Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesmini-ter Dr. Oscar Schneider hat gestern seinen 0, Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die besten Wünche des Hauses übermitteln.
({0})
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch folrende Mitteilungen zur Verlesung bringen:
Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend Schutz vor Pflanzenbehandlungsmitteln auf Druckache 11/276 ist in der 13. Sitzung des Deutschen 3undestages nicht - wie vorgesehen - dem Auschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nur Mitberatung überwiesen worden. Sind Sie mit der rachträglichen Überweisung einverstanden? - Ich iöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ferner darf ich mitteilen,daß interfraktionell verein-)art worden ist, Punkt 13 b - Beratung des Antrags Ier Fraktion DIE GRÜNEN betreffend Baustopp für lie Wiederaufarbeitungsanlage bei Wackersdorf, Drucksache 11/260 - von der Tagesordnung abzusetzen.
Weiterhin besteht interfraktionelles Einvernehmen larüber, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Sicherung der Stahlstandorte und der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und in den Stahlregionen - Drucksache 11/398 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lage der deutschen Stahlindustrie - Drucksache 11/402 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Maaß, Carstensen ({1}), Dr. Kunz ({2}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP
Gestaltung der technischen Entwicklung; TechnikfolgenAbschätzung und -Bewertung - Drucksache 11/403 4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Enquete-Kommission „Strukturreform des Gesundheitswesens" - Drucksache 11/414 Die von der Fraktion der SPD beantragte Aktuelle Stunde zum Thema „Verlautbarungen des Bundesministers des Innern über die Initiative ,Sportler für den Frieden' " soll nach der Fragestunde um 15 Uhr aufgerufen werden. Die vorgesehenen Wahlen - Punkte 8 bis 12 der Tagesordnung - erfolgen im Anschluß an diese Aktuelle Stunde. Danach soll zunächst Punkt 14 vor Punkt 13 aufgerufen werden.
Sind Sie mit diesen interfraktionell vorgeschlagenen Veränderungen der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Nunmehr rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat ihren Entschließungsantrag auf Drucksache 11/322 zurückgezogen und statt dessen einen neuen Entschließungsantrag auf Drucksache 11/409 eingebracht. Weiter liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/405 und 11/412 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zur Abgabe der Regierungserklärung erteile ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen habe ich vor dem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung einen Zwischenbericht zum Stand der Abrüstungsgespräche zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion abgegeben. Ich habe bei dieser Gelegenheit die Ziele der Sicherheitspolitik der Bundesregierung umfassend dargelegt und dabei nochmals die wesentlichen Kriterien für die Haltung der Bundesregierung zu den in Genf anstehenden Abrüstungsfragen erläutert.
Wie bei dieser Gelegenheit, am 7. Mai, angekündigt, hat die Bundesregierung inzwischen ihren Entscheidungsprozeß nach einer dichten Abfolge von
Konsultationen und begleitenden Treffen abgeschlossen. Heute kann ich mit besonderer Genugtuung feststellen, daß das gegenseitige Vertrauen und Verständnis der Bündnispartner bei diesen Beratungen einmal mehr eine geschlossene, eine solidarische Haltung der Allianz zu den anstehenden sehr schwierigen Fragen der Abrüstung erwarten läßt.
Unsere oberste politische Leitlinie, die uneingeschränkt vom Bündnis mitgetragen wird, ist die zuverlässige Verhinderung eines jeden Krieges in Europa, konventionell wie nuklear.
({0})
Ich unterstreiche in diesem Zusammenhang nochmals, daß unser Land angesichts der unvorstellbaren Zerstörungskraft moderner konventioneller Waffensysteme von einem konventionellen Krieg in ebenso existentieller Weise bedroht wäre wie durch eine nukleare Auseinandersetzung.
({1})
Jede deutsche Bundesregierung hat deshalb die Pflicht, sicherheits- und abrüstungspolitische Entscheidungen nicht ausschließlich unter dem Blickwinkel des Abbaus von Nuklearwaffen zu prüfen. Ausgehend von dieser Erkenntnis gibt es für die vom Bündnis entwickelte Verteidigungsstrategie der flexiblen Reaktion auf absehbare Zeit keine Alternative. Sie ist eine Strategie der Kriegsverhinderung. Sie hat Kriege in Europa bisher verhindert, und sie wird dies auch in Zukunft tun.
Für die praktische Umsetzung dieser Strategie heißt dies, daß das Bündnis auf ein ausgewogenes Potential konventioneller Streitkräfte und nuklearer Abschrekkungsmittel angewiesen bleibt.
Lassen Sie mich mit aller Klarheit feststellen: Bestrebungen, die die völlige Abschaffung von Nuklearwaffen in Europa zum Gegenstand haben, können aus diesen Gründen von uns nicht geteilt werden.
Die Nachkriegsgeschichte in Europa bestätigt, daß die Idee der Abschreckung und die Existenz von Nuklearwaffen seit 40 Jahren Krieg in Europa unmöglich gemacht haben. Dabei muß selbstverständlich die Rolle der Nuklearwaffen auf das quantitativ und qualitativ erforderliche, absolute Mindestmaß beschränkt werden.
Garantie für unsere Sicherheit bleiben in gleicher Weise die bei uns stationierten verbündeten Truppen, insbesondere die Soldaten der Vereinigten Staaten. Sie sind der deutlichste Ausdruck der politischen Verpflichtung, füreinander einzustehen.
({2})
Meine Damen und Herren, unsere Sicherheitspolitik beinhaltet seit jeher zwei einander ergänzende Komponenten: die Sicherung der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit einerseits und andererseits das Streben nach Rüstungskontrolle und Abrüstung in allen Bereichen mit dem Ziel, ein stabiles und ausgewogenes Kräfteverhältnis auf möglichst niedrigem Niveau herzustellen. Entscheidungen und Maßnahmen in einem dieser beiden Bereiche haben notwendigerweise Auswirkungen auf den jeweils anderen Bereich.
Gemeinsames Ziel unserer Verteidigungs- und Abrüstungspolitik bleibt es, die Sicherheit für unser Land und für das ganze Bündnis zu erhöhen.
Die Fragen der Abrüstung, die uns zur Zeit - sehr zu Recht - in besonderer Weise bewegen, dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden.
({3})
Waffen und Waffensysteme müssen in allen Bereichen der Sicherheitspolitik immer in ihrem gesamtstrategischen Zusammenhang gesehen werden.
({4})
Abrüstung ist kein Selbstzweck. Sie darf in keinem Fall zu weniger Sicherheit führen.
({5})
Einzelne Waffensysteme isoliert abzuschaffen bedeutet nicht notwendigerweise einen Gewinn für unsere Sicherheit.
Dieser Zusammenhang, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Abrüstungsentscheidungen im Bereich der Mittelstreckenflugkörper in ganz besonderer Weise beschäftigt. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Abrüstungsschritten und Strategie machen selbstverständlich eine gründliche Prüfung erforderlich. Dies betrifft den Entscheidungsprozeß sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch - was noch wichtiger ist - innerhalb des Bündnisses.
Meine Damen und Herren, auf die Bedeutung dieser Nuklearwaffen für die NATO-Strategie haben die Kollegen von der SPD in ihrer Regierungszeit, in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Verteidigungsminister Apel, in ihrem letzten Weißbuch 1979 deutlich hingewiesen. Ich zitiere:
Für die NATO sind die TNF
- Nuklearkräfte in und für Europa wichtiges Mittel für die glaubwürdige Fähigkeit zur vorbedachten Eskalation im Rahmen ihrer Abschreckungsstrategie.
({6})
Sie
. . sind mit dem nuklearstrategischen Langstreckenpotential der USA konzeptionell und strukturell eng verkoppelt. Das nukleare Kräfteverhältnis in Europa ist keine isolierte Größe und kann nur im Gesamtzusammenhang des globalen nuklearen Kräfteverhältnisses gesehen und beurteilt werden.
({7}) Im Weißbuch heißt es weiter - ich zitiere - :
Es wird darauf ankommen, zu verhindern, daß Rüstungstendenzen im Osten Lücken im Eskalationsspektrum der NATO verursachen, zu einem Verlust an Flexibilität führen und dadurch den Abschreckungsverbund der Allianz gefährden.
({8})
Das ist eine, wie der Kollege Dregger soeben im Zwischenruf richtig sagt, kluge Beurteilung der Lage.
({9})
Das ist eine Beurteilung der Lage, die jedem deutlich macht, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht abgekoppelt werden darf.
({10})
- Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich aufregen. Wenn wir Sie kritisieren, regen Sie sich auf, wenn wir Sie loben, regen Sie sich auch auf.
({11})
Die Fragen, die wir zu entscheiden hatten, berühren, wie jeder weiß, Kernfragen unserer Sicherheit. Wir haben deshalb ausführliche und zeitaufwendige Konsultationen mit unseren Bündnispartnern geführt. Ich habe immer wieder gesagt und sage es auch heute: Derartige existentielle Entscheidungen für unser Volk dürfen nicht unter Zeitdruck erfolgen.
Die Grundlage unseres Bündnisses wird sich auch in diesen Tagen erneut und eindrucksvoll bewähren. Die Sicherheit des einen ist die Sicherheit des anderen. Es darf keine geringere Sicherheit geben, weder im Verhältnis der amerikanischen mit den europäischen Bündnispartnern noch im Verhältnis der europäischen Bündnispartner untereinander.
Diese Betrachtung zur Rahmensituation unserer sicherheitspolitischen Entscheidungen der vergangenen Wochen wäre unvollständig ohne ein klares, deutliches Bekenntnis zu der zweiten Säule des Harmel-Konzepts. Ich spreche von dem Angebot an unsere östlichen Nachbarn zu einem intensiven politischen Dialog, zu umfassender Zusammenarbeit auf allen anderen Gebieten. Der Ost-West-Gegensatz kann nicht durch sicherheitspolitische Absprachen allein, auch nicht durch Abrüstungsvereinbarungen allein dauerhaft entschärft und überwunden werden.
Wir begrüßen das Bekenntnis der Führer des Warschauer Pakts in ihrem Abschlußkommuniqué über ihr Treffen in diesen Tagen in Ost-Berlin, wonach sie - ich zitiere - „ihr Streben nach einem umfassenden System des internationalen Friedens und der Sicherheit bekräftigen, das sowohl den militärischen und politischen als auch den ökonomischen und humanitären Bereich umfassen sollte".
Positive Erfahrungen bei der Kooperation auf den genannten Feldern werden zu einer Steigerung des gegenseitigen Vertrauens zwischen Ost und West führen können. Wenn das neue Denken, von dem Generalsekretär Gorbatschow spricht, tatsächlich einen fairen und langfristigen Interessenausgleich zum Ziel hat, sind wir unsererseits bereit, auf das neue Denken mit eigenen Schritten zur Intensivierung der Zusammenarbeit zu reagieren.
Waffen können viel leichter abgebaut werden, wenn politische Vertrauensbildung dem Prozeß der
Abrüstung sichtbar vorausgeht oder ihn glaubwürdig begleitet.
({12})
Nicht Waffen für sich allein sind bedrohlich. Das Denken und das Handeln der politisch Verantwortlichen muß sich als friedlich erweisen und in konkreten Taten niederschlagen. Das kann und muß endlich bewiesen werden, z. B. in Afghanistan, wo seit acht Jahren - länger als der Zweite Weltkrieg - Krieg geführt wird, und zwar von der Sowjetarmee,
({13})
an den Mauern und Grenzen zwischen West und Ost, wo wir leider immer noch Woche für Woche Opfer beklagen müssen.
({14})
Die in Genf eingebrachten sowjetischen Vorschläge bei den INF-Verhandlungen beinhalten keine wirklich zufriedenstellende Lösung der Mittelstreckenproblematik aus der Sicht unserer Allianz. Im Hinblick auf die Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite sieht der sowjetische Vorschlag immer noch vor, daß jeweils 100 Sprengköpfe in den USA und in der Sowjetunion verbleiben.
Dieser Restbestand von 100 Sprengköpfen der SS 20 im asiatischen Teil der Sowjetunion würde auf Grund der von der Sowjetunion im Vertragsentwurf beanspruchten Mobilität dieser Systeme zu Übungs-
und Ausbildungszwecken im europäischen Teil nach wie vor einen Unsicherheitsfaktor auch für uns Deutsche und Europäer darstellen. Darüber hinaus würde eine solche Regelung schwerwiegende Verifikationsprobleme aufwerfen.
Aus diesen Gründen bevorzugt die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern eine globale, weltweite Abschaffung dieser Waffenkategorie.
({15})
Wir hoffen, daß die Sowjetunion im Verlauf der Verhandlungen in dieser Frage einlenkt.
Nach Lösung weiterer Einzelfragen im Verifikationsbereich ist nach Einschätzung der Bundesregierung eine Einigung im Bereich der Mittelstreckenflugkörper längerer Reichweite in den nächsten Monaten möglich.
Damit würde erstmalig ein weitreichender Schritt zur Abrüstung möglich. Dieser Erfolg wäre vor allem das Ergebnis der festen und geschlossenen Haltung der Bundesregierung wie des gesamten Bündnisses bei der Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses.
({16})
Er wäre gleichzeitig ein Beweis dafür, daß konkrete Abrüstungsschritte auf der Grundlage eines fairen Ausgleichs der Interessen beider Seiten erreichbar sind.
Für den Bereich der Mittelstreckenflugkörper kürzerer Reichweite, also 500 bis 1 000 km, sieht der
auch bis heute noch nicht schriftlich vorgelegte sowjetische Vorschlag
({17})
eine ebenfalls auf Europa beschränkte Null-Lösung vor.
Meine Damen und Herren, für uns Deutsche beinhaltet diese Lösung schon auf den ersten Blick einen schwerwiegenden Nachteil: Das erdrückende Übergewicht der Sowjetunion im Bereich der Waffen unterhalb von 500 km, insbesondere in Form der 583 SCUD-Raketen, denen die NATO nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat, soll unberührt bleiben.
Nicht zuletzt dieser Aspekt hat der Bundesregierung die Entscheidung über die Null-Lösung im Bereich von 500 bis 1 000 km Reichweite nicht leichtgemacht. Dabei muß dieses Übergewicht immer wieder auch vor dem Hintergrund einer klaren Überlegenheit des Warschauer Pakts im konventionellen Bereich gesehen werden.
Meine Damen und Herren, diese konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts ist ja auch keine Erfindung der derzeitgen Bundesregierung. Ich zitiere gerne erneut, das Weißbuch, das die Kollegen Schmidt und Apel zu ihrer Zeit veröffentlicht haben:
In Mitteleuropa und an den europäischen Flanken sind die konventionellen Kräfte des Warschauer Paktes, vor allem seine Landstreitkräfte, denen der NATO eindeutig überlegen. Das Verhältnis an Kampfpanzern zwischen NATO und Warschauer Pakt in Mitteleuropa beträgt, Verstärkungskräfte beider Seiten eingerechnet, etwa 1 : 3. Über den Grad der Bedrohung ist damit nicht alles gesagt.
({18}) Es geht noch weiter im Zitat:
Gleichwohl hat die numerische Panzerüberlegenheit des Warschauer Paktes nicht nur hohen militärischen, sondern auch hohen politischen Rang. Sie ist Grund für Mißtrauen, weil Panzermassen klassische Angriffsmittel sind, für die schnelle Inbesitznahme fremder Territorien beonders geeignet. Dies erklärt ihr politisches Gewicht.
Ich habe auch diesem Zitat des Kollegen Schmidt und des Kollegen Apel nichts hinzuzufügen.
({19})
Meine Damen und Herren, jedermann weiß - auch jeder hier im Saal weiß das - , daß seit 1979, als dieses Weißbuch erschienen ist, die konventionellen Streitkräfte der Sowjetunion weiter ausgebaut wurden. Diese Aussage und die Realität, mit der wir uns zu beschäftigen haben, machen klar, daß eine bedingungslose Annahme des sowjetischen Null-LösungsVorschlages für den Bereich von 500 bis 1 000 km für die Bundesregierung nicht in Frage kommen konnte. Das Ergebnis wäre für unser aus geographischen Gründen ohnehin exponiertes Land schwer erträglich.
({20})
Ich will hier in aller Klarheit feststellen, daß für uns Deutsche bei Beseitigung der landgestützten Flugkörper zwischen 500 km und 1 000 km Reichweite die Sorge über das Ungleichgewicht bei den Systemen unterhalb 500 km wächst. Wir wollen und können einen solchen Zustand nicht auf Dauer hinnehmen. Wir drängen deshalb nachdrücklich auf die Fortsetzung des Abrüstungsprozesses auch in diesem Bereich.
({21})
Meine Damen und Herren, wir sind mit der Regierung der Vereinigten Staaten und den übrigen Bündnispartnern der Auffassung, daß die 72 deutschen Pershing-I- a-Raketen mit ihren amerikanischen Sprengköpfen nicht in eine amerikanisch-sowjetische Null-Lösung eingeschlossen werden können. Diese Flugkörper waren nie Verhandlungsgegenstand.
({22})
Das starke Übergewicht der Sowjetunion bei Flugkörpern unter 500 km Reichweite sowie der einseitige und ersatzlose Abzug von 2 400 Atomsprengkörpern der NATO zwischen 1980 und 1988 sollten es erlauben, in diesem Punkt die Verhandlungen nicht zu komplizieren oder gar zu gefährden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, hat die NATO mit dem Abzug von 2 400 Atomsprengköpfen einseitig mehr Atomwaffen in Europa abgerüstet, als jetzt in Genf zur Verhandlung stehen und je standen.
({23})
Die Verhandlungen in Genf dauern an. Mir erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, weil viele so tun, als stünden wir bereits nach einem Verhandlungsabschluß. Ein Abkommen ist bisher noch nicht erreicht. Der vorliegende Entwurf zeigt, daß durchaus schwierige Fragen noch zu lösen sind. Es ist eine große Willensanstrengung beider Weltmächte notwendig, um zu Erfolg zu kommen.
Ich will deutlich aussprechen, daß wir, die Bundesregierung, und auch ich persönlich alles tun werden, was in unserer Kraft steht, um zu einem solchen Erfolg beizutragen, zu einem Erfolg, der erstmals in der Geschichte der Rüstungskontrolle dazu führen würde, wirklich Rüstung abzubauen.
({24})
Die Bundesregierung geht davon aus, daß eine solche INF-Regelung noch in diesem Jahr unterzeichnet werden kann. Wir hoffen, daß es aus diesem Anlaß zu einem dritten Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in den USA kommt. Ich will doch hier zum Ausdruck bringen, daß, wenn ich dies heute hier sage, wohl kaum mehr Widerspruch erfolgt. Auch hier im Hohen Hause hat sich die Einschätzung der Lage in den letzten zwölf Monaten völlig geändert. Dies ist ein Erfolg der Politik der Bundesregierung.
({25})
Meine Damen und Herren, wenn wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, stünden wir heute vor dem Scherbenhaufen Ihrer Politik.
({26})
Wir haben konstruktiv mitgearbeitet. Wir können heute mit Recht für uns in Anspruch nehmen: Die Bundesrepublik Deutschland, die Koalitionsparteien und diese Bundesregierung haben einen wesentlichen Beitrag zu der Möglichkeit geschaffen, daß es jetzt zu diesem Treffen kommt.
({27})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bleibt der Auffassung, daß die Genfer Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenflugkörper in einem umfassenden Abrüstungsprozeß eingebettet bleiben müssen, der sich auf alle Waffensysteme erstrecken und zu weiteren Abrüstungsschritten führen muß. Ich denke, Herr Kollege Brandt, daß wenigstens das doch ein Punkt ist, auf den wir uns vielleicht verständigen können.
Folgende Abrüstungsschritte halten wir für erforderlich und möglich:
Erstens. Im Abrüstungsprozeß der Großmächte erwarten wir eine Einigung über die 50prozentige Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale beider Seiten. Eine weitgehende Einigung auf dieser Basis ist bereits im Oktober letzten Jahres beim Gipfeltreffen in Reykjavik ausgehandelt worden.
Eine solche Einigung, meine Damen und Herren, würde die Beseitigung von insgesamt etwa 10 000 nuklearen Sprengköpfen vorsehen. Zu den noch offenen Problemen in diesem Bereich habe ich bereits am 18. März hier erklärt - ich darf das wiederholen - :
In Genf müssen beide Verhandlungspartner Anstrengungen unternehmen, für das Verhältnis von Offensiv- und Defensivwaffen eine die Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigende kooperative Lösung zu finden. Dies gilt auch für die Anwendung des ABM-Vertrages. Ich bin weiterhin der Auffassung, daß drastische Reduzierungen der Offensivwaffen Einfluß auf Notwendigkeit und Umfang von Defensivsystemen haben müssen.
Die Bundesregierung hofft, daß eine endgültige Einigung in absehbarer Zeit zustande kommt. Ein Abschluß im INF-Bereich könnte das beiderseitige Vertrauen für einen solchen entscheidenden Schritt zum Abbau der strategischen Systeme fördern.
Zweitens. Wir streben so rasch wie möglich eine Konvention über ein weltweites Verbot chemischer Waffen an. Die sehr komplizierten Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz sind so weit fortgeschritten, daß die noch offenen Verifikationsfragen kein entscheidendes Hindernis mehr bilden dürfen, diese grausame Waffenkategorie endgültig und weltweit abzuschaffen.
({28})
Die Bundesregierung erkennt an, daß auch die Sowjetunion in den strittigen Fragen der Verifikation
Bewegung gezeigt hat. Es ist ermutigend, daß das Abschlußkommuniqué des Warschauer-Pakt-Gipfels in der vergangenen Woche in Ost-Berlin einen Abschluß der Verhandlungen noch in diesem Jahr erneut für möglich erklärte.
Wir erwarten weitere Flexibilität und ergebnisorientiertes Verhandeln auf beiden Seiten. In Anbetracht des erreichten Verhandlungsstandes ist dies im übrigen nicht der geeignete Zeitpunkt, neuartige oder geographisch begrenzte Konzepte einzuführen.
({29})
Die Bundesrepublik Deutschland hat die Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz von Anfang an energisch mitgestaltet
({30})
und wird dies in der entscheidenden Schlußphase erst recht tun.
Auch in diesem Zusammenhang muß an die besonders exponierte Lage Deutschlands und unserer besondere Bedrohung durch chemische Waffen erinnert werden. Wir erwarten deshalb von jedermann Respektierung unseres vorrangigen Interesses an einer solchen Konvention.
Drittens. Logischer nächster Schritt im Abrüstungskonzept der Bundesregierung und ihrer Verbündeten ist es, ein nachprüfbares, ein umfassendes und stabiles Kräfteverhältnis konventioneller Streitkräfte auf niedrigerem Niveau in ganz Europa zu schaffen.
({31})
Unser Bündnis hat deshalb in Vorbereitung solcher Verhandlungen erhebliche Vorarbeiten geleistet. In Wien laufen Vorgespräche zwischen den Mitgliedstaaten der beiden Paktsysteme über ein Mandat einer Konferenz für konventionelle Rüstungskontrolle.
Meine Damen und Herren, es geht im Kern darum, Ungleichgewichte zu unseren Lasten zu beseitigen. Wir begrüßen deshalb die im Kommuniqúe des Warschauer Pakts vom 29. Mai 1987 erklärte Bereitschaft, die „entstandene Ungleichheit bei einigen Elementen" zu beseitigen, als Schritt in die richtige Richtung.
({32})
Der Bundesregierung und ihren Verbündeten geht es vor allem darum: einen stufenweisen Verhandlungsprozeß in Gang zu bringen, der die unverminderte Sicherheit aller Betroffenen in jeder Phase gewährleistet; die Fähigkeit zu Überraschungsangriffen oder zur Einleitung von raumgreifend angelegten Offensiven zu beseitigen; weitere Maßnahmen zur Vertrauensbildung, zur Verbesserung der Offenheit und Berechenbarkeit militärischen Verhaltens festzuschreiben; bei europaweiter Geltung regionalen Ungleichgewichten Rechnung zu tragen; Umgehungen zuverlässig auszuschließen und letztlich wirksame Überprüfungsregeln zu entwickeln, die einen detaillierten Informationsaustausch und Vor-OrtInspektionen einzuschließen.
Meine Damen und Herren, außerdem bleibt eine zweite Etappe der Konferenz über vertrauens- und
sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa erforderlich. Der Abschluß der Verhandlungen von Stockholm sollte für die Zukunft genutzt werden.
Für die Abrüstungsverhandlungen im konventionellen Bereich hat unser Bündnis noch keine endgültigen Entscheidungen über Verhandlungsrahmen und Mandatselemente treffen können. Wir sind hier zusammen mit den britischen Kollegen nachhaltig um einen Kompromiß bemüht.
Angesichts der von mir dargelegten besonderen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch das konventionelle Übergewicht des Warschauer Paktes, das sich durch Schritte im Bereich der nuklearen Abrüstung noch verschärfen würde, drängt die Bundesregierung auf eine zügige Einigung, damit der Weg für notwendige Abrüstungsverhandlungen endlich frei wird.
({33})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich haben im Hinblick auf die Schritte der Großmächte zur nuklearen Abrüstung in Europa ein gleichgerichtetes Interesse an größerer konventioneller Stabilität auf niedrigerem Niveau. Die Bundesregierung hält deshalb Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa vom Atlantik bis zum Ural - ein Begriff, den wir, wie wir wissen, Charles de Gaulle verdanken - nur mit Frankreich für vorstellbar.
({34})
Wir verlassen uns in dieser Frage in einer besonderen Weise auf unsere französischen Freunde.
({35})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, gerade die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß die sicherheitspolitische Gemeinsamkeit mit Frankreich für uns immer wichtiger wird. Die deutsch-französischen Konsultationen vor zwei Wochen haben in diesem Geiste stattgefunden. Es geht darum, daß die deutschfranzösische Partnerschaft auch auf diesem Gebiet verstärkt zu gemeinsamem politischen Handeln reift. Es ist für mich eine große Befriedigung, daß ich bei meinem gestrigen Gespräch mit den Repräsentanten der wesentlichen Fraktionen
({36})
in der französischen Kammer in der außenpolitischen Kommission die Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch hatte, der zu einer ziemlichen Übereinstimmung in dieser speziellen Frage führte. Auch die französischen Kollegen machten deutlich, daß die Stunde einer engen Verbindung auch im Bereich der Sicherheitspolitik mit der Bundesrepublik in Frankreich gekommen ist, daß wir die Chancen des Elysée-Vertrags endlich nutzen sollten.
({37})
Ich bin überzeugt, daß dies einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit Westeuropas insgesamt darstellen kann. Die dadurch geförderte Entwicklung der Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten der WEU und deren institutionelle Stärkung bilden nach Auffassung der Bundesregierung ein wichtiges Element auch des Europäischen Einigungswerkes.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, in meiner Regierungserklärung im März habe ich die Hoffnung ausgesprochen, daß es zu einem breiten Konsens in diesem Haus zu den Schlüsselfragen der Sicherheitspolitik, insonderheit zu unserer Bündnistreue sowie zu Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen kommen möge. Fragen, die die Sicherheit unseres Volkes bis weit ins nächste Jahrhundert hinein vorprägen, eignen sich nicht für eine kurzsichtige und kurzfristige parteipolitische Auseinandersetzung.
({38})
Wir sollten uns dabei vor allem nicht den guten Willen in den Intentionen unserer Überlegungen in Kernfragen unserer Sicherheit absprechen. Wir sollten uns vor Augen halten, daß ein grundlegendes Einvernehmen über Parteigrenzen hinweg auch die Vertretung der besonderen deutschen Interessen auf der internationalen Ebene erleichtert. Die bestmögliche Vertretung des wohlverstandenen nationalen Interesses gerade auf dem Gebiet der Sicherheit ist dabei eine unserer vornehmsten Pflichten gegenüber nachfolgenden Generationen.
({39})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das politische Leben in der Demokratie besteht gewiß nicht allein - ich denke, darin stimmen wir überein - aus dem Streit der Meinungen. Zu ihm gehört auch die Fähigkeit, feststellen zu können, und die Bereitschaft, feststellen zu wollen, worüber nicht oder nicht mehr gestritten werden muß. Dies ist dann um so mehr angezeigt, wenn über Fragen lebenswichtiger, überlebenswichtiger nationaler Interessen zu entscheiden ist.
Wir Sozialdemokraten unterstützen diejenigen in Koalition und Regierung, die für eine doppelte NullLösung bei den nuklearen Mittelstreckenraketen ohne Wenn und Aber eintreten.
({0})
Wir sind an der Seite derer, die es den beiden Weltmächten nicht schwerer machen, sondern ihnen, soweit wir es können, helfen wollen, noch in diesem Jahr zu einer Vereinbarung zu kommen. Ein erster Vertragsentwurf für die Mittelstreckenraketen über 1 000 km Reichweite liegt in Genf auf dem Tisch. Ich beurteile auch die gemeinsame Anregung der deutschen Friedensforschungsinstitute positiv, möglichst bald eine dritte Null-Lösung für die nuklearen Kurzstreckenwaffen anzupeilen, d. h. für die über 150 km, weil die anderen ja logischerweise mit der konventionellen Rüstung gemeinsam zu verhandeln sind.
({1})
Wir sollten in der Tat, Herr Bundeskanzler, die Weltmächte dringend ersuchen, ihre Bemühungen um eine erstmal, sage ich, 50%ige Reduzierung der interkontinentalen Zerstörungsmaschinen des strategischen Offensivpotentials, wie der Bundeskanzler sagt, nicht erlahmen zu lassen, sondern auch hierüber
bald zu einem Abkommen zu gelangen, was wohl nur möglich sein wird, wenn sie sich darüber verständigen, welche den Weltraum betreffenden Tests erlaubt sein sollen und welche nicht.
Wir stimmen dem Bundeskanzler zu, daß die Nuklearrüstung nicht isoliert zu sehen ist, sonden daß der weiteren Sicherung des Friedens wegen konventionelle Stabilität, und zwar auf möglichst niedrigem Niveau, zwischen Ost und West in Europa angestrebt werden muß. Ich bediene mich der gängigen Ausdrucksweise nicht ohne Unbehagen, denn die gängige Bezeichnung - das klang auch in der Regierungserklärung an - „konventionell" darf ja wirklich nicht verniedlichend verstanden werden.
({2})
Selbstverständlich stimmen wir darin überein, daß die deutsche und die europäische Politik jeden möglichen Einfluß geltend zu machen hat, damit die Verhandlungen über eine weltweite Ächtung der chemischen Waffen bald zum Erfolg führen.
Herr Bundeskanzler, bei uns rennen Sie offene Türen ein mit dem, was Sie eben darüber gesagt haben, daß es ein Vorteil für die Außen- und Sicherheitspolitik ist, wenn sie sich auf ein grundlegendes Einvernehmen zwischen den sonst miteinander konkurrierenden Parteien stützen kann, und daß innenpolitische Sonderinteressen dabei nicht überhandnehmen dürfen; und nicht zuletzt, daß wir einander in der Tat den guten Willen nicht absprechen sollten. Ich habe das auch schon anders gehört.
({3})
Was heute dazu erklärt worden ist, ist von uns nicht überhört worden und wird weiterwirken können, wenn es nicht bei einer Schwalbe bleibt, die bekanntlich noch keinen Sommer macht.
({4})
Es ist nicht wenig, von dem ich hier ausgegangen bin.
Unser Verständnis davon, daß für uns ein Weg außerhalb des Atlantischen Bündnisses nicht akzeptabel ist, kommt hinzu, ebenso die Überzeugung, daß es eine gute deutsche Zukunft ohne oder gar gegen Europa nicht gibt und daß dabei die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Partnerschaft, der deutsch-französischen Entente in der Tat eine besondere Rolle zu spielen haben wird. Ich beziehe mich insofern ausdrücklich auf das, was die Kollegen Ehmke im März und Egon Bahr im vorigen Monat hier von dieser Stelle aus über die Selbstbehauptung Europas gesagt haben.
Nun muß ich allerdings hinzufügen: Ich hätte, wir hätten gewünscht, daß die Einigkeit zum konkreten Thema Doppel-Null - und darum sollte es ja heute gehen - , daß die Übereinstimmung in dieser konkreten Frage größer wäre, als sie ist.
Gewiß, was die Koalition am Montag aushandelte und
was heute als Standpunkt der Regierung vorgetragen
worden ist, das ist nicht ganz so mager wie die Regierungserklärung vom 7. Mai - das muß ich zugeben -;
({5})
denn das war vor vier Wochen nicht mehr als das Aufschieben einer fälligen Entscheidung, ein Aufschieben mit der Gefahr zunehmender Isolierung und damit des Verzichts auf Einflußnahme auf einen Prozeß, der gerade für uns in Deutschland von vitaler Bedeutung ist.
Wir sehen es so: Durch eine europäische NullLösung bei den Mittelstreckenraketen wäre das strategische Verhältnis zwischen den Weltmächten, den Supermächten, nicht unmittelbar berührt. Aber erstmals in der Geschichte der neueren Ost-West-Beziehungen würden Waffen, die mit großem Aufwand entwickelt, produziert und stationiert wurden, als Ergebnis eines Abkommens wieder abgezogen und verschrottet werden. Die Politik hätte dann in einem wichtigen Bereich wieder die Oberhand gewonnen über rein militärisches Kalkül.
({6})
Das wäre nicht weniger als ein Sieg der Vernunft über die Eigendynamik der Rüstung.
({7})
Ich sprach von Gefahren der Isolierung. Diese Gefahr mag reduziert worden sein, überwunden ist sie, fürchte ich, noch nicht. Das hängt damit zusammen, daß die Koalitionsvereinbarung vom Montag bzw. das, was von ihr in die heutige Regierungserklärung eingegangen ist, eben doch in Teilen einen Formelkompromiß darstellt, den die einen so und die anderen anders auslegen. Die - wie habe ich das gelesen? -„kakophone Dissonanz" , von der der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende sprach, hatte sich in diesen Tagen ganz schön munter weiterentfaltet.
Die Freien Demokraten sagen deutlicher als andere, deutlicher jedenfalls als ein großer Teil der Kollegen der größten Regierungsfraktion, sei seien für ein Ja zur doppelten Null-Lösung. Sie sagen auch - und dem kann ich nur beipflichten - : Von einer Abkoppelung von den Vereinigten Staaten könne keine Rede sein.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses betonte am Dienstag, von Doppel-Null könne man nicht reden. Und in der Fraktion scheint es bei Ihnen ganz munter zugegangen zu sein. Nun weiß ich natürlich: Es stimmt nicht alles, was in der „Frankfurter Allgemeinen " steht - das kann ich nun wirklich selbst bestätigen -,
({8})
aber alles, was auf Seite eins und auf Seite zwei gestern über Ihre Fraktionssitzung zu lesen war, kann ja auch nicht aus den Fingern gesogen sein. Also, es wird schon was dran sein.
Der Bundeskanzler läßt sich vor dem Hintergrund, den ich eben andeutete, so vorsichtig ein, wie wir es von ihm schon lange nicht mehr gewohnt waren.
({9})
Die einen sagen, das Herauslassen der deutschen Pershing-I-a-Raketen, 72 an der Zahl, könne einem Abkommen gar nicht im Wege stehen, weil die nuklearen Sprengköpfe ohnehin nicht der Bundeswehr gehören. Sie befinden sich, wie wir wissen, in amerikanischem Gewahrsam, und eingesetzt werden könnten sie nur auf Befehl des Präsidenten der USA. Also: Was aus den nuklearen Sprengköpfen wird und wie sie in ein Abkommen zwischen den Weltmächten einbezogen werden, entscheiden die Vereinigten Staaten.
({10})
Ich fand folgendes ganz interessant: Als ich gestern nachmittag nach Hause fuhr, bekam ich die Meldung aus dem Stuttgarter Landtag in die Hand, daß jedenfalls nicht in Übereinstimmung mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU hier, wohl aber, wie er sagte, in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler der baden-württembergische Ministerpräsident und einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU im Landtag zu Stuttgart gesagt hat, die Null-Lösung werde auch an den 72 deutschen Pershing-I-a-Raketen nicht scheitern,
({11})
notfalls, so lese ich, müsse die doppelte Null-Lösung ohne Junktim vereinbart werden.
({12})
Ich habe von den einen gesprochen, ich komme jetzt zu den anderen: Die anderen meinen, die Bundesregierung könne oder sogar solle dafür sorgen, daß die eben erwähnten Atomwaffen bei einem Abkommen der beiden Großen außen vorbleiben. Sie meinen weiter, wenn ich es recht verstehe, die Modernisierung dieser Waffensysteme dürfe auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Ich darf Ihnen im Namen meiner politischen Freunde sagen - wenn ich „Freunde" sage, meine ich die Freundinnen immer mit ({13})
und im Namen vieler anderer in der deutschen Öffentlichkeit, die an diesem Vorgang, wie wir wissen, stark Anteil nehmen: Sollte hier eine Position aufgebaut werden, die es den Weltmächten erschweren oder gar unmöglich machen würde, ein im übrigen zwischen ihnen mögliches Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, dann würde dies unseren eindeutigen Widerstand hervorrufen.
({14})
Sollte es der Regierung darum gehen, dem Abrüstungsprozeß etwas hinzuzufügen, was man im Neudeutschen ein Momentum nennt, würden wir zwar nicht das Verfahren, wohl aber die Sache unterstützen.
({15})
Nun hört man schon aus Washington, Herr Bundeskanzler, Ihre Position zu Pershing I a diene der Gesichtswahrung. Sie haben in der Regierungserklärung heute morgen eine sehr vorsichtige Formulierung gewählt, die Ihnen das nächste Einschwenken nicht zu schwer machen würde.
({16})
Daß man in Amerika mit einem nächsten Einschwenken der Bundesregierung schon rechnet, kann kaum überraschen. Wir hätten in diesem Fall auch nichts dagegen.
({17})
Wenn man den Amerikanern vorführen will, was Eigenständigkeit bedeutet und bedeuten kann, dann machen Sie das bitte bei dazu passenden Gelegenheiten, und an denen mangelt es nicht. Auch bitte aufpassen bei einem eben doch latenten, auch in der Geschichte leicht festzumachenden Antiamerikanismus eines nicht geringen Teils der deutschen Rechten.
({18})
Was die Restbestände, Herr Bundeskanzler, je hundert bei den Mittelstreckenraketen größerer Reichweite, die, wie Sie meinen, möglicherweise verbleibenden je hundert Waffensysteme dieser Art angeht, so kann ich die Einlassung der Regierung hierzu gut verstehen, aber sie wird wohl selbst nicht geneigt sein, ihren Einfluß zu überschätzen, was das Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten in dieser Hinsicht angeht.
({19})
Die SPD, für die ich spreche, hat immer gewollt, daß es zwischen Ost und West zum Rüstungsabbau überhaupt und zur nuklearen Abrüstung im besonderen kommt.
({20})
Die Bundesregierung hat sich ein Stück bewegt, aber mehrheitlich, wie es mir scheint, mehr aus Sorge denn aus Einsicht. Ich fürchte jedoch, der Schaden, der in den letzten Wochen angerichtet worden ist - ich will nicht auf die Reiserei im einzelnen noch einmal eingehen - , was Einfluß und Gewicht unserer Außenpolitik angeht, ist mit der heutigen Regierungserklärung noch nicht behoben.
Lassen Sie mich jedenfalls mit jedem möglichen Nachdruck sagen: Für alle bisherigen Bundesregierungen hat gegolten, daß sie den Besitz oder die Verfügungsgewalt über Atomwaffen nicht anstreben.
({21})
Man gab sie uns nicht, und wir wollten sie nicht, und dabei muß es bleiben.
({22})
Um so besser, Herr Bundeskanzler - ich habe es auch
nicht bezweifelt - , daß auch das ein Stück gemeinsamer Haltung ist. Besser wäre es noch, wenn wir darBrandt
über hinaus einig wären, erstens, daß Doppel-Null aus allgemeinen Gründen und wegen eines zusätzlichen starken nationalen Interesses ohne Wenn und Aber zu unterstützen ist,
({23})
und zweitens, daß eine Politik des Rüstungsabbaus zwischen Ost und West mit allen vernünftigen Mitteln, zumal durch eigene Vorschläge und nicht nur durch das Reagieren auf die Vorschläge anderer, durch die Bundesrepublik Deutschland zu fördern ist.
({24})
Diese Überzeugung, die damit verbundene Unruhe hat am vergangenen Freitag eine große Zahl von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hier in Bonn zusammengeführt, die ich eingeladen hatte; nicht zuletzt Persönlichkeiten aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Leben. In dem dort gemeinsam unterzeichneten Aufruf heißt es:
Wir sind nicht länger überzeugt von der Tragfähigheit der Abschreckungstaktiken. Sie ist trügerisch, die tödliche Entschlossenheit, die ihre Verfechter vorspiegeln, unglaubwürdig. Nicht auf die Androhung des nationalen Selbstmordes dürfen wir setzen, sondern auf die Vereinbarung gemeinsamer und gleicher Sicherheit.
({25})
Das Thema stößt auf ein wirklich sehr waches und lebhaftes Interesse. Ich habe das gestern morgen gemerkt, als mir 80 Listen mit 80 000 Unterschriften auf den Tisch kamen. Da sind örtliche Organisationen meiner Partei dabei, die Bürger zu bitten, sich auch durch ihre Unterschrift für das Doppel-Null ohne Wenn und Aber einzusetzen.
({26})
Ich bin ganz sicher, daß, wenn mein Freund HansJochen Vogel neben anderen auf der Kundgebung der Friedensbewegung am 13. Juni 1987 sprechen wird, dann dies dort - von vielen unterstützt, nicht nur interessiert verfolgt - stark zum Ausdruck kommen wird.
({27})
Meine Damen und Herren, es ist ja über unser Land hinaus so, daß sich neben Kirchenführern nicht zuletzt Naturwissenschaftler und jetzt in immer mehr zunehmendem Maße Ärzte engagiert haben und engagieren, wenn es um das Sich-Auflehnen gegen die Atomgefahren geht. Der 7. Weltkongreß der „Ärzte gegen den Atomtod" hat aus der Erfahrung der Mediziner im Osten und Westen, im Norden und Süden am vergangenen Wochenende in der sowjetischen Hauptstadt getagt. Voriges Jahr waren die hier in Köln. Das Jahr davor habe ich zu ihnen in Budapest gesprochen. Auch Präsident Reagan hat jenem großen internationalen Ärztekongreß in Moskau ein Telegramm geschickt, das nicht bloß einen Gruß enthielt. Die Bundesregierung hat nichts von sich hören lassen, vermutlich weil ihr die ganze Richtung nicht paßt oder weil sie jetzt nicht von dem abrücken will, was sehr ungerecht zur Verleumdung dieser internationalen
Organisation im vergangenen Jahr von jemand in Gang gesetzt worden war,
({28})
der der Bundesregierung nicht fernsteht. Für die deutschen Sozialdemokraten möchte ich die internationale Organisation der Ärzte wie ihren Kongreß beglückwünschen, und zwar zu den Ergebnissen wie zu den Empfehlungen, die sie erreicht haben.
({29})
Was, meine Damen und Herren, die von mir genannten Gemeinsamkeiten begrenzter sein läßt, als es zu wünschen wäre, ist die Tatsache, daß wir mit einer erheblichen Zahl der Kollegen aus der Mehrheitsfraktion - der Fraktion der Unionsparteien - in der Beurteilung der Weltlage, der europäischen Lage, der realen Chancen der Friedenssicherung und Zusammenarbeit nicht übereinstimmen. Während wir weitreichende Veränderungen befriedigt, manchmal auch verwundert, gebe ich zu, zur Kenntnis nehmen, stellen wir mit Bedauern fest, daß nicht wenige innerhalb des Regierungslagers in einem, wie wir es empfinden, sterilen Feindbilddenken verharren.
({30})
Es ist nicht Rechthaberei, wenn ich sage, daß manche der Kollegen eben immer noch nicht nachvollzogen haben, was unsere Entspannungspolitik bedeutete und was durch sie in diesem Teil der Welt verändert worden ist. Dies hat ja dann auch zu den bekannten Fehleinschätzungen geführt. Gewisse Vorschläge wurden, wie man weiß, verbal unterstützt oder gar mitformuliert in der stillen, aber sicheren Hoffnung, die sowjetische Führung werde sie nie annehmen.
({31})
Da hat man sich dann verheddert - wie bei der bekannten und im übrigen richtigen Formel eines Generalinspekteurs, von dem ja der Satz stammt: Je kürzer die Reichweiten, um so deutscher die Wirkung. Das kann ja nicht bestritten werden.
Diese Einsicht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, hätte der Logik entsprechend doch wohl dazu führen müssen, daß Sie die kürzeren Reichweiten eher hätten wegverhandeln müssen
({32})
und eher die längeren hätten behalten wollen. Das Umgekehrte ist geschehen. Sie haben der Beseitigung der längeren zugestimmt und wollten die Beseitigung der kürzeren verhindern; das ergibt doch keinen Sinn.
({33})
Was die kurzen Reichweiten und die Gefechtsfeldwaffen angeht, meine Damen und Herren, haben Sie es bisher nicht geschafft, deren Beseitigung wenigstens als Ziel deutlich genug zu formulieren.
({34})
Apropos Fehleinschätzungen: Ich möchte aus gegebenem Anlaß eine Bemerkung dazu machen, ob es nicht zu denken gibt, wie der perfektionistische
Gigantismus der Sicherheitsapparate gelegentlich vorgeführt wird, so daß die Menschen merken, der König im Sinne von H. C. Andersen hat wirklich manchmal keine Kleider an.
({35})
Am Wochenende las ich wie viele von uns in der „International Herald Tribune" - es gibt manches, was man in der deutschen Presse nicht gleich liest; ob man nun übereinstimmt oder nicht - den Artikel eines deutschen Journalisten, der sich in Militärfragen auskennt. Er sprach die Warnung aus, Dinge auf Flugzeuge zu verlegen; denn auf Flugzeuge verlagertes Nuklearpotential müsse als sehr problematisch angesehen werden, weil das Gebiet des Warschauer Pakts das tödlichste Luftverteidigungsgebiet der Welt sei. Das habe ich da gelesen.
Das traf mit der Tatsache zusammen, daß ich gerade vorher wie viele - nicht nur in diesem Saal, sondern in unserem Land - gelesen hatte, was dieser junge Mann auf seinem Fünfstundenflug von Helsinki nach Moskau hinter sich gebracht hat. Hinzu kamen die Bilder von seiner kühn-gefährlichen Landung auf dem Roten Platz.
Ich will nicht den Leichtsinn des jungen Landsmannes rühmen, und ich hoffe sehr, daß man ihn trotzdem bald nach Hause kommen läßt.
({36})
Aber den Respekt vor einer etwas verrückten, aber doch imponierenden sportlichen Leistung, diesen Respekt kann ich nicht unterdrücken; er muß wohl auch erlaubt sein.
({37})
Jedenfalls, meine Damen und Herren, befriedigt mich nicht, wie rasch sich aus einem solchen Anlaß die militärischen und zivilen Chefs beider Seiten einig sind, wie rasch sie sich zu Wort melden, um übereinstimmend zu erzählen, was die Disziplin gebietet, daß Unregelmäßigkeiten von Übel sind und überhaupt, daß nicht sein darf, was nicht in Reglements vorgesehen ist.
({38})
Ich weiß ja auch, daß das nicht geht, was der Mathias Rust unternommen hat. Ich kann es wirklich nicht zur Nachahmung empfehlen. Aber interessant ist es doch, daß es immer wieder Menschen gibt, die die Routine durchbrechen und sich nicht zum bloßen Anhängsel technischer Apparate machen lassen. Das haben wir in anderen Zusammenhängen auch schon gesehen. Ich will jetzt dafür keine Beispiele nennen, denn dann könnte man doch annehmen, ich rege zu etwas an.
({39})
Ich will doch noch hinzufügen, meine Damen und Herren: Es wäre sicher eine grobe Fehleinschätzung, die Russen für so ungefährlich zu halten, wie es dem Cessna-Flieger und einigen seiner Beifallspender in der vorigen Woche erschienen sein mag.
({40})
Ich kehre zur Regierungserklärung zurück, wenn ich es darf, und sage: In gewisser Hinsicht ist das doch eine interessante Premiere. Ich kann mich an einen vergleichbaren Vorgang nicht erinnern. Die einfache Null-Lösung war ein Ost-West-Vorschlag. Dem kann man also relativ leicht zustimmen. Die doppelte NullLösung ist ein Vorschlag Gorbatschows. Daß man ihn zu verhindern sucht, kann ich zur Not verstehen. Aber daß die Kolleginnen und Kollegen letztendlich einem sowjetischen Abrüstungsvorschlag im wesentlichen zustimmen, und zwar zum erstenmal, das verdient festgehalten zu werden. Man darf auf die Fortsetzung gespannt sein.
Die Regierungserklärung ist - wenn ich es so offen sagen darf - nicht ganz auf der Höhe der Situation,
({41})
aber ich habe wohl gehört, was dort doch interessiert registriert worden ist, auch im Blick auf die Ost-Berliner Warschauer-Pakt-Texte aus der zurückliegenden Woche. Das ist wichtig; das verdient weiter geprüft zu werden, und zwar in bezug auf den Abbau der Überlegenheiten, die engmaschige Kontrolle, die konventionelle Abrüstung und die Besprechungen der Strategiedoktrin - wie man drüben sagt - der beiden Bündnisse mit dem Ziel ihrer reinen Verteidigungsfähigkeit. Das muß wirklich geprüft und gründlich erörtert werden, mit den Verbündeten und auch mit denen, von denen die Vorschläge kommen. Ich hätte es ja nicht für schlecht gehalten, Herr Bundeskanzler, wenn man zusätzlich auch noch auf das eingegangen wäre, was die Herren Honecker, Husak und Jaruzelski in den letzten Wochen gesagt haben.
({42})
Es wäre gut, wenn man auch dazu sagen könnte: Das, was sie in die europäische Diskussion eingeführt haben, verdient sorgfältige und konstruktive Prüfung.
Wir begrüßen natürlich - wenn ich das in diesem Zusammenhang sagen darf - die Möglichkeit, daß mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR auch persönlich über diese Dinge geredet werden kann, wenn er nach der Sommerpause zu uns in die Bundesrepublik kommt. Es ist ja weiß Gott auch und gerade unser Interesse, konventionelle Nichtangriffsfähigkeit strukturell zuerst in Zentraleuropa herzustellen.
({43})
Nun kann ich mich an manches Lachen oder Lächeln erinnern, das es in den vergangenen Jahren gab, wenn vom „Korridor" die Rede war. Ich will einmal sagen: Das Lachen oder Lächeln könnte manchem jetzt leicht vergehen, denn es liegt doch folgendes auf der Hand:
Erstens. Wenn sich das mit den Verhandlungen über eine weltweite Ächtung der chemischen Waffen noch hinzieht, spricht doch alles dafür, dort anzufangen, wo das verdammte Zeug liegt, nämlich in den beiden deutschen Staaten.
({44})
Es spricht alles dafür, das Zeug herauszuverhandeln, und es spricht doch auch alles dafür, gerade in bezug auf die Raketen mit den ganz kurzen Reichweiten diesen Anfang zu machen, den ein atomwaffenfreier Korridor in unserem Teil Europas bedeuten würde. Das wirft dann natürlich, wie die Fachleute besser wissen als ich, eine Menge Fragen auf, etwa - das hat sich bei den Erörterungen gezeigt - bezüglich der Doppelverwendungsfähigkeit der Haubitzen. Dann kann man - deshalb vorhin mein Hinweis - das Nukleare und das Konventionelle in diesem Bereich gar nicht mehr voneinander trennen.
Jedenfalls hat die Zeit begonnen, in der wir die Chance haben, ein neues Blatt in der Geschichte Europas aufzuschlagen, die zweite Phase der Entspannungspolitik endlich zu realisieren, nämlich die militärische Konfrontation durch den friedlichen Wettstreit und die Zusammenarbeit zu ersetzen. Dazu braucht man deutsche Vorschläge, nicht nur das Warten auf sowjetische Wortlaute,
({45})
die man dann zum Schluß - wenn ich insoweit auf den Zusammenhang zwischen dem 7. Mai und heute hinweisen darf - doch nicht abwartet.
Das Thema „Stabilität und Frieden durch Abrüstung" darf nicht zum Monopol des Ostens werden.
({46})
Wir müssen dahin kommen, daß der Osten wieder einmal auf unsere Vorschläge zu antworten hat, wie das zwischen 1970 und 1972 der Fall war.
({47})
Ich möchte gern, daß wir uns darüber auseinandersetzen, wie die Vorschläge der eigenen Regierung so gestaltet werden können, daß sie konkret, mutig und so umfassend wie möglich sind.
Nun ist es wohl unvermeidlich, daß die Regierung zeigen will, wie hübsch sie ist. Das haben Regierungen so an sich; das weiß ich auch. Es ist eigentlich immer so, daß sie sich möglichst vorteilhaft darstellen wollen, daß sie zeigen wollen, wie vorausschauend, wie weise, wie aktiv und vor allem wie erfolgreich sie sind. Ich will auch gar nicht bestreiten, daß Sie sich nach Maßgabe Ihrer Fähigkeiten bemühen, aber befriedigen kann das alles noch nicht. Wenn es zur doppelten Null-Lösung kommt, dann nicht wegen dieser Regierung, sondern trotz dieser Regierung.
({48})
Nun kommen Sie bei solchen Gelegenheiten immer mit dem Nachrüstungsbeschluß, als ob Sie den auch noch als Geburtshelfer einer neuen sowjetischen Führung und Politik in Anspruch nehmen könnten. Das ist zu kurz gedacht.
({49}) Aber das würde interessante Fragen auslösen.
Lassen Sie mich nur sagen: Was immer Sie sonst über uns meinen, Herr Bundeskanzler und meine
Damen und Herren, Sie sollten bitte zur Kenntnis nehmen, daß einigen von uns der Zusammenhang zwischen politischer und militärischer Entspannung vor Jahr und Tag bewußt war und daß wir ihn gegen viel Unverstand, auch gegenüber viel Feindseligkeit, die ich aber nicht nachtrage, mit konzipiert haben. Es ist zwar leichter geworden, aber immer noch nicht wirklich leicht. Aber es hilft nicht, wo Sicherheit nicht mehr gegeneinander rüstet, sondern nur noch miteinander vereinbart werden kann, ist ein Umdenken notwendig, das mit uralten Traditionen bricht.
({50})
Wir haben dieses Umdenken mit angestoßen und werden zu seinen wichtigsten Trägern in der Bundesrepublik Deutschland gehören. Gemeinsame Sicherheit mit dem Ziel einer europäischen Friedensordnung liegt im Interesse aller Deutschen, aller Europäer, aber auch im Interesse der Völker der Dritten Welt, denen das Wettrüsten jede Hoffnung nimmt, Verschuldung und Elend zu überwinden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({51})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der Regierungserklärung - ich möchte sagen: der eindrucksvollen Regierungserklärung
({0})
- Sie sollten zuhören; dann würden Sie mein Urteil bestätigen - zu und unterstützt sie durch eine Entschließung, die sie gemeinsam mit der FDP dem Hause vorlegt.
({1})
Um mich zunächst Ihnen, Herr Kollege Brandt zuzuwenden: Ich sehe nicht, daß es in dem Wunsch nach Abrüstung in diesem Hause irgendwelche Unterschiede gibt.
({2})
Wir alle wollen das Übermaß an Waffen beseitigt sehen, nicht zuletzt in Deutschland, durch dessen Mitte die Militärgrenze zwischen Ost und West verläuft.
Ich begrüße es, daß Sie den Wunsch des Bundeskanzlers nach mehr Gemeinsamkeit am Schluß seiner Erklärung ebenfalls zum Ausdruck gebracht haben. Ich freue mich über diese Gemeinsamkeit und unterstreiche sie.
({3})
Was uns unterscheidet, meine Damen und Herren der Opposition, ist etwas anderes. Es ist unser Wunsch, Abrüstung und Sicherheit miteinander zu verknüpfen.
({4})
Dieser zweite, im Grunde wichtigere Gesichtspunkt - der Bundeskanzler hat mit Nachdruck darauf hingewiesen - findet bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, kaum einen Niederschlag. Das ist ein schwerer, nicht zu verantwortender Fehler der Opposition, meine Damen und Herren.
({5})
Denn unser Ziel ist natürlich Frieden und Freiheit. Was heißt das? Frieden heißt Sicherheit vor Krieg, und Freiheit heißt Sicherheit vor militärischer Erpressung.
Gerade das letztere ist von Bedeutung. Es gibt zur Zeit in Europa keine Kriegsgefahr - Gott sei Dank -, aber es darf auch keine Lage entstehen - auch durch Abrüstung nicht - , in der eine Großmacht von uns ein bestimmtes politisches Verhalten gegen unseren Willen erzwingen kann.
({6})
Reykjavik hat - übrigens gegen die Erwartungen der SPD; ich erinnere an das Wort des Kollegen Ehmke vom schwarzen Sonntag ({7})
einen Abrüstungsprozeß in Gang gesetzt, den wir begrüßen. Ohne uns, ohne die Festigkeit von CDU/ CSU und FDP in der Nachrüstung - Sie, meine Damen und Herren der Opposition, standen damals gegen uns - wäre dieser Abrüstungsprozeß nicht in Gang gekommen. Das ist, Herr Kollege Brandt, keine Legende, sondern eine Wahrheit, was außer von Ihnen in diesem Hause von niemandem bestritten wird. Wir haben daher Anlaß, Sie, Herr Bundeskanzler, zu einer Politik zu beglückwünschen, die den jetzt in Gang gekommenen Abrüstungsprozeß möglich gemacht hat.
({8})
Dieses Verdienst diese Leistung der Bundesregierung und der Koalition geben Ihnen, Herr Bundeskanzler, uns und dem deutschen Volk das Recht zu verlangen, daß bei der Durchführung der Abrüstung auch unsere legitimen deutschen Sicherheitsinteressen beachtet werden. Ob und in welchem Umfang das geschieht, kann heute noch nicht abschließend beurteilt werden. Der Abrüstungsprozeß hat ja erst begonnen, und sein Ende und seine Ergebnisse sind nicht absehbar. Das bedeutet, daß heute unter dem Sicherheitsaspekt auch nur eine Zwischenbilanz gezogen werden kann.
Zu den beiden Mittelstreckenbereichen, die jetzt Verhandlungsgegenstand sind, hat der Bundeskanzler Aussagen gemacht, die ich ausdrücklich unterstützen möchte. Das gilt insbesondere für seinen Hinweis, daß wir für beide Bereiche globale Lösungen gegenüber Lösungen bevorzugen würden, die auf Europa beschränkt sind. Das läge nicht nur im Interesse der Völker im pazifischen Raum, sondern würde auch Verifikationsprobleme beseitigen, die bei einer auf Europa beschränkten Lösung kaum lösbar wären.
Ausdrücklich beziehen möchte ich mich auch auf die Erklärung des Bundeskanzlers zu der Tatsache, daß die 72 Pershing I a der Bundeswehr mit ihren amerikanischen Sprengköpfen nicht Gegenstand der gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen sind. Wir unterstützen mit dieser Aussage die Verhandlungsposition der USA und die Auffassung unserer Verbündeten, insbesondere Großbritanniens und Frankreichs. Für uns Deutsche werden diese P I a der Bundeswehr ihre Bedeutung verlieren, wenn in weiteren Abrüstungsverhandlungen ein Gleichgewicht der Kräfte auch in den Bereichen hergestellt wird, die uns in besonderer Weise bedrohen. Auf diese, wie wir hoffen, künftigen Abrüstungsbereiche sollten gerade wir deutschen Parlamentarier unsere Hauptaufmerksamkeit richten.
({9})
- Sie kommen.
Ich nenne drei Bereiche: erstens die Atomraketen mit Reichweiten unter 500 km, auf die der Bundeskanzler breit eingegangen ist. Von den bisher laufenden Gesprächen werden sie nicht erfaßt. Es handelt sich um 1 430 atomare Waffensysteme der Sowjetunion und um 160 der NATO. Diese Waffensysteme, die auch bei einer sogenannten doppelten Null-Lösung bleiben, reichen aus, Herr Kollege Brandt, um unser geteiltes Land zu vernichten. Sie können zudem auf Grund ihrer geringen Reichweiten nur Deutschland und einige Grenzgebiete seiner Nachbarn treffen.
Sie haben soeben gefordert, wir sollten der doppelten Null-Lösung ohne Wenn und Aber zustimmen. Das heißt aber, wir sollten diese Bedrohung unterhalb von 500 km Reichweite ohne Wenn und Aber hinnehmen. Sie haben uns gleichzeitig den Vorwurf gemacht, wir würden zwar den Null-Lösungen bei Waffensystemen mit Reichweiten über 1 000 km und über 500 km zustimmen, aber wir träten nicht dafür ein, daß die Waffensysteme mit Reichweiten unter 500 km wegkommen. Diese beiden Aussagen, die Sie gemacht haben, sind widersprüchlich
({10})
und, was die Reichweiten unter 500 km angeht, auch völlig falsch.
Unsere Anstrengungen - gerade die Anstrengungen der Fraktion, auch bei unseren Gesprächen in ausländischen Hauptstädten - haben sich gerade darauf gerichtet, daß bei 500 km Reichweite keine Brandmauer aufgerichtet wird, wie es einige Verbündete erwogen haben, sondern daß es einmal nicht in Frage kommen kann, Waffensysteme mit Reichweiten über 500 km, die weggeschafft werden, nun durch Waffensysteme mit Reichweiten unter 500 km zu ersetzen. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie diese Gesichtspunkte noch einmal durchdenken würden; dann könnte sich unsere Gemeinsamkeit über den Wunsch nach Abrüstung hinaus ausdehnen.
Der zweite Bereich, den ich nennen muß und der nicht von der sogenannten doppelten Null-Lösung erfaßt wird, sind die Panzerarmeen des Warschauer Pakts die uns mit mehrfacher Überlegenheit - der Herr Bundeskanzler hat soeben aus Weißbüchern
zitiert, die unter der Verantwortung des Verteidigungsministers Apel ({11}) verfaßt worden sind - mitten in Deutschland hautnah gegenüberstehen.
Übrigens, Herr Kollege Brandt, ihre Aufrüstung geht weiter, wie uns die militärische Führung mitteilt. Sie ist weder während der Entspannungspolitik oder ihres Beginns noch während der gegenwärtigen Verhandlungen eingestellt worden. Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen. Wir können doch nicht Selbstbetrug und falsche Tatsachendarstellungen zur Grundlage unserer Überlegungen und Entscheidungen machen.
({12})
Nur um der Abschreckung dieser sowjetischen Panzerarmeen willen haben wir der Aufstellung amerikanischer Raketen auf deutschem Boden zugestimmt, nicht sehr gerne, aber als einziges Mittel, um das Gleichgewicht auszubalancieren.
Als dritter Bereich, der nicht von sogenannten doppelten Null-Lösungen erfaßt wird, ist der Bereich der chemischen Waffen zu nennen, von denen die Sowjetunion in den letzten Jahrzehnten riesige Bestände angehäuft hat. Auch sie bedrohen unser geteiltes Land, an der Militärgrenze von Ost und West mehr als jedes andere Land.
Meine Damen und Herren, wer sich diese Tatbestände vor Augen führt, kann mir doch nur zustimmen, wenn ich sage, daß sich der Abrüstungsprozeß fortsetzen muß, daß er nicht auf irgendwelche Brandmauern stoßen darf, an denen er enden soll.
({13})
- Ja, wunderbar, Gemeinsamheit. - Nicht nur im konventionellen Bereich und im Bereich chemischer Waffen, sondern auch bei den atomaren Raketen mit Reichweiten unter 500 km, deren Zerstörungsgewalt ich soeben geschildert habe, muß abgerüstet werden.
({14})
Ich wiederhole noch einmal: Wir lehnen es ab, Lücken in der europäischen Verteidigung, die durch NullLösungen bei Reichweiten über 500 km entstehen, durch Aufrüstung bei Reichweiten unter 500 km auszugleichen. Dies ist uns Deutschen nicht zumutbar.
({15})
Ich sage daher, was ich schon in der letzten Debatte ausgeführt habe: Wir Deutschen wollen Abrüstung, nicht Umrüstung zu unseren Lasten.
({16})
Mancher - auch von unseren Anhängern - wird sich fragen: Warum diese Vorsicht? Warum nicht mehr Vertrauen? Hat nicht mit Gorbatschow eine neue Epoche begonnen?
Darauf kann heute noch niemand eine schlüssige Antwort geben. Ich bin daher der Meinung, wer Verantwortung für unser Volk trägt - das sind nicht zuletzt wir, seine gewählten Vertreter - , darf sich in Fragen der Sicherheit nicht zu unbegrenztem Vertrauen verleiten lassen,
({17})
weder dem möglichen Gegner gegenüber noch den Verbündeten gegenüber noch sich selbst gegenüber.
({18})
Wer Verantwortung trägt, muß sich - jedenfalls auf diesem Felde der Politik - ein gesundes Maß an Skepsis bewahren. Er muß bei jedem Schritt darauf bedacht sein, die Risiken für unser Volk so gering wie möglich zu halten.
({19})
Ebenso wichtig ist es, daß die Lage nicht zu pessimistisch und insofern falsch bewertet wird. Die USA ziehen sich durch die Verwirklichung der beiden Null-Lösungen nicht aus Europa zurück. Sie bleiben für die Sicherheit Europas mitverantwortlich. Sie zeigen das durch die Präsenz ihrer Truppen in Europa. Sie zeigen das durch den Schutz unserer Seeverbindungen. Erinnern Sie sich an das, was zur Zeit im Persischen Golf mit Menschenverlusten für die Amerikaner in einer Region geschieht, aus der wir Europäer und die Japaner mehr Öl beziehen als die Vereinigten Staaten selbst.
({20})
Was die USA abziehen werden, sind die Mittelstreckenraketen, deren Präsenz auf deutschem Boden den Abschreckungsverbund zwischen Europa und den USA in einer Weise verdichtet hatte wie nie zuvor. Wir haben deshalb diese von Ihnen bekämpften Waffen in der Nachrüstungsdebatte als Ankoppelungswaffen bezeichnet. Wenn die USA sie jetzt abziehen, haben vor allem diejenigen kein Recht auf Kritik, die den damaligen großartigen Akt der Solidarität der Vereinigten Staaten von Amerika mit Europa nicht positiv gewürdigt, sondern mit Hohn, Spott und Haß beantwortet haben.
Ich erinnere an das Verbrennen amerikanischer Flaggen bei Demonstrationen, bei denen in Fernsehbildern auch Sie, Herr Kollege Brandt, gesehen worden sind.
({21})
Wir müssen uns darauf einstellen, daß ein solches Fehlverhalten auf die demokratische Öffentlichkeit unseres großen Alliierten jenseits des Atlantiks nicht ohne Einfluß bleiben wird.
({22})
Mir hat eine Austauschschülerin aus meinem Wahlkreis, die ein Jahr auf einer amerikanischen Schule unterrichtet worden ist, erzählt, welchen Schock Fernsehbilder in Amerika ausgelöst haben, auf denen gezeigt wurde, wie amerikanische Flaggen verbrannt
worden sind. Meine Damen und Herren, wir können hier nicht wie die wilden Derwische herumtoben
({23})
und gleichzeitig erwarten, daß die Amerikaner mit dem letzten Risiko unsere Sicherheitsprobleme lösen.
({24})
Deshalb sage ich: Es ist ganz wichtig, daß sich Amerikaner und Europäer wieder mehr darum bemühen, einander besser zu verstehen. Auch unter diesem Aspekt begrüße ich die Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen an einen großen Amerikaner, der als junger Mann aus Deutschland emigrieren mußte. Ich meine Henry Kissinger, dessen Sicherheitsanalysen zu lesen für alle in diesem Hause ein Gewinn wäre. Lesen Sie das doch bitte einmal, Herr Kollege Brandt und die Damen und Herren der Opposition.
({25})
Nur wenn wir Europäer in einem ständigen freundschaftlichen Dialog mit den Amerikanern unsere legitimen Sicherheitsinteressen rechtzeitig und möglichst gemeinsam - deswegen der Appell des Bundeskanzlers an Gemeinsamkeit - einbringen, werden sie in den USA das von uns gewünschte Echo finden können.
Meine Damen und Herren, bei aller Bedeutung der USA für die Sicherheit des freien Europa: Entscheidend ist auf Dauer, was die Europäer selbst für ihre Sicherheit zu tun bereit sind. Deutsche und europäische Sicherheit muß durch eine engere Koordinierung Frankreichs und Deutschlands im Streitkräftebereich besser aufeinander abgestimmt werden, als es bisher der Fall ist. Zum einen muß für die sogenannten prästrategischen atomaren Waffen Frankreichs bald eine Regelung gefunden werden, die die Überlebensinteressen des deutschen Volkes denen des französischen gleichstellt. Zum anderen gewinnt durch die Neuordnung der Sicherheitsstrukturen der Weltmächte der europäische Pfeiler der Allianz ganz wesentlich an Bedeutung. Frankreich ist heute mehr denn je davon überzeugt, daß seine Sicherheit von unserer Sicherheit nicht zu trennen ist. Daß das in umgekehrter Weise zutrifft, daran kann erst recht kein Zweifel bestehen. Ich bin überzeugt: Nach den Präsidentenwahlen in Frankreich werden Sicherheitsvereinbarungen zwischen Deutschland und Frankreich möglich sein, wie sie vor fünf oder zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen wären. Darauf sollten wir uns vorbereiten.
Schließlich wiederhole ich meine Forderung aus der ersten Debatte nach Reykjavik, die bis heute noch nicht erfüllt ist, nämlich: Bonn, Paris und London sollten in Abstimmung mit den anderen NATO-Verbündeten ein Gesamtabrüstungskonzept für die Abrüstungsgespräche der Weltmächte erarbeiten; der Bundeskanzler hat dazu heute wesentliche Aussagen gemacht. Nur so werden die Europäer als Hauptbetroffene in der Lage sein, das Abrüstungsgespräch durch eigene Initiativen mitzubestimmen und aus der Rolle desjenigen herauszukommen, der auf die Vorschläge Gorbatschows immer nur - leider manchmal hilflos - reagieren muß.
Im übrigen empfehle ich, meine Damen und Herren, die Abrüstungsgespräche mit unseren europäischen Verbündeten und mit den USA durch intensive Gesprächskontakte mit der Sowjetunion zu ergänzen. Diese hat sich bisher gerade in diesen Abrüstungsfragen als durchaus flexibel erwiesen. In meinen Gesprächen mit Vertretern der Sowjetunion bin ich bisher auf ein bemerkenswertes Verständnis für die Sicherheitslage unseres Landes gestoßen. Die Bundesregierung sollte daher nicht nur gegenüber unseren Verbündeten initiativ werden, sondern auch gegenüber der Sowjetunion ausloten, welche Lösungen in Übereinstimmung mit ihr als durchführbar erscheinen.
Die Sowjetunion und die USA haben im Nichtverbreitungsvertrag atomare Abrüstung versprochen. Beide sind diesen Verpflichtungen bis heute nicht - jedenfalls nicht im notwendigen Maße - nachgekommen. Durch die im Gespräch befindliche sogenannte doppelte Null-Lösung werden nur ganze 3 % des atomaren Potentials der Sowjetunion wegfallen.
({26})
Die übrigen 97 % sind nach wie vor gegen uns einsetzbar. Wenn die Sowjetunion und die USA ihren Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag endlich nachkommen wollen, müssen sie vor allem ihre strategischen Potentiale, mit denen sie die ganze Welt in eine Wüste verwandeln können, drastisch abrüsten, im ersten Schritt mindestens auf die Hälfte. Auch hier, Herr Bundeskanzler, Herr Brandt, zwischen Ihnen und uns Gemeinsamkeit.
Auch hinsichtlich der Abrüstung der chemischen Waffen hat es bisher keinerlei Fortschritte gegeben. Dabei sind die chemischen Waffen schon heute im Hinblick auf das atomare Vernichtungspotential der Weltmächte für jede der beiden Seiten absolut entbehrlich, wenn sie auf beiden Seiten gleichzeitig und kontrolliert beseitigt werden.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat keine Atomwaffen, keine chemischen Waffen und keine biologischen Waffen und will keine. Aber es will den Verzicht auf diese Waffen nicht durch Sonderbedrohungen erkaufen, die vermeidbar sind.
Auf der Solidarität der Allianz, zu der wir mit der Bundeswehr einen durch niemanden zu ersetzenden Beitrag leisten, beruht unser Leben in Sicherheit. Bei der Neuordnung der Sicherheitsstrukturen im Zuge der Abrüstung darf sich daran nichts ändern. Darüber zu wachen ist unsere Aufgabe. Wir, die Abgeordneten der CDU/CSU, nehmen diese Aufgabe sehr ernst; das haben in der Tat, Herr Brandt, die letzten Wochen gezeigt. Wir, die Abgeordneten der CDU/CSU, werden uns auch in Zukunft bemühen, dieser unserer Pflicht dem deutschen Volk gegenüber gerecht zu werden.
({27})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer. Wie ich sehe, ist sie nicht im Saal.
({0})
- An ihrer Stelle spricht der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer. Sie haben das Wort.
Meine verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Die schon mehrfach zitierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat heute folgendes angemerkt - es sollte vielleicht auch den Herrn Bundeskanzler interessieren, wenn er es noch nicht gelesen hat - :
Müßten Regierungserklärungen im Einklang mit den Tatsachen stehen, zu denen sie abgegeben werden, dann könnte sich der Kanzler heute kurz fassen. Er brauchte nur zu sagen, daß er vergewaltigt worden sei, was in der Politik allemal vorkommt; im Regelfalle muß das Opfer danach sogar erklären, es sei damit einverstanden gewesen.
Ich möchte jetzt nicht den Geschmack, den die „FAZ"
- Ihr Leib- und Magenblatt ansonsten - verwendet, kommentieren. Es ist aber sicher eine richtige Beobachtung. Weiter heißt es dort:
Die Politiker sagen statt dessen, daß sie in vollständigem Einvernehmen mit allen stünden und im Grund immer gewollt hätten, was geschehen sei.
Nun, ich möchte nicht so hart urteilen wie die „FAZ" . Denn zu einer positiven politischen Kultur gehört sicher auch, daß man Verständnis dafür hat, daß jemand, der seine Position ändert, sein Gesicht wahrt. Von daher habe ich auch Verständnis dafür, daß Sie den Doppelbeschluß in dieser Weise strapazieren, wie man ihn aus meiner Sicht objektiv nicht strapazieren darf. Für mich aber kommt es wesentlich darauf an, daß Sie sich zu dieser - wenn auch sehr verklausulierten - Zustimmung zu einer doppelten Null-Lösung durchgerungen haben. Das ist insgesamt bemerkenswert.
Gleichzeitig aber müssen wir dazu beitragen, daß keine Legenden gebildet werden. Deswegen muß dreierlei klar sein - das wiederholt teilweise, was Herr Brandt dazu gesagt hat - :
Erstens. Es war nicht die Bundesregierung, die die Bevölkerung und die Verbündeten von der Notwendigkeit zu überzeugen versuchte, die gewaltige nukleare Konzentration auf deutschem Boden abzubauen. Es war genau umgekehrt. Die Bundesregierung hat dem Druck von innen und außen nachgegeben.
Zweitens. Erst als die Bundesregierung völlig isoliert war, hat sie notgedrungen ihre verbale Abrüstungsabsicht erklärt.
({0})
Drittens. Wenn es zur Abrüstung der Mittelstrekkenraketen in Europa kommt, dann gegen den Willen der Regierungsmehrheit. Das muß festgehalten werden, auch weil sich daraus sehr viele Konsequenzen für die nächsten Jahre ergeben.
Millionen Menschen schämen sich in diesem Land
- und ich glaube, sie sind auch wütend darüber -, daß sie in einem hochgerüsteten Land leben, dessen Regierung sich ihre Zustimmung zur Abrüstung abpressen lassen mußte.
({1})
Deshalb habe ich Verständnis für die Zweifel, die es gerade auch in der Friedensbewegung gibt, ob ein Abrüstungsvertrag überhaupt zustandekommen wird, wenn man - wie den Hund zum Jagen - die Regierung zu Abrüstungsverhandlungen tragen muß. Weil eine solche Regierung, die vermutlich klammheimlich hofft - nicht alle Mitglieder, aber Teile -, daß das nicht eintritt, wozu sie jetzt hat ja sagen müssen, erst recht zu einseitigen Maßnahmen unfähig ist, bleibt natürlich auch der Friedensbewegung nichts anderes übrig, als den Druck so zu verstärken, daß diese Bundesregierung gegen ihren Willen zu einem mitwirkenden Instrument eines Abrüstungsprozesses der Supermächte und des Abrüstungswillens der Bevölkerung wird.
Es lohnt sich, der Frage nachzugehen, weshalb die Supermächte offenkundig bereit sind, auf Waffen zu verzichten, die zu den modernsten und schärfsten in ihren Arsenalen gehören, einer Frage, die in den nächsten Monaten immer wieder aufgegriffen werden wird. Das ist ja ein beachtlicher Vorgang. Ich sehe zwei Ursachen, und zwar das neue Denken auf der einen Seite und neue Strategien. Wie Umfragen zeigen, bildet sich eine Allianz des neuen Denkens zwischen der Bevölkerung der Bundesrepublik einerseits und Michail Gorbatschow heraus. Dem Mann der mutigen Abrüstungsvorschläge vertrauen die Westdeutschen deutlich mehr als dem amerikanischen Präsidenten. In Washington gibt es kein neues Denken, dafür aber eine neue Strategie.
Noch-Verteidigungsminister Manfred Wörner hatte vor dem Doppelbeschluß - er war damals noch Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages - im Januar 1978 beim sicherheitspolitischen Forum seiner Partei in Kiel neben der SS 20 als Grund für die Nachrüstung folgendes genannt:
Die UdSSR muß wissen, daß sie keine Chance hat, die Bundesrepublik Deutschland oder gar ganz Westeuropa anzugreifen und den Krieg auf das Staatsgebiet der Angegriffenen zu beschränken. Sie muß wissen, daß sie selbst und ihr Staatsgebiet nicht ausgeklammert bliebe, und zwar zu keinem Zeitpunkt.
... Nur dann,
- immer noch Zitat Wörner wenn die Sowjetunion mit diesem vollen Risiko rechnen muß, wird die Abschreckung funktionieren.
Auch in diesen Tagen - heute morgen z. B. der Generalinspekteur im Deutschlandfunk - wird dies von Regierungsseite immer wieder als Argument verwendet.
Einige Monate später warnte der hier so gelobte Henry Kissinger die europäischen Verbündeten in sei938
ner bekannten Rede vom 1. September 1979 in Brüssel davor, ständig strategische Zusicherungen zu erbitten, die die USA gar nicht geben könnten bzw. nicht einhalten dürften, wenn sie nicht die Zerstörung der Zivilisation riskieren wollten. Erst heute - den Eindruck habe ich - begreift man in der CDU/CSU, daß es ein aussichtsloses Unterfangen war, mit Marschflugkörpern und Pershing-Raketen diese objektive Krise, wie sie damals von Kissinger genannt wurde, aufzuhalten.
Die USA wollen in Europa, wie überall in der Welt, militärisch operieren können und werden alle atomaren Fesseln abstreifen, die sie dabei behindern oder sie gefährden könnten. Was sich als Abrüstung darstellen läßt, ist in Wirklichkeit auf der amerikanischen und westlichen Seite das Resultat eines Umrüstungsprozesses hin zur Kriegsführungsfähigkeit.
({2})
Im Gefechtsfeld Bundesrepublik stationierte Mittelstreckenwaffen sind den USA für sich selbst zu gefährlich, weil zu eskalationsträchtig. Das ist der Grund für die Bereitschaft der USA, etwas zu tun, was nun fälschlicherweise als Abrüstungsabsicht öffentlich dargestellt wird.
Wenn aber - jetzt komme ich auf Verteidigungsminister Wörner zurück - der Minister immer und immer wieder die sogenannte Nachrüstung - ungeachtet der SS 20 - als Bedingung für die Aufrechterhaltung der Abschreckung genannt hat, dann ist es völlig unerklärlich, wie er eigentlich weiter im Amt bleiben kann, wenn ihm die Mittel für eine funktionierende Abschreckung genommen werden, ganz nach seiner Logik. Da müßte mal eine Erklärung kommen. Wenn Sie, Herr Minister, in den letzten zehn Jahren gemeint haben, was Sie sagten, dann müßten Sie jetzt zurücktreten.
({3})
Die Friedensbewegung wird mit allen, die diese Waffen nie gewollt haben - daran kann man unterscheiden: Hat man die Waffen gewollt oder nicht gewollt, das ist der wesentliche Unterschied - , sicher ein Freudenfest veranstalten, wenn es zu einem Doppel-Null-Abkommen kommt.
({4})
Wenn dann auch noch der Rücktritt des Aufrüstungsministers zu feiern wäre, wäre die Freude riesengroß.
({5})
Ein Rücktritt hätte eine Signalwirkung: Es wäre ein Zeichen für einen Neubeginn. Wenn ein Land, wenn ein Kontinent von einem wichtigen Teil der Völkermordinstrumente befreit wird, dann ist das ja kein Opfergang. Das ist kein Opfergang, sondern ein Schritt, der Millionen von Menschen neuen Lebensmut gibt.
({6})
Verkennen Sie nicht diese Dimension, die da darinsteckt!
({7})
Aus diesem Grunde besteht auch überhaupt kein Kompensationsbedarf mit anderen Waffen. Wir fordern deshalb eine Kürzung des Verteidigungsetats, damit die mögliche nukleare Abrüstung nicht durch konventionelle Aufrüstung unterlaufen werden kann.
({8})
Wir verurteilen aufs schärfste die Absicht der NATO-Verteidigungsminister, wie in der vorletzten Woche geäußert, durch konventionelle Aufrüstung die alte Konfrontationspolitik fortsetzen zu wollen. Wer jetzt konventionell aufrüstet, der will die positiven politischen Effekte einer Doppel-Null-Lösung offenkundig zerstören.
({9})
Ein kurzes Wort zu diesen politischen Aspekten und Folgen, die heute wenig berücksichtigt worden sind
- das ist im Kern kein militärisches Thema, das ist ein Thema der politischen Veränderung in Europa - : Nach der neuesten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen befürworten 72,9 % einen bündnisneutralen Status der Bundesrepublik und der DDR. Bei den Wählern der GRÜNEN sind es - das darf ich ja wohl anmerken - 86,4 % und bei den Unionswählern immerhin erstaunliche zwei Drittel. Eine Zweitdrittelmehrheit der Bevölkerung scheint - ich will da nicht um die Zahlen streiten - offenkundig eine Entwicklung in dieser Richtung zu unterstützen.
({10})
- Dieses Vorurteil bezüglich der Todesstrafe ist irrig. Alles, was man dazu bisher festgestellt hat, ist, daß es nicht stimmt, daß es ein uraltes Klischee ist, das falsch ist. Machen Sie die Bevölkerung nicht schlechter als sie ist. Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie eine solche Unterstellung aus Ihrer Position der relativen Mehrheit vor sich selbst verantworten können.
({11})
Die Bevölkerung hat sich längst geistig von der Blockstruktur verabschiedet, während die Mehrheit dieses
Parlaments wieder einmal in einer zentralen Frage
- und das berührt ja unsere Kritik am Bundestag, die wir begründet fortsetzen werden - nicht die Mehrheit des Volkes repräsentiert.
Die Fraktion der GRÜNEN wird morgen den Pershing-I-a-Verband der Luftwaffe in Geilenkirchen symbolisch blockieren. Am 27. Juni wird es eine ähnliche Aktion vor den anderen 36 Pershing-I-a-Raketen in Landsberg in Oberbayern geben. Wir wollen damit für eine echte Doppel-Null-Lösung eintreten.
({12})
Sie haben Erfahrung darin.
({13})
Ohne diese Blockade, ohne dieses Engagement der Leute wäre in der Bevölkerung nie dieses Bewußtsein entstanden, das Sie gezwungen hat, anders zu handeln, als Sie wollten.
({14})
Wenn Sie nicht gelernt haben, daß es die Friedensbewegung war, die diese Bedingungen geschaffen hat,
({15})
wenn Sie nicht verstanden haben, daß es die Friedensbewegung war, deren fast zehnjährige Arbeit dazu geführt hat, daß Herr Genscher mit 1 500 Stimmen, die er mit einer gekonnten Abrüstungspolitik herübergezogen hatte, Mehrheitsverhältnisse verändern konnte, daß zum erstenmal eingetreten ist, daß die Abrüstungsfrage wahlentscheidend geworden ist, dann werden Sie wieder scheitern.
({16})
- Sie werden bei Ihrem Versuch scheitern, eine Position, die Sie für richtig halten, durchzuhalten. Seien Sie doch ehrlich. Gehen Sie doch in die Wahlkreise. Dann werden Sie mit der Erkenntnis zurückkommen: Die Leute sind ganz wild von dem, was der Gorbatschow macht.
({17})
- Nein.
({18})
Ich sehe die Blockade als ein wichtiges Instrument, öffentliches Interesse auf einen Typ von Rakete zu lenken, der in der aktuellen Debatte völlig vernachlässigt ist. Das sind 36 plus 36 Mittelstreckenraketen, die völlig ausreichen, Mitteleuropa mehrfach nuklear auszuradieren. Das darf man nicht verdrängen, wenn man irgendwie, wie Sie es wollen, ein Symbol behalten will, damit man, nach Ihrem Verständnis, nicht nackt dasteht.
Wer diese 72 Mittelstreckenraketen aus dem angestrebten Abkommen ausklammern möchte, verstößt gegen den Geist des Nichtweiterverbreitungsvertrages, und Sie werden sich auf Dauer ähnlich isolieren - ({19})
- Den „Geist" , habe ich gesagt.
({20})
Es ist beabsichtigt, daß die Atomwaffen nicht ausgebreitet werden. - Ach, Herr Waigel, lassen Sie es doch. - Wir wissen doch, was der Geist dieses Vertrages ist.
Wenn jetzt plötzlich Systeme, die man nie als Drittstaatensysteme begriffen hat, mit diesem Argument aus diesem Prozeß herausgenommen werden, ist das ein Beitrag dazu, eine Ausweitung zu unterstützen.
Mischnick hat erste Signale für den neuen Countdown gegeben.
({21})
- Das korrigiere ich gerne, zumal er etwas gesagt hat, was ich lobend erwähnen will. - Herr Mischnick hat den Countdown eingeläutet. Er hat gesagt: Pershing I a ist kein Essential im Sinne der Blockade, die Sie da betreiben. Wir müßten einmal darüber diskutieren, welche Blockaden gefährlicher sind.
({22})
Ganz nach dem Muster der „ten little niggers" - ich entschuldige mich, kein schöner Vergleich - wird am Schluß die Regierung wieder gegen das, was sie vorher gesagt hat, handeln müssen.
Wer die vielleicht einmalige historische Chance für eine Beseitigung der Mittelstreckenraketen aus Europa torpediert oder ihre Realisierung verwässert, wird vom Wähler eine eindeutige Lektion erfahren. Die Friedensbewegung wird am Samstag nach Pfingsten auf einer Großdemonstration zum Ausdruck bringen, daß das neue Denken stärker ist als die Politik der Konfrontation und Aufrüstung, stärker ist als die Politik, die Sie vertreten.
Die Menschen in der Bundesrepublik und darüber hinaus wollen - da widerspreche ich ganz klar dem, was der Bundeskanzler in seiner einleitenden Bemerkung gesagt hat - ganz unzweideutig eine totale nukleare Abrüstung, weil sie das als Synonym für eine bessere Zukunft, eine gerechtere Welt und eine vernünftige Friedensordnung in Europa verstehen.
