert wird?
({2})
Entschuldigung. Dann haben Sie ein anderes Institut als ich. Es hat zwar Preiserhöhungen gegeben. Aber wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, überwiegen die Einsparungen bei weitem.
({0})
Im übrigen wird es nur noch besser, wenn die Zahl der Medikamente mit Festbeträgen weiter steigt. Ich habe noch ein paarmal Gelegenheit, hier zur Krankenversicherung zu sprechen. Die Festbeträge haben erst den ersten Schritt hinter sich. Wir sind noch darauf angewiesen, daß die Selbstverwaltung weitere Schritte unternimmt. Dann werde ich wieder vor Sie treten, und dann werde ich wieder die Erfolge der Krankenversicherung Ihren Plakaten als Kontrast vorhalten.
({1})
Ich bin ganz sicher: Die Polemik scheitert an der Wahrheit.
Lassen Sie mich noch zu Aufgaben der Zukunft ein paar Bemerkungen machen. Eine große sozialpolitische Herausforderung wird Europa für uns sein. Ich glaube nicht, daß wir im Sinne eines einheitlichen Systems der Sozialversicherungen die Sozialpolitik in
Europa harmonisieren können. Die Rentenversicherung wird nicht mit anderen Systemen zu harmonisieren sein. Aber dort, wo es möglich ist, sollten wir einheitliche Standards schaffen. Deshalb waren wir - übrigens als einziges Land - im europäischen Ministerrat in der Lage, gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern neun Punkte vorzulegen, die wir als konkrete Mindeststandards in Europa einfordern. Denn die europäische Sozialcharta, so schön und so feierlich sie ist, ist erst etwas wert, wenn sie konkretisiert ist, wenn sie in einklagbaren Rechten mündet. Deshalb halte ich die konkreten neun Punkte für wichtiger als eine ganze Sammlung rhetorischer Erklärungen und Proklamationen. Mit den neun Punkten sind wir keineswegs am Ende unserer Forderungen und Wünsche. Ich glaube, daß wir aus unserer sozialen Kultur in die europäische Integration auch die Frage von Mitwirkung, Information und Mitbestimmung einbringen müssen. Je europäischer die Unternehmen werden, um so europäischer müssen auch die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer sein.
Ich sehe eine weitere große Aufgabe darin, in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam darüber nachzudenken, was von unserem Sozialsystem direkt von der Arbeit, durch Beiträge, bezahlt werden muß und was durch Steuern finanziert werden muß. Darüber nachzudenken lohnt sich in der Tat, um Arbeitnehmer nicht zu überlasten. Ich sehe diese Frage zu Recht an die Bundesanstalt für Arbeit gerichtet. Da will ich - warum nicht auch selbstkritisch sein - selbstkritisch fragen, ob alles, was wir dort hingegeben haben, wirklich mit Beiträgen finanziert werden muß und ob wir nicht auch hier eine neue Grenzscheide brauchen.
({2})
Was die Arbeitsmarktpolitik anbelangt: Die Ausgaben für berufliche Bildung, Fortbildung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben wir von 7 Milliarden DM zu Ihrer Zeit auf 15 Milliarden DM heute erhöht. Das ist mehr als eine Verdoppelung.
Ich glaube, die Sozialpolitik wird nie zum Stillstand kommen. Sie ist eine evolutionäre Einrichtung. Nur Revolutionäre haben behauptet, sie könnten mit einem Schlag alles lösen. Große Aufgaben gibt es auch in Zukunft: Organisationsreform in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir wollen das Prinzip eines gegliederten Krankenkassensystems beibehalten, eine Gliederung, die Wettbewerb ermöglicht. Aber Wettbewerb ist nur auf dem Boden von Chancengleichheit möglich.
Ich sehe eine große Aufgabe, soziale Sicherheit nicht nur in den Dimensionen der kollektiven Institutionen, sondern auch durch Eigentum in Arbeitnehmerhand und durch breite Eigentumsstreuungen auszubauen. Das war einmal eine große Fanfare. Ich denke, da das sozialistische Kollektiveigentum weder Wohlstand noch Freiheit geschaffen hat, daß die Veränderungen in der Welt zu einem neuen Aufbruch für privates Eigentum genutzt werden sollten.
({3})
Ich sehe große Aufgaben in der Familienpolitik. Wir werden alle Kunst aufgebracht haben, wenn wir
die großen kollektiven Systeme stabilisiert haben. Das wird bereits eine große Leistung sein. Dazu haben wir mit zwei Reformen in dieser Legislaturperiode mehr geleistet als in allen vorherigen Legislaturperioden. Nennen Sie mir eine Legislaturperiode, die zwei sozialpolitische Reformen von diesem Kaliber hinter sich gebracht hätte! Insofern war und ist dies keine fruchtlose sozialpolitische Legislaturperiode. An dem Erfolg der Rentenversicherungsreform nimmt die SPD ja ausdrücklich teil; das will ich gar nicht bestreiten. Wir haben zur Weiterentwicklung unseres Sozialstaates viel geleistet.
Ich bedanke mich bei allen, die dabei mitgewirkt haben, nicht nur im Bundestag, sondern auch bei den Sozialpartnern und den Sozialverbänden. Wir wollen die Arbeit an der Weiterentwicklung unseres Sozialstaates fortsetzen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bemerkungen des Kollegen Dreßler zu Aus- und Übersiedlern veranlassen mich, einige, wie ich meine, notwendige Feststellungen und Richtigstellungen vorzunehmen.
({0})
Die Übersiedler und die Aussiedler sind Landsleute. Sie werden ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt leisten, und zwar durch Arbeit. Diese Arbeit wird Beiträge in erheblichem Umfang in die Sozialversicherungssysteme bringen.
({1})
Ich möchte uns eindringlich warnen, eine politische Auseinandersetzung unter dem Motto zu führen: Aus- und Übersiedler gefährden unsere sozialen Sicherungssysteme.
({2})
Wenn ich Rudolf Dreßler nicht so gut kennen und schätzen würde, dann wäre ich soeben in Versuchung gewesen, zu rufen: Schönhuber winkt!
Verehrter Herr Kollege Penner, lassen Sie sich von Ihren Kollegen Sozialpolitikern erklären, daß das Umlagesystem in der Rentenversicherung insbesondere dann, wenn Aussiedler - nicht Übersiedler - , das demographische System verbessern, ein Gewinn und kein Verlust ist.
({3})
- Mit den zwei Minuten, Herr Präsident, muß ich leider auskommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können und wir werden mit den Problemen fertig werden: die Solidargemeinschaft der Steuerzahler und die Solidargemeinschaft der Beitragszahler.
({4})
- Ich nenne beides.
Allerdings werden wir mit den Problemen nicht fertig, wenn wir polemisch Besorgnisse erwecken, wenn wir polemisch Ängste wecken, und auch nicht, wenn wir uns kleinkariert auseinanderdividieren lassen. In dieser Situation müssen wir an einem Strang in die gleiche Richtung ziehen. Die Sozialpolitiker haben bewiesen, daß sie an einem Strang ziehen können. Sie sollten dies tun. Ich bitte diesen Teil des Beitrags von Rudolf Dreßler, weil man ihn nicht aus dem Protokoll streichen kann, möglichst schnell zu vergessen.
({5})
({6})
Zur Abgabe einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Scharrenbroich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hiermit weise ich die Aussage des SPD-Abgeordneten Andres zurück, der laut Plenarprotokoll vom 16. November 1989, Seite 13472,
({0})
- am 16. November 1989, Seite 13472 - in unzutreffender Weise erklärt hat:
Herr Scharrenbroich hat hier wider besseren Wissens erklärt, wir
- er meinte die SPD -
hätten entscheidende Bestimmungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes und deren Verlängerung abgelehnt.
Ich stelle fest:
Erstens. Dieser Vorwurf gegen mich ist nachweislich falsch, weil die SPD-Fraktion am Vortag, also am 15. November 1989, geschlossen in der zweiten und dritten Lesung das Gesetz zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften abgelehnt hatte. Außerdem hat entgegen der Behauptung der Abgeordneten Frau Steinhauer - Protokoll Seite 13467 - und der Erklärung des Abgeordneten Herrn Andres kein einziges Mitglied der SPD-Fraktion eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben.
Zweitens. Hätten sich die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen ebenso verhalten wie die SPD, dann würden für die Arbeitnehmer wichtige Qualifizierungshilfen nach dem Arbeitsförderungsgesetz nicht verlängert. Ich nenne nur:
a) Arbeitslose unter 25 Jahren könnten nicht mehr in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach § 40 a Abs. 1 a AFG gefördert werden.
({1})
b) Es entfiele die Förderung der Teilnahme von Arbeitslosen unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses gemäß § 40b AFG.
c) Die Teilnahme Jugendlicher unter 25 Jahren an beruflichen Bildungsmaßnahmen in Teilzeitunterricht
könnte nicht mehr durch Teilunterhaltsgeld gemäß § 44 Abs. 2 b AFG gefördert werden.
({2})
d) Nach der Betreuung und Erziehung eines Kindes wäre nach § 44 Abs. 2 b die Förderung - ({3})
Herr Abgeordneter Scharrenbroich, Sie können hier nicht eine neue Debatte beginnen.
Nein, Herr Präsident, ich hatte der Frau Präsidentin eben gesagt, außerhalb der Tagesordnung möchte ich eine Erklärung abgeben. Ich war etwas überrascht, daß Sie mich gerade nach § 32 der Geschäftsordnung aufgerufen haben. Aber Sie haben mich aufgerufen, und ich habe damit begonnen, diese Erklärung abzugeben.
Ja, aber nach § 32 können Sie nur - Scharrenbroich ({0}): Das hatte ich der Frau Präsidentin, die eben vor Ihnen präsidiert hat, gesagt, und ich war deshalb überrascht, daß Sie mich jetzt aufgerufen haben. Aber ich bin auch gleich fertig. Sie können es ja im Protokoll nachlesen.
Der Aufruf nach § 32 entspricht also nicht dem, was Sie sagen wollten?
Nein, es war außerhalb der Tagesordnung.
({0})
Der letzte Punkt, der auch entfallen wäre, lautet:
d) Nach der Betreuung und Erziehung eines Kindes wäre nach § 44 Abs. 2 AFG die Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen nicht mehr möglich, wenn ein Erziehender - das sind meistens Frauen - wegen Kindererziehung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war.
Drittens. Auch wenn die SPD im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einigen Ziffern des Gesetzes zugestimmt hat, bleibt also meine Feststellung berechtigt, die ich weiterhin guten Gewissens wiederholen werde, daß die SPD durch die Ablehnung des Gesetzes in zweiter und dritter Lesung oder, wie ich am 16. November laut Protokoll im Bundestag ausführte, „daß die SPD im Rahmen des Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Maßnahmen wichtige Qualifizierungsbausteine abgelehnt hat".
({1})
Eine weitere Erklärung nach § 32 außerhalb der Tagesordnung? - Bitte schön.
Gemäß § 32, meine sehr verehrten Damen und Herren, erkläre ich, da ich der betroffene Abgeordnete bin, auf dessen Beitrag sich der Herr Scharrenbroich bezieht, daß die SPD den entsprechenden Positionen, die hier vorgetragen worden sind, in der Ausschußberatung zugestimmt hat,
({0})
dem Gesetz aber wegen seiner verheerenden sozialpolitischen Auswirkungen
({1})
in zweiter und dritter Lesung die Zustimmung versagt hat und dieses Gesetz auch öffentlich bekämpfen wird.
({2})
Als zweites erkläre ich, daß Herr Scharrenbroich in der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt hat - und auch entsprechende Erklärungen abgegeben hat - , dieses Beschäftigungsförderungsgesetz könne nicht die Zustimmung der CDA und des Arbeitnehmerflügels finden, und daß Herr Scharrenbroich entgegen diesen öffentlichen Erklärungen hier in den Beratungen in zweiter und dritter Lesung diesem Gesetz sehr wohl zugestimmt hat.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist alles erklärt worden.
({0})
Ich sehe, alle Seiten sind zufrieden.
({1})
Wir können dann zur Abstimmung über den Einzelplan 11 kommen, und zwar zunächst zur Abstimmung über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl auf den Drucksachen 11/5861 bis 11/5865.
Ich frage den Herrn Abgeordneten, ob wir das alles pauschal erledigen können. ({2})
- Der Abgeordnete erhebt keinen Widerspruch.
({3})
Wer gegen die Anträge von Herrn Wüppesahl stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen.
({4})
- Enthaltungen? - Nein-Stimmen? - Ich habe über den ganzen Block abstimmen lassen.
({5})
Ich muß sagen, daß Herr Abgeordneter Wüppesahl in dieser Frage sehr entgegenkommend ist.
({6})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderungsanträge der SPD, zunächst über den Änderungsantrag auf Drucksache
Vizepräsident Stücklen
11/5882 unter Nr. VIII. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei 2 Enthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5883. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es gibt jetzt keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag ebenfalls mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5884 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Wer für den Einzelplan 11 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um Zustimmung. - Gegenprobe! ({7})
Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen. Der Einzelplan 11 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
- Drucksachen 11/5565, 11/5581 Berichterstatter: Abgeordnete Kalb Frau Conrad
Frau Rust
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/5800 bis 11/5805, 11/5833, 11/5882 Nr. XII und 11/5888 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratungen einschließlich Begründung 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Conrad.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bietet aus sozialdemokratischer Sicht nicht nur Erfreuliches, obwohl es einige Ansätze darin gibt, die wir gemeinsam beschlossen haben und die wir auch mittragen, insbesondere die Leistungen für die Integration von Aus- und Übersiedlern.
Aber ich komme zum Familienlastenausgleich: Das, was die Bundesregierung für Familien, für Kindererziehung, für Kindergeld ausgibt, hat seit Ihrem Regierungsantritt mit den Steigerungen des Gesamthaushaltes nie Schritt gehalten. Ich habe Ihnen das letztes Jahr schon einmal vorgerechnet, und auch
meine Überprüfungen in diesem Jahr haben ergeben, daß der Anteil des Familienlastenausgleichs am Bundeshaushalt im letzten Jahr vor der „Wende" 1982 noch 12,5 % betrug. Im Jahre 1990 werden Sie lediglich einen Anteil von 11,8 % haben. Und wenn ich über all die Jahre Ihrer Regierungszeit zusammenrechne, was Sie bei den Familien gegenüber sozialliberalen Zeiten eingespart haben, dann komme ich auf eine Summe von 52 Milliarden DM.
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Ich gebe zu: Sie haben zwar einige Leistungen in sich ausgeweitet, aber der Anteil des Familienlastenausgleichs am Bundeshaushalt ist bis heute insgesamt nicht gestiegen. Sie sind gerade dabei, sich an das Niveau von 1982 heranzuarbeiten.
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Unüberbrückbare Unterschiede zwischen Ihnen und uns scheint es leider bei den Leistungen für Kinder zu geben. Jedesmal, wenn Sie an der Regierung waren, wurden die Leistungen für Kinder immer zugunsten der Besserverdienenden verändert.
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Es kann doch nicht richtig sein, daß Familien mit höherem Einkommen für ihr Kind bei der Steuer zweieinhalbmal so viel entlastet werden wie einkommensschwache Familien.
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Es kann auch nicht ausreichen, daß das Kindergeld für das erste Kind seit 1975, also seit 15 Jahren, gerade 50 DM beträgt. Diese 50 DM reichen - das weiß auch ich auf Grund jüngster Erfahrung - noch nicht einmal für die Pampers in einem Monat. Unsere Alternative heißt: 200 DM Kindergeld für jedes Kind.
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Kinder brauchen ihre Eltern, Kinder brauchen aber auch außerfamiliäre Betreuung. Es ist gut, daß Kinder in einem größeren Bezugsfeld erzogen werden. Und die Mütter brauchen außerfamiliäre Betreuung, um Familie und Beruf vereinbaren zu können.
Ich bedaure es, daß die Finanzminister der Länder eine ablehnende Haltung gegenüber dem Kinder- und Jugendhilfegesetz signalisiert haben. Der Grund aber ist nachvollziehbar. Es war unseriös von Ihnen, vorzurechnen, die Mehrbelastungen würden nur 480 Millionen DM ausmachen. Herr Pfeifer - er ist jetzt gerade nicht da -, Ihr Parlamentarischer Staatssekretär, hat gemeint, hier vor allen Dingen sozialdemokratische Länder angreifen zu müssen.
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Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Die größten Proteste kamen schon bis zur Vorlage des Regierungsentwurfs aus Niedersachsen. Das ist ja auch logisch. Denn es sind die Länder Niedersachsen und Bayern, die den größten Nachholbedarf bei Kinderbetreuungseinrichtungen haben.
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Auch ich bedaure diesen Konflikt, weil es mir um Kinderbetreuung, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Ich habe aber Verständnis für die Haltung
der Länder und Gemeinden, die doch zunehmend, Gesetz für Gesetz, Leistungen dort übernehmen müssen, wo sich der Bund aus der Verantwortung zurückzieht. Ich nenne hier die Kosten für Langzeitarbeitslosigkeit, die Lasten für Aus- und Übersiedler und die Steuerreform, deren dritte Stufe die Länder und Gemeinden mit 11 Milliarden DM mitfinanzieren. Es ist doch Ihre Politik in der Vergangenheit gewesen, die die Städte in enorme Finanznöte getrieben hat.
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Seitdem Sie regieren, haben sich die gesamten Sozialhilfelasten auf über 30 Milliarden DM in diesem Jahr verdoppelt. Das ist die Realität in unserer Bundesrepublik.
Wenn Sie es wirklich ernst gemeint hätten mit der Verbesserung der familienergänzenden Betreuung von Kindern, dann hätten Sie früher und rechtzeitig gemeinsam mit den Ländern nach Finanzierungsmöglichkeiten für dieses Gesetz gesucht. Die Bundesregierung kann sich hier nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.
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Sie helfen den Ländern noch nicht einmal bei der Betreuung der Kinder von Aus- und Übersiedlern. Sie könnten dafür sofort 250 Millionen DM einsparen, wenn Sie auf das unsägliche Dienstmädchenprivileg verzichten würden.
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Sie wissen, daß die meisten Familien nicht das entsprechende Einkommen haben, um sich eine Haushaltshilfe, die sozialversichert beschäftigt ist, leisten zu können. Aber Sie leisten sich den Luxus, Bestverdienende mit 500 DM im Monat über die Steuer zu bezuschussen.
Ich sage Ihnen einmal, was die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen dazu gesagt hat: „Die in Aussicht genommene Begünstigung ist vielmehr sozialpolitisch unausgewogen, verfassungsrechtlich und steuersystematisch bedenklich, familien- und frauenpolitisch fragwürdig." - Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
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Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört, daß Frauen nach einer Phase, in der sie sich ganz der Kindererziehung widmen, Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den Beruf haben. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Programm aufgelegt. Sie haben es mit lediglich 5 Millionen DM ausgestattet. Im gleichen Jahr haben Sie 50 Millionen bei den Einarbeitungszuschüssen nach dem AFG, die ja auch den Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf zugute kommen sollen, gestrichen. Das Programm verkommt angesichts einer solchen Politik zu einer Alibiveranstaltung.
Zusätzliche Mittel für die finanzielle Verstärkung des Wiedereingliederungsprogramms, die wir beantragt haben, stehen bei Ihnen nicht zur Verfügung. Dagegen war es Ihnen mühelos möglich, in diesem Jahr 15 Millionen DM und im nächsten Jahr 19 Millionen DM für das einzusetzen, was sich hinter dem vielsagenden Titel „Zukunft der Familie " verbirgt. Es ist kein Förderprogramm für Familien, sondern ein Subventionsprogramm für die Werbeindustrie.
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Mit Millionenbeträgen kleistern Sie Plakatwände in der gesamten Bundesrepublik zu. Ich habe mich heute morgen beim Aufstehen schon wieder geärgert, weil auch neben meiner Wohnung in Bonn eine 3 mal 4 m große Plakatwand steht, die damit vollgekleistert ist. Es mag ja sein, daß Sie ihre Familienpolitik so verkaufen müssen, als würden Sie für Frühstücks-Rama werben, es kann aber kein Zufall sein, daß Sie ein Jahr vor der Bundestagswahl damit beginnen. Der Bundeshaushalt ist - auch zwei Jahre vor der Wahl - nicht dazu da, Werbekampagnen für die Bundesregierung zu finanzieren. Bestreiten Sie das gefälligst aus der Kasse Ihrer Parteizentrale im Konrad-AdenauerHaus.
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Bei diesen, aber auch bei den vorhin genannten Maßnahmen merkt man nicht, daß es in Ihrem Haus einen Frauenstab mit insgesamt 31 Stellen gab und gibt, der sich um Frauenfragen kümmern soll. Die Ideen und Programme, die das Haus Lehr verlassen, machen immer den Eindruck, als hätte man einen großen Bogen um die Frauenabteilung gemacht.
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Der Bundesrechnungshof hat dies auch erkannt und schreibt in seinem Bericht: „Bis heute sind die Zuständigkeiten nicht ausreichend geklärt. Der bisher sehr eingeschränkte Aufgaben- und Kompetenzzuwachs rechtfertigt nicht den personellen Ausbau des Arbeitsstabes Frauenpolitik. " - Ich erkläre ausdrücklich: Sie haben jederzeit unsere Unterstützung für einen Frauenstab, der Kompetenzen in allen die Frauen betreffenden Fragen hat. Wenn dieser Stab nicht über die entsprechende Kompetenz verfügt, dann liegt das auch an dem mangelnden Interesse der Ministerin an dem Thema „Frauenpolitik".
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Der Bundesjugendplan wird von Ihnen seit Jahren sträflich vernachlässigt. Die Jugendverbände mit ihren Tausenden von Mitgliedern krebsen seit Ihrer Regierungsübernahme mit Minimalausstattungen herum. Der von Ihnen vorgelegte Regierungsentwurf sah zudem vor, bei den Jugendverbänden drastisch zu kürzen, insbesondere beim Bundesjugendring. Das haben die Berichterstatter zumindest zum Teil verhindert, wofür ich dankbar bin.
Die Mitgliedsverbände des Bundesjugendrings haben sich erlaubt - da sehe ich den Hintergrund dieser Kürzungen - , eine Zeitungsanzeige anläßlich der Wahl der Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus zu schalten. Darin wurden als Ursachen des Wahlverhaltens junger Menschen auch das Versagen der Politik, Massenarbeitslosigkeit und fehlendes Vertrauen in die Politik genannt. Herr Hoffacker wittert dahinter wieder einmal klassenkämpferische Parolen - ich zitiere aus Ihrer Presseerklärung - und nennt das „linksradikales Vokabular" . Wir haben schon einmal im Parlament eine ähnliche Auseinandersetzung gehabt, als Sie bei Jugendverbänden, die
sich gegen die Volkszählung ausgesprochen hatten, auch über die Bundesmittel Strafaktionen exekutieren wollten.
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Ihre Mittelkürzungen jetzt, ob Sie es wollen oder nicht, stehen im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung mit dem Bundesjugendring. Herr Hoffakker, damit richten Sie Schaden an bei jungen Menschen, damit schafft man kein Vertrauen bei jungen Leuten.
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In den jugendpolitischen Anhörungen im Deutschen Bundestag hört man Reden über die Zukunftsängste vieler Jugendlicher, Reden über die Distanz vieler junger Menschen gegenüber der Politik, Reden über die Integrationsprobleme viele Jugendlicher aus fremden Lebenszusammenhängen. Wie paßt es dann zusammen, daß die Bundesregierung, wenn sie einen Haushalt aufstellt, die notwendigen Mittel für die politische Bildung im Jugendbereich kürzt? Wir machen hierbei nicht mit.
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Wir vermissen bei vielen Themen, so auch bei dem wichtigen Thema AIDS, das Engagement der Ministerin.
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Den Rückgang des Einsatzes der Ministerin für diese Frage sieht man auch an den rückläufigen Mitteln für die Aufklärung, für die Betreuung und Versorgung der Menschen, die HIV-infiziert oder AIDS-krank sind. Ich sage das auch, weil ich es traurig finde: Wir haben morgen den Welt-AIDS-Tag. Ich bin sicher, da werden wieder Reden gehalten. Der Haushalt gibt jedenfalls keinen Anlaß mehr zur Freude über eine ausreichende Ausstattung. Bereits im letzten Jahr haben Sie den Rotstift bei den Forschungsmitteln angesetzt, so, als hätten wir heute bereits einen Impfstoff oder ein Mittel zur Heilung.
Die Eindämmung der neuen Infektionen hängt nach wie vor einzig und allein von der Aufklärung der Bevölkerung ab, von ihrer Informiertheit über Risikoverhalten und Schutzmöglichkeiten. Dies ist eine dauerhafte Aufgabe. In San Francisco hat sich gezeigt, daß die Rücknahme der AIDS-Aufklärung zu einem Anstieg der Zahl von Neuinfektionen geführt hat. Deswegen verstehen wir nicht, wieso man innerhalb eines Jahres die Mittel für die Aufklärung um 12 Millionen DM - das entspricht 25 % der bisherigen Mittel - auf 35 Millionen DM kürzt. Wir machen hier nicht mit.
Die Aufklärung muß auch Bundesaufgabe bleiben. Aber wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie sich intensiv mit den Ländern auseinandersetzt, um gemeinsam nach einer Anschlußfinanzierung für die Betreuungsmaßnahmen bei Infizierten zu suchen, wenn die Bundesprojekte auslaufen.
Vielleicht gab es ältere Menschen, die Hoffnung in eine renommierte Altersforscherin gesetzt haben, weil sie glaubten, nun eine Anwältin für ihre Probleme im Kabinett zu haben. Wenn wir den Haushalt betrachten, sehen wir, daß wir im Kabinett eine Anwältin für Altersforscher und nicht für alte Menschen haben.
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War es denn, nachdem sich Herr Riesenhuber in der Öffentlichkeit gebrüstet hat, die Altersforschung mit einem 40-Millionen-Programm zu beglücken, wirklich notwendig, daß Sie, Frau Lehr, in Ihrem Haushalt noch einmal 7 Millionen DM für die Alternsforschung - da gibt es ja kleine Unterschiede - zusätzlich ausweisen?
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Es wäre Ihre Sache gewesen, mit Haushaltsansätzen für Maßnahmen in der Altenpolitik wirklich Zeichen zu setzen, für Projekte, die bundesweit in den Gemeinden bei den alten Menschen das Gefühl hinterlassen, daß man ihre Probleme versteht, daß sie mit ihren Erfahrungen für die Gesellschaft wertvolle Bürgerinnen und Bürger sind und daß es nicht zu dem vielbeschworenen Konflikt zwischen jungen und alten Menschen kommen muß.
Für solche konkreten Maßnahmen haben Sie gerade 1 Million DM zusätzlich vorgesehen. Dieses Verhältnis zu den 47 Millionen DM für die Forschung war sogar Ihrer Fraktion und der Koalition zu kraß. Wir haben lediglich - das war Ihr Vorschlag - um 1 Million DM kürzen können. Ich halte nach wie vor das Mißverhältnis zwischen Forschung und Projekten für viel zu groß.
Die Bundesregierung ist gegenüber den Trägern von Zivildienststellen Finanzverpflichtungen eingegangen. Es handelt sich um Wohlfahrtsverbände, um kleine Projekte, die vor allem in der Betreuung von Schwerstbehinderten und im Bereich der mobilen sozialen Dienste tätig sind. Mittlerweile sind die Träger dieser Einrichtungen in Vorlage getreten für Aufwandszuschüsse in Höhe von mehr als 100 Millionen DM. Sie stehen bei diesen Organisationen mit 100 Millionen DM in der Kreide. Auch der Haushalt 1990 sieht nicht vor, diese Altschulden abzubauen. Wir halten es für unerträglich, daß der Bund seinen Haushalt auf Kosten von Einrichtungen sozialer Träger und eventuell sogar auf Kosten der Existenz kleiner und kleinster Träger saniert, die mittlerweile über Kredite zwischenfinanzieren müssen.
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Ich komme zum Schluß. Der Einzelplan des Bundesministeriums insgesamt und die Jugend-, Familien-, Frauen- und auch Altenpolitik dieser Regierung
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haben in für uns wichtigen Fragen wenig mit sozialdemokratischen Vorstellungen von einer gerechten und solidarischen Gesellschaft zu tun. Wir lehnen diesen Einzelplan ab.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wie schon im Vorjahr weist auch heuer der Haushalt der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit eine überdurchschnittliche Steigerungsrate auf. Im Laufe des Beratungsverfahrens wurden weitere Erhöhungen, per Saldo um rund 174 Millionen DM, auf rund 22,5 Milliarden DM vorgenommen. Damit wird deutlich, welch große Bedeutung Bundesregierung und Koalitionsfraktionen den Aufgaben und politischen Inhalten dieses Geschäftsbereichs beimessen.
In der Steigerungsrate des Haushalts spiegeln sich u. a. die Beschlüsse von CDU/CSU und FDP zur Verbesserung des Erziehungs- und des Kindergelds wider. Wir wollen damit die familienorientierte Politik verstärkt fortsetzen. In keinem Jahr der SPD-Regierung wurde den Belangen der Familie und speziell der Frauen so stark Rechnung getragen wie unter dieser Regierung.
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Die Einführung des Erziehungsgeldes und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rente sowie die steuerliche Entlastung von Familien sind beachtliche Leistungen dieser Regierung. Gerade mit diesen Maßnahmen haben wir es ermöglicht, leichter ja zum Kind und ja zur Familie zu sagen. Das Ja zum Kind ist für Frauen heute zunehmend auch davon abhängig, wie sehr sie Familie und Beruf vereinbaren können, und auch davon, wie schwierig oder wie leicht es ist, nach Zeiten der Kindererziehung wieder in den Beruf einzusteigen. Wir unterstützen dieses Anliegen der Frauen nachdrücklich sowohl bei der Teilzeitarbeit als auch beim Angebot flexibler Arbeitszeiten.
Wir bemühen uns in besonderer Weise um Bildung und Fortbildung und um die nötige Qualifikation für den Wiedereinstieg in das Berufsleben. Daß wir hier auf dem richtigen Weg sind, zeigen konkrete Zahlen: 800 000 Arbeitsplätze mehr für Frauen seit der Wende 1982/83!
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Insofern eröffnet unsere erfolgreiche Wirtschaftspolitik auch bessere Chancen und Alternativen für die Frauen. Die Wirtschaft wird sich in den nächsten Jahren gezwungen sehen, mehr Arbeitsplätze anzubieten, die auch den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen gerecht werden.
Ziel unserer Politik ist es, die Entscheidungspielräume für die einzelne Familie und für die einzelnen Personen zu erweitern, indem wir finanzielle Belastungen für die Familien verringern. In diesem Sinne ist auch die Verlängerung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs auf 15 und dann auf 18 Monate zu verstehen.
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Unionsgeführte Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg werden das Erziehungsgeld ihrerseits weiter verlängern. Wo bleiben eigentlich die familienpolitischen Leistungen der SPD-geführten Länder?
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Niemand hindert sie daran, Gleiches zu tun.
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Von seiten der Opposition wurden unsere familienpolitischen Anstrengungen mit so bösen Worten wie „Familienideologie" oder „dumpfe Familienidylle" kritisiert. Bitte, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie zur Kenntnis: Wir diskriminieren niemanden, der sich, aus welchen Gründen auch immer, anders entscheidet.
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Aber wir wollen auch in diesem Punkt unserer moralischen Verpflichtung und dem Auftrag des Grundgesetzes - ich danke für das Stichwort - gerecht werden, das Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt.
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Familien haben nicht nur materielle Sorgen. Eltern sorgen sich oft noch mehr um die Zukunft ihrer Kinder. Dabei spielen Fragen der Ausbildung und der Berufswahl eine zentrale Rolle.
Seit 1985 hat sich das Verhältnis von Angebot an Ausbildungsplätzen zur Nachfrage erheblich verbessert. Wie der Berufsbildungsplan 1989 ausweist, standen noch 1985 für 100 nachgefragte Ausbildungsplätze nur 95 als Angebot zur Verfügung. 1988 kamen dagegen auf 100 nachgefragte bereits 106 angebotene Ausbildungsplätze. Der 1988 erreichte Angebotsüberhang an Ausbildungsplätzen von 5,9 % und die weiter günstige Entwicklung stellen eine enorme Verbesserung der Chancen für Jugendliche dar. Dieses Ergebnis ist das beste der letzten zehn Jahre.
Die Jugendarbeitslosigkeit - Sie haben sie heuer nicht mehr erwähnt; im letzten Jahr war sie noch zentraler Bestandteil Ihrer Rede, Frau Kollegin - liegt so niedrig wie noch nie. Ich erinnere mich noch gut an jene Zeiten noch vor wenigen Jahren, als besorgte Eltern nach 30, 40 vergeblichen Bewerbungen zu uns in die Bürgersprechstunden kamen und um Unterstützung für ihre Söhne und Töchter bei den Bewerbungen baten.
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Heute ist die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt und Arbeitsmarkt für Jugendliche völlig umgekehrt. Dies liegt nicht nur an den inzwischen schwächer werdenden Jahrgangsstärken, sondern ist ganz wesentlich eine Folge der ausgezeichneten wirtschaftlichen Entwicklung. Wir sollten den jungen Leuten ruhig sagen, daß eine gute Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ihre ganz persönlichen Möglichkeiten, Chancen und Zukunftsperspektiven entscheidend verbessert hat.
Darüber hinaus wird es notwendig sein, die Jugend in diese Gesellschaft hineinzunehmen, ihr Aufgaben
zuzuweisen und ihr Verantwortung für Staat und Gesellschaft zu übertragen. Wir sollten wirklich überlegen, ob wir nicht bewußt wieder mehr Freiräume für das Engagement junger Menschen schaffen können.
Ich persönlich war sehr positiv überrascht, mit welchem Idealismus und mit welcher Einsatzbereitschaft viele Jugendliche gemeinsam mit den Helfern der Hilfsorganisationen daran mitgearbeitet haben, den Zustrom der DDR-Übersiedler gerade auch im ostbayerischen Raum, wohin der erste Ansturm aus Ungarn kam, zu bewältigen und diese Menschen zu betreuen. Ich will das auch hier sehr dankbar erwähnen.
In den Dank einschließen möchte ich die vielen engagierten Beamten, insbesondere die jungen Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Polizeien der Länder, die eine Arbeit bis an die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit geleistet haben. Das hat auch Mut gemacht und, von mir aus gesehen, wieder Hoffnungen für diese und in diese junge Generation geweckt.
Angesichts der dramatischen Veränderungen im Osten insgesamt und in der DDR im besonderen sowie der vielen Übersiedler und Besucher aus der DDR könnte ich mir schon etwas mehr an Aktivität und Kreativität einiger offizieller bundesdeutscher Jugendverbände vorstellen. Unglaublich ist ein Vorgang bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands „Die Falken" , welche in ihrem Verbandsorgan „Sozialistische Zeitung"
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- man muß informiert sein - die Botschaftsflüchtlinge von Prag und Warschau mit bundesdeutschen Hausbesetzern gleichsetzt und in dem Artikel den Vorwurf erhebt, deutsche Botschafter würden sich persönlich - ich zitiere - „um Windeln und Babynahrung, schmutzige Wäsche und Freizeitbeschäftigung für die Hunderte von Haus-({9})besetzern" kümmern, während wiederum - ich zitiere - „Menschen, die in der BRD Häuser besetzen, rücksichtslos geräumt und verfolgt werden. " - Ich kann nur sagen: Respekt, Dank und Anerkennung an jene, die in den Botschaften die schwere Arbeit geleistet haben und sich ganz persönlich darum gekümmert haben!
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Dieser soeben geschilderte Vorgang ist schlicht ein Skandal. Der Zusammenbruch und das Scheitern des Sozialismus im Osten scheint angesichts des Zerbrechens jahrelang gehegter und geliebter Illusionen und Träume für die Sozialisten im Westen noch schmerzhafter, ja, sogar mit Höllenqualen verbunden zu sein. Anders ist ein solcher Vorgang überhaupt nicht zu erklären. Dabei birgt die jetzige Entwicklung ungeheure Aufgaben und Chancen für die Jugend unseres Landes und für die Jugend in West- und in Osteuropa. Wir haben deshalb gerne die Mittel für den internationalen Jugendaustausch aufgestockt. Die Jugend kann hier einen ganz wesentlichen und wichtigen Beitrag für die Begegnung, für Verständigung und Freundschaft der Völker leisten.
Ein weiterer Bereich, in dem wir die Ansätze im Laufe der Beratung stark erhöht haben, ist die Bekämpfung des Drogen-, Rauschmittel- bzw. Suchtmittelmißbrauchs. Wir begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung ein Gesamtkonzept vorgelegt hat, das mehrere Einzelpläne betrifft. Nur so ist das weitere Vordringen internationaler Drogensyndikate einzudämmen. Aufklärung, Beratung, Vorbeugung und erforderlichenfalls Hilfe und Therapie ist die eine Seite; gleichzeitig müssen aber durch nationale Vorsorge und internationale Zusammenarbeit die fast weltweit verbrecherisch tätigen Organisationen bekämpft und deren Operationsmöglichkeiten eingeengt werden.
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Ein neuer Schwerpunkt, auch wenn er finanziell nicht so sehr ins Gewicht fällt, ist die Altenpolitik. Angesichts des sich dramatisch veränderten demographischen Aufbaus unserer Bevölkerung sehe ich darin eine entscheidende gesellschaftspolitische Herausforderung. Wir werden beispielsweise den Fragen nachzugehen haben, welche Aufgaben können ältere Mitbürger nach Überschreitung des Renten- oder Pensionsalters übernehmen, welche Freiräume für ehrenamtliches und teilzeitmäßiges Engagement müssen wir unter Umständen neu schaffen, wie können die sozialen Kontakte Alleinstehender, Hochbetagter oder Pflegebedürftiger verbessert werden, welche Einrichtungen sind erforderlich, wie kann das Zusammenleben zweier oder mehrerer Generationen ermöglicht oder wiederhergestellt werden? Das reicht bis zu der Frage, ob wir es uns leisten können, das Wissen, die Erfahrung, die Ideen und die bei durchaus vielen vorhandene Schaffenskraft relativ brachliegen zu lassen.
Nebenbei bemerkt: Es erscheint mir fraglich, ob wir diese Aufgaben bewältigen können, solange wir uns ständig schamhaft davor drücken, das Wort „alt" in diesem Zusammenhang auszusprechen.
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Wenn wir beim amtierenden Präsidenten von einem „alten" Parlamentarier sprechen, dann sagen wir dies mit allem Respekt, mit Hochachtung und Anerkennung für die parlamentarischen Leistungen. Also das Wort „alt" kann in dem Sinne durchaus auch ein hohes Prädikat sein.
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Eines erscheint mir aber - damit komme ich zum Schluß - sehr sicher: Wir können keinesfalls - die Kollegin Unruh ist ja nicht mehr da - die weitere Aufsplitterung und generationenbezogene Interessenpolitik gebrauchen. Das führt im Ergebnis zum Gegeneinander und zum Streit zwischen den Generationen. Wir brauchen aber in unserer Gesellschaft mehr Miteinander und weniger Gegeneinander.
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Meine Damen und Herren, ich war einen Augenblick etwas unsicher. Mir ist bewußt, daß Tadel gegenüber dem Präsidenten nicht erlaubt ist. Es scheint aber, es war ein Lob.
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Frau Abgeordnete Schoppe, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal an das anknüpfen, was Herr Blüm gesagt hat. Herr Blüm hat von der Armut geredet. Das ist immerhin ein Fortschritt. Wenn nämlich der Herr Bundeskanzler sich in seinen Regierungserklärungen einmal in sozialpolitisches Gebiet versteigt, hört man nie etwas von der Armut. Wie das aber Herr Blüm diskutiert und wie das in der Tendenz hier immer diskutiert wird, ist es so, daß man zwar Armut benennt, aber immer mit der Intention, zu beweisen, daß es bei uns die richtige Armut überhaupt nicht gebe. Das finde ich falsch. Ich glaube, wenn man Politik macht, dann muß man sich als Politiker und als Politikerin darauf einlassen können, damit man eine richtige Politik macht, daß es hier in der Bundesrepublik tatsächliche und wirkliche Armut gibt.
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Ich sage dies auch aus einem anderen Grunde, womit ich ebenfalls an das anknüpfe, was Herr Blüm gesagt hat. Bei den vielen Menschen, die aus der DDR zu uns gekommen sind, ist es natürlich so, daß wir alle miteinander wollen, daß es diesen Menschen hier gutgeht, daß sie eine Wohnung haben, daß sie Arbeit haben, daß ihre Kinder Kindergärten haben, daß sie gute Schulen haben, Spielplätze und alles Mögliche. Wenn aber so viele Menschen zu uns kommen und wenn wir gleichzeitig wissen, daß wir im Osten den Demokratisierungsprozeß unterstützen müssen, daß wir die Wirtschaft unterstützen müssen, damit die Versorgung der Menschen dort besser wird, daß wir sie unterstützen müssen, damit sie in der Lage sind, einen ökologischen Umbau der Gesellschaft dort vorzunehmen, dann müssen wir uns darauf einlassen, daß wir in dieser Gesellschaft, die eine reiche Gesellschaft ist, lernen müssen zu teilen
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und daß möglicherweise auch Menschen, die jetzt sehr viel haben, lernen müssen, etwas abzugeben. Ich sage das, weil ich die Befürchtung habe, daß angesichts der Entwicklungen, die da im Osten ablaufen, und angesichts der neuen Aufgaben, die wir übernehmen müssen, hier in der Gesellschaft einfach ein Teil der Gesellschaft vergessen wird, daß Politik gemacht wird, indem ein großes Maß an Ungleichheit einfach akzeptiert wird und diese Menschen aus ihrer Bedrängnis und aus ihrer Not nicht herauskommen.
Ich hätte es viel besser gefunden, wenn nicht ein Zehn-Punkte-Katalog vom Bundeskanzler vorgelegt worden wäre, der nach meiner Einschätzung etwas sehr Paternalistisches an sich hat, weil er im Grunde genommen vorschreibt, wie die Leute in der DDR ihren Reformprozeß gestalten sollen. Ich hätte es besser gefunden, wenn man die Finger davon gelassen hätte, wenn man auf die Eigenständigkeit und das Selbstbestimmungsrecht dieser Menschen Rücksicht genommen hätte
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- Ruhe! ({3})
und wenn man zunächst einmal einen Zehn-PunkteKatalog vorgelegt hätte zu der Frage: Wie wollen wir auch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten hier im Lande mit dem Problem fertig werden?
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Wo ist denn das sozialpolitische Konzept, das die neuen Aufgaben, die auf uns zukommen, einbezieht?
Ich will Ihnen einmal ein ganz kleines Beispiel nennen. Das mag Ihnen vielleicht etwas abwegig erscheinen, aber das zeigt auf, an wie vielen verschiedenen Punkten die Probleme auf uns zukommen. - In Berlin herrscht unter den Huren eine große Aufregung. Warum? - Es kommen neuerdings Frauen aus der DDR, die in das Gewerbe einsteigen und die einmal die Preise drücken und zum anderen - das ist das, was die Frauen dort so aufgeregt macht - ohne Gummis arbeiten. Jetzt haben die Frauen nach großen Kämpfen durchgesetzt, daß die Huren angesichts von AIDS in unserer Gesellschaft mit Gummis arbeiten, und nun kommen die Frauen und machen das ohne Gummis.
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- Das mag nun Gelächter hervorrufen, gerade bei den Männern. Aber ich habe einmal ein solches Beispiel gewählt, weil ich zeigen wollte, daß es viele andere Punkte gibt, über die wir überhaupt noch nicht nachgedacht haben, bei denen wir überhaupt nicht gedacht haben, daß sie auf uns zukommen.
Ich sage Ihnen: Da kommt noch viel anderes auf uns zu. Unter diesen Bedingungen dann auch noch das Aufklärungsprogramm für AIDS in unserem Haushalt zu streichen, halte ich für völlig danebengegriffen.
Ich möchte auch einmal folgendes wissen - darüber ist hier ebenfalls noch nicht nachgedacht worden - : Wie werden die vielen jungen Menschen, die hierhergekommen sind, die hier völlig andere Sozialisationsbedingungen erfahren als in der DDR, mit diesem Leben hier fertig?
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Ich sage Ihnen: Nicht alle werden mit dem Leben hier fertig werden. Wir brauchen sehr viele Institutionen, sehr viele Menschen, die sich dieser Menschen annehmen. Wir brauchen Kommunikationszentren, damit man sich gegenseitig kennenlernt und damit sie sich hier stabilisieren.
({7}) Das alles kostet viel Geld.
Ich will jetzt an noch einem Punkt deutlich machen, daß das mit der ganzen Sozialpolitik irgendwie nichts ist. Im Grunde genommen greift alles viel zuwenig. Ich nehme als Beispiel die Alleinerziehenden. -12,8 To der Kinder in unserer Gesellschaft wachsen bei Alleinerziehenden auf. Meist sind es alleinerziehende
Mütter. 84 % der alleinerziehenden Mütter, die arbeiten, arbeiten in ungelernten oder angelernten Berufen. Was die verdienen, kann man sich dann vorstellen. Die verdienen sehr wenig.
Eine Untersuchung hat gezeigt, daß ein Drittel der Alleinerziehenden sagt: Meine Kinder haben ganz wenig Freunde. - Woran das jetzt hängt, weiß ich nicht. Ich denke, es hängt damit zusammen, daß Kinder von Alleinerziehenden auch sehr viele Aufgaben im Haushalt übernehmen müssen und gar nicht soviel Zeit haben zu spielen. Hinzu kommt noch, daß Alleinerziehende einen sehr starren und standardisierten Zeitrhythmus haben, den auch die Kinder übernehmen müssen. Jetzt frage ich Sie: Wo gibt es im gesamten Bundeshaushalt einen Posten oder eine Maßnahme, wo man sagen kann, damit werde die finanzielle, psychische und soziale Not der an Zahl zunehmenden Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft bekämpft? Die gibt es nicht, das sage ich Ihnen. Da kann man viele andere Beispiele nehmen.
Ich möchte, weil wir ja immer sehr wenig Zeit haben, nach diesem Beispiel nur punktuell aus einem Bereich noch ein paar Maßnahmen vorstellen. Wir haben lange darüber nachgedacht, welche Regelung man angesichts des Emanzipationsprozesses bei den Frauen treffen kann, damit viele Frauen zwar Mutter sein und eine Zeitlang zu Hause bleiben, dann aber auch unbedingt wieder erwerbstätig sein können. Während der Erwerbstätigkeit muß die Versorgung der Kinder zwischen Mann und Frau geteilt werden. Wir haben uns gefragt: Wie fängt man das an, daß die Männer begreifen, daß es zu ihren Aufgaben gehört, sich ebenfalls um die Kinder zu kümmern. Wenn sie diese Aufgabe übernehmen, werden sie übrigens auch merken, daß es schön ist, mit den Kindern zusammen zu sein und sich um die Kinder zu kümmern.
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Das wissen nämlich die meisten gar nicht, besonders die nicht, die immer hier sitzen und sowieso nur am Wochenende zu Hause sind.
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Bei unserem Nachdenken sind wir darauf gekommen: Den Erziehungsurlaub, der jetzt ja nur für Paare gilt, die geheiratet haben, muß man ausweiten auf - wie heißt das? - Männer, die nicht verheiratet sind, aber auch Kinder haben. Natürlich müssen auch Soldaten Erziehungsurlaub nehmen. Natürlich müssen außer den Wehrdienstleistenden auch Zivildienstleistende Erziehungsurlaub nehmen. Wenn es Zivildienstleistende und Wehrdienstleistende getroffen hat und sie Vater geworden sind, dann sollen sie Erziehungsurlaub nehmen, dann ist das der Friedensdienst an der Wickelkommode, und damit ist alles andere abgegolten.
