Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/27/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Überarbeitung des Konzepts zum „Europäischen Forum für Geschichte und Gegenwart", Drucksache 11/5487, erweitert werden. Die Vorlage soll zusammen mit Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesordnungspunkt 6 zur Beratung aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Aktuelle Stunde Abzug von C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 27. April dieses Jahres erklärte Bundeskanzler Kohl vor diesem Hohen Hause im Rahmen einer Regierungserklärung - ich zitiere - : Präsident Bush hat angekündigt, bis Ende 1990 alle chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland vorzeitig und ebenfalls einseitig abzuziehen. Dieses Versprechen sollte in einer Krisensituation der NATO im Rahmen des Streits um die Stationierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen ein positives Licht auf die Regierung werfen. Als erster brachte sich Staatssekretär Wimmer hierzu in Widerspruch umd dementierte ungewollt den Kanzler. In der Fragestunde am 4. Oktober 1989 sagte er, der Abzug der von den USA in der Bundesrepublik stationierten chemischen Waffen würde bereits bis Ende 1991 erfolgen und nicht, wie Kohl und Reagan 1986 vereinbarten, bis Ende 1992. Am 15. Oktober meldete die „Washington Post", daß die vom Bundeskanzler am 27. April gemachte Äußerung, der amerikanische Präsident habe versichert, daß bis 1990 alle C-Waffen hier abgezogen werden, nicht zutreffe. Nach Aussage von Vertretern der Bush-Administration, darunter des ehemaligen Unterstaatssekretärs im State Department, Roger Harrison, ist eine solche Äußerung des Bundeskanzlers „nicht durch eine Vereinbarung zwischen den beiden Regierungen abgedeckt gewesen". Die Bush-Administration sei durch diese Äußerung regelrecht „vor den Kopf geschlagen und irritiert" gewesen, erklärte Harrison. Dieser Bericht der „Washington Post" ist bis heute nicht dementiert worden. Der Fehler des Bundeskanzlers kann nicht mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit der Bundesregierung im Bündnis erklärt werden. Hier geht es um eine falsche Aussage der Bundesregierung - Grund für diese Aktuelle Stunde. Oder will sich der Bundeskanzler gar auf seine sprichwörtlich guten Englischkenntnisse herausreden, die verursacht haben, daß er Herrn Bush falsch verstanden hat? Das Schlüsselwort für die ergebnislosen Aufklärungsversuche von Abgeordneten aller Parteien im Deutschen Bundestag und für die Irritationen der Bundesregierung ist das Wort „geheim". Auskünfte auf sämtliche Anfragen über Zustand der chemischen Waffen, über Art und Menge der Waffen, über Sicherheitsvorkehrungen und Zeitplan des Abzuges wurden unter Hinweis auf Geheimhaltung verweigert. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn hier überhaupt von Sicherheitsinteresse die Rede sein soll, dann einzig und allein von dem der betroffenen Bürger und Bürgerinnen, die in der Nähe des Giftgasdepots in Fischbach leben. Die Liste der Widersprüche zwischen Aussagen namhafter Vertreter der US-Administration und Verlautbarungen der Bundesregierung betrifft auch das Problem des Abzuges alter C-Waffen-Bestände aus dem Giftgasdepot in Fischbach. Die Bundesregierung versucht, in der Öffentlichkeit den Anschein zu erwecken, als sei der Abzug dieser chemischen Kampfstoffe 1990 zu bewerkstelligen. Ganz anders sieht dies der republikanische Abgeordnete Hopkins. Sowohl die Einhaltung des Zeitplans als auch den Ausschluß der Gefahren für die Zivilbevölkerung hält er für nicht vorstellbar. Die Bundesregierung versucht seit Jahren, das Problem der Lagerung und jetzt des Abzugs chemischer Waffen aus der BRD zu verharmlosen und zu vertuschen. Bis heute ist dieses Parlament offiziell in keiner Weise unterrichtet: weder über Bestand oder Zustand der Waffen noch über die Vereinbarungen, die mit den USA getroffen wurden. Wie lange will die Bundesregierung diese Desinformationspolitik eigentlich noch betreiben? Es ist an der Zeit, daß die Bundesregierung die Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch die Parlamentarier hier über die konkreten Pläne endlich informiert. ({0}) Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Geheimhaltungspraxis endlich aufzugeben. ({1}) Solange diese Widersprüche nicht geklärt sind, d. h. solange diese Geheimhaltungspraxis weiter durchgeführt wird, müssen hier Vorwürfe vorgetragen werden, zu denen ich in der zweiten Runde noch etwas sagen werde. Eine Geheimhaltung kann in diesem Fall, in dem in den USA alles öffentlich ist, alles diskutiert und schriftlich vorgelegt wird, ({2}) nur damit erklärt werden, daß etwas zu verheimlichen ist. Und ich habe auch konkrete Vorstellungen, was dies sein kann. Es geht hier um den Bestand, der tatsächlich gelagert ist. Auch hierzu werde ich nachher noch einmal Stellung nehmen. Herr Wimmer, wenn sich der Herr Verteidigungsminister und auch der Bundeskanzler dieser Debatte hier im Parlament - auch über die im April gemachte falsche Aussage - schon nicht stellen, hoffe ich doch, daß dann zumindest diese Geheimhaltung aufgehoben wird und Sie hier Klarheit schaffen, wer eigentlich wen belügt ({3}) die US-Regierung die Bundesregierung, die Bundesregierung das Parlament, das Parlament die Bevölkerung - und wie wir uns dazu zu verhalten haben. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ganz.

Johannes Ganz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Eigentlich wollte mein Kollege Dr. Uelhoff hier sprechen, weil er sich mit der anstehenden Materie intensiv befaßt hat und mit der Westpfalz wohl eine Region vertritt, in der die Menschen besonders dankbar dafür sind, daß die chemischen Waffen ersatzlos abgezogen werden. Leider ist er erkrankt, so daß ich, sozusagen als sein saarländischer Nachbar, an seiner Stelle spreche. Meine Damen und Herren, wer wie ich die jüngsten Veröffentlichungen und Verlautbarungen zum Thema C-Waffen-Abzug - sei es in der überregionalen oder in der regionalen Presse, sei es in Anfragen von Parlamentariern oder wo auch sonst - verfolgt hat, kann feststellen, daß dabei viel spekuliert wird; es sei dahingestellt, ob aus Unkenntnis oder deshalb, weil man bestimmte Absichten damit verfolgt. Im wesentlichen geht es dabei um drei Fragen: Erstens. Wann eigentlich - das haben Sie gerade angesprochen, Frau Beer - erfolgt der Abzug, und wie ist der zeitliche Ablauf? Zweitens. Werden auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland die abgezogenen C-Waffen nicht doch - und wann? - durch binäre C-Waffen ersetzt? Drittens schließlich: Wie - d. h. auf welche Art und Weise - erfolgt der Abzug? Sind dabei die Sicherheit und der Umweltschutz gewährleistet? Wo werden diese Waffen auf wessen Kosten vernichtet? ({0}) Ich bin dankbar, daß diese Aktuelle Stunde mir die Gelegenheit gibt, für die CDU/CSU-Fraktion dazu Stellung zu nehmen. Erstens. Auf Tag und Monat genau zu wissen, Frau Beer, wann abzogen wird, ist für uns von sekundärer Bedeutung. Wichtiger ist für uns, daß überhaupt abgezogen wird - und dies mindestens in dem Zeitraum, der zwischen Bundeskanzler Kohl und dem früheren US-Präsidenten Reagan auf dem Tokioter Gipfel 1986 vereinbart wurde. „Mindestens" heißt: Die Aktion ist spätestens 1992 abgeschlossen. Jeder Tag früher ist uns recht und wird von uns begrüßt. ({1}) Die Tatsache, daß die Bundesrepublik spätestens 1992 chemiewaffenfrei ist, verdanken wir den intensiven Bemühungen unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger, des Bundeskanzlers und seiner Regierung. Sie ist wie der INF-Vertrag ein eindrucksvoller Beweis für die Ernsthaftigkeit, mit der diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen das Ziel „Frieden schaffen mit weniger Waffen" verfolgen. Noch so viel inszeniertes Theater um das Drumherum kann diesen Erfolg nicht schmälern. Wir wünschen und hoffen sehr, daß dieser Schritt als deutliches Signal sowohl bei den Genfer Verhandlungen als auch im Warschauer Pakt angekommen ist und auch verstanden wird. Wir unterstützen die vielfältigen Anstrengungen der Bundesregierung, die darauf zielen, die Erforschung, Produktion, Erprobung, Lagerung und den Einsatz chemischer Waffen ein für allemal weltweit zu verbieten und zu ächten. ({2}) Zweitens. Die Frage, ob nicht doch und wann auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland binäre C-Waffen stationiert werden, ist eindeutig beantwortet. Da sollte man aufhören, zu spekulieren. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß a) der Abzug ersatzlos erfolgt, b) eine Verbringung dieser Waffen erst im Krisenfall zur Diskussion steht und c) auch Ganz ({3}) dann erst nach Konsultation und Zustimmung der Bundesregierung möglich ist. ({4}) Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen darüber, ob und wie weit diese Erklärungen der Bundesregierung verbindlich sind. ({5}) Wir danken der Bundesregierung auch für diesen Verhandlungserfolg und sprechen ihr auch in diesem Punkt ausdrücklich unser Vertrauen aus. Auch hier hoffen wir, und dafür arbeiten wir, daß ein weltweites völkerrechtlich verbindliches und verifizierbares Verbot aller chemischen Waffen diese Frage für alle Zeit überflüssig macht. Drittens. Auch in der Frage der Vorbereitung und der Durchführung des Abtransports genießt die Bundesregierung, insonderheit Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, dem dabei die Federführung obliegt, unser vollstes Vertrauen. Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, daß bei allen damit verbundenen Maßnahmen der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt oberste Priorität hat. Die notwendige Geheimhaltung dient der Sicherheit. Hierbei von Geheimniskrämerei zu sprechen, ist abwegig, zumal alle für die Sicherheit verantwortlichen Stellen bei Bund, Ländern und Verbündeten informiert und konsultiert werden. Wir nehmen das Angebot von Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, den Verteidigungsausschuß über Einzelheiten zu unterrichten, dankbar an. Daß die abgezogenen Waffen selbstverständlich auf amerikanischem Boden und auf amerikanische Kosten vernichtet werden, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. ({6}) Chemische Waffen gehören zum Schrecklichsten, was Menschengeist je erfunden hat. Unser aller Bemühen muß es sein, die Menschheit von dieser Geißel, die sie sich selber auferlegt hat, zu befreien. ({7}) Tadeln wir unsere Regierung nicht! Loben wir sie, daß ihr auf diesem Weg ein bedeutsamer, nachahmenswerter Schritt gelungen ist! Ich bedanke mich. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumkley.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abzug aller chemischen Waffen, genauer gesagt: der chemischen Munition, aus der Bundesrepublik, bereits 1990 beginnend, ist eine gute Botschaft, die nachdrücklich zu begrüßen ist. ({0}) Ich habe derzeit keinen Zweifel, daß dies auch geschieht. Diese Vereinbarung über den Abzug ist ein richtiger Schritt in Richtung auf die Verwirklichung des Ziels, chemische Waffen nicht einzusetzen und sie letztendlich vollständig zu beseitigen. Es wäre gut, wenn sich die Sowjetunion in einem ähnlich schnellen Schritt zum Abzug chemischer Waffen entschlösse. ({1}) Die ganz große Freude kann jedoch nicht aufkommen, denn die Vereinbarungen gelten offensichtlich nur für Friedenszeiten. Es ist bedrückend, daß die Bundesregierung der amerikanischen Regierung zugesagt hat, im Spannungsfall neue binäre chemische Waffen in der Bundesrepublik zu deponieren. Deshalb bleibt die Bundesregierung aufgefordert, zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine mögliche Rückkehr von quasi-modernisierten chemischen Waffen in Form von binären Waffen bereits ab dem Spannungsfall nicht vorzusehen und die getroffenen Vereinbarungen in diese Richtung zu erweitern. Dies gilt um so mehr deshalb, weil die westliche Allianz den chemischen Waffen ohnehin keine eigenständige Rolle als Abschreckungsmittel zuweist. Konventionelle und nukleare Kräfte dienen hauptsächlich auch zur Abschreckung von chemischem Waffeneinsatz des Warschauer Paktes, wurde uns auf unsere Kleine Anfrage vom 7. Dezember 1988 durch die Bundesregierung geantwortet. Chemische Kampfstoffe würden nur in begrenztem Umfang zur Vergeltung im Falle eines Angriffes mit chemischen Waffen bereitgehalten. Im Grunde brauchen wir chemische Waffen überhaupt nicht mehr. Sicherheit kann durch das Bündnis auch ohne C-Waffen aufrechterhalten werden. Deshalb ist die Halbherzigkeit in dieser Frage nicht zu verstehen. ({2}) - Herr Kollege, wir sind ein Stück weiter. Wir sind nicht mehr in den 60er, 70erJahren, sondern kurz vor dem Jahr 1990, in einer Phase, in der sich die sicherheitspolitische Position verändert hat. ({3}) Deshalb - ich wiederhole es - halte ich diese Halbherzigkeit nicht für gut. Sie ist eher als schlechtes Beispiel für andere Länder, die im Besitz von chemischen Waffen sind und die wir ebenfalls zu deren Beseitigung auffordern, anzusehen. Ernst nehmen muß man in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, daß sich die Staaten mit der sogenannten Atomwaffe des kleinen Mannes, also den Chemiewaffen, an diesen als Kriegsführungsmittel festklammern und sie sogar noch ausbauen würden. Das könnte sich hemmend auf weitere Abrüstungsabsichten der Großmächte auswirken. Das wollen wir natürlich nicht. Jegliche Lieferung von chemischen Waffen in andere Länder muß unterbleiben und durch strikte Kontrollen wirksam unterbunden werden. Illegale Aktivitäten, die uns in der Vergangenheit in Mißkredit gebracht haben, müssen verhindert werden. Hier hat die chemische Industrie ebenfalls eine große Verantwortung. Die Kontrolle muß bereits bei der Herstellung und Lagerung von Stoffen, die der Herstellung von chemischer Munition dienen könnten, ansetzen. Die Überlegungen und Maßnahmen in diesem Zusammenhang anläßlich der Regierungs-Industrie-Konferenz gegen chemische Waffen in Canberra sind zu begrüßen. Wir erwarten von der Bundesregierung und der chemischen Industrie aber auch die strikte Umsetzung dieser Absichten. Nach langen Diskussionen und Auseinandersetzungen um die Stationierung von C-Waffen auf deutschem Boden kann dieses Kapitel in absehbarer Zeit abgeschlossen werden. Die Zeit zum Handeln, nämlich diese chemischen Waffen abzuziehen, ist bereits überreif. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wichtig gewesen, das noch einmal zu hören - so, Frau Beer, zitierte die „Süddeutsche Zeitung" den Bundesminister der Verteidigung nach seinen Gesprächen mit Präsident Bush, Vizepräsident Quayle, Sicherheitsberater Scowcroft, Außenminister Baker und Verteidigungsminister Cheney. Vielleicht sollten Sie gelegentlich Zeitung lesen, ({0}) um hier nicht über Geheimhaltung zu spekulieren. Ich füge hinzu: Es ist wichtig, das heute im Deutschen Bundestag zu wiederholen, weil es offensichtlich erneut das Interesse gibt, die Öffentlichkeit mit aktualisierten Zweifeln zu beunruhigen. ({1}) Tatsache ist, Frau Kollegin Beer, daß der Abzug der amerikanischen C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland bereits im nächsten Jahr, d. h. zwei Jahre früher als ursprünglich - 1986 - vorgesehen, beginnt. ({2}) - Frau Kollegin Beer, wir haben Sie nicht unterbrochen. Denken Sie bitte gelegentlich einmal über den Unterschied nach, der zwischen dem Beginn des Abzugs und seiner Vollendung besteht. Dann wird Ihnen manches klar werden, was Ihnen heute nicht klar zu sein scheint. ({3}) Es gibt die Bemühung, Unruhe hervorzurufen, mit drei Zielsetzungen. Erstens sollen Zweifel hervorgerufen werden über die Absichten der Amerikaner überhaupt, ({4}) zweitens über die Sicherheit beim Abtransport der C-Waffen. Ich befürchte nach dem, was Sie bisher gesagt haben, tatsächlich, daß der Abzug der C-Waffen zwar gefordert wird, daß aber in dem Moment, wo er beginnt, der Protest von Ihrer Seite kommen wird, weil dieser Abzug möglicherweise nicht Ihren Vorstellungen entspricht. ({5}) Drittens gibt es eine Bemühung, Zweifel über die etwaige Stationierung neuer binärer Kampfstoffe in der Bundesrepublik Deutschland hervorzurufen. Zu diesen drei Punkten sage ich folgendes. Die vom '7. bis 11. Januar 1989 in Paris mit 149 Teilnehmerstaaten veranstaltete Konferenz zur Ächtung chemischer Waffen sollte aus der Sicht der Hauptinitiatoren - dies waren Frankreich und besonders die USA - zwei Zielen dienen: erstens einer politischen Bekräftigung des Verbots des Gaskrieges nach dem Genfer Protokoll und zweitens - ich bitte, auch das zu beachten - der Verdeutlichung des gemeinsamen Willens, die seit 1968 im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz laufenden Verhandlungen über ein weltweites Verbot chemischer Waffen voranzubringen. Dies ist die Ausgangslage. Hier ist von Geheimhaltung überhaupt keine Rede. Hätten Sie die „Süddeutsche Zeitung" gelesen, Frau Beer, dann wüßten Sie auch, daß der amerikanische Präsident bekräftigte, er sei bereit, im gegenwärtigen Stadium drastisch zu reduzieren, bis hinunter zu einem Bestand von 2 %, und daß er lediglich die Einschränkung gemacht hat, diese 2 % als Restbestand bis zu dem Zeitpunkt aufrechtzuerhalten, zu dem alle Verträge und die Verträge zur weltweiten Ächtung unterschrieben sind. So lautet die Aussage von amerikanischer Seite. ({6}) Daß dies ein Restbestand im Vergleich zu dem ist, was die USA hatten, und daß es erst recht ein Restbestand im Vergleich zu dem ist, was die Sowjetunion an Menge hat, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. ({7}) Ich möchte hier noch einmal sagen, daß es dieser Bundesregierung, dieser Koalition gelungen ist, etwas durchzusetzen, was Jahrzehnte hindurch nur ein Traum war. Angesichts des Alptraums, den chemische Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik ausgelöst haben, ist diese Tatsache an diesem Tag nur zu begrüRonneburger ßen, und man sollte das als die einzige Möglichkeit bei dem, worüber wir heute reden, betrachten. ({8}) Die früher stattfindende Beseitigung der chemischen Waffen bei uns und ihre Vernichtung auf amerikanischem Boden, dies war unser Ziel, dies bleibt unser Ziel, und wir wollen die weltweite Ächtung. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Damen und Herren! Noch einmal zur Geheimhaltung und zum Bestand. Laut Angaben des Rechnungshofes vom US-Kongreß, GAO, ist der Bestand der Bundesrepublik bisher falsch angenommen worden; denn es geht nicht um 435 t chemischer Kampfstoffe in Fischbach, sondern nach den dortigen Angaben um 2 600 t. ({0}) Es wäre doch wirklich ein Skandal - auch für Sie, Herr Kollege, als Regierungsmitglied - , wenn jetzt öffentlich werden sollte, daß über Jahre eine falsche Bestandszahl angegeben wurde und daß nun der Abzug bereits 1990 anfangen soll - unter der Umgehung der Sicherheitsvorschriften, die in den USA selbstverständlich sind -, um bis Ende 1992 fertig sein zu können. Da wird zu dem Trick gegriffen, daß die Sowjetunion auf Drängen der USA einer Formulierung in einem MOU zugestimmt hat, daß Inspektionen bei Lagern, die weniger als 2 % des Gesamtbestandes haben, nicht stattfinden. Kurz darauf wird gesagt - wen wundert es? - : In der Bundesrepublik sind unter 2 % gelagert, und es wird keine Verifikation, keine Inspektion in Fischbach geben. Ich fordere vor diesem Hintergrund die sofortige Offenlegung sämtlicher Unterlagen, sämtlicher Pläne, Genehmigungen auch für die Abgeordneten des Parlaments, die Lager anzusehen. Ich fordere die Sicherstellung, nach dem Abzug chemischer Waffen hier keine neuen binären Waffen zu stationieren. Vor allen Dingen darf es nicht den Trick geben, der durchaus denkbar ist, daß hier verschiedene Chemikalien eingeführt werden, ohne zu sagen, daß es sich dabei um die verschiedenen Komponenten der binären C-Waffen handelt. ({1}) All das ist zu unterstellen, solange diese Geheimhaltung weiterläuft. All das ist zu unterstellen, soweit Sie nicht einseitig erklären, daß hier Inspektionen möglich sind, und solange nicht einseitig erklärt wird, daß in keinem Fall irgendwelche Chemikalien oder neue binäre Waffen hierherkommen. Das ist die Voraussetzung. Ich möchte zum Schluß sagen: Ein Bundeskanzler, der hier falsche Regierungserklärungen abgibt, d. h. der dieses Parlament quasi belügt, ist letztlich ein ebenso großes Sicherheitsrisiko ({2}) wie die Materie, um die es in dieser Diskussion geht. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke ({0}).

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist der einzige Staat der Welt, der vertragsverbindlich auf die Herstellung, den Besitz und den Einsatz chemischer Waffen verzichtet hat. Daran haben sich alle Bundesregierungen zu allen Zeiten gehalten. Für diese Position unseres Landes waren und sind vor allem moralische und historische Gründe ausschlaggebend. Ich finde, insofern sollte es in diesem Hause möglich sein, einen breiten Konsens in der Frage der Abrüstung bei chemischen Waffen herbeizuführen. Erleichtert wird die Konsenssuche meines Erachtens dadurch, daß es wohl niemanden gibt, der der These widerspricht, daß chemische Waffen nicht der Abschreckung dienen, sondern Kriegführungswaffen sind. Die Position der Bundesrepublik Deutschland ist, wie das auf dem Brüsseler NATO-Gipfel im Mai verabschiedete Gesamtkonzept für Rüstungskontrolle und Abrüstung ausweist, Bündnisposition. Das Ziel eines weltweiten kontrollierten Verbots chemischer Waffen haben sich alle Bündnispartner zu eigen gemacht. Dem entspricht die Haltung des Bündnisses auf der Genfer Abrüstungskonferenz, die durch die Pariser Konferenz im Januar wertvolle Impulse erhalten hat. Wenn es in diesem Hause einen Dissens gibt, dann hinsichtlich der Vorstellungen insbesondere der Sozialdemokraten über eine zunächst auf eine mitteleuropäische Zone beschränkte Abrüstung bei chemischen Waffen. Wir, die Regierungskoalition, lehnen dieses Zonenkonzept aus den Ihnen bekannten Gründen ab und bleiben bei dem globalen Ansatz, der allein Aussicht auf durchgreifenden Erfolg hat. ({0}) Die Rahmenbedingungen für wirksame Abrüstungsschritte auch im chemischen Bereich haben sich in den vergangenen Jahren spürbar verbessert. Wir hoffen, daß sich dieser besonders bei den chemischen Waffen so extrem wirkende Komplex der Verifikation günstig auswirkt. Vor allen Dingen ist es dem Einsatz des Bundeskanzlers zu verdanken, daß in bilateraler verbindlicher Absprache mit der amerikanischen Regierung der baldige ersatzlose Abzug der in der Bundesrepublik lagernden amerikanischen chemischen Waffen erfolgen wird. Diese Absprache ist im Verlauf dieses Jahres von beiden Seiten in einer Weise bekräftigt Francke ({1}) worden, die nach unserer Auffassung keine Zweifel an ihrer Verbindlichkeit und der Implementierung 1990 zuläßt. Frau Beer, Sie haben hier bewußt die Unwahrheit gesagt, denn sie kennen den Brief des Bundesverteidigungsministers vom 8. September 1989 - Sie sind im Besitz dieses Briefes - genausogut wie ich, der sich auch ausführlich mit Fragen der Sicherheit bei der Rückverlagerung beschäftigt. Sie haben bewußt die Unwahrheit gesagt, weil Sie in der Sitzung des Unterausschusses Abrüstung am 27. September 1989 eine umfassende Information der Bundesregierung erhalten haben und sich auch an dieser Diskussion beteiligt haben. ({2}) Herr Zumkley, Sie sind den Beweis für Ihre These schuldig geblieben, weil Ihre Behauptung, die Bundesregierung beabsichtige eine Rückverlagerung, auch nicht bewiesen werden kann. Ohne das Engagement des Bundeskanzlers wäre dieses Resultat nicht zustande gekommen. Wir werden es nicht zulassen, daß diese Leistung durch das Erwecken falscher Eindrücke, unwahrer Behauptungen, nämlich daß alte Kampfstoffe durch neue ersetzt würden, verstellt wird. Anstatt sich an grundlosen Spekulationen zu beteiligen, sollte die Opposition den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg mitgehen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen in meinem Wahlkreis Kaiserslautern und im benachbarten Wahlkreis Pirmasens müssen seit vielen Jahren mit dem Bewußtsein leben, daß irgendwo in ihrer unmittelbaren Nähe, vielleicht in Weilerbach/Miesau, vielleicht in Fischbach, vermutlich in beiden Orten, tonnenweise Giftgas gelagert wird, das schon in Milligramm-Dosen tödlich wirkt. Beide Depots werden ständig von Militärflugzeugen überflogen. Wir haben im Durchschnitt pro Jahr einen Absturz zu beklagen. Zweimal schon stürzte ein Flugzeug in das Depot hinein ab. ({0}) - Man braucht nicht viel Phantasie, Herr Kollege, um sich vorstellen zu können, wieviel Ängste von diesem Gift ausgehen und wieviel Diskussionen und Demonstrationen stattgefunden haben, mit dem Ziel, diese Bedrohung zu beenden, und das, Herr Ganz, zu einer Zeit, als die CDU-Landtagsfraktion von RheinlandPfalz die Anwesenheit dieses Giftgases noch heftig verteidigt hat. Sie sollten das um der Wahrheit willen einmal nachlesen. Mit großer Erleichterung haben wir deshalb registriert, daß die Giftgaslager nun geräumt werden sollen und daß spätestens bis 1992 diese Aktion beendet sein soll. Ich trage hier im Namen der ganzen Region Westpfalz, also auch der regionalen CDU-Gremien - ich kann mich dabei auch auf einen einstimmigen Beschluß des Landtages von Rheinland-Pfalz berufen -, die Forderung vor, daß diese Räumung vollständig und endgültig sein muß. Kein Sicherheitsvorrat chemischer Waffen darf zurückbleiben, und erst recht darf es keine Ersatzlieferungen neuer C-Waffen geben. ({1}) Wir alle wissen, daß diese Waffen zu unserer Sicherheit nichts, aber auch gar nichts beitragen. Sie sind höchst gefährlich im Friedensfall und absolut tödlich im Kriegsfall. Daß die Frage des sicheren Abtransports dieser Giftgaslager viele Menschen in meiner Region mit Sorge erfüllt, sollte uns nicht wundern. Immerhin hat die amerikanische Regierung offen zugestanden, daß die in Amerika gelagerte Giftgasmunition in einem so schlechten Zustand sei, daß der Transport zu den Vernichtungsanlagen zu riskant sei und deshalb die Vernichtungsanlagen zur Munition gefahren werden müßten. Die in der Bundesrepublik gelagerten C-Waffen - so hat uns das Verteidigungsministerium erklärt - seien allerdings in einem viel besseren Zustand. Jedoch könne niemandem gestattet werden, auch nicht einem rheinland-pfälzischen Minister, sich selbst davon zu überzeugen. ({2}) Das Ministerium erwartet einfach, daß die Menschen aus Kaiserslautern und Pirmasens ihm blind vertrauen und sich auch nicht durch Äußerungen des früheren amerikanischen Verteidigungsministers Weinberger irritieren lassen, der in den USA geäußert hat, der Zustand der in der Bundesrepublik gelagerten chemischen Waffen habe - so wörtlich - selbstgefährdende Ausmaße erreicht. ({3}) Herr Staatssekretär, betrachten Sie bitte das, was ich jetzt sage, nicht als Provokation oder als parteipolitisches Spielchen, sondern nehmen Sie es bitte so ernst, wie ich es meine. Das Mißtrauen gegenüber dem Verteidigungsministerium, das gerade in meiner Region bei jedem politischen Frühschoppen, bei jeder Versammlung und auf jeder Leserbriefseite der Zeitung zutage tritt, ist enorm. Sie können deshalb nach dem, was bisher gelaufen ist, auch kein blindes Vertrauen erwarten, sondern Sie tragen mit Ihrer unseligen Geheimniskrämerei dazu bei, dieses Mißtrauen täglich noch zu verstärken. Warum beziehen Sie die direkt betroffenen Kommunen nicht in die Planung dieses Abtransportes ein? ({4}) - Nein, sie sind eben nicht einbezogen, noch nicht einmal die Landesregierung. ({5}) Warum wird den Menschen verschwiegen, daß es sich um den Transport von ca. 2 600 Tonnen Kampfstoff handelt, wenn man diese Angaben doch jederzeit im Rechnungshofbericht beim US-Kongreß nachlesen kann? Vertrauensbildende Maßnahmen, von denen doch auch das Ministerium so gerne redet, sind nicht durch öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr zu erreichen, sondern in einem ehrlichen Miteinander bei der Lösung von so schwierigen Problemen. ({6}) Angst wird durch Verheimlichen und Verschweigen nicht beseitigt; Angst kann nur durch Offenheit, Ehrlichkeit, Überprüfbarkeit und eine gemeinsame Erörterung der anstehenden Probleme bewältigt werden. Es wird höchste Zeit - ich sage dies ganz bestimmt auch im Interesse des Verteidigungsministeriums -, daß dies im Verteidigungsministerium verstanden wird und daß eine andere Haltung gegenüber den vor Ort unmittelbar Betroffenen an den Tag gelegt wird. Danke. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in meinem ersten Beitrag heute morgen darauf hingewiesen, es gebe offenbar in bestimmten Kreisen ein Interesse daran, Verunsicherung hervorzurufen. Frau Kollegin Beer, Sie sind über das, was ich damit angekündigt habe, in Ihrem zweiten Beitrag weit hinausgegangen, indem Sie geradezu Panikmache betrieben haben und Unsicherheit nicht nur hervorrufen, sondern sich zu einer Panik ausweiten lassen möchten. ({0}) Dies kann so nicht unwidersprochen stehenbleiben, ({1}) und deswegen melde ich mich Ihnen gegenüber noch einmal zu Wort. Deswegen weise ich hier mit aller Entschiedenheit zurück, was Sie hier in unverantwortlicher und unbewiesener Weise gesagt haben, ({2}) nämlich daß der Bundeskanzler - ich zitiere Sie wörtlich - hier das Parlament belogen habe. ({3}) Ich zitiere jetzt einmal im Gegensatz dazu, was der Bundeskanzler am 11. April 1986 hier vor dem Hohen Hause erklärt hat, ({4}) daß nämlich erstens die Bundesregierung alles tun wird, um sicherzustellen, daß die chemischen Waffen weltweit und zuverlässig nachprüfbar vernichtet werden, daß es sich bei der Frage einer Modernisierung des amerikanischen Chemiewaffenpotentials um eine nationale Entscheidung der amerikanischen Regierung handelt. ({5}) Täuschen Sie doch nicht sich und andere! Das Täuschen anderer ist dabei das Schlimmere. ({6}) Drittens ist gesagt worden - dies steht bis heute -, daß es keine Stationierung neuer binärer chemischer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland geben wird. ({7}) Herr Kollege Zumkley, bei allem Respekt vor Ihnen und vor dem Hintergrund einer guten Zusammenarbeit mit Ihnen muß ich Ihnen sagen: Die Aussage, es gebe eine Verabredung zur Stationierung binärer chemischer Waffen ist falsch. ({8}) Es ist damals 1986 ausdrücklich verabredet worden, daß eine Verbringung dieser Waffen in andere NATO-Staaten - dabei handelt es sich keineswegs nur um die Bundesrepublik Deutschland - erstens nur auf Grund umfassender politischer Konsultationen in der NATO ({9}) - hören Sie doch bitte einmal zu, ehe Sie dazwischenreden -, zweitens nur bei Sicherstellung breiter Beteiligung der Bündnispartner, so daß kein Land singularisiert wird, ({10}) und - jetzt kommt der wichtigste Punkt, den Sie, Herr Kollege Zumkley, verschwiegen haben - nur mit Billigung und auf Bitte der Aufnahmeländer erfolgt. Die Bundesregierung hat aus ihrer Haltung zu dieser Frage nie ein Hehl gemacht, daß sie eine solche Bitte nicht aussprechen wird ({11}) und daß es daher nicht zu einer Stationierung dieser neu entwickelten binären chemischen Waffen in der Bundesrepublik Deutschland kommen wird. ({12}) Wir wollen die weltweite Ächtung, und die Bundesrepublik Deutschland, diese Bundesregierung, diese Koalition haben in Paris, in Genf mit eigenen Initiativen immer wieder dazu beigetragen, daß jetzt auch das weltweite Verbot, die Achtung der Entwicklung, Herstellung, Lagerung chemischer Waffen einem Abschluß entgegengeht. ({13}) In diesen Gesamtabschluß gehört der Abzug der hier in der Bundesrepublik lagernden chemischen Waffen mit hinein, und zwar zu einem früheren Zeitpunkt, als irgend jemand von uns heute und in der Vergangenheit hätte hoffen können. Deswegen, meine ich, ist diese Aktuelle Stunde der geeignete Anlaß, noch einmal darauf hinzuweisen: Chemische Waffen sind Massenvernichtungsmittel und keine Waffen im eigentlichen Sinne. ({14}) Sie sollten weltweit geächtet und verboten werden. Uns geht es nicht um waffenfreie Zonen, uns geht es um die Beseitigung einer fürchterlichen Kategorie von Massenvernichtungsmitteln hier bei uns und in der ganzen Welt. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Horn, darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Redezeit immer nur auf fünf Minuten beschränkt ist. Man sollte den Versuch unternehmen, den Redner fünf Minuten ungestört anzuhören. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann. Sie werden der erste Nutznießer dieses Appells sein.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mich heute zum Thema Chemiewaffen äußere, dann tue ich das auch aus meiner besonderen Betroffenheit als Rheinland-Pfälzer. Wir haben C-Waffen in Fischbach, acht NATO-Flugplätze und das größte Munitionsdepot Europas in Miesau. Rheinland-Pfalz ist das größte Waffenlager in der Bundesrepublik. Es ist ein Pulver-faß ohne Beispiel in der westlichen Welt. Es gibt weltweit kein Territorium, das so dicht mit Atomwaffen, Giftgas und Massenvernichtungswaffen bestückt ist wie unsere pfälzische Heimat. Neben all den anderen Bedrohungen löst das Giftgas besondere Ängste bei den Menschen aus. Deshalb haben wir rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten zum wiederholten Male im Februar dieses Jahres alle Fraktionen im Deutschen Bundestag dazu aufgefordert, unserem Antrag 11/4094 zum Abzug aller chemischen Waffen in Rheinland-Pfalz zuzustimmen. Sie haben das damals nicht getan. ({0}) Wir hofften darauf, daß, nachdem der rheinland-pfälzische Landtag einstimmig - hören Sie gut zu: einstimmig; auch Ihre Leute waren dabei - den Antrag auf Abzug aller chemischen Waffen verabschiedet hatte, auch die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen hier im Bundestag die Notwendigkeit einer gemeinsamen Initiative einsahen. Ich habe schon gesagt, die Hoffnung war vergebens. Dabei war es für uns schon ein Fortschritt, daß nach vielen Jahren des Widerstandes durch den einstimmigen Landtagsbeschluß erstmals auch von konservativer Seite zugegeben worden war, daß dort Giftgas gelagert wird. Die Landesregierung hatte es jahrelang bestritten, daß es diese schlimmen Waffen, diese Nervengifte bei uns gibt, ({1}) von denen theoretisch schon ein Liter reicht, um eine Million Menschen umzubringen und eine Million lebensgefährlich zu verletzen. Schon 1980 ist von seiten amerikanischer Politiker auf äußerst gefährliche Giftgaslecks in den Lagerbeständen der USA hingewiesen worden. Das gilt sicherlich auch für die Altbestände im Pfälzer Wald. Statt die berechtigten Ängste der Bevölkerung und die Forderung nach einer gefahrlosen Vernichtung bzw. den Abtransport der Giftgasbestände ernst zu nehmen, ging und geht die Landesregierung in Rheinland-Pfalz bei Demonstrationen mit entschiedener Härte gegen die Menschen vor. Die Menschen, die sich für den Abzug der Giftgase ausgesprochen hatten, werden heute sogar kriminalisiert. In Pirmasens stehen 140 Menschen vor Gericht. Die Männer und Frauen werden angeklagt wegen verwerflicher Gewaltkriminalität nach § 240 des Strafgesetzbuches, ({2}) Menschen, deren Beweggründe die 78jährige Edith Kubik aus München vor Gericht folgendermaßen formulierte: Sie wolle nicht der Regierung drohen oder den Militärs schaden, es gehe ihr allein darum, die Lektion des Jahrhunderts zu lernen. Ich frage mich: Verhalten sich denn diese Menschen im Sinne einer verwerflichen Gewaltkriminalität? Es würde unserem Staat und seinem Ansehen guttun, diese Verfahren gegen diese Menschen einzustellen. ({3}) Am Dienstag dieser Woche war der Prozeß - es war der 111. von 140 - vor dem Amtsgericht Pirmasens gegen den Kreisvorsitzenden der SPD, Rudi Klug, einen der Bundesvorsitzenden der Naturfreunde. Die Anklage lautete auf versuchte Nötigung. Die Zeitung kommentierte: Eine „Nötigung" war das Sitzenbleiben für den Frieden. Obwohl in diesem Falle ein Freispruch erfolgt ist, ist wohl damit zu rechnen, daß der Urteilsspruch keine Rechtskraft erlangen wird; denn der Staatsanwalt hat Rechtsmittel eingelegt. Wen wundert es dann noch, daß mehr und mehr vor allem junge Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren! Das Giftgas muß weg. Die Menschen verlangen, daß die Bundesregierung handelt. Sie tun heute so, als hätten Sie die jahrelangen Debatten, die die Sozialdemokraten hier und in anderen Gremien geführt haben, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Hier wird der frühere

Not found (Mitglied des Präsidiums)

das Giftgas bis 1992 abzuziehen; wir können uns dieser Forderung nur anschließen. Wir hoffen, daß vor dem genannten Jahr 1992 in Ost und West der Abzug aller chemischen Waffen und ihre Vernichtung gleichgewichtig und unter gegenseitiger Kontrolle erfolgt. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal fragt man sich wahrlich nach dem Nutzen einer Debatte, manchmal sogar nach ihrem Sinn. ({0}) Es ist richtig, gerade bei einem solchen Thema, gegenüber der Regierung ein ständiges Ceterum censeo anzumerken, daß sie das einzuhalten hat, was sie versprochen hat, und daß wir das beobachten müssen. Aber, meine Damen und Herren, wo gibt es denn hier eigentlich Zweifel, die begründet wären, an dem Verhalten der Bundesregierung? Ich weiß auch gar nicht so recht, worüber wir hier bestimmte Töne anstimmen, wo doch ein hohes Maß an Einigkeit herrscht: Wir sind gemeinsam der Auffassung: Die chemischen Waffen insgesamt haben aus den Arsenalen zu verschwinden. ({1}) Wir sind gemeinsam der Auffassung: Spätestens 1992 haben die amerikanischen chemischen Waffen vom Boden der Bundesrepublik Deutschland zu verschwinden. Wir sind gemeinsam der Auffassung, daß keine neuen hierherzubringen sind. So weit, so gut. ({2}) - Ja, nun kommt die „Geheimniskrämerei" . Meine Damen und Herren, es ist natürlich eine Frage, welche Rolle Vertrauen und Mißtrauen in der Politik zu spielen haben. Daß man bis zu einem gewissen Grade Regierungen mißtrauisch begleiten muß, ist ja vollkommen klar. Aber es ist auch klar, daß bestimmte Dinge ohne ein gewisses Maß an Vertrauen überhaupt nicht funktionieren. ({3}) Wenn das nicht so wäre, dann müßte man alles, was mit Geheim zu tun hat, von vornherein abschaffen. Aber jedermann weiß, daß das vermutlich nicht ganz so geht. Wenn Sie sich in ein Flugzeug setzen, dann gehen Sie doch auch davon aus: Der Pilot ist nicht besoffen, und die Techniker haben das richtig durchgecheckt. Sie vertrauen darauf, daß das funktioniert. ({4}) Was die Bundesregierung in diesem Bereich - und sie muß sich da von niemandem übertreffen lassen, im westlichen Bündnis nicht und anderswo nicht - , bei der Beseitigung chemischer Waffen, geleistet hat, das ist wirklich vorbildlich. ({5}) Insofern kann man davon ausgehen, daß dies auch hier geschieht. Aber mein Verdacht ist eben der, daß hier die Angst politisch instrumentalisiert werden soll. ({6}) Das ist doch der Punkt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie damals die Töne waren: Wenn die Pershing jemals stationiert wird, dann bricht gewissermaßen der dritte Weltkrieg aus, dann wird eine Panik entstehen im Lande, in ganz Europa und in der Welt. - Was ist denn passiert? ({7}) Ihre Angstmacherei ist dahingegangen. Im Grunde ist das Gegenteil davon eingetreten: ein positiver Abrüstungsprozeß. ({8}) Auch hier betreiben Sie bis zu einem gewissen Grade bewußt eine solche Angstmacherei, und das finde ich nun wirklich nicht verdienstvoll. ({9}) Es ist schlimm, was da gelagert ist, und, wie gesagt: Es muß weg. ({10}) Aber ich darf folgendes sagen - das ist nur eine Randbemerkung - : Ich habe einmal die dortige Stelle in Munster besucht. Da gibt es noch chemische Waffen aus dem Ersten Weltkrieg. Es werden immer noch welche gefunden, irgendwo in der Bundesrepublik Deutschland. Auch die müssen beseitigt werden. Die lagern da zu einem großen Teil, weil die Beseitigung nicht mit dem Auffinden der Waffen Schritt halten kann. Darüber redet kein Mensch. ({11}) Auch das, was dort vorhanden ist, ist gefährlich. Ich meine, dem einen wie dem anderen Thema muß man sich mit Intensität widmen. Aber es hat weiß Gott keinen Sinn, die Angst hier zu einem Mittel der Politik zu machen. ({12}) - Doch, den Eindruck kann ich nun wirklich nicht beiseiterücken. ({13}) Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit mit diesen schlimmen Dingen, Gott sei Dank, gelebt, ohne daß sie angewendet worden sind ({14}) - „ohne daß sie angewendet worden sind" ! - und ohne daß katastrophale Zwischenfälle eingetreten sind. ({15}) - Ich rede jetzt von uns hier. Ich meine, wir sollten doch darauf vertrauen, daß die Bundesregierung dieses Ziel bis 1992 durchsetzt, ({16}) und uns wirklich schlicht und einfach freuen, ({17}) wenn es denn vorher gelingt. Davon können wir, glaube ich, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgehen. Und das ist gut so. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Wimmer.