({23})
Das ist der entscheidende Auftrag, den Sie realisieren müssen. Aus diesem Grunde werden die Menschen am 13. Juni demonstrieren. Ich lade Sie alle dazu ein. Wenn das, was heute gesagt worden ist, wirklich so gemeint ist, müßten Sie kommen.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 24. April dieses Jahres bin ich von einem Journalisten gefragt worden, ob die jüngsten Abrüstungsvorschläge des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow die Bonner Koalition unvermittelt getroffen hätten. Ich habe damals geantwortet: nein. Das Konzept der Entspannungspolitik, dem sich der Außenminister, dem sich meine Fraktion verschrieben haben, verfolgte immer auch das Ziel der Abrüstung vor allen Dingen im hochgerüsteten Mitteleuropa. Ich habe hinzugefügt: Jemand, der sich fast 13 Jahre als Außenminister beharrlich für dieses Ziel eingesetzt hat, wird natürlich nicht von einem gewünschten Erfolg, wie er sich jetzt abzeichnet, unvermittelt getroffen, sondern wir haben in der Koalition alle Veranlassung, festzustellen, daß die konsequente und klare Politik und Haltung, die wir in diesen Fragen in den vergangenen Jahren durchgehalten haben, zu dem Erfolg beiträgt, der heute sichtbar vor der Tür steht, nämlich endlich einmal nicht nur von Rüstungskontrolle, sprich: Festschreibung der Rüstung auf einem einmal erreichten Niveau, zu reden, sondern von wirklicher Abrüstung, also Beseitigung vorhandener Waffen.
({0})
Meine Damen und Herren, diese Situation gibt mir Veranlassung zu einigen Feststellungen. Der Erfolg, den wir heute greifbar nahe haben, beruht zum einen auf der einheitlichen Haltung und der einheitlichen Antwort der Allianz auf östliche Vorschläge. Hier kommt es entscheidend darauf an - der Kollege Dregger hat darauf hingewiesen - , daß wir nicht etwa in bestimmten Fragen diese Einheitlichkeit der Antwort der Allianz unterlaufen, was z. B. in der Frage der Einbeziehung der 72 Pershing I a durchaus der Fall sein könnte. Wir haben hier eine einheitliche Haltung.
Ich bin aus der NATO-Versammlung in Quebec mit der Erfahrung zurückgekommen, daß es keinen einzigen unserer Allianzpartner in dieser Versammlung gegeben hat, der gegen die doppelte Null-Lösung gesprochen hätte,
({1})
sondern hier gab es eine eindeutige Haltung, die nach meiner Überzeugung eine der wesentlichen Grundlagen für Erfolge bei den weiteren Abrüstungsverhandlungen darstellt.
Die Grundsätze der Allianz, niedergelegt im Harmel-Bericht, bilden eine weitere wichtige Voraussetzung für den Erfolg dessen, was wir gemeinsam anstreben. Ich will das hier vor diesem Kreis nicht noch einmal wiederholen. Aber daß es der Allianz darum geht, nicht nur ein reines Militärbündnis zu sein, sondern daß diese NATO sich im freiwilligen Zusammenschluß freier Staaten zur Verteidigung gemeinsamer Werte zusammengefunden hat, das drückt sich auch in dem aus, was jetzt in den Verhandlungen zwischen der UdSSR und den USA auf dem Spiel steht.
Es war immer - das ist die dritte wichtige Voraussetzung - , Herr Bundeskanzler, die Zielsetzung der Bundesregierung, dieser Koalition, die Stabilität, die Sicherung des Friedens durch einen Abbau von Waffen und nicht durch eine zusätzliche Rüstung auf der einen oder auf der anderen Seite zu erreichen.
({2})
Meine Damen und Herren, als Mitglied meiner Fraktion lassen Sie mich in aller Bescheidenheit, aber mit dem gesunden Selbstbewußtsein eines Liberalen in diesem Hohen Hause hinzufügen: Die FDP-Fraktion und der Bundesaußenminister haben seit langen Jahren und nicht etwa erst seit zehn Jahren, Herr Mechtersheimer, diese Linie verfolgt, die jetzt mit positiven Schritten in die Zukunft zu führen scheint.
({3})
Richtig ist, daß das Abkommen in Genf noch nicht erreicht ist, aber ebenso richtig ist, daß die Chancen für ein solches Abkommen noch nie so groß waren, wie sie es im Augenblick sind.
Lassen Sie mich einen Beschluß meiner Partei aus dem Jahre 1975 zitieren. Es heißt dort:
Auf die Dauer kann Sicherheit und Frieden nicht durch eine Balance der Höchstrüstung garantiert werden, die auch erhebliche Sicherheitsrisiken schafft. Langfristig ist anzustreben, den Frieden in Europa durch blockübergreifende Zusammenarbeit, schrittweise gesamteuropäische Sicherheitsvereinbarungen, ausgewogene Abrüstungsmaßnahmen und schließlich die Umwandlung des militärischen Blocksystems in ein gesamteuropäisches Friedenssystem zu erreichen, zu garantieren.
Meine Damen und Herren, dies ist eine tragfähige Grundlage für die Politik, die wir in dieser Koalition, aber, wie ich meine, auch im Hohen Hause - jedenfalls bei der Mehrheit des Hohen Hauses - gemeinsam betreiben.
Es hat sich heute morgen in der Regierungserklärung, aber auch in den Reden, die bisher gehalten worden sind, ein Ausmaß an Übereinstimmung in den entscheidenden Grundfragen gezeigt, das ich nur aus vollem Herzen begrüßen kann. Ich bin auch dankbar dafür, daß der Kollege Brandt auf diese Gemeinsamkeiten ganz ausdrücklich Bezug genommen hat und daß wir damit die letzte und, wie ich meine, auch wirklich entscheidende Voraussetzung dafür geschaffen haben, daß der Erfolg, den wir wollen, tatsächlich eintritt, nämlich die Gemeinsamkeit der Haltung des Deutschen Bundestages in der Frage Sicherung des Friedens, in der Frage Abrüstung.
Ich habe natürlich, Herr Kollege Brandt, auch Verständnis dafür, wenn Sie versuchen, die Bedeutung des Doppelbeschlusses und seiner Durchführung, damals mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages am 22. November 1983, etwas in den Hintergrund zu schieben. Aber täuschen wir uns doch bitte über einige Dinge nicht: Die Opposition hat uns an diesem Tage, am 22. November 1983, mit einer schweren Verantwortung allein gelassen. Ich sage aus meiner persönlichen Erfahrung von diesem Tag: Niemand von uns in unserer Fraktion hat diese Entscheidung damals leichten Herzens getroffen. Aber wir blieben mit dieser Verantwortung allein. Wir haben diesen Beschluß damals in der Erwartung gefaßt, daß er eine tatsächliche Verminderung von Waffensystemen auslösen würde. Genau dies ist der Erfolg, den wir heute vor Augen haben.
({4})
Wir haben damals an diese Entscheidung, den Doppelbeschluß tatsächlich durchzuführen, keine andere Bedingung geknüpft als die Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen. Ich komme damit noch einmal auf das zurück, Herr Kollege Brandt, was Sie auch angeführt haben, als Sie von einem möglichen Monopol des Ostblocks bei Abrüstungsvorschlägen sprachen. Was ist denn eigentlich mit diesem Doppelbeschluß? Was ist denn eigentlich mit der Null-Lösung? Woher kommt denn dieser Vorschlag? Wer ist denn darauf gekommen nach der Aufstellung der ersten SS 20? Wer ist darauf gekommen, zu sagen, diese Waffenkategorie, die hier im Aufwachsen begriffen ist, muß wieder beseitigt werden? Null auf beiden Seiten! Dies war ja nicht ein Vorschlag des Ostens, der seine Stationierung von SS 20 noch eine ganze Zeitlang fortgesetzt hat, sondern dies war unsere Idee. Deswegen kann ich nur mit aller Entschiedenheit sagen: Wir wären wohl außerordentlich schlecht beraten, wenn wir an diesem Punkt nicht aufgreifen würden, was
nun zurückkommt, vermeintlich als eigener Vorschlag des Ostens.
({5})
Ebenso sicher aber ist, daß die zweite Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite eine Ergänzung des westlichen Vorschlags durch Gorbatschow ist. Aber auch hier geht es im Grunde genommen um die Wiederherstellung eines Zustandes, der vor der Stationierung der ersten SS 20 in Mitteleuropa bestanden hat. Mit der Abrüstung von Mittelstreckenraketen größerer und kürzerer Reichweite werden zum erstenmal, wenn es wirklich dazu kommt - und wir sollten tun, was wir können, um es zu erreichen - , modernste Präzisionswaffen verschrottet.
Dies ist etwas völlig anderes, Herr Kollege Brandt, als die Vorstellung eines atomwaffenfreien Korridors quer durch Mitteleuropa. Denn dieser Korridor, diese atomwaffenfreie Zone, würde ja erst dann sinnvoll, wenn alle die Waffen, die heute in dieser Zone stehen, nicht verlagert, sondern tatsächlich beseitigt und verschrottet werden.
({6})
Hier liegt unser eigentliches Interesse.
Wenn es denn um die zweite Null-Lösung geht, lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Wer diese zweite Null-Lösung nicht wollte - und ich bin deswegen für die Einigung in der Koalition außerordentlich dankbar - , der müßte sich mit einer Nachrüstung auf westlicher Seite in dieser Kategorie einverstanden erklären, einer Nachrüstung, die sich dann auch ausschließlich auf dem Boden der Bundesrepublik vollziehen würde; denn keiner unserer Partner wäre bereit, in dieser Kategorie - 500 bis 1 000 km - auf seinem eigenen Grund und Boden Nachrüstung zu vollziehen. Meine und unsere Überzeugung ist: Das Gebot der Stunde ist nicht Nachrüstung in dieser Situation, sondern ist Abrüstung, ist Verminderung von Waffen.
({7})
Täuschen wir uns doch bitte nicht: Die Waffen, Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite, die im Bereich des Warschauer Pakts von einer solchen zweiten Null-Lösung erfaßt würden, bedrohen ja heute auch die Bundesrepublik. Es ist ja nicht so, daß wir nur von Waffen bis zur Reichweite von 500 km bedroht werden, sondern auch diese andere Kategorie bedroht uns. Deswegen ist es unser dringendes Interesse, Bedrohung abzubauen, Rüstung zu vermindern und damit dazu beizutragen, daß der Frieden sicherer wird.
Die Pershing I a, die im Besitz der Bundeswehr sind und deren atomare Sprengköpfe unter Verschluß der Amerikaner sind, sind schon an einigen Stellen genannt worden. Ich kann nur davor warnen, im Augenblick über die Forderung des Ostens hinauszugehen, die übrigens auch im Abschlußkommuniqué der Warschauer-Pakt-Tagung in Ost-Berlin jetzt nicht aufgestellt worden ist; denn wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Einbeziehung dieser Pershing I a etwa auf unseren eigenen Vorschlag hin natürlich bei zweien unserer Bündnispartner erhebliche Bedenken auslösen würde, zwei Bündnispartnern, auf deren Zustimmung zur Gesamtlösung wir dringend angewiesen sind.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Es ist in der öffentlichen Diskussion um die Abrüstung der Mittelstreckenraketen verschiedentlich von Bedenken gesprochen worden, eine Realisierung dieser Doppel-Null-Lösung gefährde die Abschreckung und damit die Sicherheit des Bündnisses. Diese Bedenken müßten für jeden ausgeräumt sein, der die Stimmen aus Washington real und nüchtern zur Kenntnis genommen hat.
({8})
Wir haben so viele Zusicherungen unseres größten Bündnispartners, daß seine Garantie für Westeuropa, seine Abschreckungsgarantie mit dieser doppelten Null-Lösung nicht in Frage gestellt wird. Wir sollten einem Partner, der uns ja auch den Status von Berlin mit garantiert und das am 12. Juni wieder einmal sichtbar unter Beweis stellen wird, das Vertrauen in seine Aussagen nicht mutwillig entziehen.
Ich stelle darüber hinaus fest, daß die atomare Abschreckung zur Verhinderung eines jeden Kriegs nach wie vor gewährleistet sein muß. Es gibt dazu - ich stimme hier dem Herrn Bundeskanzler zu - bisher keine Alternative.
Aber ebenso deutlich muß gesagt werden, daß auch hier Änderungen denkbar sind. Der Vorschlag von Staatschef Jaruzelski, im Kommuniqué über die Tagung des Warschauer Pakts in Ost-Berlin aufgegriffen, enthält Hinweise, in welche Richtung weitergedacht werden kann.
Das gilt natürlich auch für die 72 Pershing I a. Sie sind nicht Gegenstand der laufenden Verhandlungen, aber sie können durchaus Gegenstand weiterer Verhandlungen werden und können eines Tages durchaus in Frage gestellt werden.
Der Abschluß einer Vereinbarung über Mittelstreckenwaffen, meine Damen und Herren, könnte der Anfang eines Siegeszuges der Vernunft sein. Ich warne mit manchen anderen vor Euphorie und vor Illusionen. Aber daß die Beseitigung einer modernen Waffenkategorie insgesamt ein Schritt nach vorn ist, der Hoffnungen erweckt und Hoffnungen berechtigt macht, daß auch auf anderen Gebieten die Abrüstung vorangehen könnte, darf doch nicht übersehen werden.
({9})
Natürlich ist es richtig, was hier vorhin vom Kollegen Brandt gesagt worden ist, daß es in unserem Sinne sinnvoll gewesen wäre, mit dem Abbau der konventionellen Waffen zu beginnen und dann nach oben zu den größeren Einheiten taktischer und strategischer Waffen zu gehen. Aber sollen wir, weil uns die Reihenfolge nicht die optimale zu sein scheint, von einer Möglichkeit keinen Gebrauch machen, die erstmals in der Nachkriegsgeschichte die Beseitigung von Waffen bedeutet?
In Genf eröffnet sich die Chance zu weiteren Abrüstungsschritten, begleitet von einem Netz der gegen942
seitigen Kontrolle, aber auch von der Entwicklung gegenseitigen Vertrauens. Erstmals in der Geschichte der Nachkriegszeit, meine Damen und Herren, gäbe es einen realen Kern für eine gewiß optimistische Vision - aber lassen Sie mich auch diese am Ende meiner Ausführungen aussprechen - , nämlich daß menschliche Intelligenz, die Ressourcen dieser Erde und die Leistungsfähigkeit der Menschheit vornehmlich zur Lösung der wirklichen Probleme dieser Welt eingesetzt werden; denn das wirkliche, das entscheidende Problem ist ja nicht der Ost-West-Gegensatz, sondern die entscheidenden Probleme sind der Ausgleich zwischen Überfluß und absoluter Armut und Not sowie die Fragen der Erhaltung der Umwelt.
({10})
Hierfür die Mittel der Menschheit einzusetzen, dies ist eine so optimistische Vision, daß es sich nach meiner Überzeugung lohnt, dafür alles zu tun, was man irgendwie zu tun in der Lage ist.
({11})
Es ist ein Versuch. Wir müssen ihn wagen, wir können ihn wagen in der Solidarität dieses Hauses und in der Solidarität des Bündnisses.
Vielen Dank.
({12})
Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation unter Leitung des Präsidenten der irakischen Nationalversammlung, Herrn Dr. Sadoun Hamadi, Platz genommen. Ich habe die Ehre, diese Delegation und den Herrn Präsidenten im Namen des ganzen Hauses willkommen zu heißen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und interessante Gespräche.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({1}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Reden der Kollegen Ronneburger und Dregger sorgfältig zugehört hat, der wird festgestellt haben, daß in entscheidenden Punkten nach wie vor Widersprüche innerhalb des Koalitionslagers bestehen und daß sie nur mühsam übertüncht worden sind durch die gemeinsame Zustimmung zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers, die den Begriff der doppelten Null-Lösung bezeichnenderweise überhaupt nicht enthielt. Das ist Ausdruck eines Zustandes, wo zwischen den Gegnern und den Befürwortern einer doppelten Null-Lösung ein mühsamer Kompromiß erzielt werden mußte. Deshalb enthält die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl auch nur ein halbes Ja zur doppelten Null-Lösung.
Ich sehe schon voraus, daß Bundesaußenminister Genscher in oder nach der heutigen Debatte versuchen wird, zielgerichtet auf einen bestimmten Teil der Öffentlichkeit, dieses halbe Ja zu einem vollen Ja umzuinterpretieren, während auf der anderen Seite Herr Dregger und Herr Rühe sich bemühen werden, die Akzente auf die Vorbehalte und Vorbedingungen zu legen, um damit deutlich zu machen, daß doch noch ein Schlupfloch für eine künftige Nachrüstung mit Pershing-I-b-Raketen bestehenbleibt.
Wenn die Regierung wirklich so konsequent gegen eine künftige Modernisierung mit I-b-Raketen ist, dann kann sie ja den Beschluß des baden-württembergischen Landtags, der dort auf Initiative der SPD gefaßt worden ist, dem zwar der Ministerpräsident zugestimmt hat, aber leider nicht alle baden-württembergischen CDU-Abgeordneten, hier wiederholen. Wir sind dann gespannt, wie sich der baden-württembergische Abgeordnete Wörner in einem solchen Fall verhalten wird, wenn die Pershing I a abgeschafft werden soll.
({0})
Der Bundeskanzler hat in den letzten Wochen zwischen gegensätzlichen Polen in seiner Regierungskoalition taktiert. Er hat eigentlich auch in seiner heutigen Regierungserklärung in dem entscheidenden Punkt, der Frage der doppelten Null-Lösung, weder ein klares Ja noch ein klares Nein von sich gegeben. Meiner Meinung nach ist diese Unklarheit beim Reden die Folge einer mangelnden Klarheit in seiner abrüstungspolitischen Konzeption, und sie ist auch Folge einer fehlenden Eindeutigkeit in der Zielsetzung.
({1})
Das liegt daran, daß sein heutiges Ja zum Abbau der nuklearen Mittelstreckenwaffen nicht Ausdruck seines Mutes zur Abrüstung, sondern Ausdruck seiner Angst vor der internationalen Isolierung ist.
({2})
Die „Frankfurter Allgemeine" spricht in einem Bericht vom 29. Mai von einer tiefen Niedergeschlagenheit in den Unionsparteien, weil sie die doppelte Null-Lösung nicht mehr verhindern können. - Also hat nicht abrüstungspolitische Einsicht die CDU zur Änderung ihrer Haltung bewegt, sondern die wachsende Zustimmung zur doppelten Null-Lösung im Ausland. Kollege Ronneburger hat das ja noch einmal deutlich gemacht.
Wer dies eine bloß opportunistische Anpassung an ein Ja zur doppelten Null-Lösung nennt, beleidigt nicht, sondern beschreibt einen Tatbestand, so wie er ist.
Nach Auffassung der SPD entspricht die doppelte Null-Lösung unseren abrüstungspolitischen Zielen, aber auch unseren sicherheitspolitischen Interessen. Wir hielten die Einwände der Bundesregierung von Anfang an für falsch. Ich möchte auch daran erinnern, daß der Bundeskanzler auch heute nicht gesagt hat, daß Volker Rühe nicht in seinem Auftrag im Ausland gegen die doppelte Null-Lösung mobil machte. Das heißt, er hat ihn damals gewähren lassen, entweder weil er mit ihm übereinstimmte oder weil er nicht wagte, ihm öffentlich zu widersprechen.
({3})
Voigt ({4})
Ich frage nun anknüpfend an diesen Zwischenruf, ob nicht die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers hier nicht nur ein Recht ausdrückt, sondern auch eine Verpflichtung. Denn diese Widersprüche waren ja nicht nur Widersprüche zwischen Ihnen als frei gewählten Abgeordneten, sondern auch Widersprüche innerhalb der Regierung selber.
Der Bundeskanzler war in den vergangenen Wochen offensichtlich unfähig, seine Richtlinienkompetenz auszufüllen. Das liegt daran, daß er selber keine sicherheits- und abrüstungspolitische Konzeption hat, daß er keine Konzeption hat, von der so etwas wie eine politische Richtlinie ausgehen könnte. Wer sich in solchen grundlegenden Fragen der Sicherheits- und Abrüstungspolitik primär an parteitaktischen Erwägungen orientiert - da stimme ich durchaus mit einem Teil der konservativen Kritik am Bundeskanzler überein - , darf sich nicht darüber wundern, daß er im Ausland als konzeptionelle Null-Lösung verspottet wird.
({5})
Es ist doch geradezu absurd, wenn Sie, die CDU, den Autoritätsverfall des Staates beklagen, wo Sie und Ihr Verhalten eine der Ursachen für diesen Autoritätsverfall geworden sind. Ein Bundeskanzler, der in der zentralen Frage der Sicherheits- und Abrüstungspolitik zur internationalen Witzfigur geworden ist,
({6})
besitzt keinerlei Glaubwürdigkeit, wenn er über den angeblichen Autoritätsverfall des Staates jammert.
({7})
Diesen Mangel an einer nur durch Sachkompetenz begründbaren politischen Autorität kann der Ruf Bundesinnenminister Zimmermanns nach neuen autoritären Gesetzen weder verschleiern noch beheben.
Das Problem ist, daß die CDU in den vergangenen Jahren - Herr Dregger hat heute mühsam versucht, das leicht zu korrigieren - ihre Politik auf Feindbildern beruhen ließ. Es waren Feindbilder gegenüber dem Osten in der Außenpolitik und Feindbilder gegenüber der Friedensbewegung in der Innenpolitik. Sie haben große Schwierigkeiten, von dieser Feindbildorientierung in der Innen- und Außenpolitik abzukommen. In Wirklichkeit haben Ihnen in den vergangenen Wochen die Hosen auch deshalb geschlottert, weil diese Feindbilder durch die neue Politik der Sowjetunion unter Generalsekretär Gorbatschow erschüttert und in Frage gestellt wurden. Früher haben Sie sowjetische Raketen gefürchtet; heute fürchten Sie sowjetische Abrüstungsvorschläge.
({8})
Es ist heute das erste Mal gewesen, daß ein Sprecher der CDU, daß Sie, Herr Dregger, die Flexibilität der Sowjetunion gelobt haben und daß Sie in der Lage waren, zu sagen, man sollte mit ihr direkt sprechen, weil sie - die Sowjetunion - bereit sein könnte, auch deutsche Sicherheitsinteressen wahrzunehmen. Das ist eine Abkehr von Ihren bisherigen Feindbildern, eine Abkehr, die ich begrüße,
({9})
die aber auch deutlich zeigt, wie Sie sich in den vergangenen Monaten und Jahren verrannt hatten. In den vergangenen Jahren und in den vergangenen Wochen saßen ja die Hauptgegner der Abrüstung nicht in Moskau und Washington, sondern in Bonn und München.
Wir haben immer eine Änderung der sowjetischen Abrüstungspolitik gefordert, aber auch für möglich gehalten. Wir in der SPD haben uns darüber gestritten, wie man unter schwierigen internationalen Bedingungen ein Höchstmaß an Abrüstung durchsetzen könnte. Das war der Kernpunkt des Streites innerhalb der SPD in den letzten Jahren. Der Streit, den es in den vergangenen Wochen innerhalb der CDU gab, war ein Streit darüber, wie man deutschen Einfluß am meisten geltend machen könnte, um mögliche Abrüstungsvereinbarungen zwischen den beiden Großmächten zu verhindern.
({10})
Wir hatten einen Konflikt über den besten Weg zur Abrüstung. Sie hatten in den vergangenen Wochen einen Konflikt über die abrüstungspolitische Zielsetzung. Dieser Zielkonflikt innerhalb der CDU war der alte Zielkonflikt zwischen den Gegnern und den Befürwortern der Entspannungspolitik innerhalb der CDU, und ich habe dabei auch Töne gehört, die darauf hindeuten, daß der alte Konflikt zwischen Atlantikern und Gaullisten innerhalb der CDU wieder aufgebrochen ist.
({11})
In Wirklichkeit hatten Sie eine falsche politische Bedrohungsanalyse. Wenn man in Gorbatschow, wie der Bundeskanzler es einmal getan hat, einen potentiellen Goebbels sieht, ist es logisch, daß man eine aggressionslüsterne Sowjetunion mit der frühen nuklearen Eskalation auf ihrem Territorium bedroht, um sie so von ihren Aggressionsabsichten abzuhalten.
Diese falsche Bedrohungsanalyse führt zu falschen militärischen Konsequenzen. Wer so denkt, hat in Wirklichkeit auch Angst vor nuklearer Abrüstung. Wenn Sie sich heute zur nuklearen Abrüstung bekennen, dann müssen Sie auch Ihre politische Bedrohungsanalyse gegenüber der Sowjetunion verändern. Ohne das bleibt es nur ein halber Schritt; ohne den nächsten Schritt verrennen Sie sich auch in Zukunft immer wieder in neue Zielkonflikte.
Die Abrüstungsfurcht der CDU wurde durch den Abrüstungswillen der beiden Großmächte entlarvt. Volker Rühe hat in der Akademie Loccum von der großen psychologischen Bedeutung der Mittelstrekkenproblematik gesprochen. Ich halte diesen Hinweis auf die Psyche für berechtigt, aber in einer anderen Weise, als er es dort wahrscheinlich gemeint hat. Denn die Stationierung der Mittelstreckenwaffen war aus amerikanischer Sicht vor allen Dingen ein Instrument, um die Abrüstungs- und Entkopplungsängste
Voigt ({12})
der europäischen Konservativen zu beruhigen. Ich kenne nur wenige Amerikaner, die jeweils an die militärische Funktion dieser Waffensysteme geglaubt haben.
({13})
Aber ich kenne viele, die die Stationierung für erforderlich hielten, um die europäischen Konservativen zu beruhigen.
({14})
- Schmidt war immer für den NATO-Doppelbeschluß, um ein abrüstungspolitisches Ziel durchzusetzen, und dieses Ziel eint auch die SPD seit 1979.
({15})
Ich glaube, daß die Konservativen in unserem Lande sich einer Illusion hingeben, wenn sie meinen, sie könnten mangelndes politisches Vertrauen gegenüber der amerikanischen Sicherheitsgarantie durch die Stationierung von landgestützten Raketen jeder Art und jeder Reichweite ersetzen. Entweder sind die Amerikaner bereit, ihre militärischen Risiken mit den europäischen zu verkoppeln - z. B. ausgedrückt durch die Präsenz von konventionellen Truppen hier und durch ihre politische Sicherheitsgarantie - , oder sie sind nicht bereit. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, durch die Präsenz landgestützter Nuklearwaffen in Europa würde diese Sicherheitsgarantie auch nur einen Deut wahrscheinlicher und glaubwürdiger. Dies ist ein Nuklearwaffenfetischismus, den ich nicht teilen kann, der aber bei Ihnen immer noch nicht völlig beseitigt ist.
Mir ist in den letzten Wochen aufgefallen, daß die CDU in ihrem Stahlhelmflügel nur so lange pro-amerikanisch war, so lange die Amerikaner antisowjetisch waren. Als die Amerikaner und die Sowjetunion begannen, sich verständigen zu wollen, da begann Alfred Dregger, von einer abrüstungspolitischen Verschwörung der Weltmächte gegen deutsche und europäische Interessen zu reden.
Ich glaube, daß die doppelte Null-Lösung zwar nicht die Überwindung der nuklearen Abschreckung bedeutet - letzten Endes können wir als Europäer darüber auch gar nicht allein verfügen; darüber verfügen die Nuklearmächte für sich allein, aber sie bedeutet einen wesentlichen Einbruch in die Logik des bisherigen nuklearen Wettrüstens, und sie erhöht die Krisenstabilität und macht den frühen Ausbruch eines Nuklearkrieges in Europa unwahrscheinlicher.
Diese prinzipielle Bedeutung ist es, die wir Sozialdemokraten unterstützen und der wir eine Chance verleihen wollen, die wir nicht durch Vorbehalte und Vorbedingungen erschüttern wollen. Diese prinzipielle Bedeutung ist es, die wir nicht durch das Beharren auf der Pershing II blockieren wollen. Diese prinzipielle Bedeutung einer abrüstungspolitischen Möglichkeit heute ist es auch, die uns sagen läßt: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine doppelte Null-Lösung bzw. die Chance dafür viel mehr als nur die Aufkündigung einer Stationierung von Pershing II und Cruise Missile. Denn wer die Regierung auffordert, die Raketen in Ost und West, und zwar nicht nur Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite, sondern auch Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite, zu entfernen, der fordert sie zu viel mehr und zu etwas viel Weiterreichenderem auf, als daß es nur die Aufkündigung der Stationierung von Pershing II und Cruise Missile wäre.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?
Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Du hast gesagt,
({0})
diese doppelte Null-Lösung sei ein Einbruch in die Abschreckungslogik. Ich möchte gerne wissen, ob du meine Meinung teilst, daß in der Rede von Herrn Dregger ganz bemerkenswerte Hinweise darauf enthalten waren, diese Abschreckungslogik auf die europäische Ebene sozusagen herunterzuholen.
({1})
Ich denke dabei an das, was er zum Nichtverbreitungsvertrag gesagt hat. Das zeigt sich meiner Meinung nach auch darin, daß man auf der Pershing I a beharrt.
Christa, ich glaube, daß - ({0})
- Wenn ich mit Du angeredet werde, antworte ich mit Du. Das gehört sich so im kollegialen Umgang. Ich finde, wir verhalten uns sowieso häufig viel zu steif. Warum sollten man so etwas nicht einmal machen?
({1})
Ich finde, daß der Kollege Dregger versucht, so viel wie möglich an Abschreckungslogik zu retten. Aber er kommt auch nicht darum herum, seine Haltung sowohl zur Sowjetunion wie auch zur Ausgestaltung der westlichen Strategie zu revidieren. Das ist der tiefe politische Sinn, den die Vereinbarung einer doppelten Null-Lösung mit ihren sehr weitreichenden psychologischen Konsequenzen hätte.
Wenn du jetzt schon fragst, muß ich auch sagen: Ihr hinkt mit eurem Antrag, die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles jetzt einfach aufzukündigen, eigentlich der tatsächlichen Chance hinterher, nicht nur Cruise Missiles und Pershing II, sondern auch die SS 20 und Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite in Ost und West wegzukriegen und den Rüstungswettlauf zu beenden. Das, glaube ich, solltet ihr euch noch einmal überlegen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte des Deutschen Bundestages ist möglich geworden, weil diese Koalition im November 1983 dem von einem SPD-Bundeskanzler initiierten, aber später von der SPD abgelehnten Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses zugestimmt und ihn durchgesetzt hat.
({0})
Ohne die klare Haltung des Westens beim NATO-Doppelbeschluß läge heute in Genf kein Vertragsentwurf vor,
({1})
der einen vollständigen Abbau nuklearer Mittelstrekkenraketen in Westeuropa vorsieht.
Es ist richtig, sich daran zu erinnern, was führende SPD-Politiker 1983 im Deutschen Bundestag gesagt haben. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel hat am 21. November 1983 im Bundestag die Nachrüstung der NATO abgelehnt.
({2})
Seine Argumente damals: Die UdSSR werde nicht ein einziges ihrer Systeme abbauen.
({3})
Er fährt fort: Die „Spannungen zwischen den Weltmächten" werden „weiter zunehmen" . - Unglaublich die prognostischen Fähigkeiten des künftigen SPD-Vorsitzenden. ({4})
Die von der Entspannungspolitik „in Richtung Osteuropa ausgehenden günstigen ... liberalisierenden Wirkungen werden weiter abnehmen" . Wie weit ist der Mann von der Wirklichkeit der Welt und des Lebens entfernt?
({5})
Das Gegenteil ist eingetreten. Die Argumentation des Kollegen Vogel wurde durch die tatsächliche Entwicklung völlig widerlegt.
({6})
In der Debatte im November 1983 haben sämtliche Sprecher der Opposition die Forderung der Regierungskoalition nach einer Null-Lösung abgelehnt. In all den Jahren seit dem Abschied von Helmut Schmidt - bis zum Gipfel von Reykjavik - forderte die SPD die Anerkennung eines sowjetischen Monopols bei den Mittelstreckenraketen.
({7})
Das muß man sich vor Augen führen, wenn man heute die Reden der SPD analysiert.
({8})
- Auch bei Wiederholung bleibt Richtiges richtig, und Ihr Vorwurf „Quatsch" wendet sich gegen Ihren eigenen Geisteszustand.
({9})
Mit Nachgiebigkeit, Anbiederung und einseitigen Vorleistungen erzielen Sie in der Abrüstungspolitik keine Erfolge.
({10})
- Ich habe gerade das Wort „Dorfbürgermeister" gehört. Sie wären froh, wenn Sie mehr in der Bundesrepublik Deutschland stellen würden, und ich kenne sehr viele kluge Leute darunter, die es intelligenzmäßig und von ihrem gesunden Menschenverstand her mit jedem von Ihnen aufnehmen würden.
({11})
- Sie sollten die Dorfbürgermeister nicht beleidigen.
({12})
Ich weiß, wie es im Dorf aussieht, Sie offensichtlich nicht. Sie werden dort auch nicht gewählt.
({13})
Der jetzt in Genf vorliegende Vertragsentwurf, auf den sich die beiden Großmächte aller Voraussicht nach einigen werden, birgt Chancen, aber auch Risiken in sich. Der ehemalige US-Außenminister Kissinger hat in einem Interview mit der „Welt am Sonntag" am 8. Februar 1987 die sich abzeichnende Lösung wie folgt bewertet:
Die Bedrohung für Europa wird durch die Null-Lösung nicht signifikant vermindert. Die Fähigkeit zur Vergeltung gegen die Sowjetunion vom europäischen Boden aus wird eliminiert, und zugleich würde Amerikas Entschlossenheit zum atomaren Gegenschlag von den Ländern Europas abgekoppelt.
Das Ziel des NATO-Doppelbeschlusses war es, die durch die einseitige Hochrüstung der UdSSR entstandenen Lücken im Bereich der nuklearen Abschrekkung zu schließen und eine sich abzeichnende Abkoppelung Westeuropas von den USA zu verhindern.
Hier liegen die Risiken des Genfer Vertragsentwurfs. Wenn ich diese Risiken betone, bedeutet dies keineswegs Mißtrauen in die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, auch künftig die Sicherheit Westeuropas zu garantieren. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Präsenz von über 200 000 Mann amerikanischer Truppen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland.
Wir bedanken uns beim amerikanischen Botschafter Burt, der heute in einem Interview die Haltung der Vereinigten Staaten klargestellt hat. Das ist für uns wichtig. Wir sind dankbar dafür.
({14})
Aber es hat eine Akzentverschiebung gegeben, die in diesen Sätzen Kissingers - er steht hier nicht allein - zum Ausdruck kommt und die uns zwingt, unsere Vorstellungen im Bündnis und besonders gegenüber den Vereinigten Staaten frühzeitig und nachhaltig zu vertreten.
({15})
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht fest: Auch in Zukunft ist die Gewährleistung von Frieden und Freiheit im Westen nur möglich auf der Grundlage einer wirksamen nuklearen Komponente. Solange der Warschauer Pakt im Bereich der konventionellen Streitkräfte ein enormes Übergewicht besitzt, muß die NATO am Konzept der nuklearen Abschreckung festhalten.
Die Bemühungen einiger SPD-Abgeordneter, so vor allem der Kollegen von Bülow und Scheer in der letzten Debatte, dieses konventionelle Übergewicht zu bestreiten, sind absurd. Wäre dem nicht so, hätten alle SPD-Verteidigungsminister - Schmidt, Leber und Apel; darauf ist heute mehrfach hingewiesen worden - mit ihren jährlichen Weißbüchern das Parlament falsch informiert. Ich hoffe doch, daß dem nicht so gewesen ist. Erfreulicherweise räumen mittlerweile auch die Regierungschefs der Staaten des Warschauer Pakts diese Überlegenheit offen und ehrlich ein.
Es ist schon merkwürdig, wenn der Kollege Brandt in einer relativ milden Rede - gegenüber Freund und Feind in der eigenen Partei - für die Entspannungspolitik von damals eingetreten ist, ihre Erfolge feiert und zugeben muß, daß genau in der Zeit die größte Rüstung und Überrüstung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts stattgefunden hat. Wenn der noch amtierende Vorsitzende der SPD die Abschaffung der Abschreckungsstrategie verlangt, so ist dies - darüber muß man sich im klaren sein - gleichbedeutend mit der Abschaffung der NATO oder dem Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO. Welchen Moralbegriff verwendet der Kollege Brandt hier eigentlich? Er selbst hatte doch als Regierungschef fünf Jahre lang die Abschreckung mit getragen und mit gestaltet. Er hat anschließend auch als Mitglied der damaligen Koalition das unter seinem Nachfolger mit getragen.
Unsere Strategie und die damalige Strategie entsprechen den Grundsätzen des Völkerrechts und halten moralischen Ansprüchen stand. Mit dieser neuen Begriffswelt, die ich für außerordentlich gefährlich halte, nimmt Willy Brandt im Grund späte Rache an Helmut Schmidt, der immer die Abschreckung als einen Eckpfeiler westlicher Sicherheit bezeichnet hat.
({16})
- Darüber haben Sie nicht zu befinden, Kollege Ehmke. Sie mögen ein Lorbaß sein, aber in der Sicherheitspolitik liegen Sie schief.
({17})
Nach unserer festen Überzeugung ist und bleibt die Abschreckung die Garantie dafür, eine militärische Auseinandersetzung zwischen Ost und West zu verhindern. Ohne eine glaubwürdige und überzeugende Fähigkeit und Bereitschaft zur Verteidigung würden militärische Auseinandersetzungen zwischen Ost und West wieder in den Bereich des Möglichen rücken. Das dürfen und können wir nicht hinnehmen. Ein Krieg zwischen den beiden Blöcken darf weder denkbar, kalkulierbar und führbar noch regionalisierbar und begrenzbar werden. Das ist ein Essential für uns.
({18})
Bis heute hält die Sowjetunion am Ziel der kommunistischen Weltherrschaft fest,
({19})
wenngleich große Zweifel berechtigt sind, ob sie das verwirklichen könnte. Nach wie vor ist die sogenannte friedliche Koexistenz nur ein Mittel, aber kein Ziel im System der marxistischen Ideologie. Normale nachbarliche Beziehungen zur Sowjetunion können wir nur pflegen, weil wir eine überzeugende Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten. Als Deutsche sind wir besonders am Abbau jener Nuklearwaffen interessiert, die nur in Deutschland zur Wirkung kommen können.
({20})
Wir sind energisch gegen jene Abrüstungsmaßnahmen, die im Ergebnis dazu führen würden, einen bewaffneten Konflikt in Europa wieder möglich zu machen und gar einen Krieg auf Deutschland zu begrenzen.
({21})
Es darf keine Situation denkbar werden, in der sich die Supermächte in Sicherheit wiegen und Deutschland im Schwerpunkt der Zerstörung zurückbliebe.
({22})
Den deutschen Interessen hätte es deshalb besser gedient - das ist mehrfach von Rednern verschiedener Fraktionen heute zum Ausdruck gebracht worden - , wenn die nukleare Abrüstung nicht bei Waffen über 1 000 km begonnen hätte, sondern bei den Nuklearwaffen mit Reichweiten unterhalb von 150 km, bei den sogenannten Gefechtsfeldwaffen und bei den konventionellen Waffen. Wir hätten eine andere Reihenfolge des Abrüstungsprozesses bevorzugt.
({23})
Bei grundlegenden sicherheitspolitischen Fragen müssen wir alle voraussehbaren Folgen und Nebenfolgen abschätzen. Das heißt, wir müssen unsere Entscheidungen verantwortungsethisch begründen. Einer Lösung, bei der die nukleare Bedrohung nur noch die beiden Staaten in Deutschland betrifft, können wir nicht zustimmen.
({24})
Die Vertretung unserer spezifischen nationalen Interessen gegenüber den Großmächten ist unsere Pflicht und unser Recht.
({25})
Solange das erschreckende Übergewicht im Kurzstreckenbereich und im konventionellen Bereich anhält, sind für uns der Verbleib und die Einsatzfähigkeit der Pershing I a unverzichtbar.
({26})
Bei einem Abbau dieses Faustpfands, wäre, wollte man das Gleichgewicht auf allen nuklearen Ebenen aufrecht erhalten, eine Nachrüstung des Westens im Kurzstreckenbereich erforderlich. Und genau das wollen wir nicht.
({27})
In den kommenden Wochen und Monaten geht es darum, die weiteren Weichenstellungen richtig zu vollziehen und dabei unseren spezifischen deutschen Interessen Geltung zu verschaffen.
({28})
Es geht vor allem darum, die Substanz und die Implementierung, die Vervollständigung der Verträge zu analysieren und vorzubereiten. Angesichts der geographischen Lage der Bundesrepublik muß es unser vorrangiges Ziel sein, die Ungleichgewichte im Kurzstreckenbereich und im konventionellen Bereich abzubauen. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, zu einer deutlichen Reduzierung im strategischen Raketenarsenal und zu einem weltweiten Verbot bei den chemischen Waffen zu gelangen.
Ebenso wichtig wie der Vertrag selbst ist die Kontrolle über seine Einhaltung. Die gegenseitige Kontrolle und das Beharren auf Leistung und Gegenleistung sind unabdingbare Voraussetzung beim Vollzug der Abrüstung. Es muß uns gelingen, auch konventionelle Abrüstungsschritte unverzüglich einzuleiten und ein gleiches, ausgewogenes Niveau zu erreichen, damit wir nach dem Abbau der Mittelstreckenwaffen nicht schlechter dastehen als heute.
({29})
Nun liegt es an der Sowjetunion und an den Staaten des Warschauer Pakts, dem Westen durch vertrauensbildende Maßnahmen und vor allem durch einen Abbau des Übergewichts im konventionellen und Kurzstrecken-Bereich - also bei jenen Waffen, von denen in erster Linie die Bundesrepublik bedroht ist - entgegenzukommen.
Gorbatschow proklamiert ein neues Denken im Atomzeitalter. Und ohne Zweifel gibt es in der Sowjetunion heute einen gewissen Stilwandel, programmatische Korrekturen und veränderte Verhaltensweisen, aber: Wir haben bisher keine Abkehr Moskaus von den fundamentalen rüstungs- und abrüstungspolitischen Positionen feststellen können. Nach wie vor wird Rüstungskontrolle als Instrument der sowjetischen Außenpolitik eingesetzt, aber - und das ist das Bedauerliche - in gleichem Tempo weitergerüstet. Die Sowjetunion muß ihren vielen Worten und
Ankündigungen reale Taten folgen lassen. Sie hätte angesichts ihrer Überlegenheit in allen Waffenbereichen schon längst mit freiwilligen Abrüstungsmaßnahmen beginnen können, ohne ihre Genfer Verhandlungspositionen zu gefährden. Ihre Sicherheit würde dadurch nicht beeinträchtigt, aber ihre Abrüstungsvorschläge würden an Glaubwürdigkeit gewinnen.
Wir werden sogfältig darüber wachen, wie die Sowjetunion ihre Versprechen, insbesondere zur konventionellen Abrüstung, einlöst und konkrete Schritte zum Abbau ihrer Panzermasse einleitet. Wir erwarten jetzt die Verwirklichung vertrauensbildender Maßnahmen durch die Sowjetunion, damit es zu einem Abbau der sowjetischen Asymmetrie kommt, so wie es im Kommuniqué des Politisch Beratenden Ausschusses des Warschauer Pakts vom 29. Mai 1987 festgeschrieben ist.
Wer unserer Bevölkerung jetzt glauben machen will, mit den bevorstehenden Genfer Abmachungen seien die Probleme zwischen West und Ost gelöst, lenkt von den eigentlichen, den ursächlichen Problemen ab.
({30})
Bei den bevorstehenden Entscheidungen geht es nur vordergründig um Raketen. Raketen sind nicht die Ursachen der Spannungen, sondern ihr Ergebnis.
({31})
Der Westen würde mit Freuden abrüsten, unterstützt von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, wenn es die Spannungen nicht gäbe!
({32})
Wenn die Sowjetunion an einem neuen Klima des Vertrauens in Europa wirklich interessiert ist, dann muß sie hier ansetzen und damit beginnen, den Völkern Osteuropas mehr Selbstbestimmungsrecht und mehr Menschenrechte zu gewähren. Hier liegt doch der Schlüssel für den weiteren Erfolg des Abrüstungsprozesses!
Der Westen muß jetzt ein abrüstungspolitisches Gesamtkonzept entwickeln und es gegenüber der Sowjetunion, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit offensiv vertreten. Die Bundesrepublik Deutschland muß dazu ihren Beitrag leisten und ihre Interessen mit Entschiedenheit einbringen. Das ist unsere Aufgabe, und ihr stellen wir uns.
Ich bedanke mich.
({33})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs ({0}).
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! 90 % der Bürger und Bürgerinnen unseres Landes wollen die doppelte Null-Lösung. Ich kann mich nicht erinnern, daß der Wille der übergroßen Mehrheit unseres Volkes jemals so klar und eindeutig gewesen ist.
({0})
Frau Fuchs ({1})
Doppelte Null-Lösung heißt im Verständnis der Bürger und Bürgerinnen: Null Mittelstreckenraketen größerer und geringerer Reichweite im Osten und null solcher Raketen im Westen.
Genau das ist aber nicht die Position der Bundesregierung; denn die Bundesregierung sagt nicht: Null Raketen im Osten und null im Westen; sie sagt: Null im Osten und 72 Pershing-I-Raketen im Westen. Ihr sogenannter Kompromiß, meine Herren und Damen von der Koalition, ist eine Mogelpackung mit doppeltem Boden.
({2})
Er ist der Versuch, der Öffentlichkeit zu suggerieren, man sei für die doppelte Null-Lösung, obwohl man in Wahrheit ganz massive Aufrüstungsoptionen offenhalten will. Es zeugt von einer beispiellosen Arroganz, einerseits die globale Null-Lösung für Mittelstreckenraketen kürzerer und längerer Reichweite zu fordern und andererseits darauf zu bestehen, daß die Bundeswehr eben solche Atomwaffen, nämlich 72 Pershing I a, weiter einsatzbereit halten will.
({3})
Herr Strauß sagt auch ganz offen: „Es ist eine Null-Lösung, die sich nur auf die Amerikaner und Russen bezieht und keine Null-Lösung für uns. "
({4})
- Wenn das einträte, käme die Bundesrepublik in der Tat in eine wahrhaft einzigartige Lage, Herr Waigel. Sie wäre in Zukunft das einzige Land in Europa, auf dessen Boden diese Kategorie von Atomwaffen stationiert wird. Mit solch einem atomaren Größenwahn werden wir uns weder im Osten noch im Westen Freunde erwerben. Im Gegenteil: Man wird sich in Ost und West erneut fragen, was um Gottes willen diese Deutschen denn eigentlich wollen. Ich kann nur hoffen, daß der amerikanische Präsident mit der Forderung, die Pershing-I-Sprengköpfe in der Bundesrepublik zu behalten, genauso verfährt wie damals Präsident Kennedy mit Franz Josef Strauß' Forderung nach deutschen Atomwaffen.
({5})
Der Bundeskanzler hat am 7. Mai 1987 sein Festhalten an der Pershing I a damit begründet, daß diese „Drittstaatensysteme" seien,
({6})
über die zwischen den USA und der Sowjetunion in Genf nicht verhandelt werden könne. Diese Behauptung ist ebenso falsch wie gefährlich.
({7})
Sie ist falsch, weil der Sprengkopf der Pershing I genauso wie jeder andere Sprengkopf für ein nuklearfähiges System der Bundeswehr sich in ausschließlichem Besitz der USA befindet ({8})
ich wiederhole: in ausschließlichem Besitz der USA und nicht irgendeiner Einwirkungsmöglichkeit der
Bundesrepublik, einem Vetorecht oder einem
Zweischlüsselsystem oder was immer es noch gibt, was die Herren Strauß, Todenhöfer und andere seit langem gern haben möchten, unterworfen ist.
({9})
Nur um diese amerikanischen Sprengköpfe geht es. Die gehören natürlich auch auf den Verhandlungstisch in Genf.
Gefährlich ist die Begründung des Bundeskanzlers, weil er im Zusammenhang mit Atomwaffen den Begriff „Drittstaatensysteme" für die Bundesrepublik verwendet,
({10})
die schon im Deutschlandvertrag von 1955 ausdrücklich freiwillig auf ABC-Waffen verzichtet hat. Um die volle Tragweite dieses Sachverhalts deutlich zu machen, will ich daran erinnern: Drittstaaten sind hier die Staaten, die außer den USA und der Sowjetunion Atomwaffen besitzen und darüber verfügen. Die Anwendung dieses Begriffs auf die Bundesrepublik läßt in der Tat ernsthafte Zweifel am politischen Willen der Bundesregierung entstehen, am nichtnuklearen Status der Bundesrepublik, unseres Landes, festzuhalten.
({11})
Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen: will die Bundesregierung etwa doch eine eigene nukleare Option?
({12})
- Lesen Sie es bitte doch einmal nach, Herr Kollege; das ist nicht abgeschmackt, sondern Tatsache.
Wollen sich diejenigen, wie die Herren Todenhöfer und Strauß, die sich schon seit langem für eine europäische Atommacht und für den eigenständigen Zugang der Bundesrepublik zu Atomwaffen stark machen, hier eine Einstiegsoption sichern?
({13})
Das ist meine Frage.
Die Bundesrepublik hat auch mit dem Atomwaffensperrvertrag völkerrechtlich verbindlich auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet. Die Regierung Brandt/Scheel - das ist auch für die FDP interessant - hat bei der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages am 28. 11. 1969 erklärt - jetzt zitiere ich -:
Sie „geht davon aus, daß der Vertrag der Bundesrepublik Deutschland gegenüber so ausgelegt wird wie gegenüber den anderen Vertragsparteien".
Mit ihrem Gerede über deutsche Drittstaatensysteme will die Regierung Kohl genau das Gegenteil, nicht Kontinuität, sondern einen Sonderweg.
({14})
Meine Herren und Damen von der FDP, Sie müssen sich hier klar entscheiden, was Sie wollen: entweder die Kontinuität des nichtatomaren Status der Bundesrepublik Deutschland oder eine Abenteuerpolitik, die zu schrecklichen Vertrauenseinbußen in Ost und
Frau Fuchs ({15})
West führen und die Bundesrepublik zum Störenfried in Europa machen muß.
Die FDP muß sich übrigens auch entscheiden, ob sie dem hier vorliegenden Antrag der Koalition zustimmen will oder Herrn Mischnick folgen möchte, der ja laut heutiger Zeitung gesagt hat, daß die Bedingung, die sich in dem Antrag der Koalition wiederfindet, daß die Pershing I hierbleiben soll, nicht ihrer Auffassung entspricht. Auch um Ihnen Entscheidungsalternativen zu bieten, beantragen wir für unseren Antrag namentliche Abstimmung.
({16})
Meine größte Sorge, meine Herren und Damen, ist aber, daß diejenigen, die für den Verbleib der Pershing I a streiten, damit gar nicht so sehr die Pershing I a meinen, die aus technischen Gründen ohnehin bald abgezogen werden müssen, sondern daß hier eine Hintertür zur Modernisierung dieser Waffenkategorie, eine Hintertür zu einer neuen Nachrüstung mit Pershing-I-b-Raketen offengehalten werden soll.
({17})
- Wer A sagt, will auch B sagen, richtig.
Im Bundeswehrplan 1987 heißt es dazu - den kann ich ruhig zitieren, weil zumindest dieser Teil ohnehin veröffentlicht worden ist - : „Die bündnisgemeinsamen Beschlüsse stehen grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Weisung des Bundeskanzlers vom 4. Oktober 1983, längerfristig den Schwerpunkt bei nuklearfähigen Einsatzmitteln größerer Reichweite vorzusehen, und fordern die Modernisierung der nuklearen Einsatzmittel durch ein Lance-Nachfolgesystem gesteigerter Reichweite ({18}), ein Nachfolgesystem Pershing I a und einen Abstandsflugkörper größerer Reichweite ({19})"
({20})
Und Herr Strauß sagt vor drei Tagen auf die Frage nach der Modernisierung der Pershing I a - ich zitiere - : „Die Modernisierung vorhandener Waffensysteme ist noch nie Gegenstand von Nachrüstungsverhandlungen gewesen." Genau hier setzt meine Befürchtung ein.
Herr Bundeskanzler, es ist doch so, daß zum gleichen Zeitpunkt, da Sie hier Ihren Abrüstungswillen kundtun, Ihr Verteidigungsminister daran arbeiten läßt, nicht nur die auslaufenden 72 Pershing-IRaketen durch 72 neue Pershing-Raketen zu ersetzen, sondern zusätzlich - dies ist ein weiterer Skandal dieses Ministers - zusätzlich 200 Pershing-Raketen mit konventionellem Sprengkopf plant, die er sicher nicht Pershing nennen, sondern vermutlich umtaufen wird, da dieser Begriff sozusagen besetzt und mittlerweile ein Reizwort ist. Es ist doch so, Herr Bundeskanzler, daß Ihr Minister plant, die 72 Pershing I a durch ca. 280 neue Raketen, also das Vierfache, zu ersetzen. Ist Ihnen Ihr Schlagwort vom „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" in diesem Zusammenhang und vor diesem Hintergrund nicht auch allmählich peinlich?
({21})
Wenn es historisch zum ersten Mal wirklich um weniger Waffen geht, nämlich die der USA und der UdSSR, müssen Sie zur Zustimmung gezwungen werden. Gleichzeitig - das ist das Unglaubliche - wird in der Bundesrepublik an weiterer Aufrüstung geplant. 280 Raketen mit nuklearen - ({22})
- Fragen Sie mal Ihren Verteidigungsminister! Es geht um 280 Raketen mit nuklearen bzw. konventionellen Sprengköpfen, und dabei wird nicht mehr zu unterscheiden sein, welche Rakete welchen Sprengkopf trägt.
({23})
Können Sie sich die Reaktion der anderen Seite auf dieses Teufelsspiel eigentlich vorstellen?
({24})
Es drängt sich die Frage auf, ob der Bundeskanzler das eigentlich weiß. Weiß der Bundeskanzler das?
({25})
Regiert er oder der Verteidigungsminister in dieser Frage? Ich fordere dringend dazu auf, heute an dieser Stelle zu diesem ungeheuren Vorgang Stellung zu nehmen, und schließe mich den Worten Willy Brandts an: Wir werden jedenfalls erbitterten Widerstand leisten, wir als SPD zusammen mit der großen Mehrheit der Bevölkerung, zusammen mit der Friedensbewegung. Ich wage vorauszusagen, daß Sie mit diesem Vorhaben nicht durchkommen werden. Es darf und es wird keine neue Nachrüstung geben, und da freue ich mich, daß Herr Ronneburger in seiner Stellungnahme hier einer weiteren Nachrüstung eine Absage erteilt hat.
Es gibt aber noch einen weiteren Anlaß zur Sorge. Ich fürchte, daß Sie mit der selben Drittstaatenargumentation, die Sie auf die Pershing I anwenden, bei den noch verbleibenden Gefechtsfeldwaffen verfahren werden,
({26})
nämlich bei den Lance-Raketen und der atomaren Artillerie. Wenn Sie die auch noch zu Drittstaatensystemen umdefinieren, ergibt sich unter der Hand ein völlig neuer Status der Bundesrepublik; dann ist dem Versuch, sich den Status einer Atommacht zu erschleichen, Tür und Tor geöffnet.
({27})
Ich bin allerdings fest davon überzeugt - und das ist in dieser Frage mein Trost - , daß sich kein amerikanischer Präsident, dem allein der Einsatzbefehl über amerikanische Sprengköpfe obliegt, derartig von Ihnen entmachten lassen wird.
({28})
Frau Fuchs ({29})
Meine Herren und Damen, nicht militärische Analyse, sondern militarisiertes Denken führt zu der Forderung, auf der Pershing I zu beharren. Der Wunsch nach totaler Sicherheit ist Ausdruck totaler Unsicherheit. Das ist das Syndrom der Angst, der politischen Phantasielosigkeit, der Irrationalität, die die Politik dieser Bundesregierung in dieser Frage kennzeichnen.
Kant hat recht, wenn er sagt: „Der Friede ist der Imperativ der praktischen Vernunft. " In unserem Volk gibt es eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Abrüstung. Die Regierung aber will auf unabsehbare Zeit an der atomaren Abschreckung festhalten und Atomwaffen behalten.
({30})
Es ist eine Kluft entstanden zwischen der Politik der Bundesregierung und dem, was die Mehrheit der Bevölkerung will. Wenn dann auch noch in der Union wieder eine Gespensterdebatte über Wiedervereinigung geführt wird, kann ich nur mit dem Liedermacher Degenhardt sagen: „Es denken die Leute von gestern wieder an morgen. "
({31})
Es ist heute das Gebot praktischer Vernunft, ja zu sagen zu der doppelten Null-Lösung, ohne Wenn und Aber, ohne Extra-Pershings.
Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Mittelstreckenraketen gehen - alle! - oder der Kanzler geht ihnen voran.
({32})
Es ist ein Gebot der praktischen Vernunft, das Angebot des Warschauer Pakts aufzugreifen, über Militärdoktrinen und Sicherheitsstrukturen zu reden. Wenn in Brüssel schon wieder Bedenken geäußert werden, müssen diese bislang straffrei gebliebenen politischen Straßenblockierer wissen, daß die Bevölkerung unseres Landes das nicht mehr mitmacht, nicht mehr bereit ist, das ewige Spiel, wirkliche Abrüstung zu verhindern, noch weiter zu dulden.
({33})
Die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes lassen sich auf Dauer nicht hinters Licht führen. Sie haben gelernt, daß diese Regierung zur Abrüstung gezwungen werden muß.
Wir können froh darüber sein, daß die Friedensbewegung die Kraft behalten hat, über all die Jahre ihre Aktionen durchzuhalten.
({34})
Ich wünsche mir, meine Herren und Damen, daß es
möglichst viele sind - und lade Sie ausdrücklich
ein - , die am 13. Juni im Bonner Hofgarten zusammenkommen werden, um für Abrüstung und für eine friedliche Zukunft zu demonstrieren.
({35})
Auf der Tribüne hat eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Elfenbeinküste unter der Leitung von Herrn Léon Amon Platz genommen. Ich begrüße die Delegation recht herzlich im Namen des Deutschen Bundestages und wünsche einen angenehmen Aufenthalt und interessante Gespräche.
({0})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer heute morgen die Ausführungen des Kollegen Brandt gehört hat und das mit späteren Erklärungen der SPD vergleicht, kann ermessen, was der Kollege Brandt noch immer für die SPD bedeutet.
({0})
Wir stehen, meine Damen und Herren, vor grundlegend neuen Entwicklungen im West-Ost-Verhältnis und in den Fragen von Sicherheit und Abrüstung. Es liegt im deutschen Interesse und im europäischen Interesse, daß wir die Chancen nutzen, die in dieser Entwicklung liegen, und daß wir Risiken vermindern.
Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben bei der Begegnung der Außenminister Shultz und Gromyko im Januar 1985 das gemeinsame Ziel nuklearer Abrüstung vereinbart. Im Oktober 1986 haben Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Reykjavik die Umrisse für Abkommen sowohl für die strategische Abrüstung wie für die Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite formuliert. Beides ist jetzt Gegenstand der Verhandlungen in Genf.
Das Treffen in Reykjavik zeigt ein neues Denken der beiden Großmächte. Sie wollen kooperative Lösungen für die Sicherheitspolitik. Sie wollen das Verhältnis zwischen den offensiven und den defensiven Waffen regeln, und sie wollen durch Abrüstungsschritte bei den atomaren Waffen die Gefahr einer Vernichtung der Menschheit mindern. Das Bewußtsein ihrer gemeinsamen Verantwortung für das Überleben der Menschheit hat also den Weg nicht nur für Abrüstungsverhandlungen geöffnet, nein, dieses Bewußtsein zielt auch auf eine Verbesserung des Verhältnisses der beiden Großmächte zueinander.
Vor diesem Hintergrund müssen sich die Ziele der deutschen und der europäischen Außenpolitik bewähren. Gleichzeitig muß sich unsere Fähigkeit erweisen, mit neuen Ideen und neuer Entschlossenheit die Zukunft Europas zu gestalten. Das bedeutet:
Erstens. Europäische Sicherheit kann auch in Zukunft nur in der Gemeinschaft der europäischen und der nordamerikanischen Demokratien garantiert
werden. Das transatlantische Bündnis ist jetzt und in Zukunft unverzichtbar.
({1})
Zweitens. Die Strategie des westlichen Bündnisses, die auf Kriegsverhinderung und nicht auf die Führung von Kriegen gerichtet ist, muß aufrechterhalten bleiben, wenn wir das Überleben der Europäer sichern wollen. Kein Krieg, weder ein nuklearer noch ein konventioneller, darf in Europa je wieder führbar werden.
({2})
Drittens. Wir müssen alle Möglichkeiten einer Annäherung der USA und der Sowjetunion nutzen, um die Lage in Europa zu verbessern. Die Annäherung der beiden Großmächte richtet sich nicht gegen uns. Sie liegt im nationalen, deutschen, und im europäischen Interesse.
({3})
Wir müssen diese Entwicklung als Chance begreifen, vereinbarte und verläßliche Strukturen der Sicherheit in Europa zu schaffen. Wir müssen entschlossen auf dem in der Schlußakte von Helsinki vorgezeichneten Weg zu einer europäischen Friedensordnung voranschreiten.
Viertens. Die Bemühungen um Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses müssen einhergehen mit der Entwicklung einer Zukunftsperspektive für das westliche Bündnis, einer Zukunftsperspektive, die sich nicht allein auf die militärische, sondern auch auf die ökonomische und die politische Dimension erstreckt.
Fünftens. Die deutsch-französische Partnerschaft und die Europäische Gemeinschaft müssen ausgebaut werden.
({4})
- Hören Sie doch zu; ich werde Ihnen das alles noch erläutern. - Es geht also darum, neue Perspektiven für das transatlantische Bündnis und für die europäische Einigung zu schaffen, sicherheitsbildende Abrüstung zu verwirklichen und gleichzeitig die mit der Schlußakte von Helsinki eröffneten Möglichkeiten zu nutzen.
Die Aussichten auf den baldigen Abschluß eines Abkommens über die Beseitigung der amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern stellen einen Erfolg der beharrlichen, langfristig angelegten und richtigen Sicherheitskonzeption des Westens dar. Sie umfaßt die notwendigen Verteidigungsanstrengungen und das Bemühen um Abrüstung und Rüstungskontrolle als unverzichtbare integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Unter den Bedingungen des nuklearen Zeitalters kann verantwortliche Sicherheitspolitik keinen anderen Zweck haben, als Kriege zu verhindern. Die militärische Austragung eines Konflikts würde selbst für den vermeintlichen Sieger, wenn es ihn dann noch gäbe, den eigenen Untergang bedeuten. Ein Denken in Kriegsführungsstrategien darf es deshalb nie wieder geben.
({5})
Unsere Sicherheitspolitik ist frei von Illusionen. Die Sicherheit von heute kann sich nicht auf Rüstungskontrollabkommen von morgen stützen. Daher lassen wir keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit, das für die Verteidigung Notwendige zu tun. Die Soldaten unserer Bundeswehr leisten einen entscheidenden Beitrag für diese Politik der Friedenssicherung.
({6})
Unsere Strategie der Kriegsverhinderung verlangt für absehbare Zeit ausgewogene nukleare und konventionelle Streitkräfte ebenso wie die Präsenz der verbündeten Truppen, insbesondere der amerikanischen, in Europa.
Wir wissen: Autonome Verteidigungsanstrengungen allein können den Frieden auf Dauer verläßlich nicht sichern. Entspannungspolitik und Rüstungskontrolle müssen hinzukommen, so wie der HarmelBericht von 1967 das für unser Bündnis gefordert hat. Nach wie vor gilt auch, was die Bonner Erklärung des NATO-Gipfels vom Juni 1982 sagt:
Militärisch bedeutsame, ausgewogene und verifizierbare Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung tragen zur Stärkung des Friedens bei und sind integraler Bestandteil unserer Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren, unser rüstungskontrollpolitisches Konzept ist umfassend. Es sieht die Beseitigung der konventionellen Ungleichgewichte auf der Grundlage der Brüsseler Erklärung vom 12. Dezember 1986 vor. Es fordert nach dem erfolgreichen Abschluß der Stockholmer Konferenz weitere Maßnahmen zur Vertrauensbildung. Die Beseitigung der Mittelstreckenflugkörper folgt der im NATO-Doppelbeschluß angelegten Politik des Bündnisses. Bei den strategischen Waffen unterstützen wir die Bemühungen der USA um drastische Reduzierung dieser Systeme. An den Verhandlungen über ein weltweites Verbot der chemischen Waffen wirken wir seit vielen Jahren durch deutsche Initiativen mit.
Sicherheitsbildende Abrüstung und Rüstungskontrolle müssen das gesamte militärische Kräfteverhältnis mit seinen nuklearen, konventionellen und chemischen Mitteln umfassen. Sie müssen Stabilität erhöhen und Vertrauen fördern. Sie müssen aus mehreren verschiedenen Schritten bestehen, von denen jeder für sich stabilisierend wirkt und nachprüfbar ist und das gleiche Recht auf Sicherheit für alle Beteiligten gewährleistet.
Diese umfassende Zielsetzung erklärt, wie notwendig es ist, jeden Schritt gewissenhaft zu bedenken, eigene Vorstellungen zu entwickeln, aber auch jeden Vorschlag der anderen Seite sorgfältig und ernsthaft zu prüfen.
Bundesregierung und Koalition haben sich ihre Entscheidung nicht leichtgemacht. Leichtfüßigkeit wäre aber auch das am wenigsten geeignete Verfahren, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Am Genfer Verhandlungstisch sind Chancen eröffnet worden, die vielen, vielleicht allen von uns, vor wenigen Jahren noch undenkbar erschienen. Zu dieser positiven Entwicklung hat die Bundesrepublik Deutschland entscheidend beigetragen. Die von beiden Seiten in Aussicht genommene Beseitigung aller amerikanischen und aller sowjetischen landgestützten Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite in Europa und ihre Begrenzung auf 100 Gefechtsköpfe im asiatischen Teil der Sowjetunion bzw. in den USA sind das Ergebnis der Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses in seinen beiden Teilen. Daran ist nichts zu deuteln, meine Damen und Herren.
({7})
Es wäre noch besser, wenn alle sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite weltweit beseitigt würden.
({8})
Auch im Hinblick auf die damit verbundene Erleichterung der Verifikation sollte sich die Sowjetunion entschließen, diesen zusätzlichen Schritt schon jetzt zu tun.
({9})
Der baldige Abschluß eines solchen Abkommens wäre ein markantes Zeichen für den Willen zur Abrüstung. Es würde weitreichende fördernde Auswirkungen auf andere Verhandlungsbereiche haben, und von einem solchen Abrüstungsabkommen würden positive Impulse für das West-Ost-Verhältnis in seiner ganzen Breite ausgehen.
Es entspricht dem Willen zu mehr und nicht zu weniger Sicherheit, wenn wir neue Sicherheitsdefizite durch neue Grauzonen vermeiden und wenn wir auch bei den Atomwaffen kürzerer Reichweite zu Reduzierungen kommen wollen. Die Bundesregierung hält es deshalb für unerläßlich, daß auch die amerikanischen und sowjetischen bodengestützten nuklearen Flugkörper mit einer Reichweite von weniger als 1 000 Kilometer schrittweise rüstungskontrollpolitisch erfaßt und reduziert werden.
Diese Notwendigkeit war bereits Gegenstand der Sitzung der NATO-Außenminister in Brüssel im Dezember 1986; denn auch in diesem Bereich hat der Osten ein erdrückendes Übergewicht. Neben den weiterreichenden SS 12/22 und 23 bedrohen mehrere hundert Kurzstreckenraketen Scud die Bundesrepublik Deutschland, damit auch die hier stationierten verbündeten Streitkräfte und ihre Familien. Sie bedeuten aber auch eine Gefahr zumindest für unsere Verbündeten in Norwegen, Dänemark, Griechenland und der Türkei.
Der erste Schritt zur Reduzierung der bodengestützten sowjetischen und amerikanischen Systeme zwischen 100 und 1 000 km wäre eine global geltende Vereinbarung, die landgestützte amerikanische und sowjetische Mittelstreckenflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 1 000 km beseitigt und verbietet. Diese weitere amerikanisch-sowjetische Null-Lösung bedeutet eine einseitige Abrüstung sowjetischer SS 12/22 und SS 23 mit einem mehrfachen Nachladebestand, dem die USA nichts Entsprechendes entgegenzusetzen haben.
Der Logik der Konzentration der Mittelstreckenverhandlungen auf amerikanische und sowjetische Flugkörper folgend, sind die USA, wir selbst und unsere anderen Verbündeten der Auffassung, daß die Pershing I a der Bundeswehr nicht zum Gegenstand der laufenden Verhandlungen gemacht werden.
({10})
Als die Sowjetunion bei den Gesprächen mit Außenminister Shultz in Moskau diese Frage nicht aufwarf, hat sie sicher auch ihre Überlegenheit bei den noch kürzeren Reichweiten im Auge gehabt.
Realistische und verantwortliche Rüstungskontrollpolitik muß den Gesamtzusammenhang aller Elemente der eigenen Sicherheitspolitik wahren. Dabei kann und darf es nicht darum gehen, ein Junktim zwischen verschiedenen Rüstungskontrollbereichen herzustellen. Ziel muß es vielmehr sein, erreichbare Ergebnisse zu ermöglichen und weitere Schritte zeitlich und inhaltlich so aufeinander abzustimmen, daß durch ausgewogene Reduzierungen die Sicherheit aller Beteiligten gestärkt wird.
({11})
Deshalb, meine Damen und Herren, stellt die Bundesregierung ohne Junktim die Verhandlungen über die bodengestützten nuklearen Systeme unterhalb von 500 km in einen weiteren rüstungskontrollpolitischen Rahmen. So halten wir es für dringlich, daß sich die beiden Großmächte nach einem umfassenden Mittelstrecken-Abkommen auf die Reduzierung ihrer strategischen Potentiale um 50 % verständigen.
Die Chancen, die sich im Bereich der nuklearen Abrüstung eröffnen, erfordern verstärkte Bemühungen um ein stabiles Kräftegleichgewicht bei den konventionellen Streitkräften. Die östliche Überlegenheit in diesem Bereich muß abgebaut werden. Wir wollen durch Verhandlungen auf beiden Seiten einen Zustand herstellen, bei dem die Streitkräfte allein am Erfordernis der Verteidigung ausgerichtet sind und keine Invasionsfähigkeit besitzen. Auf westlicher Seite ist das schon heute der Fall.
Das Konzept der Bundesregierung zur Herstellung konventioneller Stabilität ist in die Brüsseler Erklärung der Allianz vom 12. Dezember 1986 eingegangen. Der Beginn der Verhandlungen über das konventionelle Kräfteverhältnis darf nicht länger durch Meinungsverschiedenheiten im westlichen Lager über prozedurale Fragen hinausgezögert werden.
({12})
Diskussionen über Militärdoktrinen, wie sie der Warschauer Pakt in seiner Erklärung vom 29. Mai 1987 vorgeschlagen hat, entsprechen der Forderung nach einer Verständigung über die Verteidigungsphilosophie, wie sie in der Brüsseler Erklärung vom 12. Dezember enthalten ist. Dort heißt es:
Die Aufgabe von Streitkräften sollte nur darin bestehen, Kriege zu verhindern und die Selbstverteidigung sicherzustellen. Sie sollte nicht dazu da sein, um Aggressionen zu begehen und als Mittel der politischen oder militärischen Einschüchterung zu dienen.
Die Erörterung dieser Philosophie im Rahmen von Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle muß einhergehen mit der Absicht, den defensiven Charakter von Streitkräften auf beiden Seiten durch Umfang, Struktur und Stationierung zu manifestieren.
({13})
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, haben wir mit Interesse die Erklärungen des Warschauer Pakts zur Kenntnis genommen, in denen die Bereitschaft zum Ausdruck kommt, Ungleichgewichte dort, wo sie vorhanden sind, abzubauen.
Unverändert hohe Priorität hat der baldige Abschluß eines Abkommens zur weltweiten Ächtung der chemischen Waffen. Die in den letzten Monaten erzielten Fortschritte machen einen baldigen Abschluß möglich, wenn alle Beteiligten bereit sind, an der Lösung der noch offenen Fragen der Verifikation konstruktiv mitzuwirken.
Die Dynamik der gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen reicht über die konkreten Annäherungen in den einzelnen Verhandlungsbereichen hinaus. Diese Dynamik offenbart neue Denkansätze in der Wahrnehmung der nuklearen Verantwortung der beiden Großmächte. Sie wollen durch kooperative Lösungen die Risiken reduzieren, die sich aus der Existenz der Vernichtungswaffen auf beiden Seiten ergeben. Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet sie zu einem solchen Verhalten. Wir Deutschen erinnern nachdrücklich an diese Verpflichtung zur atomaren Abrüstung; denn wir sind keine Atommacht, und wir wollen es nicht werden.
({14})
Präsident Reagan hat am 1. Juni 1987 zu Recht erklärt, daß wir uns wahrscheinlich an der historischen Schwelle zu einer Verringerung der Anzahl von Atomwaffen befinden, die die Menschheit bedrohen. Im europäischen Interesse liegt es, die Abrüstungsbemühungen der USA und der Sowjetunion nachdrücklich zu unterstützen. Nicht nur gemeinsame Verteidigungsanstrengungen, auch eine gemeinsame Abrüstungspolitik verkoppeln Europa und Nordamerika.
({15})
Hier dienen wir unseren Interessen, wenn wir Rüstungskontrolle und Abrüstung auch für die Atomwaffen kürzerer Reichweite, für die nichtatomaren Waffen und für die chemischen Waffen verlangen. Wenn sich die Möglichkeiten für eine Wende zum Besseren im West-Ost-Verhältnis abzeichnen, dann muß es zuallererst Sache der Europäer sein, durch weitreichende und realistische Zukunftsentwürfe zu einer konstruktiven Entwicklung beizutragen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bahr?
Herr Kollege Bahr, wir sind zeitlich beschränkt. Ich würde gern so zu Ende sprechen.
Eine solche Entwicklung muß einhergehen mit entschlossenen Schritten zur westlichen Einheit. Das Atlantische Bündnis ist und bleibt der Garant unserer Sicherheit und Freiheit. Eine immer engere Gemeinschaft der europäischen Demokratien fördert die Lebensfähigkeit, die Überzeugungskraft und die Zukunftsorientierung unseres Bündnisses. Eine bessere Nutzung der Westeuropäischen Union ist geboten.
Den Kern europäischer Einheit müssen Frankreich und Deutschland bilden, nicht um andere auszuschließen, sondern um einen Kristallisationspunkt für die europäische Einigung zu bilden.
({0})
Der Elysee-Vertrag von 1963 sieht ein deutsch-französisches Zusammengehen in den Fragen der Sicherheit, der Verteidigung und der Abrüstung vor. Der Weg zur deutsch-französischen Sicherheitsgemeinschaft ist damit vorgezeichnet.
({1})
Eine noch stärker koordinierte Außenpolitik, mutige Schritte zu einer deutsch-französischen Sicherheitsgemeinschaft, Franzosen und Deutsche als Nukle - ({2})
- Herr Kollege, haben Sie sich in Ihrem Leben noch nicht versprochen?
({3})
Wenn Sie so unfehlbar sind, können Sie jetzt an meine Stelle treten, wenn aber nicht, dann sollten Sie niemanden unterbrechen. Wenn Sie sich meinen Satz zu Ende anhören, dann werden Sie feststellen, daß ein Mißverständnis gänzlich ausgeschlossen ist.
({4})
- - Franzosen und Deutsche als Nukleus einer engeren währungspolitischen Zusammenarbeit, kühne, in die Zukunft weisende technologische Projekte bis hin zur friedlichen Erschließung des Weltraums, meine Damen und Herren, das sind keine Zukunftsvisionen, das sind Aufgaben, die wir jetzt in Angriff nehmen müssen.
Europäische Friedenspolitik will die Teilung Europas überwinden. Die Schlußakte von Helsinki eröffnet Perspektiven für eine europäische Friedensordnung, in der Staaten auch unterschiedlicher politischer und sozialer Ordnung im friedlichen Wettbewerb miteinander leben können. Das verlangt intensiven politischen Dialog, und es verlangt breiteste West-OstZusammenarbeit in allen Bereichen: Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Kultur.
Neue Formen der Zusammenarbeit sollten möglich sein. Zusammenarbeit nützt allen Beteiligten, und sie schafft Vertrauen. Die Chancen einer Politik der Öffnung der Sowjetunion nach innen und außen muß von uns gesehen und genutzt werden für mehr Stabilität und Zusammenarbeit in Europa.
({5})
- Schönen Dank, Herr Schily.
({6})
Meine Damen und Herren, auch die inneren Entwicklungen in den beteiligten Staaten haben Bedeutung für Sicherheit und Stabilität.
Europäische Friedenspolitik liegt im nationalen Interesse der Deutschen. Die Grenze durch Europa ist eine Grenze mitten durch Deutschland, durch kein Land sonst. Schritte, die zur Verbesserung der Lage in Europa führen, gerade auch bei der Abrüstung, nützen uns Deutschen in besonderem Maße, und das in West und Ost. Friedenspolitik ist für die Bundesrepublik Deutschland nationale und europäische Verantwortung, und sie ist Verfassungspflicht. Die Präambel des Grundgesetzes fordert uns auf, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und die Einheit der Nation zu wahren.
Das bedeutet auch in der Sicherheitspolitik, alle Deutschen und alle Europäer und ihr Recht auf Leben zu sehen. Nicht Verweigerung, sondern Zusammenarbeit und Abrüstung dienen der ganzen Nation und dem ganzen Europa in West und Ost. Nur die Einbettung deutscher Interessen in die europäische Politik hat eine politische Zukunftsperspektive. Deutsche Außenpolitik kann deshalb immer nur europäische Friedenspolitik sein.
({7})
Meine Damen und Herren, keine Generation vor uns hat eine Verantwortung getragen, die mit der unseren vergleichbar wäre. Die technologische Entwicklung hat es uns in die Hand gegeben, unsere Welt humaner und besser zu gestalten. Wir können aber auch alles verspielen; alles, das heißt die natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur für unsere Generation, sondern für immer. Das gilt noch mehr für unsere Friedenspolitik. Auch sie trifft Vorsorge für künftige Generationen.
Angesichts der nuklearen Vernichtungskapazitäten sind wir bei allen Gegensätzen in den Systemen zu einer Überlebensgemeinschaft der Menschheit geworden. Wenn wir im nuklearen Zeitalter den Frieden verspielen, wird es keine neue Chance des Wiederaufbaus geben. In dieser Perspektive der Zukunftsbewältigung erhält unsere Freiheits- und Friedensverantwortung eine neue zeitliche Dimension. Die Achtung vor der Menschenwürde und vor der ganzen Schöpfung, und der Wille, mehr und nicht weniger Freiheit zu verwirklichen, verpflichten uns, künftigen Generationen Lebensfähigkeit und die Räume zur freien Gestaltung und Entfaltung offenzuhalten und ihnen die Freiheit zu belassen, über ihr eigenes Schicksal selbst zu entscheiden. Sie verpflichten uns zu einer Politik, die der Welt und Nachwelt mehr hinterläßt als die Verwaltung der unheilbaren Folgen einer verfehlten Politik.
Das von dem Philosophen Hans Jonas formulierte Prinzip Verantwortung für die Zukunftsbewältigung ist der kategorische Imperativ für unsere Politik der Sicherung des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung. Daran werden wir gemessen werden. Das erfordert, sich größerer Verantwortung zu stellen und sich neuem Denken zu öffnen.
Meine Damen und Herren, Freiheit gibt es nur dort, wo auch noch Leben ist.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Liebe Friedensfreunde und -freundinnen! Die heute vom Bundeskanzler verlesene Regierungserklärung hat erneut deutlich gemacht, daß diese Bundesregierung bemüht ist, jegliche tatsächliche Abrüstung zu vereiteln.
({0})
Bevor ich auf diese Erklärung zu sprechen komme, erlauben Sie mir vorweg zwei grundsätzliche Anmerkungen.
Punkt 1: Es müssen in die Diskussion um die NullLösung auch die Sachverhalte eingebracht werden, die beim vordergründigen Streit in der NATO um die Null-Lösung ausgeklammert sind und auch im Bundestag bisher kaum zur Sprache kamen. So bleiben bei der öffentlichen Diskussion über die Mittelstrekkenwaffen größerer Reichweite die britischen und die französischen Systeme in der Regel unberücksichtigt, obwohl diese in wenigen Jahren mit über 1 400 Atomsprengköpfen bewaffnet sein werden. Des weiteren bleiben die dem NATO-Oberkommando Europa für eurostrategische Zwecke unterstellten und auf U-Booten stationierten zirka 480 Atomsprengköpfe von der Null-Lösung ausgespart.
Alles in allem sind es nicht weniger als zirka 2 000 Atomsprengköpfe, die von Westeuropa aus auf die Sowjetunion zielen, aber nichtsdestotrotz von der sogenannten Null-Lösung nicht berührt werden. Auf der anderen Seite wird von Moskau verlangt, seine laut NATO maximal 810 SS-20-Sprengköpfe, die auf Westeuropa gerichtet sind, ersatzlos zu vernichten.
Doch damit nicht genug! Für den Fall, daß es zu einem Abkommen über die Null-Lösung kommt, hat sich die NATO bereits auf eine Reihe von sogenannten Kompensationsmaßnahmen, d. h. neuen Aufrüstungsmaßnahmen, festgelegt. So hat man sich darauf verständigt, den Verlust von 316 Pershing-II- und Cruise-Missile-Sprengköpfen durch die Beschaffung von weit über 1 000 eurostrategischen Sprengköpfen, auf Bombern und U-Booten untergebracht, zu kompensieren. Des weiteren haben Frankreich und Großbritannien bereits großzügig angekündigt, sie seien bereit, diese angeblich entstehende Abschreckungslücke durch die gemeinsame Produktion eines nuklearen Marschflugkörpers zu füllen. Am Ende dieser Null-Lösung werden - wenn denn die Sowjetunion derartige Kompensationen akzeptiert - somit auf westlicher Seite nicht weniger, sondern mehr eurostrategische Waffen als heute stehen. Der große Betrug bei der Diskussion um die Null-Lösung besteht darin, so zu tun, als sollte eine ganze Kategorie von Atomwaffen, nämlich alle europäischen Waffen, beseitigt werden. Nach dieser Version gehören Frankreich, Großbritannien, die europäischen Gewässer und jede Atombombe, wenn sie nur auf FlugzeugFrau Beer
rädern drei Meter über dem Boden steht, einfach nicht mehr zu Europa.
Wenn wir uns zu alldem die NATO-Pläne für eine weitere gigantische konventionelle Aufrüstung vergegenwärtigen, wird deutlich, daß sich die derzeitige Hoffnung auf reale Abrüstung zwar auf die Veränderung der Position der Sowjetunion stützen kann, nicht aber auf eine Veränderung der Grundhaltung in der NATO. Die aktuelle Diskussion über die Null-Lösung kann unsere grundsätzliche Kritik an der strukturellen Abrüstungsunfähigkeit der NATO weder abschwächen noch widerlegen.
Punkt 2: Das wohlklingende Konzept einer Rüstungskontrolle, das auch über dieser Debatte steht, hatte in der Vergangenheit nichts als kontrollierte Aufrüstung zur Folge.
({1})
Unser Bedarf an verlogenen Worthülsen aber ist inzwischen mehr als gedeckt. Zuerst kam der HelmutSchmidt-Schwindel mit der sogenannten Nachrüstung. Bundesregierung und NATO wollten uns glauben machen, Pershing und Cruise Missiles seien ein Gegengewicht zu den sowjetischen SS 20, und darum seien sie nötig. Heute ist bekannt, daß die SS 20 nur ein Vorwand war, um von deutschem Boden aus die Sowjetunion mit Atomraketen bedrohen zu können.
Dann propagierten Bundesregierung und NATO die Null-Lösung. Als Gorbatschow den Ball aufnahm, wurde genau das wieder bekämpft. CDU und Bundesregierung sattelten auf und forderten als neue Bedingung die Einbeziehung der Raketen kürzerer Reichweite. Prompt bot Gorbatschow die Doppel-NullLösung an. Herr Dregger und Herr Strauß, die vorher so vehement die Einbeziehung dieser Raketen gefordert hatten, intervenierten jetzt ebenso laut gegen diese doppelte Null-Lösung und beschworen die Abkoppelung der BRD aus der NATO-Verteidigung. Heute wird eifrig „Null" gesagt und ,,Rüstungskompensation" gedacht.
({2})
Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal fragen: Wissen Sie denn überhaupt selbst noch, was bei Ihnen Theater ist und was Ernst? Unser Bedarf ist gedeckt! Wir wollen heute nicht die Worthülsen, sondern die Nagelprobe, nicht das Geschwätz, sondern das Signal, auch nicht das Starren auf Genf, sondern den Abrüstungsbeginn, und zwar hier bei uns.
({3})
Wir fordern Sie mit unserem Antrag insbesondere auf, hier und heute den unseligen, durch einen Schwindel herbeigeführten Stationierungsbeschluß von 1983 aufzuheben.
({4})
Diese Aufforderung geht auch und ganz besonders an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Sie haben 1983 ohne das derzeitige sowjetische Angebot mit uns gemeinsam gegen die sogenannte NATO-Nachrüstung votiert. Helfen Sie heute mit, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Auch uns ist daran gelegen, daß Sie bei der bevorstehenden Friedensdemonstration nicht mit roten Ohren,
({5})
sondern mit ganz überzeugtem Herzen mitmarschieren.
Lassen Sie mich nun auf den jüngsten Beschluß der Bundesregierung eingehen, der ja in den Medien und auch in den Stellungnahmen aus dem Ausland als Durchbruch der Genscher-Linie innerhalb der Bundesregierung und als Bereitschaft zur Abrüstung gefeiert wird.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Nein, tut mir leid; das ist die Aufregung.
Auch das aufgeregte Geschrei des Stahlhelm in CDU und CSU kann und soll den Eindruck erwecken, wir hätten es bei der jüngsten Entscheidung der Bundesregierung mit einem Schritt in Richtung Abrüstung zu tun. Diese Rechtsaußenriege klammert sich nicht nur an die Pershing II wie ein kleiner Bub an ein Spielzeug, sondern will mit dem aufdringlichen Gezeter insbesondere den Boden für großzügige Nachrüstungen im Falle eines Abkommens bereiten. Wir dürfen uns jetzt nicht erneut etwas vormachen lassen!
Auch bei der doppelten Null-Entscheidung der Bundesregierung kommt es nicht auf die Verpackung an, sondern auf das Kleingedruckte. Wenn wir das Kleingedruckte lesen, können wir nur feststellen: Was die Bundesregierung hier vorlegt, ist keine doppelte Null-Lösung, sondern null Lösung. Der Kern der Regierungserklärung lautet im Klartext: Rüstet ruhig alle ab; Hauptsache, ihr rührt jetzt und in Zukunft unsere 72 Atomraketen der Marke Pershing I a nicht an; Hauptsache, wir dürfen diese Raketen kurz vor Auslaufen des Atomwaffensperrvertrages auch noch umrüsten in eine Pershing II mit reduzierter Reichweite, der sogenannten Pershing I b.
({0})
Franz Josef Strauß hat einfach recht, wenn er sagt, von einer zweiten Null-Lösung könne keine Rede sein. Es ist falsch, ja geradezu eine Lüge, von einer zweiten Null-Lösung zu sprechen, weil diese Regierung bei den der Bundeswehr unterstellten Raketen keine Null-Lösung, sondern eine qualitative Aufrüstung durchsetzen will.