({10})
Wir haben uns eine zweite Maßnahme überlegt angesichts der Tatsache, daß von der Möglichkeit, Erziehungsurlaub zu nehmen, bisher nur 1,2 % der Männer
Gebrauch machen. Ich glaube, es sind nicht immer finanzielle Gründe, die dazu führen, daß Männer keinen Erziehungsurlaub nehmen, sondern es existiert eine Barriere, für längere Zeit aus dem Berufsleben auszuscheiden: es ist die Furcht, den Anschluß zu verlieren und die Karriere zu gefährden. Deshalb sind wir auf folgende Idee gekommen. Das Mutterschutzgesetz, das heute nur für Mütter gilt und auch weiterhin für Mütter gelten muß - es ist ja eine Tatsache, daß die Mütter während der Schwangerschaft immer zu zweit herumlaufen - , soll ein Vater- und Mutterschutzgesetz werden. Eine Woche vor der voraussichtlichen Geburt kann der Vater aussteigen, damit er bei der Geburt seines Kindes anwesend sein kann, und acht Wochen nach der Geburt sind Vater und Mutter zu Hause; denn wir müssen die Vaterschaft genauso schützen wie die Mutterschaft. Eine Familie, die ein Kind oder ein weiteres Kind bekommt, muß sich völlig neu organisieren. Für die Neuorganisation und für die Gewöhnung daran, daß da ein Kind oder noch ein Kind ist, braucht eine Familie Zeit.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Unterstützung der Vorschläge, die wir gemacht haben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schoppe, das auch aus Ihrer Sicht schon so bezeichnete drastische Beispiel mit der Reduktion der Mittel für die AIDS- Aufklärung und Ihre einprägsamen Beispiele sollten, glaube ich, nicht ausreichen, das AIDS-Programm und überhaupt diesen Haushalt schlecht zu finden. Auch mit 35 Millionen DM werden wir im Zweifelsfalle die Gummiwerbung betreiben können, die Sie angesprochen haben.
({0}) - Das ist Faktum.
Wir haben im Bereich von AIDS - um gleich mit einem der gesellschaftlichen Probleme zu beginnen - in den ersten Jahren, sowohl was die medizinische Forschung, als auch was die Werbung und die Betreuung anlangt - das sind die drei Elemente - , Haushaltsmittel wirklich sachgerecht und großzügig zur Verfügung gestellt. Wenn im Lichte von Erfahrungen im Werbebereich die Anzeigen vielleicht ein wenig kleiner werden, gibt das für Schlußfolgerungen, die Sie hier getroffen haben, keine Argumentation her.
Ich meine vielmehr, daß dieser Einzelplan, was die volumenmäßige Ausweitung anlangt, mit 6 % gut vorzeigbare Anstrengungen darstellt. Aber er ist auch politisch ein Haushalt mit neuen Akzenten, der auf Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Veränderung eingeht und diese teilweise unterstützt. Darauf werde ich noch zurückkommen.
Frau Kollegin Conrad, ich habe Ihre Einstellung zum Bild der Familie und zu den notwendigen Förderungsmaßnahmen nicht ganz verstanden. Es ist mir schwer eingängig, daß Sie Werbung für die Familie so
stören kann, wo doch der Schutz der Ehe und der Familie immerhin ein Institut ist, das im Grundgesetz seinen Niederschlag findet.
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Dafür auch positiv einzustehen und zu werben, kann doch nicht mit Vokabeln und mit Schlußfolgerungen belegt werden, wie Sie sie hier gefunden haben.
({2})
Auf der anderen Seite, was das Materielle anlangt, steht das ja auch, so meine ich jedenfalls, im Widerspruch zu den Forderungen nach mehr Familienlastenausgleich und mehr Kindergeld, die Sie gestellt haben. Hier kann ich nur sagen, daß durch die Koalition unter voller Mitwirkung der FDP im nächsten Jahr das Kindergeld für das zweite Kind auf 130 DM erhöht wird - also in einem der angesprochenen Bereiche -, daß es bei der steuerlichen Begünstigung durch die Freibeträge selbstverständlich bleibt und daß auch die Bezugsdauer des Erziehungsgeldes Mitte nächsten Jahres von 15 Monaten auf 18 Monate erhöht wird.
({3})
Das heißt: klare und überzeugende Leistungen im Bereich des Familienlastenausgleichs.
({4})
Wenn Sie demgegenüber jetzt 200 DM pro Kind, wie ich das notiert haben, einfordern und ich mir mal überschlägig den ökonomischen Aufwand ausrechne, der in der Größenordnung von 8 Milliarden DM liegt,
({5})
dann hätte ich, bitte schön - ich sehe jetzt gar nicht Frau Matthäus-Maier; sie hat wahrscheinlich als Finanzpolitikerin die Flucht ergriffen - , wirklich gerne gewußt, wie Sie sich die Finanzierungsseite vorstellen.
({6})
Natürlich, fordern ist ein Leichtes. Sie fordern jetzt hier 8 Milliarden DM und stellen sich auf der anderen Seite hin und sagen, selbst dieser Haushalt, der sehr sparsam gefahren wird und bei dem die Kreditfinanzierung erheblich reduziert ist, sei immer noch zu hoch. Aber jetzt sagen Sie einfach: Wir brauchen 8 Milliarden DM für mehr Kindergeld - für jedes Kind 200 DM - , aber Sie sagen kein Sterbenswörtchen, woher - um in Ihrem Sprachgebrauch zu verbleiben - die „Möpse" oder die „Kohle" dafür kommen soll.
({7})
- Ja, Originalton, wie ich ihn wiederholt gehört habe. Also benutze ich ihn auch, damit das richtig drastisch wird. Denn das ist doch der Punkt.
Ich höre da etwas vom Programm des ökologischen Umbaus - Energiesteuern einführen und die Mehreinnahmen für ökologische Maßnahmen verwenden - , aber ich höre aus Ihrem Bereich auch immer Vorstellungen, aus denen hervorgeht, daß dies nicht nur für Ökologisches verwendet werden soll, sondern daß man vielleicht noch mehr Steuermittel braucht, um dann auch einen solchen angekündigten Aufwand zu finanzieren. Sie dürfen sich nicht darauf beschränken, hier populistisch einfach Geschenke zu avisieren, sondern Sie müssen auch sagen, wie Sie das finanzmäßig solide bedienen wollen. Dann wird aus der ganzen Kiste ein Schuh.
Aber wenn das auch so sein sollte, Frau Kollegin Conrad: Andere Teile Ihres Beitrages habe ich - das muß ich zugeben - mit Zustimmung und an einigen Stellen zumindest mit Sympathie vernommen; besonders an einer Stelle. Das war nur ein kurzer Satz, aber für mich - und für uns, glaube ich - ein sehr entscheidender, als Sie eingangs sagten: Dem Mehraufwand für Aussiedler stimmen wir zu. „Wir machen mit", so war, glaube ich, in etwa Ihre Formulierung.
Wenn ich an die Debatte zum Einzelplan 11 und an die Debatte zum Haushalt überhaupt denke, dann war ich - wenn ich zu Ihnen rüberschauen darf - hinsichtlich der Äußerungen zur Deutschlandpolitik, zu dem, was sich in Mitteleuropa tut und wie wir darauf reagieren sollten, welche Unterstützung wir anzubieten haben, tief entsetzt. Das nehmen Sie mir bitte ab, obwohl ich glaube, sonst in solchen Fragen nicht so leicht zu erschüttern zu sein.
({8})
Ich will Ihnen sagen: Als FDP - das ist ein Stück Gemeinsamkeit - haben wir mal eine Politik eingeleitet für Entspannung, für gute Nachbarschaft zur DDR, zum Osten hin. Das geschah wohl mit der Vorstellung, daß das eintreten könnte, was jetzt teilweise eintritt. Es kann doch wohl nicht wahr sein, wenn jetzt das eintritt, was wir in Phasen der politischen Zusammenarbeit gewollt haben, daß man dann so Äußerungen von Lafontaine, von Dreßler, vom Kollegen Penner in einer Zwischenfrage nach dem Motto hört: Hoffentlich bleiben sie alle dort, wo sie sind! Das kann doch nicht die Schlußfolgerung einer Deutschland-und Ostpolitik sein. Ich muß sagen: Das irritiert mich schon zutiefst.
({9})
Da frage ich eigentlich, wie es mit der Glaubwürdigkeit und dem Stehvermögen einer einmal als richtig erkannten Politik ist.
({10})
Das ist für mich wirklich das dollste Stück in dieser gesamten Haushaltsdebatte, um es einmal drastisch so zu sagen. Dahinter verblaßt manches, was auch bei diesem Einzeletat positiv und erwähnenswert ist.
Auf ein paar Gesichtspunkte möchte ich noch zu sprechen kommen. Eine Facette, und da hatten wir wieder Gemeinsamkeiten: den deutsch-polnischen Jugendaustausch auf den Weg zu bringen und erstmals Geld zur Verfügung zu stellen, ist eine Sache, zu
der wir uns einheitlich bekannt haben. Das finde ich positiv.
({11})
Hier kommt es auch gar nicht auf die Menge des Geldes an, sondern das ist jetzt ein Erstlingswerk. Dort ist erstes Geld zur Verfügung gestellt worden, und wir werden sehen, wie sich das entwickelt, ausweitet und gestalten läßt. Das ist nach meiner Meinung eine angemessene, stilvolle, würdevolle Antwort.
Aber dieser Einzelplan zieht auch vielfältige richtige Konsequenzen aus gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn wir mehr für die Familie tun könnten - das ist aber nur der geringste Teil der Werbung, Frau Kollegin Conrad - , dann würde ich mich nicht beklagen. Drogenprobleme, AIDS-Probleme usw. sind ja nicht monokausal verursacht, sie ergeben sich auch dadurch, daß der Zusammenhalt von Familien, von Kleingruppen - sozusagen das Atmosphärische der Kleingruppen, das Geborgenheitsgefühl in unserer Leistungsgesellschaft - vielleicht für den einen oder anderen doch zu sehr verlorengegangen ist.
({12})
Daher wird zu Alkohol, Drogen und ähnlichem gegriffen. Zumindest sehe ich da wesentliche Zusammenhänge.
Tun wir also mehr für Kleingruppen. Ich habe an der Universität in ein paar Soziologiestunden mitbekommen: Die Familie ist das Urbeispiel einer Kleingruppe. So habe ich immer noch die Aussage unseres Professors im Kopf; vielleicht ist das ein bißchen zu lange her. Aber wenn das so sein sollte, sollten wir auch die Familie in diese Kleingruppenförderung einbeziehen und nicht desavouieren, denn für die gute gesellschaftliche Entwicklung ist das hilfreich und nicht destruktiv.
Wenn darüber hinaus trotz dieser Politik im Bereich von Drogen und AIDS einiges vonnöten ist - ich habe jetzt nicht mehr genug Zeit, das auszuführen -, so stehen wir zu diesen Positionen, zu diesen Ausweitungen, die sich in dem Haushalt wiederfinden.
Eine neue Ministerin hat selbstverständlich auch das Recht, Akzente zu setzen, die, glaube ich, auch aus dem eigenen Lebensweg eine gewisse Unterstützung erfahren. Ich meine das Stichwort der älteren Menschen. Es ist eine Aufgabe, die sich seit längerer Zeit zunehmend stellt, weil der Anteil der älteren Menschen aus manchen Gründen größer wird. Wir stehen zu der politischen Linie, hierauf das Auge zu richten, zu untersuchen und zu erfragen, was getan werden kann. Wir haben allerdings - nicht in Gänze - einige Vorstellungen, die aus dem Haus gekommen sind, die vielleicht etwas umkoordiniert und in der Höhe - vom Staat her gesehen - etwas reichlich waren, ein bißchen gedämpft. Das schmälert aber überhaupt nicht unsere grundsätzliche Zustimmung und Übereinstimmung, daß dies ein Arbeitsschwerpunkt für die Zukunft zu sein hat.
({13})
Ein letzter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der nicht nur von der Geldsumme, sondern auch von der gesellschaftlichen Relevanz her eine gewisse Bedeutung hat. Bei diesem Etat von 22 Milliarden DM, wo 19 Milliarden DM für Kindergeld und Erziehungsgeld ausgegeben werden, werden von den verbleibenden 3 Milliarden DM 1,5 Milliarden DM für den Zivildienst verwendet. Nachdem ich das erkannt hatte, habe ich mich selbst aus Überzeugung dafür eingesetzt, daß die Finanzierung verbessert wird; denn Zivildienst muß gleichwertig und gleichgewichtig gegenüber dem Wehrdienst sein. So will es unser Grundgesetz, und so ist auch unser politisches Verständnis.
Es kann nicht sein, daß hinsichtlich der Ausstattung finanziell alles sozusagen jahresgerecht in voller Höhe bedient wird, was im Bereich der Bundeswehr angefordert wird, daß aber diejenigen, die die Ausstattung im Bereich des Zivildienstes zur Verfügung stellen, nämlich die Träger, erst mit Verzögerung zu ihrem Geld kommen. Das halte ich unter dem Gedanken der Gleichwertigkeit, die auch für das Finanzielle gilt, schlichtweg für nicht erträglich. Deswegen haben wir hier etwas draufgelegt, um möglichst rasch zu einer Gleichgewichtigkeit auch in der finanziellen Bedienung zu kommen, damit sozusagen das Ideelle und Materielle in der Balance sind.
Das sind nur einige Aspekte zu diesem Haushalt. Wir stimmen dem Haushalt wegen des Wachstums, aber auch wegen der gesetzten Akzente aus Überzeugung zu.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Link ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Beratung des Einzelplans Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1990 will ich heute zu einigen Punkten Bilanz ziehen. Ich denke, es ist eine gute Bilanz.
Man kann aber in diesen Tagen keine Rede halten, ohne über die Freiheitsbewegung in der DDR und in Osteuropa nachzudenken. Die Vereinigung der Christlich-demokratischen Arbeitnehmer in der Union hat auf meinen Vorschlag hin eine Aktion „Gemeinsame Weihnachten" gestartet. Wir haben im Arbeitnehmerzentrum in Königswinter und in meinem Bonner Büro eine Anschriftenbörse eingerichtet. Bürgerinnen und Bürger aus der DDR und aus Ost-Berlin, die keinen Kontakt zu unseren Mitbürgern haben, können bei uns Anschriften abrufen, damit Familien aus der DDR und der Bundesrepublik zusammengeführt werden, um in der Advents-, Weihnachts- und Neujahrszeit gemeinsam zu feiern. Erfreulicherweise hat der Bundesvorsitzende der CDU Deutschlands, Bundeskanzler Helmut Kohl, hierüber die Schirmherrschaft übernommen.
Ich bitte von dieser Stelle die Familien in der Bundesrepublik Deutschland, die solche Kontakte wünschen, sich bei uns zu melden. Ich denke, das ist ein Beitrag zur Gemeinsamkeit in Ost und West. Das ist
Link ({0})
aber auch ein Beitrag zu einer guten Familienpolitik.
({1})
- Ich bedaure sehr, wenn Sie meinen, das sei parteipolitisch gemeint. Das ist ein Aufruf von dieser Stelle an die Familien in der Bundesrepublik Deutschland,
({2})
sich der Bürgerinnen und Bürger aus der DDR anzunehmen und mit ihnen gemeinsam zu feiern. Ich finde es ausgesprochen schade, daß Sie so reagieren. Ich habe von einigen Ihrer Kolleginnen und Kollegen andere Töne gehört, Frau Dr. Götte. Schade.
({3})
Zurück zum Haushalt 1990. Ich habe gesagt, dieser Haushalt ist eine stolze Bilanz. Sozialdemokraten und GRÜNE hingegen ziehen durchs Land und versuchen, diese gute, solide Politik abzuwerten. Sie werfen der Regierung und der Regierungskoalition vor, wir betrieben eine Politik der sozialen Kälte. Der Auftritt, den vorhin in der Debatte über den Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung Frau Trude Herr hatte, war schon mehr als peinlich.
({4})
- Sie haben das schon richtig verstanden. Gut, daß Sie es korrigiert haben.
Wenn man unsere Familien-, Frauen- und Jugendpolitik betrachtet, so kann man sagen: Sie ist wie aus einem Guß. Und welches Erbe hatten Sie uns 1982 hinterlassen.
({5})
- Wenn Sie uns heute vorwerfen, wir täten nicht genug und alles könnte noch viel besser sein, darf man Ihnen doch wohl noch einmal vorhalten, welches Erbe Sie uns 1982 hinterlassen haben: eine finanz-
und wirtschaftspolitische Bankrotterklärung.
({6})
Sie haben damals den arbeitslosen Jugendlichen das Kindergeld gestrichen.
({7})
Ihre strikte Ablehnung während Ihrer Regierungszeit, den Familien ein Erziehungsgeld zu zahlen, hat deutlich die Abmeldung der SPD aus der Familienpolitik gezeigt. Ihre widersprüchliche Politik gipfelt darin, daß Sie im Zusammenhang mit der Steuerreform 1990
- eine Steuerreform, die Sie nicht gewollt haben - zum drittenmal eine Umverteilung fordern.
Auf Grund unserer soliden Politik können wir für das Haushaltsjahr 1990 im Einzelplan 15 ein Steigerungsvolumen gegenüber dem Vorjahr um 6 % verzeichnen. Somit umfassen die Ausgaben mehr als 22,3 Milliarden DM. Die Erhöhung dieser Ausgaben liegt über der durchschnittlichen Erhöhung des Bundeshaushaltes.
Das Kindergeld beläuft sich im nächsten Jahr auf 14,5 Milliarden DM.
Und die Stiftung „Mutter und Kind" wird, was für uns besonders wichtig ist, um 10 Millionen DM auf 140 Millionen DM aufgestockt, um in Not geratenen Müttern zu helfen.
Ebenfalls wird das Kindergeld erhöht.
Politik wie aus einem Guß haben wir seit der Regierungsübernahme durch Bundeskanzler Helmut Kohl 1982 z. B. in der Familienpolitik betrieben.
Des weiteren haben wir die Kindererziehungszeiten im Rentenrecht anerkannt. Heute bekommen 6 Millionen Frauen eine Rente für die Kindererziehungszeiten - und dies Monat für Monat und Jahr für Jahr.
Mit der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs in unserer Regierungszeit haben wir eine geradezu revolutionäre Maßnahme eingeleitet. Psychologen und Pädagogen hatten uns auch schon zur Regierungszeit der SPD gesagt, wie wichtig es ist, daß Neugeborene in den ersten Jahren intensiv von Vater oder Mutter betreut werden. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie sich so gerne auf solche Beurteilungen aus Fachkreisen berufen, haben zu Ihrer Regierungszeit also wider besseres Wissen nichts getan.
Wir haben zunächst zwölf Monate Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub gewährt. Wir haben dies in diesem Jahr, am 1. Juli, auf fünfzehn Monate erhöht und werden im nächsten Jahr den Erziehungsurlaub und das Erziehungsgeld auf achtzehn Monate ausdehnen. Es ist der Wille meiner Fraktion, den Erziehungsurlaub in Zukunft auf 21 bzw. 24 Monate auszudehnen. Wenn die Länder dann ein drittes Erziehungsjahr einführten,
({8})
hätten wir für die Kinder bis zum Eintritt als Dreijährige in den Kindergarten eine intensive pädagogische Zuwendung ermöglicht. Baden-Württemberg, so kam der Zuruf richtig, macht das.
({9})
- Bayern wird es einführen. Interessant: Berlin hatte ein Jahr. Nachdem die Bundesregierung jetzt auf 18 Monate ausweitet, zieht Berlin zurück, und die Bürgerinnen und Bürger Berlins haben demnächst ein halbes Jahr weniger.
Mit dem noch in dieser Periode zu verabschiedenden Jugendhilferecht wird ein weiterer wichtiger Ansatz zur Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen geschaffen. Leider ist im Kinder- und Jugendhilferecht ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht zustande gekommen. Der im Gesetzentwurf vorgesehene bedarfsgerechte Ausbau von Kindergärten in den Ländern kommt jedoch einem Gesetzesanspruch nahe.
In diesem Zusammenhang von seiten der SPD und der GRÜNEN zu behaupten, der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht habe einen Rechtsan13800
Link ({10})
spruch im Gesetz verhindert, ist eine ausgesprochene Heuchelei,
({11})
weil wir vor wenigen Tagen im Finanzausschuß des Bundesrats erlebt haben, daß die SPD-geführten Länder bei der Abstimmung über das neue Kinder- und Jugendhilferecht nein gesagt, also das Gesetz abgelehnt haben, wenn ich richtig informiert bin.
({12})
Die Ministerpräsidenten der SPD-geführten Länder haben sich doch nur hinter Ernst Albrecht versteckt. Sie wollten doch gar nicht mitmachen.
({13})
Und Sie sagen doch auch heute nein.
Frau Conrad, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, die Bundesregierung hätte Mittel und Wege finden können, um sich mit den Ländern zu einigen, dann will ich Sie daran erinnern, daß die SPD-geführte Bundesregierung Willy Brandt 1969 dieses Gesetz angekündigt hatte, aber bei Ihnen in 13 Jahren nichts passiert ist.
({14})
Wenn Sie sagen, der Bundesrat habe damals abgelehnt, müßte man jetzt das entgegnen, was Sie hier gesagt haben.
({15})
Damals hätte sich auch ein SPD-Regierungschef mit den Ländern einigen können. Machen Sie es sich doch nicht so einfach!
Das, was Sie nicht für möglich gehalten und immer wieder verneint haben, führen wir mit diesem modernen Kinder- und Jugendhilferecht jetzt ein. Dazu waren Sie 13 Jahre nicht in der Lage.
({16})
Herr Abgeordneter, zwei Mitglieder des Hauses würden gern Fragen stellen. Einverstanden?
Ja, bitte.
Ja, bitte schön, Herr Hoffacker.
Herr Kollege Link, können Sie bestätigen, daß die SPD-geführten Länder im Finanzausschuß des Bundesrates den Entwurf abgelehnt haben, weil die Kosten selbst auf der Basis dessen zu hoch seien, was wir jetzt im Jugendhilferecht stehen haben, wonach gemäß § 22 die Länder verpflichtet sind, für eine flächendeckende Kindergartenversorgung zu sorgen? Können Sie bestätigen, daß das trotz der Kritik der SPD-Fraktion hier im Bundesrat abgelehnt worden ist?
Herr Dr. Hoffacker, so ist es, aber anscheinend wußten das die Kollegen der SPD nicht, denn sie taten eben sehr erstaunt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie auch die Frage des Herrn Abgeordneten Zander?
Wenn Sie mir das zeitlich nicht anrechnen, Herr Präsident.
Bei Herrn Hoffacker habe ich sie nicht angerechnet Link ({0}) ({1}): Bei Herrn Hoffacker haben Sie es nicht angerechnet. Dann nehme ich an, daß Sie es jetzt auch nicht tun.
- dann darf ich hier auch nicht anrechnen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Link, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß der Deutsche Bundestag 1980 ein komplettes neues Jugendhilferecht verabschiedet hat, das an der Mehrheit des Bundesrates, die damals von den Unionsländern gestellt wurde, gescheitert ist?
Herr Kollege, das kann ich bestätigen. Und zum Glück ist es gescheitert.
({0})
- Ich will auch sagen, warum. - Ich habe damals in meinem Landkreis Diepholz einmal nachgerechnet, was das bedeutet hätte. Das hätte für einen Landkreis mit 180 000 Einwohnern bedeutet, 60 Sozialarbeiter einzustellen. Das war damals bei Ihnen alles überzogen und nicht in unserem Sinne. So ist es gewesen.
({1})
Vor wenigen Tagen besuchte ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP Polen, damit wir uns dort darüber informieren, wie der soeben abgeschlossene deutsch-polnische Jugendaustausch mit Leben erfüllt werden kann. - Wir haben uns mit Ihrer Kollegin ausgesprochen gut verstanden, Frau Schmidt; vielleicht können Sie einmal nachfragen. Die Bemerkung, „Wer war denn die arme, die mit mir reisen mußte", ist außerordentlich unschön. Das kann ich Ihnen nur zurückgeben.
Mit dem deutsch-polnischen Abkommen zum Jugendaustausch unterstreicht die Bundesregierung, die neue Schwerpunktsetzung Osteuropa in die internationale Jugendpolitik einzubeziehen. Bis jetzt waren es 5 000 Jugendliche aus der Bundesrepublik und Polen, die sich trafen, jetzt werden es 10 000 sein. Die entsprechenden Haushaltsansätze sind vorhanden. Wir hatten in Polen Gelegenheit, mit über 20 Jugendverbänden zu sprechen, sowohl mit den althergebrachten als auch mit den sich gerade neu gründenden Jugendverbänden. Unseren Mitgliedern im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ist in Polen klargeworden, daß insbesondere dieser Jugendaustausch intensiver und hochsensibilisierter Vorbereitungen bedarf.
Link ({2})
Wenn man über den internationalen Jugendaustausch spricht, kann man nicht anders, als in diesem Zusammenhang den vielen jungen Aus- und Übersiedlern, die in die Bundesrepublik kommen, ein herzliches Willkommen zuzurufen. Wir haben die Ausgaben für Aus- und Übersiedler um rund 248 Millionen DM auf 654 Millionen DM erhöht. Meine Fraktion ruft die Träger der freien Jugendverbände auf, sich dieser jungen Leute besonders anzunehmen.
Im Haushalt 1990 geben wir ca. 50 Millionen DM zur Bekämpfung der Drogenproblematik aus. Wir müssen uns fragen, warum so viele junge Menschen einen Ausweg in Drogen suchen. Hier müssen wir ansetzen, damit Jugendliche nicht diesen todbringenden Ausweg beschreiten. Es darf und kann nicht sein, daß sich Drogenhändler unter dem Schutz des Asylrechts in die Bundesrepublik Deutschland einschmuggeln. Asylrecht darf Drogenhändler nicht schützen.
({3})
Wir sind uns auch darüber im klaren, daß wir, was die Vorsorge, die Therapie und die Nachsorge angeht, unsere Maßnahmen noch verstärken müssen.
Noch ein Wort zu Methadon. Meine Fraktion ist nach wie vor der Auffassung, daß es Methadon-Programme in der Bundesrepublik nicht geben darf. Wir sind schon dafür, daß in Verelendungssituationen eine Einzeltherapie unter ärztlicher Aufsicht stattfindet. Aber großangelegte Methadon-Programme kann und darf es nicht geben, weil wir im Ausland, in der Schweiz, in Holland und in Amerika, Erfahrungen gesammelt haben, die diese Programme bei uns nicht rechtfertigen. Wenn schon Behandlung mit Methadon, dann muß diese so sein, als ob derjenige, der therapiert wird, ohne Methadon, also auch mit den entsprechenden Programmen, therapiert wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Penner?
Bitte sehr.
Herr Kollege Link, wie wollen Sie denn das Problem der Beschaffungskriminalität meistern?
Wir sind uns darüber im klaren, daß gerade im internationalen Austausch und in der internationalen Zusammenarbeit gegen die Drogenbekämpfung wesentlich mehr getan werden muß.
({0})
- Meine Zeit ist leider abgelaufen.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die paar Punkte, die ich hervorheben konnte, zeigen, daß das in der Tat eine gute Bilanz ist. Ich möchte mich, Frau Minister Professor Lehr, bei Ihnen ganz herzlich bedanken. So wie Ihre vom Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, berufenen Vorgänger im Amt des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Dr. Heiner Geißler und Professor Rita Süssmuth, haben Sie es verstanden, Frau Minister, diese Politik mit Herz und Verstand kontinuierlich weiterzuführen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Link, ich entschuldige mich ganz ausdrücklich für meinen Zwischenruf vorhin, weil ich natürlich selber weiß, daß Sie im privaten Umgang sehr viel angenehmer als hier am Rednerpult des Deutschen Bundestages sind.
({0})
Insoweit hatte ich nicht das Recht, meine Kolleginnen zu bedauern, die mit Ihnen in Polen waren.
Nur möchte ich Ihnen ganz ernsthaft sagen, daß die Menschen in der Bundesrepublik die Art der Auseinandersetzung, wie Sie sie hier geführt haben, nachgerade satt haben.
({1})
Das Vorzeigen von irgendwelchen Versäumnissen, das Vorweisen von irgendwelchen vergangenen Leistungsbilanzen zu irgendeiner Zeit und das Umsichschlagen mit irgendwelchen Zahlen bringt den Menschen überhaupt nichts. Sie wollen vielmehr wissen, was wir in der Zukunft eigentlich tun wollen.
({2})
- Doch, ich war die ganze Zeit hier. Ich bin jetzt seit dreieinhalb Stunden hier. Das ist beinahe zu lang.
Sie sind in dieser Debatte der erste gewesen, der die Frau Ministerin angesprochen hat. Das sollte der Frau Ministerin zu denken geben. Ich hätte niemals gedacht, daß ich irgendwann einmal der Geißlerschen Ministerzeit nachtrauern würde, nicht etwa, weil es damals so viel Übereinstimmung gegeben hätte. Im Gegenteil: Es gab dauernd Gegensätze, und wir haben uns kräftig gestritten. Aber der Politikbereich Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hatte einen Stellenwert in der Bundesregierung, im Parlament und - zumindest sehr viel häufiger als heute - auch in der veröffentlichten Meinung.
({3})
- Nein, es geht nicht um die Inhalte, sondern darum, ob über diesen Bereich öffentlich geredet und diskutiert worden ist.
Das hat sich grundlegend geändert. Nach einem knappen Jahr Ministerinnentätigkeit von Frau Professor Lehr ist dieser Politikbereich praktisch nicht mehr vorhanden und zur politisch irrelevanten Restgröße geschrumpft.
({4})
Wir bedauern das vor allem auch deshalb, weil die
Zuständigkeiten dieses Ministeriums und das Ausfül13802
Frau Schmidt ({5})
len seiner Kompetenzen in den heutigen turbulenten Zeiten klarmachen könnten, daß wir die Probleme der Bürgerinnen und Bürger, der Kinder und Jugendlichen, der Frauen, der Familien und der alten Menschen über die dramatischen, revolutionären und anrührenden Entwicklungen in Deutschland nicht vergessen haben. Es könnte klargemacht werden, daß wir gegenüber den notwendigen und richtigen Hilfsmaßnahmen für die Bürger und Bürgerinnen aus der DDR die berechtigten Forderungen, die notwendigen Veränderungen und die unabdingbaren Hilfsmaßnahmen für die Menschen in der Bundesrepublik nicht hintanstellen.
Herr Zywietz, ich habe den Eindruck, daß Sie Herrn Dreßler und auch viele andere hier in der Debatte ganz konkret und vielleicht sogar absichtlich mißverstanden haben. Es geht doch nicht darum, daß wir irgend jemanden ausgrenzen wollen, sondern nur darum, daß wir anmahnen, daß sich die absehbaren sozialen Veränderungen, die auch in unserem Staat Folgen haben werden, irgendwo niederschlagen. Wir mahnen ferner an, daß sich die Ministerien, nämlich die Ministerien für Arbeit und Soziales sowie für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, damit beschäftigen, wie unsere soziale Zukunft in nächster Zeit aussehen soll.
Wir müssen uns auch damit beschäftigen, was wir tun können, damit wir denjenigen in der DDR helfen können, die Demokratie zu verwirklichen, und zwar dort helfen, und sie nicht alle zu uns herüberholen. Das ist das, was Herr Dreßler sagen wollte.
({6})
Wir können doch nicht hergehen und hier Schlachtordnungen aufbauen, die schlicht und einfach eine Unverschämtheit sind, weil wir so nicht denken und weil wir unsere soziale Verantwortung kennen.
({7})
- Wissen Sie was, Herr Kalb? Das ist auch nicht das, was die Leute von uns hören wollen, daß wir uns dauernd mit solchen blödsinnigen Schlagworten irgendwelche Etiketten anheften. Sie wollen vielmehr, daß wir uns mit den Problemen beschäftigen, die die Menschen jetzt doch spüren, die auf sie zukommen. Das hat doch nichts mit „Schönhuberei" zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, daß die Leute von uns eine Antwort haben wollen. Wir müssen diese Antwort endlich geben. Bisher haben wir sie nicht gegeben, wir noch nicht, aber Sie auch nicht. Sie sind in der Regierung, und Sie müssen sie geben.
({8})
Frau Ministerin Lehr hat sich leider aus den meisten Politikbereichen abgemeldet.
({9})
Sie hat es hingenommen, daß die Mittel für Jugendverbände in einer Zeit gekürzt werden, in der wir einen zunehmenden Rechtsradikalismus bei Jugendlichen feststellen müssen. Sie hat bei steigenden Zahlen von Zivildienstleistenden die Zuschüsse für die
Dienststellen um ein Drittel gekürzt und die Mittel für Einführungslehrgänge viel zu gering aufgestockt. Heute sollte nach einem zweijährigen Verwirrspiel endlich entschieden werden, ob dritte und weitere Söhne aus kinderreichen Familien aus dem Wehroder Zivildienst entlassen werden, nachdem sie wegen der Entscheidungsunfähigkeit, die bisher bestanden hat, eingezogen wurden. Ihr Ministerium, Frau Lehr, sitzt bei dieser Entscheidung nicht mit am Tisch, obwohl sie junge Menschen, ihre Familien und den Zivildienst betrifft - alles Kompetenzen Ihres Hauses.
Zum verbindlichen Rechtsanspruch auf Kindergartenbetreuung hat meine Kollegin Conrad schon das Notwendige gesagt. Aber weil Herr Link das noch einmal angesprochen hat, möchte ich Ihnen klarmachen, was wir wollen und weshalb SPD-Länder im Finanzausschuß des Bundesrates diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt haben. Wir wollen - übrigens genauso wie das Land Baden-Württemberg; dessen Antrag hat im Finanzausschuß des Bundesrates eine Mehrheit gefunden - einen angemessenen Finanzausgleich zwischen den Ländern und dem Bund schaffen, um damit die Länder in die Lage zu versetzen, den vom Bund initiierten Rechtsanspruch auch tatsächlich zu erfüllen.
({10})
Solange das nicht passiert, kann das nicht gehen und ist so auch nicht gerecht. Daß für einige CDU/CSU- geführte Länder nicht ausschließlich finanzielle Gründe für die Verweigerung ausschlaggebend sind, sondern auch alte Ideologien, kommt sicherlich dem einen oder anderen hier sehr gelegen. Damit bleibt es also bei der Schlußlichtposition der Bundesrepublik in ganz Europa bei allen notwendigen Einrichtungen für Kinder.
Es bleibt die Hoffnung, daß die Ministerin die von den Vereinten Nationen verabschiedete Kinder-Konvention nicht nur begrüßt, sondern auch die Initiative ergreift, damit wir zu den Erstunterzeichnerstaaten dieser Kinder-Konvention gehören. Um Kinderfreundlichkeit zu erreichen, sind Großflächenplakate wenig geeignet. Was not tut, sind konkrete Taten.
({11})
Konkrete Taten sind auch in der Gesundheitspolitik erforderlich. Dort besteht entweder Fehlanzeige oder ein Desaster. Die vierte Novelle des Arzneimittelgesetzes ist so unzureichend, daß die fünfte schon jetzt absehbar ist. Naturheilmittel, deren positive Effekte von immer mehr Ärzten und Patienten erkannt werden, werden ins Abseits gedrängt. Das angekündigte Medikalproduktgesetz wird wohl nicht einmal das Stadium eines Referentenentwurfs erreichen. Aus dem abgelaufenen Psychiatrie-Modellprogramm wurden bis heute keine Konsequenzen gezogen. Modellprogramme, die seit 1985 auf Eis liegen, haben dadurch nur noch Alibifunktion, sind hinausgeworfenes Geld.
Ihr Entwurf eines Gentechnikgesetzes wurde in der Fachöffentlichkeit und in der eigenen Partei als völlig unzureichend bezeichnet. 254 Änderungsanträge im Bundesrat, die im wesentlichen auch von den CDU- regierten Ländern mitgetragen oder sogar von ihnen
Frau Schmidt ({12})
initiiert wurden, und die im Gesetz fehlende Beteiligung der Öffentlichkeit zeigen die Mängel.
Für den Familienlastenausgleich dagegen gibt es derzeit in der Union mehrere Konzepte: ein Konzept Hoffacker, ein Konzept Pfeifer und ein Konzept Wagner. Ein Konzept Lehr vermissen wir. Dabei müßte sich doch die Familienministerin äußern, wenn sie in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD feststellt, daß die monatlichen Kosten für ein Kind mindestens 530 DM betragen, Kindergeld und Steuerfreibetrag für das erste Kind aber derzeit gerade 98 DM ausmachen.
Nun behaupte ich nicht, daß wir in einem ersten Schritt einen vollen Ersatz der Kosten für Kinder erreichen würden. Aber wir vermissen eine klare Aussage darüber, welche Position Sie eigentlich vertreten und was Sie eigentlich erreichen wollen.
Wir haben, Herr Zywietz, ein abgestimmtes und finanzierbares Konzept. Daß das so ist, hat vor gar nicht so wenigen Tagen das Ministerium ebenfalls festgestellt, als es diese Modelle, die da überall herumkursieren und die nicht abgestimmt sind, und das Modell der SPD gerechnet hat. Dann haben sie schamhaft verschwiegen, daß unser Modell von den Zahlen her stimmt und finanziert ist und so rechnerisch aufgeht. Man muß ihm deshalb nicht zustimmen; aber es ist schlicht so.
({13})
Wir schlagen deshalb vor - und wir werden das auch in die Tat umsetzen -, ab dem ersten Kind mindestens 200 DM Kindergeld zu zahlen und für kinderreiche Familien noch einmal einen Zuschlag von 200 DM monatlich. Damit werden wir das unsoziale System aus einkommensabhängigem Kindergeld, Kinderfreibeträgen und Kindergeldzuschlag ersetzen. Finanzieren werden wir das durch eine Reduzierung des Splittingvorteils. Dies wird sich bei Bruttoeinkommen von 100 000 DM aufwärts auswirken. Dies ist durchgerechnet.
({14})
Wir wollen mindestens 200 DM Kindergeld - das möchte ich nochmals betonen - , weil für uns selbstverständlich ist, daß der Kinderlastenausgleich - Sie schlagen ja mit diesen drei Konzepten, die da herumschwirren, 8 Milliarden DM mehr vor, nicht wir, sondern Herr Pfeifer und Herr Hoffacker und Herr Wagner aus Rheinland-Pfalz - Vorrang haben muß.
({15})
Wir sagen: mindestens 200 DM Kindergeld, weil es für uns selbstverständlich ist, daß der Kinderlastenausgleich Vorrang vor vielem anderen haben muß, wenn wir nicht wollen, daß immer mehr junge Familien zu den Armen in der Gesellschaft gehören.
({16})
Damit, liebe Kollegen, habe ich ein bedrückendes Stichwort genannt. In einem der reichsten Länder der Erde gibt es nach einer Untersuchung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 6 Millionen Arme. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger hat in der Zeit dieser Regierung stetig auf die dramatische Zahl von 3,3 Millionen zugenommen. Übrigens ist das zweite
eine Untersuchung der Caritas, die Ihnen ja wohl ein bißchen nähersteht als uns. Ich habe vermißt, Frau Ministerin, daß Sie als die für das Bundessozialhilfegesetz Zuständige und Verantwortliche zu diesen Veröffentlichungen irgend etwas gesagt hätten.
Es ist nicht Schwarzmalerei der Opposition oder Leugnen, daß es der Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land gutgeht. Darüber freuen wir uns genauso wie Sie.
({17})
Es ist die Beunruhigung über die soziale Sprengkraft, die in diesen Zahlen steckt, die Beunruhigung, daß diese Zahlen die Bundesregierung nicht zum Handeln bringen und daß weiteres Untätigbleiben vor den großen Aufgaben, vor denen wir stehen, die Gefährdung des sozialen Friedens in unserem Land bedeuten kann.
({18})
Wir wissen aus diesen Untersuchungen, daß Armut in Deutschland in hohem Ausmaß Armut von Frauen ist, vor allen Dingen von alleinerziehenden Frauen und Kleinstrentnerinnen.
Die typischen Frauenbiographien haben zahlreiche negative Auswirkungen auf die spätere Altersversorgung. Die Verbesserungen, die wir gemeinsam im Rentenkonsens zustande gebracht haben, reichen nicht aus, dies zu beseitigen. Das Rentenrecht - darüber sind wir uns ja auch alle einig - kann nicht die Benachteiligung in einem gesamten Frauenleben beseitigen.
Erforderlich sind deshalb der Abbau der hohen Frauenarbeitslosigkeit und eine bessere Bewertung von typischen Frauenberufen, der Abbau der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und eine verbindliche Frauenförderung.
Vor diesem Hintergrund, Frau Professor Lehr, nimmt es sich schon etwas eigenartig aus, wenn Sie euphorisch mitteilen, daß die Frauenarbeitslosigkeit in einem Jahr um 8 °A. zurückgegangen sei. Tatsache bleibt doch, daß bei einer Erwerbsbeteiligung der Frauen von 40 % ihre Arbeitslosigkeit nach wie vor bei 49 % liegt, daß ihr Anteil an Qualifikationsmaßnahmen bei nur 36 % liegt und daß Wiedereingliederung nach dem Ausscheiden aus dem Beruf für die meisten ein schöner Traum bleibt. Hier besteht Handlungsbedarf.
Sie aber erschöpfen sich entweder in beschönigenden Zahlenspielereien oder beschreiben oder beklagen die Situation. Das kann sich hin und wieder die Opposition leisten. Sie aber sind die zuständige Ministerin; von Ihnen wird mehr gefordert.
Wir schlagen Ihnen vor: Stellen Sie endlich, bevor Sie durch die Gerichte dazu gezwungen werden, Ihre unverbindliche Frauenförderungsrichtlinie auf eine gesetzliche Grundlage.
({19})
Sichern Sie Teilzeitbeschäftigung ab. Schaffen Sie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und das
Frau Schmidt ({20})
frauenbenachteiligende Beschäftigungsförderungsgesetz ab.
({21})
Ergreifen Sie die Initiative für eine dreijährige Arbeitsplatzgarantie für die Betreuung von Kindern. Dies ist nämlich, Herr Link, besonders deshalb notwendig, weil Frauen durch die derzeitige Rechtslage ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie Landeserziehungsgeld über den Erziehungsurlaub des Bundes hinaus in Anspruch nehmen.
Sorgen Sie dafür, daß Rechtsansprüche auf Requalifizierung auch wahrgenommen werden können. Steigern Sie den Anteil der Frauen an Bildungsmaßnahmen und versetzen Sie die Arbeitsämter in die Lage, das auch zu finanzieren. Ihr Modellversuch ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
({22})
Sie können sich übrigens in diesem Zusammenhang viel Arbeit ersparen, wenn Sie einfach unserem Gesetzentwurf für ein Gleichstellungsgesetz zustimmen.
({23})
In einer Pressekonferenz der Frauen-Union vor wenigen Tagen wurde auf die Frage, warum man von Frau Lehr so wenig höre, mitgeteilt, daß es bei der Frauen-Union eine Aufgabenteilung gebe und sich Frau Lehr vor allem um die Altenpolitik kümmere. Dies ist ein Etikettenschwindel, Frau Ministerin. Sie betätigen sich als Lobbyistin für Altersforschung, woran noch nichts Schlechtes wäre, wenn Sie sich um Politik für alte Menschen auch kümmern würden, und das ist nicht der Fall.
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Weder im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit noch bei dem Entwurf eines Pflegegeldgesetzes, das angekündigt ist, noch im Hinblick darauf, daß Ihr Heimgesetz auch nur den geringsten Ansprüchen genügen würde, noch bei der Altenpflegeausbildung, noch im Hinblick darauf, daß Sie selber darauf hingewiesen haben, daß es in der Ausbildung der Ärzte hinsichtlich Gerontologie und Geriatrie erhebliche Defizite gebe, haben Sie etwas getan.
Frau Ministerin Professor Dr. Lehr: Sie sind jetzt zuständig! Sie - und niemand anders - können die entsprechenden Vorschriften auf dem Verordnungsweg erlassen.
Wir lehnen den Einzelplan 15 vor allem wegen Konzeptionslosigkeit und Untätigkeit ab. Wir wünschen für das Jahr 1990 und das Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nur eines: Handeln Sie endlich, und handeln Sie so, daß es Kindern, Jugendlichen, alten Menschen, Frauen und Familien nützt!
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Ich erteile das Wort der Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Professor Lehr.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Haushalt 1990 gehen wir in ein neues Jahrzehnt - das letzte dieses Jahrhunderts. Wir sind auf diesen Weg gut vorbereitet ({0})
lassen Sie mich das schlaglichtartig in sieben Bereichen verdeutlichen 1. mit einer Jugendpolitik, die die Eigenverantwortlichkeit fördert, die Rat und Hilfe im Konfliktfall sichert und die Jugendliche aus aller Welt zusammenführt;
2. mit einer Familienpolitik, die die Menschen in ihren wichtigsten Lebensbereichen stärkt;
3. mit einer Gleichberechtigungspolitik, die auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer zielt;
({1})
4. mit einer Altenpolitik, die alte Menschen in unsere Mitte holt, die ihre Kompetenzen nutzt und die für sie da ist, wenn ihre Kraft nicht mehr ausreicht;
5. mit einer Gesundheitspolitik, die den ganzen Menschen im Blick hat;
6. mit einer Verbraucherpolitik, die die Qualität unserer Nahrungsmittel schützt, und
7. mit einer Anti-Drogenpolitik, die die wachsende Flut der Drogen entschlossen einzudämmen, die die Gefährdung der jungen Menschen abzuwenden sucht und die den Betroffenen hilft.
Diese sieben Bausteine einer Politik für alle Generationen bilden das Fundament für ein selbständiges und kompetentes Leben. Für unsere Politik heißt dies: Erhaltung und Förderung der Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit;
({2})
heißt dies: Hilfe zur Selbsthilfe. Wir müssen zu einer „Kultur der Kompetenz" gelangen!
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Es ist nicht unser Ziel, eine staatliche Universalbetreuung anzustreben, sondern die Menschen durch unsere Politik in die Lage zu versetzen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.
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Wir helfen denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen.
Lassen Sie mich jedoch, bevor ich die einzelnen Punkte anspreche, dem Haushaltsausschuß und vor allem den Berichterstattern des Haushaltsausschusses für den Einzelplan des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Dank sagen. Sie haben sich eingesetzt und bei durchaus kritischer Auseinandersetzung mit dem Regierungsentwurf doch auch viel Verständnis für die vielen schwierigen Aufgaben des Ministeriums gezeigt.
Bei den familienpolitischen Leistungen haben wir an der Schwelle des neuen Jahrzehnts die Weichen
richtig gestellt: Der Erziehungsurlaub wird auf 18 Monate verlängert. Das Erziehungsgeld wird für die Mütter und Väter, die es brauchen, auf 18 Monate ausgedehnt. Das Kindergeld für das zweite Kind wird erhöht; die Kinderfreibeträge werden aufgestockt.
Eines möchte ich mit Entschiedenheit sagen: Wir lehnen Ihre Steuererhöhungspläne, meine Damen und Herren von der SPD, für Familien mit Kindern ab.
({5})
Sie wollen die Kinderfreibeträge abschaffen. Die Erziehungsleistung für Kinder soll steuerlich nichts mehr gelten. Mit mir nicht!
({6})
Ich stehe dazu: Familien mit Kindern müssen weniger Steuern zahlen als Familien ohne Kinder.
({7})
Ich habe mich immer dagegen gewehrt, daß unsere Gesellschaft, unsere Mitbürger pauschal als kinderfeindlich bezeichnet werden. Ich glaube eher, daß viele Menschen heute kinderentwöhnt sind. Sie wissen nicht mehr, wie es ist, mit Kindern zusammenzuleben. Die Anzeigenreihe und die Fernsehspots zum Thema: „Kinder machen Freude, Kinder bereichern das Leben"
({8})
sollen deshalb - neben anderen Maßnahmen wie Wettbewerben und Modellprogrammen - einen Anstoß zu mehr Verständnis für Familien mit Kindern geben.
Von großer Bedeutung für die jungen Menschen, aber auch für die Familien insgesamt ist das neue Kinder-und Jugendhilferecht. Dahinter steht ein neues Verständnis vorbeugender Hilfe. Wir wollen die Kompetenz der Familie stärken, sie in die Lage versetzen, ihre Erziehungsaufgaben zu erfüllen und etwaige Konflikte zu bewältigen.
({9})
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Bitte.
Frau Lehr, Sie haben gesagt: Kinder machen Freude. Aber wir finden, Kinder dürfen reichen Leuten nicht mehr Freude machen. Deswegen meine Frage: Wie vereinbaren Sie das damit, daß die Kinder von Hoch- und Höchstverdienern ihren Eltern zweieinhalbmal soviel Entlastung bringen als die Kinder von Normalverdienern?
Sie haben völlig recht: Kinder machen ärmeren Familien erst recht Freude.
({0})
Kinder machen uns allen Freude; deswegen ja auch die Kampagne. Kinder machen der Gesellschaft Freude und bereichern das Leben nicht nur der Eltern, sondern auch das der Gesellschaft.
({1})
Am Beispiel des Kinder- und Jugendhilferechts sehen wir, daß Familien-, Jugend- und Frauenpolitik in einem inneren Zusammenhang stehen.
Unsere Frauenpolitik trägt den unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen Rechnung. Jüngere und ältere Frauen dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Mütter, die ihre ganze Kraft der Familie widmen, und Frauen und Mütter, die sich für die Erwerbstätigkeit entscheiden, haben den gleichen Anspruch auf politische Beachtung.