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst einmal dafür bedanken, daß die Redner aus den Koalitionsfraktionen der Bundesregierung Anerkennung gezollt haben für die erfolgreiche Arbeit auf diesem Gebiet. ({0}) Ich darf dies auch auf die großartige Unterstützung erstrecken, die die Bundesregierung ihrerseits aus der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Kollegen der Koalitionsfraktionen erhalten hat. Was die Frage anbetrifft: Wie sieht das denn für den Spannungsfall aus?, darf ich mich ausdrücklich dafür bedanken, daß der Kollege Ronneburger hier so klarstellende Worte gefunden hat, daß ich mich auf seine Ausführungen durchaus beziehen ({1}) und sie für uns als verbindlich ansehen kann. Ich glaube, daß wir in diese Anerkennung und unsere Freude darüber zunächst auch einmal den Kollegen Zumkley einbeziehen sollten. Er hat diese Anerkennung auch formuliert. Nur will ich, Herr Kollege Zumkley, in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der Aussagen anderer Redner aus Ihrer Fraktion etwas feststellen. Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, daß das Prinzip der Kooperation, des Miteinander mit anderen Staaten darin besteht, daß der Grundsatz „Verträge sind zu halten" unser Regierungshandeln bestimmt. Wir stellen aber mit großer Sorge und auch Betrübnis fest, daß dieser Grundsatz offensichtlich nur für die Regierungen gilt und nicht für jene Parteien, die jeweils die Regierung getragen haben. Wir verfolgen im Zusammenhang mit den chemischen Waffen eine ähnliche - auch Geheimhaltungs- - Politik, wie es die Bundesregierung getan hat, die von Ihnen getragen worden ist. Nur gehen Sie hin und erklären jeweils zu dem Zeitpunkt, wo Sie sich in der Opposition befinden, daß Sie das, was Sie in der Zeit getan haben, als Sie Regierungsverantwortung trugen, überhaupt nicht mehr interessiert. Das ist eine solche Perversion des politischen Handelns, daß ich auf diesen Umstand besonders aufmerksam machen will. Bundeskanzler Kohl und der damalige amerikanische Präsident Reagan haben 1986 bei ihrem Treffen in Tokio vereinbart, daß erstens der Abzug der in der Bundesrepublik Deutschland lagernden amerikanischen chemischen Waffen bis spätestens 1992 abgeschlossen sein soll, zweitens, Frau Kollegin Dr. Götte, dieser Abzug vollständig und ersatzlos erfolgt und drittens diese Waffen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland vernichtet werden. Dieser Vereinbarung war eine Reise des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herrn Dr. Dregger, mit zwei Fraktionskollegen nach Washington mit dem Ziel vorausgegangen, eine Weichenstellung für die Entscheidung von Tokio herbeizuführen. ({2}) - Das ist richtig so. Nunmehr liegt die Zusage der amerikanischen Regierung vor, daß der Abzug schon 1990 beginnen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt beendet sein soll. Ich verweise insoweit auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 27. April 1989. ({3}) Das wurde in den letzten Gesprächen des deutschen Verteidigungsministers mit seinem amerikanischen Amtskollegen nochmals bestätigt. Die von der Bundesregierung seit einiger Zeit für die Vorbereitung und Durchführung des Abzugs der chemischen Waffen eingesetzte interministerielle Kommission, Frau Kollegin Dr. Götte, arbeitet eng mit den verantwortlichen Stellen der amerikanischen Bündnispartner zusammen. Die Bundesländer sind und werden an den Vorbereitungen entsprechend ihrer Verantwortlichkeit mit ihren jeweils zuständigen Experten beteiligt. Zu dem derzeitigen Stand der Planungen - darauf hat Herr Kollege Ganz aufmerksam gemacht -, die noch nicht abgeschlossen sind, kann schon jetzt folgendes gesagt werden. Erstens. Der Schutz unserer Bevölkerung und unserer Umwelt steht im Vordergrund aller Überlegungen und Planungen und hat bei der Vorbereitung und Durchführung des Abtransports der hier lagernden chemischen Waffen höchste Priorität. ({4}) Zweitens. Der Abzug wird insgesamt auf der Grundlage deutschen Rechts und deutscher Sicherheitsstandards abgewickelt werden. Drittens. Planung und Gesamtleitung des Abtransports im Bereich der Bundesrepublik Deutschland liegen in der Verantwortung der Bundesregierung. ({5}) Viertens. Die Kosten für den Abtransport werden durch die USA getragen. Fünftens. Die hohe transport- und munitionstechnische Sicherheit der abzuziehenden Waffen wird durch umfangreiche vorbeugende und begleitende Vorkehrungen flankiert, um den Schutz von Bevölkerung und Umwelt sicherzustellen. ({6}) Sechstens. Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit im erforderlichen Umfang Parlament und Öffentlichkeit über den Abzug unterrichten. ({7}) Siebtens. Die Vernichtung der Munition wird auf der Pazifikinsel Johnston-Atoll erfolgen. Die Anlage dort ist fertiggestellt, befindet sich in der Erprobung und kann voraussichtlich ab Sommer 1990 den Betrieb aufnehmen. Ich bewerte den Abzug der amerikanischen chemischen Waffen vom Boden der Bundesrepublik Deutschland als einen Erfolg der Bundesregierung Kohl. Ich unterstreiche ferner, daß es die erklärte Politik und das vorrangige Ziel dieser Bundesregierung ist, ein umfassendes, weltweit gültiges, mit wirksamen Verifizierungsregeln ausgestattetes Abkommen zu erreichen, das erstens Entwicklung, Herstellung, Besitz, Erwerb, Weitergabe und Einsatz aller chemischen Waffen uneingeschränkt verbietet und zweitens die vollständige Vernichtung bestehender Waffenbestände unter internationaler Kontrolle herbeiführt. ({8}) Diese Politik trägt Früchte, wie man auch an den jüngsten Vereinbarungen zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Außenminister zu einem weitgehenden Informationsaustausch über ihre C-Waffen-Bestände und zur Verifikation sieht. Auch die in der UNO-Rede von Präsident Bush angebotenen weitreichenden Reduzierungen einschließlich der Vernichtung von chemischen Waffen stehen für ernstzunehmende Fortschritte hin zu einer weltweiten nachprüfbaren Verbotskonvention für chemische Waffen. Das hier zu debattierende Thema zusammenfassend, stelle ich fest: Die Politik des Bundeskanzlers, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen, ist erfolgreich. Sie wird es auch weiterhin bleiben. Ich bedanke mich. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wimmer, in zwei Punkten stimmen wir mit Ihnen überein. Der eine Punkt ist, daß es gut ist, daß das Teufelszeug jetzt endlich aus der Bundesrepublik verschwindet und daß das 1990 beginnt. Der zweite Punkt ist, daß dies unter deutscher Mitkontrolle zu geschehen hat. Aber es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen wir anderer Meinung sind als Sie. Wir sind der Auffassung, daß der politische Preis, der für diesen Abzug gezahlt werden mußte, zu hoch war, zu hoch mit der Tokioter Erklärung, die bedeutet, daß im Konflikt- und Spannungsfall eben doch wieder binäre Waffen zurückkommen, und zwar allein in die Bundesrepublik, Herr Regierungssprecher Ronneburger. ({0}) Es gibt keine Tokioter Erklärung für ein anderes Land. Durch ihre Zustimmung zu den sogenannten Force Goals der NATO hat die Bundesregierung, Ihre Bundesregierung, eine Mitverantwortung für die Produktion der binären Waffen übernommen. Diese sind heute das Hindernis für eine Abrüstung im Bereich der chemischen Waffen. Das ist eine deutsche Mitverantwortung für eine außerordentlich verhängnisvolle Entwicklung. ({1}) Bis heute wissen wir nicht, wann und unter welchen Umständen diese Waffen in einem bestimmten Konfliktfall wieder auf unserem Boden auftauchen werden. Schlecht ist auch, Herr Kollege Francke - wenn Sie mir eben zuhören und Ihr Gespräch beenden würden; darf ich Sie ansprechen, Herr Kollege Francke -, ({2}) daß Sie unseren Vorschlägen zur chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa nicht gefolgt sind. Sie sagen, Sie wollen allgemein eine Abrüstung bei den chemischen Waffen haben. ({3}) Das wollen wir auch. Aber jetzt machen Sie doch erst einmal etwas ganz anderes: Jetzt schaffen Sie eine europäische chemiewaffenfreie Minizone, die nur aus der Bundesrepublik besteht. Das ist viel weniger. Das ist das, was 1990 kommen wird. ({4}) Wären Sie uns gefolgt, hätten Sie schon 1990 eine Möglichkeit, auch in unserer östlichen Nachbarschaft diese Waffen wegzubringen. Diese Möglichkeit haben Sie jetzt nicht. Darauf werden Sie auch noch politisch antworten müssen. Der letzte Punkt, mit dem wir nicht einverstanden sind, betrifft die Art und Weise, wie bei uns dieser Abzug vorbereitet wird. Es ist hier wirklich an der Zeit, einmal auf das amerikanische Vorbild bei der Vorbereitung des Abzugs und der Vernichtung chemischer Waffen hinzuweisen. Mit außerordentlicher Sorgfalt und mit großer Seriosität sind, acht Jahre bevor entsprechend den amerikanischen Gesetzen die Vernichtung der alten unitären chemischen Waffen in den Vereinigten Staaten zu erfolgen hat, nämlich bis 1997, wissenschaftliche Gutachten erarbeitet worden. Es gibt ein dreibändiges Werk „Chemical stockpile disposal program - filed programmatic environmental impact" , das der amerikanischen Öffentlichkeit vorliegt. Es wurde an allen acht Depots von den Spezialisten intensiv mit der Bevölkerung diskutiert. Das wissenschaftliche Know-how und auch das engagierte Know-how in den Bürgerinitiativen wurden hinzugezogen. Es fanden Hearings statt. Die Armee hat weitere Detailstudien bezahlt. All das geschah in Amerika in aller Öffentlichkeit. Ein Ergebnis war übrigens, daß man sich entschlossen hat, keine Transporte durchzuführen, sondern die Bestände in den acht Depots in Hochtemperatur-Verbrennungsanlagen zu beseitigen. Man ist nämlich zu dem Schluß gekommen, daß die Transporte zu gefährlich sind. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Die Bundesregierung macht das alles nicht. Ein Jahr bevor das anfangen soll, gibt es kein Gutachten. Ein Jahr bevor das anfangen soll, gibt es überhaupt keine Informierung der Öffentlichkeit, wie das eigentlich passieren soll. Herr Wimmer, Sie haben nicht das Vertrauen in die Bevölkerung. Sie haben weniger Vertrauen als die amerikanische Regierung in ihre Bevölkerung. Sie verzichten auf den Wissensstand, der bei uns, bei den Fachleuten, bei den besorgten Wissenschaftlern und bei den Bürgerinitiativen da ist. Sie nutzen das nicht, um ein wirklich sicheres Regime für den Abzug dieser Waffen hier zu benutzen, und das halten wir für absolut unverantwortlich. ({5}) Ist denn die deutsche Öffentlichkeit weniger verantwortungsvoll? Ist sie denn weniger vertrauenswürdig als die amerikanische Öffentlichkeit? Das sollten Sie der deutschen Öffentlichkeit einmal sagen. Wir fordern - und darum geht es - , daß hier nicht in einer Nacht- und Nebelaktion 435 t Kampfstoffe - nehmen wir einmal an, es sind nur 435 t Kampfstoffe - durch die Bundesrepublik transportiert werden. Das sind dann nach meinen Berechnungen 6 000 t Munition, und dafür braucht man - nach dem, was wir im Augenblick über die Container, die noch gar nicht zu Ende getestet sind, wissen - 18 000 Containerfüllungen. ({6}) Wer bildet sich denn eigentich ein, daß man dieses ohne die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch die Bundesrepublik einmal querdurch transportieren kann? Wir brauchen den öffentlichen Diskurs, die öffentliche Klärung der Frage, wie diese Transporte durchgeführt werden sollen. Das fordern wir. Wir fordern endlich eine verbindliche Erklärung darüber, wann, unter welchen Umständen und warum - nach unserer Auffassung ist das nämlich nicht erforderlich - überhaupt binäre Waffen in die Bundesrepublik zurückverbracht werden müssen. ({7}) Und - das sage ich noch einmal zu Herrn Francke - wir fordern Sie auf, daß Sie jetzt einmal eine politische Initiative ergreifen, damit parallel zu dem Abzug der unitären amerikanischen Waffen aus der Bundesrepublik auch in unserer osteuropäischen Nachbarschaft eine Initiative zum Abzug dieser Waffen dort durchgeführt wird. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fischer.

Dr. Michael Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000555, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz deutlich sagen: Der Abzug aller chemischen Waffen ist ein so bedeutender außenpolitischer Erfolg unserer Bundesregierung, den können Sie gar nicht schmälern, auch nicht durch fürchterliche Zwischenrufe und sonst etwas. Die alten Waffen kommen weg, und neue werden an ihrer Stelle in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelagert. Ich finde, das ist die denkbar beste Lösung. ({0}) Herr Erler, Ihre Interpretation der Erklärung von Tokio ist eine wirklich völlige Verdrehung der Tatsachen. Sie sollten etwas genauer lesen. ({1}) - Wir haben genügend Interpretationen und genügend Informationen bekommen und Sie eigentlich auch. ({2}) Wir wollen den Erfolg der Genfer Abrüstungsverhandlungen zur weltweiten Ächtung chemischer Waffen, und wir sind auf einem guten Wege. Ein Abzug war das Ziel, das wir erreichen wollten. Es hieß vor drei Jahren: Spätestens 1992 werden sie verschwunden sein. Ich bin sehr erfreut, daß wir davon ausgehen können, daß es möglicherweise schon Ende nächsten Jahres so sein wird. Vergessen wir doch eines nicht: Die Bundesrepublik Deutschland hat als bisher einziger Staat 1954 nicht nur auf die Herstellung atomarer und biologischer Waffen, sondern auch chemischer Waffen vertraglich verzichtet. Niemand kann Zweifel daran haben: Wir wollen, daß chemische Waffen aus dieser Welt verschwinden und auch in Zukunft nicht wieder produziert werden. Das ist unser politischer Wille. ({3}) Jetzt sage ich auch noch eines: Alle wissen, daß die Amerikaner seit 17 Jahren einseitig auf die Produktion chemischer Waffen verzichtet haben. Sie haben 17 Jahre lang eine einseitige Vorleistung erbracht, und dies ist wirklich nur sehr selten gewürdigt worden. Insofern ist die Rede von Schewardnadse vor dem Obersten Sowjet sehr interessant, der jetzt gesagt hat - ich zitiere nach dem Text von Radio Moskau - : „Diejenigen, die uns für die Neigung zu einseitigen Schritten kritisieren, sollten verstehen, daß es auch einseitige Handlungen anderer Art gegeben hat. 1969 haben die Amerikaner die Herstellung von C-Waffen eingestellt. Als Antwort" , sagt Schewardnadse, „haFrau Fischer ben wir noch zwei Jahrzehnte an dem chemischen Wall gebaut, ohne Rücksicht auf Milliardenverluste, auf Umweltschäden und auf Gefahren für die menschliche Gesundheit. Inzwischen ist die Einsicht gekommen. " Ich finde dieses Zitat höchst interessant. ({4}) Die Planungen zielen darauf ab, einen möglichst frühzeitigen Abzug zu erreichen. Frau Beer, Sie haben eben den Kollegen Francke der Lüge geziehen. ({5}) Ich muß sagen, ausweislich Ihrer Unterschrift in dem Protokoll, ausweislich Ihrer Wortmeldung im Unterausschuß und ausweislich Ihres Zwischenrufs eben zu den Containern ist ganz klar erwiesen, daß Sie in der Sitzung waren und daß Sie sehr wohl Informationen bekommen haben. Die Frage der Geheimhaltung hat die interministerielle Kommission schon stark beschäftigt. Ich muß nach dem, was ich heute morgen von einigen Leuten hier gehört habe, ganz deutlich erklären, daß ich in zunehmendem Maße Verständnis für die Fragen der Geheimhaltung und der Nichtverängstigung der Bevölkerung habe, ({6}) wenn ich mir vorstelle, welches Potential wir in einigen Wochen und Monaten möglicherweise auf die Straße bekämen, und zwar in ganz gezielter Art und Weise. ({7}) Es ist nicht nur eine Frage der Einsicht der gesamten Bevölkerung, sondern es ist die Frage einer Gefährdung, daß interessierte Gruppen in einer völligen Hektik und ganz emotionsgeladen Dinge in die Welt setzen. ({8}) Ich bin zum Schutz der Öffentlichkeit ({9}) und der Mitbürger für eine sehr eingeschränkte Informationspolitik. Man kann sie, wenn die Dinge weiter fortgeschritten sind, sicherlich erweitern. ({10}) Aber ich möchte nicht erleben - ich sage das als Mutter von mehreren Kindern - , daß eine Hysterie mit Wehgeschrei nach dem Motto aufgebaut wird: Rettet eure Kinder, bringt eure Kinder in Sicherheit, die Gifttransporte kommen! Ich finde es unverantwortlich, in dieser Art und Weise mit den Ängsten der Bevölkerung umzugehen. ({11}) Dieses von wirklich interessierter Seite möglicherweise geplante Horrorszenario möchte ich meinen Mitmenschen gerne ersparen. Ich würde mir wünschen, daß es möglich wird, daß Bundeskanzler Helmut Kohl eines Tages vor das Parlament tritt und sagen kann, daß die letzten Chemiewaffen den Boden der Bundesrepublik Deutschland verlassen haben. Damit wäre uns allen gedient. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätten wir einstimmig, Herr Erler, der Bundesregierung dafür danken sollen, daß dieses Teufelszeug, wie Sie es nennen, wegkommt. Unser gemeinsamer Kollege Penner hat als Mitglied der Bundesregierung von diesem Platz aus am 15. März 1981 namens der Bundesregierung, die bekanntlich von der SPD geführt wurde, wörtlich erklärt - ich zitiere - : Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die USA aufzufordern, ihre chemischen Waffen aus der Bundesrepublik abzuziehen. ({0}) Jetzt sagen Sie, Sie hätten schon ewig lange fürchterlich gekämpft, und die Bundesregierung sei nicht tätig geworden. Das Gegenteil ist richtig: Unser Kollege Dregger ist ein Jahr, nachdem wir die Bundesregierung übernommen haben, in Washington vorstellig geworden. ({1}) - Ich bin bereit, einen hohen Preis zu zahlen, wenn ich das Zeug loswerde, und Sie hoffentlich auch. ({2}) - Keine Zustimmung zu neuen chemischen Waffen; dies ist sachlich falsch. ({3}) - Herr Erler, wenn Sie einer offiziellen Erklärung der Bundesregierung nicht glauben, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Herr Wimmer hat soeben darauf hingewiesen. ({4}) - Darf ich jetzt bitte weiterreden? Es wäre mir sehr recht. ({5}) - Natürlich werden wir das Thema noch einmal aufgreifen. Wir werden über zwei oder drei Dinge zu reden haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Amerikaner von 1969 bis 1987 als Vorleistung einseitig auf die Produktion chemischer Waffen verzichtet haben. Ich finde es erstaunlich und erfreulich, daß der sowjetische Außenminister, Schewardnadse, öffentlich einräumt, daß das so ist und daß das eine gewaltige Vorleistung ist. Wie kommt es eigentlich, daß kein Mensch von der SPD oder gar von den GRÜNEN dies einmal hervorhebt? Schewardnadse ist dazu offenbar eher in der Lage und ist souveräner als die Redner heute morgen in dieser Debatte. ({6}) Ich kann darauf hinweisen - aber das ist alles bekannt - : Nachdem Nixon, Carter und Reagan die Russen immer wieder darum gebeten haben und sie aufgefordert haben, ihrem Beispiel zu folgen, haben die Amerikaner 1985 erklärt: Wenn ihr nicht endlich aufhört, dieses Zeug weiter mit Hochdruck zu produzieren, dann sehen wir uns gezwungen, ab 1987 selber zu produzieren. Darüber zerreißen wir uns hier den - es ist wahrscheinlich kein parlamentarischer Ausdruck - Schnabel, und die Russen haben gewaltige Vorräte. ({7}) - Das Zeug ist genauso giftig. ({8}) - Aber natürlich ist es abzurüsten. Ich möchte als letzten Punkt etwas zu der Geheimhaltung sagen. Wir haben doch alle einiges in der Bundesrepublik erlebt, was uns mit Recht, meine ich, vorsichtig macht. Stellen Sie sich einmal vor, es wird über das Fernsehen und über die Zeitungen bekanntgegeben, daß in irgendeinem Depot in RheinlandPfalz oder sonst irgendwo am nächsten Dienstag der Abtransport beginnt. ({9}) Glauben Sie denn nicht, daß dann Frau Beer mit ihren Anhängern da sein wird, die Ängste schüren wird, sagen wird: Schulen müssen geräumt werden, Krankenhäuser müssen geräumt werden. ({10}) Das ist doch ganz klar. So etwas haben wir doch alles erlebt. Dann wird die Gefährdung überhaupt erst einsetzen. Deshalb bin ich der Meinung, man muß das so diskret und so zügig wie möglich machen und dann hinterher, wenn das Zeug weg ist, alle Welt einladen und sagen: Bitte, schaut nach! ({11}) - Das Vertrauen wird von Ihnen zerstört. Die Bundesregierung - sie wird es nicht tun - kann sich auf den Kopf stellen, Frau Beer; Sie werden immer versuchen, Mißtrauen und Ängste zu schüren. Wir machen dieses Spiel nicht mit. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vorsitzender! In dieser Debatte ist mir zweimal vorgeworfen worden, ich würde Ergebnisse des Unterausschusses Abrüstung in meiner Rede verwenden und falsch darstellen. Die Konsequenz daraus war der Vorwurf der Lüge. Ich möchte hier richtigstellen, daß auch die Äußerung zu den Containern nicht aus der Unterausschußsitzung kommt, sondern auf einen Artikel der „International Herald Tribune" beruht, datiert vom 16. Oktober dieses Jahres, in dem durch ein Mitglied der US-Regierung angegeben wird, daß die Zeit für die Sicherheitsüberprüfung der Container verkürzt werden mußte, ({0}) daß der Zeitraum für die Sicherheitsstudie jetzt nur noch 30 Tage statt 18 Monate umfaßt und zu dem Ergebnis führt, daß die Ventile der Container und die Sensoren gegebenenfalls austretendes C-Waffen-Gas nicht sofort anzeigen, sondern erst nach einigen Minuten. Dieser Artikel ist die Grundlage für meine Äußerung und auch die Grundlage für zwei schriftliche Fragen bezüglich der Sicherheit der Bevölkerung, die der Bundesregierung bereits vorliegen. Ich bitte, derartige Unterstellungen in solchen Debatten zu lassen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes - Drucksache 11/5115 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) - Drucksache 11/5434 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Rönsch ({1}) Menzel b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/5435 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Schroeder ({3}) Nehm Frau Rust ({4}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Wir diskutieren heute noch einmal die 7. Novelle des Wohngeldgesetzes. Wir von der CDU/CSU-geführten Frau Rönsch ({0}) Bundesregierung werden konsequent die Politik der sozialen Sicherung des Wohnens fortsetzen. Besonders den Mietspitzenbelastungen trägt diese Novelle Rechnung. Sie garantiert die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen auch bei einkommensschwachen Bevölkerungskreisen. Das Mietenniveau steigt heute bekanntlich wieder um einiges stärker als noch vor zwei Jahren. ({1}) Damals, 1987, verzeichneten wir die geringste Mietsteigerungsrate seit Bestehen des Mietenindex. Ich meine, gerade das sollten sich die Sozialdemokraten einmal anhören. Vor zwei Jahren, unmittelbar nach der neuen Wohngeldgesetzgebung, ist die Miete seit Bestehen des Mietenindexes am niedrigsten gestiegen. Heute liegt diese Ziffer leider wieder bei 3,5 %; bei Neuabschlüssen liegen wir teilweise sogar darüber. Von dieser Tendenz sind - mehr als andere - die industriellen und Dienstleistungszentren erfaßt. Hier floriert die Wirtschaft überdurchschnittlich. Sie übt dadurch eine hohe Anziehungskraft auf immer mehr Menschen aus, und die dadurch entstehende Wohnungsverknappung merken wir überall. Sie schlägt sich in den Baulandpreisen, in den höheren Bauerstellungskosten und nicht zuletzt natürlich auch in den teureren Mieten nieder. Die Wirtschaftskraft steigt und zeigt sich ausgesprochen robust, und darüber freuen wir uns. Wir sind als Regierungsparteien mit unserer Freude zwar etwas allein - dafür haben wir Verständnis -, ({2}) aber wir werden die sozialen Flankierungen auch weiterhin bereitstellen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Opposition mit uns und mit den betroffenen Bürgern mitfreuen würde. ({3}) Mit der 7. Wohngeldnovelle führen wir eine zusätzliche sechste Wohngeldstufe für all die Gemeinden und Kreise ein, in denen das Mietenniveau für die Wohngeldempfänger um 25 % über dem Bundesdurchschnitt liegt. Insgesamt elf Kreise und Gemeinden werden hiervon erfaßt und in die Wohngeldstufe VI eingruppiert. Die Wohgeldempfänger selbst erfahren hierdurch eine spürbare Anhebung der Wohngeldleistungen um etwa 10 %. Doch wir haben es dabei nicht bewenden lassen. Nein, auch weitere 60 Gemeinden und Kreise der unteren Mietenstufe kommen in den Genuß einer Höhergruppierung. Ich betone deshalb nochmals: Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung garantiert die Fortentwicklung des Wohngeldes und die soziale Flankierung unseres Wirtschaftsaufschwungs. ({4}) Die 7. Wohngeldnovelle ist ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Politik. Wir haben die höheren Mieten damit jetzt flankiert und die Spitzenbelastungen gekappt. Meine Damen und Herren, wir wissen jedoch sehr wohl: Das Wohngeld regelt nicht alle Probleme der Wohnraumversorgung. Diese Novelle erreicht zwar immerhin 90 000 Haushalte, aber nicht alle Wohngeldempfänger. Was die Wohnungsversorgung insgesamt anlangt, haben wir in diesem Jahr verschiedene Beschlüsse gefaßt, die kurzfristig alle vorhandenen Reserven mobilisieren und mittelfristig zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beitragen sollen. Wir hatten ja bereits in der letzten Woche Gelegenheit, diese Beschlüsse hier zu diskutieren. Ich kann Ihnen versichern, meine Herren und Damen von der Opposition: Wir werden über all die Initiativen, die wir in Sachen Wohnungsbau ergriffen haben, mit Ihnen noch im nächsten Jahr hier verschiedentlich diskutieren. ({5}) Wir werden Ihnen auch immer wieder das Fehlverhalten der Neuen Heimat, das uns mit in diese Misere gebracht hat, deutlich vor Augen führen. ({6}) Ich will noch einmal auf das eine oder andere verweisen, was wir hier schon beschlossen haben, nämlich auf die Aufstockung der Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau von 750 Millionen DM 1988 auf 1,6 Milliarden DM 1990. Auf diesem hohen Niveau wollen wir die Förderungsmittel auch für die nächsten Jahre sicherstellen. ({7}) Hinweisen will ich auch nochmals auf das Kreditvolumen von 2 Milliarden DM, aus dem Zinserleichterungen für Sonderabschreibungen für die Schaffung neuer Wohnungen, 10 000 neue Studentenunterkünfte und der Dachgeschoßausbau im Bestand zu fördern sind. Die Gemeinden erhalten günstige Kredite, um neue Flächen für den Wohnungsbau zu erschließen und bereitzustellen. Und da appelliere ich wieder einmal an Sie, meine Herren und Damen von der Opposition: Fordern Sie Ihre sozialdemokratischen Bürgermeister auf, diese Gelder endlich zu gebrauchen und die entsprechenden Grundstücke zur Verfügung zu stellen! ({8}) Das alles sind Fakten. Aber Tatsache ist auch, daß wir hiermit auf dem Weg des Erfolgs sind. Denn die Bauwirtschaft ist ausgelastet, auch wenn heute noch 75 000 Bauarbeiter bei der Bundesanstalt für Arbeit als arbeitslos gemeldet sind. Die sollten sich so schnell wie möglich in den Arbeitsprozeß wieder eingliedern lassen. Die Baufirmen warten darauf. Sie haben freie Kapazitäten, und diese '75 000 Arbeiter werden dringend gebraucht. Die Anzahl der Bauanträge schnellt in die Höhe. Beim Geschoßwohnungsbau liegt ihre Zahl heute um 60 % über der des vergangenen Jahres. Dies alles sind Mietwohnungen, die in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen werden. ({9}) Frau Rönsch ({10}) - Die reichen mit Sicherheit nicht aus, Herr Kollege. ({11}) Aber wenn Sie die letzte Woche hier im Bundestag mit anwesend gewesen wären oder nur in etwa das verfolgen würden, was die Bundesregierung an neuen Maßnahmen beschlossen hat, ({12}) würden Sie sehen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Was nun die generelle Anhebung des Wohngelds anlangt, so stehen wir zwar nicht unter einem Zwang, sofort zu handeln. Die Entlastung durch die 7. Novelle, die ich soeben dargestellt habe, zeigt ja ihre Wirkung. Aber wir werden trotzdem im nächsten Jahr einiges zu beraten haben. ({13}) - Herr Kollege Menzel, Sie haben natürlich dem Ganzen wieder vorgegriffen, ({14}) ohne gesicherte Zahlen und Fakten zu haben. ({15}) Sie wollen noch nicht einmal den Wohngeld- und Mietenbericht, der ja für das nächste Frühjahr erwartet wird, abwarten, wie es zu Ihren Zeiten immer der Fall gewesen ist, sondern Sie wollen einfach ins Blaue hinein fordern, und dem werden wir uns nicht anschließen. ({16}) Wir warten den Wohngeld- und Mietenbericht im nächsten Frühjahr ab. Wir werden ihn analysieren und auswerten. Auf einer gesicherten Datenbasis, die dann vorliegt, werden wir beraten und auch über eine 8. Wohngeldnovelle diskutieren. Wir wollen auch nicht allzuviel Zeit verstreichen lassen, um nicht die Fehler zu wiederholen, die Sie in Ihrer Regierungszeit gemacht haben. Wir erhöhten zuletzt 1986 das Wohngeld für 2 Millionen Bezieherhaushalte. Im Durchschnitt stieg deren Wohngeldzahlung um über 12 % auf heute rund 145 DM monatlich. Das war eine großartige Verbesserung für die Empfänger: die Mieter- und die Eigentümerhaushalte. In dieser Wahlperiode sollten wir aber nicht hinter diesen Erfolgen zurückbleiben. Denn - und jetzt sehe ich einmal zur Regierungsbank - nach der heute verabschiedeten 7. Novelle wünsche ich mir und fordere ich die Bundesregierung nachhaltig auf, daß noch 1990 auf der Grundlage des Wohngeld- und Mietenberichts eine Wohngeldüberprüfung stattfindet und wir eine allgemeine Wohngeldanpassung vornehmen. ({17}) Es gibt hierfür gute Gründe. Trotz des steigenden Wirtschaftswachstums und trotz des zunehmenden Wohnungsangebots dürfte die Nachfrage noch stärker steigen - und damit leider auch die Mieten. Die Zeitabstände zwischen den Wohngeldanpassungen sollten nicht mehr als vier bis fünf Jahre betragen, denn das ist der übliche Zeittakt. Für die knapp 2 Millionen Wohngeldempfänger muß das Wohngeld weiterhin eine verläßliche Größe bleiben. Sie dürfen sich von der sonstigen hervorragenden Entwicklung in der Bundesrepublik nicht abgekoppelt fühlen. Ich bitte daher noch einmal mit aller Ernsthaftigkeit: Lassen Sie diese 8. Novelle 1990 wirksam werden! ({18}) Ich will aber einen weiteren Gedanken ausführen, Herr Kollege Conradi, und komme deshalb zur Pauschalierung. Wir haben im Ausschuß mehrere Jahre die Pauschalierung diskutiert. ({19}) Wir haben Anhörungen durchgeführt. Wir haben Praxistests durchgeführt. Die Praxistests sind als durchaus positiv bewertet worden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine Zwischenfrage von Herrn Conradi?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. Herr Präsident, Sie halten mir die Zeit an?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ja. - Bitte.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, vor einigen Jahren haben Sie im Plenum hier gesagt, binnen eines Jahres werde Ihre Regierung dieses Problem lösen, und Sie haben mir darüber eine Wette angeboten. Wann sind Sie bereit, Ihre Wettschulden einzulösen? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Im allgemeinen, Frau Abgeordnete Rönsch, sind solche Fragen natürlich nicht unbedingt ein unverzichtbarer Bestandteil einer Debatte. Aber privat solche Wetten abzuschließen, entzieht sich der Kontrolle des amtierenden Präsidenten. ({0}) Daher empfehle ich: Machen Sie das unten in der Cafeteria bei einer Tasse Kaffee. Und beteiligen Sie mich dann am Gewinn, ganz gleich, was für einer es ist. - Bitte sehr.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, herzlichen Dank. Aber ich gehe gern darauf ein. Es wird nicht eine Tasse Kaffee sein. Herr Conradi hat diese Flasche Sekt weidlich verdient. Ich bin auch gern bereit, sie zu bezahlen. Denn mir selber blutet genau wie Ihnen das Herz, daß wir noch nicht zur Pauschalierung gekommen sind. ({0}) Frau Rönsch ({1}) Aber ich werde Ihnen auch gleich sagen, warum wir sie mit der 7. Novelle nicht in Kraft treten lassen wollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kansy?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber bitte. ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Rönsch, der letzte Satz der Antwort an Herrn Conradi läßt mich vermuten - so frage ich - , daß Sie auf die etwas überraschenden Ausführungen des Vertreters des Deutschen Landkreis- und Städtetages in der letzten Ausschußsitzung eingehen. Wenn das so ist und Sie durch Nicken ja sagen, dann brauche ich meine Frage nicht zu stellen. ({0})