Der Ablauf der Ereignisse beweist, daß nicht die anderen NATO-Partner die BRD zu dieser Haltung gedrängt haben, sondern daß es genau anders herum war: Es waren die Obstruktionspolitik dieser Bundesregierung und das ständige Herumnörgeln bei ihren NATO-Verbündeten, das schließlich zur NATO-Zustimmung hinsichtlich der Exklusivausklammerung der Pershing I a geführt hat.
Noch Mitte April dieses Jahres machte der US-Außenminister Shultz seinen NATO-Partnern in Brüssel klar, daß bei einer doppelten Null-Lösung die in
der BRD befindlichen Pershing-I-a-Raketen abzubauen seien und keine neue Waffen dieser Art auf gestellt werden könnten. Nur einen Monat später legt auch die Sowjetunion in Genf die Forderung auf den Tisch, daß bei den doppelten Null-Lösungen auch die Atomsprengköpfe verschwinden müssen, die die USA für die Pershing-Raketen der Bundeswehr unter Verschluß halten.
Die gewiß nicht GRÜNEN-freundliche „Frankfurter Allgemeine Zeitung" nannte diese Forderung der Sowjetunion „nur logisch" und fuhr fort:
Die in Bonn geäußerte Ansicht, die deutschen Pershing-Raketen könnten in Genf keine Rolle spielen, weil sie weder den Amerikanern noch den Russen gehörten, hat sich damit als das erwiesen, was sie von Anfang an war: als haltlos.
In der Tat! Wenn es die Bundesregierung mit dem Atomwaffensperrvertrag und der Erklärung, auf Atomwaffen verzichten zu wollen, ernst meint, dann ist es tatsächlich haltlos, die mit amerikanischen Sprengköpfen versehenen Raketen der Bundeswehr aus der Verantwortung der USA herauszunehmen und über diese Waffen als Drittstaatenwaffen, also als Atomwaffen der Bundesrepublik, verhandeln zu lassen.
({1})
Wir betrachten es als höchstgradig alarmierend, daß nicht nur, wie bisher, die rechten Stahlhelmer, sondern auch Herr Kohl und Herr Rühe sowie Herr Genscher und seine FDP einvernehmlich für die Pershing I a den Drittstaatenstatus und damit - wie gesagt - für die BRD faktisch den Status eines Atomwaffenstaates fordern.
Wie darüber in Kreisen der Bundeswehr gedacht wird, hat gestern eine Meldung des „dpa"-Korrespondenten Friedrich Kuhn über die derzeit stattfindende 29. Kommandeurstagung der Bundeswehr beleuchtet. Ich muß sagen, als ich diese Meldung gelesen habe, ist mir fast die Luft weggeblieben. Bitte hören Sie genau hin, was hohe Militärs laut „dpa" zur Kenntnis brachten - ich zitiere - :
Auch der Vorbehalt der Bundesrepublik - so ein Tagungsteilnehmer - , die 72 Pershing-I-a-Raketen der Bundeswehr behalten zu wollen, werde nichts nützen, weil die Amerikaner durch den Besitz der Atomsprengköpfe für diese Raketen praktisch über ihren Einsatz bestimmen. Die USA würden sich bei der neuen Lage aber ziemlich zurückhalten.
Also: Die Pershing I a sind so lange wertlos, wie die USA über ihren Einsatz bestimmen. Sie sind es besonders deshalb, weil sich die USA bei der Freigabe der Atombombe - so wörtlich - ziemlich zurückhalten. Ich muß fragen: Gibt es in der Bundeswehr also Kräfte, die zum atomaren Druckknopf drängen, nicht um im Ernstfall ein Inferno aufzuhalten, sondern um es im Gegenteil zu beschleunigen?
Wir fordern die Bevölkerung dazu auf, in jeder erdenklichen Weise deutlich zu machen, daß jede Annäherung an einen Atomwaffenstatus der BRD abgelehnt wird. Wir wünschen, daß dieser Anspruch auch im Ausland, ob vom Westen oder vom Osten, entschieden zurückgewiesen wird.
({2})
Die Drittwaffenambition der Bundesregierung ist nicht nur für sich genommen unakzeptabel, sondern sie gefährdet, sie torpediert darüber hinaus den gesamten Prozeß der Verhandlungen über eine Null-Lösung. Wie fänden Sie es denn, wenn die Sowjetunion 72 Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite der Nationalen Volksarmee der DDR unterstellen und die Ausklammerung dieser Raketen aus der doppelten Null-Lösung zur Vorbedingung erheben würde? Genau diese Politik vollzieht aber die Bundesregierung nicht gegen, sondern mit einem Außenminister namens Genscher.
Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Genscher, sich entweder eindeutig gegen die Pershing-I-a-Klausel auszusprechen oder aber endlich und endgültig die Maske des Abrüstungsbefürworters abzulegen;
({3}) denn beides zusammen geht nicht.
Ich bitte die Bundesregierung um klare Worte: Will sie eine Atommacht, d. h. eine Drittwaffenmacht sein, ja oder nein? Darauf ist keine Antwort gegeben worden. Unsere Positionen hierzu sind eindeutig: Wir fordern die Abschafffung der Pershing I a und sind gegen eine Modernisierung. Sie ist bereits im Wehrplan 1986 unter dem Posten „nukleare Teilhabe" festgeschrieben worden. Wir lehnen jede Annäherung an einen bundesdeutschen Atomwaffenstatus strikt ab.
Die schrittweise Umwidmung der der Bundeswehr unterstellten Atomraketen zu Drittstaatenwaffen bestätigt die Befürchtung all derer, die hinter den Mauern der Plutoniumschmieden in Hanau und Karlsruhe und hinter der quasi-militärischen Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung bezüglich dieser Produktionsstätten strategische statt nur zivile Projekte sehen. Die Aufgabe von Wackersdorf, von Kalkar und ebenso die Schließung der Hanauer Anlagen ist für uns eine unverzichtbare Forderung und bleibt es auch weiterhin.
({4})
Um so schlimmer die Tatsache, daß eine Handvoll Sozialdemokraten zugunsten dieser Plutonium-schmiede die hessische Koalition platzen ließ!
Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN wird das Plenum am morgigen Freitag vorzeitig verlassen, um zusammen mit den Friedensinitiativen und Organisationen vor Ort die Einfahrt zu blockieren. Wir fordern alle, die Abrüstung wollen, dringend auf: Kommt auch am 13. Juni 1987 nach Bonn! Macht mit bei der Großdemonstration unter dem Motto „Atomraketen verschrotten - den ersten Schritt tun wir" !
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundespräsident sagte auf der gestrigen Kommandeurstagung: „Nicht die Bundeswehr ist ein Problem, diskussionswürdig und disHorn
kussionsbedürftig ist dagegen die Sicherheitspolitik." Was er über Militärstrategien und -doktrinen sagte, war nicht nur an die Adresse der Kommandeure gerichtet. Seine Ausführungen sind Anlaß zum Nachdenken vor allem in der Bundesregierung und auch im Parlament.
({0})
Es ist faszinierend zu sehen, wieviel Flexibilität die Sowjetführung im Bereich der Sicherheitspolitik in kürzester Zeit aufgebracht hat, und zwar im Unterschied zu Ihnen, Herr Waigel, nicht nur in Worten, sondern auch in der Praxis. Das gilt besonders für Ihre Bereitschaft zu asymmetrischen Reduktionen. Für den Mittelstreckenbereich größerer Reichweite bedeutet dies - Herr Bundeskanzler, diese Zahlen fehlten bei Ihren Ausführungen heute morgen ({1})
die Verschrottung von 1 335 sowjetischen Atomsprengköpfen gegenüber 216 Atomsprengköpfen der USA.
({2})
Dieser weit über die Problematik der Mittelstrekkenraketen hinausreichende Vorgang muß weiter ermuntert werden und darf nicht durch heimliche und dabei engstirnige Umrüstungsabsichten gefährdet werden. Die Spekulation auf die Vergeßlichkeit der Menschen, die es schon gar nicht merken würden, wenn die Pershing II durch Wegnahme einer Raketenstufe zur Pershing I b umgewandelt würden, darf keinen Erfolg haben.
({3})
Der Spruch des Bundeskanzlers „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" ist richtig, und doch ist er nur die halbe Wahrheit. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsbank, es geht bei der Abrüstung nicht nur um mehr oder weniger, sondern es geht auch um die ständige sogenannte „Verbesserung" moderner Waffen. Der Rüstungswettlauf gerade auf atomaren Gebiet ist heute wesentlich ein qualitativer Wettlauf. Das wird vom Spruch des Kanzlers nicht berücksichtigt. Die Modernisierung der Pershing I a, von der Militärexperten sagen, sie sei doch längst überfällig, wäre ebenfalls eine Fortsetzung des Wettrüstens. Die SPD lehnt diese Form des Wettrüstens ab.
({4})
Wir lehnen auch jede Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland ab, die übrigens bisher jede Bundesregierung tunlichst vermieden hat. Sie will nicht, daß die Pershing II zu einer Pershing I b gemacht wird, sie will, daß die Pershing II - ebenso wie die SS-20 - beseitigt und verschrottet werden. Der einzige Weg, dies auch auf Dauer sicherzustellen, ist eine wirkliche beiderseitige doppelte Null-Lösung.
({5})
Die Bundesregierung sagt zu Recht, daß die Sicherheit unseres Landes Maßstab für die Bewertung von Abrüstungsschritten sein muß. Dem stimme ich voll zu. Da Sicherheit aber heute nicht mehr einseitig garantiert werden kann, sondern Ergebnis beiderseitiger Bemühungen ist, sollte auch die Bundesregierung nicht einseitig und als einzige an Raketen festhalten, die andere in dieser Kategorie abschaffen.
({6})
Je näher die Aussicht auf eine Null-Lösung für Mittelstreckenraketen rückte, desto intensiver sprach die Bundesregierung - hier insbesondere der Bundesminister der Verteidigung - von Gefahren im konventionellen und chemischen Bereich. Das Ganze gipfelte dann in seiner Wortschöpfung von der Invasionsfähigkeit der Streitkräfte des Warschauer Vertrages. Wenn Begriffe noch irgendeine Aussagekraft haben sollen, dann bedeutet die dem Osten unterstellte Fähigkeit zur Invasion des Westens, daß der Warschauer Pakt nach Abwägung aller Vor- und Nachteile eines Angriffs zu dem Ergebnis kommen kann, er könne sich eine Invasion leisten, sie sei - militärisch gesehen - rational, eben weil die Fähigkeit dazu vorhanden ist.
Herr Wörner, ein noch größeres Armutszeugnis können Sie der Bundeswehr und den anderen Streitkräften unseres Bündnisses nicht ausstellen. Warum geben Sie jährlich über 50 Milliarden DM für unsere Streitkräfte aus, und warum geben die anderen NATO-Partner viele Milliarden aus, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, der anderen Seite zu signalisieren, daß eine Invasion ein extrem riskantes Unternehmen wäre, das auch scheitern kann, wenn Sie es zulassen, daß der Osten wie in ein Vakuum eindringen kann? Unter Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel war dies jedenfalls nicht möglich.
({7})
Da wurde die Bundeswehr zu einem Faktor, mit dem jeder militärische Führer auch des Warschauer Vertrages rechnen mußte. Und dazu Helmut Schmidt sehr klar:
Die Bundeswehr bildet mit den in der Bundesrepublik stationierten Truppen der Verbündeten das Rückgrat der konventionellen Verteidigung Europas. Sie ist in einem Stand, daß kein potentieller Gegner uns risikolos angreifen kann.
({8})
Meine Damen und Herren, zur Invasionsfähigkeit gehört die Gewißheit zu siegen. Diese Gewißheit konnte die andere Seite in unserer Regierungszeit zu keiner Stunde haben. Hat sich das, seitdem Sie, Herr Dr. Wörner, Verteidigungsminister sind, geändert?
({9})
Oder ist das alles nur wieder leeres Gerede, das demonstriert, wie wenig Sie die Leistungen unserer Soldaten ernst nehmen? Wenn die in der Öffentlichkeit von der Bundesregierung vorgetragenen Sorgen über die Kampfkraft der östlichen Streitkräfte ehrlich sind: Warum hat dann die Bundesregierung keinen eigenen Vorschlag im Bündnis und gegenüber dem Warschauer Pakt eingebracht mit dem Ziel, konventionelle Stabilität in dieser Region zu erreichen?
({10})
Warum gibt es nicht einmal eine Definition der Bundesregierung für konventionelle Stabilität? Es ist aus958
gerechnet der Osten, der auch für die konventionelle Ebene Abrüstungsvorschläge macht und nicht etwa wir, die wir ein so vitales Interesse daran haben. Das weckt den Verdacht, daß die Bundesregierung zumindest über den Weg der Abrüstung konventionelle Stabilität gar nicht anstrebt.
Es ist leicht und sehr billig, an Vorschlägen anderer herumzukritisieren, wenn man selbst keine macht und keine hat.
({11})
Anstatt dem Warschauer Pakt vorzuwerfen, seine Abrüstungserklärungen seien nicht neu oder nicht ausreichend oder nicht gleichgewichtig, sollte doch die Bundesregierung endlich eigene Vorschläge auf den Tisch legen.
({12})
Verteidigungsminister Wörner mußte jedoch am 29. Mai, d. h. vor wenigen Tagen, auf die Frage nach konkreten Überlegungen zu konventioneller Abrüstung zugeben: „Nein, konkrete Überlegungen haben wir noch nicht. Das wird in den Spezialgremien besprochen." Na, prost Neujahr!
({13})
Meine Damen und Herren, fehlende konkrete Überlegungen der Bundesregierung, das gilt auch für die chemischen Rüstungen und für die taktischen Atomwaffen. Nur mit dem Finger darauf zeigen und sagen: „Das sind Probleme, die gelöst werden müssen, bevor wir den ersten Schritt zur Abrüstung tun", das reicht nicht. Die Bundesregierung hatte durchaus Gelegenheit, die sehr spezifische Bedrohung in der Mitte Europas durch chemische Waffen zu beseitigen. Ihr wurde von der DDR und der CSSR der Vorschlag einer chemiewaffenfreien Zone unterbreitet.
({14})
Er wurde arrogant mit dem Hinweis beiseite gewischt, eine globale Vernichtung der chemischen Waffen sei viel besser. Natürlich ist sie besser. Aber solange es sie nicht gibt, darf das Ringen um eine weltweite Ächtung chemischer Kampfstoffe doch nicht zum Vorwand zur Tatenlosigkeit dort gemacht werden, wo heute schon die drastische Reduzierung der Risiken chemischer Rüstungen möglich ist.
({15})
Eine chemiewaffenfreie Zone in Europa würde die chemischen Waffen aus dem einzigen im Ost-West-Verhältnis vorstellbaren Gefechtsfeld entfernen. Sich diesen Gewinn an Sicherheit entgehen zu lassen, ist einfach vernunftwidrig.
({16})
- Frau Kollegin Fuchs, ich kann nicht widersprechen.
Auch für die Problematik der Atomwaffen kurzer Reichweite und für die atomaren Gefechtsfeldwaffen sind der Bundesregierung Lösungen vorgeschlagen worden, die sie nicht einmal geprüft hat. Sonst hätte sie wenigstens noch einmal nachgefragt, wie es denn mit dem atomwaffenfreien Korridor bestellt ist, was es auf sich hat. Es geht darum, daß durch diesen Korridor Atomwaffen aus der Region entfernt werden, in der allein sie militärisch einsetzbar wären. Der Korridor ist nicht so gut wie eine beiderseitige Null-Lösung auch für diese Waffenkategorie. Aber solange es sie nicht gibt, bildet er eine wirksame Ergänzung zur Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen.
({17})
Die Bundesregierung hält den Vorschlag der weltweiten Beseitigung der Mittelstreckenraketen vor allem für ein Ergebnis des NATO-Doppelbeschlusses. Ich war auch ein Befürworter dieses Beschlusses. Aber ich bin durch ihn nicht realitätsblind geworden. Es ist Realitätsblindheit, wenn man nicht sieht oder nicht sehen will, daß die innenpolitisch motivierten Wandlungen in der sowjetischen Haltung den Ausschlag für die jetzige günstigere Situation gegeben haben, Herr Kollege Ronneburger. Oder wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten schon zur Zeit des Doppelbeschlusses im Jahre 1979 gewußt, daß nach Breschnew Andropow, danach Tschernenko und dann Gorbatschow kommt, der sich den Umbau seiner Gesellschaft zum Ziel gesetzt hat und neues Denken auch in der Außenpolitik verwirklichen will? Das, was sich auf dem militärstrategischen Sektor vollzieht, ist nur ein Segment aus einem umfassenden Veränderungsprozeß; das muß gesehen werden.
({18})
Die Sowjetunion will einen Erfolg ebenso wie die amerikanische Regierung; das ist ausschlaggebend. Demgegenüber wirkt der Hinweis auf den Doppelbeschluß rechthaberisch und kleinkariert.
Es ist zu hoffen, daß sich insbesondere die Vereinigten Staaten über die Hürden hinwegsetzen, die die Bundesregierung - wenn auch inzwischen kleinlauter - aufgebaut hat.
({19})
Für die SPD steht fest: Wir wollen die Abschaffung von Mittelstreckenwaffen der Reichweiten von 500 bis 5 000 Kilometer. Wir werden keine Umrüstungen, keine Aufrüstungen in anderen Atomwaffenkategorien dulden.
Vielen Dank.
({20})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Unsere wichtigste Aufgabe - und das sollten wir nicht aus dem Auge verlieren - bleibt es, die Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit unserer Bürger in der Bundesrepublik Deutschland - ich sage: die Sicherheit aller Deutschen - , die Sicherheit aller Europäer zu verbessern.
Und wir haben ein ganz klares Ziel. Unser Ziel heißt ein stabilerer Frieden. Alles, was den Frieden stabiler macht, alles, was ihn sicher macht, ist gut für die Menschen unseres Landes, und alles, was ihn schwächt, ist schlecht für die Menschen unseres Landes. Und es kann doch unter vernünftigen Menschen keinen Zweifel geben: Wenn ich Sicherheit durch Abrüstung herstellen kann, dann ziehe ich das der Sicherheit durch Aufrüstung vor, auch und gerade als Verteidigungsminister. Meine Damen und Herren, es mag ja in gewissen Kreisen ein sehr populäres Klischee sein, uns oder den Verteidigungsminister als einen Atomwaffenfanatiker oder Raketenfetischisten darzustellen.
({0})
Nehmen Sie eines zur Kenntnis: Niemand weiß besser als ich, wie schrecklich und verheerend solche Waffen sind. Und wenn ich ein Ziel habe, dann das: den Einsatz dieser Waffen für immer zu verhindern, meine Damen und Herren, allerdings auch der konventionellen Waffen.
({1})
Wir haben keine Angst vor Abrüstung. Wir haben die Abrüstung eigentlich erst möglich gemacht.
({2})
- Ja, ich verstehe, lieber Herr Jungmann, die Lage, in der Sie sind.
({3})
Wären wir Ihren Ratschlägen gefolgt, hätten wir den Doppelbeschluß nicht vollzogen, hätten wir nicht nachgerüstet, dann gäbe es jetzt kein Angebot zur Null-Lösung, meine Damen und Herren.
({4})
Wir haben doch lange verhandelt, wir haben an die Sowjetunion appelliert - Sie doch auch -,
({5})
sie solle mit ihrer SS-20-Stationierung aufhören.
({6})
Sie hat das nicht getan. Ein Angebot zur Null-Lösung kam erst auf den Tisch, als wir etwas anzubieten hatten. Sie können sich drehen und wenden: Wären wir den Demonstranten, wären wir der SPD gefolgt, dann hätten wir heute keine Chance zur Abrüstung. Das ist unsere Chance, meine Damen und Herren.
({7})
Meine Damen und Herren, dann stellt sich der Herr Mechtersheimer hier hin - auch noch eine andere Kollegin aus dem Deutschen Bundestag - und appelliert an die Leute draußen, sie sollten jetzt gegen die Pershing I a demonstrieren und die Pershing I a blokkieren. Lieber Herr Mechtersheimer, warum eigentlich höre ich von Ihnen keinen Ton dazu, daß die
Sowjetunion, obwohl eine globale Null-Lösung verabredet war, plötzlich 100 ihrer SS 20 behalten soll? Wann endlich kommen Sie auf die Idee, dagegen zu demonstrieren, auch hier in der Bundesrepublik Deutschland, daß die Sowjets eben nicht bereit sind, die Null-Lösung global durchzuführen, wie wir das wollen, meine Damen und Herren?
({8})
Statt dessen blockieren Sie die deutschen Pershing I a.
Frau Fuchs, wenn ich von Ihnen höre - einmal abgesehen von den Schreckgespenstern, die Sie da gezeichnet haben; es entspricht Ihrem Stil, Sie mußten sich schon mehrfach widerrufen -,
({9})
daß Sie die Pershing I a als eine Waffe bezeichnen, die zeige, daß wir auf dem Weg zum Atomstaat seien, dann kann ich nur sagen: Unter Ihrer Verantwortung, unter der Verantwortung Ihrer Bundeskanzler und Ihrer Verteidigungsminister
({10})
stand die Pershing I a auch da. Sie haben sogar im Bundessicherheitsrat mehrfach darüber diskutiert, ob und wann sie zu modernisieren sei. Dann können Sie doch nicht sagen, wir seien jetzt auf dem Weg zum Atomstaat. Das waren Sie dann auch, meine Damen und Herren.
({11})
Wir wollen keine Atommacht werden, und wir sind keine.
Ich sage noch einmal: Uns braucht man nicht zur Abrüstung zu drängen.
({12})
Wir haben 2 400 Nuklearwaffen - mehr als im Augenblick in Verhandlung stehen - einseitig abgerüstet.
({13})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe nur wenig Zeit.
Wir haben kein Feindbild, und wir brauchen kein Feindbild. Wenn Gorbatschow die sowjetische Außenpolitik wirklich und einschneidend ändern will, dann kann er nicht nur unserer Sympathie, sondern auch unserer Unterstützung sicher sein. Unsere Politik ist auf Zusammenarbeit, auf Verständigung und auf Dialog gerichtet. Konfrontation betreiben andere. Wir haben der Gewalt als Mittel der Politik abgeschworen, alle in der Bundesrepublik Deutschland. Wir bedrohen niemanden. Wir wollen, daß alle Menschen und
alle Völker in Frieden leben und sich an der Freiheit erfreuen können.
({0})
Herr Bundesminister, geht es?
Nein, ich hatte bereits gesagt, daß es die Zeit nicht erlaubt.
Das gilt generell.
Wenn Gorbatschow den Weg zu einer friedlicheren und freiheitlicheren Welt gehen will, wenn er dem sowjetischen Expansionismus abschwört, wenn er die Sowjetunion öffnen will, dann findet er in uns Partner, die zur Zusammenarbeit auf allen Gebieten bereit sind und ihm diesen Weg erleichtern. Nur, wir können an gewissen Fakten nicht vorübergehen, auch wenn einige darüber nicht mehr reden.
Nach wie vor rüstet die Sowjetunion auf, auch und gerade unter Gorbatschow. Bis jetzt hat sie keine Waffe abgeräumt; wir haben das getan. Sie hat weit mehr Waffen, als sie braucht; wir haben das Minimum dessen, was wir brauchen.
({0})
Die historische und fortdauernde Ursache der regionalen Nuklearbewaffnung der NATO in Europa - das darf man eben nicht leugnen und nicht wegreden - ist die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes. Warum sagen Sie dazu nichts? Die Sowjetunion verfügt im Bereich konventioneller Waffen über ein erdrückendes Übergewicht. Allein in Mitteleuropa bis zum heutigen Tag hat der Warschauer Pakt einen Überhang von 16 000 Panzern, von 29 000 gepanzerten Kampffahrzeugen, von 15 000 Geschützen, von 1 500 Flugzeugen und 870 Kampfhubschraubern. Der Bundeskanzler hat das Weißbuch der SPD-Regierung zitiert.
({1})
Da kann ich nur sagen: Es ist an der Zeit, daß wir endlich dafür sorgen und daß Sie darauf drängen, daß die Sowjetunion von diesem Übergewicht heruntergeht und sich genau wie wir auf Verteidigung beschränkt
({2})
und ihre Militärdoktrin wie wir ausschließlich defensiv anlegt. Dann, und erst dann wäre Europa sicherer, meine Damen und Herren.
({3})
Im übrigen, wir dürfen nicht daran vorbei: Nach wie vor führen die Sowjets einen Krieg in Afghanistan.
Nach wie vor enthalten die Sowjets den Völkern Osteuropas und auch dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht vor. Nach wie vor wird dort die Freiheit von Menschen unterdrückt. Sehen Sie, das ist der Grund, warum wir auf unsere Verteidigung und auf unsere Strategie der Kriegsverhinderung nicht verzichten können. Der Kollege Genscher hat das gesagt: Diese Strategie ist defensiv, sie ist rein auf Verteidigung abgestellt, es gibt zu ihr keine Alternative. Das haben alle Verbündeten einvernehmlich dargestellt. Daher ist es unser Interesse, das Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Sicherheit Europas, daß wir diese Strategie der Kriegsverhinderung wirksam halten. Ich sage das an die Adresse derer, die das in letzter Zeit bezweifeln, auch an die Adresse von Willy Brandt: Nicht die Abschreckungsdoktrin ist ins Abseits geraten, ins Abseits geraten ist eine Politik, die Wunsch und Wirklichkeit verwechselt.
({4})
Meine Damen und Herren, wir waren nie in der Versuchung, Atomwaffen zu bagatellisieren, aber ein anderes ist eben auch wahr: Spätestens seit es diese Waffen gibt, hat jeder Krieg seinen Sinn verloren. War früher Strategie die Kunst der Kriegsführung, so ist heute Strategie die Kunst der Kriegsverhinderung.
({5})
Nuklearwaffen sind nicht Waffen der Kriegsführung, Nuklearwaffen sind Waffen der Kriegsverhinderung. Dieser Tatsache ist es - ich glaube sogar ganz entscheidend - mit zu danken, daß unser Land, daß dieses Europa vierzig Jahre vom Krieg verschont blieb, während rings um uns 140 Kriege geführt wurden.
Auch das muß man in diesen Tagen in Erinnerung rufen, auch wenn es viele nicht mehr hören wollen: Die Geschichte der Staaten ist leider Gottes zu einem guten Teil Kriegsgeschichte. Kriege brachen aus und wurden mit oft gewaltigen Verheerungen im klassischen Zeitalter der konventionellen Waffen geführt, und dieses Zeitalter ging spätestens 1945 zu Ende. Was heißt das? Konventionelle Kräfteverhältnisse allein haben Kriege nicht zu verhindern vermocht. Es ist eine schreckliche Wirklichkeit, unter der wir alle leiden. Alle Kriege wurden bei unterschiedlichen Kräfteverhältnissen zwischen konventionell bewaffneten Armeen und Flotten geführt.
Jetzt ist doch unser aller Aufgabe, eine Sicherheitsstruktur in Europa aufzubauen, in der Kriege nicht mehr geführt werden können, und zwar weder nukleare noch konventionelle.
({6})
Deshalb würde eine Rüstungskontrollpolitik, die nur auf eine völlige Beseitigung der Kernwaffen abzielte, nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Sicherheit bewirken. Sie würde Kriege wieder führbar machen, und damit würde Krieg in Europa mit modernen konventionellen Waffen als Mittel einer expansiven Politik wieder vorstellbar. Das ist der Grundgedanke, meine Damen und Herren, den man gerade in einer solchen Situation und in einer solchen Debatte vortragen muß. Der Grundgedanke unserer AbrüstungsBundesminister Dr. Wörner
politik, unserer Sicherheitspolitik ist, Waffen auf allen Ebenen zu reduzieren, auf das Minimum herunterzufahren, das wir brauchen, um den Frieden dauerhaft zu sichern, um jedem zu zeigen, es macht keinen Sinn, einen Angriff zu planen, weder einen nuklearen noch einen konventionellen.
Alle diejenigen, die uns dazu drängen, auf nukleare Abschreckung zu verzichten und uns von der Abschirmung durch Kernwaffen in Europa zu entblößen, verkennen die Realitäten der Geographie, der Militärmacht, der Politik und damit des Friedens wie des Krieges. Sie überschätzen die Wirkung der Worte und Friedensideale, und sie mißachten die historische Erfahrung. Darum kann eine wirklichkeitsnahe und zukunftsträchtige Friedenspolitik auch auf bewaffnete Friedenssicherung nicht verzichten. Sie bedarf in unserer Lage noch immer ausreichender, auch nuklearer Abschreckungsmittel, die das Gebiet eines Angreifers erreichen könnten, um sein Erfolgsrisikokalkül in der Krise zuverlässig gegen den Entschluß zum Kriege beeinflussen zu können.
Wir müssen unseren Mitbürgern sagen - dazu muß man den Mut aufbringen, auch heute noch -, daß der Friede nicht allein mit gutem Willen zu sichern ist,
({7})
nicht allein mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit - die haben wir -, nicht allein mit der Bereitschaft zur Abrüstung - die haben wir - , sondern daß dazu auch eine sichere Verteidigung gehört.
Wenn die sowjetische und allgemein die östliche Überlegenheit an konventionellen Streitkräften einmal zusammen mit den chemischen Kampfmitteln zuverlässig beseitigt wären, könnten wir die Zahl der noch verbleibenden Kernwaffen in Europa auf beiden Seiten weiter verringern, allerdings auf gemeinsame niedrigste Obergrenzen. Eine atomwaffenfreie Welt, fürchte ich, ist Illusion, eine gefährliche dazu. Das hat Kissinger, das hat die britische Premierministerin zu recht immer wieder gesagt.
Ein atomwaffenfreier Korridor - und das sage ich an die Adresse der Opposition - oder ein chemiewaffenfreier Korridor würde nicht unsere Sicherheit verbessern, sondern würde unsere Sicherheit verschlechtern.
({8})
Alles also kommt darauf an, Sicherheitsstrukturen zu bauen, die die Zahl der Nuklearwaffen auf ein beiderseitiges Minimum beschränken und deren Einsatz dauerhaft ausschließen.
Daher ist die Frage nicht die nach dem Ob der Abrüstung. Diese Frage ist eindeutig beantwortet. Wir alle wollen beiderseitige kontrollierte Abrüstung. Die Frage ist: Wie muß abgerüstet werden, damit unser Land sicher bleibt und unsere Bürger davon ausgehen können, daß ein Krieg nie wieder ausbricht?
Dreißig Jahre und länger - und da sollten auch Sie von der Opposition zustimmen - haben deutsche Regierungen, und zwar unabhängig davon, ob sie von der CDU oder der SPD geführt wurden, dafür gekämpft, daß niemand glauben könne, Kriege in Europa könnten geführt und auf Europa begrenzt werden. Und dabei muß es bleiben, meine Damen und Herren.
Das aber ist nur so lange ausgeschlossen, wie ein potentieller Angreifer nicht davon ausgehen kann, daß sein Territorium verschont bleiben, also zum Sanktuarium werden könne. Es ist unser ureigenstes Interesse - auch Ihr Interesse müßte das sein - , daß nicht nur Raketen oder Waffen übrigbleiben, die Deutsche und nur Deutsche treffen würden.
Deswegen darf die nukleare Bewaffnung der NATO in Europa nicht auf Gefechtsfeldwaffen beschränkt werden. Schließlich ist es unser Interesse, den Anreiz für die Sowjets zu erhalten, ihre konventionelle Überlegenheit und ihre Überlegenheit im Bereich der kürzeren Nuklearwaffen von 0 bis 500 km Reichweite abzubauen. Wie anders wollten wir nach den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, mit Aussicht auf Erfolg verhandeln, wenn wir nichts mehr anzubieten hätten, meine Damen und Herren?
({9})
Daher hat es keineswegs nur formale Gründe, wenn die deutsche Pershing I a aus den Verhandlungen der beiden Supermächte ausgeklammert bleiben soll. Das ist eine amerikanische Verhandlungsposition, die vom Bündnis getragen wird.
Ich sage wieder an die Adresse der GRÜNEN, die mit solcher Leidenschaft gegen diese Position des Bündnisses antreten: Im Bereich unter 500 km - und das sage ich insbesondere der Dame von den Grünen, die gerade gesprochen hat - hat die Sowjetunion 1 365 Raketen, im Bereich zwischen 150 und 500 km hat sie 650 Raketen, denen der Westen nicht eine einzige gegenüberzustellen hat. Warum erregen Sie sich eigentlich nicht über diese Raketen, die unser Land bedrohen, und wollen nur auf die deutsche Pershing I a hinaus?
({10})
Das zeigt doch wirklich, daß es Ihnen nicht um die Sicherheit unserer Bürger, sondern um Illusionen und Ideologie geht, meine Damen und Herren.
({11})
Hören Sie doch endlich auf, blind zu sein gegenüber den eigentlichen Bedrohungen, denen unser Land ausgesetzt ist. Und die kommen nicht vom Westen, sondern die kommen immer noch von der Sowjetunion.
({12})
Eine letzte Bemerkung: Abrüstung und Rüstung können das Problem unserer Sicherheit nicht allein
und auch nicht grundsätzlich lösen. Reduzieren wir also das Ost-West-Verhältnis nicht auf Fragen der Waffen und der Soldaten. Waffen und Soldaten sind nicht die Ursache, sie sind viel eher die Folge von Spannungen.
Der Kollege Waigel hat zu Recht darauf hingewiesen, und ich möchte das zum Schluß dieser Debatte noch einmal tun: Die Spannungen rühren her von der Verletzung der Menschenrechte. Die Spannungen rühren her von der widernatürlichen Teilung Europas. Die Spannungen rühren her von denen, die Mauern und Stacheldraht bauen, anstatt die Menschen zueinander zu führen.
({13})
Die Spannungen rühren her von der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts. Daher brauchen wir ein umfassendes Konzept für die Gestaltung der Ost-West-Beziehungen, ein Konzept, das mehr Freiheit, mehr Durchlässigkeit, mehr Menschenrecht ermöglicht, das von außenpolitischer Zurückhaltung beider Supermächte ausgeht, das die Krisenherde dieser Welt einzudämmen und nicht auszubeuten versucht und das friedlicher Konfliktschlichtung den Vorzug vor militärischer Gewaltanwendung oder der Drohung mit militärischer Gewalt gibt.
An die Adresse des sowjetischen Generalsekretärs sage ich: Herr Gorbatschow könnte Europa dauerhaft von Spannungen befreien, er könnte seinem eigenen Land enorme Entwicklungschancen eröffnen, er könnte in einem freien und selbstbestimmten Europa einen dauerhaften, freundschaftlich verbundenen und auf Zusammenarbeit ausgerichteten Partner finden, wenn er bereit wäre, Freiheit und Menschenrechte, Selbstbestimmung und freien Austausch einzuräumen und möglich zu machen. Dann, meine Damen und Herren, träte die Bedeutung der Waffenarsenale zurück.
Ich schließe, nachdem Sie, lieber Herr Kollege Horn, den Bundespräsidenten von Weizsäcker mit seiner Ansprache auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr zitiert haben, mit einem Zitat aus dieser Rede, die ich angehört habe
({14})
und der ich zustimme. Da heißt es:
Eben deshalb dürfen und werden wir gerade auch in Zeiten konstruktiver Ost-West-Beziehungen unsere Verteidigung nicht vernachlässigen. Wer sich nicht mehr verteidigen kann, ist nicht mehr politikfähig, sondern im besten Falle ein einflußloses Leichtgewicht,
({15})
wahrscheinlich aber über kurz oder lang ein Objekt für politischen Druck. Deshalb gehört zum disziplinierten Denken und zum verantwortlichen Handeln in unserer Freiheit sowohl ihr eindeutiger Schutz durch Wehrbereitschaft als auch eine ebenso unzweideutige Politik der Verständigung.
Damit hat er das zum Ausdruck gebracht, was Leitlinie unserer Politik ist und bleibt: eine gesicherte Verteidigung, auf deren Grundlage wir die Hand zur Versöhnung, zum Ausgleich und zur Verständigung ausstrecken, auf der Basis von Menschenrechten und mehr Freiheit für alle Menschen. Wir wollen eine Struktur des Friedens, aber eine Struktur des Friedens, die auch eine Struktur der Freiheit ist.
Schönen Dank.
({16})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat wird nach den drei namentlichen Abstimmungen, die jetzt folgen werden, tagen.
Wir kommen zur Abstimmung über die drei vorliegenden Entschließungsanträge. Es ist in allen drei Fällen namentliche Abstimmung beantragt worden. Wir stimmen zuerst über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/405 ab. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die Abstimmung.
Wünscht noch ein Mitglied des Hauses die Stimme abzugeben?
Meine Damen und Herren, letzter Aufruf. - Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.*)
Das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Scheu zu dem Abstimmungsvorgang, der jetzt abgeschlossen worden ist.
Herr Abgeordneter Scheu, bitte beginnen Sie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entschließungsantrag nach gewissenhafter Prüfung leider nicht zustimmen können.
Erstens. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme kommt es bei den weiterreichenden Mittelstreckenflugkörpern offenbar zu keiner weltweiten „Null"-Lösung. Noch am 15. Mai 1987 hat die Nukleare Planungsgruppe der NATO - einschließlich des amerikanischen Verteidigungsministers - gefordert, „alle" Flugkörper dieser Gattung „weltweit" zu verschrotten. Auch die FDP hatte - so Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher noch am 22. Mai hier im Deutschen Bundestag - die „weltweite Gültigkeit" der Null-Lösung als „sehr wichtig" bezeichnet. Das sollte der Schlüssel sein, die Tür zu weiteren Schritten zu öffnen.
Zweitens. Nach Berichten vom 2. Juni hat sich US-Präsident Reagan über diesen Beschluß des Bündnisses jedoch hinweggesetzt und den Sowjets in Genf zugestanden, 100 Flugkörper des Typs SS-20 in Asien östlich des Urals zu behalten. Wegen ihrer Reichweite und Mobilität wird unsere Heimat aber auch durch die in den Osten verlegte SS-20 bedroht. Außerdem, wie könnten wir die Sowjets hindern, diese Raketen bei Gelegenheit wieder nach Westen zu verlegen?
*) Ergebnis Seite 976 A
Drittens. Abgesehen davon, daß ich damit praktisch den NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 teilweise relativiert sehe - Anfang 1979 hatten die Sowjets gerade 100 SS-20 aufgestellt - , war für mich ausschlaggebend, daß die auf den Kurs des Außenministers eingeschwenkte Regierung
({0})
auch darüber hinausgehende atomare Abrüstung bejaht, ohne eindeutig und unverzichtbar Vereinbarungen zu fordern, daß die Sowjetunion vorher ihr konventionelles Übergewicht abbaut. Die FDP lehnt ein solches Junktim ausdrücklich ab. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat festgestellt, daß die konventionelle Aufrüstung der Roten Armee auch unter Gorbatschow unverändert weitergeht. Da es zum Marxismus/Leninismus gehören kann, gegebenenfalls zu täuschen, müssen wir wenigstens auf einer Vorsorge dieser Art für den Fall bestehen, daß dem Westen eine Falle gestellt werden sollte. Ich bejahe Vertrauen in - wenn auch veränderliche - Motive. Aber Vertrauen ersetzt nicht Vorsicht angesichts der Welt der Fakten; eine ebenso' oft bestätigte wie verdrängte Lehre der Geschichte. Es geht nicht um Freiheit o der Leben, es geht um erfülltes Leben i n Freiheit.
Viertens. Hinzu kommt, daß nach wie vor nicht geklärt scheint, ob und wie lange die 72 deutschen Pershing I a nuklear einsatzfähig gehalten werden und daß Forderungen im Raume stehen, in der Bundesrepublik zum Ausgleich zusätzliche NATO-Flugkörper kürzerer Reichweite aufzustellen sowie die Bundeswehr konventionell zu verstärken. Beides wäre für mich im deutschen Interesse nicht annehmbar. Deutschland darf nicht zu einer - für den Fall des Falles gedachten - , wie der offizielle Ausdruck heißt, „Brandmauer" werden, während sich die anderen aus der atomaren Bedrohung herauszuziehen suchen. Franz Josef Strauß hat diese Bedenken klar zum Ausdruck gebracht. Sie wiegen für mich so schwer, daß es nötig war, durch mein Abstimmungsverhalten ein Signal zu setzen.
({1})
Wenn es denn für die Genfer Mächte in einer für die Bundesrepublik, die hier das unmittelbarste Risiko trägt, hochwichtigen Frage auf meine Stimme offenbar gar nicht ankommt, so sehe ich mich auch nicht veranlaßt, mich dazu noch so oder so zu äußern. Deshalb habe ich mich, sosehr ich die Argumente der Führung meiner Fraktion verstehe und achte, entschieden, mich der Stimme zu enthalten.
Ich danke Ihnen.
Wir kommen zur nächsten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/409.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sich an der Abstimmung beteiligen will? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die zweite namentliche Abstimmung. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.*)
*) Ergebnis Seite 977 C
Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten namentlichen Abstimmung. Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/412 namentlich ab.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung:
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied im Saal, das die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Dies ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, letzter Aufruf zur Beteiligung an der namentlichen Abstimmung. Ist noch ein Mitglied im Hause, das sich an der Abstimmung beteiligen will? - Dies scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir haben eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten, die noch zu behandeln sind, und auch noch einen Geschäftsordnungsantrag, über den zu entscheiden ist. ({0})
- Was haben Sie nicht gehört, Frau Kollegin?
({1})
- Ja, will sich denn noch jemand an der Abstimmung beteiligen?
({2})
- Warum tun Sie das nicht, ich habe doch so deutlich gesprochen.
({3})
- Über die Deutlichkeit meiner Aussprache hat sich noch niemand beschwert, die ist aktenkundig.
({4})
- Auch dem Inhalt nach, Herr Abgeordneter Duve, nicht nur nach der Akustik bin ich immer eindeutig.
Es gibt also hier Verstopfungserscheinungen, und zwar an den Schränkchen, in denen die Karten sind. Ich nehme an, daß das Haus keine Einwendungen hat, wenn ich aus diesen Gründen von der Dispens Gebrauch mache, die Abstimmung wieder eröffne und die drei Mitglieder des Hauses bitte, sich jetzt aber an die Urne zu begeben. Wenn sie schon draußen sind, geben Sie die Stimmkarten dort ab. Sie haben die Zustimmung des Hauses. Aber damit ist die Abstimmung endgültig geschlossen.' )
Meine Damen und Herren, da noch kein Abstimmungsergebnis vorliegt, fahren wir in der Tagesordnung fort, und ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
*) Ergebnis Seite 979 A
Vizepräsident Stücklen
Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
- Drucksache 11/281 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zunächst darf ich die Damen und Herren, die noch da sind, bitten, sich bequem niederzulassen, damit ich ungefähr weiß, wie die Abstimmungsverhältnisse sind, wenn wir jetzt Abstimmungen durchführen.
Eine Aussprache ist zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in München-Neuhausen gemäß § 64 Abs. 2 BHO
- Drucksache 11/252 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrages an den Haushaltsausschuß vor. Haben Sie noch zusätzliche Wünsche?
({5})
- Bitte schön, Sie können das durch Zuruf deutlich machen, und ich lasse dann darüber abstimmen.
({6})
- Sie möchten gern noch das Wort? Bitte schön, selbstverständlich.
({7})
- Sicher, diese Konsequenz haben wir als Präzedenzfall schon einmal gehabt.
Bitte sehr.
Ich möchte kurz begründen, warum die Vorlage nach unserer Auffassung auch an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden soll.
Bei dem Grundstück handelt es sich um das Columbia-Hotel in München-Neuhausen. Es gibt in München eine parteiübergreifende Initiative, eine Initiative auch im Münchener Stadtrat einschließlich CSU-Stadträte, die beabsichtigt, in diesem Columbia-Hotel u. a. ein stadtteilbezogenes Zentrum - Jugendzentrum und ähnliches - einzurichten. Es ist vielleicht bekannt, daß sich auch die Stadt München um das Grundstück beworben hat, allerdings keinen so hohen Preis geboten hat. Sie würde jetzt auch versuchen, dieses Grundstück auf Pachtbasis zu erwerben. Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, in diesem Stadtteil Neuhausen überhaupt etwas für München zu schaffen.
Wenn dieses Grundstück nun wie vorgesehen verkauft wird, ist diese Möglichkeit genommen. Es muß in dem Zusammenhang einfach geprüft werden, ob nicht der Bund eine andere stadtteilpolitische Nutzung zuläßt, zumal es Papiere des Münchener Sozialreferenten gibt, die eindeutig feststellen, daß in München ein weiterer Bedarf an neuen Altenwohnheimen derzeit nicht besteht.
Aus diesem Grunde hat das Ganze schon eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung des Münchener Stadtteils Neuhausen, und ich bitte darum, daß das dann eben auch in dem dafür kompetenten Ausschuß mit geprüft wird, und das ist der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Es liegt also ein Zusatzantrag vor. Dazu der Herr Abgeordnete Bohl, bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein so wichtiger Antrag, daß im Rahmen einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion darüber beraten werden muß. Ich bitte also die Sitzung zu unterbrechen, um der Fraktion der CDU/CSU Gelegenheit zu internen Beratungen zu geben.
Herr Abgeordneter Bohl, wenn von einer Fraktion die Unterbrechung der Sitzung gewünscht wird, wird dem im allgemeinen entsprochen.
({0})
Das heißt, die Abwicklung der Tagesordnung wird jetzt unterbrochen. Wann werden Sie denn bereit sein, über diese Fragen wieder zu verhandeln?
Herr Präsident, das steht zunächst in Ihrem Ermessen. Ich würde vorschlagen, daß wir das nach Beendigung der Mittagspause tun; dann haben wir Gelegenheit, während der Mittagspause darüber zu beraten.
Das ist ein fairer Vorschlag, der auch zeitlich durchführbar ist.
Ich unterbreche also die Sitzung auf Wunsch der Fraktion der CDU/CSU. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
({0})
- Automatisch nach der Fragestunde und der Aktuellen Stunde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/375 Ich brauche den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen nicht mehr aufzurufen, weil der Fragesteller Sellin seine beiden Fragen 37 und 38 zurückgezogen hat.
Es ist auch nicht notwendig, den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung aufzurufen, weil die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Ronneburger auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Verheugen auf :
Trifft es zu, daß Bundesminister Dr. Schäuble dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Strauß versichert hat, dessen Äußerungen in seinem Glückwunschtelegramm an den südafrikanischen Präsidenten Botha stünden im Rahmen der gemeinsamen Politik, wie ebenfalls unter Berufung auf Ministerpräsident Strauß am 18. Mai 1987 von der Deutschen Presse Agentur ({0}) gemeldet wurde?
Herr Präsident, wenn der Fragesteller damit einverstanden ist, würde ich gerne die Frage 8 und die Frage 82 zusammen beantworten, weil sie im Zusammenhang stehen.
Keine Einwendungen? - Dann rufe ich auch noch die Frage 82 des Abgeordneten Verheugen auf:
Trifft es zu, daß der vom Staatsminister im Auswärtigen Amt, Schäfer, kritisierte Glückwunsch des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Strauß an den südafrikanischen Präsidenten Botha in voller Übereinstimmung mit der Bundesregierung erfolgt ist, wie am Dienstag, dem 19. Mai 1987, unter Berufung auf den bayerischen Ministerpräsidenten u. a. in der „Süddeutschen Zeitung" und im „Bonner General-Anzeiger" berichtet wird?
Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 18. März 1987 darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern und westlichen Verbündeten auch künftig dafür eintreten werde, daß in Südafrika Apartheid und Rassendiskriminierung mit friedlichen Mitteln überwunden und die Menschenrechte allen Bürgern dieses Landes in gleicher Weise gewährt werden. In diesem Zusammenhang appelliert die Bundesregierung an alle Beteiligten, den friedlichen Weg des Dialogs zu gehen. Der Bundeskanzler hat dabei seine Bereitschaft erklärt, diesen Dialog nach Kräften zu fördern. Die Bundesregierung wird dazu alle Kontaktmöglichkeiten, insbesondere auch die des bayerischen Ministerpräsidenten zu Staatspräsident Botha, nutzen. Das war auch Gegenstand des Telefongesprächs.
Eine Zusatzfrage, Herr Verheugen.
Herr Staatsminister, meine Frage war, ob es zutrifft, daß die von Herrn Ministerpräsident Strauß ausgesprochenen Glückwünsche nach Darstellung von Herrn Bundesminister Schäuble in Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung stehen. Ich würde Sie bitten, diese Frage zu beantworten.
Herr Kollege, die Politik der Bundesregierung ist in der Regierungserklärung dargelegt und sagt, daß alle Kontaktmöglichkeiten, auch die, die der bayerische Ministerpräsident hat, genutzt werden sollen. Im Rahmen solcher Kontaktmöglichkeiten gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie man miteinander in Verbindung tritt.
Eine Zusatzfrage, Herr Verheugen.
Darf ich Sie dann fragen, warum die Bundesregierung es ihrerseits unterlassen hatte, dem Präsidenten Botha zu seinem Wahlsieg zu gratulieren.
Herr Kollege, es war die Rede von den besonderen Kontaktmöglichkeiten des bayerischen Ministerpräsidenten, nicht von den Kontaktmöglichkeiten der Bundesregierung, die diese übrigens zu allen Kräften in Südafrika nutzt, wie Sie wissen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Verheugen?
Danke schön, es hat keinen Zweck.
Dann ist der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes damit schon beendet. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, das Rabattgesetz zu novellieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Marschewski vom 12. Mai 1987 erklärt, daß sie derzeit nicht die Möglichkeit sieht, ihre Initiative von 1984 zu einer substantiellen Auflockerung des Rabattverbotes wieder aufzunehmen. Ausschlaggebend dafür ist der fortdauernde Widerstand vor allem aus dem Bereich der Handelsverbände, aber auch die Unsicherheit darüber, ob der Bundesrat einem derartigen Gesetzentwurf zustimmen würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch meiner Auffassung, daß das Rabattgesetz, das ja 1932 vom Reichstag erörtert und dann in Kraft gesetzt worden ist, überhaupt nicht mehr den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen und den Strukturen entspricht, mit denen wir es heute im Einzelhandelsbereich zu tun haben?
Herr Abgeordneter, ich stimme im Grundsatz Ihrer Beurteilung des Rabattgesetzes zu. Ich stimme auch Ihrer Intention zu, die aus Ihrer Frage deutlich wird.
Vor allen Dingen sind davon ja bestimmte Initiativen im sozialen Bereich betroffen, die wir - ich gehe davon aus: miteinander - sicherlich grundsätzlich als positiv ansehen können. Ich bitte Sie aber auch um Verständnis dafür, daß die Bundesregierung ebenfalls beachten muß, welche Widerstände im einzelnen einer Novellierung entgegenstehen und ob eine Novellierung mehrheitsfähig ist. Ich sagte Ihnen ja, das Rabattgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Nach unseren Erkenntnissen sind derzeit Mehrheiten dafür nicht gegeben.
Ich werde aber Ihre Anregung aufgreifen und im Bundeswirtschaftsministerium noch einmal prüfen, ob sich bei den derzeit ablehnenden Stellen und Verbänden eine veränderte Stimmungslage ausmachen läßt.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß der eigentliche Schutzgedanke für diesen großen Branchenbereich durch die tatsächlichen Marktverhältnisse, die Sie in Ihre Überlegungen ja auch einschließen, aufgehoben worden ist und sich daraus auch eine Argumentationslinie ergibt dahin gehend, mehr Wettbewerb auf diesem Felde zu entwickeln, was ja allen Gruppen zum Vorteil gereichen würde?
Sie wissen, Herr Abgeordneter, genauso wie ich, daß wir in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung leben und Eingriffe des Staates aus verfassungsrechtlichen Gründen natürlich nur in begrenztem Maße möglich sind; ich möchte hier sagen: nahezu ausgeschlossen sind.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Ist die Bundesregierung bereit, wenn die Zustimmung des Einzelhandels vorliegt, eine Ausnahme des Rabattgesetzes für bestimmte Zielgruppen zuzulassen, z. B. für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grundsätzlich hält es die Bundesregierung nicht für sinnvoll, zu einem nur hypothetischen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Mit der von Ihnen - ich darf es einmal so sagen - selbst unterstellten Zustimmung des Einzelhandels ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht zu rechnen. Im übrigen würde eine Ausnahmeregelung der von Ihnen angesprochenen Art zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen. Hinzu kommt der Kontrollaufwand, so daß ohnehin nur eine grundsätzliche Auflockerung des Rabattverbots in Frage käme. Das ist die Nische, in der wir uns bewegen können.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen - das sagte ich schon bei der ersten Frage; Herr Abgeordneter, wenn ich das wiederholen darf - , daß es sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt, d. h. es muß auch die Mehrheit der Länder im Bundesrat finden. Wir gehen zur Zeit davon aus, daß eine solche Mehrheit im Augenblick nicht zu erzielen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es eine Reihe von Initiativen gibt - vor allen Dingen im Einzelhandel - , die insbesondere Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger unterstützen möchten - was weit über die gegenwärtige Rechtslage des Rabattgesetzes hinausgeht - , und ist es nicht sinnvoll, ein derartiges Entgegenkommen zum Vorteil dieser Personengruppen zu akzeptieren?
Ich kann Ihnen das bestätigen. Die Bundesregierung hält derartige Bemühungen und Initiativen im Grundsatz auch für eine gute Sache.
Die Bundesregierung kann jedoch - ich bitte Sie um Verständnis - keinen Einfluß darauf nehmen, wenn die Einräumung von Sonderpreisen - z. B. an Arbeitslose - unter Berufung auf das geltende Recht - das wäre hier § 1 Abs. 2 des Rabattgesetzes - unterbunden wird. Derartige Vorkommnisse stärken allerdings Zweifel daran - hier stimme ich in den von Ihnen aufgestellten Grundsätzen, wie eingangs schon gesagt, mit Ihnen überein - , ob das Rabattgesetz heute noch in allen Punkten sachgerecht ist. Aber Ihre Frage und die Antworten der Bundesregierung dokumentieren ja, daß es zumindest Diskussionsbedarf gibt, und vielleicht darf ich auch anregen, daß die Kollegen, die dem Wirtschaftsausschuß des Parlaments angehören, dieses Thema einmal von sich aus aufgreifen und diskutieren.
Letzte Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Das ist ja bereits geschehen, Herr Staatssekretär. Auch ich gehöre dem Wirtschaftsausschuß an. Ich kann sicherlich davon ausgehen, daß die Bundesregierung ihre Sondierung auf diesem Feld sehr bald zum Abschluß bringen wird. Werden Sie mich dann frühzeitig unterrichten?
Wir werden das gerne tun. Sie können ja aus dem Inhalt meiner Antworten schließen, daß ich persönlich sehr viele Sympathien für Ihr Anliegen habe.
Die Fragen 41 und 42 des Herrn Abgeordneten Menzel sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Grünbeck auf :
In welcher Höhe sind bisher Subventionen für das AirbusProgramm ausgezahlt, zugesagt und in Aussicht gestellt worden, aufgeteilt nach verlorenen Zuschüssen, Darlehen und Bürgschaften?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Die Frage 43 möchte ich wie folgt beantworten: Bis Ende 1986 wurden Zuschüsse für das Airbus-Programm in Höhe von 4,233 Milliarden DM gezahlt.
Diese Mittel teilen sich auf in 3,1 Milliarden DM verkaufsabhängig rückzahlbare Entwicklungszuschüsse, 689 Millionen DM in den Jahren 1975 bis 1982 gezahlte verlorene Produktionshilfe, also Ausgleich von Nachteilen aus dem Dollarkurs, und in verlorene Zuschüsse für die Absatzfinanzierung in Höhe von 444 Millionen DM. Letztere werden im Rahmen einer internationalen Vereinbarung mit den USA zum Ausgleich höherer deutscher Hermes-Gebühren und des Zinsveränderungsrisikos gewährt.
Ähnlich kompensieren die anderen Airbus-Länder - das sind Frankreich, Großbritannien und Spanien, wie Sie wissen - Nachteile gegenüber den Finanzierungsmöglichkeiten der amerikanischen Eximbank. Außerdem gewährt der Bund eine Bürgschaft zur Finanzierung der Serienkosten, die auf 3,1 Milliarden DM begrenzt ist.
Für die Zukunft bereits in Aussicht gestellt bzw. zugesagt wurden bedingt rückzahlbare Entwicklungszuschüsse in einem Volumen von 599 Millionen DM, ein Darlehen für die Serienfinanzierung des Programms A 320 - über dessen Höhe die Bundesregierung, wie Sie wissen, gestern entschieden hat und das Parlament im Haushaltsvollzug noch entscheiden muß; ich habe den Haushaltsausschuß gestern nachmittag darüber informiert - in einer Höhe von voraussichtlich 670 Millionen DM sowie weitere Mittel für die Absatzfinanzierung, die sich im Finanzplanungszeitraum bis 1990 auf voraussichtlich 270 Millionen DM belaufen werden.
Nicht enthalten in diesen Ansätzen sind die Hilfen für das Programm 330/340 und die Abtragung der Altlasten, zu denen die .Bundesregierung noch die Zustimmung des Parlaments einholen wird.
Herr Grünbeck, bitte schön.
Herr Staatssekretär, stehen die bisherigen Hilfen und die gestern vom Kabinett wiederum beschlossenen Hilfen eigentlich in einer vernünftigen Relation zu den Hilfen, die die französische und die englische Regierung beschlossen haben, oder sind die deutschen Beihilfen nicht größer, als es der deutschen Beteiligung am Airbus im Verhältnis zur Beteiligung unserer ausländischen Partner entspricht?
Ich kann Ihnen diese Frage mit Ja beantworten. Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß es Verträge für das Airbus-Programm gibt. Ich verhehle hier nicht, daß ich - aber das machen die anderen Airbus-Länder genauso - ihren
Anteil gern erhöht sehen würde. Das sind vertragliche Schlüsselvereinbarungen, die in dieser Form zur Zeit nicht geändert werden können.
Gestatten Sie mir, das hier einmal so zu sagen: Jedes Land sieht natürlich im Airbus einen hohen Grad an industrieller, technischer und arbeitsmarktpolitischer Potenz und strebt natürlich danach, möglichst viel an dauerhaften Arbeitsplätzen zu erreichen. Wir sind bei der jetzigen Kapazität von 20 000 Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland als deutschem Airbus-Anteil zufrieden.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es eigentlich verantwortungslos wäre, die Forschungsmittel für die mittelständische Wirtschaft, die eine positive Arbeitsplatzbilanz von mehreren 100 000 Arbeitsplätzen hat, auf dem Sockel zu belassen oder gar zu kürzen, während die Großindustrie mit sehr finanzstarken Partnern, wie das bei Airbus der Fall ist, in dieser Form begünstigt würde?
Da kann ich Ihnen überhaupt nicht zustimmen. Ihre Grundposition ist unrichtig. Der Airbus wird, wie ich schon sagte, von rund 20 000 Menschen gefertigt. Wir geben für die Airbus-Fertigung Aufträge an fast 130 deutsche mittelständische Betriebe. Der Airbus wird mit einem mittelständischen Fertigungsprogramm gebaut.
Herr Abgeordneter, ich kenne ja Ihre sehr kritische Einstellung zum Airbus. Wir haben uns schon öfter im Airbus getroffen. Sie haben sich als Fluggast darin sehr wohl gefühlt. Ich bin gern bereit, diese Fragen mit Ihnen durchaus in aller Offenheit und aller Breite zu diskutieren. Ich habe den Eindruck, daß Sie noch überzeugungsfähig sind.
({0})
Sie hatten auch leider keine Zusatzfrage. Ich sage „leider" , obwohl ich „leider" nicht sagen darf.
({0}) Herr Müller ({1}).
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in der Annahme recht geben, daß Sie viele Industrien in Deutschland blühend machen könnten, wenn Sie, wie beim Airbus meines Wissens, mindestens 10 000 DM im Jahr zuschießen, also z. B. auch die Schuhindustrie im Raum Pirmasens oder die Textilindustrie auf der Alb oder wo sonst?
({0})
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen in diesem Punkt überhaupt nicht zustimmen. Wenn Sie sich einmal vor Augen halten, wo der Airbus gebaut wird und wo die Arbeitsplätze sind, werden Sie sehr rasch erkennen, daß die Arbeits968
plätze in außerordentlich strukturschwachen Gebieten sind, in Gebieten mit relativ hoher Arbeitslosigkeit. Ich darf mich an die Kollegen aus dem norddeutschen Raum wenden. In Niedersachsen, Bremen und Hamburg haben wir Fertigungsstätten für den Airbus in Arbeitsamtsbezirken mit einer Arbeitslosigkeit von zum Teil 18 % und 19 %. Gestatten Sie mir zu sagen: Das Airbus-Programm ist in diesen Regionen die beste Werftenhilfe. Diese Arbeitsplätze sind zum Teil von den Werften weg umgeschichtet worden. Das ist also eine außerordentlich sinnvolle, arbeitsmarktpolitisch richtige Initiative.
({0})
Ich bin vorhin sehr großzügig gewesen. Aber das geht leider nicht. Zwischenrufe sind erlaubt. Aber jetzt ist Fragestunde.
Jetzt hat der Abgeordnete Fischer ({0}) eine Frage. Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, was Wissenschaftler und auch Industrie auch immer behaupten, daß wir von den Franzosen sowohl bei Ariane als auch bei Airbus über den Tisch gezogen worden sind; daß wir finanziert und die anderen dann das Detail eingerichtet haben? Sie sagen, daß so viele deutsche kleine und mittlere Unternehmen an dem technischen Know-how beteiligt waren. Ich hätte wirklich gern gewußt, welche deutschen Unternehmen daran beteiligt sind, wie viele und mit welchem Volumen. Vielleicht können Sie uns das mitteilen.
Herr Abgeordneter, das teile ich Ihnen sehr gerne mit. Ich kann Ihnen sowohl die Liste der Fertigungsbetriebe als auch - aufgeschlüsselt - die einzelnen Fertigungssanteile konkret mitteilen. Ich werde das Ministerium im Anschluß an die Fragestunde auffordern, Ihnen alle diese Auskünfte zu geben. Wir machen das sehr gerne, weil Sie daraus ersehen, welche sinnvolle, arbeitsmarktpolitisch richtige Investition dabei stattfindet.
Zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Ob das, was Wissenschaftler und Industrie da behaupten, richtig ist, vermag ich im Augenblick nicht zu beurteilen. Aus meiner Sicht - ich bin ja auch Koordinator für die Luft- und Raumfahrt - würde ich es natürlich grundsätzlich begrüßen, wenn im deutschen Fertigungsanteil noch mehr technisches Know-how vorhanden wäre. Die Produktionsaufteilung beim Airbus ist ja Anfang der 70er Jahre völkerrechtlich verbindlich durch Verträge erfolgt. Ich werde mich in den nächsten Jahren darum bemühen - aber da kämpfen die anderen ja auch - , die hochtechnisierten Fertigungsanteile, die in deutscher Hand sind, möglichst noch auszuweiten. Wenn das gelänge, wäre das schön. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir alles Gute dazu wünschen würden.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Gansel. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird also entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Frau Olms auf. - Auch sie ist nicht da. Dann wird diese Frage wie auch die Frage 46 der Abgeordneten Frau Olms nach der Geschäftsordnung behandelt.
Wir kommen zur Frage 47 des Abgeordneten Schreiner:
Was hat die Bundesregierung bislang angesichts der neuesten Berechnungen des staatlichen Energiekonzerns „Electricité de France" ({0}), wonach bereits 1990 in Frankreich eine Überkapazität von drei bis sieben 1 300-Megawatt-Kernkraftblöcken zu erwarten ist, bei der französischen Regierung unternommen, um den weiteren Ausbau des grenznahen Atomkraftwerkskomplexes in Cattenom zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, nach Auffassung der Bundesregierung muß jedes Land selbst beurteilen, welche Stromerzeugungskapazitäten es benötigt. Wegen der langen Vorlaufzeiten von Kraftwerksinvestitionen bedarf es hierfür einer Abschätzung der zukünftigen Bedarfsentwicklung in den verschiedenen Sektoren, die nur in dem jeweiligen Land getroffen werden kann. Daß dies auch in dem Land zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, das Sie angesprochen haben, zeigen die kürzlichen Äußerungen des französischen Industrieministers, als er die in der Frage wiedergegebenen Vorausschätzungen unter Hinweis auf die Anstrengungen in der französischen Industrie, andere Energieträger in größerem Maße durch Strom zu substituieren, ausdrücklich relativierte.
Nach alledem kann es nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, die Kraftwerksausbauplanungen anderer Länder zu beeinflussen. Wir würden das ja umgekehrt, Herr Abgeordneter, auch nicht akzeptieren.
Die Bundesregierung ist allerdings auch der Auffassung, daß jedes Land das Risiko ungenutzter Kapazitäten letztlich selbst tragen muß. Im Rahmen des europäischen Stromverbundes besteht zwischen den beteiligten Elektrizitätsversorgungsunternehmen grundsätzlich die Vereinbarung, daß jeder Partner die zur Versorgung seines Gebietes erforderliche Energie aus eigenen Kraftwerken bereitstellt. Auch die Verbindungen zwischen den verschiedenen Netzen haben deshalb in erster Linie die Aufgabe, eine möglichst hohe Versorgungszuverlässigkeit für den Fall des Ausfalls von Kraftwerken und/oder Leitungen bei möglichst geringem Aufwand zu erreichen. Dies schließt zwar regelmäßige Lieferungen und Bezüge über die Grenzen hinweg nicht aus, wie sie seit langem, z. B. zwischen deutschen EVUs und EdF, im Rahmen des jeweiligen Bedarfs praktiziert werden, beschränkt aber auch gleichzeitig die Möglichkeit, Strom in benachbarte Länder zu exportieren. Die Entscheidung, ob ein Bedarf für zusätzliche Stromimporte besteht, können nur die Elektrizitätsversorgungsunternehmen treffen.
Im übrigen hat sich die Bundesregierung seit Bekanntwerden der Kernkraftwerkspläne für den Standort Cattenom in enger Abstimmung mit den betroffenen Landesregierungen in intensiven Gesprächen mit der französischen Seite mit Erfolg darum
bemüht, der deutschen Bevölkerung im grenznahen Raum einen Schutz zu gewähren, der dem Schutz in der Umgebung inländischer kerntechnischer Anlagen vergleichbar ist.
Abschließend darf ich mir erlauben, auf die wiederholten Antworten der Bundesregierung in diesem Zusammenhang im 10. Deutschen Bundestag zu verweisen.
Zusatzfrage, Herr Schreiner.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung darauf verzichtet, auf die französische Regierung mit dem Ziel einzuwirken, daß zumindest die Dimensionierung in Cattenom, angelegt auf vier Blöcke à 1 300 Megawatt, heruntergefahren wird?
Das können Sie nicht annehmen. Es gibt, wenn Sie als Abgeordneter dieses Gebietes ein solches Anliegen vortragen, ein beachtliches öffentliches Interesse und ein Interesse der dort wohnenden Menschen. Wir werden auch dies mit der französischen Seite besprechen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Schreiner.
Was gedenkt denn die Bundesregierung für den Fall zu tun, daß das Problem der französischen Überkapazitäten im Bereich der nuklearen Stromproduktion dadurch gelöst werden soll, daß sich die Betreibergesellschaft verstärkt darum bemüht, in der Bundesrepublik Deutschland Aufkäufer über den bisherigen Vertragsbestand hinaus zu finden?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen hierzu noch kein abschließendes Urteil geben. Ich werde mich um diese Frage kümmern und nach Abschluß entsprechender Gespräche Ihnen gerne Bescheid geben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, können die eventuell befürchteten zusätzlichen Stromimporte aus überschüssiger Kapazität nach Auffassung der Bundesregierung die Erfüllung des zwischen Elektrizitätswirtschaft und Kohlebergbau geschlossenen Jahrhundertvertrages gefährden?
Das ist nicht das Ziel der Bundesregierung. Ich möchte deshalb Ihre Frage mit Nein beantworten.
Danke schön.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, haben Sie schon Gespräche mit den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern geführt, die ihrerseits schon Gespräche mit der französischen Seite geführt haben, damit sie den Kernenergiestrom in ihre Länder importieren können, um dies zu verhindern?
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis - ich bin erst einige wenige Wochen im Amt - , daß ich nicht jede Initiative der sehr aktiven Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern gleich unmittelbar wieder abfrage. Ich bin auch nicht sicher, ob sie mir immer alle Auskünfte geben, wenn ich als - im Vergleich zum Ministerpräsidenten - kleiner Parlamentarischer Staatssekretär dort anrufe.
({0})
Ich werde aber den Versuch einmal machen. Vielleicht kommt dabei etwas heraus. Dann gebe ich Ihnen Bescheid.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, würden Sie zugeben, daß ansatzweise ähnliche Probleme von Stromhalden längst auch bei uns bestehen, beispielsweise nach Inbetriebnahme des AKW Grohnde, und daß ähnliches bei der Inbetriebnahme des AKW Lingen II zu erwarten ist?
Ich lese das zwar immer wieder, ich kann es Ihnen aber nicht bestätigen. Ich nehme eine solche Frage, auch wenn ich Ihnen im Augenblick dazu konkret nicht ja sagen kann, außerordentlich ernst. Ich werde mich darum kümmern und auch Ihnen Bescheid geben.
({0})
Noch eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss.
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn für sinnvoll, daß man den Stromabsatz und damit die Verwendbarkeit des Stroms erst dadurch erzeugt, daß man andere Energieträger verdrängt? Ist das die Politik, die auch Sie für die Bundesrepublik führen wollen?
Da wir eine solche Politik nicht machen, halte ich das, was Sie uns unterstellen, auch nicht für sinnvoll.
({0})
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 48 des Abgeordneten Kirschner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Westphal
Die Frage 49 des Abgeordneten Stiegler ist auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommt die Frage 50 der Abgeordneten Frau Hillerich:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von Experten aus dem ganzen Bundesgebiet auf einer Fachtagung des Ausschusses für Jugendarbeitsschutz beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt in Münster festgestellten gesundheitlichen Gefährdungen an Bildschirmarbeitsplätzen und Computern ({0}) im Hinblick auf die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft für notwendig gehaltene verstärkte Ausstattung von Schulen und Hochschulen mit Computern?
Herr Präsident, darf ich bitten, beide Fragen gemeinsam beantworten zu können?
Ist die Abgeordnete einverstanden? - Dann haben Sie vier Fragen. Ich glaube, Sie kennen unsere Regeln noch nicht. Einverstanden? - Beide Fragen zusammen.
Ich rufe dann auch die Frage 51 der Abgeordneten Hillerich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Fördergemeinschaft „Computer und Bildung" ({0}) unterstützte Ausstattung von Bildungseinrichtungen mit Computern sowie die ähnlich gerichteten Aktivitäten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung ({1}) ({2}) im Hinblick auf den ausdrücklichen Hinweis der möglichen gesundheitlichen Gefährdung von Schülerinnen und Schülern, und welche Maßnahmen - Überprüfung, gegebenenfalls Einschränkung - gedenkt sie zu ergreifen?
Frau Abgeordnete Hillerich, nach Mitteilung aus dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ist die Pressenotiz, nach der Experten übereinstimmend gesundheitliche Gefährdungen an Bildschirmarbeitsplätzen und Computern festgestellt hätten, irreführend.
Richtig ist, daß einer solchen Feststellung einer Sachverständigen von anderen Experten widersprochen wurde. Der Vertreter des staatlichen Gewerbearztes hat an Hand von Beispielen auf Mängel bei der Aufstellung und Organisation von Bildschirmarbeit hingewiesen, die jedoch nichts mit einer gesundheitlichen Gefährdung, z. B. durch Strahlen, zu tun haben. Keine der bisher auch weltweit abgeschlossenen wissenschaftlichen Untersuchungen hat gesundheitsschädigende Auswirkungen der Bildschirmarbeit nachgewiesen. Dies ist auch das Ergebnis der bisher umfassendsten wissenschaftlichen Konferenz zum Thema „Bildschirmarbeit", die 1986 in Stockholm stattgefunden hat.
Bei dieser Sachlage sieht der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft keinen Anlaß, seine Beiträge zum Computerinvestitionsprogramm für Hochschulen und zur qualitativen Entwicklung der informationstechnischen Bildung in Schulen zu überprüfen. Die Maßnahmen der Bundesländer zur Ausstattung der Schulen und die Unterstützung der privaten Fördergemeinschaft „Computer und Bildung" , an der das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und das Bundesministerium für Forschung und Technologie nicht beteiligt sind, sowie die wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung als Anbieter eines Computerbetriebssystems und von Software für Schulen beurteilt die Bundesregierung positiv. Auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ist davon auszugehen, daß gesundheitliche Gefährdungen für Schülerinnen und Schüler nicht gegeben sind.
Ich darf noch hinzufügen, daß es für die Gestaltung von Bildschirmarbeit seit mehreren Jahren Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze im Bürobereich gibt. Es kommt darauf an, diese gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Gestaltung der Arbeitsmittel, der Arbeitsplätze und der Arbeitsumgebung in der Praxis anzuwenden. Diese Erkenntnisse sind auch geeignet, beim Einsatz von Bildschirmgeräten in Schulen und Hochschulen angewendet zu werden. Darüber hinaus können Gewerbeaufsicht und Unfallversicherungsträger sowohl beim Einsatz der Bildschirmgeräte beraten als auch die Einhaltung der Sicherheitsregeln überprüfen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hillerich.
Ich möchte meine Zusatzfrage konkret auf beschriebene Gefahren durch Bildschirmarbeitsplätze beziehen. Ist Ihr Ministerium, Herr Staatssekretär, der Frage nachgegangen, inwieweit die Gefährlichkeit - auch Haut- und Gesichtsverunreinigungen - insbesondere durch die Luftverunreinigung hervorgerufen wird, die durch in den elektromagnetischen Feldern aufgewirbelte Staubpartikel, also durch Computer bzw. Bildschirmarbeitsplätze, entstehen?
Frau Abgeordnete Hillerich, aus meiner Antwort können Sie entnehmen, daß eine Reihe umfassender Sicherheitsmaßnahmen sowohl geprüft wurde als auch bei jeder Neueinrichtung neu geprüft werden können, und zwar durch die von mir vorhin angegebenen Stellen.
Eine konkretere Antwort auf meine Frage ist nicht möglich?
Ich glaube, Frau Abgeordnete Hillerich, daß die Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, so umfassend ist, daß man in ihr wirklich jeden einzelnen Teilbereich als angesprochen und beantwortet sehen kann.
Sie haben noch zwei weitere Zusatzfragen, wenn Sie wollen.
Entschuldigen Sie, ich glaube, ich bin mißverstanden worden. Es ging mir nicht um so eine umfassende Beantwortung, es ging mir um eine konkrete Beantwortung, weil ich nach einer konkreten Gefährdung gefragt habe, nämlich der Verunreinigung der Luft und entsprechend auch der Haut derjenigen, die an solchen Arbeitsplätzen
arbeiten. Ich wäre erfreut, wenn Sie darauf noch einmal eingehen könnten.
Um Ihnen darauf ganz konkret antworten zu können, möchte ich Sie bitten, zuzustimmen, daß ich diese Zusatzfrage schriftlich beantworte.
({0})
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Hillerich.
Die lasse ich weg.
Dann hat Herr Kuhlwein das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten vorhin, daß wissenschaftliche Erkenntnisse des Arbeitsschutzes und die entsprechenden Vorschriften für Büros auch für Computerarbeitsplätze, Bildschirmarbeitsplätze in Schulen zu gelten hätten. Wie stellt die Bundesregierung sicher, daß bei Ihren Bemühungen um die Verbreitung von Computerarbeitsplätzen in Schulen auch diese Erkenntnisse und die Vorschriften des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden?
Ich habe bereits bei meinem Zusatz darauf hingewiesen, Herr Kollege, daß das durchaus möglich ist. Darüber hinaus können Gewerbeaufsicht und Unfallversicherungsträger sowohl beim Einsatz der Bildschirmgeräte beraten als auch die Einhaltung der Sicherheitsregeln überprüfen. Wenn in den Schulen solche Einrichtungen getätigt werden, kommt es auf die Verbindung und auf das Zusammentreten vom Kultusministerium und diesen Stellen an, um auch diese Plätze entsprechend prüfen zu können.
Bitte schön, Herr Kuhlwein, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sagten „können"; sie könnten einbezogen werden. Ich habe danach gefragt, wie die Bundesregierung sicherstellt, daß die Vorschriften des Arbeitsschutzes auch an Bildschirmarbeitsplätzen in den Schulen berücksichtigt werden.
Wenn solche Plätze in den Schulen eingerichtet werden, gelten hierfür dieselben Bestimmungen, die für andere Arbeitsplätze gelten. Die Frage ist dann die des Zutritts zu den Schulen.
Zusatzfrage, Frau Weyel.
Gibt es Erkenntnisse darüber, daß von den Gewerbeaufsichtsämtern solche Prüfungen beispielsweise in Schulen vorgenommen werden?
Danach müßte ich erst fragen. Ich nehme aber an, daß die Schulen im Interesse der Schülerinnen und Schüler Wert darauf legen, auf jeden Fall sichere Bildschirmarbeitsplätze einzurichten. - Aber ich bin gern bereit, auch dieser Frage nachzugehen.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Die Frage 52 des Abgeordneten Hinsken soll schriftlich beantwortet werden. Das gilt auch für die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Hoyer. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Schanz auf :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entschließung des 90. Deutschen Ärztetages, in der der Export von Medikamenten, die in der Bundesrepublik Deutschland vom Markt genommen wurden, in Länder der Dritten Welt als „unethisch und unmoralisch" bezeichnet wird, und kann sie darüber hinaus die deutschen Firmen nennen, die den Export tätigen?
Herr Präsident! Herr Kollege Schanz! Der Bundesregierung sind keine Sachverhalte bekannt, die eine pauschale Bewertung von Aktivitäten der pharmazeutischen Industrie beim Export von Arzneimitteln als unethisch und unmoralisch zuließen. Dies gilt auch für den Export in die Entwicklungsländer.
Hinsichtich des Exports von Arzneimitteln hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, daß die Importländer in eigener Verantwortung die Bedingungen festlegen, unter denen bei ihnen Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden dürfen.
Die Bundesregierung unterstützt sie in ihren Entscheidungen, indem sie auf Anfrage alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellt. Erfährt die Bundesregierung aus den Importländern, daß die dortigen Gesundheitsbehörden ein Arzneimittel als bedenklich ansehen, so wirken die zuständigen Behörden von Bund und Ländern entweder auf die Beseitigung der Arzneimittelmängel hin oder untersagen den Export.
Die Bundesregierung meldet darüber hinaus alle relevanten Maßnahmen im Rahmen der Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken der Weltgesundheitsorganisation, so daß sich alle Importländer jederzeit über alle Risiken informieren können, die in der Bundesrepublik Deutschland behördlicherseits behandelt werden.
Außerdem nimmt die Bundesrepublik Deutschland am Zertifikatsystem der Weltgesundheitsorganisation über die Qualität pharmazeutischer Produkte im internationalen Handel teil. In diesem Zertifikat erhalten auch die Länder der Dritten Welt auf Anfrage darüber Auskunft, ob das jeweilige Arzneimittel zum Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen bzw. aus welchen Gründen es nicht zugelassen ist.
Darüber hinaus hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit einem Schreiben gegenüber der Weltgesundheitsorganisation bereit erklärt, zusätzlich auf Anfrage weitere Auskünfte zu den Arzneimitteln zu geben, wie z. B. zu Anwendungsgebieten, zu Risiken und zu Warnhinweisen.
Ich bitte um Verständnis, daß ich hier konkrete Einzelfälle von bemängelten Exporten nicht nennen möchte, zumal die der Bundesregierung bekanntgewordenen Mängel inzwischen abgestellt worden sind bzw. die Verfahren zur Behebung der Mängel laufen und im übrigen für die Recherchen in den konkreten Fällen in erster Linie die Bundesländer zuständig sind.
Zusatzfrage, Herr Schanz.
Herr Staatssekretär, würden nicht auch Sie es merkwürdig finden, wenn die Bundesregierung nach jahrelanger Beanstandung durch die Oppositionsfraktionen in dieser Hinsicht jetzt durch einen Fachärztekongreß, der den Oppositionsparteien nicht nahesteht, darauf aufmerksam gemacht wird, daß solche Produkte, die hier verboten sind, exportiert werden, und sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Industrienation, die auch Kulturnation sein will, hier mit gutem Beispiel vorangehen müßte, indem sie verhindert, daß Pharmaprodukte, die, weil sie giftig sind, hier verboten sind, in Länder der Dritten Welt exportiert werden?
Herr Kollege Schanz, ich habe Ihnen hier eine breite Darstellung der Maßnahmen vorgetragen, welche die Bundesregierung vor allem in den zurückliegenden zwei Jahren ergriffen hat, um den Export von Arzneimitteln dann zu unterbinden, wenn er nicht im Interesse der entsprechenden Importländer ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Schanz.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir all die Maßnahmen zur Verfügung stellen, die die Bundesregierung veranlaßt bzw. durchgeführt hat, um solche Exporte zu verhindern, und zwar im Detail?
Ich bin gerne bereit, über die Einzelfälle, die uns vorliegen, mit Ihnen ein Gespräch zu führen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, wenn dies alles so schön ist, wie Sie es dargestellt haben, wie erklären Sie sich die doch sehr harte Kritik des Deutschen Ärztetages, und würden Sie nicht die Bewertung „unmoralisch und ethisch nicht einwandfrei" , die Sie eben ein bißchen zurückgewiesen haben, aus dem Munde von Ärzten gesprochen, für besonders schwerwiegend halten?
Herr Kollege Toetemeyer, ich glaube, aus der Antwort, die ich auf die Eingangsfrage gegeben habe, konnten Sie entnehmen, daß ich diesen gesamten Vorgang sehr ernst nehme. In der Tat: Ich habe auch zum Ausdruck gebracht, daß es Einzelfälle gegeben hat, bei denen offensichtlich Mängel aufgetreten sind. Diesen Einzelfällen ist in der von mir geschilderten Weise nachgegangen worden.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Schanz auf:
Wann und in welcher Form gedenkt die Bundesregierung gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten, um in Zukunft zu verhindern, daß deutsche Pharmaunternehmen vom Markt genommene Präparate in Drittländer exportieren?
Die geltenden Gesetzesgrundlagen reichen aus, um den Export von Arzneimitteln, die in der Bundesrepublik Deutschland vom Markt genommen wurden und deren Import in den Entwicklungsländern unerwünscht ist, zu unterbinden. Dies gilt um so mehr, als seit dem 1. April 1985 nach der Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmen diese verpflichtet sind, den zuständigen Behörden unverzüglich mitzuteilen, in welche Staaten die zurückgerufenen Arzneimittel ausgeführt wurden. Diese Länder werden nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken vom 20. Juni 1980 von den zuständigen obersten Bundesgesundheitsbehörden unverzüglich unterrichtet. Die Bundesländer haben die gesetzliche Grundlage, um den Export der Arzneimittel zu verbieten.
Die Bundesregierung steht darüber hinaus in konkreten Gesprächen mit der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Gemeinschaft und dem Europarat, um auch dort zu klären, ob im Interesse der Arzneimittelsicherheit für den Export von Arzneimitteln weitere Maßnahmen erforderlich sind. Die Bundesregierung wird je nach dem Ergebnis dieser Gespräche auch weitere gesetzgeberische Maßnahmen in Erwägung ziehen.
Zusatzfrage, Herr Schanz.
Herr Staatssekretär, mehr als 40 % der Pharmaproduktion der Bundesrepublik Deutschland gehen in den Export, 20 % gehen in Länder der Dritten Welt. Wenn nun eine Nation von diesem Export wirtschaftlich abhängig wird, wäre es dann nicht auch nach Ihrer Meinung angebracht, daß gerade die Bundesrepublik Deutschland mit gutem Beispiel voranginge und daß sie nicht erst mit Hinweis darauf, daß sich andere Exportländer nicht einem entsprechenden Verhaltenskodex unterwerfen, abwartet, ob diese sich da anschließen? Wird die Bundesregierung bereit sein, bilateral mit den EG-Staaten Verhandlungen zu führen, um hier eine einheitliche Linie zu erreichen, und wird sie bereit sein, mit gutem Beispiel voranzugehen und vielleicht auch die Produktion von Pharmaprodukten und Arzneimitteln in den Entwicklungsländern zu fördern?
Herr Kollege, was das Vorangehen mit gutem Beispiel angeht, bin ich der Meinung, daß die Maßnahmen, die insbesondere in
den zurückliegenden Jahren ergriffen worden sind, durchaus geeignet sind, um auch für andere Länder ein gutes Beispiel zu geben. Im übrigen habe ich darauf hingewiesen, daß wir mit der EG in Gesprächen sind. Selbstverständlich führen wir auch bilaterale Gespräche mit Mitgliedstaaten der EG, beispielsweise erst neulich ein Gespräch mit Großbritannien.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Schanz?
Danke, ich verzichte.
Eine Zusatzfrage dazu, Herr Toetemeyer? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich des Widerspruchs bewußt, daß einerseits - Sie haben es selbst genannt, 1. April 1985 - bis Mai 1987 alles in Ordnung ist und andererseits die Ärzte, die wohl sicher Fachkenntnis haben, darauf hinweisen, daß die gesetzlichen Bestimmungen nicht ausreichen?
Herr Kollege Toetemeyer, zunächst einmal habe ich darauf hingewiesen, daß auch jetzt noch Verfahren laufen, deren Ergebnisse für uns wichtig sind. Zum zweiten bin ich im Augenblick davon überzeugt, daß die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen, die ich genannt habe, ausreichen. Aber wenn sich aus den Gesprächen, die wir mit den internationalen Organisationen führen, ergeben sollte, daß weitere Maßnahmen erforderlich sind, dann ist die Bundesregierung gegebenenfalls auch zu weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen bereit und entschlossen.
Jetzt kommt die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Rose. Er ist aber nicht im Saal. Deswegen wird die Frage der Geschäftsordnung entsprechend behandelt.
Ich rufe Frage 57 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Bezeichnungen wie „bio", „öko" und ähnliche bei Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen rechtlich zu schützen?
Frau Kollegin Weyel, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz enthält allgemeine Verbote, die den Verbraucher im Verkehr mit Lebensmitteln und kosmetischen Mitteln vor Täuschungen schützen. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 dieses Gesetzes ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Für kosmetische Mittel enthält § 27 dieses Gesetzes ein entsprechendes Verbot.
Nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 dieses Gesetzes ist es in bezug auf Lebensmittel darüber hinaus verboten, für Erzeugnisse, die zugelassene Zusatzstoffe oder Rückstände von Pflanzenschutzmitteln oder pharmakologisch wirkende Stoffe enthalten, Bezeichnungen oder Angaben zu verwenden, die darauf hindeuten, daß die Lebensmittel natürlich, naturrein oder frei von
Rückständen oder frei von Schadstoffen seien. Diese Vorschrift kann herangezogen werden, wenn die Bezeichnung „bio" oder „öko" fälschlicherweise auf das Nichtvorhandensein solcher Stoffe in Lebensmitteln hinweist.
Für Lebensmittel und Bedarfsgegenstände können im Einzelfall im übrigen auch die allgemeinen Rechtsvorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Anwendung finden.
Frau Weyel, Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, es ist ja wohl bekannt, daß solche Ausdrücke wie „bio" und ähnliches, die auf die besondere gesundheitlich unbedenkliche Qualität hinweisen, erst im Zuge der Bewegung der letzten Jahre wirklich als verkaufsfördernd gewertet und entsprechend häufig angewendet werden. Meine Frage war: Sieht angesichts dieser Entwicklung, die ja bei der Verabschiedung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes noch nicht in vollem Gange war, die Bundesregierung eine Notwendigkeit, diese Begriffe so zu präzisieren, daß dann die von Ihnen angeführten Vorschriften auch tatsächlich angewendet werden können?
