Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/15/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich komme zunächst zur Verlesung der amtlichen Mitteilungen: Die Abgeordnete Frau Unruh ist am 13. September 1989 aus der Fraktion DIE GRÜNEN ausgeschieden. Frau Unruh wird dem Deutschen Bundestag als fraktionsloses Mitglied angehören. ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation - Drucksache 11/5184 - erweitert werden. Zugleich soll mit der Aufsetzung von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Der Punkt soll nach Tagesordnungspunkt 11 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Einer Bitte des Verteidigungsausschusses folgend wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bestimmter öffentlicher und privater Projekte - Drucksache 11/3919 - sowie den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Umweltverträglichkeitsprüfung - Drucksache 11/1902 - nachträglich dem oben genannten Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie mit der nachträglichen Überweisung einverstanden? - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Aktuelle Stunde Kabinettsbeschluß zur Entsendung von Bundesgrenzschutz-Einheiten nach Namibia Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie hören, die Grippe hat zugeschlagen. ({0}) Ich bitte, meine Stimme zu entschuldigen. Aber vielleicht paßt sie ja zum Thema. Meine Fraktion hat die Aktuelle Stunde heute beantragt, weil zwei Dinge deutlich gemacht werden müssen. Erstens geht es natürlich grundsätzlich um die Frage, ob es zulässig sein kann oder wünschenswert ist, deutsche BGS-Einheiten nach Namibia oder sonstwohin in der Welt zu entsenden. Zweitens geht es um das Verfahren, wie die Regierung den nun bereits in die Tat umgesetzten Entschluß, 50 BGS-Beamte - am Parlament vorbei - nach Namibia zu schicken, durchgesetzt hat. ({1}) Ich möchte mit dem letzteren beginnen. Für diese Ausschaltung des Parlaments wurde die Sommerpause genutzt. Es wurden Tatsachen in diesem Zeitraum geschaffen, die eine parlamentarische Auseinandersetzung nicht mehr zuließen. Die Begründung, es sei Eile geboten gewesen, die UNO habe dringendst um Entsendung von BGS-Einheiten gebeten, wirkt angesichts der Tatsache, daß 50 Beamte entsendet wurden, geradezu lächerlich. An 50 deutschen BGS-Beamten soll die Freiheit Namibias hängen. Der Hintergrund ist jedoch ein ganz anderer. Der Bundesregierung war offenbar bewußt, daß es unter Einbeziehung des Parlaments sehr viel schwieriger, wenn nicht unmöglich gewesen wäre, ihre Pläne durchzusetzen. ({2}) Also mußte eine parlamentarische Debatte umgangen werden. Ich sage das ganz bewußt und unterstelle Vorsatz. Diese Brüskierung des Parlaments muß unter zwei Gesichtspunkten gesehen werden: zum einen hinsichtlich der Tatsache der in der deutschen Parlamentsgeschichte zu Themen wie Militarisierung, NATO-Beitritt oder - noch früher - Aufstellung des BGS überhaupt hitzig geführten Debatten, zum anderen hinsichtlich der Tatsache erheblicher verfassungsrechtlicher und rechtlicher Bedenken, die von der Bundesregierung zwar nicht in allen Punkten geteilt werden, die ihr aber bekannt waren. Insofern wäre es unter Demokraten Pflicht gewesen, das Parlament mit seiner Opposition einzubeziehen. ({3}) Die Ausschaltung parlamentarischer Kontrolle ging aber noch weiter. Ursprünglich war die Entsendung der BGS-Einheit für heute vorgesehen. Der Innenausschuß sollte sich noch mit dieser Frage befassen. Gestern wurde jedoch bekannt, daß der Innenminister bereits zu Beginn der Innenausschußsitzung um 15 Uhr die BGS-Beamten feierlich verabschiedete. Jeder parlamentarische Einsatz kam zu spät. Die Bundesregierung setzt sich jedoch nicht nur über diese Frage hinweg, sie schert sich auch nicht darum, wie die Beamtenvertretung des BGS - sprich: deren Hauptpersonalrat - zur Sache steht. Auch der Personalrat des BGS hat sich nicht nur aus beamtenrechtlichen Gründen gegen den Namibia-Einsatz ausgesprochen. Die Frage muß gestellt werden: Wer - und warum - außer ein paar Freiwilligen, die entsprechend der Camel-Reklame nach Abenteuern suchen, will diesen Einsatz eigentlich? ({4}) Damit bin ich bei Punkt eins des Hintergrundes der Aktuellen Stunde. Wer die Geschichte des BGS kennt, weiß, daß er der Vorreiter zur Militarisierung unseres Landes war. Bis zu seiner Umstrukturierung zur Polizei des Bundes mußte der BGS als paramilitärische Truppe bezeichnet werden. Reste davon sind auch heute nicht abgelegt. Die Tatsache, daß gestern eine Bundeswehrmaschine die Einsatzkräfte nach Namibia brachte, zeigt nicht nur Geschmacklosigkeit, sondern auch das Selbstverständnis des BGS. ({5}) Wer die Debatte gestern im Innenausschuß verfolgt hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der BGS die Vorreiterrolle für den Einsatz der Bundeswehr in Krisengebieten übernehmen muß. Daß ein Bundeswehreinsatz verfassungswidrig wäre, darüber waren sich alle einig. Es wurden aber Stimmen laut, daß man sich nicht durch eine Anforderung von Bundeswehreinheiten durch die UNO überraschen lassen dürfe. Daher müsse - man höre und staune - eine Verfassungsänderung behutsam vorbereitet werden. Da haben wir es: Der BGS als Vorreiter. Der Gewöhnungseffekt wird es dann bringen. Zur Rolle des BGS in Namibia mochte der Staatssekretär gestern nur unklare Aussagen machen. Polizei oder zivile Einsatzkräfte - die Begriffe gingen kreuz und quer durcheinander. Es wurden beamtenrechtliche Begriffe kreiert, die es sonst nicht gibt. „Abstellungen" wurde da gesagt. Die Einsatzkräfte bekämen aber die Empfehlung zur Zusammenarbeit und hätten den Auftrag der Wahlbeobachtung. Was das konkret heißt und wie der BGS-Beamte dazu befähigt wird, blieb offen. Die Bewaffnung sei auf Notwehrhandlungen ausgerichtet, womit man natürlich nicht rechne. Anders, als die Wahlbeobachtungsrhetorik suggerieren will, käme auf die eingesetzten BGS-Beamten daher absehbar die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzung zu. Durch die ebenso absehbar erforderlich werdende Individualnotwehr erhält die gesamte Mission jedoch den Charakter eines hoheitlichen Kampfeinsatzes. Konflikte dürften hier vorprogrammiert sein. Meine Redezeit ist zu Ende. ({6}) Ich werde im Nachtrag noch einige Ausführungen dazu machen. Schönen Dank, meine Damen und Herren. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion trägt die Entscheidung der Bundesregierung, 50 Polizeibeamte des Bundesgrenzschutzes für die Friedensmission in Namibia einzusetzen, uneingeschränkt mit. ({0}) Die BGS-Beamten werden dort im zivilen Teil der UN-Unterstützungsgruppe neben 600 Polizeibeamten aus 21 Staaten eingesetzt, und zwar vor allem auch als Wahlbeobachter. Diese Mission der Vereinten Nationen dient eindeutig und ausschließlich dem friedlichen Übergang Namibias in die Unabhängigkeit und damit dem Frieden in dieser Region. Die Entscheidung der Bundesregierung, sich dem Friedensdienst nicht zu entziehen, war aus drei Gründen richtig. Erstens. Es handelt sich eindeutig und abschließend um einen zivilen Einsatz. Zweitens. Es ist wirklich nicht einzusehen, warum ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland nach dem Motto „Hannemann, geh du voran" die Last der UN-Friedensmissionen nur anderen, zum Teil viel kleineren und schwächeren Staaten aufgelastet sehen will, Solidarität gibt es eben nicht nur innerhalb eines Staates, sondern muß es auch zwischen Staaten geben, vor allem gegenüber kleineren und schwächeren Staaten. Es ist wirklich nicht einzusehen - das ist der dritte Grund - , warum sich ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland, die sich seit 40 Jahren in Frieden, Freiheit, Wohlstand und sozialer Sicherheit befindet, ({1}) der Bitte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen entziehen sollte, in diesem Fall im Dienste des Friedens auch mitzuhelfen. Dies hätte uns zwar manche widerliche Attacke der SPD und der GRÜNEN erspart - auf der einen Seite die des SPD-Abgeordneten Verheugen, der uns im Sommer angegriffen hat, daß wir die Beamten viel zu spät entsenden, und auf der anderen Seite die jener, die jetzt kritisieren, daß wir entsenden - , wäre aber letztlich egoistisch und wenig verantwortungsvoll gewesen. Kollege Penner, es ist wirklich die Frage, ob wir Staaten wie Gerster ({2}) Nigeria, Kenia und anderen solche Friedensmissionen zumuten ({3}) und uns selbst auf die andere Seite stellen sollten. Dabei ist für unsere Fraktion völlig unmißverständlich klar, daß die Entscheidung, BGS-Beamte nach Namibia zu entsenden, keinerlei Präzedenzwirkung hinsichtlich anderer Friedensmissionen der Vereinten Nationen hat. Wir begrüßen es auch ausdrücklich, daß die Bundesregierung klargestellt hat, ({4}) daß Angehörige der Polizei, also auch des Bundesgrenzschutzes für Aufgaben, die über polizeiliche und sonstige zivile Aufgabenstellungen hinausgehen, nicht zur Verfügung stehen. Dieser Einsatz von Polizeibeamten ist - wie wir uns auch überzeugen konnten - auf freiwilliger Basis der eingesetzten Beamten rechtlich zulässig. Für diese Art eng umschriebener und rechtlich begrenzter Einsätze muß auch künftig gelten: Wir haben keinerlei Veranlassung, uns zumutbaren Bitten der Vereinten Nationen, uns aktiv im Dienst für den Frieden einzusetzen, zu widersetzen. Allerdings müßte auch künftig jede Bitte dieser Art genauestens und sorgfältig im Einzelfall überprüft und je nach Lage des Einzelfalles streng im Rahmen unseres Grundgesetzes und aller anderen einschlägigen Gesetze entschieden werden. Die CDU/CSU-Fraktion verwahrt sich entschieden gegen die Unterstellungen und wahrheitswidrigen Behauptungen - vor allem der GRÜNEN -, der Einsatz der BGS-Beamten in Namibia spiele nur eine Vorreiterrolle für einen Einsatz der Bundeswehr im Ausland. ({5}) Damit entlarven sich die Kritiker in zweifacher Hinsicht. Ihnen ist es offenbar egal oder höchstens von zweitrangiger Bedeutung, ob der friedliche Übergang Namibias in die Unabhängigkeit gelingt. Darüber reden Sie nämlich gar nicht. Sie mißbrauchen im übrigen den zivilen Einsatz von Polizeibeamten in Namibia rücksichtslos, um letztlich billige Emotionen gegen die Bundeswehr, auch gegen die BGS-Beamten - wie eben geschehen - und gegen die Bundesregierung zu schüren. ({6}) Das billige und bösartige Vorurteil der GRÜNEN, Soldaten oder auch - wie geschehen - Polizeibeamte gierten nur nach Einsätzen in Krisenfällen und drängelten dorthin, spielt hier offenbar eine Rolle und feiert wieder einmal Urstände. ({7}) Wir sind überzeugt, daß unsere BGS-Beamten in Namibia ausschließlich dem Frieden dienen. Wir danken den Beamten, daß sie dazu bereit sind. Wir wünschen ihnen einen erfolgreichen Verlauf ihrer Friedensmission und eine gesunde Heimkehr zu ihren Familien. Ich bedanke mich. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Graf.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde am heutigen Morgen findet zu einem Zeitpunkt statt, wo sich 50 Polizeibeamte in 10 000 m Höhe befinden, um voraussichtlich heute nachmittag um 14.30 Uhr in Windhuk zu landen. Ich sage, diese Debatte kommt zu spät. Das Parlament hat keine Gelegenheit mehr, Einfluß auf die getroffene Kabinettsentscheidung zu nehmen. ({0}) Die Entscheidung, Herr Kollege Gerster - das haben wir gestern schon deutlich im Innenausschuß gesagt - ist gefallen. Der Deutsche Bundestag ist nicht gefragt worden. Dieses Verhalten der Bundesregierung zeigt, wie wenig sensibel die Frage des Einsatzes deutscher Polizeibeamter in Namibia behandelt worden ist. ({1}) Wie sagte gestern Staatssekretär Neusel in der Innenausschußsitzung: „Freundlicherweise hat sich die Bundesluftwaffe für den Transport der Beamten zur Verfügung gestellt. " Ich denke, allein hieran wird deutlich, wie wenig Gespür die Bundesregierung gezeigt hat, den Prozeß der Geburt eines freien Namibias wirklich zu begünstigen. Zurückhaltung und Geräuschlosigkeit wären gefragt gewesen, wie ich in allen meinen Gesprächen vor 14 Tagen von allen politischen und gesellschaftlich verantwortlichen Kräften in Namibia erfahren habe. ({2}) Hiermit meine ich allerdings nicht den Anteil der ca. 20 000 Deutschstämmigen bzw. Deutschen dort unten, die schon sehnsüchtig auf das deutsche Kontingent warten: „Soldaten, GSG 9, bald kommen sie aus Deutschland, um hier für Ordnung zu sorgen. " So ein Großteil der deutschsprachigen Presse in Namibia. ({3}) - Davon können Sie sich überzeugen, Herr Kollege; Sie schütteln mit dem Kopf. So ist es. Nun haben sich ihre Hoffnungen erfüllt. Das Auswärtige Amt hat gestern per Pressemitteilung in Namibia sehr salbungsvoll auf die Ankunft der Deutschen hingewiesen. Sicher werden wir uns auf Dauer nicht der Verpflichtung entziehen können, im Rahmen von Einsätzen der Vereinten Nationen auch personelle Hilfe zu leisten. ({4}) Nur - das betone ich ganz ausdrücklich - , die Rechtsgrundlagen müssen stimmen. Da habe ich meine ganz erheblichen Bedenken, daß diese heute vorhanden sind. Abgesehen davon: Warum gerade erstmalig ein Einsatz deutscher Polizeibeamter in Südwestafrika? Haben wir die Kolonialzeit vergessen? Wissen wir nicht mehr, was 1904 mit den Hereros und Namas geschehen ist? Sensibilität wäre gefragt gewesen, aber nicht plumper, unüberlegter Aktionismus. Ich frage die Bundesregierung: Was wissen eigentlich die Polizeibeamten des BGS, die dort im Rahmen von UNTAG für sechs Monate Dienst als Police-Monitors versehen werden? ({5}) Vor dem Hintergrund, Herr Kollege, daß die offizielle Information der Grenzschutzkommandos bei uns erst am 10. August 1989 erfolgte und nicht Ende Juli, wie Herr Staatssekretär Neusel gestern im Innenausschuß auf eine entsprechende Frage meinerseits behauptete, müssen erhebliche Zweifel an der sorgfältigen Vorbereitung des Einsatzes geäußert werden. Grundkenntnisse in Englisch sollen sie haben - so eines der Ausschreibungskriterien des BMI. Ich frage das Hohe Haus: Glauben Sie auch, daß derartige Grundkenntnisse ausreichen, um Berichte über Verstöße und Übergriffe der südwestafrikanischen Polizei bzw. Beschwerden der Bevölkerung niederzuschreiben, die dann zum Gegenstand gerichtlicher Untersuchungen gemacht werden? Ganz abgesehen davon: Wie sollen die Beamten ihren Auftrag eigentlich versehen, wenn sie im Norden des Landes, z. B. an der Grenze zu Angola, eingesetzt werden, wo kaum jemand englisch spricht, sondern afrikaans gesprochen wird? ({6}) Nein, ich sage sehr deutlich für meine Fraktion: Diese Bundesregierung hat in einer sicher nicht einfachen Situation jegliches Gespür und jegliche Sensibilität vermissen lassen. Sie hat 50 Polizeibeamte auf eine nicht ungefährliche Reise geschickt, deren Vorbereitung auf Grund des nicht notwendigen Zeitdrucks gar nicht sorgfältig genug hätte sein können. Zum Abschluß meiner Ausführungen wünsche ich den Polizeibeamten des BGS im Namen meiner Fraktion alles erdenklich Gute und eine glückliche Hand. Damit verbinde ich die Hoffnung, daß alle diesen Einsatz gesund und ohne Schaden überstehen und durch Objektivität und Neutralität zum Gelingen des Unabhängigkeitsprozesses in Namibia beitragen. Die Verantwortung hierfür liegt allerdings in erster Linie bei der Bundesregierung. Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Mitmorgenmuffel! Gestatten Sie mir, daß auch ich zunächst den 50 Beamten des Bundesgrenzschutzes für ihre verantwortungsvolle und sicher nicht einfache Mission eine gute Hand wünsche, Umsicht, Geschick, viel Glück und Erfolg und vor allem eine gesunde und wohlbehaltene Heimkehr. Ich bin ein überzeugter Anhänger der Gewaltenteilung. Deshalb bin ich der Meinung, daß das, was die Bundesregierung entschieden hat, in ihren Kompetenzbereich als Exekutive gehört. ({0}) Natürlich können wir als Parlament unsere Meinung dazu sagen; die Verantwortung liegt bei der Bundesregierung. Allein unter diesem Aspekt ist die Entscheidung nicht zu kritisieren. ({1}) Wenn gesagt wird, die Luftwaffe fliege die da runter: Natürlich fliegt sie die Luftwaffe runter. Sind Sie noch nicht mit der Luftwaffe geflogen, wenn Sie als Abgeordneter auf Auslandsreise gegangen sind? Das ist doch, bitte sehr, auch keine Verquickung der Gewalten. ({2}) Der ganz entscheidende Punkt ist: Alle hier in diesem Hause haben immer wieder betont, wie groß gerade unsere Verantwortung als Deutsche für Namibia ist. Auch die GRÜNEN haben das gesagt; ich habe es noch im Ohr. ({3}) Das hat historische Gründe, weil gerade dieses Land deutsche Kolonie gewesen ist. Daraus leitet sich eine besondere Verantwortung für uns ab. ({4}) Wir sagen: Wir müssen helfen, daß der Unabhängigkeitsprozeß in Namibia friedlich verläuft. Wir stehen hier auch in der Kontinuität dessen, was wir immer gesagt haben: Wir waren es doch, die beharrlich an der Resolution 435 festgehalten haben. Keiner hat sich mehr dafür eingesetzt als unser Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, und zwar mit Ihrer Unterstützung. ({5}) Ihre Unterstützung war dabei stärker als manchmal die Unterstützung aus den Reihen der Union; das ist ja kein Geheimnis. Meine Damen und Herren, dies verpflichtet uns doch. Wir haben doch alle miteinander gesagt: Wir müssen Namibia helfen. ({6}) Wenn der Unabhängigkeitsprozeß nicht friedlich abläuft, dann haben doch diejenigen Oberwasser, die auch in Südafrika jeden Wandel verhindern wollen. Namibia ist doch der Modellfall für die Chance, daß man eine gemischtrassige Gesellschaft gründen kann, die auf der Achtung der Menschenrechte und auf demokratischen Prinzipien beruht. ({7}) Wir müssen doch dazu beitragen, daß dies gelingt. Die Entwicklung im ganzen südlichen Afrika wird doch um Jahrzehnte zurückgeworfen, wenn dieser Prozeß scheitert. Die UNO hat darum gebeten, daß wir diese Polizeibeamten entsenden. Was für ein einleuchtender Grund hätte denn vor dieser Verantwortung, die wir tragen, bestanden, dieser Bitte nicht zu entsprechen? ({8}) Wir hätten uns nicht nur zum Gespött gemacht, sondern wir hätten sagen müssen: Wir kapitulieren vor allen möglichen Bedenken aus unserer eigenen Vergangenheit, die hier nun wirklich nicht tragen. ({9}) Lassen Sie mich ganz zum Schluß bitte auf folgendes hinweisen. Meine Fraktion trägt diese Entscheidung nicht nur mit, sie hält sie für nützlich und für ausgesprochen notwendig. Wir legen aber Wert auf die Feststellung, daß diese Entscheidung, 50 Bundes-grenzschutzbeamte zu entsenden, nichts, aber auch gar nichts mit der Frage zu tun hat, ob sich etwa in Zukunft Kontingente der Bundeswehr an Einsätzen der UNO-Friedenstruppen beteiligen sollen. ({10}) Das ist eine völlig andere Frage, ({11}) über die wir in anderem Zusammenhang sicherlich werden reden müssen. Ich bin dafür, daß wir das diskutieren, aber nicht in diesem Zusammenhang. Es handelt sich hier um einen reinen Polizeieinsatz im Rahmen der zivilen Komponente von UNTAC. Man kann das gar nicht oft genug betonen. ({12}) Sie von den GRÜNEN zeichnen sich wieder einmal aus durch eine ekelerregende Heuchelei: ({13}) Einerseits schreien und lamentieren Sie über die Zustände in Namibia. Wenn wir aber endlich etwas dazu beitragen können, diese Zustände zu verbessern, dann sind Sie die ersten, die dieses kritisieren. Ich kann nur sagen: Die Entscheidung der Bundesregierung ist richtig. Wir begrüßen sie. Danke schön. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Irmer, trotz allen Engagements: „Ekelerregende Heuchelei" ist kein parlamentarischer Ausdruck. ({0}) Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich empfehle all denen, die hier aus einer sehr innerdeutschen Sicht oder auch aus einer provinziellen Sicht heraus weltpolitische Äußerungen machen, vielleicht bei ihren häufigen Besuchen - ob nun per Bundesluftwaffe oder per Linienflug; Frau Kollegin, ich habe Sie beobachtet, als Sie eben stolz gesagt haben: Ich fliege nicht mit der Bundeswehr, sondern mit einem Linienflug, was bekanntlich teurer ist, als wenn wir alle in Bundeswehrmaschinen sitzen -, in New York auch einmal die Vereinten Nationen aufzusuchen, und ich empfehle ihnen dringend, Gespräche mit dem Generalsekretär zu führen. Dann wird er Sie belehren, daß die 50 Deutschen, die zu einem großen Kontingent gehören, nämlich zu dem Kontingent von 1 000 Polizisten aus über 21 Staaten - jetzt auch mit der DDR, nebenbei bemerkt, eine innerdeutsche Begegnung - , nicht dorthin fahren, um Abenteuerlust zu befriedigen oder im „Camel-Stil" zu agieren, wie Sie das hier abqualifizieren. Vielmehr fahren sie dorthin, um endlich auch als Deutsche Verantwortung zu tragen, statt sich zu drücken ({0}) - bei Einsätzen, die seit Jahren für andere Staaten der Welt Selbstverständlichkeit sind und für die die UNO-Friedenstruppen den Nobelpreis bekommen haben. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis: den Friedensnobelpreis, worüber Sie Gott sei Dank nicht mit zu entscheiden gehabt haben, denn ich glaube, hier fehlt Ihnen jedwedes Verständnis. ({1}) Es war der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der mir am 15. Mai - ich kann Ihnen das genau sagen - dringend empfohlen hat, die Bundesregierung möge bitte alles tun, damit wir mit dabei sind, und zwar deshalb, weil wir gemeinsam mit anderen verhindern wollen, daß südafrikanische Polizei- und Koehvoet-Verbände Aufgaben wahrnehmen, die wir auf Grund unserer demokratischen Einstellung ganz anders erfüllen können. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn Sie hier den Eindruck erwecken - Kollege Irmer hat recht - , als ginge es uns vor allem um irgendeinen militärischen Einsatz der Bundeswehr, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben einfach nicht verstanden, was in Namibia geschieht, daß hier ein Friedensprozeß durchgesetzt werden muß in der Anwesenheit demo12072 kratischer Verbände, die übrigens der UN und nicht einem deutschen Kommando unterstellt sind. ({3}) Ich freue mich - das sage ich Ihnen ganz deutlich -, daß wir die Entsendung dieser Polizeibeamten nach Namibia gewollt und diese Maßnahme auch von Anfang an unterstützt haben. Die Gründe liegen auf der Hand. Es ist darauf hingewiesen worden. Wir haben uns seit 1978 darum bemüht, daß die Resolution 435 in Namibia verwirklicht wird. Ich erinnere mich an die jahrelangen übelsten Kritiken, die zur Zeit, als es in Namibia noch eine von Südafrika eingesetzte Übergangsregierung gab, an unserer Politik geübt worden sind. Wir sollten doch diesen Quatsch lassen. Wir sollten dies Übergangsregierung anerkennen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich von Ihnen nichts gehört. Jetzt, da diese Resolution verwirklicht wird, obwohl wir jahrelang gesagt bekommen haben, hier irre der Außenminister, hier solle man das alles als obsolet ansehen, jetzt, da die Chance zum Frieden besteht, fangen wir hier in kleinlichster Weise an, uns auseinanderzusetzen, ob die Anwesenheit von 50 Polizeibeamten der Bundesrepublik in Namibia eine schreckliche Sache sei. Es ist wieder einmal typisch deutsch, sich hier auf bürokratische Weise auseinanderzusetzen, statt die Frage zu stellen, wie wir zum Weltfrieden wirklich ernsthaft beitragen können. Das ist für mich unverständlich. Meine Damen und Herren, es waren auch vorher schon 35 deutsche Kfz-Mechaniker in Namibia im Rahmen der UN erfolgreich tätig. Die Entsendung von Wahlbeobachtern im Rahmen der zivilen Wahlüberwachungsgruppe der Vereinten Nationen ist beschlossene Sache. Ich hoffe, daß Sie sich daran beteiligen - ob mit Bundeswehrmaschine oder ohne -, wenn bei der Wahl Abgeordnete des Deutschen Bundestages diese Wahl kontrollieren. Ich halte das für wichtig. Es liegt in der politischen Logik, daß wir der Bitte des Generalsekretärs entsprechen. Wir werden uns auch nicht der Diskussion entziehen können - auch wenn einige glauben, unsere Vergangenheit dadurch zu bewältigen, daß wir dieser Frage aus dem Weg gehen sollten - , ob die Beteiligung Deutscher an Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen in Zukunft nach Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen möglich wird. Das ist eine Frage, mit der sich das Parlament noch beschäftigen wird und beschäftigen muß - unter Einbeziehung einer verfassungsrechtlichen Klärung. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Es täte uns sehr gut, wenn wir hier Debatten in Kenntnis außenpolitischer Zusammenhänge führten und nicht aus rein deutscher Sicht. Ich meine, es ist höchste Zeit, daß wir solche außenpolitischen Debatten anders führen. Ich glaube, daß der Weg Namibias in die Unabhängigkeit von vielen Schwierigkeiten begleitet war und noch ist. Wir haben mit Entsetzen und Bedauern den Mord an Rechtsanwalt Lubowski zur Kenntnis genommen. Wir haben diesen feigen Anschlag auf das schärfste verurteilt, und wir fordern den Generaladministrator in Namibia und den Generalsekretär der Vereinten Nationen auf, alles zu tun, um die Täter dingfest zu machen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Wir appellieren an alle Beteiligten, dafür zu sorgen, daß der Unabhängigkeitsprozeß in Namibia nicht noch in letzter Stunde durch Gewalt und Terror gefährdet wird. Die Rückkehr Sam Nujomas gestern ist ein weiterer Fortschritt auf dem Weg. Wir hoffen, daß ihm nichts passiert. Wir hoffen, daß nicht verblendete Fanatiker durch weitere Morde versuchen, die Unabhängigkeit dieses Landes zu verhindern. Vernunft und Mäßigung müssen jetzt die Oberhand behalten. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es notwendig ist, daß wir auch in Zukunft den Generalsekretär der Vereinten Nationen und seinen Sonderbeauftragten in Namibia nach Kräften unterstützen. Wir wollen, daß der Prozeß friedlich und geordnet zu Ende geführt wird. Namibia und das namibische Volk - ich glaube, das ist eine sehr wichtige Überlegung - müssen ein Beispiel dafür geben, daß Menschen verschiedener Rassen, die durch unterschiedliche Herkunft und Tradition geprägt sind, in einem Staat friedlich zusammenleben können - ein Beispiel für Südafrika, wo es höchste Zeit wird, daß man sich besinnt und daß man einen ähnlichen Weg antritt. Wir glauben, daß die Durchsetzung der Unabhängigkeit Namibias und das Zusammenleben von Schwarz und Weiß in Namibia einen wesentlichen Einfluß auf die weitere Entwicklung in Südafrika haben können. Südafrika steht am Scheideweg seiner Geschichte. Es reicht nicht mehr aus, Reformen nur anzukündigen und dann halbherzige Schritte zu tun. ({4}) Die unterdrückte Mehrheit der Südafrikaner fordert immer lauter volle Menschen- und Bürgerrechte ein. Sie kann sich dabei auf die ungeteilte Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft verlassen. Apartheid muß beendet werden, damit die Menschen in Südafrika friedlich zusammenleben können. Meine Damen und Herren, was in diesen Tagen geschieht, ist ganz wesentlich für die weitere Entwicklung des südlichen Afrika. Ich hoffe, daß der Einsatz, auch nur von 50 deutschen Beamten bei den UN-Polizeistreitkräften, die mit den anderen 950 zusammen ihre Aufgabe wahrnehmen, mit dazu beitragen wird, daß die friedliche Überführung Namibias in die Unabhängigkeit gelingt. Ich glaube, wir sollten angesichts dieses großen und wichtigen politischen Ereignisses kleinkarierte innenpolitische Auseinandersetzungen vermeiden. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat noch einmal der Herr Abgeordnete Such.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Versprecher liegt oft die Wahrheit. Sie haben von „Polizeistreitkräften" gesprochen, die Sie einsetzen wollen. Ich glaube, daß daran auch deutlich wird, um was es hier geht: Ihr Kopf steckt schon so voll davon, daß Sie irgendwann endlich einen deutschen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten wollen, und das wollen Sie dann mit Militär tun. ({0}) Ich behaupte noch einmal, daß es hier darum geht, einen Präzedenzfall zu schaffen, um behutsam eine Grundgesetzänderung vorzubereiten, um dann schließlich auch Bundeswehreinheiten in anderen Konfliktregionen einzusetzen. Meine Damen und Herren, uns ging es in dieser Debatte um zweierlei; ich mache das noch einmal deutlich. Es geht einmal darum, zu verdeutlichen, daß hier am Parlament vorbei dieser Einsatz angeordnet und durchgezogen wurde. Das ist schlechter parlamentarischer Stil. ({1}) Das gehört sich nicht bei einer derartigen Frage, die heiß diskutiert wird und bei der erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Es geht uns natürlich auch in Namibia darum, für einen Friedensprozeß zu sorgen. ({2}) Aber da gibt es andere Möglichkeiten. Dazu muß man keine Polizeieinheiten einsetzen, dazu braucht man keine Streitkräfte. ({3}) Ich glaube, ich muß Ihre Phantasie nicht anregen, wie man Frieden schaffen kann, jedenfalls nicht mit angeblich zivilen Polizeieinheiten. Es bleibt auch immer noch die Frage offen, was überhaupt ein ziviler Polizeieinsatz ist. Den gibt es nämlich nicht. Ich möchte noch einmal auf die eingesetzten Beamten zu sprechen kommen. Natürlich hoffen auch wir, daß die Beamten gut zurückkommen. Ich möchte aber nicht die Verantwortung übernehmen. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn es zu Auseinandersetzungen gekommen ist und Sie dann den Angehörigen dieser Beamten gegenübertreten und ihnen sagen müssen: Da ist nun etwas passiert, wir haben nicht damit gerechnet. - Der Staatssekretär hat gestern gesagt: Natürlich rechnen wir nicht mit Notwehrsituationen. In dieser Haut möchte ich nicht stecken. Ich hoffe, daß die Beamten gut und möglichst schnell - am besten schon morgen - nach Hause zurückkehren. Schönen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Hornhues.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege, lassen Sie mich einen Versuch machen: Können Sie sich ungefähr vorstellen, was in den Köpfen und Herzen anderer vorgeht - von Österreichern, Niederländern, Iren, Polen oder Kenianern - , die sich Ihren Redebeitrag anhören und vielleicht zusätzlich noch im Ohr haben, wie Ihre Kollegin Frau Eid und viele andere, wie wir alle erklärt haben, auf Grund der besonderen Verantwortung wegen unserer Vergangenheit müßten wir etwas tun? ({0}) Diese Länder schicken ihre Polizisten, schicken ihre jungen Leute. Sie sehen eine Bundesrepublik Deutschland, die heftigst damit beschäftigt ist - was ja gar nicht so schlecht ist - , in ihrem Außenhandel ihre Vorteile aus einer friedlichen Welt zu ziehen. Sie fragen sich: Mein Gott, was ist denn mit denen? Wollen sie denn nur die Vorteile haben? Sind sie denn nicht einmal da bereit, wo sie immer ihre besondere Verantwortung bekundet haben, ein bißchen, wenn Sie so wollen, mehr zu tun, als nur Geld zu geben, um Frieden zu schaffen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie versuchen, sich in deren Köpfe hineinzuversetzen, wird klar, warum der UN-Generalsekretär sich an uns gewandt und gesagt hat: Bitte schön, also 50 Polizisten könnten es vielleicht doch schon sein als ein zusätzlicher deutscher Beitrag. ({1}) Hier werden ja Legenden gebildet. Herr Kollege Lippelt, in Ihrem Zwischenruf hieß es so schön: „Nacht- und Nebel-Aktion". „Nacht und Nebel" klingt ziemlich komisch. Sie wissen, was Sie damit gesagt haben. Nacht und Nebel müssen einen ganzen Sommer lang geherrscht haben, jedenfalls bei den GRÜNEN, ({2}) wenn Sie einen ganzen Sommer lang nicht gemerkt haben, daß tatsächlich die Zeitungen voll waren von dieser Nacht- und Nebel-Aktion. ({3}) - Tatsächlich? ({4}) - Tatsächlich? Nein. ({5}) - Entschuldigung! ({6}) - Wir haben heute den 15. September. Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen: Ihnen scheinen die Argumente auszugehen, wenn Sie sagen: Parlamentarisch war es nicht möglich. ({7}) - Machen Sie nicht so einen Krach! Das hat doch keinen Sinn. Es geht doch hier um etwas anderes. ({8}) - Nein. Mit der Luftwaffe sind die GRÜNEN noch nie geflogen. ({9}) - Nein. Bestimmt nicht. ({10}) - Im Ernst? Sind sie tatsächlich damit geflogen? ({11}) - Nicht nur erster Klasse mit der Lufthansa? ({12}) - Entschuldigung, das habe ich nicht gewußt. ({13}) - Nun haben wir es im Protokoll stehen. Es geht hier darum, daß so gut, wie es möglich ist, versucht wird, in einer höchst schwierigen Situation Namibia zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Staatsminister Schäfer hat schon den tragischen Tod von Anton Lubowski erwähnt, dessen Meinungen ich in der Regel nie geteilt habe und dessen Gesprächspartner ich oft gewesen bin. Es hat darüber hinaus schon eine Menge Tote mehr gegeben. Wir wünschen und hoffen, daß es gelingen wird, den Prozeß in Namibia zu Wahlen und zur Unabhängigkeit ohne weiteres Blutvergießen und ohne weitere Tote so friedlich wie irgend denkbar hinzubekommen. Wir appellieren an alle Parteien in Namibia, auf ihre Mitglieder, Sympathisanten und Anhänger einzuwirken, den Wahlkampf mit dem zu führen, was notwendig und sinnvoll ist, nämlich mit Argumenten und nicht mit Steinen, Messern oder anderen Gegenständen. Wir appellieren an die Südafrikaner. Wir appelheren an die Deutschen dort unten, alles zu tun, damit Versöhnung und Verständigung in Namibia Platz greifen, damit das, was manche befürchten, nicht eintritt, nämlich daß es zu gewalttätigen, eskalierenden Auseinandersetzungen kommt. Wenn diese 50 Polizisten des Bundesgrenzschutzes dazu beitragen, dann haben sie ein ganz klein wenig - mehr ist es ja nicht - zum Frieden und zur Unabhängigkeit eines Landes beigetragen, mehr als Sie heute morgen mit Ihrem Geschrei. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Das Ringen um das Für und Wider des Einsatzes deutscher BGS-Angehöriger geht, wie Sie merken, quer durch die Reihen, übrigens bei den Beamten ebenso wie innerhalb der Parteien, die SPD eingeschlossen. Ich will erklären, warum wir die Entscheidung nicht mit einem Hurra-Geschrei auf den Lippen absegnen, sondern auch Bedenken und Einwände artikulieren und trotzdem zu einem grundsätzlichen Ja kommen. Der Bundesgrenzschutz ist keine militärische Organisation, Herr Such, sondern eine Polizei des Bundes mit einem zivilen Selbstverständnis und dem eindeutigen Auftrag, die Grenzen zunächst einmal nach innen zu sichern. ({0}) Aus vielen Gesprächen mit BGS-Angehörigen weiß ich, daß ihnen sehr daran gelegen ist, dieses Rollenbild eher zu schärfen als zu verwischen. ({1}) Wenn sich etwa die Gewerkschaft der Polizei mehrheitlich gegen den Einsatz des BGS in Namibia ausspricht, dann ist es sicher grundfalsch, ihr Angst vor Verantwortung oder Kleinkariertheit vorzuwerfen. Es geht da um andere Einwände, nicht zuletzt um verfassungsrechtliche, und diese sind aus meiner Sicht auch nicht vom Tisch. Es gibt auch Zweifel, ob sich wirklich in der Praxis am Ort das durchhalten läßt, was bekundeter Wille ist: nämlich der Status des Beobachters und Überwachers in strikter Trennung zu denen, die eingreifen müssen. Noch ein Gesichtspunkt: Wir können uns nicht einfach von der historischen Last lösen, die Deutsche sich selbst und dem Südwesten Afrikas zu Kolonialzeiten aufgebürdet haben. Von allen Argumenten, die für die Entsendung deutscher Polizisten sprechen, sollten wir bitte schön eines nicht benutzen, nämlich daß Deutsche ein so hohes Ansehen in der Region besäßen. Denn solche Sätze können den fatalen Eindruck erwecken, daß sich Deutsche jetzt darauf freuen, gewissermaßen als Urenkel der kaiserlichen Wachtmeister von einst die Einheimischen darüber zu belehren, wie man sich auch zu turbulenten Wahlkampfzeiten in Sachen Demokratie verhält. Bitte Finger weg von der Vorstellung, Deutsche könnten sich in anderen Ländern als Gesundheitspolizei in Sachen Demokratie oder auch als souveräne Schlichter im Streitfall aufspielen! ({2}) Je unauffälliger und sensibler das Verhalten der Beamten dort ist, um so besser. Meine Damen und Herren, das alles hätte die Bundesregierung längst in Ruhe ansprechen und vorklären müssen, anstatt mit Zaudern bis zu ihrer Entscheidung wertvolle Zeit zu vergeuden und das Parlament jetzt tatsächlich vor vollendete Tatsachen zu stellen. ({3}) Dem Appell des Kollegen Irmer zu weiser Selbstbescheidung des Parlaments schließe ich mich ausdrücklich nicht an. Wo kämen wir denn da hin? ({4}) Richtig ist, daß sich die Bundesregierung auf Dauer dem Appell an ihre Verpflichtung gegenüber der UNO nicht entziehen kann. Klar muß zugleich auch sein, daß mit dem Engagement von BGS-Beamten keine Vorentscheidung gefallen ist. Klar muß außerdem sein, daß die Anwesenheit des Bundesgrenzschutzes von uns Deutschen wirklich einzig und allein als Chance gesehen wird, Namibia den gewaltfreien Übergang zur Unabhängigkeit zu erleichtern, eine Geste, ein Beitrag, Hilfe ohne jeglichen Anflug von Arroganz. ({5}) Vielleicht können die BGS-Beamten die schlimmen Erinnerungen an das Massaker am Stamm der Hereros zu Beginn dieses Jahrhunderts lindern, für das Deutsche Verantwortung trugen. Ausgelöscht kann und soll diese Erinnerung damit nicht sein. Noch eines: Klar ist auch, daß sich die Bundesregierung mit dem Hinweis auf die Entsendung der BGS-Beamten nicht von der Pflicht freikaufen kann, in Namibia soziale, medizinische und technische Hilfe zu geben. Klar muß schließlich sein, daß die Bundesregierung mit 50 auf einige Monate entsandten BGS-Angehörigen nicht davon ablenken darf, daß es hier bei uns, im ureigenen Bereich des BGS, allerhand Probleme zu lösen gibt: massive Überstundenbelastungen, Personal- und Materialknappheit in großen Teilen des Grenzschutzeinzeldienstes. Mit anderen Worten: Der nüchterne Alltag der Beamten hier darf über der spektakulären Entsendung einiger weniger in den Südwesten Afrikas nicht aus dem Blickfeld geraten. So, meine Damen und Herren, und nur so läßt sich die Mission in Namibia rechtfertigen und befürworten. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß es wohl sagen: Ein Abgeordneter, der in dieser Sache Bedenken hat, ist deswegen nicht provinziell. Und der Friedenseinsatz in Namibia oder der Ablauf der Wahlen wäre nicht dadurch beeinträchtigt worden, wenn die Beamten des Bundesgrenzschutzes erst heute abgeflogen wären. ({0}) Diese Entsendung ist keine Alltagsentscheidung. Die außenpolitische Absicht ist richtig und überzeugend. Die friedliche Zukunft Namibias - mehr als die Namibias - hängt von der internationalen Glaubwürdigkeit des Wahlergebnisses ab, das über jeden Zweifel erhaben sein muß, daß die Wähler frei entscheiden konnten und daß das Wahlverfahren nicht manipuliert worden ist. Von dieser Glaubwürdigkeit hängt auch die Zukunft der 20 000 Deutschen ab, die teilweise seit Generationen in Namibia leben. Sie setzen darauf, daß die Bundesrepublik sichtbar dokumentiert, daß ihr die politische Zukunft dieses Landes nicht gleichgültig ist und daß sie nicht nur an dem Unabhängigkeitsprozeß beteiligt war, sondern daß sie auch in Zukunft an der friedlichen Entwicklung dieses Landes Anteil nehmen wird. Die Polizeibeamten des BGS sollen und können in diesem Zusammenhang keine exekutiven Vollmachten und Aufgaben haben. Sie sind Wahlbeobachter. Sie haben keine kriminalpolizeilichen und schutzpolizeilichen Aufgaben. Sie sind uniformiert. Sie sind als Teil der UNTAG und als deutsche Polizeibeamte erkennbar. Diese Einmaligkeit muß bei der Bewertung der Rechtslage berücksichtigt werden. Ich stelle für unsere Fraktion folgendes fest: Erstens. Wir stimmen der Entsendung zu und halten sie für gerechtfertigt. Wir gehen aber davon aus, daß aus dieser singulären Entscheidung kein Präjudiz und keine Rechtfertigung dafür hergeleitet wird und werden kann, auch in anderen Fällen Beamte des BGS im Rahmen von Aufgaben der Vereinten Nationen außerhalb der Bundesrepublik einzusetzen. Die Auf gaben des BGS sind durch Gesetz bestimmt und müssen durch Gesetz bestimmt bleiben. Das Schweigen der Gesetze ist die Freiheit der Bürger und nicht die Freiheit der Regierung. ({1}) Zweitens. Die Friedenseinsätze der Vereinten Nationen haben eine wachsende internationale und völkerrechtliche Bedeutung. Es ist aber nicht so, daß sich die Bundesrepublik den völkerrechtlichen Verpflichtungen bisher entzogen hätte, die sich aus der Satzung der UN ergeben. Wir sind völkerrechtlich verpflichtet, Friedenseinsätze zu unterstützen, aber es liegt in unserer Entscheidung, wie wir das tun. So haben wir bisher den Einsatz in Namibia nicht nur mit finanziert, sondern wir haben Material und zahlreiche Techniker gestellt, insbesondere zur Wartung der Kraftfahrzeuge der Vereinten Nationen. Diesen Männern möchte ich hier und jetzt unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen. Drittens. Unabhängig davon, ob es wünschenswert wäre, daß sich die Bundesrepublik mit der Bundeswehr an Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen beteiligt - eine schwierige und offene Frage - , ist es die entschiedene Meinung unserer Fraktion, daß derartige Einsätze der Bundeswehr nur nach einer ausdrücklichen vorherigen Verfassungsänderung zulässig und politisch vertretbar wären. Diese Auffassung entspricht auch der ständigen Staatspraxis der Bundesrepublik, die nicht etwa in irgendeinem Gegensatz zu unseren völkerrechtlichen Pflichten steht, sondern die wohlbegründet und historisch gerechtfertigt ist. Wir können unsere Friedensliebe mit vielfachen Mitteln beweisen, nicht nur durch den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Friedensaufträgen der Vereinten Nationen. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam hoffen, daß das politische Ziel der von der Bun12076 desregierung getroffenen Entscheidung erreicht wird: Frieden und Unabhängigkeit in Namibia und der Beweis dafür, daß auch in diesem Teil Afrikas das friedliche Zusammenleben verschiedener Rassen und verschiedener politischer Überzeugungen möglich ist. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier geht es um einen Beitrag zur friedlichen Entwicklung. Ich möchte gleich am Beginn meines Beitrags heute morgen sagen: Es ist wichtig, daß wir die UNO bei ihrer friedenstiftenden Aktivität nicht im Stich lassen, sondern sie unterstützen, so wie sie es bei uns erbeten hat. Ich habe an uns alle die Bitte, daß wir diesen Beitrag für eine friedliche Entwicklung doch nicht zerreden. Wir haben die Chance, ihn gemeinsam zu unterstützen. Zu den Anmerkungen, die hier bisher vorgetragen wurden, möchte ich zunächst gern zweierlei feststellen. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit entschieden. Die Diskussion, die heute morgen im Parlament stattfindet, hätte früher stattfinden können; denn die Diskussion über den Tatbestand gibt es seit langem. Wenn dies so dringend war, konnte die Terminfestlegung in der Kompetenz des Parlaments früher erfolgen. Meine Damen und Herren, die Beamten, über die wir sprechen, werden - das möchte ich für das zuständige Ministerium noch einmal sagen - im Rahmen des zivilen Auftrags der Friedensmission der Vereinten Nationen in Namibia das bereits im Lande tätige Polizeikontingent aus Beamten zahlreicher anderer Staaten verstärken. Ich sage sehr deutlich, auch nach den letzten Redebeiträgen: Die Beamten haben keine eigenen Exekutiv- und Weisungsbefugnisse. Sie führen entsprechend den Ausrüstungsrichtlinien der Vereinten Nationen bei Ausübung ihres Dienstes eine Pistole zum eigenen Schutz mit sich. Insgesamt setzen die Vereinten Nationen auf Polizeistationen im ganzen Land zur Zeit mindestens 1 000 Polizeibeobachter ein; wahrscheinlich muß das Kontingent noch vergrößert werden. Der Auftrag der Polizeibeobachter ist rein ziviler Art, das muß immer wieder gesagt werden. Eine irgendwie geartete militärische Komponente enthält der Auftrag nicht. Die Vereinten Nationen haben deshalb die Mitgliedstaaten für diesen Auftrag ausdrücklich auch um die Entsendung von Polizeibeamten gebeten. Ich sage auch noch einmal: Die Entsendung der Beamten nach Namibia hat keine Präzedenzwirkung für eine etwaige Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an künftigen Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung hat bei ihrer Entscheidung ausdrücklich festgestellt: Angehörige der Polizei - also auch des Bundesgrenzschutzes - stehen für Aufgaben im Rahmen von Friedensmissionen der Vereinten Nationen, die über eine polizeiliche oder sonstige zivile Aufgabenstellung hinausgehen, nicht zur Verfügung. Der Einsatz von Polizeibeamten des Bundesgrenzschutzes auf freiwilliger Basis ist aber - das muß nun noch einmal deutlich erklärt werden - nach dem Grundgesetz und auch nach dem Bundesgrenzschutzgesetz zulässig. Verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalte bestehen insoweit nicht. Die innerstaatlichen Aufgabenzuweisungen für den Bundesgrenzschutz nach dem Grundgesetz dienen der Kompetenzabgrenzung gegenüber den Ländern. Das Grundgesetz untersagt dem Bund nicht, den Bundesgrenzschutz auch in anderen, nicht ausdrücklich angesprochenen Bereichen einzusetzen, wenn dem Bund dafür eine Verwaltungskompetenz zusteht. Dies ist der Fall. Der Bund betätigt sich hier im Rahmen der auswärtigen Gewalt. Auch das Bundesgrenzschutzgesetz verbietet diesen Einsatz nicht. Ich möchte hinzufügen: Dieses Gesetz regelt - weil es soeben angesprochen wurde, sei es noch einmal gesagt - nur die Kompetenzabgrenzung zu den Aufgaben der Länderpolizeien bei uns und die der Eingriffsverwaltung gegenüber den Bürgern. Dienstrechtlich ist die Entsendung der Polizeivollzugsbeamten nach Namibia möglich. An ihrem Beamtenverhältnis ändert sich nichts. ({0}) Meine Damen und Herren, der Bundesminister des Auswärtigen hat bereits auf die besondere Verantwortung für den friedlichen Übergang Namibias in die Unabhängigkeit hingewiesen. Ich möchte nur sagen: Wir können uns den Bitten der Vereinten Nationen um personelle Beteiligung nicht entziehen und darauf bauen, daß andere Länder in die Bresche springen, weil wir es nicht tun wollen. Die Bundesgrenzschutzbeamten haben sich für diesen Auftrag freiwillig gemeldet. Sie wissen, daß die Lage in Namibia nicht einfach ist. Dies belegt schon die Tatsache, daß die Vereinten Nationen das Polizeikontingent auch heute noch weiter aufstocken wollen: zunächst von 500 auf 1 000. Voraussichtlich werden noch weitere Beamte angefordert. Die Beamten sind sich dessen bewußt; sie kennen ihren Auftrag. Ein Beleg für die Schwierigkeit des Auftrags ist der kürzlich verübte Anschlag auf eine UNO-Polizeistation im Norden Namibias und auch die Ermordung von Rechtsanwalt Lubowski, die hier ja schon angesprochen wurde. Wir können nur mit Trauer vor diesem Tatbestand stehen. Meine Damen und Herren, die 50 Beamten des Bundesgrenzschutzes, die sich für die Aufgabe zur Verfügung gestellt haben, verdienen Dank und Anerkennung, daß sie sich für diese Friedensmission bereitfinden. Ich möchte deutlich sagen: Wir danken ihnen für diese Bereitschaft. Ich schließe mich den guten Wünschen an, daß sie ihren Auftrag - ihren rein zivilen Auftrag - gut erfüllen können. Wir wünschen auch, daß sie nach Erfüllung ihres Auftrages gesund in ihre Heimat zurückkehren können. Zusammengefaßt möchte ich gerade für unser Haus sagen: Es geht um einen rein zivilen Auftrag, und es geht um einen Beitrag für den Friedensprozeß. Ich meine, wir sollten heute morgen die Botschaft aussenden, daß wir mit unseren Möglichkeiten zu einer friedParl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt lichen Entwicklung auch in diesem Bereich der Welt beitragen wollen. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Guten Morgen, meine Damen und Herren, Frau Präsdientin! Herr Waffenschmidt, es gibt keine zivile Polizei, die eingesetzt werden kann. Es gibt auch keinen zivilen Polizeieinsatz. Es gibt höchstens eine Polizei in Zivil. Das aber ist etwas ganz anderes. ({0}) Zu dem zweiten Ansatz Ihrer Ausführungen. Ihr Beitrag zum Frieden, den Sie mit rechtlich fragwürdigen Konstruktionen darlegen, erinnert an den Satz, daß der Zweck die Mittel heiligt. Ich finde es ungeheuerlich: Was Sie hier vortragen, ist in der rechtlichen Darlegung eben nicht so sicher, wie Sie tun. Das BGS-Gesetz zählt enumerativ auf, welche Zuständigkeiten der BGS hat, plus Zuständigkeitsregelungen in anderen Gesetzen. Sie aber können uns nicht ein Gesetz nennen, wonach der BGS diese Tätigkeit im Ausland ausüben kann. Wenn dann Abgeordnete gleichzeitig sagen, die Freiheit der Gesetze sei die Freiheit der Bürger, dann verstehe ich nicht, wie man am Schluß zu dem Ergebnis kommen kann: Jawohl, wir schicken sie dahin. Vom Politisch-Pragmatischen her kann ich das gedanklich nachvollziehen, aber nicht, wenn man eine rechts- und innenpolitische Bewertung abgeben muß. Ich darf etwas in Anlehnung an die Ausführungen von Herrn Hirsch sagen. Es soll kein Strickmuster für zukünftige Anforderungen sein; das haben wir gestern von ihm gehört. Herr Neusel betonte gestern die Singularität des Vorgangs. Und von Herrn Gerster haben wir sogar gehört: Wir würden uns als Fraktion - CDU/CSU - dagegen verwahren, daß es irgendwelche Nachfolgesituationen präjudiziert. In dem Moment, wo der Einsatz erfolgt - er erfolgte heute nacht mit der Abreise und dem augenblicklich stattfindenden Flug - , ist der Präzedenzfall geschaffen. Heute morgen beim Frühstück, das ich wegen der Uhrzeit der Aktuellen Stunde viel zu früh einnehmen mußte, ({1}) las ich im Bonner „General-Anzeiger", daß Herr Schäuble bei der Verabschiedung der 50 BGS-Beamten gesagt hat - er wird dort zitiert - , daß bei zukünftigen Einsätzen gegebenenfalls auch Beamte der Länderpolizeien zur Verwendung kämen. ({2}) Ich möchte dringend um Klarstellung bitten, ob diese Äußerung tatsächlich gefallen ist; denn das macht alles obsolet, was Gerster, Neusel und auch Herr Hirsch gestern als Erwartungshaltung formuliert hatten. Herr Neusel, Sie gingen gestern noch einen Schritt weiter, indem Sie sagten: Der Einsatz ist rechtlich zu halten, wenn er rechtlich vertretbar ist. - Das ist völlig irre. Das heißt, man hat eine strittige Situation, und wenn man das irgendwie rechtlich vertreten, also entsprechend hindrehen kann, dann ziehen wir das durch. Was ist das für ein Rechts- und Verfassungsverständnis! Das ist von dieser Bundesregierung so formuliert und wird bedauerlicherweise - die beiden anderen Fraktionen lasse ich hier aus - sogar von der SPD mitgetragen. Was geschieht eigentlich, wenn jemandem in Namibia etwas passiert, wenn er oder seine Angehörigen dann klagen und wenn festgestellt wird, durch diesen Beschluß des Bundeskabinetts habe es Beihilfe zu irgend etwas gegeben? Das alles macht die Fragwürdigkeit des gesamten Vorganges deutlich. Letzter Gedanke, Frau Präsidentin: Vor kurzem wurde in einem Strategiepapier des Zentrums für innere Führung der Bundeswehr veröffentlicht, daß diese genauso wie der BGS nach dem Papier aus dem Hause des Bundesinnenministeriums - „BGS 2000" genannt - vom September 1988 vermehrte fachfremde Verwendungen von Bundeswehr und BGS z. B. im Umwelt- und Katastrophenschutz, aber auch Einsätze im Ausland vorsehen. In diesem Papier wird gefordert, durch attraktive Einsatzfelder die Akzeptanz und die Nachwuchsgewinnung angesichts zunehmender Motivationsschwierigkeiten zu stärken. Das ist doch das entscheidende Moment im innenpolitischen Feld, der Kern der Begründung bei der Bundesregierung, bei Herrn Schäuble und Herrn Waffenschmidt, und nicht das, was uns hier immer mit Seifen- und Luftblasen erzählt wird. Von daher ist diese Darlegung, daß alle anderen, die diesen Einsatz im Ausland zur Entwicklung oder Sicherung des Friedens in Namibia kritisieren, als geistige Unterflieger einzuordnen seien - wie Herr Schäuble es darstellt - , mehr als verfehlt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitte März dieses Jahres haben wir hier gemeinsam, einstimmig, u. a. folgendes beschlossen: Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundesregierung, daß sie ihre konsequente Menschenrechtspolitik fortsetzt und auch im Fall Namibia auf die Verwirklichung der Menschenrechte sowie freiheitliche und rechtsstaatliche demokratische Verhältnisse in Namibia drängt und diese fördert. Das war unser Wunsch. Jeder von Ihnen, der die Entwicklung in Namibia seit Mitte März verfolgt hat, weiß, daß eine Eskalation der Gewalt stattgefunden hat, die kulminiert hat in dem Mord an Rechtsanwalt Lubowski vorgestern abend. Wenn unter diesem Aspekt auf Anforderung des Sonderbeauftragten der UNO an den UNO-Generalsekretär die Staaten der Welt von der UNO aufgerufen sind, sie in ihrer Friedensmission zu unterstützen, können wir Deutschen gerade wegen unserer Verantwortung für Namibia nicht abseitsstehen. ({0}) Es ist daher die übereinstimmende Auffassung meiner Fraktion, daß wir bei Friedensmissionen und gerade in diesem konkreten Falle nicht schamhaft beiseite stehen dürfen. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließt Kritik an den Modalitäten nicht aus. Darauf hat mein Kollege Graf hingewiesen. Was um alles in der Welt, Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung daran gehindert, die - so wie Sie heute gesagt haben - am 15. Mai darüber informiert worden ist, daß ein solcher Wunsch besteht, in den Auswärtigen Ausschuß und in den Innenauschuß zu gehen und mit den Parlamentariern zu diskutieren? Was hat sie daran gehindert? Es ist unser Selbstverständnis als Parlament, trotz aller Gewaltenteilung, Herr Kollege Irmer, solche gerade in dieser sensiblen Sache Namibia zu treffenden Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Dann hätten wir nämlich vorher über die Modalitäten diskutieren können. ({1}) Das ist der Punkt, um den es mir heute morgen geht, auch im Selbstverständnis. Wir sollten gerade in solchen Fragen eine gute Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament herbeiführen. ({2}) Diese Kritik an der Bundesregierung muß ich hier heute ganz deutlich äußern. Übrigens ist ja interessant: Meine Kollegen im Innenausschuß haben mir eben gesagt, Herr Staatssekretär Neusel habe gestern noch erklärt, die Anforderung sei erst am 5. Juni an den Bundespräsidenten ergangen. Was stimmt denn nun - 5. Juni oder 15. Mai? Ich will mich hier ganz vorsichtig und parlamentarisch ausdrücken. Ich halte es nicht für gut, daß Parlamentarier hinter das Licht geführt werden, gerade in einer solch sensiblen Frage. Ich will das hier sehr deutlich anmerken. Meine Damen und Herren, wir bejahen die Beteiligung am Friedenseinsatz der UNO in Namibia, gerade in Namibia. Wer da war, wie die Delegation - ich will nur ein Beispiel nennen - , und weiß, daß etwa im Kavango-Gebiet 66 Wahlstationen eingerichtet werden und die Polizeipräsenz der UNO zur Zeit 16 Beamte umfaßt, der weiß, welch ein dringendes Erfordernis besteht, daß weitere deutsche Polizeibeamte - ich will das noch einmal sehr deutlich sagen; als solche sehen wir auch die Angehörigen des BGS - die UNO in diesem Prozeß der Überwachung der Wahlen unterstützen. Hier sagen wir ein Ja. In den Modalitäten sind wir anderer Auffassung. Ich will noch eine letzte Frage stellen. Herr Staatsminister Schäfer, wer hat Sie daran gehindert - es ist mehr an das Innenministerium gerichtet - , bei der Vorbereitung der Beamten den Sachverstand des deutschen Parlaments mit einzusetzen? Hier gibt es Leute, die wissen, was in Namibia passiert und die ein paar Tips hätten geben können. Auch dies ist eine Desavouierung des Parlaments. ({3}) Meine Kritik richtet sich also gegen diese gerade in dieser Frage völlig unnötige Nichtbeteiligung der Parlamentarier. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Zeitlmann.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde die ganze Diskussion hier eigentlich ein bißchen eigenartig. Wir wissen, daß wir in der letzten Woche die Haushaltsdebatte hatten. Jeder hier im Parlament - ein Zwischenruf hat mir das bestätigt - hat im Grunde gewußt, daß es um diese Entsendung geht. Die Presse war voll von Berichten. Das Parlament hat das Thema von sich aus nicht angeschnitten. ({0}) Entscheidend, glaube ich, ist doch eines: Die Gewaltenteilung macht ganz klar und deutlich fest, daß die Regierung über eine solche Entsendung zu entscheiden hat. Das Parlament hätte Zeit gehabt, sich damit zu befassen. Die GRÜNEN hätten ihren Antrag auch in der letzten oder in der vorletzten Woche einbringen können. Entscheidend ist für mich eines: Die Entsendung erfolgt auf Ersuchen einer UNO-Einrichtung, nämlich des UNO-Generalsekretärs. Sie ist verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Eine Präzedenzwirkung für den BGS - das ist hier wiederholt erklärt worden - ist rechtlich und auch tatsächlich nicht gewollt und nicht gegeben, von der Bundeswehr einmal ganz zu schweigen. Ich sehe überhaupt nicht, wie man von dem Einsatz einer Polizeieinheit von 50 Mann auf eine Präzedenzwirkung für die Bundeswehr kommen kann. Derzeit liegen nach den schriftlichen Äußerungen der Regierung keine weiteren offiziellen Anforderungen der UNO vor. Eine andere Sache ist allerdings, wie wir hier mit der Materie umgehen. Herr Kollege Such, wenn Sie, schon von der sprachlichen Seite her, in Ihrem Antrag - wenn auch in Anführungszeichen - von „Schutztruppen", von „paramilitärisch", von „Militarisieren", von „Exekutieren" reden, ({1}) dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn hier eine - ich sage einmal - völlig provinzielle Diskussion aufkommt. Es geht nicht um Kampfeinsätze, sonZeitlmann dern - das ist wiederholt erklärt worden - um eine polizeiliche Überwachung, die von der UNO gewünscht wird. Ich muß wirklich fragen, wenn Sie sich an der Zahl 50 festmachen: Wollen Sie denn in der Tat mehr? Ich bin der Auffassung, je mehr Nationen in dieser UNO-Überwachungseinheit vertreten sind, um so interessanter, um so wichtiger ist dies, weil dann eine breitere Weltöffentlichkeit auf das Geschehen in Namibia blickt. Ich möchte noch einen letzten Aspekt ansprechen: Wie wollen wir denn nun langfristig, die nächsten Jahrzehnte, unseren deutschen Polizeibeamten erklären, daß die halbe Welt Polizei in Friedensorganisationen schickt, aber die Deutschen nicht? Es muß doch einmal Schluß mit der ewigen Vergangenheitsbewältigung auch in außenpolitischen Dingen sein. ({2}) - Mag ja sein, daß ich nach Ihrer Auffassung nichts verstanden habe. Ich könnte den Spieß auch umdrehen. Ich tue es nicht. Ich bin der Auffassung, es muß doch jetzt, 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, möglich sein, daß deutsche Polizeibeamte nach dem Wunsch der Vereinten Nationen in der Reihe der anderen Nationen bei solchen Aktionen dabei sind. Natürlich wünscht jeder von uns ein gesundes Zurückkommen der Beamten. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist doch merkwürdig, wie immer wieder dann, wenn wir mit schwierigen außenpolitischen Fragen konfrontiert sind, unsere Vergangenheit uns einholt, in diesem Falle sogar ganz weit zurück bis in die Zeit des Kaiserreichs. Darum glaube ich nicht, daß wir gut daran tun, Probleme, die hier im Zusammenhang mit diesem Einsatz aufgezeigt werden, so leicht vom Tisch zu wischen. Ich glaube, daß die moralische Begründung für das Hinterfragen des Vorgangs, über den wir heute diskutieren, ohne jeden Zweifel da ist. Ich glaube aber auch, daß man gerade von dieser moralischen Seite her zu einem anderen Ergebnis kommen kann und nach meiner Meinung kommen muß als die GRÜNEN. Gerade, weil mir sehr wohl bewußt ist, daß der erste Völkermord, der mit dem deutschen Namen verbunden ist, in Namibia geschehen ist, meine ich, daß wir heute eine Chance haben, etwas zu tun, um diesem Land eine glücklichere Zukunft zu geben und diese sicherzustellen. ({0}): Sehr richtig! Aber nicht mit Polizei!) Ich will hier gar nicht das große Wort „ Wiedergutmachung" gebrauchen. Wir haben aber eine Chance, Menschen zu helfen, deren Vorfahren Schreckliches von unseren Vorfahren angetan worden ist. ({1}) Die Frage, wie wir das nun beurteilen, hängt davon ab, wie wir unsere Rolle und Verantwortung in der Welt sehen. Wir müssen doch endlich einmal aufhören, meine Damen und Herren, die Welt nur als einen deutschen Exportmarkt zu begreifen. ({2}) Wir leben mit anderen Völkern zusammen. Wir haben Aufgaben, wir haben Verantwortlichkeiten. Wir können nicht meinen, daß wir unsere Verantwortlichkeiten immer nur mit Geld erledigen können, daß wir uns von dem, was zu tun ist, mit Geld loskaufen können. Wir haben auch einmal Flagge zu zeigen, und das ist in diesem Falle so. Ich habe es von Anfang an für richtig gehalten, daß wir in Namibia an der Sicherung des Friedensprozesses und des Unabhängigkeitsprozesses mit Polizei überwachend teilnehmen. Ich muß mit aller Schärfe dem widersprechen, was hier von Sprechern der Koalition und leider auch der Regierung gesagt worden ist: das Parlament hätte sich hier nicht rechtzeitig bemüht, Entscheidungen herbeizuführen. Ich habe in der Debatte über die Vereinten Nationen Anfang Juni hier von diesem Pult aus die Bundesregierung aufgefordert, diese Sache schnell zu entscheiden und darüber mit uns in den Ausschüssen zu reden. ({3}) Von diesem Pult aus können Sie ja offenbar der Bundesregierung sagen, was Sie wollen. Das interessiert sie nicht. Wenn Sie es in der „Bildzeitung" tun, dann reagiert sie vielleicht. ({4}) Ich muß darauf hinweisen, daß das Anfang Juni gewesen ist, und jeder von uns, der sich mit Namibia beschäftigt, weiß seit April, daß dieser Wunsch der Vereinten Nationen besteht. Ich kann der Bundesregierung diesen Vorwurf nicht ersparen: in einer fahrlässigen und unverantwortlichen Weise die Entscheidung hinausgezögert zu haben und die Beamten, die jetzt hinausgeschickt worden sind, ohne die notwendige Vorbereitung hinausgeschickt zu haben. Ich würde es nicht riskiert haben, junge Leute mit einer Vorbereitung von nur 14 Tagen in dieses Land und in diese Situation zu schicken. Ich hätte das nicht riskiert! ({5}) Nun, lassen Sie mich noch etwas sagen: Herr Minister Schäuble ist es gewesen, der die verhängnisvolle Verbindung zwischen der Polizeihilfe, die wir leisten wollen, und dem Einsatz der Bundeswehr, den wir nicht leisten können, hergestellt hat. Das hat ja den Entscheidungsprozeß in der Bundesregierung, wenn ich das richtig sehe, in unnötiger Weise aufgehalten und behindert. ({6}) Man muß das hier einmal festhalten. Ich halte es für notwendig, hier auch einmal festzuhalten, daß die übereinstimmende Meinung der Fraktionen - aller Fraktionen dieses Hauses - wohl die ist, daß diese Fragen nichts miteinander zu tun haben, ({7}) daß diese Vermischung ganz und gar unzulässig ist, daß keinerlei Präjudiz für die Verwendung der Bundeswehr in Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen geschaffen ist. ({8}) Unser Standpunkt dazu ist vollkommen klar: Nach der jetzigen Rechtslage ist jedweder Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Zuständigkeit des Bündnisses nicht erlaubt; kein solcher Einsatz ist möglich. Wer das anders haben will, muß sich hier hinstellen und das Grundgesetz ändern wollen; damit das klar ist. ({9}) Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung noch: Ich wünsche mir, daß die Polizeibeamten des Bundesgrenzschutzes, die jetzt in Namibia sind, dort etwas tun, was uns hilft, deutsche Verantwortung für das südliche Afrika stärker wahrzunehmen. Wir haben uns da in der Vergangenheit vielleicht ein paar Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Wenn ich „wir" sage, meine ich: Parteien, Parlament und Regierung insgesamt. Herr Schäfer hat auf die explosive Lage im südlichen Afrika hingewiesen. Das ist nicht nur in Namibia so, sondern es baut sich - Herr Schäfer, Sie wissen es - auch in Südafrika eine katastrophale Situation auf. Wir werden uns in der nächsten Zeit - ich sage es Ihnen voraus - wieder damit beschäftigen müssen. ({10}) Die jungen Beamten, die wir dort haben, können etwas zur Verbesserung unseres Ansehens tun. Darum wünsche ich mir, daß sie ihre Aufgabe nicht als Interessenvertretung für die 20 000 Deutschen in Namibia, sondern daß sie ihre Aufgabe so verstehen, daß sie für jeden in diesem Lande da sind, der bedrückt wird, der eingeschüchtert wird und der in Gefahr ist. ({11}) Die Deutschen in Namibia sind ein besonderes Problem für uns. Sie haben die Entscheidung in dieser Sache nicht erleichtert, sondern eher erschwert. Und es ist eben leider wahr, daß sie den Bundesgrenzschutz in Namibia als „Soldaten des BGS" bezeichnet haben, wie es auch hier zitiert worden ist. ({12}) Sagen wir es doch ganz ehrlich: In dieser deutschen Bevölkerungsgruppe gibt es ein reaktionäres NaziGeschmeiß, mit dem wir nichts zu tun haben wollen. Wir wollen eben nicht, daß sich unsere jungen Polizeibeamten dort mit denen in irgendeiner Weise gemein machen. ({13}) Ich hoffe sehr, Herr Staatssekretär Waffenschmidt, daß Sie diese jungen Leute bei der Vorbereitung der Reise über die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe, über das Umfeld, in dem sie sich dort bewegen müssen, aufgeklärt haben. Wenn Sie das durch die Kommandeure des Bundesgrenzschutzes haben machen lassen, dann allerdings gute Nacht! ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Clemens.