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kansy, ich komme gleich darauf. Denn es war ja etwas verwirrend, zu erleben, daß ein Vertreter des Deutschen Landkreistages in der letzten Ausschußsitzung zu völlig anderen Auswertungen kam als sein Hauptverband in dessen schriftlichen Stellungnahmen. ({0}) - Herr Dr. Möller, das ist eigentlich die Stelle, an der ich Sie lobend erwähnen wollte; denn unser Ausschußvorsitzender hat unmittelbar reagiert und an den Deutschen Städtetag geschrieben. Der hat genauso schnell geantwortet. Herr Präsident, wenn Sie genehmigen, möchte ich gern aus diesem Antwortschreiben zitieren: Der Deutsche Städtetag bejaht nach wie vor grundsätzlich eine Pauschalierung des Wohngeldes für Sozialhilfeempfänger unter den Voraussetzungen, daß insbesondere die Verfassungsmäßigkeit und die Kostenneutralität einer solchen Regelung gesichert sind. Der Deutsche Städtetag würde es begrüßen, wenn die Pauschalierungsregelung noch in die im Gesetzgebungsverfahren befindliche 7. Wohngeldnovelle ... aufgenommen werden könnte. Dem ersten Absatz dieses Schreibens kann ich zustimmen, dem zweiten Absatz allerdings nicht mehr; denn wir wissen aus der Erfahrung, daß die Wohnungsämter der Kommunen eine Vorlaufzeit von mindestens einem Vierteljahr brauchen, um die Pauschalierung wirkungsvoll in Kraft treten zu lassen. ({1}) Ich schlage deshalb vor, daß wir 1990 über eine 8. Wohngeldnovelle diskutieren. Ich fordere die Bundesregierung eindringlich auf, die Pauschalierung dann zum 1. Januar 1991 umzusetzen. Ich weiß - ich bedanke mich ausdrücklich bei den führenden Beamten in Ihrem Hause - , daß sie die Pauschalierungsregelung vorbereitet in der Schublade liegen hat. Ich sehe deshalb keine Hindernisse mehr, warum diese Pauschalierung nicht zum 1. Januar 1991 in Kraft treten könnte. Wenn wir 1990 über die 8. Wohngeldnovelle diskutieren und den Ämtern einen entsprechenden Vorlauf geben, damit sie sich umstellen können, haben wir, meine ich, für die Wohngeldempfänger das Richtige getan. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rahmen des Flickenteppichs, den die Bundesregierung auf dem Sektor des Wohnungsbaus und der Mietenpolitik seit 1982 strickt, haben wir heute zu entscheiden über die Einführung der sechsten Mietenstufe für Gebiete, deren durchschnittliche Miete mindestens 25 % über dem Bundesdurchschnitt liegt, und Höherstufungen von Gemeinden und Landkreisen infolge ihres überdurchschnittlichen Mietanstiegs. Ich will an dieser Stelle schon sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion wird genau wie im Ausschuß auch hier dieser Vorlage zustimmen. Darüber, daß aus raumordnungspolitischer Sicht die Einführung einer sechsten Mietenstufe nicht wünschenswert ist, waren sich bei der Beratung der 6. Novelle 1985 übrigens alle Fraktionen einig. Diejenigen, die das vergessen haben, mögen einmal das Ausschußprotokoll vom 22. Mai 1985 und die Ausführungen des Kollegen Grünbeck zu dieser Frage nachlesen. Wir stimmen der sechsten Wohngeldstufe im Interesse der Mieter in diesen Regionen dennoch zu. Die Wohnungs- und Mietensituation in diesen Regionen hat sich seit 1985 derart dramatisch verschlechtert, daß es einem Normalverdiener kaum noch möglich ist, eine familiengerechte Wohnung zu bezahlen. ({0}) Wir halten die Notsituation der Mieter für wichtiger als raumordnungspolitische Einwände. ({1}) - Auch in meiner Stadt stehen keine Wohnungen leer. Aber dank sozialdemokratischer Politik ist die Wohnungsnot dort nicht so gravierend wie in München. ({2}) Die Mietentwicklung von 1985 bis heute ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Koalition. Glauben Sie nicht, daß Sie nun mit diesem Pflästerchen, das Sie mit der 7. Novelle anbieten, die Probleme in den Ballungsräumen, für die Sie eine Wohngeldverbesserung anbieten, auch nur annähernd gelöst hätten. Sie erhöhen das Wohngeld in ca. 60 Gemeinden und Landkreisen. Der Betrag macht ungefähr 0,5 % dessen aus, was Sie insgesamt für Wohngeld ausgeben. Entscheidend ist, daß die große Masse der Wohn12962 geldempfänger leer ausgeht, obwohl die Mieten in den letzten Jahren von Konstanz bis Flensburg und von Saarbrücken bis Kassel an der Spitze der Preissteigerung stehen und in den letzten Monaten geradezu galoppieren. Seit 1986 sind die Mieten zweieinhalbmal so schnell wie die übrigen Preise gestiegen. Dabei wissen Sie genauso gut wie ich, daß der Mietindex die tatsächliche Entwicklung schönt. Seit einiger Zeit sind die Mietsteigerungen bei Neuvermietungen zweistellig, Herr Kansy. Gehen Sie einmal in die Gemeinden, und reden Sie mit den Leuten. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das Problem, das Sie durch Ihre Politik heraufbeschworen haben, liegt darin, daß Sie zuwenig preisgünstige Wohnungen, erschwingliche Wohnungen für die breite Bevölkerung gebaut haben und daß Sie den Mieterschutz so verwässert haben. ({3}) - Verwässert. - Da Sie von der Neuen Heimat sprachen: Wenn die 300 000 Wohnungen, die die Neue Heimat gebaut hat, heute nicht vorhanden wären, wäre die Situation weitaus katastrophaler. ({4}) Das Problem, vor dem wir heute auf dem Wohnungssektor stehen, läßt sich nur lösen, indem Sie zu einer vernünftigen, kontinuierlichen und stetigen Wohnungsbau- und Mietenpolitik zurückkehren. ({5}) Sie haben als die von Ihnen so oft verschrieene Erblast 1982 einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt vorgefunden. In nur wenigen Jahren haben Sie diese kostbare Erbschaft verwirtschaftet; dafür tragen Sie die Verantwortung. ({6}) Heute versuchen Sie, die gestiegenen Aus- und Übersiedlerzahlen für die jetzige in manchen Regionen katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt verantwortlich zu machen. ({7}) Herr Kansy, die Ursache dafür liegt in erster Linie in Ihrer verfehlten Politik. ({8}) Das läßt sich mit wenigen Zahlen nachweisen: 1982 wurden rund 347 000 Wohnungen fertiggestellt, darunter 53 400 sozial geförderte Mietwohnungen. 1987 - da trugen Sie die Verantwortung - lag die Zahl der Fertigstellungen lediglich bei 217 000 Wohnungen, und 1988 erfolgte ein weiterer Rückgang auf 208 000. ({9}) Mit anderen Worten: 1987 wurden durch Ihre Politik rund 130 000 Wohnungen weniger gebaut als zu Zeiten der sozialliberalen Koalition. 1988 lag dieses Minus sogar bei 140 000 Wohnungen. Schon diese Zahlen zeigen, daß der Aussiedlerstrom für die Situation, die heute auf dem Wohnungsmarkt besteht, nicht in erster Linie ausschlaggebend ist. Ausschlaggebend ist der Rückgang des Wohnungsbaus, seitdem Sie Regierungsverantwortung tragen. ({10}) Neben diesen erschütternden Zahlen ist, da von der jetzigen Situation besonders die sozial schwachen Schichten betroffen sind, die Auswirkung Ihrer Politik auf dem Sektor des sozialen Mietwohnungsbaus von großer Bedeutung. 1982 wurden rund 100 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau gefördert, darunter 53 000 Mietwohnungen. Bis 1988 ist diese Zahl auf 42 000 insgesamt geförderte Wohnungen zurückgegangen, darunter lediglich ganze 10 000 Mietwohnungen. Das ist die Ursache der jetzigen Wohnungssituation. ({11}) Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben diese Politik, ich betone ausdrücklich: aus ideologischen Gründen betrieben. ({12}) Nun sollten Sie auch den Mut haben, zu den Folgen Ihrer Politik zu stehen. Hören Sie doch endlich auf, den Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz für Ihren Rückzug aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus verantwortlich zu machen. Der Ausstieg war allein Ihre Entscheidung, die Entscheidung dieser Regierung. ({13}) Weg von der Objektförderung, der Markt wird es schon richten, und soziale Härten gleichen wir durch Wohngeld aus! Das war doch die Parole, mit der Sie 1982 die Regierung übernommen haben. Die Konsequenz bekommen die Wohnungssuchenden heute zu spüren. Wo bleibt Ihre Konsequenz, die notwendige Wohngelderhöhung für alle Schichten? Sie stehen heute vor dem Scherbenhaufen Ihrer Politik. Gehen Sie doch einmal zu den Wohnungsämtern und erklären Sie den Menschen, die dort wegen Wohnungen Schlange stehen, daß die jetzige Situation das Ergebnis Ihrer bewußt betriebenen Politik ist. Haben Sie doch den Mut, Verantwortung für das zu übernehmen, was Sie auf dem Wohnungs- und Mietensektor angerichtet haben. Da Sie den Ernst der Situation und ihre Ursache anscheinend noch nicht begriffen haben, will ich Ihnen das noch an ein paar nackten Zahlen darstellen: 1984 stieg die Zahl der Nettozugänge bei Wohnungen um 330 000. - Vielleicht notieren Sie sich diese Zahl, Herr Kansy. - Der Anstieg der Zahl der privaten Haushalte lag damals bei 270 000. Dank der vorsorglichen Wohnungspolitik sozialdemokratischer WohMenzel nungsbauminister - die wirkte sich damals nämlich aus - stieg die Zahl der Nettozugänge bei Wohnungen stärker als die Zahl der privaten Haushalte. 1985, als Ihre Politik wirksam wurde, begann sich ein anderes Bild abzuzeichnen. Die Zahl der Nettozugänge bei Wohnungen lag lediglich bei 240 000, während die Zahl der privaten Haushalte um 300 000 stieg. Das hat sich bis 1988 fortentwickelt und entwikkelt sich auch heute noch weiter. Das ist Ursache Ihrer Politik. Die Alarmglocken hätten bei Ihnen schon 1986 schellen müssen, ({14}) aber damals haben Sie unsere Anträge auf Fortführung des sozialen Mietwohnungsbaus abgelehnt. ({15}) Sie haben bei der Regierungsübernahme 1982 einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt vorgefunden. Hätten Sie die erfolgreiche Wohnungsbaupolitik der sozialdemokratischen Wohnungsbauminister fortgesetzt, und wären Sie bei den Fertigstellungszahlen von Anfang der 80er Jahre geblieben, dann wären bis heute zirka 2 Millionen Wohnungen netto errichtet worden. Die Zahl der privaten Haushalte in dieser Zeit ist unter Einschluß der Aus- und Übersiedler um die gleiche Zahl gestiegen. Sie hätten heute also einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt, und die Leute bräuchten wegen Wohnungen nicht Schlange zu stehen. Es ist doch erschütternd, wenn die Bundesregierung - an der Spitze der Bundeskanzler - nun erklärt, daß man dabei sei, alles zu prüfen. Wir brauchen keine Prüfung. Wir brauchen ein Wohnungsbauprogramm, mit dem den Menschen ganz schnell geholfen wird. ({16}) - Da Sie Herrn Rau ansprechen, notieren Sie sich bitte die folgenden Zahlen - ich wußte ja, daß Nordrhein-Westfalen kommt - : ({17}) In den ersten acht Monaten dieses Jahres ({18}) - Herr Kansy, hören Sie zu; berichten Sie Ihrem Ministerpräsidenten - wurden in Nordrhein-Westfalen 44,6 % mehr Baugenehmigungen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres erteilt. Bei den Fertigstellungen gab es ein Plus von 8,1 %. Nun hören Sie gut zu, denn ich nenne die Vergleichszahlen des Bundesgebietes: In den ersten sieben Monaten dieses Jahres war die Zahl der Baugenehmigungen um 24,7 %, also ungefähr um die Hälfte höher als in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der Fertigstellungen war um 1,4 % höher; in Nordrhein-Westfalen beträgt diese Rate 8,1 %. Nun können Sie sich ein Bild machen, und Sie können sich einmal fragen, wo Sie in den von Ihnen regierten Ländern stehen. Da genügt es nicht, soziale Pflästerchen wie den Gesetzentwurf, den wir heute alle gemeinsam verabschieden werden, auf den Tisch des Hauses zu legen. ({19})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege Menzel, würden Sie, falls die Zahlen der Baugenehmigungen, die ich nicht überprüfen kann - aber ich unterstelle, daß Sie hier die Wahrheit sagen -, für dieses Jahr, bezogen auf Nordrhein-Westfalen, stimmen sollten, freundlicherweise bestätigen, daß die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen zwischen 1982 und 1986 von ursprünglich rund 1,7 Milliarden DM auf 0,6 Milliarden DM zurückgenommen wurden?

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist richtig, daß die Ansätze in Nordrhein-Westfalen zurückgenommen wurden. Bloß, als wir erkannten, daß der Nettozuwachs an Wohnungen zu gering wurde, haben wir das Ruder rechtzeitig wieder herumgeworfen, und das haben Sie versäumt. Da genügt es eben nicht, soziale Pflästerchen, wie der Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam verabschieden werden, es ist, auf den Tisch des Hauses zu legen. Um den Menschen im ganzen Lande weiter das Bewohnen einer familiengerechten Wohnung zu tragbaren Bedingungen möglich zu machen, genügt nicht ein Gesetz zur Wohngelderhöhung in Ballungsräumen. Dazu ist erforderlich, daß das Wohngeld im ganzen Lande den veränderten Bedingungen angepaßt wird. Dazu liegt unser Antrag mit dem Ziel der Anpassung der Einkommensgrenzen und der Miethöchstgrenze um 10 % und weiteren Verbesserungen auf dem Tisch. Wir sind der Auffassung, daß auch diese Novelle so schnell wie möglich in Kraft treten sollte. Den Zeitraum Mitte nächsten Jahres halten wir durchaus für realistisch. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann helfen Sie den Menschen draußen im Lande, ihre Mieten zu bezahlen und familiengerechte Wohnungen zu bewohnen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Menzel, ich habe die Frage, zu welchem Antrag Sie hier sprechen.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich spreche über die Zusammenhänge, die zu der Situation im Mietensektor führen. Es ist ja eine geschichtliche Erkenntnis, Herr Hitschler: Wenn zu wenige Wohnungen vorhanden sind, steigen die Mieten. Diese Erkenntnis haben die Leute drau12964 ßen im Lande heute wieder. Diese Erkenntnis wird heute wieder bestätigt. ({0}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich kann es Ihnen nicht ersparen, ein weiteres Kapitel anzusprechen, aus dem Ihre wankelmütige Haltung, Ihre Herumeierei und Ihre Inkonsequenz ersichtlich wird. Es ist die Behandlung, nein, es ist die Ablehnung unseres Antrages, das Wohngeld für Sozialhilfeempfänger und Kriegsoperfürsorgebezieher zu pauschalisieren und damit den Menschen unnötige Wege und der Verwaltung einen teuren Verwaltungsvorgang zu ersparen. Ihr Verhalten ist zudem deswegen so bedrückend, weil es auch das Selbstverständnis dieses Hauses berührt. Im Dezember 1982, dann im März 1984, abermals im Juli 1985 und zuletzt am 9. Juni 1988 hat dieses Haus auf Empfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau durch Beschluß die Bundesregierung aufgefordert, eine vereinfachte Wohngeldregelung für Sozialhilfeempfänger und Bezieher von Kriegsopferfürsorgeleistungen vorzulegen. Im Juni 1985 hat sie das noch mit einer Fristauflage getan. Die Regierung hat die Empfehlungen dieses Hauses, die, soweit ich es in Erinnerung habe, einstimmig gefaßt wurden, ignoriert. Sie, Frau Rönsch, als Sprecherin Ihrer Fraktion in diesen Fragen, waren noch 1985 davon überzeugt, daß die Regierung einen solchen Beschluß des Parlaments, der ja mit der Zustimmung auch Ihrer Fraktion gefaßt worden ist, ernst nehmen und befolgen würde. Denn Sie haben am 12. Juni 1985 im zuständigen Ausschuß erklärt, daß die Regierung in der Lage sei, binnen Jahresfrist die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auch durch Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes zu prüfen und einen Lösungsvorschlag vorzulegen. Ich erinnere daran: Heute schreiben wir den 27. Oktober 1989. Ich weiß nicht, woher Sie den Mut nehmen - Frau Rönsch ist leider nicht mehr hier -, heute von der Regierung, eine andere Haltung zu erwarten als die, die die Regierung immer an den Tag gelegt hat. Da die Regierung durch Nichtbeachtung des von allen Fraktionen getragenen Beschlusses das Parlament brüskiert, haben wir Sozialdemokraten einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt, den Sie abgelehnt haben. Sie sind also nicht bereit - das stelle ich hier vor diesem Hause fest - , den Weg der Verwaltungsvereinfachung, der den Betroffenen Hilfe bringt und zu Einsparungen von 50 bis 60 Millionen DM Verwaltungskosten führt und letztlich weiter nichts ist als die Erfüllung dessen, was wir alle gemeinsam über Jahre hinweg von der Regierung gefordert haben, zu gehen. Sie sind also nicht bereit, die Konsequenz aus diesen Beschlüssen zu ziehen. ({1}) Reden Sie sich nicht heraus mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit. Ich sage Ihnen: Wir werden uns alle gemeinsam ernsthaft mit dem Verhalten der Verbände auseinandersetzen müssen. ({2}) Es geht nicht an, daß uns die Verbände über Jahre auffordern, Vorschläge machen und dann, wenn es darauf ankommt, ein Hintertürchen oder weiß der Kuckuck was, was sehr stark von den Interessen eines einzelnen geprägt zu sein scheint, öffnen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir werden Sie aus dieser Verantwortung nicht herauslassen. Wir werden Ihnen erneut Gelegenheit geben, sich der Frage der Pauschalisierung zu stellen, und zwar nicht erst im nächsten Jahr, sondern in ganz kurzer Zeit. Ob Sie sich als Fraktion draußen lächerlich oder unglaubwürdig machen, ist eine Seite der Medaille; ob der Ruf des ganzen Hauses durch Ihr Verhalten in Mißkredit gezogen wird, ist die andere. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht herauslassen. Recht schönen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hitschler. ({0})

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich möchte mich zunächst vergewissern, daß ich zum Tagesordnungspunkt Siebte Wohngeldnovelle sprechen soll. Ist das richtig?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Dieser ist aufgerufen.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Denn ich hatte den Eindruck, daß mein Vorredner zu diesem Thema hier herzlich wenig gesagt hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Drucksache 11/5115 legt die Bundesregierung heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf zur endgültigen Beschlußfassung vor, der auf eine Koalitionsvereinbarung vom März dieses Jahres zurückgeht und der inhaltlich einen ganz kleinen Teil eines großen Maßnahmenbündels zur Verbesserung der Wohnsituation darstellt. Es handelt sich dabei, Herr Kollege Menzel, eben nicht um einen Flickenteppich. ({0}) Diesen überlassen wir den Ausstattern Ihrer sozialistischen Schlichtwohnungen. Wir betrachten hier nur eine wirklich keine Arabeske eines echten Persers. ({1}) Damit wird heute von den Koalitionsfraktionen und der von ihnen getragenen Regierung ganz nachhaltig Handlungsfähigkeit und Tatkraft gezeigt. An einer solchen Bewertung kann niemand vorbei, wenn bedacht wird, daß zwischen Koalitionsbeschluß und endgültiger gesetzlicher Verabschiedung bei intensiDr. Hitschler ver Beratung im Ausschuß gerade sieben Monate vergangen sind. Die Siebte Wohngeldnovelle führt im wesentlichen eine sechste Mietenstufe für solche Gemeinden ein, in denen das örtliche Mietniveau um mindestens 25 über dem Bundesdurchschnitt liegt. Damit wird die soziale Treffsicherheit des Wohngeldes erhöht, da das Wohngeld in Gemeinden und Kreisen mit besonders hohem Mietniveau und überdurchschnittlichen Mieterhöhungen nunmehr auf Grund einer auf diesem Gesetz basierenden Rechtsverordnung per 1. Januar 1990 angehoben werden kann, eine Rechtsverordnung, die im übrigen bereits fertig auf dem Tisch liegt. Immerhin werden ca. 90 000 Wohngeldempfänger in über 60 Gemeinden davon profitieren können; das sind rund 5 % aller Wohngeldbezieher. Bisher befanden sich rund 15 % aller Wohngeldbezieher in der fünften Mietenstufe. Das Erhöhungsvolumen fällt bei Gesamtausgaben von fast 4 Milliarden DM für das Wohngeld allerdings mit 20 Millionen DM nicht ins Gewicht. Bedenkt man jedoch, daß erst bei der sechsten Novelle die Zahl der Mietenstufen von drei auf fünf, jetzt mit der siebten Novelle auf sechs erhöht wird, dann wird deutlich, daß der Koalition daran gelegen ist, dieses Instrument stärker auszudifferenzieren und gerechter zu machen. Daran werden wir uns auch bei der nächsten Wohngeldanpassung orientieren, die wir dann vornehmen werden, wenn die Miet- und Einkommensverhältnisse dies erforderlich machen. Die FDP ist eine wohngeldfreundliche Partei, Herr Kollege Conradi; das sollten Sie sich einmal merken. Deshalb halten wir es für richtig, diese Korrektur bereits jetzt durchzuführen und nicht bis zur nächsten regulären Anpassung zu warten. ({2}) Mit der Einführung der sechsten Mietenstufe beim Wohngeld wird die Zahl der Höchstbetragsüberschreiter verringert werden können. Immerhin befinden sich unter den rund 1,9 Millionen Wohngeldbeziehern fast ein Drittel Sozialhilfeempfänger, rund zwei Drittel Erwerbslose und über 700 000 Rentner. Deshalb darf man eine Wohngeldanhebung von monatlich etwa 20 DM nicht geringschätzen, denn gerade bei Beziehern niedriger Einkommen wirken sich drastische Mieterhöhungen in Ballungsgebieten besonders nachteilig auf das verfügbare Einkommen aus. Einer Lösung eines pauschalierten Verfahrens der Wohngeldzahlung an Sozialhilfeempfänger, wie sie seit langem gefordert und auch versprochen worden war, konnten wir uns letztlich nicht anschließen, da eine Anhörung im Ergebnis die Vermutung aufkommen ließ, daß das Pauschalverfahren im Einzelfall gewisse Benachteiligungen zur Folge haben könnte. Wenn wir uns einerseits alle gemeinsam dafür einsetzen, daß die Bagatellgrenze für die Wohlgeldgewährung von 20 DM auf 5 DM abgesenkt wird, dann ist es andererseits schwerlich vertretbar, Ungerechtigkeiten in einem Pauschalverfahren zu akzeptieren, zumal selbiges mit nicht unerheblichen Mehrkosten für den Bund verknüpft wäre und von Kostenneutralität in der Tat keine Rede sein kann. Die Siebte Wohngeldnovelle ist ein Schritt, ein kleiner Schritt, zur strukturellen Verbesserung des Wohngeldgesetzes. Wir bitten Sie, mit uns dem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich muß meinen Beitrag leider wieder mit einer Richtigstellung beginnen, mit einer Klarstellung zu Pressemeldungen bezüglich der Senkung der sogenannten Bagatellgrenze, über die der Ausschuß in der letzten Woche befunden hat. Die GRÜNEN hatten den Antrag gestellt, daß Wohngeld auch unterhalb der Höhe von 20 DM künftig ausgezahlt wird, daß die sogenannte Bagatellgrenze auf 5 DM gesenkt wird. Einige Medien haben das dann so dargestellt, daß das jetzt schon so gelten soll. Das ist leider nicht der Fall. Es wurde abgelehnt, das schon im Rahmen dieser Gesetzesnovelle so zu verabschieden. ({0}) - Die Absicht ist eindeutig erklärt worden. Im Bericht des Ausschusses ist meines Erachtens allerdings die Begründung falsch dargestellt. Zunächst wurde von der Bundesregierung als Begründung angegeben - so steht es auch hier - , dann müßten die Tabellen geändert werden, und das Gesetz könnte nicht rechtzeitig in Kraft treten. Daraufhin hat der Kollege Menzel dann zu Recht festgestellt, das sei wohl ein bißchen verkehrt, an den Berechnungstabellen müßte man nicht unbedingt gleich etwas ändern, die blieben ja wohl. Dann hat der Staatssekretär Echternach eine Information nachgeschoben, welches finanzielle Volumen diese Senkung der sogenannten Bagatellgrenze bedeuten würde, und diese Information steht jetzt nicht im Bericht. Herr Echternach hatte gesagt, es handele sich um 30 Millionen DM, die dann zusätzlich ausgezahlt werden müßten. Jetzt gibt es zwei mögliche Erklärungen dafür, warum das hier nicht drinsteht. Entweder es ist nicht so viel, Sie haben das möglicherweise vorgeschoben, um den Ausschuß noch in der letzten Sekunde daran zu hindern, das jetzt schon so zu beschließen. Oder es ist tatsächlich so viel, und Sie schämen sich. Sie müßten sich zu Recht schämen. Denn es sind 30 Millionen, auf die Menschen einen Anspruch haben ({1}) und die den Menschen nach wie vor auf unabsehbare Zeit entzogen werden; sie haben ein Recht darauf. Herr Dr. Hitschler, Sie haben eben selber festgestellt, daß die Wohngeldbezieher zu den Einkommensgruppen gehören, die nicht gerade gutgestellt sind. Wir Abgeordneten, die wir jeden Monat 14 000 Mark einstreichen, können leicht von Bagatellen sprechen, je nachdem, ob jemand 10 oder 20 Mark kriegt. Sie ha12966 ben aber gesagt - ich habe es deutlich vermerkt -, es geht darum, daß 20 Mark auch sehr viel sein können, gerade bei den Wohngeldbeziehern. Deswegen finde ich es um so erschreckender und empfinde es als eine wirkliche soziale Härte, daß wir das hier nicht mit hineinschreiben konnten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr, Herr Kollege Hitschler, zu einer Zusatzfrage.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Tatsache, daß wir im Ausschuß diese Bagatellgrenze jetzt in der Siebenten Novelle nicht absegnen konnten, darauf zurückzuführen ist, daß die Wohngeldtabellen zwar nicht geändert werden müssen, sondern in dem Bereich unterhalb von 20 DM noch gar nicht vorhanden sind und erst erstellt werden müssen? ({0})

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Ja nun, wir haben noch zweieinhalb Monate Zeit. Wir haben eine ausgezeichnete Entwicklung der Datenverarbeitung. Ich denke, wenn der politische Wille da wäre, das jetzt noch so in Kraft zu setzen, dann hätte man das auch bewerkstelligen können. ({0}) Ich denke, Sie haben das nicht gewollt, weil Ihnen das zu teuer ist. ({1}) Wir haben mitgestimmt, damit man das dann wenigstens im nächsten Jahr machen kann. Ich möchte noch etwas richtigstellen, was hier unseres Erachtens immer verkehrt dargestellt wird, wenn über Wohngeld gesprochen wird. Es wird auf der einen Seite immer auf die durchschnittliche Einkommensentwicklung hingewiesen und gesagt, die sei ja wunderbar, wir hätten eine gute Konjunktur - und die Regierung hält sich darauf viel zugute - , und im Vergleich zu der durchschnittlichen Einkommensentwicklung sei ja nun die Mietenentwicklung eine wirklich zu vernachlässigende Größe. Dazu möchte ich ganz deutlich sagen, das ist insofern irreführend, als die Einkommensentwicklung natürlich nicht generell und für alle gleichmäßig positiv verläuft. Die Einkommensentwicklung bei den Gutverdienenden, bei den höheren Angestellten, auch das Einkommen aus Kapitalvermögen wächst überproportional. Aber die Wohngeldbezieher und -bezieherinnen sind zum Teil Leute, die gerade an der Armutsgrenze sind. Das sind Erwerbslose, wo das Einkommen stagniert, das sind Rentnerinnen und Rentner. Da ist die Einkommensentwicklung eine ganz andere. Insofern ist es eine Irreführung bzw. eine Täuschung - wie man will -, wenn man das immer so in Beziehung zur Mietenentwicklung setzt. ({2}) Ein Letztes noch, was mich sehr geärgert hat und was ich richtigstellen will. Es wird immer gesagt - auch Frau Rönsch hat das wieder gesagt - , die Wohngeldzahlung sei eine erfolgreiche soziale Flankierung der Wohnungspolitik für die Bedürftigen. Wir stellen aber fest, daß es eigentlich eine Zumutung ist, auf welche Weise sich die Berechtigten diese Ansprüche erkämpfen müssen, daß sie also unheimlich viel an Einkommensverhältnissen offenlegen müssen - ({3}) - Sie sagen, daß ist nicht mehr als recht. Herr Dr. Hitschler hat sich aber letzte Woche im Zusammenhang damit zu dem Zwischenruf verstiegen - ich zitiere aus dem Protokoll vom letzten Freitag - : Soll das auf dem Silbertablett ins Haus gebracht werden? Das ist genau die Haltung, die die Leute, die berechtigt sind, daran hindert, sich das Geld abzuholen, auf das sie Anspruch haben. Diese Haltung unterstellt eben die sogenannte „Hängemattenmentalität", die „Sozialanspruchshaltung", daß die Leute denken, sie holten sich da ein Almosen ab, und daß sie nicht in der Haltung hingehen: Wir haben ein Recht darauf, dieses Geld zu bekommen. Deswegen möchte ich solche Aussagen und solche Sprüche hier ganz scharf zurückweisen. Die Menschen haben ein Recht darauf. ({4}) Ich meine auch die vielen, die sich aus Scheu nicht getraut haben, das in Anspruch zu nehmen. Es gehören auch viele Ausländerinnen und Ausländer dazu, die gar nicht wissen, daß es dieses Instrument gibt. Wir können diese Menschen nur auffordern, sich dieses Instruments zu bedienen und da zuzugreifen. Wir hoffen sehr, daß die 30 Millionen, die den Menschen zustehen, spätestens nächstes Jahr endlich auch bewilligt werden, also daß die sogenannte Bagatellgrenze endlich wirklich herabgesetzt wird. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Echternach.