({2})
Frau Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau MatthäusMaier?
Ich möchte diesen Abschnitt gern erst noch zu Ende bringen.
Es liegt in Ihrem Ermessen.
Frauen, die Familie und Beruf miteinander verbinden wollen, brauchen Strukturen, die dies noch besser ermöglichen. Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten, mehr Teilzeitarbeitsplätze für Frauen und Männer, eine verstärkte Anstrengung der Bundesländer bei Kinderbetreuungsmöglichkeiten und bedarfsgerechte Öffnungszeiten.
Wir treten für ein neues Verständnis von Arbeit ein. Nicht nur Erwerbsarbeit ist Arbeit, sondern auch Arbeit für die Familie, für die Erziehung der Kinder, für die Pflege der Angehörigen. Auch das ehrenamtliche Engagement gehört dazu.
({0})
Wir haben die beruflichen Chancen der Frauen erweitert. Noch nie waren so viele Frauen erwerbstätig wie heute. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat seit 1983 um 1,3 Millionen zugenommen. Den Hauptanteil daran haben die Frauen. Sie waren zu 65 % beteiligt.
Wir haben mit dem Modellprogramm zur Wiedereingliederung von Frauen in den Beruf für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesorgt. Mittlerweile sind alle 17 Beratungsstellen eröffnet. Eine Initialzündung erwarte ich auch von den Einarbeitungszuschüssen für Unternehmen, die den Berufsrückkehrerinnen einen Dauerarbeitsplatz zur Verfügung stellen.
Politik für Frauen und mit Frauen ist keine einseitige Interessenpolitik. Sie dient dem partnerschaftlichen Miteinander von Männern und Frauen, von Eltern und Kindern, von Kindern und alten Eltern. Frauenpolitik umfaßt die Familie ebenso wie die Arbeitswelt, die Rechtsverhältnisse ebenso wie das soziale Sicherungssystem, den ländlichen Raum ebenso wie die Städte.
({1})
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte schön, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Ich möchte meine Zwischenfrage von eben wiederholen. Frau Minister Lehr, wie können Sie erklären, daß jemand mit einem Durchschnittseinkommen im Monat einen Gegenwert für den Kinderfreibetrag in Höhe von 46 DM erhält, jemand mit einem Spitzeneinkommen im Monat für sein Kind aber einen Gegenwert von 116 DM für den Kinderfreibetrag erhält? Das heißt, der Höchstverdiener bekommt zweieinhalbmal soviel wie der Normalverbraucher. Wie können Sie das erklären und verantworten?
Frau Abgeordnete, Ihre Berechnungen stimmen nicht ganz.
({0})
Wir gehen ja vom dualen System aus. Der Kinderfreibetrag ist nur der eine Pfeiler dieses dualen Systems. Es gibt neben dem Kinderfreibetrag ja auch noch das Kindergeld.
Ich darf Ihnen auch sagen: Wenn Sie in Ihrem Modell von 200 DM pro Kind ausgehen, dann rechnet sich das zwar sehr viel leichter und überzeugt zuerst, aber haben Sie ausgerechnet, daß das 31 Milliarden DM Mehrkosten verursacht, während bei uns der ganze Betrag nur 22,5 Milliarden DM ausmacht?
({1})
- Ich möchte jetzt eigentlich fortfahren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu einem Thema kommen, das mich nicht nur aus Gründen der Demographie sehr beschäftigt. Politik für ältere Menschen bestand in früheren Zeiten vor allem darin, finanzielle Sicherheit zu garantieren und eine gute gesundheitliche Versorgung sicherzustellen. Das ist natürlich auch heute noch eine wesentliche Grundlage unserer Politik. Hier danke ich Norbert Blüm.
({2})
Er hat es geschafft, bei der Gesundheitsreform neue
Leistungen der Krankenversicherung für ältere Menschen zu erreichen. Prävention und Rehabilitation gewinnen jetzt mehr Bedeutung als je zuvor, und das ist richtig so.
({3})
Aber ich will auch sagen: Politik für ältere und mit älteren Menschen muß alle Lebensbereiche in den Blick nehmen. Eine vorsorgende Gesundheitspolitik ist hier genauso wichtig wie ein wirksamer Schutz vor Kriminalität zu Hause und auf der Straße. Die Wohnungs- und Städtebaupolitik muß den alten Menschen genauso einbeziehen wie die Bildungspolitik. Wichtige Impulse in der Forschungspolitik sind in diesem Jahr gegeben worden. Dies sind nur einige Beispiele. Auf jeden Fall: Ich werde jeden Versuch einer Ausgrenzung alter Menschen zurückweisen.
({4})
Ältere müssen wissen, daß ihre Kompetenzen gebraucht werden. Ältere Menschen wollen nicht nur als zu Betreuende angesehen werden, sondern als aktive Mitgestalter, als Partner in Politik und Gesellschaft. Wichtig ist heute die Antwort auf die Frage: Wie kann man die Kompetenzen älterer Menschen erhalten oder sogar steigern?
Wir müssen aber auch überlegen, wie wir es schaffen können, daß ältere Menschen bei einer Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustands in ihrer vertrauten Umgebung bleib en können.
Ein sehr ernstes Thema muß auch in diesem Jahr wieder angesprochen werden. AIDS war und bleibt eine große Aufgabe für verantwortliche Politik. Mich bewegt das Lebensschicksal der Menschen, die sich fast ausweglos mit dieser schrecklichen Krankheit konfrontiert sehen. Wir müssen weltweit alle Kräfte mobilisieren, um dieser bedrückenden Geißel der Menschheit ihren Schrecken zu nehmen.
Große Sorge macht mir auch die wachsende Gefahr durch Drogen. Die Drogen-Mafia weitet ihre kriminellen Aktivitäten immer stärker auf Europa aus. Immer neue Drogenarten drohen Jugendliche zu verführen und zu vergiften. Deshalb werde ich mit den Kollegen der anderen Ressorts einen Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan erarbeiten. Die Gefahren sind erkannt. Wir wissen, daß es schwierig werden wird. Aber diese Bundesregierung stellt sich den neuen Herausforderungen.
Doch unsere Politik beschränkt sich nicht auf ernste Problemgruppen. Die größten Aufgaben nehmen wir für die gesamte Bevölkerung wahr.
Durch den vorbeugenden Verbraucherschutz wird den Bürgern im Hinblick auf die Qualität und Unbedenklichkeit unserer Nahrungsmittel ein hohes Maß an Sicherheit geboten.
({5})
Im gesamten Lebensmittelbereich ist der Prozeß der Vollendung des europäischen Binnenmarkts in vollem Gang. Seit Einführung des Mehrheitsprinzips ist die Zahl der verabschiedeten EG-Richtlinien aus dem Lebensmittelbereich sprunghaft gestiegen.
Wir wollen einen wirksamen Verbraucherschutz auf hohem Niveau erhalten, wenn möglich sogar verbessern.
({6})
Durch beharrliches Verhandeln ist es uns gelungen, unsere grundsätzlichen Vorstellungen z. B. bei der Lebensmittelüberwachung und bei den Lebensmittel-Zusatzstoffen durchzusetzen.
An dieser Stelle möchte ich diese wichtige Arbeit besonders herausstellen und den vielen Menschen, die in unserem Lande dafür arbeiten, danken.
Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen. In allen Politikfeldern kommt immer stärker zu der nationalen die internationale Dimension hinzu.
Das gilt ganz besonders für die Jugendpolitik, hier auf dem Feld des Jugendaustauschs. Zu den bewährten Programmen mit Frankreich, den USA und Israel sowie mit vielen weiteren Ländern kommen im nächsten Jahr neue Programme mit der Sowjetunion und mit Polen hinzu. Wir stehen hier vor einer historischen Chance: Nachdem die Jugendlichen der 60er, 70er und 80er Jahre durch rege Kontakte mit unseren westlichen Freunden ihren Horizont erweitern konnten, haben die Jugendlichen mit Anbruch der 90er Jahre die Chance, mit den Ländern Osteuropas - besonders mit Polen und der Sowjetunion - stärker vertraut zu werden.
({7})
Ganz zum Schluß ein letztes Thema. Gerade in diesen Tagen kann ich nicht von den weltweiten Beziehungen reden, ohne die Beziehungen in Deutschland zur Sprache zu bringen.
Der aufbrechende Freiheitswille in der DDR berührt auch mich sehr. Ich spüre, daß die Menschen dort unsere Hilfe brauchen, vielfältige Hilfe, um deren Kompetenz zu steigern.
Der Bundeskanzler hat in seinem Zehn-Punkte-Programm das Feld der humanitären Hilfen angesprochen. Diese Aufgabe stellt sich jetzt. Ich habe alle Vorbereitungen getroffen, um rasche medizinische Hilfe für die DDR zu ermöglichen. Zum Beispiel haben wir, nachdem wir von Notlagen im Bereich der Dialyse gehört haben, sofort angeboten, Dialyse-Teams in die DDR zu schicken, damit schwer nierenkranke Menschen nicht ohne die lebensrettende Vorsorge dastehen.
Außerdem haben wir auch sonst weitreichende Hilfe angeboten. Zur Zeit befinden sich Mitarbeiter meines Ministeriums in der DDR, um darüber im einzelnen zu sprechen. Für mich ist humanitäre Hilfe für unsere Landsleute in der DDR das erste Gebot der Stunde.
Ich danke.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Martin Luther, der für eine deftige Sprache bekannt ist, hat einmal gesagt: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Meine Damen und Herren, Frau Lehr, das, was Luther gesagt hat, machen Sie bei der Familienpolitik.
({0})
Frau Professor Lehr, sollte Ihnen wirklich entgangen sein, daß die Wirkung des steuerlichen Kinderfreibetrages genau die ist, daß Normalverdiener davon im Monat einen Vorteil von 46 DM haben, Höchstverdiener aber von dem Kinderfreibetrag einen monatlichen Vorteil von 116 DM haben? Frau Lehr, ich kann Ihnen das nicht glauben. Ihre Vorgänger haben das gewußt.
Deswegen hat die Union 1974 gemeinsam mit der SPD und der FDP im Deutschen Bundestag die Kinderfreibeträge durch ein gleich hohes Kindergeld ersetzt. Dahin wollen wir zurück, denn alles andere ist unchristlich.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich der Reihenfolge nach aufrufe, es sei denn, Sie sind mit einer Blockabstimmung einverstanden. Wenn Sie ja sagen, geht es rascher.
({0})
Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5800 auf. Wer wünscht zuzustimmen? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5801: Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5802: Wer ist dafür? - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5803: Wer ist dafür? - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5804: Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5805: Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Drucksache 11/5833: Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD zu Einzelplan 15. Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/5882 unter XII zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt.
Vizepräsident Stücklen
Wer stimmt für den Änderungsantrag, ebenfalls ein SPD-Antrag,
({1})
- ich muß das sagen, damit es keine Verwirrungen gibt - auf Drucksache 11/5888? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -({2})
- Immer dann, wenn ich irgendwo hinschaue, wissen Sie schon, wie - ({3})
- Bei so vielen Abstimmungen kann es ja schon einmal Irrungen geben.
Ich stelle also fest: Bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 15. Wer stimmt für Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit - in der Ausschußfassung?
- Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Einzelplan 15 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 11/5556, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Kleinert ({4})
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksache 11/5577 Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude Kühbacher
Kleinert ({5})
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 11/5575 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({6}) Kühbacher
Frau Vennegerts
Zu den Einzelplänen 06 und 36 liegt eine größere Zahl von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Wüppesahl vor. Die Änderungsanträge sind verteilt worden. Über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5796 und 11/5797 wird namentlich abgestimmt, worauf ich bereits jetzt aufmerksam mache.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne einschließlich Begründung zwei Stunden vorgesehen. Ist das
Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern, Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle stehen unter dem Eindruck des heimtückischen Mordanschlages auf Alfred Herrhausen und auf seinen Fahrer Jakob Nix, der den Anschlag glücklicherweise überlebt hat und außer Lebensgefahr ist.
Sie werden deshalb verstehen, daß ich zu Beginn der Aussprache über den Haushalt des Innenministeriums einige Sätze zur inneren Sicherheit sagen möchte. Zu anderen Punkten der Innenpolitik werde ich mich, je nach Verlauf der Debatte, später in der Aussprache äußern.
Viele in der Öffentlichkeit - vielleicht auch mancher von uns - haben nach dem mißglückten Anschlag auf Staatssekretär Tietmeyer im September vergangenen Jahres geglaubt und gehofft, die RAF wäre zur Einsicht gekommen, daß ihr Kampf gegen diesen demokratischen Staat sinnlos ist und daß ihre Terroraktionen das demokratische System nicht erschüttern können. Die Sicherheitsbehörden selbst haben immer darauf hingewiesen, daß diese Ruhe eine trügerische sei, und sie haben stets auf die Fähigkeit der RAF zu terroristischen Aktionen abgehoben. Sie haben auch die möglichen Sicherheitsmaßnahmen und -vorkehrungen getroffen. Dies gilt für die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern gleichermaßen.
({0})
Der Terrorismus bedroht ja nicht eine bestimmte Gruppe oder bestimmte Personen, er bedroht nicht bestimmte Institutionen oder Parteien, er bedroht uns alle. Der Terrorismus ist eine Bedrohung für unsere Demokratie, für unser Volk, und deswegen müssen alle demokratischen Kräfte in der Abwehr des Terrorismus zusammenstehen.
Wir sind den Herausforderungen in den 70er Jahren gemeinsam entgegengetreten. Die Morde an Buback, Ponto, Schleyer, an Zimmermann, Beckurts und von Braunmühl, sie haben nicht dazu geführt, daß dieser Staat zurückgewichen ist. Daß der Terrorismus nicht nur Repräsentanten des Staates, der Politik oder der Wirtschaft bedroht, sondern auch vor allen anderen Menschen keinen Halt macht, das zeigt sich ja darin, daß den Anschlägen auch Fahrer, Begleiter, in anderen Fällen amerikanische Soldaten zum Opfer gefallen sind.
Die Sicherheitsvorkehrungen eines demokratischen Rechtsstaats - darüber, meine Damen und Herren, sollte sich niemand Illusionen hingeben - können solche Mordanschläge nicht und niemals hundertprozentig ausschließen. Wir leben in einem demokratischen, in einem offenen Staat, in einer freien Gesellschaft, und das bedeutet auch das Inkaufnehmen von Sicherheitsrisiken. Niemand kann und niemand will einen totalen Überwachungsstaat oder absolute Sicherheitsmaßnahmen, wenn es sie denn geben sollte, verwirklichen. Dies wäre im übrigen genau
das, was die Terroristen wollen. Sie wollen ja unseren freien Staat beseitigen, die Freiheit untergraben.
Trotzdem, meine Damen und Herren, müssen und werden wir uns die Frage stellen, welche Sicherheitsmaßnahmen weiter verbessert werden können. Aber wir werden dies vernünftigerweise erst nach genauer Analyse des Tathergangs tun können. Ich denke, daß wir darüber in den Ausschüssen dieses Hauses in den nächsten Wochen beraten sollten. Heute ist es dazu zu früh. Niemand sollte auch den Erkenntnissen des Generalbundesanwalts vorgreifen, der die Ermittlungen übernommen hat und der das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragt hat.
Ich will zum Stand der Ermittlungen hier keine Einzelheiten sagen - ich kann das auch gar nicht -, aber erste Eindrücke, die ich heute vormittag am Tatort hatte, geben mir doch Anlaß zu der Bemerkung, daß es mir auch wichtig erscheint, daß neben den Sicherheitsbehörden auch unsere Bevölkerung ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit walten läßt. Niemand sollte sich scheuen, ihm verdächtig vorkommende Aktivitäten, Auffälligkeiten frühzeitig der Polizei zu melden. Bei terroristischen Anschlägen ist es wie bei der allgemeinen Kriminalität: Die Polizei kann nicht überall sein. Gerade bei der Verhinderung von Verbrechen sind rechtzeitige Hinweise aus der Bevölkerung oft entscheidend für die Verhinderung oder auch für die Festnahme der Täter.
Meine Damen und Herren, bei aller Erschütterung über den Mord: Es wird den Terroristen nicht gelingen, diesen freiheitlichen Rechtsstaat und seine Institutionen zu erschüttern. Sie werden intakt bleiben, und wir alle tragen, dafür Verantwortung.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Worte heute vormittag und soeben.
Meine Damen und Herren, nachdem der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Hans-Jochen Vogel seinen Abscheu und seine Empörung über die feige Mordtat an Alfred Herrhausen bekundet hat und über die Trauer hinweg zur Entschlossenheit und Besonnenheit bei der Verfolgung der RAF-Terroristen aufrief, möchte ich meine ganz persönliche Betroffenheit hier heute aussprechen.
Alfred Herrhausen, seine Familie und seine persönlichen Mitarbeiter gehörten auf Grund der exponierten beruflichen Stellung des Ermordeten zu dem Kreis der höchstgefährdeten Personen in der Bundesrepublik. Er und wir wußten dies.
Gegen mit brutaler Präzision vorbereitete Mordabsichten gibt es keinen perfekten Schutz, es sei denn um den Preis der totalen Isolation. Die Gewalt hier bei uns ist die gleiche verabscheuungswürdige Gewalt wie die der Rauschgiftbosse in Lateinamerika oder
anderer Mörder. Mörder handeln immer aus niedrigen und hinterhältigen Motiven.
({0})
Die Polizei wird die Täter verfolgen. Als Bürger dieses Staates und als Abgeordneter bin ich ganz sicher, daß unser Staat und unsere auf freiheitlichen Prinzipien ruhende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung durch Mörder nicht ernsthaft zu gefährden ist.
({1})
Halten wir einen Moment inne, befehlen wir Alfred Herrhausens Seele und unser Schicksal in Gottes Hände.
Unsere Verfassung ist allemal stärker als die Bluttaten Wahnsinniger.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei Ihnen für den Beifall, weil wir hier in der Tat zusammenzustehen haben. Ich denke, es war eine gute Sache, daß wir, die wir in der Innenpolitik etwas näher zusammenrücken, wenn wir schwierige Diskussionen haben, uns auf eine Debatte vorbereitet haben, die heute einmal anders sein sollte als die üblichen Schlagabtäusche hier im Haus. Ich brauche von meiner Rede nichts umzuändern; denn ich hatte eine solche Rede hier vor.
Herr Minister, ich möchte damit beginnen, daß ich Ihnen an dieser Stelle stellvertretend für die so oft gescholtenen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Beamte, Angestellte, Arbeiter, Polizeibeamte, Soldaten ausdrücklich dafür danke, daß diese mit der Bewältigung der Aufgaben, die mit dem Aussiedlerzustrom, mit dem Übersiedlerzustrom, die in den letzten Monaten und Wochen auf uns zugekommen sind, in hervorragender, selbstloser Weise fertiggeworden sind.
({2})
Ich bin stolz auf die Leistungen des öffentlichen Dienstes, und ich bin auch stolz auf die Einsatzbereitschaft - ich sage es einmal ausdrücklich - der vielen kleinen Beamten, Angestellten und Arbeiter, der Lokomotivführer im Zonenrandgebiet, die noch einmal mehr Überstunden machen, des Reinigungspersonals, der Bahnpolizei, des Bundesgrenzschutzes, der Zollbeamten und wie sie alle da sind; denn sie hatten die Hauptlast zu tragen, und sie haben es mit Freude gemacht.
({3})
Nun laufe ich Gefahr, irgend jemanden zu vergessen. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei den Wohlfahrtsorganisationen, die ja ehrenamtlich tätig sind, die geholfen haben, ob es nun in den Übergangslagern, in den Aufnahmestellen oder unmittelbar bei der Begrüßung der Besucher war, die jetzt kurz in die Bundesrepublik gekommen sind, beim Deutschen Roten Kreuz, bei der AWO, bei den Paritätischen Wohlfahrtsorganisationen, nicht zuletzt bei den Kata13810
strophenschutzorganisationen und den Feuerwehren, die vor Ort sofort geholfen haben.
({4})
Was kann uns denn eigentlich mit größerer Zufriedenheit erfüllen, als das unverzüglich geschehen ist, was ich hier - ich gebe zu, leider unter Gelächter der Kollegen - im September von dem Verteidigungsminister gefordert habe, nämlich die Kasernen frei zu machen für die Menschen, die da kommen. Ich höre auch von meinen Söhnen, die bei der Bundeswehr sind, daß es richtig Sinn macht, hier zu helfen. Eine bessere Bestätigung, daß unsere jungen Leute in Ordnung sind, kann man doch gar nicht bekommen.
({5})
Meine Damen und Herren, der Etat des Innenministers enthält einige Dinge, die ich hier nun ansprechen möchte, weil ich Ihre Unterstützung brauche, weil wir heute vielleicht einmal in der Lage sind, über uns selbst und über die Bewältigung der Aufgaben nachzudenken.
Wir erlauben uns im Jahre 1989, für den Bereich der zivilen Verteidigung, für den Schutzraumbau oder - ich drücke es mal plastisch aus - für den Bunkerbau 112 Millionen DM ausgeben zu wollen. Sind wir eigentlich wirklich gut beraten, in der gegenwärtigen Situation so weiterzumachen, wie wir das seit 30 Jahren tun - und völlig unzulänglich tun? Sollten wir uns nicht gegenseitig Mut machen, uns einmal kurz zu besinnen und zu fragen, ob die Prioritäten nicht anders zu setzen sind?
Für die Bevölkerung für den Fall eines konventionellen Krieges oder eines begrenzten Einsatzes von Kernwaffen einen Mindestschutz bereitstellen zu wollen und zu wissen, daß ein solcher Schutz im Moment nur für maximal 3 % der Bevölkerung möglich ist, sollte uns doch wirklich daran erinnern, mit diesem Unsinn aufzuhören.
({6})
Fangen wir am besten bei uns selbst an: Wir brauchen den Bunker, die atombombensicheren Schleusentore an der Tiefgarage unter der Gronau nicht.
({7})
Denken wir doch auch einmal gemeinsam darüber nach, ob es sinnvoll ist, für den Sirenenwarndienst, der seit 30 Jahren unverändert besteht, in jedem Jahr 84 Millionen DM auszugeben - als ob wir denn glaubten, daß heute noch über Nacht Tieffliegeralarm ausgelöst werden müßte.
({8})
Lassen Sie uns doch gemeinsam darüber nachdenken, ob wir bei den Vorwarnzeiten, die wir ja alle kennen, Herr Kalisch, nicht auf intelligentere Instrumente, auf die intelligente Bevölkerung setzen können, die dann, wenn es zu Krisensituationen kommt, ohnehin das Radio einschaltet, und ob das nicht ausreicht. 84 Millionen DM könnten sicherlich sinnvoller eingesetzt werden.
({9})
Und fragen wir einmal danach, ob es denn sinnvoll ist, wenn wir doch wissen, daß die Schutzraumbauten nur für 3 % der Bevölkerung ausreichen, weiterhin psychologische und soziologische Untersuchungen aus Steuergeldern zu finanzieren, um eine Abschätzung des Verhaltens der Bevölkerung, der Entscheidungsträger und der Einsatzkräfte bei den Belastungssituationen eines Krieges abzufragen? Wer will denn aus diesen Erkenntnissen Handlungsanleitungen ablesen können?
Ich denke, es gibt Dinge anzusprechen, über die wir gemeinsam nachdenken sollten. Herr Minister, wir müssen auch über unsere Mitarbeiter im Ministerium nachdenken. Es war leider keine Ruhmestat, daß nach der klugen Vorbereitung der Entscheidung durch die Fachleute im BGS für die Rettungshubschrauber - obwohl gut begründet und in der Sache gut vorgetragen - im Haushaltsplan des Deutschen Bundestages der gedachte Endpreis ausgedruckt wird. Es war in der Sache gut vorbereitet, aber irgend jemand hat so gepennt, daß er die fünf potentiellen Anbieter auffordert, bei uns einen Endpreis von 163,4 Millionen DM abzufordern. Auch dieses gehört zu einem verantwortlichen Handeln, und ich wäre dankbar, wenn wir gemeinsam unseren Ärger in Richtung des Finanzministeriums und Ihrer Spezialisten dort Ausdruck geben. Auch das gehört zum verantwortlichen Handeln von Staatssekretären, solche Vorlagen für die Wirtschaft nicht zu liefern. Es handelt sich schließlich um Steuergelder.
Nun sage ich etwas sehr Gewagtes, ich weiß das. Ich sage das deshalb, weil mein Kollege Walther das schon vor zwölf Jahren einmal versucht hat.
({10})
- Entschuldigung. - Wollen wir nicht gemeinsam einmal darüber nachdenken, ob für die 850 Beschäftigten des Bundesverbandes für den Selbstschutz oder für die 1 400 Beschäftigten des Bundesamtes für Zivilschutz in der heutigen Zeit nicht passendere und notwendigere Aufgabenerfüllungen möglich sind? Lassen Sie uns nachdenken!
({11})
Nun, Herr Minister, habe ich eine ganz persönliche Bitte: Wenn das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken in einer Presseveröffentlichung befürchtet, daß es in dem kommenden Winter in Polen zu akuten Hungersnöten kommt, lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, ob wir es verantworten können, den Lebensmittelvorrat, den wir für den Fall eines Krieges vorhalten, nicht für eine friedliche Sache einzusetzen! Ich will dafür nicht plädieren, ich will das hier auch nicht besser wissen. Wir müßten es im Zweifelsfall gemeinsam verantworten. Aber ich glaube, es ist des Nachdenkens wert, ob wir in der gegenwärtigen Situation einen Krieg befürchten müssen oder ob wir nicht damit vielmehr gerade gegenüber Polen unKühbacher
sere Friedfertigkeit durch staatliches Helfen unter Beweis stellen können.
({12})
Meine Damen und Herren, der Aufgabenblock innere Sicherheit beträgt fast 2 Milliarden DM, und im wesentlichen werden die Mittel für die Personalkosten beim Bundesgrenzschutz und beim Bundeskriminalamt benötigt. Herr Minister, auch der Bundesgrenzschutz bedarf der fürsorglichen Anleitung zu neuem Denken. Es kann nicht sein, daß nach der Eröffnung der neuen Grenzübergänge und dem wirklich hohen Einsatz der Beamten dort, in den Abteilungen nunmehr die bisherige Streifentätigkeit an der noch geschlossenen DDR-Grenze bis um das Vierfache erhöht wird, als sei der Einmarsch von Betriebskampfgruppen zu erwarten, während der Grenzschutzeinzeldienst überhaupt nicht mehr weiß, wie er seine Überstunden abarbeiten kann.
({13})
Eine derartige Abschottung innerhalb des Bundesgrenzschutzes - das ist unsere Bundespolizei - , weil die Abteilungskommandeure oder die Gruppenkommandeure befürchten, sage ich mal, daß ihnen ein Teil ihrer Bereitschaftspolizisten abhanden kommen könnte, weil dort an den Grenzübergängen notwendigerweise etwas getan werden muß, kann nicht hingenommen werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal die Streifenbücher, die Arbeitsnachweise in den Abteilungskommandos, daraufhin überprüfen lassen könnten, ob im September, Oktober und November 1989 erhebliche Unterschiede bei den Bestreifungen der nunmehr offenen Grenze und der damals geschlossenen Grenze vorkommen. Diese Information habe ich, wie ich meine, aus seriöser Quelle. Ich habe immer befürchtet, daß offensichtlich der Wunsch, viele Untergebene zu haben, wichtiger ist als die Aufgabenerfüllung vor Ort. Ich will niemandem zu nahe treten, weil ich weiß, daß die einzelnen Grenzschutzbeamten ihren Dienst wirklich gut machen.
Nun lassen Sie mich einen ganz kleinen Satz sagen zu dem nächsten großen Aufgabenblock in Ihrem Haushalt, zu den Kriegsfolgelasten. Wir haben schon 1981 hier an dieser Stelle und weiter darüber hinaus in den Ausschüssen gemeinsam darüber nachgedacht - unter anderen politischen Mehrheiten, Herr Minister - , ob wir im Bereich des Lastenausgleichsrechts, des Vertriebenenrechts, des Kriegsgefangenenentschädigungsrechts nicht zu einer Schlußnovelle kommen sollten, um diese Ausgabenfolge wirklich zu beenden. Ich ermuntere Sie ganz ausdrücklich dazu, und ich ermuntere meine Kollegen dazu, hier zu gemeinsamen Überlegungen zu kommen,
({14})
nicht nur wegen der Bürokratie, sondern auch wegen der Ungerechtigkeiten, die sich aus hier nunmehr in hohen finanziellen Beträgen ergeben. Ich will zu den Beträgen hier bewußt nichts sagen, weil ich glaube, daß ich damit meine Verantwortung überdehnen würde, falls diese Rede öffentlich gehört wird. Aber wir müssen an dieses Gebiet heran, weil dieses nun wirklich den Sozialneid schürt. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, und vielleicht ist es ja möglich, mit einer Schlußnovelle hier Einhalt zu gebieten.
Ich möchte mich, Herr Minister, bei einigen Mitarbeitern in Ihrem Hause ausdrücklich bedanken, daß es möglich war, 40 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Mittel freizubekommen - schon im letzten Jahr ohne zusätzliche Einplanung, in diesem Jahr mit Hilfe der Kollegen der CDU und der FDP - einzuplanen für die Herrichtung von Gedenkstätten, die an das nationalsozialistische Unrecht erinnern. Ihr Haus hat es im letzten Jahr möglich gemacht, daß in Schleswig-Holstein ein kirchlicher Friedhof wieder angemessen hergerichtet werden konnte. In diesem Haushalt sind für 1990 Mittel eingeplant, um in Hadamar, einer berüchtigten Stätte, einige Räumlichkeiten herzurichten, die als Erinnerungs- und natürlich auch als Belehrungsstätte dienen soll. Es ist auch möglich, bei der Bundeszentrale für politische Bildung Mittel zur Verfügung zu stellen, damit dort ein pädagogisches Konzept entwickelt wird.
Nun kann ich mir einen Hinweis an die GRÜNEN nicht verkneifen. Sie stellen nachher zur namentlichen Abstimmung einen Antrag zum Thema Salzgitter-Drütte. Ich habe die Unterlagen da und kann Ihnen das daher nicht ersparen. Dieser Antrag ist nicht etatreif, weil die Vorbereitungen in Salzgitter nicht so weit sind.
({15})
- Frau Vollmer, Sie können dazu ja nachher reden. Ich habe die aktuellen Informationen des Bundestagsabgeordneten Wilhelm Schmidt, der sich vor Ort an dieser Sache selbst beteiligt. Es hilft doch nichts. Warum nehmen die GRÜNEN an dieser Stelle nicht zur Kenntnis, daß wir für Hadamar - auch mit der Unterstützung des Kollegen Kleinert - etwas gemacht haben, daß wir pädagogische Konzepte erarbeiten? Warum müssen Sie an dieser empfindlichen Stelle öffentlich zu so einem Versuch des Überholens antreten?
({16})
Wir sind uns doch als demokratische Parteien einig: Hier ist kein Platz für grüne Eitelkeiten, Frau Vollmer. Ich sage das jetzt einmal so.
({17})
Herr Minister, ein Wort zu den großen Aufgaben im Sportbereich. Ich denke, wir sind da auf gutem Wege. Aber lassen Sie sich aus meiner Sicht eines gesagt sein. Der Kollege Deres hat uns in einer stillen Stunde über die schlimmen Auswirkungen des Dopings - auch auf die Moral - unterwiesen. Ich denke, von Ihnen und von uns wäre ein Wort nötig, daß wir nicht zulassen werden, daß Bundestrainer aus dem Haushalt finanziert werden, die entweder wissen oder aber dulden, daß Leistungssport in der Bundesrepublik über das Mittel des Dopings getrieben wird. Wir werden dafür aus meiner Sicht keine öffentlichen Mittel weiter bereitstellen können. Wer das macht, muß da13812
mit rechnen, daß ihm die Finanzmittel des Bundes entzogen werden. Wir wollen keine Doping-Bundestrainer.
({18})
Nun muß ich meine Kollegen direkt ansprechen, insbesondere die Kollegen von der CSU. Kollege Rose, warum ist es denn nicht möglich, daß wir im Deutschen Bundestag - ({19})
Ich bitte um Entschuldigung.
Verehrte Frau Kollegin, hier spricht ein Redner. Sie stören diese Rede. Halten Sie sich bitte zurück.
({0})
- Das ist meine Sache. Ihre moralische Entrüstung können Sie sich sparen. Wir haben selbst unsere Moral.
({1})
Frau Kollegin Nickels, ich glaube, ich spreche auch in Ihrem Namen.
Ich spreche die Kollegen von der CSU an. Warum, liebe Kollegen von der CSU, ist es im Deutschen Bundestag nicht möglich - viele von uns haben doch ein christliches Menschenbild - , ohne parteipolitische Grenzüberlegungen ein gemeinsames Ausländerrecht zu machen? Die Ausländer in diesem Staat haben ein Recht auf ein klares Recht. Alles andere ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
({0})
- Doch. Deshalb spreche ich doch die Kollegen von der CSU an. Ich bin mir doch mit vielen Kollegen der CDU, der FDP, der Sozialdemokraten und der GRÜNEN einig.
Warum kommen wir denn nicht zusammen? Wer stoppt denn hier? Ich meine, ich sollte das sagen: Wir sind uns hier auf viel breiterer Basis einig, als wir aus parteipolitischem Kalkül den Eindruck vermitteln. Und wenn ich mich an Sie wenden darf, Herr Kollege Fellner: Ich befürchte, daß ein klares, offenes Handeln wegen Ihrer Furcht vor den Republikanern nicht möglich ist.
({1})
- Ja, eben. Das weiß ich doch. Also, Hermann, ich weiß doch, wie du denkst.
({2})
Ich sage das mal ganz persönlich: Dann laß uns doch über diese parteipolitischen Grenznutzenüberlegungen im Interesse der Menschen hinwegkommen.
({3})
Ich will ein letztes Wort an die Koalitionskollegen sagen: Haben Sie mit uns gemeinsam im Bereich der Innenpolitik - und das ist ein breites Feld - Mut zu neuem Denken, weg von der parteipolitischen Konfrontation, die in den Ausschüssen ohnehin nicht stattfindet, auch hier in diesem Hause! Ich glaube, die Bevölkerung wird es uns allen als demokratischen Parteien danken. Ich denke, wir sollten aufeinander zugehen.
Lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Gern.
Herr Kollege Gerster, bitte.
Herr Kollege Kühbacher, wenn Sie hier in Richtung CSU Solidarität der Parteien in der Ausländerpolitik anmahnen: Wären Sie bereit, diesen Appell auch nach Berlin an Herrn Momper zu richten, der im Juni in der schwierigen Frage der Asylpolitik die Solidarität aller Länder und des Bundes verlassen und eine einseitige Öffnung durchgeführt hat?
Also, selbstverständlich, Herr Kollege Gerster, kann das Bundesland Berlin eine Solidarität aller Bundesländer nicht verlassen. Ich glaube, daß sich auch der Berliner Senat seiner Verantwortung und seiner ganz besonderen, empfindlichen Situation bewußt wird. Ich weiß gar nicht, was Ihr Angriff speziell auf Herrn Momper hier soll. Ich denke, wir sind gemeinsam aufgerufen, uns um die besonders prekäre Situation der Berliner, der Berliner Bevölkerung und der jetzigen Regierung, zu kümmern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn, Herr Minister, im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Ihre Stellungnahme und Wertung zu dem traurigen Ereignis dieses Tages bedanken. Ich schließe in diesen Dank den Kollegen von der SPD ein, der auch durch unseren Beifall für seine Äußerungen erfahren hat, daß es in dieser Frage keine parteipolitischen Ausbuchtungen und Grenzen gibt.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist ein stabiler Staat, ein stabiles Gemeinwesen nach außen und nach innen. Dieses Maß an Stabilität im umfassenden Sinne wurde durch die erfolgreiche Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen erreicht. Sie zu sichern und auf die Zukunft zu projizieren ist wichtige Aufgabe unserer Politik. Das gilt für die politisch bedeutsamen Entscheidungen in Richtung Deutschland und Europa. Dies muß aber auch über den heutigen Tag der Trauer um Alfred Herrhausen hinaus für die Zukunft gelten.
Der Haushalt 06 des Bundesministeriums des Innern ist das in Zahlen ausgedrückte Regiebuch einer stabilitätsorientierten Innenpolitik für das Jahr 1990. Bei 5 Milliarden DM Gesamtumfang und 6,1 % Steigerungsrate hoffen wir, den Aufgabenstellungen gerecht werden zu können. Daß die Umsetzung des Haushaltes Flexibilität verlangen wird, ist uns im Haushaltsausschuß, aber insbesondere auch in der Berichterstatter-Runde von Beginn der Beratungen, aber vor allem vom Tage des 9. November 1989 an klargeworden.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine persönliche Bemerkung, die zum Teil an das anschließt, was Klaus-Dieter Kühbacher hier eben ausgeführt hat: Die Berichterstatter für den Innenbereich haben umfangreiche und intensive Beratungen hinter sich gebracht, nicht zuletzt durch die erregenden Ereignisse in der DDR und in Osteuropa. Ich möchte deswegen Frau Kollegin Seiler-Albring und den Kollegen Klaus-Dieter Kühbacher und Hubert Kleinert für die sachliche und konstruktive Zusammenarbeit danken.
({0})
Der Dank gilt, Herr Bundesinnenminister, genauso Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die Unterstützung, die wir erfahren haben. Ich hoffe, daß die heutige Diskussion diese gute Zusammenarbeit nicht zudeckt, die uns bei allen Differenzen in vielen Sachfragen doch zu Übereinstimmungen hat kommen lassen. Das möchte ich hier bewußt verdeutlichen, und das hatte ich auch schon vor diesem Tage so aufgeschrieben.
Die heutige zweite Lesung des Innenhaushalts gibt mir Gelegenheit, einige Eckpunkte der innenpolitischen Standortbestimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu verdeutlichen und zu bekräftigen. Dabei gehe ich davon aus, daß Konsens über Fraktionsgrenzen hinweg in wesentlichen Punkten möglich ist. Ich darf ausführen:
Erstens. Unsere Demokratie, der Staat des Grundgesetzes ist zum freiheitlichsten Gemeinwesen auf deutschem Boden geworden. Der zweite Anlauf zu einer deutschen Demokratie konnte, wie wir in 40 Jahren gesehen haben, nur gelingen, weil unsre Verfassung eine zweifache Grundentscheidung getroffen hat: die Entscheidung für eine jeder Veränderung entzogene freiheitlich-demokratische Grundordnung einerseits sowie andererseits die Entscheidung für eine repräsentative Demokratie mit politischen Parteien, welche bei der politischen Willensbildung mitwirken. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Elemente wie die Achtung der Menschenrechte, die parlamentarische Verantwortung der Regierung, Unabhängigkeit der Gerichte, Recht auf Bildung und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung stehen für uns nicht zur Disposition.
Diese Grundordnung ist in den letzten Jahren mitunter als reaktionär und verkrustet beschimpft worden. Heute entfalten diese Faktoren politischer Freiheit in Mittel- und Osteuropa mehr revolutionäre
Sprengkraft als alle kommunistischen Manifeste und Programme, die wir kennen.
({1})
Diese Grundlagen einer freiheitlichen Demokratie den sogenannten sozialistischen Staaten für einen Neubeginn zu empfehlen, hat, sieht man auch auf die Menschen auf den Demonstrationsplätzen und hört auf ihre Forderungen, nichts mit Aufdringlichkeit oder Besserwisserei zu tun. Wo das Wort Demokratie bislang nur als Worthülse von kommunistischer Diktatur mißbraucht wurde, braucht politische Freiheit die genannten Fundamente.
Zweitens. Die beiden deutschen Staaten sind füreinander nicht Ausland. Sie haben, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag 1973 festgestellt hat, ein Staatsvolk. An der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit darf, ganz gleich, ob daran in Ost-Berlin oder in Saarbrükken Kritik geübt wird, nicht gerüttelt werden.
({2})
Die Bundesrepublik muß folglich jeden Bürger der DDR, der in ihren Schutzbereich kommt, als Deutschen wie jeden Bürger der Bundesrepublik Deutschland behandeln.
Drittens. Daraus folgt, daß wir für die Aufnahme der deutschen Aussiedler sowie der Übersiedler aus der DDR offen bleiben müssen. Die Aufnahme dieser Menschen ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern Konsequenz unseres Selbstverständnisses. Niemand wird leugnen, daß die Aufnahme der Aus- und Übersiedler in Größenordnungen wie in diesem Jahr zu einer schwierigen Aufgabe und Belastung geworden ist. Die Solidarität einer Gemeinschaft beweist sich aber erst in Schwierigkeiten. Wer kommt denn weltweit als Zufluchtsort für diese Deutschen in Betracht, wenn nicht wir in der Bundesrepublik Deutschland?
({3})
Es grenzt schon an ein Wunder, daß die Aufnahme und vorläufige Unterbringung von an die 700 000 Menschen in diesem Jahr ohne größere Probleme gelungen ist. Einige Zigtausend nicht gezählter Übersiedler müßten gegebenenfalls noch einbezogen werden. Hier haben Bund, Länder und Gemeinden, die Wohlfahrtsorganisationen Außerordentliches geleistet. Ich schließe mich hier dem Dank, der eben formuliert worden ist, an alle Organisationen, die mitgemacht haben, ausdrücklich an.
({4})
Denken Sie einmal daran, daß in der Nacht zum 4. November nach Öffnung der tschechischen Grenze fast 14 000 Übersiedler untergebracht werden mußten. Der Sonderstab des Innenministeriums und das Grenzschutzkommando Süd hatten in den gut zwei Monaten vom 10. September bis 16. November dieses Jahres ca. 150 000 Übersiedler zu betreuen.
Als Anfang November täglich fast 10 000 Übersiedler kamen, haben insbesondere Bundeswehr, Katastrophenschutz und BGS 140 Notunterkünfte mit zig13814
tausend Betten organisiert, bereitgestellt und eingerichtet.
({5})
Den Beamten des BGS, den Soldaten der Bundeswehr, allen Helfern im Katastrophenschutz wie beim Roten Kreuz drücke ich nochmals unseren Dank und unsere Anerkennung aus.
Es kommt aber jetzt darauf an, die Aussiedler und Übersiedler, von denen bisher wenige Rückkehrabsichten verfolgen, so rasch wie möglich zu integrieren. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Dabei hat die Welle der Hilfsbereitschaft für die Aus- und Übersiedler sowie für die vielen tausend Besucher aus der DDR gezeigt, daß unser reiches Land das Teilen nicht verlernt hat.
Informationsdefizite zur Situation von Aus- und Übersiedlern dürfen aber nicht zu einer Gefahr für den sozialen Frieden werden. Wir begrüßen deshalb die Anstrengungen der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet und haben dafür im kommenden Jahr 17 Millionen DM vorgesehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch klarstellen, daß wir über den Bundeshaushalt keineswegs, wie so oft an Stammtischen behauptet wird, eine soziale Hängematte für die Aus- und Übersiedler zur Verfügung stellen. Im Einzelplan sind für 1990 zwar ca. 1,2 Milliarden DM bereitgestellt - das ist eine große Summe - , aber wir müssen auch einmal sehen, daß es sich auf viele Menschen verteilt, zum Teil in bescheidenden Beträgen: 200 DM Überbrückungshilfe, pro vierköpfige Familie eine Einrichtungshilfe, die bei ca. 1 400 DM liegt, und in bestimmten Fällen Häftlings- und Kriegsgefangenenentschädigungen. Alle diese Hilfen sind im Grunde genommen keine soziale Hängematte. Das muß nach draußen sehr deutlich gesagt werden.
Viertens. Was die europäische Einigung und den gemeinsamen Binnenmarkt voranbringt, ist auch für die deutsche Einheit und die Freiheitsbewegungen in Osteuropa gut. Innenpolitisch müssen wir alles daran setzen, die Voraussetzungen für einen Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen zunächst gegenüber Frankreich und den Beneluxstaaten und nach 1993 innerhalb der gesamten EG zu schaffen. Der wirtschaftlichen Dynamik eines gemeinsamen Binnenmarktes kann und wird sich auch die DDR nicht entziehen. Ebensowenig wie die innerdeutsche Grenze unser Volk auf Dauer teilen kann, wird sie auf längerer Sicht Außengrenze eines vereinten Europas sein können.
Mit diesen innenpolitischen Eckwerten gehen die Unionsparteien in die 90er Jahre.
Lassen Sie mich jetzt noch einige konkrete Probleme aus dem Bereich des Innenministeriums aufgreifen.
Unabhängig von der Entwicklung an der innerdeutschen Grenze und dem Abbau der Grenzkontrollen zu unseren westlichen Partnerstaaten hat der BGS als Polizei des Bundes Zukunft. Allerdings wird der Binnenmarkt ohne Grenzkontrollen sowie die Abschaffung von Todesstreifen und Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze nicht ohne Folgen für die Gliederung des Bundesgrenzschutzes bleiben. Der Bundesgrenzschutz ist nicht nur in den vom Grundgesetz erwähnten Extremfällen ein unverzichtbares Element der inneren Sicherheit. Neben den Verbänden des Bundesgrenzschutzes kommt dem Grenzschutzeinzeldienst mit der Kontrolle der Außengrenze eine wachsende Bedeutung zu.
Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche die Einrichtung einer Zentralstelle für die Sicherheit in der Informationstechnik beschlossen. Wie die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, wird das Funktionieren von Datenverarbeitungsanlagen in öffentlichen und privaten Bereichen von sogenannten Hackern, Computerviren und Ausspähungsversuchen bedroht. Es hat sich gezeigt, daß nicht nur die Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Daten im Sinne des herkömmlichen Datenschutzes eine Staatsaufgabe ist. Auch die Anwendung der Informationstechnik als solche muß gegen unbefugte Eingriffe und Störungen geschützt werden.
Die Reisefreiheit für die Einwohner der DDR schafft neue Bedingungen für den deutschen Sportverkehr. Damit rückt die Idee einer Olympiade zu Anfang des nächsten Jahrtausends in Berlin in den Bereich des Wahrscheinlichen. Über derartige faszinierende Perspektiven sollte aber nicht die Begegnung von Verein zu Verein vergessen werden. Der Breitensport kam bisher nicht zueinander. Das kann jetzt anders werden. Unsere Vereine und Aktiven sind aufgefordert, auf ihre Sportkameraden in der DDR zuzugehen und möglichst viele Begegnungen selbst abzusprechen.
({6})
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich empfehle dem Präsidenten und großen Organisatoren von Vereinigungen, die aus dem Bundeshaushalt gefördert werden, ihre finanziellen Forderungen möglichst nicht in Galavorstellungen des Fernsehens und in großen Zeitungen zu veröffentlichen, sondern eher bei uns das Gespräch zu suchen. Das ist der vornehmere Weg, besonders wenn man so viele zig Millionen und Hunderte von Millionen, je nach Organisation, empfängt.
({7})
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Situation der Kulturpolitik. Ich will hier nur die Situation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erwähnen. Wir haben bereits bei der Schaffung eines neue Titels im Haushalt 1990 zur Sicherung wertvollen nationalen Kulturgutes darauf geachtet, daß diese Haushaltsmittel auch der Stiftung zugute kommen. Der Entwicklung der Neubauten der Stiftung sowie den vorhandenen Einrichtungen müssen wir in den nächsten Haushaltsjahren unsere besondere Aufmerksamkeit im Sinne einer verstärkten Förderung widmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit ist wieder einmal abgelaufen. Man könnte so vieles aus dieser erregenden Zeit berichten. Ich schließe mit dem Satz: Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU stimmt dem Haushalt ohne Einschränkungen zu. Das, was einzuschränken war, haben wir in der Haushaltsausschußsitzung gemacht. Daher lehnen wir weitere Anträge, wie sie hier heute gestellt werden, zum Teil
in einer enormen Zahl, ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Such.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Betroffenheit meiner Fraktion über das schreckliche Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und dessen Fahrer Jakob Nix habe ich heute morgen bereits in einer Presseerklärung zum Ausdruck gebracht. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer.
Es ist jetzt nicht die Zeit, in Hektik und Aktionismus zu verfallen und Rundumschläge zur Mitschuldfrage zu machen. Die Tathintergründe müssen mit Ruhe und Besonnenheit aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. In dieser Arbeit muß die Polizei Unterstützung finden. Wir, d. h. die Politik, haben uns mit weisen Ratschlägen herauszuhalten.