Joachim Clemens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000330, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antragsteller sind die GRÜNEN, und mit ihnen muß ich mich kurz befassen. ({0}) Ich muß hier noch einmal herausstellen, daß Sie von vornherein die Absicht gehabt haben, hier viel Geschrei zu erheben. Sie haben in einer öffentlichen Fraktionssitzung am 13. September klar erklärt, daß Sie in einer schwierigen Argumentationslage sind, ({1}) daß Sie nur schwerlich etwas dagegen sagen können, sondern nach etwas suchen müssen, wo Sie angreifen können. Ihr erster Angriffspunkt sollte sein, das Verfahren zu kritisieren, ({2}) nämlich daß die Entscheidung der Bundesregierung während der Sommerpause gefallen ist. Nun muß ich Herrn Verheugen dazu zitieren. Er hat ja gesagt, daß er bereits im Juni die Vorstellung gehabt hat, das hier im Parlament zu diskutieren. Nun, Herr Verheugen, Sie wissen selber: Es gibt parlamentarische Rechte, auch für die Opposition, für die Minderheit, dies durchzusetzen. Also, ich wundere mich wirklich, daß Sie davon keinen Gebrauch gemacht haben; erster Punkt. Zweiter Punkt. In Ihrer Presseerklärung vom 27. Juli heißt es: Es muß ganz schnell entschieden werden. Wenn es erst nach der Sommerpause geschähe - 27. Juli, wir waren mitten in der Sommerpause - , dann würde die Bitte der Vereinten Nationen letzten Endes praktisch gegenstandslos werden. Sie haben das deutlich betont. Sie haben vor allen Dingen gar nicht davon gesprochen, daß das Parlament noch beteiligt werden sollte. Sie waren also dafür, daß eine schnelle Entscheidung erfolgte. Die ist nun erfolgt. Das finde ich richtig. Der zweite Angriffspunkt der GRÜNEN, der Hauptangriffspunkt, sollte sein, daß der BGS der Vorreiter für die Bundeswehr sei. Dann wurde die Uraltvokabel ausgegraben, daß es sich beim BGS um eine paramilitärische Truppe handelt. Nun muß ich Ihnen ehrlich sagen: Das können wir so nicht stehenlassen. ({3}) Nun weiß ich sehr genau, daß Sie grundsätzlich gegen alle Uniformträger etwas haben. Ihre Forderung, die Bereitschaftspolizei und den Bundesgrenzschutz abzuschaffen, ist sattsam bekannt. ({4}) Ich kann nur sagen: Sie wollen offensichtlich ein Chaos. ({5}) Sie sind gegen Law and order. Sie wollen den Nachtwächterstaat ganz allgemein. ({6}) - Dadurch, daß Sie es wiederholen, wird es sicherlich nicht richtiger. ({7}) Die Situation ist so: Der Bundesgrenzschutz ist in keinster Weise eine paramilitärische Truppe. Der BGS ist nach Ausrüstung, Organisation, Ausbildung und Selbstverständnis die Polizei des Bundes. Das wissen Sie. Seine Qualitäten als hochwertige Polizeitruppe hat er oft genug hier in der Bundesrepublik bewiesen. ({8}) - Jawohl, hier in der Bundesrepublik, als Polizeitruppe. ({9}) Es gab auch einmal einen Einsatz in Mogadischu - das wollen wir auch nicht vergessen - , im Ausland, Herr Wüppesahl. ({10}) Diese Polizeitruppe ist anerkannt gut. Sie wird von vielen Ländern gelobt. Wir werden darum beneidet. Das herauszustellen war eigentlich mein Schlußpunkt hier heute bei einer Debatte, wo die GRÜNEN zunächst die Backen aufgeblasen haben - oder besser die Wangen - , um dann nur noch ein leichtes Säuseln eintreten zu lassen. ({11}) - Ich wußte, was kam. Deswegen habe ich gleich vorgebeugt. Ich möchte mich nur noch ganz herzlich bei den Beamten, die freiwillig nach Namibia gegangen sind, für diesen Einsatz bedanken. ({12}) Ich hoffe, daß sie alle unversehrt gut zurückkommen. Danke schön. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Aussprache aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Interparlamentarischen Union Hierzu liegt ein interfraktioneller Entschließungsantrag auf Drucksache 11/5178 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Interparlamentarische Union, die bei weitem älteste und traditionsreichste Parlamentarierkonferenz der Welt, ist hundert Jahre alt geworden. Dieser Geburtstag wurde letzte Woche in London gefeiert. Unsere englischen Kollegen mit Michael Marshall an der Spitze haben wirklich alles aufgeboten, was Großbritannien an guten und alten Traditionen zu bieten hat. Es war eine würdige Jubiläumskonferenz, die von Königin Elizabeth II in der traditionsreichen Westminster Hall eröffnet wurde. Es zeigte sich, daß eines der ältesten Parlamente der Welt, das Westminster-Parlament, bis heute nichts an Ansehen und Respekt in der Welt verloren hat. Die Regierungschefin, Mrs. Thatcher, hielt vor der Konferenz eine vielbeachtete Rede. Sie warb für die Kraft der freien Demokratie, die sich derzeit vor allem im Osten mehr und mehr durchzusetzen beginnt, und sprach sich - das war neu - für einen weltweiten Umweltschutz aus. Das gute Klima der Feierlichkeiten in London färbte wohl auch auf die Konferenz ab. Alle vier Schlußresolutionen wurden einstimmig angenommen, und das immerhin von 112 Ländern. Seit ich dabei bin, hat es das noch nie gegeben. Selbstverständlich gab es im Verlauf der Diskussionen auch Kontroversen, besonders dort, wo es um die Menschenrechte ging. Gerade unsere Delegation hat sich über die Jahre hinweg für die Einhaltung der Menschenrechte in den verschiedenen Teilen der Welt eingesetzt. Nach den schlimmen Ereignissen in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni dieses Jahres haben wir folgerichtig verlangt, das vor die Vollversammlung der Interparlamentarischen Union zu bringen. Wir stellten den Antrag, das Thema „Gewaltsame Unterdrückung der friedlichen Bürgerproteste in der Volksrepublik China" als zusätzlichen Tagesordnungspunkt auf die Agenda zu setzen. Wenn man nun das Abstimmungsverhalten in Gremien wie der UNO oder auch der IPU kennt, darf man sich keine Illusionen machen. Eine Zweidrittelmehrheit, die für unseren Antrag erforderlich gewesen wäre, war nicht zu erreichen. Mit 393 Nein-Stimmen, 335 Ja-Stimmen und 509 Enthaltungen wurde der 12082 Deutschei Bundestag - 11. Wahlperiode Frau Geiger Antrag dann auch abgelehnt. Interessant war jedoch, wie die einzelnen Länder abstimmten. Man konnte sehen, daß bei den früher unbeweglich starren Blökken etwas in Bewegung geraten war. Viele Länder der Dritten Welt - ebenso wie viele Länder Südamerikas und der blockfreien Staaten - enthielten sich der Stimme. Die eigentliche Sensation war jedoch das Abstimmungsverhalten der Polen. Sie stimmten als einziges Land aus dem Warschauer Pakt mit Ja. Das war dann einen ganz spontanen Beifall der ganzen Konferenz wert. Ungarn und Jugoslawien enthielten sich der Stimme. Wenn wir auch mit unserem Antrag nicht durchkamen, so glaube ich doch, daß es sehr gut und auch wichtig war, ihn zu stellen. Denn gerade im hundertsten Jahr des Bestehens der Interparlamentarischen Union - der einzigen weltweiten Parlamentarierorganisation, die die gleichen Ziele wie die UNO verfolgt - ist es wichtig, die grausame Unterdrückungspolitik in China wohlgemerkt: auch einem IPU-Mitgliedsland - nicht einfach hinzunehmen, sondern eindeutig dagegen Stellung zu beziehen. ({0}) Am Abschlußtag der diesjährigen Herbsttagung spielten die Menschenrechte nochmals eine wichtige Rolle. Der scheidende australische Delegationsleiter, Tom Uren, stellte einen Antrag zur Bildung parlamentarischer Gruppen „zur Förderung und zum Schutze der Menschenrechte". Viele Parlamente der westlichen Länder, so auch wir, haben längst einen Ausschuß oder einen Unterausschuß, der sich mit Menschenrechten befaßt. Für uns sind solche parlamentarischen Gremien, die sich z. B. um die Gewährung fairer Gerichtsverfahren für politische Häftlinge und die Abschaffung von Folter und Hinrichtungen auf der ganzen Welt - wie dies der australische Antrag fordert - kümmern, zur Selbstverständlichkeit geworden. Dies ist bei vielen kommunistischen oder afrikanischen Ländern nicht so. Bezeichnenderweise versuchten Rumänien, die Tschechoslowakei, China, Vietnam und Senegal, den Antrag zu verwässern. Der sowjetische Delegierte meinte gar, man brauche im parlamentarischen Bereich nicht auf die Zielsetzung von „amnesty international" zurückgreifen. Im parlamentarischen Rat wurde der australische Vorschlag dann aber mit Mehrheit angenommen. Polen und Ungarn stimmten für diesen Antrag, wiederum als einzige Länder des Warschauer Paktes. Auch das war wieder eine kleine Sensation. Die Delegationen der 26 westlichen Länder, die innerhalb der IPU als Gruppe der 12+ zusammenarbeiten, haben eine Erklärung zum Schicksal der ethnischen und moslemischen Minderheiten türkischer und anderer Herkunft in Bulgarien abgegeben. Sie haben in tiefer Besorgnis auf die von der bulgarischen Regierung verfolgte Politik der Zwangsumsiedlung reagiert und haben - alarmiert durch die Massenauswanderung von über 300 000 Menschen türkischer Herkunft - Minderheitenrechte für diese Gruppe eingefordert. Des weiteren wurde ein umfassendes Auswanderungsabkommen zwischen der Türkei und Bulgarien verlangt. Nur Zypern und Griechenland wollten dieser Erklärung nicht beitreten, wie überhaupt zum Nachteil in den Diskussionen der 12+-Gruppe der Zypernkonflikt die Sitzungen mehr und mehr beeinträchtigt. Spezielle Zusammentreffen hatten wir in London mit der amerikanischen und der ungarischen Delegation. Es ist erfreulich, daß sich die USA wieder viel aktiver in die Arbeit der IPU einschalten. Zum 100. Geburtstag sind sie mit einer sehr starken Delegation, mit neun Congressmen und Senatoren, nach London gekommen. Unser Gespräch mit der ungarischen Delegation fand in einer für unsere bilaterale Zusammenarbeit entscheidenden Phase statt. Es deutete sich an, daß die ungarische Regierung einen Weg finden würde, den Deutschen aus der DDR eine Ausreise aus Ungarn zu ermöglichen. Wir spürten deutlich, daß die Ungarn sehr stark unter Druck standen, und wir haben den Ungarn für ihren Mut und für ihre Menschlichkeit ganz herzlich gedankt. Ich glaube, der Vorschlag früherer DDR-Bürger, Ungarn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, verdient wirklich unsere Unterstützung. ({1}) Jetzt aber noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen zur Interparlamentarischen Union: Die Interparlamentarische Union hat sich seit ihrer Gründung am 29./30. Juni 1889 in Paris die Aufgabe gestellt, Streit zwischen Völkern nicht durch Kriege, sondern durch friedliche Mittel beizulegen. Statt Waffeneinsatz sollten persönliche Kontakte zwischen den Parlamentariern, statt Blutvergießen sollten Diskussionen und Gespräche stattfinden. Die einzelnen Parlamentarier sollten dann auf die jeweiligen Regierungen Einfluß ausüben, damit Konflikte und Probleme friedlich gelöst werden könnten. Wie die Geschichte der letzten 100 Jahre zeigt, ist dies in sehr vielen Fällen leider nicht gelungen. Zwei Weltkriege und unzählige Brandherde in aller Welt haben großes Leid über viele Völker gebracht. Aber immer nach Konflikten oder noch während Auseinandersetzungen trat die Interparlamentarische Union segensreich in Erscheinung. Viele erste Treffen zwischen feindlichen Parteien haben in aller Stille unter dem Dach der Interparlamentarischen Union stattgefunden. Weil ich unseren früheren Ratspräsidenten Dr. Stercken hier sitzen sehe: Auch er hat da vieles eingeleitet, z. B. beim Zypernkonflikt, hinsichtlich des Libanon usw. ({2}) Auch nach den beiden Weltkriegen, als Europa noch in Schutt und Asche lag, wagten 1919 und 1945 in Genf Abgeordnete aus verschiedenen Ländern wieder einen Neubeginn. Dies waren immer die Sternstunden in der Geschichte der IPU. Viele Minister und sogar Regierungschefs sind aus den Reihen der IPU hervorgegangen. Auch Gorbatschow war Anfang der 80er Jahre Leiter einer sowjetischen Delegation. Zum 100. Geburtstag kamen allein 58 Parlamentspräsidenten nach London. Frau Präsidentin, wir haben es sehr bedauert, daß Sie aus Gesundheitsgründen nicht dabei sein konnten; wir hoffen aber, daß Sie bei einem der nächsten Treffen mit dabei sind. ({3}) Es ist eine traurige Tatsache, daß nur die Minderheit der Mitglieder der IPU Parlamente hat, die dem westlichen Demokratiestandard entsprechen. Die Statuten sind so, daß alle Länder, die ein wie auch immer geartetes Parlament haben, durch eine einfache Mehrheitsentscheidung der Mitgliedsländer aufgenommen werden können. Dies ist auch im Falle Libyens in London wiederum geschehen, gegen dessen Aufnahme ich gestimmt habe, allerdings ohne Erfolg. Für uns besteht jedoch der Trost und die Chance darin, daß das positive Beispiel der Vertreter der freien Demokratien mit ihren spontanen Redebeiträgen und mit ihrer individuellen Entscheidungsfreiheit, mit ihrer politischen Kreativität Eindruck macht und weniger freien Ländern als gutes Beispiel dient und zur Nachahmung ermutigt. Wir könnten es uns auch gar nicht leisten, auf diesem Weltpodium zu fehlen und so unsere Positionen nicht darzustellen. Andere würden unseren Platz einnehmen. Dies würde niemand nützen. Die Tagungen der Interparlamentarischen Union sehe ich gewissermaßen als Mikrozensus des Weltgeschehens. Hier kann man sehr genau verfolgen, wie die Stimmungen und Strömungen zwischen den einzelnen Ländern und Blöcken verlaufen. Der Höhepunkt aller Reden bei der Generaldebatte der diesjährigen Konferenz in London war für mich der Beitrag des jungen polnischen Delegationsleiters, eines Vertreters der „Solidarität", der in gutem Englisch eine spontane Rede für mehr Freiheit, Demokratie und Menschenrechte hielt. Wer hätte das gedacht angesichts der seit Jahren vorgetragenen immer gleichen Parteimonologe! Meine Damen und Herren, ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem wir einmal von einem Delegationsleiter aus der DDR eine solche Rede zu hören bekommen. ({4}) Zuletzt darf ich mich bei allen Mitgliedern der Delegation für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bedanken. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen in Sachfragen, die es natürlich in einer Gruppe gibt, der Vertreter aus fünf Parteien angehören, ist es immer gelungen, in einer menschlich anständigen Form miteinander umzugehen. Wir tragen unsere Querelen im innenpolitischen Bereich nicht in die IPU. Trotzdem verleugnet keiner von uns, wo er herkommt und seinen politischen Standpunkt hat. So haben wir in der Delegation auch immer wieder ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten, d. h. wir splitten unsere 18 Stimmen. Aber auch dies, als ein gutes Beispiel gelebter Demokratie, hat uns - neben dem großen Fleiß und der Kreativität unserer Delegation - zu Ansehen in der Konferenz verholfen. Nicht zuletzt gilt heute mein Dank unserem unermüdlichen Sekretär, Herrn Voss, der da oben Platz genommen hat, und seinen tüchtigen Mitarbeiterinnen. ({5}) Von vielen Delegationen werden wir um unser effizientes Sekretariat beneidet, und ich bin sicher, daß wir in der bewährten guten Zusammenarbeit auch die Organisation der interparlamentarischen Abrüstungskonferenz im Mai nächsten Jahres in Bonn ganz hervorrangend und mit Bravour meistern werden. Ich danke Ihnen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Interparlamentarische Union, herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag! ({0}) Du bist die älteste und die Pionierin der internationalen parlamentarischen Organisationen, du hast so manche Erfolge aufzuweisen. Zu Recht wurden deine beiden Gründungsväter, nämlich der Engländer Cremer und der Franzose Passy, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wir, die Bundestagsabgeordneten, wünschen dir eine wirkungsvolle Zukunft. ({1}) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gruß- und Geburtstagswort sei vorweg gesagt. In der Tat hat sich die IPU besondere Verdienste als parlamentarischer Arm der internationalen Friedensbewegung erworben. So hat sie die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 angeregt, zur Schaffung des Internationalen Gerichtshofes im Haag, zu den Konventionen zum Kriegsvölkerrecht, zu völkerrechtlichen Abkommen zum internationalen Patentschutz, zum Zivilprozeß, zum Familienrecht beigetragen usw. An diese Anfänge konnten dann auch der Völkerbund, die Vereinten Nationen sowie der Europarat und andere Organisationen anknüpfen, der Europarat, der bei der IPU einen Beobachterstatus hat und dessen Parlamentarische Versammlung ich seit einigen Jahren bei der IPU offiziell vertrete. Unsere, die bundesdeutsche Gruppe ist auf den zweimal pro Jahr stattfindenden Vollkonferenzen mit 8 Bundestagsabgeordneten aus allen vier Fraktionen vertreten. Onorevole, Senatore Gobrecht aus Hamburg, ich weiß, daß der Bundesrat mit Begehrlichkeit darauf schaut, an diesen interparlamentarischen Konferenzen teilzunehmen. Wir sagen dazu ein klares Nein! Bundestagsabgeordnete, Vertreter des wirklichen Parlaments, haben uns dort international zu vertreten, nicht Mitglieder des Bundesrates. ({2}) Unser besonderes, das bundesdeutsche Engagement in der IPU hat vor allem in der letzten Zeit deren Arbeiten geprägt. Wir haben z. B. an der Reform der IPU in Richtung auf eine stärkere Handlungsorientierung mitgewirkt und immer wieder zur Herstellung demokratischer Verhältnisse aufgerufen. So unter12084 stützen wir die Menschenrechtsarbeiten insbesondere des Ad-hoc-Menschenrechtsausschusses. Es gelang mir, im Namen der bundesdeutschen IPU-Gruppe zu Chile eine besondere entsprechende Initiative zu ergreifen, und zwar mit Erfolg. Parlamentsabgeordnete haben mit angeregt, daß Beamte aus Parlamenten der Dritten Welt, die in der Tat häufig einen Nachholbedarf haben, hier im Bundestag ausgebildet werden. Das ist ein Stück Demokratietransfer; das ist eine gute Sache. Wir müssen mit dafür sorgen, daß wir auch, was wir hier im Bundestag ja versuchen, Frauen stärker an den Arbeiten der IPU, auch in den Leitungsgremien, beteiligen. Wir gehen da mit gutem Beispiel voran. Ich sage das nicht nur im Hinblick auf unsere Leiterin Michaela Geiger, ich sage es auch etwa in Bezug auf Sie, Frau Kollegin Fischer. Sie arbeiten jetzt in der Umweltgruppe mit, und das ist auch ein Erfolg für unsere bundesdeutsche Gruppe. Wir wünschen Ihnen alles Gute bei dieser Arbeit. ({3}) Unsere Kolleginnen und Kollegen beeinflussen durch ihre Redebeiträge, durch die von uns zu den meisten Tagesordnungspunkten eingebrachten Resolutionsentwürfe und durch die Mitarbeit in den wichtigen Redaktionsausschüssen auch die Inhalte der dann später verabschiedeten Resolutionen. Die nächste IPU-Konferenz auf Zypern wird sich mit dem wichtigen Thema „Beschäftigung, Ausbildung und neue Technologien" befassen. Dieses Thema ist auch von uns eingebracht worden. Wir richten die nächste interparlamentarische Abrüstungskonferenz hier in Bonn aus. Die IPU führt zusammen. Wir haben als IPU-Gruppe z. B. Abgeordnete aus allen zentralamerikanischen Ländern zusammengebracht. Zum erstenmal hat sich jetzt dank der IPU eine vietnamesische Parlamentarierdelegation in der Bundesrepublik aufgehalten. Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Arbeitsbilanz kann sich sehen lassen. Zweifelsohne ist die Interparlamentarische Union von heute eine andere als die von 1889. Sie ist heute schon lange nicht mehr eine eurozentrische Organisation. Sie zählt zur Zeit 112 Mitgliedsgruppen aus Nord und Süd, Ost und West, Gruppen unterschiedlichster Couleur. Allerdings ist nur die Minderheit der Mitgliedsgruppen pluralistisch zusammengesetzt. Leider gibt es immer noch zu viele Einparteiendiktaturen. Eine Aufwertung hat die IPU dadurch erfahren, daß sie Sonderkonferenzen zu besonderen Themen, wie z. B. Umwelt, Bevölkerung und Drogen, organisiert - zum Teil in Kooperation mit der UNO. Die IPU ist außerdem zu einem wichtigen internationalen Ausspracheforum für die Erörterung von Nord-Süd-Fragen geworden. Hier findet der interparlamentarische Nord-Süd-Dialog statt. Ich möchte den IPU-Abgeordneten, die meinen, daß es eine Einmischung in die inneren Verhältnisse ihres Landes ist, wenn man sich um die Menschenrechte kümmert, sagen: In Menschenrechtsfragen lassen wir uns das Prinzip der Nichteinmischung nicht entgegenhalten. Wir müssen darauf dringen, daß es zu einem menschenwürdigen Leben in Ländern der Dritten Welt, genauso wie bei uns - auch unsere Demokratie ist nicht perfekt - , kommt. ({4}) In London wurden auf dieser glanzvollen Jubiläumssitzung, auf der hart und nach unserer Auffassung erfolgreich gearbeitet wurde, vier Entschließungen verabschiedet. Ich will nur eine erwähnen, die Resolution zu Namibia. Sie ist realistisch, pragmatisch, ausgewogen und nach vorne weisend zugleich. Sie wurde vom Ausschuß für nichtautonome Gebiete und ethnische Fragen, dessen Vizepräsident ich bin, sorgsam vorbereitet. In dieser Resolution wird die kurz bevorstehende Unabhängigkeit Namibias begrüßt und zum Druck auf das südafrikanische Regime aufgerufen, damit es seine Verpflichtungen einhält, sämtliche Aktionen zur Verstärkung der Instabilität und der Unsicherheit der Menschen in Namibia einstellt, gleichzeitig die diskriminierenden Gesetze abschafft und alle namibischen politischen Gefangenen freiläßt. Die Vereinten Nationen werden aufgefordert, alles daranzusetzen, um der weiteren Registrierung von Ausländern in den Wählerverzeichnissen Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig wird an alle Regierungen appelliert, die UNO finanziell so zu unterstützen, daß sie ihre Aufgaben erfüllen kann. ({5}) Zwar wird die besondere Rolle, die der SWAPO zukommt, gewürdigt, aber ebenso wird klargestellt, daß das Prinzip gleicher Rechte für alle am Wahlprozeß in Namibia beteiligten politischen Parteien voll gewahrt werden muß. Ich habe mit Erfolg - mit Unterstützung der Gruppe der 12 + der westlichen Länder - angeregt, daß als Ziel in dieser Resolution für das zukünftige freie Namibia eine demokratische Regierung, die den Willen des Volkes widerspiegelt und die Menschenrechte achtet, festgeschrieben wird. Wir alle müssen doch hoffen und erwarten, daß es dazu kommt, und müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit das neue Namibia nicht die Fehler anderer wiederholt. Gerade in der letzten Zeit hat die IPU, insbesondere ihr Exekutivorgan, der Interparlamentarische Rat, in dem jedes Land mit zwei Sitzen vertreten ist, besonderen Wert darauf gelegt, stärker handlungsorientiert zu wirken. So ist das Statut auf der Londoner Konferenz dahin gehend geändert worden, daß es Pflicht einer nationalen Gruppe ist, die von der IPU angenommenen Entschließungen in geeigneter Weise sowohl dem eigenen Parlament vorzulegen als auch der Regierung zu übermitteln und sie umzusetzen. Dazu sind wir aufgefordert. Nach den heute gültigen Statuten betrachtet sich die IPU zu Recht als „Brennpunkt des weltweiten parlamentarischen Dialogs". Auch wenn die IPU nicht mit einem Parlament im eigentlichen Sinne gleichzustellen ist, so ist sie doch das Herzstück des parlamentarischen Internationalismus. Das Herz sollte nicht durch künstlich aufgepäppelte Konkurrenzorganisationen geschwächt werden. ({6}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt den Willen der IPU, weiterhin Friedensarbeit zu leisten sowie zur Zusammenarbeit zwischen Völkern und zur Stärkung parlamentarisch-repräsentativer Institutionen beizutragen. Wir messen dem Erfahrungsaustausch und den Kontakten zwischen den Abgeordneten in dieser einzigen wirklich universellen interparlamentarischen Organisation eine hohe Bedeutung bei. Wir unterstützen die Arbeit der IPU, weil sie die Ziele der UNO teilt, und wir unterstützen die IPU besonders, weil sie sich zu einem Forum für Demokratie und Menschenrechte entwickelt. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich traue mich, zum Uwe Holtz du zu sagen. Zur IPU du zu sagen wie er, traue ich mich nicht; dafür ist sie mir zu alt - 100 Jahre -, und dafür ist sie mir auch zu würdig. Jetzt wird manch einer vielleicht sagen: Mein Gott, schon wieder ein Jubiläum! Wir feiern ja dauernd Jubiläen, aber dies ist ein besonders erfreuliches. Es ist ein besonders interessantes Jubiläum. Man muß sich einmal vorstellen, daß bereits vor 100 Jahren - das ist im Text des Entschließungsantrags im übrigen falsch ausgedruckt, dort steht nämlich „ 1989" ; das muß noch korrigiert werden - sich Parlamentarier aus allen Teilen der Welt zusammengesetzt haben, um gemeinsam zu beraten, wie man den Frieden sichern kann. Es ist leider nicht gelungen. Aber man hat den Willen dazu gehabt. Man hat miteinander gesprochen. Man hat über Grenzen hinweg das gesucht, was verbindet. Das ist schon eindrucksvoll. Wir müssen uns einmal überlegen, was vor 100 Jahren in einem deutschen Parlament war. Welche verfassungsrechtlichen Möglichkeiten hatte der Reichstag? Welche politischen Möglichkeiten hatte der Reichstag? Welche verfassungsrechtlichen Möglichkeiten haben wir heute als Deutscher Bundestag? Wie nützen wir sie aus? Machen wir wirklich von den rechtlichen Möglichkeiten immer den angemessenen Gebrauch? In der Aktuellen Stunde vorhin ging es darum, ob sich das Parlament, auch wenn es keine rechtliche Zuständigkeit hat, doch in Regierungsgeschäfte einmischen soll, für die die Zuständigkeit rechtlich eindeutig festliegt. Kulturhistorisch und kulturphilosophisch ist das Parlament der Welt, die IPU, eine Fundgrube. Es ist sehr lehrreich, dort zu studieren, was es alles an Formen des Parlamentarismus gibt. Natürlich ist der Bundesrat in diesem Sinne kein klassisches Parlament. Schauen wir uns einmal an, welche Parlamente es sonst noch gibt, auch in der IPU. Es gibt die klassischen ruhmreichen Parlamente. Frau Geiger hat das britische Parlament erwähnt. Es gibt weisungsgebundene Marionettenparlamente; wir erleben es. Ich erwähne hier bewußt die DDR im Unterschied zu anderen. Dort lesen die Abgeordneten ihren Text vom Blatt ab, weil sie etwas anders nicht sagen dürfen. Wenn sie abweichen wollen, müssen sie erst in Ost-Berlin anrufen und sich Weisungen holen. Das ist ein bedauerlicher Parlamentarismus. Uwe Holtz hat Einparteienparlamente angesprochen. Ich bin etwas vorsichtig, sie so ablehnend zu behandeln, wie das gemeinhin geschieht. Das Parlament der DDR ist ein Mehrparteienparlament. Aber welche Bedeutung hat die Aufspaltung in mehrere Parteien? Sie müssen alle dasselbe sagen, sie hängen an der Leine und sind nicht frei. Es gibt beispielsweise in den jungen Ländern Afrikas Einparteienparlamente. Das entspricht zwar nicht unserem klassischen Bild des Parlamentarismus, aber dort kommt mehr an Pluralismus, mehr an Freiheit, mehr an Demokratie zum Ausdruck als in manchen anderen Mehrparteienparlamenten, und zwar einfach deshalb, weil man dort aus einer anderen Kultur schöpft. ({0}) Das Palaver spielt dort eine Rolle. Man redet innerhalb der einen Partei so lange, bis man sich einig ist. Man kennt dort nicht das Prinzip, daß die Mehrheit entscheidet und die Minderheit sich fügen muß. Ich sage nicht, daß dies ein Modellfall für uns wäre. Natürlich käme für uns etwas anderes gar nicht in Frage. ({1}) - Ich weiß. Du hast gesagt: Diktaturen. Natürlich. Damit stimme ich voll überein. Ich will ein wenig um Verständnis werben für andere Kulturformen mit einer anderen Ausprägung. Daß in den jungen Staaten Afrikas Pluralismus gedeihen kann, Freiheit sich entwickeln kann, obwohl man dort Einparteienparlamente hat, das bitte ich doch mit dem gebührenden Respekt vor anderen Kulturen einfach einmal sagen zu dürfen. Es gibt sehr lustige Parlamente. Sie sind aufgebaut nach dem Vorbild von Westminister. Man bekommt erklärt, wer wo sitzt. Es wird beispielsweise gesagt: Hier sitzt die Regierung. Wenn man fragt „Wer sitzt dort?", dann wird geantwortet: Da pflegte die Opposition zu sitzen, als wir noch eine Opposition hatten. Ich möchte das Land nicht nennen, wo dies der Fall war. Und es gibt ein Parlament auf der Welt, wo - sehr modern, sehr fortschrittlich - eine automatische Abstimmungsanlage vorhanden ist, was wir hier ja gar nicht haben. Nur, wenn man näher hinschaut, sieht man: Es gibt nur einen einzigen Knopf, nämlich für Ja. Auch dies ist nicht gerade das, was ich mir unter einem klassischen Parlament vorstelle. Michaela Geiger und Uwe Holtz haben über die Bedeutung der IPU sehr viel Richtiges gesagt. Ich unterstreiche einen Gedanken nachdrücklich. Es ist vielfach gar nicht so wichtig, was an Themen offiziell auf der Tagesordnung der IPU steht. Natürlich ist auch das wichtig. Wir sollten z. B. dem Thema Drogen im Rahmen der IPU in Zukunft eine größere Bedeutung zumessen. Das Thema wird brandaktuell. Wir hatten ja gestern im Auswärtigen Ausschuß lange Gelegenheit, darüber zu sprechen. Das ist eines der bedeutenden Themen für die IPU in der Zukunft. Was aber ebenso wichtig wie die offizielle Tagesordnung ist, sind die Begegnungen am Rand, die menschlichen Kontakte, die geknüpft werden können. Wenn man sich im Jahr zweimal mit denselben Menschen trifft, kommt ein Vertrauensverhältnis zustande. Ich erinnere nur daran, daß gestern die IPU-Delegation aus Vietnam hier war. Hätte nicht der ehemalige Ratspräsident Stercken gerade dieser Delegation aus Vietnam oder Leni Fischer der Delegation aus Angola so viel Aufmerksamkeit gewidmet und hätten sie sich nicht bemüht, auch in persönlichen Kontakten den Zugang zu diesen Menschen zu finden, dann wären solche politischen Gespräche, wie wir sie gestern z. B. mit den Vietnamesen wieder führen konnten, gar nicht möglich. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß wir dies im Verhältnis zu den Kollegen aus Parlamenten anderer europäischer Länder im Osten von uns stärker ausbauen können, wo heute die Freiheit und die Öffnung noch nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir es glücklicherweise in Polen und in Ungarn beobachten können. Insbesondere wünsche ich mir auch im Rahmen der IPU einen Ausbau der Kontakte zu unseren Landsleuten aus der DDR. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen ebenfalls, daß es die Möglichkeit gibt, über die eindrucksvolle Arbeit der IPU in den letzten 100 Jahren hier zu reden, aber auch die Möglichkeit, die Schatten zu erwähnen, die manchmal auf die Arbeit gefallen sind und immer noch fallen. Vorgestern wurde Anton Lubowski ermordet. Er hätte in naher Zukunft als Abgeordneter eines freien Namibia Mitglied der IPU sein können. Wir GRÜNEN sind ebenso wie alle anderen - das wurde ausgedrückt - über den Mord an Anton Lubowski zutiefst betroffen und verurteilen es aufs schärfste, daß Gegner des Unabhängigkeitsprozesses von Namibia zu diesem heimtückischen Mittel greifen. Anton Lubowski war einer von denen, die sich unter Hintanstellung persönlicher Bedürfnisse stets mit ganzer Kraft für die Unabhängigkeit Namibias eingesetzt haben. Er zog den besonderen Haß vieler Weißer auf sich, weil er sich vor einigen Jahren als prominenter weißer Rechtsanwalt zur SWAPO bekannt hatte. Wir GRÜNEN waren - wie vielleicht auch andere hier - eng mit Anton Lubowski befreundet. In seinem Haus, vor dem er jetzt erschossen wurde, waren wir des öfteren sein Gast. Er besuchte auch uns mehrmals in Bonn. Wir trauern mit seiner Familie. Der Mord an Anton Lubowski war vermutlich das Werk des rechten weißen Widerstandes der sogenannten Todesschwadronen, der erst kürzlich für einen Überfall auf eine Station der UNTAG in Oujo verantwortlich war, bei dem ebenfalls ein Mensch getötet wurde. Er soll zu einer weiteren innenpolitischen Verschärfung führen. Ziel ist es, die ersten demokratischen Wahlen in Namibia, die im November 1989 unter der Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden sollen, doch noch zu verhindern. Wir fordern den südafrikanischen Generaladministrator Pinaar und den UN-Sonderbeauftragten Ahtisaari dringend auf, den begonnenen Prozeß fortzusetzen und für die Sicherheit der SWAPO-Politiker und -Politikerinnen Sorge zu tragen. Meine Kollegin Uschi Eid, die bei der IPU-Sitzung in London dabei war und ansonsten hier die Rede gehalten hätte, weilt zur Zeit in Namibia; ich vertrete sie hier. Wir begrüßen, daß sich die IPU mit der Frage Namibia befaßt hat und sich eindeutig für die Unterstützung des Unabhängigkeitsprozesses, für die Abhaltung freier Wahlen und für die Einrichtung einer den Willen der Bevölkerung widerspiegelnden Regierung ausgesprochen hat. ({0}) Die Delegation des Auswärtigen Ausschusses, die kürzlich in Namibia weilte, wurde ebenfalls mit Problemen konfrontiert, die Anlaß zur Sorge geben, aber auch unsere größte Wachsamkeit erfordern. Im Norden z. B. existiert immer noch die Kommandostruktur der südafrikanischen Streitkräfte. Viele entlassene Soldaten der südwestafrikanischen Territorialstreitkräfte werden von der DTA im Norden Namibias für ihren Wahlkampf eingesetzt, und auch das Fernsehen hat sich sehr einseitig auf die Seite der DTA geschlagen. Wir GRÜNEN begrüßen aus den genannten Gründen die IPU-Resolution, auch wenn sie in manchen Teilen sehr allgemein gehalten ist und Konkretisierungen eigentlich wünschenswert wären. Dasselbe gilt im übrigen auch für die Aussagen über Kolumbien. Wir begrüßen die Tendenz der Aussagen, meinen aber auch, daß das Bild zu undifferenziert gezeichnet worden ist und in den nationalen Diskussionen, also etwa bei uns, einer weiteren Konkretisierung bedarf. Leider kam das Thema Namibia nur deshalb zur Sprache, weil der Antrag, der von der bundesdeutschen Delegation eingebracht wurde, nämlich über die Massaker in China zu reden, abgelehnt worden ist. Wir bedauern, daß die Diskussion nur so möglich geworden ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Holtz?