Frau Kollegin Weyel, das ist in der Tat ein sehr schwieriges Problem, denn die Begriffe „bio" und „ökologisch" sind komplex und bis jetzt nicht eindeutig zu definieren, zumal der Verbraucher mit diesen Begriffen auch ganz unterschiedliche Erwartungen verknüpfen kann. Der in meinen Augen entscheidende Punkt ist, daß eine eindeutig irreführende Verwendung dieser Begriffe in der von mir geschilderten Weise nach den allgemeinen Rechtsvorschriften verboten ist.
Wenn man darüber hinaus die Begriffe positiv schützen möchte, dann würde das entweder eine gesetzliche Definition dieser in ihrem Sinngehalt komplexen Begriffe voraussetzen - was im Augenblick für mich ein sehr schwieriges Unterfangen wäre -, oder man müßte bestimmte Anforderungen an Produktionsmethoden festsetzen. Dies ist ein Verfahren, das gegenwärtig in der EG vorgeschlagen und besprochen wird. Herr Präsident, ich möchte darauf gerne in der nächsten Frage noch eingehen dürfen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage zur ersten Frage. Bitte schön, Frau Abgeordnete Weyel.
Ich darf aber noch einmal insistieren: Mir scheint gerade auch im Zusammenhang mit der Diskussion über die Fortentwicklung der Landwirtschaft, wo ja auch diese Probleme angesprochen werden, und andererseits im Sinne eines verbesserten Verbraucherschutzes eine solche Positivdefinition dringlich. Habe ich Sie so verstanden, daß die Bundesregierung erst handeln will, wenn die EG gehandelt hat?
Frau Kollegin, das ist ein Punkt, den ich eigentlich im Zuammenhang mit der nächsten Frage behandeln müßte. Sie wissen ja, daß dann, wenn die EG selber in ein Regelungsver974
fahren eintritt, für die nationalen Gesetzgeber bestimmte Stillhalteverpflichtungen bestehen. Mit diesen haben wir es im Augenblick hier zu tun.
Dann rufe ich die nächste der von Frau Weyel gestellten Fragen auf, die Frage 58:
Gibt es Vorarbeiten oder abgeschlossene Überlegungen, nach welchen Kriterien die Genehmigung für solche Bezeichnungen erteilt werden soll, die beim Verbraucher die Erwartung wekken, daß die so bezeichneten Lebensmittel oder Bedarfsgegenstände unbelastet und gesundheitlich und umweltfördernd sind?
In der Bundesrepublik Deutschland bestehen privatrechtlich organisierte Erzeugergemeinschaften, die sich eigenen Richtlinien unterworfen haben und nach diesen Richtlinien Lebensmittel in nicht konventioneller Anbauweise gewinnen und unter bestimmten Markennamen in den Verkehr bringen.
Vorarbeiten zur Einführung eines Genehmigungsverfahrens zur Verwendung der Bezeichnung „bio" oder „öko", das den Erlaß von Rechtsvorschriften voraussetzen würde, sind in der Bundesregierung bis jetzt nicht eingeleitet worden.
Die EG-Kommission hat im Dezember 1986 den Entwurf eines Vorschlages für eine Richtlinie des Rates über die organische Erzeugung von Nahrungsmitteln und die Vermarktung organisch erzeugter Nahrungsmittel vorgelegt. Nach dem Konzept des Richtlinienentwurfs sollen Lebensmittel mit dem Hinweis „natürlich", „biologisch", „organisch" oder einer anderen Beschreibung, die vermuten läßt, daß die Lebensmittel unter weitgehendem Verzicht auf chemische Düngemittel und Pflanzenschutzmittel erzeugt wurden, nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie nach einem genehmigten Anbauverfahren gewonnen worden sind. Die Genehmigung soll durch die staatlichen Stellen oder durch staatlich kontrollierte Organisationen vorgenommen werden. Für die nach einem genehmigten Anbauverfahren gewonnenen Lebensmittel sind nach dem Entwurf der Richtlinie Gemeinschaftsembleme vorgesehen. Der Entwurf dieser Richtlinie ist bislang in der Kommission auf der Ebene der Regierungsexperten kontrovers beraten worden. Der Entwurf wird zur Zeit überarbeitet.
Nachdem die Europäische Gemeinschaft einen eigenen Richtlinienvorschlag vorgelegt hat, könnte die Bundesregierung eigene Rechtsvorschriften nur in Kraft setzen, nachdem sie die Entwürfe hierzu der EG-Kommission mitgeteilt und die vorgesehenen Stillhaltefristen abgewartet hätte. Schon aus diesem Grunde ist es vernünftig, wenn die Bundesregierung zunächst die weiteren Entwicklungen und Beratungen in der Europäischen Gemeinschaft abwarten will.
Bitte schön, Frau Weyel, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für sinnvoll, wenn sich die Bundesregierung schon bei der Vorbereitung einer solchen Richtlinie in die Entwicklung einmischt und sich für eine solche positive Einmischung und Mitgestaltung auch selber Gedanken macht, welches die Kriterien sein müßten?
Frau Kollegin Weyel, wir beteiligen uns in der Tat an diesen Beratungen. Allerdings sind die Probleme, die hier auf dem Tisch liegen, zur Zeit deshalb noch sehr schwierig, weil wir ja z. B. keine überzogenen bürokratischen Regelungen haben wollen, auch angesichts von funktionierenden privaten Institutionen in diesen Bereichen in der Bundesrepublik.
Zusatzfrage, Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die LUFA-Studie bekannt, die Lebensmittel unterschiedlicher Bezeichnung untersucht hat? Wenn nein, darf ich Sie darauf verweisen, daß Sie vielleicht Ihr Kollege Landwirtschaftsminister darüber informieren könnte, und wären Sie bereit, die Ergebnisse dieser Studie in Ihre Überlegung einzubeziehen?
Ich bin gerne bereit, darüber mit meinem Kollegen aus dem Landwirtschaftsministerium ein Gespräch zu führen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer für die Beantwortung der Fragen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Kohn auf :
In welchem Zeitraum wird die Deutsche Bundesbahn ({0}) sicherstellen, daß die übernachtungs- und Ruheräume der DB in einen sozial verträglichen Zustand gebracht werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kohn, von 1975 bis 1983 hat die Deutsche Bundesbahn im Rahmen eines Sanierungsprogramms bereits 20 Millionen DM zur Verbesserung der Übernachtungs-, Ruhe- und Sozialräume aufgewendet. In den Jahren 1984 und 1985 hat sie zusätzlich 1,7 Millionen DM zur Verbesserung des baulichen und des Ausstattungszustandes der Übernachtungs- und Ruheräume bereitgestellt.
Zur Zeit erarbeitet eine Arbeitsgruppe der Deutschen Bundesbahn ein Kosten- und Zeitprogramm zur weiteren Modernisierung dieser Anlagen. Kernpunkte der neuen Standards sind: Einrichtung von Einbettzimmern mit fließendem warmen und kalten Wasser, eine ansprechende Möblierung, Lärmschutzmaßnahmen sowie Ergänzung und Modernisierung bestehender baulicher Anlagen - z. B. Teeküchen oder Duschen oder WCs - . Da die Arbeitsgruppe ihre Bestandsaufnahme noch nicht abgeschlossen hat, kann die Deutsche Bundesbahn über die Kosten und den Zeitpunkt des Abschlusses des Modernisierungsprogramms noch keine Angaben machen.
Zusatzfrage, Herr Kohn.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß nach einer Untersuchung der GDL etwa 45 % der Sozial-, Übernachtungs- und Ruheräume der Deutschen Bundesbahn sich in einem menschenunwürdigen Zustand befinden - wie zu kleine Räume, ständige Geruchsbelästigung, keine Sitzgelegenheiten, Waschräume, die als Abstellräume zweckentfremdet werden - , und welche Konsequenzen gedenkt man zur Beschleunigung der von Ihnen angesprochenen Maßnahmen daraus zu ziehen?
Der Bundesregierung sind die Veröffentlichungen bekannt. Ich habe sie auch hier. Ich nehme Ihre Frage gern zum Anlaß, darauf zu drängen, daß die Bundesbahn so schnell wie möglich diese Untersuchungen fortsetzt und beendigt. Ich werde dies auch im nächsten Leitungsgespräch mit dem Ziel vortragen, daß wir mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn bei der nächsten Gesprächsrunde darüber reden.
Zusatzfrage, Herr Kohn, bitte.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es auf dem Weg der Entwicklung der Deutschen Bundesbahn zu einem am Markt orientierten Verkehrsdienstleistungsunternehmen von besonderer Bedeutung ist, daß die Mitarbeiter der Bahn optimale Arbeitsbedingungen haben und daß die Motivation der Mitarbeiter der Bahn gestärkt wird, um diesem Ziel genügen zu können?
Ich gehe davon aus, daß wir auch in diesem Bereich Standards brauchen, die nicht nur menschenwürdig sind, sondern die auch geeignet sind, die Mitarbeiter der Bahn zu motivieren. Es geht hier um rund 700 Übernachtungseinrichtungen. Das Projekt ist also erheblich. Aber wir sind gern bereit, das, was Sie gerade wollten, zu unterstützen.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Gedenkt die Bundesregierung Autobahngebühren für Autofahrer einzuführen, die aus Ländern stammen, in denen deutsche Autofahrer Straßengebühren bezahlen müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Abelein, die Bundesregierung hält eine allgemeine Autobahngebühr verkehrspolitisch nicht für richtig. Ihr Ziel ist es vielmehr, andere Länder zu veranlassen, bestehende Autobahngebühren abzuschaffen bzw. solche Gebühren nicht neu einzuführen.
Die Bundesregierung hat deshalb auf der Ratstagung der EG-Verkehrsminister am 18. und 19. Juni 1986 die EG-Kommission aufgefordert, geeignete Vorschläge zu unterbreiten, um Fahrzeuge aus EG-Mitgliedstaaten, die keine Autobahngebühren erheben, in anderen Mitgliedstaaten von solchen Gebühren zu befreien.
Sollte sich zeigen, daß diese Position der Bundesregierung in Europa nicht durchzusetzen ist, wird die Frage spezieller Abgaben für die Benutzung des deutschen Fernstraßennetzes neu zu prüfen sein. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Güterverkehr ist ohnehin ein Thema der europäischen Verkehrspolitik.
Zusatzfrage, Herr Dr. Abelein.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die von deutschen Lkw-Unternehmern insbesondere im EG-Bereich gezahlten Straßenbenutzungsgebühren abzuschaffen?
Herr Kollege, sollte sich die Position der Bundesregierung hinsichtlich der Abschaffung der Straßenbenutzungsgebühren und der Maut in den Nachbarländern nicht durchsetzen lassen, wird die Frage spezieller Abgaben für die Benutzung des deutschen Fernstraßennetzes neu zu prüfen sein. Dies hat der Bundesminister für Verkehr mehrfach deutlich gemacht. Er hat dabei betont, daß gerade dieses Problem bei der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterverkehr eine bedeutende Rolle spielt. Ich meine sogar, daß dies das zentrale Thema der europäischen Verkehrspolitik in diesem Jahr und in den nächsten Jahren sein wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß Autobahngebühren in anderen europäischen Ländern die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Wirtschaft, insbesondere der Transportwirtschaft, verzerren?
Herr Kollege, wenn solche Gebühren von allen Benutzern in gleicher Weise erhoben werden, dann könnte eine Wettbewerbsverzerrung nicht eintreten.
In einer Untersuchung der EG-Kommission vom 10. Dezember des letzten Jahres wird hierzu allerdings festgestellt, daß ein Teil der in Europa zur Zeit erhobenen Gebühren diskriminierenden Charakter hat; dies wegen der unterschiedlichen Behandlung von In- und Ausländern. Für solche Fälle muß ich Ihre Frage also eindeutig mit ja beantworten.
Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde aus Gründen des Zeitablaufs zu Ende. Die übriggebliebenen Fragen werden schriftlich beantwortet' ). Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, und wir in die Aktuelle Stunde eintreten, möchte ich Ihnen die von den Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen des Vormittags mitteilen.
') Bis auf die Fragen 71 und 72 der Abg. Frau Schmidt ({0}), die von der Fragestellerin zurückgezogen wurden, werden die Antworten als Anlagen im Stenographischen Bericht über die 17. Sitzung abgedruckt.
Vizepräsident Westphal
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/405 war das folgende: Abgegebene Stimmen 422, davon keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 232 Abgeordnete; mit Nein haben 189 Abgeordnete gestimmt. Es hat eine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 422; davon
ja: 232
nein: 189
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Austermann
Bauer
Dr. Becker ({1}) Frau Berger ({2}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen ({3})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Buschbom Carstens ({4})
Carstensen ({5}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({6}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell Fellner
Fischer ({7}) Francke ({8})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({9})
Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({10})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({11}) Hauser ({12})
Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({13}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({14})
Dr. Jobst
Jung ({15})
Jung ({16})
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Kiechle
Klein ({17})
Dr. Köhler ({18}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({19}) Lamers
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs Frau Limbach
Link ({20})
Link ({21})
Lintner
Dr. Lippold ({22}) Louven
Lummer Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({23})
Müller ({24})
Nelle
Dr. Neuling
Neumann ({25})
Oswald Frau Pack Pesch
Petersen
Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({26})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({27}) Frau Roitzsch ({28}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({29})
Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({30})
Sauer ({31})
Sauter ({32})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({33})
Schemken Schmidbauer
Schmitz ({34})
Dr. Schneider ({35}) Schreiber
Dr. Schroeder ({36}) Schulhoff
({37}) Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({38})
Dr. Stoltenberg
Straßmeir Strube
Frau Dr. Süssmuth Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({39})
Vogt ({40}) Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({41}) Werner ({42})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Dr. Zimmermann
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Cronenberg ({43})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Gallus
Gattermann
Gries Grünbeck
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich
Hoppe
Dr. Hoyer
Irmer
Kleinert ({44})
Dr.-Ing. Laermann
Lüder Mischnick
Möllemann
Neuhausen
Nolting Paintner
Richter Rind
Dr. Rumpf
Frau Dr. Segall
Dr. Solms
Timm
Wolfgramm ({45}) Frau Würfel
Zywietz
Nein
SPD
Andres
Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({46})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({47}) Börnsen ({48}) Brandt
Brück Büchler ({49})
Dr. von Billow
Frau Bulmahn
Buschfort
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller Dreßler
Duve Egert Dr. Ehmke ({50})
Dr. Ehrenberg
Erler
Esters Ewen Frau Faße
Fischer ({51})
Frau Fuchs ({52})
Frau Fuchs ({53})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Vizepräsident Westphal Gerster ({54})
Gilges
Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haack ({55})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Heyenn Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({56})
Jansen
Jaunich
Jung ({57}) Jungmann
Kiehm
Kirschner
Klein ({58}) Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Leidinger Lennartz Leonhart
Lohmann ({59})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({60})
Dr. Mitzscherling
Müller ({61})
Müller ({62}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus
Pauli
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({63}) Schanz
Scherrer Schluckebier
Frau Schmidt ({64}) Schmidt ({65})
Dr. Schmude
Schröer ({66}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Sieler ({67})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({68})
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({69})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({70}) Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({71}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({72}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({73}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({74}) Ebermann
Frau Eid
Frau Garbe Frau Hillerich Hoss
Hüser
Frau Kelly Kleinert ({75})
Dr. Knabe Frau Krieger
Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Olms
Frau Saibold Frau Schilling
Schily
Frau Schoppe
Stratmann Frau Teubner
Frau Trenz Frau Unruh
Frau Vennegerts Volmer
Weiss ({76}) Wetzel
Frau Wollny Wüppesahl
Enthalten
CDU/CSU Scheu
Damit war dieser Antrag angenommen.
Bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/409 haben 426 Kollegen ihre Stimmen abgegeben. Es war keine ungültig. Mit Ja haben 163 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 239. Es hat 24 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 426; davon
ja: 163
nein: 239
enthalten: 24
Ja
SPD
Andres
Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({77})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({78}) Börnsen ({79}) Brandt
Brück
Büchler ({80})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort Catenhusen
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Duve
Dr. Ehmke ({81})
Dr. Ehrenberg
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({82})
Frau Fuchs ({83})
Frau Fuchs ({84})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier Gerster ({85})
Gilges
Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haack ({86})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Heyenn Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({87})
Jansen
Jaunich Dr. Jens Jung ({88})
Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner
Klein ({89})
Klose
Koschnick Kretkowski
Kühbacher Kuhlwein Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann ({90})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz
Frau Matthäus-Maier
Menzel
Dr. Mertens ({91})
Dr. Mitzscherling
Müller ({92})
Müller ({93})
Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl
Oesinghaus
Paterna Pauli
Pfuhl
Dr. Pick Porzner Poß
Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({94})
Scherrer Schluckebier
Frau Schmidt ({95}) Schmidt ({96})
Vizepräsident Westphal
Dr. Schmude Schreiner
Schröer ({97}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sieler ({98})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({99})
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({100})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({101}) Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({102}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({103}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({104}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
DIE GRÜNEN
Frau Garbe Frau Saibold Frau Unruh Wetzel
Nein
CDU/CSU
Austermann Bauer
Dr. Becker ({105}) Frau Berger ({106}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen ({107})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Breuer
Buschbom
Carstensen ({108}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({109}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fischer ({110}) Francke ({111})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({112})
Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({113})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald Günther
Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({114}) Hauser ({115}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({116}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({117})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({118})
Jung ({119})
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Kiechle
Klein ({120})
Dr. Köhler ({121}) Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({122}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Frau Limbach Link ({123})
Link ({124})
Lintner
Dr. Lippold ({125}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({126}) Müller ({127})
Nelle
Neumann ({128})
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack
Pesch
Petersen
Dr. Pfennig Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({129})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({130}) Frau Roitzsch ({131}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({132}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({133})
Sauer ({134}) Sauter ({135})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({136}) Schemken
Schmidbauer Schmitz ({137})
Dr. Schneider ({138}) Schreiber
Dr. Schroeder ({139}) Schulhoff
({140}) Schulze ({141}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({142})
Dr. Stoltenberg Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({143})
Vogt ({144}) Dr. Vondran Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({145}) Werner ({146})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Dr. Zimmermann
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Cronenberg ({147})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({148})
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner Richter
Rind
Dr. Rumpf Frau Dr. Segall
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Wolfgramm ({149}) Frau Würfel
Zywietz
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({150}) Frau Oesterle-Schwerin Sellin
Enthalten
DIE GRÜNEN
Ebermann Frau Eid
Hoss
Hüser
Frau Kelly Kleinert ({151})
Dr. Knabe Frau Krieger
Frau Nickels Frau Olms
Vizepräsident Westphal
Frau Schilling Schily
Frau Schoppe Stratmann
Frau Teubner
Frau Trenz
Frau Vennegerts Volmer
Weiss ({152}) Frau Wilms-Kegel Frau Wollny
Damit war dieser Antrag abgelehnt.
Die namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion die GRÜNEN auf Drucksache 11/412 hat folgendes Ergebnis gehabt: 421 Kollegen haben abgestimmt, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 27 Abgeordnete, mit Nein 375. Es hat 19 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 421; davon
ja: 27
nein: 375
enthalten: 19
Ja
SPD
Frau Weiler
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({153}) Ebermann
Frau Garbe Frau Hillerich
Hoss
Hüser
Frau Kelly Kleinert ({154})
Dr. Knabe Frau Krieger Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Olms
Frau Saibold Frau Schilling
Sellin
Stratmann Frau Teubner
Frau Trenz Volmer
Weiss ({155}) Wetzel
Frau Wollny
Nein
CDU/CSU
Austermann Bauer
Dr. Becker ({156}) Frau Berger ({157}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen ({158})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Breuer
Buschbom
Carstensen ({159}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({160}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fischer ({161}) Francke ({162})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({163})
Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({164})
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({165}) Hauser ({166}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({167})
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({168})
Dr. Jobst
Jung ({169})
Jung ({170})
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Kiechle
Klein ({171})
Dr. Köhler ({172}) Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({173})
Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs Frau Limbach
Link ({174})
Link ({175})
Lintner
Dr. Lippold ({176}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({177})
Müller ({178})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({179})
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack Pesch
Petersen Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rawe
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({180})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({181}) Frau Roitzsch ({182}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({183})
Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({184})
Sauer ({185})
Sauter ({186})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({187})
Schemken Scheu
Schmidbauer
Schmitz ({188})
Dr. Schneider ({189})
Schreiber
Dr. Schroeder ({190}) Schulhoff
({191}) Schulze ({192})
Dr. Schwörer Seehofer
Seiters
Dr. Sprung
Dr. Stark ({193})
Dr. Stoltenberg
Straßmeir Strube
Frau Dr. Süssmuth
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({194})
Vogt ({195}) Dr. Vondran Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß ({196})
Werner ({197})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Dr. Zimmermann
Zink
SPD
Andres
Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({198})
Frau Becker-Inglau
Bernrath
Dr. Böhme ({199})
Börnsen ({200})
Brück
Büchler ({201}) Dr. von Bülow Buschfort
Conradi
Daubertshäuser Diller
Duve
Dr. Ehmke ({202}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Frau Fuchs ({203}) Frau Ganseforth Gansel
Dr. Gautier
Vizepräsident Westphal
Gerster ({204})
Gilges
Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haack ({205})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Heyenn Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({206})
Jaunich Dr. Jens
Jung ({207}) Jungmann
Kiehm
Kirschner
Klein ({208})
Klose
Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann ({209})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({210})
Dr. Mitzscherling
Müller ({211})
Müller ({212}) Müntefering
Nagel
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Pauli
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({213}) Schanz
Scherrer Schluckebier
Frau Schmidt ({214}) Schmidt ({215})
Dr. Schmude
Schröer ({216}) Seidenthal
Frau Seuster
Sieler ({217})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({218})
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({219})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({220}) Weiermann
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({221}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Cronenberg ({222})
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Gallus
Gattermann Genscher
Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hirsch Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({223})
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Dr. Rumpf Frau Dr. Segall
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Frau Würfel Zywietz
Enthalten
SPD
Bindig
Frau Bulmahn
Fischer ({224}) Frau Fuchs ({225}) Dr. Hauchler
Jansen
Nehm
Frau Dr. Niehuis Oesinghaus
Schütz
Weisskirchen ({226}) Wieczorek ({227}) Frau Wieczorek-Zeul
DIE GRÜNEN
Frau Eid
Dr. Mechtersheimer Schily
Frau Schoppe
Frau Vennegerts
Damit war auch dieser Antrag abgelehnt.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
Verlautbarungen des Bundesministers des Innern über die Initiative „Sportler für den Frieden"
Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage V unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehr als 5 000 Sportlerinnen und Sportler, Sportfunktionäre, Sportwissenschaftler, Sportpädagogen und Sportjournalisten haben sich seit 1981 in der Initiative „Sportler für den Frieden - gegen Atomraketen" zusammengefunden. Es handelt sich bei ihnen um urteilsfähige selbstbewußte Glieder unseres demokratischen Gemeinwesens.
({0})
Unter ihnen sind Spitzensportler, die unser Land international erfolgreich vertreten und dadurch sein Ansehen in der Welt erhöht haben.
Diese Sportler und die übrigen Mitglieder der Sportlerinitiative haben in Wahrnehmung ihres Grundrechts auf freie politische Betätigung gehandelt. Keine staatliche Instanz durfte sich ihnen dabei in den Weg stellen, sie kontrollieren, behindern, diskriminieren oder sanktionieren.
({1})
Die Sportlerinitiative will vom 12. bis 28. Juni dieses Jahres eine Friedensstafette durch die gesamte Bundesrepublik durchführen. Im Hinblick auf diese Friedensstafette hat das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Bericht erstattet, in dem der Eindruck erweckt wird, die Sportlerinitiative und die Friedensstafette seien kommunistisch unterwandert.
({2})
Führende Mitglieder der Friedensinitiative, Dr. Horst Meier, Cornelia Hanisch, Ewald Lienen, Dr. Franz Josef Kemper und Michael Groß haben zu diesem Bericht zutreffend erklärt - ich zitiere - :
Unter Fortlassung von Tatsachen und wichtigen Fakten, durch falsche Darstellungen und manipulierte Informationen erweckt der Verfassungsschutzbericht den Eindruck, daß die zahlreichen
Sportler, die in der Initiative „Sportler und Sportlerinnen für den Frieden" mitwirken, linksextremistisch beeinflußt sind.
Der Bundesinnenminister, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat die in dem Verfassungsschutzbericht mitgeteilten haltlosen, ja geradezu absurden Verdächtigungen untadeliger und verdienter Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre, zurückgewiesen; im Gegenteil, er hat jede sich bietende Gelegenheit geradezu begierig wahrgenommen,
({3})
damit dieser obskure Bericht veröffentlicht und die Mitglieder der Sportlerinitiative vor aller Welt als Handlanger der Kommunisten an den Pranger gestellt wurden.
Offensichtlich will der Bundesinnenminister die Friedensinitiative der Sportler behindern und die Durchführung der Friedensstafette stören. Der Bundesinnenminister mißbraucht den Verfassungsschutz für politische Zwecke.
({4})
Er mißachtet die Freiheit der politischen Betätigung.
({5})
Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Haben Sie oder ein Angehöriger Ihres Ministeriums die Anfertigung des Berichts über die Sportlerinitiative und die Friedensstafette veranlaßt? Ist die Sportlerinitiative bzw. sind Mitglieder dieser Initiative in Akten und Dateien des Bundesamtes für Verfassungsschutz als „kommunistisch beeinflußt" registriert? Sind Informationen über die Sportlerinitiative und ihre Mitglieder an andere Verfassungsschutzbehörden, an andere Sicherheitsbehörden oder an sonstige staatliche Stellen weitergeleitet worden?
Herr Bundesinnenminister, ich fordere Sie auf: erstens die Beobachtung der Sportlerinitiative durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu unterbinden
({6})
und dafür zu sorgen, daß ihre Aktivitäten in den Akten, Dateien und Berichten des Verfassungsschutzes nicht aufgezeichnet und, soweit das geschehen ist, unverzüglich gelöscht werden;
({7})
zweitens jede Veröffentlichung über die Sportlerinitiative zukünftig zu unterlassen; drittens die Sportlerinitiative und ihre Mitglieder durch öffentliche Zurücknahme der gegen sie ausgesprochenen Verdächtigungen und dadurch zu rehabilitieren,
({8})
daß Sie vor der deutschen Öffentlichkeit Ihr Bedauern
über die nicht zu entschuldigenden Eingriffe in
grundgesetzlich garantierte politische Freiheitsrechte aussprechen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja ein beliebtes oppositionspolitisches Spiel, einen Sachverhalt so aufzublasen und zu verfälschen, daß man ihn kaum mehr wiedererkennt. Die künstliche Aufregung und Empörung von Ihnen - auch von Ihnen, Herr Emmerlich - in Sachen „Friedensinitiative der Sportler" ist dafür ein trauriges Beispiel. Man muß es Ihnen schon lassen: Sie haben sich in den vergangenen Wochen so eindrucksvoll entrüstet, daß Sie völlig den Boden der Realitäten verlassen haben.
({0})
Dabei hätte die Lektüre der Überschrift dieses Papiers wie auch seines Inhalts voreilige Kritiker eines Besseren belehrt; denn das vom Bundesinnenministerium u. a. dem Sportausschuß dieses Hauses zugeleitete Papier trägt die Überschrift: Versuche linksextremistischer Einflußnahme auf die - ich kürze jetzt ab - Friedensinitiative der Sportler und auf die Vorbereitung der Friedensstafette 1987.
({1})
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat hier nicht mehr und nicht weniger getan,
({2})
als die Bemühungen orthodoxer Kommunisten um Einflußnahme auf eine Friedensinitiative darzustellen und mit - wie inzwischen niemand mehr bestreiten kann - zutreffenden Tatsachen zu belegen.
({3})
Weder war und ist die Friedensinitiative der Sportler Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes,
({4})
noch hat das Bundesamt für Verfassungsschutz - wie Politiker der SPD wahrheitswidrig behaupten - einzelne Sportler bespitzelt.
({5})
Eine weitere Richtigstellung ist notwendig: Es gehört zur pflichtgemäßen Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde, die Erkenntnisse aus der Beobachtung von Extremisten auszuwerten und sachgerecht zu speichern. Meine Damen, meine Herren, dies führt nicht zur Speicherung von Daten normaler Mitglieder etwa einer Friedensinitiative. Um es konkret zu sagen: Kein Demokrat hat - wie von Ihnen wahrheitswidrig auch schon behauptet wurde - irgend etwas mit NADIS zu tun; keine Sportorganisation, keine Gewerkschaft, keine Kirche, kein
Gerster ({6})
anderer Verband wird vom Verfassungsschutz ausgeforscht. Dafür werden wir sorgen, und dafür sorgen auch die parlamentarischen Kontrollgremien.
({7})
Es gehört allerdings zu den von der Verfassung gewollten und im Verfassungschutzgesetz festgeschriebenen Aufgaben des Verfassungsschutzes, Versuche der DKP, auf demokratische Gruppierungen Einfluß zu nehmen, deutlich zu machen.
Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, Sie sollten vielleicht die ganze Diskussion einmal in Zusammenhang mit Äußerungen einzelner Politiker der SPD stellen. Es war ja gerade ein SPD-Politiker, der dieser Tage in einer kommunistischen Zeitung vom „Abschied vom Antikommunismus" sprach.
({8})
Es ist ja die SPD in Schleswig-Holstein, die in ihrem Wahlprogramm zwar vor neofaschistischen Tendenzen warnt, aber kein Wort zu linksextremistischen Bedrohungen sagt. Ich frage mich: Wollen Sie eigentlich nur auf einer Seite politisch Radikale kontrollieren und im Auge behalten, und sind Sie auf dem linken Auge wirklich so blind, wie Sie hier tun?
({9})
Meine Damen, meine Herren! Seit Bestehen dieser Bundesrepublik war es ein fester Grundkonsens zwischen allen demokratischen Parteien, daß es keine Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit mit Extremisten auf der linken oder rechten Seite geben darf. Dieser Grundkonsens ist von den GRÜNEN ja nie akzeptiert worden.
({10})
und wird von der SPD Stück für Stück, was die Kommunisten angeht, verlassen. Nach dem Motto: Gut ist, was links ist,
({11})
wird die Distanz zu den kommunistischen Antidemokraten verwaschen. Kurt Schumacher und Ernst Reuter wären für manche in der SPD heute nur noch primitive Antikommunisten.
({12})
Das ist die Situation, daß Sie nicht mehr wahrhaben wollen, daß Teile Ihrer Partei inzwischen gemeinsame Sache mit Kommunisten machen,
({13})
und deswegen die Aufregung über ein Papier, das im
Vollzug demokratischer Gesetze erstellt worden ist
und das Sie letzten Endes inhaltlich ja überhaupt nicht bestreiten können,
({14})
sondern dadurch zu verteufeln versuchen, daß Sie behaupten, einzelne Sportler sollten hier diffamiert werden.
Kein Sportler wird diffamiert, aber wir werden auch in Zukunft darauf achten, ob Kommunisten und andere Linksextreme versuchen, derartige Initiativen zu mißbrauchen, um ihr Geschäft zu betreiben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Jetzt erteile ich dem Abgeordneten Brauer das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für mich ist überhaupt nicht neu, daß das Bundesinnenministerium in dieser friedenspolitischen Situation die Friedensinitiativen überwachen läßt. Neu ist aber, daß nun die Bespitzelung auf den Sport und auf viele Sportlerinnen und Sportler ausgedehnt worden ist.
({0})
Solange die Sportler um Medaillen rennen, werfen, springen und schwimmen, werden sie vom Innenminister für besondere Leistungen mit dem silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet.
({1})
Wenn sie aber diesen scheinbar unpolitischen Bereich verlassen, sich in ihrer Vorbildfunktion zu wichtigen Überlebensfragen, wie hier für Frieden und Abrüstung, äußern und engagieren, also selbstverständliche demokratische Rechte wahrnehmen, dann passen sie nicht in das von der Bundesregierung gewünschte Bild eines sogenannten unpolitischen Sportlers.
({2})
Wenn sich wie in diesem Falle viele bekannte Spitzensportler für atomare Abrüstung in Ost und West, für einen Atomteststopp, für die doppelte Null-Lösung unter Einbeziehung der Pershing I a, gegen die Militarisierung des Weltalls einsetzen und somit Ziele vertreten, die von der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden, jedoch nicht Regierungspolitik unterstützen, dann werden sie mit den Mitteln der Registrierung, der Verdatung eingeschränkt.
({3})
Da gegen die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung in Fragen der Abrüstung nicht offen angegangen werden kann, wird die alte Methode des AntikommuBrauer
nismus hier benutzt. Durch Nennung von wenigen Namen wird der Eindruck erweckt, die Sportlerfriedensinitiative sei kommunistisch unterwandert und ferngesteuert. Das alte Feindbild Kommunismus soll rekrutiert werden, um gegen mißliebige Gruppen vorzugehen.
({4})
Angesichts der in Gang gekommenen Abrüstungsdiskussion haben konservative Kreise Angst
({5})
- gut -, daß die Stafette der Sportler mit ihrer großen Öffentlichkeitswirksamkeit die Mehrheitsmeinung der Bürger nach Abrüstung zu deutlich dokumentiert.
Im Grunde genommen sollte doch durch diese Veröffentlichung des Dossiers eine Isolierung der Sportlerinitiative erreicht werden nach dem ganz einfachen Motto: Spiel nicht mit Karl Allgöwer, spring nicht mit Carlo Tränhardt, schwimm nicht mit Michael Groß.
({6})
So vereinfacht ist es, glaube ich, gut rüberzubringen.
({7})
Das mündet in den Satz: Laß dich nicht mit Lienen ein, sonst bist du ein..
({8})
- Das können Sie ja einmal selbst weiterdenken.
({9})
- Sie kennen doch wahrscheinlich auch das Lied.
Dieser Einschüchterungsversuch, verharmlosend dargestellt mit dem Begriff positiver Verfassungsschutz, zeichnet ein deutliches Bild der Verfassung des Verfassungsschutzes und unserer Regierung.
({10})
Innenminister Zimmermann, der sowohl verantwortlich für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes zeichnet als auch für den Sport zuständig ist, muß wissen, das der Sport Diskriminierung wegen Rasse, Religion und politischer Richtung ausdrücklich ausschließt. In dieser Sportlerinitiative, die sich als überparteilich begreift, können und sollen alle diejenigen mitmachen, die sich für Abrüstung und Frieden engagieren. Da wird nicht nach Parteizugehörigkeit gefragt. Das ist im übrigen im Sport auch nicht üblich.
Wenn der Verfassungsschutz festgestellt hat, daß u. a. auch Kommunisten dabei sein sollen, so begrüßen wir das ausdrücklich.
({11})
Wir ermuntern alle Sportler und Sportlerinnen
- ohne Ausnahme; da schließen wir niemanden aus - , sich an dieser Friedensstafette zu beteiligen, und möchten dabei nicht DKP-Mitglieder ausschließen, wie das von der SPD geschehen ist.
({12})
- Darüber können wir auch einmal diskutieren.
({13})
Wir fordern den Bundesinnenminister auf, das Dossier über die Friedensinitiative der Sportler unverzüglich einzuziehen, die Bespitzelung einzustellen, die Daten zu vernichten.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der sensibelsten Bereiche im Verfassungsschutzbericht ist jeweils das Kapitel „Einfluß der DKP auf andere Organisationen". Es war immer wichtig, hier mit großer Behutsamkeit vorzugehen; denn Anknüpfungspunkt ist allein die Tätigkeit der DKP, deren Ziele natürlich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind.
Es muß unterschieden werden zwischen den Aktivitäten der DKP und den Aktivitäten der demokratisch eingestellten Mitglieder solcher Organisationen und Initiativen.
({0})
Sie dürfen nicht deshalb verdächtigt oder ins Zwielicht gerückt werden, weil sie es in Kauf nehmen, daß auch DKP-Mitglieder in Organisationen und Initiativen mitwirken,
({1})
zumal dann, wenn die Ziele einer Initiative, über die man politisch natürlich streiten kann, nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Es darf nicht im Ansatz der Eindruck entstehen, daß die politische Tätigkeit von Bürgern Anlaß zu Beanstandungen des Verfassungsschutzes in diesem Sinne gibt.
({2})
Es ist nicht zu beanstanden, daß die Öffentlichkeit über die Aktivitäten der DKP und solchen von der DKP beeinflußter Initiativen informiert wird. Das ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Es kommt aber immer darauf an, wie das geschieht. Eine Diskriminierung der anderen, nicht der DKP angehörenden Mitglieder und Teilnehmer darf auf keinen Fall erfolgen.
({3})
984 Deutscher Bundestag - 1 i. Wahlperiode Baum
Im vorliegenden Fall hat das Innenministerium klargestellt - leider erst nach einer gewissen Zeit -, daß der Anknüpfungspunkt allein die Tätigkeit der DKP sein kann. Das Schreiben, das am 10. April 1987 dem Vorsitzenden des Sportausschusses vom BMI übermittelt wurde, nimmt eine solche Wertung leider nicht vor und konnte deshalb zu Mißinterpretationen in der Öffentlichkeit führen.
({4})
Aus ihm konnte leicht der Schluß gezogen werden, daß alle Mitglieder dieser Initiative in einen Topf gehören.
Die unbezweifelbar demokratisch eingestellten Mitglieder solcher Initiativen dürfen wegen einer solchen Mitwirkung keinerlei Nachteile erleiden. Sie dürfen nicht Beobachtungsziel sein und dürfen nicht in Dateien gespeichert werden.
({5})
Das BMI hat diese Aktion als positiven Verfassungsschutz bezeichnet. Ich habe mich schon als Innenminister dagegen gewandt. Das erweckt nämlich den Eindruck, als gäbe es auch einen negativen Verfassungsschutz. Es gibt keinen negativen Verfassungsschutz.
({6})
Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, uns über Bestrebungen zu informieren, die gegen die Grundordnung gerichtet sind. Diese Aufgabe sollte in nüchterner Gelassenheit selbstbewußter Demokraten gelöst werden.
Die Willensbildung in unserer Gesellschaft wird von der DKP, die bei den Wahlen ausgespielt hat, nicht bestimmt, meine Damen und Herren. Geschönte und aufgeblähte Erfolgsmeldungen der DKP sollten nicht zur Grundlage von Erkenntnissen gemacht werden.
({7})
Auch die Erfolge der sogenannten Bündnispolitik halten sich in engen Grenzen.
Es stimmt, meine Damen und Herren, was der Innenminister jedes Jahr sagt, daß unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stabil ist und in Wahrheit eben nicht bedroht ist. Nur ein kleiner Bruchteil der 10 000 Veranstaltungsteilnehmer in der Dortmunder Westfalenhalle sind Anhänger der kommunistischen Partei.
Ich meine, der Verfassungsschutz braucht Vertrauen, gerade auch bei jüngeren Menschen. Er hat unsere Unterstützung. Gegen ungerechtfertigte Angriffe auf den Verfassungsschutz werden wir immer vorgehen. Das Innenministerium und der Verfassungsschutz sollten aber alles vermeiden, was zu Mißdeutungen seiner Tätigkeit führen kann.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zimmermann, als sogenannter Sportminister haben Sie sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig gemacht.
({0})
Sie haben es zugelassen, daß untadelige staats- und verfassungstreue Mitbürger durch ein übles Pamphlet beleidigt, verdächtigt und in die Ecke von Verfassungsfeinden gedrängt wurden. Es handelt sich dabei um verdiente und international hochgeschätzte Sportler. Ich nenne nur die Fecht-Olympiasiegerin Cornelia Hanisch, eine Lehrerin; ich nenne den SchwimmOlympiasieger Michael Groß oder den Leichtathleten Carlo Tränhardt. Ich nenne nur einige; die Nichtgenannten mögen mir dies verzeihen.
Die ganze Aktion ist beschämend. Deshalb ist die Empörung der Betroffenen, Herr Minister, für uns voll verständlich. Mehrere prominente Sportler und Mitglieder dieser Friedensinitiative haben ihr Erschrekken über dieses verleumderische Handeln in einem Schreiben vom 20. Mai 1987 an Sie, Herr Zimmermann, deutlich zum Ausdruck gebracht.
({1})
Die völlig zu Unrecht verdächtigten Sportler waren aber immerhin so unbedenklich und verfassungstreu, daß Sie sich, Herr Minister, erstens mit ihnen für Werbezwecke der Bundesregierung gerne als Sportminister fotografieren lassen
({2})
und daß Sie zweitens dem Herrn Bundespräsidenten diese Sportler für höchste Auszeichnungen vorschlugen, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat, so beispielsweise - es wurde bereits gesagt - für das Silberne Lorbeerblatt. Das ist die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland für sportliche Erfolge.
Herr Minister Zimmermann, wenn Sie im Stile eines Rückzugsgefechts nun scheinheilig - das darf ich nicht sagen - erklären,
({3})
die Initiative „Sportler für den Frieden - gegen Atomraketen" sei überhaupt kein Objekt für den Verfassungsschutz gewesen, so ist dies eine Schutzbehauptung und völlig unglaubwürdig, denn woher, wenn nicht dadurch, sollen die Erkenntnisse gekommen sein?
Es muß mit aller Deutlichkeit noch einmal gesagt werden: Es handelt sich hier um ein schweres Fehlverhalten und nicht um eine Lappalie,
({4})
wie Sie, Herr Zimmermann, und Ihr Haus und das
Bundesamt es in der Öffentlichkeit darzustellen verLambinus
suchen. Wer sich die Erklärungen und Kommentare aus der CDU/CSU zum Wirken und zu den Zielsetzungen dieser Bürgerinitiativen genau ansieht, der kann nur den Eindruck gewinnen: Diese Methode hat System.
({5})
So hat Staatssekretär Neusel vom Bundesinnenministerium in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Sportausschusses bereits am 10. April angekündigt, daß die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums des Innern verwendet werden. Hier setzt unsere Kritik an. Diese Bürgerinitiativen wurden durch Sie, durch Ihr Haus, öffentlich in Mißkredit gebracht.
({6})
Herr Minister, wir erwarten, daß Sie wenigstens den Mut haben, einzugestehen, daß der Ermittlungsbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und das, was die Angaben ausgelöst haben, eine schwerwiegende Verantwortungslosigkeit war. Ich würde Ihnen auch empfehlen, im Interesse des deutschen Sports
({7})
- nein -: Entschuldigen Sie sich wenigstens bei den betroffenen Sportlern.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich betätige mich sonst sportlich. Ich brauche mich also hier nicht so aufzuführen wie der Kollege Lambinus. Aber ich muß sagen, auch diese Aktuelle Stunde ist wieder weder aktuell noch die Aufregung wert, die darum gemacht wird.
({0})
Selbst der Kollege Alfred Emmerlich konnte nicht mit dem notwendigen Ernst die Aufgeregtheit zelebrieren, die nach seinen Worten eigentlich angemessen gewesen wäre.
({1})
Es ist doch notwendig, daß wir noch einmal auf das zurückkommen, was eigentlich der Anlaß für diese Aufregung ist. Es geht darum, daß das Innenministerium einen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Präsidenten des Deutschen Sportbundes und an den Vorsitzenden des Sportausschusses des Deutschen Bundestages übersandt hat.
({2})
Diese Methode ist aus früherer Zeit der SPD-Fraktion
durchaus gut bekannt; denn früher hat die SPD-Fraktion solche Berichte bekommen. Aber das nur am Rande.
({3})
Jetzt wollen wir einmal den Redner reden lassen.
Lieber Peter Büchner, ich sehe mich in der Lage, dir anschließend das Eigentliche dieses Verfahrens und den Sinn zu erklären.
({0})
Bisher haben Organisationen wie der Sportbund immer noch wert darauf gelegt, es zu erfahren, wenn gegen ihre Mitglieder in irgendeiner Form versucht wird, sie auf eine politische Linie zu ziehen, die dem Deutschen Sportbund oder anderen Organisationen nicht recht sein kann.
({1})
- Ach, schreit doch nicht so!
Meine Damen und Herren, dieses Papier weist auf die Versuche der DKP und ihrer Hilfsorganisationen hin, bei der Initiative „Sportler und Sportlerinnen für den Frieden" - ich wundere mich über die Bezeichnung; es scheint ein besonders emanzipierter Verein zu sein - und bei der Vorbereitung der Friedensstaffette '87 Einfluß zu bekommen.
({2})
Es geht also um die Versuche der DKP, auf irgendwelche Organisationen Einfluß zu nehmen.
Solche Berichte macht der Verfassungsschutz seit eh und je. Ich darf Ihnen aus einem Bericht der Bundesregierung zitieren, wo es heißt:
Es gehört zum klassischen Instrumentarium der kommunistischen Strategie und Taktik,
({3})
Bündnisse und Aktionsgemeinschaften mit nicht kommunistischen Parteien und Organisationen einzugehen.
({4})
Der strategische Zweck der Bündnispolitik ist die Förderung der kommunistischen Zielvorstellungen, deren Verfassungsfeindlichkeit die Bundesregierung wiederholt dargetan hat. Wie dargelegt wurde, betreiben die DKP und ihre Nebenorganisationen die Bündnispolitik letztlich in der Absicht, der Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Zielsetzungen näherzukommen.
({5})
- Das ist nicht neu. Das hat die Bundesregierung 1978 gesagt, als sie noch von Ihnen geführt wurde.
Es geht also darum, zu sehen - das muß uns im Interesse des Verfassungsschutzes auch als Parlament
interessieren -, ob die DKP, die sonst bei den Wahlen nichts bewegen kann, mit dieser Bündnisstrategie Erfolge hat, ob es ihr gelingt, Organisationen für sich zu vereinnahmen bzw. bei deren Zielsetzung wesentlichen Einfluß zu gewinnen. Das ist der Sinn dieses Berichts des Verfassungsschutzes. Der Bericht ist so abgefaßt wie frühere Berichte in diesem Zusammenhang und verdient auch unser Interesse.
({6})
Wir haben uns mit der Frage, die dann noch interessieren kann, daß nämlich damit automatisch bestimmte Bürger sozusagen in das Visier des Verfassungsschutzes geraten, sehr intensiv in dem Untersuchungsausschuß beschäftigt. - Kollege Lambinus, du warst in diesem Ausschuß nie da und hast deshalb auch keine Ahnung, was das eigentliche Thema war.
({7})
Wir haben in unserem Bericht zu diesem Thema festgestellt - ich zitiere - :
Naturgemäß rücken durch solche Vorgänge die demokratischen Organisationen als Zielobjekte extremistischer Politik und Unterwanderungsbestrebungen ins Visier des Verfassungsschutzes. Sie dürfen dadurch jedoch auch künftig nicht zum Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes werden.
Meine Damen und Herren, auch wenn unsere Sportler also ganz eindeutig nicht Objekte der Beobachtung sind, möchte ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, zum Friedensengagement unserer Sportler folgendes sagen:
({8})
Wir schätzen den Beitrag des Sports zur Sicherung des friedlichen Zusammenlebens und der Völkerverständigung sehr hoch ein. Der Sport fördert die Begegnung von Menschen untereinander und das Verständnis füreinander nicht nur ganz allgemein, sondern er ermöglicht es darüber hinaus, daß Menschen aller Nationalitäten zusammenkommen und daß Trennendes - wie Nationalität oder Gesellschaftsordnung - überwunden wird.
({9})
Vor allem aber ist es jedem Sportler als Person überlassen, den Gedanken des Friedens in Freiheit durch besondere Aktivitäten zu fördern.
({10})
Kein Sportler aber würde diesem Ziel dienen, wenn er Friedensinitiativen unterstützt, die ihn lediglich zu Propagandazwecken mißbrauchen.
({11})
Spitzensportler sollten sich nicht für mehr vereinnahmen lassen als das, wofür sie politisch tatsächlich stehen.
({12})
Daß von den orthodoxen Kommunisten zumindest versucht werden soll, unsere Sportler für DKP-Ziele einzuspannen,
({13})
hat der zur Diskussion stehende Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz gezeigt.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Ich denke, daß die Abfolge paßt; der Kontrast wird gewahrt. Eigentlich müßte diese Aktuelle Stunde tatsächlich den Titel „Einfluß des Kommunismus auf das Speerwerfen" oder so ähnlich bekommen.
({0})
Ich glaube, Sie haben durch Ihren Beitrag soeben belegt, daß Sie überhaupt noch nicht begriffen haben, welche Katastrophe da stattgefunden hat, wenn bereits solche Bevölkerungsgruppen der Bespitzelung unterliegen müssen.
({1})
Ebenso wie mit dem jährlichen Machwerk Verfassungsschutzbericht erfolgt unter der Überschrift „Positiver Verfassungsschutz" auch hier der Versuch,
({2})
mißliebige Personen und Organisationen in der Grauzone zwischen Verdacht und übler Nachrede quasi regierungsamtlich abzuqualifizieren. Die „FAZ" - weiß Gott nicht uns nahestehend - kommentiert das unmißverständlich so:
Schaden tut den Betroffenen noch nicht die Observation selbst, sondern das anschließend geplante ,Ausposaunen' zweifelhafter Erkenntnisse.
Und dies hat tatsächlich, wie schon festgestellt, Methode. Die Verfassungsschutzdossiers
({3})
werden immer häufiger gezielt lanciert, um das Ansehen von in der Öffentlichkeit stehenden Personen herWüppesahl
abzusetzen. Genauso ist auch bei dieser Initiative verfahren worden. Mit der Rechtfertigung einer angeblich drohenden kommunistischen Beeinflussung - und diese Bedrohung ist nach Ihrer Diktion ja tagtäglich rund um die Uhr gegeben - werden zunehmend demokratische, aber eben regierungskritische Organisationen von den Dunkelmännern aufs Korn genommen.
Wir meinen allerdings, daß die Verfassung inzwischen täglich von niemand anderem so intensiv mit Füßen getreten wird wie von der Institution, die diese Verfassung entsprechend ihrem Namen schützen soll.
({4})
Eigentlich verdient dieses Bundesamt für Verfassungsschutz längst den Begriff, der seiner eigentlichen Funktion nahekommt, nämlich: Staatsschutz. Es schützt den Staat vor den Bürgern, anstatt dafür zu sorgen, daß sich eine demokratische Kultur in diesem Land entwickeln kann, die diesen Namen auch tatsächlich verdient.
Es gibt auch nicht einen positiven oder negativen Verfassungsschutz, sondern der Verfassungsschutz ist ein Negativum! - Das läßt sich kaum klarer als an dem Fall herausarbeiten, der dieser Debatte zugrunde liegt.
({5})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir bleiben dabei: Die Ämter für Verfassungsschutz müssen ersatzlos abgeschafft werden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich das Dossier des Verfassungsschutzes ansieht, dann stellt man fest, daß es über weite Strecken in der Tat eine öde Zusammenstellung von Pressemitteilungen ist, deren Würdigung eigentlich fehlt, mit denen man sich nicht kritisch auseinandersetzt. Und es sind eine Reihe von Informationen darin, die sich nur ergeben können, wenn man die Veranstaltung selber mit beobachtet hat.
({0})
Das Problem, das sich daraus ergibt, liegt nicht darin, daß es sich um Prominente handelt, sondern darin, daß es Sportler sind, von denen wir wissen, daß sie keine verfassungsfeindliche Gesinnung haben.
({1})
Das noch größere Problem liegt darin, daß die Tätigkeit, um die es sich handelt, also eine Friedensstafette
durchzuführen - das mag politisch unangenehm,
unbequem oder nicht beliebt sein -, per se keine verfassungsfeindliche Handlung ist.
({2})
Daraus ergibt sich ein Problem: Wenn der Bürger den Eindruck bekommen muß, er werde bei einer mißliebigen, aber legitimen Tätigkeit in das Blickfeld des Verfassungsschutzes geraten, dann wird er sich wahrscheinlich politisch nicht mehr offen beteiligen. Der Schutz der Verfassung, den wir bejahen und den wir haben wollen, darf nicht zur Erstickung des politischen Lebens führen.
({3}) Das ist der Punkt.
Ich habe den Eindruck, daß der Verfassungsschutz sozusagen mit dem Hintern das einreißt, was er mit den Händen aufzubauen behauptet.
({4}) Da liegt das eigentliche Problem.
Der Innenminister sagt, daß die Initiative „Sportler für den Frieden" kein Beobachtungsobjekt sei. Das nehme ich so ab, das mag so sein. Das ist in Ordnung. Nur, die Frage ist, ob der Verfassungsschutz bei seiner Tätigkeit das richtige Maß einhält.
({5})
Wenn man den Verfassungsschutzbericht kritisch würdigt - wir werden das im Ausschuß noch tun -, dann muß man in der Tat zu dem Ergebnis kommen, daß der Linksextremismus - zumindest die DKP, um die es hier geht - nicht nur in den Wahlen regelmäßig dezimiert ist, sondern daß auch die Schriften der DKP, öde und langweilig, von niemandem mehr außer einem kleinen Interessentenkreis gelesen werden und daß Schriften über Tätigkeiten dieser Art eine große Publizität erlangen.
Ich frage mich also, wenn dieser Bericht dem Vorsitzenden des Sportausschusses und seinem Vertreter gegeben worden ist: Warum nicht allen Mitgliedern? Wenn der Präsident des Sportbundes unterrichtet worden ist, warum dann nicht die Vorstandsmitglieder dieser Initiative,
({6})
um ihnen zu sagen: Ihr seid möglicherweise ein Beeinflussungsobjekt in der Bündnispolitik der Kommunisten. Das ist natürlich richtig: Je geringer der eigene politische Einfluß der DKP ist, um so größer ist für sie die Versuchung, sich sozusagen irgendwo draufzusetzen, sich irgendwo anzuhängen, um damit Einfluß ausüben zu können.
Unsere Reaktion aber darf nun nicht die sein, daß wir daraufhin jeden solchen Versuch dokumentieren, beobachten und sonstwie auf den Prüfstein stellen,
({7})
sondern der Verfassungsschutz muß sich gerade
wegen der Stabilität unserer politischen Gesellschaft
und um sie zu erhalten, auf die wirklich politisch
bedeutsamen Vorgänge konzentrieren. Dazu ist er nötig.
({8})
- Frau Unruh, Sie klatschen Beifall. Ich finde das großartig.
Wir wollen den Verfassungsschutz nicht abschaffen. Wir wollen seine demokratisch notwendige Wirksamkeit dadurch erhalten, daß wir ihn von Quisquilien befreien und deshalb appellieren, daß wir uns nicht verzetteln und den Eindruck erwecken, wir wären in einem Überwachungsstaat, was falsch ist.
Ich habe den Eindruck, daß es Zeit wird, einmal die notwendige Tätigkeit des Verfassungsschutzes neu zu vermessen
({9})
und dabei auch die notwendige Abgrenzung zwischen der Tätigkeit der Polizei und dieses Dienstes neu zu überlegen und zu überprüfen,
({10})
damit wir eine korrekte Tätigkeit beider notwendigen Einrichtungen bekommen und uns vor Mißdeutungen hüten, wie sie hier auf der Hand liegen.
Ich hoffe, daß uns die Behandlung des Verfassungsschutzberichtes im Ausschuß Gelegenheit geben wird, dieses Thema etwas vertieft zu behandeln.
({11})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung wie auch ihre Vorgängerregierungen setzen bei den extremen Gegnern der freiheitlichdemokratischen Grundordnung auf Überzeugungskraft in einer geistigen und politischen Auseinandersetzung. Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Regierung über die Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu unterrichten und das auch öffentlich zu machen; denn nur der unterrichtete Bürger erkennt propagandistische Irreführung und Versuche extremistischer Einflußnahme mit Gefahren und Folgen.
({0})
Ich habe lange geglaubt, daß das auch noch für die sozialdemokratische Fraktion gelte. Ich bin erstaunt, daß das offenbar nicht mehr so ist. Die Behörden für Verfassungsschutz haben den gesetzlichen Auftrag, der Ihnen bekannt ist. Er bezieht sich auch auf Versuche der Deutschen Kommunistischen Partei und ihrer Hilfsorganisationen, vor allem der Deutschen Friedensunion, DFU, Friedensinitiativen zu unterwandern. Das ist ihr veröffentlichtes Ziel.
({1})
Der heftig angegriffene Bericht, insbesondere zur
Friedensstafette 1987, hält sich streng an diesen Auftrag. Der Gegenstand des Berichts ist natürlich nicht, wie wahrheitswidrig auch gerade wieder behauptet worden ist, die Sportlerinitiative selbst, und es sind schon gar nicht die mitwirkenden Sportler. Allein der Anteil der DKP an der Organisation von Aktionen der Initiative ist in die Aufmerksamkeit von Verfassungsschutz von Bund und Ländern geraten.
({2})
Dazu brauchen keine Observationen durchgeführt zu werden, sondern es brauchen nur jedermann zugängliche Quellen hergenommen zu werden.
Es ist eine alte marxistisch-leninistische Strategie und Taktik, daß die DKP die Zusammenarbeit mit nicht-kommunistischen Kräften sucht, um sich eine sogenannte Massenbasis zu verschaffen
({3})
um damit einen weitaus größeren politischen Einfluß zu haben, als ihr angesichts ihrer Mitgliederzahlen zusteht. Da wird langfristig gearbeitet, da wird revolutionäre Geduld gefordert - das ist alles in Anführungszeichen zu setzen, das sind wörtliche Zitate - da wird Gemeinsames betont, Trennendes ausgeklammert, und diese nach außen hin zurückhaltende Vorgehensweise hat immer wieder Erfolg, wie wir auch hier sehen, wie wir sogar bei Ihnen sehen.
({4})
- Bei den Wahlen hat das keinen Erfolg,
({5})
aber bei den Gutgläubigen, bei denen, die große Initiativen unterstützen und gar nicht merken, daß sie nur getäuschte Bürger dieses Landes sind.
({6})
Aber zitieren wir weiter vom 8. Parteitag. Die DKP wörtlich: „ ... in den außerparlamentarischen Bewegungen eine initiierende, orientierende, organisierende Rolle spielen. Viele politische Forderungen, die ursprünglich allein von der DKP vertreten wurden," - so behauptet sie jetzt mit Stolz - „sind inzwischen Bestandteil der Positionen anderer Parteien, von Gewerkschaften und breiten Massenbewegungen." Soweit das Zitat aus dem Protokoll des DKP-Parteitags.
({7})
Meine Damen und Herren, große Chancen für bündnispolitische Erfolge sehen Kommunisten in ihrem zentralen Agitations- und Aktionsfeld, dem Friedenskampf. Sie suchen Einfluß in einer Reihe berufsbezogener Friedensinitiativen zu gewinnen,
um sich das hohe soziale Prestige bestimmter Berufsgruppen für ihre tagespolitischen Ziele nutzbar zu machen. Zu diesen für die Kommunisten sehr interessanten und von ihnen besonders umworbenen Initiativen gehören neben der Sportlerinitiative die Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden" , die Initiative „Pädagogen und Pädagoginnen für den Frieden", um einige Beispiele zu nennen.
({8})
Im Aktionsbuch der Sportlerinitiative zur Friedensstafette, das in der DKP kursiert, ist nachzulesen: „Das Organisationsbüro der Friedensstafette befindet sich am Sitz der Bundesgeschäftsstelle der DFU" , bekanntlich einer Vorfeldorganisation der DKP. Das Aktionsbuch veröffentlicht die Namen der sechs Mitglieder des Organisationsausschusses für die Friedensstafette.
({9})
Darunter befindet sich ein Sportredakteur des DKP-Zentralorgans „Unsere Zeit", ein Mitglied des Kommunistischen Marxistischen Studentenbundes Spartakus, ein ehemaliger Kandidat einer Bündnisliste dieses Studentenverbandes an einer Hochschule und ein Mitglied der Deutschen Friedensunion.
({10})
DKP-nahe Kräfte stellen also die Mehrheit im Organisationausschuß. Aber das scheint Sie alles nicht besonders zu stören, im Gegenteil, das scheint Sie zu freuen. Ich treffe dagegen die Feststellung, daß nicht der Verfassungsschutz, sondern die DKP die Sportlerinitiative intensiv und planmäßig ausforscht. Das ist die Wahrheit.
({11})
Meine Damen und Herren, dieser Bericht ist auch nicht schlampig recherchiert, und es sind keine manipulierten Informationen. Ich nehme hier die Angehörigen des Verfassungsschutzes, die eine schwere Aufgabe haben, ausdrücklich in Schutz; sie haben diese Kritik nicht verdient.
({12})
Dieser Minister ist nicht nur Sportminister und hat den Anteil für den Sport in seinem Bereich in den letzten Jahren mit Hilfe des Parlaments erheblich steigern können, er ist auch Verfassungsminister. Er muß sagen, was Sache ist. Der Verfassungsschutz interessiert sich selbstverständlich nicht für die Sportler und für die Sportorganisationen. Aber die Sportler müssen wissen, wer versucht, aus ganz anderen politischen Beweggründen auf ihre Initiative und ihr Engagement Einfluß zu nehmen. Das alles hat mit politischer Gängelung überhaupt nichts zu tun, ist nur ein Appell an ihre politische Einsichtsfähigkeit. Ihr politisches und gesellschaftliches Engagement ist erwünscht und notwendig.
({13})
Mein Appell gilt aber auch der Verantwortungsbereitschaft, die die notwendige Kehrseite eines jeden Engagements ist. Informieren Sie sich, mit wem sie sich engagieren,
({14})
und erwehren Sie sich derjenigen, die mit Ihrem guten Namen Schindluder treiben, zum Nachteil unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung!
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Herr Zimmermann, durch diese Rede haben Sie sich sowohl als Sport- wie als Innenminister als personifizierte doppelte Null-Lösung erwiesen.
({0})
Auch wir nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Schutz, aber auch vor Ihnen;
({1})
denn Sie sind es, die mit Ihren Anweisungen den Verfassungsschutz geradezu diskreditieren.
({2})
Das ist doch eines der Probleme, die Sie einmal begreifen sollten.
Ich weiß gar nicht, ob Sie gemerkt haben, wie sehr Sie sich selbst widersprochen haben. Sie sagen, die Funktion sei, zu beobachten und dann die Betroffenen, die da unterwandert werden sollen - ja wohl, weil sie zu dämlich sind, selbst zu merken, was da passiert - , zu informieren. Aber genau das tun Sie doch nicht, sondern Sie informieren andere,
({3})
wobei Sie meinen, Sie könnten das probate Volksfrontgespenst mal wieder reaktivieren.
({4}) Das ist der eigentliche Punkt.
Wenn Sie ein Kerl wären - darauf legt man in Bayern doch so großen Wert - , hätten Sie sich hier hingestellt, sich bei den Sportlerinnen und Sportlern entschuldigt
({5})
und erklärt, daß mit dieser diskriminierenden Praxis Schluß ist. Statt dessen haben Sie sich hier herausschlawinert. Deswegen kommt es mir hier auch darauf an, deutlich zu machen, daß das kein isolierter Vorgang ist, sondern daß in diesem Vorgang Methode steckt. Die Methode läuft immer nach dem gleichen Strickmuster ab: Der Bundesinnenminister begründet nicht inhaltlich, was an einer bestimmten Aktivität möglicherweise verfassungsfeindlich sei - dazu fällt nämlich nicht einmal ihm etwas ein -, vielmehr wer990
den der Regierung mißliebige Initiativen pauschal dadurch ins Zwielicht gerückt,
({6})
daß die Beteiligung einer als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation festgestellt wird. Die Bundesregierung gibt vor, durch solche Art von Ermittlungen und Berichten die Verfassung zu schützen, bringt aber tatsächlich vor allem inhaltliche Forderungen in Mißkredit, die zwar sehr wohl mit der Verfassung in Übereinstimmung sind, aber nicht ins ideologische Weltbild einer rechten bis reaktionären Regierung passen.
({7})
Hier wird also Schutz der Verfassung vorgegeben und tatsächlich Schutz der Regierung vor unbequemen Fragen und Forderungen praktiziert.
({8})
Es ist doch auch sehr merkwürdig, Herr Minister, wie Sie irgend jemanden glauben machen wollen, hier finde Unterwanderung statt - das muß ja wohl heimlich passieren -, wenn Sie Seite um Seite die Selbsteinschätzung der DKP in Ihrem Verfassungsschutzbericht zitieren. Die rühmen sich ja auch, geben ihre Taktiken öffentlich bekannt - doch wohl nicht zur Tarnung. Und dann erklären Sie, die, die sich da so eingeschätzt hätten, machten in dieser oder jener Initiative mit. Damit wird suggeriert, die ganze Initiative identifiziere sich mit diesen taktischen Zielen. Das ist die Methode. Diese Methode halten wir für infam.
Die Sozialdemokraten werden dann wieder mal kommunistischer Umtriebe verdächtigt - das hat ja Tradition: Volksfrontgespenst - , und diejenigen, die selbst mit aller Gewalt nicht in die Nähe von Kommunisten zu rücken sind, werden dann zu nützlichen Idioten gestempelt.
({9})
Herr Minister, Sie haben selbst darauf hingewiesen - ich hätte sonst auch noch einmal daran erinnert - : Es sind nicht nur die Sportler für den Frieden, es sind die Naturwissenschaftler für den Frieden, es ist die Anti-Atomkraft-Bewegung, es sind aufmüpfige Gewerkschaften wie die IG Druck und Papier oder die Deutsche Journalisten-Union, die alle nach der gleichen Methode hier diffamiert werden.
Ich will Ihnen einmal eins sagen: Wenn Ihnen alle Argumente demokratischer Sensibilität nicht einleuchten, dann, meine ich, sollte man als letztes Mittel den Bundesrechnungshof auf den Verfassungsschutz ansetzen;
({10})
denn wenn es in dieser Republik nichts Dringenderes zu tun gibt, als solche Aktivitäten zu entfalten, damit Sicherheit, Ordnung und demokratische Zustände hier gewährleistet sind, dann müssen Sie eine Menge Personal zuviel haben.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich kann man, wenn man auf die Wahlergebnisse und auf die Mitgliederzahl der orthodoxen Kommunisten sieht, die Frage stellen: Müssen diese Beobachtungen durch den Verfassungsschutz tatsächlich heute noch sein? Ich denke aber, wer so fragt, der verkennt die Gefahr, verkennt Methodik, Strategie und den Charakter der Deutschen Kommunistischen Partei
({0})
als eines von außen gesteuerten Instruments der KPdSU und der SED.
Meine Damen und Herren, jeder von uns kann auch in den sozialdemokratisch regierten Ländern, in den Berichten der Verfassungsschutzämter nachlesen, daß die totalitäre Zielsetzung der DKP unverändert ist.
({1})
daß sie für den Fall, daß sich eine Chance dazu ergibt, folgendes will:
({2})
Sie will die Diktatur des Proletariats,
({3})
sie will die revolutionäre Umwälzung, sie will die revolutionäre Gewalt.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie brauchen gar nicht so zu tun, als ob das das Selbstverständlichste von der Welt ist.
({5})
Ich bin ziemlich sicher, daß Sie es nicht einmal alle wissen.
({6})
Wissen unsere Bürger wirklich, daß die DKP 65 Millionen DM im Jahr von der SED erhält?
({7})
Wissen unsere Bürger, daß die Führungskader der DKP in Ost-Berlin und in Moskau ausgebildet werden?
({8})
- Können Sie noch so reden, Herr Emmerlich, wenn
Sie wissen, daß das Vorbild für die DKP das HerrDr. Olderog
schaftssystem in der DDR und das Herrschaftssystem in der Sowjetunion ist?
({9})
Vorbild ist jene DDR, in der mehrere tausend politische Gefangene unter unmenschlichsten Bedingungen einsitzen.
({10})
Vorbild ist jene Sowjetunion, in der Bürgerrechtler und andere Kritiker, Menschen, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, in sibirischen Zwangslagern verschwinden, im Archipel GULag, in Gefängnissen.
({11})
Soll man das nicht ernst nehmen? Es ist doch nicht so, daß die Mitgliederzahl entscheidend ist, auch nicht die Wahlerfolge, sondern die Bündnisstrategie enthüllt die Bedeutung und die Gefahr der Kommunisten.
({12})
- Lassen Sie mich doch auch bitte einmal reden! - Es wäre doch einfach, wenn die Kommunisten offen für ihre Ziele eintreten würden; aber das Gegenteil ist der Fall: Es gehört geradezu zu den Anweisungen für die Kommunisten in Strategie und Taktik, daß sie ihre ideologischen Ziele zurückstellen, sogar bewußt verschleiern, um politischen Einfluß im Wege der Bündnisstrategie zu erlangen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal an Hand eines Zitates von Lenin, das noch heute gilt, deutlich machen, wie man da verfährt.
({13})
- Hören Sie sich das doch bitte einmal an; Zuzuhören ist doch ein Stück der politischen Kultur, die Sie so gerne fordern.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich möchte Ihnen ein bißchen Ruhe verschaffen.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen - in diesem Falle muß ich die linke Seite hier ansprechen - Lassen Sie bitte den Redner ausreden! Gute Zwischenrufe sind immer eine reizvolle Angelegenheit; aber dies ist zuviel, um es interessant und reizvoll sein zu lassen.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Zu Bemühungen um Aktionseinheit mit den Gewerkschaften bitte ich folgendes zitieren zu dürfen - von Lenin - :
Man muß zu allen und jedweden Opfern entschlossen sein und sogar, wenn es sein muß, zu allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Methoden, zur Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaften hineinzukommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen um jeden Preis kommunistische Arbeit leisten zu können.
Meine Damen und Herren, das gilt aber nicht nur für die Gewerkschaften, das gilt auch für alle anderen Organisationen, denen die Bündnisstrategie der Kommunisten gilt.
Ich möchte hier einmal vorlesen, was der Bundesgeschäftsführer der SPD im „Sozialdemokrat Magazin" 3/1985 gesagt hat, und zwar an die Adresse des Sozialdemokratischen Hochschulbundes:
({0})
Wenn ein Verein seine Mitglieder intern aufruft, in die SPD zu gehen, um deren Politik zu beeinflussen, werde ich hellhörig. Hier bitte ich die Funktionäre, die es angeht: Schaut euch im Bedarfsfall die Kameraden genau an!
Und dann:
Als Schlafmützen sollte uns jedenfalls keiner erwischen.
Um nichts anderes geht es jetzt auch bei den deutschen Sportlern. Wir bitten Sie, keine Schlafmützen zu sein.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der totalen Überbewertung der kommunistischen Partei und ihrer vermeintlichen Umtriebe durch die Vorredner der CDU/CSU und mancher Nebelkerze, die hier aus dieser Ecke geworfen worden ist, möchte ich zunächst einmal darauf zurückblenden, was denn eigentlich der Anlaß der Unterhaltung ist, die wir heute betreiben.
Da steht in dem Brief des Staatssekretärs Neusel an den Stellvertretenden Vorsitzenden des Sportausschusses:
Es ist beabsichtigt, die Darstellung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministers des Innern zu verwenden.
Diese Oberflächlichkeit ist es, die uns hier auf die Palme gebracht hat
({0})
und die uns dazu veranlaßt, zu sagen: Es ist eine pauschale Diskriminierung von Sportlern, die hier aus dem Papier hervorgeht.
({1})
Die entstandene Empörung ist um so verständlicher, als sich die betroffenen Sportlerinnen und Sportler regelrecht mißbraucht vorkommen müssen.
({2})
Schmidt ({3})
- Ich erkläre das jetzt genau, Herr Gerster. - Auf der einen Seite die Lobhudeleien und Sonntagsreden der Festredner bei Empfängen und bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblatts und die Vereinnahmung der Sportler für die politischen Zwecke dieser Bundesregierung und auf der anderen Seite die grobe Mißachtung aller ihrer persönlichen Freiheiten und pauschale Diskriminierung, wie ich sie eben geschildert habe.
({4})
Haben wir nicht immer wieder gehört, daß gerade die Sportler die geborenen Botschafter des Friedens sind und unser Ansehen auf internationalem Parkett aufwerten? Diesen Widerspruch zu Ihrer jetzigen Bespitzelungsaktion müssen Sie bei den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern nun aufklären, Herr Zimmermann.
({5})
Dies ist Ihnen auch nicht durch Ihren weinerlichen Rettungsbrief vom 15. Mai dieses Jahres an einige wenige dieser Sportler und durch Ihre mehr als eigenartige Antwort auf meine Anfragen vor kurzem gelungen.
Ich habe aus eigenem Erleben und jahrelanger Zusammenarbeit mit Spitzensportlern selbst feststellen können, daß sie ihre Friedensarbeit in der ihnen eigenen lockeren Art sehr erfolgreich wahrgenommen haben. Dies droht jetzt in Gefahr zu geraten und zerstört zu werden. Nachdem in den früheren Jahren eine ganze Reihe von unverdächtigen Personen, wie Willi Daume, Johannes Rau, Oberbürgermeister Samtlebe und viele Gewerkschafter, die Sportlerfriedensinitiative unterstützt haben, hat sich nun auch die DSB-Spitze - man höre und staune vielleicht auf Ihrer Seite - , allerdings unter Beachtung des selbstverordneten Gebots politischer Neutralität, zu einer positiven Stellungnahme veranlaßt gesehen.
Wenn es uns allen, wie heute vormittag in der Abrüstungsdebatte zum Ausdruck gebracht, tatsächlich um wirklich schnelle Abrüstungsschritte geht, sollten wir jede Aktivität auf diesem Felde unterstützen und nicht boykottieren, Herr Zimmermann.
({6})
Sie hätten in Ihrem Hause zum Wohl des Sports seit langer Zeit wahrlich eine ganze Reihe anderer Aufgaben zu bewältigen, aber leider kümmern Sie sich weder um die steuerlichen Probleme des Sports noch um das Thema Sport und Umwelt, noch um die zügige Arbeitsaufnahme an den Olymiastützpunkten, sondern Sie befassen sich stattdessen mit dem hier von uns angeprangerten Quatsch.
({7})
In anderem Zusammenhang wurde hier im Hause einmal die Formulierung gebraucht: Die Freiheit stirbt zentimeterweise. - Dies ist ein weiterer derartiger Vorgang. Da frage ich mich dann auch, wo denn die vermeintlich liberalen Vertreter der FDP in den acht Wochen dieses Vorgangs gewesen sind, die sich ja immer wieder auch als Sportfreunde zu profilieren versuchen.
({8})
Heißt denn Liberalismus der FDP, Herr Baum, auch in dieser Frage jetzt, daß man dem Regierungspartner bei allen Einengungen persönlicher Freiheiten völlig freie Hand läßt?
({9})
Ihre moderate Rede von vorhin hat viel zu spät einen einigermaßen klärenden Beitrag dazu geliefert. Das Duo Zimmermann/Spranger umweht ein kräftiger Hauch McCarthy, meine Damen und Herren.
({10})
Sorgen Sie von der Regierungskoalition dafür, daß sich dies nicht fortsetzt und unser Ansehen in der Sportwelt nachhaltig Schaden nimmt! Das können Sie unter anderem dadurch, daß Sie sich an der Friedensstafette beteiligen,
({11})
die vom 12. bis 28. Juni von der Sportler-Friedensinitiative, die Sie hier so diskriminiert haben, durch das gesamte Bundesgebiet geführt wird.
({12})
- Ich laufe auch mit. So fröhlich sieht das Einladungsplakat aus. Ich kann Sie nur bitten, daran teilzunehmen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte, wie sie geführt wird, ist natürlich auch eine Debatte um das Selbstverständnis der Bundesrepublik in der Frage: Wie verstehen wir unsere Demokratie, wie verstehen wir unser Grundgesetz? Ich bekenne mich zu diesem Grundgesetz
({0})
- einverstanden - , und damit bekenne ich mich auch ganz klar zu der Aufgabe, die der Verfassungsschutz hat. Es ist gar keine Frage, das ist deutlich gesagt worden - ({1})
- Vielleicht kann der Herr Kollege mir seinen besseren Teil von der anderen Seite zeigen!
({2})
Herr Abgeordneter Kleinert, der Redner legt Wert darauf, daß Sie von vorne zu besichtigen seien.
({0})
Ich meine, wenn das eine saubere Hose wäre, würde ich das ja noch aushalten; aber so mag ich es nicht so gerne, wenn Sie mir den Hintern hinzeigen.
({0})
Das tue ich ja gar nicht.
({0})
- Na gut.
Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.
Es geht wirklich auch um die Frage, ob die Deutsche Kommunistische Partei oder andere extreme politische Gruppen wie z. B. die NPD, weil sie bei Wahlen kaum noch Prozente kriegen, noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollen oder nicht oder ob wir sagen, wir brauchen uns um die überhaupt nicht mehr zu kümmern; denn die Anteile bei politischen Wahlen, sind so uninteressant, daß der Verfassungsschutz seine Aufgabe einstellen kann. Das steht ja hinter dieser ganzen Debatte.
({0})
Das steht deshalb hinter dieser ganzen Debatte, weil die Sozialdemokraten versuchen, daß Thema auf den Kopf zu stellen;
({1})
denn beobachtet worden ist nicht die Friedensinitiative, beobachtet worden sind nicht die Sportler,
({2})
beobachtet worden ist, die Deutsche Kommunistische Partei. Bei der Beobachtung der Deutschen Kommunistischen Partei hat man festgestellt,
({3})
daß die sich mangels Masse, mangels Basis einer Initiative angehangen haben - aus welchen Gründen auch immer - , weil sie meinen, da können wir was werden, weil sie meinen, Moskau oder der SED-Führung zu gefallen.
({4})
Das ist der eigentliche Punkt und ist der eigentliche Auftrag des Verfassungsschutzes. Der muß doch sicherlich bleiben. Er muß deshalb bleiben, auch wenn einer meint, das ist nicht so schlimm mit der DKP. Es ist eben zu Recht gefragt worden: Wie sieht das denn aus, wenn die Neonazis mal wieder ein bißchen stärker werden, vielleicht sagen wir bei 1,5 %: Die sind parlamentarisch uninteressant, also muß man den Bundesrechnungshof auf den Verfassungsschutz ansetzen, um mal zu gucken, ob der zu viele Leute hat. Das ist ein seltsames Verständnis vom Verfassungsschutz.
({5})
- Aber machen Sie doch keine Sachen! Es ist gesagt worden, der Bundesrechnungshof soll überprüfen,
({6})
der Verfassungsschutz habe zu viele Leute
({7})
- das können Sie im Protokoll nachlesen - , nur deshalb, weil der Verfassungsschutz seine Pflicht getan hat.
({8})
Und dann hat er festgestellt, daß sich Sportler an einer Initiative beteiligen und daß sich die Kommunisten da hineingehangen haben.
Es ist nicht die Frage, wie Herr Lambinus meint, ob die Sportler zu blöde oder zu dumm seien, das nicht zu begreifen. Das Problem ist doch ein ganz anderes. Jeder von uns - Peter, das weißt du ganz genau -, der sich um einen Leistungssportler kümmert, weiß, daß der von morgens bis abends und mehr als 40 Stunden in der Woche, wenn er noch einen Job dazumacht, beschäftigt ist. Nun beteiligt er sich, subjektiv gesehen, an einer guten Sache, an einer Friedensinitiative. Dann stellt der Verfassungsschutz fest, daß sich hier die Kommunisten eingemischt haben und versuchen, das in ihre Scheune zu fahren. Da ist es doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das mitzuteilen.
Jetzt können Sie mit mir ja noch über die Form diskutieren, wie das mitzuteilen ist.
({9})
Ich muß sagen, der Herr Kollege Baum hat es mir hier zu oberflächlich dargestellt. Bei allem Respekt: So leicht würde ich es mir nicht machen. Ich glaube, jeder, der in die Politik geht - auch Sportler, Spitzensportler, die in die Politik gehen -, muß wissen, daß er der Kritik unterliegt.
({10})
Der DSB hat deutlich gemacht, daß sich der Sportler angemessen politisch neutral verhalten muß. Da liegt das eigentliche Problem. Das ist nicht eine Frage der Dummheit. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe zu sagen: Freunde, ihr macht da eine gute Sache, aber vergeßt nicht: da hängen sich andere dran; zieht eure Grenzen in diese Richtung!
({11})
Das ist das Anliegen. Dagegen kann niemand in diesem Hause, der es gut mit dem Sport und der es gut mit der Republik meint, etwas einzuwenden haben - außer Ihrem Geschrei.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe im Verlauf der Debatte meine Vorstellungskraft bemüht und mich gefragt, was denn eigentlich passiert wäre, wenn es eine Sportlerstafette hier in der Bundesrepublik gegeben hätte, die im Organisationsbüro von einer Mehrheit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands gesteuert worden wäre.
({0})
Ich kann nur sagen: Man braucht nicht besonders üppig mit Phantasie ausgestattet zu sein, um vorauszusagen, daß Sie denselben Verfassungsschutz beglückwünscht hätten, den manche von Ihnen abschaffen wollen, daß Sie Brandbriefe an den Deutschen Sportbund geschrieben hätten und daß Rufe des Entsetzens über die schlimmen rechtsradikalen Tausendfüßler in dieser Republik ausgebrochen wären.
({1})
Wenn Sie sich selbstkritisch an die Brust fassen, geben Sie mir zu: Das wäre passiert, wenn es sich um Rechtsextremisten und nicht um Linksextremisten handeln würde.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist mehrfach gesagt worden, daß es natürlich nicht darum geht, Sportler in irgendeiner Weise zu diskreditieren.
({3})
Es geht auch nicht darum, Sportler zu kritisieren, die eine andere Auffassung als wir in der Außen- und Sicherheitspolitik haben.
Hier gilt für uns der alte Grundsatz von Voltaire: Ich hasse wie die Pest, was du vertrittst, aber ich setze mich mit Nachdruck dafür ein, daß du es vertreten darfst. Nur: Wer die Freiheit sichern will, wer die Freiheit schützen will,
({4})
wer für den kämpferischen und abwehrbereiten Staat eintritt, der muß auch bereit sein, bei verfassungsgegnerischen Gruppierungen, die aus Gründen des politischen Opportunitätsprinzips zu Recht nicht verboten werden, in der Öffentlichkeit Informationen aufzuzeigen, wo diese verfassungsgegnerischen Gruppierungen überall eintreten.
Herr Kollege Hirsch, ich denke oft über die Frage nach: Wann erstickt Luft und wann nicht? Ich füge aber hinzu: Wenn ich Ihrer Theorie folgen würde, wäre das Ergebnis für den Verfassungsschutz, daß er überall dort die DKP nicht mehr überwachen kann, wo sie versucht, in unpolitische und neutrale Gruppierungen einzudringen. Es ist doch gerade die Intention und die politische Philosophie der DKP, weil sie - Gott sei Dank - keine politischen Erfolge in der
Bundesrepublik Deutschland erzielt, in solche neutralen und unpolitischen Organisationen einzudringen.
({5})
Ich zitiere in diesem Zusammenhang, was der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Kommunistischen Partei, Herr Gautier, gesagt hat:
Als besonderen Erfolg für die Kraft des Bündnisses möchte ich anführen, daß es 1984 im Zusammenhang mit der Krefelder Initiative gelungen ist, noch mehr berufsspezifische Friedensinitiativen wie der Sportler, Ärzte und Naturwissenschaftler zu entwickeln.
Deswegen, meine Damen und Herren, stellt sich die Grundfrage, ob man sie überhaupt noch überwacht, grundsätzlich, oder gar nicht mehr. Darüber kann man politisch diskutieren.
({6})
Wir sind der Auffassung, daß verfassungsgegnerische Gruppierungen - egal, ob sie von der extrem Rechten oder der extrem Linken kommen - der geistigen Auseinandersetzung wie der exakten Überprüfung bedürfen, ohne daß es dabei zur Bespitzelung, zur konkreten Überwachung kommt, und daß es ein Stück konkreter Information und Verantwortung des Innenministers gegenüber der Öffentlichkeit ist, daß er den Überwachungsstaat zwar nicht durchführt und perfektioniert, aber ein Stück verantwortlicher Information über solche Aktivitäten der Öffentlichkeit gegenüber gibt.
({7})
Meine Damen und Herren, wenn es um politische Auffassungen geht, dann zählen weder Lorbeerblätter noch literarische Leistungen. Und deswegen rufe ich Ihnen, was die politische Auseinandersetzung angeht, ein Zitat des DSB-Generalsekretärs Karl-Heinz Gieseler
({8})
gegenüber seinen Sportlern zu;
({9})
er hat gesagt: Die Sportler, die meinen, noch mehr für den Frieden tun zu müssen, sollen sich die neue Nachbarschaft genau ansehen, ehe sie ihren Namen unter Appelle setzen.
({10})
Wieder gehen Listen um, künden sich Kongresse und Demonstrationen an, die in der Propaganda einseitig ausgeschlachtet werden. Als ob es nicht sowjetische Atomraketen und chemische Arsenale gäbe!
Ich denke, diese Mahnungen sollten in der politischen Auseinandersetzung auch beachtet werden.
Ich danke Ihnen.
({11})
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
({0})
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 8:
Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost
- Drucksachen 11/394, 11/410 Zu diesem Punkt ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Zunächst einmal kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der GRÜNEN. Er liegt vor auf Drucksache 11/410. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP, der auf Drucksache 11/394 vorliegt.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Damit sind die vom Bundestag vorgeschlagenen Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost und deren Stellvertreter gewählt.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 9:
Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost
- Drucksache 11/400 Eine Aussprache ist auch hierzu nicht vorgesehen. Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf der Drucksache 11/400? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der GRÜNEN ist der Antrag angenommen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost
- Drucksache 11/401 Auch hierzu ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 11/401? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung
- Drucksache 11/393 Auch hierzu ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wer stimmt für den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 11/393? - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt
- Drucksache 11/415 Eine Aussprache ist auch hierzu nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der GRÜNEN auf Drucksache 11/415? -. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Vorschlag einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 14 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 1 und 2:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Krise in der Eisen- und Stahlindustrie
- Drucksache 11/123 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Sicherung der Stahlstandorte und der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und in den Stahlregionen
- Drucksache 11/398 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Lage der deutschen Stahlindustrie
- Drucksache 11/402 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Vizepräsident Cronenberg
Die Vereinbarung im Ältestenrat sieht eine Debatte von 90 Minuten Dauer vor. Widerspruch erhebt sich im Hause offensichtlich nicht. Die Aussprache kann eröffnet werden. Als einzigem, der von den vorgesehenen Rednern im Plenum anwesend ist, gebe ich dem Abgeordneten Beckmann das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein seltenes Erlebnis für einen FDP-Abgeordneten, mit der Debatte über ein so wichtiges Thema beginnen zu dürfen, und Sie können vielleicht nachempfinden, welch große Freude ich in diesem Augenblick verspüre,
({0})
auch angesichts des netten Zuhörerkreises hier, weniger allerdings angesichts des Themas, das wir hier zu behandeln haben; denn wir können nicht verkennen, daß wir mit einem Problem befaßt sind, das uns noch für lange, lange Zeit beschäftigen wird und zu dessen Lösung erst Ansätze erkennbar sind, leider nicht mehr.
Meine Fraktion hat ihre Grundlinien der Stahlpolitik in dem hier vorliegenden Antrag der Koalition dargelegt. Für uns stand dabei im Vordergrund, daß wir die Fakten des Stahlmarktes zur Kenntnis nehmen und uns nicht - wie SPD und GRÜNE - daran vorbeimogeln wollen.
Fest steht: In der Europäischen Gemeinschaft gibt es Überkapazitäten beim Stahl. Ähnlich wie in anderen Grundstoffindustrien bedeuten Überkapazitäten auf dem Markt in direkter Konsequenz Kapazitätsstillegungen. Wegen der technologiebedingten Anlagengröße kommt es dabei zu abrupten Freisetzungen von Hunderten, ja, manchmal auch von Tausenden von Arbeitskräften durch die Stillegung nur einer einzigen Anlage.