Meine Damen und Herren, es ist in dieser Situation natürlich nicht leicht, zum Haushalt des Innenministers kritisch Stellung zu nehmen. Es muß aber weiter eine sachliche Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Standpunkte stattfinden, auch und gerade in dieser Situation. Die Haushaltsdebatte wird überschattet von einem Mord; die Probleme bestehen jedoch weiterhin und werden nicht durch Schweigen gelöst.
Ich möchte die unterschiedlichen Standpunkte zur Innenpolitik an einigen Beispielen deutlich machen und komme zunächst zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik sowie dem Umgang mit Aus- und Übersiedlern und Übersiedlerinnen. Hierzu habe ich noch deutlich die bis vor einiger Zeit zu hörenden Beschwörungsformeln der Bundesregierung im Ohr, soweit es um die Abwehr von Flüchtlingen aus der sogenannten Dritten Welt ging: „Wir sind kein Einwanderungsland. Wir stoßen an die Grenzen der Aufnahmekapazität. " Und so weiter. Was tatsächlich alles möglich ist, wenn man nur will, zeigt sich jetzt, wo wir in der Bundesrepublik binnen kurzer Zeit eine halbe Million neuer Bürgerinnen und Bürger aus der DDR, aus Osteuropa und aus der UdSSR begrüßen können. Da wird plötzlich auf dem Wohnungsmarkt, bei den Sozialleistungen und nicht zuletzt bei den direkten Hilfen auch durch die Bürgerinnen und Bürger möglich, was stets als unmöglich und unzumutbar galt.
Ich begrüße diese Anstrengungen; das möchte ich hier unmißverständlich klarstellen. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Hilfsbereitschaft und die Akzeptanz der Bevölkerung auch auf Dauer tragfähig bleiben. Dies wird allerdings um so fraglicher, wenn die erbrachten Leistungen etwa der Bundesanstalt für Arbeit faktisch durch massive Einsparungen und Beschränkungen bei den einheimischen Arbeitslosen z. B. beim Abbau von AB- und Qualifizierungsmaßnahmen oder bei der Verschärfung der Verfügbarkeitsmaßstäbe finanziert werden.
Daneben wird jedoch die Diskriminierung der Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt jetzt
immer deutlicher. Für sie gibt es statt eines Begrüßungsgeldes und freundlicher Worte an der Grenze vielfach gleich eine Zurückweisung, statt Freizügigkeit Residenzpflicht, statt Wohnungsbauprogramm und bevorzugter Wohnungsvermittlung Kasernierung in Sammellagern, statt Eingliederungsgeld und weiterer Hilfen gekürzte Sozialhilfe, statt intensiver Jobvermittlung Zwangsarbeit nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Diese unterschiedliche Behandlung der Menschen nach dem fragwürdigen Kriterium der Deutschstämmigkeit muß aufhören.
({0})
Die GRÜNEN fordern die Gleichbehandlung aller Einwanderinnen und Einwanderer und Flüchtlinge ungeachtet der Herkunft, Hautfarbe, der kulturellen oder religiösen Bekenntnisse usw.
Dieses Ziel wird jedoch durch die Pläne zur Novellierung des Ausländerrechts verstellt. In der Sache knüpft der vorliegende Innenminister-Entwurf an den Zimmermann-Flop vom Februar letzten Jahres und dessen „Ausländer raus"-Motto an. Nach der strikten Ablehnung durch kirchliche Gruppen, Fachverbände etc. muß dieses Vorhaben wie sein Vorgänger in der Versenkung verschwinden.
Nebenbei bemerkt: Die SPD-Vorstellungen zum Ausländerrecht, die die Strukturen der Diskriminierung zum Teil bedenkenlos übernehmen, sind für uns keine Alternative, sondern ein Ärgernis, auch im Hinblick auf rot-grüne Kooperationsmöglichkeiten.
({1})
Mit diesem Politikbereich Ausländerpolitik hängt das zweite anzusprechende Beispiel zum Teil eng zusammen: die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den westeuropäischen Nachbarn, etwa mit den Schengener Vertragsstaaten. Das erste Folgeabkommen, das in vierzehn Tagen unterzeichnet werden soll, wird im Gegensatz zum Mauerdurchbruch im Osten zur Folge haben, daß die Schutzwälle um Europa zur koordinierten Abwehr von Einwanderinnen und Einwanderern und Flüchtlingen erhöht werden.
Ebenso kritikwürdig sind die geplanten Kooperationsmaßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit. Obwohl die entsprechenden Vorhaben seit langem auf den Wunschlisten der Sicherheitsbehörden standen und obwohl die geplante Öffnung der Binnengrenzen immer weiter verschoben wird, werden die Pläne weiterhin als bloße Ausgleichsmaßnahmen hierfür verkauft.
Für die Errichtung des Schengener Informationssystems, zu dessen Vorbereitung mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf die ersten Mittel bereits eingeworben werden, ist kein zwingender Bedarf erkennbar. In den geplanten Details droht das SIS zu einem Selbstbedienungsladen für Nachrichtendienste und Polizeibehörden zu werden.
Die vor vier Wochen auf der Konferenz der Datenschutzbeauftragten bekräftigten Forderungen wur13816
den in der Konzeption weitgehend ignoriert. Es ist daran zu erinnern, daß viele der Teilnehmerstaaten immer noch kein oder nur ein kümmerliches Datenschutzrecht haben. Europäische Datenschutzinstanzen fehlen.
({2})
- Herr Kollege, ich lasse eine Zwischenfrage erst vor meinem letzten Satz zu, damit Sie mir meine Rede nicht aus dem Zusammenhang reißen.
({3})
- Kolleginnen und Kollegen, man hat da seine Erfahrungen mit solchen Zwischenfragen.
({4})
Insgesamt verfolgt das ganze Vertragswerk die Tendenz, bestehende nationale Standards an Bürger- und Bürgerinnenrechten und Schutzbestimmungen auf ein geringeres Niveau herunterzuharmonisieren.
Dritter Bereich: Drogenpolitik. Hier regiert weiterhin Konzeptlosigkeit, Verständnislosigkeit und im Zweifel dumpfe Abwehr und Repression. Soweit im Rahmen der Schengener Vertragsverhandlungen auf die liberalen Niederländer und Niederländerinnen massiver Druck ausgeübt wurde, ist dies um so bedauerlicher, als angesichts der relativen Erfolge der dortigen Drogenpolitik wahrlich kein Anlaß zu nationaler Überheblichkeit und zur Vereinheitlichung der hiesigen miserablen Praxis besteht. Solange hier selbst die Diskussion über mögliche Veränderungen und Liberalisierungsmaßnahmen bereits als gefährlich bezeichnet wird und mutige Vorschläge wie die von Herrn Voscherau sogleich verworfen werden, wird man die von den Gewinnmöglichkeiten bestimmte Dynamik des Drogenhandels nicht verringern können, ebensowenig die dramatische Verelendung der Konsumenten sowie die Beschaffungskriminalität. Ich frage mich tatsächlich, ob wir der Bevölkerung unter diesem Gesichtspunkt zumuten können, daß Eigentumsgefährdungen und Kriminalität angesichts dieses Konzepts in Zukunft ansteigen werden. Und wir haben auch eine Verantwortung für die Konsumenten, die unter den Bedingungen anhaltender Kriminalisierung und Beharren auf dem Abstinenz-Dogma vor die Hunde gehen könnten, um es einmal so auszudrükken.
Die beschlossenen Ausweitungen der Prävention und therapeutischen Hilfe sind unzureichend. Repressivmaßnahmen, Herr Minister, wie Personalaufstokkungen der Polizei, Vermögensstrafe, unwirksamer Verfall und Bestrafung der Geldwäsche sind ungeeignete Mittel zur Bekämpfung der Drogenkriminalität.
Viertes Beispiel: Zivilverteidigung - der Einzelplan 36 wird hier heute mitberaten - . Auch hier fehlt es an den notwendigen Änderungen, z. B. angesichts der Veränderungen im Ost-West-Verhältnis. Statt dessen verfolgt das Innenministerium weiter Feindbilder von gestern. Die kürzliche Verabschiedung des Katastrophenschutzergänzungsgesetzes mit seinen zusätzlichen Kriegsdienstpflichten ist dafür das beste Beispiel.
({5})
Daß die Gelder für toten und nutzlosen Bunkerbau - trotz der herrschenden Wohnungsnot und des Feilschens um Mittel für den Wohnungsmarkt - mit diesem Haushalt nochmals - auf 110 Millionen DM - erhöht werden, wird der Bevölkerung nur schwerlich begreiflich gemacht werden können.
({6})
Das zunehmende Wortgeklingel um eine angebliche Friedensnützlichkeit all dieser Maßnahmen auch für tägliche Unglücksfälle ist ein allzu durchsichtiger Versuch, verlorene Akzeptanz wiederzugewinnen. Dies zeigt schon die strikte Ablehnung des Innenministeriums, über eine bedingungslose Mitfinanzierung und Förderung des friedensmäßigen Katastrophenschutzes - ohne Beharren auf dessen Kriegsmitwirkung - nachzudenken.
({7})
Zusammenfassend stelle ich fest: Diese Innenpolitik ist erfolgslos, konzeptlos, phantasielos.
({8})
Es bedarf dringender Veränderungen. Die GRÜNEN- Vorstellungen liegen geschlossen auf dem Tisch. Die bloße Polemik, die Sie, Herr Innenminister Schäuble, diesen Thesen im Sommer entgegengesetzt haben, wird die Wählerinnen und Wähler auf Dauer nicht überzeugen können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf ein besonderes Anliegen der GRÜNEN möchte ich abschließend noch eingehen. Bekanntlich sind die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und insbesondere die Anerkennung und Entschädigung der NS-Opfer einer unserer innenpolitischen Schwerpunkte. Seit Jahren fordern wir zusätzliche Mittel für die bisher ausgeschlossenen Verfolgten und vor allem andere Lösungen.
Nach wie vor unterstützen wir die Initiative, eine Bundesstiftung für alle NS-Opfer einzurichten, denen Anerkennung und eine würdige Entschädigung bislang versagt blieben. Die notwendigen Finanzmittel dafür müssen im Haushaltsplan fest verankert werden.
Darüber hinaus - und Sie wissen, daß wir darauf in diesem Jahr noch einmal besonders hingewiesen haben - muß es einen eigenen Bundesfonds für die ehemaligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen geben,
({9})
die bekanntlich von jeglicher Entschädigung ausgeschlossen worden sind. Diese Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen wurden mehrheitlich aus den heutigen Ostblockstaaten deportiert und hier unter fürchterlichsten Bedingungen zur Arbeit gezwungen. Es hat diese Menschen, die noch heute in Polen leben, die dieses Grauen überlebt haben, unerträglich enttäuscht, daß der Bundeskanzler ihnen bei seinem Polenbesuch in diesem Monat erneut die kalte Schulter zeigte.
Dieses Parlament sollte den Mut aufbringen, ein Zeichen zu setzen, daß man an einer nachträglichen
Aussöhnung mit Polen interessiert ist, indem man das Leiden dieser Menschen ernst nimmt.
({10})
Kolleginnen und Kollegen, Sie haben heute die Chance, den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen eben diesen Mut und Ihre Aufrichtigkeit durch Ihre Unterstützung unseres Haushaltsantrages zu beweisen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diejenigen von uns, die auf Grund ihrer Tätigkeit - u. a. als Berichterstatter - die Arbeit des Bundeskriminalamtes näher kennen, wissen, welch unmittelbares Entsetzen sich mit einer Nachricht verbindet, wie wir sie heute morgen hören mußten.
Meine Fraktion ist von der Nachricht über die Ermordung von Dr. Alfred Herrhausen entsetzt und tief erschüttert. Wir möchten in diesen Stunden seinen Angehörigen unser Mitgefühl übermitteln. Dies gilt auch dem verletzten Fahrer.
Der Anschlag ist ein Zeichen sinnloser Barbarei und erbarmungsloser Kaltblütigkeit. In welcher Welt der Trostlosigkeit und des Hasses leben die Täter - in einer Zeit, in der die Menschen doch aufeinander zugehen und sich über realistische Chancen auf Abrüstung und die Bewahrung des Friedens freuen - , die zu einer solch sinnlosen Tat fähig sind.
Das Attentat hat uns wieder einmal sehr schmerzhaft deutlich gemacht, daß der Kampf gegen den Terrorismus noch lange nicht beendet ist. Wir müssen alles tun, um bei der Bekämpfung des menschenverachtenden Terrorismus nicht nachzulassen.
Dem Hohen Haus liegt die bisher noch nicht beratene Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Mai dieses Jahres zu den Problemen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus vor. Darin wird für die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet u. a. die Einsetzung eines Europäischen Gerichtshofes für Straftatbestände des Terrorismus sowie allgemein die Schaffung einer europäischen Polizei gefordert.
Auch wir Freien Demokraten halten die Einrichtung eines zentralen EG-Kriminalpolizeiamtes zumindest für diskussionswürdig. Unsere Fraktionsvorsitzendenkonferenz hat dies noch am letzten Wochenende in Saarbrücken im Hinblick auf die unbestreitbare Tatsache beschlossen, daß der Wegfall der Grenzen im EG-Raum neben sehr vielen positiven natürlich auch problematische Folgen haben wird, z. B. für die effektive Verbrechensbekämpfung.
Meine Damen und Herren, für Gewalt gibt es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung. Aber es gibt natürlich Ursachen für Gewalt, denen wir uns stellen müssen. Die Bundesregierung hat Ende 1987 eine unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt eingesetzt. Diese Kommission wird ihren Bericht voraussichtlich schon bald, nämlich im Januar 1990, dem Herrn Bundeskanzler überreichen. Ihr Auftrag umfaßte neben der Ursachenforschung auch die Entwicklung von praxisnahen Handlungskonzepten. Dieser Bericht sollte von uns allen sehr sorgfältig ausgewertet werden. Eventuell aufgezeigte Wege zur Gewaltbekämpfung sollten wir gemeinsam beschreiten.
Kommen wir zurück zu dem aktuellen Haushalt des kommenden Jahres für den Bereich des Innenministers. Nicht erst seit dem historischen 9. November 1989 fanden die umwälzenden Ereignisse in der DDR und in Osteuropa in immer stärker anschwellenden Zuwandererzahlen ihren Ausdruck. Zweifelsfrei hat die Abstimmung mit den Füßen einen gewichtigen Anteil am Durchbruch der Reformbewegung in der DDR. Wir erinnern uns: Erst wenige Wochen liegt die bewegende Szene nach der Erklärung von Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Nacht von Prag zurück.
Über der dramatischen aktuellen Entwicklung in der DDR, die uns zu Recht tief bewegt, dürfen wir nicht übersehen, daß nach wie vor Menschen deutscher Volkszugehörigkeit zu uns kommen, die während vieler schwerer Jahre unter für uns kaum nachzuvollziehenden Bedingungen an dem Wunsch, als Deutsche unter Deutschen zu leben, festgehalten haben. Wir respektieren die souveräne Entscheidung dieser Menschen, zu uns zu kommen, und heißen sie auch willkommen.
Wir wissen, daß die Eingliederung vor allem dieses Personenkreises eine Herausforderung von geschichtlicher Dimension für unseren Staat und unsere Gesellschaft ist. Die Steigerung im Haushalt des Bundesinnenministeriums von 6,1 % gegenüber 1989 geht vor allen Dingen auf den erhöhten Aufwand für Aus- und Übersiedler zurück, der mit einem Plus von 18,9 % zu Buche schlägt und die Bewilligungen für Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte und Aussiedler auf über 1,1 Milliarden DM steigen läßt. Es ist selbstverständlich, daß wir heute noch nicht absehbaren bzw. überschaubaren Entwicklungen im nächsten Jahr dann durch eine angemessene Mittelzuweisung Rechnung tragen werden.
Ein großer Teil der organisatorischen Abwicklung der Aufnahme, Begrüßung und ersten Betreuung wurde nicht zuletzt auch von Mitarbeitern des Ministeriums geleistet. Die weitgehend reibungslose Aufnahme so vieler Aus- und Übersiedler in diesem Jahr - bis zum letzten Sonntag sind allein 284 000 Übersiedler förmlich erfaßt worden - ist eine Leistung, die unser aller Anerkennung verdient. Sie wurde möglich durch die vertrauensvolle und unbürokratische Zusammenarbeit zwischen Behörden, Kirchen, Verbänden und Privatpersonen.
({0})
Klaus-Dieter Kühbacher hat eben in seiner Rede einen großen Teil dieser Helfer und Helferorganisationen genannt. Ich freue mich ganz besonders, daß er auch die vielen Wehrpflichtigen genannt hat, die in Zelte gezogen sind und ihre Unterkünfte für Familien und alte Menschen freigemacht haben.
Die Aussiedler sind uns willkommen. Hinzu kommen muß aber nach unserer Ansicht auch eine aktive Hilfe für diejenigen Menschen, die in ihren Siedlungsgebieten bleiben wollen, ihr Leben zu erleichtern und insbesondere ein Leben unter Wahrung ihrer kulturellen Identität als Deutsche zu ermöglichen, ist deshalb ebenso dringlich.
({1})
Die soziale Integration von Aussiedlern in der Bundesrepublik ist nicht zuletzt eine Frage der Akzeptanz in unserer Gesellschaft. Diese Akzeptanz wird gefährdet, wenn sich einheimische Bürger gegenüber ihren neuen Nachbarn benachteiligt fühlen. Das Eingliederungsanpassungsgesetz hat Vergünstigungen, die zum Teil ja nur minimalen Umfang hatten, aber dennoch zu Neid, Mißgunst und Ablehnung geführt haben, abgebaut. Dennoch: Jeder Aussiedler wird auch zukünftig bei uns eine faire Chance haben, in möglichst kurzer Zeit die Schritte in ein normales bürgerliches Leben zu tun.
({2})
Die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asyl in der Bundesrepublik Deutschland ruft ein anderes, durch die aktuellen Ereignisse etwas in den Hintergrund getretenes Problem in die Erinnerung zurück. Wir Liberalen halten an dem Grundsatz fest, daß das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Asyl unantastbar ist.
({3})
Um so mehr unterstützen wir die Bemühungen des Bundesinnenministers, durch weitere Dezentralisierung das Anerkennungsverfahren zu beschleunigen und durch zeitnahe Entscheidungen am Ort zentraler Ausländerbehörden eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber durch die Lander zu erleichtern.
Es bleibt zu hoffen, daß alle Lander diese Bemühungen unterstützen und ihrerseits die erforderlichen Maßnahmen für ein reibungsloses Zusammenwirken der Ausländerbehörden mit den Außenstellen des Bundesamts in Zirndorf ermöglichen.
Im Haushalt 1990 ist mit der Ausbringung von 225 neuen Stellen eine wesentliche Voraussetzung für die Beschleunigung der Verfahren geschaffen. Dazu beitragen wird auch die für 1990 vorgesehene Verbesserung der Leitungsstruktur des Bundesamts. Hier möchte ich allen Berichterstatterkollegen und dem Haushaltsausschuß danken, daß sie sich dem Anliegen nicht verschlossen haben und für das Amt, dessen Mitarbeiterzahl von 120 im Jahre 1976 auf 945 im kommenden Jahr steigen wird, eine dem Aufgabenzuwachs adäquate stellenmäßige Ausstattung auch der Leitungsebene beschlossen haben.
({4})
Eine Bemerkung zum Ausländer- und zum Asylverfahrensrecht. Die FDP hat zu dem Kompromiß im Ausländerrecht und im Asylverfahrensrecht erheblich beigetragen. Ich möchte dem Innenminister, aber auch den Kollegen, vor allen Dingen Johannes Gerster, Hermann Fellner und Dr. Hirsch, sehr herzlich dafür danken, daß diese komplizierte Materie in so befriedigender Weise gelöst werden konnte. Ich erinnere mich mit Freude daran, daß auch der Kollege Kühbacher für seine Fraktion die Bereitschaft, dieses mitzutragen, signalisiert hat; denn, meine Damen und Herren, wir brauchen endlich klares Recht für unsere ausländischen Mitbürger. Ein Mißerfolg würde nicht nur sie enttäuschen; er würde rechtsradikaler und rassistischer Demagogik Auftrieb geben. Das sollten wir alle bedenken.
({5})
Ein Wort zum Schengener Abkommen. Dieses Abkommen, das den Wegfall der Binnengrenzen in der Europäischen Gemeinschaft regelt, sollte ursprünglich zum 1. Januar 1990 in Kraft treten. Dies ist zunächst verschoben worden, weil noch Regelungsbedarf z. B. im Bereich des Datenschutzes und der Harmonisierung des Asylrechts bestand. Nunmehr soll am 15. Dezember 1989 das notwendige Zusatzabkommen verabschiedet werden. Ich betone, daß wir als FDP den geplanten Abbau der Grenzkontrollen nachdrücklich begrüßen, weil wir die Verbesserung der grenzübergreifenden Freizügigkeit zwischen den europäischen Kernstaaten als eine wichtige Voraussetzung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes sehen. Wir halten es aber für unabdingbar, daß der Abbau der Grenzkontrollen von einer Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden begleitet wird, damit der Grenzabbau nicht zu einem Sicherheitsdefizit führt.
Wir appellieren daher an die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer, erstens durch geeignete Maßnahmen die innere Sicherheit nach Wegfall der Personenkontrollen an den EG-Binnengrenzen in der Bundesrepublik zu gewährleisten und zweitens - das wird eine sehr große Aufgabe sein - die auf den BGS und den Zoll zukommenden Anpassungsprobleme in enger Abstimmung mit den Betroffenen möglichst einvernehmlich zu regeln.
Ein anderes Kapitel im Haushalt des Bundesinnenministeriums betrifft die Kulturförderung des Bundes. Sie hat im vorliegenden Haushalt eine Steigerung um 8,1 % erfahren. Unter den vielen begrüßenswerten Maßnahmen hebe ich aus aktuellem Anlaß eine hervor, die uns hier im Deutschen Bundestag schon mehrmals beschäftigt hat: den Aufbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Bonn und Berlin, Bundesregierung und Senat haben vor geraumer Zeit vertraglich vereinbart, das Projekt „Historisches Museum" zu realisieren. Mein Kollege Wolfgang Lüder hat in der Aussprache am 27. Oktober 1989 zur Aufgabe des Deutschen Historischen Museums ausgeführt:
Das Deutsche Historische Museum kann einen unverrückbaren, unübersehbaren Beitrag zum Verständnis unserer gemeinsamen Geschichte geben. Die Chancen sind gut, daß die Museumsbesucher aus dem In- und Ausland, aus Ost und West, aus Nord und Süd nach Errichtung dieses Hauses ein vertieftes und kritisches Verständnis von der deutschen Geschichte haben. Deswegen und in diesem Geiste bejahen wir das Projekt.
Der Berliner Senat ist dabei - ich habe Gegenteiliges bis jetzt leider nicht hören können - , dieses Projekt „Deutsches Historisches Museum" nicht als einen
Glücksfall in einer historisch bedeutsamen Situation dieser Stadt zu begreifen, sondern durch koalitionsinternes Gezerre aufs Spiel zu setzen und zu gefährden.
({6})
Um so mehr freut es mich, daß es gelungen ist, dem Aufbaustab um Professor Stölzl durch eine Mittelsteigerung die Durchführung einer weiteren Ausstellung zu ermöglichen, um so zu zeigen, mit welch fachlicher Kompetenz und international anerkanntem Sachverstand am Projekt „Deutsches Historisches Museum" gearbeitet wird.
Zum Schluß gehe ich kurz noch auf ein anderes Thema ein, das in den letzten Wochen auf Grund der innerdeutschen Entwicklung ebenfalls etwas in den Hintergrund getreten ist, in seinen bedrückenden Dimensionen für unsere Gesellschaft aber nichts an Brisanz verloren hat, im Gegenteil. Es ist das Ansteigen der Drogenkriminalität in der Bundesrepublik und in ganz Europa.
Rekordmengen an sichergestelltem Rauschgift sollten uns nicht in der Illusion wiegen, das Problem in den Griff bekommen zu haben. Sicher, die Sachmittelausstattung und die Stellenmehrungen im Bereich des Bundeskriminalamts, die wir auch in diesem Jahr konsequent weitergeführt haben, zeitigt Erfolge. Gestatten Sie mir dabei den kurzen Hinweis, daß das erst im Mai in Dienst gestellte Nordseeboot im Bereich des Aufgriffs von Drogen auf See erste Erfolge vorweisen kann.
({7})
Die aufgegriffenen Mengen deuten vor allem darauf hin, daß der nicht mehr aufnahmefähige nordamerikanische Markt die internationalen Drogenverbrecher zunehmend auf die europäischen Märkte ausweichen läßt. Drogenabhängigkeit kann jeden treffen. Die Zerstörung der Lebensperspektiven unzähliger junger Menschen, unglückliche Familien und ruinierte Partnerschaften sind die Folgen.
Die Bundesregierung hat mit der Vorlage des nationalen Rauschgiftbekämpfungsplanes deutlich gemacht, daß sie sich bewußt ist, daß neue Strategien der intensivierten Drogenbekämpfung zu entwickeln und durchzusetzen sind.
Wir Freien Demokraten legen großen Wert darauf, festzustellen, daß wir bereit sind, an der Bewältigung dieser nationalen Aufgabe mitzuarbeiten und die notwendigen Mittel dafür bereitzustellen.
({8})
Wir gehen insbesondere davon aus, daß die Legalisierung von sogenannten harten Drogen ein untaugliches Mittel im Kampf gegen die Drogenkriminalität ist.
Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen in diesen nationalen Rauschgiftbekämpfungsprogrammen aufgeführt. Wir meinen, daß weitere gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich des Betäubungsmittelrechtes, der Strafprozeßordnung, des Asylverfahrens und des Ausländerrechtes zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität geprüft werden müssen. Nur durch eine konzentrierte Anstrengung aller Kräfte wird es uns gelingen, diese Geißel der Menschheit in den Griff zu bekommen und zu vernichten.
Der Haushalt des Innenministers ist ein Dach für vielfältige politische Aufgabenbereiche. Prioritäten sind in diesem Jahr zwangsläufig durch aktuelle innerdeutsche Situationen gesetzt worden. Manches hätten wir Berichterstatter gern zusätzlich eingesetzt, manches natürlich auch lieber gestrichen, je nach politischem Geschmack.
Insgesamt halten wir Freien Demokraten den Haushalt des Innenministers für ausgewogen und werden ihm daher zustimmen. Das gleiche gilt für den Einzelplan 36.
Mir verbleibt, Herr Minister, mich sehr herzlich bei Ihnen und den Mitarbeitern Ihres Hauses für die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr zu bedanken. Den gleichen Dank möchte ich gerne meinen Kollegen Berichterstattern ebenfalls übermitteln.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Nöbel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Abscheu vor Terror und Mord und die gemeinsame Trauer belasten heute uns alle. Ich kann und will mich daher jetzt nicht mit den bekannten Streitfragen der inneren Sicherheit befassen.
Der Stand der Ermittlungen beim heutigen Terroranschlag, Erkenntnisse und Wirkungen des Sicherheitsnetzes sind Gegenstand der Erörterungen des Innenausschusses am kommenden Mittwoch unter Punkt eins.
Vor wenigen Tagen noch tat sich uns der schreckliche Vergleich auf zwischen den Vermummten, die in Göttingen ihr martialisches Unwesen trieben, und auf der anderen Seite den friedlichen Demonstranten in Dresden, Leipzig und Ost-Berlin. Welch ein Unterschied!
({0})
Wenn jetzt wieder der Ruf nach Gemeinsamkeit der Demokraten durchdringt, dann lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir diese Gemeinsamkeit begründen wollen. In der Innenpolitik ist nämlich in den letzten Jahren viel Zeit vertan worden.
Höchstes Ziel der Innenpolitik ist die Wahrung des inneren Friedens. Jochen Vogel hat den innenpolitischen Teil seiner Rede von vorgestern mit dem Satz begonnen: „In den letzten Wochen ist häufig gesagt worden, nichts sei mehr so wie vor der demokratischen Revolution in der DDR" , und wies dann auf eine Reihe von Mißständen hin, mit denen wir es hier zu tun haben.
Ich füge hinzu: Die innenpolitische Lage ist jetzt noch schwieriger geworden. Die Innenpolitik wird nach dem Jubel und der Freude über das, was sich mitten in Deutschland und Europa aufgetan hat und auftut, schneller, als manch einer wahrhaben möchte, vom Alltag dieser Welt, die eben so ist, eingeholt. Wir alle sind gefordert.
Ich will es an der besonderen Situation Berlins verdeutlichen. Gestern hat eine Gruppe unserer Fraktion dort an Ort und Stelle Augenschein genommen. Welche Emotionen hochkommen, will ich nicht schildern, wiewohl es hilfreich sein könnte, wenn möglichst viele Kolleginnen und Kollegen hautnah miterlebten, was sich dort abspielt. Da sind die unendlichen Schlangen von anstehenden Menschen mit kleinen Kindern für 100 DM Begrüßungsgeld - unwürdig, muß ich sagen. Da sind die einheimischen West-Berliner, die sich an die Wand gedrückt fühlen, Schüler, die wegen des zusammengebrochenen U-Bahn-Systems nicht mehr zur Schule kommen, total überforderte Verwaltungen der Bezirksämter. Herr Innenminister, es besteht dringender Handlungsbedarf des Bundes.
Ich mache den Bundesminister des Innern auf folgenden Sachverhalt aufmerksam: Übersiedler nehmen beide Leistungssysteme in Anspruch. So beantragen sie mit ihrem neuen Westberliner Personalausweis Sozialhilfe, können weiterhin kostenlos die Verkehrsbetriebe benutzen, können ohne Zwangsumtausch in die DDR einreisen, können in der DDR ihren Wohnsitz beibehalten und dort weiterhin arbeiten, da die DDR von der Übersiedlung keine Information hat, können in West-Berlin kostenlos Veranstaltungen besuchen usw. Grund: weil sie laut Runderlaß des Bundesministers des Innern vom 26. Juni 1981 ihren Personalausweis behalten, da er nach Auffassung des BMI quasi als Eigentum der DDR gelte. Hier gibt es eine Masse erkennbarer Mißbräuche, die nach der Rechtslage nicht einmal Mißbräuche sind.
Ich rede vom sozialen Frieden und garantiere Ihnen: Bald werden die Zeitungen von Beispielen voll sein, die den sozialen Frieden stören. Der Politik wird man Versäumnisse und Handlungsunfähigkeit vorwerfen. Deshalb muß der Bundesinnenminister handeln und den Erlaß von 1981 aufheben.
({1})
Die Frage der Staatsbürgerschaft wird damit nicht tangiert. Der innere Friede und die soziale Gerechtigkeit dürfen nicht weiter gefährdet werden. Darum geht es.
({2})
Auf der einen Seite gibt es die Unterbringung von Übersiedlern und Aussiedlern in Containern von zwölf Quadratmetern, in denen sie zu viert leben. Ich sage: Das widerspricht dem Tierschutzgesetz. Einem Schäferhund stehen laut Gesetz - ich bin Tierfreund - sechs Quadratmeter zu. Ein Mensch hat hier nur die Hälfte, ohne Wasser, ohne sanitäre Anlagen, bei einer Pro-Kopf-Miete von 55 DM pro Tag und einer hoffnungslosen Aufenthaltsdauer von bis zu mittlerweile drei Jahren.
({3})
In Konkurrenz miteinander liegen wieder einmal die Schwachen. Der Streit um Unterkünfte, Arbeit, einfache Jobs, ja, um Schwarzarbeit verschärft sich. Innerhalb der Armut entwickeln sich neue Hierarchien. Durch Dumpinglöhne werden insbesondere ältere Arbeitnehmer aus der Arbeit gedrängt. Paradox, wenn Bonn die Altersgrenze erhöht.
Mieten sind nicht mehr bezahlbar, weil sie steigen. Die soziale Schere wird noch breiter; die Probleme jagen sich. Hunderte von vietnamesischen Gastarbeitern in der DDR kommen jetzt nach West-Berlin. Die Sozialämter können den hiesigen Sozialhilfeempfängern wegen Überlastung die Bekleidungshilfen für den Winter, der ja eingebrochen ist, nicht zahlen. Zudem fehlen Sozialarbeiter. Die Sonderaktionen der Mitarbeiter in den Bezirksämtern haben ein solches Ausmaß erreicht, daß die normale Arbeit nicht mehr ausgeführt werden kann, geschweige denn der gesetzliche Auftrag der Beratung. Es fehlt nur noch, daß die Rechnungshöfe mit bürokratischen Maßstäben eines Tages Rügen anbringen.
Herr Minister, ich komme auf den Runderlaß vom Juni 1981 zurück und sage Ihnen allen - meine Damen und Herren, bitte schrecken Sie nicht zusammen, wenn Sie an Ihren Diplomatenpaß denken - : Der blaue Ausweis, den ich meine, hat mittlerweile einen Marktwert von 500 DM.
Ich möchte die Realität mit Feststellungen des Bezirksamtes Reinickendorf abrunden: Bei den in den letzten Tagen ankommenden Übersiedlern handelt es sich - so sagt das Amt - fast ausschließlich um alleinstehende Männer, die aus der untersten Sozialschicht stammen. Eine Reihe von ihnen kommt direkt aus den Gefängnissen der DDR. Die Gründe der Haft sind in der Regel nicht politisch motiviert. Viele von ihnen sind Alkoholiker. Erste Prügelszenen und Obszönitäten haben sich bereits abgespielt usw. Nun ist in der DDR sogar noch eine Weihnachtsamnestie vorgesehen.
Worauf kommt es an? - Zunächst einmal muß das Aggressionspotential erkannt werden, das sich auch zwischen Übersiedlern und Aussiedlern entwickelt. Da man dafür keine langen Studien anstellen, sondern einfach nur hinschauen muß, sind Konsequenzen zu ziehen. Wegen der neuen Tatbestände sind neue Hilfsformen nötig, mittelfristig, und wegen der akuten Notlagen - eigentlich sind sie Kriegsfolgelasten; sie sind Folgen der Teilung - muß der Bund Soforthilfe leisten.
({4})
Wenn ich beim Berliner Beispiel als dem weitaus dramatischsten bleibe, heißt das: Es können keine Sondergesetze sein, spezifisch programmbezogen, sondern es müssen der besonderen Lage Berlins gerecht werdende, sozusagen gesamtbezogene Mittel sein.
({5})
Natürlich müssen sie sich an Maßstäben orientieren, aber nicht an solchen, die die sozialen Auseinandersetzungen eher verstärken. Die Wohnungsbaufinanzierung z. B. muß die Großstadt sehen, nicht die Sechsfamilienhäuser im Flächenstaat, und ebenso die
Metropolfunktion. Ich erwähne das Hanseatenmodell: Der Bund muß langfristig die veredelte Bevölkerungszahl - so nennt man das - als Zuschußgrundlage nehmen. Das heißt: auch Berücksichtigung der Personen, die in der Stadt leben, zusätzlich zu denen, die dort wohnen. Für Berlin hieße das: 2,5 Millionen statt 2,1 Millionen Menschen als Bemessungsgrundlage. Das sieht auch Herr Diepgen so. Allerdings verstehe ich manches von dem, was er gestern geäußert hat, nicht.
Jetzt sage ich zu Ihnen, Herr Kollege Gerster - Sie haben dem Kollegen Kühbacher ja soeben eine Zwischenfrage gestellt - : Berlin nimmt nach wie vor 2,7 % Asylbewerber auf, nicht mehr und nicht weniger, und es hat nie eine Änderung gegeben. Bei den Aus- und Übersiedlern sind es 8,5 %, bei einem Anteil der Bevölkerung West-Berlins an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland von 3 %. Das ist erheblich zuviel.
({6})
Wir hoffen für das Gespräch morgen beim Bundeskanzler auch, daß spätestens ab 1. Januar 1990 - das Datum ist ganz wichtig - der Devisenfonds in Ost-Berlin in Funktion treten kann, und bitten den Bundesminister des Innern, seinen Einfluß dahin gehend geltend zu machen, daß dann drüben und nicht mehr in West-Berlin ausgezahlt wird. Das gebietet die unerläßlich notwendige Entlastung hier, und zwar sowohl im Hinblick auf die verwaltungsmäßige als auch insbesondere die menschliche Seite. Ich denke, die gefragte Gemeinsamkeit sollte hier möglich sein.
Ausdrücklich begrüße ich den Erlaß des Bundesministers des Innern vom 16. Juni dieses Jahres hinsichtlich der Verteilung von Übersiedlern auf Berlin, weil damit tatsächlich geholfen wird, Probleme zu lösen.
Ich komme zu einem anderen Thema. - Bereits während der Anhörung im Innenausschuß über die bisher ausgegrenzten und vergessenen Opfer des NS- Regimes am 24. Juni 1987 wurde von allen Parteien schnelle und unbürokratische Hilfe angemahnt. Unsere Befürchtungen, die wir beim Erlaß dieser Richtlinien hegten, haben sich zwischenzeitlich leider bestätigt. Diese Richtlinien bieten weder unbürokratische noch schnelle Hilfen für die Opfer des NS-Regimes. Ausgegrenzt werden wiederum die gleichen Personen, denen bereits seit Jahrzehnten eine Entschädigung für das ihnen angetane Unrecht verweigert wurde. Deshalb bitten wir um Unterstützung unserer Initiative zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht" sowie einer Stiftung „Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter".
({7})
Die hierfür erforderlichen Finanzmittel, meine Damen und Herren, sind nur gering im Vergleich zu der Hilfe, die wir den Betroffenen damit bieten.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, in dem Handlungsbedarf besteht. - Noch immer sind Frauen im öffentlichen Dienst, gerade auch in der Bundesverwaltung, in den gehobenen und höheren Positionen eklatant unterrepräsentiert. Von den mehr als 2 000 Referaten der Bundesverwaltung werden nur 90 von
Frauen geleitet. Von 300 Unterabteilungsleitern sind 4, von rund 150 Abteilungsleitern 2 Frauen. Der Bundesminister des Innern ist gemeinsam mit der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit für die Frauenförderung im Bundesdienst zuständig. Ergebnis: Neben dem Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat nun auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine Frau zur Abteilungsleiterin gemacht. So wird Gleichstellung im öffentlichen Dienst auch im nächsten Jahrtausend noch nicht erreicht sein.
({8})
Wirksame Frauenförderung im öffentlichen Dienst bedarf - das ist mittlerweile bekannt - einer gesetzlichen Grundlage. Die Richtlinien des Bundesministers des Innern zur beruflichen Förderung von Frauen halten wir für wirkungslos und überholt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit dem Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes bereits die erforderliche Vorarbeit geleistet. Im Gegensatz zu den SPD-regierten Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg verweigert sich die Bundesregierung einer wirksamen Frauenförderpolitik, obwohl es immerhin um die Beseitigung eines erheblichen faktischen Gleichberechtigungsdefizits geht. Wir sind der Auffassung, daß das Grundgesetz ein Gleichstellungsgebot beinhaltet, durch das der Gesetzgeber auch einen Verfassungsauftrag zur aktiven Frauenförderung hat.
({9})
Herr Minister, es ist notwendig, eine humane, liberale Ausländerpolitik zu verwirklichen, die das Zusammenwachsen der europäischen Staaten und die internationale Verflechtung der Bundesrepublik beachtet. Trotz heutiger Meldungen sind Sie mit Ihren Vorstellungen bisher an der CSU gescheitert, die wohl weiterhin an sachgerechten Regelungen nicht interessiert ist, weil sie meint, damit Stimmengewinne bei Wahlen erzielen zu können. Sie wird sich wundern, wie sie mit ihrer Haltung rechtsextremen Parteien weitere Wähler zutreibt.
Wir haben unseren Entwurf für ein neues Bundesausländergesetz eingebracht, der bald zur Beratung ansteht.
Notwendig und möglich ist eine weitere Beschleunigung des Asylverfahrens. Die Vorschläge der SPD- Bundestagsfraktion dazu liegen auf dem Tisch. Bedauerlicherweise haben sie Bundesregierung und Koalitionsfraktionen bisher nicht zur Kenntnis genommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Herr Kollege Nöbel, nachdem vorhin Herr Kühbacher eine Gesprächsbereitschaft zum Ausländerrecht, wie ich finde, deswegen überflüssigerweise angemahnt hat, weil wir das ja dauernd erklärt haben, möchte ich Sie nun fragen, ob auch die SPD zu ihrem Entwurf dieselbe Bereitschaft zeigt oder mindestens die Chance gibt, daß wir eine größere Mehrheit finden.
Ja, selbstverständlich. Das haben wir immer gesagt,
({0}) nur, Sie sind nicht entgegengekommen.
({1}) Die Angebote sind belegt.
({2})
Notwendig und möglich ist eine europäische Flüchtlings- und Asylpolitik. Die fortschreitende Öffnung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft macht die einheitliche europäische Regelung des Flüchtlingswesens auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention, die schon heute in allen Mitgliedstaaten der EG gilt, nötig. Dazu vermissen wir bisher das notwendige Engagement der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, Probleme gibt es in Hülle und Fülle. Aber es gibt auch hausgemachte: Der Autor des innenpolitischen Teils des neuen Parteiprogramms der Republikaner ist Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
({3})
Er ist Vorsitzender eines Ortsverbandes dieser Partei, müßte vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen beobachtet werden. Ich frage ernsthaft, ob sich die Bundesregierung in der Bewertung mit Herrn Schönhuber einig ist, daß gerade die Mitarbeit dieses Herrn an seinem Programm als besonderer Hinweis für die Verfassungstreue dieser Partei zu bewerten sei. Wenn schon disziplinarrechtlich nichts möglich ist, müßte doch der Dienstherr Bund so sensibel und flexibel sein, seine Bandbreite an Möglichkeiten zu nutzen.
Schönen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um den letzten Gedanken aufzugreifen: Kollege Nöbel, Sie wissen genau, daß dieser Amtmann im Bundesamt für Verfassungsschutz einen sehr begrenzten Aufgabenbereich hat.
({0})
Sie wissen auch sehr wohl, daß es auf Grund der geltenden Rechtslage keine Möglichkeit gibt, diesen Mann gegen seinen Willen zu versetzen. Deswegen, meine ich, ist es kein sehr faires Verfahren, wenn Sie eine Haushaltsdebatte dazu nutzen, diesen sehr schwierigen Teil hier vorzuführen, so mit dem Gusto, der Bundesinnenminister würde einen derartigen Mann decken. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es rechtlich ginge, wäre er längst aus diesem Amt entfernt. Das ist die Rechtslage und nichts anderes. Bitte erwecken Sie keinen anderen Eindruck!
({1})
Zweiter Punkt: Kollege Nöbel, Kollege Kühbacher, Sie können ganz unbesorgt sein.
({2})
Wir werden in dieser Wahlperiode gemeinsam, CDU/ CSU und FDP, ein neues Ausländerrecht verabschieden. Es gilt das Angebot an Sie, öffentlich, persönlich ausgesprochen und heute wiederholt, sich in diese Beratungen einzuschalten und mitzuwirken,
({3})
wobei ich allerdings hinzufüge: Von Ihnen, von Ihrem Gesetzentwurf kenne ich bisher kein einziges Angebot. Ich vermute, daß Sie es Herrn Stoiber nach München geschickt haben. Aber in die CDU/CSU-Fraktion, ich vermute, auch in die FDP-Fraktion ist dieses Angebot bisher nicht gekommen.
({4})
Dritte Bemerkung: Wir wissen alle, daß das Jahr 1989 ein Jahr mit wirklich historischen Dimensionen ist. Wir wissen, daß die letzten Wochen und Monate das Leben, auch das Lebensbewußtsein und das Selbstbewußtsein der Menschen in der DDR verändert hat. Sie haben sich dem Machtmonopol der Kommunisten widersetzt. Sie wissen aber auch, daß sich die Einstellung der Menschen im Westen erfreulicherweise sehr wohl geändert hat. Die These, Wohlstand mache hartherzig, wird in diesen Tagen durch viel Hilfsbereitschaft vieler Menschen in diesem Land maßgeblich widerlegt.
({5})
Ich finde, so stolz wir über den Mut und den Freiheitswillen der Bürger in der DDR sein können, so dankbar und stolz können wir auch über die Hilfsbereitschaft der Menschen hier sein. Ich schließe alle privaten Organisationen, alle staatlichen kommunalen Stellen ein. Ihnen ein ganz herzliches Dankeschön für die große Leistung, die sie in den letzten Wochen erbracht haben und noch erbringen.
({6})
Wer vor einem Jahr behauptet hätte, daß in diesem Jahr 700 000 Deutsche aus der DDR, aus Polen, aus der Sowjetunion, aus Rumänien zu uns zuwandern würden, wäre erstens als politischer Utopist bezeichnet worden, zweitens wäre ihm entgegengehalten worden, diese Gesellschaft werde überhaupt nicht in der Lage sein, eine solche Zahl von Menschen aufzunehmen. Dabei, Kollege Nöbel, sind wir uns ja völlig einig, daß dies bisher erhebliche Probleme gebracht hat, bringt und in Zukunft noch unübersehbare Probleme auch in unserem Land entstehen werden, zumal die Zuwanderung anhält. Das ist völlig unbestritten.
Nur frage ich, wenn wir das gemeinsam wissen, was es für einen Sinn gibt, hier an einzelnen Punkten, die man sehr wohl erklären und widerlegen kann, Probleme und zum Teil Mißgunst zu verschärfen, wie Sie es versucht haben.
({7})
Gerster ({8})
Beispiel 1: Ihre Darstellung des Mißbrauchs von Begrüßungsgeld und anderen Leistungen.
({9})
Wir wissen doch ganz genau, daß das Begrüßungsgeld ursprünglich in Höhe von 30 DM eingeführt wurde, als wir erfreulicherweise langsam feststellen konnten, daß Deutsche aus der DDR mit einer schwachen Devisenzahlungsmark zu uns kamen und hier eine kleine Hilfe bekommen sollten. Und Sie wissen, daß wir in dem Bemühen gerade der letzten Jahre
- übrigens dank einer sehr erfolgreichen Politik dieser Bundesregierung und ihres Bundeskanzlers Helmut Kohl - , die deutsch-deutsche Grenze durchlässiger zu machen, was ja auch mit Millionen von Menschen, die als Besucher über die Jahre hinweg gekommen sind, gelungen ist, das Begrüßungsgeld gemeinsam auf 100 DM erhöht haben. Kein Mensch konnte zum damaligen Zeitpunkt erhoffen, daß die Grenze wirklich so durchlässig wurde, wie wir es in den letzten Wochen erfreulicherweise feststellen konnten. Das heißt aber natürlich auch, daß wir auf Dauer zu neuen Methoden der Finanzierung, etwa über einen Devisenfonds, kommen müssen.
Wenn der Kollege Nöbel hier eine Reihe von Vorwürfen macht, muß ich ihm einmal entgegenhalten: Was hätte es denn politisch in der Weltöffentlichkeit für einen Eindruck gemacht, wenn wir ausgerechnet in dem Augenblick, wo sich erfreulicherweise endlich die Mauer und die Grenzen öffnen, als erstes Reglementierungen und Behinderungen von Zuwanderern oder Besuchern durchgeführt hätten?
({10})
Sie von der Opposition wären - in diesem Fall zu Recht - die ersten und lautesten Kritiker gewesen, die gesagt hätten: Typisch Regierung, jahrelang haben sie die Öffnung der Mauer gefordert, und in dem Moment, wo sie geöffnet wird, werden die materiellen Bedingungen für die Bürger der DDR verschlechtert. Das hätten Sie uns zu Recht vorgeworfen.
Das zeigt doch, daß hier ein Vorwurf völlig unbegründet ist. Bei allen Signalen der Sozialdemokraten, dieses schwierige Problem gemeinsam zu lösen
- diese Signale bestreite ich nicht - , stört es mich, daß Sie ständig Problemberge vorführen, daß Sie zum Teil der Mißgunst Vorschub leisten,
({11})
daß Sie dann nach Methoden der Reglementierung und Behinderung rufen, daß Sie in der Vergangenheit die Kontingentierung der Zuwanderer und viele andere Dinge verlangt haben, bis hin zu den Vorstellungen dieses etwas merkwürdigen Herren Lafontaine, der in den letzten Tagen noch einmal das Thema strapaziert hat, ob die Deutschen in der DDR und die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland ihr Leben so gestalten können, wie es im Moment geschieht. Das stört uns! Sie sind eingeladen, konstruktiv mitzuwirken. Es gibt Probleme, es wird größere Probleme geben, aber bitte bauen Sie die nicht auf, wie der Herr
Kollege Nöbel das hier wieder gemacht hat, indem Sie Unterschiede und Differenzen überzeichnen.
({12})
- Nein. Wir wissen, daß es die Probleme gibt, wir wissen, daß es zum Teil auch Mißgunst gibt. Deswegen sollten Sie konstruktiv mitarbeiten und nicht diese Methode fahren.