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Menzel, Sie haben wenig zum Wohngeld gesagt ({0}) und zu einem großen wohnungspolitischen Rundum- schlag ausgeholt. Das ist Ihr gutes Recht. Gestatten Sie deshalb auch mir, unsere Maßnahmen zum Wohngeld in den größeren politischen Zusammenhang, in die Grundlinien unserer Wohnungspolitik einzuordnen. Ich hoffe, daß wir uns wenigstens in der Ausgangsfeststellung einig sind, daß wir vor allem mehr Wohnungen brauchen. Dies ist aber nur zu schaffen, wenn auch die privaten Investoren alle Kräfte mobilisieren. Deshalb müssen die Bedingungen für langfristige Investitionen verläßlich sein. Entscheidend dafür sind das Mietrecht und das Steuerrecht. Die Bundesregierung hält daran fest, daß das geltende soziale Mietrecht einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern ermöglicht. Im Steuerrecht haben wir durch die verbesserten steuerlichen Abschreibungen für den Wohnungsbau inzwischen gleich gute Bedingungen geschaffen wie auch für andere Bereiche der Wirtschaft. Ein Schwergewicht der Wohnungspolitik liegt in der sozialen Absicherung. Ein Eckpfeiler dieser Absicherung ist das Wohngeld. Das Wohngeld ist fester Bestandteil der Wohnungspolitik dieser Regierungskoalition. Deshalb haben wir die Wohngeldleistungen im Jahre 1986 erheblich aufgestockt, nämlich um rund 1 Milliarde DM. Zum Wesen des Wohngeldsystems gehört es, daß es von Zeit zu Zeit der Entwicklung der Mieten und Preise angepaßt werden muß. Die Entscheidung über Zeitpunkt und Umfang werden wir auf der Grundlage des Wohngeld- und Mietenberichtes treffen. Dieser Bericht wird gerade erarbeitet und soll im Dezember dem Hause vorliegen. Ein zweiter Bereich der sozialen Absicherung ist der soziale Wohnungsbau. Allerdings wissen wir, daß die Aufgaben in diesem Bereich nicht allein durch Bund und Länder zu lösen sind, sondern daß dabei auch Städte und Gemeinden gefordert sind. Nun haben Sie, Herr Kollege Menzel, hier wieder eine Reihe von Legenden aufgewärmt. ({1}) - Sie haben hier die Legende aufgestellt, die Wohnungsmarktprobleme seien dadurch entstanden, daß sich der Bund nach dem Regierungswechsel aus dem sozialen Wohnungsbau zurckgezogen habe - und das auch aus ideologischen Gründen. Sie wissen genau, daß das falsch ist. Sie wissen, daß wir unmittelbar nach dem Regierungswechsel sogar mit einem Sofortprogramm auf das reagiert haben, was damals, 1981/82, die Presse „neue Wohnungsnot" genannt hatte. Wir haben damals die Wohnungsbauleistungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau sogar ausgeweitet. ({2}) - Wir haben sie nicht auf null gestellt. Gucken Sie in die Haushaltspläne. ({3}) - Wenn Sie ernsthaft behaupten, daß die Rückführung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau um rund 1 Milliarde DM dafür verantwortlich sei, daß die Fertigstellungszahlen um rund 200 000 Einheiten auf den Tiefststand im Jahre 1988 heruntergegangen seien, dann frage ich Sie: Warum sagen Sie nichts zu der Reduzierung der Mittel um mehr als das Vierfache, um mehr als 4 Milliarden DM, durch die Länder? Weshalb sagen Sie nichts dazu, daß die Länderministerpräsidenten einstimmig, einschließlich Ihrer Regierungschefs, den Bund aufgefordert haben, sich sogar völlig aus dem sozialen Wohnungsbau zurückzuziehen, wozu die Länder wegen ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung auch legitimiert waren? Warum sagen Sie nichts dazu, was die Bundesmittel und auch die Ländermittel überhaupt am Wohnungsmarkt bewirken können? Die 1 Milliarde des Bundes und die knapp 5 Milliarden der Länder im Jahre 1989 sind nur ein kleiner Bruchteil der über 120 Milliarden DM, die in diesem Jahr in Investitionen am Wohnungsmarkt umgesetzt werden. ({4}) Entscheidend ist doch, daß der Wohnungsmarkt im Laufe der 80er Jahre insgesamt so reagiert hat, wegen der massiven Leerstände, wegen der düsteren Bevölkerungsprognose. Entscheidend ist doch, daß vor einigen Jahren viele Wohnungen, auch Sozialwohnungen in den Großwohnsiedlungen, gar nicht vermietet werden konnten. In Hamburg ist es der Hamburger Senat gewesen, der sogar die Belegungsbindung für die Sozialwohnungen aufgehoben hat, der die Mieten, die ohnehin schon niedrig waren, noch weiter abgesenkt hat, um den Mietausfall wegen der Leerstände in Grenzen zu halten. Warum sagen Sie das alles nicht? Warum strikken Sie hier an Legenden? ({5}) Wenn Sie schon gewußt haben, daß die Wohnungsnachfrage so ansteigen wird, dann frage ich Sie: Warum haben Sie das wie ein Staatsgeheimnis behandelt, Herr Kollege Menzel? ({6}) Warum haben Sie das nicht Herrn Zöpel erklärt, als er von Rückbau, von Abriß, von Dynamit nicht nur gesprochen hat, sondern tatsächlich auch eine ganze Mieterstadt, Wulf en, abgerissen hat. Warum haben Sie Ihre Erkenntnisse über das Ansteigen der Wohnungsnachfrage ihren Hamburger Parteifreunden vorenthalten? Der Hamburger Senat hatte die Wohnungsbaufertigstellungszahlen im sozialen Mietwohnungsbau um 90 % heruntergeführt. Im letzten Jahr hat er noch alle Forderungen nach Ankurbelung im Wohnungsbau mit der Behauptung zurückgewiesen, er wolle nicht mit Steuergeldern Leerstände produzieren; das überlasse er lieber Privaten. Es sei nicht zu verantworten, Leerstände mit Steuermitteln zu produzieren. ({7}) Warum haben Sie das Ihren Parteifreunden, den Herren Voscherau, Dohnanyi und Wagner, nicht erklärt? ({8}) Warum haben Sie hier noch vor zwei Jahren Katastrophenszenarien über die wirtschaftliche Entwicklung dargestellt, nach dem Börsenkrach in New York und bei den Erschütterungen der Börse bei uns? Warum haben Sie von einer wirtschaftlichen Katastrophe in den nächsten Jahren gesprochen, wenn Sie schon genau wußten, daß die Einkommen in den folgenden Jahren real um 12 % steigen würden? Also: Sie sind mit Ihrer Argumentation mehr als unglaubwürdig. Ich kann Sie nur auffordern, endlich zu einer redlicheren Argumentation zurückzukehren. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie gestatten aber eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Menzel?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Ja.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da es hier um die Verantwortung des Bundes geht: Ist Ihnen erinnerlich, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion von Mitte der 80er Jahre bis zuletzt Anträge gestellt hat, die Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau im Haushalt zu erhöhen, und daß diese Anträge von Ihnen abgelehnt worden sind?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Menzel, Sie haben Anträge auf Erhöhung der Volumina nur während weniger Jahre gestellt und damals auch weit weniger beantragt, als wir jetzt tatsächlich tun. Sie wissen, das Entscheidende sind die Leerstände gewesen - das Entscheidende ist nicht die Reaktion der öffentlichen Hand, der verantwortlichen Länder und der Gemeinden oder des Bundes, gewesen -, was dazu geführt hat, daß die Fertigstellungszahlen jetzt so zurückgeblieben sind und wir jetzt kräftig ankurbeln müssen. Ich darf aber auch beim Wohngeld um eine redlichere Argumentation bitten, Herr Kollege Menzel. Es ist noch nicht allzu lange her, da konnten Sie das Wohngeld gar nicht klein genug schreiben. Ich darf Ihre Thesen wieder in Erinnerung rufen: Wohngeld bedeutet so wenig gute Wohnungspolitik, wie Arbeitslosengeld gut für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ist. Mit Wohngeld schafft man keine einzige neue Wohnung. ({0}) Wohngeld fließt nur in die Taschen der Vermieter. Wohngeld treibt nur die Mieten. Wie ist das mit der Forderung vereinbar, die Sie jetzt erheben, das Wohngeld anzuheben? ({1}) Wenn heute über Wohnungspolitik und soziale Absicherung des Wohnens gesprochen wird, dann kann ich sagen: Wir haben beachtliche Schritte unternommen und auch beachtliche Erfolge aufzuweisen, sowohl im Bereich der Ankurbelung des Wohnungsbaus wie auch in diesem Bereich. Wir wissen, daß wir nicht über Nacht Lösungen für die Wohnungsmarktprobleme finden können. Unehrlich wäre, wer etwas anderes verspräche. Denn Wohnungsbau kostet selbst bei eifrigem Bemühen aller Beteiligten nun einmal Zeit. Deshalb ist es unsinnig, das Wohngeld in einen Widerspruch zu wohnraumschaffenden Fördermaßnahmen zu stellen. Das Wohngeld hilft massiv. Es kommt zum großen Teil Haushalten mit Kindern zugute. In diese Haushalte flossen 50 % der Gesamtausgaben. Wir senken die Wohnkostenbelastung von über 40 auf 24 %. Wir haben jetzt mit der Siebten Wohngeldnovelle einen weiteren Schritt getan, um die Leistungsfähigkeit des Wohngeldes zu erhalten und zu verbessern. Weil wir wissen, daß das Wohngeld regelmäßig an die Mieten- und Einkommensentwicklung angepaßt werden muß, wird auch die nächste Wohngeldnovelle von uns rechtzeitig vorgelegt werden. Denn für uns ist und bleibt das Wohngeld ein wesentlicher Eckpfeiler sozialer Wohnungspolitik. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wohngeldes, Drucksachen 11/5115 und 11/5434. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Vier Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. ({0}) Damit ist dieses Gesetz in zweiter Beratung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? ({1}) - Das Stimmenverhältnis ist dasselbe geblieben. Damit ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen. ({2}) Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 11/5434 unter II empfiehlt. Wer stimmt für diese Entschließung? - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Drei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist diese Entschließung angenommen. Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Verschiebung der Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt und der Aufhebung der SteuVizepräsident Stücklen ervergünstigungen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen um drei Jahre - Drucksachen 11/4203, 11/5171 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Rönsch ({4}) Müntefering Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer arbeitet, macht Fehler - sagt der Volksmund. Sie haben bei Ihrer Arbeit am Steueränderungsgesetz einige böse Fehler gemacht. ({0}) Zwei davon haben Sie halbherzig repariert: Flugbenzin und Quellensteuer. Wir wollen Ihnen die Möglichkeit geben, einen dritten Fehler Ihrer Steuergesetzgebung zu reparieren: die Aufhebung der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit. Wir machen uns deshalb den Antrag zu eigen, den das Land Schleswig-Holstein im Bundesrat gestellt hat, und schlagen die Verschiebung dieser Aufhebung um drei Jahre vor. Wir tun das nicht, weil wir dann die steuerliche Wohnungsgemeinnützigkeit aufheben wollen, sondern weil wir die derzeitige schwierige Lage am Wohnungsmarkt nicht weiter verschärfen wollen. Wir wollen die Wohnungsgemeinnützigkeit reformieren. Wir meinen, der Skandal bei der „Neuen Heimat" sollte Anlaß sein, die Wohnungsgemeinnützigkeit neu zu ordnen. Sie haben dagegen den Skandal zum Anlaß genommen, die steuerliche Wohnungsgemeinnützigkeit ganz zu beseitigen; das halten wir für falsch. Wir sollten jetzt gemeinsam die drei Jahre nutzen, um eine vernünftige Reform der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit zu machen. ({1}) - Der Freistaat Bayern, verehrter Kollege, war in dieser Sache unserer Meinung. Er hat nur nicht den Mut gehabt, im Bundesrat so zu stimmen, wie er öffentlich geredet hat. Sie haben angekündigt, die Aufhebung der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit würde 100 Millionen DM einbringen - eine läppische Summe und dazu noch unseriös berechnet. Außerdem ist die Finanzverwaltung überhaupt nicht in der Lage, vor Ablauf des nächsten Jahres die Richtlinien klar zu erstellen, wie die Bilanzen dieser Unternehmen zukünftig aussehen werden. Sie haben weiter behauptet, nach der Aufhebung der steuerlichen Gemeinnützigkeit würden mehr Wohnungen gebaut, denn diese befreiten Unternehmungen - so argumentieren Sie ja - würden dann erst richtig im Wohnungsbau loslegen. Die Begründung ist nicht plausibel; denn solange die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nicht wissen, wie ihre Bilanzen aussehen, solange sie nicht wissen, wie das steuerlich aussieht, werden sie sich am Wohnungsmarkt eher zurückhalten. Das heißt, mit Ihrer Aufhebung der steuerlichen Gemeinnützigkeit fördern Sie Zurückhaltung beim Wohnungsneubau in einer Zeit, in der wir jede neue Wohnung dringend brauchen. Gewiß gibt es unter den Gemeinnützigen - auch außer der Neuen Heimat - einige, die mehr gemein als nützig waren. Das ist nicht im Streit. Das sind die, die seit langem darauf drängen, unter Mitnahme aller von der Gemeinschaft der Steuerzahler gewährten Vorteile jetzt die lästige Gemeinnützigkeit loszuwerden, um dann rasch große Kasse zu machen. Das sind die Unternehmen, die Ihre unseriösen Schneilfinanzierungsprogramme aufnehmen, um dann in einigen Jahren zu verkaufen und dabei schnell zu Geld zu kommen. Die grundsätzliche Frage an Sie ist: Wollen Sie neben dem Wohnungseigentum und neben der vermieteten Wohnung noch den dritten Bereich der gemeinnützigen Wohnung, also einer unbefristet sozialverpflichteten und gebundenen Wohnung - dafür verzichtet dann der Staat auf Steuern -, oder können Sie sich den Mietwohnungsbau nur noch unter den Gesetzen der Profitwirtschaft vorstellen? Das ist die Frage. Denn die schreckliche Wohnungsverknappung - in vielen Städten ist es Wohnungsnot - wird dazu führen, daß in vielen Städten die Mieten noch schneller steigen als bisher und daß vor allem die Mieter der älteren Wohnungen unter immer stärkeren Druck kommen. Wenn Sie jetzt die gemeinnützige Wohnungswirtschaft aus der steuerlichen Gemeinnützigkeit entlassen, wenn Sie sie zwingen, so profitwirtschaftlich wie die anderen Wohnungsunternehmen zu handeln, dann werden Sie auch die Mieter dieser Wohnungen unter den Druck steigender Mieten bringen, und das betrifft Mieter, die im wesentlichen den niedrigeren Einkommensgruppen angehören. Ist das Ihre Absicht? - Dann sagen Sie offen, daß Ihre Politik darauf abzielt, den Bürgern dieses Landes auf breiter Front saftige Mieterhöhungen zu bescheren. Wenn es Ihnen aber mit Ihren großen Ankündigungen und den vielen Programmen ernst ist, glauben Sie dann wirklich, daß Sie das alles ohne Wohnungsgemeinnützigkeit hinbekommen, daß Sie nur mit dem Profitprinzip eine ausreichende Zahl langfristig sozial gebundener Wohnungen für die Menschen, die diese Wohnungen brauchen, bekommen? Ich denke z. B. an die alleinerziehenden Frauen. Die menschenfeindlichen, kaltherzigen Versuche der CDU in Baden-Württemberg und der CSU in Bayern, die schwangeren Frauen in Not unter Druck zu setzen und zu erpressen, sind noch übler, wenn man bedenkt, daß Sie die Wohnungsunternehmen, bei denen diese Frauen - wenn überhaupt - noch eine Wohnung finden, nun auch aus der Gemeinnützigkeit herausdrängen wollen. ({2}) Sie sind in dieser Frage genauso heuchlerisch und unglaubwürdig wie der katholische Bischof von Rottenburg und der protestantische Bischof von Stuttgart, die von den Kanzeln herab gegen den Schwanger12970 schaftsabbruch wettern, die aber mannhaft geschwiegen haben, als diese Koalition Maßnahmen beschloß, die alleinerziehenden Müttern das Leben noch schwerer machen, als es schon ist. ({3}) Der Stuttgarter Oberbürgermeister hat in diesen Tagen noch einmal gesagt, die Bürger seien durch Ihre konzeptionslose Wohnungspolitik verunsichert; zwar gebe es jede Woche neue Pressemitteilungen, doch fehle es am Willen, Finanzmittel zu beschaffen und ein realistisches Programm auf den Tisch zu legen. Das sagt ein CDU-Oberbürgermeister zu der Wohnungspolitik dieser Regierung. Früher haben Sie von der Sozialen Marktwirtschaft gesprochen. Heute gibt es das Wort sozial bei Ihnen offenbar nicht mehr. Beim Wohnungsmarkt zählt allein das Geld. Die Menschen sind Ihnen gleichgültig. Wer arbeitet, macht Fehler, habe ich am Anfang gesagt. Fehler kann man reparieren. Wer aber zu viele Fehler macht, und wer nicht bereit ist, seine Fehler zu reparieren, dem wird gekündigt. Ihr Entlassungstermin ist der 9. Dezember 1990. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, warum Sie ausgerechnet bei der Wohnungsgemeinnützigkeit auf die Idee kommen, uns heuchlerisches Verhalten vorzuwerfen und sich hier zum Oberkritiker der Neuen Heimat aufschwingen, obwohl der ganze Laden ja nur aus Ihren Genossen bestanden hat, wundert mich doch sehr. ({0}) Warum sagen Sie nicht, Herr Kollege Conradi, daß die Mieten im Bereich des sozialen Wohnungsbaus stärker steigen als im Bereich des frei finanzierten Wohnungsbaus, obwohl dort große staatliche Mittel sind, obwohl ein großer Teil bei gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ist und deswegen die Mieter unter dem Gesichtspunkt Mietenhöhe das Thema Wohnungsgemeinnützigkeit nicht fürchten müssen? Ich möchte doch wenigstens einmal den Versuch machen, Herr Conradi, eine sachliche Darstellung des Problems zu geben. Richtig ist, daß das Steuerreformgesetz 1990 die Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt und die Aufhebung der bisherigen Steuervergünstigungen ab 1. Januar 1990 vorsieht. Richtig ist auch, daß das Land Schleswig-Holstein im Bundesrat dazu einen Gesetzesantrag eingebracht hat. Aber Sie wissen auch, Herr Kollege Conradi, der Bundesrat hatte diesen Gesetzesantrag bereits abgelehnt. Nun steht es Ihnen als SPD-Fraktion natürlich frei, diesen Antrag wieder aufzunehmen. Aber er führt uns nicht weiter. Ich will ja gerne zugeben, daß man - wir haben ja jahrelange Debatten über die Wohnungsgemeinnützigkeit geführt, übrigens lange vor der Neuen Heimat - unterschiedlicher Auffassung sein konnte, ob die reformbedürftige Wohnungsgemeinnützigkeit durch eine Novellierung des Gemeinnützigkeitsgesetzes verändert wird oder ob man einen völlig neuen Anfang macht. Es war, wie ich schon sagte, eine viele, viele Jahre andauernde Diskussion mit vielen Gutachten, mit Pro und Kontra. Aber wir waren zum Schluß doch zu der Auffassung gekommen, daß der Status quo der Wohnungsgemeinnützigkeit auf keinen Fall zu konservieren gewesen wäre. Weil das so war, hielten nicht nur einige, Herr Kollege Conradi, sondern eine große Zahl von Unternehmen und Genossenschaften im Bereich der Wohnungswirtschaft die von der Bundesregierung letztlich getroffene Regelung für besser als ein Herumbasteln am alten Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz. ({1}) Es ist einfach die Wahrheit: Die Wohnungsgemeinnützigkeit gab es ja lange, lange bevor der Staat durch Steuerbefreiung die wichtige Tätigkeit dieser Unternehmen honorierte. Nur - das wissen auch die Praktiker - die positiven Wirkungen der Steuerbefreiung in der Vergangenheit wurden durch die allgemeine Entwicklung der Steuergesetzgebung und die zunehmenden wohnungswirtschaftlich hemmenden bürokratischen Einflußnahmen von Jahr zu Jahr und vor Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker aufgehoben. Sie verschweigen auch, Herr Conradi, daß ein beträchtlicher Teil dieser Unternehmen unter kirchlicher oder öffentlicher Kontrolle ist oder mitbestimmten Kohle- und Stahlunternehmen gehört. Vor wenigen Tagen haben wichtige Stimmen aus der Wohnungsgemeinnützigkeit erneut bestätigt, daß die Abschaffung der Steuerfreiheit der Wohnungsgemeinnützigkeit und des WGG kein Ende der Gemeinnützigkeit an sich bedeutet. Ich weise Sie auf den wirklich kompetentesten Vertreter der Wohnungsgemeinnützigkeit, den Vorsitzenden des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Herrn Steinert, hin, der gerade vor wenigen Tagen auf dem Verbandstag der südwestdeutschen Wohnungsunternehmen in Darmstadt erklärt hat, daß auch ohne dieses Gesetz und ohne die Steuerbefreiung viele Wohnungsunternehmen an die Tradition der Wohnungsgemeinnützigkeit anknüpfen werden; aber, so fügte er hinzu - dies ist ja auch mehr als vernünftig - , das gemeinnützige Verhalten und die Aufgaben müssen zeitgemäßer, moderner und unter den Bedingungen der Steuerpflicht neu formuliert werden. ({2}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor diesem Hintergrund hat Ihr Antrag, die genannten Maßnahmen um drei Jahre zu verschieben, keinen Sinn. Ich würde sogar sagen: Im Gegenteil, jetzt mitten im Umstrukturierungsprozeß, der ja seit Jahr und Tag in Gang ist, plötzlich eine Kehrtwendung um 180° zu machen, in einem Prozeß, der schon längst eingesetzt hat, der bei vielen bereits abgeschlossen ist, würde bedeuten, daß wir Konfusion schaffen, ({3}) Attentismus provozieren würden, der die Unternehmen daran hindert, zur Lösung der dringenden Wohnungsbauprobleme auch ihren Anteil beizutragen. Was allerdings - das ist jetzt ein Wort an die Bundesregierung; der Finanzminister ist nicht da, aber ich hoffe, man weist ihn auf das Protokoll hin ({4}) noch einmal angemahnt werden muß, ist, daß sich die Finanzverwaltungen von Bund und Ländern nun endlich, und zwar schnell, darauf einigen, in welcher Art und Weise der Übergang steuerrechtlich erfolgt, damit der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft bei dem Übergang in die Steuerpflicht faire Startbedingungen zugestanden werden. Deswegen ist die Verabschiedung des Erlasses zur Ermittlung der sogenannten Teilwerte von allerhöchster Dringlichkeit, ({5}) und zwar in einer Weise, daß die politische Entscheidung des Parlaments - damals gegen den Vorschlag des Bundesfinanzministers - zugunsten der Teilwerte nicht dadurch nachträglich ausgehöhlt wird, daß man jetzt so lange daran herumbastelt, bis wir schon fast wieder in die Gegend von Buchwerten gelangen. ({6}) Meine Damen und Herren, die Verschiebung des Inkrafttretens der Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt um drei Jahre hilft keinem Mieter, keinem Unternehmen, ja noch nicht einmal uns, die wir Wohnungsbaupolitik in einer schwierigen Zeit gestalten müssen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben statt dessen eine ganze Reihe von realistischen Maßnahmen beschlossen oder bereiten sie vor, die die Wohnraumversorgung in der Bundesrepublik Deutschland möglichst schnell verbessern; eine Wohnraumversorgung übrigens, Herr Conradi, die sich trotz des Noch-Bestehens der Wohnungsgemeinnützigkeit in der alten Form aus verschiedenen Gründen so ergeben hat, wie sie nun einmal vorliegt. Dies war ja, - man muß es immer wiederholen - kein böser Wille, weder von Bund und Ländern noch von Gemeinden, privaten Investoren, Wirtschaftsforschern und wem auch sonst. Vielmehr waren es Hunderttausende von leerstehenden Wohnungen, die dazu geführt haben, daß nicht mehr investiert wurde. Es gab eine breite Verbesserung der Realeinkommen der großen Mehrheit der Bevölkerung - auch das muß man einmal sagen, wenn man hier ehrliche Debatten führt -, die mit Wohnraum gut versorgt ist. Richtig ist, daß eine bestimmte Gruppe übrigbleibt, die in dieser Situation Schwierigkeiten hat, sich mit Wohnraum zu versorgen. ({7}) Es ist richtig, daß die junge Generation der 60er Jahre ein anderes Wohnverhalten hat und andere Wohnformen entwickelt als noch wir. Es ist richtig, daß die alten Menschen so viel Rente und Kaufkraft haben, daß sie aus der Wohnung, in der sie einmal mit ihren Kindern oder mit ihren Ehepartnern gelebt haben, nicht mehr herausgehen und bis zu ihrem Tod dort wohnen. Wir wollen das nicht ändern, aber dies braucht mehr Wohnraum als in den Jahrzehnten nach dem Krieg. Das ist die Wahrheit! ({8}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Koalitionsparteien setzen deswegen auf eine ganze Reihe wirksamer Beschlüsse, die die Wohnraumversorgung für alle Gruppen der Bevölkerung möglichst schnell wieder verbessern werden. ({9}) Wir werden die Mittel für den sozialen Wohnungsbau kräftig erhöhen und auch verstetigen und die Abschreibungsbedingungen für private Investoren so verbessern, daß möglichst viel privates Kapital in den Wohnungsbau fließt. Wir haben - darüber haben wir gerade gesprochen - die Wohngeldmittel bereits wesentlich verbessert. Alles andere kann erst dann geschehen, wenn der Bericht der Bundesregierung vorliegt, zu dem Sie die Bundesregierung mit aufgefordert haben. Wir können doch nicht erst Beschlüsse fassen und uns anschließend einen Wohngeld- und Mietenbericht vorlegen lassen! Ich bitte Sie allerdings, Herr Staatssekretär Echternach, zu versuchen, diesen Bericht nach Möglichkeit noch Ende dieses Jahres, im Dezember, vorzulegen, damit wir uns wirklich Anfang des nächsten Jahres, wenn das Parlament aus der Weihnachtspause zurückkommt, mit diesem Bericht auseinandersetzen können. Wir wollen als Bund selbst mit gutem Beispiel vorangehen und eigenes Bauland aus Bundesvermögen billiger zur Verfügung stellen als bisher. ({10}) - Woher wissen Sie, was wir wollen? ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bei dieser Gelegenheit, Herr Conradi, können Sie gleich etwas korrigieren, damit es nicht einfach so im Protokoll steht. Daß es mehr oder weniger liebevoll gemeint war, steht leider nicht drin.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, die Bezeichnung „Schurken" für die Finanzverwaltung war natürlich nur im literarischen Sinne gemeint. Ich hätte auch „potentielle Schurken" sagen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Damit ist es auch erledigt. ({0})

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kansy, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Stadt Stuttgart seit über einem Jahr mit der Bundesfinanzverwaltung wegen Grundstücken verhandelt, daß die Bundesfinanzverwaltung auf den Verkehrswerten dieser Grundstücke besteht und daß bei Verkehrswerten von 800 bis 1 000 DM pro Quadratmeter sozialer Wohnungsbau nicht zu leisten ist? ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin dazu bereit, Herr Kollege, und bin sogar bereit, mit meiner ganzen Fraktion und auch mit meinem Koalitionspartner auf die Bundesfinanzverwaltung dahin gehend einzuwirken, daß wir diese Grundstücke künftig eben billiger zur Verfügung stellen. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, wenn wir vom Bund reden, dann will ich gleich einmal auch unsere Kollegen und Regierungen - welcher Couleur auch immer - in den Ländern und in den Gemeinden sowie auch - ich sage das mal so, wie es sicherlich verstanden wird - diejenigen einbeziehen, die uns - insbesondere sonntags - immer predigen, Land zur Verfügung zu stellen, und selbiges in nicht unerheblichem Umfang auch zur Verfügung haben. Der Bund wird sich an der Verbesserung der Wohnungsversorgung der Studenten beteiligen. Wir werden zusätzlichen Wohnraum aus dem Bestand mobilisieren. Wir werden die Gesetze - wie angekündigt - im Planungs- und Baurecht nicht abschaffen, aber versuchen, sie so zu straffen, daß wir unser Programm schnell hinbekommen. Und wir werden noch verschiedene andere Maßnahmen durchführen, die vorzutragen die rote Lampe des Präsidenten mir verbietet. Aber, meine Damen und Herren, Ihr Vorschlag, das WGG jetzt drei Jahre zurückzudrehen, ist ein Weg zurück. Er löst keine Zukunftsprobleme; er will alte Schlachten noch einmal schlagen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unbelehrbar, unbelehrbar! - Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Über die Frage, wer die Verlierer sind, wenn die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft wird, haben wir hier im Haus oft genug geredet. Es sind die Mieterinnen und Mieter der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften. Daß Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, das Schicksal dieser Bewohnerinnen und Bewohner völlig gleichgültig ist, haben wir hier auch oft genug gehört. ({0}) Ich möchte mich in meiner Rede heute auf die Gewinner dieser Regierungspolitik konzentrieren und Ihnen folgendes erzählen: In der letzten Ausgabe der Verbandszeitung der Gemeinnützigen fand ich folgende Anzeige - ich zitiere - : „Finanzstarker Mandant sucht gemeinnütziges Wohnungsunternehmen zu kaufen." Es folgten Name und Adresse. ({1}) Genau darum ist es der Bundesregierung gegangen. Es ist Ihnen darum gegangen, das Vermögen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, das bekanntlich auf 500 Milliarden DM geschätzt wird, endlich in die Freiheit zu entlassen, die Spekulanten und Konzerne meinen: in die Freiheit, Mieten zu erhöhen und preiswerten Wohnraum in teure Eigentumswohnungen umzuwandeln. Darum ist es Ihnen gegangen! ({2}) Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit weckt eine ganze Reihe von Begehrlichkeiten: Da sind die Industriekonzerne, die ihre Werkswohnungen verkaufen wollen. Da sind Stadtkämmerer, die darauf hoffen, die Stadtkasse durch den Verkauf der stadteigenen Wohnungsgesellschaften auffüllen zu können. Das eigentliche Ziel der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit war jedoch, den freien Wohnungsunternehmern eine unliebsame - weil billigere - Konkurrenz vom Hals zu schaffen. ({3}) Die GRÜNEN sind immer dafür eingetreten, daß die Wohngemeinnützigkeit erhalten bleibt, weil sie die Grundlage dafür liefert, daß menschliches Wohnen bezahlbar bleibt, und weil sie eine Garantie dafür liefert, daß der Bestand an preiswerten Wohnungen erhalten bleibt und nicht immer neue Wohnungen gebaut und nicht immer mehr Flächen versiegelt werden müssen. ({4}) Deswegen sind wir für den Erhalt der Wohngemeinnützigkeit. Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit ist nicht nur gegenüber den betroffenen Mieterinnen und Mietern eine Schandtat, sondern auch gegenüber der Ökologie. ({5}) Gleichzeitig waren wir immer der Meinung, daß die Wohngemeinnützigkeit tiefgreifend reformiert werden muß. Dazu haben wir einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Zur Verwirklichung unserer Vorstellungen von „Perestroika" hier im eigenen Land, vor unserer eigenen Tür, gehört Mitbestimmung, dazu gehört Selbstverwaltung, und dazu gehört Dezentralisierung. ({6}) Die Grundlage all dieser Vorschläge wird allerdings durch die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit zunichte gemacht. Genauso zunichte gemacht wird die hundertjährige Tradition der Wohnreformbewegung, auf der die Wohngemeinnützigkeit basiert. ({7}) Das alles machen Sie mit einem Handstrich mit der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit zunichte. ({8}) Dafür fehlt die Wohnungspolitik in keiner Ihrer Sonntagsreden mehr. ({9}) Politikern und Politikerinnen, die in der derzeitigen Situation jedoch darauf beharren, die Wohngemeinnützigkeit abzuschaffen, glaubt man diese Sonntagsreden aber nicht mehr. Ihre Sonntagsreden bleiben Phrasen, wenn Sie sich so verhalten. ({10}) Ihre Ministerin, Frau Hasselfeldt, bleibt, wenn sie diese Politik weiterhin mitmacht und nicht einschreitet, der lebendige Beweis dafür, daß es überhaupt keinen Sinn hat, einen Minister gegen eine Ministerin auszuwechseln, wenn sich an der Politik nichts ändert. ({11}) Der Antrag der SPD-Fraktion ist uns - wie viele Anträge dieser Fraktion - nicht weitgehend genug. Aber er ist kein falscher Schritt. Wir werden ihm deswegen zustimmen und die Vorlage des Ausschusses ablehnen. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel Ihrer Anträge, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist wieder einmal die Verunsicherung der Mieter und der Wohnungsuchenden. Sie wollen die Probleme auf dem Wohnungsmarkt benutzen, um Stimmung zu machen. ({0}) Das paßt ja alles so wunderschön zusammen. Herr Conradi, weil Sie gerade vom Gesetz der Profitwirtschaft gesprochen haben, sollten Sie bei der nächsten Passage sorgfältig aufpassen. Was unter dem Mantel der Gemeinnützigkeit alles passieren kann, wird uns nämlich jetzt in Bayern vorgeführt. Da will die Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft die Neue Heimat Bayern meistbietend verscherbeln. Man muß wissen, daß es sich dabei um ein Unternehmen mit 33 000 preisgünstigen Wohnungen handelt, das eines der wenigen NH-Unternehmen ist, die sogar Gewinn machen. Dieses Unternehmen will der DGB verkaufen, um seine Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft zu sanieren. ({1}) Das, Herr Kollege Conradi, ist Profitwirtschaft, und dies unter dem Mantel der Wohnungsgemeinnützigkeit! Vielleicht sollten sie, Frau Oesterle-Schwerin, die Adresse desjenigen, der kapitalkräftig ist und Anlagemöglichkeiten sucht, einmal an die Neue Heimat Bayern schicken. ({2}) Die SPD in Bayern fordert dann noch, daß der Freistaat Bayern im Interesse der Mieter diese Neue Heimat Bayern übernimmt. Das ist nicht Wohnungspolitik zugunsten der Mieter, sondern auf dem Rücken der Mieter, Herr Kollege Conradi. ({3}) - Das trauen wir dem Freistaat Bayern durchaus zu. Nur ist er nicht der richtige Adressat für die Kaufempfehlung eines gewinnträchtigen Unternehmens. Ich weiß nicht, wie Sie uns eigentlich vor diesem Hintergrund die Anträge heute hier zumuten können. Wir bemühen uns derzeit in der Koalition um Maßnahmen, die geeignet sind, kurzfristig Wohnungen zu schaffen. Dazu werden wir in Kürze ein breites Instrumentarium vorlegen. Der 6. November ist der Stichtag. Das wissen Sie ja. Eines wird nicht in diesem Instrumentenkasten sein: Ihr heute mit diesem Antrag bezwecktes Anliegen. Denn mit dieser Maßnahme schaffen Sie keine einzige neue Wohnung, insbesondere nicht mit der Schnelligkeit, in der es nötig ist. ({4}) Denn zunächst - das haben Sie bei Ihrem Antrag übersehen - haben wir eine Übergangsregelung in der Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit enthalten, die eine Möglichkeit für die gemeinnützigen Unternehmen vorsieht, die Wohnungsgemeinnützigkeit und die Steuerfreiheit noch bis Ende 1990 in Anspruch zu nehmen. Daher müßte es bei Ihrem Antrag eigentlich nur noch um zwei Jahre gehen, wenn sich Wohnungsbauunternehmen, abwartend bis Ende 1990, für diese Maßnahme entscheiden. Dann platzt Ihr Antrag - darauf hat Kollege Kansy mit Recht hingewiesen - gerade in eine Phase hinein, in der die gemeinnützigen Unternehmen dabei sind und schon sehr weit fortgeschritten sind, sich in den freien Markt zu begeben. Das Chaos bei den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen wäre perfekt, wenn wir Ihren Anträgen folgen würden. Noch etwas haben Sie völlig übersehen. Viele gemeinnützige Unternehmen wollen gar nicht in der Gemeinnützigkeit verbleiben. Sie würden sich für die Verschiebung nicht gerade bedanken. Ich spreche hier von einer Vielzahl von Unternehmen, die sich aktiver in den Markt begeben wollen, als es ihnen bisher unter den Knebeln und Fesseln der Wohnungsgemeinnützigkeit möglich war. ({5}) Ich glaube, man sollte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Unternehmen, die nicht der Wohnungsgemeinnützigkeit unterliegen, haben es ja viel leichter, Wohnraum mit entsprechender Infrastruktur zu schaffen, als das unter den strengen Regeln der Wohnungsgemeinnützigkeit möglich ist. Es kommt eben den Wohnungsmietern zugute, wenn in größerem Umfang gemischte Strukturen geschaffen werden, wo es auch gewerbliche Mieter gibt. Die Kneipe und der Supermarkt in einer Wohnanlage bedeuten nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität für die Bewohner, sie erlauben auch eine günstigere Mietgestaltung der Wohnungen. Das sollten Sie auch nicht übersehen. Gemeinnützige Unternehmen, die solche Dinge geplant haben, waren bisher von komplizierten Genehmigungsverfahren abhängig. Vieles, was wirtschaftlich vernünftig ist - insbesondere im Interesse der Mieter - , ist dabei auf der Strecke geblieben; dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Landesbehörden hier in erheblichem Umfang reguliert und stranguliert haben, noch dazu von Land zu Land unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen - so wird berichtet - war man bei der Auslegung päpstlicher als der Papst, in Bayern dagegen freizügiger als Fanny Hill. Das alles geschah unter dem Signum der Wohnungsgemeinnützigkeit nicht zugunsten, sondern zu Lasten des Mieters. Das schaffen wir mit dem Auslaufen der Wohnungsgemeinnützigkeit ab. Das ist auch unser erklärtes Ziel. Wir bekennen uns zu dieser Maßnahme, weil dadurch Marktkräfte freigesetzt werden, die dem Mieter zugute kommen, und zwar gerade dem sozial schwachen Mieter. ({6}) Es kann dem Wohnungsbau nur guttun, wenn sich Wohnungsunternehmen frei entfalten können und wenn wir den sozialen Verpflichtungen und Bedürfnissen über die Wohngeldförderung gerecht werden. Darüber ist ja gerade in der vorangegangenen Debatte gesprochen worden. Hier sind wir auf dem richtigen Weg: nicht indem wir den Unternehmen, die sich auf dem Markt betätigen wollen, Knebel anlegen, sondern indem wir den sozial schwachen Menschen, denjenigen helfen, die bedürftig sind. Das ist Wohnungsbaupolitik, die sich sehen lassen kann. Ihr Antrag auf Verschiebung der Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit paßt überhaupt nicht in diese Landschaft. Wir werden ihn deshalb ablehnen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Echternach. ({0})

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Conradi, wenn Sie von Heuchelei sprechen, ({0}) dann sollten Sie, meine ich, nicht die falsche Behauptung aufstellen - die Sie ernsthaft ja selbst gar nicht vertreten können - , daß die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft werde. Sie wissen ganz genau, daß die Wohnungsgemeinnützigkeit viel, viel älter ist als die gegenwärtigen steuerrechtlichen Regelungen. Sie wissen genau, daß die Wohnungsgemeinnützigkeit auch in Zukunft ihre Bedeutung haben wird. Sie wissen genau, daß die Mehrzahl der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen auch in Zukunft steuerfrei bleiben wird. Auch insofern, als in Zukunft eine Minderheit der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen der Steuerpflicht unterliegen wird, haben diese gemeinnützigen Wohnungsunternehmen selbst erklärt, sie würden auch in Zukunft ihrem Sozialauftrag treu bleiben. Wenn Sie, Herr Kollege Conradi, im Zusammenhang mit der Wohnungsgemeinnützigkeit von sozial gebundenen Wohnungen sprechen, dann wissen Sie doch genau, daß auch das nicht zutrifft, daß sich die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in der Vergangenheit immer mit Vehemenz gegen jede Übernahme von sozialen Bindungen gewehrt haben. Auch Sie haben in den 13 Jahren, in denen Sie regiert haben, keine sozialen Bindungen in das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz hineingeschrieben. Insofern stimmt doch alles das nicht, was mit sozialem Faustpfand, sozialer Verfügungsreserve und ähnlichem bezeichnet wird. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz enthält eben gerade keine Bindungen zugunsten sozial schwächerer Bevölkerungsschichten. Das, was Sie, Frau Oesterle-Schwerin, jetzt vorschlagen, ist etwas ganz anderes als das geltende Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, dessen Geltungsdauer mit diesem Antrag der SPD verlängert werden soll. ({1}) Deshalb rufe ich Sie dazu auf: Wenn es Ihnen wirklich um gemeinnütziges wohnungswirtschaftliches Verhalten geht, streiten Sie mit uns lieber für leistungsfähige Unternehmen, mit denen wir die anstehenden Probleme der Wohnungsversorgung, von denen es wahrlich genug gibt, auch lösen können. Wenn in dieser Debatte das Stichwort Neue Heimat gefallen ist, dann zeigt dieses Beispiel, meine ich, doch exemplarisch, daß das geltende Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz eben überhaupt kein Instrumentarium ist, mit dem den bedrängten Mietern in der gegenwärtigen Situation auch tatsächlich geholfen werden könnte. Dieser größte deutsche Wohnungsbaukonzern hat seinen Offenbarungseid für die Wohnungsversorgung für breite Schichten der BevölkeParl. Staatssekretär Echternach rung unter dem gegenwärtig geltenden Gesetz geleistet. ({2}) Gerade das Beispiel Neue Heimat, Herr Kollege Conradi, zeigt: Der beste Schutz für die Mieter in den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ist ein solides wirtschaftliches Fundament der Unternehmen, für das wir jetzt gesorgt haben. Ich frage Sie auch: Wieviel mehr könnten die Länder und Gemeinden jetzt für das Neubauangebot tun, wenn sie nicht von Ihnen, wenn sie nicht vom DGB gedrängt worden wären, Mittel für den Ankauf schon vorhandener Wohnungen auszugeben? Sollten Sie nicht lieber jetzt Ihren früheren Bundesminister Matthöfer, Herrn Breit, Herrn Steinkühler, Frau Wulf-Mathies, die alle im Aufsichtsrat der GBAG sitzen, bitten, von den gegenwärtigen Absichten Abstand zu nehmen, an einen ausländischen Investor die 15 000 Neue-Heimat-Wohnungen in Bayern zu verkaufen, anstatt jetzt die bayerische Regierung zu bedrängen, die Mittel, die wir dringend für den Neubau benötigen, statt dessen in den Ankauf schon vorhandener Wohnungen einzusetzen? Dies alles zeigt doch, daß Sie mit Ihrem gegenwärtigen Antrag in dieser Situation überhaupt nichts Positives bewirken können und daß mit diesem Antrag jedenfalls die kritische Situation nicht gelöst werden kann. Wir haben erfahren, daß wir mit staatlich gegängelten Unternehmen die Probleme der Zukunft am Wohnungsmarkt nicht lösen können. Wir wollen die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in Zukunft als leistungsfähige Partner für eine faire und kooperative Wohnungspolitik im Interesse der Mieter und der Wohnungssuchenden. Dazu trägt der SPD-Antrag überhaupt nichts bei. Er würde im Gegenteil nur zu jahrelanger Unsicherheit bei den Unternehmen, zur Investitionszurückhaltung und zu mangelnder Bereitschaft, neue Aufgaben in der Wohnungsversorgung zu übernehmen, führen. Das wollen auch die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen selber nicht, die mit der nicht von allen geliebten, aber nun einmal getroffenen Entscheidung längst ihren Frieden gemacht haben. Eine solche Unsicherheit können auch wir in der Wohnungspolitik nicht wollen und nicht verantworten. Im Grunde will es, glaube ich, auch die SPD selbst nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Ihren Antrag ernst meinen, wenn nicht ein einziger Ihrer Parteifreunde in dem weiten Bereich der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Ihren Antrag unterstützt, sondern jeder dringend abrät, diesen Antrag weiterzuverfolgen, und fordert, Ihren Antrag abzulehnen. Tatsächlich ist allen Fachleuten klar: Mit Regulierungen und Subventionen als Allheilmittel kommen wir nicht weiter. Nur mit partnerschaftlicher Wohnungspolitik lassen sich die Aufgaben der Zukunft lösen. Wir brauchen die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen auch in Zukunft als Partner für unsere Wohnungspolitik. Wir haben sie dafür wirtschaftlich gestärkt. Deshalb appelliere ich an Sie: Argumentieren Sie redlicher, lenken Sie nicht aus vordergründigem parteipolitischen Interesse von den wahren Tatsachen ab, und malen Sie hier kein Horrorgemälde von dramatisch steigenden Mieten an die Wand. ({3}) ({4}) Ich glaube, Sie werden die Hasen damit nicht in Ihre Küche treiben, sondern ganz andere Kräfte werden von diesen unwahren Horrorgemälden profitieren. Starten Sie mit Ihrer durchsichtigen Polemik nicht eine unwahre Kampagne, sondern helfen Sie mit, daß auch in den von Ihnen regierten Ländern und Gemeinden die Anstrengungen für die Behebung der gegenwärtigen Engpaßsituation am Wohnungsmarkt gesteigert werden. Helfen Sie mit, daß auch in den von Ihnen regierten Ländern und Gemeinden alles geschieht, damit in den Bereichen Baulandbeschaffung und Baugenehmigungen schnell gehandelt werden kann, damit alles geschieht, was wir für eine rasche Bautätigkeit brauchen. Das und nur das hilft den Bürgern, die jetzt auf unsere Hilfe angewiesen sind und die sich nicht aus eigener Kraft auf dem Wohnungsmarkt versorgen können. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, in letzter Zeit folgt eine wohnungspolitische Debatte der anderen. Das ist nach meiner Auffassung ein Zeichen dafür, in welch desolatem Zustand sich die Wohnungspolitik in diesem Lande befindet. Es gibt kein anderes Feld der Politik, auf dem das Versagen der Bundesregierung so offensichtlich ist wie auf dem Feld der Wohnungspolitik. ({0}) - Herr Kraus, das sage ja nicht nur ich; hören Sie sich vielmehr auch die Politiker Ihrer Partei an, die in den Ländern und Kommunen vor Ort Verantwortung tragen, also etwa den Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel, der im Zusammenhang mit der Wohnungspolitik davon spricht, daß es einen nationalen Notstand gibt. Auch der Ministerpräsident Späth führt den katastrophalen Einbruch, den die CDU bei den letzten Kommunalwahlen in Baden-Württemberg zu verzeichnen hat, darauf zurück, daß die Wohnungspolitik dieser Regierung miserabel ist.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Vahlberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Rönsch?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Frau Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wenn es tatsächlich zu diesem nationalen Notstand gekommen ist, meinen Sie dann nicht auch, daß Frau Rönsch ({0}) es ein so großes gesellschaftspolitisches Problem ist, daß sich auch die Gewerkschaften seiner annehmen müßten? Haben Sie eine Erklärung dafür, daß die Gewerkschaften zu dem Wohnungsnotstand, den Sie hier ansprechen, bisher überhaupt noch kein Wort gesagt haben? Kann es an der Neuen Heimat liegen?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Frau Kollegin, an der Neuen Heimat kann es nicht liegen. Die Neue Heimat hat in der Nachkriegszeit eine sehr große Aufbauleistung vollbracht. ({0}) Das Mietrecht, das in unserer Regierungszeit galt, hat nicht die Neue Heimat ausgehöhlt, sondern das war Ihre Regierung. Mit der Wohnungsbauförderung, die Sie zurückgefahren haben, hat die Neue Heimat nichts zu tun. ({1}) - Bitte schön.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, haben Sie dann eine Erklärung dafür, warum diese wunderschöne große Aufbauleistung der Neuen Heimat nur den Gegenwert von 1 DM für einen Bäkker hatte? ({0})

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich den Punkt mit dem Hinweis darauf abschließen, daß das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht, das Sie jetzt im steuerlichen Bereich einschränken, die Attraktivität des Wohnungsbestands der Neuen Heimat natürlich erhöht und die Verkaufsverhandlungen entsprechend stimuliert. ({0}) Sie könnten dies verhindern, indem Sie die jetzige Wohnungsgemeinnützigkeitsregelung beibehalten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Vahlberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kraus?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich, eine Frage meines Mitbewerbers im Wahlkreis immer. Bitte, Herr Kraus.