Wir wissen, daß wir einen funktionsfähigen Stahlmarkt mit kostendeckenden Preisen nur dann wieder erreichen können, wenn wir uns dem Strukturwandel stellen und nicht künstlich Stahlkapazitäten am Leben erhalten, die eben zur Überproduktion und damit zur Unterpreisproduktion beitragen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Subventionierung der Stahlkapazitäten in Europa war der Beginn der ganzen Misere. Es ist dem Bundeswirtschaftsminister 1985 gelungen, in der Europäischen Gemeinschaft ein Subventionsverbot zum 1. Januar 1986 durchzusetzen. Das war damals nicht selbstverständlich, das hatten die wenigsten erwartet, und es ist sicherlich ein Erfolg auf dem Wege zur Gesundung der gesamten Branche gewesen, auf einem Weg, der noch vor uns liegt und der sehr lang sein wird.
({2})
- Ich komme darauf, Herr Kollege! Wir sollten wirklich alles tun, damit dieses Subventionsverbot auch
bestandskräftig bleibt und damit wir über Beihilfendisziplin und Quotenabbau wieder zu geregelten Marktverhältnissen zurückkehren.
Hier ist auch ein dringender Appell an Brüssel angebracht.
({3})
Wir erwarten, daß die Kommission das Erforderliche tut,
({4})
um auch in den Partnerländern das durchzusetzen, was Beschlußlage ist. Das ist ein Weg, um den Kumpels und den Stahlkochern in unseren Revieren zu helfen. Nur bei geregelten Marktverhältnissen haben unsere - ja wettbewerbsfähigen - Stahlunternehmen die Chance, mittel- und auch langfristig sichere Arbeitsplätze anzubieten.
Machen wir uns nichts vor: Auch das von der SPD vorgeschlagene nationale Stahlkonzept hätte uns an den notwendigen Kapazitätsschnitten nicht vorbeigeführt. Aber über die Situation beim Stahl hätte man frühzeitig in der Konzertierten Aktion sprechen können, um Sozial- und Strukturpolitik mit den Entscheidungen der Unternehmen besser zu koordinieren. Wir bedauern deswegen nach wie vor, daß die Gewerkschaften seinerzeit einseitig die Konzertierte Aktion verlassen haben, und fordern Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auf, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß die Gewerkschaften wieder an regelmäßigen Gesprächen mit Regierung und Arbeitgebern teilnehmen. Wie ich sehe, ist beim Stahl der Ansatz dazu jetzt auch vorhanden; dazu, zu wessen Lasten das letztlich geht, will ich gleich noch ein Wort sagen. Ich meine jedenfalls, daß die Alles-oder-nichtsKontraststrategie, die die SPD und die Gewerkschaften in den letzten Jahren gefahren haben, nichts einbringt. Sie verschärft die sozialen Konflikte und schadet damit letztlich den Arbeitnehmern.
Das hat übrigens als erster Ministerpräsident Rau gemerkt, daß er diesen Weg in Nordrhein-Westfalen nicht weitergehen kann. Wir begrüßen es, daß er sich künftig zu einem politisch konstruktiveren Zusammenwirken von Bundes- und Landespolitik entschließen will.
({5})
- Es ist höchste Zeit, Herr Kollege Gerstein; ich kann Ihnen da nur zustimmen. Darum erwarten wir jetzt auch die konstruktiven Vorschläge des Landes Nordrhein-Westfalen in den anstehenden Beratungen im Bund-Länder-Planungsausschuß für die Gemeinschaftsaufgabe.
Meine Damen und Herren, das Bekenntnis der FDP zum notwendigen Strukturwandel und zum Abbau entstandener Überkapazitäten in der europäischen Stahlindustrie bedeutet auch, daß die FDP ihre Anstrengungen vorrangig auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und nicht auf die Erhaltung bestehender überkommener Arbeitsplätze richtet.
Wir beobachten daher auch mit einer gewissen Skepsis angeblich getroffene Vereinbarungen zwiBeckmann
schen der IG Metall und den Stahlarbeitgebern über den Abbau von Arbeitskräften. Uns scheint, daß hier die Beteiligten die Rechnung ohne den Bund als Wirt, der hier nämlich die Zeche bezahlen soll, gemacht haben. Ich glaube, es geht nicht an, daß sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer allein zu Lasten des Bundes auf soziale Übergangslösungen für die betroffenen Arbeitnehmer verständigen.
({6})
- Daß man zusammen arbeitet, ist richtig. Aber dann muß man auch zusammen bezahlen, Herr Kollege, und nicht einer allein muß die Tasche aufmachen. Das wollen wir dann einmal vernünftig ausgleichen.
({7})
- Es haben bisher alle Opfer gebracht. Das wissen Sie, wenn Sie sich mit der Frage beschäftigen, genauso gut wie ich, auch der Steuerzahler, auch die Unternehmen, auch die Banken und auch andere.
Es gibt jetzt Anzeichen dafür, meine Damen und Herren, daß die anderen europäischen Stahlerzeugerländer wesentlich an Wettbewerbsfähigkeit durch den konsequenten Abbau von Stahlkapazitäten und die Modernisierung vorhandener Anlagen gewonnen haben. Auch wir müssen uns also zukünftig auf dieses gehobene Wettbewerbsniveau einstellen. Ich bin aber sicher, daß unsere moderne Stahlindustrie diese Herausforderung hervorragend bestehen wird.
({8})
Wir können es uns auch nicht leisten, veraltete Anlagen zu konservieren, um dann letztlich im Wettbewerb hinterherzuhinken.
Meine Damen und Herren, wir lassen die betroffenen Arbeitnehmer nicht allein. Wir helfen ihnen mit sozialen Anpassungsmaßnahmen und der Förderung neuer Arbeitsplätze. Wir wollen jedoch keine Arbeitsplatzpolitik betreiben, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Stahlindustrie auf Dauer zu gefährden droht und mittel- und langfristig Massenentlassungen in größtem Ausmaß nach sich ziehen würde.
In diesem Zusammenhang noch einige Worte zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Einmal abgesehen von einer Sprache, die von bemerkenswerter Feindlichkeit gegenüber den mitbestimmten Unternehmen der deutschen Stahlindustrie bestimmt ist, fällt bei dem Antrag der GRÜNEN auf, daß offensichtlich weiterhin massive Meinungsunterschiede in der Fraktion über die weitere Stahlpolitik bestehen. Wie ist es sonst erklärbar, daß auf der einen Seite davon gesprochen wird, daß wir weniger Stahl brauchen, daß die Stahlkapazitäten nicht ausgelastet werden, daß Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden müssen, aber auf der anderen Seite eine gezielte Desinformationskampagne betrieben wurde, in dem nämlich angeblich die Masse der indirekten Stahlsubventionen verschwiegen wird. Außerdem verweigern sich die GRÜNEN jeder sozialpartnerschaftlichen Lösung, weil das für sie keine Krisenlösung darstellt.
({9})
Da sind Sie aber in unserer Republik auf dem Holzwege. Ich kann nur sagen: Wenn sich die Stahlarbeiter auf diese ökonomisch wie ökologisch krausen Vorstellungen der GRÜNEN einlassen, dann gute Nacht Stahlregionen.
({10})
Die von der SPD und von den GRÜNEN sowie den Gewerkschaften geforderte Vergesellschaftung, meine Damen und Herren, ist und bleibt ein Irrweg. Sie wird der Vielfältigkeit der Stahlproduktion und auch der nachgeordneten Produktionsbereiche der Stahlkonzerne nicht im mindesten gerecht.
({11})
Das bedeutet nur, daß Verluste sozialisiert würden, aber die Bestimmung über die Unternehmen dann in den Gewerkschaftshänden läge. Eine Einheitsgesellschaft à la Ruhrkohle ist für uns keine geeignete Lösung für Stahlunternehmen, die an unterschiedlichen Standorten und unterschiedlichen Produktionsbedingungen arbeiten.
Die einzig realistische Stahlpolitik ist die von der FDP und von Wirtschaftsminister Dr. Bangemann verfolgte und in dem Koalitionspapier - zusammen mit dem Koalitionspartner - niedergelegte zukunftsgerichtete Wirtschafts- und Strukturpolitik, für die wir uns einsetzen werden.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns mit der Stahlindustrie auseinandersetzen, dann haben wir, wenn wir uns die Bilder vor Augen führen, die uns das Fernsehen, die Presse täglich ins Haus liefern, doch zunächst einmal - ich glaube, alle miteinander - die Menschen im Blick um die es geht.
({0})
Was bewegt wohl eine Familie in einem Stahlstandort der Bundesrepublik, daran zu denken, die örtliche Tageszeitung abzubestellen, das Telefon abzumelden, das Auto stillzulegen, die beabsichtigte Urlaubsreise zu streichen, Versicherungen zu kündigen und Neuanschaffungen von dringend benötigtem Hausrat oder die Wohnungsrenovierung zurückzustellen? Ich frage mich immer: Was sind wohl die Hintergründe dafür, daß sorgfältige Lebens- und Familienplanungen über den Haufen geworfen werden? Was veranlaßt Menschen, die ihr Leben lang schwer gearbeitet und gespart haben, vereinbarte Darlehenszahlungen für ihre Eigentumswohnung oder für ihr Häuschen nicht mehr zu zahlen?
Sie halten das, was ich sage, vielleicht für übertrieben. Es ist aber leider bittere Realität, nämlich für diejenigen, die unmittelbar vor ihrem Arbeitsplatzverlust stehen. Das sind leider sehr viele Stahlarbeiter, und davon sind dann auch deren Familien betroffen.
({1})
Sieler ({2})
Geschäftsleute, Gewerbetreibende, Bausparkassenvertreter und Betroffene selbst haben mir diese Beispiele - auch aus dem oberpfälzischen Stahlstandort Maxhütte - geliefert.
Die Menschen können und wollen einfach nicht begreifen, daß ihre Region platt gemacht werden soll, daß sie die Leidtragenden einer unzureichenden regionalen und sektoralen Strukturpolitik und einer seit Jahren schwelenden Stahlkrise sein sollen.
({3})
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich muß Sie wirklich ernsthaft fragen: Können Sie nachfühlen, wie 300 Bergarbeiterfamilien in Auerbach zumute ist, deren Männern kurzfristig die Kündigung zugestellt und denen der Zutritt zur Grube verwehrt worden ist? Können Sie nachfühlen, in welcher Situation sich 4 200 Familien der Stahlkoche in der Oberpfalz befinden, die im Wechselbad von Hoffnung und Zweifel das Unheil der Arbeitslosigkeit vor sich haben?
Wie viele andere Stahlstandorte so weist auch der Stahlstandort Maxhütte in der Oberpfalz - Auerbach, Sulzbach-Rosenberg, Maxhütte-Haidhof - die typische Monostruktur auf. Eine überdurchschnittlich hohe Arbeislosenquote - und das nicht nur in den Wintermonaten - zerstört im Grunde jede Hoffnung auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Hütte. Das gilt natürlich vor allem auch für junge Menschen. Im Mai 1987 betrug die Arbeitslosenquote in SulzbachRosenberg 12,2 %. Das liegt noch über dem sowieso sehr hohen Prozentsatz in diesem Arbeitsamtsbezirk.
Es gibt kaum noch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 55 Jahre, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Die meisten gingen im Vertrauen auf ihre Maxhütte vorzeitig in den Sozialplan; vor allem um jüngeren Arbeitnehmern die Weiterarbeit überhaupt zu ermöglichen. Sie alle stehen nun vor dem Trümmerhaufen ihrer Hoffnungen, ihres Vertrauens, eines Vertauens, das auch gegründet war auf Versprechungen und Zusagen der Politik vor den letzten Landtags- und Bundestagswahlen.
({4})
Was sagen Sie denn, Herr Bundeswirtschaftsminister, einem 50jährigen Stahlkocher, der Sie mit Tränen in den Augen fragt, was denn mit ihm und seiner Familie werden soll? Wollen Sie ihm jetzt allen Ernstes die notwendige Hilfe für einen Sozialplan verweigern und statt dessen auf mittel- und langfristige Strukturanpassungsprogramme verweisen?
({5})
Haben Sie einmal errechnen lassen, wieviel mehr an öffentlichen Mitteln erforderlich wäre, um den sozialen und wirtschaftlichen Flurschaden wieder zu reparieren, statt die Arbeitsplätze - wenn auch nur für eine bestimmte Zeit - in der Stahlindustrie zu sichern?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der Probleme in der oberpfälzischen Stahlindustrie und angesichts des Bemühens, einen großen Teil der Arbeitsplätze aus regionalen Gründen zu erhalten, muß es diesen Stahlkochern wie eine Verhöhnung vorkommen, wenn der Minister Bangemann sich dagegen ausspricht, daß staatliche Gelder zur Rettung der Maxhütte oder anderer Stahlstandorte eingesetzt werden.
({6})
Noch im vergangenen Jahr, meine Damen und Herren, erklärte der Minister im Haushaltsausschuß auf meinen Hinweis auf die von der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl öffentlich geäußerten Sorgen über die bevorstehende dramatische Entwicklung im Stahlbereich und die zu erwartenden Arbeitsplatzverluste, derartige Besorgnisse seien ihm nicht bekannt. Ich habe das noch einmal wörtlich im Protokoll nachgelesen, Herr Kollege Bangemann. Das war im November des vergangenen Jahres.
Herr Dr. Stoltenberg, unser Bundesfinanzminister, berief sich im gleichen Zeitraum darauf, daß man die Situation in der Stahlindustrie nicht dramatisch einschätzen müsse. Ein halbes Jahr später stehen alle 4 500 Arbeitnehmer der Maxhütte und ihrer Familien - aber nicht nur die, meine Damen und Herren, sondern auch der gesamte Mittelstand, der Handel, das Gewerbe in dieser Region - vor einem möglichen Ruin.
Das in Konkurs geratene Unternehmen hat den rund 1 300 „Altsozialplänern" zunächst einen monatlichen Einkommensverlust von durchschnittlich 600, - DM im Monat beschert. Das muß man bei einem solchen Einkommen erst einmal verkraften können. Die nach dem Konkurs gekappten Sozialpläne haben schon jetzt einen Finanzbedarf von rund 25 Millionen DM hervorgerufen. Hinzu kommen noch einmal mindestens 5 Millionen DM für die Bergleute der stillgelegten Grube Leonie. Für einen neuen Sozialplan bei nur 1 000 Arbeitsplätzen, die bei einer bestimmten Konzeption verlorengehen müßten, sind allein 16 Millionen DM erforderlich.
Meine Damen, meine Herren, die Vorstellungen einiger Leute im bayerischen Wirtschaftsministerium, aber auch hier in Bonn gehen dagegen leider von bis zu 3 000 Arbeitsplätzen aus, die dabei - man würde im Ruhrgebiet sagen - über die Wupper gehen müssen. Unter den besonderen Vorzeichen des Konkurses bahnt sich in der bayerischen Maxhütte eine Katastrophe an. Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen und Monaten keine Gelegenheit ausgelassen zu erklären, daß über den bisherigen Stand der Möglichkeiten, EGKS-Beihilfen nach Art. 56 Nr. 2 des Montanunion-Vertrages zu gewähren, keine weiteren Beihilfen in Frage kämen. Bei einer Beibehaltung dieses Standpunktes, meine Damen und Herren, obwohl Art. 4 und 5 des Subventionskodex vom 27. November 1985 Möglichkeiten für nationale Maßnahmen offenhält, müssen auch die Gemeinden und Städte dieser Regionen die Konsequenzen tragen. Nicht nur die zusätzlichen Ausgaben für Sozialhilfe belasten die kommunalen Haushalte, sondern auch verminderte Steuereinnahmen schränken die Investitionsfähigkeit erneut ein.
Allein in der ca. 18 000 Einwohner zählenden Stadt Sulzbach-Rosenberg wird die diesjährige Entwicklungsplanung auf den Kopf gestellt. Sowohl die Baugebietsausweisung als auch die Bereitstellung von
Sieler ({7})
Grundstücken für Industrieansiedlungen kann man getrost in die Schublade stecken, denn sie gilt nicht mehr und ist nichts mehr wert.
Ich möchte die Bundesregierung im Falle Maxhütte, aber auch die Bayerische Staatsregierung nachdrücklich auffordern, erstens umgehend am Zustandekommen einer Nachfolgegesellschaft der Maxhütte im Konkurs mitzuwirken. Mit jedem Tag, an dem der Konkurs weiter im Schwebezustand verharrt, wächst die Gefahr eines totalen Einsturzes und der Vernichtung von 4 500 Arbeitsplätzen an den Standorten der Maxhütte von Eschweiler bis Sulzbach-Rosenberg. Da derzeit keine wirtschafts- und beschäftigungspolitische Alternative zur Verfügung steht, muß eine nationale und regionale Lösung gefunden werden, die den größten Teil der Arbeitsplätze bei diesem Unternehmen erhält.
Zweitens. Ich fordere die Bundesregierung auf, auf eine Anpassung der EG-Richtlinie für EGKS-Beihilfen nach Art. 56 Nr. 2 des Montanunion-Vertrages zu drängen, damit Übergangshilfen schon von der Vollendung des 50. Lebensjahres an und Abfindungshilfen bereits für Vierzig- bis Fünfzigjährige gezahlt werden können. Das entbindet den Staat nicht von der Aufgabe, mittel- und langfristig regionale und strukturelle Anpassungsprogramme zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf den Weg zu bringen. Für die Lösung der aktuellen Probleme an den Stahlstandorten reichen die Maßnahmen natürlich nicht aus, zu denen ich auch die Verlängerung des Stahlstandorteprogramms zur Förderung neuer Arbeitsplätze zähle. So notwendig die Revitalisierung von Industriebrachen sowie die Aus-, Fort- und Umschulung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für die Zukunft der Stahlregionen auch ist, wir brauchen jetzt eine handelnde Bundesregierung, die unsere industriepolitischen Interessen stärker in Brüssel zum Tragen bringt als bisher.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Wir brauchen eine Bundesregierung, die wirtschaftliche und soziale Begleitmaßnahmen beschließt, die den Menschen an den Stahlstandorten ihre Existenzsorgen nimmt und nicht den Stahlkonzernen die Taschen füllt.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die krisenhafte Situation der deutschen Stahlindustrie ist alles andere als neu. Neu ist aber eine dramatische Zuspitzung, die in dieser Form nicht unbedingt erwartet und befürchtet werden mußte,
({0})
daß erstmals ganze Standorte in ihrer Existenz
bedroht sind, nicht nur die unmittelbar betroffenen.
Herr Kollege, wenn das nach Ihrer Einschätzung
schon seit vielen Jahren voraussehbar war, dann muß ich Sie in der Tat daran erinnern,
({1})
was ich gern verhindert und vermieden hätte, daß diese krisenhafte Situation in der deutschen Stahlindustrie zum weit größeren Anteil der Jahre in die Zuständigkeit Ihrer Regierungsverantwortung fällt. Aber ich meine, wir tun im Augenblick niemandem, schon gar nicht den Betroffenen, einen Dienst, wenn wir diese kleinkarierte Diskussion über Zuständigkeiten in der Vergangenheit führen, statt uns mit der Frage konstruktiv auseinanderzusetzen, wo heute Handlungsbedarf besteht und von wem er heute gedeckt werden kann. Auf genau diese Frage will ich mich einlassen.
({2})
Wir sind uns darüber einig und wir beobachten alle mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme, daß nicht nur die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer in den Stahlrevieren an der Ruhr, in Hattingen, in Oberhausen, in der Oberpfalz, an der Saar, in Siegen, Peine, Salzgitter, Georgsmarienhütte, Maxhütte, wo überall diese Probleme im Augenblick akut werden, zu Recht um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze und damit auch um die wirtschaftliche und soziale Zukunft ihrer Familien besorgt sind.
Ich bestätige ausdrücklich: Dies ist eine ganz ungewöhnliche Herausforderung, der die Politik ebensowenig ausweichen darf wie die Wirtschaft.
({3})
Niemand darf seine spezifische Verantwortung auf andere abwälzen. Deswegen erkläre ich ausdrücklich, daß die CDU/CSU-Fraktion zur Mitwirkung an der Lösung der schwierigen Probleme in der Stahlindustrie bereit ist.
Dabei sind für uns folgende Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung:
Erstens. Oberstes Ziel bei der Krisenbewältigung muß es sein, Massenentlassungen zu vermeiden, ohne den unvermeidlichen Strukturwandel aufzuhalten. Ich sage das noch einmal, weil mir beide Prinzipien gleich unaufhebbar erscheinen: Massenentlassungen vermeiden und den Strukturwandel nicht aufhalten. Solange der europäische und auch der deutsche Stahlmarkt von erheblichen Überkapazitäten geprägt ist,
({4})
ist auch bei fairen Wettbewerbsbedingungen, die nach wie vor natürlich nicht bestehen,
({5})
die Wiederherstellung der Rentabilität der Stahlunternehmen und damit die dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze nicht möglich. Der weitere Abbau von Kapazitäten auch in deutschen Stahlunternehmen ist daher schmerzhaft, aber unvermeidlich.
Ich füge hinzu: Dieser Anpassungsprozeß kann nicht allein nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen,
({6})
ebensowenig wie umgekehrt politische Interventionen gegen jede wirtschaftliche Vernunft mit Aussicht auf Erfolg stattfinden können.
({7})
Zweitens. Die Zuständigkeit und die Verantwortung für die konkreten Entscheidungen, welche Kapazitäten aufrechterhalten und welche abgebaut werden müssen, liegt bei den Unternehmen und bei ihren paritätisch mitbestimmten Entscheidungsorganen.
({8})
Ich gehe davon aus, daß wir auf die Aufrechterhaltung genau dieses Zustandes gemeinsam großen Wert gelegt haben. Ich finde es immer wieder einigermaßen bestürzend, zu sehen, mit welcher Virtuosität die Aufrechterhaltung dieser Regelung von einer Debatte zur anderen mit großer Leidenschaft eingeklagt wird, um sie dann im nächsten Zusammenhang wieder mit großer Geste zur Disposition zu stellen. Ich sage deswegen für uns: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Kapitaleigner und Gewerkschaften sind auf dieser Basis für Entscheidungen gleichermaßen mitverantwortlich, die die Politik ihnen nicht abnehmen kann.
({9})
Drittens. Der Arbeitsdirektor eines bedeutenden Stahlunternehmens im Ruhrgebiet hat kürzlich gesagt - ich zitiere - :
Je größer ein Unternehmen ist und je tiefer seine Verankerung in der Region, um so gewichtiger wird seine Verantwortung, eine Vorsorge dafür zu treffen, daß bruchartige Entwicklungen vermieden werden.
Wir erwarten, daß die Unternehmen diesem Anspruch bei ihrem tatsächlichen Vorgehen auch gerecht werden.
Viertens. Wir unterstützen die Bundesregierung ausdrücklich in ihren Anstrengungen, in der EG eine strikte Beihilfedisziplin durchzusetzen und einen wirksamen Außenschutz gegen Drittlandeinfuhren zu Dumping-Preisen sicherzustellen. Ich sage dies auch deswegen, weil gerade in den letzten Tagen von bedeutenden französischen Stahlmanagern angedeutet und öffentlich erklärt worden ist, daß man eine Änderung des Beihilfesystems für dringend erforderlich halte. Und wir wissen aus leidvollen Erfahrungen vieler Jahre, daß jede Ausweitung dieses Beihilfesystems am Ende nicht zugunsten, sondern zu Lasten deutscher Stahlunternehmen und deutscher Arbeitsplätze stattfindet.
({10})
Angesichts der hohen Wettbewerbsfähigkeit der
Mehrzahl der deutschen Stahlunternehmen darf der
deutsche Anteil an der EG-Stahlproduktion nicht
durch Wettbewerbsverzerrungen zusätzlich vermindert werden.
({11})
- Das tut er bislang nicht. ({12})
- Nein, jeder, der sich mit den Fakten und Daten fair beschäftigt, Herr Kollege, muß einräumen, daß wir über diese Jahre zwar erhebliche Arbeitsplatzverluste hinnehmen mußten, daß wir aber unseren Anteil an der EG-Stahlproduktion gehalten haben und daß im übrigen das Ausmaß der abgebauten Arbeitsplätze bei uns sogar eher unterproportional war. Wir können das gern in den Beratungen vertiefen, die ja nach Überweisung der Anträge heute noch erfolgen werden.
({13})
- Das ist in der Tat nur ein Teil des Problems; keine Meinungsverschiedenheit.
Fünftens. Wir fordern die europäischen Stahlfirmen nachdrücklich auf, sich erneut um eine einvernehmliche Vereinbarung über die Stillegung von Kapazitäten zu bemühen, die eine ganz gewiß schlechtere administrative Vorgabe der EG-Kommission überflüssig machen könnte. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist im übrigen auch eine Verlängerung der bestehenden Quotenregelungen zu rechtfertigen.
({14})
Sechstens. Wir treten für eine enge Kooperation von Unternehmen, Gewerkschaften und den politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen, in den Städten, in den betroffenen zuständigen Bundesländern und im Bund ein, um Wirtschafts-, Struktur- und Sozialpolitik auf diese Weise konzeptionell so zu verbinden, daß der Strukturwandel in der Stahlindustrie stattfinden kann, aber zugleich durch geeignete soziale Maßnahmen abgefedert und die Schaffung neuer Arbeitsplätze gefördert wird.
({15})
Kooperation kann dann allerdings nicht bedeuten, daß Unternehmen, Gewerkschaften und Landesregierungen Vorschläge erarbeiten, für deren Finanzierung die Bundesregierung für zuständig erklärt wird,
({16})
sondern alle müssen hier zusammenwirken. Deswegen füge ich auch ausdrücklich hinzu, daß es dabei weder vordergründiges Besitzstandsdenken noch Denkverbote geben darf. Und ich gebe dem Kollegen Sieler ausdrücklich recht, daß dann, wenn nur mit unkonventionellen Maßnahmen und mit außergewöhnlichen gesetzlichen Regelungen ein Ergebnis zu erreichen ist, mit dem Massenentlassungen tatsächlich vermieden werden können und das Ausbluten ganzer Regionen verhindert wird, solche außergewöhnlichen Maßnahmen nicht nur zu vertreten, sondern tatsächlich auch herbeizuführen sind.
({17})
Vizepräsident Cronenberg
Es reicht nach meiner festen Überzeugung gerade für den Problemkreis, über den wir heute erneut diskutieren, auch die übliche Aufgabenverteilung zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht mehr aus. Es reicht nicht aus, von der Wirtschaftspolitik Intelligenz und von der Sozialpolitik Sensibilität zu erwarten. Gerade hinsichtlich der Krisenbewältigung in der Stahlindustrie spricht manches für die umgekehrte Orientierung: Die Wirtschaftspolitik muß sensibel und die Sozialpolitik intelligent sein. Ich gehe davon aus, daß beiden zuständigen Ministern diese Orientierung nicht schwerfällt.
({18})
Siebtens. Wir begrüßen die eingebrachte Verlängerung der Kurzarbeiterregelung in der Stahlindustrie auf 36 Monate, die Entlassungen vermeiden hilft,
({19})
und wir erwarten in der Tat von der Bundesregierung weitere konkrete Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Maßnahmen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages. Ich halte insofern eine Übereinstimmung in diesem Punkt gerne fest.
Achtens. Wir treten ein für eine Verlängerung des Stahlstandorteprogramms und für zusätzliche Haushaltsmittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung", die an den besonders betroffenen Standorten zu möglichst günstigen Förderbedingungen die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb der Stahlindustrie erleichtert.
Neuntens. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei nachgewiesenen Verstößen gegen das Subventionsverbot in Nachbarländern Rechtsmittel einzulegen und die legitimen Interessen der deutschen Stahlunternehmen und ihrer Beschäftigten gegenüber der Kommission und dem Ministerrat in Brüssel mit Nachdruck zu vertreten.
Zehntens. Hier haben wir vielleicht endlich einmal einen Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen: Wir lehnen die Forderung nach Vergesellschaftung der Stahlunternehmen als völlig ungeeignet ab. Wir befinden uns hier im übrigen auch in Übereinstimmung mit dem früheren SPD-Staatssekretär und jetzigen Stahlmanager Karsten Rohwedder.
({20})
- Nein, eben. Aber es kann einmal vorkommen, Herr Kollege Stratmann, daß man auch und gerade nach intensivem Nachdenken zu dem Ergebnis kommt, daß der Vorschlag unsinnig ist, den Sie gleich wieder als Lösung des Problems in die Diskussion einführen werden.
({21})
Die Erfahrungen in den Nachbarländern zeigen deutlich - und Fakten sind nach meinem persönlichen Dafürhalten in der Argumentationswirkung besonders überzeugend - , daß mit einer Vergesellschaftung weder den Unternehmen noch den betroffenen Arbeitnehmern weitergeholfen ist; denn die Verluste, der Abbau von Kapazitäten und von Arbeitsplätzen ist in den vergesellschafteten Stahlunternehmen Europas höher gewesen als in den privatwirtschaftlich geführten Stahlunternehmen der Bundesrepublik.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte schön.
Herr Kollege Lammert, eine Vorbemerkung: Ich schätze sowohl Ihre Sensibilität als auch Ihre Intelligenz. Deswegen meine Frage: Können Sie mir im westlichen Ausland einen Staat nennen, in dem es ein vergesellschaftetes Stahlunternehmen nach den Maßgaben gibt, die wir GRÜNEN als auch die IG Metall uns unter Vergesellschaftung vorstellen?
Nein, das Beispiel kann ich Ihnen in der Tat nicht nennen, weil sich nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch außerhalb der Bundesrepublik bisher noch keine verantwortliche Regierung und keine verantwortliche Mehrheit in irgendeinem frei gewählten Parlament hat entschließen können, derart konfuse Vorschläge zur Lösung der Problemlage zu machen, wie Sie sie regelmäßig im Deutschen Bundestag einbringen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Lammert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Wenn Sie das so einschätzen, wieso beziehen Sie sich auf Beispiele aus dem westlichen Ausland, um damit unsere Vergesellschaftungsforderungen zu widerlegen?
Ich wundere mich, Herr Kollege Stratmann, mit welcher Selbstverständlichkeit Sie davon ausgehen, daß ich die spezifische Ausprägung der Forderung der GRÜNEN nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie zur Grundlage meiner Zurückweisung mache. Ich habe das gemeint, was die IG Metall zur Lösung der Problemlage vorgeschlagen hat. Für diesen Vorschlag habe ich hier vortragen wollen: Wir halten den für völlig ungeeignet.
({0})
-Dann möchte ich von dieser Stelle aus den Präsidenten um Genehmigung bitten, daß der Kollege Roth seinen versehentlich nicht eingebrachten Beifall an dieser Stelle nachliefern kann.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte aber, gerade weil ich mich in meinem letzten Punkt kritisch mit dem Vorschlag zur Vergesellschaftung der Stahlindustrie auseinandergesetzt habe, zum Schluß einen Aspekt ansprechen, der zur Vollständigkeit der Problembeschreibung dazugehört: Die Zurückweisung dieses Vorschlages aus einer Reihe praktischer Erfahrungen und grundsätzlicher Erwägungen bedeutet
natürlich umgekehrt, daß unter den Bedingungen privatwirtschaftlich geführter Unternehmen die Sozialpflichtigkeit von Eigentum auch gelten muß
({2})
und daß sie den Betroffenen auch nachvollziehbar bleiben muß. Deswegen will ich mich zum Schluß ausdrücklich auf eine Bemerkung beziehen, die mich sehr beeindruckt hat, eine Bemerkung des Betriebsratsvorsitzenden bei der Henrichshütte in Hattingen, die ich in der letzten Ausgabe der „Gewerkschaftlichen Monatshefte" gefunden habe. Ich darf das mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:
Unsere Väter
- so sagt Rolf Becker haben in den Jahren 1946 bis 1948 diese Hütte aus dem Schutt ausgebuddelt, teilweise mit bloßen Händen. Sie haben bei den Alliierten Werkzeuge gestohlen, um hier aufbauen zu können. Sie haben 1948, zum Teil unter Einsatz ihres Lebens, die Demontage verhindert. Sie haben damit erreicht, daß in dieser Stadt Arbeitsplätze erhalten blieben. Sie müssen heute mit ansehen, wie ihre Söhne von denen in die Arbeitslosigkeit geschickt werden, deren Eigentum sie damals erhalten haben. Das ist bedauerlich und unbegreiflich.
Ich stehe nicht an, zu sagen, daß mich das sehr beeindruckt und daß ich keine Probleme habe, nachzuvollziehen, welche Irritation dies bei Betroffenen auslösen muß, weit über den konkreten Anlaß hinaus, der im Augenblick ihre Arbeitsplätze gefährdet. Und deswegen lege ich großen Wert auf die Gleichzeitigkeit dieser beiden Bemerkungen, die ich zum Thema privatwirtschaftliche Struktur der deutschen Stahlindustrie und Zweckmäßigkeit der Änderung von Eigentumstiteln zur Lösung der Problemlage vorgestellt habe.
Meine Bitte zum Schluß: Dieser Debatte liegen zwei Entschließungsanträge zugrunde, die sowohl in der Diktion als auch in den Maßnahmen erhebliche Unterschiede aufweisen, denen aber die Absicht gemeinsam ist, den Betroffenen politisch zu helfen. Deswegen, denke ich, wäre es ein lohnender Versuch, wenn wir diese überwiesenen Anträge in den Ausschüssen mit dem Ziel aufgreifen würden, dem Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag zu diesem Thema zu präsentieren, der, wenn eben möglich, auch von allen Fraktionen des Hauses gemeinsam verabschiedet werden könnte.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Anfang dieser Wochte tagte der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft zum Thema Stahlkrise. Nur in einem einzigen Punkt waren sich die EG-Minister einig: daß es in der EG-Stahlindustrie einen Überhang von ca. 30 Millionen Jahrestonnen Stahlkapazitäten geben soll, die abgebaut werden müssen. Nimmt man diese politische Schätzung von Überkapazitäten für bare
Münze, dann bedeutet dies, daß etwa jeder fünfte Betrieb in der Krisenbranche Stahl innerhalb der Europäischen Gemeinschaft akut gefährdet ist. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die politische Annahme dieser Ministerratsschätzung - das ist eine politische Schätzung und kein Nachweis - , daß die Stillegung ganzer Stahlstandorte auf der Tagesordnung steht.
Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat sich Ende März dieses Jahres ein Bild von den sozialpolitischen Entwicklungen an einem Stahlstandort, nämlich in Hattingen, machen können, und zwar für den Fall, daß der Ernstfall eintritt, daß die Hattinger Hütte ersatzlos dichtgemacht wird. Ein Drittel Arbeitslosigkeit droht z. B. dieser Stadt, wenn sich die Wirtschaftspolitik außerstande sieht, diesem Stahlstandort mit seiner Monostruktur keine alternativen Produktionsmöglichkeiten zu eröffnen. Hier wurde vorhin seitens der CDU ausgeführt, daß die Wirtschaftspolitik dazu nicht in der Lage sei. Das ist ein Armutszeugnis. Ähnliche Folgen ergeben sich für alle anderen Städte, die von Produktionsstillegungen betroffen sind, wie Oberhausen und die Maxhütte in der Oberpfalz.
Herr Bangemann, Sie haben am 18. März 1987 im Bundestag erklärt, daß Sie nicht jeden Standort, auch nicht im Kern garantieren. Aus Ihrer politischen Brille heraus können nur Unternehmer Standorte garantieren oder schließen. Herr Bangemann, Sie sollten Marktwirtschaftler genug sein, daß Sie wissen, daß jeder Unternehmer aus seinem Profitmotiv heraus ein Anarchist ist. Ihn interessieren im Kern nicht die Folgen für ganze Städte und Regionen, sondern das Abwerfen von roten Zahlen bzw. manchmal auch nur seine zu geringen Profiterwartungen. Das Einsetzen des verfügbaren Investitionskapitals an anderen Standorten und in anderen Industriezweigen ist die Praxis von Konzernen.
Der Thyssen-Konzern unter seinem Konzernchef Spethmann steht beispielhaft für diese Unternehmenspraxis. Die „Wirtschaftswoche" vom 27. März 1987 schildert die Situation: Der Weltkonzern Thyssen machte 1985/86 nur noch 26,5 % seines Umsatzes im althergebrachten Stahlbereich. 1969/70 waren es noch 51,7 %. In den Vereinigten Staaten allein macht Thyssen heute 16 % seines Umsatzes. Das heißt mit anderen Worten: In den vergangenen Jahren hat gerade Thyssen im Ausland überproportional investiert.
Originalton Spethmann von Thyssen im Interview der „Wirtschaftswoche" :
Bei uns gehen schon jetzt mehr als 50 % unseres Weltumsatzes an Kunden außerhalb Deutschlands, deshalb müssen wir hier und da auch mit der Investition näher zum Kunden.
In demselben Interview die Frage: Sie wollen Standorte aufgeben? Die Antwort:
Das geht gar nicht anders.
Herr Bangemann, die Produktdiversifizierung, die der Thyssenkonzern sinnvollerweise in den vergangenen Jahren bereits vollzogen hat, die Breite der Produktpalette, die der Konzern über TochterunternehSellin
men unternehmerisch beherrscht, ermöglichen die politische Forderung, die auch Sie als Vertreter der Bundesregierung wirtschaftspolitisch gegenüber Thyssen vertreten sollten, daß der Konzern an Stahlstandorten, die er mit dem Kahlschlag bedroht, anderweitig investieren muß.
({0})
Thyssen muß gezwungen werden, in Oberhausen und Hattingen in anderen Produkt- und Industriezweigen zu investieren. Der Konzern hat die Investitionskraft, die es ihm ermöglicht, neue Produkte nicht im Ausland, sondern im Inland an seinen klassischen Standorten, historischen Industriestandorten, produzieren zu lassen.
Die Bundesregierung sollte keine Subventionen zur Finanzierung von Entlassungen herausrücken, bevor der Konzern nicht standortgebundene Investitionszusagen gemacht hat.
Auch die neuesten Vorschläge, die in der „Frankfurter Rundschau" oder, heute, im „Handelsblatt" veröffentlicht sind, reichen bei weitem nicht aus, um dieser politischen Priorität genüge zu tun, diesen Konzern in die politische Verantwortung zu zwingen. Solch eine Forderung ist nur die politische Antwort auf die anarchistische Praxis von Investitionsentscheidungen durch Unternehmen wie Thyssen. Die Unternehmen wollen sich nur unter Zuhilfenahme öffentlicher Gelder, die die Sozialpläne mitfinanzieren sollen, aus der sozialpolitischen Verantwortung herausstehlen.
Herr Bangemann, wenn Investitionsfreiheit menschliche Lebensverhältnisse untergräbt, ist der politische Eingriff geboten.
Der IG-Metall-Vorsitzende Steinkühler hat in der Begründung der Ablehnung einer Stahlstiftung Ruhr am 31. März dem, was ich hier ausgeführt habe, Vergleichbares gefordert - ich zitiere aus der „Frankfurter Rundschau" - :
Zusätzliche Produktions- und Beschäftigungsfelder können in den Konzernen selbst erschlossen werden durch eine gezielte Ausweitung vorhandener und erfolgreicher Produktionszweige, etwa in der Umformtechnik, in der Werkstoff- und der Kunststofftechnik und im Maschinenbau für traditionelle Abnehmer, durch die gezielte Erschließung neuer Absatzfelder aus zusätzlichen öffentlichen Investitionen, etwa in der Verkehrstechnik,
- Stichwort: öffentlicher Nahverkehr in der Umwelttechnik und im Anlagenbau,
z. B. Blockheizkraftwerke. Diese Bedarfsfelder sind in der öffentlichen Diskussion: Altlastensanierung, Abfallbeseitigung, Wasser- und Luftreinhaltung am Entstehungsort, rationelle Energieversorgungssysteme usw.
Erst nach der politischen Inpflichtnahme der Konzerne für Investitionen an ihren alten Stahlstandorten kann die politische Diskussion über eine regionale Wirtschaftsstrukturentwicklung eröffnet werden, die es anderen Unternehmen, also Nichtstahlunternehmen, erleichtert, für ihre Produkte dort zu investieren.
Das muß nachgeordnet sein, wenn man heute Entscheidungen herbeiführen will.
Ich bitte Sie deshalb, auch die Gliederung unseres Antrages, der hier vorliegt, im Teil II, in den Punkten 1 bis 5 so zu lesen, daß es sich um eine politische Rangfolge des Vorgehens handeln soll, was wir erwarten. Es heißt dort:
1. Kurzfristig müssen alle Stahlstandorte erhalten werden.
Es sollen konzerninterne „Beschäftigungsgesellschaften" gegründet werden. Zu den Aufgaben der „Beschäftigungsgesellschaften" gehören auch die Weiterbildung und die Umschulung der Kollegen, ohne daß sie entlassen werden, um in anderen Zweigen der Produktion des Konzerns beschäftigt zu werden. Staatliche Subventionen für diese Gesellschaften dürfen nur mit Auflagen zur Arbeitsplatzsicherung im Konzern und in Form von Kapitalbeteiligungen gewährt werden. Die Kontrollrechte aus diesen Kapitalbeteiligungen, die also aus staatlichen Hilfen kommen, müssen an die Belegschaften übertragen werden. Dies würde einen Ausbau der Mitbestimmung im Montanbereich bedeuten, und es wäre ein Einstieg in vergesellschaftete Eigentumsformen.
Zweitens. Umbau der Stahlregion mit Hilfe regionaler Entwicklungsfonds. Bund, Länder und Kommunen sollen regionale Entwicklungsfonds gründen, die den notwendigen ökologischen und sozialen Umbau der Stahlregion koordinieren und finanziell fördern. An der Durchführung der konzeptionellen Arbeit sind Belegschaften, Gewerkschaften, Verbraucherverbände und die Bürgerinitiativen vor Ort zu beteiligen.
Erst an dritter Stelle taucht in unserem Antragspaket die Forderung der Vergesellschaftung der Stahlkonzerne auf. Das Krisenmanagement auf EG-Ministerratsebene - wie am letzten Montag - hat bewiesen - und auch die Konzerne selbst haben es gezeigt, wenn man die Vereinbarungen der Stahlkonzerne innerhalb der EG sieht, die dort Anstrengungen unternommen haben - , daß es gescheitert ist. Aus diesem Grund erhält die Forderung aus den Stahlbelegschaften heraus und durch die Industriegewerkschaft Metall politisches Gewicht, die Stahlkonzerne zu vergesellschaften. Die Vergesellschaftung der Stahlkonzerne - nun hören Sie gut zu - ist nicht selbst die Lösung der Stahlkrise, aber ein notwendiges Mittel, um ein Gesamtkonzept für eine soziale, ökologische und demokratische Krisenlösung entwickeln und politisch durchsetzen zu können.
({1})
Vergesellschaftung hat mit den bekannten Formen der Verstaatlichung nichts gemeinsam. Staatsbürokratisch und zentralistisch gelenkte Betriebe sind kein Fortschritt. Anstatt eine zentralistische staatsbürokratische Einheitsgesellschaft zu bilden, erscheint es sinnvoll, die Stahlunternehmen nach ihrer Vergesellschaftung als ökonomisch selbständige Unternehmen mit weitestgehenden Planungs- und Steuerungskonzepten zu führen. Die vergesellschafteten Stahlunternehmen müssen sich auf Dauer wirtschaftlich selbst tragen und eine Unternehmenspolitik betreiben, die
Kriterien ökonomischer und ökologischer Effizienz und sozialer Verträglichkeit genügt.
({2})
Das hat aber nichts mit dem zu tun, was Sie unter Verstaatlichung hier immer in die Debatte bringen, das hat etwas damit zu tun, daß das sozialistische marktwirtschaftliche Gedanken sind, die hier eingebracht werden.
({3})
Der Deutsche Bundestag kann keine Verlustsozialisierung wollen. Das wäre nämlich Verstaatlichung, wie Sie es immer meinen. Stahlunternehmen einschließlich ihrer gewinnbringenden Teile in Veredelung und Weiterverarbeitung müssen - ich komme zum Schluß - in neue Formen des Eigentums überführt werden. Als mögliche Eigentumsformen eignen sich Belegschaftsfonds. Regionale Vertreter von Umweltschutzverbänden und Vertreter der Standortkommunen sind an der Kontrolle der Unternehmenspolitik zu beteiligen.
Das sind unsere konkreten Vorstellungen.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Martin Bangemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der verschiedenen bisherigen Redebeiträge ist es vielleicht ganz nützlich, wenn man sich noch einmal die Fakten vor Augen führt; denn wenn wir wirklich den Menschen, die von der Krise in der Stahlindustrie betroffen sind, helfen wollen, dann geht das nicht, ohne daß man Lösungen erarbeitet, die auf Tatsachen des Marktes, auf die Bedingungen, unter denen gearbeitet, produziert und verkauft wird, Rücksicht nehmen. Luftschlösser zu bauen, wie sie jetzt wieder vorgeführt worden sind, hilft den Menschen, die von der Krise betroffen sind, am wenigsten. Schon gar nicht hilft es ihnen, wenn man haltlose Versprechungen macht, die kein Mensch einhalten kann. Das ist das Schlimmste, was überhaupt passieren kann.
({0})
Wir haben ohne jeden Zweifel eine sehr unerfreuliche Situation auf dem Stahlmarkt, die aber durch eine Reihe von Faktoren herbeigeführt worden ist, für die weder diese noch eine andere Bundesregierung noch die deutsche Stahlindustrie verantwortlich gemacht werden kann.
Wir haben in den Ländern, die zunächst als Entwicklungsländer galten und in die wir selber Stahltechnologie und Stahlunternehmen verkauft haben, heute Konkurrenten, und zwar nicht nur auf ihren eigenen Märkten, die wir in der Vergangenheit vielleicht beliefert haben, sondern auch auf dem Weltmarkt und zum Teil auch bei uns. Wenn man Stahlunternehmen verkauft, wenn man Stahlunternehmen im Rahmen der Entwicklungspolitik bezuschußt, dann kann man nicht nachher die eigenen Grenzen zumachen und sagen: Nun seht zu, wie ihr diesen Stahl dann verkauft! - Vielmehr muß man diese Situation in seine eigenen Überlegungen einbeziehen, denn sonst wird man auch gegenüber seiner eigenen Entwicklungspolitik unehrlich. Es wäre die allerschlechteste Politik, wenn man bei der Stahlpolitik zu Hause alle möglichen Versprechungen macht, den Entwicklungsländern Avancen macht, ihnen Stahlwerke hinstellt, dies aber nicht zu einem Konzept zusammenbringt. Deswegen: Die Produktion ist gestiegen, wir haben neue Konkurrenten; Konkurrenten, die teilweise mit niedrigeren Kosten sowohl bei den Rohstoffen als auch beim Strom als auch beim Faktor Arbeit arbeiten können.
Wir haben auch einen tendenziell nachgebenden Bedarf an Stahl. Der spezifische Bedarf an Stahl geht in der ganzen Welt aus den unterschiedlichsten Gründen zurück.
Das heißt, wir sehen uns einem doppelten Problem gegenüber: Das Angebot ist gewachsen, die Nachfrage ist gesunken, und wir selber sind, obwohl unsere Stahlindustrie technologisch sicherlich auf Weltniveau arbeitet, in manchen Fällen wegen der Gesamtheit der Kosten nicht mehr so wettbewerbsfähig, wie das früher der Fall war.
Nebenbei darf ich insbesondere Ihnen sagen, weil Sie von der Max-Hütte gesprochen haben: Es gibt natürlich auch innerhalb der deutschen Stahlindustrie Unterschiede. Es gibt Unternehmen, die auch noch im letzten Jahr, die auch heute noch Gewinne machen, die sich rechtzeitig auf diese Situation eingestellt haben, die ihre Produkte an den Markt angepaßt haben, die natürlich auch bei Arbeitsplätzen Anpassungsmaßnahmen durchgeführt haben, die sich von der ausschließlichen Stahlproduktion wegentwickelt haben.
({1})
Alle diese Unternehmen stehen heute besser da. Unternehmen, die das nicht gemacht haben, haben jetzt nicht das Recht, ihr unternehmerisches Versagen auf die Politik abzuladen. Das geht nicht.
({2})
- Das trifft hier zu. Die Maxhütte - wenn Sie das noch nicht gesehen haben sollten - ist heute in einem Konkursverfahren, das nicht die Bundesregierung verursacht hat. Das werden Sie ja wohl einräumen.
({3})
- Ich komme gleich auf diese Frage der Belieferung von außen. Das ist kein Verdrängungswettbewerb. Die Maxhütte hat Kosten, die über den durchschnittlichen Kosten der Stahlindustrie in der Bundesrepublik liegen. Ich will das hier jetzt nicht im einzelnen darlegen. Das sind die Probleme, die jedes Unternehmen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung selber zu verantworten hat. Wenn wir das verlassen wollen, dann ändern wir in der Tat unsere Wirtschaftsordnung. Das werden wir nicht tun.
Was können wir tun? Was kann man angesichts dieser Lage verantworten? Wie soll dieser Anpassungsprozeß unterstützt werden? Natürlich handelt es sich um einen Anpassungsprozeß, den niemand aufhalten kann.
Ich weiß nicht, ob ich auf die Vorstellungen der GRÜNEN überhaupt eingehen sollte, weil man angesichts der Schwere und des Ernstes des Problems immer ins Humoristische gehen muß, wenn man sie beurteilt. Sie erwarten sich ein Heil davon, daß diese sogenannten vergesellschafteten Unternehmen dann durch eine noch stärker ausgebaute Montan-Mitbestimmung geführt werden. Immerhin haben wir eine Montan-Mitbestimmung, die von allen als eine Möglichkeit der Mitwirkung von Arbeitnehmern immer sehr gelobt wird. Die wollen Sie noch weiter ausbauen. Dann sollen Umweltschutzverbände und Vertreter der Standortkommunen - so nennen Sie es; das ist dann der „Standortkommunarde" - in der Unternehmensleitung mitwirken. In diesen Unternehmen möchte ich weder als Arbeitnehmer arbeiten, noch möchte ich für so ein Unternehmen verantwortlich sein. Das kann natürlich keine Lösung bedeuten.
({4})
- Lesen Sie Ihren eigenen Antrag einmal durch. Dann werden Sie sehen, wie weit Sie mit solchen Vorstellungen von jeder Wirklichkeit entfernt sind.
Wenn Sie hier sagen, ein Unternehmer ist ein Anarchist, dann fragen Sie einmal die Unternehmer, die in dieser schwierigen Situation versucht haben, für ihr Unternehmen, für ihre Arbeitnehmer etwas zu schaffen, was sie mit Ihrer Hilfe mit Sicherheit nicht schaffen können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Ja, ausnahmsweise.
Haben Sie vielleicht vorhin bei meinen Ausführungen zur Kenntnis genommen, daß der Thyssen-Konzern im vergangenen Jahr im EG-Ausland, aber auch im außereuropäischen Ausland kräftig investiert hat und daß er es vernachlässigt hat, für seine Arbeitnehmer, die von ihm im Inland beschäftigt wurden, Perspektiven zu entwickeln und daß dieser Konzern gleichzeitig Stahlunternehmen - das haben Sie vorhin selber als Beispiel in Ihrer Rede gehabt - auch ins Ausland als Anlagen exportiert und daß dies natürlich nach einer gewissen Frist wie ein Bummerang auf uns zurückschlägt?
Ja, was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie, was Sie immer wieder sagen, den Entwicklungsländern helfen, indem man ihnen technisch, technologisch Anlagen zur Verfügung stellt, zum Teil ja gar nicht mal nur verkauft, sondern auch bezuschußt, mit denen sich diese Entwicklungsländer eine wirtschaftliche Zukunft bauen? Das wollen doch Sie auch, und das wollen wir auch. Dann kann man das, wenn es dann wieder andere Auswirkungen hat, nicht einfach ablehnen.
({0})
Herr Bundesminister, lassen Sie - Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Nein, ich möchte jetzt im Text weitermachen.
({0})
- Das ist richtig; im Vergleich mit Ihnen beantworte ich lieber die Frage eines GRÜNEN, das muß ich schon sagen.
({1})
Wir haben eine ganz klare Stahlpolitik auch in der EG nicht nur entworfen, sondern durchgesetzt. Zunächst einmal - das hat Klaus Beckmann mit Recht erwähnt - : Es gilt seit über einem Jahr ein Verbot stahlspezifischer Subventionen in der gesamten Europäischen Gemeinschaft. Wenn die deutsche Stahlindustrie nicht müde wird, auch heute nicht müde wird, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es die Subventionen der anderen Länder waren, die ihre Situation so schwierig gemacht haben, und daß sie nicht gegen die Finanzminister anderer Länder ankonkurrieren können, dann ist das natürlich richtig; aber dann muß die deutsche Stahlindustrie auch einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir, und zwar diese Bundesregierung, seit über einem Jahr erreicht haben, daß diese Subventionen in Zukunft untersagt sind.
Nun sagt man: Ja, das ist nur ein Verbot, in Wahrheit geschieht nach wie vor das Unzulässige und jetzt Verbotene. Wir haben immer wieder gesagt, die Bundesregierung - übrigens auch die Europäische Kommission - wird jedem begründeten Verdacht nachgehen und dafür sorgen, daß solche verbotenen Subventionen eingestellt werden. Aber ich brauche keine Gerüchte, sondern ich muß wenigstens im Ansatz Tatsachen haben, die ich benutzen kann, um ein solches Verfahren in Gang zu setzen. Wir haben jetzt vier solche Verdachtsverfahren. Drei davon sind gegen deutsche Unternehmen anhängig.
({2})
Deswegen möchte ich die deutsche Stahlindustrie bitten, vorsichtig zu sein mit solchen unqualifizierten Vorwürfen; es macht unsere europäische Bemühung nicht leichter.
Nun haben wir über dieses Subventionsverbot hinaus beim letzten Stahlrat etwas ganz Entscheidendes erreicht. Das ist leider überhaupt nicht aufgefallen. Wir haben durchsetzen können, daß die Europäische Kommission den Grundgedanken von Eurofer akzeptiert hat, den die europäische Stahlindustrie nicht durchsetzen konnte, und zwar nicht, weil sich die privaten Stahlunternehmen geweigert hätten, sich an der Stillegung von Kapazitäten zu beteiligen, sondern weil in den Ländern, wo die Stahlindustrie verstaatlicht war, die Regierungen sich geweigert haben, not1006
wendige Stillegungen vorzunehmen. Das ist nämlich eigentlich der Grund, warum der Gedanke von Eurofer nicht verfolgt werden konnte. Die Kommission hat sich bereit erklärt, diesen Gedanken aufzugreifen. Nur so kann es uns gelingen, das Quotensystem wenigstens teilweise weiter zu verlängern. Wir wollen uns für die vollständige Verlängerung einsetzen. Dazu brauchen wir Mehrheiten. Wir werden uns das sehr ernsthaft vornehmen, aber wir können das natürlich nicht garantieren. Wenn aber überhaupt eine Verlängerung von Quoten in Frage kommt, dann nur in Verbindung mit dem Grundgedanken von Eurofer. Denn wenn Quoten handelbar werden, dann kann es für Stahlunternehmen interessant werden, Kapazitäten stillzulegen, die Quoten zu verkaufen und den erzielten Erlös für Sozialpläne einzusetzen. Diesen Grundgedanken hat die Kommission akzeptiert. Das ist Ergebnis Nummer eins.
({3})
- Aber Herr Jens, das ist kein alter Hut. Die Kommission hat dem Eurofer-Gedanken sehr skeptisch gegenübergestanden. Wir haben alle Hände voll zu tun gehabt, vor etwa zwei Monaten die Kommission überhaupt dazu zu bringen, der Stahlindustrie der Gemeinschaft die Zeit zu lassen, diesen EuroferGedanken auszuprobieren. Es war gar nicht die Meinung der Kommission. Die Kommission stand sehr skeptisch diesem Gedanken gegenüber. Deswegen ist das kein alter Hut. Aber das Problem ist ja immer: Sie übersehen die Nachrichten, die die Erfolge der Regierung bestätigen. Deswegen sind Sie immer überrascht, wenn man Ihnen das wieder sagen muß.
({4})
- Ich muß mich selbst loben, weil Sie mich ja nicht loben, Herr Jens. Das ist ja mein Problem.
({5})
Der zweite Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, ist, daß wir nicht nur die Genehmigung der Kommission bekommen, regionale und Stahlsonderprogramme durchzuführen, sondern daß die Europäische Gemeinschaft eigene stahlspezifische Standortprogramme und Regionalprogramme mit eigenem Geld, auf jeden Fall mit Geld aus dem EGKS-Haushalt, auflegen wird. Wenn wir das zusammen mit dem Geld betrachten, das wir aus den Quotenverkäufen bekommen und zusammen mit dem, was Norbert Blüm sicherlich gleich noch in einzelnen darlegen wird, können wir sagen: Wir begleiten den Kapazitätsabbau sozial und regional endlich einmal so, daß das Grundproblem angegangen wird.
Hier hat jemand gesagt: Das ist eine Monostruktur, und daraus ergeben sich die Probleme. - Das ist richtig. Aber wenn es so ist, dann muß man endlich einmal Schluß machen mit der Monostruktur. Es muß doch einmal einer den Mut haben, zu sagen: Jetzt diversifizieren wir, jetzt machen wir etwas anderes, jetzt helfen wir den Menschen, jetzt bringen wir ihnen die Hoffnung, daß sie einen neuen, zukunftsträchtigen
Arbeitsplatz haben. Und genau das macht die Bundesregierung.
({6})
Lassen Sie mich noch folgendes auch zu einem Zwischenruf sagen, der hier kam. Deswegen wehren wir GATT-widrige Einfuhren auch ab. Alles, was Dumping ist, alles, was in der Einfuhr nicht erlaubt ist, weil es auch alte Verträge gibt, Einfuhren zu begrenzen, wird in der Europäischen Gemeinschaft abgewehrt. Was wir allerdings nicht machen, ist, gegen die GATT-Regeln zu verstoßen. Meine Damen und Herren, wenn wir das nämlich anfangen, dann gerät mehr ins Rutschen als Arbeitsplätze in der Stahlindustrie.
({7})
Ich werde nicht müde, immer wieder zu wiederholen, weil es offenbar immer noch unbekannt ist: Ein Drittel des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik erwirtschaften wir aus dem Export. Jede dritte Mark, die ein Mensch bei uns verdient, stammt aus dem Export. Wenn ich anfange, protektionistisch zu werden, dann rutscht die Lebensgrundlage der gesamten deutschen Wirtschaft weg, und das kann doch nicht in Ihrem Interesse sein.
({8})
Deswegen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, betreiben wir eine Stahlpolitik, die den Menschen in den betroffenen Regionen endlich einmal eine Perspektive gibt, die Rücksicht nimmt auf ihre persönlichen Nöte und Bedürfnisse, die aber nicht ein Luftschloß malt, das niemand realisieren kann.
Sie wecken falsche Hoffnungen - auch mit Ihren beiden Anträgen - , die niemand einlösen kann. Damit tun Sie für die Menschen das Falscheste, was man überhaupt tun kann. Politik muß ehrlich sein, sie muß sagen, was man machen kann. Das haben wir gesagt, und das machen wir auch. Dabei bleibt es.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bangemann, ich habe wirklich viele schöne Worte von Ihnen gehört. Sie haben lange über die Ursachen der Krise gesprochen. Nur: Was diese Bundesregierung konkret tun will, um den Betroffenen zu helfen, habe ich nicht so richtig herausgefunden.
({0})
Ich hoffe, daß auf diesem Gebiet von Ihnen noch ein bißchen mehr kommt.
Man kann auch nicht nur Maßnahmen ankündigen - die bei Ihnen, sofern sie vorhanden waren, sehr dünn waren - , sondern man muß auch sagen: Wieviel Geld gibt die Bundesregierung, um diese Krise zu bewerkstelligen?
Auch wir Sozialdemokraten - meine Damen und Herren, das darf ich Ihnen sagen - werden alles tun,
um, wie es der Kollege Lammert gesagt hat, eine einheitliche Meinung dieses Hauses herbeizuführen. Aber diese einheitliche Meinung muß darauf abzielen, alles zu tun, um den Betroffenen in den Regionen, insbesondere in der Montanregion, zu helfen.
({1})
Unter dieser Zielsetzung sind wir bereit, eine einheitliche Entschließung mit zustande zu bringen.
Wir Sozialdemokraten diskutieren auf unseren Antrag hin jetzt zum zweitenmal über den Stahl. Meine Fraktion war in der vorigen Woche im Ruhrgebiet und hat sich dort ausführlich mit den Problemen befaßt.
({2})
- Auch bei der Maxhütte sind wir gewesen, jawohl.
Wir sind zutiefst - auch auf Grund dieser Analysen - der Ansicht: Die Menschen in diesen Regionen haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Bundesrepublik Deutschland wieder zu Wohlstand gekommen ist. Sie haben durch ihre Arbeit entscheidend daran mitgewirkt, daß Dividende verdient worden ist, die auch in die anderen Länder geflossen ist. Sie haben ertragen müssen, daß ihre Umwelt systematisch zerstört worden ist, zum Teil auch zu Lasten der Menschen, die dort leben. Ich meine, Herr Bangemann, sie haben jetzt Anspruch auf Solidarität durch diese Bundesregierung.
({3})
Das Positionspapier der IG Metall - ich will es nicht überbewerten - , das mit einigen Konzernen erarbeitet worden ist, ist ein Schritt zur Krisenverminderung. Es ist aus meiner Sicht ein positives Signal, aber es ist auch nicht mehr. Es muß eben noch durch konkrete Finanzierungshilfen der Regierung angefüllt werden.
({4})
Die Ursachen für die Krise sind vielschichtig. Sie liegen sicherlich nicht nur in der Bundesrepublik, sondern es ist ein weltweiter Entwicklungsprozeß, der uns hier Sorgen bereitet, und zwar nicht nur in der Stahlindustrie, sondern in vielen Wirtschaftszweigen. Das sehen wir alles sehr genau.
({5})
Aber die Verantwortung, Herr Bangemann, liegt auch auf Ihren Schultern, daß diese Krise zu einem anständigen Ende kommt. Ich behaupte mit dem Kollegen Vondran zusammen: Sie haben die Interessen der deutschen Stahlindustrie in Brüssel nicht gut vertreten, Herr Bangemann.
({6})
Offenbar sieht man in der Bundesregierung mittlerweile selbst ein, daß öffentliche Abrißprämien in anderen Ländern zu Erhaltungssubventionen entarten. Es gibt eine Fülle von Umgehungsmöglichkeiten für den sogenannten Subventionskodex. Auf alle Fälle ist es eine Mißachtung unserer Interessen, wenn man
das Auslaufen der Stahlbeihilfen zum 31. Dezember 1985 akzeptiert, so wie Sie das gemacht haben, gleichzeitig aber zustimmt, daß für die Stahlindustrie in Frankreich, Italien und Belgien Beihilfen für die Jahre 1986 und 1987 in Höhe von 30 Milliarden DM genehmigt werden. Da ist doch Druck im Schlauch, da muß man sich doch nicht wundern, daß die deutsche Stahlindustrie jetzt in Schwierigkeiten kommt! Und das haben Sie mitzuverantworten, Herr Bangemann.
({7})
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt anführen, den wir Ihnen vorwerfen. Ich bin bestimmt kein Anhänger von Quotenregelungen oder von Kartellen; das kann man mir nicht unterstellen. Das sind Verstöße gegen die Marktwirtschaft. Aber auf dem Stahlmarkt gibt es schon lange keine Marktwirtschaft mehr. Da meine ich eben, es ist der Bundesregierung nicht gelungen, eine Gleichbehandlung bei den Subventionsleistungen sicherzustellen. Deshalb haben die Stahlunternehmen Anspruch auf eine anständige Quotenregelung. Wenn Sie das nicht hinbekommen, müssen Sie zusätzliche Subventionen an die Stahlunternehmen zahlen. Etwas anderes gibt es nicht.
Wir Sozialdemokraten akzeptieren das Prinzip der Chancen- und Wettbewerbsgleichheit. Aber wir wollen nicht akzeptieren, daß durch staatliche Wettbewerbsverzerrungen in anderen europäischen Ländern deutsche Arbeitsplätze vernichtet werden.
Zwei Wünsche an den Bundeskanzler: Er hat vor geraumer Zeit selbst angekündigt, daß die Stahlstandorte in die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Strukturpolitik aufgenommen werden sollen. Es ist auch absurd, Herr Bangemann, wenn es z. B. normalerweise in den Stahlstandorten der Montanregion 15 % Prämie gibt, in Hattingen nur 10 %, aber gleichzeitig in vielen Orten des Zonenrandgebietes 25 % Prämie, die bei der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen gezahlt werden. Dies muß man doch angesichts der Gefahren, die vor uns liegen, umgestalten und dafür sorgen, daß in allen Stahlstandorten mindestens 25 % Prämie gezahlt werden!
({8})
Dafür werben wir; dazu fordern wir Sie auf.
Mein Kollege Wolfgang Sieler hat bereits über sozialpolitische Vorschläge gesprochen. Lassen Sie mich einen Punkt noch in Erinnerung rufen. Ich glaube, es gibt mittlerweile in der Stahlindustrie Schwierigkeiten, wenn es um sogenannte Freisetzungen geht; ich höre das Wort nicht so furchtbar gerne, denn mit „frei" hat es wirklich wenig zu tun.
({9})
Aber ich meine, wir müßten für bestimmte Sonderfälle die Möglichkeit schaffen, daß einige, insbesondere die, die jahrelang in erster und zweiter Hitze gearbeitet haben, und die zum Teil körperlich kaputt sind, spätestens mit 50 Jahren in Pension gehen können. Das sollte dann auch nicht nur für die Stahlindustrie möglich sein, denn solche Fälle gibt es auch
bei den Schmieden, bei den Gießereien und bei den Röhrenproduzenten.
Ich meine, meine Damen und Herren, die Unternehmen im Ruhrrevier insbesondere - ich weiß nicht so genau, wie es bei der Maxhütte ist - haben zum Teil selbst dafür gesorgt, daß nicht rechtzeitig, vor Jahren neue Industrien angesiedelt worden sind.
({10})
Sie hatten Angst vor der Konkurrenz, und sie hatten Angst vor möglicher zusätzlicher Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem deshalb sind sie verpflichtet, jetzt zusätzlich etwas zu tun, damit die Montanregionen nicht verkommen, damit dort neue Arbeitsplätze entstehen.
({11})
- Herr Hinsken, auf Grund Ihres Zwischenrufs behaupte ich: Diese Politik, regionale Strukturpolitik und insbesondere sektorale Strukturpolitik, ist keine Aufgabe der Landesregierung, sondern - auch auf Grund der geltenden Gesetze - eine Aufgabe der Bundesregierung, und dieser Bundesminister ist aufgefordert, auf diesem Felde etwas mehr zu tun.
({12})
Ein Wort noch zu dem Antrag der GRÜNEN: Auch ihn werden wir sicherlich in die Prüfung einbeziehen, aber aus meiner Sicht - ich sage ausdrücklich: aus meiner Sicht - ist es doch geradezu absurd, jetzt darüber nachzudenken, die Eigentumsverhältnisse in der Stahlindustrie konkret zu verändern. Ich behaupte: Die jetzigen Eigentümer tragen Mitverantwortung an der Krise, und wir müssen alles tun, um sie in dieser Verantwortung zu belassen.
({13})
Nein, es ergibt keinen Sinn, hier neue Eigentumsformen zu schaffen.
Der Abgeordnete Stratmann möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich werde es nicht anrechnen, wenn es nicht zu lange dauert. - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Stratmann.
Herr Kollege Jens, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in unserem Antrag die Forderung der IG Metall nach Einführung einer konzerninternen Beschäftigungsgesellschaft oder konzerninterner Beschäftigungsgesellschaften als einen ganz konkreten Schritt unterstützen, und zwar mit einer Ausgestaltung, bei der wir konkret einen Schritt in Richtung Vergesellschaftung gehen können, und sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Belegschaft der Thyssen-Werke Oberhausen eine Petition an den Landtag von Nordrhein-Westfalen gerichtet hat, konkret nach Art. 27 der Landesverfassung NRW die Vergesellschaftung einzuleiten?
Herr Abgeordneter Stratmann, Sie hatten an sich nur eine Zwischenfrage, nicht zwei.
Ich nehme gern alles zur Kenntnis; nur wage ich zu bezweifeln, ob das, was Sie da vorschlagen, sinnvoll ist. Mir geht es insbesondere darum, daß Sie in Ihrem Antrag auch die Schaffung neuer Eigentumsverhältnisse vorgesehen haben.
({0})
Dies halte ich nun für verrückt. Die jetzigen Eigentümer müssen mit daran teilnehmen, daß diese Krise gelöst wird. Sie sind entscheidend schuld daran, daß wir diese Krise haben, und deshalb will ich sie nicht aus der Verantwortung entlassen.
({1})
Sie sind ja offenbar auch bereit, zusätzlich etwas zu tun.
Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie sofort ein „Zukunftsprogramm Montanregionen" in Angriff nimmt. Dazu gehören Hilfen zur Umstellung, die wir in unserem Antrag ausführlich beschrieben haben. Es gibt im übrigen in diesen Regionen eine Fülle von Feldern, auf denen Investitionen dringend in Angriff genommen werden müssen. Die Sanierung der Altlasten brennt den Kommunen unter den Nägeln!
Meine Damen und Herren, ich meine, in den Montanregionen leben fleißige, strebsame und einfallsreiche Menschen.
({2})
Sie oder ihre Väter und Mütter haben am Wiederaufstieg der Bundesrepublik Deutschland entscheidendes Verdienst. Es gibt mittlerweile in diesen Gebieten etliche wissenschaftliche Hochschulen, die einen zusätzlichen wichtigen Kern für eine effektive Umstrukturierung bilden. Wir Sozialdemokraten sind deshalb der Auffassung: Wenn Unternehmen, Bund, Länder und EG ihre Verantwortung wahrnehmen, haben diese Montanregionen eine Zukunft, und dies ist eine wichtige Botschaft für die dort lebenden Menschen. Ich bin sogar der Ansicht: Geben Sie uns zehn Jahre Zeit, nehmen Sie diese Verantwortung wahr, dann wird Oberhausen, dann werden Hattingen, Duisburg und Dortmund wieder eine wichtige Zukunftsregion in diesem Lande werden.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß einen Vorwurf des Kollegen Sieler aufgreifen und mit allem Nachdruck zurückweisen. Er hat behauptet, daß im bayerischen Landtagswahlkampf und im Bundestagswahlkampf den Menschen in der mittleren Oberpfalz leere Versprechungen gemacht worden seien.
({0})
Herr Kollege Sieler, Sie wissen genau, daß es die Maxhütte schon längst nicht mehr gäbe, wenn nicht die
Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung in den letzten Jahren entscheidend geholfen hätten. Kein bayerisches Unternehmen hat die Staatsregierung so oft beschäftigt wie die Maxhütte, und kein Unternehmen in Bayern hat mehr öffentliche Hilfe in Form von steuerlichen Zulagen und Investitionszuschüssen sowie zur Durchführung von Sozialplänen erhalten als die Maxhütte. Ich erinnere nur an die 187 Millionen DM in den letzten vier Jahren. Da muß ich Sie fragen, Herr Sieler: Wo blieb die konstruktive Mitarbeit der SPD?
({1})
Ich kann nur eines feststellen: Die SPD hat dieses Thema Maxhütte in einer demagogischen Weise in den Landtags- und in den Bundestagswahlkampf gezogen, und das war nicht hilfreich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Maxhütte ist ein Teilproblem - in der Region der mittleren Oberpfalz ein sehr, sehr ernstes Problem - im Rahmen der Schwierigkeiten im Bereich der Stahlindustrie. Es ist eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig, um die ernsten und dringlichen Probleme im Bereich der Stahlindustrie zu meistern.
Der Strukturwandel in der Stahlindustrie muß bewältigt werden. Wir können ihn nicht aufhalten, aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, daß sich dieser Strukturwandel für die Menschen, aber auch für die Wirtschaft in einer sozial verträglichen Weise vollziehen kann.
({2})
Herr Abgeordneter Dr. Jobst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Bitte, ja.
Herr Kollege, ist Ihnen in Sachen Maxhütte die These des dortigen Betriebsratsvorsitzenden Kick bekannt, und wie bewerten Sie sie - Zitat -:
Der bayerische Ministerpräsident steht so lange vor und hinter der Maxhütte, bis nichts mehr von ihr da ist?
({0})
Ich glaube gar nicht, daß der Herr Kick von der Maxhütte eine solche Äußerung gemacht hat. Wenn er sie gemacht haben sollte, dann ist es eine völlig danebenliegende und verunglimpfende Äußerung. Es gibt keinen Menschen, der sich so für die Maxhütte eingesetzt hat wie der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß.
({0})
Bevor Sie fortfahren, möchte ich dem Abgeordneten Fellner wegen seines Zwischenrufs „Zyniker" selbstverständlich einen Ordnungsruf erteilen.
({0})
So, Herr Abgeordneter Dr. Jobst, Sie können fortfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsche Stahlindustrie braucht gleiche und faire Wettbewerbsvoraussetzungen gegen massive Subventionen ihrer Mitbewerber in der EG und gegen die Einfuhr zu Dumpingpreisen. Die weitere Modernisierung und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sind wesentliche Aufgabe der Unternehmer - da stimme ich mit dem Herrn Jens überein -, aber auch der Stahlpolitik, damit eine größtmögliche Zahl von Arbeitsplätzen gesichert werden kann. Die weitere Umstrukturierung der europäischen Stahlindustrie muß aktiv politisch begleitet werden.
Mit Ihnen, Herr Jens, stimme ich auch überein, daß verstaubte Klassenkampfparolen, wie sie heute hier vorgetragen worden sind, nicht weiterhelfen. Reicht Ihnen nicht die Riesenpleite beim quasi vergesellschafteten Konzern Neue Heimat?
({0})
Reichen Ihnen nicht die Erfahrungen in den Ländern, in denen die Stahlindustrie verstaatlicht ist? Dort haben wir eine erheblich größere Verminderung der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie als in der Bundesrepublik Deutschland: in Großbritannien 76 %, in Frankreich 54 %, in der Bundesrepublik 36 %.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese ernsten Probleme der Stahlindustrie berühren uns alle. Hier geht es um Arbeitsplätze; hier geht es um die Zukunft der Menschen; hier geht es um Arbeitnehmer und deren Familien. Es geht aber auch um mittelständische Existenzen in diesen Regionen, und es geht um die Zukunft von ganzen Regionen.
Durch den Konkurs der Maxhütte sind 4 500 Arbeitsplätze direkt und eine erhebliche Anzahl von weiteren Arbeitsplätzen indirekt gefährdet. Die Stillegung der Maxhütte würde zu einer Arbeitslosigkeit in unverantwortlicher Höhe führen, denn die wirtschaftliche Existenz Tausender von Familien und Zehntausender von Menschen hängt von diesem Unternehmen ab. Auf die Arbeitsplätze dieses Unternehmens in diesem Gebiet kann nicht verzichtet werden. Eine passive Sanierung durch Abwanderung der Bevölkerung muß unter allen Umständen verhindert werden.
Die Region braucht deshalb besondere Hilfen zur Bildung einer Auffanggesellschaft und zur Fortführung des Unternehmens. Die Devise muß sein, so viel Arbeitsplätze wie nur möglich zu sichern. Wir wissen, daß mit Dauersubventionen die Maxhütte nicht über Wasser gehalten werden kann. Deshalb brauchen wir als erstes ein schlüssiges und zuverlässiges Unternehmenskonzept. Gefordert sind die Anteilseigner, und gefordert sind nach meinem Dafürhalten auch die Gewerkschaften.
Wir brauchen eine bessere soziale Abfederung für die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, aber noch nicht in Rente gehen können. Sozialplanhilfen müssen wirksam verbessert werden. Hier ist es mit der Erhöhung der Mittel alleine nicht getan. Insbesondere
muß die Altersgrenze im Falle der Gewährung der Übergangshilfe vom 55. auf das 50. Lebensjahr herabgesetzt werden. Denn die Arbeitnehmer vom 50. bis zum 55. Lebensjahr sind am stärksten betroffen. Ältere Arbeitnehmer gibt es heute kaum mehr in der Montanindustrie.
Wir wissen: Sozialpläne sind schön, aber keine Lösung auf Dauer. Was wir brauchen - hier kann ich dem Bundeswirtschaftsminister nur nachhaltig zustimmen -, sind neue Arbeitsplätze, Zukunftsarbeitsplätze in diesen Regionen.
({1})
Dazu brauchen wir natürlich auch, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine massive öffentliche Hilfe. Die Bundesregierung hat den Werften dankenswerterweise eine Sonderhilfe von 420 Millionen DM zur Verfügung geteilt. Für die Sonderbelastung und für die Entwicklung des Raumes Gorleben werden vom Bund an das Land Niedersachsen Ausgleichszahlungen von 300 Millionen DM geleistet.
In der mittleren Oberpfalz, meine ich, haben wir durch den Konkurs der Maxhütte eine ähnliche Situation, die eine Gleichbehandlung gebietet. Deshalb ist eine Sonderhilfe für die mittlere Oberpfalz gerechtfertigt und dringend notwendig.
Es geht jetzt darum - das ist mein Appell an die Bundesregierung - , daß diese schwere Krise, in die die mittlere Oberpfalz durch den Konkurs der Maxhütte geraten ist, durchgestanden wird, daß diese Durststrecke gemeistert wird. Dazu sind Mut und Entschlossenheit notwendig. Geboten sind aber auch Vernunft und soziale Verantwortung. Wenn es uns gelingt, Herr Kollege Sieler - jetzt meine ich nicht Sie persönlich -, das politische Klima dort vor Ort wieder zu verbessern, wieder ein Klima herzustellen, das es zuläßt, daß sich Betriebe ausweiten, daß sich neue Betriebe ansiedeln, dann bin ich der festen Überzeugung, daß unsere mittlere Oberpfalz trotz der schweren Sorgen, die wir derzeit haben, gute Entwicklungschancen hat. Denn die Infrastruktur konnte in den letzten Jahren dank der Verkehrspolitik der Bundesregierung erheblich verbessert werden. Es ist in der Vergangenheit auch gelungen, neue Arbeitsplätze in diesem Raum zu schaffen.
({2})
Das Wort hat der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen Professor Jochimsen.
Minister Dr. Jochimsen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die aktuelle Stahlkrise und die Sorgen der Montanregionen sind Sorgen, die die ganze Bundesrepublik als Industriestandort angehen. Die Sicherung der deutschen Stahlbasis ist ein nationales Problem. Deshalb begrüße ich, daß der Bundeskanzler endlich der auch von Nordrhein-Westfalen erhobenen Forderung nachgekommen ist und eine nationale Stahlrunde einberufen hat; denn wir brauchen unverzüglich Klarheit darüber, wie wir den angekündigten Abbau von mehr als 20 000 Stahlarbeitsplätzen allein an Rhein, Ruhr und Sieg auffangen können, ohne daß es in manchen Orten zum regional wirtschaftlichen Kollaps kommt.
Wir brauchen die klare und verläßliche Absprache der Beteiligten darüber, wie den betroffenen Standorten und Regionen eine Zukunftsperspektive gegeben werden soll. Deshalb hoffe ich, daß bei der geplanten Fortsetzung dieser Stahlrunde auch die Landesregierung beteiligt wird.
({1})
Die Menschen in den Stahlstandorten konnten Vertrauen fassen, als der Bundeskanzler bei Hoesch in Dortmund kurz vor der Bundestagswahl die Sicherung einer nationalen Grundausstattung bei Kohle und Stahl zusagte. Dieselben Menschen müssen sich jedoch genarrt fühlen, wenn der zuständige Bundesminister unmittelbar nach der Stahlrunde beim Bundeskanzler im Deutschen Bundestag am 1. April 1987 wörtlich erklärt: Die Bundesregierung kann keine Grundausstattung der deutschen Stahlindustrie garantieren.
Ich frage die Bundesregierung: Was gilt denn nun, daß Wort des Bundeskanzlers oder das des verantwortlichen Ministers? Ich fordere den Bundeskanzler und seinen Wirtschaftsminister auf: Sorgen Sie endlich für Klarheit und Zuverlässigkeit in der Stahlpolitik!
({2})
Hören Sie auf, von Sterbehilfen zu reden und Verwirrung zu stiften! Nutzen Sie die Bereitschaft zu helfen, die in allen politischen Parteien vorhanden ist! Das ist ja in dieser Debatte dankenswerterweise auch zum Ausdruck gekommen. Hier liegt eine politische Aufgabe vor Ihnen, die Sie nicht auf die Landesregierungen, nicht auf die Regionen und Städte und auch nicht allein nach Brüssel schieben können.
({3})
Überhaupt, Brüssel: Die Wirtschaftsminister aller Bundesländer waren am 26. und 27. Mai in Brüssel und haben gemeinsam eine EG-Konzeption zur Lösung der aktuellen Krise angemahnt. Die Antwort war die gleiche, die jetzt der Stahlministerrat am 1. Juni gegeben hat: kein Konzept, alles unklar, Vertagung. Aber, meine Damen und Herren, die Probleme werden nicht vertagt. Sie werden immer drängender, und eine Lösung wird immer schwieriger.
Deshalb ist es notwendig, daß die deutschen Stahlinteressen in Bonn klar und deutlich formuliert und in Brüssel entschieden vertreten und durchgesetzt werden. Grundlage dazu ist eine industriepolitische Aussage über die nationale Grundausstattung in Umfang und Struktur. Nur Subventionen in anderen Mitgliedstaaten verhindern zu wollen reicht als Konzept nicht aus. Unverzichtbar sind aus meiner Sicht: vorerst keine weitere Liberalisierung des europäischen Stahlmarkts, Weiterführung des Quotensystems zur Abstützung des Kapazitätsabbaus und Preisdiziplin, Einhaltung des Subventionskodex, wirksamer Außenschutz gegen Dumping. Dies alles ist weiter nötig, aber wir müssen dabei sehen, wie defensiv diese deutsche Haltung in und gegenüber Brüssel eigentlich ist.
({4})
Minister Dr. Jochimsen ({5})
Die Landesregierung unterstützt alle Bemühungen, drohende Massenentlassungen zu vermeiden; deshalb begrüßen wir auch die Zielsetzung der Gespräche der Stahlunternehmen und der IG Metall, an denen das Bundesarbeitsministerium und zuletzt auch Vertreter von Düsseldorfer Ministerien beteiligt waren. Ich erwarte, daß die Bundesregierung ihre Ankündigungen, die sozialen Hilfen zu verbessern, möglichst bald konkretisiert. Ich appelliere an Sie, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie sich auch in Ihrer neuen Funktion für eine wirksame Verbesserung einsetzen.
Wir wollen keine Massenentlassungen, wir wollen neue Arbeitsplätze in den Stahlregionen. Deshalb begrüßen wir aus den bisherigen Gesprächen vor allem die Vorschläge, neue Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Stahlarbeiter zu entwickeln. Leider sind gerade die Aussagen zu diesen beiden Komplexen noch unbefriedigend.
({6})
Die Qualifizierungsaufgaben werden nur sehr allgemein abgehandelt. Aus der Sicht des Landes muß aber gerade die Qualifizierung sowohl der betroffenen Stahlarbeitnehmer als auch der jungen Menschen in den Stahlstandorten ein zentraler Bestand einer zukunftsorientierten Beschäftigungsstrategie sein. Das Land wird sich daran aktiv beteiligen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß sich die Landesregierung nicht gegen wirtschaftlich notwendige Anpassungsprozesse stellt. Wir haben nie gegen den Strukturwandel ansubventioniert, auch wenn der Bundeswirtschaftsminister gelegentlich eine solche Behauptung auf parteipolitischen Veranstaltungen - auch noch in meinem Heimatland - erhebt. Er hat meinen Brief dazu immer noch nicht beantwortet.
({7})
Im Gegenteil: Meine Damen und Herren, wir haben seit zwei Jahrzehnten umfassend die Umstrukturierung gefordert und unterstützt. Wir haben in den Regionen, in denen sich der Strukturwandel auch jetzt wieder konzentriert, gute Bedingungen für neue Investitionen und neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich nenne den Grundstücksfonds, ich nenne den Aufbau und Ausbau der zahlreichen Hochschulen in Duisburg, Bochum, Essen, Dortmund, Hagen und Siegen. Ich nenne die Errichtung neuer Forschungseinrichtungen. Das aktuelle Beispiel ist die Gründung des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen.
({8})
Wir sind bei den konkreten Hilfen für die Errichtung neuer Arbeitsplätze bis an die Grenzen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes gegangen. Ich nenne hier beispielhaft das Stahlstandorte-Sonderprogramm, das wir, meine Damen und Herren, als einziges Bundesland bisher alleine finanziert haben,
({9})
weil uns der Bund entgegen dem Geist und dem Wortlaut des Grundgesetzes bisher im Stich gelassen hat und das auch heute noch tut. Ich komme darauf noch zurück.
Zusammenfassend darf ich feststellen, daß in den letzten fünf Jahren mit unseren Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, der Qualifikationspolitik und der Technologieförderung insgesamt 25 000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden konnten und daß wir dafür 700 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Das Land steht also zu seiner regionalen Verantwortung. Um so bitterer ist es für die Menschen in den besonders betroffenen Montanregionen, daß sie erfahren müssen, daß die notwendige Solidarität des Bundes bisher noch nicht erkennbar ist.
In Bonn liegt seit langem unsere Forderung auf dem Tisch, die Arbeitsmarktregionen Duisburg-Oberhausen und Bochum mit Hattingen voll in die Förderung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufzunehmen. Das heißt konkret: Bundesmittel auch für Investitionszuschüsse, die bisher vom Land allein getragen werden, und Förderhöchstsätze für die besonders betroffenen Schwerpunktorte. Ein eingeschränktes und zeitlich befristetes Förderinstrumentarium eines Sonderprogramms reicht hier nicht aus.
({10})
Die Bundesregierung hat zu unserem Antrag immer noch nicht ja gesagt. Am 20. Mai 1987 wurde eine Entscheidung des Planungsausschusses erneut vertagt. Nordrhein-Westfalen erwartet nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung unverzüglich die zugesagte Gleichbehandlung mit den norddeutschen Werftstandorten einlöst. Der Bund muß seiner Mitverantwortung für die regionalen Strukturprobleme endlich gerecht werden.
Ich sage hier ganz eindeutig, der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat einstimmig auf Vorschlag Ihrer Fraktion, Herr Kollege Bangemann, festgestellt, daß es auf die vorhersehbaren Arbeitsmarktprobleme ankommt, wenn man regionale Fördergebiete ausweist. Sie haben im Planungsausschuß noch genau umgekehrt argumentiert und gesagt, es sei ja gar nicht nötig, daß jetzt das Stahlstandorteprogramm zum 1. Januar 1987 aufgenommen wird, weil die Entlassungen erst noch vor uns stehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert?
Minister Dr. Jochimsen ({0}): Aber bitte schön.
Bitte schön.
Herr Minister Jochimsen, wären Sie freundlicherweise bereit, mit vorzutragen, daß die von Ihnen als wünschenswert, von mir im übrigen gerne bestätigte Einbeziehung aller Stahlstandorte in die Regelförderung der Gemeinschaftsaufgabe natürlich nicht kostenlos zu haben ist, weil sie insbesondere unter Berücksichtigung der Auflagen, welche die Europäische Kommission für das Volumen der deutschen Förderkulisse aus ebenfalls plausiblen Gründen vorgetragen hat, nur bei gleichzeitigem Streichen anderer Fördergebiete zu erreichen wäre
({0})
und daß dies insofern nicht eine beliebige, willkürliche Entscheidung der Bundesregierung sein kann, sondern, wenn überhaupt, dann nur im Konsens aller Bundesländer erfolgen kann?