({13})
Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei: Da der Zuzug von Deutschen aus der DDR immer noch nicht gebremst ist und da uns dies weiterhin Probleme bringt, kann doch nur die eine Frage zulässig sein, wie man dieses Problem im Sinne einer Begrenzung des Zuzugs tatsächlich lösen kann. Alle Modelle à la Lafontaine, alle Modelle à la Kontingentierung o. ä. sind ungeeignet. Die Massenflucht aus der DDR ist nichts anderes als eine Abstimmung mit den Füßen; sie ist nach wie vor der Ersatz für die noch nicht gewährte freie, geheime und unabhängige Wahl. Sie ist ein Ersatz für die Tatsache, daß Demokratie in der DDR nach wie vor nicht funktioniert. Wer diese Abstimmung mit den Füßen beenden will, muß den friedlichen Druck der Demokraten in der DDR unterstützen, und zwar durch sehr wohl überlegte Reden, aber auch durch abgewogenes Handeln zur richtigen Zeit und mit geeigneten Mitteln.
Ich füge aber genauso hinzu: Solange dieser Prozeß der Klärung in der DDR noch andauert, solange die Menschen in der DDR immer noch in einem nicht demokratischen System leben müssen, werden wir die Entscheidung der Menschen respektieren, die zu uns kommen, die zu uns kommen wollen und sich hier niederlassen werden. Sie haben nach wie vor Anspruch auf Hilfe zur Eingliederung. Auch hier möchte ich, weil in der Öffentlichkeit immer wieder falsche Bilder entstehen, klarmachen: Das ist Hilfe zur Selbsthilfe und weder eine Daueralimentation noch eine Bevorzugung gegenüber den lange hier lebenden Menschen. Das ist das Notwendige, was an Ausstattung kommt, damit sie sich hier selbst helfen können.
Mir wäre es lieber, die Opposition, die bereits gestern von der Zustimmung zu den 10 Punkten schon wieder abzurücken versuchte, würde sich wirklich über diese Grundelemente mit uns verständigen, statt daß sie, wie es zum Teil bedauerlicherweise geschieht, im weiten Land dazu beiträgt, daß Mißgunst zwischen den lange hier Lebenden und den Zuziehenden entsteht.
Lassen Sie mich - ich wollte meine Redezeit wegen der fortgeschrittenen Abendzeit nicht ausnützen - noch zwei Bemerkungen zum Kollegen Kühbacher machen. Erstens. Herr Kollege Kühbacher, ich finde es wirklich nicht fair, daß Sie sich hier hinstellen, von den Finanzleistungen für den Schutzraumbau reden
- die über lange Jahre festgelegt und eine Folge eingegangener Verpflichtungen sind - , Maßnahmen im
Gerster ({14})
Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes beklagen und den Eindruck erwecken, als würden wir diese Fragen völlig losgelöst von der weiteren Entwicklung im Ostblock beurteilen. Tatsache ist doch, daß das Katastrophenschutzergänzungsgesetz, das wir vor wenigen Tagen verabschiedet haben, den Weg dafür öffnet, daß die ursprünglich reinen Zivilschutzeinheiten auch bei Katastrophen in Friedenszeiten eingesetzt werden können.
({15})
Genauso hat natürlich der Schutzraumbau eine wichtige Funktion bei zivilen Katastrophen.
Deswegen die herzliche Bitte: Hören Sie endlich auf, den Eindruck zu erwecken, wir hätten in dieser Zeit großer Veränderungen zwischen Ost und West nichts anderes im Sinn, als den Zivilschutz zu verstärken. Tatsache ist, daß wir den Katastrophenschutz verstärken. Katastrophen im Friedensfall wird es auch in Zukunft geben. Deswegen fordere ich Sie auf, die bewußte Irreführung der Öffentlichkeit zu unterlassen.
({16})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Such, Herr Kollege?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie mit mir einer Meinung, daß in diesem Gesetz eine Vermischung vonstatten geht, d. h. daß der zivile Katastrophenschutz, der eigentlich Ländersache ist, auf den Bund übergeht, und daß darüber hinaus durch dieses Gesetz im Spannungsfall Dienstzeiten von Beamtinnen und Beamten zu Pflichtzeiten werden?
Herr Kollege Such, ich habe es aufgegeben, Ihnen persönlich das deutlich machen zu wollen. Das scheint mir ein intellektuelles Problem zu sein. Wenn Zivilschutzorganisationen jetzt zusätzlich Katastrophenschutzaufgaben bekommen, kann das keine Erweiterung des Zivilschutzes bedeuten. Vielmehr kann das nur bedeuten, daß der Katastrophenschutz gestärkt wird. Das ist so sicher, wie zwei mal zwei vier ist, auch wenn Sie persönlich das offenbar nicht verstehen.
({0})
Zweite Bemerkung: Ich finde es ungeheuerlich, daß der Kollege Kühbacher den Eindruck erweckt hat, als seien CDU/CSU und FDP auf dem Wege, Doping zu finanzieren, zu unterstützen.
({1})
Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen eine vernünftige Förderung des Sports; soweit der Bund zuständig ist, des Spitzensportes, soweit die Länder und Kommunen zuständig sind, des Breitensports. Das hat nichts mit einer Förderung von Doping zu tun, das wir genauso wie Sie ablehnen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schäuble.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will in der Tat zu einigen Bemerkungen, die in der Debatte gemacht worden sind, klarstellende Anmerkungen machen. Aber ich möchte mich zunächst einmal bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und vor allen Dingen bei den Berichterstattern der Einzelpläne 06 und 36 sehr herzlich für die vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit sowie für viele faire Worte in dieser Debatte bedanken.
Um das vorweg zu sagen: Ein Bundestrainer, Herr Kollege Kühbacher - jetzt ist er nicht da, aber es wird ihm ausgerichtet werden - , der sich an Doping beteiligen würde, verstieße gegen seine Pflichten. Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen wären ganz unvermeidlich. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich habe keinerlei Anlaß, daran zu zweifeln, daß Bundestrainer das tun, was auch der Deutsche Sportbund und die anderen Organisationen des Sports mit aller Entschiedenheit und mit Unterstützung des Bundesministers des Innern tun, nämlich mit allen ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten den Mißbrauch leistungsfördernder Mittel im Sport zu bekämpfen. Dabei bleibt es, und dagegen werden auch Bundestrainer nicht verstoßen. Wenn sie es täten, müßten die Konsequenzen gezogen werden.
({0})
Nun ist in dieser Debatte, meine Damen und Herren, viel von Zusammenarbeit gesprochen worden. Und es war ja auch, was an einem Tag wie diesem sicher richtig und geboten ist, ein ganz eigener Ton, jedenfalls über weite Strecken, in dieser Debatte. Ich werte dies als ein hoffnungsvolles Zeichen. Ich bin - jeder, der mich ein bißchen kennt, weiß es - zu dieser Zusammenarbeit bereit.
({1})
Ich hoffe, daß wir auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander, insbesondere auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, wieder mehr Zusammenarbeit und weniger Auseinanderstreben haben werden. Ich glaube, dies würde unserem demokratischen Rechtsstaat nützen, und ich denke, daß in diesem Zusammenhang insbesondere auch Alleingänge, die in der Debatte angesprochen worden sind, Alleingänge von einzelnen Bundesländern und schon gar von Berlin in der Zukunft nicht mehr vorkommen werden.
({2})
Ich will nun auch, Herr Kollege Nöbel, daran erinnern - Johannes Gerster hat es eben schon gesagt -, daß wir am 10. November mit den Vertretern aller Bundesländer zusammengesessen haben, um darüber zu beraten - wir, Herr Kollege Vogel, hatten am Vorabend ein entsprechendes Gespräch -, wie wir uns auf das vorbereiten könnten, was durch die Öffnung der Grenze, die Deutschland teilt, an diesem ersten Wochenende sein würde. Wir haben dort auch über
Möglichkeiten gesprochen, allerdings nicht öffentlich, Herr Nöbel, die Sie jetzt hier öffentlich - ich weiß nicht genau, zu wessen Nutzen - ausgebreitet haben. Wir haben damals gesagt, wir sollten uns nicht am ersten Tag, an dem die DDR Mauer und Stacheldraht durchlässig macht, den Kopf vor allen Dingen darüber zerbrechen, wie wir verhindern, daß möglicherweise mal einer 100 DM zuviel nimmt. Und wenn Sie sehen, wie viele inzwischen zu viel in Anspruch genommenes Begrüßungsgeld freiwillig zurückgezahlt haben, dann finde ich, daß unsere Entscheidung damals, die wir gemeinsam, alle elf Länder und der Bundesinnenminister, getroffen haben, richtig war.
({3})
Morgen werden wir mit dem Senat von Berlin darüber beraten, wie wir gemeinsam dauerhafte Regelungen finden und schaffen können, wie wir Entscheidungen verbessern können, die - Sie haben es richtigerweise gesagt - 1981 unter anderen Umständen getroffen worden sind. Aber das hat auch ein bißchen mit zwischenstaatlichen Beziehungen zu tun.
Meine Damen und Herren, wovor ich warne, ist, daß wir hier in der Bundesrepublik Deutschland nach der Freude, die so viele Menschen ganz spontan bewegt hat, die ja auch uns an dem 9. November abends hier in diesem Hause ganz spontan bewegt hat, über dem Mißbrauch im einzelnen, den es bei allen Regelungen gibt - es sind ja alles Menschen, und die in der DDR sind auch nicht anders als wir hier, wahrscheinlich nicht sehr viel besser und nicht sehr viel schlechter -, das Gute der Gesamtentwicklung übersehen. Man sollte auch nicht die Freude darüber, daß die Grenze im geteilten Deutschland jetzt durchlässig geworden ist, zerreden, und weder Sie noch jemand in Ihrer Partei sollten in die Nähe derjenigen in unserer Bevölkerung geraten, die politische Geschäfte - das unterstelle ich Ihnen nicht - mit Ressentiments und Neidgefühlen gegenüber Aus- und Übersiedlern machen wollen.
({4}) Ich würde wirklich davon abraten!
Ich habe - und auch daran möchte ich heute erinnern - ein oder zwei Tage zuvor hier im Bundestag davon gesprochen, daß wir niemals Aus- und Obersiedler, die als Deutsche zu uns kommen, zurückweisen werden. Dies gilt auch heute, und dabei wird es auch in der Zukunft bleiben. Es muß niemand Sorge haben, daß hier Tore verschlossen werden, die andere dabei sind zu öffnen.
({5})
Aber ich habe auch gesagt - und auch dieses gilt - , daß angesichts der vielen hunderttausend, die in diesem Jahr schon zu uns gekommen sind, jeder, der jetzt weiter zu uns kommt, wissen muß, daß die Verhältnisse, unter denen er vielleicht eine ganze Zeitlang wird leben müssen, nicht einfach sein werden. Wir sollten niemandem Illusionen machen. Ich habe dies klar und deutlich gesagt. Beides gilt, und beides gilt auch heute.
Aber weil die Verhältnisse so schwierig sind, sollten wir, nachdem wir das Eingliederungsleistungs-Anpassungsgesetz doch ohne große Kontroversen gemeinsam verabschiedet haben und damit doch sichergestellt haben, daß Deutsche, die als Aus- und Obersiedler zu uns kommen nicht besser, aber auch nicht schlechter behandelt werden als Deutsche, die schon lange in der Bundesrepublik Deutschland leben, die Diskussion wirklich nicht fortsetzen; sie nützt niemandem. Wir haben dies gemeinsam erarbeitet, und ich denke, das Ziel wird auch erreicht. In Wahrheit haben diejenigen, die als Aus- und Übersiedler zu uns kommen, ein viel schwereres Schicksal hinter sich und noch eine ganze Wegstrecke Schwierigkeiten vor sich, und wir haben es leichter. Ich denke, wir sollten dies unserer Bevölkerung auch immer wieder sagen. Wir sollten, wenn die Teilung Deutschlands weniger wird, auch bereit und in der Lage sein, ein Stück weit mehr zu teilen.
({6})
Die Veränderungen in Deutschland, in Europa, meine Damen und Herren, berühren den Geschäftsbereich des Bundesinnenministers in vielfältiger Weise. Ich will das hier nicht alles im einzelnen aufführen, aber zwei Bemerkungen möchte ich machen. Die eine betrifft den Bundesgrenzschutz. Insbesondere Herr Kollege Deres hat von der veränderten Aufgabenstellung für den Bundesgrenzschutz gesprochen. Ich möchte mich übrigens ausdrücklich für das bedanken, was Herr Kühbacher und andere zu den vielen Bediensteten vieler Verwaltungen im Bereich des Bundesinnenministers, beim Bundesverteidigungsminister und in ehrenamtlichen Organisationen gesagt haben. Ich habe mehrfach davon gesprochen, daß dies ein Gütezeichen für die Leistungsfähigkeit unseres öffentlichen Dienstes und für den Leistungswillen und die Einsatzbereitschaft unserer Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist. Ich möchte dies ausdrücklich sagen.
({7})
Was den Bundesgrenzschutz betrifft, der sich in diesen Wochen und Monaten in ganz besonderer Weise bewährt hat und noch bewährt, so wird er eine veränderte Aufgabenstellung haben. Wir arbeiten daran, wir sind darüber auch im Gespräch. Aber es ist ganz klar - ich denke, daß es auch aus dem Bereich der Bundesländer überhaupt keinen Widerspruch dagegen geben wird - , daß wir auch in Zukunft einen Bundesgrenzschutz als eine bundesweite, im wesentlichen verbandsmäßig strukturierte Einsatzreserve für große Lagen benötigen werden. Wir werden für den Bundesgrenzschutz Lösungen erarbeiten, die diesem Bedürfnis entsprechen.
Meine zweite Bemerkung betrifft den Verfassungsschutz. Herr Kollege Nöbel, an sich trage ich ungerne Angelegenheiten einzelner Mitarbeiter in der Öffentlichkeit vor, noch dazu vor diesem Hause. Aber vielleicht sollten Sie doch, was diesen Mitarbeiter im Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz betrifft, wissen, daß er sofort nach Bekanntwerden seiner Aktivitäten für diese rechtsradikale Partei innerdienstlich umgesetzt worden ist. Aber er ist seitdem krank.
({8})
- Entschuldigung, Sie müssen immer die zweite Satzhälfte hören, bevor Sie widersprechen. - Er ist unmittelbar nach dem Bekanntwerden innerdienstlich im Haus umgesetzt worden, er ist aber seitdem krankgemeldet. Deshalb war es bisher überhaupt nicht möglich, mit ihm ein Versetzungsgespräch zu führen. Das ist die reine Wahrheit, und daraus können Sie alles weitere ableiten. Ich finde, wir sollten diese Diskussion nicht fortsetzen, weil sie uns wirklich in völlig falsche Verdächtigungen führt. Im übrigen sind wir auch bei solchen Mitarbeitern an Recht und Gesetz gebunden,
({9})
und der Bundesinnenminister wird sich in jedem Fall an Recht und Gesetz halten. Er wird sich jedenfalls immer darum bemühen.
({10})
Ich will zum Verfassungsschutz und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch noch die folgende Bemerkung machen. Wir haben vor kurzem bei der feierlichen Übergabe des neuen Dienstgebäudes für das Bundesamt für Verfassungsschutz - einige Kollegen sind dabei gewesen - über Veränderungen der Aufgabenstellung, die sich durch die Entwicklung zwischen Ost und West in Europa und Deutschland auch für den Verfassungsschutz ergeben, ganz offen gesprochen. Es ist gar keine Frage, daß diese Entwicklungen am Verfassungsschutz nicht vorbeigehen. Aber es ist auch keine Frage - auch dies zeigt uns der heutige Tag - , daß wir auch in Zukunft eine wehrhafte Demokratie bleiben müssen und daß wir einen leistungsfähigen Verfassungsschutz auch in Zukunft brauchen, damit wir uns unter allen Umständen Frieden, Freiheit und innere Sicherheit sowie Rechtsstaatlichkeit bewahren können.
({11})
Meine Damen und Herren, wir werden uns über eine Reihe von wichtigen Themen der Innenpolitik in den kommenden Monaten an Hand von Gesetzgebungsvorlagen aus dem Hause und Gesetzgebungsvorlagen der Bundesregierung intensiv unterhalten. Ich bin sicher, daß wir über das Asylverfahrensrecht noch intensive Beratungen führen werden. Ich bin ganz zuversichtlich, daß wir uns in Kürze über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Ausländerrechts auch im Deutschen Bundestag unterhalten werden. Ich bleibe bei meiner Formulierung, daß ich ganz zuversichtlich bin.
({12})
- Bevor das Kabinett entschieden hat, können Sie niemals ganz sicher sein. Aber wenn dieser Bundesinnenminister sagt, er sei zuversichtlich, dann können Sie schon davon ausgehen, daß das auch so werden wird. Wir werden das, wie ich das öffentlich oft genug gesagt habe, rechtzeitig vorlegen. Jedenfalls bin ich da unverändert und verstärkt ganz zuversichtlich.
Der Bundesfinanzminister wird Vorschläge für ein kulturfreundliches Steuerrecht noch in dieser Legislaturperiode vorlegen. Auch darüber werden wir zu beraten haben.
Ich denke, über ein Thema haben wir in der Vergangenheit lange und intensiv mit einem guten Abschluß beraten. Deswegen habe ich nicht ganz verstanden, warum das heute wieder problematisiert worden ist. Wir haben im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes zunächst einmal von der Verfassungslage unseres Grundgesetzes auszugehen. Diese sieht Möglichkeiten für den Bund ganz analog zu dem, was die Aufgabenstellung für den Bundesgrenzschutz auch in Zukunft verstärkt sein wird, nur unter bestimmten Voraussetzungen vor, nämlich im Sinne eines doppelten Nutzen.
Deswegen haben wir ja im Katastrophenschutzgesetz gesetzgeberisch die Entwicklung vollzogen, daß wir in der Lage sind, bei einer klar geteilten verfassungsmäßigen Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern auch vom Bund aus das Notwendige für den zivilen Bevölkerungsschutz zu tun.
Wie notwendig entsprechende Vorkehrungen sind, erleben wir immer wieder. Ich würde mir und uns allen wünschen, daß es bei der Vorsorge bleibt und daß wir niemals auf die Vorsorge zurückgreifen müssen. Aber wenn eine Notlage eintreten würde und wir nicht Vorsorge getroffen hätten, dann wären wir unserer Verantwortung nicht gerecht geworden.
Deswegen bedanke ich mich bei all denjenigen, die mitgeholfen haben, das Katastrophenschutzgesetz zu verabschieden. Ich bedanke mich ferner bei allen, die mitgeholfen haben, die entsprechenden Mittel auch im Haushalt 1990 zu veranschlagen. Ich bitte Sie alle um Zustimmung zu den Einzelplänen 06 und 36.
Vielen Dank.
({13})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß über den Fall des „Republikaners" im Bundesamt für Verfassungsschutz noch andere Dinge deutlich werden als die Gesichtspunkte, auf die Herr Schäuble dieses Problem kapriziert hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einen Linken in führender Position beim Bundesamt für Verfassungsschutz hätte geben können, ohne daß das aufgefallen und er bereits entfernt worden wäre.
({0})
Das zeigt auch, daß im Bundesamt für Verfassungsschutz ein Korpsgeist herrscht, der diesen Mann erst dann zum Problem werden läßt, wenn sich herausstellt, daß er bei den „Republikanern" ist. Deswegen, Herr Schäuble, gehört der Verfassungsschutz, wie er jetzt arbeitet, nach den Erkenntnissen aus Berlin, aber auch nach den vielen Skandalen in Köln, abgeschafft. Was Sinn für die Politik macht, ist ein Politikberatungsinstrument. Dafür brauchen Sie nicht den Verfassungsschutz.
Herr Gerster zog wie ein losgelassener Kettenhund über Herrn Kühbacher in Sachen Zivilschutz her.
({1})
Auch wenn ich Herrn Kühbacher an anderen Stellen nicht beipflichten kann, muß ich doch sagen: Er hat hier nun wirklich eine kooperative Nachdenklichkeit gezeigt, ob man, angesichts der jüngsten Entwicklungen im besonderen, noch an den vorhandenen Haushaltsstellen für den Bereich Zivilschutz festhalten sollte. So darüber zu walzen, wie Sie das hier getan haben, drückt natürlich auch Ihr Selbstverständnis von Politik aus.
Aber nun zu dem, was der keiner Fraktion angehörende Abgeordnete Thomas Wüppesahl Ihnen, wie es seinem Leistungsstandard entspricht, mit den 40 klug durchdachten Änderungsanträgen zu den Einzelplänen, die wir zur Zeit diskutieren, präsentiert hat. Zumindest einige möchte ich Ihnen etwas näherbringen.
Ich bin der Auffassung, daß im Kap. 06 40 Tit. 681 11 3 Millionen DM für eine Stiftung zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht eingestellt gehören. In meiner Heimatstadt haben Tausende von Zwangsarbeitern aus dem KZ Neuengamme gearbeitet und zum Teil ihr Leben gelassen. Zumindest eine Kirchengemeinde hat jetzt endlich einen Gedenkstein für die Sinti und Roma - die einzige Familie, die wir noch bei uns in der Stadt Geesthacht haben, ist während der NS-Zeit ungefähr um die Hälfte dezimiert worden - aufgestellt. Seit 1987 konnte ich miterleben, wie durch das Verhalten insbesondere der Bundesfinanzverwaltung jeder aufrechte Ansatz, Genugtuung auch nur auf dem untersten materiellen Level zu schaffen, vernichtet worden ist.
Ein Änderungsantrag betrifft die Reisekostenvergütungen für Auslandsdienstreisen, Tit. 527 02. Das ist ein harmlos wirkender Titel, aber tatsächlich verstekken sich dahinter viele Abschiebungen in Länder, in denen mit dem Tod der abgeschobenen Personen gerechnet werden muß. Ich beantrage die Streichung dieses Titels.
Im Kap. 06 24 soll der Ansatz des Titels der Kosten für die Aufstellung der 7. Bereitschaftspolizeiabteilung in Bayern gekürzt werden,
({2})
einer Abteilung, Herr Fellner, die geschaffen wurde, als man davon ausging, daß die Wiederaufarbeitungsanlage fertiggestellt würde. Unabhängig davon, daß sie wegen der WAA überflüssig geworden ist, ist auf jeden Fall der von Ihnen in den Koalitionsfraktionen immer wieder angeführte Grund abhanden gekommen.
({3})
Das ist tatsächlich Vergeudung von Steuermitteln und eine unnötige Aufblähung des Polizeiapparates.
Ich habe mich aber auch einmal an zwei Bundesländer herangewagt, die ich persönlich ganz gut kenne. Ich möchte die Bereitschaftspolizeiabteilung in Schleswig-Holstein von zur Zeit drei Einsatzhundertschaften auf eine reduzieren, die dann mit ihren vier
Zügen über das Land verteilt werden soll. Bei einer sinnvollen gesellschaftspolitischen Vorgehensweise wäre eine solche Hundertschaft völlig ausreichend, vielleicht sogar noch zuviel.
Ähnliches gilt für Hamburg. Von den vier Hundertschaften der dortigen Abteilung soll ebenfalls zunächst wenigstens eine gestrichen werden. Sie wissen ja selbst, daß ich auf Grund meiner beruflichen Biographie gerade in Hamburg sehr gut beurteilen kann, daß diese Kräfte im sachbearbeitenden Dienst weitaus sinnvoller eingesetzt werden könnten.
Der Datenschutz ist heute in der Debatte so gut wie gar nicht aufgetaucht. Ich beschränke mich auf folgenden Gesichtspunkt: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz soll, so mein Änderungsantrag zum Titel 422 01, um 20 zusätzliche Planstellen besser ausgestattet werden. Wir haben vorhin gehört, daß mal eben 230 zusätzliche Stellen geschaffen wurden, um die Asylanträge schneller bewältigen zu können. Während selbst Regierungsvertreter sagen, der größte Teil der 2 Milliarden DM des Innenetats werde durch das BKA und den BGS verursacht, haben wir zur Kenntnis zu nehmen, daß im Bundeskriminalamt gleichzeitig 387 zusätzliche Stellen für die Rauschgiftbekämpfung geschaffen werden sollen. Und dann schafft es diese Koalition nicht, den Bundesbeauftragten für den Datenschutz auch nur im untersten Bereich personell so auszustatten, daß er den vermehrt aufgetretenen Anforderungen gerecht werden kann. Weil wir das hier seit drei Jahren so diskutieren, unterstelle ich Ihnen inzwischen, daß Sie bewußt dafür sorgen, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz strukturell schwach gehalten wird, damit die Problematisierung im Bereich des Datenschutzes, die für die Politik, die Sie zu verantworten haben, weiß Gott schon haarsträubend genug ist, nicht noch negativer ausfällt.
Im Zusammenhang mit dem Schengener Abkommen soll der Tit. 532 31, Entgelte für die Entwicklung von automatischen Verfahren, gestrichen werden. Das Ausländerzentralregister soll mit dem Visa-System effektiver gemacht werden, ohne daß die notwendigen gesetzlichen Grundlagen und Datenschutzbestimmungen geschaffen wurden.
({4})
Zum Kapitel 06 10 - es ist eines meiner Lieblingsthemen - Titel 686 02 - Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im Ausland: Meine Damen und Herren, die Rauschgiftverbindungsbeamten - das haben wir inzwischen empirisch belegt - leisten keinen wirksamen Beitrag zur Reduzierung des Drogenproblems.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den von der SPD in diesen Tagen vorgelegten Antrag über die Geldwäsche noch einmal anführen. Ich habe das an anderer Stelle bereits gesagt. Sie werden mit einer solchen Vorgehensweise, ob Sie die Grenze meldepflichtiger Bareinzahlungen bei 50 000 oder 100 000 DM setzen, das Problem nicht bewältigen können. Jeder Insider, jeder Banker kann Ihnen sagen, daß die Banken auch jetzt schon illegale Geschäfte mit den sogenannten Tafelgeschäften machen. Da werden Summen transportiert, die wirklich
in keiner Buchhaltung auftauchen. Deswegen wird auch ein solches Gesetz zum Ansatz Geldwäsche in jedem Fall im Sande verlaufen, weil die Banken, auch die deutschen Banken, natürlich ein eigenes Interesse daran haben, sich diese speziellen und zahlungskräftigen Kunden zu erhalten.
Der Titel 422 01 - Bezüge der planmäßigen Beamten - soll um 5,6 Millionen DM gekürzt werden. Das sind exakt die Rauschgiftverbindungsbeamten. Sie setzen in der Regierungskoalition nach wie vor mit weitem Abstand als erste Prämisse bei der Bekämpfung der Drogenproblematik auf die Repression. Wir hören gleichzeitig, selbst von Bundeskanzler Kohl bei der Regierungsbefragung nach der entsprechenden Kabinettssitzung, daß die gesundheitspolitischen Aspekte im Vordergrund stehen sollen. Das ist reine Augenwischerei; Ihre praktische Politik sieht anders aus.
Wenn Sie deutsche Beamte oder Institutsangehörige in das Ausland schicken wollen, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was dort an Drogenproblematik in den jeweiligen Ländern existiert, dann wäre es notwendig, ganz andere Wissenschaftsfakultäten dort hinzusenden, wie z. B. Ethnologen.
Der Titel 684 06 - Förderung demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen - soll um 500 000 DM erhöht werden. Unter Gefährdung ihres Lebens leisteten viel zu wenige Menschen während der Nazidiktatur Widerstand. Diese Gruppen sollten, sofern sie noch lebende Mitglieder haben, langsam so bedient werden, daß auch durch diesen Geldbetrag zum Ausdruck gebracht wird, wie heute ihre Courage von damals bewertet wird.
Der Titel 532 07, die von Frau Seiler-Albring angeführte unabhängige Regierungskommission zur Untersuchung von Ursachen der Gewalt und zur Entwicklung von Konzepten zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt, muß gestrichen werden. Die eigentliche Begründung für die Einführung dieser Kommission ist hinfällig geworden. Gerade die FDP wollte auf Grund der Koalitionsgespräche zusätzliche Informationen über die Notwendigkeit oder den möglichen Verzicht auf bestimmte Gesetze im Bereich der inneren Sicherheit gewinnen. Diese Gesetze sind fast sämtlich bereits auf den Weg geschickt bzw. verabschiedet.
Die Schutzbauanlagen werden in einer Reihe von Änderungsanträgen von mir als zu streichen angeführt. Ich mache dazu keine weiteren Ausführungen, weil die Nachdenklichkeit von Herrn Kühbacher bereits zum Ausdruck gebracht hat, wie meine Intention dabei aussieht.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der Etat zum Bereich des Innenministeriums geht weit an den tatsächlichen Problemen vorbei. Viele dieser Aspekte habe ich Ihnen jetzt im Stakkato dargestellt. Es gibt noch weit mehr.
Ich bin einigermaßen entsetzt darüber, daß die bisherige Politik hier so fortgeführt wird. Ich würde mir wünschen, daß sich zumindest eine beachtliche Zahl von Stimmen hinter meinen einzelnen Änderungsanträgen wiederfindet.
Ich bedanke mich für die teilweise erbrachte Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, nach meinem Vorredner und vor einer Abstimmung um ein bißchen Aufmerksamkeit zu bitten.
Beim Einzelplan 6 ist ja auch die Kultur angesiedelt. Wir haben wegen vieler anderer Fragen über Kultur wenig reden können. Der Innenminister hat eben angedeutet, daß es noch zu einem kulturfreundlichen Steuerrecht kommen wird. Wir freuen uns darüber.
Ich möchte eine Bemerkung des Kollegen Gerster in der Debatte eben aufgreifen. Herr Gerster, Sie haben etwas gemacht, was Sie noch einmal überdenken sollten. Sie haben unserer Fraktion hier eben vorgeworfen, von den zehn Punkten des Bundeskanzlers abzurücken. Niemand in der Bundesrepublik und niemand in der Welt außerhalb der Bundesrepublik hat diese zehn Punkte als zehn Gebote, sondern als zehn Angebote zu einer Diskussion verstanden.
({0})
Das möchte ich hier einmal ganz klarmachen. Wenn Sie in der Debatte anfangen, dies zu zehn Geboten zu machen, dann können wir darüber nur sehr schwer in einer sinnvollen und sachlichen Weise diskutieren, die dem Gegenstand angemessen ist.
Ich denke, es ist wichtig, hier im Deutschen Bundestag darauf aufmerksam zu machen, daß sich für alle Menschen in der DDR, die in der Kultur tätig sind, in den letzten Wochen ein dramatischer Wechsel vollzogen hat. Die Zensur soll abgeschafft werden, etwas, worauf wir jahrelang gepocht und gewartet haben. Das ist eine wirkliche Veränderung. Warum sage ich das hier, wenn wir über den Innenhaushalt sprechen? - Wenn Zensur und zentralistische Kulturpolitik in der DDR abgeschafft werden, dann ist das ein unmittelbares Datum, dann sind das Entscheidungen, die uns unmittelbar betreffen. Denn in der Kultur hat es die Trennung nie ganz gegeben.
Deshalb wird meine Fraktion in der nächsten Zeit - wir diskutieren das zur Zeit - eine Einrichtung vorschlagen, die deutlich macht, daß wir dann, wenn Zensur abgeschafft ist, auch gemeinsame Einrichtungen mit der DDR, d. h. mit den kulturpolitisch tätigen Menschen der DDR, mit den Künstlern und Künstlerverbänden der DDR, haben können. Da sind wichtige Aufgaben in der Diskussion, bei denen wir unmittelbar helfen können. Ich will vier nennen, bei denen ein Kulturfonds, der von uns mitfinanziert wird, helfen könnte.
Das sind einmal Stipendien für Maler, Schriftsteller und Musiker, die jahrelang nicht in den Westen reisen und nicht dort - nicht nur in der Bundesrepublik - leben konnten.
Das ist zum zweiten Hilfe beim Denkmalschutz - eine kulturpolitisch wichtige Aufgabe, die die DDR allein wohl nicht wird bewältigen können.
Das ist drittens Hilfe durch einen solchen Fonds zur Verhinderung des Ausverkaufs der deutschen KulturDuve
güter in der DDR. Da braucht sie Hilfe. Und die können wir dann geben, wenn sie sich selber an einem solchen Instrument beteiligt.
Viertens schließlich sollte ein solcher Fonds in der Lage sein, das Entstehen kleiner - so nenne ich das einmal - Kulturbetriebe, Verlage und ähnliches auch wirklich mitzufinanzieren, damit wir von den zentralistischen Formen dort wegkommen.
Sie sind herzlich eingeladen, an einem solchen Instrument, an einer solchen Institution mitzuwirken. Wir werden das in den Bundestag einführen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. Ich weiß, daß das kurz vor der Abstimmung schwer ist. Aber ich wollte das hier gern zu Protokoll geben, und das habe ich hiermit gemacht.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich noch zwei Wortmeldungen zu Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Da ist zunächst der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es folgen jetzt zwei namentliche Abstimmungen, die einen Erklärungsbedarf seitens der Sozialdemokraten erfordern.
Der Antrag der GRÜNEN „Entschädigung für NS- Zwangsarbeit", 250 Millionen DM in den Haushalt einzustellen, entspricht einem von den Sozialdemokraten im Vorjahr gestellten Antrag, der leider nicht zum Zuge kam. Wir werden diesem erneuten Begehren auch heute in namentlicher Abstimmung zustimmen.
Es gibt einen zweiten Antrag der GRÜNEN mit einer sehr viel bescheideneren Summe, nämlich 250 000 DM für eine Gedenk- und Dokumentationsstätte in Salzgitter-Drütte in den Haushalt neu einzuplanen. Auch dieser Sache stehen wir völlig offen und zustimmend gegenüber.
Aber nun muß ich Ihnen als Haushälter leider sagen, warum wir uns enthalten müssen. Der Sachstand ist so, daß die Vorbereitungen bei der Stadt Salzgitter noch nicht abgeschlossen sind, wie der Kollege Schmidt selber und die Stadt Salzgitter es mitteilen. Entsprechend einem Gutachten müssen die noch vorgeschlagenen Standorte, die zu erwartenden Kosten für den Erwerb, die Kosten für die bauliche Gestaltung und Ausgestaltung noch ermittelt werden. Deshalb ist dieser Ansatz nach unserem Haushaltsrecht nicht etatreif. Wir werden uns bemühen, ihn im Haushalt 1991 einzuplanen.
Gleichzeitig möchte ich noch einmal ausdrücklich dafür danken, daß es möglich war, für die Gedenkstätte in Hadamar, für die im Haushalt 1990 Mittel vorgesehen sind, ohne großes Aufheben Mittel bereitzustellen.
Wir werden uns bei diesem Antrag, der leider nicht etatreif ist, der Stimme enthalten.
Die Zahl der angemeldeten Erklärungen zu § 31 der Geschäftsordnung mehrt sich. Es kommmen nunmehr Sprecher aller Fraktionen zu Wort.
Zunächst Frau Dr. Vollmer, bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will kurz etwas zu unserem Antrag „Unterstützung der Gedenk- und Dokumentationsstätte Salzgitter-Drütte" und zu der Winzigkeit von einer Viertelmillion DM zur Unterstützung dieses Vorhabens sagen.
Der Herr Kollege Kühbacher hat gesagt, dieser Antrag sei nicht abstimmungsreif. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Debatte, die wir in der letzten Sitzungswoche geführt haben. Das war eine für dieses Parlament sehr ungewöhnliche Debatte. Damals hat die Frau Kollegin Wisniewski gesagt, die Dokumentationsstätte sei unterstützungswürdig. Sie wissen nur noch nicht, ob der richtige Ort gewählt worden sei. Der Herr Kollege Schmidt hat aus seiner Kenntnis vor Ort gesagt, wie außerordentlich wichtig dieses Vorhaben sei. Herr Lüder hat gesagt, er schäme sich, daß diese Geschichte, die schon in der letzten Legislaturperiode hier im Parlament behandelt worden sei, so lange verzögert worden sei.
Es ist dringend - wir haben die Mittel beantragt, um sie gleichzeitig zu sperren - , jetzt über diese Sache abzustimmen, weil nämlich der Verkauf der Salzgitter-Werke ansteht und wir nach dem Stand der Diskussion davon ausgehen konnten, daß dieses Haus diese kleine Summe bereitstellen würde.
Wir haben unseren Antrag den entsprechenden Kollegen rechtzeitig - vor zwei Tagen - mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt, die bei uns nicht angekommen sind. Ich denke, auf diesem Hintergrund ist der Vorwurf, der vorhin gefallen ist, die GRÜNEN wollten sich gerade in dieser Sache profilieren, gründlich widerlegt.
Ich möchte Sie gerade angesichts der Tatsache, daß diese Sache so lange verschleppt worden ist, um Zustimmung zu unserem Antrag bitten.
({0})
Als nächster Redner hat nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Abgeordnete Gerster ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, daß die CDU/CSU-Fraktion die beiden Anträge der GRÜNEN ablehnen wird. Ich möchte nur zu einem Antrag etwas sagen, nämlich zu dem Antrag betreffend Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, für den 250 Millionen DM eingestellt werden sollen.
Erstens. Dieser Antrag entbehrt schon deshalb der Glaubwürdigkeit, weil am 14. Dezember dieses Jahres eine Anhörung des Innenausschusses zum Thema Wiedergutmachung stattfinden wird. Es ist ungewöhnlich, einerseits eine Anhörung zu beantragen
Gerster ({0})
und andererseits schon feste Vorstellungen zu entwickeln.
({1})
- Ich finde es schon bemerkenswert, wie wichtig Sie selbst die von Ihnen beantragte Anhörung nehmen.
Zweitens. Das entscheidende Argument ist jedoch: Die Wiedergutmachung nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges beruht auf dem Territorialitätsprinzip, auf einer Sonderregelung für jüdische Verfolgte und auf dem Londoner Schuldenabkommen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland jetzt eine neue Form der Wiedergutmachung einführen würde, würden - zusätzlich zu den rund 100 Milliarden DM, die an Wiedergutmachung geleistet wurden und noch zu leisten sind - Beträge in unübersehbarer Milliardenhöhe anfallen. Dies würde das Londoner Schuldenabkommen sprengen und zu weiteren Nachforderungen führen.
Ich halte eine derartige Antragstellung sehr wohl in Kenntnis des schweren Schicksals von Menschen, die Zwangsarbeit leisten mußten, und auch in voller Würdigung der Nöte, die sie erleiden mußten, in dieser Form gegenüber den Menschen dieser Generation und gegenüber den Menschen folgender Generationen für nicht verantwortbar.
({2})
Wir werden uns bei der Anhörung sehr wohl sachkundig machen. Ich schließe natürlich nie aus, daß uns eine Anhörung zu bestimmten Sachfragen sachkundig machen kann und daß sie auch zu gewissen Konsequenzen führen kann.
Nur halten wir den neuen Einstieg im Jahre 1989 in eine völlig neue Form der Wiedergutmachung, die übrigens früher gemeinsam mit den Stimmen der SPD abgelehnt wurde, nicht für verantwortbar. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.
({3})
Das Wort ebenfalls nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erst wenige Tage her, daß wir hier über den Antrag zu Dritte gesprochen haben. Wir werden in der nächsten Woche im Innenausschuß darüber weiter beraten. Wir hatten zugesagt, daß die Beratung zügig und schnell kommt. Ich hoffe, daß wir dann auch alle Unterlagen haben, die uns von Salzgitter noch zur Verfügung gestellt werden müssen.
Aber heute, vor der ersten Beratung im Innenausschuß, ein definitives Wort zu sagen, halten wir für falsch. Ich habe, Frau Kollegin Vollmer, in der Debatte hier gesagt, daß es das Politikum sein muß, daß wir diese Gedenkstätte wollen. Ich habe für meine Fraktion an die Haushälter gerichtet gesagt, daß damit nicht zwangsläufig die Auflage verbunden sein muß, daß wir aus diesem Etat Geld zur Verfügung stellen
müssen. Es muß auch andere Wege geben, solche Gedenkstätten in unserem Land zu schaffen. Deshalb wollen wir das heute nicht übers Knie brechen. Darum lehnen wir diesen Antrag ab.
Zweitens. Wir haben uns skeptisch geäußert zur Einrichtung der Stiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeit. Wir haben uns bereit erklärt, darüber zügig, und zwar noch im Dezember parallel zu einer Plenarsitzung, die Anhörung durchzuführen. Wir sagen nicht nein dazu. Wir wollen offen hören, wir wollen offen nach Wegen suchen. Aber wir können die Entscheidung nicht durch einen Betrag präjudizieren, den wir heute einsetzen.
Wenn der Deutsche Bundestag im nächsten Jahr beschließen sollte, so etwas zu machen, wird das Geld dafür auch zur Verfügung gestellt werden können, aber nicht im Vorweg heute über die Haushaltsberatung. Deswegen sagen wir auch zu diesem Antrag nein.
({0})
Die letzte Wortmeldung nach § 31 der Geschäftsordnung kommt von dem Abgeordneten Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als zuständiger Berichterstatter meiner Fraktion für den Einzelplan 06 lege ich Wert auf folgende Feststellung. Die vom Kollegen Kühbacher hier geltend gemachte mangelnde Etatreife des Antrags betreffend Dokumentationsstätte Salzgitter ist aus meiner Sicht weder gegeben, noch sind die Argumente, die Sie hier vorgetragen haben, in irgendeiner Weise stichhaltig.
Herr Kollege Kühbacher, Sie wissen so gut wie ich, daß es, wenn solche Unsicherheiten noch bestehen, die Möglichkeit gibt, eine qualifizierte Sperre vorzusehen, und daß damit die Probleme, die Sie hier angesprochen haben, beseitigt werden. Ich kann nur an Sie appellieren, Herr Kollege Kühbacher: Machen Sie nicht auf dieser Ebene formale Bedenken geltend, die keine sachliche Substanz haben. Lassen Sie uns diesen Antrag hier verabschieden, damit wir nicht in eine unmögliche Situation kommen, die dann entstünde, wenn das, was Kollege Lüder vorgetragen hat, so bliebe, nämlich daß auf der einen Seite alle behaupten „Wir wollen das! ", daß aber auf der anderen Seite niemand bereit ist, Geld dafür bereitzustellen.
Das ist ein unmöglicher Zustand. Lassen Sie uns das hier regeln. Das ist doch zu machen; es geht nicht um weltbewegende Summen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zuerst zu zwei namentlichen Abstimmungen, die wir in kurzer Zeit hintereinander abwickeln können. Es geht um Anträge zum Einzelplan 06.
Wir stimmen zunächst ab über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5796. Dieser Antrag betrifft die Gedenkstätte Salzgitter. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt.
Vizepräsident Westphal
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis werde ich später mitteilen.*)
Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5797. Er befaßt sich mit einem Fonds für Wiedergutmachung.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis werde ich später mitteilen. **)
Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl zum Einzelplan 06. Das sind die Drucksachen 11/5838 bis 11/5860 und 11/5875 bis 11/5881 sowie 11/5910 und 11/5911.
In Übereinstimmung mit dem Abgeordneten Wüppesahl ist es möglich, dies in einer Abstimmung zu machen.
({0})
- So kommt man spät zu Beifall. - Ich stelle sämtliche eben genannten Drucksachen, Anträge des Abgeordneten Wüppesahl zum Einzelplan 06, zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die für die Annahme dieser Anträge sind. ({1})
Darf ich um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen?
- Bei null Stimmen dafür, bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN sind diese Änderungsanträge mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt.
Ich komme nun zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Einzelplan 06 auf Drucksache 11/5882, und zwar unter Nr. III. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Da ich zur weiteren Abstimmung über den Einzelplan 06 erst die Ergebnisse der namentlichen Abstimmung haben muß, kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 33, Versorgung. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Fraktionen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Nun kommen wir zum Einzelplan 36. Dazu muß ich zunächst wieder Änderungsanträge des Abgeordne-
*) Ergebnis S. 13851B **) Ergebnis S. 13852 D
ten Wüppesahl zur Abstimmung stellen, und zwar sind das die Drucksachen 11/5866 bis 11/5873.
({2})
- Es ist nicht die Aufgabe des Präsidenten, festzustellen, wo sich ein Abgeordneter befindet.
({3})
Auch jetzt gehe ich davon aus, daß uns der Abgeordnete Wüppesahl erklärt hat, daß er mit einer Abstimmung für alle genannten Anträge einverstanden ist. Wer stimmt für die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl? - Ich sehe keinen.
({4})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen und keiner Stimme dafür sind diese Änderungsanträge abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Einzelplan 36 auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XIX. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 36; das ist der Einzelplan „Zivile Verteidigung". Wer ihm in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Sind Sie damit einverstanden, daß wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen? - Die Abstimmung über Einzelplan 06 findet nachher statt, wenn wir über Einzelplan 14 abstimmen.
Ich rufe auf:
I. 22. hier: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 11/5564, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Müller ({5}) Dr. Friedmann
Dr. Weng ({6})
Kühbacher
Walther
Kleinert ({7})
I. 23. hier : Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksache 11/5576 Berichterstatter:
Abgeordnete Diller Kalb
Kleinert ({8})
Vizepräsident Westphal
IV. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 123 zu Petitionen
- Drucksache 11/5150 V. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Fuchs ({11}), Dr. Böhme ({12}), Erler, Gerster ({13}), Heistermann, Horn, Kolbow, Leonhart, Steiner, Zumkley, Leidinger, Opel, Dr. Ehmke ({14}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Rücktritt der Bundesrepublik Deutschland von dem Entwicklungsvorhaben „Europäisches Jagdflugzeug/Jagdflugzeug 90"
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus dem Entwicklungsvorhaben Jagdflugzeug 90
- Drucksachen 11/3018, 11/3592, 11/4269 Berichterstatter:
Abgeordnete Francke ({15}) Dr. Klejdzinski
Zu Einzelplan 14 und zur Sammelübersicht 123 des Petitionsausschusses liegen eine Reihe von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Über die Änderungsanträge auf Drucksache 11/5798 und 11/5887 soll nachher namentlich abgestimmt werden.
Auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wer also rechnen kann, weiß, daß die Abstimmungen etwa gegen 22 Uhr stattfinden werden. Sie können das den Kollegen mitteilen, damit sie nicht alle bei mir fragen kommen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Oktober 1984 wurde der erste Bundeswehrplan vom Kabinett verabschiedet. Ohne dem zuständigen Fachausschuß die Chance einer gründlichen Beratung zu geben, wurde er in der darauffolgenden Sitzung des Verteidigungsausschusses von der Koalitionsmehrheit nach nur sechs Stunden Vortrag und Diskussion beschlossen. Eine abenteuerliche Aktion, wie sie von Anfang an ersichtlich war und wie sich später von Jahr zu Jahr immer mehr bestätigte.
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Ohne die außenpolitischen Rahmendaten einzubeziehen, war der Plan von Anfang an unrealistisch und damit undurchführbar. Eine Gesamtfinanzierungssumme von über 600 Milliarden DM netto und eine dramatisch abfallende demographische Entwicklung durch den Pillenknick bei den jüngeren Jahrgängen machte diese Planung von Anfang an hinfällig. Jahr für Jahr hat die Koalition wider besseres Wissen alle unsere Anträge auf Kurskorrektur niedergestimmt, unsere Kooperationsvorschläge ausgeschlagen und die Legende verbreitet, die SPD entferne sich von der sicherheitspolitischen Gemeinsamkeit.
Am 6. Dezember dieses Jahres will nun das Bundeskabinett dem Armutskleid ihrer Planung einen neuen Flicken aufsetzen. Die jetzige Korrektur erfolgt viel zu spät, zu zaghaft und ohne Reue; zu spät, um Konsens und Koordination der Politik im Bündnis herzustellen, zu spät auch, um Härten bei den allenthalben erforderlichen Versetzungen für die Soldaten und ihre Familien zu vermeiden, zu zaghaft, um für die Wiener Abrüstungsverhandlungen auch nur irgendein positives Signal zu setzen und den schlimmen Eindruck zu vermeiden, man sei nur bereit, das Personal abzubauen, das man ohnehin nicht mehr bekommt. Auch jetzt ist kein Konzept zu erkennen.
Im übrigen gehen die neuen Planungen immer noch - das wissen Sie genau - von einer Verlängerung der Grundwehrdienstdauer auf 18 Monate ab 1992 aus.
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Da daran jedoch niemand ernsthaft glaubt, ist auch das neue Zwischenpapier des Ministers bereits Makulatur. Der verhunzte Plan dieser Bundesregierung läßt sich am besten mit dem Wort von Bert Brecht charakterisieren: Ja, mach' nur einen Plan und sei ein großes Licht, und dann mach' einen zweiten Plan; gehen tun sie beide nicht.