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Vahlberg, mich würde interessieren, wie Sie das Verhalten der Neuen Heimat bei einem Weiterbestehen des Grundsatzes der Gemeinnützigkeit qualifizieren, da Sie die Neue Heimat Bayern verkaufen wollen, obwohl wir alle doch wissen, daß sich dieses Unternehmen wirtschaftlich voll trägt?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kraus, ich bedaure das außerordentlich. Die Neue Heimat Bayern will sicher nicht verkaufen, sondern sie wird von der BGAG angeboten. ({0}) Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist dies offensichtlich notwendig. Das kann ich nicht beurteilen. Aber unabhängig davon sage ich: Wenn Sie das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht nicht verändern würden, dann würde die Neue Heimat Bayern nicht auf das Interesse auf dem Markt stoßen, das ihr jetzt wohl entgegengebracht wird, weil sie offensichtlich von großem Wert ist. ({1}) - Ich mißbillige das insgesamt, das ist richtig. ({2}) Herr Kraus, Sie lenken natürlich von dem desolaten Zustand, in dem sich die Wohnungsversorgung der Bundesrepublik in den Ballungsräumen befindet, ab, wenn Sie ständig auf die Neue Heimat verweisen. Ich wiederhole: Die Neue Heimat ist nicht dafür verantwortlich, daß Sie die Wohnungsbaumittel zurückgefahren haben. Frau Rönsch, Sie haben in Ihrem Beitrag ausgeführt, daß Sie die Wohnungsbaumittel in diesem Jahr erhöhen wollen. Tatsache ist jedoch, daß Sie im letzten Jahr eine Fertigstellungsquote von rund 200 000 Wohneinheiten hatten. Zehn Jahre früher, also in unserer Regierungszeit, waren es 370 000 Wohneinheiten. Den sozialen Mietwohnungsbau haben Sie, Herr Echternach, auf Null gefahren. Die Probleme konzentrieren sich ja auf die Ballungsgebiete. ({3}) Die Versorgung der einkommensstarken Bevölkerungsschichten ist ja nicht das Problem, sondern das Problem ist die Versorgung der Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geis?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die von Ihrer Partei geführte Regierung in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1983 noch 1,8 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben und diese Ausgabe bis zum Jahre 1988 um zwei Drittel, nämlich auf 600 Millionen DM, gesenkt hat? Was sagen Sie dazu?

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich weiß, daß diese Bundesregierung die Mittel für den sozialen Mieterwohnungsbau auf Null gefahren hat ({0}) und daß zum Schluß nur noch 10 000 Wohneinheiten, allerdings nicht im sozialen Mietwohnungsbau, sondern im Einfamilienhausbau, erstellt wurden. Zu unserer Zeit waren es knapp 100 000 Wohneinheiten. ({1}) Lassen Sie mich jetzt im Zusammenhang fortfahren. Sie setzen auf diese wohnungspolitische Situation noch eines obendrauf, indem Sie die Regelung für den steuerlich gemeinnützigen Wohnungsbau jetzt abschaffen. Dadurch werden 3,5 Millionen Miet- und Genossenschaftswohnungen, in denen heute 8 Millionen Menschen leben, im negativen Sinn von der steuerlichen Begünstigung befreit. Die Mieten dieser 8 Millionen Bürger liegen deutlich unter dem allgemeinen Mietniveau, weil bisher die Kostenmiete veranlagt wurde. Diese Mieter haben auf Grund von Dauermietverträgen faktisch ein lebenslanges Wohnrecht. Das paßt Ihnen offensichtlich nicht, weil Sie in diesem Bereich zusätzliche Steuereinnahmen von lächerlichen 100 Millionen DM von den Beziehern unterer Einkommen abkassieren wollen, während Sie andererseits mit der Absenkung des Spitzensteuersatzes den Großverdienern im Lande 1 Milliarde DM, also das Zehnfache, geschenkt haben. Ob man sich Ihre Steuerpolitik, Ihre Sozialpolitik oder, wie hier, die Wohnungspolitik anschaut: Sie greifen immer wieder den kleinen Leuten an die Wäsche, nämlich den Beziehern unterer Einkommen, den Kinderreichen, den Alleinerziehenden und den Senioren. Man hat geradezu den Eindruck, daß Sie auf diesem Feld Triebtäter sind. ({2}) Von den 3,5 Millionen Wohnungen, die von diesem Bubenstück nun betroffen sind, wird 1 Million sofort aus der Bindung fallen, der Rest mittelfristig. Zusätzlich zu den Mietpreissteigerungen, die es für die betroffenen Mieter geben wird, verschärfen Sie mit dieser politischen Maßnahme eine verhängnisvolle Entwicklung in den Ballungsgebieten, nämlich die Umwandlungsspekulation. Mittelfristig werden diese Wohnungen auch davon überzogen werden. Mietwohnungen des Altbaubestandes werden in Eigentumswohnungen umgewandelt und teuer verkauft. Die bisherigen Mieter werden vorher mit Hilfe der von Ihnen gestalteten Eigenbedarfskündigung aus den Wohnungen vertrieben. Wer dies nicht glaubt, ist herzlich eingeladen, Herr Kraus, sich in unserem gemeinsamen Wahlkreis die Situation in der Wilramstraße, in der Laibacher Straße, in der Claudius-Keller-Straße und in der RichardStrauss-Straße anzuschauen. Dort finden diese Umwandlungen zur Zeit statt. Allein in München sind 50 000 preiswerte Mietwohnungen in den letzten Jahren verlorengegangen; weitere 50 000 werden in den nächsten Jahren folgen. Der sozial gebundene Mietwohnungsbestand schrumpft auf der einen Seite, und auf dem freien Wohnungsmarkt explodieren die Mieten. In München haben wir inzwischen bei der Neuvermietung Mieten bis zu 23 DM pro m2 und eine Durchschnittsmiete von 14,50 DM. Normalverdiener können sich in der Stadt zunehmend nicht mehr halten und werden vertrieben. Und da kommen die Minister Haussmann, Lambsdorff, Hasselfeldt und - nicht zu vergessen - der unselige Exminister Schneider mit statistischen Durchschnittswerten, in denen dann Huglfing oder Cham im Bayerischen Wald mit Stuttgart und Münschen in einen Topf geworfen werden. ({3}) - Nichts gegen Huglfing; aber so kann man mit Statistik nicht umgehen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß für Sie die Statistik genau dieselbe Funktion hat wie für einen Betrunkenen der Laternenpfahl; er dient nicht der Erleuchtung, sondern dazu, sich daran festzuhalten. ({4}) Einer Meldung im Deutschen Depeschendienst entnehme ich, daß sich Minister Haussmann sogar darüber freut, daß die Mieten steigen. Er sagt, das mobilisiere und aktiviere Kapital. Also, das ist wirklich ein Novum: Er ist der erste Wirtschaftsminister, der sich über Preissteigerungen freut, und das angesichts einer Situation, ({5}) wo es in den Ballungsräumen in München und Stuttgart z. B. heute so ist, daß dort Familien über 50 % und mehr ihres Einkommens für Wohnen aufwenden müssen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich appelliere an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, verlängern Sie zunächst die Gemeinnützigkeit um drei Jahre! ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich möchte um etwas mehr Ruhe im Saal bitten.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die CSU - Herr Kraus hört wieder nicht zu - und die Bayerische Staatsregierung waren schon auf dem richtigen Weg; auch sie wollten die Gemeinnützigkeit verlängern. Nur haben sie sich hier bei ihren Parteifreunden nicht durchgesetzt; sie sind mit großem Tamtam in Bayern als Löwe gesprungen und hier in Bonn als Bettvorleger gelandet, ({0}) wie auch in anderen Fällen. Ich könnte noch mehr Beispiele dieser Art bringen. Jedenfalls waren Sie in der Lage, die Besteuerung des Flugbenzins zu verändern, Sie waren in der Lage, die Quellensteuer zu verändern, natürlich zugunsten der Besitzer großer Vermögen. Warum ist es nicht möglich, nun auf diesem Feld etwas für diejenigen Bürgerinnen und Bürger zu tun, die auf einen preiswerten Wohnraum zwingend angewiesen sind? Schönen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 11/5171. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD Präsidentin Dr. Süssmuth auf Drucksache 11/4203 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf: 19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann ({0}), Daweke, Gerster ({1}), Frau Dr. Wisniewski, Werner ({2}), Dr. Kreile, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Dr. Daniels ({3}), Fellner, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Kappes, Krey, Dr. Lammert, Frau Limbach, Dr. Mahlo, Dr. Olderog, Frau Pack, Regenspurger, Schulhoff, Dr. Uelhoff, Dr. Vondran, Weirich, Weiß ({4}), Zeitlmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Lüder, Dr. Hirsch, Richter, Beckmann, Bredehorn, Cronenberg ({5}), Frau Folz-Steinacker, Funke, Gries, Frau Dr. Hamm-Brücher, Heinrich, Hoppe, Irmer, Kleinert ({6}), Kohn, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Neuhausen, Nolting, Rind, Frau Dr. Segall, Dr. Solms, Dr. Thomae, Timm, Frau Würfel, Wolfgramm ({7}) und der Fraktion der FDP Grundsätze und Ziele der staatlichen Kulturpolitik - Drucksache 11/4488 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({8}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Weisskirchen ({9}), Adler, Amling, Becker-Inglau, Bernrath, Dr. Böhme ({10}), Büchner ({11}), Bulmahn, Conradi, Egert, Diller, Dr. Emmerlich, Dr. Glotz, Graf, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Dr. Holtz, Jungmann ({12}), Kastning, Klein ({13}), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Kretkowski, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Lohmann ({14}), Lutz, Müller ({15}), Dr. Niehuis, Dr. Nöbel, Odendahl, Dr. Pick, Reuter, Rixe, Schmidt ({16}), Schmidt ({17}), Schröer ({18}), Sielaff, Singer, Dr. Soell, Dr. SonntagWolgast, Steinhauer, Stiegler, Dr. Struck, Tietjen, Toetemeyer, Wartenberg ({19}), Weiler, Weyel, Wiefelspütz, Wimmer ({20}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Grundsätze und Ziele für eine Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den neunziger Jahren - Drucksache 11/5469 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({21}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Neumann.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Kunst und Kultur haben in einer Gesellschaft, deren Abläufe zunehmend durch Computer, Satelliten und andere moderne Technologien geprägt sind, für die Selbstentfaltung und -verwirklichung der Bürger existentielle Bedeutung. In den letzten Jahren können wir in allen Teilen der Bevölkerung eine starke Hinwendung zu den Werten von Kunst und Kultur feststellen. Der Boom bei den Zahlen der Besucher von Museen, den Teilnehmern von Musikschulen, Chören und Orchestern dokumentiert dies. Die Politik auf allen Ebenen muß dieser Entwicklung entsprechen. Deshalb haben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit ihrem Antrag zu den Grundsätzen und Zielen der Kulturpolitik erreichen wollen, daß sich der Deutsche Bundestag nach den kulturpolitischen Diskussionen 1984 und 1986 auch in dieser Legislaturperiode wenigstens einmal in einer größeren Debatte mit der Thematik beschäftigt, um Wert und Bedeutung von Kunst und Kultur noch stärker als bisher in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken. Meine Damen und Herren, seit 1904 ist diese Debatte heute nach 1984 und 1986 erst die dritte größere Debatte zur Kulturpolitik in einem deutschen Parlament auf nationaler Ebene. Für die Politik ist das, so meine ich, sicherlich kein besonderes Ruhmesblatt. Nach der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes liegt das Schwergewicht der kulturellen Zuständigkeiten eindeutig und unbestritten bei den Ländern. Das belegen auch die ca. 9 Milliarden DM Aufwendungen jährlich für die Kulturförderung, die zur Zeit zu 55 % von den Gemeinden, zu 40 % von den Ländern und nur zu 5 % vom Bund getragen werden. Der Bund hat geschriebene Zuständigkeiten, die kulturelle Bereiche selbst betreffen oder sich auf diese auswirken, wie auswärtige Angelegenheiten, Schutz des deutschen Kulturgutes, allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse, des Films, Urheber- und Verlagsrecht, Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Steuerrecht. Der Bund hat aber auch eine ungeschriebene Zuständigkeit aus der Natur der Sache, die mit dem Begriff „Gesamtstaatliche Repräsentation und Verantwortung" zu umschreiben ist. Dies wird im „Gutachten über die Finanzreform der Bundesrepublik Deutschland" von 1966 besonders bekräftigt. Die Länder haben eine solche ungeschriebene Zuständigkeit, Neumann ({0}) eine solche Kompetenz nicht ausdrücklich anerkannt. Gleichwohl wird seit 40 Jahren nach diesen Grundsätzen im wesentlichen einvernehmlich mit den Ländern verfahren. ({1}) Dennoch möchte ich an dieser Stelle kritisch anmerken, Herr Kollege Duve, daß von der Seite einiger Bundesländer für meine Begriffe manchmal zu formal und länderegoistisch Positionen vertreten werden, ({2}) die vernünftigen und schnellen Ergebnissen in der Kulturpolitik abträglich sind, ({3}) und hier ist keine politische Seite ausgenommen. ({4}) Die Tatsache, daß man sich in manchen Bundesländern finanziell verausgabt hat - das trifft allerdings nicht für Bayern zu - und leider zu häufig geneigt ist, am ehesten im kulturellen Bereich zu sparen, darf nicht dazu führen, daß kulturelle Aufgaben von nationaler Bedeutung vernachlässigt werden. So ist z. B. ein stärkeres finanzielles Engagement der Länder gemeinsam mit dem Bund im Bereich der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder bei der Kulturstiftung der Länder wünschenswert. Wie wollen wir die gerade durch den gemeinsamen Binnenmarkt auf uns zukommenden Probleme im kulturellen Bereich meistern, wenn nicht, unbeschadet der grundgesetzlichen Kompetenz, Bund und Länder eng kooperieren! Nach den beiden kulturpolitischen Debatten von 1984 und 1986 und der Entschließung des Bundestages vom 4. Dezember 1986 halten wir es nunmehr für geboten, mit unserem Antrag zur innerstaatlichen Kulturpolitik - die auswärtige Kulturpolitik haben wir hier bewußt nicht einbezogen - Bilanz des Geschehenen zu ziehen und Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Daß dies, meine Damen und Herren, ganz gut gelungen sein muß, entnehme ich einem Brief des Präsidenten der Kulturpolitischen Gesellschaft Dr. Olaf Schwencke - ein Parteifreund von Ihnen, Herr Duve - , der mir schreibt: Ich muß Sie zu diesem Antrag ausdrücklich beglückwünschen: Ich habe selten ein so breites Spektrum von Prioritäten formuliert gesehen wie in diesem politischen Antrag, auch wenn ich nicht - als Ihr ehemaliger Bundestagskollege - mit allen Schwerpunktsetzungen persönlich einverstanden bin. ({5}) Meine Damen und Herren, inzwischen liegt, Herr Kollege Duve, auch ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor, was ich sehr begrüße. Leider ist er uns erst gestern zugänglich gemacht worden, so daß er im einzelnen nicht durchgearbeitet werden konnte. ({6}) Ich habe aber festgestellt, daß die SPD in Ihrem Antrag von unserem Beschlußvorschlag, der insgesamt 27 Ziffern umfaßt, allein 18 Ziffern, Herr Kollege Baum, wortwörtlich übernimmt. ({7}) Das ist sicherlich ein Kompliment für unsere Arbeit. ({8}) Daß Sie sich geschäftsordnungsmäßig die Arbeit gespart haben, das noch abzudrucken - Sie haben sogar unseren Druck genommen - , macht deutlich, wie gut dieser Antrag sein muß. Dies, Herr Kollege Duve, läßt darauf hoffen, daß wir in der Kulturpolitik in wichtigen Fragen an einem Strang ziehen. Dies wird Kunst und Kultur sehr dienen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Neumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn mir an der Zeit nichts abgezogen wird.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir es ausgesprochen als Kompliment empfunden haben, daß von diesen übernommen Punkten allein 15 solche Punkte waren, die aus unserer Entschließungsvorlage des Jahres 1986 stammen? ({0})