({1})
Minister Dr. Jochimsen ({2}): Das ist ein anderes Thema, zu dem eine Menge zu sagen wäre. Wir haben in Brüssel darüber als Wirtschaftsminister doch auch gehandelt. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben schwerste Bedenken gegen den ausgehandelten Kompromiß artikuliert. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, aber auch andere Bundesländer!
Herr Kollege Lammert, ich bin bereit, die Frage Sonderprogramm oder Regelförderung dann beiseite zu schieben, wenn das Sonderprogramm de facto wie die Regelförderung ausgestattet ist. Vielen Dank im übrigen für Ihre Unterstützung unseres Antrages in dieser Frage. Auch hier ist ja der Landtag von Nordrhein-Westfalen einstimmig.
Meine Damen und Herren, es geht darum, die dauerhafte Lebensfähigkeit der betroffenen Standorte zu sichern. Dazu genügt eine soziale Flankierung des Arbeitsplatzabbaus nicht. Dazu gehört die Schaffung neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze sowohl für die nicht vom Vorruhestand erfaßten Stahlarbeitnehmer einschließlich derer aus der Zulieferindustrie, die ja meist in diesem ganzen Bild vergessen werden, als auch für die jungen Menschen, für die jungen Frauen und Männer in diesen Regionen. Anderenfalls droht passive Sanierung mit all ihren negativen Folgen für die Regionen, Kommunen und die betroffene Bevölkerung.
Die Landesregierung hält eine regional-politische Gesamtstrategie für erforderlich, in der wir, wie es in der gemeinsamen Entschließung des Landtages heißt, Maßnahmen der Wirtschaftsförderung sowie des Ausbaus und der Modernisierung der Infrastruktur zusammenfassen. An einem solchen „Zukunftsprogramm Montanregionen" müssen neben der Landesregierung der Bund, die Regionen und Kommunen und auch die Europäischen Gemeinschaften mitwirken. In seinem Zusammenhang können auch die Vorschläge von Unternehmen und der IG Metall zur Wiederaufarbeitung von Industrieflächen und zur Qualifizierung ihren vernünftigen Platz finden.
({3})
Die Landesregierung wird noch vor der für den 16. Juni einberufenen zweiten Gesprächsrunde beim Bundeskanzler ein umfassendes Konzept zur Zukunftssicherung unserer Montanregionen vorlegen, in dem wir auch die notwendige Unterstützung des Bundes durch Hilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes und der Gemeinschaftsaufgabe einfordern werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Die Probleme in den betroffenen Regionen sind so groß und die Existenz so vieler Menschen ist betroffen, daß wir zur Lösung alle an einem Strang ziehen müssen. Wir in Nordrhein-Westfalen haben das erkannt: die Parteien ebenso wie auch die Kirchen, ja, auch Ihre Fraktion, Herr Kollege Bangemann, die Industrie wie auch die Gewerkschaften und die Kommunen. Auch die Wirtschaftsminister der Bundesländer haben dies erkannt und in einem einstimmigen Beschluß der Wirtschaftsministerkonferenz im März 1987 zum Ausdruck gebracht. Auch die Parlamentarier im Europaparlament haben das erkannt und in einer Entschließung gemeinsame Vorschläge gemacht, die von allen großen Parteien getragen werden.
Aus der Sicht Nordrhein-Westfalens wäre es ein guter Erfolg der heutigen Debatte, wenn auch im Deutschen Bundestag eine breite Gemeinsamkeit für die Lösung der gegenwärtigen Stahlkrise gefunden werden könnte.
Herzlichen Dank.
({4})
Zu einer kurzen Erwiderung gebe ich dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Minister Bangemann, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß eine Behauptung richtigstellen, die der Herr Kollege Jochimsen hier fälschlicherweise aufgestellt hat. Ich bedauere sehr, daß er das gemacht hat, weil es nämlich unserem gemeinsamen Anliegen nicht dient. Er weiß ganz genau, daß sich alle Länder und der Bund in der letzten Sitzung des Planungsausschusses darüber einig waren, daß zwei Voraussetzungen vorliegen müssen, bevor wir konkrete Entscheidungen über Stahlstandorteprogramme treffen können.
Erstens. Wir müssen unsere allgemeine Regionalpolitik von der Europäischen Kommission genehmigt bekommen. Zweitens. Wir müssen in diesem Zusammenhang Sicherheit haben, daß die Kommission Stahlstandorteprogramme genehmigt. Nur deswegen haben der Bund und die Mehrheit der Länder darauf verzichtet, diese konkreten Entscheidungen zu treffen. Hätten wir sie getroffen, hätten wir die Genehmigung der Kommission mit Sicherheit nicht bekommen.
({0})
Das, was Sie hier gesagt haben, entspricht nicht der Wahrheit. - Das haben Sie nicht vorgetragen. Sie haben dem Bund den Vorwurf gemacht, er hätte Ihre Vorstellungen im Planungsausschuß nicht akzeptiert. Das, was Sie hier vorgetragen haben - ich wiederhole es - , entspricht nicht der Wahrheit, entspricht nicht der Solidarität, die gerade zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Bund herrschen sollte. Sie haben der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen damit einen schlechten Dienst erwiesen.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Bundesminister, die Technik hier ist zusammengebrochen. Mit anderen Worten: Sie können nicht ablesen, welche Zeit Sie in Anspruch nehmen.
Vizepräsident Cronenberg
Ich würde Ihnen daher empfehlen, Ihre Armbanduhr zu Hilfe zu nehmen.
({0})
Sollte Ihnen eine solche fehlen, bin ich gerne bereit, Ihnen dieselbe zur Verfügung zu stellen, oder Sie könnten einen Blick auf die Uhr da oben werfen.
Herr Präsident, jedes geeignete Produkt aus Stahl werde ich in Anspruch nehmen, um die Uhrzeit abzulesen, auch das, das an der Stirnseite dieses Saales hängt. Ich bedanke mich für Ihren Hinweis.
Dann, Herr Minister, gebe ich Ihnen ganz beruhigt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin für Zusammenarbeit. Ich bin dafür, daß alle an einem Strang ziehen. Je mehr an dem Strang in die gleiche Richtung ziehen, desto besser. Nur, ich bin gegen die Arbeitsteilung, Herr Kollege Jochimsen: Nordrhein-Westfalen stellt die Forderungen, und Bonn erfüllt sie. Gegen diese Arbeitsteilung bin ich!
({0})
Mit Erstaunen habe ich von Ihnen gehört, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung ihr „Zukunftskonzept Montanregionen" noch vor dem 16. Juni vorlegt. Heute, am 4. Juni, haben Sie es jedenfalls streng vertraulich behandelt. Und Sie werfen der Bundesregierung vor, nichts zu tun! Sie waren in den zehn Minuten, die Sie geprochen haben, offenbar nicht in der Lage, auch nur eine Minute für Ihren Beitrag zur Lösung der Stahlmisere an Rhein und Ruhr zu verwenden.
({1})
- Ja, wenn Sie das bis zum 16. Juni vortragen wollen: Heute haben wir den 4. Juni. Es hätte mir gelangt, wenn Sie eine Minute vorgetragen hätten, was Nordrhein-Westfalen will: jetzt, hier, konkret. Wissen Sie, zur Vergangenheit habe ich auch viel vorzutragen. Nur, die Stahlkocher in Hattingen, in der Oberpfalz, in Osnabrück, an der Saar wollen nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern sie wollen wissen, wie ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder aussieht.
({2})
- Ich komme gleich dazu.
({3})
- Das ist für Kasperle-Theater zu wichtig, und deshalb trage ich hier konkrete Vorstellungen vor.
({4})
- Also, zunächst einmal, meine Damen und Herren: Wir sollten uns jetzt nicht von dem Versuch abbringen lassen, hier Übereinstimmungen herzustellen.
Die Probleme der Stahlarbeiter sind bekannt, die brauchen Sie nicht lange zu beschreiben: neue Produkte, neue Stoffe, neue Anbieter. Strukturwandel: ja
- er ist Voraussetzung für unseren Wohlstand - , nur, Strukturbruch: dazu sage ich ein klares Nein. Deshalb: Strukturwandel ohne Massenentlassungen - das ist mein Fixstern für diese Diskussion. Hier helfen keine ideologischen Veranstaltungen von Vergesellschaftung und Nichtvergesellschaftung. Es kann nur das produziert werden, was gebraucht wird. Und keine Unternehmensform bringt es zustande, daß auch nur ein Kilo Stahl mehr verkauft wird, wenn es nicht gebraucht wird.
({5})
Deshalb geht es darum, mit Strukturwandel sich den Bedürfnissen anzupassen; deshalb Marktwirtschaft - freilich mit einem geordneten Übergang zur Liberalisierung. Dafür hat Martin Bangemann hier gesprochen.
Wir sind doch nicht abstrakte Anhänger einer Marktwirtschaft, sondern Anhänger einer Marktwirtschaft in konkreten Situationen. Es geht immer darum, den Menschen zu helfen. Es geht nicht um irgendwelche Dogmen in der ganzen Diskussion.
Ich füge allerdings hinzu: soziale Marktwirtschaft. Das ist kein schmückendes Beiwort. Für mich haben die Unternehmer in der sozialen Marktwirtschaft soziale Verantwortung, und zwar nicht nur für ihre Bilanzen, sondern für die Menschen. Deshalb müssen jene Konzerne, die im Stahlbereich lange Jahre gut verdient haben, die jetzt in anderen Bereichen gut verdienen, jetzt ihr Geld nehmen, um die Treue ihrer Arbeitnehmer zu honorieren. Das gehört zur sozialen Verpflichtung der Arbeitgeber.
({6})
Ich zähle dazu ausdrücklich auch den Staat. Herr Kollege Jochimsen, Sie können es doch nicht so darstellen, als habe die Bundesregierung die Stahlkocher im Stich gelassen. 5 Milliarden DM haben wir seit 1983 zusammen mit den Ländern dem Stahlbereich zur Verfügung gestellt, 2,6 Milliarden DM allein vom Bund. Wann gab es eine Bundesregierung, die für den Stahlbereich mehr Geld aufgebracht hat? Bei Ihrem Kanzler Helmut Schmidt hatte jedenfalls der Wirtschaftsminister Jochimsen mit seinen Vorschlägen weniger Erfolg gehabt als bei der jetzigen Bundesregierung.
Jetzt komme ich zum sozialpolitischen Bereich. Ich wiederhole: Es geht darum, den Arbeitnehmern zu helfen. Die Montanunionshilfen sind ausgebaut worden: 404 Millionen DM haben wir für diesen Bereich zur Verfügung gestellt. Wissen Sie, wieviel es in 13 SPD-Jahren waren: 77 Millionen DM. Jeder kann ausrechnen, was mehr ist.
({7})
Ich komme zum Ausbau dieser Montanunionshilfen. Ich habe in der letzten Debatte hier in diesem Haus vorgetragen, daß wir das Wartegeld verbessern
wollen. Wie Sie wissen, ist das Wartegeld nicht an eine Altersgrenze gebunden. Wir wollen es in Analogie zu den Beschlüssen verbessern, die wir morgen hier zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes fassen werden. Ich habe davon gesprochen, daß wir die Übergangshilfe , die Einkommenshöchstgrenzen verbessern wollen. Ich habe davon gesprochen, daß die Umschulungsbeihilfen angehoben werden. Das war nicht eine Politik der Überschriften, sondern ganz konkrete Hilfe.
Wir verhandeln über diese sozialpolitischen Vorhaben mit großer Energie mit Brüssel. Es ist eine gute Gelegenheit: Heute nachmittag, 4. Juni 1987, 14.40 Uhr, teilt die Kommission in Brüssel mit:
Da die Änderungen die Natur der bestehenden Sozialleistungen nicht verändern, geben sie unter dem Gesichtspunkt des Beihilfekodex für die Stahlindustrie keinen Anlaß zu Vorbehalten seitens der Kommission.
Mit anderen Worten: Ich teile Ihnen mit, daß damit die sozialpolitischen Vorhaben, die wir angekündigt haben, seit heute nachmittag von Brüssel genehmigt sind. So konkret hätte ich es gerne von Ihnen, meine Damen und Herren.
({8})
Die ganze heiße Luft der Überschriften hilft keinem einzigen Stahlarbeiter. Es muß konkret geholfen werden.
({9})
Wir werden das Kurzarbeitergeld morgen, wie ich hoffe, in diesem Hause für die Stahlarbeiter um ein Jahr auf drei Jahre verlängern. Das ist konkrete Politik. Denn Strukturwandel, glaube ich, braucht in der Stahlindustrie auch Zeit. Wir müssen die Zeitschiene erweitern, wenn wir Massenentlassungen verhindern wollen. Das heißt nicht, daß wir den Strukturwandel verneinen, sondern wir wollen ihn sozial abfedern. Insofern bleibe ich bei meiner Behauptung: Wir reden nicht, wir handeln.
Ich will auch hinzufügen, daß es uns sehr darauf ankommt, daß Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierungen an einem Strang ziehen, von dem Sie, Herr Jochimsen, gesprochen haben, und zwar nicht in unterschiedlicher Richtung: Je mehr Zusammenarbeit, um so besser.
Lassen Sie mich noch eine Erkenntnis aus der Debatte heute nachmittag ziehen: Unterliegen wir nicht dem Versuch, einen Standort gegen den anderen auszuspielen. Mir sind die Stahlarbeiter in der Oberpfalz genauso lieb und teuer wie die in Nordrhein-Westfalen; und mir sind die Stahlarbeiter in Nordrhein-Westfalen genauso lieb wie die in Niedersachsen; und die in Niedersachsen sind mir genauso lieb und teuer wie die an der Saar. Ich finde, das Problem kann nicht durch „Rette sich, wer kann", es kann nur in einer großen solidarischen Anstrengung gelöst werden, und dazu lade ich ein. Die Bundesregierung hat jedenfalls ihren konkreten Beitrag, nicht nur in Ankündigung, sondern in konkreter Politik geleistet.
({10})
Der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat um das Wort zu einer kurzen Erwiderung gebeten. Herr Wirtschaftsminister, Sie haben das Wort.
Minister Dr. Jochimsen ({0}): Ich kann an das anknüpfen, was Herr Kollege Blüm gerade gesagt hat. Ich habe nicht zwischen Standorten differenziert. Nur hat der Bundeswirtschaftsminister nicht den Mut, die richtigen Fördergebiete auszuwählen.
({1})
Wir haben am 4. Juli 1986 die Aufnahme von Duisburg und von Bochum beantragt, auf Grund damals noch positiverer Zahlen, als sie jetzt da sind. Jetzt will die Bundesregierung erst zum 1. Januar 1988 über ein befristetes Sonderprogramm und seine Ausstattung nachdenken. Da habe ich nicht die Unwahrheit gesagt.
({2})
- Nein, das habe ich nicht. Im Gegenteil, die EG-Kommission hat uns im Juli 1986 ausdrücklich gesagt: Duisburg und Bochum gehören natürlich bei jeder vernünftigen Abgrenzung zu den Fördergebieten in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Die Bundesregierung und die Mehrheit der Länder verhindern die Aufnahme. Ich sage: Die Bundesregierung stellt sich als ein Notar der divergierenden Länderinteressen dar, aber sie nimmt ihre Funktion, hier gesamtstaatlich zu führen, nicht wahr.
({4})
Damit kriegen Sie auch das Problem der Regionalkontrolle für die EG nicht weg , Herr Kollege Bangemann. Es ist eine Illusion, zu glauben, daß man da ein Junktim schnüren kann.
({5})
Ich kann nunmehr die Aussprache schließen. Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/123, 11/398 und 11/402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Sie sind damit einverstanden, sehe ich. Damit ist die Überweisung beschlossen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13a auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der energiewirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und ihrer sicherheitstechnischen Behandlung in der Übergangszeit ({0})
- Drucksache 11/13 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lange vor Tschernobyl, im Jahre 1984, hat die Sozialdemokratische Partei beschlossen, daß sie die Kernenergie nur für eine Übergangszeit für verantwortbar hält. Diese Entscheidung 1984 - das war die Weichenstellung - ist uns in der SPD nicht leicht gefallen. Wir haben sie nach einer langen, mit großem Ernst und auch mit viel Leidenschaftlichkeit kontrovers geführten, offenen und freien Debatte gefällt. Dies war der Schluß einer Entwicklung. Begonnen hat es 1956, wo wir alle voller Hoffnung und ohne Fragen für die Kernenergie waren. Es gab damals bei allen Beteiligten den Traum von der billigen, unerschöpflichen, umweltfreundlichen Atomenergie. Wir Sozialdemokraten haben damals sogar einen Atomplan verabschiedet.
Nur ist dieser Traum in den letzten Jahren, insbesondere im letzten Jahrzehnt, zum Alptraum geworden. Das hat einerseits zu tun mit den immer deutlicher hervortretenden Risiken und Gefahren, auch mit der Kostenexplosion, und mit den bis heute ungelösten Problemen im Zusammenhang mit der Kernenergie. Diese Entwicklung hat aber auch zu tun mit der immer massiver werdenden Kritik aus den Reihen der Wissenschaft, aus den Kirchen, aus den Gewerkschaften, teilweise auch aus der Wirtschaft. Viele, viele einzelne Menschen haben in den letzten Jahren ihre Einstellung zur Kernenergie geändert. Olof Palme, der frühere schwedische Ministerpräsident, ist einer, Carl Friedrich von Weizsäcker bei uns hier in der Bundesrepublik ein anderer. Und viele, viele sind skeptischer geworden. Ich nenne nur einige davon. David Lilienthal, der erste Leiter der Atomenergiekommission der Vereinigten Staaten, Alvin Weinberg aus den USA, Kardinal Höffner bei uns, Professor Huber, der Präsident des Evangelischen Kirchentages, Horst-Eberhard Richter, Ernst Breit, Hans Jonas gehören zu dieser Gruppe.
Für uns Sozialdemokraten sind vier Gründe für den Ausstieg aus der Kernenergie maßgebend.
Der erste Grund ist das Risiko. Es gibt bei technischen Systemen, auch bei der Kernenergie, keine absolute Sicherheit. Keiner der tatsächlich eingetretenen großen Schadensfälle entsprach den in den Reaktorsicherheitsstudien für möglich gehaltenen Schadensabläufen. Und die Propagandaaktion der Atomlobby „Unsere Kernkraftwerke sind sicher" ist eine schlimme Roßtäuscherei.
({0})
Nach Harrisburg und Tschernobyl gibt es viele Fragen und wenig gesicherte Antworten.
Der zweite Grund: ein weltweiter Ausbau der Atomkraft führt zur Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen. Das frühere Dogma von der klaren und eindeutigen Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Nutzung ist angesichts der weltweiten tatsächlichen Entwicklung nicht mehr haltbar. Wer die zivile Nutzung der Kernenergie beherrscht, kann sie für militärische Zwecke mißbrauchen. Brasilien und Pakistan sind jüngste Beispiele für solche Entwicklungen.
Der dritte Grund: Wir belasten, Herr Gerstein, unsere Kinder und Enkel mit den Risiken und Gefahren der Kernenergienutzung. Die noch nicht geborenen Menschen haben keinen Stimmzettel, die können heute nicht abstimmen. Deswegen tragen wir Verantwortung dafür, daß wir mit unseren Entscheidungen nicht ihre Handlungsmöglichkeiten einschränken.
Die Beseitigung des Atommülls ist ungelöst. Die Versprechungen, die wir immer wieder erhalten haben, sind nicht eingehalten worden. In keinem Land der Welt ist dieses Problem gelöst.
({1})
Die jüngsten Entwicklungen und Probleme um den Schacht in Gorleben zeigen, daß von einer gesicherten Entsorgung überhaupt keine Rede sein kann.
({2})
- Es ist unverantwortlich, dieses ungelöste Problem des Atommülls, Herr Gerstein, laufend zu vergrößern.
({3})
Das ist eine ungedeckte Hypothek auf die Zukunft.
Der vierte Grund: Die Kernenergie ist nicht sozial verträglich. Carl Friedrich von Weizsäcker hält die Kriegs- und Terrorismusgefahr für das unlösbare und nach seiner Meinung verdrängte Problem der zivilen Atomenergienutzung. Er steht mit dieser Meinung auch nicht allein. Er wird von vielen bekannten internationalen Wissenschaftlern unterstützt.
Carl Friedrich von Weizsäcker ist mit dieser Haltung so wenig technikfeindlich wie wir Sozialdemokraten, wenn wir aus der Atomkraft rauswollen. Technikfeindlich ist der, der meint, wir könnten auf keinen Fall auf die Atomenergie verzichten.
({4})
Wir wissen heute: Es gibt Alternativen. Wirklichen technischen Fortschritt hat nur der durchgesetzt, der bereit war, zu tatsächlich neuen Ufern aufzubrechen.
({5})
Neue Energietechniken werden das Gesicht der zukünftigen Industriegesellschaft prägen. Einspartechniken - sie sind noch lange nicht ausgeschöpft - , umweltfreundliche Kohletechniken mit voller Entschwefelung und Entstickung, regenerative Energietechniken werden langfristig Hauptträger der Energieversorgung sein müssen. Ich teile die Meinung von Ludwig Bölkow und dem Vorstandsvorsitzenden der Nixdorf AG, die gesagt haben, daß die Solartechnologie nach ihrer Meinung heute die am meisten unterschätzte Technologie sei.
Der Bundespräsident hat vor kurzem, meines Erachtens zu Recht gesagt: Das Energieproblem gehört zum Kern der Überlebensfrage. - Im Hinblick auf Tschernobyl hat er angemerkt: Der wichtigste Sinn, den wir Menschen Katastrophen abgewinnen können, ist das Innehalten und die Selbstprüfung. - Es gab nach Tschernobyl zunächst einige hoffnungsvolle Zeichen, auch aus den Reihen der Regierungskoalition. Herr Biedenkopf hat davon gesprochen, indem er sagte, wir könnten aus der Kernenergie in 20 bis 30 Jahren raus. Herr Lambsdorff, der leider nicht hier ist, hat öffentlich gesagt, das gehe in 50 bis 70 Jahren. Herr Genscher hat davon gesprochen, daß wir so schnell wie möglich raus müßten. Und der Bundeskanzler sprach von einer Übergangstechnologie - jedenfalls vor der Katholischen Landjugend.
Meine Damen und Herren, wenn diese Aussagen wirklich ernst gemeint sind, dann muß das auch eine Reihe von klaren und harten Konsequenzen haben. Dann müßten Sie Teilen unseres Gesetzentwurfes zustimmen. Wer die Kernenergie für eine Übergangstechnologie hält - und sei es für 50 Jahre, was ich für falsch halte - , der kann nicht für die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters eintreten - das macht dann keinen Sinn -,
({6})
der kann nicht für die Wiederaufarbeitung eintreten, der müßte die energiepolitische Priorität Nr. 1 auf die rationelle Energieverwendung legen, der müßte eine umweltfreundliche Kohlepolitik, eine wirkliche Kohlevorrangpolitik betreiben,
({7})
der müßte dafür sorgen, daß die energiepolitischen Alternativen ernsthaft vorangetrieben werden. Aber nichts von alledem entspricht der Politik der Bundesregierung. Das Gegenteil geschieht: Statt dessen versucht mindestens der Bundeswirtschaftminister, die Kohleländer zu erpressen, die Bergleute als Geiseln zu nehmen, um den Versuch zu machen, die SPD auf die Kernenergielinie zurückzuzwingen,
({8})
ohne der Kohle eine konkrete Perspektive zu geben.
Wir sagen Ihnen in allem Ernst: Wir sind dagegen, daß neue Kernkraftwerke ans Netz gehen. Wir haben heute bereits genügend Überkapazitäten. Es muß endlich mit der Verdrängung der Kohle durch die Kernenergie Schluß sein, die bereits stattgefunden hat und in unserem Land weiter stattfindet.
({9})
Mindestens ist erforderlich, daß mit dem Ausstieg jetzt begonnen wird. Wenn Sie dennoch neue Kernkraftwerke ans Netz bringen, dann müssen Sie mindestens in gleichem Umfang veraltete Kernkraftwerke stillegen. Alles andere heißt, daß Sie eine Politik betreiben - und es kündigt sich an - : Vorrang für die Kernenergie und Einsatz der Kohle für den Restbedarf.
({10})
Wenn Ihre Energiepolitik fortgesetzt wird, haben wir in absehbarer Zukunft in der Bundesrepublik keine Zechen mehr, aber dafür das größtmögliche Risikopotential an Kernkraftwerken.
Auch in der Energiewirtschaft mehren sich die Stimmen der Personen, die aus der Brüterei und aus der Wiederaufarbeitung herauswollen. Sie wissen das doch alle. Selbst vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kann man neuerdings im letzten Gutachten kritische Stimmen zum Versorgungsrisiko der Kernenergie hören. Es lohnt sich, das nachzulesen. Ich sage Ihnen aus unserer Sicht und mit aller Klarheit und Deutlichkeit: Ein energiepolitischer Konsens, so Sie ihn überhaupt wollen, ist nur denkbar, wenn die These: Kernenergie als Übergangstechnologie wirklich ernst gemeint ist.
({11})
Unser Gesetzentwurf bietet dafür eine Grundlage. Das ist der erste Schritt.
Der zweite Schritt ist eine wesentliche Reform des gesamten Energiewirtschaftsrechtes, und das wird auch noch folgen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Wenn es nicht angerechnet wird, selbstverständlich, Herr Stratmann.
Stratmann [GRÜNE]: Herr Hauff, wie erklären Sie sich, wenn Sie von der Kernenergie als Übergangstechnologie sprechen, daß die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen alles tut - das wissen Sie und auch Herr Jochimsen, der jetzt leider nicht mehr da ist - , um in die Hochtemperaturreaktortechnologie weiter einzusteigen, und daß Herr Jochimsen im Dezember 1986 im Wahlkampf erklärte, daß wir, sprich: die Bundesrepublik, auf die Hochtemperaturreaktortechnologie nicht verzichten können und sollen?
Also, Herr Stratmann, ich muß Ihnen ehrlich sagen: Sie behaupten hier etwas wider besseres Wissen. Ich kenne Ihre Position, die Sie in
Ihrem Antrag hier zur Debatte gestellt haben: sofort Schluß und raus und aufhören mit dem Hochtemperaturreaktor, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion kündigen und den Unternehmen das untersagen. Das ist Ihre Konzeption. Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, daß Sie sagen: Gesetze interessieren mich gar nicht; ich will raus, und zwar sofort.
({0})
Sie drücken sich aber in Ihrem Antrag um die schwierigen Fragen, die dann gestellt sind, wenn man wirklich geordnet aussteigen will, z. B. um die Entschädigungsfrage, wenn Sie eine sofortige Stillegung verfügen wollen.
({1})
Deswegen sage ich Ihnen, Herr Stratmann: Ich halte es für unehrlich und für unaufrichtig, wenn Sie glauben, Hoffnungen wecken zu können, von denen Sie wissen, daß sie in dieser Form überhaupt nicht eingehalten werden können.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Göhner?
Nein, ich möchte jetzt gerne fortfahren.
({0})
- Nein, überhaupt nicht. Ihre Koalition aus schwarzen und grünen Fundamentalisten beeindruckt mich doch nicht. Die einen sagen: Man muß sich entscheiden und sofort raus, und die anderen sagen: Weiter so, alles kann weitergehen. Diese Art des Umgangs mit einem großen Risiko beeindruckt mich überhaupt nicht.
({1})
Wir brauchen neue Techniken, wir brauchen neue Geräte, wir brauchen andere Anlagen, die die Energie besser nutzen und die neue Energiequellen erschließen. Wir setzen auf den Erfindungsgeist und die Tatkraft von Technikern und Ingenieuren in Forschung und Entwicklung. Wir setzen auf den hohen Ausbildungsstand und die Leistungsfähigkeit unserer Arbeiter. Wir setzen auf das Organisationstalent der Kaufleute. Wir setzen auch auf den Weitblick in den Vorstandsetagen einer wachsenden Zahl von Unternehmen.
Wir wollen tatsächlich zu neuen Ufern, zu einer sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft aufbrechen.
({2})
Nur eine neue Energiepolitik ist Industriepolitik,
schafft und sichert Arbeitsplätze, die in die Hunderttausende gehen. Sie erschließt Wachstums- und
Exportmärkte bei Umweltschutztechnologien, bei Energiespartechniken und bei der Solartechnologie.
Es ist immer wieder das alte Lied. Wenn es um militärische Techniken und um die Raumfahrt geht, wenn es um immer tödlichere Waffen und gar um die Wahnvorstellung geht, die Unverletzbarkeit durch Waffen im Weltraum sicherzustellen, dann ist alles möglich, dann ist kein Betrag zu niedrig, um das voranzubringen, dann nimmt man unbedenklich Steuergelder in die Hand und verlangt Höchstleistungen von Ingenieuren und Wissenschaftlern.
({3})
- Wenn Sie mich danach fragen, Herr Gerstein, will ich Ihnen einmal etwas sagen. Als wir im Jahre 1982 aufgehört haben, waren die Aufwendungen für nichtnukleare Energieforschung und Technologie erheblich höher, als sie jetzt unter Ihrer Regierung sind.
({4})
Das z. B. verstehe ich unter falscher Prioritätensetzung, um konkret zu werden und nicht um den heißen Brei herumzureden. Solange wir regiert haben, gab es eine wirkliche Kohlevorrangpolitik. Seit Sie dran sind, wird die Kohle verdrängt. In der letzten Debatte habe ich Ihnen gesagt: Es gibt diese Verdrängung. Sie haben damals den Zwischenruf gemacht, das sei nicht wahr.
({5})
Mittlerweile ist es wahr. Die Kernenergie verdrängt die Kohle. Das ist die Wirklichkeit, die stattfindet.
({6})
Wir vertrauen auf den Erfindergeist und auf die technischen Fähigkeiten unseres Volkes, neue, zivile Techniken zu entwickeln und zu nutzen, um eine gefahrlose und umweltfreundliche Energieversorgung auf die Dauer möglich machen. Diesem Ziel dient unser Gesetzentwurf.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Harries.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch in der vergangenen Woche habe ich in meinem Wahlkreis LüchowDannenberg, in dem auch Gorleben liegt, ein interessantes Gespräch mit Einwohnern dieses Kreises geführt, Herr Kollege Hauff, die dort nicht erst seit einigen Jahren ansässig sind, sondern schon seit Generationen wohnen. Die haben mir gesagt: Sie müssen einmal Ihren neuen Kollegen Hauff fragen, warum er noch in seinen Tagen als Bundesforschungsminister bei uns im Kreis Lüchow-Dannenberg mit großem Nachdruck der regierenden CDU - die den Kreistag damals und heute überzeugend beherrscht - nachdrücklich nahegelegt hat, doch ja zum Zwischenlager, zum Endlager, zu Gorleben zu sagen. - Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, mit der man sicher fertig werden muß.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Herr Kollege Hauff, da ich Sie sicher noch ein- oder zweimal zitieren werde, möchte ich vorschlagen, daß Sie dann antworten.
({0})
- Ja, Sie kommen sicher noch zu Wort, denn ich werde Sie noch einmal zitieren.
({1})
Der Redner läßt jetzt keine Zwischenfragen zu, heißt das. Herr Kollege Hauff, dann können Sie Platz nehmen.
Die Opposition hat die jahrelange gemeinsame Energiepolitik aufgekündigt. Einvernehmen besteht nicht mehr. Sie legt zum drittenmal einen Gesetzentwurf vor, mit dem nun auch nach außen dokumentiert und bestätigt werden soll,
({0})
daß die Kernenergie für dieses Land nicht mehr gelten soll.
({1})
Die Opposition wird aber auch dieses Mal keinen Erfolg haben, weil sie keinen Erfolg. haben darf.
({2})
Das liegt im Interesse unseres Volkes, unserer Wirtschaft, unserer Industrie und unseres Landes.
({3})
Mit der Aufhebung des bisher vorhanden gewesenen Grundkonsenses hat sich die Opposition, wie ich meine, schwere Verantwortung aufgeladen; denn sie hat Teile unseres Volkes verunsichert, sie hat Teile auch der Wirtschaft und der Industrie verunsichert. Zur Begründung beruft man sich weitgehend auf Tschernobyl und die Folgen und tut so, als hätten - man kann das wiederholt in den Leitartikeln der „Zeit" nachlesen - eigentlich nur die Gegner der Kernkraftwerke nach Tschernobyl nachgedacht.
Meine Damen und Herren, nachgedacht haben wir alle; nachgedacht über Für und Wider der Kernenergie haben alle, die in diesem Lande Verantwortung tragen. Das erste Zeichen dieses intensiven und verantwortungsvollen Nachdenkens hat der Bundeskanzler gleich nach Tschernobyl bewiesen,
({4})
indem er die internationale Konferenz in Wien gefordert hat, die dann auch zusammengetreten ist.
Meine Damen und Herren, was ich auch als ganz wichtig ansehe, ist, daß auch unsere Elektrizitätsunternehmen, nachgedacht haben, die Werke, von denen immer wieder gesagt wird, sie dächten nur an Profit und hätten nur ganz eigennütziges Interesse an dieser oder an der Energie überhaupt. Ich glaube, den
Elektrizitätsunternehmen in unserem Land muß auch einmal von dieser Stelle Dank gesagt werden
({5})
für das intensive Nachdenken und auch für das kritische Fragestellen dort: Ist die Kernenergie zu verantworten? Man ist nach diesem Nachdenken in allen verantwortlichen Bereichen zu dem Ergebnis gekommen, daß sie für unser Land, für die Welt nötig ist und daß ein Ausstieg nicht erforderlich ist.
({6})
Meine Damen und Herren, unsere Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, daß in diesem Hause auch politisch die Aussprache nüchtern, fair,
({7}) offen und ohne Polemik geführt wird.
Herr Kollege Hauff, ich darf Sie jetzt zum zweitenmal zitieren. Wenn Sie vorhin in Ihrer Einbringungsrede das Schachtunglück in Gorleben zitiert haben und daraus sofort heute und hier den Schluß ziehen, das Entsorgungskonzept für unser Land stimme nicht, dann ist das eben auch vorschnell, dann ist das auch zu früh,
({8})
dann wird eben an dieser Stelle nicht die Wahrheit gesagt, daß es sich nämlich noch nicht um Arbeiten im Salzstock handelt,
({9})
daß die Frage, ob Gorleben als Endlager geeignet ist, heute noch gar nicht beantwortet wird, sondern daß diese Frage noch zu prüfen ist und daß darüber in einigen Jahren endgültig die Entscheidung kommt.
({10})
Man kann nicht das jetzige Bergwerksunglück vergleichen und in Beziehung setzen zur Geeignetheit des Salzstocks.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff?
Ja, ich habe Sie zum zweitenmal zitiert, gerne.
Herr Kollege, würden Sie - im Zusammenhang mit der Gorleben-Diskussion - zur Kenntnis nehmen, daß die sozialliberale Bundesregierung die niedersächsische Landesregierung aufgefordert hat, an drei Standorten Probebohrungen zu machen um festzustellen, welcher Standort am geeignetsten ist, und dann eine ruhige, sachliche Abwägung vorzunehmen, daß die niedersächsische Landesregierung unter Herrn Albrecht das aber abgelehnt hat und nur an einem Standort Probebohrungen hat durchführen lassen und daß sich diese Entscheidung heute als Sackgasse herausstellt und zu einer schweren Hypothek geführt hat, weil überhaupt keine Alternative zu Gorleben da ist? Und würden Sie zur Kenntnis nehmen -
Herr Abgeordneter Hauff, ich würde vorschlagen, daß Sie zwei Zwischenfragen stellen.
Im Zusammenhang mit Gorleben.
Ja, ja, gut; aber die Fragen müssen kurz und bestimmt sein. Nicht fünf Fragen auf einmal!
Zweitens, Herr Kollege, was ist an dem Satz zu beanstanden, daß im Zusammenhang mit den Problemen in Gorleben von einem gesicherten Entsorgungsweg überhaupt keine Rede sein kann?
({0})
Herr Kollege Hauff, ich habe zu Ihrer Bemerkung Stellung genommen, daß das Unglück im Bergwerksbereich, im oberen Bereich, in Gorleben jetzt bereits den Schluß zulasse, daß Gorleben als Endlager ausscheide und das sehe ich als - ({0})
- Das haben Sie gesagt, daß Gorleben als Endlager nicht in Frage komme.
({1})
Meine Damen und Herren, im Grunde erwartet unser Volk auch heute noch von den staatstragenden Parteien in diesem Hause ein einvernehmliches Konzept für die Energieversorgung und für die Sicherstellung der Energieversorgung in den nächsten Jahren. Das erwartet nicht nur unser Volk, das erwarten auch unsere Wirtschaft und unsere Industrie. Gerade diese müssen wissen, wohin die Reise geht. Sie müssen langfristig planen und können ihre Entscheidung nicht von irgendwelchen ganz kurzfristigen gesellschaftspolitischen Strömungen, die heute mal dieses Ausmaß haben und morgen jenes Ausmaß haben, abhängig machen.
Meine Damen und Herren, von daher sind wir, wie ich meine, alle aufgerufen, auch in den nächsten Jahren - denn wir werden ja Zeit dazu haben, weil Ihr Gesetz hier sicher nicht angenommen wird - gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir den energiepolitischen Konsens in unserem Volk wiederherstellen und in diesem Hause auch nach außen hin erklären.
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einigen Thesen und einigen Fakten, die ich gleich vortrage, den Versuch unternehmen, zu zeigen, daß es eigentlich schon heute Bereiche geben muß, die konsensfähig sein müßten. Dabei gehe ich im Prinzip davon aus - ich zitiere nun keine Wissenschaftler, wie Sie von der anderen Seite es getan haben; es hilft auch nicht weiter, wenn der eine jene Namen vorbringt, der andere diese - , daß die Wissenschaft ganz überwiegend nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der Welt der Auffassung ist,
({3})
daß Kernenergie machbar ist, daß insbesondere die Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland sicher sind und daß ein katastrophales Unglück, wie wir es mit Tschernobyl erleben mußten, bei uns nicht zu erwarten ist.
Die erste Aussage, von der ich meine, daß sie eigentlich konsensfähig sein müßte oder daß sie wieder zu einem Konsens führen muß, ist, daß ein Abschalten der 18 deutschen Kernkraftwerke überhaupt nicht mehr Sicherheit bringt. Das sehen Sie, wenn Sie die Zahlen einander gegenüberstellen, nämlich die 18 Kernkraftwerke bei uns und die 180 Kernkraftwerke in der europäischen Umgebung und die mehreren hundert Kernkraftwerke in der Welt.
Herr Kollege Hauff, ich darf Sie - entschuldigen Sie - zum drittenmal zitieren. In einem Vorwort zu der Sicherheitsstudie, das Sie damals noch als Bundesforschungsminister geschrieben haben, haben Sie zum Ausdruck gebracht, daß natürlich die Gefahr nicht gebremst werden kann, daß radioaktive Wolken über die Grenzen hinweggehen. Es war vielleicht eine weise Vorhersicht dessen, was dann in Tschernobyl geschehen ist.
({4})
- Damit will ich sagen, daß das Abschalten der 18 deutschen Kernkraftwerke überhaupt nicht mehr Sicherheit bringt, weil, wie wir alle wissen, in der ganzen Welt Kernkraftwerke arbeiten und geplant sind.
Das leitet zu meiner zweiten These über, die ich für konsensfähig halte. Ihr neues Konzept, Ihr Signal, das Sie geben wollen, bedeutet überhaupt keine Verpflichtung für die anderen Länder, für die Welt, für Europa, für die Betreiber von Kernkraftwerken. Es wird sie nicht dazu bringen, dem zu folgen, was Sie hier für uns vorschlagen und dessen Realisierung Sie sicher weltweit anstreben. Woanders denkt man eben nicht daran, aus der Kernenergie auszusteigen. Es wäre ein deutscher Sonderweg.
Die dritte These, meine Damen und Herren, lautet: Der Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet nicht nur eine neue Energiepolitik, sondern bedeutet auch eine neue Industriepolitik.
({5})
Sie verunsichern, wie ich gesagt habe, mögliche Investoren, die es sich überlegen werden, zukünftig mit ihren Investitionen noch in die Bundesrepublik zu kommen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit, die für Sie gemeldet worden ist, ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bitte um Entschuldigung.
Meine Damen und Herren, der Weg kann kein deutscher Sonderweg sein, sondern nur der Weg, in Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern
und den Schwellenländern Energie vorzuhalten, die fossile Rohstoffe spart.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.
Das finde ich ja nun richtig schön: In mir sehen Sie die Vertreterin der anderen Hälfte der Lüchow-Dannenberger.
({0})
- Ganz sicherlich; darauf können Sie sich verlassen. Im Unterschied zu den Leuten, mit denen Herr Harries spricht - als ehemaliger Oberkreisdirektor bewegt er sich unter seinesgleichen - , kann ich Ihnen sagen, wie die Bevölkerung rund um Gorleben denkt. Und das ist immerhin doch auch etwas wert.
({1})
- Mich hat man immerhin mit 14 % gewählt. Da kann die FDP nicht mitspielen.
({2})
Jetzt will ich aber offiziell anfangen, so wie es sich gehört: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({3})
- Liebe Freundinnen und Freunde! ({4})
Beim Lesen des Gesetzentwurfs der SPD kam bei mir richtig Freude auf. Da war unsere Mühe ja doch nicht ganz umsonst. Endlich haben sie, meine Damen und Herren, begriffen, wovon die Anti-AKW-Bewegung und die GRÜNEN seit Jahren reden.
({5})
Daß Sie dabei Thesen fast wörtlich übernehmen, freut uns. Dafür haben wir sie aufgestellt. Wir erheben keinen Anspruch auf Urheberschutz.
Es ist wirklich eine Kehrtwendung, die Sie vollzogen haben. Immerhin war es ja die SPD, die während ihrer Regierungszeit das Atomprogramm mit aller Macht und Gewalt vorangetrieben hat.
({6})
- Auch mit Gewalt, ja.
({7})
Ihr verdanken wir die meisten Atomkraftwerke, die heute in Betrieb sind und noch gebaut werden. Die SPD hatte die Superidee vom integrierten Entsorgungszentrum oder, wie man uns in Lüchow-Dannenberg sagt, vom „intrigierten Entsorgungszentrum" mit WAA und Endlager im Salzstock Gorleben.
({8})
- Sie haben recht, vor 25 Jahren habe ich auch noch gedacht: die Kernenergie ist das Nonplusultra.
({9})
Bloß habe ich früher angefangen, darüber nachzudenken, daß das möglicherweise nicht so sein könnte.
({10})
Nun, nach dem Desaster in Tschernobyl, will die SPD plötzlich aussteigen. Das finde ich wirklich sehr schön.
({11})
Aber, um es mit Goethe zu sagen: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
({12})
Ihre Willensbekundungen sind zu halbherzig. Bei allem, was Sie beschließen, lassen Sie sich immer ein Hintertürchen offen. Aussteigen ja, aber bitte erst in zehn Jahren. Aussteigen ja, aber nur, wenn der gesellschaftliche Konsens hergestellt ist. Was heißt denn das?
({13})
Auch bei Ihnen muß man schon gehört haben, daß heute niemand mehr bestreitet, daß es vermutlich innerhalb von jeweils zehn Jahren einen Kernschmelzunfall geben kann. Das könnte morgen sein. Und es könnte beim nächsten Mal nicht 2 000 Kilometer entfernt, sondern vor unserer Haustür sein. Wollen Sie das mitverantworten?
Da möchte ich es einmal ausnahmsweise mit dem Vorsitzenden der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke, Herrn Professor Heidinger, halten
- Zitat - : Entweder ist die Kernenergie für uns sicher genug, dann können wir mit ihr leben, bis wir etwas anderes, Besseres haben; oder sie ist nicht sicher und nicht vertretbar, dann müssen wir sofort verzichten, koste es, was es wolle.
({14})
Aber wollen Sie denn wenigstens in zehn Jahren wirklich aussteigen? Wie steht denn die Führung Ihrer Partei zu Ihrem eigenen Parteitagsbeschluß?
({15})
Wenn man sich die Aussagen von Herrn Rau anhört, die er vor der wirtschaftspublizistischen Vereinigung gemacht hat, dann sind Zweifel erlaubt. Dort sagt er nämlich - ich zitiere das „Handelsblatt" vom 6. November 1986 - : Ich habe noch nie gesagt, daß
wir in zehn Jahren aus der Kernenergie herauskommen.
({16})
Und er fügte hinzu, es gebe auch keinen solchen Beschluß in der SPD.
({17})
Gibt es nun einen Beschluß, oder gibt es keinen?
({18})
- Dann erzählen sie das einmal Herrn Rau. Wenn es keinen gibt, dann ist Ihr Gesetzentwurf reine Augenwischerei.
Frau Fuchs übrigens, Ihre neue Geschäftsführerin, sagt sogar, die SPD sei mit der Fristsetzung von zehn Jahren unehrlich gewesen.
({19})
Und da war, so glaube ich, Frau Fuchs ehrlich.
Meine Herren und Damen von der SPD, wie halten Sie es denn in den Ländern, in denen Sie etwas zu sagen haben oder hatten? Wie war das denn mit Hessen? Dort hat die SPD jahrelang den Betrieb einer Plutoniumfabrik geduldet, obgleich das eindeutig illegal war. Sie konnten sich nicht einmal dann entschließen, den Betrieb zu verbieten, als die Staatsanwaltschaft bereits ermittelte. Ganz im Gegenteil, Sie ließen sogar die Koalition platzen und riskierten damit den Regierungsverlust.
({20})
Tut Ihnen eigentlich das nicht weh, was unser ehemaliger oberster Umweltschützer da jetzt anrichtet?
Zweites Beispiel: NRW. Es gehörte schon eine unglaubliche Ignoranz und ein Wahnsinnszynismus dazu, ausgerechnet in den Tagen von Tschernobyl den Hochtemperaturreaktor in Hamm in Betrieb gehen zu lassen.
({21})
In diesen Tagen wird der gleiche Reaktor trotz aller Pannen ans Netz gehen,
({22})
obgleich die hochfliegenden Träume von Kohleverflüssigung usw., die einmal mit diesem Reaktortyp verknüpft waren, längst im Papierkorb gelandet sind.
Aber jetzt ergeben sich ja große Möglichkeiten! Exportchancen bieten sich an, Chancen des Exports in die Sowjetunion und in die Dritte Welt. Wer könnte sich so etwas entgehen lassen? Vielleicht wird gerade jetzt, in dieser Minute, die Betriebsgenehmigung erteilt. Während Sie hier ein Gesetz zum Ausstieg vorlegen, wird in einem von Ihnen regierten Land die Ausbreitung der Gefahren, die Sie doch offenbar erkannt haben, über die ganze Welt vorbereitet.
({23})
Wer soll denn Ihre Absichtserklärungen noch ernst nehmen? Was Sie hier tun, ist unehrlich, ist Verdummungspolitik. Sie wollen die Ängste der Menschen ausnutzen, sie wollen Profit aus der Tatsache schlagen, daß immer noch über 80 % der Bevölkerung aus der Kernenergie aussteigen wollen.
({24})
Mit einem solchen Schritt können Sie sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen.
Wie wenig ernst Sie den Ausstieg nehmen, beweist Ihr Verhalten zu Gorleben. Dort ist mit dem Schacht das ganze Entsorgungskonzept der Bundesregierung, das ja von Ihnen erfunden worden ist, zusammengebrochen. Wo sind denn die Fortschritte in der Entsorgung, die nach den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge vom 19. März 1980 Grundlage für den Betrieb von Atomkraftwerken sein sollen? Wenn Sie wirklich aussteigen wollen, meine Damen und Herren von der SPD: Da gibt es die Gelegenheit!
({25})
Und was tun Sie statt dessen? Herr Hauff, was Ihnen einfällt, ist die Wiederholung der alten Forderung nach Untersuchung alternativer Lagerstätten. „Alternativ" heißt: andere neben Gorleben, also weiterhin Millionen in ein Loch ohne Boden schütten und in der Zwischenzeit weiter Müll produzieren, von dem niemand weiß, wo er letzten Endes bleiben soll.
({26})
Ich appelliere an Sie - das gilt auch für die Fraktionen der FDP und der CDU/CSU -: Geben Sie zu, daß Sie in eine Sackgasse geraten sind! Warten Sie nicht, bis uns der Müll über den Kopf wächst! Hören Sie auf, weiter dieses Teufelszeug zu produzieren!
({27})
Auch das Konzept der direkten Endlagerung hilft da nicht weiter. Erst wenn alle Atomanlagen stillstehen, können wir uns in Ruhe - ohne Entsorgungszwang, ohne wirtschaftlichen Druck - gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir diese Erblast durch die beste aller schlechten Lösungen beseitigen können.
Wenn Sie anders verfahren, werden Sie gezwungen sein, diesen Dreck irgendwann irgendwo zu verbuddeln - nach dem Motto „Nach uns die Sintflut" -, oder es wird sich unsere Befürchtung bewahrheiten, daß die Zwischenlager zu Endlagern werden und daß wir die Probleme den nach uns kommenden Generationen überlassen.
({28})
Was wir heute als Altlasten - unter denen wir stöhnen - bezeichnen, wird ein Kinderspiel im Vergleich zu dem sein, was wir unseren Kindern hinterlassen!
({29})
Mit Ihrem Ausstiegskonzept gibt die SPD ihre alte Politik nicht auf und unterstützt, ob sie will oder nicht, die Politik der Bundesregierung - mit einem Unter1022
schied: Während die Regierung nach Tschernobyl nicht einmal das Nachdenken gelernt hat,
({30})
behauptet die SPD von sich immerhin, sie habe nachgedacht.
Die Regierung hat nach Tschernobyl nur beschwichtigt und verharmlost, und das alles mit einer zynischen Doppelmoral. Einerseits mußte sie zugeben - wie der ehemalige Beschwichtigungsminister Wallmann in einem „Spiegel"-Gespräch -,
({31})
daß es selbstverständlich zu einer Kernschmelze auch in Deutschland kommen könne.
Andererseits wird ständig das Motto vom vertretbaren Restrisiko in die Köpfe gehämmert. Was heißt denn das eigentlich? Das heißt permanente Angst vor einem möglichen Super-GAU. Im Falle eines Falles: wieviel Tote, wieviel Strahlenkranke, wieviel Erbschäden? Das ist eine permanente Gewaltandrohung, meine Herren; das ist Gewalt.
({32})
Sie, meine Herrschaften von der Regierung, auch Sie von der SPD, reden in der letzten Zeit so gern von Gewalt. Sie reden nicht nur, nein, Ihre Reaktion auf Tschernobyl ist und war Gewalt: niederknüppeln, verteufeln, diffamieren, kriminalisieren in Brokdorf, im Hamburger Kessel, in Wackersdorf oder Gorleben.
({33})
Haben Sie überhaupt schon einmal überlegt, wieviel Gewalt Sie den Menschen mit Ihrem Atomprogramm antun,
({34})
wieviel Schaden, ganz abgesehen von Strahlenschäden, Sie damit den Menschen sowohl psychisch als auch physisch antun, wieviel Ängste Eltern um ihre Kinder ausstehen, weil sie nicht wissen, welche Schädigungen eintreten können, weil sie nicht wissen, welche Nahrung sie ihren Kindern und sich selbst geben können, ohne ihnen zu schaden?
({35})
Dieses Spiel macht die SPD mit, weil sie nicht den sofortigen Ausstieg will, sondern mit ihrem Zehnjahreskonzept den Leuten Sand in die Augen streut und keinen ernsthaften Versuch zum Ausstieg unternimmt. Sie ist die Partei, die den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung zum Ausstieg in die Bahnen lenkt, die der Atomindustrie keine Hindernisse in den Weg legen.
Wenn das nicht so sein sollte, dann ist nicht zu verstehen, warum die SPD nicht gemeinsam mit der Ökologiebewegung und den GRÜNEN für einen sofortigen Ausstieg kämpft. Wenn die SPD wirklich eine Energiewende will, dann kann sie nicht darauf warten, bis eine neue Energieversorgungsstruktur da ist. Sie muß heute aussteigen, um eine Voraussetzung für die Energiewende zu schaffen.
Glauben Sie wirklich, daß über 40 % nukleare Überkapazitäten einer rationellen Energieverwendung und regenerativen Energiequellen eine Chance lassen? Die EVUs haben kein Interesse an einer Energieversorgung, die zudem auch noch dezentral organisiert sein müßte. Die Möglichkeit bestünde. Aber Sie haben nicht den Mut, die mächtigen EVUs zu entmachten.
({36})
Unseren Vorschlag für eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes haben auch Sie abgelehnt.
({37})
Auch das zeigt die Verlogenheit Ihrer Sachzwangargumentation.
Weil wir keinen Super-GAU wollen, wollen wir den sofortigen Ausstieg.
({38})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Wollny, Sie haben hier eine sehr konsequente Position eingenommen, die wir nicht teilen. Ich habe mit einigen Feststellungen und Analysen im Hinblick auf unterschiedliche Äußerungen von SPD-Politikern, die Sie getroffen haben, übereingestimmt.
Ich stimme aber überhaupt nicht - es ist keine Zeit, das hier jetzt auszuführen - mit Ihrem Gewaltbegriff überein. Sie haben den Begriff struktureller Gewalt hier eingeführt. Wir müßten wirklich länger Zeit haben, um darüber zu reden.
({0})
Das kann ich so nicht akzeptieren.
Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf der SPD ab. Herr Hauff, die Stillegung aller Atomanlagen bis spätestens Ende 1996 ist aus unserer Sicht unrealisierbar.
({1})
Die vorgeschlagenen Alternativen zur Kernenergie sind unverantwortbar. Sie denken nicht an die Begrenztheit der fossilen Ressourcen, die dann eingesetzt werden müssen. Sie denken nicht an die Belastungen der Umwelt, die die Folge solcher fossilen Alternativen wären. Ich nenne nur die Stichworte Waldsterben, Klimaveränderung usw.
({2})
- Nein, Herr Stratmann, wir teilen nicht Ihre merkwürdigen Berechnungen. Sie setzen ja eine Energieeinsparung in Ihren Szenarien voraus, die völlig unrealistisch ist. Ihre Szenarien sind nicht realistisch. Das ist unsere Meinung. Sie setzen einen Energieverbrauch voraus, den es nicht gibt, den es nicht geben kann. Nur so geht ja Ihre Rechnung auf.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Ich habe nur eine kurze Redezeit, aber bitte.
Nicht nur zum Stichwort Energieeinsparung, sondern auch zu Stromeinsparungsmöglichkeiten: Wie kommentieren Sie in diesem Fall das Vorbild Japan, das es bei einem doppelt so hohen Strompreis durch Energie- und Stromeinsparung in den letzten zehn Jahren fertigbrachte, den Stromverbrauch trotz erheblicher Wachstumsraten - die Bundesrepublik würde sich die Finger danach lecken - konstant zu halten?
Herr Kollege, ich komme gleich auf diesen Punkt zu sprechen. Ich bin auch der Meinung, daß die Energieeinsparung ein Schlüssel ist, daß wir das Potential noch nicht ausgeschöpft haben. Ich bin auch der Meinung, daß wir Wirtschaftswachstum und Energiewachstum entkoppeln müssen. Das ist auch schon geschehen. Da sind wir gar nicht unterschiedlicher Meinung. Aber daß das zu Ihrem Szenario führt, sehe ich nicht ein. Dieser Meinung bin ich nicht.
Wir haben andere Konsequenzen aus dem Reaktorunglück gezogen. Wir haben die Risiken der Kernenergie auch erneut überdacht und bewertet. Es sind natürlich Risiken von anderer Qualität, als wir sie in den 50er und 60er Jahren gesehen haben. Das ist klar. Der alte Konsens der 60er Jahre besteht so nicht mehr. Wir sind alle nachdenklicher geworden. Wir haben die Ergebnisse der Enquete-Kommission, die dieses Haus eingesetzt hat, auch zur Kenntnis genommen. Ihre Ergebnisse sind, meine ich, unterschätzt worden. Da steckt eine Menge drin. Nach Tschernobyl hat meine Partei bestätigt, daß Kernenergie für uns Übergangsenergie ist.
Was uns unterscheidet, ist das Szenario eines auf zehn Jahre befristeten Ausstiegs. Das ist unrealistisch. Das kriegen Sie nicht hin. Das ist auch inkonsequent. Da ist die Position der GRÜNEN viel konsequenter. Wenn das so ist, müßten Sie heute abschalten und nicht in zehn Jahren.
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff? - Bitte sehr.
Herr Kollege Baum, wenn Sie die zehn Jahre für unrealistisch halten, was halten Sie für realistisch?
Ich kann überhaupt kein Datum nennen. Ich weiß, daß viele Bürger im Lande dieser Meinung sind. Sie können von uns als Politiker kein verbindliches Datum erwarten; denn es hängt davon ab, ob es uns gelingt, alternative, regenerierbare Energien an die Stelle der Kernenergie zu setzen. Meine Partei ist der Meinung, daß hier drastisch verstärkte Anstrengungen stattfinden müssen. Wir sind der Meinung, daß die Anteile der Forschung einerseits im Bereich der Kernenergie und andererseits im Bereich regenerierbarer Energien im Bundeshaushalt auch in diesem Jahr ungleichgewichtig sind. Es müßte mehr für den letzteren geschehen. Wir wollen diese neuen Energien mit Nachdruck erforschen.
Ich bin der Meinung, das müßte auch im Rahmen eines internationalen Konzepts geschehen. Warum - frage ich - stimmen sich die Industriestaaten nicht auf Weltwirtschaftskonferenzen ab und nehmen sich in einer Art Arbeitsteilung solche Energieforschung vor? Sie sind alle betroffen.
Für uns ist jedenfalls die Kernenergie nicht die letzte Antwort auf die Energieprobleme. Nur sagen wir nicht: in zehn oder zwanzig Jahren, sondern wir sagen, welche Anstrengungen wir machen wollen. Wir haben strenge Bedingungen an die Nutzung der Kernenergie geknüpft. Als die FDP die Innenminister stellte, haben wir das getan, d. h. in der früheren Koalition. Das hat die neue Koalition fortgesetzt.
Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit. Die Nachrüstung der Kernkraftwerke ist kein Zeichen von Schwäche, sondern das ist die Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Reaktoren.
Wir legen auch Wert auf internationale Kooperation. Nach Tschernobyl ist da ja ein bißchen bewegt worden. Sie ist nach wie vor unzureichend.
Wir setzen auf Entsorgungsvorsorge.
Wir setzen darauf, daß der Katastrophenschutz in unserem Lande verbessert wird. Er war ja nach Tschernobyl die eigentliche Schwachstelle. Der Oberkreisdirektor in X wußte ja nicht, was in Y passiert und umgekehrt.
({0})
Ein Schlüsselproblem ist für uns nach wie vor die sparsame und rationelle Energieverwendung. Wir wollen, daß die Forschung im Bereich anderer Energieformen drastisch verstärkt wird. Wir stellen fest, daß der alte Konsens der fünfziger und sechziger Jahre im Hinblick auf die friedliche Nutzung der Atomenergie so nicht mehr besteht. Wir sind nachdenklicher und risikobewußter geworden,
({1})
und wir bedauern, daß der neue Konsens, den wir, Herr Kollege Hauff, damals, im Jahre 1979, zwischen SPD, CDU/CSU und FDP gefunden haben und der auch ein ausgearbeitetes Entsorgungskonzept enthält, von Ihnen hier jetzt aufgekündigt wird. Das bedauern wir sehr. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Mehrheit der Bevölkerung - das sagen auch die Umfragen - Ihnen nicht folgt, und ich sehe mit Interesse die Diskussion in Ihrer eigenen Partei. Ich habe gerade ein Interview von Herrn Stobbe gelesen. Im Seeheimer Kreis gibt es ja auch Zweifel, ob es realistisch ist, der Bevölkerung hier ein solches Szenario vorzumachen.
Meine Damen und Herren, wir wollen an der friedlichen Nutzung der Kernenergie so lange festhalten, wie sie nicht durch andere, umweltfreundlichere Energiegewinnungsformen ersetzt werden kann. Wir
halten sie also unter Sicherheitsgesichtspunkten für verantwortbar. Das sage ich hier mit Nachdruck.
({2})
- Ich komme doch gleich darauf zu sprechen. Ich habe hier kaum einen Satz gesagt, da fragen Sie mich schon, was ich von anderen Punkten halte. Ich komme ja noch darauf. Das kommt ja gleich, Herr Stratmann.
Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Nachrüstungsprogramm zum weiteren internen Notfallschutz, bei der Festsetzung von Dosis- und Kontaminationswerten nach strengsten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Wir wünschen Ihnen, Herr Bundesminister Töpfer, daß Sie in Brüssel Erfolg bei der Durchsetzung unserer Werte haben. Wenn das nicht der Fall sein sollte, begrüßen wir Ihre Absicht, dann hier nach unseren Erkenntnissen in der Bundesrepublik unsere Maßstäbe zur Grundlage zu machen.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei dem Aufbau eines Meßsystems. Wir unterstützen sie beim integrierten Entsorgungskonzept und bei der Verbesserung der Reaktorsicherheit auf internationaler Ebene.
({3})
Wir verlangen allerdings eine ernsthafte Prüfung, ob im Rahmen einer beschlossenen Entsorgungskette eine Konditionierung abgebrannter Brennelemente zur direkten Endlagerung an die Stelle der Wiederaufarbeitung treten kann. Die entsprechenden Pilotprojekte werden ja fortgeführt. Wir haben das in der Koalitionsvereinbarung aufgeführt. Wenn sich erweist, daß eine direkte Endlagerung unter Sicherheits- und Kostengesichtspunkten den Vorzug verdient, ist, so meinen wir, die Entsorgungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland zu ändern.
Der Schnelle Brüter in Kalkar ist nach unserer Meinung für die Energieversorgung nicht erforderlich. Seine kommerzielle Nutzung lehnt die FDP nach wie vor ab. Bei ihm steht der forschungspolitische Aspekt im Vordergrund. Der Reaktorunfall in Tschernobyl gibt erneut Anlaß, die Frage zu stellen, welchen forschungs- und industriepolitischen Stellenwert der Schnelle Brüter haben soll.
({4})
Dazu werden jetzt erneut Untersuchungen angestellt, die wir in der Koalition vereinbart haben. Im Genehmigungsverfahren zum Schnellen Brüter dürfen nach unserer Meinung jetzt keine Entscheidungen getroffen werden, die eine endgültige Entscheidung über die Inbetriebnahme präjudizieren. Wir lassen uns nicht drängen, Herr Stratmann.
({5})
Sie haben ja auf alles ganz schnelle, fixe Antworten. Wir denken nach und prüfen.
Wir sind für eine Verstärkung der ökologischen Gesichtspunkte in der Energiepolitik. Deshalb sind wir für eine Fortsetzung der Politik der Energieeinsparung. Die Koalition hat im April festgelegt, daß wir die Förderung und Erforschung von Möglichkeiten des sparsameren Energieverbrauchs in privaten Haushalten und in der Industrie verstärken. Wir meinen, daß in diesen Bereichen die Möglichkeiten zur Energieeinsparung nicht ausgeschöpft sind. Wir denken an eine verstärkte Abwärmenutzung, an die KraftWärme-Koppelung, an den Ausbau eines Netzes von dezentralen Anlagen der Kraft-Wärme-Koppelung und an die Stärkung der kommunalen Eigenständigkeit in der Energiepolitik.
Aus ökologischen Gründen halten wir eine Modifizierung des Energiewirtschaftsrechts für notwendig. Eine Überprüfung dieses Gesetzes ist in der Koalition vereinbart. Wir wollen u. a. die Tarifgestaltung und die gesetzliche Zielsetzung überprüfen. Wir begrüßen, daß der Bundeswirtschaftsminister hier eine erste Vereinbarung mit der Elektrizitätswirtschaft getroffen hat. Diese Politik wird und muß fortgesetzt werden.
Wir lehnen den Gesetzentwurf der SPD auch in anderen Einzelpunkten ab. Die Deckungsvorsorge haben wir gerade erhöht. Herr Hauff, wir fragen auch, wie die Betriebsräte - das steht ja in Ihrem Gesetzentwurf - beteiligt werden sollen, wenn über ihren Kopf hinweg eine solche Entscheidung bereits gefallen sein sollte.
Wir fragen die SPD auch nach dem Hochtemperaturreaktor in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen keine moralische Verpflichtung zur Kernenergie, wie Herr Wallmann das hier zum Ausdruck gebracht hat. Wir halten Kernenergie unter Sicherheitsgesichtspunkten aber für verantwortbar. Wir werden alles tun, um sie eines Tages durch andere Energieformen zu ersetzen.
({6})
Es wäre aber ganz und gar unrealistisch, den Bürgern vorzumachen, dies könne in der Frist geschehen, die Sie fordern: die GRÜNEN sofort, die SPD in zehn Jahren. Aus diesem Grunde lehnen wir diese Gesetzentwürfe ab.
({7})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Kernenergieabwicklungsgesetzes ist innerhalb weniger Monate dreimal unverändert eingebracht worden, zweimal hier und einmal im Bundesrat vor wenigen Tagen von der Freien und Hansestadt Hamburg.
({0})
Dies nährt etwas den Verdacht, daß dieses Gesetz
auch etwas mit Wahlterminen und mit parteitaktiBundesminister Dr. Töpfer
schen Überlegungen zu tun hat. Es nährt den Verdacht!
({1})
Ich möchte gleich am Anfang ganz deutlich sagen, Herr Abgeordneter Hauff: Eine Politik auf diesem Feld kann nicht von Wahldatum zu Wahldatum oder aus Parteiauseinandersetzungen heraus betrieben werden, sondern immer nur in der Verantwortung auch für die zukünftigen Generationen,
({2})
- ich wollte Sie nur ausklatschen lassen, damit Sie die letzte Hälfte auch noch hören und weiterklatschen - , damit aber auch aus verpflichtender Suche nach Gemeinsamkeit.
({3})
Sie haben vorhin gesagt - da möchte ich gerne ansetzen - , Gemeinsamkeit könne erst wieder entstehen, wenn man die Zeit bis zum Ausstieg angibt.
({4})
- Einer sagt sogar schon „Richtig". Dann können Sie noch eine Sekunde warten, Herr Hauff. Ich sage Ihnen: Gemeinsamkeit kann erst entstehen, wenn jeder, der für eine befristete Zeit, wie sie auch immer sei, zunächst sagt: Kernenergie ist sicher. Nur wenn Sie sagen, Kernenergie sei sicher, können Sie auch weiter argumentieren, daß Sie Kernenergie noch weiter nutzen können.
({5})
Jede Begrenzung ist ein Eingeständnis von Unsicherheit.
({6})
Das ist die Voraussetzung, Herr Hauff, für Konsens. Wenn Sie über Konsens sprechen, dann nicht über Fristen, sondern über Sicherheit der Nutzung dieser Energiequelle. Das ist der erste Punkt.
({7})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Mit ganz besonderer Freude. Ich hoffe, daß es nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Wir rechnen überhaupt nichts an.
Es ist meine Jungfernrede. Deswegen darf ich das noch einmal nachfragen.
Herr Bundesminister, auf die Redezeit der Regierung wird grundsätzlich nichts angerechnet, wenn ich Ihnen das sagen darf. Sie können in diesem Haus so lange reden, wie Sie wollen. Das ist die Geschäftsordnung.
({0})
Herr Bundesminister, ich möchte Sie gern fragen, nachdem Sie mich falsch zitiert haben, was Sie zu dem Satz sagen, den ich wirklich gesagt habe:
Ein energiepolitischer Konsens ist nur denkbar, wenn die These „Kernenergie als Übergangstechnologie " wirklich ernstgemeint ist.
Ja, exakt das habe ich sinngemäß so zitiert.
({0})
- Absolut. Ihr Kollege hat nachhaltig darauf hingewiesen, daß dem so sei. Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich - Frau Abgeordnete Wollny hat das ja wohl auch mit großem Genuß hier vorgetragen - , daß Herr Kollege Jochimsen beim vorigen Tagesordnungspunkt noch hier war und jetzt nicht mehr da ist.
({1})
Es wäre eigentlich ganz interessant gewesen.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Hauff hat hier etwas Grundsätzliches mit eingebracht. Deswegen möchte ich darauf gern eingehen. Der Gesetzentwurf ist Ausdruck einer ganz spezifischen geistigen Position. Das muß man ja deutlich machen.
({2})
Was ist das hier? Natürlich - unstrittig - , Kernenergie fordert wie kaum ein anderes technisches System zum Nachdenken über das Verhältnis des Menschen zur Technik heraus. Sie haben Kardinal Höffner zitiert. Ich sage Ihnen das Zitat dazu. Er hat gesagt es sei die Frage, ob die für das technische Zeitalter charakteristische Art und Weise der Beherrschung der Natur im Grunde auf einem gestörten Verhältnis zur Natur beruhe. Alles dies ist weiß Gott bedenkenswert. Die Kerntechnik hat in besonderem Maße - -({3})
- Sehen Sie, Herr Abgeordneter Schäfer, das unterscheidet möglicherweise den Kardinal Höffner von Ihnen. Der hat mehr als nur ein Zitat, das sich lohnt, vorgetragen zu werden.
({4})
- Entschuldigen Sie bitte, ich habe hier ein Zitat von Kardinal Höffner vorgetragen, das in diesem Zusammenhang gefallen ist. Er hat ihn nur genannt. Er hat überhaupt kein Zitat vorgetragen. Das muß ich deutlich dazu sagen.
Meine Damen und Herren, daß auf eine solche technische Systemfrage in der Bevölkerung auch mit Angst reagiert wird, ist verständlich, und diese Angst ist weiß Gott ernst zu nehmen. Es ist leider aber auch festzustellen, daß diese individuell durchaus verständliche Sorge und Angst vor einer nicht mehr durchschaubaren Technologie mißbraucht wird, daß immer wieder versucht wird, daraus politisches Kapital zu schlagen. Und wenn hier über Angst gesprochen wird, meine Damen und Herren, dann muß ich auch darauf hinweisen, daß das Aktualisieren von Hypothesen auch Angst erzeugt und daß das psychische Körperverletzung ist.
({5})
Und dann ist es weiß Gott sehr interessant, darüber nachzudenken, ob es denn richtig ist, wenn der Abgeordnete Hauff fragt, ob die mangelnde soziale Akzeptanz der Kernenergie Ursache oder Wirkung eines solchen Verhaltens in der öffentlichen Darstellung ist. Das scheint mir in besonderer Weise nachfragbar und diskutabel zu sein.
({6})
Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, daß es Verpflichtung zu politischem Handeln, zur Bewältigung auch noch so großer Probleme der Zukunft gibt, daß man sie eben in Angriff nimmt: nicht durch Ausstieg, sondern mit der Suche nach der besseren, nach der sichereren Technik.
({7})
Ein Ausstiegsgesetz, meine Damen und Herren, hat Probleme noch nie beseitigt, sondern immer nur in die alten Probleme zurückgeführt, von denen man vorher geglaubt hatte, sie beseitigt zu haben.
({8})
Und deswegen ist die Frage, die hier dahintersteht, eine Frage nach der geistigen Haltung: Was wollen wir denn wirklich?
({9})
- Ja, den Aufbruch machen Sie eben nach hinten, meine Damen und Herren. Das ist der zentrale Punkt.
({10})
Und dies ist eine grundsätzlich andere Position als Ihre teils ehrliche, teils politisch kalkulierte Resignation vor Zukunft. Das ist der Unterschied, auf den es hier wesentlich ankommt.
({11})
Meine Damen und Herren, Ihre Ausstiegsforderung ist inkonsequent, weil Sie bei einer behaupteten Unverantwortlichkeit der weiteren friedlichen Nutzung der Kernenergie
({12})
auch eine Übergangsfrist von zehn Jahren nicht dulden dürften.
({13})
Meine Damen und Herren, dies ist nicht eine Frage nach Fundamentalisten, von Grün und Rot, sondern das ist eine Frage von Logik, meine Damen und Herren - von Logik, nichts anderem!
({14})
Und wenn Logik zu Fundamentalismus führt, dann bin ich gerne ein Fundamentalist. Dagegen kann ich nichts sagen, tut mir herzlich leid.
({15})
- Herr Stratmann, wenn ich Sie nicht auch schon bei meiner ersten Rede kennen würde, dann würde ich das fast schon als Kompliment ansehen. Aber so haben Sie es nicht gemeint, und deswegen werde ich es besser nicht tun. ({16})
Daß die SPD davon überzeugt sein muß, daß Kernenergie sicher ist, ersehe ich doch allein daraus, daß wohl niemand glaubt, daß in SPD-regierten Bundesländern unsichere Kernkraftwerke genehmigt und betrieben werden. Das kann ich doch beim allerbesten Willen nicht unterstellen.
({17})
Ich meine, es wäre im hohen Maße unrichtig, das den Kollegen in diesen Ländern zu unterstellen.
Und Ihre Ausstiegsforderung ist nicht folgerichtig, da vom aktualisierten Risiko der Anlage in Tschernobyl nicht auf das Restrisiko der Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen werden kann. Das hat die IAEO-Expertenkonferenz genauso bestätigt wie die RSK. Tschernobyl ist eben nicht überall. Auch das muß noch einmal deutlich gesagt werden.
({18})
Und Ihre Ausstiegsforderung ist für die von uns verfolgte Erhöhung der Strahlenschutzsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland auch nicht hilfreich, geschweige denn weltweit. Ein einseitiger Ausstieg der Bundesrepublik würde im Gegensatz zu den Intentionen der Gesetzesinitiatoren dazu führen, daß die Bundesrepublik keinerlei Einfluß auf die weitere Entwicklung der kerntechnischen Sicherheit auf internationaler Ebene hätte. Es ist eine wichtige Lehre aus Tschernobyl - und ich mache hier eine Anleihe aus einem anderen Bereich - , daß es so etwas wie die Verpflichtung zu einer internationalen SicherheitsBundesminister Dr. Töpfer
partnerschaft gibt. Wenn es sie irgendwo gibt, dann bei der Kernenergie.
Das war unsere Reaktion auf Tschernobyl, von der der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Mai 1986 bereits gesprochen hat: internationale Harmonisierung von Sicherheitsstandards, internationale Harmonisierung von Informationspflichten, internationale Harmonisierung von Katastrophenschutz und -hilfe. Das ist eine sachgerechte Reaktion auf solche Dinge, wie sie in Tschernobyl passiert sind.
Meine Damen und Herren, dies ist auch bei Ihnen wohl ganz offenbar immer der Fall. Ich erinnere mich an viele Diskussionen über Cattenom mit meinem damaligen Kollegen Leinen oder mit Herrn Lafontaine. Sie alle haben immer gefordert: Wir wollen deutsche Sicherheitsnormen in Cattenom. Wenn wir ausgestiegen wären, was für eine Meßlatte hätten wir daran anzulegen gehabt? Offenbar muß es doch eine großartige Sache sein, deutsche Sicherheitsnormen auch international einzufordern; exakt das, was wir nicht mehr tun können, wenn wir aus der Verpflichtung herausgehen, in mehr Sicherheit für Kernenergie zu investieren.
({19})
- Herr Hauff, ich freue mich über Ihren Zwischenruf. Damit bestätigen Sie in der Tat meine Ausführungen.
({20})
Meine Damen und Herren, wir haben auf nationaler Ebene natürlich deutliche Fortschritte erreicht. Ich habe mich darüber gefreut, daß Herr Abgeordneter Baum das noch einmal aufgegriffen hat. Es ist unstrittig, daß es eine der wirklich üblen Argumentationsdialektiken ist, wenn man die Bereitschaft zur Sicherheitsnachrüstung als Beleg für Unsicherheit nimmt. Ich halte das für eine der wirklich ärgerlichen Argumentationsdialektiken, die in der Bevölkerung wiederum nichts anderes bewirkt als unbegründete Angst.
({21})
- Es ist deswegen falsch, weil jeder Sicherheitsstandard immer nur dynamisch verstanden werden kann,
({22})
in jeder technischen Anlage immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden muß. Das ist unser Verständnis von Technik.
({23})
- Nein, nein. Wir sind, anders als Sie das glauben, gegenüber Technik viel, viel skeptischer. Weil wir gegenüber der Technik skeptisch sind, müssen wir uns immer wieder den Mut nehmen, Technik vorbehaltlos zu überprüfen und zu fragen, ob sie nicht sicherer gemacht werden kann oder auf einem anderen Weg mehr Sicherheit erreicht werden kann. Das ist für uns schon sehr bedeutsam.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Überprüfung, wie Sie wissen, ja auch nicht nur für uns gemacht, sondern wir haben sie für die internationale Beurteilung generell offen gemacht. Die OSARTKommission hat dies getan. Ich wünschte mir, andere kernenergiebetreibende Länder täten das auch.
Herr Abgeordneter Hauff, Sie müßten doch eigentlich volles Verständnis haben. Denn wenn ich das den Medien richtig entnommen habe, haben Sie sich hier mit der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei getroffen. Es ist ein Kommuniqué herausgekommen. Darin stand, man habe sich in allem geeinigt, nur nicht in der Beurteilung der Kernenergie; denn die Tschechoslowaken haben gesagt, sie wollen mehr Kernkraftwerke bauen mit der Begründung, die Luft entlasten zu wollen. Man höre und staune!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber sehr gerne.
Herr Abgeordneter Stahl, bitte sehr.
Herr Bundesminister, wir haben am Mittwochmorgen im Ausschuß über die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke und auch der französischen in einem Zusammenhang gesprochen. Ich habe an Ihren Herrn Staatssekretär die Frage gestellt,
({0})
ob er denn bestätigen könne, daß ein französisches Kernkraftwerk vom Typ Cattenom, wenn es derzeitig in der Bundesrepublik gebaut werden würde, unter den jetzigen Voraussetzungen in dieser Form keine Genehmigung erhielte, wie nach dem Beispiel Mühlheim-Kärlich.
({1})
Können Sie mir einmal sagen und dem Hause darstellen, warum einer Ihrer Staatssekretäre vor einem Parlamentsausschuß darauf keine klare Antwort gibt?
Herr Abgeordneter Stahl, ich kann Ihnen sagen - ich soll es ja in diesem Hohen Hause erläutern - , daß es seit langem, schon unter sozialliberaler Koalition, richtigerweise eine deutsch-französische Kommission zur Beurteilung der Kernkraftwerke diesseits und jenseits der deutschfranzösischen Grenze gibt.
({0})
Dort sind Sicherheitsuntersuchungen gemacht worden, Vergleiche zwischen Fessenheim und Philippsburg I und zwischen Cattenom und Philippsburg II. Ihr damaliger Parlamentarischer Staatssekretär und
zwischenzeitlicher Kandidat für den Innenminister in Rheinland-Pfalz,
({1})
von Schoeler, hat damals an diesem Pult, also am Pult des Deutschen Bundestages, gesagt, daß diese Kommission zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Sicherheitsstandard zwischen Fessenheim und Philippsburg vergleichbar ist, aber auf unterschiedlichem Wege erreicht worden ist. Exakt dieselbe Aussage hat die Reaktorsicherheitskommission und die Groupe Permanente der Franzosen, die das zusammen für Cattenom und Philippsburg II gemacht haben, auch getroffen. Dies ist exakt die Kontinuität von Politik in diesem Hohen Hause, und ich kann mich darüber nur freuen. Herr Abgeordneter Stahl, wir werden sicher Gelegenheit haben, das im Ausschuß noch sehr intensiv durchzusprechen.
({2})
Ich freue mich außerordentlich auf diese Auseinandersetzung; denn Sie können sich vorstellen, daß ich mich gerade auf diesem Gebiet schon relativ gut durch die Akten gewühlt habe, weil ich die mitgebracht habe.
Ich komme zu dem zurück, was ich sagen wollte: Meine Damen und Herren, mich bedrückt, daß dieses Gesetz an vielen Stellen Suggestion an die Stelle von Argumentation setzt. Das ist nicht sauber. Wenn die als notwendig herausgestellte Überprüfung aller Kernkraftwerke angeführt wird, dann wird suggeriert, als würde das nicht gemacht. Wenn darin steht „Sicherheit muß vor Wirtschaftlichkeit gehen", dann wird suggeriert, daß dies jetzt anders wäre.
({3})
Da wird gesagt, das Gesetz müsse jetzt das 30 Millirem-Konzept gesetzlich festschreiben, als würde das jetzt nicht gemacht.
({4})
- Aber ich bitte Sie doch ganz herzlich, Sie können doch wirklich nicht den Eindruck erwecken - ({5})
- Ich weiß, ich muß zum Ende kommen.
({6})
- Ich habe das nur mit Blick auf das Licht hier gesagt.
Herr Schäfer, ich wollte Ihnen das abschließend sehr gern beantworten. Ich sage Ihnen ganz, ganz nachhaltig: Es wird in diesem Gesetz immer suggeriert und nicht mehr argumentiert. Es kommt keine Begründung, sondern es kommt eine Behauptung. Dies ist für meine Begriffe nicht sauber. Wenn Sie sagen, nur die Strahlenschutzverordnung enthält das 30 Millirem-Konzept, dann frage ich mich, welche Rechtsvorstellungen ich habe, wenn das keine rechtliche Basis für eine vernünftige Beurteilung mehr ist.
({7})
Wenn Sie hinzugefügt hätten, Herr Abgeordneter Schäfer, daß mit dem 30 Millirem-Konzept weltweit eine Vorsorgepolitik betrieben wird, daß wir uns in Europa mit einem 500 Millirem-Konzept auseinandersetzen müssen, dann wäre das ein Ziel gewesen, das hier wirklich der Sache und nicht nur der Suggestion gedient hätte.
({8})
Lassen Sie mich abschließen, meine Damen und Herren: Notwendig ist und bleibt die Erkenntnis, daß menschliches Leben, Herr Abgeordneter Hauff, niemals ohne Risiko möglich war und wohl auch niemals sein wird.
({9})
- Ich meine das gar nicht, sondern der Punkt ist: Wenn man über den Hinweis auf bestehendes Risiko Angst erzeugt, dann ist das für mich genauso Gewaltanwendung, wie hier an anderer Stelle über Gewalt gesprochen worden ist; denn immer, bei jeder Technik, bei jedem Lebensvorgang ist Risiko mit im Spiel. Unsere Verantwortung ist, uns auch zum Risiko in dieser Form zu bekennen und deutlich zu machen, was wir getan haben, um Risiko beherrschbar werden zu lassen. Das ist unsere Vorstellung von Kernenergie.
Recht herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
Ich will zuerst auf zwei, drei Anmerkungen von Ihnen, Herr Minister Töpfer, eingehen und, wenn dann die Zeit noch reicht, vielleicht auf das vorbereitete Manuskript zurückkommen.
Sie wiesen zu Recht darauf hin, daß wir unser Kernenergieabwicklungsgesetz innerhalb weniger Monate dreimal eingebracht hätten, einmal im alten, dem 10. Deutschen Bundestag, vor der Wahl, jetzt, unmittelbar nach der Wahl, und außerdem über das Land Hamburg. Da schwang ein Vorwurf mit. Ich sage: Es ist unsere Pflicht, dem Wähler klarzumachen, daß wir das, was wir vor der Wahl als sozialdemokratische Energiepolitik angekündigt haben, auch nach der Wahl zum Maßstab unserer parlamentarisch-politischen Arbeit machen.
({1})
Schäfer ({2})
Wer sich anders verhält, meine Damen und Herren, setzt sich leicht dem Verdacht der Wählertäuschung aus.
({3})
Ich will noch einen Satz hinzufügen - Herr Töpfer, das ist Ihnen vielleicht entgangen - : Den Kern dessen, was unser Kernenergieabwicklungsgesetz enthält, können Sie sogar schon in einer Bundestagsdrucksache vom 22. Mai 1984 finden, also zwei Jahre - ({4})
- Herr Stratmann, wenn Sie ein bißchen von Ihrer Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit herunterkämen, würde Ihnen das gut anstehen.
Ich will auf meine letzte Bemerkung zurückkommen: Am 22. Mai 1984, Herr Kollege Töpfer, zwei Jahre vor Tschernobyl, hat meine Fraktion in der Drucksache 10/1476 ihren Antrag „Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung" eingebracht. Darin heißt es wörtlich:
Die Nutzung der Kernenergie ist nur für eine Übergangszeit zu verantworten. Ziel der Energiepolitik ist es, nach dieser Übergangsphase sichere, preiswerte und umweltverträgliche Energieversorgung ohne Kernenergie zu gewährleisten.
Zwei Jahre vor Tschernobyl ist das im Deutschen Bundestag eingebracht worden.
Wir haben dann - und wir hätten unsere Pflicht verletzt, wenn wir es nicht getan hätten - nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl unsere energiepolitischen Vorschläge konkretisiert - in Nürnberg. Unser Kernenergieabwicklungsgesetz ist der erste wichtige Schritt zur parlamentarischen Umsetzung.
({5})
Jetzt erleben wir hier ein ganz seltsames Spiel. - Herr Töpfer, daß Sie das sagen, wundert mich etwas, weil ich Ihre Konzentrationsfähigkeit bislang höher eingeschätzt hatte. - Wir erleben jetzt, wie gleichzeitig von den GRÜNEN und von der Union Kritik an unserer Position, daß wir nicht von heute auf morgen aus der Kernenergie rauskönnen, sondern daß das zehn Jahre dauert, geübt wird. Sie von der Union kommen dann zu der Schlußfolgerung: Weiter so. Kernenergie ist sicher. - Dazu werde ich noch etwas sagen. - Und Sie von den GRÜNEN sagen: Sofort abschalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stratmann?
Jetzt nicht und vom Kollegen Stratmann heute sowieso nicht, erst wieder morgen.
({0})
Beide, GRÜNE wie CDU/CSU, meine Damen und Herren, verweigern sich einer notwendigen intellektuellen Argumentation, daß auch hier absolute Lösungen nicht möglich sind.
({1})
Jetzt will ich einmal zu Ihnen etwas sagen: Sie wiegen sich in der Illusion, Herr Stratmann, auch Sie, Frau Wollny
({2})
- dann sage ich es dem Abgeordneten Kleinert -, als ob Sie von heute auf morgen die Kernenergie abschalten könnten. Wir sind unter breitem gesellschaftlichen und politischen Konsens, getragen auch von einem Teil der Vorfahren der GRÜNEN, rechtsstaatlich in die Kernenergie eingestiegen. Und es ist unsere Aufgabe, die Kernenergie auch rechtsstaatlich abzulösen. Dazu bedarf es gesetzlicher Änderungen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Göhner?
Nein. Vielleicht später, Kollege Göhner.
({0})
Sie, Herr Kollege Töpfer, sagen: Kernenergie ist sicher. Wenn sie wirklich unsicher wäre, müßten wir gleich abschalten. - Jetzt will ich Ihren Sicherheitsbegriff hinterfragen. Ich halte ihn für oberflächlich, fast fahrlässig, jedenfalls nicht zu Ende gedacht.
({1})
Warum haben wir uns denn in der Reaktorsicherheitstechnik und, was hinzukommt, in der Risikophilosophie über Jahre hinweg dieser besonderen Technologie so intensiv angenommen?
({2})
- Nicht nur, weil es gefährlich ist, ({3})
sondern weil wir sagen: Es bleibt ein Rest von Unsicherheit, der prinzipiell nicht beherrschbar ist.
({4}) Das leugnen Sie, das verschweigen Sie.
({5})
- Haben Sie heute getan, Herr Töpfer. Ich habe Ihrer Rede zugehört. Sie haben gesagt, Kernenergie sei sicher, und das sei die Grundvoraussetzung für einen Konsens.