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Für die SPD-Fraktion fordere ich erneut die Einsetzung einer Wehrstrukturkommission. Ich fordere die FDP auf, zu ihrem Wort zu stehen.
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Zugleich fordere ich die notwendige Rüstungskürzung einschließlich Jäger 90 in einer gründlichen Rüstungsklausur, um die Finanzvorhaben des Bundes nicht weiterhin ständig zu überfordern und um für die Abrüstungsverhandlungen in Wien endlich eine vernünftige eigene Perspektive zu entwickeln.
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Ob bei dem Einzelplan 14 als 18,1-%-Vorlage an den richtigen Stellen und ausreichend abgespeckt wurde, das wird mein Freund Klaus-Dieter Kühbacher noch behandeln.
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Der Unmut in der Truppe ist dort, wo man immer vom Rückgrat der Armee spricht, nämlich bei den Feldwebeln, bei den Offizieren des Truppendienstes und bei den Offizieren des militärfachlichen Dienstes.
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Die Koalition hat die Fachdienstoffiziere auch in diesem Jahr vergessen.
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Völlig unverständlich ist für mich jedoch, wie Sie Ihre Entscheidung vertreten wollen, daß Tausende qualifizierter Unteroffiziere allein deshalb ihr Laufbahnziel nicht erreichen sollen, weil sie bestimmten Geburtsjahrgängen angehören. Die SPD-Fraktion hat die vorübergehende Anhebung von 2 500 Stellen für Hauptfeldwebel, Stabsfeldwebel und Oberstabsfeldwebel beantragt, und die Koalition hat dies abgelehnt.
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Wie wollen Sie eigentlich den Männern gegenübertreten, die Sie zu Opfern einer verfehlten Personalplanung machen?
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Wir haben mit den Stellenanhebungen eine Maßnahme der Gerechtigkeit beantragt, die pro Jahr - man höre und staune - 7 Millionen DM kostet.
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Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben diese 7 Millionen DM für diese Leute abgelehnt, aber allein für die Entwicklung des Jagdflugzeugs 90 haben Sie 700 Millionen DM bewilligt,
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ja, gegen uns durchgedrückt. Das ist die nackte Wahrheit Ihres Spruchs vom Menschen als Mittelpunkt, den niemand mehr hören kann.
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Sie brauchen aber nicht zu befürchten, daß der Jäger 90 allein für alle Ungereimtheiten Ihrer Regierungspolitik herhalten muß. In diesem Falle würde es schon genügen, die Werbemittel zu kürzen, damit nicht teure Agenturen idiotischen Männermut propagieren, wofür man sich in Verbundenheit mit unserer Truppe nur noch schämen kann.
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Seit 1985 fordern wir eine Rüstungsklausur - eingeladen, Herr Kollege Ganz - und die Einsetzung einer Wehrstrukturkommission. Wenn wir nach fünf Jahren scheibchenweise recht bekommen, dann ist das für uns auch nicht gerade eine wahre Freude.
Im übrigen geben die deutschen Ressourcenprobleme besonders beim Personal keinerlei Anlaß für Stolz. Inzwischen läßt der Bundesminister der Verteidigung an der 380 000-Mann-Bundeswehr arbeiten. Herr Dr. Stoltenberg, das Dementi dürfen Sie ruhig wieder dementieren lassen. Das gilt auch für die angekündigte Kabinettssitzung am 6. Dezember, die den Flop vom Oktober 1984 bereinigen soll.
Wichtiger als diese unerläßliche Prüfung der Haushaltsansätze und der Eckdaten ist jedoch die politische und gesellschaftliche Umwälzung in der Sowjetunion, Ostmitteleuropa und der DDR auch für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist eine Zäsur in der bisherigen Entwicklung. Kein vernünftiger Mensch kann doch glauben, daß sich östlich der
Elbe grundlegende Änderungen vollziehen und der Warschauer Pakt immer mehr den Charakter eines Militärpakets verliert, ohne daß dies Auswirkungen auf uns im Westen hat.
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Die deutsch-deutsche Entwicklung der jüngsten Zeit ist ein beredtes Beispiel für vordringlichen Handlungsbedarf auf anderen Politikfeldern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vom Bundeskanzler zusammengefaßte Zehn-Punkte-Katalog zur Deutschlandpolitik enthält wesentliche Elemente eines von den Sozialdemokraten schon lange dargestellten Konzepts auf diesem Gebiet. Entscheidende Fragen werden jedoch von der Bundesregierung offenbar mit Bedacht ausgeklammert.
Lesen Sie doch die Erklärungen der britischen Premierministerin. Lesen Sie nicht nur diese, sondern auch die des sowjetischen und des amerikanischen Außenministers, und Sie werden erkennen, das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört - um Willy Brandt zu zitieren - , eine echte Konföderation und das Ziel einer Einheit in einer gesamteuropäischen Friedensordnung sind jedoch nicht mehr erreichbar in den bestehenden Bündnisstrukturen.
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- Dazu komme ich jetzt. - Ich fasse zusammen.
Erstens. Die gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Grundwehrdienstzeit auf 18 Monate muß rückgängig gemacht werden. Sie ist den Betroffenen nicht zumutbar. Sie ist gesellschafts- und wirtschaftspolitisch unsinnig und außenpolitisch ein falsches Signal.
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Zweitens. Großprojekte im Rüstungsbereich wie der Jäger 90 sind sofort zu stoppen. Sie sind nicht finanzierbar und abrüstungs- und rüstungskontrollpolitisch kontraproduktiv.
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Drittens. Bundeskanzler Kohls Zehn-Punkte-Katalog mit dem Ziel einer neuen europäischen Friedensordnung und der Schaffung konföderativer Strukturen zwischen beiden deutschen Staaten sind unvereinbar mit der sogenannten Modernisierung der atomaren Kurzstreckenwaffen. Eine Öffnung von Mauer und Stacheldraht, die erste freie Begegnung von Deutschen und Deutschen in Berlin und in anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, das, meine Damen und Herren, schließt einfach die Aufstellung neuer Atomraketen aus, die ihr Zielgebiet in der Heimat dieser Menschen, in der DDR, haben, aber auch in Polen und der Tchechoslowakei.
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Es ist doch widersinnig, den Aufbruch zu Freiheit und Demokratie unter ein nukleares Damoklesschwert zu stellen. Im Gegenteil, die atomaren Kurzstreckenwaffen müssen mit Vorrang abgebaut werden. Das ist
auch in unserem eigenen deutschen wohlverstandenen Interesse.
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Viertens. In Wien ist ein Seminar über Militärsstrategien und Doktrinen zwischen Ost und West vereinbart worden. Auf dem Prüfstand stehen die politischen Doktrinen, die bestehenden Militärstrategien, die operativen Leitlinien und die Verbandsstrukturen in Ost und West. Sie bedürfen einer tiefgreifenden Veränderung, die zur beiderseitigen strukturellen Nichtangriffsfähigkeit führt. Kein seriöser Politiker glaubt, daß die dramatische Umwälzung im Denken und in der politischen Landschaft im Warschauer Vertrag ohne Rückwirkung auf uns bleibt.
Dies alles wird auch Auswirkungen auf die Bundeswehr haben. Mit der Veränderung ihrer Struktur, der Reduzierung ihrer Präsenzstärke und der Modifizierung ihrer Ausrüstung im Rahmen des allgemeinen Abrüstungsprozesses muß jetzt begonnen werden. Damit verbunden wird auch die Frage nach der Rolle der Streitkräfte in unserer Gesellschaft, nach der Zukunft bewaffneter Verteidigung im Wandel sicherheitspolitischer Bedingungen neu gestellt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf einige Bemerkungen meines Vorredners eingehe,
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möchte ich noch einmal ganz grundsätzlich hier feststellen: Im 40. Jahr der NATO stellen wir fest, daß unser Verteidigungsbeitrag, unsere Sicherungspolitik, unsere Bundeswehr,
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die Streitkräfte der NATO ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß die Bereitschaft zur Abrüstung gefördert worden ist.
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Ohne unsere Festigkeit wäre dies nicht denkbar gewesen. Und jetzt anerkennt ja die Sowjetunion, daß sie eine massive Überlegenheit hat. Auch das ist neu.
So haben wir also jetzt die Chance, etwa mit den Wiener Verhandlungen zum Erfolg zu kommen. Aber Vorleistungen zum jetzigen Zeitpunkt würden uns dann nicht angerechnet.
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Es ist selbstverständlich, daß wir die Chance nutzen. Aber beim Nutzen der Chance dürfen die Risiken nicht vergessen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz ausdrücklich unserer Regierung, dem Verteidigungsminister danken, daß er diese Wiener Verhandlung aktiv gestaltet, regelrecht die Dynamik dieser Verhandlungen darstellt. Insofern ist die Initiative gegeben, die eingefordert wird. Herzlichen Dank für diese Bemühungen!
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Meine Damen und Herren, wir stellen uns auf den neuen Prozeß in Europa ein. Aber: Die Sicherheit und damit auch die Stabilität in Europa bedingen nach wie vor eine Verteidigungsfähigkeit. Was wir von Ihnen, der Opposition, zu dieser Thematik an Signalen hören, ist nicht sehr erfreulich.
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe den Beitrag des Kollegen Kühbacher aus der ersten Lesung dieses Haushaltes noch einmal genau nachgelesen.
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Sie haben dort gesagt, Herr Kollege, daß die physische Präsenz der USA in Europa notwendig sei,
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und Sie haben gesagt, daß jeder, der etwas anderes über die Sozialdemokratie verlauten lassen würde, etwas Falsches unterstellen würde.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, da Sie erkannt haben, daß die Sicherheitspolitik, die Sie gegenwärtig durchführen, ein richtungweisender Schritt in die richtige Richtung ist, darf ich das so verstehen, daß Sie mit uns die Friedensstärke der Bundeswehr noch erheblich herabsetzen?
Ich werde auf die Ausführungen zur Friedensfähigkeit nachher noch eingehen, Herr Kollege Klejdzinski. Ich bitte um Verständnis.
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Ich darf noch einmal aufgreifen, was Kollege Kühbacher in der Debatte gesagt hat: die Präsenz der USA in Europa sei für die SPD selbstverständlich. Der Ministerpräsident meines Landes, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Lafontaine, fordert, was mich nicht wundert, dieser Tage den Abzug der Amerikaner - aller Amerikaner. Und Herr von Bülow findet diesen Vorschlag auch noch vernünftig.
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Meine Damen und Herren, dazu eine unverdächtige Stimme. Der französische Historiker und Deutschlandkenner Joseph Rovan hat nach den Ereignissen in der DDR, also in den letzten Tagen, gesagt, es sei ja die Frage, was bei aller Würdigung der Reformpolitik von Gorbatschow letztlich die Absicht der Politik Gorbatschows sei, nämlich, wie vor ihm erfolglos Chruschtschow und Breschnew, die Amerikaner und die Atomwaffen aus Europa wegzuhaben. Dann hätte Gorbatschow - so Rovan - „trotz aller Schwierigkeiten, die er in seinem Herrschaftsgebiet
Müller ({2})
erlebt, im Grunde den entscheidenden Sieg errungen, den die Sowjetunion seit 50 Jahren vergeblich versucht zu erringen".
Meine Damen und Herren, man braucht diese Meinung ja überhaupt nicht zu teilen - wie gesagt, ich habe Rovan zitiert -,
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aber wir brauchen langfristig die Präsenz der Amerikaner, um das Gleichgewicht gegenüber der anderen Großmacht richtig auszutarieren. Dazu wären doch die Europäer allein nicht in der Lage.
Zu den unerfreulichen Signalen der Opposition zählt auch, wie wir eben schon wieder gehört haben, das gebetsmühlenhafte Infragestellen der Großprojekte:
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Jäger 90, Streichung des ECR-Tornados, Panzerabwehrhubschrauber usw.
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Alle diese Projekte unterliegen einem komplizierten Geflecht internationaler Verpflichtungen. Es käme bei einem Verzicht darauf zu einer außerordentlichen psychologischen Belastung bei unseren Partnern.
Ich will auf die Argumente hier überhaupt nicht mehr eingehen,
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weil in den intensiven Beratungen, die wir hinter uns haben, auch nicht ein einziges neues gekommen ist, das nicht schon ausführlich diskutiert und kommentiert wurde.
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Fragen Sie auch mal Ihren Parteikollegen Edzard Reuter, was der zu diesem Punkt sagt.
Zu den unerfreulichen Signalen zählt auch die Aussage der SPD über die angeblichen Einsparungsmöglichkeiten beim Verteidigungsetat schlechthin. Das haben wir ja gestern hier auch schon gehört. Der eine meint 30 Milliarden DM in zehn Jahren, der andere 3 Milliarden DM, wieder ein anderer 2 1/2 Milliarden DM, ein letzter sagt 2 Milliarden DM. Was gilt denn jetzt?
Wie diese Rechnungen dann wiederum relativiert werden, möchte ich einmal an einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen.
Der Kollege Rudi Walther, immerhin der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, mit dem man ja ganz kollegial zusammenarbeiten kann, hatte - das habe ich der Presse entnommen - in den Vorbereitungen, die er selbst leistet für diesen „Fortschritt 90" oder wie das Programm heißt,
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gemeint, daß allein bei der Position „Truppenabbau"
in acht bis zehn Jahren real 10 Milliarden DM einzusparen seien, d. h. also, wenn ich richtig rechne, 1 Milliarde pro Jahr. Er fügte aber dann hinzu, daß dadurch eine Menge Bundeswehrstandorte zugemacht werden müßten. Als Ausgleich für die aufgegebenen Standorte der Bundeswehr in strukturschwachen Gebieten müßten diesen Regionen Strukturhilfen von bis zu 1 Milliarde DM jährlich gewährt werden. - So Rudi Walther.
Wenn ich richtig rechne - 1 Milliarde DM im Einzelplan 14 weg und 1 Milliarde DM im Einzelplan 09 hinzu, wo die Strukturhilfen etatisiert sind - , frage ich, wo denn dann die Einsparungen in diesem Bereich liegen. Insofern wiederhole ich meine Feststellung: Die Einsparberechnungen sind rundherum unseriös, die Sie uns hier anbieten, meine Damen und Herren.
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Zu den falschen Signalen gehört auch die Aussage zum Friedensumfang der Bundeswehr. Auch hier gehen die Größenordnungen auseinander. Da sagt der eine 200 000, der andere sagt 250 000, wieder andere meinen 350 000 bis 370 000,
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noch einmal andere sagen 380 000 bis 400 000. Was stimmt denn eigentlich? Wir sind der Meinung: Wir diskutieren den Friedensumfang sehr sorgfältig, wenn Ergebnisse von Abrüstungsverhandlungen vorliegen. Wenn das Ergebnis von Wien weitere Anpassungen nach unten möglich macht, werden wir dies doch selbstverständlich tun. Dazu bedarf es doch überhaupt keiner weiteren Diskussion.
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Gestern und vorgestern hat man sich in Brüssel beraten, und man ist auch dort mit dem Entschluß auseinandergegangen, daß man auf diesem Weg fortschreitet. Gemeinsam mit den NATO-Partnern wird man überlegen, wie und wann Truppen zu reduzieren sind. Im übrigen glaube ich auch, daß die Sowjetunion an Verträgen - ich unterstreiche: an Verträgen - interessiert ist und aus innenpolitischen Gründen, die bei ihnen zu suchen sind, nicht an Einzelaktionen interessiert ist, gleich welcher Art.
Nur gilt doch nach wie vor der oft zitierte Satz von Churchill: „Jedes Land hat eine Armee, entweder die eigene oder eine fremde. " Wir sollten in weit größerem Maße berücksichtigen, daß Streitkräfte ein Stück Selbstbehauptung eines jeden souveränen Staates sind. Allein aus diesem Grunde wäre es unsinnig, ihre Existenz in Frage zu stellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heistermann?
Bitte schön.
Herr Kollege Müller, darf ich aus Ihren Ausführungen schließen, daß Sie die angekündigte Kürzung des amerikanischen Verteidigungshaushalts in den nächsten vier Jahren von
180 Milliarden Dollar, einschließlich Truppenabzug, als ein falsches Signal in Richtung Osten werten?
Das können Sie aus meinen Ausführungen nicht schließen. Wenn Sie meinen Ausführungen richtig zuhören, werden Sie nachvollziehen können, daß dies absolut nicht im Duktus dessen ist, was ich hier vortrage.
Ich darf fortfahren. Es gibt keinen einzigen unabhängigen oder souveränen Staat, es gibt keine wirkliche Selbstbestimmung eines Volkes, ohne daß nicht täglich unter Beweis zu stellen ist, wie auch die äußere Sicherheit ernstgenommen wird. Das ist eine der ersten Bürgerpflichten, und sie wird von unseren Soldaten für alle Bürger geleistet.
Und so stört mich schon die Arbeitsteilung, die hier vorgenommen wird. Ich habe auch da wiederum bei Ihnen, Herr Kollege Kühbacher, das Zitat gefunden: „Für uns Sozialdemokraten hat die Bundeswehr ihren Platz im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland gefunden."
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Ihr Parteivorsitzender fordert bei einem Truppenbesuch mehr Anerkennung für die Wehrpflichtigen. Er hat recht; aber was machen manche Teile der SPD- Basis? In meinem Wahlkreis hat in der vergangenen Woche bei einer Rede zum Volkstrauertag ein Beigeordneter Ihrer Partei in der Stadt Saarlouis ausgeführt, jede Mark, die für die Bundeswehr ausgegeben werde, sei hinausgeworfenes Geld.
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Ist das dann die Anerkennung für die Wehrpflicht? Nein, meine Damen und Herren, wir stehen zu unseren Soldaten, zu dem Friedensdienst, der dort geleistet wird, und so ist auch unser Haushalt aufgebaut: ein solides, durchgerechnetes, sorgfältig geprüftes Zahlenwerk,
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ein Zahlenwerk - selbst wenn Sie, Kollege Horn, es nicht mehr hören wollen , in dem für uns der Mensch im Mittelpunkt steht.
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So weist er aus: Verbesserungen der Personalstruktur, er beinhaltet ein Attraktivitätsprogramm, er sieht die Modernisierung der Kasernen vor, er setzt Akzente beim Umweltschutz und beinhaltet mehr zukunftsweisende Forschung, Entwicklung und Erprobung.
Die Verbesserung der Personalstruktur bringt außerordentlich günstige Berufschancen. Wenn man davon ausgeht, daß bis Mitte der 90er Jahre die Anzahl der wehrdienstfähigen jungen Männer halbiert wird, und wenn man weiter unterstellt, daß das wirtschaftliche Wachstum anhält, so erfordert dies Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Bundeswehr.
Das Attraktivitätsprogramm beinhaltet eine nicht unbeträchtliche Zahl von zusätzlichen Planstellen für
Hauptfeldwebel, Stabsfeldwebel, Oberstabsfeldwebel. Das Problem der sogenannten Hammelburger Hauptleute wird in den nächsten Jahren eine Verringerung erfahren. Die zusätzlichen Stellen für Stabsoffiziere und Sanitätsoffiziere werden die Situation entscheidend entschärfen.
Im einzelnen sind 1029 neue Stellen, darunter 130 Stellen für Sanitätsoffiziere und 140 Stellen für Sanitätsoffiziersanwärter, vorgesehen. Für Zivilpersonal stehen in diesem Haushaltsentwurf insgesamt 718 neue Stellen und 648 Hebungen zur Verfügung, davon 600 Stellen für die Mitarbeiter im Schichtdienst.
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Darüber hinaus sind 648 Hebungen im mittleren und gehobenen Dienst vorgesehen. Ich nenne alle diese Zahlen für das Protokoll.
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Die außerordentliche Betonung des Attraktivitätsprogramms der Bundesregierung für Soldaten bei einem Anteil von rund 44 % für Personalkosten in diesem Verteidigungshaushalt unterstreicht bei Kürzungen bzw. Umschichtungen in anderen Kapiteln unseren Willen, das Notwendige für den Menschen in der Bundeswehr und ihre Familien unter Berücksichtigung der Enge des Haushalts allgemein zu tun.
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Für die Realisierung des Attraktivitätsprogramms werden 1990 und in den Folgejahren jeweils Mittel in Höhe von jährlich 400 Millionen DM bereitgestellt. Über diese 400 Millionen DM hinaus sind weitere Finanzmittel für spürbare Verbesserungen im personellen Bereich eingestellt. So sind z. B. für die Modernisierung der Kasernen 360 Millionen DM vorgesehen. Hierdurch wird der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen Rechnung getragen.
Der Katalog des Attraktivitätsprogramms ist so umfangreich, daß er hier nur in wenigen Stichworten aufgeführt werden kann: Verbesserung der Familienheimfahrten; Erhöhung von Wehrsold, Verpflegungs-
und Entlassungsgeld; Verbesserung der Unterhaltssicherung; Verbesserung des Rechtsschutzes; Verbesserung der Berufsförderung; Verbesserung des Zulagenwesens und einiges andere mehr.
Zu erwähnen wären auch die Mittel im Ansatz für den Schutz der Umwelt. Sie erreichen eine Größenordnung von nahezu 1 Milliarde DM. Sie sind für Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Luftreinhaltung, für den Gewässerschutz und den Lärmschutz sowie für die Ausbildungseinrichtungen in Kanada und Großbritannien vorgesehen. Die Belästigung der Bürger soll durch die Anschaffung von Simulatoren, Verminderung von Schießlärm sowie die Entwicklung von Tiefflugsimulatoren weiter verringert werden. Wir konnten uns bei einem Truppenbesuch von den erfolgreichen Bemühungen der Hardthöhe in diesem Bereich überzeugen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte schön.
Herr Kollege Müller, wenn es so toll ist, was Sie für die Soldaten tun und im sozialen Bereich für das Personal ausgeben, wie erklären Sie sich, daß die Attraktivität des Wehrdienstes für Längerdiener und für Wehrpflichtige so gering ist wie noch nie, daß sich die Bundeswehr z. B. händeringend um Weiterverpflichtungen bemüht? Wie kommt das, wenn so viel für die Soldaten getan wird?
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Ich habe das indirekt schon ausgeführt. Sie wissen ja, daß bei dieser allgemein günstigen wirtschaftlichen Lage gerade der Beruf des Soldaten in Konkurrenz steht zu einer ganzen Reihe von neuen, attraktiven Chancen, die es in der Wirtschaft gibt. Deswegen machen wir ja gerade dieses Programm. Ich bin davon überzeugt, daß die Attraktivität des Dienstes erheblich verbessert wird, wenn dieses Programm erst einmal greifen wird.
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Meine Damen und Herren, dieser Verteidigungsetat gibt unserer Bundeswehr die notwendigen Finanzmittel. Sie sind knapp - zugegeben - , sind aber ausreichend, um die Aufgaben zu erfüllen. Sie verbessern die Lage der Soldaten und ihrer Familien. Insofern ist das auch als Dank an die Angehörigen der Soldaten der Bundeswehr zu sehen. Darauf möchte ich besonders hinweisen. Auch die Familien haben entscheidend dazu beigetragen, daß der Friede in Europa durch die Politik der Bundesrepublik Deutschland eingehalten werden konnte und inzwischen unsere Vorstellungen von Freiheit,
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Selbstbestimmung und Menschenrechten für viele Bürger, auch für die Bürger in der DDR und den Staaten in Mittel- und Osteuropa, greifbar am Horizont erscheinen.
Ich bedanke mich sehr herzlich, daß Sie mir zugehört haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müller, was ich zu Ihrer Rede sagen soll, ich weiß es nicht. Wenn man das ernst nähme, wenn man Ihrer Logik folgte, müßte man eigentlich feststellen: Abrüstung geht nie, Abrüstung bringt nichts, und die Bundeswehr ist an sich eine Veranstaltung zur Beglückung der Menschheit.
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- Jetzt beruhigt euch doch erst mal.
Selten beschreiben Fernsehbilder eine Situation so treffend wie jener Bericht in der Nachrichtensendung „heute" von der NATO-Tagung in Brüssel am vergangenen Dienstag. Während nämlich alle NATO- Verteidigungsminister zum schönen Erinnerungsfoto versammelt waren, fehlte einer. Das war der Herr Minister Stoltenberg. Der Herr Minister Stoltenberg mußte nämlich zur gleichen Zeit der Presse erklären, wie nun in der Bundesrepublik auf die verschiedenen Pläne der US-Regierung reagiert werden solle, drastische Einschnitte bei den Rüstungsausgaben vorzunehmen. Man war nun gespannt: Was würde Herr Stoltenberg wohl erklären? Als dann zu hören war, was er zu sagen hatte, konnte man eigentlich nur glauben, sich verhört zu haben; denn Herr Stoltenberg brachte tatsächlich die Erklärung zustande, nunmehr kämen „auf die europäischen NATO-Partner noch größere Verpflichtungen für die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Verteidigung zu" . Wer nicht glaubt, daß Herr Stoltenberg dies tatsächlich gesagt hat, mag es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 29. November nachlesen.
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- Jetzt seien Sie doch mal still. Das ist furchtbar hier in diesem kleinen Raum mit diesen vielen Leuten, die immer nur rummeckern können. Seien Sie doch mal still. Wirklich, das macht mich ganz rappelig.
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- Das ist furchtbar. In dem alten Bundestag ging das wenigstens noch so, daß das nicht so gestört hat. Das ist furchtbar hier. Sie mit Ihrer großen Zahl machen es einem schwer. Das ist ganz billig.
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- Ich bin gar nicht nervös.
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- Kommt, jetzt laßt mich mal ausreden. ({5})
- Ich verstehe ja mein eigenes Wort nicht, wenn Sie hier so herumkreischen, Herr Biehle.
Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu Herrn Stoltenberg: Wenn man solche Äußerungen hört, dann glaubt man gar nicht, daß man sich noch in derselben Wirklichkeit befindet wie diejenigen, die diese Äußerungen tun. Ich kann das einfach nicht nachvollziehen, muß ich hier ganz ehrlich bekennen.
Wir haben seit Jahren eine politische Gesamtentwicklung, die alte Feindbilder zunehmend unglaubwürdig macht - wenn man mal unterstellt, daß sie jemals mehr Glaubwürdigkeit gehabt hätten, was ich gar nicht tue. Da verlieren aus gutem Grund alte Bedrohungsszenarien mehr und mehr Wirkungskraft. Da hat der Warschauer Pakt bemerkenswerte Abrü13838
Kleinert ({6})
stungsschritte eingeleitet. Da will Herr Schewardnadse die Auflösung der Militärblöcke. Da ist in den letzten Wochen eine Entwicklung in Gang gekommen, die zusätzliche Chancen bietet. Da findet sich sogar in der Zehn-Punkte-Erklärung des Bundeskanzlers der Satz, daß - ich zitiere - Abrüstung und Rüstungskontrolle beschleunigt werden müßten. - Und dann kommt Herr Stoltenberg daher und erklärt die Notwendigkeit zusätzlicher Rüstungsausgaben. Also, bei allem, was mir bislang hier an merkwürdigen Logiken vertraut war, das begreife ich einfach nicht mehr.
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- Ich begreife es einfach nicht mehr.
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Selbst die USA halten mittlerweile einen Abbau ihrer Streitkräfte in Westeuropa für möglich. Die Parlamente fast aller NATO-Staaten wollen Rüstungsausgaben runterfahren. Ex-General Schmückle glaubt, in den nächsten zehn Jahren werde die NATO überflüssig. - Und die Bundesregierung rechnet mit zusätzlichen Ausgaben und will im nächsten Jahr die Ausgaben im Einzelplan 14 um eine gute Milliarde DM weiter erhöhen.
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- Herr Biehle, jetzt halten Sie mal die Klappe!
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Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie uns hier jetzt Kürzungen von 270 Millionen DM, wie die Mehrheit im Haushaltsausschuß vorgeschlagen hat, als Abrüstungsinitiative präsentieren wollen, muß ich Ihnen sagen: Auch das hat eher schon Züge von Komik. Nicht einmal ein halbes Prozent der Ausgaben im Einzelplan 14 wird hier zur Kürzung vorgeschlagen. Das Wort Abrüstung zur Kennzeichnung dieser Beschlüsse ist völlig fehl am Platze.
In einer Zeit des raschen Abbaus von Blockkonfrontation und wachsender Akzeptanzkrise des Militärs tut die Bundesregierung so, als wäre gar nichts passiert. Zunächst, ungefähr in der Zeit vor 1983, hörte man in diesem Hause, im Grunde wolle man Abrüstung. Wie war das damals mit dem Spruch, den Herr Kohl sagte: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Damals war der Weg zur Abrüstung mehr Aufrüstung - das wurde damals auch offen gesagt -, mehr Aufrüstung deshalb, weil die anderen so gefährlich sind. Deshalb mußten die Rüstungsausgaben leider erhöht werden. Dann wurden die anderen in den Jahren danach eingestandenermaßen weniger gefährlich. Nun hieß es - auch das ist schon wieder ein paar Jahre her - , wir müßten unsere Rüstungsausgaben deshalb weiter erhöhen, weil wir erst noch sehen müssen, ob den Worten der anderen auch Taten folgen.
Nun hat sich die Lage wieder geändert. Niemand bestreitet, daß Taten gefolgt sind, niemand kann sie leugnen. Geändert bei der Rüstungsausgabenpolitik hat sich immer noch nichts. Es wird weiter aufgerüstet. Was kann man also feststellen: Die Grundlinie bleibt immer dieselbe. Egal was passiert, es wird weiter aufgerüstet, und Herr Stoltenberg tut so, als sei nichts geschehen.
Meine Damen und Herren, die Bedrohungsszenarien waren noch nie sonderlich realistisch. Aber selbst, wer unterstellt, daß sie es jemals gewesen wären, könnte heute nicht mehr begründen, was Sie politisch betreiben und weiter vorhaben.
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Gegen wen wollen Sie uns denn eigentlich verteidigen, gegen wen sollen die weiteren Beschaffungsvorhaben und zusätzlichen Rüstungsschritte eigentlich gerichtet sein? Gegen die demokratische Bewegung in der DDR vielleicht, gegen die nichtkommunistische Regierung in Polen oder gegen die Massenbewegung in der CSSR? Wo sitzt denn der Gegner der Zukunft, der diese Planung in dieser Weise rechtfertigt?
Meine Damen und Herren, die Relikte des alten Denkens spuken überall bei den Regierungsfraktionen. Herr Waigel hat es gestern als schweren Fehler bezeichnet, den Rüstungsetat - jetzt zitiere ich Herrn Waigel - als „Steinbruch für andere Aufgaben" zu betrachten, und er hat dann darauf verwiesen, daß die Erhöhungen im Einzelplan 14 den Soldaten zugute kämen. Ja, meint denn Herr Waigel tatsächlich, daß das Geld für den Jäger 90 den Soldaten zugute kommt, vielleicht der sozialen Lage der Soldaten? Wollte uns Herr Waigel damit weismachen, daß die größte Gesamtausgabe, die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals für Wehrtechnik und Beschaffung ausgegeben wurde, etwa den Soldaten zugute kommt? Ich denke, daß Sie verzweifelt nach immer neuen Begründungen für den weiteren Anstieg von Rüstungsausgaben auf der Suche sind.
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- Sie wissen doch, Herr Friedmann, was wir für Anträge dazu gestellt haben. Was soll das denn? - Sie finden eine Begründung nicht. Der Jäger 90 ist das herausragende Symbol für Ihre verfehlte Hochrüstungspolitik, die Sie selbst jetzt noch fortsetzen wollen, selbst jetzt noch, wo es ungeahnte Chancen für einen friedlichen Weg der Überwindung der Militärblöcke gibt, jetzt in einer Situation, wo politische Ziele zur realen Möglichkeit werden, die vor kurzem noch visionären Charakter hatten. Zu einem Zeitpunkt, an dem maßgebliche Vertreter selbst der Regierungskoalition in positivem Sinne - ich erinnere an verschiedene Reden von Herrn Genscher - von gesamteuropäischer Friedensordnung sprechen, tun Sie in der Rüstungspolitik so, als wäre das alles nie gesagt worden.
Mit dem Jäger 90 beschäftigt sich auch die Petition, die hier mit debattiert wird. Wir unterstützen die Zielsetzung dieser Petition ausdrücklich.
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Meine Damen und Herren, wir Grüne haben in unserem Abrüstungshaushalt Kürzungen und StreiKleinert ({14})
chungen in einer Größenordnung von 8,4 Milliarden DM vorgeschlagen.
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Wir haben im Detail nachgewiesen und vorgerechnet, wie diese Einsparungen im einzelnen auch heute schon zu verwirklichen wären, ohne daß man Ergebnisse der Wiener Verhandlungen erst noch abwarten müßte. Wir haben Ihnen im Detail vorgerechnet, wie man diese Summe einsparen kann und wie man sie für andere, sinnvolle Zwecke einsetzen könnte.
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Dies betrifft Personaleinsparungen, den Verzicht auf die Beschaffung neuer Rüstungsgüter, Einschränkung der militärischen Übungen und anderes. Diese Vorschläge sind sehr realitätsnah ausgerechnet und beziehen sogar bestehende rechtliche Verpflichtungen mit ein. Sie wären unmittelbar umsetzbar und in dem Sinne praktikabel. Das hat Sie alles nicht daran gehindert, diese Vorschläge samt und sonders abzulehnen.
Meine Damen und Herren, die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, daß es auch heute schon realpolitisch möglich wäre, im Tempo der Abrüstung noch schneller voranzugehen. Deshalb haben wir zusätzlich eine Idee der Friedensbewegung aufgegriffen, die eine globale Minderausgabe von 5 Milliarden DM im Rüstungshaushalt vorschlägt. Die Mittel daraus sollen in einen Devisenfonds zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR eingespeist werden. Diese Forderung wird von Institutionen wie der „Aktion Sühnezeichen" und der Ärztevereinigung gegen den Atomkrieg ebenso unterstützt wie von Einzelpersönlichkeiten wie etwa Pfarrer Albertz, Flottenadmiral Schmähling, von Horst-Eberhard Richter und von Bundestagsabgeordneten aus SPD und GRÜNEN.
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Wir verstehen diesen Antrag als zusätzlichen Antrag zu unserem detailliert ausgearbeiteten Kürzungsantrag. Meine Damen und Herren, an diejenigen, die hier im Hause konservativer als wir denken und die unsere weiterreichenden Vorstellungen in dem anderen Antrag, die detailliert ausgearbeitet sind, nicht mittragen mögen, will ich hier trotzdem noch einmal ausdrücklich appellieren: Stimmen Sie wenigstens diesem bescheideneren Vorschlag, der aus der Friedensbewegung stammt, zu, und lassen Sie uns hier wenigstens dieses eine Zeichen dafür setzen, daß auch in der Bundesrepublik neues Denken vorangekommen ist und mit praktischer Abrüstung wirklich begonnen wird.
Weil das in besonderer Weise mit den Sozialdemokraten zu tun hat, will ich mich zum Schluß gerade an Sie wenden, was diesen Antrag betrifft. Frau Matthäus-Maier hat gestern zu Recht darauf hingewiesen, daß wir mehr Geld für andere Sachen brauchen. Frau Matthäus-Maier sagte gestern - ich zitiere - :
Wir brauchen mehr Geld zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, zur Bekämpfung der Wohnungsnot, für den Umweltschutz, zur Rettung von Nord- und Ostsee, für mehr Chancengleichheit in der Bildung, ... um der zunehmenden Verelendung in der Dritten Welt zu begegnen.
Recht hat sie, die Frau Matthäus-Maier.
({18})
Aber wenn das so ist, dann können Sie sich als Sozialdemokraten doch nicht mit den knapp 3 Milliarden DM bescheiden, die Ihre Fraktion im Einzelplan 14 kürzen will. Geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie wenigstens dem zweiten Antrag zu, wenn Ihnen, was ja zu befürchten ist, unser erster Antrag als zu weitgehend erscheint!
Herr Präsident, ich beende meine Rede; ich bin ohnehin fertig.
({19})
Aber ich möchte für Leute, die nach mir kommen, eines feststellen: Bei dem ständigen Lärm ist es hier wirklich nahezu unmöglich, konzentriert zu reden.
({20})
Ein Präsident hat in dieser Hinsicht den Lärmpegel in seiner Gesamtheit über ganze Debatten einzuschätzen. Im Vergleich dazu, wie, als Kollegen von Ihnen aus anderen Fraktionen geredet haben, der Lärmpegel bei einer Abstimmung war, die wir hier zu machen hatten, sind Sie gut weggekommen.
({0})
Aber ich weiß, daß das irritierend ist, und würde Ihnen natürlich gerne helfen. Nur, ich kann das nicht mit Glocke oder Zwischenruf machen. Es gibt Präsidenten, die das hier oben mit Augenzeichen machen; manchmal gelingt es.
Als nächste hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich etwas tun, was ich hinterher in der Eile möglicherweise vergesse, und das täte mit leid. Dr. Friedmann wird dieses Parlament im nächsten Jahr verlassen. Es war sein letzter Haushalt, den wir gemeinsam beraten haben. Wir haben Bernhard Friedmann in unserem Ausschuß insgesamt als fair und freundlich, als Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses als sehr kritisch, vor allen Dingen aber immer als einen sehr, sehr kompetenten Kollegen kennen und schätzen gelernt.
({0})
Als seine Mitberichterstatterin in manchen heißen Berichterstattergesprächen
({1})
- ja, ja, ihr wart ja zum Teil dabei; seid mal ganz ruhig - möchte ich ihm ganz persönlich Dank sagen und ihm für die Zukunft von Herzen alles Gute wünschen, Bernhard.
({2})
Meine Damen und Herren, die abschließenden Beratungen über den Bundeshaushalt 1990 stehen, wie die letzten Tage gezeigt haben, im Lichte atemberaubender Entwicklungen in der DDR, in der CSSR und in anderen Reformländern in Osteuropa. Sie geben darüber hinaus aber auch einen ersten Geschmack darauf, was im nächsten Jahr an Marathonwahlkämpfen auf uns zukommt. In diesem Moment, in dem es doch eigentlich darauf ankommt, auf die sich wandelnden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen besonnen und klug zu reagieren und die Chancen für die Schaffung einer europäischen Friedensordnung zu nutzen, kann sich die SPD der Versuchung nicht entziehen, den Verteidigungshaushalt zur allgemeinen Bedienung sicherlich wünschenswerter Ziele freizugeben. Mal soll der „Fortschritt 90" - da schränke ich das „wünschenswert" aber eindeutig ein - mal sozialer Wohnungsbau oder ein staatliches Hilfsprogramm für die DDR durch massive Einsparungen im Verteidigungsetat finanziert werden. Heute morgen erst haben die Bildungspolitiker der SPD ihren Wunschzettel abgegeben. Wenn man diese Forderungen einmal addieren würde, hätte die SPD den Verteidigungshaushalt schon weitgehend ausgegeben. Der Verteidigungshaushalt als Steinbruch der Nation - da macht es Spaß, mit der populistischen Spitzhacke dicke Brocken herauszuschlagen.
({3})
Angesichts der gestrigen Äußerung der finanzpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion muß man sich wahrhaftig fragen,
({4})
wie weit die Fraktionsspitze einer so - - Gerade weil sie eine gute Frau ist, finde ich ihre Bemerkungen von gestern und ihren Vergleich zwischen dem Verteidigungshaushalt und den Mitteln für den Bereich des Umweltministers ausgesprochen unseriös, Herr Kollege Kühbacher, und Sie wissen ganz genau, daß dies so ist.
({5})
Nein, meine Damen und Herren, um wieder ernst zu werden, dies kann nicht der Inhalt verantwortlicher Sicherheitspolitik sein.
Der Verteidigungsminister wird am 6. Dezember im Kabinett seine Planungen vorlegen. Vorher allerdings wird es auf Malta zu einem Zusammentreffen von Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow kommen. Ohne mich in den Bereich der Spekulation zu begeben, ist doch zu erwarten, daß die von beiden Seiten dort vorgelegten weiteren Vorschläge zur Abrüstung und Rüstungskontrolle in ihren Konsequenzen die Situation der Bündnisarmeen tiefgreifend beeinflussen werden. Wir Freien Demokraten werden uns die Zeit zur sorgfältigen Analyse und zu wohlabgewogenen Schlüssen nehmen.
({6})
Wir Freien Demokraten müssen uns nämlich von niemandem mangelnden Eifer vorwerfen lassen, wenn es beispielsweise um die existentielle Frage der Bewahrung des Friedens in einer Welt geht, die von weniger Waffen und bewaffneten Einheiten, dafür aber von
mehr Vertrauen und Zusammenarbeit gekennzeichnet ist.
Wir werden aber auch nicht nachlassen, darauf hinzuweisen, daß es ohne eine eigene gesicherte Verteidigungsfähgikeit diese überwältigenden Fortschritte im Ost-West-Verhältnis nicht gegeben hätte.
({7})
Verteidigung und Entspannung als untrennbare Bestandteile unserer Sicherheitspolitik bildeten die Voraussetzung dafür, daß die Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses nunmehr konkrete Gestalt annimmt. Wir hätten keine Entspannungserfolge erzielt, wenn wir uns bereits im Vorgriff auf angestrebte Abrüstungsverhandlungen unserer Verteidigungsfähigkeit begeben hätten.
({8})
Die beiden Bestandteile der Harmel-Doktrin sind zwei Seiten einer Medaille. Verteidigungsbereitschaft ist dabei nichts anderes als das Standbein einer Politik der Verständigung. Die Liberalen haben an der Richtigkeit dieses Doppelkonzeptes nie einen Zweifel aufkommen lassen.
({9})
Die NATO-Nachrüstungsdebatte Anfang der 80er Jahre hat dies eindrucksvoll belegt. In dem Maße, in dem die Folgen des Wandels in Ost und West für die Sicherheit im einzelnen noch nicht berechenbar sind, müssen wir verständigungs-, aber auch verteidigungsbereit bleiben; denn trotz der sich abzeichnenden Überwindung der Teilung Europas und mit ihr der Teilung Deutschlands bleiben Risiken für den Frieden, Risiken für die Menschen. Wir sind einer Friedensordnung zwar nähergekommen, dauerhaft gesichert ist sie noch nicht.
Wer vor diesem Hintergrund an die Auflösung der NATO denkt, verkennt, wie ich meine, die gegenwärtige Lage. In der Erwartung positiver Verhandlungsergebnisse in Wien und unter Berücksichtigung der rasanten positiven Entwicklung im Ost-West-Verhältnis, insbesondere in den beiden deutschen Staaten, haben wir durch angemessene Kürzungen bei den militärischen Beschaffungen ein Signal gesetzt. Solange jedoch bei allem Optimismus, den wir haben, Abrüstungsverhandlungsergebnisse in Wien noch nicht unterschrieben sind, müssen wir noch Vorsorge treffen für Entwicklungen in Mitteleuropa und Osteuropa, die wir niemals wünschen, die wir aber auch heute noch nicht ausschließen können. Wir halten deshalb derart umfassende Kürzungen im Bereich der Forschung und Entwicklung, wie sie von der Opposition gefordert werden, für unverantwortlich.
Nun tue ich Ihnen den Gefallen und sage ein Wort zum Jäger 90. Das Jagdflugzeug 90 ist ein hoch komplexes, sehr teures Waffensystem. Wer wollte das bestreiten?
({10})
- Sie haben schon qualitativ bessere Zwischenrufe gemacht, wirklich.
({11})
Es ist daher richtig und zu begrüßen, daß die Diskussion über dieses Projekt intensiv und mit großem Engagement geführt wird. Ich wünschte mir allerdings, meine Damen und Herren, daß sie von einigen, die sich lautstark an dieser Debatte beteiligen, seriöser und mit mehr Kompetenz geführt würde.
({12})
Wenn diejenigen, die sie führen, doch kompetent sind, wäre ich ihnen dankbar, wenn sie von dieser Kompetenz ab und zu auch einmal in der Öffentlichkeit Gebrauch machen würden.
Rufen wir uns in die Erinnerung zurück: Bislang bestand zwischen uns Einigkeit in dem Ziel, den eigenen Luftraum und die eigene Lufthoheit zu verteidigen. Als Mittel dazu haben wir einen Waffensystemverbund aus modernen bodengestützten Luftabwehrraketen und fliegenden Luftverteidigungssystemen, den Jagdflugzeugen, angestrebt.
({13})
- Mein Gott, lassen Sie sich doch einmal etwas Originelleres einfallen.
Realistische und vor allem finanzierbarere Alternativen zu diesem Konzept der Luftverteidigung, etwa der Verzicht auf bemannte Systeme zugunsten unbemannter Raketensysteme, sind heute nicht vorhanden.
Die Bundesregierung hat der Entwicklung des Jagdflugzeuges 90 als Ersatz für die dann über 30 Jahre im Einsatz befindliche Phantom gemeinsam mit drei anderen Nationen zugestimmt. Alternativen wie z. B. Kauf bzw. Teillizenzbau oder die gemeinsame Weiterentwicklung vorhandener Systeme sind geprüft und gerechnet worden. Ich wiederhole: Lediglich die Entwicklungsphase ist beschlossen worden und unter Vertrag.
Der Bundesparteitag der FDP hat im letzten Jahr hierzu folgenden Beschluß gefaßt, den ich Ihnen jetzt gerne vorlesen möchte.
({14})
- Wenn Sie etwas leiser sind, können Sie ihn auch verstehen:
Die FDP-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, die Entwicklungsphase des Jäger 90 mit kritischer Aufmerksamkeit in bezug auf waffentechnische Notwendigkeiten zur Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit und finanzielle Entwicklungen zu begleiten. In die Produktionsphase soll nur dann eingetreten werden, wenn nicht bis zu diesem Zeitpunkt Ergebnisse der Verhandlungen zur konventionellen Abrüstung einen Verzicht auf dieses Waffensystem ermöglichen.
Dieser Antrag besitzt für uns nach wie vor Aktualität.
({15})
Die FDP nutzt alle Chancen auf dem Gebiet der Entspannungs- und Rüstungskontrollpolitik, ohne dabei jedoch den realen Boden unter den Füßen zu verlieren.
({16})
- Also, ich weiß ja nicht, was Sie mit der Verteidigung zu tun haben. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie mir wenigstens zunächst einmal zuhören würden und nicht den Herrn Kollegen Kleinert am Zuhören hindern würden. Er hat sich vorhin so über Zwischenrufe beklagt.
Frau Kollegin SeilerAlbring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?
Aber eine nur.
({0})
Mehr wollte ich auch nicht stellen.
Liebe Frau Kollegin Seiler-Albring, ist Ihnen denn bekannt, daß wir dann 7 Milliarden DM in den Sand gesetzt haben, die auch schon einen riesigen Verdrängungseffekt gegenüber anderen Bedürfnissen in der Bundeswehr - ich denke auch an andere Teilstreitkräfte - ausüben würden?
({0})
Erstens handelt es sich nicht um über 7 Milliarden DM.
Zweitens wissen Sie, Herr Kollege Horn, daß wir uns natürlich auch Gedanken über Verdrängungseffekte gemacht haben. Diese sind zum Teil auch nicht zu verkennen. Ich bedaure dies ausdrücklich. Dennoch meine ich, selbst wenn wir eines Tages beschließen, den Jäger 90 nicht zu bauen, daß die Gelder für die Entwicklung z. B. in Triebwerke, die sowohl leistungsstärker als auch umweltfreundlicher sein sollen, nicht in den Sand gesetzt sind.
({0})
- Herr Gerster, ich hätte mir gewünscht, daß doch zumindest Sie weniger voraussagbar wären. Ich wußte, daß diese Teflonpfanne kommt. Also wirklich, Sie sollten Ihr Schatzkästlein von ewigen Weisheiten einmal etwas renovieren.
({1})
Jetzt wollen wir einmal gucken, daß wir mit der Zeit auskommen.
({2})
- Ja, von Ihren Zwischenfragen.
Erfolge bei der Abrüstung und die Schaffung stabiler Sicherheitsstrukturen in Europa machen nach unserem Dafürhalten die Bundeswehr nicht überflüssig. Wohl aber bedarf es einer grundlegenden Überprüfung der Bundeswehrplanung und der Neugestaltung unserer Verteidigungsstrukturen. Ohne der Diskussion zur neuen Streitkräfteplanung des Verteidigungsministers vorgreifen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle für meine Fraktion deutlich machen, daß
die neue Bundeswehrplanung auch die Option auf eine völlige Aussetzung der Wehrdienstverlängerung von W 15 auf W 18 enthalten muß, um hinreichend abrüstungskompatibel zu sein.