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Volmer, ist Ihnen bekannt, daß bereits auf der letzten IPU-Konferenz in Budapest ausführlich zu Namibia Stellung genommen worden ist, und zwar auch schon in dem Sinne, wie wir es jetzt in London bestätigt haben?

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Holtz, ich bedaure nicht, daß über Namibia geredet wurde, und zwar zum zweitenmal, sondern ich bedaure, daß das Thema China nicht zum Zuge gekommen ist. ({0}) Eine weitere betrübliche Sache war, daß unter den Parlamentariern auch eine Person - ich sage: eine berüchtigte Figur - war, die als Killer bekannt ist und die von führenden amerikanischen Persönlichkeiten als psychopathischer Killer bezeichnet wird. Ich glaube, wir sind uns hier im Hause über die Einschätzung des Chefs der salvadorianischen Todesschwadronen, D'Aubuisson, auch einig. Ich denke, mit solchen Fragen wird sich die IPU befassen müssen. Es reicht meines Erachtens nicht aus, lapidar zu sagen: Jedes Land nominiert seine Abgeordneten, ohne daß darüber debattiert werden kann. Meines Erachtens ist dies auch als diplomatischer Schachzug der ARENA gedacht gewesen, nicht nur den halbwegs moderaten Cristiani-Flügel, sondern auch den Killer-Flügel des Todesschwadronen international salonfähig zu machen. So etwas darf eigentlich nicht akzeptiert werden. ({1}) Es muß ja auch die Frage gestellt werden, welche Bindungswirkung, welchen Wert einstimmig verabschiedete Resolutionen, etwa zu Menschenrechten, eigentlich haben, wenn ein international bekannter und berüchtigter Killer dem bedenkenlos zustimmen kann. Ich glaube, die IPU entwertet ihre eigene Arbeit, wenn sie nicht intensiv auf diese Probleme eingeht. Ansonsten meinen wir, daß es außerordentlich sinnvoll ist, diese Arbeit weiter zu betreiben und daß es sinnvoll ist, über Menschenrechte, über allgemein menschliche Standards zu reden. Nur, wir sollten hier nicht so dick auftragen, was das Vorbild der westlichen Länder angeht. Ich fand die Ausführungen des Kollegen Irmer sehr erfrischend, der darauf hingewiesen hat, daß der Westen und der Norden durchaus vieles vom Süden, den wir für unterentwickelt halten, der uns aber in vielen Fragen weit voraus ist, lernen könnten. ({2}) Noch ein kurzes Wort zu den anderen Resolutionen. Ähnlich widersprüchlich ist für uns die Resolution zur Militarisierung des Weltraums. Wir begrüßen, daß eine weitere Militarisierung des Weltraums abgelehnt wird. Leider aber fehlt in der Resolution ein Hinweis darauf, wie weit die Militarisierung eigentlich schon fortgeschritten ist. Es ist die Frage, ob sich die IPU wirklich den harten Tatsachen stellt. Begrüßenswert ist auch die Resolution zu internationalen Umweltfragen und zur Bevölkerungspolitik und den Schuldenlasten der Dritte-Welt-Länder. Hier kommt ganz deutlich zum Ausdruck, daß die Länder der Dritten Welt die IPU auch als Forum begreifen, um ihre Positionen dort zum Ausdruck zu bringen. Die Handschrift der Dritte-Welt-Länder wird dort sehr deutlich. Wir freuen uns, daß diese in der Tendenz sehr fortschrittliche Resolution einstimmig angenommen worden ist, und können eigentlich nur hoffen, daß die Kolleginnen und Kollegen von der konservativen Seite des Hauses, die in London dieser Resolution zugestimmt haben, ({3}) die Grundlagen dieser Resolution auch in nationale Politik umsetzen. In diesem Sinne wünschen wir der IPU-Arbeit weiteren Erfolg. Den Resolutionen werden wir zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fischer.