({6})
Und wir sagen: Wer dem Bürger sagt, es gebe eine absolute Sicherheit bei Kernkraftwerken, lügt ihn an, täuscht ihm Sicherheit vor, wo es keine letzte Sicherheit gibt.
({7})
Was ist denn der Risikobegriff, verehrter Herr Umweltminister? Wir haben diesen Risikobegriff der Versicherungswirtschaft entlehnt. Risiko ist die Produktformel aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensfolgen. Die Kernkraftwerke weltweit sind gegen
Schäfer ({8})
Schadensauswirkungen nur insoweit ausgelegt, im Klartext: gesichert, wie die Eintrittswahrscheinlichkeit für gering angesehen wird.
({9})
Fachleute reden von Probabilistik. Und der Herr Probst sagt: „Richtig". Er hat es gestern gelesen.
Also noch einmal: Nur insoweit, als die Eintrittswahrscheinlichkeit für gering angesehen wird, wird auf die Sicherheitsvorkehrungen verzichtet.
Wir sagen mit Kardinal Höffner und mit vielen anderen: Angesichts einer Technologie, bei deren Versagen im Extremfall über Zeiten und Räume hinweg menschliches Leben und Überleben nicht möglich ist, darf man nicht sagen: Die Technologie ist sicher. Da muß man alles unternehmen, um so schnell wie möglich diese gefährliche Technologie durch verträglichere Technologien abzulösen. Das ist der Punkt.
({10})
Jetzt sagen wir zu Ihnen: Es geht nicht von heute auf morgen.
({11})
- Ich habe Ihnen eben eine formale Begründung genannt, beispielsweise die Änderung des Atomgesetzes. Es kommt etwas hinzu. Ich nehme jetzt Ihre Studien: Sie schreiben dort auf, was an Energieeinsparpotentialen möglich ist. Ich nehme einmal den Bereich: Strom im privaten Haushalt. Da wird ein Stromeinsparpotential zwischen 10 % und 30 geschätzt. Jetzt tun Sie so, als ob dieses Stromeinsparpotential in der Wirklichkeit der Politik und auch in der Wirklichkeit des Lebens von heute auf morgen realisiert werden könnte.
({12})
Das dauert zehn bis zwölf Jahre, bis die Hausfrau den Kühlschrank, der mehr Strom verbraucht, durch einen weniger Strom verbrauchenden Kühlschrank ersetzt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Frage.
Kurzum, meine Damen und Herren, wir bleiben dabei: Die einzig verantwortbare Position ist die, die klarmacht: Wir wollen diese gefährliche Technologie überwinden. Wir wollen es aber so tun, daß es mehrheitsfähig und realisierbar ist und auch unter Abwägung anderer Risiken, ökonomischer Risiken und ökologischer Risiken. Nach unserem Konzept, Herr Töpfer, nehmen die Umweltbelastungen an Stickoxiden und Kohlendioxid ab und nicht zu. Bei den GRÜNEN sieht es anders aus.
({0})
- Warum regen Sie sich denn so auf? „Quatsch" ist völlig unpärlamentarisch. - Wir sagen: Wir werden von uns aus alles tun, damit wir innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren ohne Kernenergie auskommen.
Meine Damen und Herren, ich will einen zweiten Punkt nennen und einmal deutlich machen, Herr Kollege Töpfer, was es mit Ihrem Anspruch - nicht als Person, sondern als Regierungskoalition - und mit der Wirklichkeit Ihrer Politik auf sich hat. Ich will als ein Beispiel die Entsorgung nennen. Da gibt es doch die Entsorgungsrichtlinien, 1979/80 gemeinsam bestätigt.
({1})
- Herr Kollege Baum beschwört immer, wenn ihm die Argumente ausgehen, den Konsens. - In diesen Entsorgungsrichtlinien steht ausdrücklich drin, daß der Betrieb und der Neubau von Kernkraftwerken von entsprechenden Entsorgungsfortschritten abhängig gemacht werden. Schauen wir es uns an, wie es heute aussieht: Wir stehen auch beim Endlagern der radioaktiven Abfälle in einer gefährlichen Sackgasse. Es war ein riesiger Fehler, daß sich Niedersachsen geweigert hat - das haben wir damals noch gemeinsam mit der FDP immer wieder gefordert - , alternative Standorte zu Gorleben zu untersuchen.
({2})
Es war ein Fehler, daß man sich nur auf die geologische Formation Salz beschränkt und Basalt und Granit nicht untersucht hat. Dieses Versäumnis rächt sich jetzt bitter, denn ob und wann die Eignung Gorlebens geklärt ist, steht in den Sternen. Durch das Bergwerkunglück in Gorleben ist man von einer Klärung weiter entfernt als noch vor einem halben Jahr. Sie betreiben keine Vorsorge, Herr Umweltminister. Sie schreiben zwar in Ihre Umweltrichtlinien hinein: Vorsorge ist oberstes Gebot, aber in Ihrer Politik bleibt es lediglich beim Prinzip der Vorsorge bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle, statt jetzt unverzüglich, praktisch die Suche nach alternativen Standorten und alternativen geologischen Formationen aufzunehmen.
({3})
Oder wollen Sie etwa warten, bis sich Gorleben als ungeeignet herausstellt? Wollen Sie dann etwa den hochradioaktiven Müll exportieren?
({4})
Oder wollen Sie unter Mißachtung der entsprechenden Sicherheitsanforderungen Gorleben, koste es, was es wolle, durchsetzen und wie bisher sicherheitstechnisch gesundbeten?
Wie können Sie es eigentlich, Herr Baum, und Sie, Herr Töpfer, angesichts dieser völlig ungeklärten Entsorgungslage überhaupt verantworten, neue Kernkraftwerke in Betrieb zu nehmen, geschweige denn, alle Kernkraftwerke in Betrieb zu halten? Was sind denn - jetzt komme ich zu Ihnen - Ihre immer wieder vorgetragenen Beteuerungen, die Entsorgung müsse sicher sein, um die Inbetriebnahme weiterer Kernkraftwerke zu genehmigen, angesichts der prekären und ungelösten Entsorgungsgrundlagen tatsächlich wert? Kein Wort davon in Ihrer Rede. Herr Töpfer, wenn Sie jetzt den Eindruck erwecken, Sie
Schäfer ({5})
würden nicht verstehen, was ich hier sage, werde ich nachher mit Ihnen hinunter in die Cafeteria gehen und versuchen, es Ihnen klarzumachen.
({6})
Es gab bei Ihnen, Herr Kollege Töpfer, heute nur wenige Ansätze von Argumentationsstärke. Sie sagen - dem stimme ich zu - : Angst ist ein schlechter Ratgeber für Politik.
({7})
Wir sagen: Man muß die Ängste aufnehmen, in die Politik mit einbeziehen, muß nach den Ursachen der Ängste der Menschen fragen. Sie sagen, die Sozialdemokraten wollten mit der Kernenergie nur Angst erzeugen,
({8})
und erzeugen gleichzeitig Angst, indem Sie immer wieder das CO2-Problem, den Treibhauseffekt, das Ozonloch beschwören.
({9})
Wir wollen das Problem CO2 überhaupt nicht verdrängen. Wir nehmen es ernst, sehr ernst sogar. Nur, wer es wirklich ernst nimmt, der muß unser Angebot annehmen, jetzt gemeinsam eine Energieeinsparpolitik zu betreiben, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das wäre ein Konsens, Herr Kollege Baum, der diesen Namen verdient,
({10})
weil die Energieeinsparpolitik weltweit die wirksamste Maßnahme ist, die CO2-Problematik zu verringern. Wir müßten im Konsens daran arbeiten, das Brandroden von tropischen Wäldern international zu stoppen, weil dieser riesige CO2-Schub in den letzten Jahren immer mehr angeschwollen ist. Wir müßten, wie in Schweden und in den Vereinigten Staaten, Fluorkohlenwasserstoffe als Treibgase in Spraydosen verbieten und sich nicht wie Sie, Herr Minister Töpfer, auf die freiwilligen Zusagen verlassen, die erst im Jahre 1990 greifen.
Wenn das CO2-Problem tatsächlich ein so großes Problem ist - dem stimme ich zu -, dann müssen Sie handeln und nicht nur davon reden, dann müßten Sie als Umweltminister der Minister sein, der beim Wirtschaftsminister, beim Finanzminister, beim Städtebauminister tagtäglich auf der Matte steht und sagt: Diese Energieeinsparprogramme brauchen wir. - Dann, Herr Kollege Töpfer, könnte man ein großes Stück Konsens in der Energiepolitik wiederfinden;
({11})
nicht aber mit Ihrem Angebot: Kernkraftwerke sind sicher, deswegen weiter so, Deutschland.
Wie sieht denn - da sitzt der Herr Probst, ich freue mich, Sie zu sehen - die Praxis Ihrer Förderungspolitik aus? Es ist doch so, daß Sie seit 1982 bis heute fünfmal so viel Geld für Kernenergie als für regenerative Energiequellen ausgeben. Wo ist denn hier, Herr Kollege Töpfer, die Einsicht, daß man regenerative Energiequellen fördern muß? Wo ist denn hier die Einsicht, die in der Industrie Platz greift? Dort überlegt man sich, ob man Milliardenbeträge in die Hand nimmt, um in Solarenergie und Wasserstoffgewinnung zu investieren. Wo ist denn bei Ihnen die vielbeschworene Technikfreundlichkeit und Zukunftsfreundlichkeit, wenn Sie statt Geld in die Hand zu nehmen, um in großem Umfang Solartechnologie zu fördern, auf veraltete Technologien wie Schneller Brüter und Wiederaufarbeitung setzen? Das ist mir ein schöner Umweltminister, der auf die Techniken von gestern setzt und dies als Fortschritt von heute anpreist.
({12})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Probst?
Nein, ich lasse heute keine Zwischenfragen zu.
Wollen Sie überhaupt keine zulassen? Dann kann ich mir dies ersparen.
Ich lasse keine zu, es sei denn, es wäre eine Ausnahme.
({0})
Meine Damen und Herren, es wird unserer Kernenergiepolitik oft vorgeworfen, sie würde Arbeitsplätze vernichten.
({1})
- Jetzt kommt so ein Zwischenruf von Laufs, das habe ich mir gedacht. - Volkswirtschaftlich ist das Gegenteil richtig. Das wissen auch Sie. Jede Investition in Wärme-Kraft-Kopplung, jede Investition in Fernwärme, jede Investition in Wärmedämmung und Isolierung von Häusern, in moderne Kohletechnologie, in allgemeines Energie- und Stromsparen schafft mehr Arbeitsplätze als Atomkraftinvestitionen.
({2})
Wer dies leugnet, nimmt Tatsachen nicht zur Kenntnis.
({3})
Die Bundesanstalt für Arbeit hat bereits 1984 den Zuwachs an Arbeitsplätzen allein durch Energieeinsparmaßnahmen auf 200 000 bis 400 000 Beschäftigte geschätzt. Dies gilt auch heute noch. Was wir jetzt an Mitteln für Energieeinsparungen, für mehr Umweltschutz, für neue Energietechniken einsetzen, senkt die zukünftigen Energiekosten und ist ein Stück Zukunftssicherung. Unser Kernenergieabwicklungsgesetz, von Ihnen Ausstiegsgesetz genannt, ist insoweit ein Gesetz zur Förderung des Einstiegs in umweltfreundliche, exportorientierte, arbeitsplatzschaffende und zukunftssichernde Technologien.
Wir müssen, denke ich - und da weise ich, vielleicht nur zum Nachlesen, auf das Buch von Ulrich Beck „Risikogesellschaft" hin - , dafür sorgen - das wäre eine Aufgabe, die sich im Konsens stellt, meine Damen und Herren - , daß es im industriellen Zeitalter nicht nur noch um die ungerechte Verteilung von Lebensrisiken geht. Energie- und Umweltpolitiker werden mit darüber entscheiden, ob wir die Schöp1032
Schäfer ({4})
fung bewahren. Dazu müssen wir umsteuern. Dazu taugt kein „Weiter so! ". Ein erster Schritt zur notwendigen Umsteuerung und Umstrukturierung ist die Verabschiedung unseres Kernenergieabwicklungsgesetzes.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die lebhafte Anteilnahme.
({5})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in der gebotenen Kürze einige Anmerkungen zu den energiepolitischen Aspekten dieses Kernenergieabwicklungsgesetzes machen. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben sich auf der Grundlage des Energieberichts der Bundesregierung ausführlich mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl auseinandergesetzt und insbesondere mit der Frage, ob sich aus diesem Unfall sicherheitsmäßige und energiepolitische Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland ergeben.
Heute gilt - und wir halten unverändert daran fest - , daß auf den Einsatz der Kernenergie in absehbarer Zukunft aus energiepolitischen Gründen nicht verzichtet werden kann.
Ich will die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile der weiteren Nutzung der Kernenergie aus zeitlichen Gründen hier nur stichwortartig nennen: Umweltentlastung, Schonung der begrenzt vorhandenen fossilen Ressourcen auch und vor allem im Interesse der Entwicklungsländer, Verminderung von Klimarisiken, kostengünstige Stromerzeugung im Interesse von Wachstum und Beschäftigung und die Nutzung der Kernenergie als moderne Technologie. Kernenergie trägt heute zu etwa einem Drittel zur Stromerzeugung bei. Sie leistet als quasi heimischer Energieträger einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit unserer Energieversorgung. Sie ist durch ihre niedrigen Erzeugungskosten ein wichtiger Faktor in der Sicherung eines wettbewerbsfähigen Energiepreisniveaus
({0})
und nicht zuletzt: Sie schafft durch ihren Kostenvorteil die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Verstromung heimischer Kohle und ist damit eine unentbehrliche Flankierung des Jahrhundertvertrags mit seiner Abnahmegarantie für die heimische Kohle.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu. Ich bin gebeten worden, mich ganz kurz zu halten. Herr Kollege, ich will Sie auch nicht in die Verlegenheit bringen, sich über meine Antworten in dieser späten Stunde gegebenenfalls noch zu ärgern.
Wir halten es für nicht vertretbar, der Kernenergie eine Absage zu erteilen, ohne über eine bessere Versorgungsalternative in bezug auf Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu verfügen. Wir haben im Energiebericht eingehend dargelegt, warum weder verstärkte Energieeinsparung noch der Bereich der regenerativen Energien bei aller Unterstützung, die die Bundesregierung beiden Bereichen gewährt, in absehbarer Zeit brauchbare Alternativen zur Nutzung der Kernenergie darstellen und warum die Alternative des massiven Einsatzes fossiler Energien für uns nicht akzeptabel ist.
Auch für die Bundesregierung ist Kernenergie nicht das letzte Wort.
({0})
Wir haben das wiederholt erklärt. Wir unterstützen die Entwicklung aller aussichtsreichen Alternativen zur Kernenergie. Solange aber niemand verläßlich voraussagen kann, wie lange wir für unsere Energieversorgung auf Kernenergie angewiesen sind, halten wir es für falsch, am grünen Tisch den Ausstieg aus der Kernenergie zu einem fixen Datum zu dekretieren.
({1})
Wir sehen daher keine Veranlassung zu einer Abkehr von unserer bewährten energiepolitischen Konzeption. Die Bundesregierung befindet sich mit dieser Position im übrigen auch international im Konsens. In keinem einzigen Land hat der Reaktorunfall von Tschernobyl zu einem Ausstieg aus der Kernenergie geführt. Die überwältigende Mehrheit der Kernenergie nutzenden Länder in West und Ost hält unverändert an Kernenergie als integriertem Bestandteil ihrer Energiepolitik fest. Die Forderungen nach Ausstieg aus der Kernenergie gefährden die energiepolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung. Die Bundesregierung lehnt deshalb den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD ab.
Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr bemüht, deshalb kurz zu reden, weil ich auf die Kollegen der Fraktion Rücksicht nehmen wollte, damit es nicht immer heißt, die Regierung nähme dem Parlament zuviel Redezeit weg.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als gelernter Bergmann möchte ich einleitend eine Bemerkung zu dem bedauernswerten Schachtunglück in Gorleben machen und noch einmal feststellen, daß es völlig verfehlt ist, wenn man aus diesem Unglück, das vor Erreichen des Salzstockes, vor Erreichen der Lagerstätte passiert ist, Schlüsse auf die Qualität des Salzstockes für eine Endlagerung zieht.
Wenn in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Bergleute beim Schachtabteufen im Ruhrgebiet
auf Grund der ersten großen Wassereinbrüche gesagt hätten „Die Lagerstätte taugt nichts", dann brauchten wir uns heute über das Ruhrgebiet und die Kohle überhaupt nicht zu unterhalten. Es ist typisch, daß Sie ein Ereignis, das mit der Kernenergie und der Qualität des Endlagers gar nicht im Zusammenhang steht, als willkommenen Anlaß benutzen, um Ihre Energien darauf zu konzentrieren, die Kernenergie abzulehnen.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren ja nicht zum erstenmal hier in diesem Bundestag über die Frage der Kernenergie und darüber, ob sie zu verantworten ist oder nicht.
({0})
Ich erinnere gerade die Vorredner aus der sozialdemokratischen Fraktion an die großen Debatten, die wir hier in den 70er Jahren geführt haben. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir uns damals jedenfalls wesentlich einiger über die Verantwortbarkeit der Kernenergie,
({1})
obwohl Sie damals in der Regierung und wir in der Opposition waren.
Man muß eben fragen, ob nicht ein großer Teil Ihres veränderten Verhaltens auch aus Ihrer veränderten Situation im Deutschen Bundestag abzuleiten ist.
({2}) - Ich komme darauf noch, Herr Hauff.
Mir kommt es aber darauf an, hier noch einmal festzuhalten, daß wir damals, wie ich glaube, fast alle Sicherheitsaspekte sehr intensiv diskutiert haben. Ich meine, daß gerade diese Diskussion damals ein ganz wichtiger Beitrag dazu war, daß die Sicherheit unserer Kernkraftwerke im Gegensatz zu Tschernobyl so ist, daß wir uns heute darauf verlassen können.
Ich möchte in meinem Beitrag noch einige energiepolitische Fragen ansprechen, die wir gerade auch durch die nach Tschernobyl verstärkt stattgefundene Diskussion heute noch deutlicher beantworten können. Im Gegensatz zu Ihrer Meinung, Herr Hauff, und der Meinung Ihrer Fraktion zeigen nach unserer Auffassung die Antworten auf diese Fragen, daß wir eben auf die Kernenergie nicht verzichten können.
Ich möchte in der Zusammenfassung noch einmal vier entscheidende Gründe - Sie haben ja auch vier entscheidende Gründe für den Ausstieg genannt - für den weiteren Einsatz der Kernenergie nennen. Dabei mache ich darauf aufmerksam, daß wir für diese Begründung in den Unterlagen, die in der Brundtland-Kommission zusammengestellt worden sind, eine wertvolle Hilfe hatten.
Erster Grund: Der Weltenergiebedarf steigt, weil die Weltbevölkerung zunimmt. Der Energiebedarf der Länder der Dritten Welt muß endlich auf andere Weise als durch Waldvernichtung gedeckt werden. Der Weltwaldverlust hat bereits jetzt mit 60 ha je Minute ein erschreckendes Ausmaß erreicht.
Ich weiß, daß hier der Einwand kommt: Ihr wollt Kernkraftwerke in der Dritten Welt bauen. - Das ist nicht der Fall. Wir wollen durch die Kernenergienutzung bei uns und in den Industrieländern erreichen, daß beispielsweise das 01 für die Länder der Dritten Welt, die damit gut umgehen könnten, wenn sie es denn bezahlen könnten, zur Verfügung steht und sie so auf das Abholzen der Wälder verzichten können.
Zweitens. Die fossilen Energieträger tragen heute über 80 % zur Weltenergieversorgung bei. Diese Vorräte sind - das wissen Sie alle - begrenzt. Ich betone schon, daß auch die Kohlendioxidproblematik auf Dauer neue Beschränkungen für den Einsatz fossiler Energieträger notwendig machen kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Nein. Mit Rücksicht auf die insgesamt vorgegebene Zeit möchte ich heute darauf verzichten.
Der dritte Grund: Die Sicherheit unserer Mineralölversorgung wird durch wachsende Spannungszustände - die Zwischenfälle im Persischen Golf sind dafür kennzeichnend - wieder stärker beeinträchtigt. In einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung wird sehr deutlich darauf hingewiesen, daß weitere dramatische Ölpreisexplosionen wahrscheinlich sind, und zwar um so wahrscheinlicher, als die Bemühungen um eine Marktstabilisierung - zu einer solchen Marktstabilisierung hat die Nutzung von Kernenergie beigetragen - kurzfristig bleiben. Oder umgekehrt formuliert: Wenn es tatsächlich einen Ausstieg aus der Kernenergie gäbe - und wenn er auch nur in der Bundesrepublik stattfinden würde - , dann wäre dieses Element der Marktstabilisierung des Weltenergiemarktes und auch des Mineralölmarktes natürlich zerstört, und die Gefahren, die in dieser Studie beschrieben werden, würden tatsächlich relevant.
Die vierte Begründung ist schon angesprochen worden: Wir sind der Auffassung, daß uns außer den heute bekannten und genutzten Energieträgern in den kommenden Jahrzehnten eben keine neuen Energieträger so zur Verfügung stehen, daß wir sie bereits jetzt als Ersatz für andere ernsthaft in Betracht ziehen könnten.
({0})
Gerade nach Tschernobyl hat die nochmalige Beschäftigung und die verstärkte Suche nach Alternativen zur Kernenergie diese Erkenntnis gesichert. Ich verweise hier insbesondere auf die kürzlich erfolgte Befragung von 60 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft durch das Forschungsministerium, die gerade diese Erkenntnis bekräftigt hat. Auch das Zitieren und Erwähnen von Herrn Bölkow mit seinen sicherlich technisch sehr zukunftsweisenden Gedanken hilft hier nicht weiter, denn auch Herr Bölkow - wenn man es genau liest - denkt eben nicht in einem Jahrzehnt, sondern in Jahrzehnten, wenn nicht in mehreren Generationen.
({1})
- Ja, das kann ja einmal sein, und niemand verschließt sich dem. Aber dies ist eine Aufgabe von Generationen und ist überhaupt kein Anlaß, heute über den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschließen.
({2})
Ein letztes Argument, das ich noch im Zusammenhang mit anderen Energieträgern vortragen muß, bezieht sich auf die Behauptung, man könne die versorgungssichere nationale Kernenergie beispielsweise durch Importkohle ersetzen, die in der Tat im Moment reichlich vorhanden ist. Da muß man natürlich sehr vorsichtig sein. Wir müssen uns dagegen wehren, denn mit derselben Begründung, wenn es denn stimmen würde, daß Importkohle langfristig reichlich und preiswert zur Verfügung stehen würde, könnte man auch auf den Versorgungsbeitrag deutscher Steinkohle verzichten und statt dessen beispielsweise ferner Kernenergiestrom aus Frankreich importieren. Beides wollen wir nicht.
Aus alledem folgt, meine Damen und Herren, daß es eben nach wie vor nicht zu verantworten ist, aus der Kernenergie auszusteigen, und daß gerade Tschernobyl dazu beigetragen hat, daß wir, weil wir alles noch einmal untersucht und durchgeprüft haben, in dieser unserer Auffassung bestätigt worden sind.
Lassen Sie mich zum Schluß darauf hinweisen - ich bin Frau Wollny sehr dankbar, weil ich jetzt nicht mehr Frau Fuchs und Herrn Rau zitieren muß -, daß Sie durch das Beharren auf diesem Kernenergieabwicklungsgesetz leider auch die Möglichkeiten, zu einem Grundkonsens in der Energiepolitik zurückzukommen, verschütten, einem Konsens, der inzwischen von einigen Ihrer wichtigen Freunde - es gibt Aussagen in dieser Richtung von Rau und dem Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie - angedeutet wird. Sie erschweren diese sehr schwierige parlamentarische Arbeit außerordentlich.
Ich will als letzten Satz sagen: Es wäre gut, wenn wir - wir werden das Gesetz zwar ablehnen, natürlich, wegen der Gründe, die wir haben - bei den Beratungen vielleicht doch an der einen oder anderen Stelle einen Weg suchen könnten, den Grundkonsens unserer Energiepolitik, sowohl für die gesamte Volkswirtschaft nötig als auch für den Steinkohlebergbau nötig, in Kohle und Kernenergie wiederzufinden. Vielleicht gibt es hier eine Chance.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der letzte Beitrag hat etwas versöhnlich geendet und darauf hingezielt, daß man wieder einen Konsens sucht. Er bringt damit das Bemühen zum Ausdruck, nicht nur immer auf dem Justament-Standpunkt zu beharren.
Zu unserem Kernenergieabwicklungsgesetz
möchte ich zunächst klarmachen, daß wir Konsens
insofern haben, als der Staat unsere Gesellschaft in
die Atomwirtschaft hineingeführt hat. Da haben auch
wir politische Verantwortung mitgetragen und mitzutragen. Wir sagen: Jetzt muß in einem rechtlich geordneten Verfahren der Rückwärtsgang eingeschaltet werden, und darum ist es notwendig, dieses Kernenergieabwicklungsgesetz zu machen. Der Grundsatz dabei ist: Das alte Atomgesetz hatte den Förderzweck und stellte die Kernenergie über alles;
({0})
jetzt bekommt das Atomgesetz den Auftrag, die Schäden der Vergangenheit zu beseitigen und den Übergang in eine sichere Energieversorgung ohne Kernkraft zu gewährleisten.
({1})
Das geht eben nur in bestimmten Zeithorizonten. Wir sind in einer langen Zeit hineingegangen und werden auch nicht über Nacht hinausgehen.
({2})
- Wenn Sie z. B. in Hessen nicht unfähig gewesen wären, auch Kompromisse zu machen, würde dort jetzt nicht einer regieren, der Kernkraft in alle Ewigkeit will, sondern dann hätten wir eine reelle Chance, in einer bestimmten Zeit herauszukommen.
({3})
Das ist das Ergebnis der Politik der Fundamentalisten auf beiden Seiten! Sie wollen nicht kapieren, daß in einem Rechtsstaat nicht das „fiat justitia, pereat mundus" -Prinzip, wie die Union und Sie es in gleicher Weise wollen, gelten kann, sondern daß wir uns nach den Möglichkeiten strecken müssen und daß die Nutzung der Kernkraft eben in einem rechtlich geordneten Verfahren beendet werden muß. - Bitte schön!
Der Herr Abgeordnete Kleinert zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Stiegler, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Starrsinn des hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner und seiner engsten politischen Freunde die Ursache war,
({0})
und sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieser Starrsinn politisch in eindeutigem Widerspruch zur Beschlußlage des hessischen Landesverbandes der SPD wie der Bundes-SPD stand, was letzten Endes dazu geführt hat, daß das Bündnis in Hessen zerbrochen ist und daß in Konsequenz dessen Herr Wallmann Ministerpräsident von Hessen geworden ist?
Ich bin nicht bereit, Ihre Legenden zur Kenntnis zu nehmen, sondern weiß, daß Ihre Unfähigkeit, in Hessen Politik zu machen, dazu geführt hat, daß Sie, die Sie alles wollten, nichts bekommen haben. Das ist die Situation!
({0})
Das ist eben der Unterschied: Sie haben immer auf eine Art und Weise, die auf die Unkenntnis der Bevölkerung zielt,
({1})
so getan, als könnte ein Bundesland allein aussteigen.
({2})
Wir sagen mit unserem Kernenergieabwicklungsgesetz vor der Bundestagswahl und nach der Bundestagswahl ganz deutlich: Der Schlüssel liegt in Bonn, und wer in den Ländern sagt, die Länder allein könnten etwas anders machen, der belügt die Bevölkerung.
({3})
Das ist die Situation, und deshalb müssen Sie sich endlich einmal daran gewöhnen, daß in einem Rechtsstaat mit bundesstaatlicher Verfassung in einem korrekten Verfahren die richtigen Stellen angesprochen werden müssen. Sie dürfen den Bürgern nicht vorgaukeln, daß man in den Bundesländern etwas anders machen könnte.
({4})
Frau Präsidentin, funktioniert die Maschine, die das Ende der Redezeit anzeigt, wieder oder nicht? Muß ich mich selber erkundigen?
Sie läuft, und bei der Gelegenheit kann ich Ihnen mitteilen, daß wir mindestens noch drei Stunden Beratungszeit haben.
Sie haben noch fünf Minuten Redezeit.
Fünf Minuten? Dann ist es ja gut. Es hieß nämlich, der Apparat funktioniere nicht.
Meine Damen und Herren, einen zweiten Punkt möchte ich hier mit ansprechen: Es gab in der Enquete-Kommission Kernenergie Konsens darüber, daß Sozialverträglichkeit als oberster Grundsatz zu beachten ist. Diesen Grundsatz hat die Union in der Enquete-Kommission Kernenergie mitgetragen. Diesen Konsens in Sachen Sozialverträglichkeit hat die Union verlassen. Sie sollten nicht immer uns vorwerfen, daß wir, was die Nutzung der Kernenergie betrifft, klüger geworden sind, sondern sollten zugeben und sich vielleicht auch darauf zurückbesinnen, daß auch Sie einmal gesagt haben: Die Nutzung der Kernkraft kann nur dann statthaben, wenn sie sozialverträglich ist.
Daß sie nicht sozialverträglich ist, das zeigt uns das Stichwort Wiederaufarbeitung am Beispiel Wackersdorf. Was hier entstanden ist - ({0})
- Nicht wir haben die Leute verrückt gemacht, sondern Sie haben die Leute für dumm erklärt und gesagt: Wenn ich es einem aufbrummen kann, dann den Oberpfälzern.
({1})
Sie haben sich geirrt, weil wir uns eben in der Oberpfalz nicht alles gefallen lassen.
Was haben Sie denn dort an Sozialverträglichkeit bewiesen? Schnüffeleien in allen Versammlungen, ständig Polizei in Versammlungen; das Demonstrationsrecht muß ständig vor den Verwaltungsgerichten erkämpft werden. Die bayerische Staatsregierung hat doch mehrfach erleben müssen, daß sie Grundrechte anderer, nämlich das Demonstrationsrecht, massiv gebrochen hat und erst über die Verwaltungsgerichte wieder dazu gekommen ist, daß sie das anerkennen mußte. Was haben Sie geschafft? Daß Leute, die bisher sozusagen als brav und harmlos galten, unter dem Druck der Atomlobby der bayerischen Staatsregierung zu Mitteln gegriffen haben, die wir nicht billigen. Aber verantwortlich für diese Entwicklung sind Sie,
({2})
die Sie die Wiederaufarbeitung durchpeitschen wollen, obwohl Ihnen die Studie „Andere Entsorgungstechniken" vorliegt, die sagt, daß die direkte Endlagerung sicherer und billiger ist. Das steht dort in der Zusammenfassung wie im Volltext. Gleichwohl haben Sie gedacht, Sie müßten mit dem Kopf durch die Wand und müßten der Oberpfälzer Bevölkerung dieses aufbrummen.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Bitte schön.
Herr Sellin, bitte.
Stimmen Sie nach den schönen Schilderungen von Ihren Erlebnissen in der Oberpfalz mit mir überein, daß der Rechtsstaat durch das Gewaltmonopol des Staates auch ab und zu einmal okkupiert wird?
({0})
Ich habe zwar nicht verstanden, was es heißt, daß der Rechtsstaat okkupiert wird. Der Sinn dieses Satzes entgeht mir. Okkupation heißt besetzen, aber ich verstehe das nicht. Wenn Sie mir das deutlicher machen können, dann will ich Ihnen gerne antworten.
Ich kann es auch mit anderen Worten ausdrücken. Sinngemäß heißt das, daß der Rechtsstaat durch die Ausübung der Polizeigewalt bei Demonstrationen mißbraucht werden kann. Der Rechtsstaat wird in dem Moment okkupiert, in dem das Gewaltmonopol des Staates eingesetzt wird, und zwar mißbräuchlich.
Der Rechtsstaat besteht darin, daß die Polizei nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit vorgeht. Wenn sie das nicht tut, handelt sie rechtsstaatswidrig und muß durch die Gerichte korrigiert werden; das ist überhaupt keine Frage.
({0})
Das, was die bayerische Staatsregierung gerade in Wackersdorf öfter demonstriert hat, ist ein klarer Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, nämlich gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel, das auch gerade bei Polizeieinsätzen immer wieder beachtet werden muß.
({1})
Wenn es ein Beispiel dafür gibt, daß Kernkraftnutzung nicht sozial verträglich ist, dann sind es die Vorgänge in der grundsoliden Oberpfalz. Selbst der bayerische Ministerpräsident macht jetzt sogar ein Argument daraus, eine Ausrede für sein Versagen in der Regionalpolitik. Wenn er gefragt wird: Wieso kommt denn nichts in die Oberpfalz?, dann sagt er: Ja, da sind die revolutionären Oberpfälzer, und da gehen die Unternehmer lieber zu den braven Niederbayern.
Wenn ich sozusagen noch einen Kronzeugen brauche, daß diese Kernkraftpolitik nicht sozialverträglich ist, dann habe ich da einen in der Staatskanzlei sitzen und muß also feststellen, daß selbst der es inzwischen zumindest als Ausrede gebraucht - ich glaub ja nicht, daß er ernsthaft daran glaubt - , daß die Auseinandersetzung um die Wiederaufarbeitungsanlage den sozialen Frieden gewaltig stört. Da sind Störer nicht die, die ihr Demonstationsrecht wahrnehmen, sondern diejenigen, die ohne Not einer Region diese Anlage überstülpen wollen.
({2})
Wenn unser Gesetzentwurf eine Mehrheit bekommt, hat die Endlagerung Vorrang vor der Wiederaufarbeitung. Die Kernkraftwirtschaft wartet auf dieses Signal. Wenn sie aus dem Zwang zur Wiederaufarbeitung aussteigen könnte, täte sie es lieber heute als morgen. So ist die Situation.
({3})
Lassen Sie uns bei den Beratungen darüber reden, damit zumindest dieser Vorrang der Wiederaufarbeitung rückgängig gemacht wird, d. h. die Verschwendung von Milliarden an Mitteln gestoppt wird. Pro Kilowattstunde werden 2 Pfennige eingesammelt. Stellen Sie sich vor, wir verwendeten dieses Geld für eine alternative Energieversorgung ohne Atomkraft. Das wäre die Grundlage für einen neuen Konsens. Da sind vor allem auch die Liberalen gefordert, nicht nur auf Parteitagen vor Bundestagswahlen bunte Luftballons aufsteigen zu lassen, sondern auch hier zu handeln.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich haben wir die politische Situation, in der der vorliegende Gesetzentwurf der Freien und Hansestadt Hamburg entstanden ist, längst überwunden. Der Wahlkampf ist vorbei. In Hamburg ist gewählt worden. Die Hamburger Wähler haben sich gegen eine absolute Mehrheit der SPD mit allen Konsequenzen
({0})
und für eine Koalition, Herr Kollege Dr. Vogel, von SPD und FDP ausgesprochen. Wir betreiben heute also eine ziemlich unfruchtbare Vergangenheitsbewältigung.
Ich kann Ihnen auch zusichern, daß es solche unausgegorenen Gesetzentwürfe aus Hamburg in Zukunft unter Mitwirkung der FDP nicht mehr geben wird.
({1})
Auch aus Nordrhein-Westfalen hört man ja, daß sich die dort regierenden Sozialdemokraten nicht mehr länger zum Musterländle des Nürnberger Programms der SPD machen lassen wollen.
({2})
- Nein, ich spreche gerade von Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Dr. Vogel. - Die Umsetzung der SPD-Beschlüsse wird zu teuer und ist, wie wir von Frau Anke Fuchs die Tage erfahren haben, ökonomisch überhaupt auch sehr fragwürdig. Ich begrüße es sehr, daß in der SPD eine Bewegung aufkommt, diese Dinge zu überdenken. Das halte ich für vernünftig. Das ist realistisch. Das eröffnet Ihnen eine Perspektive für die Zukunft.
Ich glaube, daß sich in Nordrhein-Westfalen die Gesinnung hinsichtlich der Kernenergie bald ändern wird. Die weitere Genehmigung des Betriebs des Thorium-Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop durch Herrn Jochimsen bis zum Jahre 1991 deutet auch in diese Richtung. Ich finde, so falsch waren die Vorhaltungen auch nicht, die Frau Kollegin Wollny Ihnen, Herr Hauff, eben gemacht hat.
Ich begrüße diese Entwicklung also; denn die totale Blockade des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Wirtschaft des Bundeslandes, aus dem ich komme, nicht genützt. Sie hat ihr vielmehr geschadet. Wir stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen einer jahrelangen verfehlten Strukturpolitik im Ruhrgebiet. Angesichts der Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen kann das ja wohl nur heißen, daß der Bund die Scherben jetzt aufsammeln soll. Wir werden uns sehr gut überlegen, wie das zu geschehen hat.
({3})
Ich hoffe, was diesen Antrag anbetrifft, daß demnächst auch wieder in Hamburg die Vernunft stärker mitregiert. Der geplante Ausstieg aus den Kernkraftkapazitäten der HEW z. B. findet ja selbst bei den Arbeitnehmern dieses Energieunternehmens keinen Beifall. Sie sollten sich gerade als Sozialdemokraten, meine ich, endlich mehr auf die Interessen der Arbeitnehmer zurückbesinnen und nicht ständig Ihren ideologischen Vorreitern und den GRÜNEN hinterherlaufen.
Die FDP hat in Sachen Kernenergie und Sicherheitsdiskussion absolut keinen Nachholbedarf.
({4})
- Herr Kollege Roth, das unterscheidet uns von Ihnen: Natürlich trage ich unsere Konzeption in einem ähnlichen Gedankengang wie schon im vorigen Jahr vor, weil wir bei unserer Meinung geblieben sind. Sie hingegen ändern ständig Ihre Position in der Energiepolitik.
({5})
Wir haben uns schon 1977 in Kiel und auf allen folgenden Bundesparteitagen mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie beschäftigt und diese an sehr strenge Bedingungen geknüpft. Ich will sie noch einmal nennen: erstens hohe Sicherheitsstandards, die immer wieder überprüft werden müssen; zweitens wirksame Entsorgungsvorsorge; drittens internationale Kooperation - daß wir damit richtig liegen, zeigen ja jetzt die Schritte, die in Richtung Sowjetunion unternommen werden, und die Abmachungen, die in diesem Zusammenhang getroffen werden sollen -; viertens Katastrophenschutz und fünftens sparsame und rationelle Energieverwendung. Mit diesen Bedingungen war eine Verlängerung der Genehmigungs-und Bauzeiten und auch eine Verteuerung der Anlagen verbunden, für die wir, die Freien Demokraten, damals oft auch von sozialdemokratischer Seite kritisiert worden sind.
Meine Damen und Herren, die FDP hat sich nicht wie die SPD auf einen Termin in zehn Jahren
({6})
- jetzt sind es nur noch neun Jahre - für das Abschalten der Reaktoren festgelegt, der doch von vornherein als unrealistisch gelten muß. Wir haben aber beschlossen, so lange an der friedlichen Nutzung der Kernenergie festzuhalten, wie diese nicht durch andere, umweltfreundlichere Energiegewinnungsformen ersetzt werden kann.
Dabei stellen wir auch einige Forderungen an die Politik in den Vordergrund:
Erstens: Energie so sparsam und rationell wie möglich nutzen, damit auch der Zuwachs beim Stromverbrauch verringert wird.
Zweitens: die Stromtarifgestaltung so vorzunehmen, daß Anreize zum Stromsparen gesetzt werden.
Drittens: das Einsparen und Durchleiten von elektrischer Energie zu erleichtern, damit industrielle Eigenerzeugung und auch der privat erzeugte Strom genutzt werden können.
Viertens: die Nutzung aller umweltfreundlich und wirtschaftlich erzeugbaren Energie aus regenerativen Quellen.
Fünftens: die weitere Erforschung und Förderung von Solar- und Wasserstoff- und Fusionsenergie.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle muß auch einmal ein positives Wort über die Anstrengungen der Elektrizitätsunternehmen gesagt werden, die sich auf diesem Feld in letzter Zeit sehr aufgeschlossen zeigen. Ich erinnere nur an den ersten bundesdeutschen Windenergiepark im Kreis Dithmarschen, wo mit 30 Windmühlen alternative Stromerzeugung demonstriert und erforscht wird, und an andere Beispiele mehr.
Auch bei den Einspeisungsbedingungen für fremderzeugten Strom haben jetzt die EVU die Zeichen der Zeit, wie ich glaube, allmählich erkannt. Hier könnte jedoch noch etwas mehr geschehen; das will ich nicht verhehlen.
Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß deutsche Kernkraftwerke sicher arbeiten. Wir haben durch die jahrelange öffentliche Diskussion in unserem Land die Sensibilität der Genehmigungsbehörden, der technischen Überwachungsorgane und nicht zuletzt der Errichterfirmen und auch der Betreiber so sehr erhöht, daß ein Unfall wie in Tschernobyl in Deutschland mit Recht als ausgeschlossen gilt. Vergessen wir nicht, welche Schwierigkeiten der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow intern mit der Durchsetzung seines Kurses in der Wirtschaftspolitik hat, welche Schwierigkeiten sich ihm mit Filz, Schlamperei und Verantwortungslosigkeit in der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung entgegenstellen! Die Sowjetunion wird noch Jahre brauchen, bis sie intern zu geordneten Bedingungen gefunden hat. Wir können dagegen darauf vertrauen, daß in unserer Wirtschaftsordnung, in der Leistung und auch Verantwortung groß geschrieben werden, solche Schlampereien wie in Tschernobyl nicht vorkommen.
In diesem Sinne kann der SPD-Antrag für uns nicht in Frage kommen. Wir werden dies bei den Beratungen in den Bundestagsausschüssen deutlich zum Ausdruck bringen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit will ich das, was ich zu dem Gesetzentwurf der SPD zu sagen habe, in aller Kürze wie folgt auf den Punkt bringen: Kollege Schäfer, wer aussteigen will, der muß nachweisen, daß er dort, wohin er steigt, festen Boden unter den Füßen hat. Das ist der Mangel, an dem Ihr Ausstiegsgesetz auch bei wohlwollender Betrachtung inhaltlich unheilbar leidet. Darum sind wir der Meinung, daß Ihre Vorstellungen nichts taugen.
Herr Schäfer, Sie haben da heute auch keine weitere Klarheit schaffen können. Sie haben eigentlich den Ungereimtheiten nur eine weitere sehr interessante Ungereimtheit hinzugefügt, indem Sie die Suche nach alternativen Endlagerstätten ins Gespräch gebracht haben. Ich habe gesehen, wie der Kollege Stiegler, der auf dem Oberpfälzer Granit aufgewachsen ist, doch etwas schmerzhaft das Gesicht verzogen hat. Er ahnt es nämlich, daß er, nachdem er schon in Wackersdorf etwas Reizgas in die Augen bekommen hat, demnächst noch von einem Bohrloch abgeschleppt werden muß. Sie sollten also mit der
Stiftung weiterer Verwirrung über Endlagerstätten vorsichtig sein.
({0})
Ich möchte in allem Ernst auch ein paar Sätze zu dem sagen, was der Kollege Stiegler dargestellt hat: wir hätten den Konsens in der Kernenergiepolitik verlassen. Wie die Realität ist, weiß wohl jeder. Die SPD hat den Konsens verlassen, indem sie alles, was man früher hier gemeinsam getragen hat, in Frage gestellt und sich aus opportunistischen Gründen abgeseilt hat und von all dem nichts mehr wissen will. Sie hat dann nicht nur gesagt, man sei anderer Meinung, sondern hat weiter unsere Meinung verteufelt und speziell in der Oberpfalz die Wiederaufarbeitungsanlage als ein Teufelswerk hingestellt.
Deshalb liegt es wahrlich in der Verantwortung der SPD, wenn in der Oberpfalz derzeit Verwirrung herrscht, wenn Besorgnis und auch Enttäuschung herrschen. Ich muß wirklich sagen, Sie haben das zu verantworten.
Sie haben zugleich auch die GRÜNEN salonfähig gemacht. Das müssen Sie selber jetzt bei den Wahlergebnissen ausbaden. Es gibt viele, die sagen, wenn das alles richtig ist, dann können wir ja gleich DIE GRÜNEN wählen. Ich hoffe, daß Sie daraus auch lernen.
Meine Damen und Herren, wer sich nach allerlei Denkpausen wieder aufrafft, rational zu denken, muß sich in Klarheit und Eindringlichkeit einige Grundtatsachen unserer heutigen Energiesituation, aber auch der künftigen Möglichkeiten vor Augen halten, die ich kurz darstellen möchte.
Ich bin der Meinung, jetzt und in absehbarer Zeit gibt es keine Energiequelle, die den Beitrag der Kernenergie zur Energieversorgung ablösen könnte. Wer von Übergangsenergie spricht, mag damit subjektiv zum Ausdruck bringen, daß er bereit ist, auch eine andere Energie zu nutzen. Wohin der Übergang aber gehen soll, das kann ehrlicherweise wohl keiner sagen.
Ich möchte weiter feststellen: Die Möglichkeiten weiterer Energieeinsparung sind begrenzt. Ich meine, im Bereich der elektrischen Energie sind allenfalls Einsparungen von 5 % möglich.
({1})
Additive Energien wie Windkraft, Biogas und Solarenergie können bis zur Jahrtausendwende allenfalls wenige Prozent des gesamten Energiebedarfs dekken. Von den alternativen Energien bieten sich für einen im nächsten Jahrhundert anstehenden Ersatz der Kernenergie aus heutiger wissenschaftlicher Sicht nur zwei Möglichkeiten an, die Kernfusion und die Wasserstofftechnik auf der Basis der Solarenergie. Beide Alternativen werden erst im nächsten Jahrtausend zur Verfügung stehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weiss?
Der Kollege Schäfer hat nur in Ausnahmefällen Zwischenfragen gestattet.
Aber hier ist es der Kollege Weiss.
Ich sehe leider keine Ausnahmeerscheinung.
({0})
Ich möchte wegen der Kürze der Zeit meine Position hier vortragen.
({1})
Auch bei der Suche nach alternativen Energiequellen werden trotz des Einsatzes von noch so vielen finanziellen Mitteln in nächster Zeit wenig Fortschritte gemacht werden. Ich selber setze beispielsweise durchaus auf die Nutzung von Biomasse. Ich bin aber der Überzeugung, daß wir damit bestenfalls agrarpolitische Probleme lösen können, was für die Landwirtschaft durchaus gut ist, was aber andererseits nur einen sehr geringen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt Ihr Weg in den Ausstieg nicht vernünftig erscheint.
Dann bleibt das, was DIE GRÜNEN vorrangig tun und was auch die SPD zum Teil vorschlägt, nämlich ein Zurück zu mehr fossilen Energieträgern. Ich halte das gerade nach den Erkenntnissen, die wir immer mehr gewinnen, für unverantwortlich, weil unsere Umwelt, die Luft und die Atmosphäre, zunehmend vergiftet und wertvolle Ressourcen verschwendet werden.
({2})
An dieser Stelle möchte ich gerade zu dem Verhalten der GRÜNEN eines sagen. Ich bin der Meinung, daß ein beschleunigtes Verprassen von fossiler Energie, beispielsweise von Kohle, ein äußerst unmoralisches und unverantwortbares Vorgehen ist. DIE GRÜNEN verweigern sich neuer Technik aus purer Bequemlichkeit.
({3})
Andererseits verprassen Sie unverantwortlich das, was in Jahrmillionen gewachsen ist, worauf künftige Generationen, worauf eine zehnte Generation nach uns noch angewiesen sein wird. Das verprassen sie, ohne sagen zu können, was dann ist. Wer Energiepolitik so betreibt, der handelt äußerst unverantwortlich und unmoralisch.
({4})
Und wenn der von uns befürchtete Treibhauseffekt durch mehr CO2 in der Atmosphäre, das bei der Verbrennung entsteht, hinsichtlich seiner Gefährlichkeit jetzt erstaunlicherweise so geringgeschätzt wird, dann kann ich als Bayer in aller Gelassenheit nur sagen: Wenn die Wasserspiegel der Weltmeere
ansteigen, dann ist das nicht vorrangig ein bayerisches Problem.
({5})
Wenn's die Leute in der Norddeutschen Tiefebene nicht stört, mich stört es schon gar nicht.
Zusammenfassend, meine Kolleginnen und Kollegen, möchte ich auf die möglicherweise zentrale Frage, ob wir nach Tschernobyl an der Nutzung der Kernenergie weiter festhalten können, die meines Erachtens einzig ehrliche Antwort geben und sagen: Es gibt zur Zeit keine Alternative zur Kernenergie, und ich meine die Kernenergie mit allen Komponenten des Kernenergiekreislaufs. Denn wer sie betreibt, muß sich natürlich auch um die Entsorgung kümmern
({6})
und auch bei der Entsorgung Lösungen suchen, die verantwortbar und vertretbar sind, und eine Lösung bringen.
({7})
Und wenn ich sage, wir halten an der Kernenergie fest, dann meine ich auch, daß wir an Kalkar festhalten.
({8})
- An Kalkar.
Natürlich kann man aussteigen, Herr Kollege Schäfer. Aber ein Ausstieg aus der Kernenergie wäre mit größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, aber auch politischen Risiken verbunden
({9})
und hätte einen so hohen Preis,
({10})
den kein Mensch - auch Sie nicht, die Sie alle jetzt so schreien - bezahlen würde. Deswegen meine ich, daß wir ehrlich sein und niemandem vormachen sollten, daß auf absehbare Zeit etwas anderes als die Kernenergie für unsere Energieversorgung zur Verfügung steht.
({11}) Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({12})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu Tagesordnungspunkt 13 a schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
({0})
Gibt es dazu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Dann sind Sie damit einverstanden, und es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir nehmen nunmehr die vor der Mittagspause unterbrochene Beratung zu Tagesordnungspunkt 4 wieder auf. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags des Bundesministers der Finanzen zur Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks an den Haushaltsausschuß vor. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Dann gibt es dazu noch einen zusätzlichen Überweisungsantrag. Die Fraktion DIE GRÜNEN hatte vor der Mittagspause beantragt, die Vorlage zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Wer stimmt diesem Antrag auf zusätzliche Befassung zu? - Gegenprobe! - Einverstanden. Großer Sieg, Herr Kleinert.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 10 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/323 -
b) Beratung der Sammelübersicht 11 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/324 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) Beratung der Beschlußfassung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 642 01 - Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz - im Haushaltsjahr 1986
- Drucksachen 10/6821, 11/329 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm
Dr. Schroeder ({4}) Frau Rust
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 27 02 Titel 642 21 ({6})
- Drucksachen 10/6766, 11/330 -
Abgeordnete Nehm Hoppe
Dr. Lorenz
Frau Vennegerts
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 - Prämien nach dem Wohnungsbauprämiengesetz - im Haushaltsjahr 1986
- Drucksachen 10/6774, 11/331 Berichterstatter:
Abgeordnete Nehm
Dr. Schroeder ({1}) Frau Rust
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 656 04 - Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten beschäftigten Behinderten
- Drucksachen 10/6767, 11/332 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({3}) Hoppe
Strube
Frau Rust
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1986 bei Kapitel 14 12 Titel 632 01 - Erstattungen von Verwaltungsausgaben an die Länder
- Drucksachen 10/6778, 11/333 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Kühbacher
Hoppe
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1986 bei Kapitel 08 07 Titel 632 01 - Verwaltungskostenerstattung an Länder
- Drucksachen 10/6777, 11/334 Berichterstatter:
Abgeordnete Roth ({6}) Hoppe
Frau Simonis
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 08 Titel 531 22 - Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Aufgaben der einmaligen Erhebungen
- Drucksachen 11/30, 11/335 - Berichterstatter:
Abgeordnete Kühbacher Hoppe
Deres
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung.
({8})
- Wir stimmen zunächst über die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 d ab. Der Haushaltsausschuß empfiehlt, von den Unterrichtungen Kenntnis zu nehmen. Wer diesen Beschlußempfehlungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - So beschlossen. Damit hat der Bundestag von den Unterrichtungen Kenntnis genommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses unter den Tagesordnungspunkten 6 e bis g. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen angenommen. Der Ausschuß empfiehlt, von den Unterrichtungen Kenntnis zu nehmen. Dies ist hiermit geschehen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 und den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung"
- Drucksache 11/310 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Enquete-Kommission „Strukturreform des Gesundheitswesens"
- Drucksache 11/414 Im Altestenrat ist für die Beratung ein Redebeitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Egert. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts des kostbaren Zeitbudgets von fünf Minuten möchte ich noch zehn Sekunden haben, um auf einen Druckfehler hinzuweisen; dies ist die einleitende Bemerkung zur der Debatte. In dem Antrag auf Drucksache 11/310 muß es auf Seite 2 unter III nämlich heißen: „Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der in II.1. bis 11.9. festgelegten Aufgaben" und nicht „11.8.". Das ist einfach logisch. Dies müssen wir vorweg regeln. Wenn das nämlich nicht korrigiert wird, haben wir hinterher einen inkorrekten Beschluß gefaßt.
Zur Sache selbst darf ich in der Kürze der Zeit ein paar Bemerkungen machen, was ein bißchen problematisch ist, weil wir hier bei der Enquete-Kommission zur Strukturreform in der Krankenversicherung über ein Budget von 120 Milliarden DM reden. 120 Milliarden DM zu fünf Minuten Redebeitrag über diese Enquete-Kommission, das ist eine Relation, die dem,
was wir dort an Geld ausgeben, was wir dafür an Leistung bekommen, nicht angemessen ist.
Einer der Gründe, warum wir meinen, daß wir eine Enquete-Kommission zur Strukturrefom in der gesetzlichen Krankenversicherung einsetzen sollten, hat damit zu tun, daß wir damit rechnen müssen, daß hinter verschlossenen Türen in Koalitionsgesprächen nicht ausreichend über die Bedürfnisse der Menschen in diesem Gesundheitswesen geredet werden wird, sondern daß der parteitaktische Kompromiß die Strukturreform sozusagen stückweit auf dem Wege verliert. Wenn wir dies öffnen und in einer Enquete-Kommission darüber reden, haben wir vielleicht eine bessere Chance, die gemeinsame Absicht, zur Strukturreform im Gesundheitswesen zu kommen, in die Tat umsetzen, als wenn wir uns darauf verlassen müssen, daß das hinter verschlossenen Türen passiert.
Nun habe ich in den letzten Tagen eine Menge darüber gehört, warum das alles eine Verzögerung sein soll. Dies ist ja nun das Pferd beim Schwanz aufzäumen. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode Zeit, Strukturreform durch gesetzgeberische Aktivitäten der Bundesregierung voranzubringen, vier Jahre Zeit. Die vier Jahre sind nicht genutzt worden. Nun kommen wir und sagen: Wir wollen, um einen ordentlichen Versuch zur Strukturreform zu wagen, die Enquete-Kommission einsetzen. Nun sind wir die Verzögerer.
Was mich besonders mißtrauisch macht, ist, daß auf der einen Seite die Interessenvertreter im Gesundheitswesen jetzt plötzlich anfangen, Krokodilstränen zu weinen und zu sagen: Es wird ja nun acht Jahre dauern, bis wir zu den notwendigen strukturellen Konsequenzen kommen. Wenn die Ärzteschaft, die Pharmaindustrie, die Zahnärzte bis nach Bonn hinein unisono uns mit Sorge begleiten, dann werde ich mißtrauisch. So merkwürdig bin ich gestrickt. Ich glaube nicht an diese ehrliche Sorge.
Nun ist der zweite Punkt, daß die Regierungsfraktionen sagen: Wir sind aber doch willens, uns möglichst schnell zu einigen. Das verstehe ich. Was uns eint, ist die Grundabsicht, zu einer wirksamen Strukturreform zu kommen. Unser Zweifel ist nur - und das machen die Vorankündigungen deutlich - , daß das eine schlagseitige Strukturreform wird. Wenn ich auf einem Podium sitze und von dem Vertreter der CSU, Dr. Faltlhauser, höre: Ach, wissen Sie, das mit der Strukturreform, Herr Egert, ist nicht ganz so ernst gemeint, wir wollen kostendämpfende Strukturelemente verändern; dann ist dies eine Verkürzung, zu der ich sage: Was sind denn dann diese kostendämpfenden Strukturelemente, die verändert werden sollen? Dann höre ich, daß Herr Dr. Thomae von der FDP, ganz frisch im Parlament und ganz kräftig sagt, die Versicherten sollen mit maximal 500 DM - zwischen 300 und 500 DM, da ist der Beliebigkeit keine Grenze gesetzt - über Selbstbeteiligung zur Kasse gebeten werden, so daß sozusagen der dreizehnte Krankenversicherungsmonatsbeitrag eingeführt wird, und zwar nicht für die Gesunden, sondern für die Kranken, was besonderen Charme hat. Das ist dann eine zweite Ankündigung. Dazwischen ist die CDU, die sagt: Wir wollen den Zeitplan einhalten. Ich sage: Gut, den Zeitplan wollen wir auch einhalten. Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine Strukturrefrom im Gesundheitswesen zustande bringen, aber wir wollen keine schlagseitige Verwerfung, die die Anbieter der Gesundheitsleistungen aus der Überlegung herausläßt und einseitig und schlagseitig die Versicherten und Beitragszahler belastet. Darüber müssen wir dann schon miteinander reden.
({0})
Dann haben wir es noch mit der Besonderheit des verehrungswürdigen Leiters der Abteilung Krankenversicherung beim Bundesarbeitsminister zu tun.
({1})
- Der ist sehr gut, den schätze ich auch; der war schon in der Abteilung tätig, als ich noch Staatssekretär war. Ich schätze dessen Durchsetzungsvermögen. Wenn der mit den Fragen der Strukturrefom im Gesundheitswesen und mit uns zusammen ganz allein bliebe, dann, meine ich, würden wir uns vergleichen können.
({2})
Der hat die Funktion des Minenhundes: der läuft durch das Gelände zu einer Veranstaltung, nennt dort 10 Punkte, dann geht er zur nächsten Veranstaltung - ich habe jetzt gerade wieder ein neues Modell gekriegt - mit anderen 10 Punkten, und ich denke, da könnte etwas sein, wo wir in die merkwürdige Rolle kommen, der Regierung zu helfen, wenn sie es denn mit einer Strukturreform ernst meint, notfalls sogar gegen die sie unterstützende Fraktion. Dazu wären wir bereit, und deswegen bitten wir, daß wir möglichst zügig die Enquete-Kommission zur Strukturreform in der Krankenversicherung einsetzen.
Ich denke, daß die Interessenvertreter im Gesundheitswesen aus unserem Beitrag verstehen sollten, daß wir uns nicht als ein Verschiebebahnhof in ihrem Interesse mißbrauchen lassen.
({3})
Dies wollen wir nicht, dies werden wir nicht unterstützen. Wir wollen in der Enquete-Kommission seriös und sorgfältig mit dem Problem im Gesundheitswesen tatsächlich strukturell und nicht nur kurzatmig kostendämpfend zügig fertig werden. Deswegen bitten wir, unseren Antrag auf Einsetzung der Enquete-Kommission zu unterstützen.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld und hoffe auf Ihre Unterstützung.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Egert, wenn Sie heute Klage darüber führen, daß wir angesichts von 120 Milliarden DM Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung hier nur fünf Minuten diskutieren, dann möchte ich Ihnen sagen: Wir diskutieren heute nicht über diese 120 Milliarden DM, sondern über die Qualität Ihres Antrages, und da sind
eigentlich fünf Minuten noch viel zuviel, lieber Herr Kollege Egert.
({0})
Herr Kollege Egert, wie ist denn die Sachlage? Wir diskutieren jetzt seit mehr als 10 Jahren über unser Gesundheitswesen unter den Stichworten Kostendämpfung, Kostenexplosion. Die jüngsten Alarmsignale gab es Anfang dieses Jahres: Da haben die meisten Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland ihre Beiträge wieder erhöht.
({1})
Das ist deshalb ein Alarmsignal, weil bei einigen Krankenkassen mittlerweile der Schwellenwert von 15 % durchstoßen ist.
({2})
Die Tendenz ist weiterhin steigend, wie Sie wissen. Auch im ersten Quartal 1987 sind die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung wesentlich stärker gestiegen als die Grundlöhne.
Lieber Herr Kollege Egert, jetzt kann doch nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß bei dieser Sachlage eine Reform des Gesundheitswesens die vordringlichste Aufgabe ist,
({3})
und entscheidend ist, daß wir rasch handeln,
({4})
weil wir sonst als Gesetzgeber den Wettlauf mit den steigenden Beiträgen nicht gewinnen.
({5})
Wenn Sie uns jetzt vorhalten, wir hätten vier Jahre nicht gehandelt,
({6})
dann wissen Sie, daß wir mit den ersten Spargesetzen nach 1982 sehr wohl kostendämpfende Maßnahmen ergriffen haben,
({7})
und Sie wissen sehr wohl, daß wir die ersten vier Jahre gebraucht haben, um im Bundeshaushalt,
({8})
in der Arbeitslosenversicherung, in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung die Finanzen in Ordnung zu bringen, die Sie uns hinterlassen haben, Herr Kollege Egert.
Wir sind fest entschlossen - da können Sie hineininterpretieren, was Sie wollen - , gemeinsam mit der FDP die Strukturreform jetzt anzugehen, und wir haben dies in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, die Eckpunkte, die Zielvorstellungen.
({9})
Vor wenigen Tagen hat diese Kommission, die die Koalition gebildet hat, damit begonnen, die Reform im Detail vorzubereiten.
({10})
In der Regierungserklärung steht ganz klar, daß wir bis Ende dieses Jahres den Entwurf des Reformgesetzes vorlegen werden
({11})
und daß dieses Gesetz zum 1. Januar 1989 in Kraft treten wird. Die Koalition, Herr Kollege Egert, wird sich in diesen Zeitvorstellungen durch kein Störmanöver der Opposition beirren lassen.
({12})
Diese Enquete-Kommission, die Sie jetzt beantragen, soll nach ihrer Aufgabenstellung - und über die haben Sie eigentlich überhaupt nichts gesagt - in erster Linie das Krankenversicherungssystem analysieren und die Schwächen und Mängel aufzeigen.
({13})
Ein solches Gremium brauchen wir zur Vorbereitung der Strukturreform nicht mehr. Wir haben in den letzten Jahren kaum einen anderen gesellschaftspolitischen Bereich so durchleuchtet wie das Gesundheitswesen.
({14})
Es gibt serienweise Gutachten, Stellungnahmen, Vorschläge.
Sie wissen, daß seit 1977 die Konzertierte Aktion tagt, und zwar zweimal jährlich. Sie hat im März dieses Jahres ihre zwanzigste Sitzung abgehalten. Die Erkenntnisse kann man nachlesen. Sie wissen, daß im Frühjahr dieses Jahres die Sachverständigenkommission für die Konzertierte Aktion ein erstes Gutachten zu wichtigen Teilbereichen des Gesundheitswesens vorgelegt hat.
Es fehlt also ganz gewiß nicht an ausreichenden Informationen. Bei der Fülle des bereits eingebrachten Sachverstandes erwarten wir von einer EnqueteKommission auch keine neuen Erkenntnisse.
({15})
Nach unserer festen Überzeugung kann es jetzt nicht darum gehen, wieder von vorne zu beginnen, den vorhandenen Analysen neue hinzuzufügen. Entscheidend ist jetzt, meine Damen und Herren, die politische Bereitschaft, aus den bereits vorhandenen Analysen die gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen.
({16})
Mit Ihrem oberflächlichen Antrag, Herr Kollege Egert,
({17})
wollen Sie im Grunde auch nicht mehr Informationen, dieser Antrag ist allein politisch motiviert.
({18})
Es ist eine sehr leicht durchschaubare Taktik. Würden wir diese Kommission einsetzen und ernsthaft mit ihr arbeiten, würde das bedeuten, daß der Beginn dieses Gesetzgebungsvorhabens mindestens bis ins Jahr 1989 verschoben würde.
({19})
Damit wäre ernstlich in Frage gestellt, daß diese Strukturreform überhaupt noch in dieser Legislaturperiode durchgeführt werden könnte.
({20})
Das wollen Sie nämlich. Sie wollen in der wahlwirksamen Zeit 1990 dieser Bundesregierung vorwerfen können, daß sie in diesem wichtigen Feld der Strukturreform im Gesundheitswesen handlungsunfähig gewesen sei. Das ist die eigentliche Absicht Ihres Antrags.
({21})
- Frau Präsidentin, ich bin schon am Ende.
({22})
Dieses Doppelspiel ist viel zu durchsichtig, als daß man darauf hereinfallen könnte.
Wir lassen uns auch in der Zukunft nicht von dem Doppelspiel blenden, das Sie schon seit einigen Monaten praktizieren. Auf der einen Seite gibt es die Abteilung in der SPD, die sagt: Wir wollen eine breite Gemeinsamkeit im Parlament. - Auf der anderen Seite gibt es die Abteilung in der SPD, die uns ständig vorwirft, daß wir in der Gesundheitsreform nicht vorwärts kämen und alles verschliefen.
Wir stellen fest, daß es natürlich das Recht der Opposition ist, von der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Gebrauch zu machen. Es ist ein Minderheitenrecht, einen Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zu stellen. Wir können dies nicht verhindern. Aber wir bekräftigen, daß wir damit lediglich der Geschäftsordnung entsprechen. Die Einsetzung einer solchen Kommission entspricht keinem Beratungsbedürfnis der Koalition. Sie ist allein das Anliegen von SPD und GRÜNEN, die das bereits vorliegende Informationsmaterial einfach ignorieren und sich unwissend stellen.
({23})
Die Regierungskoalition - und dies ist mein letzter Satz -...
Das muß auch sein.
... wird ihren zeitlichen Fahrplan konsequent einhalten und die Strukturreform gründlich und zügig durchführen.
({0})
Jetzt sind nicht zusätzliche Theorien gefordert, jetzt ist Mut zum praktischen Handeln gefordert, und die Koalition wird diesen Mut haben.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heute von der SPD vorgelegte Antrag ist ein letzter, aber, wie wir denken, untauglicher Versuch, sich in der gesundheitspolitischen Debatte Gehör zu verschaffen. Bisher hat es die SPD nicht verstanden, ihre gesundheitspolitischen Vorstellungen überzeugend darzustellen, weder ihre kurzfristigen noch ihre langfristigen.
({0})
Und nun soll nach dem Willen der SPD eine EnqueteKommission diese Lücken schließen, die da offensichtlich vorhanden sind.
({1})
Die Regierungsfraktionen verfolgen dies natürlich lächelnd, wissen sie doch schon längst, daß in den Schubladen des Bundesarbeitsministers Blüm schon Entwürfe für sehr einschneidende Maßnahmen liegen, die nach den Landtagswahlen den Bürgerinnen und Bürgern dann Stück für Stück mitgeteilt werden.
Schon jetzt haben wir aus dem Ministerium einiges vernehmen können, was uns entsetzt: Da soll der Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkt werden; da soll eine Teilarbeitsfähigkeit möglich sein. Das bedeutet dann im Ernstfall, daß jemand schon ziemlich krank sein muß, also über 40 Grad Fieber, Teillähmungen, einen Herzinfarkt oder ähnliches haben muß, sonst wird er in Zukunft schon nach kurzer Zeit wieder teilarbeitsfähig geschrieben. Das bedeutet für ihn, daß er einfach eine Arbeit in seinem Betrieb zugewiesen bekommt, der er stundenweise nachgehen muß, anstatt in Ruhe gesund zu werden. Damit soll er dann den großen Beitrag zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung leisten.
Weiteres ist bekanntgeworden: Da wird behauptet, daß die Solidargemeinschaft viele Leistungen erbringt, die der einzelne durchaus selbst erbringen könnte. In Zukunft soll dann wohl jeder, der mehr als 30 000 DM im Jahr verdient, bis zu 500 DM an seinen Arzneikosten selbst übernehmen unter dem Stichwort: Eigenverantwortung und Anreizschaffung. Damit der Krankenschein weniger in Anspruch genommen wird, werden Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert. Da gibt es dieses Wort von dem Krankenschein als Einkaufsschein für Luxusgüter.
Dies, meine Damen und Herren, sind nun wirklich nicht die Vorstellungen der GRÜNEN. Sie werden aber auf uns zukommen, und das wir auch eine Enquete-Kommission nicht verhindern. Wir können uns weder mit den Vorstellungen der Regierungsparteien noch mit den kaum erkennbaren gesundheitspolitischen Vorstellungen der SPD identifizieren. Wir sind uns aber sicher, daß, wenn entsprechend dem SPD-Antrag im September 1988 die Enquete-Kommission erste Ergebnisse vorlegt, die Vorstellungen von Arbeitsminister Blüm schon längst in die Wirklichkeit umgesetzt sein werden.
Meine Damen und Herren, wir denken, daß es überhaupt nicht darum gehen kann, ein so marodes System, wie es die gesetzliche Krankenversicherung darstellt, halbwegs zu sanieren, und das womöglich noch auf dem Gesundheitsrücken der Bürgerinnen und Bürger, sondern es kann nach unserer Auffassung nur ein total erneuertes Gesundheitswesen in allen Bereichen, wie wir das in unserem Antrag dargelegt haben, dazu führen, daß dann schließlich auch die gesetzliche Krankenversicherung eine gesunde Sache wird.
Wir behaupten nicht, daß unser heutiger Antrag, der schon durch die Überschrift zeigt, daß es uns um weit mehr geht, als nur die Krankenkassen zu sanieren, das Nonplusultra ist. Wir aber sind stolz darauf, Herr Jaunich, sagen zu können, daß wir tatsächlich Ziele haben, die kurzfristig umsetzbar sind, die aber auch langfristig Perspektiven eröffnen, wie wir unser Gesundheitswesen umgestalten können, und zwar so, damit es auf den Patienten ausgerichtet ist, damit die Anbieterseite kein Übergewicht kriegt, damit es demokratisch und regional strukturiert wird. Eine solche Enquete-Kommission ist tatsächlich sinnvoll, weil sie die Perspektiven erstellen kann, die wir für die Zukunft unseres Gesundheitswesens brauchen. Dann ist auch klar: Sollten unsere Vorstellungen, die mittelfristigen wie die langfristigen, angefangen von der Einbeziehung der Ernährungsberatung und der Prävention bis zur Demokratisierung des Gesundheitswesens, wirklich Platz greifen, wird das finanzielle Problem der gesetzlichen Krankenversicherung niemals mehr Gegenstand einer Debatte im Deutschen Bundestag sein; denn dann gibt es wirklich ein im doppelten Sinne gesundes Gesundheitswesen: ein Gesundheitswesen, das finanziell gesund ist, sich aber auch ausschließlich an der Gesundheit der Menschen orientiert.
Deswegen denken wir, daß es die einzig wirkliche Konsequenz ist, einen Antrag zu stellen auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Strukturreform des Gesundheitswesens.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thomae.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir nur einen Schimmer Hoffnung hätten, daß durch die Enquete-Kommission die SPD von ihrer ordnungspolitischen, falschen Gesundheitspolitik wegkommen könnte, würden wir sicherlich dreimal mit Freude ja sagen.
({0})
Nur: Wir haben diesen Glauben nicht. Wir müssen und werden die Kommission akzeptieren; wir werden auch konstruktiv mitarbeiten.
({1})
Wir lassen uns aber durch die Kommission nicht von dem zügigen Ablauf abhalten. Die Vorschläge aller Beteiligten liegen auf dem Tisch. Jetzt muß politisch gehandelt werden. Jede Verzögerung ist verantwortungslos, vor allen Dingen jede Verzögerung, die durch eine solche Partei, die Sozialdemokratie, bewirkt wird. Ich meine, daß es im parlamentarischen Beratungsprozeß auch für Sie genügend Möglichkeiten gibt, an der Strukturreform mitzuarbeiten. Eine Enquete-Kommission wäre dazu nicht notwendig gewesen. Die konzeptionellen Unterschiede lassen sich durch eine Enquete-Kommission nicht wegdiskutieren. Eines müßten wir feststellen: Ein Konsens um den Preis der Gefährdung des freiheitlichen Gesundheitssystems
({2})
ist für uns Liberale auf jeden Fall nicht denkbar.
({3})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger, bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Egert, darf ich darauf hinweisen: In der letzten Legislaturperiode ist natürlich im Gesundheitsbereich schon einiges geschehen. Ich erinnere nur an das Krankenhausfinanzierungsgesetz. Sie wissen selber, wie lange solche Debatten dauern.
({0})
Ich erinnere auch an die Neugestaltung der Bundespflegesatzverordnung, und ich denke auch an die Gebührenordnung der Ärzte, um nur drei Beispiele zu nennen.
({1})
Dann darf ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hinweisen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland an und für sich eine gute gesundheitliche Versorgung haben. Aber das Gesundheitswesen muß finanzierbar bleiben.
({2})
Die gesetzliche Krankenversicherung und das deutsche Gesundheitswesen haben Kostenprobleme. Die Ausgaben steigen schneller als die Beitragseinnahmen. Es ist richtig, wenn die Kollegen Egert und Seehofer darauf hingewiesen haben, daß die Gesamtausgaben allein der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 1986 auf 120 Milliarden DM angestiegen sind und daß in den letzten drei Jahren die gesetzlichen Krankenversicherungen Defizite in Milliardenhöhe eingefahren haben. Der Beitragssatz hat in den letzten beiden Jahren zu wandern begonnen. Wir sind jetzt bei 12,5 %.
Wir brauchen eine umfassende Reform. Ich meine, die Zeit drängt. Die Vorbereitungsarbeiten für die Strukturreform haben meines Erachtens aber längst begonnen. Ich erinnere an die zehn Grundsätze für
die Neuordnung des Gesundheitswesens, die Bundesminister Dr. Blüm im März 1985 bekanntgegeben hat.
({3})
Ich erinnere an die Berufung eines Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen im Dezember 1985. Ich erinnere an das erste Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vom Februar 1987 mit einer ausgiebigen Bestandsaufnahme und mit Stellungnahmen zur Arzneimittelversorgung, zur stationären Versorgung und zur zahnmedizinischen Versorgung.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Heyenn?
Sie wird mir zeitlich nicht angerechnet?
Nein. Aber wir sind schon spät.
Kollege Heyenn, wir haben noch genügend Gelegenheit. Dann darf ich das jetzt vortragen. Wir kommen sicher bei anderer Gelegenheit zur Beantwortung von Fragen.
Ich erwähne weiter die Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Kohl vom 18. März 1987, in der es wörtlich heißt: „Eine umfassende Strukturreform im Gesundheitswesen wird unverzüglich eingeleitet. " Das ist auch geschehen. Die Bildung der Vorbereitungskommission ist erfolgt. Die Konstituierung war gestern abend. Entsprechend der Regierungserklärung wird der Gesetzentwurf für die Strukturreform noch in diesem Jahr vorgelegt werden.
Die Diskussion, Herr Kollege Egert, findet also nicht im stillen Kämmerlein statt. Wir sind der Meinung: Je früher ein Gesetzentwurf kommt, um so länger und so ausgiebiger kann im Parlament darüber diskutiert werden.
Aber die Reform verträgt keine Verzögerung. Selbst wenn keine Verzögerung beabsichtigt ist, Herr Kollege Egert - das unterstelle ich - , ist sie bei der Zahl der zu untersuchenden Bereiche nicht zu vermeiden. Die Vorlage der SPD nennt etwa neun Aufgabenbereiche und einen Zeitraum von einem Jahr. Die Vorschläge für eine Strukturreform sollen bis zum 30. September 1988 vorliegen. Das heißt, der Gesetzentwurf würde etwa Ende 1988 kommen. Da muß ich sagen: Das geht nicht; da ist ein Jahr verloren, und das können wir der Reform nicht zumuten.
({0})
Es wurde erwähnt, daß Teilbereiche zur parlamentarischen Bearbeitung vorzuziehen wären. Davor kann ich nur warnen.
({1})
Dies würde einen enormen Zeitaufwand erfordern und möglicherweise eine umfassende Strukturreform verhindern.
({2})
Zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN möchte ich bemerken, daß die Fristsetzung Ende 1987 akzeptabel wäre. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß der unter Teil 2 umschriebene Aufgabenbereich, der weit über die Strukturreform im Gesundheitswesen hinausgeht - wenn wir uns das von der Frau Vorrednerin Gesagte zu Gemüte führen, dann wissen wir erst, was hier gemeint ist - , in diesem Zeitraum von einer Kommission bearbeitet werden kann.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen gehen nicht erst an den Start, sie sind bereits auf dem Weg zur Strukturreform im Gesundheitswesen.
({3})
Der bereits eingeschlagene Weg der Bundesregierung führt schneller zum Ziel.
Meine Damen und Herren, wie immer sich der Arbeitsablauf der Enquete-Kommission vollziehen mag, sicher werden wir unseren Beitrag mit einbringen; aber wir werden uns bei der Einhaltung unseres eigenen Fahrplans zur Reform im Gesundheitswesen nicht irritieren lassen. Wir werden den vorgesehenen Zeitplan ohne Verzögerung einhalten, weil dies unserem Gesundheitswesen und der Beitragsstabilität am meisten dient.
Danke schön.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Deutsche Bundestag ist gemäß § 56 der Geschäftsordnung zur Einsetzung einer EnqueteKommission verpflichtet, wenn der Einsetzungsantrag von einem Viertel der Mitglieder gestellt wird. Das war bei dem Antrag der Fraktion der SPD der Fall. - Wieso müssen wir eigentlich noch abstimmen, wenn der Antrag eines Viertels der Mitglieder schon ausreicht? - Also gut, kommen wir zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist die Kommission eingesetzt.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/414, die allein nicht die ausreichende Mehrheit hat. Wer diesem Einsetzungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist abgelehnt.
Ich rufe noch den Tagesordnungspunkt 7 auf, den ich vorhin noch nicht aufgerufen hatte:
Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 11/347, 11/348, 11/349 1046
Abgeordnete Wiefelspütz Eylmann
Hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses. Wer diesen Beschlußempfehlungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 11/388 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Im Namen der CDU/CSU danke ich dem Bundestagspräsidenten für den Bericht, den er gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes fristgemäß am 21. Mai dieses Jahres abgegeben hat. Dieser Bericht entspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975. Wir folgen mit unserem heutigen gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und FDP der Empfehlung des Präsidenten, die Entschädigung der Abgeordneten um 3,25 % und die Kostenpauschale um 1,5 % anzuheben. Damit liegen wir auch in diesem Jahr niedriger als die allgemeine Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. So haben z. B. die Tarifpartner im Metall- und Druckgewerbe die Löhne und Gehälter um 3,7 % erhöht, und auch der öffentliche Dienst liegt mit einer Steigerung um 3,4 % über der Anhebung der Diäten. Daß eine Anhebung der Diäten der Abgeordneten alles anderes als populär ist, liegt an dem Rahmen, den das Gesetz und das Bundesverfassungsgericht uns auferlegt haben.
({0})
In keinem anderen Einkommensbereich werden Löhne und Gehälter so öffentlich diskutiert und auch beschlossen.
Gerade weil die Mitglieder des Bundestages gesetzlich gehalten sind, über eine Anhebung der Diäten öffentlich zu beraten und zu beschließen, ist der oft gehörte Vorwurf, der Bundestag sei ein Selbstbedienungsladen, schlicht falsch. Ich darf noch einmal daran erinnern, daß in den Jahren 1977 bis 1983 die Diäten nicht erhöht worden sind. Dieses, meine
Damen, meine Herren, war die Null-Diät bei den Diäten.
({1})
- Das war die Null-Diät, Herr Kollege Schreiner.
Auch heute noch halten wir bei den Diäten Diät; denn auf Grund der Entwicklung bei den allgemeinen Einkommen seit 1977 besteht ein Einkommensrückstand bei den Abgeordneten in Höhe von ca. 30 %.
Ich möchte einmal an Hand meines Wahlkreises Pinneberg vorrechnen, was ein Bundestagsabgeordneter den Steuerzahler kostet. Wir hören ja als Abgeordnete sehr oft den Vorwurf, wenn man sich über uns geärgert hat: „Ihr lebt von unseren Geldern! Wir bezahlen euch! " Im Wahlkreis Pinneberg gab es bei der letzten Bundestagswahl 205 146 wahlberechtigte Bürger. Wissen Sie, was es auf dieser Basis den Bürger kostet, sich einen Bundestagsabgeordneten „zu halten"? - 79 Pfennig im Jahr. Das entspricht genau 6,5 Pfennig im Monat. Wenn wir jetzt diese maßvolle Anhebung beschließen, dann sind es statt 79 Pfennig 81 Pfennig im Jahr, und statt 6,5 Pfennig im Monat sind es 6,7 Pfennig pro Wahlberechtigten, nicht pro Bürger.
({2})
Ich meine, das sollte jedem Wahlberechtigten und jedem Bürger in der Bundesrepublik Deutschland für die Demokratie nicht zu teuer sein. Deshalb stimmt die CDU/CSU der Empfehlung des Bundestagspräsidenten zu und bittet um Überweisung des gemeinsamen Gesetzentwurfs von CDU/CSU, SPD und FDP zur weiteren Beratung an die Ausschüsse.
Ich danke.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.
Eigentlich, Frau Präsidentin, liebe Volksvertreterinnen und Volksvertreter, ist es ja nur eine Schau, die hier abgezogen wird.
({0}) CDU/CSU, FDP und SPD sind sich ja einig.
({1})
Was tun wir eigentlich noch an diesem Schaupult?
({2})
- Nein, das ist ganz was anderes. Der Selbstbedienungsladen reizt mich. Was meinen Sie wohl, wie die Menschen draußen ihre Löhne, Gehälter usw. in die Höhe puschen würden, wenn sie selbst darüber verfügen könnten!
Ist Ihnen eigentlich entfallen, daß es einmal in Erwägung gezogen worden ist, jemand anders damit
zu beauftragen, der letztlich über unsere Diäten entscheidet?
({3})
- Hören Sie doch mit Ihrem Verfassungsgericht auf! Denken Sie doch mal an die Moral! Ihre Moral ist so mißbraucht - das sage ich auch ({4}) hierhin -, daß der Herr Präsident dieses Hauses es wagt, zum Vergleich sogar Sozialhilfeempfänger anzuführen, weil auch bei denen
({5})
- lesen Sie es doch bitte nach -, aber nicht bei allen in der Bundesrepublik, sondern vermutlich in Nordrhein-Westfalen, die Sozialhilfe um 3 % erhöht wird. Ja, wo leben wir denn eigentlich? Wissen Sie überhaupt, was Sozialhilfe ist? 390 Mark!
Wir GRÜNEN lehnen das natürlich ab. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil wir längst schon mindestens 5 000 DM im Monat für soziale Projekte in der Bundesrepublik Deutschland abführen.
({6})
Deshalb empfehle ich Ihnen einmal, Volksvertreter und Volksvertreterinnen, ich stelle mich gerne als Verwaltungschefin zur Verfügung: Geben sie mal 5 000 DM jeden Monat her, und dann schaffen wir da mal alternative Arbeitsplätze! Sie haben ja wohl auch schon etwas von Massenarbeitslosigkeit gehört. Dann machen wir einmal mit dem Geld, mit dem wir selbst verfügend erhöhend wirken etwas Soziales, was Selbstverwaltetes und was Selbstorganisiertes. Dann könnten Sie nämlich heute nacht ruhig schlafen. So aber wünsche ich Ihnen eine sehr unangenehme Nacht.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Morgen, Frau Unruh!
({0})
Zunächst eine Vorbemerkung. Ich verhehle überhaupt nicht, daß ich persönlich - ich glaube, das gilt für viele unserer Kollegen - der jährlichen Diskussion um die Änderung des Abgeordnetengesetzes mit einem gewissen Unbehagen entgegensehe; dieses nicht aus inhaltlichen, sondern aus prozeduralen Gründen. Ich persönlich wünschte mir, daß wir eine Alternative dazu hätten, selbst über unsere finanzielle Ausstattung entscheiden zu müssen, nicht nur Anwalt in eigener Sache zu sein, sondern auch Richter sein zu müssen.
Nun, die Rechtslage, bestimmt durch das Bundesverfassungsgericht, ist eindeutig. Wir haben uns mit dem Bericht des Herrn Präsidenten gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes auseinanderzusetzen.
Über die Frage, was angemessen ist, meine Damen und Herren, meine lieben Kollegen, gibt es natürlich sehr unterschiedliche, notwendigerweise individuell subjektive Urteile. Die persönlichen Lebensumstände der Abgeordneten passen nun mal nicht in ein genormtes Raster.
Die Kriterien, die uns das Bundesverfassungsgericht hier vorgegeben hat, sind deshalb 'nach wie vor eine wesentliche Entscheidungshilfe. Zum einen die Belastung durch das Amt, zum zweiten die Verantwortung, die mit dem Mandat verbunden ist, und drittens schließlich die Position der Abgeordneten im Verfassungsgefüge.
Die Diätendiskussion würde für uns leichter zu führen sein, wenn wir mit mehr Selbstbewußtsein darauf bestünden, daß Abgeordnete, die ihr Mandat und die damit verbundenen Aufgaben pflichtbewußt ausüben, ein Anrecht darauf haben, daß ihre finanzielle Ausstattung auch in der Öffentlichkeit an diesen drei Kriterien objektiv gemessen wird.
Nach dem Bericht gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes kommt der Präsident des Deutschen Bundestages zu der Feststellung, daß sich der in den Jahren 1977 bis 1983 entstandene Abstand zwischen der Abgeordnetenentschädigung und der allgemeinen Einkommensentwicklung auch unter Berücksichtigung der erfolgten Anpassungen in den Jahren 1983 bis 1986 nicht wesentlich verändert hat.
Der Vorschlag des Präsidenten, die Entschädigung um 3,25 % und die Kostenpauschale um 1,5 % zu erhöhen, ist angesichts der Anhebungen im öffentlichen Bereich, im Tarifbereich und im Rentenbereich maßvoll und angemessen.
In den vergangenen Jahren, meine lieben Kollegen.
({1})
- Frau Unruh, ich komme jetzt zu Ihnen -, hatte mein Kollege Wolfgramm an dieser Stelle Veranlassung, sich mit dem Verhalten der Fraktion der GRÜNEN auseinanderzusetzen, das mit dem Beispiel „von Wasser predigen und Wein trinken" nur sehr schmeichelhaft beschrieben wurde. Dies könnte man natürlich getrost, wie üblich, unter dem Stichwort doppelte Moral zu dem übrigen legen, wäre in der Öffentlichkeit nicht gern der Eindruck verbreitet worden, daß es Abgeordnete mit besonders hoch entwickelter Moral bei gleichzeitig unterentwickelten finanziellen Bedürfnissen gebe. Die Beispiele dafür, wie kommod es sich im Schatten dieses hehren Anspruches leben läßt, meine lieben Damen und Herren von den GRÜNEN, sind zahlreich; ich muß sie hier nicht wiederholen.
({2})
- Liebe Frau Unruh, jetzt hören Sie bitte mal zu und machen Sie Ihrem Namen nicht so viel Ehre.
({3})
- Hören Sie einmal zu!
Die Fraktion der GRÜNEN im baden-württembergischen Landtag hat offensichtlich endlich von dieser Fiktion Abschied genommen und anerkannt, daß frei
gewählte Abgeordnete um ihrer persönlichen Unabhängigkeit willen einen Anspruch darauf haben,
({4})
finanziell angemessen ausgestattet zu werden. Ihre Kollegen im baden-württembergischen Landtag haben nämlich
({5})
an der Planung und am Entwurf zur Erhöhung der Diäten der Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag Anteil genommen und werden diesem Antrag zustimmen.
({6})
Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich dieser vernünftigen Entwicklung anzuschließen.
Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung endgültig verabschieden werden.
Ich bedanke mich.