Darüber hinaus müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie die Bundeswehr in der Zukunft aussehen wird. Neben den Veränderungen der weltpolitischen Rahmenbedingungen und der Dynamik in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht der enorme Wandel der gesellschaftlichen, technologischen und finanziellen Rahmenbedingungen bundesdeutscher Verteidigungspolitik eine grundlegende Überprüfung der Verteidigungsstrukturen auf nationaler, aber auch auf europäischer und auf Bündnisebene notwendig. Die Forderung der FDP nach einer grundlegenden Reform der Landesverteidigung ist deshalb aktueller denn je. Wir werden uns deshalb mit Nachdruck für die Einrichtung einer unabhängigen Verteidigungsstrukturkommission einsetzen; ich kann Sie also beruhigen.
Auftrag soll es sein, eine umfassende, neue Definition von Sicherheit und Verteidigung zu formulieren. Im einzelnen sollte die einzusetzende Verteidigungsstrukturkommission Vorschläge zur künftigen Funktion von Streitkräften, dem Umfang, der Struktur und Organisation der Bundeswehr, zum Themenkomplex „Bundeswehr und Gesellschaft" , der Motivation und Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften wie zur Strukturplanung und Steuerung des Verteidigungshaushaltes vorlegen.
({3})
Frau Abgeordnete - Frau Seiler-Albring ({0}): Nein, Herr Präsident, nicht mehr. - Entschuldigung! ({1})
Schließlich sollte sie Denkanstöße zu der ebenso schwierigen wie entscheidenden Frage übergreifender Sicherheitsstrukturen in Europa geben.
Zur Beantwortung dieser und anderer, über den Tag hinausreichender Fragen bedarf es der Einsetzung einer unabhängigen, hochrangig besetzten und der Bundesregierung oder dem Bundestag berichtspflichtigen Verteidigungsstrukturkommission, wie sie von der FDP auf dem Kölner Parteitag vorgeschlagen wurde und von der FDP-Bundestagsfraktion nachdrücklich gefordert wird.
({2})
- Also, ich finde unsere Anträge meist sehr viel besser und wohlformulierter als Ihre.
({3})
- Mein Kollege Horn, bitte, eine Sekunde noch, ich bin gleich fertig.
({4})
- Ja, das ist richtig.
Meine Damen und Herren, mein Kollege HansWerner Müller hat sehr ausführlich und umfassend all das aufgeführt, was wir zur Steigerung der Attraktvität des Soldatenberufes gemeinsam eingesetzt haben. Ich nenne insbesondere noch einmal das Attraktivitätsprogramm und muß hier noch einmal eine Äußerung der Kollegin Matthäus-Maier von gestern aufgreifen, die gesagt hat: Wohnungen statt Kasernen! Das hört sich zwar hervorragend an, aber soll ich darunter verstehen, daß Soldaten, Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere kein Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen haben?
({5})
Meine Damen und Herren, gerade - und jetzt komme ich zum Schluß, Herr Präsident; Sie lassen hier schon die Lampe aufblinken - in einer Phase der Entspannung
({6})
-Herr Kollege Kühbacher, wir verstehen uns eigentlich sehr gut, lassen Sie mich diesen kurzen Satz noch sagen - ist Glaubwürdigkeit in der Sicherheitspolitik gefordert. Ich glaube, wir tun alle gut daran, wenn wir beherzigen, was der Bundespräsident jüngst vor der Universität der Bundeswehr in München gesagt hat - ich zitiere - :
Die Sicherheitspolitik ist eine besonders schwierige und wichtige Nagelprobe für den Mandatsträger. Er muß die Stimmung seiner Wähler kennen und ihre Forderungen ernst nehmen, aber nach gewissenhafter Prüfung zu einer eigenen, verantwortlichen Position gelangen und sich unzweideutig für sie einsetzen. So verlangt es die Verfassung, und darauf sind vor allem auch die Streitkräfte angewiesen. Sonst können sie den Dienst nicht leisten, den die Bürger und die Politiker von ihnen erwarten.
Ich glaube, wir alle sollten dies beherzigen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Frau Kollegin, es sind immer viele Abgeordnete, die zum Schluß kommen wollen. Bloß, ob sie zur rechten Zeit ankommen, das ist immer das Problem.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt der Diskussionen dieser Woche stehen aus gutem Grund immer wieder die dramatischen Veränderungen in Osteuropa, die großen Fortschritte hin zu Freiheit und Demokratie, ausgelöst durch machtvolle Volksbewegungen. Damit steht auch die Frage zur
Diskussion, was das für uns bedeutet: die Neubestimmung unserer Politik.
Ich glaube schon, daß diese kurz angedeuteten Entwicklungen uns und die Politik der Allianz, des Bündnisses, vor Aufgaben in einer Größenordnung stellen, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gekannt haben. Es gilt, die neuen Chancen zu nutzen. Es gilt, unseren Landsleuten in der DDR und den Völkern Osteuropas nach Kräften zu helfen, um die sehr schwierige Aufgabe des Wandels erfolgreich zu bewältigen.
Dabei sind allerdings nicht Illusionen, sondern realistische Zukunftsperspektiven zur schrittweisen Neuorganisation Europas gefragt. Zu einer realistischen Perspektive gehört übrigens auch, daß wir uns unverändert auf verschiedene mögliche Abläufe vorzubereiten haben,
({0})
auf positive, die wir mit allem Nachdruck fördern wollen, aber möglicherweise auch auf negativere.
Gerade die Entwicklungen der letzten Jahre haben nach meiner Überzeugung unseren außen- und sicherheitspolitischen Kurs und unsere anhaltende Kritik an der bisherigen expansiven Ausrichtung der sowjetischen Politik bekräftigt. Unsere Standfestigkeit auch in sehr kritischen Phasen und unsere sicherheitspolitischen Vorkehrungen erweisen sich heute im Rückblick als berechtigt.
({1})
Zu diesen Vorkehrungen gehört auch unser deutscher Verteidigungsbeitrag im Bündnis der Demokratien. Ich möchte unterstreichen: Ohne das hervorragende Engagement unserer Soldaten, der Bundeswehr wäre das Bündnis nicht so erfolgreich geworden,
({2})
wie es heute für jedermann, der nicht verblendet ist, erkennbar ist. Unsere Politik hat so - wir sagen das wirklich ohne Überheblichkeit - einen maßgeblichen Anteil an den weltpolitischen Wandlungen und auch an der deutlich gewachsenen Bereitschaft zur Abrüstung im Osten.
({3})
- Die Zeit reicht nicht aus, nun den Weg seit den 50er Jahren nachzuzeichnen.
Demgegenüber müssen wir heute Fragen an diejenigen stellen, die in den vergangenen Jahren unseren politischen Kurs gegenüber dem Osten heftig kritisiert haben. Dazu gehören nun viele - auch in Ihren Reihen -,
({4})
die sowohl in unserer Bundeswehr als auch in unseren verteidigungspolitischen Prinzipien sogar einen Beitrag zur Kriegsvorbereitung sehen wollten. Wären wir Ihnen gefolgt, dann hätten wir heute nicht die Möglichkeit, gemeinsam mit unseren Verbündeten in
Westeuropa und Nordamerika den Wandel in den West-Ost-Beziehungen dynamisch voranzutreiben.
({5})
Wir wissen allerdings auch: Der Ausgang der östlichen Reformbestrebungen unter kommunistischen Vorzeichen, etwa Gorbatschows Konzept für die Sowjetunion, und unter nichtkommunistischen demokratischen Vorzeichen wie in anderen Ländern Osteuropas ist noch ungewiß. Im Augenblick muß man leider sagen: Mehr politische Freiheit geht mit einer sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Lage und wachsenden inneren Konflikten - vor allem in der Sowjetunion - parallel. Zwar ist auch im ungünstigen Fall, wie ich glaube, eine bloße Restauration alter Machtverhältnisse nicht mehr vorstellbar. Dazu hat sich das Bewußtsein der Menschen zu sehr verändert.
({6})
Aber man kann längere Perioden des Rückschritts, der Verhärtung nicht ausschließen. Darüber sind sich auch einige ernsthafte sozialistische Politiker in Westeuropa - im Gegensatz zu einem Zwischenrufer in den hinteren Reihen - mit mir einig.
({7})
- Ich wollte es nicht für die ganze Sozialdemokratie reklamieren, was ich kritisch sage.
Gesicherte Verteidigungsfähigkeit bleibt daher auch nach dem erfolgreichen Abschluß der Wiener Verhandlungen wichtiger Maßstab unserer Politik. Auch bei den sich abzeichnenden chancenreichen Veränderungen im Ost-West-Verhältnis und einer Verringerung ihres militärischen Kräftepotentials will die Sowjetunion ihren Status als Weltmacht und Großmacht in Europa beibehalten. So bleibt die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft auf das Atlantische Bündnis angewiesen. Gerade in Zeiten des Wandels kommt den transatlantischen Bindungen entscheidende Bedeutung zu.
Wer heute - wir tun es alle - von den Plänen über eine Neugestaltung Europas spricht, muß sich bewußt sein, daß wir diese Aufgabe nur gemeinsam mit unseren nordamerikanischen Verbündeten erfüllen können. Langfristig kann es bei einer günstigen Entwicklung zu einer erheblichen Strukturveränderung im Bündnis kommen. Das Gewicht der Aufgaben kann sich ändern. Dies alles ist vorstellbar.
Aber wer, wie es manche jetzt tun - unter ihnen in den letzten Tagen leider auch ein hochverdienter pensionierter General - , von der bevorstehenden Auflösung der NATO redet, zeigt keine realistische Urteilsfähigkeit. Ich drücke mich hier ganz höflich aus.
({8})
Wer einmal den Blick auf die weitergehenden Probleme der Weltpolitik und der Weltwirtschaft in den nächsten 20, 30 Jahren richtet, weiß doch, daß wir mehr transatlantische Zusammenarbeit und Verbindung zwischen Europa und Amerika brauchen und
nicht weniger, wenn wir die großen Herausforderungen in den nächsten Jahrzehnten meistern wollen.
({9})
Meine Damen und Herren, diese enge Verbundenheit ist auch für Verhandlungsergebnisse zur Rüstungskontrolle und beiderseitigen Abrüstung wich-fig. Vor allem die VKSE-Gespräche in Wien haben nach nur acht Monaten Dauer zu sehr ermutigenden Fortschritten geführt. Dies begründet die Erwartung, von der wir ausgehen, auch als Bundesregierung, daß wir im nächsten Jahr einen Vertrag erreichen, der unseren Vorstellungen und Sicherheitsinteressen entspricht. Er soll den Abbau der drastischen Überlegenheit der Sowjetunion vor allem in Zentraleuropa gewährleisten.
Es wäre übrigens sehr schön, wenn einer von Ihnen in den schon fast ritualhaften Attacken gegen den Jäger 90 auch einmal darüber redete, daß die Sowjetunion unter Gorbatschow ein vergleichbares Kampfflugzeug bereits entwickelt und auf internationalen Flugschauen vorgestellt hat. Die Einäugigkeit ist bei Ihnen immer noch da, meine verehrten Kollegen von der SPD.
({10})
Diese Verhandlungen sollen dann in einem weiteren parallelen Schritt eine Verringerung des Umfangs der Waffensysteme und Streitkräfte unseres Bündnisses bringen. Ich würde es gern einmal in einer tragenden Rede im Protokoll des Deutschen Bundestags auch von Ihnen lesen. Bisher muß ich Fehlanzeige sagen, meine Damen und Herren.
Alle Regierungen im Bündnis sind sich zugleich einig, daß wir weiterhin eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit brauchen, wenn auch - das ist unser Ziel - mit vergleichsweise weniger Waffensystemen und weniger Soldaten. Das ist übrigens auch das Einvernehmen in den letzten Tagen auf der Ministertagung in Brüssel gewesen.
({11})
- Ich trage es Ihnen einmal vor. Es ist doch interessant, das einmal zu hören, Herr Kühbacher.
Wenn die Vereinigten Staaten jetzt, ausgehend von ihrer anhaltenden Budgetkrise und den gesetzlichen Auflagen des Gramm-Rudmann-Gesetzes - das darf man in einer Haushaltsdebatte ja auch einmal erwähnen -,
({12})
weitere drastische Einsparungen oder Steuererhöhungen nach diesem Gesetz vornehmen müssen - 35 Milliarden allein im nächsten Jahr - , dann kann es doch niemanden überraschen, daß neben zivilen Programmen, die gekürzt werden, auch die jetzige Verteidigungsplanung reduziert wird. Das ist der Ausgangspunkt für eine Neubestimmung der Streitkräfteplanung, die der Kollege Cheney eingeleitet hat und die ich gut verstehe.
({13})
- Genauso wie die von mir vorgelegte neue Bundeswehrplanung hineinpaßt. Dazu sage ich noch etwas, Herr Kollege Horn.
Unter diesen Vorzeichen ist es doch richtig, wenn sich in Zukunft, gemessen an der bisherigen Relation zwischen dem amerikanischen Beitrag für die Sicherheit Westeuropas und dem europäischen Beitrag, ein vergleichsweise höherer Beitrag Westeuropas abzeichnet. Darauf haben meine Kollegen und ich uns erlaubt hinzuweisen, Herr Kollege Kleinert. Ich sage das, damit Sie mich nächstes Mal richtig zitieren, wenn Sie sich noch mal mit mir auseinandersetzen.
({14})
Es geht um einen politischen Beitrag, und es geht nicht um höhere Rüstungsausgaben. Von denen habe ich in diesem Zusammenhang nicht gesprochen.
Dies alles ist auch ein Ausgangspunkt für die neue Bundeswehrplanung, die nunmehr vom Kabinett nach intensiven und, wie ich sagen kann, positiven Vorgesprächen abschließend beraten wird. Wir gehen davon aus, daß wir insbesondere aufgrund der demographischen Entwicklung und der Begrenzung der Ressourcen die Zahl der aktiven Soldaten bis 1995 zurückführen müssen und auch können. Wir müssen in diesen Zusammenhang den Friedensumfang neu bestimmen.
({15})
Ein Anpassungsprozeß über mehrere Jahre ist erforderlich, nicht zuletzt Hand in Hand mit den sich über mehrere Jahre vollziehenden Änderungen der Rahmenbedingungen.
({16})
Dafür brauchen wir auch eine kontinuierliche Haushaltsplanung, um eine gewisse Sicherheit in mittelfristigen Entscheidungen zu haben. Der Verteidigungshaushalt 1990 sieht, wie Sie wissen, jetzt Ausgaben in Höhe von 54,230 Milliarden DM vor. Damit sollen der Bundeswehr gegenüber dem verfügbaren Soll des Jahres 1989 insgesamt 1,48 Milliarden DM mehr zu Verfügung stehen. Das ist in der Vorlage des Haushaltsausschusses eine Steigerungsrate von nominal 2,8 %.
Damit Sie die Dinge doch etwas, ich will einmal sagen: nüchterner betrachten, will ich, auch nach gestrigen Reden in diesem Hohen Haus, festhalten: Seit Anfang der 80er Jahre haben wir ein betont verhaltenes Wachstum des Verteidigungsetats. Sein Anteil am Bundeshaushalt betrug 1983 und 1984 18,9 bzw. 19 %.
({17})
- Das waren die Zahlen, die Sie uns aus langjähriger sozialdemokratischer Tätigkeit hinterlassen haben, Frau Kollegin. Aber damals waren noch andere Leute federführend, Leute wie etwa Georg Leber als hervorragender Vertreter der hessischen SPD, die durch vielleicht nicht ganz so hervorragende heute abgelöst sind. - Damals waren es 18,9 bzw. 19 %. 1988 waren es noch 18,6 % und 1989 18,4 %. 1990 sollen es 18,1 % werden.
Auch der Anteil der verteidigungsbezogenen Ausgaben am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland ist seit längerer Zeit rückläufig. 1982 und 1983 waren es 2,8 %, 1985 2,6 %. Für 1990 und 1991 rechnen wir mit 2,3 %.
Ich sage das mal in einer Haushaltsdebatte, weil es völlig irreführend ist, wenn manche Sprecher der SPD und der GRÜN/Alternativen immer wieder behaupten, die Rüstungsausgaben stiegen ungezügelt und ungebremst oder wir seien nicht bereit, Konsequenzen aus einer sich ändernden internationalen Situation zu ziehen.
In Wahrheit ist ein solches verhaltenes Wachstum mit einem rückläufigen Anteil unter dem Vorzeichen einer stärker dynamisch wachsenden Wirtschaft vertretbar. Ich sage das als Bundesminister der Verteidigung.
Allerdings will ich genauso klar sagen: Wir brauchen weiterhin ein, wenn auch verhaltenes, nominales Wachstum in den nächsten Jahren, wie es die Finanzplanung der Bundesregierung vorsieht. Wir sind nämlich bei steigenden Personalkosten - und da übertreffen Sie uns ja noch in bestimmten Anträgen, meine Damen und Herren der SPD - und bei steigenden Kosten insgesamt darauf angewiesen.
({18})
Wir sind nicht bereit, die Bundeswehr zu demontieren.
({19})
Ich sage das zu Ihren Anträgen und vorhergehenden Debatten. Wir sind nicht bereit, den Soldaten das vorzuenthalten, was sie zur Erfüllung ihres Auftrags brauchen.
({20})
Wie schon gesagt: Wir sind nicht bereit, den Verteidigungshaushalt beliebig als Steinbruch zu benutzen.
({21})
Das würde unsere Bündnisfähigkeit ebenso gefährden wie die berufliche und soziale Situation der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter.
({22})
Die Formel, Herr Kollege Horn: „Wir wollen die Feldwebel befördern, aber den Bundesetat für Verteidigung zusammenstreichen", nehmen Ihnen die Feldwebel nicht ab. Die nimmt Ihnen überhaupt niemand mehr in Deutschland ab.
({23})
Ihre Verteidigungs- und die Haushaltspolitiker haben sich vor diesen Beratungen tagelang öffentlich gestritten, ob man um 3 oder um 8 Milliarden kürzen soll.
({24})
Die einen haben den anderen Unseriosität vorgeworfen.
({25})
Das zeigt nur die völlige Richtungslosigkeit, in der Sie sich gegenwärtig bewegen.
({26})
- Ich könnte Ihnen die Texte hier vorlesen.
Ich will einige Schwerpunkte besonders hervorheben. Wir investieren mehr in unsere Soldaten und zivilen Mitarbeiter. Das ist notwendig wegen der starken erfreulichen Zunahme der Beschäftigtenzahlen in unserer Wirtschaft vor allem in den letzten zwei Jahren.
Zentrale Bedeutung hat in der Tat das 400-Millionen-DM-Attraktivitätsprogramm. Es führt zu deutlich günstigeren Laufbahnerwartungen für Berufs- und Zeitsoldaten, setzt Akzente für Reservisten und Grundwehrdienstleistende, und wir müssen es in einigen Punkten ergänzen.
Wir haben die genannten neuen Planstellen - ich brauche es nicht zu wiederholen, es ist gesagt - , für die Soldaten bessere Beförderungsmöglichkeiten und auch bestimmte Verbesserungen im Bereich der zivilen Mitarbeiter.
Ein besonderer Schwerpunkt des jetzt zur Verabschiedung anstehenden Haushaltes gilt dem Umweltschutz. Wir haben dafür erhebliche Mittel vorgesehen: Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Luftreinhaltung, Gewässerschutz und Lärmschutz, auch bei unseren Ausbildungseinrichtungen im Ausland.
({27})
Wir werden Simulatoren verstärkt für die Reduzierung des Schießlärms einsetzen und die Entwicklung des ersten Simulators zum Thema Reduzierung der Belastung durch Tiefflüge vorantreiben.
({28})
Erstmals haben wir Personalstellen für die hauptamtliche Wahrnehmung des Umweltschutzes vorgeschlagen. Ich bin dem Deutschen Bundestag dankbar, daß er sie bewilligt hat.
Bei den Rüstungsausgaben steigern wir vorrangig die Mittel für Forschung, Entwicklung und Erprobung. Aber trotz einer Verstärkung um rund 300 Millionen DM können wir nur die wichtigsten laufenden Entwicklungen plan- und zeitgerecht fortsetzen. Wir müssen die Verteidigungsfähigkeit langfristig qualitativ sichern. Dazu gehört auch eine Entwicklung moderner Waffensysteme, bei dem finanziellen Rahmen allerdings mit noch härteren Prioritätsentscheidungen.
Alles in allem stellt der Verteidigungshaushalt die wichtigsten Erfordernisse der Bundeswehr sicher, allerdings zum Teil auch mit Konsequenzen in Einschränkungen, die in den Folgen den einen oder anderen kritisch berühren werden. Wir sind dazu bereit, weil wir das Notwendigste erreichen.
Wir müssen einen berechenbaren Kurs steuern, auch im Interesse des internationalen Gewichts der Bundesrepublik Deutschland in dieser für unser Volk und Europa so bedeutsamen Zeit.
({29})
Für uns bleibt eine moderne Bundeswehr unverzichtbar,
({30})
auch wenn wir die Zahl der aktiven Soldaten mit Blick auf Mitte der 90er Jahre planerisch ein Stück reduzieren, auch mit Folgen für den Friedensumfang. Eine moderne Bundeswehr behält ihren Auftrag, Frieden und Freiheit für das deutsche Volk zu sichern. Das ist unabhängig von Strukturveränderungen gültig und es ist nicht von sich verändernden sogenannten Bedrohungsanalysen abhängig.
Wir sind bereit, das Notwendige zu tun, auch im Rahmen einer vertretbaren Reduzierung ihres Umfangs. Aber es bleibt unsere Politik, Spannungen in Europa abzubauen und für die Sicherheit der Demokratien des Westens weiterhin den erforderlichen Beitrag zu leisten.
({31})
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachher folgen zwei namentliche Abstimmungen. Ich denke, ich sage Ihnen gleich vorweg: Die Sozialdemokraten werden in beiden namentlichen Abstimmungen zustimmen, einmal, weil sie eine selber beantragt haben, zum zweiten, weil DIE GRÜNEN in ihrer namentlicher Abstimmung das gleich Petitum noch einmal wegen einer Vorlage im Petitionsausschuß wiederholen. Wir diskutieren beide Male über den Jäger 90. - Das sage ich nur für die Kollegen oben an den Lautsprechern, damit sie wissen, daß gleich abgestimmt wird.
Nun mein Redebeitrag.
({0})
- 14 Minuten, Herr Kollege Ganz; Sie halten es aus. Dann sind auch alle hier.
Herr Minister, Sie haben hier eine staatsmännische Rede gehalten.
({1})
- Doch, doch. - Aber an einer Stelle muß ich Sie, Herr Minister, der unseriösen Argumentation zeihen: Herr Minister, Sie werfen der Sozialdemokratischen Partei bei ihren Haushaltsanträgen, die ich im September hier vorgetragen habe, eine Demontage der Bundeswehr vor.
({2})
Was habe ich denn gewagt? Ich haben den Kollegen und Ihnen vorgeschlagen, im Jahre 1990 10 000 ausscheidende Zeitsoldaten nicht zu ersetzen. Ich habe es gewagt, Sie aufzufordern, im nächsten Jahr 10 000 Wehrpflichtige nicht einzuberufen. Sie sagen, das sei eine Demontage. Sie wissen doch ganz genau, daß Sie in der nächsten Woche im Kabinett Ihrer Regierung und Ihrer Koalition ganz andere Kürzungen vorschlagen werden. Das ist doch unseriös, was Sie hier machen.
({3})
Es ist Ihr Problem, meine Damen und Herren von der Koalition, heute einen Etat zu verabschieden, der Makulatur ist
({4})
- das ist so - , einen Etat, der den Gegebenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik, die wir heute haben, schon erkennbar nicht mehr Rechnung trägt, der in gewissen Bereichen geradezu gegensteuert, einen Etat, der bei allem Engagement ihrer einzelnen Kollegen den Menschen im Mittelpunkt beschreibt, tatsächlich den Menschen aber nur als Zweck benutzt und hinten anstellt. Der Verteidigungshaushalt 1990 kann von den Sozialdemokraten nicht gutgeheißen werden. Dieser Etat steht im Widerspruch zur Politik, die, wie vom Bundeskanzler postuliert, Frieden mit immer weniger Waffen schaffen soll, tatsächlich aber eine Rüstungsspirale anheizt.
({5})
Dieser Etat steht im Widerspruch zu einer Politik, die mit starken Worten auf Ausgleich und Entspannung mit dem Osten abhebt, tatsächlich aber Bedrohungsängste schürt und auf Grund ihrer rüstungspolitischen Entscheidungen wirklich Ängste verursacht. Dieser Etat steht im Widerspruch zu einer Politik, die vorgibt, Abrüstung zu fordern, tatsächlich aber - ich weise nur auf die Munitionsbeschaffung hin - Aufrüstung betreibt und alles unterläßt, was Möglichkeiten für Vertrauensbeweise unsererseits durch Unterlassen schädlicher und völlig unnötiger Rüstungsausgaben schaffen würde. Dieser Etat beschreibt das Denken in den sicherheitspolitischen Dimensionen von gestern.
({6})
Herr Minister Stoltenberg hat eben selber gesagt: Die sogenannten Bedrohungsanalysen sind überholt. Was wollen wir mehr? - Sie halten aber bei diesem Etat an den Bedrohungsanalysen des kalten Krieges fest, als wenn sich überhaupt nichts geändert hätte, als wenn die Welt um uns herum immer noch im Zustand des kalten Krieges wäre.
Dieser Etat ist mit seinen Steigerungsraten die geradezu plastische Darstellung eines „Weiter so".
({7})
So untermauert man mit Haushalts- und Steuermitteln keine vernünftige Politik.
({8})
Das ist keine Politik, die man nach außen glaubwürdig verkaufen kann; denn sie ist ein Ausdruck Ihrer großen Verunsicherung und Ihrer übermächtigen Hilflosigkeit, weil Sie, meine Damen und Herren in der Regierungskoalition und der Bundesregierung, mit den sich rasch vollziehenden dramatischen VerändeKühbacher
rungen nicht zurechtkommen. Sie kommen mit neuem Denken gedanklich nicht mehr klar.
({9})
Es ist geradezu ein Zeichen gedankenloser Unbekümmertheit, daß Sie im Haushalt 1990 Zahlen festschreiben, die bereits in einer Woche obsolet sein werden.
Ich denke, daß unsere Bundeswehr, unsere Soldaten und Zivielbediensteten einen seriöseren Umgang mit ihrer Art der Arbeitsbewältigung verdienen.
Wir Sozialdemokraten lehnen den Etat 1990 ganz entschieden ab.
({10})
Lassen Sie mich noch einmal unsere Vorstellungen zu einem seriösen Etat vortragen, warum wir für Kürzungen der Haushaltsansätze, warum wir für die Streichung einzelner Programmteile und warum wir zugunsten der Veränderung und Verlagerung der sozialen Belange eingetreten sind. Wir treten für Kürzungen ein, die realistisch sind und unsere Sicherheit nicht gefährden, sondern fördern. Wir waren und sind für Streichungen im Einzelplan 14, der über 54 Milliarden DM beträgt, um 3,2 Milliarden DM.
({11})
Dies ist sicherheitspolitisch geboten und außerdem unter dem Gesamtaspekt einer vertrauensbildenden Maßnahme nach außen und nach innen richtig. Wir sind für Kürzungen bei diesem Etat von 5,8 % und nicht, so wie Sie das beschlossen haben, von geradezu lächerlichen 237 Millionen DM.
({12})
Nicht einmal ein halbes Prozent haben sich die Kollegen des Haushaltsausschusses zu streichen gewagt. Nicht einmal ein halbes Prozent, meine Damen und Herren! Normalerweise vergißt man solche kleinen Zahlen.
({13})
Ich will noch einmal unsere Eckdaten nennen,
({14})
das nennen, was unserer Meinung nach wichtig wäre.
({15})
- Noch lauter, Herr Kollege Struck? Ich denke, das ist nur das Schreien der Angst der Koalition vor der Wahrheit.
({16})
Herr Minister Stoltenberg, der von Ihnen mit dem Zahlenwerk des Haushalts vorgelegte Personalumfang - das ist der Kernpunkt - und alle anderen, sich daraus ableitenden Ansätze stimmen nicht mehr, wie wir ja am 6. Dezember von Ihnen hören werden.
Schlimmer noch: Sie wissen, daß diese Grundzahlen falsch sind, und lassen es zu, daß hier über eine Bundeswehr auf dem Papier beschlossen wird, die gar nicht existieren kann und auch gar nicht existieren wird.
Sie planen weiterhin großzügig - wie unter Ihrem Vorgänger begonnen - für eine Armee von 456 000 Personen. So der Haushalt 1990! Im Ohr haben Sie vielleicht noch die Zusage Ihres Kanzlers bei der Kommandeurtagung in Travemünde. Dort hat er die Existenz von 495 000 Soldaten für die Bundeswehr bis ans Ende des Jahrhunderts festgeschrieben. - So Ihr Kanzler in Travemünde!
({17})
Was von Kanzlerworten in diesem Zusammenhang zu halten ist, haben wir ja bei der Wehrpflichtverlängerung mitbekommen.
({18})
Bei der Wehrpflichtverlängerung ging es ruck, zuck zurück. Das war das Ergebnis der Kanzlerworte!
({19})
Ich sage Ihnen, meine Kollegen von der CSU, der CDU und der FDP, auch wenn es weh tut: Sie werden es morgen, wenn Sie die Fernsehberichterstattung noch einmal nachvollziehen - wir hatten ja nicht das Vergnügen; das kam alles schon über den Fernsehschirm -, spätestens am 6. Dezember im Kabinett erfahren und lernen müssen: Die Vorgaben zum Haushalt 1990 sind Makulatur, unrealistisch, irreführend.
({20})
Geben Sie es doch zu: Im Ministerium wird schon intensiv und laut geplant für eine Armee von 350 000 bis 380 000 Soldaten Mitte der 90er Jahre. Es wird wieder nachgedacht, nachdem die Parteiideologen, die ja frühere Denkansätze verboten haben, nun nicht mehr das Sagen haben. Geben Sie doch zu: Kein Verantwortlicher rechnet ernsthaft noch damit - die Soldaten sitzen dort auf der Bank; sie wissen ganz genau, mit welchen Zahlen sie gerechnet haben -, mit 456 000 Soldaten Mitte der 90er Jahre zu operieren. Trotzdem stellen Sie die Finanzmittel dafür bereit, als wäre nichts geschehen.
Ich rede noch gar nicht über die Erfolge in den Abrüstungsverhandlungen, die auch noch kommen werden. Sie wissen das heute. Ich sage: Wider besseres Wissen bestreiten Sie die Zahlen und beschließen einen falschen Haushaltsplan.
({21})
Damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt. Mit einem solchen erheblich verringerten Umfang der Personalstärke brauchen auch ganz andere Dinge nicht mehr bestellt zu werden. Meine Damen und Herren, was machen Sie denn? Sie lassen alle Rüstungsprogramme für Panzer, für Schiffe, für Flugzeuge, für Forschung so weiterlaufen wie bisher.
({22})
Sie, meine Damen und Herren, die Sie ja doch erheblichen Sachverstand haben im Verteidigungsausschuß und im Haushaltsausschuß - das muß ich Ihnen doch ausdrücklich bestätigen -, Sie begegnen diesem Haushalt 1990 nach dem Motto: Nichts sehen, nichts lernen, weiter so.
({23})
Sie rüsten wirklich auf. Ohne Erfordernis bestellen Sie - auf Kosten des Steuerzahlers selbstverständlich ({24})
zusätzliche Kampfflugzeuge ECR Tornado. Warum denn? - Damit die Produktionslinien aufrechterhalten werden, nicht etwa, weil die Flugzeuge benötigt werden. Sie bestellen zusätzlich Kampfpanzer Leopard. Warum denn? - Damit die Produktionslinien bei Krauss-Maffei aufrechterhalten werden.
({25})
- So ist das. - Außerdem haben Sie nach dem Ausstieg Großbritanniens die schon halb gestorbene Fregatte 90 immer noch nicht aus der Liste der Forschungsvorhaben herausgestrichen. Durch die zusätzlichen Mittel und die Aufblähung der Mittel für die Forschung und Entwicklung für den Panzerhubschrauber 2 werden - das wissen Sie genau, Herr Kollege Ganz - eine Unmenge von Mitteln gebunden.
({26})
Durch die Bewilligung von Mitteln - Herr Ganz, nun geht es in Ihre Region - für einen Höhenaufklärer, an dem nichts weiter deutsch ist als die Finanzmittel, die dort hineinkommen, geben Sie Milliardenbeträge aus.
({27})
Sie wollen in allem Ernst in diesem Jahr - nach Abzug der für die Übungen notwendigen Munition - für 1,8 Milliarden DM die Kriegsvorräte im nächsten Jahr erhöhen. Dabei spreche ich überhaupt nicht über die Verpflichtungsermächtigungen.
({28})
- Frau Kollegin Seiler-Albring, warum stimmen Sie denn dem Vorhaben zu, die Kriegsvorräte zu erhöhen? Was soll denn dieser Unsinn? Sie können das auch Verteidigungsvorräte nennen. Wenn das vornehmer ist, schließe ich mich gerne an. Selbstverständlich haben wir nur eine Verteidigungsarmee, wenn Sie das noch einmal bestätigt haben wollen. Trotzdem ist die Beschaffung Unsinn.
Meine Damen und Herren, alle Dimensionen sprengt nun einmal die Beschaffung des Jägers 90 und dessen Entwicklung. Frau Kollegin Seiler-Albring, das hat mir ja nun ernsthaft Spaß gemacht, daß die Freien Demokraten auf einem Parteitag wirklich beschließen, daß man mal für die Entwicklung eines
Flugzeuges 7 Milliarden DM Steuermittel ausgibt und sich dann überlegt, ob man es beschafft oder nicht - bei einer Stückzahl von 200! Wollen Sie das denn im Ernst einem Wähler, einem Steuerzahler zumuten, daß Sie 7 Milliarden brauchen, um zu Erkenntnissen zu kommen? Also, dies ist eine teure FDP, das sage ich Ihnen.
({29})
Man kann sich nicht immer aus der Verantwortung herausmogeln. Sie müssen schon auf Ihren Parteitagen ja oder nein sagen. Immer dabeisein, das geht nicht. Man muß schon Mut haben.
Meine Damen und Herren, alle diese Rüstungsinvestitionen sind mit Vernunft und Einsicht nicht zu rechtfertigen, und sie hindern Sie natürlich auch daran, für die Soldaten selber etwas zu tun. Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, daß Sie ja die Besoldungsgruppe A 1 abschaffen wollen, daß Sie für die Hauptleute im Stau etwas getan hätten, weil es zusätzliche Stellen gibt. Diese Dinge sind sowieso so lange sozial überfällig, daß es heute eigentlich nur noch eine Erwähnung braucht, daß Sie das fünf Jahre nicht geleistet haben.
Aber, meine Damen und Herren, jetzt komme ich noch einmal auf den wunden Punkt. Das Rückgrat unserer Bundeswehr im Umgang mit den Wehrpflichtigen sind die Unteroffiziere. Wir Sozialdemokraten haben Sie gebeten, für diese Unteroffiziere und ihre Laufbahnerwartungen 7 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, damit die Oberfeldwebel erkennen können, ob sie denn die Chance haben, Hauptfeldwebel, Stabsfeldwebel oder, wenn sie besonders hervorragend geeignet sind, Oberstabsfeldwebel zu werden. 7 Millionen DM haben wir von Ihnen erbeten. Was haben Sie gemacht, obwohl dieser Etat 54 Milliarden groß ist? Sie haben diese 7 Millionen wegen Finanzknappheit abgelehnt. Wer soll denn das noch glauben? Und Sie sagen: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Da gibt es einen ganz blöden Spruch bei der Bundeswehr, den Sie den Unteroffizieren jetzt unmittelbar bestätigen: Der Mensch ist für Sie nicht Mittelpunkt, er ist Mittel - Punkt. So ist es nämlich.
({30})
Ja, meine Damen und Herren, es ist ganz traurig.
Ich sage es noch einmal ausdrücklich, Sie werben um die Zustimmung der Bundeswehrfamilien mit einigen guten Sachen. Es wird einiges geändert. Aber an dieser Stelle, an der man für die Unteroffiziere mit relativ bescheidenen Beträgen etwas tun könnte, sperren Sie sich. Warum, können Sie sich wahrscheinlich selber nicht erklären: weil es der Finanzminister nicht wollte, die Hardthöhe nicht für notwendig gehalten hat. Sie haben als frei gewählte Abgeordnete nicht den Mut, die Unteroffiziere wirklich in die Richtung zu stellen, die notwendig ist.
({31})
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich gesagt habe, was ich von der Union halte, wenn sie zu einem Haushalt ja sagt, der Makulatur ist, kann ich
Sie nur noch bitten, unseren Anträgen zuzustimmen,
({32})
den Jäger 90 jetzt abzulehnen, damit nicht noch mehr Geld in den Bach hinausgeht - der Steuerzahler hat das nicht verdient -,
({33})
und bei den anschließenden namentlichen Abstimmungen - der Kollege Vogel zeigt das schon - zweimal mit blau zu stimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Sie, Herr Kollege Kühbacher, eben vom Stapel gelassen haben, kann nicht unwidersprochen bleiben.
({0})
Sie haben soeben den Eindruck erweckt, als würde hier ein Haushalt als Rüstungsspirale vorgelegt. Dieser Haushalt umfaßt 18 % des Bundeshaushalts. Das ist Beschlußlage des SPD-Parteitags von Nürnberg.
({1})
- Es gibt keinen neueren Beschluß. Wir haben das eingeführt, was Sie wollen, und es gibt nichts Neueres. Nun sind Sie so scheinheilig und stellen das hier in Frage. Das ist unseriös.
({2})
Sie haben gesagt, die Soldaten kämen zu kurz, weil wir nur an Großprojekte dächten. 54 % dieses Haushalts werden für Soldaten ausgegeben. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, zu Ihrer Zeit niemals. Der Haushalt ist für die Bundeswehr und für die Sicherheit da.
({3})
Sie werfen uns vor, wir würden das Geld für Großprojekte ausgeben. Sie haben zu Ihrer Zeit sieben Großprojekte durchgezogen,
({4})
angefangen vom Tornado über die Phantom bis zum Leopard. Wir haben in siebenjähriger Regierungszeit kein einziges Großprojekt durchgezogen. Das ist die Wahrheit, das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben.
({5})
Herr Abgeordneter - Dr. Friedmann ({0}): Nein. - Ihr Genosse Edzard Reuter hat vor zwei Tagen zu uns CDU-Abgeordneten gesagt, wir sollen daran denken, daß drüben nach wie vor hochgerüstete sowjetische Divisionen
stehen, und wir sollen kritisch daran denken. Nehmen Sie Nachhilfeunterricht bei Ihrem Genossen Edzard Reuter, bevor Sie hier etwas Falsches sagen.
({1})
Das war immerhin ein Paradepferd für Sie, mit dem Sie in die Bundestagswahl hineingehen sollten.
Und ein Letztes möchte ich Ihnen noch deutlich sagen. Wir sind bereit, zu gegebener Zeit Abrüstungsschritte vorzunehmen, aber auf der Grundlage abgeschlossener Verträge, die nachprüfbar sind. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, vorher aus der Hand zu geben, was hinterher Verhandlungsgegenstand ist.
({2})
Sie betreiben bei der Abrüstung einen Schlingerkurs wie auf einer Achterbahn. Darauf ist kein Verlaß. Sie schaden der Bundeswehr, Sie schaden der Sicherheit, Sie schaden den Interessen unseres Landes. Auf Sie können wir uns so nicht verlassen.
Schönen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
({0})
Mir liegt hier ein Redewunsch der Abgeordneten Frau Fuchs ({1}) zur Abgabe einer mündlichen Erklärung nach § 31 GO vor. Steht der Wunsch noch? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen jetzt beim Einzelplan 14 zunächst zu den beiden namentlichen Abstimmungen. Danach gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Abstimmungen nichtnamentlicher Art. Insbesondere haben wir auch noch weitere Etats zu beraten.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5798 namentlich ab. Ich eröffne die Abstimmung.
({2})
- Einen Augenblick, darf ich ein bißchen um Ruhe bitten. Wir müssen eine Frage aufklären, bei der es um ein Mißverständnis geht.
Darf ich den Geschäftsführer der Fraktion DIE GRÜNEN fragen, ob der Antrag 11/5798 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - mit einer ganzen Reihe von Kürzungen zu den verschiedenen Kapiteln derjenige ist, den Sie zur namentlichen Abstimmung gestellt haben wollten? Ist das richtig? - Kann ich das von Herrn Hüser wissen?
({3})
- Augenblick! Es gibt eine unterschiedliche Auffassung darüber. Es bestand die Erwartung, daß eine namentliche Abstimmung über die Petitionen erfolgen würde. Dies ist offensichtlich nicht korrekt.
Darf ich bitte von dem Geschäftsführer der GRÜNEN hören, ob es richtig ist, daß dieser jetzt eben auf13850
Vizepräsident Westphal
gerufene Antrag zur namentlichen Abstimmung steht?
({4})
- Es besteht offensichtlich Unklarheit bei der Fraktion DIE GRÜNEN, aber es muß eine Entscheidung von Ihnen geben.
({5})
Meine Damen und Herren, da eine Fraktion von einer anderen Erwartung ausgegangen ist, muß ich dies vorher klären und muß möglicherweise die Abstimmung wiederholen lassen.
({6})
Ich möchte gern von der Fraktion DIE GRÜNEN eine abschließende Erklärung haben: Soll dieser Änderungsantrag auf Drucksache 11/5798 zur namentlichen Abstimmung anstehen?
({7})
- Es tut mir leid. Dies ist ein Antrag, der eine ganze Reihe von Positionen aus dem Einzelplan 14 betrifft.
({8})
- Die GRÜNEN ziehen ihren Antrag auf namentliche Abstimmung zu diesem Änderungsantrag zurück.
Ich bitte Sie, noch einmal Ihre Plätze einzunehmen. Wir stimmen über diesen Antrag also in einfacher Abstimmung ab. Es tut mir leid; von hier aus muß entschieden werden.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, damit wir abstimmen können.
Wir bleiben bei diesem Antrag; ich stelle ihn jetzt sofort zur Abstimmung. Die namentliche Abstimmung ist abgebrochen und wird nicht ausgezählt. Wir brauchen neue Urnen für die nächste namentliche Abstimmung.
Ich lasse zunächst über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Änderungsantrag zum Etat des Verteidigungsministeriums auf Drucksache 11/5798 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit, d. h. von den Fraktionen der Koalition und der SPD-Fraktion, abgelehnt worden.
Ich habe nun zunächst zu klären: Bei mir ist der nächste Antrag, und zwar der namentlich abzustimmende Antrag, derjenige der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5887. Um es inhaltlich deutlich zu machen: Es ist der Antrag zum Thema „Jäger 90". Ich eröffne die namentliche Abstimmung über diesen Antrag.
Ich stelle fest, daß es nach dieser namentlichen Abstimmung keine weitere namentliche Abstimmung mehr geben wird. Es wird aber noch eine ganze Reihe anderer Abstimmungen geben. Ich bitte daher, im Saal zu bleiben.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. *)
*) Ergebnis Seite 13854 D
Die Kollegen bitte ich, sich zu setzen, damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können.
Wir stimmen nun über weitere Änderungsanträge zum Einzelplan 14 ab, zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5799. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5836. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit derselben großen Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XI ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Jetzt stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5886 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit derselben Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Da ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung abwarten muß, kann ich jetzt noch nicht über den Einzelplan 14 abstimmen lassen. Aber wir können schon abstimmen über Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - , den wir schon gelesen haben. Wir stimmen über diesen Einzelplan in der Ausschußfassung ab. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN und einigen anderen Enthaltungen ist der Einzelplan 35 mit großer Mehrheit angenommen worden.
Jetzt müssen wir noch über Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses abstimmen, die zu diesem Tagesordnungspunkt gehören. Wir stimmen zuerst über einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 11/5737 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Nun kommt noch die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5909. Es geht um dasselbe Thema, Sammelübersichten zu den Petitionen.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Vizepräsident Westphal
Nun kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5150, also in der ursprünglichen Fassung.
Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf der Drucksache 11/4269. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 11/3018 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3592 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Bevor wir hier fortfahren können, muß das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD vorliegen.
Weil wir noch eine Menge zu tun haben, fahre ich in der Zwischenzeit mit den Abstimmungen zum Einzelplan 06 - Innenminister - fort.
Da muß ich Ihnen zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen mitteilen.
Zuerst ging es um den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - auf der Drucksache 11/5796: Es wurden 382 Stimmen abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 33 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 229. 120 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 380; davon
ja: 33
nein: 227
enthalten: 120
Ja
SPD
Bahr
Frau Dr. Hartenstein Nagel
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels ({9}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Frieß
Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Frau Kelly
Kleinert ({10}) Frau Kottwitz
Dr. Lippelt ({11}) Frau Nickels
Frau Rust
Frau Saibold
Frau Schmidt ({12}) Frau Schoppe
Stratmann
Frau Teubner Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Wetzel
Fraktionslos
Frau Unruh Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Dr. Becker ({13}) Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({14})
Börnsen ({15})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Breuer
Bühler ({16}) Carstens ({17}) Carstensen ({18}) Clemens
Dr. Czaja
Daweke
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Fellner
Frau Fischer Fischer ({19}) Francke ({20})
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({21})
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({22})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({23}) Hauser ({24}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Frau Hoffmann ({25})
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Graf Huyn
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({26}) Jung ({27}) Kalb
Kalisch
Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kiechle
Kittelmann
Dr. Köhler ({28})
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({29})
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Link ({30}) Link ({31}) Lintner
Dr. Lippold ({32}) Louven
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({33}) Nelle
Niegel
Dr. Olderog Oswald
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({34}) Frau Roitzsch ({35}) Dr. Rose
Rossmanith
Frau Rost ({36})
Roth ({37}) Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({38})
Sauer ({39}) Sauter ({40})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({41})
Vizepräsident Westphal
Schmitz ({42})
von Schmude
Dr. Schneider ({43}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({44}) Schulhoff
Dr. Schulte
({45}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({46})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir
Stücklen
Frau Dr. Süssmuth Susset
Tillmann
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({47})
Dr. Voigt ({48})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Weiß ({49}) Werner ({50})
Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({51}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach
Dr. Wulff
Zeitlmann
Zierer
Zink
FDP
Baum
Beckmann
Bredehorn
Eimer ({52}) Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Gries
Grüner
Heinrich
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer
Lüder
Mischnick
Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer ({53}) Frau Dr. Segall
Dr. Solms
Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({54}) Wolfgramm ({55}) Frau Würfel
Enthalten
SPD
Frau Adler Andres
Bachmaier Bamberg
Becker ({56})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({57}) Brandt
Brück
Büchler ({58}) Dr. von Bülow Buschfort
Catenhusen Frau Conrad Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Dr. Ehmke ({59})
Erler
Esters
Ewen
Fischer ({60}) Gansel
Gerster ({61})
Graf
Großmann Grunenberg Haack ({62}) Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann Heyenn
Hiller ({63}) Dr. Holtz
Huonker
Jahn ({64}) Dr. Jens
Jungmann ({65}) Frau Kastner Kastning
Kiehm
Kirschner
Dr. Klejdzinski Koltzsch
Koschnick
Dr. Kübler Kühbacher Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lutz
Frau Matthäus-Maier Meyer
Müller ({66}) Müntefering
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Dr. Osswald
Pauli
Dr. Pick
Purps
Rappe ({67}) Reimann
Reuschenbach
Reuter
Rixe
Roth
Schluckebier
Frau Schmidt ({68}) Schmidt ({69})
Dr. Schmude
Schütz
Seidenthal
Frau Seuster
Sieler ({70})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({71})
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck
Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer Vahlberg
Dr. Vogel
Voigt ({72}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({73}) Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Wieczorek ({74}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({75}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
Damit war der Antrag abgelehnt.