Dr. Michael Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000555, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz normal ist seit der Konferenz der IPU in Bonn im Jahre 1978 der Sonntag vor der Eröffnung der Konferenz immer dem Treffen der weiblichen Parlamentarier, die Teilnehmer dieser Konferenz sind, gewidmet. Die Themen, die an diesem Tag auf der Tagesordnung standen, waren die Frauen in der Wirtschaft, ihre Rolle bei der Beschäftigung und ihr Status als Verbraucher und als Hersteller von Waren, Frauen in Wissenschaft und Technik und ihre Rolle im Umweltschutz und in der Entwicklung. Wir haben auch festgestellt, daß der bundesweite und weltweite Anteil der Frauen in den Parlamenten in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen und nicht gestiegen ist. Wir haben dies auch schon in einer Pressekonferenz vor Beginn der Konferenz hier in der Bundesrepublik festgestellt und bekanntgegeben. Wir haben eine Konferenz in Madrid über die Teilnahme von Frauen an dem politischen Entscheidungsprozeß in der Welt geplant. Ein weiteres ganz interessantes Thema, das, glaube ich, auch in der Bundesrepublik noch einiger Untersuchungen bedarf, ist das Bild der Frauen, das Bild der politischen Frauen in den Medien. Auch dieses wird für die Bundesrepublik interessante Ergebnisse zeitigen. Zu den Resolutionen, die, wie Frau Geiger auch schon sagte, nach harten Diskussionen in den einzelnen Komitees einstimmig angenommen wurden, möchte ich einige Punkte hervorheben: Verhältnis zwischen Weltbevölkerung und Nahrungsproduktion, Suche nach vernünftigen und wirksamen Lösungen des Schuldenproblems und vor allen Dingen Gewährleistung der Ernährung der Weltbevölkerung. Uns ist klar, daß die bewaffneten Konflikte die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen gefährden. Wir sind mehr als besorgt - darin bestand in der Konferenz Übereinstimmung - , daß 500 Millionen Menschen unter Hunger und Mangelernährung leiden, unter ihnen Kinder, Schwangere, Wöchnerinnen und alte Menschen, die dadurch am stärksten gefährdet sind. Das Hauptziel der Welternährungskonferenz von 1974, den Hunger in der Welt innerhalb eines Jahrzehnts zu besiegen, werden wir auch bis zum Ende dieses Jahrhunderts und dieses Jahrtausends wohl kaum erreicht haben. Wir sind uns bewußt - das war sehr interessant, weil auch da die Meinungen der Dritte-Welt-Länder und der westlichen Länder auf einen Nenner zu bringen waren -, daß die Landwirtschaft im Hinblick auf das soziale, wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht der Entwicklungsländer eine Schlüsselrolle spielt und für die meisten dieser Länder die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ein vorrangiges Ziel darstellt. Ich betone dies mit besonderer Freude, denn es bestätigt nur die Richtigkeit unserer Entwicklungspolitik, bei der wir den Schwerpunkt auf den Vorrang der ländlichen Entwicklung gelegt haben. Ich glaube schon, daß es dies dann auch besonders zu betonen gilt. Weiter wurde die Notwendigkeit zu einer echten internationalen Zusammenarbeit und zu Konsultationen zu kommen, und zwar zwischen den Gläubiger- und Schuldnerländern, betont. Die Bundesrepublik kann sich über all die Ergebnisse, die sie im Lauf der Jahre in dieser Frage bilateral erreicht hat, doch wirklich freuen, denn sie hat in der Frage eines Schuldenerlasses für die ärmsten Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle in der westlichen Welt und bei den Gläubigerländern übernommen. Dies ist seit Jahren Regelung innerhalb der deutschen Entwicklungshilfe. Ich bin sehr froh, daß die internationale Staatengemeinschaft und Parlamentariergemeinschaft dies auch anerkennt. Ein ganz besonders großes Problem ist die Frage der Weltbevölkerung. Sie wird bis zum Jahre 2000 wahrscheinlich bei 6,1 Milliarden liegen. Wir sind besorgt, daß bei dieser Zunahme der Weltbevölkerung die Nahrungsmittelversorgung und die Ernährungssicherheit immer weiter gefährdet werden. Es gibt genügend Nahrungsmittel auf der Welt - wir in der EG wissen das - , und wir haben eigentlich die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das Ungleichgewicht in der Verteilung aufgehoben wird. Wir haben gesagt: Eine ausreichende Versorgung der Weltbevölkerung, insbesondere der Bevölkerung der benachteiligten Länder, mit Nahrungsmitteln ist nicht nur eine intellektuelle und moralische, sondern auch eine logistische Herausforderung für alle Völker und Nationen. Zum Themenbereich Bevölkerungswachstum möchte ich einige Zahlen nennen, die uns die Größe des Problems vor Augen führen. Zwischen 1990 und dem Jahr 2000 wird die Bevölkerung in den Entwicklungsländern um 22 % wachsen, während die Bevölkerung der Industrieländer höchstens um 5 % wachsen wird. Das heißt, am Ende des nächsten Jahrzehnts wird die Bevölkerung in den Entwicklungsländern etwa 80 % der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Dieser Prozentsatz wird sich bis zum Jahr 2025 auf 84 % erhöhen. Das Ungleichgewicht - auch dies hat die Konferenz festgestellt - wird sogar noch größer, wenn wir dabei regionale Unterschiede betrachten. In den meisten Entwicklungsländern ist die jährliche Wachstumsrate etwas über 3%. Deswegen wird die Bevölkerung in Afrika bis zum Jahr 2000 - das ist ja nicht mehr so lange hin - etwa um 35 % wachsen. Das schlimme ist: Obwohl in vielen Entwicklungsländern die Wachstumsraten fallen, kann man sagen, daß die Bevölkerung in Lateinamerika in den nächsten Jahren um 20 % und in Asien um 19 % wachsen wird. Ich weiß nicht, ob wir uns in Europa beruhigt zurücklegen können: In Europa wird das Wachstum dann gerade 2 betragen. Diese Ungleichgewichte werden eigentlich immer größer. Von daher haben wir in der Konferenz gefordert, daß in den Ländern der Dritten Welt Frauen und Männer Zugang zu Informationen und Erziehung haben, damit die Menschen ohne Einwirkung, ohne Druck und ohne Zwangsmaßnahmen von außen auf Grund eigener Informationen und Entscheidung selber über die Zahl der Kinder und über die Abstände zwischen den Geburten bestimmen können. Wir wollen eine freie Entscheidung und keine Zwangsmaßnahmen, wie sie in China gefordert und zum Teil auch durchgeführt werden. Wichtig ist uns: Die Bundesregierung hat die Arbeiten der Weltgesundheitsbehörde und des UN-Bevölkerungsfonds immer unterstützt; denn dadurch, daß die Schuldenlast die Länder so sehr drängt, hat man in vielen Ländern auch die Maßnahmen und die Unterstützung für alle Projekte der Gesundheitsfürsorge und der Erziehung zurückgestuft und zurückgedrängt. Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt, zu Kolumbien, noch kurz etwas sagen. Die Herausforderung, die durch die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Galan an die Welt ergangen ist - das war eigentlich nur der Schlußpunkt in einer langen Kette von Mord und Totschlag in Kolumbien - , verdeutlicht in krasser Form, daß sich dieses Land in einer sehr, sehr kritischen Situation befindet und es in seiner Grundstruktur durch die von der Drogenmafia ausgeübte Gewalt ernsthaft bedroht wird. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun. Wir von der Interparlamentarischen Konferenz unterstützen ganz stark den Kampf und den Aufruf von Präsident Barco und der kolumbianischen Behörden zur Verteidigung der verfassungsgemäßen Einrichtungen des Landes, des Rechtsstaats und der freiheitlichen Grundordnung. Es ist unerträglich, in welcher Form die Richter und die Polizeibeamten in Kolumbien sowie die Menschen, die Opposition und die Gewerkschaftler, dem Drogenkartell ausgeliefert sind und daß man zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum eine Chance sieht, in irgendeiner Form das Leben der Betroffenen zu schützen, selbst wenn sie sich ins Ausland begeben haben. Wir können alle Menschen und alle Parlamentarier nur dringend bitten, daß sie die Gewalt in Kolumbien verurteilen und zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit in Kolumbien drängen. Wir müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, die insbesondere das Ziel haben, den gesamten Drogenmarkt auszutrocknen. Man sollte mit wirklich harten Maßnahmen und unter Einsatz aller Möglichkeiten der Polizei dagegen vorgehen, und es sollte eine ganz effektive Zusammenarbeit zwischen unserer Regierung, dem Volk Kolumbiens und der kolumbianischen Regierung ermöglicht und alles unternommen werden, damit die Drogenwelle, der Kampf und das Morden sich nicht im Zuge des Kampfes gegen die Drogenmafia auf unseren Kontinent begeben und sich hier fortsetzen. Ich denke, die Interparlamentarische Union hat einen guten Ansatz gemacht und die Weltbevölkerung auf dieses schwierige Problem wirklich aufmerksam gemacht. Wir sollten uns dem anschließen und das Thema Kolumbien auf unserer Tagesordnung behalten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegen haben es bereits übernommen, die Tatsache, daß die Interparlamentarische Union auf ein 100jähriges Bestehen zurückblicken kann, umfassend zu würdigen. Dem will ich nichts hinzufügen; jedoch möchte ich persönlich anmerken dürfen, daß es für mich ein großes Ereignis war, anläßlich dieser Konferenz dabeisein zu dürfen und mitzuerleben, wie Parlamentarier aus 112 Nationen durch ihre Teilnahme dokumentierten, daß die Sicherung des Friedens eines der entscheidenden Anliegen unserer heutigen Zeit ist. Ein wichtiges Thema dieser Konferenz, Herr Volmer, war der Zugang zum Weltraum und dessen friedliche Nutzung zum Wohle der Menschheit. Die Regelung des friedlichen Zugangs und der friedlichen Nutzung ist wichtig. Im Zeitalter der Weltraumerschließung und der differenzierten Möglichkeiten des Zugangs zum Weltraum besteht die Gefahr - die sehen wir auch - , daß einzelne Nationen versuchen, den Weltraum einseitig für ihre Zwecke zu nutzen. Das Entstehen eines sogenannten Weltraumkolonialismus birgt die Gefahr, daß internationale Konflikte entstehen. Die Völker können sich im Kampf um die Favoritenpositionen im Weltraum entzweien und so den internationalen Frieden gefährden. Dazu gehört auch die gegenwärtige Nutzung des Weltraums für ihre militärischen Anliegen. Ich sehe einen großen Erfolg für die Sicherung des internationalen Friedens darin, daß anläßlich dieser Konferenz ein Entschließungsantrag, der den friedlichen Zugang zum Weltraum und seine Nutzung zum Wohle der Menschheit beinhaltet, verabschiedet wurde. Die deutsche Delegation hat dazu einen Resolutionsentwurf vorgelegt. Wir haben dazu die nötige Vorarbeit interfraktionell geleistet, und wir dürfen stolz darauf sein, daß unser Resolutionsentwurf im Redaktionskomitee als Leitantrag ausgewählt wurde. In zehnstündiger Redaktionsarbeit - ich wiederhole: in zehnstündiger Redaktionsarbeit! - wurde auf der Grundlage unseres Resolutionsentwurfes ein Entschließungsantrag erarbeitet, der später im Plenum einstimmig gebilligt wurde. Konsensfähigkeit in einem solchen Redaktionskomitee hat natürlich ihren Preis. Es ist relativ leicht, anschließend anzumerken, daß dieses und jenes nicht hereingekommen ist. Doch wer diese Kritik anbringt, der sollte unseren Resolutionsentwurf lesen und mit dem vergleichen, was anschließend übergekommen ist. Dann kann er nämlich erkennen, wie unsere Arbeit ausgesehen hat und wo unsere Schwerpunkte im einzelnen gelegen haben. ({0}) Ich möchte nur anmerken, daß folgende wesentliche Punkte unseres nationalen Entwurfs in den Entschließungsantrag mit aufgenommen wurden - ich halte das für wesentlich - : erstens die Verweisung auf den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser vom 5. August 1963 und zweitens die Verhinderung der Militarisierung des Weltraums. Das sind äußerst wichtige Faktoren für den Frieden in der Welt und auch für die internationale Sicherheit. Alle Länder haben die Verpflichtung, sich aktiv an den Anstrengungen zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum zu beteiligen. ({1}) Dazu gehören auch besonders jene, die schon über Weltraumkapazitäten verfügen. ({2}) Dies steht in diesem Entwurf. Es liegt im Interesse der ganzen Menschheit, dafür Sorge zu tragen, daß der Weltraum ausschließlich für friedliche Zwecke genutzt wird. Nicht zuletzt ist ferner zu unterstreichen - auch dies steht in dem Entwurf - , daß die angewandte Raumfahrttechnologie einen wertvollen Beitrag zur internationalen Verständigung in den Bereichen natürliche Umwelt, Aufspüren von Rohstoffreserven in allen Ländern, Gewinnung von Daten über globale Klimaveränderung und zum Umweltschutz leisten kann. ({3}) Der Weltraum ist das Erbe der gesamten Menschheit. Der Zugang zum Weltraum muß deshalb allen Nationen offen stehen. ({4}) Dies haben wir hineingeschrieben. Ich werbe insofern mit Nachdruck dafür, diese inhaltlichen Positionen dieses Entwurfs, der einstimmig verabschiedet wurde, in unsere tägliche Politik mit hineinzunehmen und nicht nur gelegentlich darauf zu schauen und nicht nur daran zu denken, daß das irgendwo einmal verabschiedet wurde. Ich finde, es ist ein guter Entwurf, und wir können stolz sein, daß wir es geschafft haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Timm.

Dr. Helga Timm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Schluß dieser Debatte anläßlich der 100-Jahr-Feier der IPU möchte ich noch einige kleine Anmerkungen machen. Ich freue mich sehr, daß wir dem Bundestag wieder einmal - Frau Geiger, es ist das zweite Mal - nach einer Konferenz über diese Konferenz berichten. Ich hoffe, dies findet nicht nur anläßlich der 100-Jahr-Feier statt. Es möge - ich glaube, das ist der Wunsch aller, die an den Delegationen teilnehmen - vielmehr Gewohnheit werden, daß wir jedes halbe Jahr hier einmal berichten. Ich weiß gar nicht genau, ob alle Mitglieder des Bundestages wissen, daß sie auch alle persönlich Mitglieder der IPU sind und über die Delegation lediglich vertreten werden. Ich glaube, es ist sehr gut, daß es auch eine wahrscheinlich einstimmige Resolution geben wird. Ich möchte gerne auf einen Absatz, nämlich auf den Abs. 2 über die nahe Verbindung von IPU und Vereinten Nationen noch einmal hinweisen. Die gleiche Zielsetzung wird ausdrücklich betont. Wir haben also eine parlamentarische Internationale, und wir haben eine Regierungsinternationale, die in der Zielsetzung zusammengehen. Es gibt ja zwischen den Institutionen IPU und Vereinte Nationen auch nahe Arbeitsverbindungen. Es gibt den Konsultativstatus, auch zu den einzelnen UN-Organisationen, zu den Sonderorganisationen usw. Mir erscheint es in diesem Zusammenhang am wichtigsten, auch den Auftrag zu sehen, den die IPU den einzelnen Mitgliedsparlamenten, also auch uns hier im Bundestag, gibt: Das, was diskutiert und beschlossen wird - es gibt jetzt sogar eine Statutenänderung -, soll wirklich implementiert und in Politik und in Gesetzgebung umgesetzt werden. Das heißt natürlich, wenn wir den nahen Zusammenhang zwischen IPU und UN sehen, daß wir als Parlament, als Bundestag, auch viel stärker das begleiten, unterstützen, kritisieren, vielleicht auch kontrollieren, was unsere Regierung in den Vereinten Nationen macht. ({0}) Ich benutze diese Gelegenheit gern, dies wieder als Appell auch an uns selber zu richten. Denn wir haben ja eigentlich außer bei gelegentlichen Debatten innerhalb des Auswärtigen Ausschusses oder in Fachgremien, wenn es darum geht, z. B. im Innenausschuß über Drogen zu sprechen, oder wenn es um Weltraumtechnologie geht, kaum Gelegenheit, darüber zu sprechen. Man sollte jedoch darüber reden. Aber dazu, als Parlament wirklich eine UN-Policy gegenüber der Regierung mit zu entwickeln, dafür haben wir ja nicht einmal Instrumente. ({1}) Ich möchte noch einmal darauf hinweisen und uns ins Gedächtnis rufen, daß wir eigentlich alle daran arbeiten wollten. Wir sollten versuchen, vielleicht schon vorbereitend für die nächste Legislaturperiode, zu überlegen, ob es nicht doch Möglichkeiten der institutionellen Begleitung der UN-Politik der Regierung geben sollte und diese entwickelt werden könnten. Wir wissen alle und reden dauernd davon, daß es globale Herausforderungen gibt, daß es globale Probleme gibt, von denen uns bekannt ist, daß wir auf nationaler Ebene damit nicht mehr zu Rande kommen. Hier sind vorhin in der Debatte bereits einige der großen Themen genannt worden: Bevölkerungsentwicklungen und andere Entwicklungen, Fragen der Abrüstung und der Entwicklung, Umwelt und Entwicklung, Ökologie und Ökonomie. Wir wissen es alle: Wir kommen nicht mehr zu Rande, wenn wir nicht miteinander, Regierung und Parlament, daran arbeiten. Wir stehen jetzt mitten in den Haushaltsdebatten. Sind wir wirklich bereit, in unseren nationalen Haushalten diesen Anforderungen überhaupt gerecht zu werden? Haben wir überhaupt schon begriffen, was es an finanziellen, an wirklichen, an materiellen Beiträgen bedeutet, wenn wir unseren Beitrag dazu leisten wollen, die Herausforderungen anzunehmen? Sind wir bereit, unsere Wählerschaft, unsere Klientel, unsere Steuerzahler darauf aufmerksam zu machen? Dieses ist es, woran ich am Schluß dieser Debatte erinnern möchte, damit das, was wir miteinander beschließen, nicht ein leeres Wort bleibt, sondern die Kluft zwischen Wort, Wollen und Politik etwas geringer wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Entschließungsantrag auf Drucksache 11/5178. Wer für diese Entschließung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltung. Dieser Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen. Ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Auswirkungen der Anpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der Dritten Welt - Drucksachen 11/1793, 11/5122 - Berichterstatter/innen: Abgeordnete Frau Eid Feilcke b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Mitzscherling, Dr. Wieczorek, Bindig, Brück, Großmann, Dr. Holtz, Dr. Jens, Luuk, Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin vom 27. bis 29. September 1988 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Vizepräsident Stücklen Gemeinsame Jahresversammlung 1988 des Internationalen Währungsfonds ({2}) und der Weltbank - Drucksachen 11/2765, 11/2988, 11/5142 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Hauchler Dr. Grünewald Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung der Punkte a und b eine Stunde vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Grünewald.

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktualisierten Anträge, die hier und heute zur Beratung anstehen, wurden in ihrem materiellen Kern bereits im Vorfeld der Jahresversammlung von IWF und Weltbank in Berlin, also im vergangenen Jahr, eingebracht. Bemühungen unterwegs, die Anträge zusammenzuführen und sich auf einen gemeinsamen Antrag zu einigen, sind leider gescheitert - trotz vieler, erfreulicherweise auch heute noch fortgeltender sachlicher Gemeinsamkeiten. Nun, sei es wie es sei: Die Berliner Jahresversammlung war - einmal unbeschadet der sehr, sehr unschönen Begleitumstände - in jeder Hinsicht und für alle Beteiligten ganz außergewöhnlich erfolgreich. Wir haben hierüber im Oktober vergangenen Jahres in diesem Haus eine ausführliche Debatte gehabt. Heute stehen wir nun erneut vor einer Jahresversammlung von IWF und Weltbank, und in Washington werden ein Großteil der Themen, die bereits in Berlin auf der Tagesordnung standen, erneut Gegenstand der Diskussionen sein. Das gilt auch und insbesondere für die unverändert schwierigen Schuldenprobleme vieler Länder der Dritten Welt. Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund, aber auch unter Würdigung der inzwischen eingetretenen neuen Entwicklungen nur einige wenige Feststellungen treffen. Erstens. Internationaler Währungsfonds, Weltbank und in gleicher Weise auch der Pariser Club sind als Foren wirtschafts-, währungs- und entwicklungspolitischer Zusammenarbeit schlechterdings unverzichtbar. Die umfassende Kompetenz dieser Organisationen ist bewiesen und kann - an die Adresse der GRÜNEN - ernstlich doch wohl überhaupt nicht bestritten werden. Wenn es gelungen ist, die Schuldenprobleme insgesamt zumindest beherrschbar zu halten, so ist das nicht zuletzt das große Verdienst dieser multinationalen Institutionen. Dies sage ich mit besonderer Betonung im Hinblick auf die Forderung im SPD-Antrag, eine internationale Schuldenkonferenz einzuberufen. Eine solche Konferenz würde die Probleme mit Sicherheit nicht lösen helfen. ({0}) Ganz im Gegenteil: Eine solche Mammutveranstaltung, doch ganz zwangsläufig von wildem Aktionismus und vielen Schaufensterreden beherrscht, würde das überaus sensible Schuldenthema nur unnötig politisieren. ({1}) Es würde ein unredlicher Erwartungshorizont eröffnet, der letztlich nicht befriedigt werden könnte und damit nur neue Enttäuschungen lostreten würde. ({2}) Denn wir wissen doch alle, daß es auf diesem schwierigen Felde ganz einfach keine schnellen Patentlösungen gibt. Es wird jetzt und in der Zukunft weiter darum gehen, in den wirklich kompetenten Gremien für jeden Einzelfall nach situationsgerechten und maßgeschneiderten Lösungen zu suchen. ({3}) Diese schwierige Arbeit würde durch eine internationale Schuldenkonferenz nur gestört, behindert und untergraben werden. ({4}) Zweitens. Es ist unstreitig, daß die Menschen in der Dritten Welt unser aller Hilfe bedürfen. Für meine Fraktion begrüße ich es deshalb ausdrücklich, daß in den letzten drei Jahren eine Reihe von Initiativen für zusätzliche finanzielle Erleichterungen ergriffen worden sind. Einige dieser Maßnahmen decken sich mit jenen Empfehlungen, die auch in den uns vorliegenden Anträgen enthalten sind. So sind die wirtschaftlichen Probleme gerade der ärmsten Länder durch umfängliche Hilfsangebote der internationalen Organisationen, aber auch durch die Gläubigerländer selbst erheblich gemildert worden. In diesem Zusammenhang ist besonders anzuerkennen, daß die Bundesregierung vielen der ärmsten Länder die Schulden aus der Entwicklungshilfe bereits gänzlich erlassen und den Kreis der so begünstigten Länder gerade in diesem Jahr noch ausgeweitet hat. Drittens. Auch die Länder mittleren Einkommens sollten verstärkt in den Genuß von Schuldendiensterleichterungen kommen. Diese Empfehlung, die sich bereits im Schlußkommuniqué des Interimsausschusses von Berlin befindet, war und ist Grundlage des sogenannten Brady-Planes, der in enger Zusammenarbeit auch mit dem deutschen Finanzminister im Frühjahr dieses Jahres entwickelt worden ist. Viertens. Die Bereitstellung öffentlicher Mittel ist nur zu vertreten, wenn gewährleistet ist, daß die Hergabe zu einer nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den empfangenen Ländern führt. Dies wiederum setzt langfristig wirkende, mit IWF und Weltbank abgestimmte Anpassungsprogramme voraus, die insbesondere geeignet sind, ausufernden Haushaltsdefiziten, galoppierenden Inflationsraten und der Kapitalflucht entgegenzuwirken. Fünftens. Vereinbarungen über Schulden- und Schuldendienstverringerungen müssen in eigener Verantwortung zwischen Banken und dem jeweiligen Schuldnerland getroffen werden. Dabei dürfen private Mittel keinesfalls durch öffentliche Mittel substitutiert werden. Die jeweiligen Regierungen haben in diesem Zusammenhang allein die Aufgabe, den Banken den notwendigen aufsichtsrechtlichen und steuerlichen Handlungsraum zu schaffen oder zu belassen, einen Handlungsraum, der nach geltendem deutschen Recht bereits geschaffen ist. Sechstens. Alle gemeinsamen Bemühungen können nur Erfolg haben, wenn das weltwirtschaftliche Umfeld stimmt. Das bedeutet: Fortsetzung eines möglichst gleichmäßigen Wachstumsprozesses, an dem alle Länder möglichst gleichmäßig teilhaben. Die Handelsschranken müssen deshalb weltweit weiter abgebaut werden, und die Schuldnerländer müssen sich privaten Investitionen mehr öffnen. Siebtens. Weltbank und insbesondere der Internationale Währungsfonds müssen mit dem notwendigen Kapital ausgestattet werden, um den Abbau der Verschuldung beschleunigt vorantreiben zu können. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich für eine substantielle Erhöhung der IWF-Quoten einzusetzen. Auch die neunte IDA-Auffüllung wird von uns ausdrücklich unterstützt. ({5}) Schlußendlich: Die Forderung nach Änderung der Stimmrechtsverhältnisse in den internationalen Organisationen ist ganz einfach nicht sachgerecht. Die Stimmrechtsanteile richten sich nach der Wirtschaftskraft der jeweiligen Mitgliederländer und nach den Beiträgen, die diese zur Finanzierung erbringen. Eine Abkehr von diesem System würde die Fähigkeit der Organisationen, ihre Mitglieder durch Kredite zu unterstützen, erheblich beeinträchtigen. Im übrigen sollte auch nicht übersehen werden, daß die Beschlüsse im IWF und in den Entwicklungsbanken so gut wie immer einmütig gefaßt werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Woche wird eine Delegation des Bundestages zur Jahrestagung von IWF und Weltbank nach Washington reisen. Die SPD-Fraktion begrüßt, daß wir aus diesem Anlaß heute eine Debatte führen, insbesondere um zu den drängensten Fragen der internationalen Verschuldungskrise einen Dialog zu führen. Wir haben unsere Position dazu in dem Ihnen vorliegenden Antrag dargelegt. In den Mittelpunkt meines kurzen Beitrags will ich zwei Fragen stellen. Die erste lautet: Was hat sich während des vergangenen Jahres getan? Sind wir seit der Jahrestagung in Berlin wirklich der Lösung der Krise ein Stück nähergekommen? Die zweite Frage lautet: Welche Konsequenzen ziehen wir aus einer solchen Bestandsaufnahme? Weder Schuldenstand noch Schuldendienst der Entwicklungsländer wurden 1989 reduziert. Die Schulden belaufen sich inzwischen auf 1 300 Milliarden Dollar, und das, Herr Grünewald, trotz der vielen Anstrengungen in vielen Gremien. Die pro Jahr tatsächlich gezahlten Zinsen - nicht die Ansprüche an Zinsen - betragen 80 Milliarden Dollar. Das ist mehr als die gesamte westliche Entwicklungshilfe. ({0}) Nach wie vor fließen netto mehr Geld vom Süden nach Norden als vom Norden zum Süden. Ist das nicht ein andauernder Skandal? ({1}) - Sie sagen: doch - , und das alles, während in Lateinamerika und Afrika das Sozialprodukt pro Kopf gesunken ist, sich das Elend und der Raubbau an der Natur verstärken und dort so etwas wie eine wirtschaftspolitische Unregierbarkeit Platz greift? Die Anpassungsprogramme haben auch 1989 nicht gegriffen. Der IWF bestätigt das selbst in seinem jüngsten Bericht. ({2}) Exorbitante Inflationsraten in vielen Ländern bei schwachem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit - Argentinien ist ein besonderes Beispiel, Brasilien aber auch - zeigen das. Die Durchsetzung der Auflagen scheitert nicht zuletzt am politischen Widerstand, den sie selbst provozieren. ({3}) Die Hungerrevolte in Venezuela ist uns in frischer Erinnerung. Die Anpassungsprogramme, werden sie nun aus Einsicht oder zähneknirschend auf Druck in Angriff genommen, scheitern aber auch deshalb, weil zentrale weltwirtschaftliche Bedingungen dagegenstehen. Die Zinsen sind nach wie vor auf einem zu hohen Niveau. Der Protektionismus grassiert und versperrt die Märkte. Die entwicklungspolitischen Transfers stagnieren. Also: Höhere Belastung bei weiter eingeschränkter Handlungsfähigkeit. Das ist die Lage, in der sich die meisten Entwicklungsländer befinden. Die Folgen: Die Verschuldung blockiert Entwicklung. Exportdruck zwingt zum Raubbau an Ressourcen. Elend fördert Kriminalität und Kokain, verursacht Erosion und Abholzung. Auflagen treffen auf offene Revolte und gefährden demokratische Prozesse. Zur Bestandsaufnahme gehört aber auch, daß dieses Jahr mit dem Brady-Plan Tabus gebrochen wurden, was die Strategie zur Lösung der Verschuldungskrise angeht. Ich habe den Eindruck, Herr Grünewald, daß Sie davon noch nichts gelesen haben. ({4}) Noch auf der letzten Jahrestagung des IWF wurde ein Forderungsverzicht bei kommerziellen Krediten unisono mit striktem Denk- und Sprechverbot belegt. Heute wird darüber geredet. Bisher wurde behauptet, ein Forderungsverzicht erschüttere die Kreditwürdigkeit der Schuldner. Keine neue Mark würde mehr in die Entwicklungsländer fließen. Das habe ich von Ihnen in diesem Hause ständig gehört. Jetzt geben die gleichen Experten zu, um wenigstens einen Teil der Altschulden zu sichern und eine Basis für neue Investitionen zu schaffen, müßten neben neuen Krediten und niedrigeren Zinsen auch Forderungsverzichte ins Auge gefaßt werden. ({5}) Das, was lange zum Kernbestand finanzpolitischer Weltweisheit gehörte - übrigens auch von der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen lauthals, landauf und landab verkündet wurde - , wird 1989 in den Reißwolf getan. Das, finden wir, ist gut so. ({6}) Vielleicht ist die Hoffnung noch nicht vergebens, daß auch Sie merken, was zur Zeit an Entwicklung läuft, und daraus lernen. Neue Weisheiten werden jetzt verkündet. Wir erkennen an, daß die Brady-Initiative zumindest den Ansatz eines neuen Denkens zur Lösung der Verschuldungskrise gebracht hat. Sie greift übrigens einen Teil der Forderungen auf, welche die SPD seit Jahren vertritt. Sie können das auch in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, erneut nachlesen. Wenn wir uns also darüber freuen, daß sich nach Berlin die Schuldenfront etwas gelockert hat, so heißt das allerdings nicht, daß wir dem - vor allem aus naheliegenden politischen Motiven - von den USA forcierten Mexiko-Plan eine gute Chance einräumen oder daß wir eine Strategie à la Brady langfristig für ausreichend halten. Die Mexiko-Verhandlungen haben ja gezeigt, daß insbesondere die Banken in der Bundesrepublik - mit Ausnahme der Deutschen Bank - wenig Neigung zeigen, das Mexiko-Paket als Modell für künftige Verhandlungen mit anderen Schuldnern zu akzeptieren. An Geld fehlt es den deutschen Banken angesichts der explosiv gestiegenen Gewinne gewiß nicht. Sie fürchten aber, daß sich die in Lateinamerika besonders engagierten US-Banken auf ihre Kosten ungebührlich entlasten. Wie schon oft verhindert die fehlende Gleichheit unter den Reichen, daß den Armen Gerechtigkeit widerfährt. ({7}) Die Banken fürchten auch, Forderungsverzichte würden - wie Sie es ausdrücken - zum „moral hazard" führen. Es würde also ein Hebel zur wirtschaftspolitischen Disziplinierung der Entwicklungsländer aus der Hand gegeben. Das bedeutet aber: Die breite Bevölkerung wird weiter mit harten Auflagen getroffen wegen Mißständen, welche die Eliten dieser Länder zu verantworten haben, und wegen Hochzinspolitik und Protektionismus, der auf unser Konto geht. ({8}) Das führt zur Frage, welche Folgerungen aus der nach wie vor bestehenden Schuldenkrise und den jüngsten Entwicklungen zu ziehen sind. Erstens. Die SPD unterstützt grundsätzlich die Brady-Initiative, fordert aber, daß sie konzeptionell weiterentwickelt und finanziell wesentlich stärker als bisher untermauert wird. ({9}) Jeffrey Sachs, einer, der es wissen müßte, hat ausgerechnet, daß ein Erfolg der Brady-Initiative eine Finanz- und Garantiesumme von mindestens 100 Milliarden Dollar erfordert, ein Betrag, den ich in diesem Zusammenhang bereits vor Monaten genannt habe. Das wird jetzt durch eine jüngste Studie, die die Deutsche Bank vorlegt, bestätigt. ({10}) Genauso wichtig ist aber, daß die Komponente des Forderungsverzichts neben der Zinsreduktion und der Vergabe neuer Kredite mehr gestärkt wird, als das bisher der Fall ist. Zweitens. Über ein Sofortprogramm hinaus bedarf es einer grundlegenden Reform des internationalen Finanzregimes. Wir brauchen auf internationaler Ebene, was wir auf nationaler Basis längst haben: ein Insolvenzrecht, eine Harmonisierung der Kreditaufsicht und der Bilanzierungsregeln sowie Kriterien für einen tragfähigen Lastenausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern. ({11}) Deshalb, Herr Grünewald und meine Damen und Herren von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, fordern wir erneut eine Schuldenkonferenz, die sich speziell mit diesen Fragen beschäftigt. ({12}) Das geschieht ja bisher überhaupt nicht. Das kann durchaus effizient und gut vorbereitet geschehen. Was Sie aufführen, sind reine Ausflüchte. Sie wollen das nicht, weil Sie das Problem nicht lösen wollen. ({13}) Drittens. Die Anpassungsprogramme müssen kurzfristig orientierte Maximen vernünftiger Wirtschaftspolitik einbetten in ein Gesamtkonzept struktureller Reformen in den Entwicklungsländern. Stichworte sind: Agrarreform, Steuerreform, Einkommensverteilung und innere Kapitalbildung. Das macht allerdings nur Sinn, wenn der Anpassungsprozeß im Inneren eines Landes von einer grundlegenden Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen begleitet wird. ({14}) Solange diese Bedingungen nicht gegeben sind, ist eine exportorientierte Entwicklungsstrategie, wie sie der IWF bisher fordert, ökonomisch unsinnig und unverantwortlich. Viertens. Was not tut, sind nicht nur konzeptionelle Korrekturen, sondern auch institutionelle Reformen; denn aller finanztechnischer und wirtschaftspolitischer Sachverstand nützt wenig, wenn die internatio12094 nale Finanz- und Wirtschaftswelt ohne ausreichende Ordnung ist. Das ist zur Zeit der Fall. ({15}) Die USA betreiben Defizitpolitik ohne Rücksicht auf den Rest der Welt. Die Bundesrepublik und Europa sowie Japan sind bisher nicht in der Lage, das Vakuum auszufüllen, das die USA seit dem Verlust ihrer hegemonialen Rolle hinterlassen hat. Der IWF hat seine ursprüngliche Funktion eingebüßt. Er entwickelt sich immer mehr zu einer Entwicklungsbank und macht damit der Weltbank Konkurrenz. Die UNO ist ohne Autorität und Ressourcen. Dieses ordnungspolitische Vakuum kann - das ist auch in den letzten Jahren nicht geschehen - durch die bilaterale Zusammenarbeit der großen Industrieländer nicht ausgefüllt werden. Deshalb brauchen wir einen neuen, mutigen Ansatz, um globale Verantwortung effizient zu organisieren, also einen Schritt hin zu einer Weltinnenpolitik zu tun. ({16}) Nur so werden uns die globalen Probleme nicht überrennen. Wenn wir hier nichts tun, wird auch der Norden seine Haut - das kann ich Ihnen sagen - nicht retten können. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das Thema, über das wir diskutieren, gebietet die Ernsthaftigkeit, sich um konkrete Lösungsansätze zu kümmern und weniger auf die großen Schlagworte zu vertrauen wie etwa Schuldenkonferenz und Weltinnenpolitik. In Ihrer Rede, Herr Hauchler, sind ja sehr viele konkrete Ansätze enthalten. Darüber müssen wir reden, um zu Verbesserungen zu kommen. ({0}) - Die nicht neu sind, die ich größtenteils unterstütze. Aber mit Schuldenkonferenzen können Sie natürlich überhaupt nichts erreichen. ({1}) Die Diskussion hat sich seit der letzten Tagung in Berlin deutlich verbessert. Es gibt heute Einvernehmen, daß Schuldendienst und Schuldenverringerung ein Teil der Strategie sein können und müssen. Dieser neue Ansatz zielt vor allem darauf, die privaten Banken dazu zu bringen, mit neuer Kreditgewährung wieder in den Prozeß einzusteigen. Das soll u. a. dadurch bewirkt werden, daß der IWF und die Weltbank Kredite zum Schuldenrückkauf sowie zur Sicherung des Zinsdienstes bei reduzierten Schulden bereitstellen. In einigen Fällen - Mexiko, Costa Rica, Philippinen und Venezuela - wurde dieses Konzept bereits konkret angewandt bzw. es befindet sich in der Umsetzung. Ich persönlich warne allerdings davor, daß man zu hohe Erwartungen daran knüpft. Ich fühle mich dabei durch die jüngsten Analysen des IWF im Vorfeld der anstehenden Jahrestagung in Washington bestärkt. Auch die neuen Maßnahmen werden genauso wie alle bisher diskutierten Finanzierungsvorschläge nur dann wirklich zu einer Besserung der Lage in den betroffenen Ländern führen, wenn ihnen nachhaltige Anpassungsbemühungen der betroffenen Länder selbst vorangehen, ({2}) und wenn die Gütermärkte in den Industrieländern stärker geöffnet werden. ({3}) Von der Zielrichtung her ist die neue Initiative sicher richtig angelegt. Wichtig ist, daß wieder privates Kapital in die verschuldeten Entwicklungsländer fließt, daß die Kapitalflucht aufhört und sich die Zahlungsströme umkehren, daß vor allem auch die privaten Banken wieder Kredite bereitstellen. Damit ist man dann auch beim Kern des Problems. Die entscheidende Bedingung dafür, daß dies geschieht, ist wirtschaftliche und politische Stabilität, ist Vertrauen und Kreditwürdigkeit. Kennzeichen dieser Debatte - wie auch der Verschuldungsdiskussion insgesamt - ist, daß immer wieder Finanzierungsfragen in den Vordergrund rükken. Sie sind sicher wichtig. Aber Finanzierungstechniken mögen noch so innovativ sein, sie können immer nur eine flankierende Rolle spielen. Aus fast sieben Jahren währender Schuldendiskussion wissen wir, daß die Anpassungsprozesse länger dauern als erwartet; daß viele Programme, die mit dem IWF vereinbart waren, frühzeitig aufgegeben wurden, weil sie politisch so schwer umzusetzen waren; daß die Dinge von Land zu Land sehr verschieden liegen und nicht über einen Kamm geschoren werden können; daß schließlich die Länder besser gefahren sind, die sich an die Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds gehalten haben, als die Länder, die das nicht getan haben. Aus dieser Erfahrung müssen wir die Lehre für die Zukunft ziehen: Die Lösung liegt nicht in der Entwicklung immer neuer Finanzierungstechniken, sondern bei ökonomischen Reformen. ({4}) IWF und Weltbank haben weiterhin eine zentrale Aufgabe, den betroffenen Ländern bei der Bewältigung ihres wirtschaftlichen Problems zu helfen. Dabei ist differenziertes, zielgerichtetes Vorgehen gefordert. Anpassungsmaßnahmen brauchen Zeit. Sie müssen stärker auf die politischen Umsetzungsmöglichkeiten ausgerichtet sein. Sie müssen also auch die sozialen, ökologischen und politischen Folgewirkungen berücksichtigen. Natürlich darf die Anpassungslast nicht allein bei den Entwicklungsländern liegen. Auch die Industrieländer haben eine herausgehobene Verantwortung. ({5}) Sie müssen vor allem ihre Märkte für die Produkte der verschuldeten Länder öffnen. Wie sonst sollen diese ihre Kredite zurückzahlen, wenn sie ihre Produkte auf unseren Märkten nicht absetzen können? ({6}) Die Uruguay-Runde muß deshalb zügig vorangebracht werden. Ebenso wichtig ist: Die Industrieländer müssen eine Politik der Stabilisierung der Zinsen und der Preise verfolgen; denn inflationäre Prozesse finden unweigerlich ihren Niederschlag in hohen Zinsen. Hohe, steigende Zinsen können jedoch alle Maßnahmen zur Schuldenreduzierung schnell konterkarieren und dann als sinnlos erscheinen lassen. ({7}) Schließlich sind die privaten Banken gefordert. Sie müssen mehr Bereitschaft zeigen, selbst in die Verantwortung für die Kreditvergabe der Vergangenheit einzutreten und nicht die Last den öffentlichen Stellen übertragen. Dazu gehört auch, daß sie zu neuen Engagements bereit sind und sich an der Bewältigung der Altlasten aktiv beteiligen. Dies gilt insbesondere für die deutschen Banken, die international unvergleichlich günstige Wertberichtigungsmöglichkeiten haben. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluß noch ein persönliches Wort sagen. Ich glaube, daß all dies natürlich nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen kann, wenn nicht im Bereich der demographischen Entwicklung in den Entwicklungsländern, insbesondere in den südamerikanischen, Fortschritte erzielt werden. So, wie das bisher läuft, kann es nicht weitergehen. ({9}) Insbesondere eine Kirche ist aufgefordert, ihre Politik in der Beziehung zu ändern. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Schuldenmanagement des IWF tritt in seine dritte, deutlich von anderen abgegrenzte Phase. In der Anfangsphase hatten wir eine brutale Auflagenpolitik und ein rigoroses Schuldeneintreiben. In der zweiten Phase - Baker-Plan - hatten wir eine brutale Auflagenpolitik und den Versuch, mehr Liquidität zuzuführen. Nun liegt der Brady-Plan vor, der sich ebenfalls auf eine brutale Auflagenpolitik stützt. Aber mittlerweile wird über einige Möglichkeiten der Schuldenreduktion nachgedacht. ({0}) Ich stelle fest: Es gibt so etwas wie ein monetäres Umspielen der eigentlichen Problematik. Und die eigentliche Problematik heißt: brutale Auflagenpolitik. Das Krisenmanagement sollte sich besser einmal mit dieser Konstante seiner Politik als mit den verschiedenen monetären Spielarten befassen, die immer darum herum gerankt werden. Über diesen Brady-Plan wird jetzt in Washington verhandelt werden. Es besteht sicherlich kein Zweifel daran, daß die Bundesregierung sich diesem Plan ebenso anschließen wird wie allen anderen vorherigen Plänen; denn sie hat bisher nachgewiesen, daß sie über keine eigene internationale Finanzpolitik verfügt. Vielmehr schließt sie sich immer nahtlos den Vorschlägen der US-Amerikaner an. In diesem Fall ist sie allerdings dabei, zumindest ein halbes Eigentor zu schießen; denn ich vermute - das ging auch aus der Rede des Kollegen Grünewald hervor -, daß ein Kern der Brady-Initiative offensichtlich von der Union gar nicht verstanden wird, und zwar der Aspekt, der darauf hinweist, daß das bisherige Krisenmanagement völlig gescheitert ist, daß die Analyse, die dem bisherigen Management zugrunde lag, falsch war und daß man eigentlich neue Wege einschlagen müßte. Allerdings werden dann nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Es ist verwunderlich, daß der Brady-Plan auf der einen Seite analytisch erheblich weiter geht als alle vorherigen Pläne und tatsächlich an den Kern der Problematik heranreicht, dann aber, was die Konsequenzen angeht, zu weniger als halbherzigen Schritten bereit ist, so daß die eigentlichen Konsequenzen von anderen politischen Kräften nicht nur eingefordert werden, sondern auch durchgesetzt werden müssen. Der Brady-Plan nimmt mit seiner Begrifflichkeit der Schuldenreduktion Elemente auf, die wir seit Jahren gefordert haben und für die wir, als wir sie hier zum erstenmal eingebracht haben, noch verlacht worden sind. Mittlerweile ist das die offizielle Finanzpolitik, zumindest der Vereinigten Staaten. Der Brady-Plan gesteht implizit zu, daß die bisherige Politik grundsätzlich falsch war. Auch damit gibt er uns recht; dafür sind wir ebenfalls jahrelang angegriffen worden. Der Brady-Plan gibt nämlich zu, daß es sich bei der Schuldenkrise nicht um eine Liquiditätskrise handelt, sondern um eine Solvenzkrise. Er bestätigt, daß es nicht kurzfristige Zahlungsengpässe sind, sondern daß die Dritte Welt - im Klartext gesprochen - pleite ist, daß nichts mehr herauszuholen ist. Viele Länder der Dritten Welt sind bankrott, sie sind nicht mehr ausbeutbar. Das ist die Prämisse der Brady-Initiative. Das haben wir immer behauptet; deshalb sind wir angegriffen worden. Diesen Kern des Brady-Plans haben Sie noch gar nicht verstanden. ({1}) Allerdings kommt die Einsicht der Vereinigten Staaten in diesen Zusammenhängen sicherlich nicht aus dem internen Diskurs. Vielmehr haben dabei, wie wir wissen, die Erwägungen der Sicherheitsberater eine Rolle gespielt, denen die Aufstände, z. B. in Venezuela am Anfang dieses Jahres, zu heiß geworden sind und die sich, um weiteres außenpolitisches Ungemach zu verhindern, nun dazu bequemen müssen, eine andere Finanzpolitik einzuschlagen. Wenn man aber schon einmal feststellt, daß es sich um eine Solvenzkrise handelt, dann muß man sich natürlich darüber wundern, wie kurz der Brady-Plan eigentlich greift. Dazu einige Ausführungen. Anvisiert ist eine Verringerung der Schuldenlast von heute etwa 1 320 Milliarden US-Dollar um ganze 70 Milliarden US-Dollar in den nächsten drei Jahren. Dieser Betrag ist viel zu gering, als daß er irgendeinen Effekt haben könnte. Er ist ein Treppenwitz angesichts der richtigen Analyse, die dem Plan zugrunde liegt. Die Weltbank sagt übrigens nur eine faktische Reduktion von 9 Milliarden US-Dollar voraus. Das sind lächerliche Beträge. Um diesen Effekt zu erreichen, wird dem IWF und der Weltbank ein Interventionsvolumen von 24 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Das reicht, was den Effekt angeht, überhaupt nicht aus. Aber auch dieses Instrument transportiert einen ganz bestimmten politischen Gehalt. Es werden nämlich öffentliche Mittel für das Krisenmanagement eingesetzt. Das, was Sie jahrelang bekämpft haben, daß nämlich der Steuerzahler direkt oder indirekt für die Verluste der Banken aufkommen muß, tritt nun ein. Wir sind damals angegriffen worden, weil wir immer Vorschläge gemacht haben, deren Verwirklichung zu Lasten des Steuerzahlers gegangen wäre, weil wir gesagt haben: Ohne diese Belastung ist das gar nicht machbar. Heute machen Sie es. Sie sagen es der Bevölkerung aber nicht, sondern versuchen, es zu vertuschen. Wir sagen: Der Steuerzahler kommt faktisch dafür auf, also muß der Steuerzahler in Zukunft auch die Möglichkeit haben, die Kreditpolitik der Banken mit zu beeinflussen. Diese politische Konsequenz ziehen wir daraus. Der Steuerzahler kommt nicht nur für die Schulden der bundesdeutschen Banken auf, sondern er kommt vor allen Dingen für die Schulden der US-amerikanischen Banken auf; ({2}) denn die Mechanismen, die jetzt entwickelt wurden, sehen so aus: Die Vereinigten Staaten werden ihre Forderungen prozentual in erheblich größerem Umfang managen können, als ihr Anteil an den Quoten von IWF und Weltbank beträgt. Das ist also ein Nettotransfer aus bundesdeutschen Steuerzahlertaschen auf amerikanische Bankenkonten. Diese Politik machen Sie mit, weil Sie sich blind einer US-amerikanischen Politik anschließen, wie Sie es bisher immer schon gemacht haben. Wenn man die Analyse des Brady-Plans ernst nimmt und die Konsequenzen so zieht, wie sie gezogen werden müßten, damit sie effektiv sind, werden wir über kurz oder lang zu der Forderung kommen, die wir seit Jahren vertreten: Es muß auf einer internationalen Schuldenkonferenz darüber verhandelt werden, wie es globale, umfassende Schuldenstreichungen geben kann; denn was im Moment passiert, ist ein chaotisches, ein anarchisches Abrutschen der gesamten Finanzpolitik. Wir haben nicht diese Angst vor dem Chaos, aber Sie produzieren dieses Chaos. Sie haben gar keine Steuerungsmöglichkeiten mehr. Die Konferenz muß her, damit verabredet werden kann, damit verhandelt werden kann, wie der Schuldenstreichungsprozeß geordnet durchgeführt werden kann, so daß gleichzeitig auch verhindert werden kann, daß nach dem Abbau der Schulden die gleiche Misere wieder von vorne losgeht. Diese Chance verpassen Sie. Deshalb meine ich: Diese Ihre internationale Finanzpolitik ist genauso am Ende wie Ihre anderen Politiken. ({3}) In gut einem Jahr werden sich andere Leute zusammensetzen müssen, um die Politik, die nach 1991 im internationalen Bereich gemacht wird, zu diskutieren. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Voss.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den neuesten Unterlagen des Internationalen Währungsfonds ist 1988 zum erstenmal seit 20 Jahren die Verschuldung der Entwicklungsländer gesunken. Seit 1987 zeigen die Verschuldungskennziffern eine Verbesserung der Situation an. Eine wachsende Zahl von Ländern führt wirtschaftliche Reformprogramme durch und schafft damit die Grundlage für mehr Stabilität und Wachstum in der Zukunft. Diese Länder haben erkannt, daß Anpassung und wirtschaftliche Reformen unabdingbare Voraussetzungen für eine bessere Zukunft sind. Jedes Land muß sich dieser Erkenntnis stellen, um eine Vielzahl von Anpassungsprogrammen bei sich wandelnden Umständen bewältigen zu können. Bei der letztjährigen Jahresversammlung in Berlin wurden die Weichen gestellt für eine gestärkte Schuldenstrategie, die den hochverschuldeten Ländern eine Möglichkeit bietet, ihre Schulden zu verringern. Auch im Rahmen dieser Strategie bleibt es in erster Linie Sache der betroffenen Länder und der Geschäftsbanken, Schulden zu verringern und den Schuldendienst zu erleichtern. Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank aus den dafür gebildeten Darlehensmitteln kann nur in Frage kommen, wenn in den Ländern die notwendigen Schritte zu wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen unternommen werden. Ohne derartige Reformen und Anpassungsmaßnahmen ist eine dauerhafte Lösung des Verschuldungsproblems nicht vorstellbar. Gleichzeitig müssen die Geschäftsbanken zu spürbaren Abschlägen bei ihren Forderungen gegenüber Entwicklungsländern bereit sein. Die gestärkte Schuldenstrategie komplettiert die Maßnahmen, die die Bundesrepublik zusammen mit den anderen Industrieländern in den vergangenen Jahren in die Wege geleitet hat. Dazu gehören: bilaterale öffentliche Schuldenerlasse in einem Umfang von bisher insgesamt 8,8 Milliarden DM; großzügige Umschuldungsbedingungen im Pariser Club; Entwicklungshilfe auf hohem Niveau, die, als Prozentsatz am Bruttosozialprodukt gemessen, weiterhin über dem Durchschnitt der OECD-Länder liegt ({0}) und den ärmsten Ländern als Zuschuß zufließt. Im vergangenen Jahr konnte mit den Stimmen der Bundesrepublik Deutschland eine umfangreiche Kapitalerhöhung bei der Weltbank abgeschlossen werden. ({1}) Die Verhandlungen über eine Aufstockung von IDA sind zur Zeit im Gange. Wir hoffen außerdem, daß es noch in diesem Jahr beim Internationalen Währungsfonds zu einer substantiellen Quotenerhöhung kommen wird. Aus der Sicht der Bundesregierung trägt eine internationale Schuldenkonferenz, wie sie heute morgen hier wieder gefordert worden ist und wie sie in dem zur Beratung anstehenden Antrag der SPD-Fraktion vorgeschlagen wird, nicht zu einer Lösung des Problems der internationalen Verschuldung bei. ({2}) Hierüber sind sich die Industrieländer und auch die verschuldeten Länder einig. Die Kollegen Grünewald und Solms haben zu Recht darauf hingewiesen. ({3}) Die Bedingungen in den verschuldeten Ländern sind zu unterschiedlich, als daß sich die Probleme im Rahmen einer derartigen Konferenz global und undifferenziert lösen ließen. Die Bundesregierung hält an der Koppelung von Stimmrechten und haftendem Eigenkapital im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank fest. Auf dieser Basis kann der für die Entwicklungsländer notwendige Ressourcentransfer aufrechterhalten werden. Ausschließlich binnenmarktorientierte Entwicklungsstrategien sind und werden ohne bleibende Erfolge sein. In Lateinamerika wurden bisher unter Zuhilfenahme ausländischer Finanzmittel viele ineffiziente und nicht überlebensfähige Industrien errichtet. ({4}) Dies führte zu hoher internationaler Verschuldung. Investitionen, mit denen Zinsen und Tilgung für diese Verschuldung hätten verdient werden können, sind leider nicht erfolgt. Ein Neuanfang ist hier unbedingt notwendig. Einen anderen Weg, nämlich den der außenorientierten Entwicklung, sind in der Vergangenheit viele Staaten in Südostasien gegangen. Ihr heutiger Entwicklungsstand beweist eindeutig, daß dieser Weg richtig war. Anpassung und Finanzierung sind unverzichtbare Grundelemente einer jeden Strategie, mit der dem Problem der internationalen Verschuldung erfolgreich begegnet werden kann. Anpassung bedeutet Abkehr von inflationsfördernder Haushaltsfinanzierung, Öffnung der Märkte, Stärkung rentabler Industrien und realistische Wechselkurse. Finanzierung bedeutet zunächst, Rat und Tat durch IWF und Weltbank anzunehmen. Bilaterale Hilfe der Industrieländer, die aber letztlich immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann, schließt sich an. Schuldenerlasse und günstige Umschuldungsbedingungen bei den ärmsten Ländern sind weitere Schritte. Diesen Weg müssen Industrie- und Entwicklungsländer weiter verfolgen, da es keine überzeugende Alternative gibt. Ich bin sicher, daß diese Gesichtspunkte auf der bevorstehenden Jahresversammlung in Washington bei allen Teilnehmern erneut auf breite Zustimmung stoßen werden. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Auswirkungen der Konferenz in Berlin insbesondere im Hinblick auf die Schuldenproblematik ist von den Vorrednern viel gesagt worden. Deshalb möchte ich das Interesse auf zwei andere Aspekte lenken. Spätestens seit der Berliner Konferenz ist, glaube ich, jedermann klar, daß Handel wirksamer ist als Hilfe. Es muß unser langfristiges Ziel sein, die Länder der Dritten Welt in die Lage zu versetzen, Handelspartner zu werden. Sie dürfen nicht Hilfsempfänger bleiben. ({0}) Wir müssen unsere Märkte für die Dritte Welt öffnen. Eine weitere Erkenntnis: Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Zusammenarbeit des Nordens mit dem Süden, des Südens mit dem Norden. Zum fortschreitenden Protektionismus hat der Jahresbericht des Währungsfonds 1989 beklagt, daß es eine Fortdauer des protektionistischen Verhaltens trotz einer Zunahme des Welthandels um 9 % gibt. Dazu gehören - um einige Maßnahmen zu nennen - die Agrar- und Industriesubventionen, Antidumpingmaßnahmen und zusätzliche Zollbeschränkungen. Ich weise in dem Zusammenhang nur kurz auf zwei Aspekte hin. Sosehr der EG-Binnenmarkt von uns aus vielerlei Gründen begrüßt werden muß und sosehr die Freihandelszone zwischen den USA und Kanada begrüßt werden muß, so groß sind die darin liegenden Gefahren für die Dritte Welt. ({1}) Diese neuen Wirtschaftsräume dürfen keine Abschottung nach außen bedeuten. Denn das wäre wirklich kontraproduktiv. ({2}) Ich bin der Meinung, daß GATT und Industrienationen hier konzertiert und konzentriert ordnungspolitisch richtig, d. h. marktwirtschaftlich operieren und auch Aufsicht ausüben müssen. Die Industrieländer müssen erkennen, daß der freie Handel für die Entwicklungsländer wichtiger ist als finanzielle Hilfen, um es mit dem Schlagwort zu sagen: Trade statt aid. Zur Finanzierung ihrer Entwicklung sind die Länder der Dritten Welt auf einen ungehinderten Warenaustausch angewiesen. Es ist doch beklemmend, was Barber Conable am Ende der letztjährigen Tagung sagte: Die Kosten durch Protektionismus sind für die Entwicklungsländer doppelt so hoch wie ihr Nutzen aus der Entwicklungshilfe. ({3}) Auch das Thema Umweltschutz ist heute in aller Munde. Der Umweltschutz ist heute integrierter Bestandteil von IWF- und Weltbank-Politik. Seit dem Weltwirtschaftsgipfel von Toronto wird über das Thema „Verknüpfung von Schuldenerlaß und Naturschutz" ernsthaft diskutiert. Einige positive Schritte in dieser Richtung sind ja auch von der Bundesregierung eingeleitet worden. Ich denke nur an den Schuldenerlaß zugunsten Kenias. Auch die Tatsache, daß der Entwicklungsausschuß des Bundestages im letzten Jahr beschlossen hat, daß ein jährlicher Bericht von seiten des IWF vorgelegt werden sollte, der die Umweltaspekte der Weltbankprojekte und der Politik des Währungsfonds aufnimmt, ist sehr zu begrüßen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Feilcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Feilcke, Sie haben gerade die Umweltpolitik erwähnt. Sind Sie bereit, der Bundesregierung mit uns zusammen zu empfehlen, der Politik der US-amerikanischen Regierung, die auf Druck der US-amerikanischen Umweltgruppen nun beschlossen hat, daß die Weltbank alle Projektplanungsunterlagen offenlegen soll, damit auch die betroffene Bevölkerung in den Planungsgebieten von vornherein an den Planungen beteiligt werden kann, in der Weltbank beizutreten?