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duve, ich will das nicht fortsetzen; aber die EntschlieBung, die wir im Deutschen Bundestag 1986 beschlossen haben, kam aus dem Innenausschuß. Daran haben alle mitgewirkt. Ich finde es aber gar nicht schlimm, wenn Sie den Gedanken haben - das kommt ja hin und wieder vor ({0}) und wir ihn aufgreifen. Das ist ja kein Nachteil für die Kulturpolitik. Meine Damen und Herren, was leitet uns bei diesem Antrag? Kunst und Kultur sind Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie sind für Freiheit, Entfaltung und Würde des Menschen ebenso wie für seine Lebensbedingungen von existentieller Bedeutung. Es ist Aufgabe des demokratischen Staates, den Freiraum für künstlerische und kulturelle Leistung zu sichern und auszubauen, nicht aber kulturelle und künstlerische Inhalte vorzugeben. Das kulturelle traditionelle Erbe und das Bewußtsein um die Geschichte prägen entscheidend das Identitätsgefühl unseres Volkes. Aber über den traditionellen Kulturbegriff hinaus müssen die vielfältigen neuen Aktivitäten zahlreicher Bürger, freier Träger und Vereinigungen auf allen Feldern der Kultur anerkannt und ermutigt werden. Kultur für möglichst viele und von mög12980 Neumann ({1}) fichst vielen sollte mit zu unseren wichtigen Maßstäben gehören. Das vermehrte Engagement von Frauen in Kunst und Kultur gibt neue Impulse und ist zukünftig wesentlich stärker zu fördern. Schließlich lassen Sie mich zu den Grundsätzen noch eines hervorheben: Die zentrale Zukunftsaufgabe der weiteren Entfaltung von Kunst und Kultur kann nur gelöst werden, wenn hierfür auch staatliche Finanzmittel in wachsendem Umfang zur Verfügung stehen. Das erfreulicherweise steigende private Engagement zugunsten von Kunst und Kultur ist zu ermutigen und zu fördern, es kann aber die staatliche Förderung nur ergänzen, nicht ersetzen. Meine Damen und Herren, die Kulturpolitik des Bundes ist seit der Wende 1982 um einige wesentliche Schritte vorangekommen: Erstens. Die Ausgaben für Kultur sind deutlich angestiegen, und zwar überproportional zur Steigerung der Haushalte insgesamt. Zweitens. Die Arbeiten für die Verwirklichung des Hauses der Geschichte, der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn sowie des Deutschen Historischen Museums sind beträchtlich fortgeschritten. Drittens. Erstmalig ist mit der von der Bundesregierung vorgelegten umfassenden Untersuchung über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur auf nationaler Ebene bestätigt worden, daß Kultur und kulturelle Leistungen in erheblichem Maße zum Volkseinkommen beitragen. Die wachsende Bedeutung von Kunst und Kultur für Staat und Gesellschaft legt es deshalb nahe, die Grundlagen der Kulturpolitik mehr als bisher wissenschaftlich empirisch zu untersuchen. Viertens. Von der dreistufigen Steuerreform 1986/ 1988/1990 profitieren auch die Kulturschaffenden. Die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Senkung des Eingangssteuersatzes begünstigen vor allem auch die jungen Künstler mit geringerem Einkommen. Ein erster wichtiger Schritt im Hinblick auf die Schaffung eines kultur- und künstlerfreundlichen Steuerrechts ist mit der Befreiung des Erwerbs von Kunstwerken lebender Künstler von der Vermögensteuer und mit einzelnen Verbesserungen im Entwurf des Vereinsförderungsgesetzes getan worden. ({2}) - Ich habe bewußt gesagt: ein erster Schritt. Herr Duve, zu den anderen, die nötig sind, komme ich noch. Fünftens. Auch in der Künstlersozialversicherung sind wir einen wichtigen Schritt weitergekommen. Weitere Verbesserungen werden nötig sein. Die Lage vieler Künstler ist nach wie vor unbefriedigend; z. B. können 95 % der bildenden Künstler vom Verkauf ihrer Arbeiten nicht leben. Sechstens. Die vom Bundestag in den vergangenen Jahren bewilligte kontinuierliche Anhebung der Bundesmittel für die Deutsche Künstlerhilfe hat die Situation der rund 600 vom Bundespräsidenten laufend betreuten älteren und in Not geratenen Künstler fühlbar verbessert. Siebtens. Die kulturelle und auch die wirtschaftliche Filmförderung des Bundes sind in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ stark ausgebaut worden, um dem deutschen Film ein hohes kulturelles Niveau zu bewahren und ihm im In- und Ausland bessere und mehr Resonanz zu verschaffen. Achtens. Die vom Bund erstmals gemeinsam mit den Verbänden verwirklichte Idee eigenverantwortlich und unabhängig arbeitender Kulturfonds hat sich bewährt und ist auf eine auf Dauer angelegte sichere Grundlage gestellt worden. Neben Kunst- und Literaturfonds und dem Musikförderungsprogramm des Deutschen Musikrates werden seit 1988 auch Mittel für die neuen Fonds „Darstellende Künste" und „ Sozio-Kultur " bewilligt. ({3}) Diese Mittel müssen kontinuierlich angehoben werden, um den steigenden Bedarf halbwegs befriedigen zu können, ({4}) obwohl das natürlich in erster Linie Sache der Gemeinden ist. Wenn nun die Sozialdemokraten beklagen, Herr Kollege Duve, daß die Zuwendungen für diese beiden Fonds nicht drastischer erhöht werden - das wäre wünschenswert, wie vieles - , müssen sie sich die Frage gefallen lassen, warum sie nicht schon in ihrer Regierungszeit solche Fonds eingerichtet haben und erst eine von der CDU/CSU geführte Bundesregierung kommen mußte, um der breiten Kultur zusätzliche Unterstützung zu geben. ({5}) - Ich kann ja gar nicht ausschließen, Herr Kollege Duve, daß das in unserer Regierungszeit auf Grund Ihres Antrages gemacht worden ist. Aber wir haben es in unserer Regierungszeit gemacht und Sie nicht. Das ist der Unterschied. ({6}) Meine Damen und Herren, ich will diese Positivliste im Bereich der Kulturpolitik, die seit 1982, seit der Wende zu verzeichnen ist, aus Zeitgründen nicht weiterführen. Ich kann aber, glaube ich, feststellen, daß wir in den letzten Jahren in der Kulturpolitik des Bundes ein gutes Stück weitergekommen sind. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Es ist noch viel zu tun. Von den Forderungen des mit großer Mehrheit in diesem Hause 1986 verabschiedeten Entschließungsantrags sind eine Reihe erfüllt, viele zur Lösung auf den Weg gebracht, aber eine Reihe bisher eben auch nicht erfüllt. Dazu gehört die Schaffung eines kulturfreundlichen Steuerrechts. ({7}) Die indirekte Förderung von Kunst und Kultur durch Veränderung des steuerlichen Instrumentariums ist seit langem eine der wichtigsten Forderungen der im kulturellen Bereich Tätigen und Verantwortlichen. Hierzu liegen von den Koalitionsfraktionen - sicherNeumann ({8}) lich auch von Ihnen, der SPD-Fraktion - seit langem konkrete Vorschläge vor, die bei ihrer Verwirklichung nur Summen in zweistelliger Millionenhöhe ausmachten. Meine Damen und Herren, was ist das schon zu anderen Ausgaben in anderen Bereichen, die wir tätigen? Aber diese würden der Kunst und den Künstlern entscheidend helfen. ({9}) Wir begrüßen, daß sich der neue Innenminister, Dr. Schäuble, diese Vorschläge in der Tendenz und im Prinzip zu eigen gemacht hat. Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode beschlußreife Vorlagen. Meine Damen und Herren, was in vielen anderen westeuropäischen Ländern steuerlich möglich ist, muß auch bei uns möglich gemacht werden. Die bisherige mehr formalistische und bürokratische Antwort von den Beamten des Finanzministeriums, derartige Vorschläge paßten nicht in die Steuersystematik, werden wir nicht mehr akzeptieren. Dann müssen sie eben passend gemacht werden, oder man muß sich etwas anderes einfallen lassen, was im Sinne der Verbesserung des steuerlichen Instrumentariums ist. ({10}) Es gehört zu den wichtigsten, aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung abzuleitenden Aufgaben des Bundes, mitzuhelfen, Kulturgut von nationaler Bedeutung für die Öffentlichkeit zu erhalten, insbesondere vor dem Verkauf ins Ausland zu bewahren oder von dort zurückzugewinnen. So ist zu begrüßen, daß der Regierungsentwurf für den Haushalt 1990 erstmals einen eigenständigen Titel dafür von 4 Millionen DM enthält. Wenn man allerdings bedenkt, daß z. B. die Ottonische Fibel aus dem Jahre 900 zum Preis von 5 Millionen in die USA ging, weil das Deutsche Historische Museum nur bis 1 Million DM mitbieten konnte, wird deutlich, daß die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bei weitem nicht ausreichen. Für eine wirksame Abhilfe müssen unkonventionelle Wege beschritten werden. Wir wollen deshalb einen Vorschlag aus der Kulturdebatte vom Dezember 1986, von meinem Kollegen Klaus Daweke vorgetragen, zum Beschluß erheben: Aus dem jährlichen Prägegewinn der silbernen 10-DM-Kultur-Gedenkmünzen - das sind zwei Serien à 40 Millionen DM - , der jetzt den allgemeinen Haushaltseinnahmen zufließt, ({11}) soll im Bundeshaushalt ein besonderer Fonds gebildet werden. In Form eines „Silbernen Plans" könnte dann nationales Kulturgut nachhaltiger als bisher gesichert und außerdem der Denkmalschutz hieraus stärker gefördert werden. Die Schweiz liefert dazu ein seit Jahren bewährtes Vorbild. ({12}) Lassen Sie mich noch einen letzten, in die Zukunft gerichteten Punkt ansprechen. Durch den europäischen Binnenmarkt und den Wegfall aller Grenzkontrollen entstehen neue Chancen für verstärkte kulturelle Beziehungen, die genutzt werden müssen. Allerdings muß klar sein, daß die sonst für die EG geltenden und zu begrüßenden Ziele wie Harmonisierung und Zentralisierung für den Bereich der Kultur pauschal nicht angestrebt werden können. Denn wir wollen die kulturelle Identität und Vielfalt der Regionen in Europa erhalten und fördern und sie eben nicht harmonisieren. ({13}) Wir wollen nach Möglichkeit die kulturellen Güter der verschiedenen Regionen dort, wo sie sind, bewahren. Deshalb muß eine Gleichsetzung von kulturellen Gütern und Dienstleistungen mit reinen Wirtschaftsgütern vermieden werden. Der Standard des deutschen Urheberrechts, des Sozialrechts wie auch die eigenständige regionale und nationale Förderung von Kunst, Künstlern und Kultur müssen weitgehend erhalten bleiben, wenn wir unsere kulturelle Identität tatsächlich nicht verlieren wollen. Zu diesen Fragen, meine Damen und Herren, gibt es ein großes Informationsdefizit bei den Kulturschaffenden. Es verbreitet sich Unsicherheit, die wir im Hinblick auf das von uns befürwortete Ziel der europäischen Einigung beseitigen müssen. Die im Parlament und in der Bundesregierung für die Kulturpolitik Verantwortlichen müssen sich diesen Themen verstärkt zuwenden, damit nicht aus dem Informationsdefizit ein Handlungsdefizit wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe Kulturpolitik eigentlich immer als etwas verstanden, bei dem wir uns gemeinsam bemühen. Es gab in den 80er Jahren sehr vieles, was von dem einen oder anderen kam: von der FDP, von uns, von den GRÜNEN. Wenn wir zu einer Plattform einer Bundeskulturpolitik kommen, ohne daß jedesmal drei oder vier Länder nervös werden, dann ist das, glaube ich, schon eine ganze Menge. Ich möchte mich mit dem beschäftigen, was wir unter sieben Spiegelstrichen am Anfang unseres Antrags dargelegt haben. In welcher kulturellen Lage befinden wir uns heute, an der Schnittstelle zwischen den 80er und den 90er Jahren, zehn Jahre vor der Jahrtausendwende? In der letzten Nummer der italienischen Kunstzeitschrift „Contemporanea" schreibt die Herausgeberin, Ende der 80er Jahre regiere der Eklektizismus. Sie stellt die Frage: An welche Kunstbewegung wird man sich erinnern, wenn Historiker später einmal die Geschichte der 80er Jahre schreiben? Diese unzusammenhängende Vielfalt der Erscheinungen, eine Kultur der Beliebigkeit - das ist ohne jeden Zweifel eine sehr zutreffende, aber nicht hinreichende Kennzeichnung. Die Beliebigkeit der Stile, die modische Geschwindigkeit der Stimmungen haben ja Gründe, die in politischen und sozialen Entwicklungen zu suchen sind und auf die wir uns vorbereiten sollten. Ich habe das Bild vor Augen, daß sich Grundlagen, Grundstimmungen, ja Grundmauern unserer Kultur wie große tektonische Platten in verschiedene Richtungen verschieben, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, zum Teil gegeneinander, zum Teil auseinanderstrebend. Die Intellektuellen beschäftigt - das kann man in Feuilletons lesen - dabei zumeist die Frage: Regiert die Moderne noch? Hat sie ausgedient? Ist das Projekt der Aufklärung gescheitert? Die dramatischen Entwicklungen der letzten Jahre lassen auf diese Frage keine eindeutige Antwort zu. Wir haben über die Frage der Aufklärung - ja oder nein - 1984 schon einmal diskutiert. Wir sehen begeistert, wie nicht nur Kandinsky und Jawlensky wieder dort geehrt werden, wo sie verfemt und verfolgt waren, nämlich in Moskau, und wir freuen uns, daß ein Vertreter der deutschen Moderne, nämlich Hajek, in diesem Sommer in Moskau innerhalb von vier Wochen 350 000 Besucher anlockte. Das ist eigentlich ein ungeheurer Vorgang. Zugleich hören wir entgeistert, daß - sozusagen als Parallelprozeß - Senator Helms im amerikanischen Senat eine doch sehr fragwürdige populistische Argumentation gegen die Freiheit der Kunst vorträgt und dort eine Gesetzesinitiative eingeleitet hat, die zwar abgemildert wurde, aber immer noch im Raum steht. Ich will kurz auf unsere einzelnen Positionen und Fragen zum Kulturzustand vor der Jahrtausendwende eingehen. Erstens. Ein britisch-indischer Autor schreibt den wohl ersten Roman über die neue elektronisch vermittelte globale Multikultur, in der nach seiner Meinung die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vorherrschendes Prinzip zu werden scheint. Zugleich erläßt einer der mächtigsten islamischen Staaten gegen diesen Autor einen Mordbefehl, der ganz Europa erschreckt. Ich spreche von Salman Rushdie. Dieser Mordbefehl zwingt ihn in das unserer Kultur unwürdige Dasein eines Verschwundenen. Wir haben im Februar dieses Jahres hier darüber debattiert. Wir haben uns alle in sehr eindrucksvoller Weise der gemeinsamen Aufklärungsprinzipien, der Freiheit des Geistes und der kulturellen Toleranz vergewissert. Zweitens. Die pluralistische Kultur ist nicht nur ein Verfassungsgebot bei uns, sie ist inzwischen in der Bundesrepublik und in ganz Westeuropa soziale und politische Realität. Mehr als 12 Millionen europäische Mitbürger nicht-europäischer Herkunft leben in Westeuropa. Wieder ein Widerspruch, den wir aushalten müssen. Gerade diejenigen, die die multikulturelle Wirklichkeit ausmachen, kennen oft in ihren eigenen Traditionen ganz selten das Prinzip einer pluralistischen Verfassung. Welche Probleme wir Deutschen mit dem Pluralismus haben, zeigt uns unsere eigene Vergangenheit in diesem Jahrhundert, manchmal auch die rhetorische Vulgarität der neuen Rechtsextremisten. Drittens. Das Fernsehen wird wohl noch stärker zum Hauptvermittler von öffentlicher Kultur werden als im vergangenen Jahrzehnt. Mehr und mehr bestimmt seine Qualität oder Nichtqualität daher auch die Maßstäbe für alle anderen Bereiche von Kultur. Theater, Musik, Literatur und bildende Kunst können sich immer weniger dem Einfluß dieses elektronischen Mediums entziehen. Es ist eine Art Haushofmeisterei der modernen Gesellschaft geworden. Seine Mächtigen bestimmen, wer öffentlich auftritt, wer oder was also öffentlich zählt und wer oder was nicht, und das ist gerade für Künstler in besonderer Weise bedeutsam. Die These ist über 20 Jahre alt, daß das Medium die Message, die Botschaft werden würde. Inzwischen müssen wir die Frage hinzufügen, ob nicht das Medium auch Maßstabgeber geworden ist, mit dem Form und Inhalt der öffentlichen Kulturen mehr und mehr bestimmt werden. Nicht nur Konservative beklagen, daß in dieser tektonischen Geschiebelage der gemeinsame Grundgedanke, der Sinn für das Ganze verlorengegangen sei. Manchmal versuchen sich Politiker an der neuen Unübersichtlichkeit und glauben, sich durch die Kulturpolitik zum neuen Zusammenbinder des Ganzen machen zu können. Dieses Projekt von Lothar Späth und anderen produziert zwar das, was er und auch Sie, Herr Minister Schäuble, die Konjunktur der Kultur genannt haben, aber es vermehrt nur allenthalben die neue Beliebigkeit. Viertens. Meine Damen und Herren, zugleich ist das Fernsehen dasjenige Medium, das täglich die Ahnung von einer möglichen Weltkultur vermittelt. Wo Umwelt und ballistische Weltwaffensysteme eine neue Qualität von Weltverantwortung erzwingen, werden die Konturen einer möglichen Weltkultur deutlicher, ohne die es eine Weltverantwortung real gar nicht geben könnte: Unendliche Vielfalt, die dann doch wieder ein gemeinsames Projekt ahnen ließe. Ich bin im übrigen davon überzeugt, daß die Menschen in der DDR zumindest genauso stark von diesem Projekt der Weltkultur und des Dazugehörens zu globalen kulturellen und sozialen Entwicklungen bewegt sind wie von der Frage einer auf den alten Nationalstaat ausgerichteten Wiedervereinigung. ({0}) Für sie scheint mir der grüne Paß, den manche von ihnen durch Flucht erworben haben, ein Passepartout für die Teilnahme an Weltentwicklungen, aber nicht unbedingt der Mitgliedsausweis im deutschen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts. Fünftens. Bei diesen Verschiebungen, die die 90er Jahre bestimmen werden, ist die Kulturrevolution in Mittel- und Osteuropa der wohl eindrucksvollste Vorgang, und wir werden von ihm berührt werden. Ein halber Kontinent will zurück nach Europa. Glasnost ist eine Kulturrevolution, und Gorbatschow hat einen Eisernen Vorhang hochgezogen für ein Schauspiel, bei dem wir - das wissen wir jetzt - nicht nur Zuschauer sind. Das wird auch bei uns die Formen und Inhalte der künstlerischen Produktionen nachhaltig beeinflussen. Das Auftauen macht aber auch längst überholt Geglaubtes - etwa den kulturbestimmten Chauvinismus einzelner Völker - wieder lebendig. Im Kaukasus und im Balkan wir die Besinnung auf die eigene Sprache und eigene Kultur - auch in der Ukraine - bedeutsam. Auch das wird nicht ohne Auswirkungen auf uns bleiben. Europäische Kulturpolitik vom Atlantik bis zum Ural wird trotz solcher Tendenzen zum erstenmal erlebbar. Es wäre übrigens gut, wenn hier auch Taten den Worten folgten. Wie Sie wissen, streiten wir im Auswärtigen Ausschuß darüber, daß Goethe-Institute und Mittlerinstitute nun wirklich in die Lage versetzt werden, das zu tun, was Bundespräsident und Bundeskanzler dort angekündigt haben. Sechstens. Die dramatischen Veränderungen in der DDR sind Teil dieser großen kulturellen Veränderung. Wieder müssen wir Deutschen unsere besondere Kulturgeschichte deutlich machen und leben, nämlich eine Kultur zu sein in mehreren Staaten. Denn das war immer so. Christa Wolf, Günter Grass, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Peter Rühmkorf - dessen 60. Geburtstag wir in dieser Woche feiern - , Christof Hein und Stefan Heym, alles Autoren einer gemeinsamen Literatur: Nie ist es gelungen, diese real existierende Kulturnation der Deutschen zu trennen, einfach deshalb nicht, weil dieses Leben in verschiedenen Staaten ein Teil unserer eigenen Kulturtradition gewesen ist. Darum hatten wir die Kraft, damit umzugehen. Schon vor einem Vierteljahrhundert notierte Günter Grass: Bevor es überhaupt eine deutsche Nation gab, gab es Klopstock und Lessing, eine deutsche Literatur. Deutschland ist hundert Jahre vor Bismarck durch deutsche Schriftsteller und Philosophen, die den Geist der Aufklärung durch dieses Land wehen ließen, kraft der Sprache geeinigt worden. Was für die Literatur gilt, gilt ebenso für das Theater, die Musik und die bildende Kunst. Ich freue mich übrigens, daß im Rahmen des Kulturabkommens die NRW-Ausstellung in der DDR nun doch stattfindet. Es waren ja ein paar Tage Unsicherheiten da. Vielleicht können wir nun die Gelegenheit nehmen, mit dabei zu sein, nachdem die selektive Zurückweisung einzelner Abgeordneter anscheinend aufgehoben worden ist. Meine Damen und Herren, doch noch ein Wort zu der neuen Führung in der DDR. Ich finde, daß zu der Wende, von der Krenz gesprochen hat, auch die Rehabilitierung der geschmähten, diffamierten und ausgewiesenen Künstler und Schriftsteller gehört. ({1}) Wir werden keine Ruhe geben, bis nicht Erich Loest, Reiner Kunze, Jürgen Fuchs, Wolf Biermann und viele andere wirklich rehabilitiert werden, ({2}) so wie in Moskau heute ehedem Verfemte offiziell geehrt werden. ({3}) Herr Krenz, lassen Sie Biermann einreisen und erklären Sie die politischen Schauprozesse der 50er Jahre gegen Intellektuelle und Schriftsteller wie den gegen Walter Janka für null und nichtig! Hermann Kant, entschuldigen Sie sich für die unzähligen Schmähungen, die Sie gegen oppositionelle Schriftsteller in den letzten Jahren ausgesprochen haben! Ich komme zu meinem siebten Punkt; ich will das jetzt etwas verkürzen. Die Welt der Arbeitskultur hat sich im letzten Jahrzehnt sehr verändert; sie wird sich noch weiter verändern. Die Geräte, mit denen der arbeitende Mensch umgeht, produzieren eine neue Qualität der Entfremdung. Die Begriffe „Freizeit" und „Arbeitszeit" müssen neu überdacht werden, stellen an die Künstler aber auch neue Herausforderungen. Wir sehen das ja in sehr vielen Arbeiten. Achtens - Herr Neumann hat das angesprochen - : Das Verhältnis der Geschlechter zueinander verändert sich und beeinflußt schon heute zunehmend unsere Kultur. Neuntens. Wir erleben zum erstenmal in der Weltgeschichte eine Gesellschaft, in der alte Menschen eine ganz neue Rolle spielen können. Eine neue Kultur des Zusammenlebens muß begreifen und damit umgehen lernen, daß es noch nie eine so große Zahl alter Menschen gegeben hat, die am gesellschaftlichen Leben wach teilnehmen könnten, die aber zugleich stärker als je zuvor vom Dialog mit den anderen Generationen durch die enorme gesellschaftliche Mobilität abgetrennt bleiben. Hier liegt vielleicht eine der größten Aufgaben für die umfassende Kulturpolitik der 90er Jahre. Künstler - ich habe das gesagt - sind die Seismographen der Gesellschaft; ich meine das sehr konkret. Auch der Bundeskanzler hat dieses Bild gebraucht. Bei der Grundsteinlegung zur Bonner Kunsthalle hat er an das Bild von der Zunft der Erdbebenmesser erinnert. Herr Minister Schäuble, der Vorwurf, den Sie von der „FAZ" und vom „Rheinischen Merkur" nach Ihrer Rede auf dem Kulturkongreß des Deutschen Kulturrats ernteten - ich meine das gar nicht polemisch, weil er auch uns als Kulturpolitiker im Grunde genommen betrifft - zielt genau dahin: Kultur kann nicht mehr einfach als neue Variante der Konjunkturpolitik daherkommen. Wir können Leistungen des Staates nicht einfach abhaken. Kulturpolitik, richtig verstanden, muß auch Dialog mit denen sein, die der Kultur Gestalt geben. Wir müssen uns auch in deren Diskussion einbeziehen und können ihnen nicht nur vorrechnen, wieviel Geld wir für sie ausgeben. Ulrich Greiner hat dies in der „Zeit" im Januar 1989 auf den Begriff gebracht: Nie war der Kulturbetrieb so reich, und nie war die Kunst so arm wie jetzt. Kreativität läßt sich nicht im Tagebau fördern, ruft Greiner Lothar Späth zu, und, zu Biedenkopf gewandt, schreibt er: Innovation gibt es derzeit überall, nur nicht in der Kunst. Da gibt es bloß melancholische Reprise. - Ich meine, er hat recht. Einzelgänger wandern mühselig zurück in die Historie und in ihre Finsternis. Privatanarchisten, die sich für die Zukunft dieses Gemeinwesens einen Dreck interessieren, vergraben sich im Labyrinth ihrer schrecklichen Visionen. Damit läßt sich kein Staat machen. Da entsteht, - so hofft er vielleicht, Kunst. Die braucht der Betrieb nicht. Wir müssen das ernst nehmen. Kulturpolitik steht genauso im zerrenden Widerspruch zwischen denen, die zu Recht als Kulturlobby Leistungen des Staates einklagen, und denen, die um der Kunst willen auf die Grenzen der Kunstförderung und der staatlichen Kulturpolitik hinweisen. Wir freuen uns natürlich, daß die 80er Jahre insofern die von Kohl geforderte geistig-moralische Wende nicht gebracht hatten, weil die Bundesregierung - Neumann hat das ja ausgeführt - die von der sozialliberalen Koalition begonnene Kulturpolitik fortgesetzt hat. Wenn man genau auf die Regierungsbank sieht, sieht man das auch in den Personen. ({4}) Aber wir alle wissen, und die Juroren des Kranichsteiner Literaturfonds konstatieren dies Jahr um Jahr: Schriftstellern kann und muß man helfen; künstlerische Leistungen entstehen jedoch nicht, Herr Dr. Vogel, durch das Geld, sondern durch die Menschen, die die Kunst selber machen, und das verwechseln wir manchmal. „Kultur ist ein Übungsfeld für Demokratie" hat Klaus Staeck auf dem Kulturkongreß in Bonn gesagt, und er hat die Förderung der Kritik eingeklagt. Ich denke, daß gerade bei der Art der Kulturförderung und des Kulturfestivals in den Städten das Element der Kritik und der kritischen Auseinandersetzung immer mehr zurückgedrängt wird. Insofern ist es gut, daß er hierauf immer wieder hinweist. Künstler sind Seismographen. Bisher haben Frühwarnsysteme für den Ausbruch von Erdbeben in der Regel nicht präzise prognostiziert. Ich weiß nicht, wie erdbebensicher wir eigentlich für das, was in unserer Kultur unterschwellig und auch bei den Bewegungen nach rechtsaußen zu spüren ist, in unserem Kulturgebäude zur Zeit sind. Ich glaube darum, meine Damen und Herren, daß es dringend an der Zeit ist, daß wir in der Kulturpolitik, in den Städten, auf dem Land und hier im Bund, eine Phase der selbstkritischen Besinnung einlegen, daß wir selbst und für uns selbst Maßstäbe unseres Tuns entwickeln. Ich will ein Beispiel nennen. Im Bereich des Sponsoring müssen wir, glaube ich, wirklich das tun, was wir auf unserem Parteitag im letzten Jahr gefordert haben: Wir müssen gemeinsam mit der Wirtschaft, vielleicht auch mit den Gewerkschaften und den staatlichen Stellen einen „code of conduct" , eine Liste von Verhaltensregeln entwickeln, damit nicht das passiert, worüber die „FAZ" heute berichtet und schildert, wie die Deutsche Bank in Frankfurt mit einem Museum umgeht, weil ihr ein Künstler nicht paßt. Die Deutsche Bank sagt: Nun wollen wir dieses Museum insgesamt nicht mehr fördern. - Dafür muß es Verhaltensmaßstäbe geben, nach denen wir uns richten. Ich komme zum Schluß. Ich freue mich, daß wir in den Ausschüssen eigentlich sehr umfängliche Papiere diskutieren könnten. Aber, lieber Herr Neumann, Sie wissen ganz genau, daß es zu einer wirklichen Diskussion der Abgeordneten zu diesen vielen Punkten, die ja auch im Gespräch mit der Regierung entstanden und entwickelt worden sind, gar nicht kommen kann, weil wir gar kein Gremium dafür haben. Der Innenausschuß hat sich als Gesamtausschuß ohne Arbeitsgruppe oder ohne Unterausschuß als unfähig erwiesen, überhaupt einmal in einen der Punkte, z. B. Museum, wirklich einzusteigen, so daß das dann wieder durch den Innenausschuß wandern wird und wir zu einer wirklichen Ausschußberatung nicht kommen. Ich bitte die Regierungsfraktionen noch einmal: Lassen Sie uns jetzt wenigstens für das letzte Jahr eine Arbeitsgruppe Kunst und Kultur im Innenausschuß bilden, damit wir mit diesen Sachen ernsthaft umgehen können, damit wir ernsthaft wirklich diskutieren und uns sachkundig machen können! So ist es ein Durchwandern durch die Ausschüsse: Zwei/drei Leute interessieren sich als Berichterstatter besonders dafür, alle anderen sagen: Wir haben keine Zeit; der Ausschuß ist zu sehr belastet und beladen. So müssen die Künstler und Kunstschaffenden wirklich das Gefühl haben, daß das hier nur eine Veranstaltung for show ist: Es kommt ein Antrag herein, wandert durch und geht - mit Mehrheit beschlossen - wieder heraus. Ich denke, daß in allen Anträgen sehr viel Diskussionswürdiges steckt, daß man auch weiter etwas entwickeln könnte. Dafür braucht man aber ein Gremium. Ich kann nicht einsehen, daß sich die Regierungsfraktionen bei soviel Betonung von Kunst und Kultur immer noch weigern, eine solche parlamentarische Einrichtung zu schaffen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duve, Sie haben nachdenkliche Bemerkungen zur kulturellen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gemacht, die mit dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, im einzelnen nichts zu tun haben. ({0}) Nichtsdestotrotz waren sie interessant. Wir sind von anderer Seite kritisiert worden, daß wir, die Politiker, allgemein in unseren Anträgen immer einen großen theoretischen Anlauf nähmen und dann erst sehr spät zu dem kämen, was uns hier eigentlich zu interessieren hat, nämlich politische Entscheidungen. Angesichts der Kürze der Redezeit, die mir zur Verfügung steht, möchte und kann ich jetzt nicht auf das eingehen, was Sie zur kulturellen Lage gesagt haben. Vielmehr möchte ich auf die kulturpolitische Lage im Bund eingehen, wie das auch Herr Neumann getan hat. Es ist in der Geschichte des Deutschen Bundestages die dritte Debatte, die wir hierzu führen. Es stellt sich natürlich die Frage: Haben wir etwas verändert, hat das etwas bewirkt, haben wir etwas bewegt? - Das ist der Fall. Ich möchte sagen, daß der Bund seine besondere kulturpolitische Verantwortung seit Mitte der 70er Jahre aktiviert hat. Ausgangspunkt war die wichtige Untersuchung über die berufliche Lage der Künstler. Seitdem sind kulturpolitische Entscheidungen in einer ganzen Reihe von Politikbereichen getroffen worden, die uns hier im Bund angehen. Ein Defizit an Entscheidungen im Kultursteuerrecht darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir seit Mitte der 70er Jahre eine deutliche Öffnung der Bundespolitik für kulturpolitische Belange feststellen können, die sich im übrigen auch im Bundeshaushalt niederschlägt. In Programmen meiner Partei ist das - 1986 - auch der Fall gewesen. Aber noch immer geht es darum, Kulturpolitik als gleichgewichtige Aufgabe neben den anderen anerkannten Politikfeldern im Bund fest zu etablieren. Immer noch steht Kulturpolitik beispielsweise hinter Wissenschaftspolitik zurück. Immer noch gilt: Unsere Gesetze, unser Verwaltungshandeln trägt der besonderen Art künstlerischer Tätigkeit und Produktion eben nicht voll Rechnung. Der neue Bundesinnenminister hat hier neue Initiativen unternommen, die unsere Unterstützung finden. Bemerkenswert ist auch die wachsende Aufgeschlossenheit des Bundesbildungsministers. Wir haben uns in unserem Koalitionsantrag in 27 Einzelpunkten zum Stand der Kulturpolitik geäußert. Ich greife einige Punkte heraus. Erstens. Die Kulturstiftung der Länder hat, wie ich meine, noch nicht zu ihrer vollen Wirksamkeit gefunden. ({1}) Sie hat die Aufgabe, Kulturgut zu erwerben, wahrgenommen. Nicht wahrgenommen hat sie die Chance, von sich aus kulturpolitische Akzente zu setzen und kulturpolitische Entscheidungen vorzubereiten. Ich denke an Untersuchungen, an Erfahrungsaustausch, an Symposien. Themen liegen auf dem Markt, sie müssen nur aufgegriffen und aufgearbeitet werden. Zweitens. Die Kulturforschung hat in den letzten Jahren wichtige Ergebnisse gebracht. Das Gutachten des Ifo-Instituts hat erneut unter Beweis gestellt, daß die Kultur eben nicht nur ein Kostgänger des Staates, sondern auch ein großer Wirtschaftsfaktor ist. Ich möchte die Bundesregierung auffordern, die Kulturforschung fortzusetzen. Ich möchte beispielsweise wissen, wie sich nun die Lage der Künstler seit der Enquete Mitte der 70er Jahre verändert, also verbessert hat. Ich möchte wissen, warum so viele im Musikbereich Tätige, vor allen Dingen in der Oper, nicht aus Deutschland, sondern aus dem Ausland kommen. Es fehlen vertiefte Untersuchungen auf dem Binnenmarkt. Es fehlen noch Grunddaten für wichtige kulturpolitische Entscheidungen. Wir haben gerade eine Veröffentlichung des Zentrums für Kulturforschung zum Thema „Renaissance der Mäzene" bekommen. Dies alles hilft und muß fortgesetzt werden. Drittens. Im Bereich der steuerpolitischen Instrumente stellen wir ein Defizit fest. Mit der Vermögensteuerbefreiung für Werke lebender Künstler und dem Erhalt der Vermögenssubstanz bei gemeinnützigen Stiftungen sind unsere Forderungen keineswegs erfüllt. Das sagen wir nicht zum ersten Mal, sondern der Bundestag hat das bereits 1986 zum Ausdruck gebracht. Wir haben in unserem Antrag die Bundesregierung noch einmal nachdrücklich an den von ihr angekündigten Bericht zur Prüfung steuerpolitischer Instrumente für die indirekte Kunst- und Kulturförderung erinnert - um das Wort „ermahnen" nicht zu gebrauchen -. Dieser Bericht sollte schon in der vorigen Wahlperiode gegeben werden. Auch der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung Ankündigungen gemacht. Wir fordern diese Stellungnahme jetzt an. Aus der Fülle der Vorschläge greife ich nur einige heraus, die vordringlich sind: die Freistellung allen Kunstbesitzes von der Vermögensteuer - Steuerausfall: 5 bis 8 Millionen, also lächerlich - , eine wichtige Geste gegenüber der Kultur, der Kunst mit wichtiger Signalwirkung; die Gesamtbewertungsproblematik für die Finanzverwaltung entfiele. ({2}) Wir erwarten eine kulturfreundliche Fortentwicklung des Stiftungsrechts auch in steuerlicher Hinsicht. Dazu gehört beispielsweise die Anhebung der Abzugsfähigkeit von Stiftungsdotionen natürlicher Personen. Warum, so fragen wir, stößt die Hingabe besonders wertvoller Kunstwerke an Museen zur Abgeltung von Steuerschulden immer noch auf Widerstand der Finanzbehörden? Diese sogenannte Pompidou-Lösung hätte, mit den richtigen Bedingungen versehen, doch erhebliche Vorteile für die Kultur und auch für den Fiskus. Wir fragen, warum es immer noch nicht möglich ist, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Sachspenden wertvoller Kunstwerke, deren Eigentum zu Lebzeiten, deren Besitz aber erst nach dem Tod des Spenders an Museen geht, zu verwirklichen. Wir setzen uns für die Einführung des sogenannten Buchwertprivilegs ein, auch dann, wenn die Güter nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch kulturellen Zwecken unentgeltlich zugeführt werden. Eine besondere Problematik ist die Abgrenzung von Liebhaberei und freiberuflicher Tätigkeit. Hier gibt es sehr viel Ärger. Die üblichen Bewertungsmerkmale für Gewinnerzielungsabsicht versagen bei Künstlern. Insbesondere die rückwirkende Aberkennung des Status freiberuflicher Tätigkeit, wenn der Erfolg ausbleibt, ist unerträglich. Van Gogh wäre unter diesen Bedingungen niemals als Künstler anerkannt worden. Mein Kollege Gattermann hat deshalb schon im Mai 1988 beim Bundesfinanzministerium angeregt, daß man sich dort über eine handhabbare künstlerfreundliche Abgrenzung zur Liebhaberei Gedanken macht. Übrigens finde ich es bedauerlich, daß im Gegensatz zu früheren Kulturdebatten das Finanzministerium heute hier nicht vertreten ist. ({3}) Ich könnte diese Punkte fortsetzen, etwa im Hinblick auf die notwendige einkommensteuerliche Begünstigung von Aufwendungen für den Denkmal12986 schutz und die Einführung eines Sonderausgabenfreibetrags für den Erwerb von Kunstwerken lebender Künstler. Aber ich breche hier ab. Wir alle kennen die Kataloge. Wir meinen, wir fordern, wir wünschen, die Bundesregierung möge noch in dieser Wahlperiode erste Vorschläge vorlegen, die wir dann noch beschließen können. Ankündigungen haben wir genug gehört. ({4}) Viertens. Wir erwarten die Bildung eines Fonds im Bundeshaushalt. Da greife ich das auf, was Herr Kollege Daweke vor Jahren angekündigt hat, und was Sie, Herr Neumann, heute erneut gesagt haben: die Bildung eines Fonds im Bundeshaushalt, der aus dem jährlichen Prägegewinn der 10-DM-Kulturgedenkmünzen geschaffen werden soll, einen „Silbernen Plan" also zur Sicherung national wertvollen Kulturguts. Jedermann hätte dann die Möglichkeit, durch den Erwerb dieser Münzen sehr bewußt Kunst und Kultur zu fördern; bedrohtes Kulturgut könnte man sichern, zeitgenössische Kunst fördern und besondere Beiträge zum Denkmalschutz leisten. Wir haben soeben gehört, daß es eine neue Umweltstiftung gibt. Eine Kulturstiftung mit dem besonderen Titel „Silberner Plan" wäre eine gute Ergänzung. Der Finanzminister ist hier gefordert. Fünftens. Durch das Künstlersozialversicherungsrecht ist die Lage der Künstler verbessert worden. Wir werden das Funktionieren und die Probleme, die bei der Realisierung des Gesetzes auftreten, weiter verfolgen. Änderungen in dieser Wahlperiode sind aber nicht mehr möglich. Zur Filmförderung haben wir in dem Antrag das Notwendige gesagt. Ich möchte es hier nicht ausbreiten. ({5}) - Schade? Dann sage ich es Ihnen noch. ({6}) - Ich meine, mit Herrn Achternbusch habe ich mich ja nicht auseinanderzusetzen gehabt. ({7}) - Ja; Herr Zimmermann. Aber das ist vorbei. Die Gerichte haben ihre Meinung gesagt. Und das war gut so. ({8}) - Gut. Aber wir wollen ja niemanden hier mit einem Film bestrafen, sondern wir kämpfen für die Freiheit der Kultur, wie auch immer sie aussehen mag. ({9}) Die Kulturfonds müssen weiterhin finanziell angemessen ausgestattet bleiben und eigenverantwortlich handeln. Das ist alles in Ordnung. Der Binnenmarkt ist eine Chance für das Buch. Er ist eine Chance für die Kultur. Aber er darf nicht eine Gefahr für die Pluralität und für die Eigenständigkeit unserer Kultur werden. Bundesminister Möllemann hat die Förderung von Kunst und Kultur im Bildungswesen zu einem Schwerpunkt seiner Aufgaben gemacht. Das unterstützen wir. Wir meinen auch, daß die Stiftungen allgemein in unserem Lande ihren Schwerpunkt nicht nur bei Wissenschaft und Forschung, sondern künftig auch stärker im Bereich der Kultur sehen sollten. Der Kulturrat ist für mich und meine Partei ein wichtiger Gesprächspartner. Er muß auch finanziell durch Beiträge des Bundes in seiner Funktionsfähigkeit erhalten bleiben. Das Kulturabkommen mit der DDR muß ausgefüllt werden. Ich hoffe mit Ihnen, Herr Kollege Duve, daß es jetzt zu einer neuen Art der Kulturbeziehungen kommt. Ich meine, mit einem freien Reiseverkehr ist ein freier Kulturverkehr ebenso wie ein freier Sportverkehr verbunden, über den wir gestern diskutiert haben. Ich begrüße es, daß sich die Bundesregierung intensiv mit den Auswirkungen des Binnenmarkts auf unsere Kultur beschäftigt, mit den vielfältigen Aspekten, die hier auftreten. Schließlich: Meine Kolleginnen in der Fraktion arbeiten an der Konzeption eines Frauenmuseums mit dem Ziele, den kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Anteil der Frauen in unserer Geschichte darzustellen. Nun noch ein Wort zum Antrag der SPD. Sie übernehmen eine Reihe der Punkte - das entspricht der Gemeinsamkeit, von der die Rede war ({10}) - Gut, wir haben gemeinsame Ziele; ich will Sie nicht ärgern. Aber wenn Sie es sich so einfach machen und in einem Ihrer Punkte sagen, die Gemeinden müßten Kultur zurückdrehen, weil der Bund durch seine Rahmenbedingungen ihre finanzielle Lage verschlechtert habe, dann muß ich energisch widersprechen. Erstens geht es den Gemeinden nicht so schlecht, und zweitens meine ich: Wenn Kommunalpolitiker den Kulturetat kürzen, sollten sie zu dieser ihrer Verantwortung stehen und das nicht dem Bund vor die Türe schieben. Ich bin der Meinung, die Kultur hat nicht in der Rolle des Bittstellers aufzutreten. Sie sollte vielmehr so selbstbewußt und offensiv auftreten wie andere Politikfelder. Sie sollten jedenfalls nicht die Verantwortung verlagern. Wenden Sie sich an Ihre Kulturpolitiker in den Gemeinden. ({11}) Die könnten die Belange der Kultur manchmal sehr viel selbstbewußter vertreten. Die Kultur ist der Politik nicht nachgeordnet, sondern die Politik ist ein Aspekt der Kultur, die allen gesellschaftlichen Prozessen zugrunde liegt. Kultur ist nach einem Wort unseres Bundespräsidenten unser aller Lebensweise, die Substanz, um die es in der Politik zu gehen hat. Es ist und bleibt die erste Hauptforderung, die die Kultur an die Politik zu stellen und die die Politik zu erfüllen hat, daß der Staat den Freiraum der Kultur nicht nur garantiert, sondern auch selbst respektiert. Die Kultur braucht eine Lobby, der Bundestag sollte dazu gehören. Die Forderungen der Kultur sind gering, gemessen an anderen. Mit dem Hinweis auf die Leistungen der Sozialhilfe beeindrucken Sie mich überhaupt nicht. Warum wird das immer der Kultur und nicht anderen Aufgabenfeldern entgegengehalten? Die meisten Künstler bei uns leben bescheiden. Die großen Stars, die es überall gibt, verdecken die wirkliche Lage. Warum genießen die für eine lebendige Stadtkultur immer wichtiger werdenden Begegnungsstätten nicht die gleichen Befreiungen von der Steuer wie öffentliche Theater und Museen? Warum haben unsere Fernsehanstalten eigentlich noch nicht die für das Medium gemäße Form für Oper und Konzert gefunden, die über das Abfotografieren einer Opernbühne hinausgeht? Warum müssen künstlerisch wertvolle Produktionen zu später Nachtstunde gesendet werden? Hier gibt es also viele Fragen. Die Entwicklung in Osteuropa und vor allem in den letzten Wochen in der DDR zeigt: Die Kreativität der Künstler ist der ursprünglichste Ausdruck der Freiheit selbst. Wer erlebt hat, wie die Künstler in der Semperoper nach der Aufführung auf die Bühne gehen und für die Demokratie plädieren, spürt, daß die Künstler eine besonders enge Nähe zur Freiheit haben. Deshalb tragen sie den Aufbruchprozeß in der DDR ja auch in einer besonderen Weise. Ihnen gilt unsere Sympathie. Der Künstler empfindet die Bedrohung der Freiheit und die Entwicklung in unserer Gesellschaft existentieller. Wir wollen ihn schützen. Die Kunst braucht Freiheit, weil sie selbst wesenhaft Freiheit ist. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Freudig stimmt uns, daß in den kulturpolitischen Grundsatzerklärungen der vorliegenden Anträge die Entwicklung eines neuen Kulturbegriffs anerkannt wird. Damit wird gleichsam etwas zur Kenntnis genommen, zu dessen Förderung und Reflexion der Bundestag aber eindeutig zuwenig beiträgt. Er sieht nicht einmal die Notwendigkeit, das in einem eigenen Ausschuß oder wenigstens Unterausschuß zu reflektieren. ({0}) Mein erstes Stichwort heißt: multikulturelle Gesellschaft - das taucht in allen Anträgen auf. Allenthalben besteht Übereinstimmung, daß die Bundesrepublik eine solche sei, und allenthalben ist die Diskussion über die Wünschbarkeit eines solchen Prozesses entbrannt. Was bedeutet eine solche vielkulturelle Gesellschaft? - Der Begriff umfaßt Reichtum und Vielfalt ebenso wie Wirrnis und Beliebigkeit. Dazu fallen einem Worte ein wie Flirren, Rotieren, Flimmern, Uneindeutigkeit. Viele sagen, die Zuwanderung von Menschen fremder Kulturen hat die unsere verändert; die einen meinen damit: reicher gemacht, die anderen empfinden das als Verunsicherung. Das Hinzukommen von anderen Kultureinflüssen ist dabei jahrtausendelang gesucht worden. Künstlerische Kreativität war ohne solche Begegnungen überhaupt nicht denkbar. Sie ist deswegen als Reichtum empfunden worden und keineswegs als Problem. Daß uns unsere Kultur ungewiß, ja, fremd geworden ist, liegt also offensichtlich an unserer eigenen Entwicklung und nicht an dem, was an Fremdem, anderem zu uns kommt, sondern an dem, was bei uns im Zentrum fehlt. ({1}) Da ist zunächst natürlich die Geschichte der Deutschen, die uns in ihrem kulturellen Bereich 13 Jahre lang von der Entwicklung der Kultur der Moderne abgeschnitten hat. - In der Debatte über die NS-Kunst haben wir genau über das, was in diesen 13 Jahren geprägt worden ist - ästhetisch, künstlerisch und kulturell - , diskutiert. Seit dem Ende des Dritten Reiches suchen wir nach einer eigenen, einer nicht monumentalen Kultur und einer kulturellen Identität. Das ist aber schwierig gewesen. In der Wiederaufbauzeit wurde Kultur durch Arbeit geradezu ersetzt - diese Arbeitswut hat viele kulturelle Denkmäler gekostet; ich denke nur an die Kultur unserer Städte -, später durch Konsum, diese besonders problematische Aneignung der Welt, von der kulturell nicht viel mehr bleiben wird als Müllberge. Damit einher ging die Orientierung an der westlichen Kultur, speziell der amerikanischen. Da es sich hierbei weniger um die Prägung durch John Updike und den Blues von New Orleans handelte, sondern mehr um werbungsgetränkte Vorstadtstraßenbilder bis hin zu dem Fast Food - der als Massenkultur bereits die meisten der Parteitage dieses Landes prägt, die FDP- und die CDU-Parteitage durch McDonalds - , entschlüsselt sich das Kriterium der Aneignung dieser sogenannten amerikanischen Kultur im wesentlichen als eine Konzentration auf das Schnelle und Leichte und Fettige und Grelle. Der dritte Grund zur Verunsicherung in unserer eigenen Kultur ist die Zerstörung gewachsener Zusammenhänge durch Zwangsmobilität und die Zerstörung von Regionen. Diese Tendenz ist ungebrochen und macht uns im Augenblick Schwierigkeiten. Sie läuft nämlich darauf hinaus, daß zu jeder Zeit von jedem alles getan werden kann: sonntags arbeiten, Shopping in Mailand, in Hamburg ins Theater, danach mit dem jeweiligen Lebensabschnittsbegleiter ins koreanische Restaurant. Lange haben wir dies nur unter dem Aspekt der Befreiung vom Alten und der Eroberung neuer Lebensräume gesehen. Wenn aber multikulturell in der Hauptsache heißt: Beethoven neben Batman, Baghwan neben Buchsbaum, dann wird der identitätssuchende kulturelle Gegenreflex gewaltig und auch gewalttätig sein; das erleben wir im Augenblick. Wir sehen die Vorboten dieser Reaktion im doppelten Sinne in Gestalt der Republikaner und von Teilen ihrer Wähler und Wählerinnen. Das ist eine Kultur, die nach hinten sucht, was nach vorne ungewiß ist. Die Republikaner-Wähler und -Wählerinnen wählen eine Partei, die Deutschland in den Grenzen von '37 will, und wissen nicht einmal genau, wo die Grenzen von '37 überhaupt liegen. ({2}) Tatsächlich geht es ihnen auch nicht um Deutschland in den Grenzen von '37, sondern z. B. um die Frauenrolle in den Grenzen von '37, ({3}) um die einfachen Weltbilder in den Grenzen von '37, um eine deutsche Monokultur in den Grenzen von '37 und um die deutsche Jugend in den Grenzen von '37. ({4}) Wer dem entgegenwirken will, braucht nicht in erster Linie eine pädagogische Kulturpolitik und eine mit dem ästhetischen Zeigefinger. Er braucht vor allen Dingen eine politische Kultur, die sein lassen und die streiten kann und die Offenheiten ermöglicht. Sie muß den gewachsenen und wachsenden Zusammenhängen Raum lassen. Sie darf nicht mit der Modernisierungswalze wieder und wieder übers Land fahren, auch dann nicht, wenn sie ihr ein Kulturprogramm und eine gut geförderte Standortpolitik hinterherschickt. Dabei denke ich sowohl an Hamburg als auch an Baden-Württemberg. Denken wir lieber bei den nächsten Entscheidungen über die Autobahnen, über die Abschaffung des Sonntags und bei den Standorten für den geplanten Wohnungsbau daran. ({5}) Denken wir daran, daß der Fernsehzuschauer mit seinen 20 Programmen dann aufhört, Zuschauer zu sein, wenn ihn nichts mehr hält, dem Sog der Television nachzugeben. An dieser Stelle würde es mich natürlich schon reizen zu diskutieren, wie stark dieser Sog z. B. in bezug auf die Berichterstattung über die Flüchtlinge aus der DDR war. An diesem Beispiel kann man nämlich den Doppelcharakter des Mediums Fernsehen erkennen: Einerseits ist das Medium Fernsehen natürlich ein ziviler Draht zu einer zivilen Weltgesellschaft, andererseits hat es natürlich auch eine ungeheure Macht über Menschenschicksale. In dieser Art und Weise ist diese Flüchtlingsbewegung natürlich mißbraucht worden. ({6}) Sie war weder dem kritischen Dialog der Journalisten hier, ob dies erlaubt sei, noch dem Dialog der in der DDR Zurückgebliebenen ausgesetzt. ({7}) - Es ist genau die Frage, ob die Freiheit der Berichterstattung funktioniert, wenn die kritische Diskussion unter Journalisten über diesen Punkt aufhört. Ich habe festgestellt, daß auch da eine Krähe der anderen nicht ins Butterbrot hackt. ({8}) - Ich habe gesagt, daß es um den Doppelcharakter des Mediums geht und daß man gerade die Entwicklung der demokratischen Kontrollmöglichkeiten, die allein dialogisch sind, und auch die Notwendigkeit von Selbstbeschränkungen, gerade bei einem Medium mit einer solch ungewöhnlichen Macht, diskutieren muß. ({9}) In diesem Fall fehlten zwei Dialogpartner: einmal die Stimme der Zurückgebliebenen in der DDR. Ich kenne doch die verführerische Gewalt von Befreiungsbildern. Erinnern Sie sich z. B. an die Szene, als Herr Genscher auf dem Balkon stand und wie sich das verdichtete, als gehe es um den allerallerletzten Zugang zu der letzten Arche. Aber in demselben Moment, in dem das passierte, drehte sich für die anderen sehr laut und deutlich der Schlüssel im Schloß, und der Zugang wurde ihnen versperrt. Darüber, was man durch solche Bilder in bezug auf die Phantasien von Menschen anrichtet und ob das nur ein ziviler Gebrauch dieses Mediums ist oder nicht ein ungeheuer mächtiger, müßte eine Debatte stattfinden, wenn dies für den Bereich der Kultur so wichtig ist. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Dr. Vollmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Daweke?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Vollmer, das wird doch auch unter den Journalisten diskutiert. Deshalb frage ich Sie jetzt: Hätten Sie sich in diesem Falle entschieden, die Bilder aus Prag nicht zu senden?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hätte mir gewünscht, daß neben diesen Bildern aus Prag die Bilder von den Reaktionen der Zurückgebliebenen und von dem Eindruck, den sie hatten, nämlich daß sie die letzten Deppen, die letzten zurückgelassenen Deppen sind, gesendet worden wären. ({0}) Der andere Teil der Wirklichkeit wäre gewesen, wenn die danebengestanden hätten. Zu dieser Debatte hätte ebenso - wir kommen jetzt vom Thema ab - eine viel präzisere Berichterstattung über die Kultur gehört, in die sie hier kommen. Geben Sie es doch zu. Ich weiß von Journalisten, daß sie ungeheuer aggressive Zuschriften aus der Bundesrepublik bekommen haben und daß sie sie bewußt - sie meinen: aus politischer Verantwortung - nicht veröffentlichen. Ich verstehe das. Gleichzeitig wäre das eine Richtigstellung gegenüber dem Moment des Sogs gewesen, der natürlich ungeheuer gefährlich ist, wenn man in dem Bereich die Realität nicht überprüfen kann. ({1}) - Noch eine Frage?