({7})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Traupe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es ein Zeichen von Emanzipation, daß zu einem solchen Thema heute erstmals vier Frauen reden. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen dafür, daß Männer sich um dieses Thema ein bißchen drücken.
({0})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU, die SPD und die FDP haben in der Tat am 1. Juni 1987 den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vorgelegt, nachdem der Präsident - wie es rechtlich seine Aufgabe ist, Frau Unruh - seinen Bericht nach § 30 des Abgeordnetengesetzes vorgelegt hatte.
Ich bedaure an sich, Frau Kollegin Unruh, daß Sie nach so kurzer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag Ihr Urteil perfekt haben und uns als Selbstbedienungsladen bezeichnen.
({1})
Zu dieser Frage möchte ich Ihnen ganz klar das sagen, was auch Frau Roitzsch erklärt hat: Ich gehöre seit 1976 dem Deutschen Bundestag an und behaupte von mir, daß meine Bürger in all den Jahren akzeptiert haben, daß ihre arbeitende Wahlkreisabgeordnete dafür auch ein anständiges Salär bekommt. Im Gegenteil, sie haben in vielen Jahren festgestellt, daß dieses Salär eigentlich nicht mehr angemessen ist, weil sie sehen, daß heute die Bürgermeister, die Oberkreisdirektoren, die Ministerialbeamten
({2})
und vergleichbare Beschäftigte in der Wirtschaft erheblich höhere Bezüge erhalten als die Mitglieder des Bundestages.
Die Frau Kollegin Seiler-Albring und ich, aber auch die Frau Kollegin Roitzsch im Verteidigungsausschuß - wir anderen im Haushaltsausschuß - prüfen über viele Jahre verantwortlich, in vielen Sitzungen - das wird der Kollege Kleinert bestätigen können - und sehr intensiv die Ausgaben des Bundes und stellen dabei immer wieder fest, daß allein im Verteidigungsbereich, Frau Kollegin Seiler, mehr als 1 000 Ministerialbeamte und Generäle mehr verdienen als ein deutscher Bundestagsabgeordneter. Ich halte dies von ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung her für angemessen, aber ich meine, wenn wir unter den Abgeordneten Kompetenz erreichen und erhalten wollen, müssen wir den Vergleich mit ähnlich verantwortlichen qualifizierten Berufen im Auge behalten.
({3})
Meine Damen und Herren, da wir einen Blick auch darauf werfen müssen, wie inzwischen die Landtagsabgeordneten ausgestattet sind, wage ich die Frage zu stellen, wie wir im Vergleich zu jenen Kolleginnen und Kollegen dastehen, die in der Regel die Chance haben, nicht - wie wir - mehrere Wochen und Monate im Jahr außerhalb ihres Wahlkreises leben zu müssen.
({4})
- Richtig, es wird zunehmend mehr, wenn man es
ernst nimmt, Frau Kollegin Fuchs. Die baden-württembergischen Abgeordneten haben gerade auf
5 485 DM erhöht, die Berliner auf 4 300 DM, die Hessen auf 5 950 DM - übrigens auch mit den Stimmen
der GRÜNEN - , die Nordrhein-Westfalen auf
6 300 DM, die Saarländer auf 5 350 DM und die Schleswig-Holsteiner auf 5 400 DM für 1987. Wenn wir ehrlich sind, Frau Kollegin Unruh - und ich denke, wir werden am Ende der Legislaturperiode offener darüber reden können - , haben die meisten von uns Abgeordneten, wenn sie ihre Verpflichtungen wahrnehmen, eine mehr als 14stündige Arbeitszeit und müssen im Gegensatz zu anderen in ihrem Bundestagswahlkreis die Wochenenden bestreiten und den Bürgern zur Verfügung stehen.
Ich kann Ihnen sagen: Nach zehnjähriger Tätigkeit habe ich erfahren, daß meine Wähler akzeptieren, daß eine Abgeordnete, die ihre Arbeit leistet, auch dies Geld dafür bekommt.
Ich möchte deshalb für die SPD-Fraktion beantragen, daß wir diesem Gesetz auch alle unsere Zustimmung geben.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf.
17. a) Beratung des Zwischenberichts der Enquete-Kommission
„Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. März 1985 - Drucksachen 10/2937, 10/3022
- Drucksache 10/6801 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
17. b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung
- Drucksache 11/220 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({1})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zusatztagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Maaß, Carstensen ({2}), Dr. Kunz ({3}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP
Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung
- Drucksache 11/403 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({4}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
1'7. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Vosen, Heyenn, Frau Bulmahn, Catenhusen, Fischer ({5}), Frau Ganseforth, Grunenberg, Lohmann ({6}), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Andres, Dreßler, Egert, Haack ({7}), Kirschner, Peter ({8}), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Frau Weiler, von der Wiesche, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung
- Drucksache 11/311 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({9}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnet Wetzel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich vor vier Monaten meine Arbeit als neuer Abgeordneter des Deutschen Bundestages aufgenommen habe, war eine der erfreulichsten Feststellungen für mich, daß es hinsichtlich der Notwendigkeit von Technikfolgenabschätzung und -bewertung eine klar und präzis formulierte Übereinkunft aller Parteien gab. Ich meine damit die im Frühjahr 1985 von allen Fraktionen unterzeichnete Beschlußempfehlung, die zur Einsetzung der Enquete-Kommission in der vergangenen Legislaturperiode geführt hat.
Das Kernstück dieser Empfehlung bildete die Aussage, daß das Parlament derzeit über keine hinreichenden Möglichkeiten verfügt, sich - ich zitiere - „umfassend, rechtzeitig und unabhängig über technologische Entwicklungen und ihre möglichen Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Lebensbedingungen der Bürger zu unterrichten und zu beraten" .
Die Empfehlung kommt zu dem Schluß - ich zitiere noch einmal - :
Die Veränderungen und raschen Entwicklungen in Wissenschaft, Forschung und Technik sind in ihren Folgen so weitreichend und tiefgreifend, daß eine Verbesserung der parlamentarischen Beratung in diesem Bereich immer dringlicher geworden ist.
Wenn ich mir heute vor dem Hintergrund dieser - wie gesagt - interfraktionell herbeigeführten Übereinkunft den Antrag der Regierungskoalition ansehe, dann kann ich nur sagen: Das ist ein Rückfall hinter alle Einsichten, zu denen sich Ihre Parteien vor zwei Jahren schon einmal durchgerungen hatten.
({0})
Sicherlich, auch die Regierungskoalition will eine Enquete-Kommission; das ist überhaupt nicht bestritten. Die Aufgaben, die sie dieser Kommission zuweist, sind durchaus vernünftig; auch das bestreite ich nicht.
({1})
In ihrem Antrag meint sie ja, daß diese Kommission - ich zitiere - „insbesondere Auswirkungen technischer Entwicklungen auf Struktur und Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaft unter Berücksichtigung der Folgen für die natürliche Umwelt, der Beschäftigung, der Arbeitsplätze und der Arbeitswelt zu beraten habe". Das alles - wie gesagt - könnten
wir unterschreiben, bliebe es nicht reine Rhetorik, denn - jetzt kommt der Pferdefuß - dieser von Ihnen selber formulierte umfassende Anspruch soll erstens faktisch innerhalb von nur neun Monaten eingelöst werden. Zweitens soll all dies geschehen mit einer gegenüber der bisherigen Kommission verringerten Zahl von Abgeordneten und Sachverständigen.
Was Sie uns hier also anbieten, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, ist eine Schrumpfkommission mit einem zeitlich dermaßen beschränkten Arbeitsauftrag, daß wir auch gleich ganz auf sie verzichten könnten. Im ersten Teil Ihres Antrags liefern Sie eine gute Begründung für einen vernünftigen Handlungsauftrag, den Sie dann im zweiten Teil höchst drittklassig zu Grabe tragen.
Was hat sich eigentlich - so frage ich - in diesen zwei Jahren seit unserer interfraktionellen Übereinkunft so sehr verändert, daß es Ihren Meinungsumschwung erklären könnte? Sind die Probleme, die wir mit der Beherrschbarkeit der Folgen unüberlegter Technikentwicklung haben, in diesen beiden Jahren etwa geringer geworden? Doch sicherlich nicht. Gerade das Jahr 1986 war ja nun wirklich ein Jahr
- ich habe solche Ausdrücke nicht gerne, aber - technischer Katastrophen, angefangen vom Challenger-Unglück über Bophal, Tschernobyl bis hin zu den Rhein-Unglücken.
Niemals zuvor ist so deutlich geworden, daß unsere Lebensverhältnisse durch nichts so weitreichend und oft unwiderruflich verändert werden wie durch die technische Entwicklung. Diese Entwicklung nach Maßgabe der Ansprüche, die wir an eine demokratische Gesellschaft stellen, beherrschbar zu machen
- darauf muß auch und gerade das Parlament eine Antwort finden. Die Regierungsparteien weigern sich
- das zeigt ihr Antrag - , diese Herausforderung ernst zu nehmen und sich ihr wirklich zu stellen.
({2})
- Selbst die Übertreibung wäre gemessen an dem, was notwendig ist, immer noch keine sehr harte Feststellung.
Heute morgen hat der Herr Außenminister ausdrücklich auf das Prinzip Verantwortung des auch von mir geschätzten Hans Jonas hingewiesen. Dieser Verantwortung werden Sie nicht gerecht, wenn Sie die einfachsten, allgemein bekannten Sachverhalte weiter ignorieren. Dazu gehört, daß in der Bundesrepublik jährlich fast 50 Milliarden DM für Forschung und Technologie ausgegeben werden
({3})
- in diesem Jahr 53 Milliarden DM - , und zwar ohne nennenswerte Einflußnahme der Parlamente. Selbst die materiellen Entscheidungen, die mit der Zustimmung zu derartigen Haushaltstiteln verbunden sind
- im Augenblick sind es jährlich 13 Milliarden DM, die wir hier absegnen - , können wir kaum überprüfen. Wir segnen nur einen Haushaltstitel ab. Die sozialen, ökologischen etc. Konsequenzen dessen, was dann geschehen wird, wenn sich diese Mittel in Technologien umsetzen, können wir praktisch nicht mehr prüfen.
Ich denke, da besteht ein hoher Beratungsbedarf, der uns dazu nötigt, Ausschau zu halten nach entsprechenden geeigneten Einrichtungen, damit wir Abgeordnete nicht länger in der Situation verbleiben, über Dinge entscheiden zu müssen, deren Wirkungen wir nicht überprüfen können.
Den augenblicklichen Entwicklungen, die eine schleichende Gefahr nicht nur für Umwelt, nicht nur für die Lebensverhältnisse der Menschen im einzelnen, sondern auch für unsere Demokratie darstellen, muß entgegengewirkt werden. Technik muß demokratisch gestaltet und kontrolliert werden.
({4})
- Aber, Herr Kollege, wer entscheidet bitte schön darüber, was vernünftig ist? Machen Sie sich doch von diesem objektivistischen Vernunftbegriff los und seien Sie nicht länger der Meinung, eine bestimmte, erlesene Crew von Sachverständigen und Regierungsbeamten könne entscheiden, was Vernunft sei.
({5})
Lassen Sie den demokratischen Prozeß Eingang finden in solche Entscheidungen durch Betroffene, durch Sachverständige. Dann kommen wir auch zu vernünftigeren Ergebnissen.
({6})
- Jetzt ist allgemeines Nicken auf der Rechten. Wie kommen Sie dann dazu - wenn ich um Auskunft bitten dürfte - , in Ihrem Antrag zur Wiedereinsetzung einer Enquete-Kommission zu fordern, daß sie ihren umfassenden Auftrag binnen neun Monaten zu erledigen haben?
({7})
- Einen Moment. Ihre Begründung habe ich ja einer CDU/CSU-Presseerklärung vor drei Wochen entnehmen können. Wissen Sie, was da gesagt worden ist? Ihr entscheidendes Argument für die Befristung lief darauf hinaus: Anders könnten die wissenschaftlichen Sachverständigen nicht zum Arbeiten angehalten werden. Wenn eine dauerhafte Einrichtung geschaffen werde, säßen darin nur Faulenzer. Das war Ihre Begründung. Was hat das denn mit der Problematik, um die es hier im Kern geht, zu tun, wenn Sie so argumentieren? Ich empfinde Ihr Nicken als etwas unredlich; das ist mein Eindruck. Sie haben ja nachher die Möglichkeit, hier ausgiebiger auf meine Argumente einzugehen.
Daß alle diese vorgeschobenen Begründungen
- rundheraus gesagt - nichts taugen, wissen wir aus den Erfahrungen fortgeschrittener Industrieländer
- ich denke an die Niederlande, Schweden, Japan, USA, um diese Länder einmal als Beispiel anzuführen - , die dauerhaft institutionalisierte BeratungsWetzel
einrichtungen für Technikfolgenabschätzung und -bewertung in ihren Parlamenten haben.
({8})
- Ich sprach bisher nicht von Bürokratie, ich sprach über das, was vernünftig sei, davon, daß Vernunft nicht auf Grund der einsamen, singulären Entscheidung interessierter Sachverständiger und von Beamtenpersonal erzeugt werden kann. Aber das hat mit dauerhafter Institutionalisierung - ({9})
- Meine Herren, ich lasse mich gerne auf die Debatte ein, selbst, Frau Präsidentin -
Nein, das geht leider nicht. Ihre zehn Minuten sind gleich um, Herr Kollege. Wenn Sie bitte zum Schluß kommen würden.
Gestatten Sie mir, daß ich die Debatte abbreche.
Ich möchte noch etwas sagen, was ich eh' ganz an den Schluß meiner Rede gesetzt hätte. Ich glaube, daß wir einmal Abschied von der Vorstellung vom Status und von der Funktionsweise von Abgeordneten nehmen müssen, wie sie in den Anfängen unserer bürgerlichen Demokratie entwickelt wurde. In jenen Zeiten war die im praktischen Alltagsleben erworbene Lebensklugheit und Lebenserfahrung durchaus hinreichend, um ein parlamentarisches Mandat ausüben zu können. Solches Wissen allein reicht heute nicht mehr aus. Wir müssen uns - auch als Abgeordnete - in Lernprozesse begeben, und wir dürfen uns dafür nicht zu schade sein. Wir haben das Privileg, uns entsprechende Möglichkeiten zu schaffen.
({0})
- Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz.
Wenn ein Herr von Münch - Herr von Münch von der FDP aus Hamburg - , den ich abschließend zitieren will, in Fragen Atomenergie erklärt: „Ich habe überhaupt nichts gegen Kernkraftwerke; ich hoffe, ich glaube sie sind sicher, das ist mein Gefühl. ", dann erschrecke ich bei einem solchen Selbstverständnis eines Politikers in einer modernen Industriegesellschaft. Damit muß es ein Ende haben.
({1})
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Lenzer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wetzel, zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich für den sachlichen Ton bedanken, mit dem Sie diese Debatte hier eingeleitet haben. Wir werden bei den Ausschußberatungen sicherlich noch viel Zeit haben, über die verschiedenen Anträge und über die Unterschiede mit uns ins Reine zu kommen und darüber zu diskutieren. Sie können ganz sicher sein, daß wir das mit dem nötigen Ernst, aber auch mit der nötigen Sachkompetenz machen werden, denn es ist ja nicht das erste Mal, daß sich dieses Haus mit der Thematik Politikberatung und Technikfolgenabschätzung, Bewertung des technischen Fortschritts, Chancen und Risiken des technischen Fortschritts beschäftigt.
({0})
Sie wissen ja auch, daß dies nicht die erste Enquete-Kommission ist, die technikbezogen eine Thematik bearbeitet.
Ich möchte auch nicht versäumen, in diesem Zusammenhang für die Arbeit zu danken, die zu diesem Thema von der Enquete-Kommission in der letzten Legislaturperiode geleistet worden ist, und ich möchte stellvertretend für andere unserem ehemaligen Kollegen und Freund, Dr. Josef Bugl, als dem Vorsitzenden dieser Kommission Anerkennung und Respekt für diese Arbeit aussprechen.
({1})
Wenn ich die einzelnen Anträge zunächst einmal vergleiche, dann können wir, glaube ich, feststellen, daß allen der Wille gemeinsam ist, die Arbeit, die diese Enquete-Kommission geleistet hat, in bezug auf einzelne konkrete Themen erst einmal zu einem Abschluß zu bringen. Ich glaube, dafür werden, wenn ich jetzt einmal die Sommerpause mit der entsprechenden Verzögerung abziehe, noch 9 Monate übrigbleiben. Lassen Sie mich scherzhaft einwerfen: Nach 9 Monaten hat schon manches das Licht der Welt erblickt, was Hand und Fuß hatte.
({2})
- Herr Roth, Sie wollen doch nicht die Leute ärgern.
Nun ein zweites. In einigen dieser Anträge, z. B. in Ihrem Antrag oder auch in dem SPD-Antrag, wird darauf hingewiesen, daß über ein zusätzliches Thema als Untersuchungsgegenstand gearbeitet werden soll. Darüber läßt sich reden. Wir werden uns sicherlich verständigen können, welches Thema das sein kann. Es gibt Themen genug. Sie sehen ja, daß wir im Moment dabei sind, fünf Enquete-Kommissionen einzusetzen. Dazu sage ich gleich noch etwas in einem anderen Zusammenhang.
Ein drittes möchte ich bei einem Vergleich der einzelnen Anträge ganz kurz beleuchten. Auch von der neuen Enquete-Kommission soll die Institutionendiskussion weitergeführt werden. Es gibt zur Institutionalisierung an Beratungskapazität einen Bericht. Ich bin bei allem Respekt vor der Arbeit dieser Enquete-Kommission nicht der Auffassung, daß das das letzte Wort ist und sein kann, was bisher als Dokument vorliegt. Ich weiß, daß es zumindest in meiner eigenen Fraktion, auch in der Fraktion der SPD, wie ich aus Gesprächen mit Kollegen weiß, und in der Fraktion der FDP durchaus keine einheitliche Meinung in dieser Angelegenheit gibt.
Schließlich der vierte Punkt, der in unserem Antrag steht, abweichend von Ihrem Antrag. Wir wollten uns bemühen, die Zahl der Mitglieder dieser Kommissionen etwas zu verringern, weil wir es für unvertretbar halten, daß die Damen und Herren dieses Hauses von einem Gremium in das andere gescheucht werden und schon nicht mehr genau wissen, wie sie die Präsenz noch sichern sollen, geschweige denn die ganzen umfangreichen Akten lesen sollen.
({3})
Ich stimme Ihnen zu: Sie haben mit Recht darauf verwiesen, daß seit geraumer Zeit darüber diskutiert wird. Ich kann das wirklich beurteilen; glauben Sie mir das; das soll überhaupt nicht überheblich klingen. Ich habe am 8. Mai 1973 zum erstenmal drüben am Rednerpult gestanden und über dieses Thema, über einen solchen Antrag, den wir damals eingebracht hatten, geredet.
In der letzten Zeit haben tatsächlich die naturwissenschaftlich-technischen Probleme, die hier zur Diskussion anstehen, drastisch zugenommen. Wir sind uns der Tatsache bewußt - da gibt es überhaupt keinen Dissens - , daß das Parlament nicht die nötige Sachkompetenz hat, um diese teilweise schwierigen Entscheidungen zu treffen. Aber - das unterscheidet uns vielleicht von manchen anderen externen Gremien - wir kommen um eine Entscheidung nicht herum. Sie wird uns abverlangt. Das einzige, was wir tun können - zu dieser Verantwortung bekenne ich mich ganz klar, auch für meine gesamte Fraktion - : Wir wollen versuchen, diese Entscheidungen so sachlich begründet und so kompetent, wie wir das überhaupt können, zu fällen. Das wollen wir erreichen, indem wir uns dort Rat holen, wo er zur Verfügung gestellt werden kann: bei der Wissenschaft, bei der Wirtschaft, durchaus auch beim BMFT mit seinem Apparat, bei den Großforschungseinrichtungen oder bei anderen Institutionen. Ich sage auch bewußt „bei der Wirtschaft" , obwohl ich weiß, daß wir in diesem Zusammenhang immer wieder auch auf Interessenkonflikte stoßen werden. Das ist nichts Illegitimes. Wichtig ist nur, daß man weiß, welcher Vertreter, welcher Experte wo steht, wofür er spricht und was seine Position ist.
({4})
- Warum nicht! Selbstverständlich! Sie sind doch ein entscheidender Faktor in unserem gesellschaftlichen Leben und in unserer Diskussion. Aber, verehrter Herr Kollege, Sie dürfen ihnen kein allgemeines politisches Mandat zubilligen. Das bestreite ich dann allerdings ganz energisch.
({5})
- Das hat niemand außer denen, die hier sitzen, auch Sie, weil wir alle hier in freien, geheimen usw. - Sie wissen das - Wahlen gewählt worden sind und uns dafür auch vor der Bürgerschaft rechtfertigen müssen.
Nun, was verlangen wir von einem solchen Gremium, von einer solchen Institution? Wir verlangen Politikberatung. Wir streiten uns nicht um das Ziel. Deswegen will ich das nicht wiederholen, was Sie hier gesagt haben. Ich unterschreibe das. Wir stimmen dem zu. Aber wir streiten uns - das ist jedoch normal in einer parlamentarischen Auseinandersetzung - um die Instrumente, um den Weg, der dahin führt. Was wir brauchen, ist Politikberatung, ist die Formulierung von Entscheidungsalternativen, sind die Optionen, von denen man heute immer spricht. Aber die Entscheidung muß bei uns bleiben.
({6})
Wir sind dazu da, diese Entscheidung zu fällen. Sie kann uns niemand abnehmen.
({7})
Wir sind aber auch dann gerne bereit - das ist unsere Verpflichtung -, gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber dem Bürger für das geradezustehen, was wir hier entschieden haben.
Ich sage auch ein anderes. Vor einiger Zeit bei einer Diskussion mit einem Ihrer Kollegen - er war dabei - habe ich das auch zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, ich bin sogar fest davon überzeugt, daß wir niemals durch noch so viele Diskussionen und noch so viele Enquete-Kommissionen an einen Punkt kommen können, wo wir an irgendeiner Technik - ich gebe das Beispiel Kernenergie; darüber haben wir eben ein paar Stunden diskutiert ({8})
zu einem Konsens kommen. Das muß streitig durchgefochten werden. Der Bürger muß wissen, woran er ist, und dann muß er danach seine Entscheidung fallen.
({9})
Nun, warum hat es bisher kein Ergebnis gegeben? Es hat bisher deswegen kein Ergebnis gegeben, weil man sich in dieser Institutionen-Frage nicht einigen konnte. Das muß man einmal ganz deutlich sagen.
({10})
- Doch, das ist richtig. ({11})
Lassen Sie mich deswegen jetzt einmal - wir haben ja später noch viel Zeit, uns im Ausschuß damit auseinanderzusetzen - einige Kriterien formulieren, die an eine solche Einrichtung zu stellen wären.
Nach meinem Dafürhalten muß sie sich zunächst einmal durch ein Minimum an Bürokratie auszeichnen.
({12})
Von Anfang an ist uns nämlich im Zusammenhang mit dem amerikanischen Office of Technology Assessment immer wieder der Vorwurf der Bürokratie mit der Gefahr der Verselbständigung gemacht worden.
Das ist ein Vorwurf, den man nicht so mit leichter Hand wegwischen kann; der besteht nach wie vor.
({13})
Ein weiterer Punkt ist, an eine solche Institution den Anspruch zu stellen, daß sie zu den Themen, die uns parlamentsbezogen interessieren, externen Sachverstand pragmatisch und ad hoc mobilisiert und Fragen stellt, die die Experten beantworten sollen.
Ein anderer Punkt ist - ich glaube, das kann man gar nicht oft genug betonen - : Der Primat der Politik muß gewahrt bleiben. Die Entscheidung, die letzte Entscheidung darf nicht in ein Gremium verlagert werden, das eine Art Mixtum compositum aus Politikern und Experten ist, sondern die Entscheidung muß hier im Parlament bleiben, dort, wo sie hingehört.
({14})
- Wenn das unbestritten ist, habe ich die gute Hoffnung, daß wir uns einigen werden. Ich nehme das mit Freuden zur Kenntnis. Meine Damen und Herren, in dem Zusammenhang zum Schluß noch ein ganz konkreter Hinweis. Nach mir spricht sicherlich der Vertreter der SPD-Fraktion. Ich weiß zwar nicht genau, wer es sein wird,
({15})
aber wenn ich es richtig einschätze, der Kollege Catenhusen.
({16})
- Auch wenn Sie es nicht sind, Herr Kollege Catenhusen, wende ich mich dennoch an Sie. Sie waren Vorsitzender der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie". Sie selbst haben in dem Abschnitt F Ihres Berichts - ich bitte Sie, das alles einmal in Ruhe nachzulesen - eine Fülle von konkreten Empfehlungen zur Arbeit technologieorientierter Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages gegeben. Ich halte das, was dort geschrieben ist, für sehr vernünftig und sehr verdienstvoll. Ich brauche das jetzt nicht zu zitieren.
({17})
- Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich bei dieser kurzen Redezeit keine Zwischenfrage zulasse.
({18})
Meine Redezeit ist gleich auch abgelaufen. Hier vorne blinkt bereits das rote Licht auf. - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, daß wir uns nach der Überweisung in den zuständigen Ausschüssen in aller Ruhe und Sachlichkeit zusammensetzen und beraten.
({19})
Ich bin sicher, daß dann etwas Vernünftiges herauskommt. Das ist dann nicht etwas, was es allen recht macht - davon gehe ich gar nicht aus, das ist gar nicht unser Ziel -, das einen falschen Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner herstellt - das wäre
auch nicht gut - , sondern es ist etwas, was schließlich zu einer Lösung führt, bezüglich deren jeder nach seinem politischen Standort und seiner politischen Verantwortung als Abgeordneter eine Entscheidung treffen kann.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lenzer, Sie haben die richtige Feststellung getroffen,
({0})
daß sich der Deutsche Bundestag mit der Frage der Technologiefolgenabschätzung nicht zum erstenmal beschäftigt. Und es ist auch nicht Ihre erste Rede hier zu diesem Thema gewesen. Ich muß allerdings sagen: Es war die Rede mit dem geringsten Engagement, mit einem Null-Engagement,
({1})
wenn ich es mit dem vergleiche, was Sie in früheren Ausführungen gesagt haben.
({2})
Ich habe mir Ihre Rede aus Anlaß dieser Debatte noch einmal zu Gemüte geführt,
({3})
und ich werde dann auch aus einer Rede von Ihnen zitieren.
Für mich ist es das dritte Mal, daß ich zu diesem Thema hier Stellung nehme. Leider kann ich nicht sagen - in dem Fall jedenfalls - , daß aller guten Dinge drei sind. Das liegt nicht an mir als Redner,
({4})
sondern das liegt an den Umständen, und es liegt vor allen Dingen an dem Antrag, den Sie vorgelegt haben.
({5})
Ich habe das dunkle Gefühl, Herr Carstensen, daß wir heute, begleitet von den besten Wünschen für die Gesundheit, eine Leiche beerdigen. Mit der Leiche meine ich die Institutionalisierung, nicht, daß wir hier nicht zu einer Enquete-Kommission kommen, selbstverständlich. Dazu sage ich noch etwas. Das Wort „Institutionalisierung" taucht aber in Ihrem Antrag überhaupt nicht mehr auf.
Wir haben vor zweieinhalb Jahren eine Enquete-Kommission eingesetzt. Wir waren uns damals einig, wie wichtig es ist, den Bundestag in die Lage zu versetzen, Chancen und Risiken neuer Technologien früher zu erkennen, um darauf reagieren zu können.
Die CDU/CSU hat damals sogar mit den GRÜNEN gemeinsam einen Antrag eingebracht. So aktionistisch, so euphorisch waren Sie damals.
Wenn man sich die vollmundigen Reden von damals vergegenwärtigt und sich Ihren Antrag von heute anschaut, dann muß man dem Kollegen Wetzel zustimmen, daß das wirklich eine windige Angelegenheit ist.
({6})
- Das ist eine Kümmerform. Sie führen da aus:
Die Enquete-Kommission hat die Aufgabe, den Informations- und Wissenstand des Deutschen Bundestages über wesentliche technische Entwicklungslinien zu verbessern, für die in Zukunft ein politischer Entscheidungs- und Beratungsbedarf besteht.
Verwaschener kann man es wirklich nicht ausdrükken.
({7})
Dann geben Sie dieser Enquete-Kommission einen Zeitraum für die Arbeit bis Ende 1988. Wenn man davon ausgeht, daß diese Enquete-Kommission erst im Herbst zur Arbeit kommt,
({8})
dann bleibt ein halbes Jahr für die Arbeit.
Das Ganze ist eine Beerdigung, und zwar - so sehe ich es jedenfalls - ein Armenbegräbnis. Die Mängel dieses Antrags sind einfach offensichtlich, und dies, obwohl wir seit der Zeit der Einsetzung der ersten Enquete-Kommission eine ganze Reihe von Folgewirkungen von Technologie erlebt haben - darauf ist schon hingewiesen worden - : Tschernobyl, Luft-, Wasser-, Bodenverunreinigung von existentiellem Ausmaß, Klimakatastrophe, aber auch die Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Lebens- und vor allen Dingen auf die Arbeitswelt der Bürger.
Walter Wallmann, als er noch Umweltminister war, hat anläßlich der Rheinkatastrophe gesagt:
Es ist leider so, daß man erst durch Unglücke besonders sensibel wird.
Langfristige Vorausschau und Vorbeugung sei, so Wallmann, statt dessen vonnöten. Die Sensibilität ist Ihnen jedenfalls offensichtlich abhanden gekommen. Dieser Antrag hat nicht einmal das Format eines Feigenblatts.
Nun verstehen wir Sozialdemokraten ein Technologieprognoseinstrument nicht als eine Technikbehinderungs- und -verhinderungseinrichtung, sondern wir nehmen es auch als eine Chance, neue Technikentwicklungen frühzeitig aufzugreifen, z. B. Membrantechnik, Supraleittechnik oder Solarwasserstoff-technologie, frühzeitig Förderungsmaßnahmen für solche Technologien anzuregen. Auch das wäre eine Aufgabe, die ein Institut zur Technologiefolgenabschätzung wahrnehmen könnte. Ohne moderne Technologien kann unsere Volkswirtschaft nicht existieren. Deshalb geht es hier, wie gesagt, nicht darum, ein Technikverhinderungsinstrument zu schaffen. Die Folgewirkungen aber, auch die negativen, müssen natürlich auch vom Parlament rechtzeitig gesehen werden.
({9}) - Frühwarnsystem, völlig richtig. Das war einmal auch Ihre Auffassung, meine Herren von der Union.
Ich darf vielleicht den jetzigen Bundesforschungsminister zitieren. Der hat 1977 gesagt: Alle Fraktionen und die Bundesregierung waren sich darüber einig, daß die entscheidende Frage der kommenden Jahrzehnte sein wird, ob wir imstande sind, aus politischem Willen die Entwicklung der Technologie zu beherrschen und damit die Zukunft zu gestalten, oder ob wir vor angeblich unvermeidlichen Eigengesetzlichkeiten der Technik kapitulieren. Das Parlament und sein Ausschuß für Forschung und Technologie sind dem Herrschaftswissen der Exekutive nahezu waffenlos ausgeliefert.
({10})
Das war eine Position!
Ich zitierte weiter Riesenhuber: Die Kontrolle der Regierung findet hier im wesentlichen nicht statt. Das bedeutet zugleich, daß das Parlament nicht aus eigener Erkenntnis imstande ist, Position zu beziehen. Wir haben die Aufgabe, Politik aus der technisch geprägten Welt in die Heimstatt zurückzuholen, die ihr nach unserer Verfassung gegeben ist. Der Minister äußert sich seit geraumer Zeit im Parlament nicht mehr zum Thema Technologiefolgenabschätzung.
({11})
- Wieso kann er das nicht?
({12})
Das kann er sehr wohl. Er hat dies hier einmal vehement befördert, als er noch einfacher Abgeordneter war, und ich würde von ihm erwarten, daß er dazu heute noch steht.
({13})
Sie Herr Lenzer, haben vor zwei Jahren - nicht hier, sondern im alten Haus - ausgeführt: Wer könnte schon als einzelner Abgeordneter, selbst als Fraktion mit einem minimalen Stab gegen den geballten Sachverstand der Ministerien, gegen die Hundertschaften von Experten antreten usw.? Ich will nicht zuviel zitieren; ich könnte mit den Zitaten fortfahren. Jedenfalls ist von diesem Engagement, das auf Ihrer Seite einmal vorhanden war, nichts mehr zu spüren. Ich stelle
Ihnen Ihre eigenen Reden gern als Pfingstlektüre zur Verfügung.
({14})
- Die haben Sie selber. Lesen Sie diese Reden noch einmal durch!
({15})
Nun wäre es nicht fair, wenn ich verschweigen wollte, daß es über die Union hinaus weiteren Widerstand hier im Hause gibt. Der Haushaltsausschuß z. B. hat mit einer großen Lässigkeit die zweijährige Arbeit der Enquete-Kommission weggewischt. Das ist schon wirklich souverän, wie er damit umgegangen ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Aber sicher.
Herr Kollege Vahlberg, wenn Sie jetzt aufzählen, wer sonst noch verzögert hat, werden Sie sicherlich auch Ihre Fraktion und die Aktivitäten bzw. Nicht-Aktivitäten Ihrer Fraktion nicht vergessen, zu einer Entscheidung zu kommen.
Das kann ich so nicht sehen. Es gibt eine ganze Reihe von Entscheidungen in der Fraktion, im Vorstand der Fraktion, die eindeutig eine Institutionalisierung von Technologiefolgenabschätzung beim Bundestag will. Deshalb ist von uns und hier von mir persönlich in einer der letzten Sitzungen der alten Legislaturperiode auch angekündigt worden,
({0})
daß wir die Arbeit fortsetzen wollen, daß wir den Antrag in der 11. Legislaturperiode einbringen werden. Da liegen Sie also falsch. Wir stehen nach wie vor zu dem, was wir immer gesagt haben: Wir wollen eine Institutionalisierung beim Deutschen Bundestag.
({1})
Nun haben Sie, Herr Lenzer, auf die Arbeit von Enquete-Kommissionen hingewiesen und haben vor allen Dingen den Kollegen Catenhusen angesprochen. Die sicherlich gelungene Arbeit der EnqueteKommission „Gentechnologie" macht aber auch deutlich, daß dieses Thema vom Bundestag erst behandelt worden ist, nachdem es zehn Jahre lang oder länger ein Thema hätte sein können.
({2})
- Natürlich. Hier dringt doch erst etwas durch die Tagesroutine, wenn es wirklich virulent ist.
({3})
Erst wenn es virulent ist, dringt es hier durch die Tagesroutine. Das ist der Nachteil einer EnqueteKommission, die jeweils aus der Taufe gehoben werden muß, gegenüber einer ständig tagenden Einrichtung, die darauf spezialisiert ist, Technologien rechtzeitig und frühzeitig zu erkennen.
Auch die anderen Argumente, die einer solchen Institution entgegengehalten werden, kann man zerpflücken. Beim Bürokratieargument muß man halt mal springen und sagen: Wenn man will, daß nur Technologieauswirkungen bewertet werden sollen, dann muß man dafür auch Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen bereitstellen, die diese Arbeit ausfüllen sollen.
Lassen Sie mich noch eines sagen - zum Abschluß, weil hier auch schon wieder das rote Licht blinkt -;
({4})
Nicht immer hält das rote Licht . . .
({5})
Ich lasse den zweiten Teil mal weg, Herr Carstensen.
({6})
- ... was es dem Wandersmann verspricht.
({7})
- Genau.
Nein,
({8})
im Sommer letzten Jahres hat der BDI mit einem Brief an Ihren Fraktionsvorsitzenden eine Umkehr bei Ihnen bewirkt. Bitte haben Sie Sensibilität in bezug auf das, was jetzt von der Industrie gesagt wird, etwa von Herrn Kaske, Siemens, oder vom Vorstandsvorsitzer der Firma Daimler Benz, Breitschwerdt. Ich kann ihn hier zitieren. Er sagt:
Der Bundestag braucht eine solche Institution. Das würde der Technikentwicklung nur dienlich sein. Die erste Gewalt muß auch mit einem entsprechenden Sachverstand ausgestattet sein.
({9})
- Bitte, dann folgen Sie dem, und bügeln Sie jetzt nicht eine solche Institution weg, obwohl wir uns zwei Jahre im Ausschuß mit den Argumenten auseinandergesetzt haben.
Herr Lenzer, meine Herren von der Union, .. .
Herr Kollege! Vahlberg ({0}) : wir geben die Hoffnung nicht auf,
Er macht schon zwei Minuten mehr.
... daß Sie wieder ihre alte Linie finden und bereit sind, einer Institutionalisierung der Technologiefolgenabschätzung beim Bundestag das Wort zu reden.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat Herr Professor Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin etwas überrascht und auch betroffen von dem Ablauf der Diskussion, weil man in dieser Runde offenbar dem Glauben anhängt - das hat mich insbesondere bei Ihnen, Herr Wetzel, etwas schockiert -, daß man mit einer Organisation oder Institutionalisierung der Bürokratie, in welcher Form auch immer, das eigentliche Problem, dem wir uns hier zuzuwenden haben, erledigen könnte.
({0})
Ich befasse mich mit diesem Thema in diesem Hohen Hause nun seit 14 Jahren. Ich möchte fast sagen: Es ist wie ein Ritual. Sie können ein dickes Kompendium von Ausführungen von mir zu diesem Thema hier nachlesen.
Ich will aber versuchen, etwas kritisch zu dem Stellung zu nehmen, was die Enquete-Kommission in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt hat. Dazu ist wenig gesagt worden. Es ist auf Anträge verwiesen worden, die aber nicht das Entscheidende sind. Es kommt vielmehr darauf an, wie wir die weitere Arbeit, unsere Aufgabe in diesem Bereich gestalten.
Angesichts der rasanten Entwicklungen und des gewaltigen Erkenntniszugewinns in Naturwissenschaft und Technik und des dadurch initierten raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels kann es für die demokratischen Institutionen keine Frage sein, ob Technikfolgenbewertung und -abschätzung eine politische Notwendigkeit ist. Was wir hier zu diskutieren haben und schon seit langem diskutieren, ist die Frage, wie wir dieser Notwendigkeit entsprechen. Ich möchte zu dieser Frage des Wie doch einige Überlegungen anstellen, auch einige Fragen formulieren.
({1})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schreiner, lassen Sie mich meine Ausführungen machen. Ich habe begrenzte Zeit.
Ich bin der Auffassung, daß der Versuch, diese Frage organisatorisch zu lösen, scheitern muß.
Erstens möchte ich feststellen: Die Frage der Technologiefolgenbewertung muß als ein permanenter Prozeß begriffen werden. Es kann nicht richtig sein, dies durch die einmalige Befassung mit einem konkreten Problem erledigen zu wollen.
Zweitens denke ich, das ganze Unternehmen muß auch als eine Querschnittsaufgabe begriffen werden, in die alle Politikbereiche einbezogen werden müssen. Nun haben hier wieder nur Forschungspolitiker gesprochen. Das kann doch nicht die Lösung des Problems sein. Es kommt doch darauf an, daß wir wirklich alle Politikfelder rechtzeitig sensibilisieren und darauf hinweisen, was denn an Entwicklungen, notwendigen Maßnahmen und Entscheidungsalternativen in anderen Politikbereichen infolge technischer Entwicklungen entstehen kann. Das ist doch das Problem, das wir hier lösen müssen. Es ist nicht ein Problem des F- und T-Ausschusses allein. Das ist der falsche Ansatz.
Was wir machen müssen, ist folgendes: Lassen Sie uns doch den Versuch unternehmen, die ressortorientierte Arbeitsweise des Parlaments zu überwinden. Hier schotten wir uns gegenüber anderen Problembereichen ab. Wir haben es doch gestern wieder im Ausschuß erfahren. Das kann doch angesichts der Komplexität der politischen und der gesellschaftlichen Entwicklung nicht richtig sein.
Ich meine auch, daß in bezug auf die Sachverständigen das Parlament mit Nachdruck auf Objektivität, Unabhängigkeit und ausgewiesene Kompetenz der zu Beratungen hinzugezogenen Experten bestehen muß. Da ist vieles, was wir an bisherigen Erfahrungen gesammelt haben, als negativ zu bezeichnen.
({2})
Ich muß Ihnen hier gestehen: Es treiben mich einige Fragen um. Ist es denn tatsächlich möglich, daß wir Objektivität der Sachverständigen erwarten können? Werden nicht die Experten in Kommissionen, auch Enquete-Kommissionen, zu Anhörungen und sonstigen Veranstaltungen des Parlaments nach dem Parteienproporz, nach den Vorstellungen oder - lassen Sie es mich deutlicher sagen - nach den Vorurteilen der vorschlagenden Gruppen bzw. Fraktionen ausgewählt? Können nicht auch auf diese Art und Weise Experten politisiert werden? Ich habe so meine Erfahrungen in den Enquete-Kommissionen. Führen nicht widersprüchliche Aussagen von Experten in reinen Sach- und Fachfragen auf den verschiedensten Gebieten, nicht nur in der Technik, die oft auch diffus und vorurteilsbehaftet sein können, eher zur Verunsicherung und Verwirrung der Politiker als zu deren Erleuchtung? Da sagt der eine Experte: ja, der andere Experte sagt: nein; wir stehen da und müssen entscheiden. Entscheiden wir nach der Farbe der Krawatte, die passender zum Anzug ist als die eines anderen?
({3})
- Eben! Genau das ist nämlich der Punkt: ja und nein. Dann kommt die Empfehlung: Die beiden Aussagen haben sich neutralisiert, vergessen wir doch beide Aussagen, denn wir müssen schließlich die Entscheidung treffen. Dies ist ein Problem.
Wie lassen sich schließlich parteipolitische Orientierungen und Voreingenommenheiten der entscheidenden Organe hier verhindern und überwinden? Hier zählen doch im demokratischen Prozeß die Mehrheiten, und hier gibt es vorgefaßte Meinungen. Werden wir die durch Experten alleine überwinden können? Ich fürchte: nein; denn nicht selten haben eindeutige Fakten in politischen Auseinandersetzungen wenig zentrales Gewicht. Auch dies ist eine Erfahrung, die ich hier einmal vermitteln möchte.
Werden alle Fragen des Ihnen vorliegenden Zwischenberichts der Enquete-Kommission TA geklärt? Sind sie aufgegriffen worden, und werden sie von der dort vorgeschlagenen Organisationsstruktur beantwortet werden? Auch hier habe ich meine Bedenken. Ich fürchte: nein.Es ist nicht eine Frage der OrganisaDr.-Ing. Laermann
tion, sondern es ist eine Frage unserer Einstellung dazu, der Einstellung des Parlaments, als Gesamtparlament zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.
Ich wiederhole: Ich habe meine Zweifel, ob die entwickelten Modellvorstellungen den fraktionsspezifischen Wertmustern, gleich, welcher Fraktion, und den Entscheidungsstrukturen entsprechen und entsprechen können.
Die Enquete-Kommission Technikfolgenbewertung in der 10. Legislaturperiode hat sich - das möchte ich mit Nachdruck herausstellen - auf hohem sachlichen Niveau bemüht, mit einem hohen Maß an fachlicher Kompetenz dem Anspruch zu genügen, den wir bei der Einsetzung dies& Kommission an ihre Arbeit geknüpft haben, in der Erwartung, daß wir nunmehr nach fast 14jähriger Diskussion im Parlament endlich zu einer vom gesamten Parlament getragenen Lösung kommen. Für diese Arbeit möchte ich dieser Kommission, ihrem Vorsitzenden, den Kollegen Abgeordneten, den Experten wie auch dem Stab ganz herzlich danken.
({4})
Aber kann denn erwartet werden, daß mit dem nunmehr vorliegenden Vorschlag im Zwischenbericht unsere Probleme wirklich gelöst werden? Ich möchte dies noch einmal mit einem Fragezeichen versehen. Der Eindruck ist nicht zu vermeiden, daß sich der organisatorische Vorschlag stark an den Bedürfnissen des Forschungsausschusses orientiert, daß er den Kontrollgedanken zugunsten der Verbesserung von Gestaltungsmöglichkeiten zurücknimmt und nur tendentiell die Chancen zur unabhängigen Beratung erhöht.
Gewiß haben alle Politikbereiche ein erhebliches Bedürfnis an objektiver Beratung. Ich sage hier nicht zum erstenmal, daß wir dem gewaltigen Apparat der Exekutive mit ihrem geballten, tatsächlichen oder scheinbaren Sachverstand manchmal hilflos gegenüber stehen. Aber glauben wir denn wirklich, daß wir dieses Defizit mit einer Kommission, wie sie hier vorgeschlagen ist, allein werden überwinden können? Ich fürchte, nein. Deswegen müssen wir uns darum kümmern und uns darum sorgen, nach welchen strukturellen Vorstellungen wir der eigentlichen politischen Aufgabe gerecht werden können. Ich wiederhole es: Das kann nicht eine Aufgabe des Forschungs-und Technologieausschusses allein sein, sondern es ist eine der Grundvoraussetzungen, die wir nun einmal schaffen müssen und die wir erfüllen müssen: daß wir der Notwendigkeit der Interdisziplinarität entsprechen. Eine solche Lösung - auch dies ist eine Forderung, die ich hier zum wiederholten Male vortrage - der Frage, der wir uns hier zuwenden, mit der wir uns schon seit langem beschäftigen, muß die Funktion eines Frühwarnsystems erfüllen. Das bedeutet Interdisziplinarität.
Ich könnte mir vorstellen - ich sage das ganz ungeschützt - , daß man vielleicht einmal dem Gedanken nachfolgt, daß es in regelmäßigen Abständen gemeinsame Sitzungen aller Ausschußvorsitzenden geben könnte, damit die grundlegenden Probleme in der Tat auch einmal aus dem einen Politikbereich in den anderen transportiert werden. Ich frage nur, ob dies eine Möglichkeit sein könnte. Es geht nicht um eine Institution, eine Organisation oder eine Bürokratie. Wie groß müßte die denn sein? Wenn ich das Office of Technology Assessment mit 200 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 5 Millionen Dollar sehe, so stellt sich die Frage : Können wir uns dies leisten? Wird uns eine solche Einrichtung die Möglichkeit liefern, dieser Aufgabe, der wir uns stellen müssen, tatsächlich gerecht zu werden? Ich sehe mir an, was in den USA abgelaufen ist und wie es abläuft. Solche Organisationen haben die Tendenz, sich zu verselbständigen, und am Ende, fürchte ich, steht für viele Politiker die Neigung, diese Organisation mit Alibifunktionen zu belegen, sich der eigentlichen Aufgabe und - hier ist heute schon wiederholt Jonas zitiert worden - der verpflichtenden Verantwortung zu entziehen. Eine solche Arbeit, eine solche Aufgabe müssen wir leisten. Die können wir nicht einer Bürokratie überlassen.
Ich denke und hoffe, daß wir bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen über diese Frage wirklich einmal nachdenken und uns anschließend orientieren, wie wir die konkreten Arbeitsformulierungen für die nachfolgende Enquete-Kommission gemeinsam finden. Wir haben in der Vergangenheit ein gutes Stück Gemeinsamkeit gefunden. Ich hoffe nicht, daß die SPD-Fraktion dann wieder aussteigt. Dies, glaube ich, sollten wir diesmal vermeiden. Ich hoffe - ich jedenfalls werde mich darum bemühen - , daß diese Fragen in die Ausschußberatungen aufgenommen werden.
Ich bedanke mich.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache.
Zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis 17 c und Zusatztagesordnungspunkt 3 wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" gemäß Beschlüssen des Deutschen Bundestages - Drucksachen 10/1581, 10/1693
- Drucksache 10/6775 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({0}) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
Vizepräsident Frau Renger
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Auch darüber herrscht Einigkeit. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Bundestag vor fast drei Jahren die Einsetzung einer Enquete-Kommission Chancen und Risiken der Gentechnologie auf der Grundlage eines Antrages der SPD-Bundestagsfraktion beschloß, kommentierte mancher auch in diesem Hause unser Vorhaben mit Skepsis, etwa: Kommt ihr nicht wie bei der Kernenergie wieder um viele Jahre zu spät? Auf anderen Seiten war zu hören: Typisch deutsch; die Welt investiert, und wir Deutschen haben nichts besseres zu tun, als zu diskutieren.
Ich meine, nach drei Jahren intensiver Arbeit von Abgeordneten aller Fraktionen und der wichtigen Mitarbeit vieler Sachverständiger hat die EnqueteKommission einen Bericht vorgelegt, der eine wichtige Orientierungs- und Entscheidungshilfe für das Parlament, aber auch für die Öffentlichkeit darstellt.
({0})
Ich meine, diese Arbeit hat sich gelohnt. Ich möchte dies mit einigen wenigen Gesichtspunkten noch einmal verdeutlichen.
Ich meine, es ist wichtig, daß wir in die Beratungen in den Ausschüssen mit der gemeinsamen Erkenntnis hineingehen, daß wir mit einer realistischen Einstellung an die Bewertung von Chancen und Risiken der Gentechnologie herangehen sollten. Die Gentechnik ist nicht der Schlüssel zur Lösung wichtiger gesellschaftlicher Probleme, wird medizinische und Hungerprobleme der Welt nicht lösen. Aber es ist keine Frage, daß sie uns eine wichtige Hilfe in vielen Bereichen liefern kann, vor allem im Bereich der Bekämpfung und Erkennung von Krankheiten. Wenn die GRÜNEN auf ihrem Bundesparteitag mit dem absoluten Nein zur Gentechnologie versucht haben, auf einer Welle von Sorgen der Bevölkerung zu schwimmen, dann müssen sie intern zugeben, daß spätestens bei der Frage, ob wir nicht zur Erkennung und besseren Bekämpfung von AIDS auf die Methode der Gentechnologie zwingend angewiesen sind, ihre Politik des absoluten Neins der Sache nicht angemessen ist.
({1})
Wir haben gemeinsam festgestellt, daß es einen tatsächlichen Handlungsbedarf der Gesellschaft in diesem Bereich gibt. Die Gentechnik ist eine universal einsetzbare Schlüsseltechnologie, die in vielen Bereichen unsere gesellschaftlichen Strukturen, ja unser Wertesystem beeinflussen und verändern kann. Die Frage, wie wir mit dieser Technik umgehen sollen, sollte nicht allein von der Wissenschaft und der Industrie, sondern von der gesamten Gesellschaft und damit auch vom Gesetzgeber beantwortet werden.
Wir haben in den drei Jahren doch festgestellt, daß der Zeitdruck auf politische Entscheidungen, wie wir mit der Technik umgehen sollen, viel stärker war, als wir es uns noch vor drei Jahren gedacht hatten. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen.
Die Benda-Kommission der Bundesregierung glaubte etwa bei der Genomanalyse, bei der Technik, menschliche Erbanlagen zu analysieren, noch keinen Handlungsbedarf zu sehen. Wir wissen heute, daß durch die Entwicklung von Analysemaschinen unter Nutzung der Mikroelektronik die Hoffnung verflogen ist, die Entschlüsselung eines bedeutenden Teils der menschlichen Erbanlagen ließe wenigstens bis zum Ende dieses Jahrtausends auf sich warten. In Amerika spricht man vom großen Manhattan-Projekt, um innerhalb von zehn Jahren das menschliche Genom entschlüsselt auf Karten festhalten zu können. Und galt, meine Damen und Herren, die Erörterung möglicher Risiken bei einer gezielten Freisetzung gentechnisch manipulierter Lebewesen für unser Ökosystem 1984 noch als hypothetische Erörterung weit in der Zukunft liegender Anwendungsmöglichkeiten, so ist dieser Weg in den letzten Monaten in den USA bereits eingeschlagen worden. Ich befürchte, daß die Möglichkeit, gentechnisch manipulierte Bakterien und nun auch gentechnisch manipulierte Pflanzen und Bakterien patentieren zu können, eine neue Stufe des Biobooms im Bereich der Tier- und Pflanzenzucht mit all den schlimmen Verwerfungen und mit all den Versuchungen auslösen wird, die damit für menschliches Handeln verbunden sind. Die Idee der Nutzung von Tieren als Produktionsanlage für medizinische Stoffe bestimmt heute schon die Investitionsplanung europäischer und deutscher Chemie- und Pharmakonzerne.
Eine Enquete-Kommission, meine Damen und Herren, ist immer gut beraten, sich darauf zu konzentrieren, daß sie die Entscheidung des Deutschen Bundestages vorzubereiten hat. Das ist ihre Aufgabe. Ich denke, wir sind diesem Auftrag mit konkreten Empfehlungen nachgekommen. Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, festzuhalten, daß wir uns gemeinsam einig waren in der Forderung nach einem klaren Verbot des Eingriffs in die menschlichen Erbanlagen. Es ist sehr wichtig, daß wir uns einig waren in dem Vorschlag einer Gefährdungshaftung für den Umgang mit der Gentechnologie in Forschung und Industrie. Es ist wichtig, daß wir uns gemeinsam darauf verständigt hatten, die bestehenden Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit der Gentechnologie auf eine rechtlich verbindliche Grundlage zu stellen. Gegen diese Forderung haben der Verband der chemischen Industrie und die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorsichtige Kritik geäußert.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß diese Kritik unberechtigt und unbegründet ist. Die Kommission war sich darin einig, daß es auch in Zukunft gesichert bleiben muß, daß die Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit der Gentechnologie flexibel und rasch auf den jeweiligen Erkenntnisfortschritt angepaßt werden können; denn unsere heutige Einschätzung in der Frage, was gefährlich und was ungefährlich ist, kann sich in kurzer Zeit im Guten wie im Schlechten ändern. Es war nicht die Absicht der Kommission, dieses zu erschweren.
Es muß aber im Interesse der Forschung und der chemischen Industrie sein, daß sich alle, die mit der Gentechnik umgehen, auch alle Industriezweige, gleichen Sicherheitsauflagen unterwerfen müssen. Kleine Genboutiquen können heute schalten und walten, wie sie wollen. Wenn Verstöße gegen freiwillige Sicherheitsrichtlinien bekannt sind, denke ich, ist es eine Pflicht des Gesetzgebers, hier für alle gleiche Bedingungen zu schaffen.
Wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft von einer Tendenz zur Überschätzung von Risiken spricht, die mit der Gentechnologie verbunden sind, so halte ich dem entgegen, daß angesichts bestehender Sorgen in der Öffentlichkeit die Kommission gut beraten war, auch hypothetische Besorgnisse gegenüber der Gentechnologie auf den Prüfstand des in der Kommission versammelten Sachverstandes zu legen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß bisher niemand gegenüber den Ergebnissen der Kommission den Vorwurf erhoben hat, daß dadurch vor allem die weitere Entwicklung der Forschung vor unüberwindbare Hürden gestellt wird.
Ich stelle auch mit Befriedigung fest, daß wir im Bereich der möglichen Gefährdung der Umwelt durch gentechnische Experimente das Prinzip verfolgt haben, den Schwerpunkt in den nächsten Jahren auf die Erforschung denkbarer möglicher Auswirkungen auf die Umwelt zu legen und nicht ohne ausreichendes Wissen einfach in die Umwelt mit nicht wieder rückholbaren Folgen hinein zu experimentieren.
Es ist sehr bedauerlich, daß die GRÜNEN in der Enquete-Kommission auf der einen Seite Opfer ihrer Rotation geworden sind. Eine Kommission, die versucht, in einem gemeinsamen Lernprozeß zu Ergebnissen zu kommen, die eben nicht auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners angesiedelt sind, hat natürlich große Schwierigkeiten, einen solchen Dialog sozusagen mittendrin zu unterbrechen und ihn für einen Teil der Kommission noch einmal von vorn anzufangen.
Ich möchte die GRÜNEN und die Vertreter der GRÜNEN in den Ausschüssen ausdrücklich auffordern, sich - anders als in der Kommission - an der gemeinsamen Diskussion zu beteiligen, welches die Maßstäbe eines verantwortlichen Umgangs mit der Gentechnik sind. Ich meine, es muß das Interesse des gesamten Parlaments sein, rechtzeitig die Regelungen zu treffen, die eine verantwortbare Nutzung von Chancen dieser Technik ermöglichen, die dort, wo Gefahren nicht auszuschließen sind, Sicherheitsvorkehrungen vorsehen.
Dort, wo wir mit nicht rückholbaren Gefährdungen der Umwelt rechnen müssen, dort, wo der Weg zu einer Züchtung der Menschen eingeschlagen wird, müssen wir als Deutscher Bundestag den Mut haben zu sagen: Diese Entwicklung wollen wir nicht, auf die Anwendung dieser neuen Technologien wollen wir verzichten.
({2})
Der Bericht der Enquete-Kommission ist weder im Deutschen Bundestag noch in der Öffentlichkeit Abschluß der Debatte. Wir müssen uns in den nächsten Jahren verstärkt um die Frage kümmern, welche
Auswirkungen mit dem Einstieg in die synthetische Biologie verbunden sind; denn dann wird es darum gehen, daß nicht mehr nur bekannte Erbinformationen mit bekannten Eigenschaften gemischt werden, sondern es könnte darum gehen, daß auf dem Reißbrett neue Bausteine des Lebens mit unbekannten Eigenschaften konstruiert werden. Ich kann nur sagen: Nach dem, was ich heute weiß, würde ich eine solche Anwendung mit dieser Technik auf Pflanzen, Tiere und Menschen strikt ablehnen.
Wir müssen im Bundestag auch die Frage, wie wir weiter mit dem patentrechtlichen Bereich der Gentechnologie umgehen, eingehend diskutieren. Ich glaube, daß wir nicht gut beraten sind, die Patentierung von Lebewesen auf die leichte Schulter zu nehmen, denn sie wird unter der Hand auch das Verhältnis von uns zu Lebewesen auf die Ebene der Verfügbarkeit über technische Apparate reduzieren.
({3})
Meine Damen und Herren, es gibt noch einen letzten Gesichtspunkt, den ich anschneiden möchte. Die Freiheit der Wissenschaft ist auch im Bereich der Gentechnologie zum Problem geworden. Wo industrielles, bisweilen auch militärisches Interesse bis in den Bereich der Grundlagenforschung spürbar ist und wo aus interessenfreier, dem reinen Erkenntnisinteresse verpflichteter Grundlagenforschung unversehens produktorientierte Grundlagenforschung geworden ist, stellt sich doch die Frage, ob sich nicht auch die Gesellschaft in die Zielbestimmung dieser Forschung einmischen sollte und ob die Stoßrichtung des Schutzes der Wissenschaft, nämlich der Schutz vor uns, noch der richtige ist.
Wir brauchen in den künftigen Jahren eine kontinuierliche Begleitung der weiteren Entwicklung der Gentechnologie durch Technikfolgenabschätzung. Das Beispiel unserer Enquete-Kommission zeigt, daß wir jetzt, da wir unsere Arbeit abgeschlossen haben, gut beraten wären, wenn wir nun eine wissenschaftliche Einheit beim Bundestag hätten, die die weitere Entwicklung verfolgen und uns dabei helfen würde.
({4})
Der unbefangene öffentliche Beobachter könnte den Eindruck haben, daß das Parlament über Zukunftsfragen wie dieses Thema am liebsten möglichst spät und möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit in möglichst kurzer Zeit reden möchte. Die Kommission hat aber diesem Eindruck vorgebeugt. Wir haben Vorkehrungen getroffen, daß 13 Ausschüsse des Deutschen Bundestages, d. h. die große Mehrzahl der Kollegen, sich mit unseren Empfehlungen auseinandersetzen werden. Wir können alle dazu beitragen, daß wir dann ein gemeinsames Ergebnis finden, das eine verantwortliche Gestaltung einer technischen Entwicklung ermöglicht.
Am Schluß meiner Rede möchte ich mich für die hervorragende konstruktive Zusammenarbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen in der Enquete-Kommission bedanken und in meinen Dank vor allem die Sachverständigen aus der Wissenschaft und aus den Gewerkschaften einschließen, die sich in vorbildlicher
Weise in der Sache engagiert und maßgeblich zum Erfolg unserer Arbeit beigetragen haben.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir vor etwa drei Jahren hier zum ersten Mal über die Gentechnologie diskutierten, hat uns Frau Präsidentin Renger gefragt, ob der Bürger draußen im Lande das wohl verstehen würde, worüber wir hier sprechen. Die Sprache, die benötigt wird, um den Sachverhalt wissenschaftlich eindeutig darzulegen, scheint für den Umgang im Alltag doch zu schwierig zu sein. Es wäre eigentlich richtig, wenn man jetzt versuchte, in deutscher Sprache zu erklären, was Gentechnologie eigentlich ist; aber ich will mir das wegen der fortgeschrittenen Zeit ersparen.
Es geht darum, daß wir ein sehr weites Anwendungsspektrum der Gentechnologie haben; dieses weite Anwendungsspektrum verbietet es geradezu, generelle Aussagen über Nutzen oder Schädlichkeit dieser Technologie zu machen. Man muß schon jeden Anwendungsbereich für sich betrachten.
Wer sich mit dem Bericht der Enquete-Kommission Gentechnologie auseinandersetzt, der wird auf eine Vielzahl von Chancen, aber auch von Risiken stoßen. Rund 180 Empfehlungen hat die Kommission dazu formuliert. Jede einzelne dieser 180 Empfehlungen muß für sich einzeln betrachtet und bewertet werden.
Der Bericht ist das Resultat einer Reihe von Kompromissen. Auch mir ist die Zustimmung zu einzelnen Teilen des Berichtes, besonders zu den Bewertungen und Empfehlungen, nicht immer leicht gefallen. Wir waren in der Schlußphase der Beratungen der Enquete-Kommission auf einen möglichst großen Konsens angelegt. Manchen Leuten hat das nicht gefallen. Dennoch halte ich gerade dieses Ergebnis für außerordentlich bemerkenswert. Ich weiß auch, daß besonders die Sachverständigen, die in der Kommission mitarbeiteten, unter harten Angriffen zu leiden haben, weil sie zu diesem Konsens beitrugen. Ich meine, es geschieht ihnen unrecht. Keiner hat in dieser Arbeit sein Gesicht verloren. Ich weiß auch nicht, was für ein Bericht herausgekommen wäre, wenn über alles und jedes strittig abgestimmt worden wäre. Natürlich hat es auch solche Einzelabstimmungen gegeben. Ich meine aber, daß jeder sich in der großen Linie wiederfinden konnte und kann. Leider gilt das nicht für die GRÜNEN, die sich eigentlich sehr lange aktiv an der Arbeit beteiligt haben, aber in der letzten Minute eine eigene Lehre zu Papier und in die Kommission einbrachten.
Es wird sich zeigen, daß eine ganze Anzahl von Punkten in den kommenden Ausschußberatungen wahrscheinlich wieder kontrovers diskutiert wird. Ich denke etwa an die Einschätzung der Sicherheitsrisiken, an die Frage, ob die sogenannten Genrichtlinien gesetzlich zu verankern sind, oder an die Vorschläge, in Teilbereichen nicht zu forschen.
Ich will dazu jetzt nicht weiter Stellung nehmen, aber ich meine, jeder, der sich hier in Kritik üben will, sollte den Bericht der Enquete-Kommission sehr eingehend lesen. Ich will vielmehr einige Grundfragen ansprechen, die nach meiner Auffassung auch bei der Beratung der Chancen und Risiken der Gentechnologie bedacht werden müssen.
Es ist nicht in der Ordnung, daß schon heute in der Gentechnologie unverrückbar erscheinende Positionen bezogen werden, da wir uns wesentlich erst im Forschungsstadium, manchmal noch nicht einmal darin befinden. Die eine Position beinhaltet z. B. die völlige Ablehnung dieser neuen Technik, die andere glaubt, einer Anwendung ohne Grenzen das Wort reden zu können. So einfach kann man jedoch nicht Position beziehen.
Wer glaubt, ein moralisch hochstehender Mensch zu sein, weil er die Gentechnologie ablehnt, der ist genauso auf einem Irrweg wie einer, der jegliche Anwendung einer Technologie gutheißt, ohne nach Folgen und Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Zukunft zu fragen.
Ich weiß, daß sich hier grundsätzliche Überlegungen auftun. Es geht um die Frage, ob man nur durch Handeln schuldig werden kann, nicht aber durch Unterlassen. Eine Ethik, die davon ausgeht, daß man nur durch Handeln, nicht aber durch Unterlassen schuldig werden kann, übersieht auf der anderen Seite die Verpflichtung, Leid und Krankheit zu lindern oder gar zu verhindern, Hunger zu stillen und das Leben humaner zu gestalten.
Nur durch Wissenschaft und Technik haben die Menschen im Laufe der Entwicklung ihre Lebensbedingungen wesentlich verbessert. Gerade in den letzten hundert Jahren haben Wissenschaft und Technik die Mittel geschaffen, um die Erde mit ihren Menschen zu vernichten. Sie haben aber auch u. a. dazu beigetragen, das menschliche Wissen zu erweitern und zu vertiefen, Krankheiten zu bekämpfen und zu lindern und ganz auszurotten, Belastungen der Natur zu vermindern, Einkommen und Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, die Arbeitswelt auf verschiedene Weise humaner zu gestalten und Hunger und Not in vielen Ländern der Erde zu bekämpfen.
Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich, daß auch die Chancen und Risiken der Gentechnologie geprüft werden. Wir müssen fragen: Dient das alles dem Menschen und der Welt, in der wir leben?
Techniken sind kein Selbstzweck. Entscheidend, ob eine Technik sich gut oder schlecht auswirkt, ist ausschließlich das Verhalten derjenigen, die eine Technik anwenden. Nach meiner Auffassung muß Technik den Menschen helfen, die Welt menschenwürdig zu gestalten.
Deswegen ist es ein grober Verstoß, wenn man die Möglichkeiten der Gentechnologie pauschal behandelt und nicht die so unterschiedlichen Anwendungsbereiche differenziert betrachtet. Die Enquete-Kommission hat in ihrem Bericht sechs verschiedene Anwendungsbereiche sehr eingehend dargestellt, hat Bewertungen vorgenommen und Empfehlungen ausgesprochen. Ich nenne diese Bereiche: erstens biologische Stoffumwandlung und Rohstoffversorgung,
zweitens Pflanzenproduktion, drittens Tierproduktion, viertens Umwelt, fünftens Gesundheit und sechstens Gentechnologie am Menschen/Humangenetik. Im letztgenannten Bereich gibt es wiederum zwei große Anwendungsgebiete, die Genomanalyse und die gentechnischen Eingriffe in das Erbgut menschlicher Zellen, wobei wieder danach unterschieden wird, ob genetische Informationen in Körperzellen oder in Keimbahnzellen übertragen werden sollen. Es ergeben sich hier kritische Fragen, die auch von der Kommission gestellt und zum Teil mit der Forderung nach einem Verbot beantwortet werden. Alles das wird uns genauso beschäftigen müssen wie das Fragen nach dem Sicherheits- und Freisetzungsaspekt.
Es wartet also viel Arbeit auf uns. Zum erstenmal kann sich ein Parlament in dieser Breite mit einer neuen Technologie befassen. Ich hoffe, daß am Ende unserer Arbeit die Erkenntnis steht, daß uns mit der Gentechnologie ein Instrument gegeben wurde, dessen Anwendung in weiten Bereichen verantwortet werden kann. Aber nicht alles, was machbar ist, darf getan werden. Fortschritt bedeutet auch, aus Moral vernünftig zu sein.
Forschung und Entwicklung sind die Umsetzung des inneren Triebes des Menschen, immer tiefer in den großen Zusammenhang von Mensch und Schöpfung einzudringen. Ich weiß, daß das Bibelwort aus Genesis, Kapitel 1, Vers 28 „Breitet euch über die Erde aus und nehmt sie in Besitz" nicht Forschung ohne Schranken und nicht Ausbeutung heißt, sondern die Anwendung der uns von Gott gegebenen Vernunft.
({0})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Die Qualität des Berichts der Enquete-Kommission steht in keinem Verhältnis zu den Lobliedern auf die Arbeit der Enquete-Kommission, die inzwischen gesungen worden sind, und auch in keinem Verhältnis zu der Selbstzufriedenheit, die Sie, Herr Catenhusen, eben dokumentiert haben. Ich will mich damit beschäftigen, was diese Kommission nicht geleistet hat und auch gar nicht leisten wollte.
Die Mehrheit dieser Kommission hat eine breite öffentliche Debatte über die durch die Gentechnologie aufgeworfenen Grundfragen eher verhindert als unterstützt. Vor lauter Sorgen über die gesellschaftliche Polarisierung um die Gentechnologie - so die damaligen Worte des Kommissionsvorsitzenden Catenhusen - hat sie immer wieder beschlossen, die unliebsame Öffentlichkeit auszuschließen, denn da hätten ja unbequeme Fragen kommen können. Konsequenz: Von mehr als 50 Sitzungen waren ganze vier Sitzungen öffentlich.
Dazu paßt auch folgendes: Einige Journalisten und viele nachdenkliche und kritische Bürger und Bürgerinnen wollten mehr über die Ergebnisse der Kommissionsarbeit wissen. Innerhalb von wenigen Wochen waren die gerade 2 000 vom Presseamt des Bundestages kostenlos verschickten Exemplare des Berichts vergriffen.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es nicht von der Zeit abgeht!
Nein. - Bitte schön.
Wissen Sie, daß es mittlerweile insgesamt 40 000 sind, und könnten wir uns vielleicht darauf verständigen, daß wir gemeinsam das Präsidium des Bundestages auffordern, dafür zu sorgen, daß noch in diesem Jahr eine weitere Auflage dieses Berichts erscheint?
Ich kann das im Moment nicht überprüfen, denn diese Information ist mir neu, aber ich möchte Ihnen gern mit einer Gegenfrage antworten: Wie können Sie mir dann erklären, daß eine Neuauflage, wie es hieß, nicht vorgesehen war? Grund: zu hohe Kosten. Das war übrigens zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung gerade 46 Millionen DM für ihre Volkszählungs-Propagandaschau lockermachte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Catenhusen?
Ich würde jetzt gern erst einmal weiterreden.
Die Kommissionsmehrheit hat - Herr Catenhusen hat das hier vorhin gerade wiederholt - den Vertreterinnen der GRÜNEN vorgeworfen, sich der Beteiligung am Diskussionsprozeß zu verweigern. Tatsächlich aber ist es genau umgekehrt gewesen: Verweigert haben sich die anderen Kommissionsmitglieder.
({0})
Sie haben sich der Diskussion um zentrale Grundsatzfragen entzogen, die nicht nur von den GRÜNEN, sondern von Menschen in allen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Frauenorganisationen, Umweltgruppen usw. geführt werden. Statt sich ernsthaft mit den gesellschaftlichen Konsequenzen und Gefahren einer Technologie zu beschäftigen, die jedes Leben verfügbar, formbar und manipulierbar macht, wurden einseitig und tendenziös die angeblichen Chancen gentechnischer Forschungsprojekte - Herr Catenhusen hat auch das heute wiederholt - lang und breit dargestellt. Dazu paßt, daß auf einen ernstzunehmenden Vergleich des vielbeschworenen Nutzens der Gentechnologie mit anderen technischen, ökonomischen, insbesondere aber sozialen Alternativen zur Lösung von Problemen in verschiedensten Anwendungsbereichen völlig verzichtet wurde.
In den Anhörungen der Kommission, bei der Vergabe von Gutachten und bei den Diskussionen wurden alternative, eher auf Prävention - ein Stichwort, das bei Ihnen heute nicht vorkam, Herr Catenhu1062
sen - ausgerichtete Strategien fast völlig ignoriert. Dies gilt z. B. für umwelt- und sozialverträgliche Maßnahmen in der Landwirtschaft, um nur ein Beispiel zu nehmen.
Geradezu grotesk ist es, daß die Kommission zunächst die Finanzierung zahlreicher gentechnischer Forschungsprojekte fordert, um dann in einer letzten Empfehlung der Bundesregierung vorzuschlagen, sie möge das Leistungsvermögen des alternativen Landbaus überprüfen. Jahrzehntelange Erfolge des biologischen Anbaus haben die Bundesregierung immer noch nicht von der Förderwürdigkeit überzeugt.
({1})
Die bloßen Versprechungen von gentechnischen Wunderpflanzen und Superschweinen dagegen reichen aus, um Forschungsmillionen für Bayer oder BASF fließen zu lassen.
Der Vorsitzende läßt die Empfehlungen der Enquete-Kommission in der Presse als Bollwerk gegen Mißbrauch der Gentechnologie feiern. Doch die Lektüre der Originaltexte räumt mit diesem Märchen auf. Der Kommissionsmehrheit ging es nicht um den Schutz der Menschen und der Umwelt vor den Risiken der Gentechnologie;
({2})
es ging ihr um den Schutz der Interessen von Forschung und Industriemanagern gegen jegliche Einschränkung ihrer gentechnischen Forschung und ihrer profitträchtigen Umsetzung.
({3})
Nicht die unkontrollierte Ausbreitung von gentechnisch verändertem Leben wird befürchtet, sondern eine unkontrollierbare Welle des Protests und eine breite gesellschaftliche Diskussion. Nicht etwa die Stigmatisierung von Menschen durch Gentests und Geneingriffe wird befürchtet, nein, befürchtet wird eine - ich zitiere - „ungerechtfertigte Stigmatisierung der gesamten Gentechnologie" ; so wörtlich die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist zur Zeit - Herr Catenhusen wird mir da sicher zustimmen, auch wenn er da ein anderes Vokabular nehmen würde - gemeinsam mit anderen Lobbyisten schon kräftig am wühlen, um die Umsetzung selbst so verwässerter und halbherziger Kommissionsempfehlungen zu verhindern.
({4})
Wer die Empfehlungen der Kommission im Originaltext gelesen hat - ich bezweifle, daß Sie alle das getan haben - und nicht nur die achtseitige Kurzzusammenfassung, wird sehr schnell gemerkt haben: Diese Empfehlungen werden nicht einmal dem böswilligen Mißbrauch, noch viel weniger aber die verheerenden unvermeidbaren Entgleisungen im Routinegebrauch der Gentechnologie wirksam verhindern.
Sie zeugen vor allem von dem Versuch der Konsensbildung einer großen Koalition der Gentechnologiebefürworter.
({5})
Die beschwichtigenden Worte vom Verbot der Menschenzüchtung erweisen sich beim näheren Hinsehen als Augenwischerei.
({6})
Von einem Verbot gentechnischer Eingriffe an Körperzellen des Menschen war ohnehin nie die Rede.
({7})
- Richtig, Herr Catenhusen.
Das angekündigte Verbot soll sich auf gentechnische Veränderungen von Keim- oder keimbaren Zellen beziehen, bei denen die Veränderung an die Nachkommen weitergegeben wird. Die Kommission versucht uns weiszumachen, daß die Gefahr der Menschenzüchtung erst bei der sogenannten Keimbahntherapie beginne, während die Körperzellenmanipulation nicht problematischer sei als Organtransplantationen oder Spritzen von fehlenden Hormonen.
({8})
Diese Unterscheidung ist weder technisch noch gesellschaftlich haltbar, technisch deshalb nicht, weil es bei der Keimzellentherapie leicht passieren kann, daß Keimzellen mit verändert werden - das wird niemand von Ihnen ernsthaft bestreiten wollen -,
({9})
und gesellschaftlich nicht, weil beide Formen der Manipulation - und das ist das Gefährliche und das Erschreckende daran - eine gemeinsame Voraussetzung haben, nämlich eine prinzipielle eugenische Entscheidung darüber, welches Leben für reparaturbedürftig gehalten wird, welche Gene als krank und welche als gesund gelten.
({10})
Um diese Eingriffe erproben und entwickeln zu können - hören Sie erstmal noch bis zum Ende zu -, werden in jedem Fall Versuche an Menschen, an Erwachsenen und Neugeborenen, notwendig sein. Damit stehen in Zukunft - darüber helfen keine Verniedlichungen hinweg - verbrauchende Menschenversuche ins Haus.
({11})
Die Menschenzüchtung ist nicht mehr bloß irrationale Horrorvision einiger Überängstlicher, sondern konkrete Planung. Das ist der Gehalt der meisten der Kommissionsempfehlungen. Denn der Einstieg in die Menschenzüchtung beginnt nicht erst bei der KeimFrau Schmidt-Bott
Bahntherapie - das noch einmal -, sondern fängt bereits mit der Körperzellenmanipulation an.
({12})
Außerdem hat, Herr Catenhusen - auch das werden Sie nicht bestreiten können -, eine Kommissionsminderheit - noch ist es eine Minderheit, aber wie schnell sich so etwas ändern kann, haben wir in diesem Hause schon oft erlebt - in Übereinstimmung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft erklärt, daß sie diese Eingriffe nur „gegenwärtig" unterbinden wolle. Sei diese Technik erst perfektioniert - so das Argument - , bestehe sogar eine „moralische Verpflichtung", Korrekturen an der Keimbahn vorzunehmen. Mit solchen Argumenten wurde von der Kommission das Tor zur eugenischen Manipulation am Menschen aufgestoßen. Da überzeugt Ihr hilflos rechtfertigender Verweis auf AIDS überhaupt nicht, Herr Catenhusen.
({13})
Auch in anderen Bereichen der humangenetischen Anwendung der Gentechnologie haben die Empfehlungen der Enquete-Kommission nur propagandistischen Wert. Angesichts der steigenden Zahl der Möglichkeiten der genetischen Ausforschung ist es wirklich nur noch zynisch, wenn die Kommission z. B. die Versicherungsunternehmen bittet, Zurückhaltung bei der Anwendung genetischer Analysen von Versicherungsnehmern zu üben.
({14})
Das ist wirklich nur noch zynisch.
Gegen die Anwendung von Gentests zur Identifizierung von Straftätern - und ich füge hinzu: damit auch von bloß Verdächtigen - hatte die Kommission keinerlei Bedenken. Der Anfertigung von sogenannten genetischen Fingerabdrücken hat die Kommission bereits ihren Segen erteilt. In diesem Zusammenhang ist die Empfehlung, daß sich Datenschutzbeauftragte dieser Problematik annehmen mögen, wirklich nur noch erbärmlich.
Ich komme noch kurz zur militärischen Nutzung der Gentechnologie. Auch für ihr angebliches Verbot der militärischen Nutzung von Gentechnologie ließ sich die Kommission feiern. Dieses Verbot ist praktisch wirkungslos, weil es die wehrmedizinische Forschung mit Gentechnologien nach wie vor erlaubt. Da wird überhaupt keine Einschränkung gemacht. Sie müssen wissen - ich behaupte: Sie wußten es auch -,
({15})
daß diese Erlaubnis nur Sinn im Zusammenhang mit Kriegs-, mit militärischer Planung und Forschung macht.
Abschließend: Klare Kampfansage von uns an die Technokraten jeglicher Couleur. Wir akzeptieren kein Restrisiko.
({16})
Wir akzeptieren nicht das atomare Restrisiko, wir akzeptieren nicht das biologische Restrisiko.
({17})
Herr Catenhusen, wir wollen keine Normalisierung unseres Umgangs mit der Gentechnologie, wie Sie sich das wünschen, oder, wie Sie heute sagten, verantwortliche Gestaltung. Wir wollen keinen Umgang mit Gentechnologie.
({18})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Generation sieht sich mit Problemen konfrontiert, die eine besondere Herausforderung für die intellektuellen, die moralischen und die politischen Kräfte des Menschen darstellen. Eines jener Kernfragen menschlicher Existenz und menschlicher Würde berührenden Probleme ist die Gentechnologie.
Um ihre ebenso schwerwiegenden wie weitreichenden Konsequenzen in Forschung und Anwendung zu untersuchen, hat der Bundestag im Sommer 1984 eine Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der G entechnologie" eingesetzt. Bundestagsabgeordnete und Sachverständige verschiedener Disziplinen haben in einem zweieinhalbjährigen Lern-, Diskussions- und Arbeitsprozeß den Versuch unternommen, ein ungeschminktes Bild der Gentechnologie zu entwerfen: ihrer faszinierenden Zukunftsperspektiven im Interesse der Menschen ebenso wie ihrer unakzeptablen Mißbrauchsmöglichkeiten. Ob uns das mit dem Bericht gelungen ist, den wir am 19. Januar 1987 dem Herrn Bundestagspräsidenten überreicht haben, wird man erst im gehörigen zeitlichen Abstand beurteilen können. Immerhin sind wir das erste Parlament, das sich mit solcher Intensität dem Thema genähert hat. Um so bedauerlicher ist es, daß die Diskussion über die Ergebnisse dieser Enquete-Kommission zu nachtschlafender Zeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet
({0})
mit Redezeiten von 10 Minuten pro Fraktion. Das Groteske dieser Situation wird besonders daran deutlich, daß wir uns bei der Diskussion über die Einsetzung dieser Enquete-Kommission mehr Zeit genommen haben, als das jetzt der Fall ist, da wir die Ergebnisse dieser Kommissionsarbeit diskutieren. Das kann man niemandem vermitteln.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle den Kollegen, aber auch den Fachleuten in der Enquete-Kommission für die, trotz aller unvermeidbaren Konflikte, Herr Catenhusen, doch fruchtbare Zusammenarbeit danken, die auch zu einem erfreulich breiten Konsens geführt hat. Auf die ideologisch bedingte Außenseiterrolle der GRÜNEN will ich hier nicht weiter eingehen.
Es liegt mir aber ganz besonders am Herzen, heute vor dem Deutschen Bundestag einer Liberalen dankbar Respekt zu bekunden, die mit sehr viel Sachverstand und Leidenschaft unsere Arbeit in der Enquete1064
Kommission wesentlich gefördert hat, nämlich Frau Professor Dr. Gisela Nass-Hennig, die im Dezember 1986 plötzlich und unerwartet verstarb.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dieser ersten Beratung des Abschlußberichtes der Enquete-Kommission kann es schon aus Zeitgründen nicht darum gehen, Einzelheiten zu erörtern. Dazu wird in den Ausschüssen hinreichend Gelegenheit sein. So will ich mich zunächst darauf beschränken, die Grundsätze darzulegen, von denen wir Liberale uns haben leiten lassen. Alsdann will ich einige der Kernfragen, mit denen uns die Gentechnologie konfrontiert, zumindest ansprechen.
Für uns Liberale war es wichtig, weder der Faszination dieser neuen Technologie zu erliegen, noch sich in Technikfeindlichkeit zu verlieren. Vier Grundsätze haben sich deshalb bei sorgfältig wägender Beurteilung der Gentechnologie in Forschung und Anwendung herauskristallisiert:
Erstens. Die Gentechnologie muß in vollem Umfang den ethischen Maßstäben unterworfen bleiben, die sich aus dem Menschenbild unseres Grundgesetzes ergeben, d. h. Schutz des Lebens, seiner Würde und deshalb Verbot der Menschenzüchtung.
Zweitens. Die Gentechnologie muß wie bisher strengsten Sicherheitsrichtlinien unterworfen werden, um jede Gefährdung von Mensch und Umwelt auszuschließen, d. h. dauernde Anpassung an den je neuesten Stand der Technik.
Drittens. Die Gentechnologie muß fortwährend auf die ökonomischen, sozialen und ökologischen Konsequenzen ihrer Anwendung hin überprüft werden. Das bedeutet kontinuierliche Technikfolgenabschätzung.
Viertens. Die Gentechnologie muß im Rahmen dieser Grundsätze nachdrücklich gefördert werden, und zwar vor allem im Interesse der Gesundheit, im Interesse der Welternährung und im Interesse des Umweltschutzes. Das bedeutet staatliche Unterstützung der Grundlagenforschung.
Diese Grundsätze kommen im Abschlußbericht der Enquete-Kommission zum Tragen. Damit ist, so denke ich, eine wichtige Voraussetzung für die weitere politische Behandlung dieses Themas geschaffen.
Die Enquete-Kommission hat eine ganze Anzahl von konkreten Empfehlungen an den Deutschen Bundestag erarbeitet, die teilweise auch gesetzgeberische Maßnahmen erfordern werden. Wir wollen jetzt einen breit angelegten Diskurs mit der politisch interessierten Öffentlichkeit führen, um die notwendigen politischen und rechtlichen Konsequenzen ziehen zu können. Besonders dringlich scheinen mir dabei die gesetzliche Verankerung der Sicherheitsrichtlinien, um diese für alle Forscher und Anwender verbindlich zu machen, sowie die Beratung und Verabschiedung des Embryonen- Schutzgesetzes, das Justizminister Engelhard vorgelegt hat.
In der weiteren Ausschußberatung wird es dann darum gehen, die zahlreichen Empfehlungen unserer Kommission zu weiterem politischen und gesetzgeberischen Handeln zu überprüfen.
Dies alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollte uns aber nicht zu der trügerischen
Annahme verleiten, wir hätten das Thema damit schon im Griff. Einer der wichtigen Sozialphilosophen der Gegenwart, Professor Hans Albert, hat einmal gesagt - ich zitiere - :
Wer die Fehlbarkeit menschlicher Vernunft für alle Bereiche der Praxis von der Wissenschaft bis zur Moral und Politik anerkennt, muß nicht nur die Idee einer Wahrheitsgarantie für die Lösung von Erkenntnisproblemen, sondern auch die einer perfekten Ordnung für die Lösung gesellschaftlicher Probleme zurückweisen.
Die Auseinandersetzung mit der Gentechnologie führt vor diesem Hintergrund unweigerlich zu der grundsätzlichen Frage nach den Normen, nach den ethischen Maßstäben, an denen sich unser Handeln orientiert. Die Unsicherheit, die Skepsis gegenüber neuen Technologien spiegelt den Zweifel wider, ob wir in der Lage sind, Ethiken zu entwickeln, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht die Nah-Ethik ablösen können, die der Mensch bisher hervorgebracht hat. Es stellt sich die Frage nach der Rolle, die wir dem Menschen in der Welt zuordnen. Sind wir in der Lage, aus Einsicht menschliches Handeln in der Weise zu begrenzen, daß wir unsere eigene Existenz, unsere Identität nicht gefährden, auch wenn wir das anthropozentrische Weltbild nicht preisgeben wollen?
Was hat es mit der Cultural-lag-Theorie auf sich, der Auffassung also, daß menschliches Wissen und daraus folgende technische Fertigkeiten so schnell wachsen, daß unser Bewußtsein damit nicht Schritt zu halten vermag? Wie steht es überhaupt mit der Beherrschbarkeit der Dynamik des technologischen Entwicklungsprozesses? Sind wir diesem Prozeß einfach als Objekte ausgeliefert?
Schließlich die Frage nach der Steuerungskapazität unseres politischen Systems gegenüber technischen Entwicklungen: Wie kann die offene Gesellschaft einer freiheitlichen Demokratie Mechanismen hervorbringen, welche die Antriebskräfte der Wißbegierde mit dem politischen Überlebensprinzip gesellschaftlicher Verantwortbarkeit versöhnen? Welcher Stellenwert kommt also der Technikfolgenabschätzung und Technikbewertung in unserer politischen Ordnung zu? Diese Fragen aufwerfen heißt: Es gibt keine patentierten Anworten. Es heißt auch, bescheidener in den Erwartungen und Ansprüchen an menschliches Handeln, an politisches Handeln zu werden.
Das Ziel ist klar. Es gilt, einen Konsens auszubilden, der die sich abzeichnenden Chancen der Gentechnologie verwirklichen hilft, möglichen Fehlentwicklungen aber entgegenwirkt. Ob es unserer Gesellschaft gelingt, diesen Weg verantwortungsbewußt zu gehen, ist offen. So wird die Gentechnologie zum Prüfstein gesellschaftlicher Vernunft.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten AusVizepräsident Frau Renger
schösse vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Damit ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 5. Juni 1987, 8.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.