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. ({0}) Meine Damen und Herren, eine gute Umweltpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik, oder - anders ausgedrückt - ohne eine gute Umweltschutzpolitik kann, darf es heute eigentlich keine gute Wirtschaftspolitik - was immer „gut" in diesem Zusammenhang bedeuten mag - geben. Insofern sage ich auch, daß diese so beschriebene gute Wirtschaftspolitik die beste Entwicklungspolitik ist. Gestatten Sie mir eine kurze Aufzählung der Weltbank-Initiativen im vergangenen Jahr. Wir können der Presse täglich Meldungen darüber entnehmen, daß die Weltbank hinsichtlich der Beseitigung von Giftmüll, der Ersetzung von Fluorkohlenwasserstoffen und der Umweltverträglichkeitsprüfung bei Projekten - das geht ja auch in die Richtung Ihrer Fragestellung, Kollege Volmer - berät. Vor wenigen Tagen hat die Weltbank ihren Willen bekundet, sich dem Thema Treibhauseffekt zuzuwenden. Der Umfang der Kredite für die Forstwirtschaft wird verdreifacht. Programme für eine sinnvolle Bodennutzung werden aufgelegt. Seit der Umstrukturierung der Weltbank im Jahre 1987 gibt es eine eigene Umweltabteilung mit immerhin 50 Experten. Ja, es werden sogar - ich darf das einmal sagen - Gespräche unter „feindlichen Brüdern" geführt, also mit Gruppen, die vorher klare Feindbilder hatten, also mit Umweltgruppen. Spätestens seit Berlin sind hier Feindbilder abgebaut worden. Wir begrüßen die Lernfähigkeit der Weltbank ausdrücklich. Aber man lernt nie aus. Deshalb sage ich: Entwicklungspolitik beginnt zu Hause. Wir müssen - wenn ich das noch nachtragen darf - die Weltbank im übrigen auch noch auffordern, Umweltaktionspläne in die Liste der Kreditbedingungen aufzunehmen. Entwicklungspolitik beginnt zu Hause. ({1}) Das heißt: Industrieländer, IWF, Weltbank und GATT müssen sich beim Wort nehmen lassen. Wir können nicht permanent gegen Regeln verstoßen, deren Einhaltung wir den Ländern der Dritten Welt abverlangen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek.

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat von Helmut Schmidt aus dem von ihm verantworteten Report „Angesichts der Einen Welt", der in diesem Sommer vorgelegt wurde, beginnen - ich zitiere - : Während der letzten 5 Jahre ist die Netto-Übertragung von Finanzressourcen in die Entwicklungsländer negativ gewesen. Diese Umkehr der Finanzströme hat die krisenhaften Schwierigkeiten ernstlich vertieft, vor denen viele Entwicklungsländer und im besonderen die hochverschuldeten und geringstentwickelten Länder stehen. Selbst unter der Annahme, daß unsere Vorschläge - damit meint er natürlich die seiner Kommission angenommen und rasch verwirklicht werden könnten, würde es einer Reihe von Jahren bedürfen, um den negativen Finanzstrom umzukehren und um den Umfang der Finanzmittel für Entwicklungsländer bedeutsam zu vergrößern. Angesichts der verzweifelten Lage vieler Entwicklungsländer ist es unabweisbar, daß wir uns unverzüglich an diese Aufgabe machen. Viele politische Führer in den Entwicklungsländern haben aus ihren Fehlern in der Vergangenheit gelernt und unternehmen nun Anstrengungen, sie zu korrigieren. Es ist an der Zeit, daß die politischen Führer und Banker in den GläubigerDr. Wieczorek ländern ihre eigenen Fehler anerkennen und tätig werden, sie zu korrigieren. Mehr als je zuvor bedürfen die Entwicklungsländer heute der Hilfe. Ich finde, das ist eine sehr präzise Beschreibung der Situation. Sie hebt sich allerdings von dem ab, was Sie, Herr Voss, für die Bundesregierung gesagt haben. Es ist unserer Auffassung nach wirklich Zeit, mit den jährlichen Ritualen des Versprechens, die Dinge würden sich schon regeln, und der Ansicht, es bedürfe nur etwas der Kosmetik, und ansonsten brauche man sich nur weiter durchzuwursteln, aufzuhören und eine neue Ordnung herbeizuführen. ({0}) Denn tatsächlich verändert sich die Lage doch drastisch. Schuldendienstfähigkeit und Schuldendienstanforderungen klaffen immer weiter auseinander. Die jetzt veröffentlichten Zahlen über die Fortdauer des Nettokapitaltransfers - für 1988 wird er auf 43 Milliarden US-Dollar von Süd nach Nord geschätzt - zeigen nur zu deutlich, daß die Situation alles andere als im Lot ist. Die fehlgeschlagene BakerInitiative ist uns noch gut im Gedächtnis. Ich möchte auch zur Brady-Initiative etwas kritisch äußern. Sie ist sicherlich ein Hoffnungsschimmer, aber es ist hier schon von anderen Kollegen zu Recht ausgeführt worden, daß sie möglicherweise nicht mehr als das ist, denn die Summen sind absolut unzureichend, um tatsächlich eine Ordnung der Verhältnisse herbeizuführen. Die Initiative ist auch nicht frei von Prioritäten amerikanischer Außenpolitik, die nicht unbedingt mit den Entwicklungsinteressen der betroffenen Länder identisch sind. ({1}) Am problematischsten erscheint mir aber das Verhalten der privaten Gläubiger. Ich darf daran erinnern, daß ich in diesem Haus schon bei früherer Gelegenheit auf die Gefahr eines Auseinanderfallens der privaten Gläubigergruppen hingewiesen habe. Dieses Auseinanderfallen beruht auf unterschiedlichen regionalen Interessen, auf unterschiedlichen Reservepositionen, unterschiedlichen Steuerbedingungen und unterschiedlichen Konkurrenzinteressen. Das ist privatwirtschaftlich verständlich, aber für die Lösung der Schuldenproblematik ein äußerst hinderlicher und schädlicher Prozeß. Eine Situation, in der eine Gruppe von Gläubigern darauf wartet, daß eine andere Gruppe von Gläubigern die Kastanien aus dem Feuer holt, ist nicht geeignet, sinnvolle Abmachungen dafür zu treffen, daß die verschuldeten Länder einen Entwicklungspfad einschlagen können, der ihren wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen entspricht. ({2}) Die Chuzpe der Brady-Initiative, den sogenannten Sekundärmarkt für Forderungen an die Schuldnerländer für deren teilweise Entschuldung zu nutzen, ist sicher nicht ohne Charme. Sie birgt jedoch die große Gefahr in sich, daß der Weg für eine echte Gesamtlösung für jedes Land dadurch verbaut wird, daß eben die Interessenidentität der Gläubiger aufgelöst wird. Das Beispiel des Hin und Hers gerade beim MexikoPaket - europäische Banken gegen amerikanische Banken gegen japanische Banken, deutsche gegen englische Banken, aber auch innerhalb der deutschen Bankenwelt und innerhalb der amerikanischen Bankenwelt hieß es: Wer kann sich das leisten und wer nicht, wen kann ich weiter schwächen? - ist ein deutliches Anzeichen dafür, was an Schwierigkeiten in dieser Initiative, so wie sie bisher praktiziert wird - ich meine nicht die Grundidee; sie begrüße auch ich - , enthalten ist. Das ist im übrigen auch der Grund, liebe Kollegen von der CDU/CSU und FDP, warum wir eine Schuldenkonferenz fordern. Herr Kollege Grünewald, ich darf daran erinnern, daß wir zu dieser Schuldenkonferenz nie gesagt haben, daß sie eine große Konferenz aller dieser Länder sein muß. Wir haben gesagt: Warum nehmen wir nicht die Initiative der 24erGruppe innerhalb des IWF auf, warum können wir nicht - es sind amerikanische Banken gewesen, die diesen Vorschlag gemacht haben - eine gemeinsame Kommission von Weltbank und Weltwährungsfonds unter - es ging hin bis zu Personalvorschlägen - dem Vorsitz von Volcker gründen, damit Richtlinien ausgearbeitet werden, die dann - das betone ich auch - individuell für jedes Land ausgefüllt werden müssen? Das eine ist ein Set von „rules'' , und das andere ist, was man in dem einzelnen Land macht. Darum geht es uns bei der Schuldenkonferenz. Das wissen Sie auch. ({3}) Es ist tatsächlich politische Führung vonnöten, und zwar hier und heute, weil sonst die Zersplitterung weiter fortschreitet und politische Hebel für ein im Grunde politisches Problem nicht mehr angesetzt werden können. Was Inhalt eines solchen Schuldenabkommens sein kann, haben wir in verschiedenen Anträgen bereits ausgeführt. Lassen Sie mich noch einmal sagen: Hören Sie auch einmal in die deutsche Bankenwelt hinein. Da werden Sie auch den Ruf nach politischer Führung hören. Das habe ich bei dem Vertreter der Bundesregierung heute leider ein bißchen vermißt. ({4}) Lassen Sie mich kurz in Stichworten nennen, was für ein solches Abkommen wichtig ist: Schuldendienstobergrenze, neue Projektfinanzierung, Öffnung der Importmärkte, gemeinsame Bekämpfung der Kapitalflucht, um nur einige Punkte zu nennen. Diese politische Initiative stellt Forderungen an die Anpassung in den Schuldnerländern nicht nur in bezug auf die wirtschaftlichen Strukturen, sondern auch auf die sozialen Verhältnisse. Hier gebietet es die Glaubwürdigkeit der Position, Mißstände beim Namen zu nennen. Kapitalflucht wird schließlich nicht von denjenigen begangen, deren Grundnahrungsmittel durch sogenannte Preisreformen verteuert wurden, und Korruption kann nicht dadurch bekämpft werden, daß die Verdächtigen die Untersuchungen über sich selbst einstellen lassen können, wie das in diesen Tagen in Argentinien geschehen ist. Die Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang verlangt aber auch, daß die Fluchtgelder nicht mit klammheimlicher Freude zur Finanzierung des Kapitalbedarfs der Industrieländer, insbesondere der USA, genutzt werden. Auch das gehört zur Glaubwürdigkeit. ({5}) Dies führt zu dem, wie ich meine, entscheidenden Punkt, daß die Lösung des Schuldenproblems auch und gerade in den Gläubigerländern wirksame Maßnahmen erfordert. Für die Schuldenreduzierung gilt, daß die privaten Gläubiger für ihre eigenen Fehler tatsächlich zur Kasse gebeten werden und sie nicht - wie etwa in der Bundesrepublik - die drohenden Verluste vor allem dafür nutzen können, erhebliche Gewinne in steuerfreie Reservepositionen einzustellen, wo sie dann mit dem Geld natürlich weiter arbeiten können. Das ist doch der Fakt. Insofern hat der Steuerzahler schon eine ganze Menge geleistet; er hat es nur nicht gemerkt. Herr Kollege Grünewald, darin stimmen wir dann doch überein. Dazu gehört auch, daß sich die Gläubigerländer für ihre staatlichen Forderungen im Rahmen des Pariser Clubs nicht länger hinter den privaten Umschuldungsvereinbarungen verstecken - immer das, was die machen, machen wir dann auch -, sondern ihrerseits ihre Position als Gläubiger zur Konditionierung nutzen, um die notwendigen Konzessionen zu erzwingen. ({6}) Es gehört auch dazu - das sei in der Kürze der Zeit noch angemerkt - , daß die Industrieländer ihre Märkte für die Exporte der Schuldnerländer wirklich öffnen. Ich glaube, darin sind wir uns einig. ({7}) Die bisherigen Ergebnisse der GATT-Verhandlungen stimmen dabei allerdings nicht allzu optimistisch. ({8}) Die in diesen Tagen laut gewordene Klage - wir werden übrigens an Hand unserer Großen Anfrage zum GATT Gelegenheit haben, auch darüber zu diskutieren - ausgerechnet Kolumbiens über die amerikanische Kaffeepolitik ist für mich ein Musterbeispiel für die Diskrepanz zwischen frommen Reden einerseits und harter Handelsrealität andererseits. ({9}) Zu den wichtigsten Punkten gehört aber auch - gerade für die Jahrestagung des Währungsfonds möchte ich dies mit auf den Weg geben; er sollte ja etwas anderes als eine Entwicklungsinstitution sein - die Aufgabe, ein funktionierendes Wechselkurssystem zu schaffen. Das aus dem Floating entstandene System mittel- und längerfristiger krasser Über- und Unterbewertungen von Währungen und die Dominanz kurzfristiger Kapitalinteressen über mittelfristige Handels- und reale Investitionsinteressen sind für die Schuldnerländer mit Sicherheit schädlich, die diesen Entwicklungen ohne jeden nennenswerten Einfluß ausgesetzt sind; sie haben dabei ja nichts zu sagen. Es ist aber wahrscheinlich auch für die entwickelten Industrieländer selbst schädlich - daran sollten wir uns erinnern -; denn die Machbarkeit der Geldillusion verschleiert die realen Diskrepanzen und Fehlentwicklungen. Ich habe den Eindruck, daß ein bißchen naive Sorglosigkeit dazu verführt, den Traum zu haben, daß die Blüte der Weltwirtschaft ewig andauert, bloß weil man mit dem Geldhahn manipulieren kann. Es wäre auch in unserem Interesse, daß wir dieses zerrüttete Weltwährungssystem - das haben wir nämlich in Wirklichkeit - unabhängig von der Verschuldungsproblematik endlich ordnen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Strukturanpassung - dieser viel umstrittene Begriff - ist im Grunde ja nur ein anderer Name für Entwicklung. ({0}) Wir haben es im eigenen Land beim Strukturwandel in Landwirtschaft und Bergbau erlebt, um nur diese beiden Bereiche zu nennen, und haben gesehen, daß das an den Kern der Existenz gehen kann. Aber wir haben auch erfahren: Je länger solche Anpassungen durch Erhaltungssubventionen verzögert werden, desto länger ist der Weg zu einer leistungsfähigen Volkswirtschaft. ({1}) Die Ergebnisse der Strukturanpassungsprogramme haben insbesondere in Afrika denen, die sie befürwortet haben, recht gegeben. In jenen Ländern, die durch Strukturanpassungsprogramme interne Wachstumshemmnisse beseitigt haben, zeichnet sich eine Trendwende der Wirtschaftsentwicklung ab. Wirtschaftswachstum, insbesondere landwirtschaftliche Produktion, aber auch die realen Inlandsinvestitionen entwickeln sich günstiger als in den nicht anpassungsbereiten Ländern. Es macht eben einen ganz entscheidenden Unterschied, ob - nach dem Weltbankbericht - das Wachstum nicht anpassungsbereiter Länder in den Jahren 1986 und 1987 jährlich 1,5 % oder fast 4 % wie in den Ländern beträgt, die Strukturanpassungsprogramme durchgeführt haben. Jetzt gilt es, die Reformen konsequenz weiterzuführen und natürlich auch konsequent weiter zu unterstützen. Daß Strukturanpassung gerade den Armen unmittelbar Entlastung bringen kann, zeigt sich an der Freigabe der Agrarerzeugerpreise, die den Kleinbauern in großem Umfang zugute gekommen ist. Anpassungsbedarf besteht aber natürlich auch und gerade zu Lasten der heute gut und sehr gut Verdienenden in Entwicklungsländern. ({2}) Hier geht es nicht um Senkung der Ausgaben, sondern um Erhöhung der Einnahmen. Die Erhöhung der Steuereinnahmen über ein funktionierendes Einkommensteuersystem scheitert in vielen Ländern immer noch an mangelnder Steuermoral, an korrupten und ineffizienten Steuerverwaltungen. Entwicklungshilfe darf nicht zur Ausgleichsleistung für mangelnde Steuermoral degenerieren. ({3}) Deshalb unterstützen wir die Auflagen des Internationalen Währungsfonds nicht nur in der Beschlußfassung, sondern auch durch tatkräftige Hilfe beim Ausbau eines Steuersystems, das die Ertragskraft der hohen Einkommen ausschöpft. Die Versuche vieler Entwicklungsländer, dirigistische Wirtschaftssysteme als Allheilmittel anzusehen, haben in eine Sackgasse geführt. Dort wie im Ostblock hat das große Umdenken begonnen, und zwar aus der Erkenntnis: Die Zeche dieser verfehlten Wirtschaftsordnungen haben allemal die Armen zu bezahlen gehabt. ({4}) Nun kommt es darauf an, daß die neuen Ordnungen dafür sorgen, einen Anreiz zu geben, daß das Kapital, das in vielen Entwicklungsländern ja gebildet wird, im eigenen Lande bleiben kann. Milliarden und aber Milliarden von US-Dollar haben die Länder der Dritten Welt als Fluchtkapital verlassen, weil die Unternehmer das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik verloren hatten. Nach Schätzungen aus den USA entspricht das Fluchtkapital Lateinamerikas dem Volumen nach sämtlichen Verbindlichkeiten gegenüber den ausländischen Banken. Entwicklungshilfe kann unter solchen Rahmenbedingungen wenig bewirken. Wir werden die Länder, in denen Umdenken und Reformbereitschaft zur Rückkehr von Fluchtkapital führen, tatkräftig unterstützen. Auch dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Brady-Initiative. Ich bin für die grundsätzliche Zustimmung der SPD-Fraktion dankbar. Wir alle sind uns darüber einig, die Brady-Initiative entwickelt sich Schritt für Schritt, wenn Ergebnisse - es ist noch nicht soweit, daß der erste Fall förmlich abgeschlossen ist - vorliegen. Sie entwickelt sich weiter. Nach unserer Zielsetzung wird aber eines nicht geschehen, Herr Kollege Volmer, nämlich daß wir zu einer globalen Lösung der Schuldenfrage kommen. Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß Länder wie Bolivien, die eine ungeheure Anpassungsleistung erbracht haben, sich am Schluß mit denen gleichbehandelt sehen, die aus mangelnder Bereitschaft, zu ihren Verpflichtungen zu stehen, bis jetzt ihrer Bevölkerung geschadet haben. ({5}) Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Solms, daß der Beitrag der Industrieländer sich nicht in Schuldenerlaß und neuen Mitteln erschöpfen kann. Strukturanpassung der Entwicklungsländer verlangt auch Strukturanpassung bei uns. Hier sind Handels- und Agrarpolitik gefragt. Der Welthandel darf nicht durch ein verhängnisvolles Zusammenwirken von Protektionismus, Überproduktion und Exportsubventionen weiterhin zu Lasten der Entwicklungsländer verschlechtert werden. Ich möchte Herrn Minister Kiechle danken, daß er im entscheidenden Agrarsektor in der Europäischen Gemeinschaft einen Durchbruch zur Begrenzung der Agrarüberschußproduktion erreicht hat. ({6}) Die Zwischenergebnisse der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT geben trotz zäher Verhandlungen Anlaß zu Optimismus. Die Einigung zwischen der EG und den USA im Agrarbereich ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 11/5122. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1793 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag entsprechend der Beschlußempfehlung des Ausschusses abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5142. Der Ausschuß empfiehlt in einer Beschlußempfehlung unter Nr. I, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/2988 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen. Dann ist diese Empfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. ({0}) - Ich habe die FDP vergessen? Das ist eine nicht zu entschuldigende Unterlassung. Ich hole es also mit großem Schmerz in der Brust nach. ({1}) Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. II, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2765 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen aus der Fraktion der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vizepräsident Stücklen Siebenter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung - Drucksachen 11/2020, 11/4381 Berichterstatter/innen: Abgeordnete Frau Eid Frau Folz-Steinacker Höffkes Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5175 und 11/5181 vor. Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Aussprache eine Stunde dauern. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000916, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich am 19. April dieses Jahres mit dem Siebenten entwicklungspolitischen Bericht auseinandergesetzt und eine umfangreiche Beschlußempfehlung verabschiedet. Leider ist es erstmalig nicht zu einer gemeinsamen Stellungnahme gekommen. Lediglich Teil C - berufliche Aus- und Fortbildung - wurde mit 14 : 0 Stimmen angenommen. Bei Teil A, einer grundsätzlichen Wertung des Siebten Berichts, konnten sich SPD und GRÜNE nicht zu einer Zustimmung durchringen, obwohl die kritischen Ansätze des Siebten Berichts, z. B. die verfehlte Agrarpolitik vieler Entwicklungsländer, der Protektionismus der Industriestaaten und die die Entwicklungshilfeanstrengungen vielfach konterkarierende EG-Agrarpolitik, unterstrichen wurden. Die Verweigerung der SPD ist um so überraschender, als deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß beispielsweise umfassende wirtschaftliche, soziale und politische Reformen in den Entwicklungsländern durchgeführt werden müssen und daß die Rolle der Frau im Entwicklungsprozeß noch stärker zu beachten ist. Mit 9 : 6 Stimmen wurde Teil B verabschiedet. Die ablehnende Haltung von SPD und GRÜNEN ist nicht nachvollziehbar, da die Bundesregierung aufgefordert wird, im Achten entwicklungspolitischen Bericht die Bedrohung der Umwelt erneut umfassend zu behandeln und auf den geleisteten entwicklungspolitischen Beitrag zur Überwindung von Umweltgefahren einzugehen. Weiter haben sich SPD und GRÜNE dagegen ausgesprochen, im nächsten Bericht den Bereich Aus- und Fortbildung von Fach- und Führungskräften der Entwicklungsländer in einem gesonderten Kapitel zu behandeln und die bisher erfolgten Anstrengungen zur Lösung der weiteren Verschuldungskrise darzustellen und zu bewerten. Das Abstimmungsverhalten ist um so widersprüchlicher und wohl nur wahltaktisch zu erklären, als SPD und GRÜNE Teil C der Empfehlung zugestimmt haben, der sich mit beruflicher Aus- und Fortbildung beschäftigt und die zentralen Erkenntnisse der Anhörung vom 13. April 1988 sowie die Antworten auf die Kleinen Anfragen 11/1855 und 11/2470 zu diesem Thema zusammenfaßt. Ihre Zustimmung verweigerten SPD und GRÜNE auch Teil D, der sich mit der Auswertung der öffentlichen Anhörung vom 5. November 1986 zum Thema „Einfluß der von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds geforderten Anpassungsprogramme auf die entwicklungspolitische Zusammenarbeit" beschäftigt. Das Abstimmungsergebnis 9 : 6 muß überraschen, da die Beschlußempfehlung kritisch, aber konstruktiv auf die Anpassungsprogramme beider Institutionen eingeht. So wird z. B. unter anderem festgestellt, daß die bisherigen Programme „nicht immer im nötigen Umfang auf die politische, soziale und ökologische Verträglichkeit der wirtschaftspolitischen Empfehlungen Rücksicht genommen" haben und die Anpassungsprogramme „die demokratische Entwicklung eines Landes nicht gefährden" sollen. Weiter heißt es: „Belastungen, die einem Land durch Anpassungsprogramme " - vorhin ist darüber gesprochen worden - „entstehen können, müssen gerecht verteilt werden". Und: Die oberen Einkommensschichten in den Ländern müssen „ihren Anteil dazu leisten". Ferner: „Die Anpassungsprogramme von IWF und Weltbank und die langfristige entwicklungspolitische Strategie eines Landes müssen aufeinander abgestimmt werden. " Teil E bei 5 Enthaltungen mit 9: 1 Stimmen angenommen! Es war pikanterweise der Bereich Umwelt, bei dem die Vertreterin der GRÜNEN durch Fundamentalopposition glänzte. ({0}) - Ich komme darauf. - Es wurde eindeutig und klar darauf hingewiesen, daß eine der gravierendsten Gefahren für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Dritten Welt in wachsender Bedrohung und Zerstörung der Umwelt besteht. Damit wurde von der Opposition nein gesagt zu den Forderungen: Erstens. Angesichts der regionalen und globalen Umweltprobleme sind ein gemeinsames Handeln aller Staaten der Welt sowie neue Formen internationaler Kooperation notwendig. Zweitens. Durch Entwicklungshilfe geförderte Maßnahmen dürfen nicht zu Umweltzerstörung oder unvertretbaren Umweltbelastungen führen. Im Forderungsteil wird festgestellt, daß Industrieländer ihre Umweltprobleme nicht in die Länder der Dritten Welt verlagern dürfen - Müllverlagerungen etc. - und durch Umweltverträglichkeitsprüfungen alle unvertretbaren Umweltbelastungen absolut auszuschließen sind. Meine Damen und Herren, analysiert man die für erledigt erklärten SPD-Vorschläge - auf die der GRÜNEN, die von den anderen Fraktionen abgelehnt worden sind, brauche ich nicht einzugehen - , so gilt es, folgendes festzustellen: Erstens. Große Teile des 7. Entwicklungspolitischen Berichts werden auch von der SPD begrüßt. Zweitens. Falsch und abzulehnen sind die Auffassungen, daß a) aus den Fakten der Vergangenheit angeblich unzureichende Schlußfolgerungen gezogen worden seien, b) die Legitimität der Schulden diskutiert werden soll, c) der Bundesregierung auf internationaler Ebene, z. B. beim Internationalen Währungsfonds und GATT, egoistische und kurzsichtige Interessenpolitik unterstellt wird. Als nächstes ist absolut die Fehleinschätzung auch dort abzulehnen, wo Entwicklungszusammenarbeit angeblich als Vehikel wirtschaftlicher Eigeninteressen mißbraucht würde. ({1}) Zum letzten. Zu einfach macht es sich meines Erachtens die SPD, ({2}) wenn sie fordert, Einsparungen von 1 Milliarde DM im Bereich der Verteidigung vorzunehmen und diese Mittel dann für die Entwicklungsländer zu fordern. So einfach geht es nicht, meine Damen und Herren! ({3}) Als Fazit: Die von den Koalitionsfraktionen im Ausschuß mehrheitlich getragenen Beschlußempfehlungen nehmen, so meine ich, den Siebten entwicklungspolitischen Bericht nicht nur rein zustimmend zur Kenntnis, sondern stehen einzelnen Teilbereichen auch durchaus kritisch gegenüber. Aber gleichzeitig unterstützen wir die kritischen Anmerkungen, die sich aus dem Bericht selbst ergeben. An der Stelle, meine Damen und Herren, möchte ich mich bei der Bundesregierung und all denen, die an dem Bericht in fleißiger Arbeit mitgewirkt haben, ausdrücklich und ganz herzlich bedanken. ({4}) Ich bitte Sie, der Beschlußempfehlung der Ausschußmehrheit Ihre Zustimmung zu geben. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schluckebier.