Franz Heinrich Krey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001214, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich habe noch eine ganz praktische Frage. - Das Problem, das Sie soeben dargestellt haben, ist sicher diskussionswürdig. Nur, wer sollte nach Ihrer Auffassung die Auswahl, die Entscheidung über journalistische Veranstaltungen treffen, wir, die Politiker, der Staat? ({0}) - Ja, ich frage ja nur einmal.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eben dies ist natürlich das Problem, wenn man das von diesem Pult aus macht. Denn aus hohem Respekt vor der Unabhängigkeit der Presse finde ich eigentlich, daß sich Politiker, insbesondere Parteipolitiker, da heraushalten sollen, weswegen ich z. B. auch dagegen bin, daß es die Rundfunkräte und die Fernsehräte gibt, in denen, wie Sie ja wissen, alle anderen Parteien außer den GRÜNEN sehr viel Einfluß im Hinterzimmer nehmen. Nur, was machen Sie, wenn Sie den Eindruck haben, daß eine solch wichtige Beeinflussung von Politik und Menschenschicksalen über dieses Medium passiert, dessen Freiheit Sie hoch respektieren, und daß die Selbstkontrolle dieses Mediums nicht mehr klappt, daß sie jedenfalls nicht mehr öffentlich geschieht? Ich vermute ja, daß sehr viele Journalisten über diese Wirkung sehr wohl Zweifel hatten und daß darüber diskutiert worden ist. Wahrscheinlich hat man auch versucht, die Sache zu ändern. Ich finde, die Berichterstattung hat sich inzwischen erheblich geändert, weil sich auch die Wirklichkeit in der DDR geändert hat. Womöglich sagt man sogar: Gerade weil wir das so dramatisch zugespitzt haben, ist in der DDR dann irgendwann dieser Punkt gekommen, an dem sie gesagt haben: Es reicht. Aber ich finde, es ist hoch gefährlich, wenn man so mit diesem Medium und damit mit der Kultur Politik macht und Menschenschicksale beeinflußt. ({0}) - Gerade deswegen - die Zeit ist ja nun vorbei - ist es sinnvoll, das dann wenigstens nachträglich zu diskutieren. Wenn wir schon sagen, es seien manchmal Entschuldigungen fällig, dann weiß ich eigentlich nicht, warum gerade das allermächtigste der Medien, die in der Öffentlichkeit wirken, dies nur durch Stille und konstruktive Veränderung reflektieren muß, während sich jeder andere dann auch der öffentlichen Kritik stellen muß.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Franz Heinrich Krey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001214, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, es ist doch ein ganz wichtiger Punkt. Die Appelle an die Verantwortung der Journalisten kann man, glaube ich, allgemein unterschreiben. Nur, an welchen Fakten Sie das Thema festmachen, läßt mich nachfragen, ob Sie denn glauben, daß es irgendwie eine Instanz geben könnte, die diesen Prozeß steuern könnte. ({0}) Oder sind Sie der Auffassung, daß die Journalisten die Ereignisse in Prag oder anderswo zunächst einmal so, wie es Egon Erwin Kisch bei den „Böhmischen Zwillingen" gesagt haben soll, produziert haben, um darüber zu berichten, oder ob es ihre Pflicht ist, uns, d. h. alle Menschen, an den Ereignissen teilnehmen zu lassen, damit sie sich ihre eigene Meinung über die Vorgänge bilden können?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich ist es die Pflicht, Bilder zu zeigen; es ist aber auch die Pflicht, die Wirkung von Bildern zu überprüfen und sich zu fragen, ob diese Bilder die ganze Wirklichkeit sind. Nichts anderes habe ich versucht zu sagen. Wir sind ja im Grunde genommen jetzt bei einem sehr spannenden Punkt. Wir haben nämlich ein Stück Zeitgeschichte erlebt, und wir haben auch selber bei uns gemerkt, wie wir ständig durch Feuer und Wasser gegangen sind. Wir haben also sowohl das Befreiende dieser Bilder als auch das Verführerische und Gefährliche dieser Bilder gemerkt. ({0}) - Vielleicht hätte ich etwas anderes machen sollen und, statt über die Journalisten zu diskutieren, über den Anteil von Politik und handelnden Politikern diskutieren sollen. ({1}) Dann will ich Ihnen deutlich sagen: Bei meinem ungeheuer großen Respekt vor der politischen Arbeit von Herrn Genscher gerade in der letzten Zeit halte ich die Szene auf dem Prager Balkon für seinen einzigen Fehler, allerdings für einen sehr schwerwiegenden. ({2}) Jetzt muß ich aber irgendwie von diesem Thema wieder herunterkommen und weiß nicht, wie. ({3}) Ich wollte jetzt noch über die anderen Punkte sprechen, über den Föderalismus, darüber, welche Kulturfonds wir machen würden, darüber, daß wir als GRÜNE vor allen Dingen ein Projekt Theater vorhaben und daß wir einen Frauenfonds und die Berücksichtigung von alternativen Gruppen fordern, die gerade bei der neuen Entwicklung in Osteuropa, finde ich, auch ihren Teil an auswärtiger Kulturpolitik beanspruchen können. Das sage ich nur stichwortartig und wünsche ein schönes Wochenende. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Bundesminister Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duve, Sie haben - da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, nicht in allem, was Sie gesagt haben - gesagt, wir brauchen den Dialog. Gerade für uns Deutsche ist die Frage auf diesem für uns wahrscheinlich noch sensibleren Beziehungsfeld als für andere gefährlich: Was haben der Staat und die Politik in der Kultur zu tun, und was haben der Staat und die Politik zu lassen? Über die Rahmenbedingungen habe ich beim Kulturkongreß gesprochen, was manchem zu wenig war. Aber wohin man kommt, wenn man es anders macht, haben wir - bei allem Respekt, Frau Vollmer - , eben erlebt. ({0}) Man kommt nicht nur vom Thema weg, sondern man kommt sehr in die Irre. Nun will ich der Versuchung widerstehen, über Prag und diese Dinge zu reden, obwohl mir das auch am Herzen liegen würde, aber ich finde, daß das, was der Staat für die Kultur zu tun und auch zu lassen hat, so wichtig ist. Aber wenn der Dialog, das Gespräch, so wichtig ist - wenn Sie mir dies erlauben - , möchte ich doch gern fragen, ob wir es nicht auch im Bundestag exerzieren sollten, daß der eine ein bißchen auf den anderen mit eingeht und daß wir uns auch ein bißchen an das Thema halten, das wir uns heute vorgenommen haben. Nach der Tagesordnung heißt das Thema: „Grundsätze und Ziele der staatlichen Kulturpolitik" . Und in Ihrem Antrag heißt es: „Grundsätze und Ziele für eine Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den neunziger Jahren". ({1}) Wenn wir das machen, können wir wirklich in ein Gespräch eintreten. Ich will versuchen, auf ein paar Punkte einzugehen, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben, und hoffe -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ja, wenn ich den Satz zu Ende gebracht habe. Ich war noch bei „und" , und da war ein Komma. Ich hoffe, daß wir über die grundsätzlichen Dinge, die ich auch gerne sagen möchte, dann noch im Laufe der weiteren Beratung dieser Anträge sprechen können. Bitte sehr.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bitte schön, Herr Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es eine mögliche parlamentarische Verfahrensweise ist, zunächst mal bei Einbringung von Anträgen sehr grundsätzlich den Dialog - in diesem Fall mit den Künstlern, mit den Philosophen usw. - zu suchen und dann die einzelnen Punkte der Ausschußberatung und der Beratung, die dann dem Ausschußbericht folgt, im Plenum zu überlassen? Das ist eine Frage der Wahl. Das kann man so oder so machen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich stimme Ihnen zu, daß dies eine grundsätzlich mögliche Form ist. Aber, Herr Kollege Duve, stimmen Sie mir vielleicht auch zu, daß die Form von Debatten am Freitagnachmittag, wo wir eine Rede beziehungslos neben die andere stellen, nun auch nicht zur Attraktivität des Parlaments und wahrscheinlich auch nicht zu unserem Kulturverständnis und zu dem, was Sie als Dialog gefordert haben, beiträgt? Die Bemerkung wollte ich denn doch machen. ({0}) Ich sagte: Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland oder in Deutschland wahrscheinlich noch mehr auf Behutsamkeit im Umgang zwischen Politik und Kultur - vielleicht ist die Kultur auch Teil der Politik und die Politik auch Teil der Kultur -, zwischen Staat und Künstlern und bei dem, was Freiheit in der Kunst und Kultur anbetrifft, angewiesen als andere. Deswegen glaube ich, daß die Grundentscheidung für den Föderalismus, also für die originäre Zuständigkeit der Länder und der Gemeinden, in der Kulturförderung eine ganz wichtige und richtige Entscheidung ist. ({1}) Wir haben als Folge dessen nicht nur ein größeres Netz an kulturellen Einrichtungen, was auch nicht so unwichtig ist, denn wir wollen Kulturpolitik nicht nur mit dem Anspruch einer elitären Arroganz betreiben, sondern wir wollen auch dafür sorgen, daß möglichst viele Menschen daran teilhaben. Ich glaube, daß der Zugang der Allgemeinheit ein ganz wichtiges Anliegen dessen ist, was uns gemeinsam beschäftigt. Wenn wir durch dieses föderale Grundsystem ein breiteres Netz als andere haben - übrigens auch, was in sich noch kein Wert ist, jedenfalls aber kein Nachteil, einen höheren Anteil an staatlichen Ausgaben für Kulturförderung als andere Länder, nicht der Bund allein, sondern Bund, Länder und Gemeinden zusammen -, dann haben wir nicht nur eine größere Chance für einen breiteren Zugang der Menschen, sondern dann haben wir vor allen Dingen eine bessere Vorkehrung gegen die Manipulation durch einzelne. ({2}) In jeder die Kunst fördernden Entscheidung steckt immer ein Stück Subjektivität - das muß notwendigerweise so sein -, aber je mehr Entscheidungsträger wir haben, um so größer ist die Chance, daß derjenige, der bei der einen Subjektivität herausfällt, bei der anderen eine Chance des Zugangs hat. Das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt. Nun hat der Bund in diesem Beziehungsgeflecht eine besondere, eine doppelte Rücksichtnahme, er muß auch auf die Länder Rücksicht nehmen. Er tut gut daran. Es ist auch richtig. Er hat es immer gemacht. Wir tun ja im übrigen in weiten Bereichen dessen, was in den haushaltsmäßigen Ansätzen steht, es gar nicht für uns. Wir fördern immer subsidiär, komplementär, manchmal auch initiativ, regen andere mit an. Ich halte dies alles in der Verbindung miteinander für eine ausgesprochen gescheite und richtige Entwicklung und bekenne mich ausdrücklich dazu. Aber das heißt auch, daß wir dann auch gar nicht so viele Akzente setzen können. Das heißt es nämlich auch. Wenn man dieses Verständnis von Zurückhaltung von Politik und auch von subsidiärem Verständnis im Bundesstaat hat, dann darf man nicht zu viele Akzente setzen wollen. Wenn man zu viele Akzente selbst setzen will, kann auch die Gefahr bestehen, daß man zu viel bevormundet. Dafür bin ich nun überhaupt nicht. Ich finde, wenn wir also schon über die Rolle des Fernsehens reden, meine Damen und Herren, dann müßte ja wohl von Ihrer Seite ein Wort dazu kommen, daß Sie nicht recht hatten, als Sie sich gegen die Vielfalt auch im Fernsehen so lange, so heftig gewehrt haben. Wenn überhaupt - ich will ja gar nicht behaupten, daß das alles schon gut sei - eine Vorkehrung besteht gegen die Manipulation durch Monopole, dann ist es doch die Öffnung der Vielfalt. Wir sollten übrigens in der Filmförderung - also, wir wollen nicht den alten Streit fortsetzen, ich finde, daß es in der Debatte nicht sehr weiterhilft - auf dem eingeschlagenen Weg fortfahren, wo wir beides miteinander verbinden: die Förderung qualitativ hochwertiger Filme, aber zugleich auch den Blick darauf, daß die Filme auch noch Zuschauer finden. Denn wenn sich am Ende keiner mehr dafür interessiert, ist ja das, was wir auch erreichen wollen, damit nicht zu tun. Daß wir unter europäischen Gesichtspunkten in den nächsten Jahren mehr Anstrengungen zu leisten haben, erscheint mir wohl wahr. Daß wir in Europa - auch das steht in Ihrem Antrag, und das begrüße und unterstütze ich sehr - im übrigen sehr darauf achten müssen, daß nicht die Kommission aus Mangel an Zuständigkeiten sich immer mehr administrierend und bevormundend einmischt, halte ich für wichtig. ({3}) Daß wir auch die Chancen des Föderalismus, also der Pluralität von Entscheidungsträgern, auch in Europa erhalten müssen und deswegen auch für Länderinteressen in der europäischen Entwicklung eintreten müssen, halte ich ebenso für wichtig. Daß wir dafür auch - und das gehört zu den Rahmenbedingungen, die der Staat zu leisten hat - Geld brauchen, auch in Zukunft Geld brauchen und mehr Geld brauchen, ist ebenfalls wahr. Ein Satz zu der Ifo-Studie. Eines, nicht weil das nun eine Frage von Konjunktur ist oder so - das auch -, gibt sie doch wirklich her: sie zeigt, daß wir gut daran tun - auch unter ökonomischen Gesichtspunkten -, weiter die Mittel für die Kulturförderung zu verstärken. Und nun sage ich, wir haben angekündigt, daß wir in dieser Legislaturperiode jedenfalls erste Schritte für ein kulturfreundliches Steuerrecht vorlegen werden. Das ist beschlußfähig und beschlußreif. Ich sage, die Ankündigung gilt. Wir werden bald und so rechtzeitig, daß der Bundestag auch noch darüber beschließen kann, steuerrechtliche Initiativen vorlegen. ({4}) Ich sage das zweite auch. Ich habe es schon ein paarmal öffentlich gesagt. Ich kann das nicht mit Verbindlichkeit für die Bundesregierung sagen, weil das noch nicht mit dem Bundesfinanzminister abgestimmt ist. Aber ich bin schon dafür, daß wir uns aus den Erträgen aus der Zehn-Mark-Münze in einer dem Vorbild der Schweiz entsprechenden Weise zusätzliche Mittel für die Kulturförderung erschließen. ({5}) Ich sage ausdrücklich, ich habe eine persönliche Sympathie dafür, kann aber dieses noch nicht mit der gleichen Verbindlichkeit sagen, wie ich das für den steuerrechtlichen Teil zusagen kann. Meine Damen und Herren, ich würde uns gerne dazu einladen, den Dialog über diese Fragen intensiver fortzusetzen, aber eben mit dem jeweiligen Antwortgeben auf den jeweils anderen bei der Beratung der beiden Anträge, die Grundlage unserer Debatte sind. Ich möchte den Antragstellern für das, was an Grundlagen in diesen Anträgen enthalten ist, ausdrücklich danken. Es stört mich auch gar nicht, daß dabei Gemeinsamkeit ist. Es bleibt genügend Raum zum Streiten. ({6}) Wir brauchen vernünftige, rationale Auseinandersetzungen. Aber wir sollten den Streit um die Sache führen, auch um das, was Politik überhaupt zu entscheiden und wo Politik die Finger herauszulassen hat; denn beides gehört nach meiner Überzeugung zusammen. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weiler.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kulturförderung als Instrument des Staates, nationales Kulturgut zu fördern und zu bewahren, ist ein wichtiges Ziel politischen Handelns. Nur müssen wir uns fragen, wie wir die Menschen, die diese Kulturgüter schaffen, in die Förderung einbeziehen können. Ich stelle dazu fest, daß im vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen im wesentlichen nur in drei Punkten sehr knapp auf die Lage der Künstler eingegangen wird, nämlich beim Künstlersozialversicherungsgesetz, bei der Deutschen Künstlerhilfe und beim Urheberrecht. Dabei wird im Punkt 3 des Antrages mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Kultur und kulturelle Leistungen nicht unwesentlich zum Volkseinkommen beitragen. Da frage ich mich, ob die Künstler, z. B. in Form sozialer Absicherung, an diesem Volkseinkommen nicht stärker beteiligt werden sollten. Staatliche Kulturpolitik darf nicht Selbstdarstellung des Staates und eine Art Verbraucherpolitik sein im Sinne von: Wie bekomme ich die Kultur am besten an die Frau oder den Mann? Sie muß die Künstler als arbeitende Menschen einschließen. Das heißt, Kulturpolitik muß auch sozialpolitische Komponenten haben. Das kommt in Ihrem Antrag zu kurz. Das ist auch Aufgabe des Bundes. ({0}) Die soziale Situation der Künstler ist geprägt durch unregelmäßige Einkommen. Berufsanfänger haben längere Anlaufschwierigkeiten als in anderen Berufen. Und damit haben sie auch größere Probleme, ihre Existenzgrundlage zu sichern. Frauen haben noch größere Schwierigkeiten, sich auf dem Kunstmarkt durchzusetzen, einmal, weil ihre Schaffensphasen durch Zeiten der Familienarbeit unterbrochen werden, aber zum anderen auch wegen immer noch vorhandener patriarchalischer Scheuklappen. Mit solchen Schwierigkeiten fertigzuwerden ist schon für Künstler während der Schaffenszeiten schwierig; bitter wird es jedoch im Alter, wenn keine soziale Sicherung greift. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die sozialliberale Koalition 1980 das Künstlersozialversicherungsgesetz geschaffen, das nun auch von der Fraktion der CDU/CSU als notwendig anerkannt ist. Allerdings ist dieses Gesetz weiterhin reformbedürftig. Es muß den Gegebenheiten künstlerischen Schaffens und den besonderen Erwerbsbiographien der Künstler angepaßt werden. Es müssen auch einige soziale Härten zurückgenommen werden, die z. B. durch die letzte Gesetzesnovelle vom Dezember 1988 entstanden sind. Da möchte ich besonders die Kollegen von den Regierungsfraktionen an ihr Votum im mitberatenden Innenausschuß vom Dezember 1988 erinnern. Dort haben Sie, erstaunlicherweise - ich fand das damals sehr erfreulich - , einen Forderungskatalog von neun Punkten aufgelistet und dem damals federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung aufgegeben, das zu berücksichtigen. Ich hoffe, daß Sie dieses Votum, das Sie damals abgegeben haben, in die Beratungen über diese Anträge, die jetzt in Ihrem Ausschuß folgen werden, mit aufnehmen werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Weiler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neumann?

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben eben kritisiert, daß nur in drei kurzen Passagen in unserem Antrag die Situation der Künstler angesprochen werde: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Punkte in dem uns gestern vorgelegten Antrag der SPD gar nicht vorkommen?

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich habe Verständnis dafür, Herr Kollege, daß Sie noch nicht die Zeit hatten, alles zu vergleichen. ({0}) Ich kann es Ihnen gerne gleich zeigen. Wir haben in den Antrag nicht nur einige detaillierte Punkte zur Künstlersozialversicherung hineingeschrieben, wir haben auch erwähnt - was leider in Ihrem Antrag fehlt - , daß Sie im Dezember letzten Jahres bei der zweiten Novellierung des KSVG soziale Härten neu eingebracht haben. Das heißt, Sie haben einen Rückschritt gemacht. Ich kann es Ihnen gleich zeigen. ({1}) Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß meine Fraktion die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen auffordert, eine aktive Künstlerförderung mit diesem Gesetz zu unterstützen. Dabei möchten wir folgende Forderungen gerne nochmals deutlich machen. Das Beitragsverfahren in der heutigen Form führt zur Unterversicherung der Künstler im Alter. Das Ruhen von Leistungsansprüchen bei Beitragsverzug muß abgeschafft werden. Es bringt unnötige Härten. Durch die Festsetzung einer Höchstgrenze für die Bemessungsgrundlage der Künstlersozialabgabe soll den Problemen der Theaterverlage Rechnung getragen werden. Wir meinen auch, es sollte darauf verzichtet werden, selbständigen Künstlern in den ersten fünf Jahren einen Mindestbeitrag in der Krankenversicherung und Rentenversicherung abzuverlangen. Eine personelle Aufstockung der Künstlersozialkasse müßte auch in Ihrem Sinne sein, denke ich. Die Künstler und besonders die selbständigen Künstler sind natürlich auch von Ihrer unzureichenden Sozialpolitik betroffen. Herr Neumann und auch Herr Baum sprachen von den unterschiedlichen Aufgaben und der Förderung in den Ländern. Nur: Die Belastung der Kommunen z. B. durch Sozialhilfe hat enorme negative Konsequenzen für Ausgaben im kulturellen Bereich. ({2}) - Herr Baum, Sozialhilfe ist gesetzlicher Anspruch, Kultur, Sport und ähnliches sind freiwillige Aufgaben. ({3}) Es müßte auch Ihnen bekannt sein, daß es inzwischen Städte und Kommunen gibt, die auf Grund der hohen Belastung durch die Sozialhilfe nur noch eine so kleine freie Spitze haben, ({4}) daß sie noch nicht einmal entscheiden können, ob sie nun den Sport oder die Kultur fördern. Sie können nämlich beides nicht mehr machen. ({5}) Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Gefahr besteht natürlich auch darin, die Förderung von Künstlern privaten Mäzenen, z. B. Industrie und Banken, zu überlassen. Denn die Künstler, die unbequem sind und deren Werke nicht dem aktuellen Geschmack entsprechen, werden dadurch noch größere Schwierigkeiten haben. ({6}) - Wir wollen eine soziale Absicherung; das heißt etwas ganz anderes, Herr Baum. Im Hinblick auf den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt fordere ich die Bundesregierung auf, sich ebenso, wie wir es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun, auch in diesem Falle für soziale Mindeststandards einzusetzen. Wenn betont wird, daß kulturelle Vielfalt in unserem Lande sehr wohl ein Standortvorteil sein kann - das empfinde ich auch so - , dann müssen wir diesen Standortvorteil den Künstlern gegenüber in einer gewissen Weise ausdrücken. Mit Freude habe ich gesehen, daß die Antragsteller unter Punkt 20 die Unterrepräsentanz von Frauen in kulturellen und künstlerischen Berufsfeldern kritisieren. ({7}) - Ich hoffe, ich kann dem entnehmen, daß die Zeit der Sprüche vorbei ist, Herr Baum, und daß Sie dann unser Gleichstellungsgesetz unterstützen können. ({8}) Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß noch eine Bemerkung machen, die besonders die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen im Innenausschuß beherzigen sollten. Ich weiß, daß bei der Kulturpolitik - das habe ich auch heute wieder mitbekommen - sehr vieles gemeinsam gemacht wird und daß in einigen bestimmten Bereichen im Parlament zwischen allen Fraktionen ein Konsens besteht. Ich habe aber gerade auch durch den Antrag, der von Ihnen vorliegt, den Eindruck, daß Sie die ganz konkrete Situation der Künstler und die Leistungen der Künstler nicht genug honorieren, nicht genug bewerten. Denn hier reichen keine schönen Worte, sondern da muß der Staat, da muß der Bund handfeste Fakten bringen, handfeste finanzielle Unterstützung leisten. Ich hoffe, daß die Beratungen in den Ausschüssen in diesem Sinne Erfolg haben werden. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Daweke.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die heutige Debatte eigentlich so verstanden, daß wir nach dem ersten Anlauf 1984 - damals hatte ich mit Frau Wex und Herrn Baum das Vergnügen, vieles von dem, was heute diskutiert wird, sozusagen zum erstenmal anzureißen - und der zweiten Debatte zwei Jahre später einen neuen Anlauf wagen und uns darüber im klaren sind, daß das nicht unbedingt immer mit neuen Ideen geschehen muß. Ich denke, wenn wir einen Teil der alten Ideen umsetzten, könnten wir eine vierte Debatte mit Erfolgsmeldung führen. Daran werden wir nämlich inzwischen gemessen. Wir werden nicht so sehr an den Ankündigungen gemessen, sondern an dem, was wirklich geschieht. ({0}) Ich meine, die Chancen sind riesig. Es gibt einen neuen Innenminister, es gibt einen neuen Finanzminister. Ich wollte von dieser Stelle aus Wolfgang Schäuble bitten, ein paar der Dinge, die wir hier vorgetragen haben, sozusagen zur Chefsache zu machen. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, daß einiges von dem, was wir gern passieren sähen, deshalb nicht passiert, weil wir auch Vorschläge gemacht haben, die sicherlich ungewöhnlich sind. Ich rede beispielsweise von der Hingabe von Kunst an den Staat. Das ist in unserem Steuersystem sicherlich etwas sehr Unsystematisches. ({1}) - So ist es. Der Beamte tut das jeden Tag und auch nachts, wie man weiß. Aber Kunst an Stelle von Geld und Steuern, das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Die Idee muß aber trotzdem gut sein, denn nach Pompidou hat sich ihr inzwischen sogar Maggie Thatcher angeschlossen. Der wird man nicht vorwerfen, daß sie im Steuerrecht unsystematisch vorgeht. ({2}) - Das wird manche vielleicht nachdenklich machen. Ich kann sie beruhigen: Auch die Italiener haben es, die Spanier haben es. Wir sollten es dringend auch haben. Ich habe übrigens ein paar Protokollnotizen über diesen Vorgang. Ich darf das kurz als Erläuterung zum Ablauf von Politik schildern. Finanzminister Apel, Finanzminister Lahnstein und Finanzminister Stoltenberg haben mir gegenüber jeweils mit ihrer Unterschrift erklärt, daß das nicht geht. In Wahrheit ist es immer ein und derselbe Ministerialrat im Bundesfinanzministerium, der dort seit 20 Jahren sitzt und der Auffassung ist, daß man die Hingabe von Kunst an den Staat eigentlich nicht machen kann. ({3}) Er hat nämlich das Riesenproblem, wie er den Wert eines Kunstwerks bemißt. Das ist doch völlig klar. Ich dachte immer, Politik bestünde darin, daß ein neuer Minister sagt: Ich will das, und jetzt machen wir das auch. ({4}) - Es kann sein, daß das ein Irrtum ist. Ich habe aber große Hoffnung, weil die beiden Minister, die jetzt zuständig sind, nämlich Herr Dr. Waigel und Herr Dr. Schäuble, einen guten Zugang zu diesem Thema haben. Ich habe deshalb mit großer Freude die Ankündigung gehört, die hier gemacht wurde. Dasselbe gilt für das Thema Münzgewinn. Es gilt im Grunde genommen auch für das Thema Vermögensteuer. Wenn wir wollen, daß wir die Kunstwerke sehen, die reiche Mäzene kaufen, dann müssen wir ihnen das Angebot machen, daß wir sie nicht sofort bestrafen, weil ein Oberinspektor in der Zeitung liest, daß jemand ein Bild hergegeben hat, wobei er sofort nachschaut, ob der Betreffende die Vermögensteuer bezahlt hat. Ehrlich gesagt: Den Bund kostet es keinen Pfennig, denn die Vermögensteuer wird sowieso nicht gezahlt. Deshalb zeigt es der Betroffene ja auch nicht. Wenn man ehrlich wäre, könnte man sehr schnell zu dem Schluß kommen, daß der Staat bei dieser Geschichte überhaupt keinen Pfennig verliert. Wir alle würden aber viel profitieren, weil wir sehr viel mehr von den Schätzen sähen, die die Menschen besitzen. Ich möchte jetzt noch gern zwei zusätzliche Aspekte in die Debatte einführen, von denen ich denke, daß wir sie im Zusammenhang mit den Anträgen noch nicht wissen konnten, weil sie uns in der letzten Zeit aufgekommen sind. Es ist hier sehr viel von der europäischen Dimension geredet worden. Wir haben in Europa zwei Arten von Urheberrecht: Wir haben das angloamerikanische Copyright, und wir haben das kontinentale Urheberrecht. Bei uns schützt das Urheberrecht den Autor als Träger der Nutzungsrechte usw. In Großbritannien dagegen wird der Vermittler, der Vervielfältiger und Eigentümer geschützt. Das ist übrigens angesichts der Entwicklung in den Medien eine sehr wichtige Frage. Die Europäische Kommission favorisiert, obwohl es nur in Irland und in Großbritannien das Copyright gibt, das Copyright. Wenn wir hier über 3 oder 4 Millionen DM reden, die in der Kulturförderung wichtig sind, dann kann ich Ihnen nur sagen: Käme das englische Copyright via Kommission in Europa, dann nähmen wir den Autoren und den Kulturschaffenden viel mehr weg. ({5}) Das betrifft auch die jungen Künstler. Die beste Methode, junge Künstler zu fördern, besteht darin, ihre Rechte zu schützen. Dann werden sie nämlich später, wenn sie berühmt werden, davon auch finanziell profitieren. Das zweite ist natürlich, daß wir dafür sorgen - durch das Steuerrecht und anderes - , daß die Leute ordentlich viel junge Kunst kaufen. Das ist nun die allerbeste Förderungsmethode. Deshalb bin ich übrigens auch der Auffassung, daß da der Ansatz sein sollte. Vorgestern abend hat die Bayer-AG eingeladen. Da saß alles, das war wie der Gotha der deutschen Industrie, wenn man die Gästeliste las. Das Thema Mäzenatentum wird ein zentrales Thema des nächsten Jahrzehnts. Davon bin ich fest überzeugt. In dieser Bundesrepublik sind viele Leute sehr reich geworden. Die haben - genau wie traditionell linke Reiche, Herr Conradi - immer ein schlechtes Gewissen. ({6}) - Sie nicht, Sie sind auch ein rechter Linker, oder Sie leben rechts. Was ich sagen will, ist: Wenn wir diese Schätze heben wollen, dann meine ich, können wir mit ganz wenigen Mitteln - etwa im Stiftungssteuerrecht, das kostet gar nicht viel - unglaublich viel aus der Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland herausholen. Die werden sehr dankbar sein. Wir werden ihnen auch Kulturdenkmäler setzen. Deshalb ist es ganz wichtig, daß in der Regierungserklärung drinsteht, daß wir auch das Stiftungssteuerrecht in dieser Legislaturperiode novellieren wollen. Es ist wichtig, daß das nun tatsächlich passiert. Meine Informationen sind so, daß das Bundesfinanzministerium das nicht gerade mit höchster Priorität bearbeitet. Deshalb ist auch schon der ehemalige Kollege Mikat dabei, selbst einen Text zu formulieren, um uns hier voranzubringen. Meine letzte Bemerkung betrifft das Thema Film. Da ist gesagt worden, die Instrumente stimmen. Das stimmt auch. Ich möchte Sie, weil hier auch sehr viel von osteuropäischer Kultur heute die Rede war, auf folgendes hinweisen: Der deutsche Jugendfilm lebt weitgehend von den Produktionen der Tschechoslowakei, Ungarns und Polens. Das kann man sich schnell erklären. Diese Länder durften andere Filme nicht machen, oder wenn, dann nur staatlich geleitet. Also haben sie sich auf das kapriziert, wo sie sich frei entfalten konnten; Jugendfilm, Trickfilm und dergleichen Dinge mehr. Ich wette mit Ihnen, die werden genau wie bei uns anfangen, andere Filme zu produzieren, wenn sie jetzt freier werden. Dann wäre bei uns der Jugendfilm nicht vorhanden - oder nur in sehr spärlichen Ansätzen -, und in Osteuropa wäre er weniger produziert. Wie aber wollen Sie denn dieses Medium anders nutzen, als dadurch, daß man es Kindern im Fernsehen aber auch in Kinos vorführt. Deshalb finde ich, sollten wir bei unserer Diskussion der Anträge auf diesen Aspekt vielleicht zusätzlich auch noch eingehen. Das waren ein paar Anregungen zum Schluß der Debatte. Ich darf mich herzlich bedanken und auch Ihnen ein schönes Wochenende wünschen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge auf den Drucksachen 11/4488 und 11/5469 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 6 und 7 auf: 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann ({0}), Gerster ({1}), Kalisch, Regenspurger, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Fellner, Dr. Hüsch, Dr. Kappes, Krey, Dr. Olderog, Weiß ({2}), Frau Dr. Wisniewski, Zeitlmann, Dr. Daniels ({3}), Daweke, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Lammert, Frau Limbach, Dr. Mahlo, Schulhoff, Dr. Uelhoff, Dr. Vondran, Weirich, Werner ({4}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Lüder, Kleinert ({5}), Neuhausen, Dr. Hirsch, Frau Seiler-Albring, Wolfgramm ({6}) und der Fraktion der FDP Präsidentin Dr. Süssmuth Deutsches Historisches Museum in Berlin - Drucksache 11/5309 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Innenausschuß ({7}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Weisskirchen, Bernrath, Conradi, Egert, Hämmerle, Müller ({8}), Odendahl, Schmidt ({9}), Schmidt ({10}), Sielaff, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg ({11}), Weiler, Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Deutsches Historisches Museum in Berlin - Drucksache 11/5470 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({12}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß ZP7 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Überarbeitung des Konzeptes zum „Europäischen Forum für Geschichte und Gegenwart" - Drucksache 11/5487 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({13}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 45 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf die Tageszeit will ich versuchen, einen Beitrag zur Kulturdebatte insoweit nachzuliefern, daß wir etwas kürzer sind, als bisher vereinbart. ({0}) Bonn und Berlin, die Bundesregierung und der Senat, haben vor Jahr und Tag vereinbart, das Projekt „Historisches Museum" zu realisieren. Diskussionen darüber, ob Deutschland ein weiteres historisches Museum braucht, ob neben dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und den Institutionen in Ost-Berlin noch ein eigenes Historisches Museum West notwendig ist, wie dieses gestaltet werden soll, welche Vielfalt es darstellen soll und wie es konzipiert werden soll, gehören der Vergangenheit an. Wir sind keine politischen Wiederkäuer. Zwischen Berlin und Bonn sind Entscheidungen getroffen worden, die es umzusetzen gilt, und darauf zielt unser Antrag der Koalitionsfraktionen. ({1}) Wenn wir schon in die Vergangenheit blicken, dann sollten wir sehen, daß die Idee ja mindestens bis auf das Jahr 1973 zurückgeht, ein Museum für deutsche Geschichte zu gründen. Im Hinblick auf den SPD-Antrag darf ich daran erinnern, was der damalige Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Herr Kollege Dr. Vogel, gesagt hat. Oskar Schneider hat uns an dieses Zitat neulich erinnert. Ich darf es aus dem Brief nehmen: Es bricht sich zunehmend die Einsicht Bahn, daß nur der das Heute verstehen und für morgen Ziele entwickeln kann, der das Gestern begriffen hat. All das spricht dafür, - sagte Vogel daß wir gerade in Berlin Initiativen ergreifen, um diesen in Gang gekommenen Prozeß zu fördern, und dazu kann ein Haus der Geschichte - wie er es nannte - beitragen. Damit ist eigentlich ein Grundkonsens gelegt worden, der heute durch die Anträge der SPD und der GRÜNEN in Frage gestellt zu sein scheint; ich mache es ganz vorsichtig. Wenn jetzt die SPD-Fraktion mit ihrem heutigen relativierenden Antrag auf neue Zwischenüberlegungen des Senats von Berlin abstellt, so sage ich in aller Deutlichkeit: Es mag zwar sein - das würde von uns auch begrüßt - , daß neue fruchtbare Anregungen für die Gestaltung des Museums und die Konzeption dieses Hauses kommen - Anregungen kann man nie genug bekommen - ; aber das kann und darf nur im Rahmen der vorhandenen und abgeschlossenen Vereinbarungen geschehen, nicht gegen sie oder gar über sie hinaus. ({2}) Wir wollen das Deutsche Historische Museum nicht zum Spielball der Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Bonn oder gar, Herr Senator, zwischen Grün und Rot in der Berliner Szene werden lassen. ({3}) Wir sagen mit aller Deutlichkeit nein auch zu dem Antrag, den die GRÜNEN hier vorgelegt haben. Das ist ein Ausweichen in ein anderes Themenfeld. Das bringt uns in der Frage der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte nicht weiter. Meine Damen und Herren, wir werden darauf achten und unsere parlamentarische Begleitung darauf einstellen, daß in diesem Museum Vielfalt der Geschichte und Problemdaten der historischen Entwicklung ungeschminkt dargestellt werden. Aber, Herr Duve, uns unterscheidet eines: Man kann nach unserer Auffassung nicht mit der Mehrheit eines Aus12996 schusses oder der Mehrheit des Parlaments über die Richtigkeit von historischer Darstellung sprechen. ({4}) Deswegen unterstützen wir die Konzeption, die in dem Sachverständigenrat gefunden worden ist, eine Vielfalt von Sachverständigen und nicht eine Mehrheit des Parlaments, wie auch immer sie zusammengesetzt ist, darüber entscheiden zu lassen, was geschieht. Wir werden das im Parlament kritisch begleiten, aber wir wollen auf den Sachverstand der unabhängigen Sachverständigen und nicht auf Mehrheitsentscheidungen hier im Hause bauen. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Lüder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Duve?