Die zweite von der Fraktion DIE GRÜNEN zu demselben Einzelplan beantragte namentliche Abstimmung über Drucksache 11/5797 hat folgendes Ergebnis: 380 abgegebene Stimmen, keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 150 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 229. Es hat 1 Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 377; davon
ja: 150
nein: 226
enthalten: 1
Ja
SPD
Frau Adler
Bachmaier
Bahr
Becker ({76}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({77}) Brandt
Brück
Büchler ({78})
Dr. von Bülow
Buschfort
Catenhusen
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Dr. Ehmke ({79}) Erler
Esters
Ewen
Fischer ({80}) Gansel
Gerster ({81})
Graf
Großmann Grunenberg Haack ({82})
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann Heyenn
Hiller ({83}) Dr. Holtz
Huonker
Jahn ({84}) Dr. Jens
Jungmann ({85}) Frau Kastner
Kiehm
Kirschner
Dr. Klejdzinski Koltzsch
Koschnick
Vizepräsident Westphal
Dr. Kübler Kühbacher Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lutz
Frau Matthäus-Maier Meyer
Müller ({86}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo Dr. Osswald Pauli
Dr. Penner Dr. Pick
Purps
Rappe ({87}) Reimann
Reuschenbach Reuter
Rixe
Roth
Schluckebier
Frau Schmidt ({88}) Schmidt ({89})
Dr. Schmude Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sieler ({90})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({91})
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck Frau Dr. Timm Toetemeyer Vahlberg
Dr. Vogel
Voigt ({92}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({93})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Wieczorek ({94}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({95}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels ({96}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Frau Kelly Kleinert ({97})
Frau Kottwitz
Dr. Lippelt ({98}) Frau Nickels
Frau Rust
Frau Saibold
Frau Schmidt ({99}) Frau Schoppe
Stratmann
Frau Teubner Frau Vennegerts
Wetzel
Fraktionslos
Frau Unruh Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Dr. Becker ({100}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens
Böhm ({101}) Börnsen ({102})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Bühler ({103}) Carstens ({104}) Carstensen ({105}) Clemens
Dr. Czaja Daweke Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({106}) Francke ({107})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({108})
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({109})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Hames
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({110}) Hauser ({111}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Heimrich
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Frau Hoffmann ({112}) Dr. Homhues
Frau Hürland-Büning Graf Huyn
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({113}) Jung ({114}) Kalb
Kalisch
Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kiechle
Kittelmann
Dr. Köhler ({115}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({116})
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach Link ({117}) Link ({118}) Lintner
Dr. Lippold ({119}) Louven
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({120}) Nelle
Niegel
Dr. Olderog Oswald
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({121}) Frau Roitzsch ({122}) Dr. Rose
Frau Rost ({123}) Rossmanith
Roth ({124}) Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({125})
Sauer ({126})
Sauter ({127})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({128}) Schmitz ({129})
von Schmude
Dr. Schneider ({130}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({131}) Schulhoff
Dr. Schulte ({132}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({133})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir
Stücklen
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({134})
Dr. Voigt ({135})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Dr. Warnke Dr. Warrikoff
Weiß ({136})
Werner ({137}) Frau Will-Feld Wilz
Wimmer ({138})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach
Dr. Wulff
Zeitlmann
Zierer
Zink
FDP
Baum
Beckmann Bredehorn Eimer ({139})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker
Funke
Gallus
Gattermann Gries
Grüner
Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Mischnick Neuhausen
Vizepräsident Westphal
Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({140})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring Dr. Solms
Dr. Thomae
Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({141}) Wolfgramm ({142}) Frau Würfel
Enthalten
SPD Bamberg
Damit war auch dieser Antrag abgelehnt.
Wir können nun zur Schlußabstimmung über den Einzelplan 06 - Bundesminister des Innern - kommen.
Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wenn Sie damit einverstanden sind, stimmen wir noch über die ohne Aussprache zu behandelnden Einzelpläne ab? ({143})
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksache 11/5551 Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Dr. Uelhoff
Kleinert ({144})
Dazu gibt es eine Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/5551.
Ich rufe mit auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 11/5553, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Uelhoff Frau Dr. Wegner
Wolfgramm ({145}) Kleinert ({146})
Dazu gibt es eine Beschlußempfehlung und den Bericht des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 11/5553 und 11/5581.
Und ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 11/5552, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Esters
Kleinert ({147})
Dazu gibt es die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 11/5552 und 11/5581.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer für den Einzelplan 01 - Bundespräsident und Bundespräsidialamt - in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Einzelplan mit großer Mehrheit angenommen worden.
Wer Einzelplan 03, Bundesrat, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit großer Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Jetzt kommt unser eigener, Einzelplan 02, Deutscher Bundestag. Wer diesem in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN mit der großen Mehrheit des Hauses angenommen worden.
Jetzt muß ich zum Einzelplan 14 zurückkehren. Dazu liegt mir das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5887 vor. Es sind 367 Stimmen abgegeben worden, davon war keine ungültig. Mit Ja haben 148 Abgeordnete, mit Nein 213 Abgeordnete gestimmt. Es hat 6 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 366; davon
ja: 148
nein: 212
enthalten: 6
Ja
SPD
Frau Adler
Bachmaier Bamberg
Becker ({148}) Frau Becker-Inglau Bindig
Dr. Böhme ({149}) Brandt
Brück
Büchler ({150})
Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen
Frau Conrad Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Daubertshäuser Diller
Dr. Ehmke ({151}) Erler
Esters
Ewen
Fischer ({152}) Frau Fuchs ({153}) Frau Ganseforth Gansel
Gerster ({154}) Graf
Großmann
Grunenberg
Haack ({155}) Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Vizepräsident Westphal
Heyenn
Hiller ({156}) Dr. Holtz
Huonker
Jahn ({157}) Jungmann ({158}) Frau Kastner Kastning
Kiehm
Kirschner
Dr. Klejdzinski Koltzsch
Koschnick
Dr. Kübler Kühbacher Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lutz
Frau Matthäus-Maier Meyer
Müller ({159}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo Dr. Osswald Pauli
Dr. Penner Dr. Pick
Purps
Rappe ({160}) Reimann
Reuschenbach Rixe
Roth
Schluckebier
Frau Schmidt ({161}) Schmidt ({162}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sieler ({163})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({164})
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Vahlberg
Dr. Vogel
Voigt ({165}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({166})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Wieczorek ({167}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({168}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
FDP
Heinrich Dr. Hirsch
DIE GRÜNEN
Brauer
Dr. Daniels ({169}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Frieß
Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Frau Kelly
Kleinert ({170})
Dr. Lippelt ({171}) Frau Nickels
Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling
Frau Schmidt ({172}) Frau Schoppe
Stratmann
Frau Teubner Frau Vennegerts
Wetzel
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Dr. Becker ({173}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens
Böhm ({174}) Börnsen ({175})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Breuer
Bühler ({176}) Carstens ({177}) Carstensen ({178}) Clemens
Dr. Czaja Daweke
Dörflinger Doss
Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Fellner
Frau Fischer Fischer ({179}) Francke ({180})
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({181})
Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({182})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Hames
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({183}) Hauser ({184})
Frau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath
Hinsken Höffkes Höpfinger
Frau Hoffmann ({185}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Graf Huyn
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({186})
Jung ({187})
Kalisch
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle Kittelmann
Dr. Köhler ({188}) Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({189})
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Link ({190})
Link ({191})
Lintner
Dr. Lippold ({192}) Louven
Lummer Maaß
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({193})
Nelle
Niegel
Dr. Olderog
Oswald Petersen Pfeffermann
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Reddemann Regenspurger
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({194})
Frau Roitzsch ({195}) Dr. Rose
Rossmanith
Frau Rost ({196})
Roth ({197}) Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({198})
Sauer ({199}) Sauter ({200})
Frau Schätzle Schemken
Scheu
Schmidbauer Schmitz ({201})
von Schmude
Dr. Schneider ({202}) Freiherr von Schorlemer
Dr. Schroeder ({203}) Schulhoff
Dr. Schulte
({204}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({205})
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir
Stücklen
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({206})
Dr. Voigt ({207})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Dr. Warnke Dr. Warrikoff
Weiß ({208})
Werner ({209}) Frau Will-Feld Wilz
Wimmer ({210})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach
Dr. Wulff
Zeitlmann
Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Beckmann
Eimer ({211})
Frau Folz-Steinacker
Funke
Gallus
Gries
Grüner
Dr. Hitschler
Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Mischnick
Vizepräsident Westphal
Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Frau Dr. Segall
Dr. Sohns
Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({212}) Wolfgramm ({213})
Frau Würfel
Enthalten
CDU/CSU
Hedrich
Frau Schmidt ({214}) Schreiber
FDP
Baum
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir können nun über den Einzelplan 14 insgesamt abstimmen. Wer dem Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksachen 11/5557, 11/5581 Berichterstatter:
Abgeordnete Diller von Schmude
Dr. Weng ({215}) Kleinert ({216})
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 11/5567 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schroeder ({217}) Frau Dr. Wegner
Kleinert ({218})
Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. IV
vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe zu meinem Leidwesen, daß Sie damit einverstanden sind.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie stehe auch ich voller Trauer und Entsetzen vor dem ruchlosen Mord an Alfred Herrhausen. Ich sage dies auch als früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium, der die Zeit der ersten Mordserie der RAF-Terroristen erlebt hat. Ich weiß von damals, wie gut es war, daß die Demokraten bei der Strafverfolgung zusammenstanden, damals die CDU/CSU in der Opposition. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sollen wissen, daß es heute unter umgekehrten Vorzeichen nicht anders sein wird. Das erfordert die Solidarität der Demokraten.
({0})
Seit nunmehr schon, man kann sagen: historischen Zeiten, nämlich seit der Leipziger Demonstration am 9. Oktober und der Öffnung der Grenzen der DDR am 9. November, hat sich nicht nur für Deutschland die Welt verändert. Noch nie hat, das läßt sich weiter sagen, die Deutschlandpolitik eine Haushaltsdebatte so dominiert wie diese. Neben den Forderungen der Oppositionsgruppen der DDR nach Aufgabe des Macht- und Monopolanspruches der SED und nach Einführung der Freizügigkeit ist in unseren Medien deren weiterer Ruf nach Rechtsstaatlichkeit etwas in den Hintergrund getreten. Dabei haben die Rechtsanwälte in der DDR sehr früh, nämlich schon am 25. Oktober, freimütig auf Mißstände hingewiesen.
Am 16. November schließlich hat der zuständige Staatssekretär Wittenbeck vom DDR-Justizministerium reagiert. Dabei erwähnte er die Notwendigkeit der Änderung des Strafrechts und der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit. Wirklich Konkretes hat er bisher nicht bekanntgegeben. Erstaunen muß in diesem Zusammenhang, daß der neue Justizminister der DDR der alte ist, der die Justizgesetzgebung seit 1976 zu verantworten hat.
Um so mehr besteht Anlaß - das sage ich in aller Form - , daß wir Juristen uns intensiver als bisher mit den in der DDR nötigen Rechtsreformen beschäftigen, auch zur Sicherung der Unumkehrbarkeit des bisherigen Reformprozesses.
({1})
Neben der Streichung von Art. 1 der Verfassung der DDR, der das Machtmonopol der SED festgeschrieben hat, sollten umgehend in folgenden sechs Bereichen Reformen in Angriff genommen werden:
Erstens. Das Strafrecht, insbesondere das uferlos ausgeweitete Staatsschutzstrafrecht, sollte rasch entrümpelt und von Gummiparagraphen befreit werden. Beinahe jedes mißliebige Verhalten gegenüber dem Staat kann zur Zeit noch mit einem Strafrechtsparagraphen verfolgt werden.
Zweitens. Ebenso wichtig erscheint die Reform des Strafprozeßrechts. Noch immer befindet sich der Beschuldigte bis zum Abschluß der Untersuchungen voll in der Hand der Polizei. Den Richter kann er nicht anrufen; der Strafgefangene untersteht dem Innenminister. In politischen Prozessen, in denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist - das ist fast immer der Fall - , erhalten weder Angeklagter noch Verteidiger die Anklageschrift. Das Urteil wird ihnen nicht ausgehändigt.
Drittens. Fast alle Richter in der DDR sind Mitglied der SED. Der Direktor des jeweiligen Gerichts kann jedes Verfahren an sich ziehen. Kein Wunder, daß selbst Justizstaatssekretär Wittenbeck eingeräumt hat, daß es Verstöße gegen die richterliche UnabhänDr. de With
gigkeit gegeben habe. Zur Sicherung der Stellung des gesetzlichen Richters ist ein neues Fundament vonnöten.
Viertens. In der DDR können nur 600 Rechtsanwälte agieren. Aber nicht nur die geringe Zahl beeinträchtigt die Rechtssicherheit, auch ihre Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege erfordert grundlegende Änderungen.
Fünftens. Die Amnestie sollte nicht nur für die jüngste Zeit gelten. Das von Flüchtlingen beschlagnahmte Vermögen muß zurückgegeben werden. Persönliche Urkunden sind nachzuschicken, und die noch fortbestehenden Zwangsmaßnahmen in Vermögenswerten müssen aufgehoben werden.
Sechstens. Am 1. Juli 1989 ist in der DDR zwar ein Gesetz in Kraft getreten, nach dem Gerichte Verwaltungsentscheidungen in Einzelfällen nachprüfen können, es fehlt jedoch eine Generalklausel. Der Staat ist nicht Beklagter, und letzte Instanz ist das Erstgericht. Wer die Willkür des Staates letztlich brechen will, muß eine durchgehende Verwaltungskontrolle verlangen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur ein Rechtsstaat mit unabhängigen Richtern, einer freien Advokatur und mit für jedermann einklagbaren Rechten gegenüber staatlicher Macht können auf die Dauer Vertrauen schaffen.
({2})
Dazu gehört konstituierend vor allem aber die Festschreibung der Eigenwertigkeit des Rechts, losgelöst von jedem Dogma.
Die Beschäftigung mit den Vorgängen in der DDR kann freilich nicht bedeuten, daß wir Sozialdemokraten die Justizpolitik dieser Bundesregierung nicht einer kritischen Würdigung unterziehen. Das Bundesjustizministerium war fleißig und hilfreich wie immer, wofür wir als Opposition an dieser Stelle Ihren Mitarbeitern danken.
({3})
Anerkennung, sage ich auch, verdienen insonderheit die Arbeiten am Betreuungsgesetz, das wir zur Reform des Vormundschafts- und Pflegeschaftsrechts jedenfalls, betone ich erneut, im Kern mittragen werden, nachdem die Vorlage der Bundesregierung mit unserem vorher eingebrachten Antrag im Grunde deckungsgleich ist. Ich sage auch, Herr Justizminister, wir bringen Ihrer Haltung bei Fragen der Änderung des Strafvollzugsgesetzes unseren Respekt entgegen. Ich hoffe, das wird hilfreich sein. Aber da gibt es schlimme Defizite, die wir Ihnen nicht nachsehen können.
Seit der letzten Legislaturperiode haben wir Sozialdemokraten versucht, im Bundestag eine Mehrheit dafür zu finden, daß endlich auch die Vergewaltigung in der Ehe wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe bestraft wird. Was sich hier abgespielt hat, ist in der Tat ein einziges Trauerspiel.
({4})
Im Mai dieses Jahres hat die Koalition unseren Entwurf in zweiter und dritter Lesung rundweg abgelehnt. Hier frage ich mich: Wo ist der Liberale, der mit ganzem Einsatz für die Frauen mutig ein Zeichen setzt und damit erreicht, daß wir den Anschluß an den europäischen Reformgeleitzug wenigstens nicht ganz und gar verpassen?
Einer Ihrer Vorgänger, Herr Minister, Gustav Radbruch, hat 1922 selbst zur Feder gegriffen, als es darum ging, die Zulassung der Frauen zu Justizämtern durchzusetzen. Das gelang ihm schließlich auch. Sie, Herr Minister, hinterlassen hingegen hier einen Scherbenhaufen, der noch dazu mit der Unfähigkeit der Koalitionsregierung letztlich an die Glaubwürdigkeit des ganzen Parlaments rührt.
({5})
- Wenn Sie dazu seltsame Zwischenrufe machen, beweisen Sie, daß Sie noch nicht begriffen haben, worum es geht.
({6})
Noch Hans-Jochen Vogel hat als Bundesminister der Justiz Arbeiten in Auftrag gegeben, um den Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Unser Gesetzentwurf schmort seit Jahren im Rechtsausschuß dahin, nur weil sich die Koalition nicht entschließen kann, einer Vorlage zuzustimmen, die das Staatsziel Umweltschutz ohne Gesetzesvorbehalt im Grundgesetz verankert wissen will. Bewegt sich die Bundesregierung hier nicht, wird es für den Umweltschutz im Grundgesetz auch in dieser Legislaturperiode ein schwarz-gelbes Leichenbegängnis geben.
({7})
Nicht erst seit der Rhein-Verschmutzung 1986 durch das Baseler Sandoz-Werk erheben die Menschen in unserem Land zusammen mit der Fachöffentlichkeit die Forderung nach einer Verbesserung der Umwelthaftung und des Umweltstrafrechts. Am 12. August 1988, Herr Minister, haben Sie einen Entwurf angekündigt. Ich sehe ihn noch immer nicht. Dabei weiß jeder, daß im Grunde nur Beratungszeit bis zur Sommerpause des nächsten Jahres zur Verfügung steht.
In den USA, in Großbritannien, in Italien, in Frankreich und in Luxemburg ist die sogenannte Geldwäsche bereits Straftatbestand. Die Schweiz hat vorgestern - ich sagte: vorgestern - die Geldwäsche unter Strafe gestellt. Liechtenstein wird in Zukunft dasselbe tun. Die SPD-Bundestagsfraktion hat ihre Vorlage eingebracht. Nur Sie nehmen sich Zeit. Sie und der Bundesminister der Justiz, kann man sagen, haben viel zu spät begonnen, sich dieser Situation überhaupt zu stellen. Hinzu kommt eine nicht mehr verständliche Verzögerung, nachdem nun wirklich alle Welt die Einführung der Strafbarkeit für die Geldwäsche fordert. Ich frage Sie, und ich meine das ganz ernst: Ist Ihnen hier ein Zeichen durch den Strafgesetzgeber doch nicht so wichtig, oder haben Sie bange vor den Banken?
Der Katalog der Versäumnisse und Zögerlichkeiten könnte fortgeführt werden. Die Bundesrepublik - das kann ich am Schluß wirklich betont sagen - hat einst im Rahmen der westlichen Nationen auf fast
allen Gebieten in der Rechtspolitik an der Spitze gestanden. Jetzt haben wir Mühe, der Rechtsentwicklung hinterherzuhinken. Das ist die Frucht schwarzgelber Rechtspolitik, die oft genug den Startschuß verpaßt, die Hürden nur quälend und zu spät angeht und dabei nicht selten auf der Strecke bleibt.
Den Justizhaushalt lehnen wir ab.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Justizhaushalt wird wie immer bescheiden gefahren. Ausgabensteigerungen von 4,1 % stehen sogar Mehreinnahmen von 5,5 % gegenüber. Ich möchte zu drei Punkten etwas sagen.
Der Generalbundesanwalt hat in seinen Erläuterungen zum Haushalt auf eine beunruhigende Zunahme terroristischer Gewaltakte in der Bundesrepublik verwiesen.
({1})
Eine traurige Bestätigung dafür haben wir erst heute durch den abscheulichen Mordanschlag auf Herrn Herrhausen erfahren.
Anschläge gegen die bei uns stationierten Streitkräfte etwa durch die IRA und Aktivitäten des internationalen Terrorismus häufen sich. In dem Bericht heißt es:
Mit dem Strom der Asylanten werden auch deren Probleme importiert.
Der Kurdenprozeß in Düsseldorf, aber auch zahlreiche terroristische Straftaten von Asylbewerbern etwa aus Sri Lanka begründen die dringende Notwendigkeit für ein neues Referat beim Generalbundesanwalt.
Ich gehe davon aus, daß die Sozialdemokraten ihre bisher ablehnende Haltung jetzt auch aufgeben.
({2})
Die katastrophale Unterbringung der Generalbundesanwaltschaft macht den Neubau eines Dienstgebäudes erforderlich. Durch den dann möglichen Abbau der Sicherheitsmaßnahmen wird der bedrükkende Festungscharakter beim Bundesgerichtshof beseitigt. Bis zur Fertigstellung des Neubaus werden wir durch eine kurzfristige Bürocontainerlösung die unzulängliche Raumsituation beim Generalbundesanwalt verbessern.
({3})
- Das warst du.
Das deutsche Patentamt hatte noch 1977 einen ausgeglichenen Haushalt. 1989 betrug die Unterdeckung bereits 65,2 Millionen DM. Sie wird, wenn nichts geschieht, bis 1991 auf 128,6 Millionen DM ansteigen. Investitionen von mehr als 350 Millionen DM stehen an, für Sanierungsmaßnahmen ebenso wie für die Datentechnik. Eine Gebührenerhöhung, seit 1976 die erste, wird voraussichtlich schon zum 1. Oktober 1990 mit etwa 20 % notwendig. Dabei muß auch die Gebührenstruktur überprüft werden. Insbesondere muß geprüft werden, ob nicht ähnlich wie beim Europäischen Patentamt eine Einspruchsgebühr eingeführt wird. Die Einspruchsquoten liegen beim Europäischen Patentamt nur bei 10,3 %, hingegen beim deutschen Patentamt immer noch 22,4 %.
Die durch die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung anhaltend gute Konjunkturlage spiegelt sich beim deutschen Patentamt leider nur teilweise wider. Die Warenzeichenanmeldungen sind stark gestiegen, nämlich um 11 %. Aber die Patentanmeldungen sind in den letzten Jahren um 10 % zurückgegangen.
Parallel dazu hat das Europäische Patentamt einen rasanten Anstieg zu verzeichnen, nämlich innerhalb von zwei Jahren um fast 30 % . Deshalb ist eine engere Zusammenarbeit der beiden in München ansässigen Ämter in Zukunft dringend geboten.
Die uns alle bewegenden Ereignisse in der DDR werfen auch die Frage auf, ob und inwieweit Untersuchungen zum Justizwesen in der DDR bei uns angestellt werden. Beim Justizministerium selbst gibt es bis heute keinen entsprechenden Rechtsvergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR.
({4})
Das dem Ministerium zugeordnete Institut für Ostrecht weist nun in seiner Satzung aus: Erforschung der Rechtssysteme in der UdSSR, insbesondere Erforschung von Rechtsauffassung und Rechtsanwendung in der SBZ.
Zu meiner großen Überraschung habe ich jetzt feststellen müssen, daß 1973 dem Institut auf Veranlassung der damaligen Bundesregierung - man spricht im Hintergrund von Egon Bahr - für diesen Aufgabenbereich DDR-Rechtsforschung die notwendigen Mittel entzogen wurden, und dies, obwohl immer wieder darauf verwiesen wurde, daß eine Ostrechtsforschung unter Ausklammerung der DDR überhaupt nicht möglich ist.
({5})
- Das Gesamtdeutsche Institut sammelt lediglich Rechtsquellen.
Das Ganze erinnert in fataler Weise an die Erfassungsstelle für Menschenrechtsverbrechen in Salzgitter,
({6})
wo sich die SPD-regierten Bundesländer samt und sonders davongestohlen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich muß jetzt schnellstens geprüft werden, wie ein umfassender deutsch-deutscher Rechtsvergleich sichergestellt werden kann und wie die Zusammenarbeit der Justiz zu gestalten ist. Der soziale Rechtsstaat, wie ihn
von Schmude
unser Grundgesetz vorgibt, ist heute auch für unsere Landsleute in der DDR zu einem politischen Ziel, ja zu einem politischen Vorbild geworden.
Für den unverzichtbaren Beitrag, den unsere Justiz zur Attraktivität unserer freiheitlichen Ordnung insgesamt leistet, möchte ich an dieser Stelle einmal herzlich danken.
Die Koalitionsfraktionen, meine Damen und Herren, stimmen dem Justizhaushalt ohne Einschränkungen voll zu.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.
({0})
Ich habe Ihre Frage gehört, Herr Kollege. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesjustizministers ist traditionell ein eher bescheidener Etatposten, der nicht unbedingt im Mittelpunkt der fiskalischen Auseinandersetzung steht. Wir sollten gleichwohl die Rechtspolitik und ihre Bedeutung nicht unterschätzen,
({0})
wobei ich in das Loblied, das hier zum Teil gesungen wurde, nun wirklich nicht einstimmen kann.
Im Juni gab der amtierende Minister der staunenden Öffentlichkeit voller Stolz bekannt, daß er nach sechs Jahren acht Monaten und sieben Tagen nun endlich der dienstälteste Justizminister der Bundesrepublik geworden ist.
({1})
Hätte Herr Engelhard nicht selbst daran erinnert - wir hätten es nicht gemerkt. Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemand bemerkt hätte. Als sein Motto verkündete er in dieser Presseerklärung: Gut Ding will Weile haben.
({2})
Oft ist es so, daß allzuviel Weile hat und daß das Wenige, was geschieht, eher schlecht als gut Ding ist. Außerdem beweisen die 2,6 % des Budgets, über die der Minister gebietet, eindrucksvoll, daß man auch noch mit wenig Geld große Fehler machen kann.
Was ist eigentlich, Herr Minister, aus Ihrer Ankündigung geworden, den Wählerinnen und Wählern durch die Einführung des Kumulierens stärkeren Einfluß auf die Zusammensetzung der Parlamente einzuräumen? Die Idee ist nämlich gut.
({3})
Wahrscheinlich ist es deshalb bei der bloßen Ankündigung geblieben. Wir GRÜNEN lassen den Reden
auch in diesem Punkt Taten folgen. Deshalb haben
wir im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Einführung des Kumulierens bei Bundestagswahlen - analog dem bayerischen Wahlrecht - vorgelegt. Herr Irmer, ich freue mich jetzt schon auf unsere gemeinsame Beschlußfassung.
({4})
Wir freuen uns alle auf die Zustimmung des Bundesjustizministers, der ja, seinem Gewissen folgend, einer von ihm selbst vorgeschlagenen Lösung seine Zustimmung sicher nicht verweigern wird. Oder wollen Sie auch hier als einer dastehen, der seinen eigenen Ankündigungen nicht folgt?
Was ist aus den vielen anderen Ankündigungen - sie wurden schon erwähnt - geworden? Was ist denn im Bereich der Gentechnik bisher gesetzgeberisch geschehen? - Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat uns das ja deutlich um die Ohren geschlagen. Was ist in der Frage Vergewaltigung in der Ehe geschehen? Was ist aus der großspurigen Ankündigung geworden, diese Koalition werde auf besonderes Drängen der Liberalen, des Bundesjustizministers den Umweltschutz im Grundgesetz verankern? - Nichts ist daraus geworden, wie aus so vielem anderen auch. Ich befürchte, daß die Ankündigungen des Ministers immer öfter wie Seifenblasen zerplatzen, und mit Seifenblasen ist in der praktischen Politik nun einmal recht wenig anzufangen.
({5})
Und ich befürchte auch, daß die Dauer der Amtszeit eher mit dem Verzicht auf Grundsätze und auf Rückgrat erkauft wurde, als durch politische Taten wirklich erworben.
Die Antworten des Ministers auf die wachsende Gefährdung persönlicher und gesellschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten sind inzwischen fast dekkungsgleich mit konservativ-autoritären Handlungsmustern. Ich erinnere an das Artikelgesetz, ich weise hin auf noch Schlimmeres, was im Zusammenhang mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz kommen wird.
({6})
- Ich danke Ihnen für diesen Hinweis; er wird im Protokoll stehen.
({7})
Der Bundesminister der Justiz, zu dessen wichtigsten Aufgaben die Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz gehört, hat sich - wie auch sein Parlamentarischer Staatssekretär Jahn, der uns heute abend nicht die Ehre zu geben geneigt war - der Hetzkampagne gegen das sogenannte Soldatenurteil des Frankfurter Landgerichts in unverantwortlicher Weise angeschlossen.
({8})
Ich stimme dem Deutschen Richterbund genauso wie
den 800 Bürgerinnen und Bürgern, die dazu eine An13860
zeige in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlicht haben, voll und ganz zu,
({9})
wenn sie fragen, wieweit ein Justizminister, der hier nicht mäßigend und versachlichend auf die allzu dumpfen Verunglimpfungen einwirkt
({10})
und der es versäumt, die richterliche Unabhängigkeit zu verteidigen, sondern sich der bodenlosen Schelte eines schwierigen, aber richtigen Urteils anschließt, seiner Verantwortung als der Unabhängigkeit und Freiheit des Rechts verpflichteter Minister noch gerecht wird. Ich meine, daß die Meinungsfreiheit, eines unserer höchsten Rechtsgüter, nicht der politischen Opportunität und den Interessen einer Bundestagsmehrheit geopfert werden darf.
({11})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin am Ende meiner Redezeit, aber ich möchte noch eine Bemerkung machen. - Wir alle sind zu Recht von dem bewegt, was sich in der DDR, aber auch in Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in anderen Ländern gegenwärtig tut. Ich meine, das sollte unsere Augen aber nicht davor verschließen, daß es in Sachen Recht und Demokratie auch in unserem Lande noch eine ganze Menge zu tun gibt. In vielen Punkten ist es so, daß uns andere hier vieles vormachen.
Ich erwarte von einem Bundesminister, der jedenfalls einmal die Hoffnung gegeben hat, liberalem Gedankengut verpflichtet zu sein, Initiativen im Sinne eines demokratischeren Wahlrechts, im Sinne unmittelbarer Entscheidungsrechte der Bürger - Volksbegehren, Volksentscheid und ähnliche Dinge - und nicht einen solchen Abbau von Recht und Verfassungsrecht, wie das gegenwärtig der Fall ist.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitternacht rückt näher schon, in stummer Ruh' liegt Babybonn. - Gestatten Sie mir diesen Kalauer, aber es ist wirklich eine ernste Sache,
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denn zur Geisterstunde nehmen wir uns für den wichtigen Bereich unserer Rechtspolitik ganze 30 Minuten Zeit. Leider hat das ja schon Tradition.
Ich erinnere einmal daran, daß etwas weiter östlich von uns ein Parlament sich gerade darauf besinnt, was ein Parlament eigentlich sein sollte, daß wir auf freie Wahlen dort warten und daß man dort die Verhältnisse bei uns ja studiert. Man fragt sich dort: Was
macht der Deutsche Bundestag mit den Rechten, die er hat? Und da kümmern wir uns um unseren Rechtsstaat im Rahmen einer einwöchigen Debatte gerade eine halbe Stunde lang kurz vor Mitternacht. Meine Damen und Herren, ich muß das beanstanden.
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Es ist ja so, daß man bei uns mit den Freiheiten gar nichts rechtes mehr anfangen kann. Ich rufe Ihnen zu: Freiheit ist nicht selbstverständlich! Der Rechtsstaat ist auch nicht selbstverständlich! Unsere Landsleute in der DDR machen uns vor, wie man darum zu kämpfen hat. Daran sollten wir uns manchmal erinnern und nicht so tun, als ob uns das alles in den Schoß gefallen wäre und wir überhaupt keine Hand zu rühren bräuchten, um uns diese Errungenschaften zu bewahren.
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Meine Damen und Herren, zu den Errungenschaften. Ich muß jetzt kurz Herrn von Schmude antworten. In fünf Minuten kann man ja nicht mehr als ein paar Brocken aufgreifen, die aus der Debatte hier hervorgegangen sind.
Herr von Schmude, Sie haben erwähnt, daß die Ausländer bei uns ein solch besonderes Problem darstellten, daß man jetzt eine eigene Abteilung zur Bekämpfung von Ausländerkriminalität einrichten sollte.
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- Ein Referat.
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- Man hat es schon eingerichtet. - Ich warne hier: Tun wir doch nicht so, als ob die Kriminalitätsrate unter Ausländern im allgemeinen höher wäre als die unter Deutschen. Das ist schlicht und einfach nicht wahr.
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In den Statistiken werden z. B. auch Delikte mit aufgeführt, die sich bloß aus der Tatsache ergeben, daß es sich bei diesen Menschen um Ausländer handelt. Wenn Sie einen Asylbewerber - ich sage absichtlich nicht Asylant, weil das ein Kampfbegriff ist, sondern ich sage Asylbewerber - in einen Landkreis einsperren und ihm nicht erlauben, beispielsweise einmal von München aus an den Starnberger See zu fahren, und er, wenn er das doch tut, ein Strafverfahren oder zumindest ein Bußgeldverfahren an den Hals kriegt, dann schnellt die Statistik natürlich in die Höhe. Ich meine, es wäre gut, wenn man sich in der Rechtspolitik einmal darauf besinnen würde, daß es elementare Menschenrechte gibt,
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die in gleicher Weise für Ausländer gelten.
Hier ist vorhin mit Recht beanstandet worden, daß die Bundesanwaltschaft nicht angemessen untergebracht ist. Ich sage Ihnen: Wenn wir unsere Ausländer, die Asylbewerber menschlicher unterbringen
würden, dann gäbe es in diesem Bereich wesentlich weniger Kriminalität, weil wir diese Menschen nämlich durch diese unmenschliche Art der Unterbringung geradezu in Stumpfsinn, in Psychosen und in die Kriminalität hineintreiben.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Ja, Herr Kollege Reddemann.
Herr Kollege Irmer, indem ich Ihnen in Sachen Asylbewerber ausdrücklich zustimme, möchte ich Sie trotzdem fragen, ob wir nicht die Wahrheit zur Kenntnis nehmen müssen, die darin besteht, daß wegen der besonderen Verhältnisse die Zahl der kriminellen Delikte bei Ausländern in der Bundesrepublik dessen ungeachtet prozentual größer ist als bei Deutschen und daß wir die große Schwierigkeit haben, dies den Menschen klarzumachen, die von diesen Delikten selbst betroffen sind.
Herr Kollege Reddemann, das ist sicher ein großes Problem, aber ich habe auch darauf hingewiesen, daß man die Kriminalitätsrate bei Ausländern drastisch senken könnte, wenn man etwas mehr Phantasie und etwas mehr Großzügigkeit und Menschlichkeit aufwenden würde, wenn es um deren Unterbringung und um die Beschleunigung der Asylverfahren geht.
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Da könnten wir nämlich die Sache an der Wurzel pakken. Dann würden wir nicht an Symptomen herumdoktern, wie denn überhaupt das Strafrecht - ich komme nachher noch darauf - immer nur das letzte Mittel sein kann, wenn das Kind im Grunde schon in den Brunnen gefallen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich habe hier offensichtlich noch eine heiße Debatte entfacht. Das freut mich. Wenn es mir auf meine ohnehin spärlich bemessene Zeit nicht angerechnet wird, bin ich gern bereit, die ganze Nacht mit Ihnen zu verbringen. Das ist nämlich ein hochinteressantes Thema.
Ich gestatte hier - das ist meine Aufgabe - die Zwischenfragen. Daß es Ihnen nichts ausmacht, finde ich gut. Ich folge dem auch. Bloß: Ich sitze allmählich drei Stunden hier.
Jetzt kommt Frau Nickels an die Reihe.
Herr Irmer, Sie halten oft so schöne Reden
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- nicht immer, aber oft -, denen ich ganz zustimmen kann. Aber in den Ausschüssen vertreten Sie dann ganz andere Sachen.
Ich frage Sie jetzt konkret zu dem, was Sie gerade angesprochen haben, also die Sammelunterkünfte für Ausländerinnen und Ausländer, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit: Nächste Woche haben wir im Rechtsausschuß u. a. Vorschläge, bezogen auf den Antrag zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Sind Sie nächste Woche im Rechtsausschuß, und können wir dann auf Ihre Unterstützung in diesen bescheidenen Punkten rechnen?
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Die Rechtsausschußsitzung ist am Mittwoch. Da überschneiden sich diverse Termine. Aber ich werde versuchen, speziell zu diesem Thema im Rechtsausschuß zu sein. Ich habe damals im ersten Durchgang hier im Plenum bejubelt, was viele Frauen hier gesagt haben.
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Ich habe beanstandet, daß die Frauen damals die Männer nicht zu Wort kommen ließen, weil die Frauen nämlich die Rednerliste unter sich aufgeteilt hatten. In solchen Debatten müßten wir eine Quotenregelung für Männer durchsetzen.
Jetzt habe ich noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Schmude. Bitte schön.
von Schmude ({0}): Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß ich in meiner Rede überhaupt nichts über die allgemeine Ausländerkriminalität gesagt, sondern statt dessen auf den Bericht des Generalbundesanwalts verwiesen habe, wonach mit dem Strom der Asylanten auch deren Probleme importiert werden in bezug auf den Terrorismus? Ist Ihnen entgangen, daß ich ausgeführt habe, daß die terroristischen Straftaten von Asylbewerbern, etwa aus Sri Lanka, eine wesentliche Rolle spielen?
Herr Kollege, das ist mir nicht entgangen. Ich habe nur dieses Stichwort begierig aufgegriffen, um etwas Grundsätzliches zur Ausländerpolitik zu sagen, und das dürfte doch wohl gestattet sein.
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Ich muß noch einen Punkt ansprechen - das wird Frau Nickels überhaupt nicht freuen - , nämlich die Vergewaltigung in der Ehe. Ich möchte hier an dieser Stelle einmal ausdrücklich dem Bundesjustizminister
dafür danken, daß ihm jede Hektik und jede Übereilung so fern liegen.
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- Ich sage das ausdrücklich positiv; denn in keinem Bereich ist es schädlicher, Dinge zu verhaspeln, Dinge zu überstürzen, mit heißer Nadel an Gesetzen herumzufummeln und zu flicken, als gerade im Bereich der Rechtspolitik.
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Man muß hier - so wie der Bundesjustizminister - grundsatztreu, besonnen und bedacht alles überlegen, was zu überlegen ist. Man darf nicht modischen Trends folgen.
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Jetzt komme ich auf Frau Nickels: Vergewaltigung in der Ehe. Sie haben sich hier immer für die Strafbarkeit besonders eingesetzt; Herr de With, Sie haben es auch erwähnt.
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Ich habe mich im Rechtsausschuß - Sie werden sich daran erinnern - vehement gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe ausgesprochen. Wissen Sie auch, aus welchem Grund? Das Strafrecht ist ein ungeeignetes Mittel, um dieses schwere Problem zu lösen. Wenn ich davon ausgehen könnte, daß auch nur eine einzige Frau weniger gequält würde, wenn am Strafrecht Änderungen vorgenommen würden, wäre ich dazu bereit.
Ich will Ihnen entgegenhalten: Sie sind mit uns einig, Herr de With, daß es im Bereich der Abtreibung, § 218 StGB, überhaupt nichts bringt, wenn man die Zahl der Abtreibungen reduzieren will, die Strafdrohung zu erhöhen. Darüber sind wir uns einig. Sie wissen, daß die FDP in dieser Koalition seit Jahren einen heldenhaften Kampf führt, um hier andere Vorstellungen abzuwehren.
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Jetzt verlangen Sie von uns, daß wir in einem anderen Bereich, bei dem die Strafbarkeit genausowenig zur Problemlösung geeignet ist, plötzlich diesen Grundsatz verlassen und sagen: Wir machen, bloß weil es Mode ist, jetzt mal eine Änderung am Strafrecht. Sie vergessen dabei völlig, daß wir dadurch die Probleme der betroffenen Frauen vielleicht noch vergrößern.
Meine Redezeit ist abgelaufen.
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- Zwischenfrage? Immer herzlich gern!
Einen Augenblick!
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- Jetzt haben wir schon drei. Also, meine Damen und Herren, wir sind über die Zeit. Ich bin großzügig gewesen. Ich bitte also, nun zum Schluß zu kommen. Wir können das so nicht machen. Ihre Zeit ist überschritten, Herr Abgeordneter.
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- Nein, nein! Sie hatten ja schon einen Schlußsatz gesprochen.
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- Ich bin gespannt, ob es einem Abgeordneten gelingt, einen einzigen Satz als Schlußsatz zu sprechen. Na gut. Bitte.
Ich wünsche mir, daß wir uns der Bedeutung unserer rechtsstaatlichen Ordnung immer bewußt sind und daß wir nicht leichtfertig, Modetrends folgend, Stimmungen folgend, unser Recht ändern, wie es gerade beliebt. Wir brauchen hier feste Grundsätze, und ich hoffe, daß wir im Januar Gelegenheit haben, in einer ausführlichen rechtspolitischen Debatte diese Grundsätze deutlich darzulegen.
Ich bedanke mich.
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Es sind immer nur Ankündigungen, daß jemand zum Schluß kommt. Es ist nie das Erreichen des Ziels.
Herr Bundesminister der Justiz, Sie haben das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser 30. November ist ein Tag, der uns seit heute morgen in tiefer Betroffenheit gesehen hat. Es ist gut, gerade bei der Debatte des Justizetats, in einem Kreis von Menschen, die in besonderer Weise im Zeichen des Rechts stehen und dem Recht verbunden sind, heute abend auch mit Betroffenheit auseinanderzugehen. Aber wir haben natürlich eine Menge von Fragen zu debattieren.
Ich darf mich, Herr Kollege de With, für die freundlichen Worte bedanken, die Sie für die Mitarbeiter des Bundesministeriums der Justiz gefunden haben.
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- Herzlichen Dank! - Ich möchte diesen Dank erwidern, weil sich nicht jeder Beamte gesondert bei Ihnen bedanken kann.
Sie haben das Betreuungsgesetz erwähnt. Es ist Gelegenheit, in dieser Haushaltsdebatte darauf hinzuweisen, daß ein solches Vorhaben nicht kostenneutral durchgeführt werden kann.
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Dies wird 200 Millionen DM, verteilt auf die Bundesländer, kosten. Ich appelliere an alle: Da müssen wir uns in den Ländern durchsetzen. Auch gegenüber den Finanzministern wird man sich durchsetzen müssen.
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Denn es geht hier nicht um irgendeine vielleicht schöne sozialpolitische Maßnahme, sondern um ein ganz zentrales Anliegen, von dem viele, viele Tausende von Menschen und ihre Angehörigen zutiefst betroffen sind.
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Es ist die Frage der DDR angesprochen worden. Nun, Herr Kollege von Schmude, wir haben, sparsam, wie wir sind, im Bundesministerium der Justiz natürlich nicht über die Jahre Referate eingerichtet, die sich schwerpunktmäßig mit dem Recht der DDR zu beschäftigen gehabt haben. Aber verschlafen haben wir die Dinge nicht. Das Institut für Ostrecht - sicher mit beschränkten Mitteln ausgestattet - war hier tätig, in Spezialfragen zuweilen auch das Max-Planck-Institut. Außerdem: Im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen gibt es Rechtsanwälte aus der Praxis, die in ganz speziellen Fragen auch uns mit Rat zur Seite gestanden haben.
Da ich gerade beim Haushalt bin, möchte ich mich, auf den Anfang zurückkommend bei den Berichterstattern unseres Etats bedanken. Wir sind mit dem, was wir erreicht haben, zufrieden. Aber wir bedanken uns speziell an diesem Abend auch dafür, daß es gelungen ist, zwei wichtige neue Stellen für die Bundesanwaltschaft zu erreichen. Manchmal hat man ja in der Vergangenheit gefragt, warum sich der Generalbundesanwalt eigentlich so aufblase. Die Gewalttaten nähmen ab, damit nähmen die Aufgaben ab, so sagten manche. Wir sehen, daß wir dieser Einrichtung dringend, vielleicht dringender denn je bedürfen, um uns gegen die fundamentalen Anfeindungen zur Wehr zu setzen, die auf uns zukommen. Mit dem heutigen Tag ist ein ungesühnter Mord mehr in dieser Welt.
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Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels gestatten?
Bitte, Herr Präsident.
Bitte schön, Frau Nickels.
Herr Minister, es fällt mir schwer, das zu fragen, weil ich Angst habe, daß es
vielleicht wieder falsch interpretiert wird. Ich möchte es trotzdem sagen. Ich nehme an, Sie meinten eben diesen Tag und das, was heute wieder an Schlimmem passiert ist und meinten, daß man überlegen müßte, ob man diese Einrichtung nicht mehr denn je braucht und ob nicht ein Ausbau angebracht ist.
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Verbrechen müssen verfolgt werden, unbestreitbar, auch mit der Polizei, auch mit der Strafjustiz. Aber ich frage Sie als Justizminister, ob man nicht eine ruhige Zeit, die wir hatten - heute natürlich nicht mehr -, von seiten der Politik nutzlos hat verstreichen lassen, ohne auf einer öffentlichen oder einer anderen Ebene noch mehr zu tun, als auch Sie versucht haben, um Gewalt entgegenzutreten?
({1})
- Sie wissen, was ich meine, Herr Minister.
Man mag, Frau Nickels, immer darüber nachdenken, ob man alles optimal gemacht hat. Jeder, der dies von sich selber behaupten will, wäre ganz sicher vermessen und wenig glaubwürdig. Aber ich meine, daß in unserem Lande mit einer rechtstaatlichen Ordnung alles, aber auch alles versucht worden ist, um Menschen, die sich auf den Weg verbrecherischer Gewalt begeben haben, zur Umkehr zu bringen.
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Hier werden wir mit manchem Zuckerchen nicht aufwarten können. Verhängte Strafen müssen verbüßt werden, noch ungesühnte Taten müssen ermittelt und müssen verfolgt werden.
({1})
Aber wir sind, wie in anderen Bereichen auch, bereit - das ist mit der Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten in zwei Fällen deutlich geworden - , bei denjenigen, die sich davon in der Tat abgewandt haben, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
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Meine Damen und Herren, es gibt in dem Bereich natürlich auch Dinge, wo man nicht zusammenkommen wird. Herr Kollege Häfner, Sie haben hier ganz amüsant versucht, bei einigem aufzuzeigen, wie weit wir auseinander sind. Wissen Sie, bei all dem, was ich mit eigenen Ohren hier im Plenum von Ihnen schon gehört habe, könnte ich Ihnen wie folgt antworten - ich meine das ganz ernst - : Wären wir ständig auf einer Linie und würden Sie mich ständig loben, so müßte ich mir ernsthaft die Frage stellen, was alles ich immer zutiefst falsch mache.
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Ich bin ganz froh, daß wir ziemlich weit auseinander
sind, weil ich weiß, daß Ihre Betrachtung dieser Welt,
auch dieses Staates, eine prinzipiell doch sehr andere
ist, als meine politischen Freunde und ich sie haben.
({4})
Herr Minister, wenn ich auf die Uhr schaue, stelle ich fest, daß wir schon im Minus sind. - Aber bitte, wenn Sie diese Frage noch beantworten wollen.
Bitte schön.
Ich bedanke mich herzlich für die Gelegenheit. - Herr Minister, sollte Ihnen tatsächlich entgangen sein, daß ich mich in meiner heutigen Rede hauptsächlich mit Ihren Ankündigungen auseinandergesetzt, sie in Teilen begrüßt, aber die mangelnde Umsetzung angemahnt habe, und sollte sich Ihr Auseinanderliegen tatsächlich auf diese von mir geäußerte Kritik beziehen?
Herr Kollege Häfner, Sie haben zunächst einmal gesagt, es komme nichts von mir, das sei auch ganz verständlich, und es werde immer weniger kommen.
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Dann haben Sie lobend das Wahlrecht erwähnt, zu dem ich auch weiterhin stehe.
({1})
Nur wissen Sie ganz genau, daß wir vor der nächsten Bundestagswahl ein neues Wahlrecht nicht mehr werden schaffen können. Weil das so ist, müssen Sie schon damit rechnen - was ich bei namentlichen Abstimmungen immer zu tun pflege - , daß auf den GRÜNEN-Antrag ein rotes Stimmkartenvotum erfolgt. Das ist, damit wir uns richtig verstehen, eine ganz klare Sache.
Wir werden uns weiter bemühen, uns in der Rechtspolitik gerade mit den neuen Herausforderungen, die jetzt auf uns zugekommen sind, auseinanderzusetzen. Heute nachmittag hat eine kleine Justizministerkonferenz getagt. Wir haben uns sehr eingehend mit der neuen Entwicklung in der DDR beschäftigt. Uns ist klar, daß hier ein ganzer Berg von Rechtsfragen auf uns zurollt, die der Bearbeitung und der Beantwortung harren.
({2})
Wir haben das angepackt; darum werden wir uns bemühen. Ich hoffe, daß wir Ihre Unterstützung dann, wenn wir sie brauchen, immer finden werden.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu Einzelplan 07, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter IV. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Wer dem in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir stimmen jetzt über Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - ab. Wer für den Einzelplan in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Einzelplan mit großer Mehrheit angenommen worden.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch blieben, weil wir noch ein paar Abstimmungen vor uns haben.
Jetzt rufe ich auf:
Haushaltsgesetz 1990
- Drucksachen 11/5579, 11/5580 Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Roth ({0})
Dr. Weng ({1}) Wieczorek ({2}) Esters
Frau Vennegerts
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe die §§ 1 bis 30 und den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für die aufgerufenen Vorschriften? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Entwurfes eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts für das Haushaltsjahr 1990 - Haushaltsgesetz 1990 - abgeschlossen.
Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Haushaltsausschuß auf Drucksache 11/5579 unter II empfiehlt. Wer stimmt für diese Entschließung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Entschließung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993
- Drucksachen 11/5001, 11/5322, 11/5390, 11/5731 Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Roth ({4})
Dr. Weng ({5}) Wieczorek ({6}) Esters
Frau Vennegerts
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Dezember 1989, 9 Uhr ein.
Ich wünsche eine gute Nacht.
Die Sitzung ist geschlossen.