Günter Schluckebier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001988, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das noch einmal unterstreichen: Seit 1972 wird von der Bundesregierung alle zwei Jahre der entwicklungspolitische Bericht erstattet. Seit dieser Zeit waren alle Fraktionen immer kompromißbereit und zu einem gemeinsamen Votum fähig. Wir Sozialdemokraten bedauern es sehr, daß es diesmal nicht zu einer gemeinsamen Empfehlung zum Siebten entwicklungspolitischen Bericht gekommen ist. Die Probleme der Länder der Dritten Welt haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Wir sind der Überzeugung, daß nur gemeinsame Anstrengungen zu vernünftigen und durchgreifenden Lösungen führen können. Die Gemeinsamkeit weiter zu stärken bleibt daher das Ziel der SPD-Fraktion. Meine Fraktion hat es auch begrüßt, daß der Siebte entwicklungspolitische Bericht unserer Kritik in Teilen gefolgt ist und sich eine Reihe unserer Forderungen zu eigen gemacht hat. Ich hebe hier die erkannte Bedeutung der Projektevaluierung, die angekündigte Schwerpunktverlagerung auf die Umwelt und die vorgesehenen Untersuchungen soziokultureller Aspekte und der Auswirkungen der Projekte auf die Lage der Frauen hervor. Allerdings, wenn wir was erreichen wollen, dürfen wir mit unserer Kritik nicht hinter dem Berg halten. Ich stelle fest: Der Siebte entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung wird den Erfordernissen einer erfolgreichen Nord-Süd-Politik nicht gerecht. Besonders deutlich wird dies in der Frage der Verschuldung der Dritten Welt. Zwar sieht die Bundesregierung das Problem, doch ihre Lösungsvorschläge bleiben hinter allen Notwendigkeiten und Erwartungen zurück. ({0}) Die Bundesregierung hat keinen Gesetzentwurf zur Lösung der Schuldenkrise vorgelegt, der die Gesundung der Wirtschaft der Entwicklungsländer langfristig vorantreiben könnte. Vor zwei Jahren hat meine Fraktion dazu einen Vorschlag unterbreitet, an dessen Eckwerten sich die Bundesregierung orientieren sollte. Ganz und gar unzulänglich, geradezu egoistisch sind ihre Vorhaben zur Lösung des Problems der Rückflüsse aus der finanziellen Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Mit einer wachsenden Tendenz haben diese Rückflüsse bereits die Milliardengrenze überschritten. Wenn es nicht gelingen sollte, meine Damen und Herren, die Rückflüsse in viel höherem Maße für neue entwicklungspolitische Maßnahmen einzusetzen bzw. sie in den Schuldnerländern zu lassen, so wird der Anteil unserer Hilfeleistungen am Bruttosozialprodukt weiter absinken. Die Bundesrepublik setzt sich schon jetzt der Gefahr aus, ihren international eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen. ({1}) Meine Damen und Herren, mit ihren „Grundlinien der Entwicklungspolitik" vom 19. März 1986 versuchte die Bundesregierung, „Antworten auf neue Herausforderungen an die Entwicklungspolitik wie Verschuldungskrise und Hungerkatastrophen zu geben" . ({2}) Ihr Ziel sei es, so die Bundesregierung in ihrem Siebten entwicklungspolitischen Bericht, die elementaren Lebensvoraussetzungen der Menschen zu sichern und sie in den Stand zu versetzen, sich selbst zu helfen. Die Bilanz der Taten, die diesen Antworten folgen sollten, ist mehr als dürftig, meine Damen und Herren. ({3}) In Wirklichkeit läßt sie die öffentliche Entwicklungshilfe seit 1982 ausbluten. ({4}) Betrug - die Zahlen sind ja wohl klar - ihr Anteil am Bruttosozialprodukt 1983 noch 0,48 %, ({5}) sank er bis 1988 auf 0,39 % ab. Im Haushaltsplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit für 1989 sind 7,1 Milliarden DM ausgewiesen, 700 Millionen DM weniger, als ursprünglich in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Wichtige Entwicklungsinstitutionen wie die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, wie Stiftung für Internationale Zusammenarbeit beklagen sich darüber, daß sie zuwenig Mittel für die Umsetzung dringender Vorhaben erhalten. ({6}) Wenn diese Talfahrt so anhält, meine Damen und Herren, droht der Entwicklungshaushalt Anfang der 90er Jahre auf den kläglichen Anteil von 0,3 % des Bruttosozialprodukts zu schrumpfen. ({7}) Gerade angesichts der Internationalisierung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme ist dies, so glauben wir sagen zu müssen, ein Skandal. ({8}) Innenpolitisch diskutieren wir z. B. schon lange, auch in diesem Haus, wie man den Problemen der massiven Flüchtlingsströme in der Dritten Welt begegnen könnte. Die politischen Parteien, die Kirchen und der Deutsche Bundestag sind sich darin einig, daß eine verstärkte, sinnvoll betriebene Entwicklungspolitik wertvolle Beiträge dazu leisten kann. ({9}) Wenn wir dieses Ziel erkannt haben, darf unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Dritten Welt nicht stagnieren oder gar zurückgehen. Sie muß massiv gesteigert werden. ({10}) Anfang Juli 1989 wurden Sie, Herr Bundesminister Warnke, vom ,,General-Anzeiger" in Bonn gefragt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten - : Die Industrienationen haben 0,7 % des Bruttosozialprodukts als Sollmarke für die Entwicklungshilfe vereinbart. Ihr Sieben-Milliarden-Etat verfehlt das Ziel um 0,3 %. Wie verbindlich sind solche Zusagen? Sie antworteten: Das ist ein Zielwert. Unter den großen Geberländern nimmt die Bundesrepublik mit ihren 0,4 eine ausgezeichnete Position ein. Wie ausgezeichnet unsere Position ist, meine Damen und Herren, wird deutlich, wenn wir unsere 0,39 % mit den 1,12 % Norwegens vergleichen, ({11}) das an der Spitze aller Geberländer steht. Andere Industriestaaten wie Japan, England, Kanada, Finnland oder die USA haben ihre Etats im Gegensatz zu uns verhältnismäßig stark erhöht. Die Sozialdemokraten fordern eine Trendumkehr und eine Erhöhung der Mittel für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit. ({12}) Weltweit steigende Arbeitslosigkeit, massive Umweltzerstörung, Armut und Elend in der Dritten Welt sind Grund genug, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit als Teilbaustein zu einem fairen NordSüd-Ausgleich zu erhöhen. ({13}) Auch bei der Lösung der enormen Verschuldungskrise hat es - wir haben es vorhin in der Debatte bereits gehört - immer noch keinen Durchbruch zugunsten der betroffenen Entwicklungsländer gegeben. Deswegen fordert die SPD nach wie vor ein NordSüd-Abkommen für einen maßgeblichen Schuldenabbau und einen gesteigerten Zufluß neuer Finanzmittel. Dabei wissen wir sehr wohl, meine Damen und Herren, daß mehr Geld allein noch nicht Entwicklung bedeutet. ({14}) Angesichts der laufenden GATT-Verhandlungen muß sich die Bundesregierung zusammen mit den anderen EG-Staaten für den Abbau der protektionistischen Handelspolitik und der auch für viele Entwicklungsländer schädlichen Subventionierung von Produkten und Exporten, insbesondere im Agrarbereich, einsetzen. ({15}) Für die Entwicklungsländer ist das Vermeiden des Dumpings von Überschüssen der Industrieländer auf den Märkten der Dritten Welt eine Überlebensfrage geworden. ({16}) Überproduktion im Norden und Lebensmittelknappheit im Süden verstärken sich gegenseitig. Es liegt im beiderseitigen Interesse, so glauben wir, den Weltmarkt neu zu organisieren. ({17}) Wir müssen auch diesmal darauf hinweisen, daß sich neben den wichtigen äußeren Faktoren die inneren Verhältnisse in den Ländern der Dritten Welt nicht wesentlich verbessert haben. Ich meine, die politischen und gesellschaftlichen Strukturen, das teilweise Versagen ihrer Eliten, eine extrem ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen, Ausbeutung und Korruption, überzogene Rüstung, bürokratische Gängelung und gewaltsame Repression hemmen die Entfaltung der eigenen Kräfte. In vielen Entwicklungsländern werden der Bevölkerung die bürgerlichen und politischen Grundrechte und Menschenrechte verweigert und mit Füßen getreten, ganz zu schweigen von dem Einsatz staatlicher Gewalt gegen soziale und demokratische Bewegungen. Nun komme ich zu einem Teil meiner Ausführungen, welcher indirekt auch mit dem Haushalt zu tun hat. Der Haager Umweltgipfel liegt ja noch nicht lange zurück. Er war am 11. März 1989. Dort sind, auch von deutscher Seite, große Worte über internationale Solidarität und über das globale Ausmaß der Umweltaufgaben gefunden worden. Es war die Rede von der Entwicklung neuer Strategien und neuer völkerrechtlicher Grundsätze einschließlich neuer wirksamer Entscheidungs- und Durchsetzungsmechanismen. Beim Weltwirtschaftsgipfel in Paris gab es sogar eine deutsche Initiative. Wir ließen uns feiern. Dies galt zumindest für die beteiligte Bundesregierung in bezug auf den globalen Umweltschutz. Nun fragen wir die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, worin denn diese Initiativen bestehen, deren Erwähnung bei den anderen Gipfelteilnehmern große Erwartungen weckte. Geht die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran, wenn die Weltbank zusätzliche Beiträge zur Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern bei den Verhandlungen zur Aufstockung der IDA-Fonds fordert? Diejenigen, die gestern im Ausschuß waren, als wir darüber gesprochen haben, wissen, daß uns gesagt worden ist, daß wir, solange wir noch nicht wissen, wie das so wird, auch in diesem Haushalt und auch mittelfristig nichts einzustellen brauchten. ({18}) Ihr Entwicklungshilfehaushalt gibt nichts mehr her. Jetzt und auch mittelfristig ist nichts eingeplant. Das heißt, wir haben auf internationalen Konferenzen große Worte gebraucht, aber gefolgt sind nur relativ kleine Taten. Ich appelliere hier an die Kolleginnen und Kollegen des parlamentarischen Fachausschusses. Dies kann und darf doch bei allen Zwängen, denen ein Bundeshaushalt unterliegt, letztlich nicht so bleiben. ({19}) Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland trägt als führende Industrienation eine besondere Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern, insbesondere den Regenwaldländern. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit müßten doch die Ursachen der Regenwaldzerstörung bekämpft werden. Sie sollte durchaus den beispielgebenden Vorreiter bei der Erhaltung der Regenwälder spielen, aber den Schwerpunkt der Maßnahmen im Bereich der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit sehen. Nur hier besteht die Chance, die Behörden und Regierungen der betroffenen Entwicklungsländer einzubinden, Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu fördern und ein komplexes Gerüst ursachenangepaßter und standortspezifischer Maßnahmen zu entwickeln. Nur in einer internationalen Umweltpartnerschaft, wie sie auch von der Bundesregierung gefordert wird, kann den Ursachen und den verheerenden Folgen der Zerstörung der tropischen Regenwälder begegnet werden. Beispielgebend sollte die Bundesregierung mit den Entwicklungsländern Vereinbarungen treffen, nationale revolvierende Fonds einzurichten, in die ein wesentlicher Teil der Zinsen und Tilgungen aus der finanziellen Zusammenarbeit fließen sollte, damit daraus nationale Umweltschutz- und Entwicklungsorganisationen Mittel für Umweltschutzprojekte erhalten können. Andere Gläubigerländer sollten angeregt werden, sich an diesen Fonds zu beteiligen. Wir erwarten, daß im Achten entwicklungspolitischen Bericht zu dieser Problematik Stellung genommen wird. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten legen erneut unsere Initiative „Zukunftsprogramm Dritte Welt" auf den Tisch. Einige Tage vor Ihrem Parteitag, meine Damen und Herren von der CDU, veröffentlichte Ihr Parteivorstand „Zwölf Thesen der CDU zur Entwicklungszusammenarbeit der 90er Jahre". Ein Vergleich ergibt, daß sich die beiden großen Parteien in vielem einig sein könnten. Das betrifft die Analyse über die Lage der Länder der Dritten Welt, die strukturellen Ursachen für den wirtschaftlichen Niedergang der Entwicklungsländer, das Sinken des Pro-Kopf-Einkommens, die weitere Verarmung und die Vergrößerung des sozialen Abstandes zwischen den kleinen Oberschichten und der Bevölkerung. Aber auch hinsichtlich der äußeren Einflüsse gibt es vergleichbare Analysen. Das heißt, wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Frage ist nur, ob wir eine Gemeinsamkeit finden zwischen den Sprüchen, die dahingesagt werden, und den materiellen Notwendigkeiten, die in den Haushalt eingesetzt werden, um eine erfolgreiche Entwicklungsarbeit betreiben zu können. Ich kann daher für meine Fraktion nur unser außerordentliches Bedauern kundtun und, wenn wir Ihr Thesenpapier berücksichtigen, unsere Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie unseren Vorschlägen nicht gefolgt sind bzw. nicht bereit waren, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Namens meiner Fraktion beantrage ich die Ablehnung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Annahme unseres Änderungsantrages. Schönen Dank. ({20})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.

Sigrid Folz-Steinacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000567, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier von Gemeinsamkeit zu reden, finde ich ein bißchen pharisäerhaft; es tut mir leid. ({0}) Die Probleme, denen die Menschheit heute gegenübersteht, lassen sich nicht mehr auf Staaten oder Kontinente beschränken. Sie haben globale Dimensionen angenommen. Die Menschheit ist damit zur Überlebensgemeinschaft geworden. Dies gilt für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie für die weltweite Sicherung des Friedens und die Lösung der Entwicklungsprobleme in den Ländern der Dritten Welt. Eine Bewältigung dieser Herausforderungen kann nur durch gemeinsame Anstrengungen von Industrie- und Entwicklungsländern sowie durch eine umfassende internationale Zusammenarbeit sichergestellt werden. Entwicklungspolitik muß dieser Zielsetzung dienen, indem sie dazu beiträgt, einmal Armut und Unterentwicklung zu überwinden, zum zweiten leistungsfähige Volkswirtschaften aufzubauen und zum dritten die Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft zu integrieren. Umweltzerstörung, Verschuldung, Bevölkerungswachstum und Massenarmut in den Ländern der Dritten Welt erfordern neue Initiativen im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs - das haben auch Sie vorhin anklingen lassen - sowie eine Intensivierung der Entwicklungszusammenarbeit auf allen Ebenen. ({1}) Der heute abschließend zu beratende Bericht gibt nicht nur einen Überblick über die gegenwärtige Situation der Entwicklungsländer, ihre Lage in der Weltwirtschaft und ihre zentralen Probleme, sondern zeigt auch eine Reihe von Lösungsansätzen - ich spreche von Ansätzen - im Rahmen des Nord-SüdDialogs und der Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt auf. Besonders bedeutsam, so denke ich, ist dabei die Aussage, daß langfristig tragfähige Lösungen ein Mindestmaß an eigendynamischer Wirtschaftsentwicklung in jedem einzelnen Entwicklungsland voraussetzen. ({2}) - Ich kann, und muß, Herr Kollege, diese Feststellung auf jeden Fall hier unterstreichen. Sie haben es ja auch getan. ({3}) Alle Anstrengungen, auch durch eine nachhaltige Erhöhung des finanziellen Volumens der öffentlichen Entwicklungshilfe müssen letztlich erfolglos bleiben, wenn die Entwicklungsländer nicht wirtschaftlich in die Lage versetzt werden, sich zu helfen. Dies erfordert, meine Damen und Herren, allerdings ein grundlegendes Umdenken in der Entwicklungspolitik. Es genügt nicht, lediglich immer wieder die Ziele einer auf die Bedürfnisse der Länder der Dritten Welt ausgerichteten Entwicklungspolitik aufzuzeigen. Entscheidend ist vielmehr, welche Methoden und Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit einen wirksamen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten können. ({4}) Wir sollten endlich alle begreifen, auch Sie, Herr Kollege, daß ökonomischer Erfolg letztlich ein Ergebnis der freien Entfaltung der Persönlichkeit ist. Nur durch ein Mehr an Freiheit und Eigenverantwortung für den einzelnen sowie weniger Staat und weniger Bürokratie und nicht anders lassen sich die Voraussetzungen für eine eigendynamische Wirtschaftsentwicklung schaffen. ({5}) Entwicklungspolitik darf vor allem nicht zum Experimentierfeld ({6}) - hören Sie schön zu, Herr Kollege - sozialistischer Wirtschaftsmodelle gemacht werden. Das sozialistische System der Planwirtschaft, das seine Existenz der irrigen Vorstellung verdankt, man könne Wirtschaft je nach Belieben manipulieren, hat einen gravierenden Mangel offenbart. ({7}) - Hören Sie zu! - Es ist der Mangel an Leistungs- und Risikobereitschaft, an Selbstverantwortung und Eigeninitiative. ({8}) Wir wollen was dagegen tun, daß die Leute nicht mehr verhungern. Wenn heute sogar in manchen sozialistischen Staaten die Diskussion über Pluralität und Marktwirtschaft zum praktischen Handeln führt, dann müssen auch in der Entwicklungspolitik endlich die erforderlichen Konsequenzen gezogen werden. ({9}) - Es kommt; hören Sie zu. Bei unserer Forderung nach mehr Marktwirtschaft in der Entwicklungspolitik geht es nicht um Begriffe und Fiktionen, sondern um die Durchsetzung marktwirtschaftlichen Denkens und Handelns in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, auch wenn Sie das immer bestreiten. ({10}) Dazu gehört vor allem eine Umstrukturierung zugunsten des privaten Sektors mit dem Ziel der Entfaltung und Stärkung privatwirtschaftlicher Unternehmerinitiativen in den Entwicklungsländern, bei prioritärer Förderung - natürlich, das ist ganz klar - der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, des Handwerks sowie der Klein- und Mittelindustrie, eine noch stärkere Förderung des Fachkräftepotentials der Entwicklungsländer sowie ein verstärkter Technologietransfer durch Unternehmenszusammenarbeit. Wir haben Thesen aufgestellt, Sie haben zwölf Thesen nach uns eingebracht, wir haben zehn Forderungen an die Regierung gestellt. Lesen Sie es! ({11}) Meine Damen und Herren von der SPD, es ist zumindest für mich schon erstaunlich, welches Verständnis Sie von einer funktionierenden Marktwirtschaft haben. ({12}) Die von Ihnen formulierte Forderung - die steht in Ihrem Papier drin -, sich für eine Weltsozialordnung im Sinne einer durch soziale Rahmenordnung - entsetzlich - gelenkten internationalen Marktwirtschaft einzusetzen - das sind Ihre Worte -, ({13}) ist die verklausulierte Fortsetzung überholter Patentrezepte aus der sozialistischen Mottenkiste, ({14}) die mitverantwortlich dafür sind, daß eine große Vielzahl von Entwicklungsländern inzwischen zu Sozialhilfeempfängern wurden. Ihre ungerechtfertigte Pauschalkritik - denn das ist eine Pauschalkritik - an der Politik dieser Bundesregierung zeigt im übrigen, daß Sie - unfähig will ich nicht sagen - auf jeden Fall unwillig sind, ({15}) aus den Fehlern und Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen. ({16}) - Wenn Sie es jetzt noch nicht gelernt haben, wann wollen Sie es dann lernen? Im Mittelpunkt der künftigen Entwicklungsstrategie muß vor allem der Abbau entwicklungshemmender Strukturen sowie die Mobilisierung von Marktkräften und Eigeninitiativen in den Entwicklungsländern stehen. Da sind wir uns wieder einig. ({17}) Nur durch eine stärkere marktwirtschaftliche Orientierung - ich sage es, glaube ich, zum sechstenmal -, ({18}) die auch die armen und die ärmsten Bevölkerungsschichten bei politischen und sozialen Reformen berücksichtigt, lassen sich die Zukunftsaussichten der Menschen in den Ländern der Dritten Welt verbessern. ({19}) Deswegen kann es für uns kein Armutspapier ohne eine marktwirtschaftliche Komponente geben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Sigrid Folz-Steinacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000567, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich, wenn es mir nicht angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nein, das wird nicht angerechnet.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, wie würden Sie beispielsweise dann, da Sie hier die Marktwirtschaft so einfordern, das Verhalten der kolumbianischen Kokabauern beurteilen, die für den Anbau von Koka bis zu 30mal mehr bekommen als für Kaffee oder Kakao?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, würden Sie die Güte haben, entsprechend den Usancen des Hauses auch die Antwort stehend entgegenzunehmen?

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigung.

Sigrid Folz-Steinacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000567, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege, ich weiß nicht, warum Sie Kokaanbau und Rauschgift in so eine Szenerie jetzt mit einbeziehen. Sie wissen, daß wir dagegen sind. Aber für diese Leute muß natürlich eine Alternative gefunden werden; das ist doch nicht so ganz neu. Das ist das, was wir immer aufgezeigt haben. ({0}) - Das verstehen Sie unter freier Marktwirtschaft; das habe ich seit zwei Jahren gelernt. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Mit Zustimmung der Frau Abgeordneten noch eine Zwischenfrage, bitte schön.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, würden Sie bestätigen, daß sich - ich meine das jetzt nicht zynisch - die kolumbianischen Kokabauern, die Farmer - ich rede nicht von den Händlern - nach Ihrem Verständnis marktgerecht verhalten, und würden sie sich nicht auch marktgerecht verhalten, wenn hier in unseren Gesellschaften die Nachfrage wächst? Und sie wächst ja. Welche Antwort würden Sie als FDP-Vertreterin darauf geben? ({0})

Sigrid Folz-Steinacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000567, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe eben schon einmal anklingen lassen: Man muß diesen Bauern eine Alternative geben. Dazu sind wir da. ({0}) Ich darf fortfahren: Hierzu sind auch entsprechende Korrekturen in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, einschließlich der auf nationaler und internationaler Ebene tätigen Entwicklungshilfeorganisationen, erforderlich. Ich darf zusammenfassen: Die FDP begrüßt und unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, wichtige entwicklungspolitische Erfahrungen verstärkt in die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen. Dazu gehören insbesondere: erstens die Notwendigkeit, umfassende wirtschaftliche, soziale und politische Reformen in den Entwicklungsländern durchzuführen, zweitens, die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Industrieländer zu verbessern, ({1}) drittens, die Entwicklungszusammenarbeit auf die Selbsthilfeförderung und auf entwicklungswichtige Förderungssektoren zu konzentrieren, viertens, die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen, fünftens, privatwirtschaftliche Elemente im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Orientierung der Entwicklungsländer zu stärken, sechstens - jetzt kommt etwas, was Sie wahrscheinlich auch unterstützen werden; das hoffe ich zumindest -, die Rolle der Frau im Entwicklungsprozeß stärker zu beachten. ({2}) - Weil die Wichtigkeit und die Wertigkeit für mich so groß war, daß ich es an das Ende gestellt habe, damit ich es besser hervorheben konnte. Das haben Sie aber sicherlich gemerkt. Ich hätte gern noch ein Wort zum Umwelt- und Ressourcenschutz gesagt, aber die Lampe blinkt und zeigt das Ende meiner Redezeit an. Ich darf also nur noch im Namen der FDP-Bundestagsfraktion darum bitten, diese Beschlußempfehlung anzunehmen und den Änderungsantrag der SPD, der im übrigen, wie ich feststellen mußte, wortgleich bereits im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht angenommen wurde, abzulehnen. Danke. ({3}) - Das habe ich auch nicht gesagt, Herr Kollege. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Informationspolitik des BMZ, wie sie auch im Siebten entwicklungspolitischen Bericht zum Ausdruck kommt, ist in wesentlichen Teilen völlig unbefriedigend. Die wirklich brisanten und kontroversen Aspekte bundesdeutscher Entwicklungshilfe werden bewußt und systematisch ausgespart. Einige Punkte sind in dem Änderungsantrag der SPD, der ja vorliegt, aufgelistet. Es ist ganz gut, daß diese Dinge hier zur Sprache kommen. Das BMZ betreibt eine Geheimhaltungspolitik gegenüber dem Bundestag und der bundesdeutschen Öffentlichkeit und schneidet im internationalen Vergleich dabei sehr schlecht ab. Dieser Meinung sind übrigens nicht nur DIE GRÜNEN. Zum Beispiel hat Hubert Weinzierl, der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zur Absicherung der Siemens AKWs in Brasilien folgendermaßen charakterisiert: Die Antwort ist wenig zufriedenstellend und widerspricht dem Prinzip der Informationsfreiheit in aufsehenerregender Weise. Wir bitten Sie, - gemeint ist Minister Warnke anläßlich Ihres Amtsantrittes die Informationspolitik des Hauses dem Stand anderer westlicher Staaten anzupassen und die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Die Forderung ist äußerst wichtig. Nicht nur bei den Hermes-Bürgschaften, auch bei anderen Fragen, die übrigens häufig haushaltspolitische Auswirkungen haben, verweigert das BMZ der Öffentlichkeit ohne nachvollziehbare Gründe Informationen. Beispielhaft für viele Bereiche nenne ich hier nur: Forderungen der Bundesregierung gegenüber Dritte-Welt-Staaten aus Schadensfällen bei Hermes-Bürgschaften, Umschuldungsbedingungen bei der Kapitalhilfe, Förderung einzelner Firmen durch diverse Instrumente, z. B. bei der Mischfinanzierung. Gerade im Hinblick auf die weiterhin ungebremste Exportförderung durch bundesdeutsche Entwicklungshilfe ist unserer Meinung nach eine ungeschminkte Information der Öffentlichkeit unerläßlich. Wir haben deshalb in unserem Antrag zum Siebten entwicklungspolitischen Bericht, der im Ausschuß abgelehnt wurde, folgende Forderungen formuliert: Namentliche Aufführung der Firmen, die Aufträge im Rahmen der Mischfinanzierung erhalten haben; Auskunft bei jedem Mischfinanzierungsprojekt, welches Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat und welche bundesdeutschen und ausländischen Unternehmen Angebote eingereicht haben. Diese Form der Transparenz ist unverzichtbar, weil die Mischfinanzierung entgegen allen Verlautbarungen weiterhin auf hohem Niveau verharrt. Nach Auskunft des BMZ gab es 1988 Regierungszusagen für Mischfinanzierungsprojekte in Höhe von knapp 1,4 Milliarden DM. Davon kamen ca. 800 Millionen DM aus der Kapitalhilfe. Solange das BMZ seine Geheimhaltungspolitik nicht aufgibt, bleibt der entwicklungspolitische Bericht wenig mehr als eine gefällige Propagandaschrift und Selbstdarstellung von wenig Relevanz für die Dritte-Welt-Debatte in der Bundesrepublik. Nur durch eine schonungslose Offenlegung der Förderung der Eigeninteressen kann die entwicklungspolitisch interessierte Öffentlichkeit sich eine Meinung dazu bilden, ob sie diese Art der BMZ-Politik will oder nicht. Die GRÜNEN jedenfalls streiten für völlige Transparenz und eine Neuorientierung der Politik an menschenrechtlichen und ökologischen Kriterien. Nun noch einige Worte zur Beschlußempfehlung zum Siebenten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung auf Drucksache 11/4381. Meine Fraktion kann diese Beschlußempfehlung aus verschiedenen Gründen, von denen ich nur einige nennen möchte, nicht mittragen. Es besteht eine riesige Diskrepanz zwischen den vom Bundestag einvernehmlich verabschiedeten Grundlinien für Entwicklungspolitik von 1982 und der praktischen Politik dieser Bundesregierung. Die Diskrepanz ist folgende: Einvernehmlich wurde 1982 - damals waren wir noch gar nicht dabei - hier festgehalten: Beim Zusammentreffen entwicklungspolitischer Ziele mit Zielen anderer Politikbereiche, z. B. Agrarpolitik, Handelspolitik, darf das entwicklungspolitische Interesse nicht zurückgedrängt werVolmer den. Bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland sollte die Verwirklichung der Menschenrechte ein wesentliches Ziel der Politik der Bundesregierung sein. Die Mobilisierung und aktive Beteiligung der betroffenen Bevölkerung am Entwicklungsprozeß sowie die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse sollten bestimmende Kriterien für Programme und Projekte sein. Die Nahrungsmittelhilfe soll tendenziell noch mehr auf Katastrophen- und Notstandsfälle beschränkt werden. Sie darf die Motivation zu Eigenanstrengungen nicht schwächen. Vielmehr muß die Eigenproduktion in den Entwicklungsländern nachhaltig gefördert werden. Dagegen die Politik der Bundesregierung: Wir haben in den vergangenen Jahren mehrfach verdeutlicht, daß die Entwicklungspolitik dieser Regierung diesen Kriterien nicht entspricht, sondern z. B. durch Export und Mischfinanzierung am ehesten der heimischen bundesdeutschen Wirtschaft dient. Die Beschlußempfehlung handelt in einem mageren Satz die Notwendigkeit der stärkeren Beachtung der Rolle der Frau im Entwicklungsprozeß ab. Es wird dabei nichts über die Art der Beteiligung ausgesagt, die sich unseres Erachtens an folgenden Leitlinien orientieren sollte. Frauen muß der Zugang zu produktiven Ressourcen, Organisationsmöglichkeiten, Informationsnetzen und zu eigener entwicklungspolitischer Gestaltungsmacht geöffnet werden. Das bedeutet vor allen Dingen Zugang zu Wissen, zu Allgemeinwissen, aber auch zu Wissen über Frauen, das angemessen aufbereitet sein muß. Es bedeutet Zugang zur Technologie, z. B. die Einrichtung von Frauentechnologieförderungszentren, um dem Mechanismus entgegenzuwirken, daß bei der Einführung von neuen Technologien Zuständigkeits- und in der Folgezeit auch Einkommensbereiche von Männern übernommen werden. ({0}) Ebenso ernst genommen werden muß die Forderung von Frauen aus der Dritten Welt nach verstärkter Förderung des Aufbaus von Frauenorganisationen in eigener Regie und nach eigenen konzeptionellen Vorstellungen der betroffenen Frauen. Dies ist nur ein Ansatz, den wir in unserer Entwicklungspolitik demnächst auch auf Regierungsebene mitzugestalten und umzusetzen versuchen werden. Der jetzige Entwicklungspolitische Bericht spiegelt die Wirklichkeit der praktischen Politik nicht richtig wider. Schon deshalb ist er abzulehnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Warnke.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Volmer hat abschließend Hoffnungen Ausdruck verliehen. Er hat aber auch auf die Zeit verwiesen, als die GRÜNEN dem Bundestag überhaupt nicht angehörten. ({0}) - Ich glaube, daß dies eher die Perspektive ist, auf die Sie sich wieder einstellen sollten, Herr Kollege. Sie haben in Ihrer Stellungnahme zum Siebenten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung verlangt, daß die Bundesregierung in Zukunft stärker über den Umweltgesichtspunkt berichtet. Ich möchte diese Aufforderung aufgreifen und diese Gelegenheit nutzen. Die Umweltzerstörung ist auch in der Entwicklungspolitik eines der schwerstwiegenden Probleme, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Abholzung der Tropenwälder ist es nicht allein. Es ist Verwüstung und Verlust der Bodenfruchtbarkeit riesiger Landstriche. Die Verschmutzung der Flüsse und Ozeane, Gesundheitsgefährdungen in den Megastädten aller Kontinente, all dies nimmt immer katastrophalere Ausmaße an. Diese weltweite Umweltgefährdung betrifft Nord und Süd, Ost und West gleichermaßen. Dies gilt für Ursachen ebenso wie für Auswirkungen. Wie in wenigen anderen Politikbereichen ist die Erkenntnis hier wirksam, daß wir in einem Boot sitzen. Viele von Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Sie sich in diesem Haus der Entwicklungshilfe widmen - und ich danke Ihnen, daß Sie diese Aufgabe übernehmen - , werden gespürt haben, daß unsere Aussage „Wir sitzen in einem Boot" einen neuen Widerhall gefunden hat, seit sie auch in der Entwicklungspolitik mit der Bewältigung unserer Umweltkrise untrennbar verknüpft ist. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Bedrohung der Erdatmosphäre. Die den Treibhauseffekt und das Ozonloch verursachenden Gase stammen vorwiegend aus der Wirtschaftstätigkeit und dem Energieverbrauch der Industrieländer. Sie stammen bis zu einem Fünftel der jährlichen Kohlendioxidzunahme allerdings auch aus der Zerstörung der Tropenwälder. Während der Norden die finanziellen Lasten einer Anpassung an die Erfordernisse des Umwelt- und Ressourcenschutzes und der Bewältigung von Umweltschäden tragen kann, stehen Entwicklungsländer in einem tragischen Zielkonflikt zwischen dem Zusammenhang von dringend notwendigem Wachstum, höherem Energieverbrauch und der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Ein neuer Nord-Süd-Konflikt droht heraufzuziehen. Es ist undenkbar, daß es zwei Kategorien von Menschen gibt: jene, die materiellen Konsum nach Belieben betreiben dürfen, und jene, die ihr Entwicklungspotential nicht ausschöpfen dürfen und sich mit einem einfachen Lebensstil zu begnügen haben. ({1}) Wenn sich heute, wo sich in wenigen Jahren die Erkenntnis der Umweltherausforderung mit Wucht der Länder der Dritten Welt und ihrer Regierungen bemächtigt hat, immer mehr Wortführer der Dritten Welt in dieser Richtung äußern, dann sollten wir das sehr ernst nehmen. Denn was jetzt am wenigsten hilft, ist, die knappe Zeit zum Handeln mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zu vergeuden. Die Antwort auf das globale Umweltproblem muß heißen: Globale Umweltpartnerschaft, nicht neue Bühne des NordSüd-Konflikts. Die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Kohl, hat weltweit für eine solche Strategie die Meinungsführerschaft übernommen. ({2}) Mein Amtsvorgänger, Hans Klein, hat dafür Sorge getragen, daß dieser Themenkreis im Bereich der Weltbank, des Entwicklungsausschusses von Weltbank und Währungsfonds, seine notwendige Priorität bekommen hat. Die Strafe folgte auf dem Fuß. Der Finanzminister Chidzero hat als Vorsitzender des Entwicklungsausschusses die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, in der Weltbanktagung dieses Monats die Einführung zum Thema „Umwelt und Entwicklung" zu geben. Die Weltbank hat im Rahmen ihrer Reorganisation die personellen Kapazitäten für den Umweltbereich beträchtlich verstärkt. Sie räumt nunmehr dem Umwelt- und Ressourcenschutz in ihrer Entwicklungsarbeit einen erheblichen Stellenwert ein. Sie hat damit auch deutlich gemacht, daß sie willens und in der Lage ist, im Bereich der Weltumweltpolitik eine Führungsrolle zu übernehmen. Die Bundesregierung begrüßt diese Konzeption der Weltbank ausdrücklich. Wie auch im Bereich der Schuldenkrise ist eines klar: Die Erkenntnis der globalen Herausforderung darf nicht den Blick für die Notwendigkeit länderbezogener Lösungsansätze trüben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Toetemeyer?