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lüder, sind Sie mit mir einer Meinung, daß öffentliche parlamentarische Disputation, daß öffentliche Anhörungen, wie wir sie zu diesem Gegenstand durchgeführt haben, daß auch die Beteiligung von Parlamentariern an der Diskussion in Gremien nicht das alte Muster sind: Kultur wird per Mehrheit abgestimmt oder nicht abgestimmt? Darum geht es überhaupt nicht.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Duve, ich bin mit Ihnen zu einer Hälfte einer Meinung, nämlich in der Hälfte, wo Sie sagen, daß eine öffentliche parlamentarische Begleitung kommen muß; da sind wir einer Meinung. Aber bei der Einbeziehung von Abgeordneten in Entscheidungsgremien und damit auch bei der Entbindung von unserer Kontrollaufgabe habe ich nach meinem eigenen Parlamentsverständnis Zweifel. ({0}) Meine Damen und Herren, der Geschäftsführer der Museums-GmbH, Herr Stölzl, ermutigt uns durch seine bisherigen Konzeptionen und seine bisherige Arbeit darin, zu erwarten, daß den Ansprüchen auf Vielfalt auch entsprochen wird. Ich muß mir eine Bemerkung in Klammern erlauben: Ich meine nicht nur die in der Person Professor Stölzls zum Ausdruck gekommene personale Toleranz, die ihn zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDP in Berlin befähigt, nachdem er vorher von der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses zum Wahlmann für die Wahlversammlung zum Bundespräsidenten gewählt worden ist. Vielleicht kann auch die SPD noch einmal Chancen wahrnehmen, die personale Vielfalt dieser Persönlichkeit auch in der Breite besser zu nutzen. ({1}) Das Deutsche Historische Museum kann einen unverrückbaren, unübersehbaren Beitrag zum Verständnis unserer gemeinsamen Geschichte geben. Die Chancen sind gut, daß die Museumsbesucher aus dem In- und Ausland, aus Ost und West, aus Nord und Süd nach Errichtung dieses Hauses ein vertieftes und kritisches Verständnis von der deutschen Geschichte haben. Deswegen und in diesem Geiste bejahen wir das Projekt. Wir wollen keine weitere Verzögerung. Es hat schon lange genug gedauert, bis sich die Planungen im Modell realisiert haben. Wir brauchen auch - anders als vielleicht der eine oder andere im Berliner Senat - keine Alibidiskussionen. Die Koalition möchte mit dem Antrag, den sie vorgelegt hat, die Bundesregierung ermuntern, den von ihr eingeschlagenen Weg mit Berlin konsequent und zügig zu gehen, um dieses wichtige Projekt zu realisieren. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD sagt ja zum Konzept des Deutschen Historischen Museums in der jetzt vorliegenden Form. Das wird kein Deutsches Nationalmuseum, das wird keine vaterländische Weihestätte, in der der Atem der Geschichte durch die ausgestellten Reliquien weht, ({0}) sondern das wird ein offenes Haus, in dem Geschichte, deutsche und europäische Geschichte ausgestellt und kritisch und kontrovers diskutiert wird. Mir wäre der Begriff „Forum" lieber als der Begriff „Museum". Wir wollen hier festhalten: Es ist kein Museum deutscher Geschichte, sondern ein Deutsches Historisches Museum, d. h. ein Museum, das auch die Geschichte unserer Nachbarn und die Sicht unserer Nachbarn über unsere eigene Geschichte einbezieht, also kein Haus für ein abgeschlossenes, unkritisches, museales Geschichtsverständnis. Wenn wir uns darüber einig sind, hat die Diskussion der vergangenen Monate schon einen Wert. Wir haben noch keinen Konsens über den Standort und über die Architektur. Projekte solcher Art gehen über mehrere Legislaturperioden und möglicherweise wechselnde parlamentarische Mehrheitsverhältnisse. Deswegen soll man auch da einen breiten Konsens suchen. ({1}) Ich finde, der Bundeskanzler hat das Projekt Deutsches Historisches Museum ein wenig zu sehr persönlich und zu sehr parteilich betrieben. ({2}) Von den drei Gründungsvätern sind doch zwei bereits in der Versenkung verschwunden, nämlich Diepgen und Schneider, und der dritte wackelt. ({3}) So kann man das nicht machen. Man kann auch nicht mit Druck auf die Berliner und mit Drohungen arbeiten. Ich finde es für Ihr parlamentarisches Verständnis bezeichnend, wenn Sie in Ihrem Antrag nur die Art. 3 und 4 der Gründungsvereinbarung zitieren, nicht aber den Art. 8, der von den Rechten und Pflichten der Parlamente spricht: des Bundestages, der das Geld bewilligen muß, und des Berliner Abgeordnetenhauses, das den Bebauungsplan beschließen muß. Wir respektieren diese Vereinbarung. Wir respektieren auch die seriöse Art, in der Senat und Abgeordnetenhaus Konzeption, Standort und Architektur beraten. ({4}) Wir wollen die Rechte der Parlamente hier nicht preisgeben. Ich will etwas zum geplanten Bauplatz sagen. Der Bauplatz schräg gegenüber dem Reichstagsgebäude ist ein historisch belasteter Bauplatz. Ich frage mich, ob wir gut daran tun, jetzt eine Vorentscheidung über die spätere Bebauung dieses Platzes zu treffen. Ich habe auch städtebauliche Bedenken. Denken Sie bitte einmal an das Kulturforum in Berlin. Da stehen großartige Architekturbauten, die Philharmonie, die Staatsbibliothek und die Nationalgalerie, wie Schlachtschiffe beziehungslos nebeneinander, mit sechsspurigen Straßen dazwischen und öden, ungestalteten Flächen. Das ist Städtebau der 50er Jahre! Ich frage mich wirklich: Ist es sinnvoll, in den 90er Jahren diesen Städtebau der 50er Jahre am Reichstag fortzusetzen und neben den Reichstag beziehungslos einen Solitär zu setzen? ({5}) Ich habe noch größere Vorbehalte gegen den Entwurf von Aldo Rossi. Wenn einige der Befürworter dieses Entwurfs uns, die wir diesen Entwurf kritisieren, unterstellen, in Wirklichkeit stehe der Ärger dahinter - ich zitiere das jetzt wörtlich - , daß „ausgerechnet ein Ausländer sich des Deutschen Historischen Museums annimmt" , dann empfinde ich das als eine bösartige Unterstellung. ({6}) Wenn in Paris ein Amerikaner namens Pei die Erweiterung des Louvre baut, dann muß man nicht so pathetisch wie Rossi das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation" bemühen, um hier derartigen Provinzialismus zurückzuweisen. Ich habe großen Respekt vor dem Architekten Rossi, auch vor dem Architekturtheoretiker, der mit seinem Buch „Die Architektur der Stadt" 1966 unser architektonisches Denken stark beeinfluß hat. Aber ich halte seinen Entwurf auch in der überarbeiteten, in der verkleinerten Form für zu pathetisch, für zu monumental: diese theatralischen Kolonnaden mit weißen Säulen im Geiste Schinkels - so sagt der Verfasser - , und hinter diesen weißen Säulen sind dann Gaststätten, Büros und Hausmeisterwohnungen. ({7}) - Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Herr Daweke, bitte.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Conradi ich habe eine Nachfrage zu Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarier und vielleicht auch zu dem, was Sie uns empfohlen haben. Finden Sie nicht, daß es in dem Verfahren, das abgemacht war, eigentlich gut war, daß es einen Wettbewerb gab und daß sich eine Kommission für dieses Modell entschieden hat, und wie finden Sie es denn, daß Sie das im deutschen Parlament jetzt praktisch nachbessern, und zwar in einer Form von Zensur, die mich bei Ihnen eigentlich wundert? ({0})

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, es hat in der deutschen Architekturgeschichte viele erste Preise für Bauwerke gegeben, die leider oder Gott sei Dank nicht gebaut worden sind. Es hat einige erste Preise für Bauwerke gegeben, die leider gebaut worden sind. Schauen Sie zum Fenster hinaus: Das Stadthaus von Bonn ist ein Bauwerk mit einem solchen ersten Preis. Die letzte Verantwortung hat nicht das Preisgericht, sondern der Bauherr. Der Bauherr muß entscheiden, was er übernehmen will. Ich meine, es ist legitim, daß sich ein Bauherr - und als Parlamentarier bin ich einer der Bauherren - mit der Architektur, die hier vorgeschlagen wird, kritisch auseinandersetzt. Ich halte die archaische Rotunde, die als Eingangsbauwerk an das Pantheon erinnern soll, und vor allem das sakrale Mittelschiff für unangemessen. Wenn Rossi selbst sagt: „Ich baue eine Kathedrale der deutschen Geschichte", dann wird daran deutlich, daß es hier um ein bedeutungsschweres Nationalmuseum gehen soll. Und wenn da von „Tempel" und „Kathedrale", von „griechisch" und „gotisch" die Rede ist, dann erinnert mich das an die Kulturbegriffspaare früherer Generationen deutscher Gymnasiallehrer. ({0}) Ich meine, daß diese starre Konzeption von Rossi im offenen Widerspruch zum Konzept des Museums steht. Er sagt selbst, es sei eine Collage archetypischer Formen, die Symbol für die Unwandelbarkeit des Daseins sei. Ich bitte Sie, diese Architektur für ein Haus der Geschichte, das doch nicht Unwandelbarkeit, sondern Geschichte, also Wandel und Bewegung, darstellen soll! Lassen Sie uns diesen Entwurf einmal in Ruhe miteinander anschauen. Ich frage mich sehr, ob eine Mehrheit von Ihnen das so bauen will. Darf ich zum Schluß einen persönlichen Vorschlag - nicht im Auftrag meiner Fraktion - machen: Ist der Gedanke, das Reichstagsgebäude, diesen wichtigen historischen Bau, zu einem Deutschen Historischen Museum umzubauen, ganz ohne Chance? Rufen Sie jetzt bitte nicht, das sei ein Verrat an der Einheit Deutschlands. Wenn es - das wünschen wir alle - wieder zu einer staatlichen Gemeinsamkeit der beiden heute getrennten deutschen Staaten kommen soll und wir dann ein neues Parlamentsgebäude brauchen, dann wird es gewiß nicht der Reichstag sein; denn das alte Reichstagsgebäude ist als Parlamentsgebäude unbrauchbar. Dann werden wir ein neues Parlamentsgebäude bauen - bei mir auf dem Zettel steht da: lebhafte Zurufe; aber die kommen nicht -, und die Haushälter und die Journalisten werden dann ge12998 nauso zetern, wie sie damals beim Bau des Reichstags oder jetzt beim Bau des Plenarsaals gezetert haben. ({1}) - Herr Bohl, Sie, Herr Behnisch und ich werden dann wahrscheinlich oben auf der Zuschauerbank sitzen. Das Reichstagsgebäude in seiner heutigen Nutzung zeigt Unsicherheit. Der Plan, diesem Gebäude wieder die alte Glaskuppel aufzusetzen, würde es zu einer einbalsamierten Mumie machen. Ich könnte mir in diesen schönen, hohen Räumen, in diesen weiten Fluren ein großartiges Geschichtsmuseum vorstellen, auch mit einem schönen, großen Saal für Kongresse und festliche Veranstaltungen, weniger pathetisch als das, was jetzt vorgeschlagen wird. Und die Berliner sind ja eigentlich Leute, die nicht so sehr pathetisch sind, die uns bei dem Rossi-Entwurf eher fragen werden, ob wir es nicht eine Nummer kleiner hätten. ({2}) Könnte es für den Reichstag, für dieses mit unserer gemeinsamen deutschen Geschichte so eng verbundene Bauwerk denn eine schönere, eine sinnvollere Nutzung geben als ein Deutsches Historisches Museum? Ich will die Anhörungen des Berliner Senats abwarten; das gehört zum Respekt voreinander. Dann will ich den Vorschlag erneut einbringen, die Bundesregierung und den Senat von Berlin zu bitten, zu prüfen, ob der Umbau des Reichstagsgebäudes für ein Deutsches Historisches Museum nicht möglich und sinnvoll ist. Ihre Meinung dazu würde mich interessieren, und über Ihre Unterstützung würde ich mich freuen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Neumann.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Völker müssen mit ihrer Geschichte leben. Auch für das deutsche Volk ist die gemeinsame Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen eine wichtige Grundbedingung seiner Existenz. Deshalb ist die Pflege von Kultur und Geschichte auch eine nationale Aufgabe. Der jüngeren Generation auf anschauliche Weise umfassende Kenntnisse der deutschen Geschichte zu vermitteln, ausländischen Besuchern Informationen über die deutsche Geschichte und deren europäische Bezüge näherzubringen und Berlin weiterhin zu befähigen, seine Aufgabe als Hauptstadt eines geeinten Deutschlands zu erfüllen - das sind, meine Damen und Herren, wichtige Gründe für den Bau des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Für die CDU/ CSU-Fraktion sind diese Zielsetzungen gerade im Hinblick auf die Vorgänge im anderen Teil Deutschlands wichtiger und aktueller denn je. Deshalb hält sie an der Absicht, die Vorbereitungen zum Deutschen Historischen Museum voranzutreiben und den für 1992 geplanten Baubeginn einzuhalten, uneingeschränkt fest. Die Idee, in Berlin ein Historisches Museum zu errichten, offen für unterschiedliche Anschauungen und frei von jeder Einseitigkeit, ist keine originäre Idee der CDU. Sie hat bedeutende Väter. Unter anderem ist der Ehrenvorsitzende der SPD, Willy Brandt, daran beteiligt. Der Unterschied zur Regierung Helmut Kohl besteht darin, daß die Regierung Helmut Kohl nicht nur redet, sondern auch handelt und daß wir dieses Museum nun bauen wollen. Herr Kollege Conradi, niemals in der Geschichte sind die Planung und Vorbereitung eines Museums auf eine so breite Grundlage gestellt, so breit diskutiert, so ausführlich beraten und dann so einvernehmlich beschlossen worden. Sie erwecken durch den Antrag, den Sie vorgelegt haben, genau den gegenteiligen Eindruck. Das ist falsch. Ich darf darauf hinweisen, daß die inhaltliche Konzeption für dieses Museum von einer Kommission hochqualifizierter und unabhängiger Sachverständiger erarbeitet worden ist. ({0}) - Ja, bei Ihnen ist es nicht strittig. Aber in Berlin ist es strittig. Wir reden hier ja auch über den Vollzug in Berlin. Wenn es bei Ihnen nicht strittig ist, dann sagen Sie es doch Ihren Parteifreunden, damit die Ruhe geben und mitmachen! ({1}) Die erste Fassung der Konzeption wurde im April 1986 vorgelegt. 3 000 Exemplare wurden an Fraktionen, alle MdB, Museumsfachleute, alles, was in diesem Bereich von Sachverstand ist, und darüber hinaus verschickt. 250 Stellungnahmen, überwiegend von Historikern und Museumsfachleuten, sind eingegangen. Auf Grund dessen veranstaltete die Sachverständigenkommission drei Hearings zu den verschiedenen Aspekten. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse, also dieser Stellungnahmen - es kamen wichtige Anregungen, Herr Kollege Duve, von der SPD, die da einbezogen worden sind - ({2}) - Das ist ja schön, das ist ja prima. ({3}) Sie haben also mitgewirkt. Das wurde berücksichtigt. Alle, auch Sie, haben zu dieser Konzeption ja gesagt. ({4}) Dann wurde das dem Bundeskanzler und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin überreicht. Danach hat sich die Ständige Konferenz der Kultusminister damit befaßt, anschließend die Ministerpräsidenten. Beide stimmten dieser Konzeption nach so langer Neumann ({5}) Diskussion einmütig zu, also auch die in diesem Fall wichtigen Sozialdemokraten. Erst dann hat die Bundesregierung dies zur Grundlage für eine spätere Konzeption erklärt. Das heißt, die Willensbildung ist auf breitester Grundlage erfolgt; der Konsens, den Sie in Ihrem Antrag fordern, war gegeben. Der Berliner Senat hat nun in diesen Tagen ein neues Hearing veranstaltet, um das Ganze zu verzögern. ({6}) Da kaum mehr wichtige Leute in Frage kamen, sind praktisch dieselben gehört worden. Es kam dasselbe heraus; es sind keine neuen Ergebnisse da. ({7}) Deshalb hat es keinen Sinn - es sei denn, man will etwas anderes -, erneut in eine inhaltliche Diskussion einzusteigen; denn die Diskussion ist auf breiter Grundlage erfolgt. ({8}) Nun zum Standort des Museums. Über den Standort für den Bau des Museums ist in der Gründungsvereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin Einigung erzielt worden. Die Entscheidung kam - das muß man wissen - auf Betreiben Berlins zustande. Es ist ja gut, daß der Herr Bausenator Nagel anwesend ist; denn der spielt in dem Zusammenhang - entschuldigen Sie den Ausdruck - keine rühmliche Rolle. Während der Bund zunächst an den Platz der ehemaligen Kroll-Oper gedacht hatte, hat der frühere Senat unter Diepgen den Spreebogen vorgeschlagen, also die Stelle, wo das Museum jetzt hinkommen soll. In seiner endgültigen Entscheidung hat sich der Senat vom Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs, aber auch von den Forderungen der Berliner SPD leiten lassen. Bereits im Oktober 1985 hatte eine vom heutigen Bausenator Nagel - er ist ja anwesend - geleitete SPD-Arbeitsgruppe gefordert, das Deutsche Historische Museum am Platz der Republik im Spreebogen zu errichten, also nicht dort, wo es die Bundesregierung wollte. ({9}) Auf diesen Standort haben sich dann Bundesregierung und Senat unter Einschluß des SPD-Votums geeinigt. Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn heute derselbe SPD-Mann Nagel erklärt, der vertraglich vereinbarte Standort passe nicht, er müsse verlegt werden. Es gibt keinen sachlichen Grund, erneut in eine Diskussion einzutreten, es sei denn, man will das Ganze torpedieren. Das aber wollen wir nicht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Neumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Neumann, wenn Sie jetzt schon zum Chronisten dieser kurzen oder langen Geschichte werden: Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß es ein einziges von einem CDU-Politiker vorgetragenes und entwickeltes Konzept zu diesem Vorhaben gegeben hat, das dann von der Bundesregierung abgelehnt worden ist? Ich spreche von der Forumsidee des damaligen Kultursenators Hassemer, die ja ziemlich brüsk beiseite geschoben worden ist. Also, es gab auch in Berlin ganz andere Konzepte. Ist Ihnen das bekannt?

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duve, das ist mir bekannt. An dieser Diskussion haben viele mitgewirkt. Aber man muß Diskussionen ja auch einmal zu Entscheidungen führen. Wenn sich nach langer Diskussion der Berliner Senat unter Einschluß der damaligen SPD-Opposition und die Bundesregierung auf einen Standort einigen, d. h. wenn im Konsens eine Vereinbarung getroffen wird, dann ist die Sache für meine Begriffe völlig in Ordnung und korrekt. Aber lassen Sie mich noch etwas zu Herrn Senator Nagel sagen. Das paßt jetzt gar nicht zum Standort. Es fällt mir nur ein, weil ich gestern in der „FAZ" eine Notiz gelesen habe. Da hieß es, daß Sie, Herr Senator Nagel - das ist wichtig für das Kulturverständnis der SPD, Herr Duve -, vorgeschlagen haben, man solle den Bau des Deutschen Historischen Museums in Berlin erst einmal zurückstellen und die Mittel für den Wohnungsbau verwenden. Hier wird - wie soll ich sagen? - in primitiv-populistischer Weise Wohnungsbau gegen Kultur ausgespielt. ({0}) Wenn das Ihre Position sein sollte, Herr Duve, wirft das ein bezeichnendes Licht auf Ihre Einstellung zu Kunst und Kultur. ({1}) - Nein. Herr Nagel hat einen eigenen Kopf. Ich habe auch festgestellt, daß sich der Berliner Senat davon wohl mehrheitlich distanziert hat. Aber es ist doch zulässig, daß ich einen Senator, das Mitglied einer Landesregierung, ernst nehme. ({2}) Das muß mir möglich sein. Ich finde es angenehm, daß Sie sich von diesem Nagel-Vorschlag distanzieren. Lassen Sie mich zum dritten Streitpunkt etwas sagen - Herr Kollege Conradi hat es angesprochen - : die geplante Architektur des Museums. In der vertraglichen Vereinbarung vom Oktober 1987 - vertraglich vereinbart zwischen der Bundesregierung und dem Land Berlin - heißt es: „Grundlage für die Errichtung des Gebäudes soll das Ergebnis des Architektenwettbewerbs sein, den die Bundesbaudirektion auf der Grundlage eines baufachlichen Gutachtens ausgeschrieben hat. " Der Entwurf des international renommierten Architekten Aldo Rossi ist aus einem sehr gründlich vorbereiteten Wettbewerb mit über 200 Teilnehmern aus dem In- und Ausland hervorgegangen. Sein Entwurf Neumann ({3}) wurde von einer Jury aus hoch angesehenen Fachleuten in einem sehr zeitaufwendigen und sorgfältigen Verfahren mit dem ersten Preis ausgezeichnet und von der sehr heterogen zusammengesetzten Kommission einstimmig zur Bauausführung empfohlen. Ich habe Verständnis, wenn der Kollege Conradi sagt: Mir gefällt er nicht. Aber es kann ja nicht wahr sein, daß wir jeweils Entscheidungen nach langer Diskussion neu überdenken, weil sie dem einen oder anderen nicht gefallen. Mir ist es viel lieber, solche Entscheidungen werden durch eine unabhängige Kommission getroffen als durch ein einzelnes Mitglied des Deutschen Bundestages. ({4}) Ein Abrücken hiervon würde, Herr Conradi, für meine Begriffe eine internationale Blamage bedeuten und den Vorwurf des Provinzialismus heraufbeschwören. Wir können dabei nicht mitmachen. Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Über Konzeption, Standort und Architektur des Deutschen Historischen Museums ist auf breitester Grundlage diskutiert und mit großem Konsens entschieden worden. ({5}) Alle drei Punkte sind so in der Gründungsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin vertraglich fest vereinbart. Inzwischen hat sich unter Leitung von Professor Stölzl ein hervorragendes Team von über 40 Mitarbeitern gebildet, das mit Engagement und Begeisterung die Arbeit für dieses Museum aufgenommen hat. Eine erste große Ausstellung zum Thema „Bismarck, Preußen, Deutschland und Europa" ist für das nächste Jahr vorgesehen. Die CDU/CSU mißbilligt deshalb auf das schärfste, daß der von der SPD geführte rot-grüne Senat in Berlin nun die vertraglich vereinbarte Konzeption und den Standort für das Deutsche Historische Museum sowie das Ergebnis des Architektenwettbewerbs in Frage stellt und dadurch die zeitlichen Planungen massiv verzögert. Deshalb erwartet die CDU/CSU-Fraktion, daß die Bundesregierung den Berliner Senat anhält, Vertragstreue zu bewahren und die Realisierung des Deutschen Historischen Museums nicht weiter zu behindern. Das gebrochene Verhältnis der GRÜNEN und Alternativen zu Deutschland und seiner Geschichte darf nicht dazu führen, daß rechtsgültige Verträge torpediert werden. ({6}) Berlin braucht die Hilfe des Bundes. Es kann sich darauf verlassen. Aber der Bund muß sich auch auf Berlin verlassen können. Der rot-grüne Senat hat durch die Auflösung der Akademie der Wissenschaften, seine Eskapaden im Bereich der inneren Sicherheit und der Forschung sowie in der Asylanten- und Ausländerpolitik Berlin bereits massiv ins Zwielicht gerückt. Ein Vertragsbruch durch den Senat beim Deutschen Historischen Museum würde dem Ansehen Berlins auch in der internationalen Öffentlichkeit im hohen Maße schaden und würde in der Haltung des Bundes zu Berlin Konsequenzen zur Folge haben müssen. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in der Geschichte Polens gerade in den letzten Jahrzehnten eine ganz faszinierende Tradition, nämlich den Kampf um die historischen Dokumente, und zwar nicht nur um die Frage: was sind historische Dokumente?, sondern auch: wo gehören sie hin? Wenn man die Auseinandersetzungen verfolgt hat, wohin das Grab des Priesters Popieluszko gehörte, oder wenn man die nächtlichen Kämpfe um die Grabplatte mitbekommen hat, wo die Regierung die falsche Jahreszahl der Opfer von Katyn angegeben hatte und die Frauen das nachts mit Blumen zugedeckt haben, oder den Kampf um das Solidarnocz-Denkmal in Danzig verfolgt hat, dann merkt man, daß in diesen Auseinandersetzungen um die Frage: was sind unsere historischen Dokumente, und wohin gehören sie? ein Volk sich die eigene Deutung seiner Geschichte und seiner Zeit aneignet. Wenn ich das betrachte, dann finde ich den Streit, den wir um dieses historische Museum haben, hoffnungserweckend; denn das bedeutet, daß es einen demokratischen Streit über das Thema gibt: Was wollen wir als unsere Geschichte haben, und wie soll sie dokumentiert werden? Das ist nicht schlecht, sondern es ist sehr gut, genauso wie ich den Streit um ein Deserteurdenkmal für richtig und notwendig hielt. Ich glaube, da wacht ein demokratischer emanzipatorischer Anspruch auf, seine eigene Geschichte deuten zu wollen. Deswegen finde ich die Diffamierung dieses Streits völlig fehl am Platze. Worum geht es denn? - Es geht nicht darum, daß die Alternative heißt: entweder Museum oder nichts; das Gegenkonzept heißt vielmehr: Museum - vor allen Dingen in einem Monumentalbau - oder demokratisches Forum für Geschichte, in dem es Auseinandersetzungen gibt. Das ist auch die Konzeption der AL Berlin, und das sollten Sie ernst nehmen. Ich sage jetzt, welche Vorteile dies hätte. Dieses Forum würde nicht mit einem Sammelauftrag über 1 000 Jahre Geschichte belastet werden, wie es für das Projekt des Deutschen Historischen Museums galt und was übrigens dieses Projekt in heftige Konkurrenz zu vielen anderen Museen gebracht hat. Wir meinen, daß ein solcher offener Charakter eines Forums sich auch nicht mit einem baulichen Monolith vereinbaren läßt, sondern daß er in seiner Anlage Offenheit und Beeinflußbarkeit und damit das demokratische Prinzip, daß alles, was man darstellt, wiederum korrigierbar und umdeutbar sein muß, darstellen muß. Wenn wir sagen, es sollte ein europäisches Forum sein, dann meinen wir damit keineswegs, daß es eurozentristisch sein sollte. Die ständige Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs europäischer Geschichte, gerade mit seinen regionalen und lokalen Besonderheiten, gehört natürlich dazu. Ich meine, wenn es stimmt, daß die Zeit der Nationalstaaten vorbeigeht - wovon ich überzeugt bin -, übrigens auch der Supermächte als Supernationalstaaten, und die wirklich fortschrittlichen Entwicklungen auf den regionalen und auf den europäischen Ebenen laufen, dann ist das Konzept eines Nationalmuseums, finde ich, genau das verkehrte. Es ist rückwärts gewandt, und es nimmt diese neue offene Debatte inklusive der Debatte über die Bedeutung von Minderheiten und Nationalitäten gerade nicht auf. ({0}) Wir wünschen uns wechselnde Ausstellungen in diesem Forum sowie Filme, Seminare zu Gegenwartsthemen und zu historischen Themen, die damit an die Öffentlichkeit treten. Es ist nicht notwendig, sogar nicht erwünscht, daß diese Arbeit nur in Berlin stattfindet. Sie muß vielmehr aus Berlin herausgehen, und sie muß anderen regionalen Interpretationen der Geschichte ebenso Platz in diesem Forum schaffen, ihre Sicht der Geschichte und ihre Deutung in diesem Forum in Berlin darzustellen. So, denke ich, kommt aus diesem Streit die ökologische Vielfalt der Deutungen zutage. ({1}) Durch den Verzicht auf den Aufbau einer Sammlung hat der Berliner Senat den ersten Schritt in Richtung dieser Möglichkeit dieses Forums geschaffen, und ich begrüße das außerordentlich. Es ist auch ein Verständigungszeichen für eine rotgrüne Kulturpolitik, die diese Korrigierbarkeit als demokratisches Grundprinzip sehr ernst nimmt. Deswegen finde ich, daß es die richtige Abwendung von dem nationalstaatlichen Konzept macht und daß es damit die modernere, die mehr am Puls der Zeit gefällte Entscheidung ist, als das, was davor lag. Ich finde, Sie sollten sie tolerieren, ({2}) wenigstens aus Respekt vor der Vielfalt der Deutungen im kulturellen Bereich. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundesminister Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dieser Debatte verhält es sich fast so wie mit der Sache: Es ist eigentlich alles gesagt. Die Konzeption ist inzwischen - Herr Conradi, auch was Sie angeht - wieder unumstritten. Das ist ja schön. Selten ist eine breiter angelegte Konzeption erarbeitet worden. Die Entscheidung für den Standort beruht auf Berliner Vorschlägen, die nicht zuletzt die damalige Opposition gemacht hat. Gerade haben wir eine Kulturdebatte geführt. - Herr Conradi, Sie sind Architekt und ich nicht, für wen das auch immer gut oder schlecht sein mag. Ich als Nichtarchitekt möchte gerne, daß die Entscheidung, wie, mit welcher architektonischen Konzeption das Deutsche Historische Museum gebaut wird, von einem Gremium internationaler Fachleute auf Grund eines Wettbewerbs und nicht von Peter Conradi - bei allem persönlichen Respekt - entschieden wird. Ich finde, wir sollten uns wirklich nicht so - erlauben Sie den Ausdruck - arrogant verhalten, daß wir unsere eigene Entscheidung, die uns vielleicht mit diesem oder jenem Ergebnis nicht gefällt, an die Stelle des Ergebnisses eines Wettbewerbs setzen, zumal wenn dieser Wettbewerb mit einer solch breiten Beteiligung und einer so breiten Erörterung in der Jury durchgeführt wurde und im übrigen mit einem einmütigen Ergebnis endete. Herr Conradi, es tut mir leid.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi, Herr Bundesminister?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Schäuble, erinnern Sie sich, daß dieser Deutsche Bundestag das Ergebnis eines Architektenwettbewerbs mit vier ersten Preisen nach achtjähriger Planung verworfen hat, weil wir nämlich dafür verantwortlich sind, was wir bauen, und jetzt eine Lösung realisiert, in bezug auf die kein Wettbewerb ausgeschrieben worden ist, sondern die der Entscheidung dieses Hauses - nicht meiner persönlichen Entscheidung - unterlag? Das heißt: Wollen Sie daran vorbei, daß die letzte Entscheidung beim Bauherrn und nicht beim Preisgericht liegt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Richtig, Herr Conradi. Die letzte Entscheidung liegt beim Bauherrn. Aber ich plädiere dafür, daß wir als Bauherr die getroffene Entscheidung - wir haben nämlich eine entsprechende Entscheidung getroffen - , diese Konzeption zu verwirklichen, nicht immer wieder neu hinterfragen. Ihre Bezugnahme auf den Neubau des Plenarsaals und seine leidvolle Geschichte läßt mich eigentlich nur beschwörend warnen: Meine Damen und Herren, einmal reicht eigentlich. Wir sollten es nicht ein zweites Mal machen. Die Sache ist entschieden. ({0}) Ich glaube sogar, sie ist richtig entschieden worden. Ich wollte vorhin nur einen Hinweis auf die Kulturdebatte geben. Es ist für mich kein Beispiel eines vernünftigen Dialogs zwischen Politik und Kultur, wenn wir uns, weil es im rot-grünen Berliner Senat Koalitionsprobleme gibt - bleiben Sie doch bei der Wahrheit - , international nun wirklich blamieren, indem wir sagen: Alles, was wir auf Grund sorgfältigster Wettbewerbe entschieden haben, fangen wir nun von neuem an. So können wir es nicht machen. Ich will weiter sagen: Der Bund und das Land Berlin stehen hier gar nicht allein, sondern alle Länder sollen Träger werden; es sind auch alle Länder beteiligt worden. Auch darauf sollten wir ein bißchen Rücksicht nehmen, Wir sollten übrigens darauf achten, daß Berlin die Solidarität der zehn anderen Bundesländer erhalten bleibt, denn Berlin ist darauf angewiesen. Wir wollen natürlich ein Einvernehmen erreichen. Wir brauchen also ein Einvernehmen. Frau Kollegin Martiny hat mich kurz nach ihrem Amtsantritt und kurz nach meinem Amtsantritt gebeten, man möge Berlin ein bißchen Zeit lassen. Das haben wir auch getan. Ursprünglich haben wir, Sie und ich, gemeinsam gedacht, bis September seien Sie in Berlin wieder klar. Ich bin auch noch bereit, bis Dezember zuzuwarten, aber länger nicht. Es wird nun höchste Zeit. Ich bin sehr dankbar, daß der Deutsche Bundestag dies hoffentlich unterstützt. ({1}) - Berlin muß vertragstreu bleiben, verehrte Herren Kollegen. ({2}) - Pacta sunt servanda. ({3}) - Natürlich. Herr Conradi, seien Sie vorsichtig mit den Konsequenzen dessen, was Sie hier sagen. Wir haben oft genug darüber geredet, daß es eine Kontinuität in Rechten und Pflichten auch über Regierungswechsel hinweg geben muß. Ich sage: Sie schaden dem Lande Berlin, das wie kein anderer Teil der Bundesrepublik Deutschland auf die Solidarität des Bundes und der anderen Länder und im übrigen auf die Einhaltung von geschlossenen vertraglichen Verpflichtungen in Rechten und Pflichten angewiesen ist. Wenn sich ausgerechnet Berlin nicht daran halten wollte, wäre das zum Schaden von Berlin. Deswegen beschwöre ich Sie: Helfen Sie mit, daß dieser Schaden nicht eintritt! ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Senator für Bau- und Wohnungswesen des Landes Berlin, Herr Senator Nagel. ({0}) Frau Vollmer, das Wort hat Herr Bausenator Nagel. Senator Nagel ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst meine Kollegin, die Kultursenatorin Dr. Martiny, entschuldigen, die heute hier gerne die Haltung des Landes Berlin vorgetragen hätte. Frau Martiny muß aber vor dem Berliner Parlament heute ihren Haushalt vertreten, so daß sich mir als Bausenator die willkommene Gelegenheit bietet, den Blick auf die Gesamtproblematik zu lenken, in die das große Projekt des Deutschen Historischen Museums eingebettet ist. In diesem Jahr, meine Damen und Herren, werden mehr als 45 000 Aus- und Übersiedler nach Berlin kommen. Seit 1985 ist unsere Bevölkerung um 145 000 gewachsen. Vorgesorgt hat für diese Entwicklung niemand. Man hat sich mit falschen Prognosen beruhigt und Berlin zur stagnierenden Rentnerstadt erklären wollen. Deshalb haben wir heute nicht nur in Berlin vielleicht zuwenig Museen, sondern ganz aktuell zuwenig Wohnungen für Zehntausende von Wohnungssuchenden, die wir bei uns behalten wollen und, wenn Sie uns helfen, auch bei uns behalten können. ({2}) Berlin hat also zur Zeit wirklich auch andere Sorgen als die, die mit der Errichtung des Deutschen Historischen Museums verbunden sind. In Berlin vollzieht sich - da zeigt sich die Verbindung - derzeit Geschichte live. Denn die Zuwanderung aus der DDR, aus Polen und aus anderen osteuropäischen Staaten ist ja durchaus ein ganz aktueller Teil unserer deutschen Nachkriegsgeschichte und mit ihr auch untrennbar verbunden. Meine Damen und Herren, die menschenwürdige Unterbringung der Aus- und Übersiedler, ihre möglichst schnelle Integration in unser gesellschaftliches, kulturelles und politisches Leben darf doch durchaus als eine Aufgabe begriffen werden, die der auch von diesem Senat für richtig erachteten Errichtung des Deutschen Historischen Museums in nichts nachsteht. In einer solchen Situation, meine Damen und Herren, muß nicht nur Berlin, sondern müssen auch Bund und Länder auf die politischen Prioritäten achten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung hinter kulturellen Großprojekten zurücktreten müssen. Ein solcher Eindruck wäre auch kulturpolitisch fatal. ({3}) Wir müssen durch verstärkte Förderungsmaßnahmen sicherstellen, daß ein Denken in solchen politischen Alternativen überhaupt nicht nötig wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neumann? Senator Nagel ({0}): Aber gerne, Herr Kollege Neumann.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Senator Nagel, meine Frage ist: Sprechen Sie jetzt im Augenblick für den Berliner Senat oder für Ihre eigene Person? Das ist ja wichtig für uns zu wissen, weil ich einer Zeitung entnehme, daß Ihre Kollegin Frau Anke MarNeumann ({0}) tiny gesagt hat, es solle so rasch wie möglich gebaut werden; von dem Vorschlag ihres Kollegen Nagel, von Bonn statt für das Museum erst einmal für Wohnungen Geld locker zu machen, halte sie nichts; man könne nicht beides gegeneinander ausspielen. Ist das, was Sie jetzt vortragen, Ihre persönliche Meinung oder die des Senats? Senator Nagel ({1}): Herr Kollege Neumann, wenn hier ein Senator aus Berlin von der Bundesratsbank aus spricht, dann vertritt er die Haltung des Senats von Berlin. Meine Damen und Herren, wir bitten den Bund, wir bitten Sie, damit diese Alternative im Bewußtsein der Menschen, für die wir Politik machen, gar nicht erst auftaucht, im Interesse beider Projekte um mehr Flexibilität. Abgesehen aber von diesen Überlegungen, die ja mehr auf die politischen und finanziellen Prioritäten des Bundes für Berlin abzielen, ist es auch notwendig, die gewonnene Zeit dafür zu nutzen, endlich eine intensive Diskussion in den Gremien zustande zu bringen, in denen mit Blick auf einen angestrebten breiten Konsens über das Museumsprojekt diese Diskussion auch geführt werden muß, nämlich auch im Berliner Abgeordnetenhaus. Herr Kollege Neumann, Sie sind nicht aus Berlin. Ich empfinde es als bemerkenswert, daß hier die größte Regierungsfraktion keinen Berliner in die Diskussion schickt. ({2}) Ich darf Ihnen sagen, daß bisher unser Landesparlament nicht in die Diskussion einbezogen worden ist. Bisher war lediglich vorgesehen, das Berliner Abgeordnetenhaus in Form der Beratungen über einen Bebauungsplan zu beteiligen. Jetzt nur auf die Termine zu pochen, nachdem man bisher die Mitwirkungsrechte des Landesparlaments schlichtweg ignorierte, ({3}) wäre wohl kein angemessener Umgang, weder mit dem Projekt Deutsches Historisches Museum noch mit dem Abgeordnetenhaus von Berlin. Meine Damen und Herren, unbeschadet dessen wird der Senat die Überprüfung des Konzepts im Hinblick auf Standort und bauliche Ausgestaltung bis zum Ende dieses Jahres fortführen, Herr Bundesminister Schäuble. Wir werden auch zum Ende dieses Jahres dem Bund und den Ländern unsere Vorstellungen dazu unterbreiten, und dann werde ich hierherkommen und mit Ihnen gemeinsam die Nagelprobe darauf machen, ob Sie auch bereit sind, zu Kompromissen zu kommen. Der Senat hält es für außerordentlich wahrscheinlich, daß diese Kompromisse möglich sind, und er hält diese Kompromisse auch für wünschenswert. Nur darf ich Ihnen eines dazu sagen: Mit Drohungen, Herr Kollege Neumann, wie Sie das in der Wissenschaftspolitik gemacht haben, findet man auch auf unserer Seite keine Kompromißbereitschaft. Ich bin guter Dinge, daß wir sowohl im Hinblick auf das Konzept - da liegt einiges vor, was einen breiten Konsens gefunden hat - als auch im Hinblick auf Standort und Architektur am Ende des Jahres zu einem guten Neubeginn kommen werden. Lassen Sie mich abschließend hinzufügen: Großprojekte dieser Art verdienen keinen zeitlichen Druck und auch keinen Druck aus dem Blickwinkel formaljuristischer Vertragsinterpretation. Gut Ding will Weile haben! Wer wüßte das nicht besser als Sie im Umgang mit Ihrem neuen Gebäude! Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Auch wenn Frau Vollmer nicht mehr im Raum ist: Sie hat nach den Ausführungen des Innenministers in einem Zuruf sein Verhalten als Erpressung bezeichnet. Ich weise dies als unparlamentarisch zurück. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Minister Schäuble, auch ich denke, wir sollten zu einer Diskussion kommen, die mit solchen terminierten - ich will das Wort von Frau Vollmer nicht übernehmen - Drohungen, was man nicht anders verstehen konnte, arbeitet. Da werden wir nicht zu einem guten Kompromiß kommen. Das sollte wieder aus der Welt. Sie haben mit der Kultursenatorin geredet; Herr Nagel hat hier eben seine Bereitschaft zu einem intensiven Dialog angekündigt. Ich denke, in diesem Klima sollte es auch bleiben. Ich finde es im übrigen außerordentlich wichtig, daß hier der Senat von Berlin auch einmal die Gelegenheit nimmt, zu sagen, welche Belastungen diese Stadt aus der historischen Situation Mitteleuropas gerade in dieser Zeit hat. Ich fand das durchaus angemessen. Er hat dann hinzugefügt: Wir kämpfen um das Projekt und wollen letztlich zu einem guten Ende kommen. Insofern finde ich die Vorwürfe, Herr Neumann, hier nicht gerechtfertigt. Ich finde, Berlin hat ein Anrecht darauf, darauf aufmerksam zu machen, was dort aus der Geschichte heraus heute an Belastungen durch Zuwanderer von allen Seiten los ist. Nur muß ich in einem Punkt, lieber Herr Senator Nagel, doch uns alle ein bißchen in Schutz nehmen. Wir haben dieses Projekt als Bonner Bundestag immer auch als eine Sache empfunden, die uns alle angeht. Alle Diskutanten haben das so gemacht. Man sollte uns hier nicht sozusagen auf Berlin abfragen. Herr Neumann ist aus Bremen, ich bin aus Hamburg. Ich habe mich sehr intensiv damit befaßt. Ich denke, wenn sich nun endlich das Berliner Abgeordnetenhaus damit richtig befassen kann - das war ein richtiger Hinweis, eine richtige Kritik von Ihnen - , dann sollten wir froh sein, wenn im Bundestag die Parlamentarier aus allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland dies sachkundig und kritisch und engagiert begleiten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Präsidentin Dr. Süssmuth Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge auf den Drucksachen 11/5309 und 11/5470 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag auf Drucksache 11/5487 soll ebenfalls an diese Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch; dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen ein kulturreiches Wochenende und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. November 1989, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.