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Bitte sehr.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß - Stichwort Umwelt - in einem derzeit laufenden Projekt im Rahmen der technischen Zusammenarbeit zwar der Forstwirt in Afrika ist, ihm jedoch, weil die Bundesregierung keine entsprechenden Mittel bereitstellt, das Geld fehlt, um überhaupt pflanzen zu können?

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Kollege, im Augenblick ist ein Mangel an Mitteln im Umweltbereich nicht unser Problem. Wir setzen in diesem und im nächsten Jahr 1,5 Milliarden DM ein. Das geht an die Grenzen der Aufnahmekapazität. Wenn Sie hier einen Einzelfall aufgreifen und wenn Sie auf Ungereimtheiten hinweisen, dann bin ich gerne bereit, dem nachzugehen. ({0}) Länderbezogenes Handeln heißt, daß sich auch und gerade die Industrieländer natürlich über eines klar sein müssen: Sie müssen erst einmal vor der eigenen Tür kehren. Nur wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, haben wir genügend Überzeugungskraft im Gespräch mit unseren Partnern. Daß wir das können, wenn wir es wollen, haben wir gezeigt; ich erinnere an die massive Verringerung des Ausstoßes von Schwefeldioxid innerhalb eines guten Jahrzehnts. Wir haben heute im industriellen Bereich und im Energiebereich eine Umweltverträglichkeit weitgehend erreicht. Nun ist uns - spät - das Kohlendioxid ins Visier gekommen. Wir werden auch diese Herausforderung bewältigen. Wirtschaftswachstum und eine langfristige Sicherung unserer Umwelt sind nicht einander ausschließende Gegensätze. Die Bundesregierung wird die Weltbank in ihren Bemühungen ermutigen, Strukturanpassungsprogramme auf langfristige Wirksamkeit hin auszulegen, um damit eine dauerhafte, umweltverträgliche und sozial ausgewogene Entwicklung zu begründen. Wir sind uns natürlich auch darüber im klaren, daß es zur Lösung der Probleme, die jetzt anstehen, mehr bedarf als nur unserer Ermutigung. Für die Umweltpolitik und für die Entwicklungshilfe der 90er Jahre gilt: Die Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen dieser Welt ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir haben mit Aufmerksamkeit die Erklärungen des indischen Ministerpräsidenten Gandhi in Belgrad verfolgt. Wir arbeiten aktiv mit in dem Industrieländergegenstück der Brundtland-Initiative, um jene Strategien zu erarbeiten, die überhaupt Voraussetzung dafür sind, daß der Finanzbedarf festgestellt und damit in die mittelfristige Finanzplanung eingesetzt werden kann. Wir brauchen ein Konzept für den internationalen Lastenausgleich. Die Bundesregierung wird sich in Washington dafür aussprechen, daß die Weltbank auf Grund ihrer besonderen Qualifikation für beides, sowohl für die Entwicklung der Strategie im Sachbereich als auch in der Entwicklung der Finanzierungsmethoden eines internationalen Finanzausgleichs, eine führende Rolle bekommt. Meine Damen und Herren, seit dem Siebenten Bericht hat sich das organisierte Drogenverbrechen weltweit in unser Bewußtsein gebracht. Diese Geißel der Menschheit bedeutet für Millionen von Menschen Elend und Tod. Es ist ja wohl selbstverständlich, daß dies keine Frage der Marktwirtschaft, sondern eine Frage der strafrechtlichen Rahmenbedingungen ist, in denen sich Marktwirtschaft erst entfalten kann und die bei uns und in den Ländern der Dritten Welt zu erzwingen e i n unverzichtbarer Teil der Drogenbekämpfungsstrategie ist. Ein anderer Schwerpunkt der Strategie muß sicherlich auch im Bereich der Ersatzkulturen liegen. Wir wissen aber, daß es - ganz abgesehen von dieser Seite - das Problem der Nachfrage nach Drogen gibt, die sich Bahn brechen wird, selbst wenn es uns gelänge - was ein zu optimistischer Vorgriff wäre -, sämtliche Anbauten zu zerstören. Wenn die Nachfrage ihrerseits nicht reduziert wird, würde sie sich Bahn brechen auf dem Weg der Herstellung synthetischer Drogen. Deshalb meine ich: Dies ist ein Bereich, wo alle gesellschaftlichen Gruppen zusammen mit der Politik dafür sorgen müssen, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden und Ordnung im eigenen Hause bei der Wohlstandserscheinung Droge zu schaffen uns anschicken. Lassen Sie mich abschließend ein Wort noch zur Entwicklung des Haushalts sagen. Hier sollten wirkBundesminister Dr. Warnke lieh nicht die Vereinigten Staaten als Beispiel gebracht werden. ({1}) Die Vereinigten Staaten mögen den Haushalt erhöht haben, aber sie liegen beim Prozentsatz der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt immer noch bei der Hälfte: Wir sind bei rund 0,4 %, sie sind bei 0,2 %. Die Bundesrepublik liegt im Kreis der fünf größten Geberländer mit dem Anteil am Bruttosozialprodukt an zweiter Stelle. ({2}) Wir lassen Frankreich gern den Vortritt, weil das so auch nur Rechtens ist. - Die Niederlande gehören nicht zu den fünf größten Geberländern, das wissen Sie doch viel besser als ich, Herr Kollege Holtz. Im Kreis der fünf größten Geberländer liegen wir an zweiter Stelle. ({3}) Dies ist eine Größenordnung, die wir mit Genugtuung gegenüber unserer Bevölkerung vertreten können. Wir werden in diesem Jahr eine Steigerung des Haushalts haben, die, unter Hineinnahme der Rückflüsse, über dem Durchschnitt liegt. Daß der Entwicklungsminister gerne bereit ist, größere Rückflüsse zu vereinnahmen, davon können Sie ausgehen. Auch dies ist ein Punkt, wo der zweite Schritt nicht vor dem ersten getan werden kann. Wir haben diese Rückflüsse in den Haushalt wieder eingestellt. Wir werden ihren Beitrag zum Haushalt ausbauen und damit einen guten Beitrag zur Umsetzung der Mehrheitsbeschlüsse zum 7. Entwicklungspolitischen Bericht leisten. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen, meine Herren, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich bei Zwischenfragen und auch bei den Reden sehr zurückhaltend verhalten würden. Wir sind schon eine halbe Stunde über die Zeit. ({0}) - Dieser Appell, Herr Abgeordneter Holtz, richtet sich auch an Minister, aber auch an alle diejenigen, die Zwischenfragen stellen, die ich bisher, weder was Frage noch Antwort anbelangt, nicht anrechne. Ich möchte von diesem Verfahren auch nur ungern abweichen. Es ist nicht mehr als ein Appell zur Selbstbescheidung, aber ich glaube, alle wären zufrieden, wenn er eingehalten würde. Herr Abgeordneter Professor Dr. Pinger, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser gemeinsames Ziel ist es, die Lebensbedingungen der armen und ärmsten Bevölkerungsschichten in der Dritten Welt zu verbessern. Es ist kein Wunder, daß wir auf wichtigen politischen Feldern in der Entwicklungspolitik im Bundestag wesentliche Gemeinsamkeiten haben, und ich meine, das ist gut so. Ich nenne als Beispiele die Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe, die Rolle der Frau und die Förderung von Frauengruppen in der Dritten Welt und als weiteres Beispiel das, was wir nun in dem 7. Entwicklungspolitischen Bericht und der Stellungnahme dazu zwischen CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam erarbeitet haben, nämlich berufliche Bildung im dualen System und damit Verbesserung der beruflichen Ausbildung in der Dritten Welt. Aber wir haben natürlich auch Meinungsverschiedenheiten, und darüber gilt es zu streiten. Ich will an das anknüpfen, was Frau Kollegin Folz-Steinacker hier vorgetragen hat. Dann wird sich zeigen, daß wir in der Koalition nahtlos übereinstimmen, und dann wird es wahrscheinlich einigen Widerspruch wieder von Ihnen von der SPD geben. Meine Damen und Herren, die dramatischen Ereignisse in Polen und Ungarn und die Massenflucht aus dem anderen Teil Deutschlands sind auch ein Lehrstück für die Entwicklungspolitik. Sie werfen unbarmherzig die Kardinalfrage nach den Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Entwicklung auf und geben zugleich entscheidende Antworten. In Osteuropa, aber auch in der Entwicklungspolitik ist viel zu lange viel zu wenig von Freiheit und ihrer Bedeutung für die Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte gesprochen worden. Meist wurde Freiheit als Resultat von Entwicklung verstanden, obwohl inzwischen klar sein müßte, daß Freiheit die Voraussetzung von Entwicklung ist. Dort, wo der Staat die Freiheit der Menschen am meisten unterdrückt, ist die Massenarmut am größten. ({0}) War es die Weltwirtschaftsordnung, die Polen bankrott werden ließ? Sind es schlechte Terms of trade, die die Bevölkerung der DDR so unzufrieden machen und sie am Sinn ihrer Arbeit zweifeln lassen? Waren es fehlende finanzielle Mittel in Polen? Nein, in Wirklichkeit sind in den 70er Jahren Milliardenbeträge nach Polen geflossen, und es hat keine Entwicklung, sondern nur Schulden gegeben. ({1}) Das wichtigste Kapital blieb und bleibt ungenutzt: die schöpferische Kraft der Menschen. Es ist nicht etwa so, daß es allein auf die Steigerung der finanziellen Mittel ankommt; nicht auf die Quantität, sondern - da sind wir uns ja einig - auf die Verbesserung der Qualität der Entwicklungszusammenarbeit kommt es in erster Linie an. Ich will aber doch einmal über die Zahlen sprechen. Herr Kollege Schluckebier, Sie haben den Eindruck erweckt, als wären die Entwicklungshilfeleistungen zurückgegangen. ({2}) Dazu die absoluten Zahlen: 1982 wurden im Einzelplan 23 6,017 Milliarden DM eingesetzt, im Jahre 1990 - das müssen Sie sich anhören - 7,234 Milliarden DM. ({3}) Unter dem Strich ist das eine Steigerung von 1,217 Milliarden DM, anders ausgedrückt: 1 217 Millionen DM mehr im Haushalt als 1982. Das kann sich wahrlich sehen lassen. ({4}) Meine Damen und Herren, Entwicklung erfordert wirtschaftliche Freiräume zur Entfaltung unternehmerischer Fähigkeiten und politischen Freiraum zur Artikulierung der eigenen Interessen. In beiderlei Hinsicht hat der staatsmonopolistische Sozialismus versagt. Dennoch ist die Entwicklungspolitik der westlichen Industriestaaten lange, zu lange von sozialistischem Denken geprägt gewesen. ({5}) Es ist auf den Staat gesetzt worden, gerade auch im wirtschaftlichen Bereich. ({6}) In der Wirtschaft hat der Staat nichts zu suchen. Wenn sich der Staat in die Wirtschaft begibt - das ist in Osteuropa wie in den Entwicklungsländern so gewesen - , dann führt das zu roten Zahlen, zu Schulden und nicht zur Entwicklung. ({7}) Die Alternative ist Selbsthilfe, sind Selbstverwaltungsstrukturen und Selbsthilfegruppen; diese gilt es zu stärken. Der Staat sollte sich - da sind wir ja nun einer Meinung - auf das beschränken, was er im dualen System einer beruflichen Bildung leisten kann. Der Schwerpunkt in der Berufsausbildung muß auch in der Dritten Welt bei den Betrieben liegen. Das bringen wir gemeinsam zum Ausdruck. Es geht insgesamt um die Frage, die wir allerdings noch etwas genauer diskutieren müßten: Was kann der Staat gerade in der Dritten Welt leisten, und was kann und darf er nicht leisten? In der internationalen Entwicklungszusammenarbeit hat man zu sehr auf den Staat gesetzt und zu wenig auf die freie Initiative, die Privatinitiative und die freien Bürger. Ich komme zum Schluß und stelle fest: In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bedeutet Staat in aller Regel Reglementierung, Bevormundung, Korruption, Ausbeutung durch die Staatsklasse, rote Zahlen, Schulden und Rückschritt. ({8}) Entwicklung aber bedeutet Stärkung der Selbsthilfe, Freiräume, Selbstverwaltung, Privatinitiative und Stärkung der Eigenverantwortung. Diese wichtigen und einfachen Erkenntnisse gilt es nun verstärkt in der praktischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu berücksichtigen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Herr Professor Pinger hat in seiner kurzen Rede davon gesprochen, daß wir in den Beschlußempfehlungen zur beruflichen Bildung einige Gemeinsamkeiten haben. Diese Gemeinsamkeiten, Herr Kollege, werden aber nur dann Bestand haben, wenn sie auch in Handeln umgesetzt werden. Wir haben im Ausschuß eine Sachverständigenanhörung genau zu diesem Thema durchgeführt, und in den Beschlußempfehlungen sind teilweise unsere Auswertungen enthalten. Im Mittelpunkt unserer Erörterungen damals stand das Sektorkonzept des BMZ für die Entwicklungszusammenarbeit in der gewerblichen Berufsausbildung, in dem die Bundesregierung ihre Grundsätze für die Planung, Durchführung und Bewertung von Vorhaben der gewerblichen Berufsbildung festgelegt hat. Nachdem alle im Bundestag vertretenen Parteien 1982 die deutsche Entwicklungspolitik auf die Grundsätze Grundbedürfnisbefriedigung, Armutsbekämpfung und Selbsthilfeförderung verpflichtet haben und dies 1984 noch einmal bekräftigt haben, hätte man schon erwarten können, daß das zwei Jahre später veröffentlichte Sektorkonzept zur beruflichen Bildung genau diesen Grundsätzen gerecht wird. Doch leider muß ich feststellen, daß die Bundesregierung durch ihr Sektorkonzept von dem Grundbedürfniskonzept schon wieder abrückte, ehe sie es überhaupt umgesetzt hatte. Grundbedürfnisorientierte Entwicklungsstrategien richten sich an die in Hunger und Armut lebenden Menschen in den Entwicklungsländern, wobei Bildung neben Gesundheit und Ernährung einen wichtigen Stellenwert hat. Wer allerdings erwartet, daß dieser Gedankengang sich im Sektorkonzept wiederfindet, der wird enttäuscht. Im Gegenteil: Dieses Sektorkonzept distanziert sich in weiten Passagen ausdrücklich von dieser Zielsetzung. Anstatt sich an die vielen Millionen junger Menschen zu richten, die in den Entwicklungsländern ohne entsprechende Schul- und Berufsausbildung heranwachsen, und ihnen einen berufsorientierten Ausbildungsgang anzubieten, richtet sich das Konzept ausdrücklich an andere, nämlich an jene vielleicht 5 % eines Altersjahrgangs, die in der Lage sind, moderne technische Berufe der Industriegesellschaft zu erlernen. Es richtet sich also - im Klartext - an städtische Eliten. Es muß schlichtweg verwundern, wie wenig diese Regierung damit zur Kenntnis genommen hat, daß der immer wieder beschworene technische und soziale Wandel in der Dritten Welt erheblich auf sich warten läßt. Es muß verwundern, wie wenig diese Regierungspolitik wahrnehmen will, daß immer mehr Menschen ihr Überleben nur im informellen Sektor organisieren können. Das Sektorkonzept zur gewerblichen Bildung rückt nicht nur vom Grundbedürfniskonzept ab, es ist ein Rückfall in wachstumstheoretische Entwicklungsmodelle. Entwicklungspolitisch ist es aber nicht mehr verantwortbar, immer nur auf den Trickle-down-Effekt zu warten. Geradezu empörend finde ich, daß in der Begründung zu diesem Berufsbildungskonzept nicht angegeben wird, es gehe um Entwicklungspolitik. Vielmehr steht dort wortwörtlich: Es geht um Außenpolitik und Außenwirtschaft. Da, Herr Höffkes, muß ich zustimmen: Dies ist egoistische, kurzfristige Interessenpolitik. Insofern möchten wir die Aussagen in den Empfehlungen zum entwicklungspolitischen Bericht nicht nur als eine Korrektur des Berichtes verstanden wissen, sondern auch so, daß das Sektorkonzept zur gewerblichen Berufsbildung verändert wird. Nur ganz kurz dazu, in welche Richtung es verändert werden muß: Wir möchten unter beruflicher Bildung nicht nur systematische Berufsbildung nach anspruchsvollem Lehrplan verstanden wissen, sondern auch all die wertvollen Berufsbildungskomponenten z. B. in regionalen Entwicklungsprogrammen. Diese werten wir bis heute als Berufsbildung nicht aus, sondern sie werden aus diesem Konzept ausgegliedert. Wenn wir den sozioökonomischen Realitäten in den Entwicklungsländern gerecht werden wollen, dann darf sich unsere Berufsbildungshilfe nicht auf den modernen Sektor beschränken, dann muß sie geöffnet werden für das einfache Handwerk, für Klein- und Kleinstunternehmen, schlichtweg für den informellen Sektor. Nur so werden wir der Erkenntnis Rechnung tragen, daß die Ausbildungskrise zugleich auch eine Beschäftigungskrise ist. Aus diesem Grunde darf man in der beruflichen Bildung die Allgemeinbildung nicht vergessen, wie es leider im Sektorkonzept passiert, sondern wir möchten genau das Gegenteil, nämlich daß neben technischen auch kaufmännische, allgemeinbildende und soziale Qualifikationen vermittelt werden. Genau dadurch wird dann die Grundlage für eine Gewerbeförderung gelegt, flankiert durch Kreditprogramme. Schließlich muß die Berufsbildungshilfe auch zielgruppenspezifisch - und eben nicht nur strukturverbessernd - sein, um Frauen sowie Bewohner und Bewohnerinnen der ländlichen Gebiete nicht weiterhin zu vernachlässigen. Wir können uns interfraktionell auf wesentliche Änderungen einigen, und das haben wir auch getan. Wir werden dies aber im Endeffekt nur dann können, wenn daraus folgt, daß Sie nicht nur unserer Beschlußempfehlung zustimmen, sondern auch das Sektorkonzept und damit die Praxis unserer bildungspolitischen Entwicklungszusammenarbeit verändern. Dazu habe ich eine Bitte, Herr Pinger: Wir sollten uns nach den regionalen Gegebenheiten und Erfordernissen richten und keine Glorifizierung des dualen Berufsbildungssystems vornehmen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Er liegt Ihnen auf Drucksache 11/5175 vor. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 11/5181 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt worden. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese liegt Ihnen auf Drucksache 11/4381 vor. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD-Fraktion angenommen worden. Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN Flächengebundene Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt - Drucksachen 11/1986, 11/5042 Berichterstatter: Abgeordneter Kalb Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 20 Minuten, also 5 Minuten pro Fraktion, vor. Ist das Haus mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann erteile ich dem Abgeordneten Kreuzeder das Wort.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Agrarpolitik dieser Regierung verschärft die Probleme der Landwirtschaft, statt sie zu beseitigen. Dafür gibt es genügend Beispiele. Ihr Hauptziel, das Bauernsterben zu beschleunigen, läßt Sie alles in Kauf nehmen. Denn Pestizide im Grundwasser sind nicht mit Ausnahmeregelungen zu beseitigen. Die Nitratbelastung unserer Lebensgrundlage Wasser wird nicht kleiner durch die Förderung von Massentierhaltung, die von Ihnen auch noch als bäuerlich deklariert wird. Welche gravierenden Auswirkungen diese von Ihnen geförderte flächenungebundene industrielle Produktion noch hat, sieht man am deutlichsten an den aktuellen Kälber-Skandalen. Es reicht eben nicht, Doping-Skandale lediglich aufzudecken und einen Überwachungsstaat à la Matthiesen zu installieren; es reicht auch nicht, sich in der Presse dafür feiern zu lassen, daß man einen Herrn Wicker das zweite Mal erwischt hat. Das ist Symptombekämpfung. Auch die SPD muß endlich einsehen, daß grundsätzliche Änderungen nötig sind. Eine neue Kälberhaltungsverordnung oder eine schärfere Bestrafung der Übeltäter reicht nicht und bringt auch nichts. Genau deshalb fordern wir flächengebundene und abso12114 lute Bestandsobergrenzen. Die bäuerliche Landwirtschaft mit flächengebundener Tierhaltung erhält und schafft ländliche Arbeitsplätze, sichert eine vielfältige Kulturlandschaft und erzeugt gesunde Lebensmittel. Sie gibt den Bauernfamilien auch die Möglichkeit, auf Importfuttermittel zu verzichten und den natürlichen Betriebskreislauf wiederherzustellen. Absolute Bestandsobergrenzen schaffen außerdem bäuerliche Arbeitsplätze, weil durch sie die Massentierhaltung auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft nicht mehr möglich ist. Was macht jedoch die Bundesregierung? Sie beschließt ein Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, das die Massentierhaltung geradezu fördert, finanziell belohnt und auch noch als bäuerlich deklariert. Ihre Obergrenzen haben Sie so gelegt, daß statistisch 0,0 % der Schweinehalter und nur 0,1 % der Milchviehhalter darüber liegen, und das bei der jetzigen ökologischen Situation in der Landwirtschaft. Der Durchschnittsbetrieb in unserem Land bewirtschaftet etwa 17 Hektar. Jetzt sagen Sie mir, was bei Ihren Zahlen von 100 000 Masthähnchen oder von 1 700 Mastschweinen noch bäuerlich ist. ({0}) - Einkommen über die Arbeit und nicht über den Kapitalismus! Landwirtschaft müssen wir endlich anders begreifen. Eine intakte, die natürlichen Lebensgrundlagen schonende Landwirtschaft, die Arbeitsplätze auf dem Land schafft und erhält, ist die Voraussetzung für die Entwicklung einer umweltverträglichen Industriegesellschaft und nicht umgekehrt, wie in diesem Land des öfteren geglaubt wird. Deshalb braucht die Landbevölkerung in ihrer Arbeit eine wesentlich höhere Akzeptanz, einen wesentlich höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft. ({1}) Mit Ihrer Politik jedoch sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung. Bäuerinnen und Bauern werden als Umweltverschmutzer und als Subventionsschlucker beschimpft; ({2}) doch niemand nennt die wirklich Verantwortlichen. Das sind die Agrarpolitiker, die längst den Traktorsitz mit dem Sitz im Aufsichtsrat vertauscht haben. Ich fordere Sie auf: Verlassen Sie diese Sitze und stimmen Sie unserem Antrag im Interesse der Bäuerinnen, der Bauern und der Natur zu! ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einführung flächengebundener Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt ist vom zuständigen Bundestagsausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt worden. Dafür muß es Gründe geben. ({0}) Ich möchte mich mit dem Antrag, obgleich er von SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden ist, dennoch sachlich auseinandersetzen; ({1}) denn es gibt auch in diesem Antrag ein paar Punkte, auf die man sich mittel- und langfristig verständigen könnte. Wir wollen keine Agrarfabriken. Das sagen wir gemeinsam. Die Frage bleibt, ob wir auch gemeinsam dagegen handeln. ({2}) Voraussetzung ist: Was verstehen wir darunter? Vorzugsweise bodenunabhängige tierische Veredelung, Spezialisierung meist nur auf einen Viehhaltungszweig mit großer Stückzahl, vorzugsweise Lohnarbeitskräfte, steuerlich gesehen meist gewerblich. - Ich spreche darüber nicht diskriminierend, sondern differenziert, die Sache betreffend. Solche Betriebe können auch ökologisch wirtschaften, müssen es auch können. Auch solche Betriebe haben eine Berechtigung. Aber wir wollen sie nicht als d e n Typ unserer bäuerlichen, unserer landwirtschaftlichen Struktur. Wir wollen vielmehr, sozusagen im Gegensatz dazu, den bäuerlichen Familienbetrieb. Was verstehen wir darunter? Die notwendigen betrieblichen Entscheidungen werden allein von der bäuerlichen Familie getroffen. Die Arbeitsteilung, Organisation und Durchführung werden im wesentlichen von der Familie getragen und das Eigenkapital im wesentlichen von dort arbeitenden, dort tätigen Personen bereitgestellt. Diesen Betrieb, so beschrieben, wollen wir. Dazu gehören - das möchte ich betonen - auch flächenbezogene Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung. Sie gibt es bereits durch unsere Initiative, durch das Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft. Worüber wir uns streiten - das soll auch aufgegriffen werden - , ist die Höhe. Aber, Herr Kollege Kreuzeder, nach Ihrem Entwurf gibt es überhaupt keine Begrenzung in der Höhe; denn durch Zupachtung kann weit über die Grenze hinausgegangen werden, die wir in unserem Gesetz festgelegt haben. ({3}) - Nein, es heißt immer - können wir uns darauf verständigen? - : flächengebundene absolute Bestandsobergrenzen, daß heißt, wer die Flächen ausweitet, kann auch die Grenzen ausweiten. ({4}) - Gut nehme ich das Gegenteil auf oder das, was Sie interpretieren möchten. Wenn das gemeint ist, dann ist es rechtlich nicht möglich. Sie können nicht einfach sagen: So viel und jetzt überhaupt nichts mehr. Irgendeine Orientierung an der Fläche oder an anderen Kriterien, die wir eingeführt haben, müßte man haben. Deswegen sage ich noch einmal: Es gibt sie bereits durch unsere Initiative, verbunden mit wichtigen Maßnahmen, z. B.: Festlegung betrieblicher Obergrenzen durch die Einführung von Fördergrenzen bei bestimmten Tierbeständen; ({5}) Änderung des Düngemittelgesetzes, durch die die gute fachliche Praxis in der Düngung gefestigt wird; ({6}) Einführung einer Obergrenze für Dungeinheiten, die gleichzeitig ein umweltpolitisches Signal ist. Das heißt: Wir haben es an verschiedene Kriterien gebunden, über die in den vergangenen Jahren nachhaltig diskutiert worden ist. Insofern können wir sagen: Ihr Antrag ist bereits in verschiedenen Initiativen, wenn auch von einem anderen prinzipiellen Ansatz her und mit einer anderen Begründung, aufgenommen. ({7}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch das Stichwort Massentierhaltung nennen und auf folgendes hinweisen: Die Massentierhaltung ist ins Gerede gekommen; Hormonskandal. Aber ist sie Ursache dafür? Vielleicht begünstigt sie solch schreckliches Verhalten, das wir mißbilligen. Aber es muß auch möglich sein, daß Betriebe mit größeren Beständen ökologisch wirtschaften und der Versuchung widerstehen, solche Praktiken, solche Missetaten in ihren Betrieben einzuführen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter - Kroll-Schlüter ({0}): Sofort, Herr Präsident, nach zwei Sätzen bin ich fertig. - Deswegen darf ich auch darauf hinweisen: Massentierhaltung ist mit am stärksten - was Sie verwundert - in Nordrhein-Westfalen vertreten. Aber: keine Schuldzuweisung, sondern Kampf gegen solche Praktiken - jedoch auf einer guten, sachlichen Grundlage mit überzeugenden Argumenten und mit Gesetzen, die in der Praxis auch tatsächlich eingehalten werden können. Dazu haben unsere Initiativen gedient; Ihre dient nicht dazu. Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leitbild unserer Agrarpolitik ist der umweltverträgliche, Ressourcen sinnvoll einsetzende und bodengebunden wirtschaftende bäuerliche Betrieb als Teil unserer Volkswirtschaft. Wir wollen, daß Umwelt- und Naturschutzziele in die Politik Eingang finden und positiv aufgenommen werden. Dabei dürfen Gegensätze nicht aufgebaut werden. Die Bauern und besonders ihre Funktionäre aber müssen endlich begreifen lernen, daß Konzentration die bäuerlichen Familienbetriebe kaputtmacht. ({0}) Es sind die Ursachen, über die es hier zu reden gilt, wenn wir Massentierhaltung nicht wollen. Die Agrarpolitik dieser Bundesregierung ist kopflos. ({1}) Sie läßt achselzuckend alles schleifen. Das Agrarstrukturgesetz, das erst vor wenigen Wochen in diesem Hause beraten wurde, zeigt deutlich, daß man die vermeintlich unausweichliche Entwicklung hin zu mehr Großbetrieben hilflos weiterlaufen läßt. ({2}) Ihr Förderkonzept, Herr Staatssekretär, ein löchriges Alibi für alternativen Landbau, ist ein Schlag gegen die bäuerlichen Familienbetriebe, die Sie in Ihren Sonntagsreden hochjubeln, ({3}) wie wir es soeben auch gehört haben, die Sie aber werktags hängenlassen. Wir wollen und können nicht allen Landwirten versprechen, daß ihr Hof erhalten werden kann. Aber angesichts der Überproduktion in fast allen Bereichen wäre es doch sinnvoll, darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft produzieren. Wir wollen überschaubare, in betriebswirtschaftlich sinnvollen Einheiten arbeitende Betriebe. Und da können über das Steuerrecht entsprechende Kriterien entwickelt werden. Die bestehenden Steuermechanismen einfach zu übernehmen, wie es im Antrag der GRÜNEN gefordert wird, ist allerdings überraschend und ohne Originalität. Dabei können wir das Begehren im Antrag der GRÜNEN gut verstehen. Nur, den Weg, auf dem dort das Ziel, nämlich die Abschaffung der Massentierhaltung, erreicht werden soll, können wir mit Ihnen nicht gehen. ({4}) In unseren Anträgen haben wir unsere Vorstellungen dargelegt, so u. a. im Antrag 11/3891: Artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung. Wir wollen, daß flächengebundene und artgerechte Tierhaltung zum Tragen kommt. Hilfen für die Bauern durch neue Technologien sehen wir durchaus positiv. Das Gülleproblem ließe sich lösen, wenn man z. B. Biogas zum Einsatz brächte. ({5}) Aber auch die Frage der Tierarzneimittel - und da, meine Damen und Herren, liegt ein Hauptproblem der Massentierhaltung - ist hier zu nennen. Tierarzneimittel, die prophylaktisch in großen Ställen - auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen - eingesetzt werden, ({6}) kommen über die Nahrungsmittelkette wieder auf uns Menschen zu. Aufklärung über gesunde Nah12116 rungsmittel wird immer wichtiger. Hier hätte die CMA ein wirkliches Betätigungsfeld. ({7}) Wir diskutieren hier heute über Massentierhaltung. Ihre Initiative ist begrüßenswert, hinkt aber unserer parlamentarischen Arbeit hinterher. Über die Größenordnungen, die Sie genannt haben, muß im Ausschuß noch beraten werden. Was aber die Politik der CDU bezüglich der Einkommen der Landwirte angeht, denke ich, muß dazu folgendes gesagt werden. Hätten Sie schon 1957 mehr Markt in der EG zugelassen, dann wären wir heute nicht in dieser Sackgasse. Die Preispolitik, die Sie in Brüssel mitgestalten und somit auch mitverantworten, ist eine reine Katastrophe. Landflucht und Abkehr vom erlernten Beruf, das ist die Antwort der Betroffenen. Ein Preissystem mit gestaffelten Erzeugerpreisen, wie es der Antrag der GRÜNEN vorsieht, paßt auch nicht in ein stärker marktwirtschaftlich orientiertes Konzept. Wir Sozialdemokraten müssen deshalb auf die gegebenen Strukturen im Augenblick reagieren, d. h. den verfallenden Preisen stützende produktunabhängige Einkommenshilfen beifügen. ({8}) Diese Hilfen sind aber an Bedingungen der umweltverträglichen Wirtschaftsweise auf dem Feld wie im Stall zu koppeln. Der bäuerliche Familienbetrieb hat nur dann eine Chance, weiter zu bestehen und sich weiter zu entwickeln, wenn jetzt eine Kurskorrektur erfolgt. Über Massentierhaltung, die wir strikt ablehnen, brauchen wir dann nicht mehr zu reden. In der Zielsetzung, der Erhaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft zur Sicherung der Strukturen in unseren Dörfern und im ländlichen Raum, stimmen wir mit den Antragstellern weitgehend überein. In wesentlichen Punkten müssen wir aber die geforderten Instrumente ablehnen und deshalb bei unserer Ablehnung des Antrags bleiben. Vielen Dank. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. ({0}) - O Entschuldigung. Der Abgeordnete Bredehorn hat das Wort. Um Gottes Willen! Und das ausgerechnet mir! Herr Abgeordneter Bredehorn, bitte! ({1})

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag, der hier vorliegt, versuchen die GRÜNEN erneut, wider besseres Wissen ein Horrorgemälde der deutschen Landwirtschaft zu malen, das in keinster Weise den Tatsachen entspricht. ({0}) So wird wieder einmal die bäuerliche Landwirtschaft - das sind immerhin über 99 % der Betriebe in der Bundesrepublik - pauschal diffamiert. Wir befinden uns eben nicht auf dem Weg zur Agrarindustrie, nicht auf dem Weg zur Massentierhaltung, ({1}) wie die GRÜNEN uns glauben machen wollen, sondern die deutsche Landwirtschaft ist nach wie vor bäuerliche Landwirtschaft. ({2}) Hierzu einige Fakten, die die Struktur der deutschen Landwirtschaft im Vergleich zu anderen EG-Mitgliedern charakterisieren: Bei uns haben die Betriebe eine Durchschnittsfläche von 16,5 Hektar, 6 % der Betriebe sind über 50 Hektar groß. Nur 0,8 % der Betriebe bewirtschaften über 100 Hektar. ({3}) In Frankreich gibt es zehnmal so viele Betriebe über 100 Hektar, und im Vereinigten Königreich beträgt die Durchschnittsfläche 70 Hektar. ({4}) So melken in der Bundesrepublik 7 % der Betriebe über 60 Kühe, im Vereinigten Königreich 730/0, in den Niederlanden 47 %, in Dänemark 23 % und in Italien 21 %. In der Bundesrepublik halten 3 % der Betriebe über 1 000 Mastschweine. In Italien sind es 38 %, im Vereinigten Königreich 41 % und in Irland 59 % der Betriebe. Aufgabe der Agrarpolitiker muß es also sein, eine Agrarpolitik zu konzipieren, in der sich unsere bäuerlichen Betriebe weiterentwickeln können, um im gemeinsamen Markt wettbewerbsfähig zu sein. ({5}) Kollege Kreuzeder, Sie haben von einer Durchschnittsgröße von 17 Hektar gesprochen. Dieser Betrieb muß doch eine vernünftige Veredelung betreiben, um ein Einkommen zu erzielen. ({6}) Wie soll der 17-Hektar-Betrieb sonst sein Einkommen erzielen? ({7}) Die FDP-Agrarpolitik ist Politik für die bäuerliche Landwirtschaft, ({8}) da diese Wirtschaftsform am besten den ökologischen Anforderungen zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen wie gesundes Wasser und gesunder Boden entspricht. Dazu haben wir den gesetzlichen Rahmen im Umweltrecht, im Steuerrecht und im Baurecht geschaffen. Ich erinnere hier auch an das kürzBredehorn lich verabschiedete Gesetz zur Förderung der Landwirtschaft, das sogenannte Strukturgesetz. Auch die Forderung der GRÜNEN nach gestaffelten Erzeugerpreisen, nach höheren Preisen für sogenannte Grundmengen, ist abenteuerlich und in einer freien sozialen Marktwirtschaft nicht durchführbar. Wir brauchen uns in diesen Tagen nur umzusehen. Sehen Sie einmal in die Länder des Ostens, die solche Systeme haben, die eben nicht funktionieren, die letztlich nur in das soziale Elend führen. ({9}) Das würde auch bei uns so kommen, wenn die Politik, die Sie uns hier empfehlen, mehrheitsfähig würde. Sie erwecken mit Ihrer Forderung, daß alle bestehenden bäuerlichen Betriebe in ihrer wirtschaftlichen Existenz gesichert werden sollten, falsche Hoffnungen, die die Agrarpolitik - ganz egal welche Agrarpolitik - niemals erfüllen kann. Auch die Forderung, die Konzentration im Molkerei- und Schlachtviehbereich zu stoppen, zeigt, daß die GRÜNEN die Fakten nicht kennen. Von den über 400 Molkereibetrieben in der Bundesrepublik beliefern 120 Betriebe den deutschen Markt. Aus den Niederlanden beliefern drei Molkereibetriebe - da gibt es natürlich mehrere Molkereibetriebe - den Markt in der Bundesrepublik. ({10}) Aus Dänemark ist ein Molkereibetrieb in der Bundesrepublik tätig. Das hat z. B. dazu geführt, daß auf dem kaufkräftigsten Verbrauchermarkt in Europa, nämlich auf dem bundesrepublikanischen Markt mit 62 Millionen Verbrauchern, der Anteil aus deutscher Produktion - sei es bei Milch, Käse, Butter, Schweineoder Rindfleisch - in den letzten Jahren ständig zurückgegangen ist. ({11}) Hier gilt es in Zukunft entsprechend zu reagieren und zu agieren. Die FDP wird den für unsere Landwirte schädlichen Antrag der GRÜNEN ablehnen. Für die FDP ist klar, daß wir auch zukünftig eine differenzierte und ehrliche Agrarpolitik brauchen; eine Agrarpolitik, die den Leistungsfähigen die Chance läßt, sich weiterzuentwickeln und am Wettbewerb erfolgreich zu partizipieren. Wir brauchen eine Agrarpolitik, die jedoch gleichzeitig den Betrieben auf ungünstigen Standorten die Chance beläßt, weiterzuwirtschaften. Wir brauchen eine Agrarpolitik, die Alternativen zur landwirtschaftlichen Produktion bereitstellt, die den Ausstieg aus der Landwirtschaft sozial abfedert sowie die ökologischen Leistungen, die die Landwirtschaft für die Allgemeinheit erbringt, anerkennt und honoriert. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Nun kann ich hoffentlich mit mehr Erfolgsaussichten die Abstimmung durchführen, die ich eben schon durchführen wollte. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die Ihnen auf Drucksache 11/5042 vorliegt. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen. Wer dieser Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Danke schön. Dann ist diese Ausschußempfehlung, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen, bei einer Enthaltung angenommen worden. Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Zusatztagesordnungspunkt: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen ({0}), Rossmanith, Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Sauter ({1}), Dr. Götz, Schartz ({2}), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Fuchtel, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz ({3}), Spilker, Link ({4}), Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Rüttgers, Scheu, Schmitz ({5}), Frau Will-Feld und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation - Drucksache 11/5124 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) - Drucksache 11/5184 Berichterstatter: Abgeordneter Wimmer ({7}) ({8}) Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Erhebt sich Widerspruch gegen den Verfahrensvorschlag? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so akzeptiert. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Michels.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CDU/CSU und FDP haben den zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf eingebracht, um damit zu erreichen, daß nicht wieder wie im vergangenen Jahr eine ebenso aufwendige wie für die Betroffenen ärgerliche Rückerstattung der Zusatz-MVA für Getreide erforderlich wird. Die Gesetzesänderung wird eine Rückerstattung der Zusatz-MVA durch die aufnehmende Hand anstatt wie bisher durch die Bundesfinanzbehörden ermöglichen. Die im vergangenen Jahr praktizierte aufwendige und für die Landwirte ärgerliche Rückerstattungsaktion wollen wir den Landwirten in Zukunft ersparen. Im Erstattungsfall soll die zuviel einbehaltene Abgabe unbürokratisch, d. h. ohne Antrag, den Landwirten zurückgezahlt werden. In den meisten EG-Mitgliedstaaten wurde die Zusatz-MVA schon im vergangenen Jahr unter Einschaltung der aufnehmenden Hand zurückerstattet. Die Frage einer Rückerstattung der Zusatz-MVA stellt sich sehr konkret, weil die bisherigen Ernteschätzungen auf eine EG- Gesamterntemenge um 160 Millionen t hindeuten. Leider war dem Vorstoß der Bundesregierung kein Erfolg beschieden, die EG-Kommission zu bewegen, auf die Einbehaltung der Zusatz-MVA für dieses Jahr zu verzichten. Die mit dem vorliegenden Gesetz angestrebte Veränderung bewirkt, daß schon in diesem Jahr ca. 235 000 Getreideerzeuger keine Einzelanträge mehr auf Rückerstattung der zuviel einbehaltenen Zusatz-MVA stellen müssen. Im letzten Jahr haben die Getreideerzeuger ca. 73 Millionen DM auf diesem Weg erstattet bekommen. Während der vergangenen Wochen hat die Wirtschaft bzw. die aufnehmende Hand ({0}) gegen die vorgesehene Änderung im wesentlichen zwei Kritikpunkte vorgebracht. Erstens, zu geringer zeitlicher Vorlauf für die Umstellung sowie Unsicherheit bezüglich des Zeitpunktes der Geldabfindung. Diesem Anliegen konnte Rechnung getragen werden. Die Bundesregierung hat bei der EG-Kommission erreicht, daß die Rückzahlung der zu viel einbehaltenen Zusatz-MVA an den Landwirt erst Ende Februar 1990 erfolgen muß. Unabhängig davon, wann die EG-Kommission nun die Erntemenge für 1989 feststellt, kann die Wirtschaft jetzt mit der Umstellung praktisch beginnen. Zweitens. Die Wirtschaft weist auf die auffallenden Umstellungskosten hin. Es trifft zu, Kosten fallen an. Aber auch andere Bereiche der Agrarwirtschaft haben vergleichbare Leistungen für die Landwirte zu erbringen, z. B. zahlen die Molkereibetriebe die MVA auch ohne Kostenersatz an nichtzahlungspflichtige Landwirte zurück. Im übrigen ist mit der Verfügbarkeit über die einbehaltenen Mittel auch ein Liquiditäts und Zinsvorteil für die aufnehmende Hand verbunden. Meine Damen und Herren, nicht nur für den außerlandwirtschaftlichen Betrachter ist der hohe und zum Teil sogar steigende Verwaltungsanteil im Bereich der Agrarwirtschaft auffallend. Für den Landwirt selbst entwickelt es sich immer mehr zum Ärgernis, wenn Fristen versäumt, Belege verloren, oder die Zeit, dies alles zu erfassen und zu beachten, nicht gegeben ist. ({1}) Unsere Landwirtschaftskammern und Landwirtschaftsämter sind zunehmend mit Kontrollaufgaben beschäftigt. Ihrer eigentlichen Aufgabe der Schulung und Beratung können die Bediensteten kaum noch nachgehen. Noch besorgniserregender ist die Tatsache, daß sich wegen der Kontrollaufgabe eine zunehmend größere Distanz zwischen Landwirt und Berater aufbaut. Ich sehe dies als Kreislandwirt mit großer Sorge und freue mich, daß wir mit diesem Gesetz wieder einmal einen Schritt in die richtige Richtung tun können. Ohne die umfassenden Hilfen, die leider an Antrag, Genehmigung und Kontrolle gebunden sein müssen, würde sich das Agrarangebot unter Ausschaltung ungünstiger Standorte und sonstiger sich nachteilig auswirkender Faktoren auf den Nahrungsmittelbedarf einpendeln. Wer also eine breitgefächerte Landwirtschaft bei europaweiter Konkurrenz erhalten will, wird leider auch in Zukunft nicht ganz ohne gezielte und formelle Hilfe auskommen. Es ist unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, daß der formelle Teil immer wieder überprüft und auf das zur Zeit mögliche und unabänderliche Maß immer wieder neu eingestellt wird. So sehr die Landwirte z. B. die Finanzhilfe für die Erzeugung von Mastbullen benötigen und auch begrüßen, im Mittelpunkt der Diskussion steht jedoch die berechtigte Kritik gegenüber den bei uns gängigen Kontrollverfahren, sprich dem Bullenlochen. Hier haben wir ein Musterbeispiel dafür - ich bin froh, daß der Herr Staatssekretär da ist - , wie durch ein un-praktikables Kontroll- und Verwaltungsverfahren mit viel Geld viel guter Wille zunichte gemacht wird. Ja, viel guter Wille und noch mehr Geld bleiben buchstäblich an der Lochzange hängen. Ich fordere deshalb die Regierung auf, in absehbarer Zeit das Ergebnis einer Untersuchung aller Genehmigungs- und Kontrollverfahren in der Landwirtschaft hinsichtlich praxisnaher Vereinfachung vorzulegen. ({2}) Das zum Beschluß anstehende Gesetz ist, wie ich eben schon sagte, ein gutes Beispiel. Aber nichts ist so gut, daß es nicht noch besser werden könnte. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie bei den anderen EG-Partnern all ihren Einfluß geltend macht, damit die Flächenstillegung entsprechend honoriert und vergleichbar durchgeführt wird und damit EG-weite Forschung und möglichst bald beginnender schrittweiser Einsatz nachwachsender Energien erreicht werden. Die drastisch zurückgegangenen Einkommen der Marktgetreideproduzenten sollten von in der EG Verantwortung Tragenden zum Anlaß genommen werden, die Basis-MVA vollends zu streichen. Die Zeit für diesen Schritt ist reif. Meine Damen und Herren, Landwirtschaft als ziemlich statischer Wirtschaftsbereich gehört der Vergangenheit an. Auf Grund neuer Erkenntnisse und Entwicklungen lassen sich Veränderungen überhaupt nicht mehr vermeiden. Auch sollte das Wort „Überproduktion" nicht zu einseitig, meist von denen, die wenig davon kennen, strapaziert werden. Wenn wir unsere 320 Millionen Menschen in der EG so versorgen wollen, daß jeder zu jeder Zeit jede gewünschte Menge Nahrungsmittel kaufen kann, dann müssen alle Landwirte zusammen mehr als 100 % des Bedarfs anbieten. Ein gewisser Überhang ist der unverzichtbare Preis für eine jederzeit bedarfsgerechte Versorgung. Mit der Milchmengenregulierung ist für die Verbraucher eine sichere Versorgung und für den Landwirt zumindest vorübergehend eine wirtschaftliche Grundlage geschaffen worden. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß ein persönliches Wort. Gleich, wo immer der einzelne steht, wir alle haben allen Anlaß, dem Bundeslandwirtschaftsminister recht herzlich zu danken. ({3}) Selbst der Kritiker einzelner Bereiche muß anerkennen, daß Minister Kiechle mit viel Engagement und klarem Blick das Schiff Landwirtschaft erfolgreich durch eine außergewöhnlich rauhe See gesteuert hat. Schönen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr wenigen Damen! Meine Herren! Wir erleben heute ein seltenes Ereignis. Das zeigt, wie schnell hier gearbeitet werden kann, wenn die Regierungsfraktionen meinen, daß sie eine bestimmte Wählergruppe, die zu ihren Stammwählern gehört, mit ihrer Politik zu sehr frustriert hat. ({0}) In diesem Fall geht es um die Bauern. Daß Herr Michels eben noch das große Lob an den Herrn Landwirtschaftsminister angefügt hat, geht in dieselbe Richtung. Man muß halt die Leute selber loben, wenn es kein anderer tut. ({1}) Der Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation wurde in der letzten Woche während der Einbringung des Haushalts 1990 nebenher mit eingebracht. Schon das ist sehr ungewöhnlich. ({2}) Alsdann wurde in Windeseile in den Ausschüssen beraten und beschlossen, und heute - man höre - , nur 9 Tage nach Einbringung des Entwurfs, verabschieden wir das Gesetz in zweiter und dritter Lesung. Fürwahr ein Beweis für die wunderbare Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments! ({3}) Aber nun zur Sache. Es geht darum, an einer Stelle den Versuch zu machen, den ungeheuren bürokratischen Aufwand - in dieser Frage gehen wir mit Ihnen völlig einig - , der die Landwirtschaft zu ersticken droht, an einer Ecke aufzubrechen. Wer die lokalen Zeitungen und Mitteilungsblätter aufschlägt, findet fast in jeder Woche, daß die Landwirtschaftsämter dazu auffordern, Formulare anzufordern, Formulare abzugeben, Erklärungen abzugeben und dergleichen mehr. Jetzt wollen wir mit dieser heutigen Gesetzesänderung an einer kleinen Strecke anfangen, diese ganze Geschichte ein bißchen zu reparieren. Ich möchte hier eines in Erinnerung bringen. Im Februar letzten Jahres hat die Bundesregierung maßgeblich das Konzept zur Lösung der Überschußprobleme bei Getreide beeinflußt. Unter deutscher Präsidentschaft wurde das Stabilisatorenkonzept mit den automatischen Preissenkungen beschlossen, bei dem Sie jetzt, mindestens in einigen Punkten, wiederum anzweifeln, daß es sinnvoll ist. Dazu gehören eben die von Herrn Michels schon erwähnten Basis- und Zusatzmitverantwortungsabgaben für Getreide. Die Bundesregierung hat damit zunächst mal geholfen, bürokratischen Regelungen weiterhin Tür und Tor zu öffnen. Auch dies war ein Schritt der von Ihnen zu verantwortenden Vermehrung der Antragslandwirtschaft. Insofern kann ich Ihr Lob für den Bundesminister Kiechle in keiner Weise teilen. ({4}) Nein, er hat kräftig mit zur Verbürokratisierung beigetragen. Das müssen Sie zugeben. Zweifellos hat in den letzten acht Jahren die Bürokratisierung zugenommen. Wir sind auch in der Haushaltsdebatte schon auf diese Fragen eingegangen. Statt dieser bürokratischen, die Eigeninitiative hemmenden Regelung hätten Sie sich bei der Herstellung des Marktgleichgewichts im Getreidebereich stärker für marktwirtschaftliche Elemente einsetzen sollen. Ich habe vorhin gehört, wie Frau Folz-Steinacker das Lied der Marktwirtschaft für die Entwicklungshilfe gesungen hat. Im Bereich der Landwirtschaft wäre auf diesem Gebiet sicher eine Menge zu tun. Man muß sagen: Das Lieblingskind des Herrn Ministers, die Flächenstillegung, hat sicher dazu beigetragen, daß auch in diesem Bereich der Getreideüberschüsse die Regelungen so getroffen wurden, wie sie sind. Ich habe sogar den Verdacht, daß Herr Kiechle vielleicht gemeint hat, er könne auf diesem Wege irgendwann einmal wieder auch zu nationalen Quoten kommen. Wir müssen deshalb die verfahrene Situation reparieren. Herr Michels, ich stimme dem Teil Ihrer Rede, in dem Sie sich über die Arbeit der Berater und der Landwirtschaftsämter ausgelassen haben, voll zu. Hier wird die Arbeit von Fachleuten für Landwirtschaft in Bürokratie investiert, statt ihnen die Möglichkeit zu einer vernünftigen Beratung zu geben. ({5}) Dies stimmt auch in dem Bereich der Landwirtschaft, in den wir eigentlich mehr ökologische Grundsätze zurückbringen wollen. ({6}) Ich sage bewußt „zurückbringen" und nicht „neu einführen". Sie müssen sich aber in der Sache die Frage gefallen lassen: Warum fangen Sie erst jetzt an zu reparieren? Wir müssen weiter fragen: Warum gibt dieses Gesetz wiederum nur die Möglichkeit, Verordnungen zu schaffen, statt das klar und deutlich direkt zu regeln? Dies ist nämlich nur eine Möglichkeit, die erst noch umgesetzt werden muß. Geschafft ist es noch nicht. ({7}) Sie wissen auch, daß es zu dieser Regelung Vorbehalte beim Getreidehandel gibt. Es ist auf Dauer wenig hilfreich - als Ansatz vielleicht - , daß wir hier zwischen dem abgebenden Landwirt und dem aufnehmenden Händler eine Vereinfachung schaffen, dies dann aber nach oben nicht fortsetzen. Wenn aus der ganzen Sache etwas werden soll, dann muß die Kette weiter fortgesetzt, das Verfahren auch in dem Bereich vereinfacht werden. Darüber müssen wir heute nachdenken. Das haben wir heute nicht zu entscheiden. ({8}) - Gut. Wir sind damit in vielen Bereichen einverstanden. ({9}) - Ich sage: in vielen Bereichen, nicht überall. Wir können es uns jedenfalls an der Schwelle zum EG-Binnenmarkt auch nicht leisten, den Handelsbetrieben neue Aufgaben aufzuhalsen und sie auf der anderen Seite zu schwächen. Wir brauchen diese mittelständischen Betriebe. Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn Sie im Vollzug dieser Verordnungsermächtigung unter den gegebenen EG-Bedingungen ein praktikableres Erstattungsverfahren für die Zusatzmitverantwortungsabgabe - in einem weiteren Schritt vielleicht auch manche andere Abgabe - erreichen, dann bleibt immer noch das Problem, daß die sogenannten landwirtschaftlichen Kleinerzeuger die Erstattung per Formular beantragen müssen. Wir haben also auch mit dieser Gesetzesänderung den Formularkrieg im Getreidebereich nicht grundlegend beseitigt und können hier keine Erfolge feiern. Dem ersten Schritt stimmen wir zu in der Hoffnung, daß weitere folgen werden. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt es, daß durch die Änderung des Marktordnungsgesetzes die Rückerstattung der zusätzlichen Mitverantwortungsabgabe bei Getreide vereinfacht wird und der immense bürokratische Aufwand zurückgeführt wird. Die Zusatzmitverantwortungsabgabe, die nach EG-Recht zunächst auf jeden Fall erhoben werden muß, aber je nach der Höhe der EG-Ernte - die Garantieschwelle liegt bekanntlich bei 160 Millionen Tonnen Getreide - ganz oder teilweise an die Erzeuger zurückgezahlt wird, wird von der erstaufnehmenden Hand, also vom Handel, einbehalten und soll nun von diesem direkt und unmittelbar an die Erzeuger zurückgezahlt werden. Bisher mußten die Handelsbetriebe diese Gelder an die Zollverwaltung abführen. Unsere Landwirte bekamen ihr Geld erst nach längerer Zeit in einem umständlichen Antrags- und Verwaltungsverfahren zurück. Ich nehme die Sorgen und Bedenken der erstaufnehmenden Hand, also des Handels, wegen zusätzlicher Kosten und zusätzlichen Aufwands durchaus ernst, meine aber, daß die Vorteile so überwiegen, daß die Mehrbelastungen für diese Firmen zumutbar sind. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Die Milchquotenregelung hat z. B. für unsere Molkereien einen erheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand gebracht. Wir haben in meinem eigenen Betrieb mit 200 Millionen Verarbeitung und 900 Mitgliedern eine Arbeitskraft zusätzlich ganzjährig für diese Quotenberechnung einstellen, beschäftigen und bezahlen müssen. Ich freue mich, daß es uns im Ausschuß möglich war, so zügig und einvernehmlich über Parteigrenzen hinweg diese Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Das ist ein erster guter Ansatz - Frau Weyel hat es gesagt - , die Bürokratie, die Formulare und das ganze Antragsunwesen - sicherlich hervorgerufen durch immer neue Eingriffe des Staates in wirtschaftliche Abläufe - etwas zurückzuführen. Das müssen wir hier ganz deutlich sehen. Es ist meine feste Überzeugung: Auch im Agrarbereich muß die Problemlösung in Zukunft vermehrt mit marktwirtschaftlichen Mitteln versucht werden. Sonst kommen wir immer mehr in dieses Dilemma hinein, daß durch Eingriffe des Staates ein großer bürokratischer Aufwand mit Antragsverfahren, Kontrollverfahren usw. entsteht. Durch das vereinfachte Rückzahlungsverfahren entlasten wir etwa 240 000 getreidevermarktende Landwirte von einem, wie gesagt, sehr bürokratischen und schwerfälligen Antragsverfahren. Wir entlasten aber auch unsere Finanzverwaltung, die sich damit vernünftigeren und sinnvolleren Aufgaben zuwenden kann. Hier wurde vom Kollegen Milz die Zusatzmitverantwortungsabgabe angesprochen - ich greife das gern auf - , die ja nur gezahlt werden muß, wenn wir über das Ziel von 160 Millionen Tonnen Garantieschwelle hinauskommen. Vorhin wurde hier so leicht gesagt: Am besten ist die absolute Abschaffung der Mitverantwortungsabgabe. Damit bin ich sehr einverstanden. Nur müssen wir sehen: Wie ist sie denn entstanden? Das war doch die Alternative - die Garantieschwelle und die zusätzliche Mitverantwortungsabgabe - , die der Bundeskanzler in sehr schweren Verhandlungen erfolgreich durchgesetzt hat gegenüber einer Politik des massiven Preisdrucks, die letzten Endes natürlich sehr viel mehr Betriebe ihrer Existenz beraubt hätte. Das war die Alternative. ({0}) Trotzdem sage ich: Wenn die Flächenstillegung, womit wir ja die Anpassung an den Markt vollziehen wollen, in der Bundesrepublik voll durchgeführt wird, wenn unsere Landwirte dieses Instrument nutzen und die Partnerstaaten es überhaupt nicht nutzen, weil es dort ein unattraktives Angebot gibt, dann, so meine ich, müssen wir versuchen, unseren Minister zu unterstützen, daß wir nicht noch neben der Pflicht, die Menge durch Flächenstillegungen zurückzuführen, die wir schon erfüllen, unseren Landwirten eine Zusatzmitverantwortungsabgab e zumuten können. ({1}) Das bedarf sicher sehr intensiver Verhandlungen und guter Argumente gegenüber der Kommission und gegenüber den Partnern in der EG. Wir als FDP sind gern bereit, unserem Minister und der gesamten Regierung die nötige Unterstützung zu geben. Schönen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zum Schluß hat die Abgeordnete Frau Flinner das Wort.

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Wie so oft ist der Gegenstand unserer Debatte die Bürokratie und, so sagen manche, ihre Vereinfachung. Darüber haben wir auch schon in der Ausschußsitzung der letzten Woche beraten. Wenn jetzt einige Herren von der Koalition meinen, Sie müßten den vorliegenden Gesetzentwurf als Signal der Entbürokratisierung feiern, ja wenn sogar von Zeichen und Wundern gesprochen wird, dann müssen wir uns alle fragen: Wieweit sind wir denn schon gekommen? Erinnern wir uns: Diese Regierung wollte die Bürokratisierung der Landwirtschaft zurückdrängen; Herr Kiechle wollte sich für die deutschen Bauern in der EG stark machen. Auch heute ist er, wie schon des öftern, nicht anwesend; im Ausschuß fehlt er ebenfalls meist. Und was passiert wirklich? Seit er Landwirtschaftsminister ist, nimmt die Bürokratie aus Brüssel kein Ende mehr. Vielen deutschen Bäuerinnen und Bauern geht es immer schlechter. Neben Flächenstillegung und Produktionsaufgaberente sind es vor allem die sogenannten Haushaltsstabilisatoren, womit die Bauern in unserem Land belastet werden. Bei der Festlegung dieser Maßnahme war nicht etwa ein ferner, unbekannter EG-Betrieb, sondern Herr Kiechle höchstpersönlich maßgeblich beteiligt. ({0}) Diese Stabilisatoren bewirken, daß unsere Bauern eine sogenannte Mitverantwortungsabgabe zahlen müssen. Neben der Basis-Mitverantwortungsabgabe wird eine Zusatz-Mitverantwortungsabgabe für den Fall erhoben, daß die gesamte EG-Getreideproduktion über 160 Millionen Tonnen liegt. Und wenn sie doch nicht so hoch liegt, kann diese Zusatz-MVA erstattet werden. Nun soll aber - und das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfs - diese Rückerstattung nicht durch die Behörden, sondern durch die aufnehmende Hand, durch Landhandel, Mühlen, Genossenschaften erfolgen. Das bedeutet: Der Rückerstattungsaufwand wird nicht vermieden, sondern nur nach dem Sankt-Florians-Prinzip von den öffentlichen Stellen ferngehalten. Dafür sollen andere die Last tragen. Wir müssen aber doch fragen: Was bedeutet diese Mitverantwortungsabgabe? Wer trägt hier Verantwortung? Die Regierung tut so, als ob die deutschen Bauern Verantwortung für die EG-Überproduktion tragen. Doch jeder Bauer und jede Bäuerin muß diese Abgabe zahlen; es spielt keine Rolle, ob sie selber mehr oder weniger als früher produzieren; nur die Höhe der gesamten EG-Ernte ist ausschlaggebend. Jedem leuchtet ein, daß damit niemand dazu bewogen werden kann, die Überschüsse wirklich abzubauen. Man erkennt sehr schnell, was mit diesen Abgaben bezweckt wird: In Wirklichkeit bedeuten sie von Jahr zu Jahr eine automatische Senkung der Erzeugerpreise - und sonst nichts. Herr Kiechle traut sich aber nicht, das unseren Bauern offen ins Gesicht zu sagen. Denn er hatte ihnen ja Hoffnungen gemacht; doch er hat sie nicht erfüllt. Und so dreht er den Spieß um und erklärt: Die Bauern sind verantwortlich für die Überschüsse, und deshalb sollen sie zahlen, eben die Mitverantwortungsabgabe. Aber das ist doch in höchstem Maße unredlich. Wer ist denn verantwortlich für die Überschüsse und für die sogenannten EG-Agrarausgaben? Etwa unsere Bäuerinnen und Bauern? Die konnten doch gar nicht anders. Eine seit Jahrzehnten grundsätzlich falsche Agrarpolitik hat ihnen doch gar keinen anderen Weg gelassen. ({1}) Daß Herr Kiechle sie mit Abgaben belastet und dabei das Etikett „Verantwortung" benutzt, ist meines Erachtens die größte Unverschämtheit. Die Verantwortung trägt die Regierung allein. Wenn wir hier über die Einzelheiten der Rückerstattung der MVA beraten, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, was es mit diesen Abgaben insgesamt auf sich hat. Die deutschen Bäuerinnen und Bauern werden für die Fehler der Regierungspolitiker doppelt bestraft: Einerseits müssen sie bezahlen, weil auf EG-Ebene die Überschüsse nicht reduziert werden, worauf sie selber gar keinen Einfluß haben. Andererseits verlieren sie laufend Marktanteile, weil in den anderen EG-Ländern die Flächenstillegung so gut wie gar nicht stattfindet. Dies alles war schon abzusehen, als die genannten Maßnahmen von Herrn Kiechle in Brüssel angeregt und durchgezogen wurden. Hier wird nicht für, sondern gegen die Bauern Politik gemacht. ({2}) - Wir haben schon sehr viele Marktanteile an diese Länder abgegeben. Das wissen Sie ganz genau. ({3}) Deshalb bin ich nicht der Meinung, daß wir auch noch die Mitverantwortungsabgabe und die Zusatz-Mitverantwortungsabgabe bezahlen sollen. ({4}) - Nein. Ich finde es nicht richtig, daß die Bauern für etwas bezahlen müssen, woran sie keine Schuld haben. Das muß sich ändern. Wir brauchen eine ganz andere Agrarpolitik, eine Politik für die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft - ohne Mitverantwortungsabgabe. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die gestrige Ausschußsitzung erinnern, in der ein Herr Dr. Müller von Ihrer Fraktion sehr deutlich gesagt hat, daß wir nicht um eine ökologische Landwirtschaft herumkommen, was Sie bis jetzt immer noch abstreiten. Danke schön. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wir sind am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz insgesamt zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist das Gesetz gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 11/4909 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies beschlossen. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gröbl.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schwerpunkt der Umweltpolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode ist die nachhaltige Verbesserung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums. Die Gesamtheit der verabschiedeten bzw. auf den Weg gebrachten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften führt zu einer neuen Sicherheitskultur in unserer Industriegesellschaft, die auf mehrfache und unabhängige, technische und organisatorische Sicherheitssysteme setzt. Dies umfaßt die Errichtung und den Betrieb von Produktionsanlagen ebenso wie die Herstellung und den Umgang mit gefährlichen Stoffen und die umweltgerechte Entsorgung industrieller Abfälle. Die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bildet hierbei einen wesentlichen Eckpfeiler. Weitere wichtige Bausteine dieses Konzepts sind abgeschlossen oder werden zur Zeit beraten: Am 1. September 1988 trat die neugefaßte Störfall-Verordnung in Kraft. Die Novelle zum Chemikaliengesetz befindet sich in der parlamentarischen Beratung. Die Altstoffkonzeption ist fertiggestellt. Der Gesetzentwurf zur Umweltverträglichkeitsprüfung befindet sich zur Beratung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Die Technische Anleitung Sonderabfall sowie die Sonderabfallbestimmungs-Verordnung, die Reststoffbestimmungs-Verordnung sowie die Abfall- und Reststoffüberwachungs-Verordnung wurden im Juni des Jahres vom Kabinett verabschiedet. ({0}) In Ausführung des § 14 Abfallgesetz wurden wichtige Verordnungen zur Vermeidung, Verminderung und Wiederverwertung von Abfällen erlassen. Die Neuregelung des Umwelthaftungsrechts ist noch für diese Legislaturperiode vorgesehen. ({1}) - Das ist richtig. Mit Ihrer Hilfe werden wir es schaffen. Die bloße Verbesserung des ordnungsrechtlichen Rahmens reicht allerdings nicht aus, um den Umweltschutz dynamisch weiterentwickeln zu können. Konsequenter Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente ist daher die zweite Säule unseres umweltpolitischen Konzepts. Bereits im Jahre 1985 wurde im Bundes-Immissionsschutzgesetz mit der Kompensationsregelung ein marktwirtschaftlich wirkendes Instrument in das Gesetz aufgenommen. Dieses Instrument wurde nun verbessert und flexibler gestaltet. Unser Ziel ist es, die Gesamtemissionen neuer Anlagen stärker zu reduzieren, als dies bei Auflagen gegenüber den einzelnen Anlagenbetreibern möglich wäre. Die Schwerpunkte des Entwurfs sind: Erstens. Das System der Prüfung und Überwachung von Industrieanlagen soll in wesentlichen Teilen ergänzt und konkretisiert werden. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz soll hierdurch zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz ausgebaut werden. Dabei ist wichtig: Der Stand der Sicherheit genehmigungsbedürftiger Anlagen soll künftig auf der Grundlage sicherheitstechnischer Regelwerke festgelegt werden. Sachverständige sollen verstärkt in die sicherheitstechnische Überwachung einbezogen werden. Betreiber von Anlagen mit besonders hohem Gefahrenpotential sollen künftig einen Störfallbeauftragten bestellen. Daneben soll es weiterhin den Betriebsbeauftragten für Emissionsschutz geben. Dem Betreiber soll die Pflicht auferlegt werden, den Überwachungsbehörden die innerbetrieblichen Verantwortlichkeiten für die Bereiche Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Anlagensicherheit offenzulegen. Schließlich sollen zwei Beratungsgremien für die Bundesregierung eingerichtet werden: ein Technischer Ausschuß für Anlagensicherheit, der bei der Erarbeitung sicherheitstechnischer Regeln mitwirken soll, und eine pluralistisch zusammengesetzte Störfallkommission, die zu besonders sicherheitsrelevanten Themen gutachtlich Stellung nehmen soll. Zweitens. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß erhebliche Gefahren auch von stillgelegten Industrieanlagen drohen. Vorsorge ist daher geboten. Es soll deshalb ausdrücklich geregelt werden, daß die Verantwortung des Anlagenbetreibers nicht mit der Einstellung des Betriebes endet. Der Betreiber muß vielmehr auch nach Betriebseinstellung für den umweltverträglichen Zustand seiner Anlage Sorge tragen. Drittens: die Kompensationsregelung; ich habe sie bereits erwähnt. Viertens. Aus Gründen des Umwelt- und Verbraucherschutzes soll die Möglichkeit eröffnet werden, in Rechtsverordnungen Kennzeichnungs- und Unterrichtungspflichten über die Beschaffenheit von Brenn-, Treib- und Schmierstoffen vorzuschreiben. Auch diese Regelung ist ökonomisch geprägt. Fünftens. Das planungsrechtliche Instrumentarium des Gesetzes - die Vorschriften über den gebietsbezogenen Emissionsschutz - soll überarbeitet und ergänzt werden. Dabei ist folgendes vorgesehen: Die Instrumente der Luftreinhalteplanung werden anspruchsvoller und wirkungsvoller gestaltet. Der Schutz der Gesundheit des Menschen steht dabei im Vordergrund. Deshalb brauchen wir eine Luftreinhalteplanung für die Länder. Zum besseren Schutz der Wohnbevölkerung wird den Ländern ferner die Möglichkeit gegeben, Lärmminderungspläne aufzustellen. Gebietsbezogene Verkehrsbeschränkungen sind zur Zeit nur bei Smog-Wetterlagen zulässig. Unabhängig vom Bestehen einer solchen Wetterlage soll künftig die Möglichkeit bestehen, in von den Ländern festzulegenden Gebieten den Verkehr immer dann zu beschränken oder zu verbieten, wenn dies zur Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Mit der Novellierung bauen wir den Rahmen für ein fortschrittliches und umfassendes Anlagensicherheitsgesetz. Ferner wird das planungsrechtliche Instrumentarium modern ausgebaut, und wir verstärken den marktwirtschaftlichen Ansatz des Gesetzes, um den ökologischen Strukturwandel unserer Wirtschaft voranzubringen. ({2}) Ich bedanke mich bei Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, auch ich habe das Gefühl, daß Sie Ihre Rede vor Ihrem Parteitag geschrieben haben. ({0}) Das Eigenlob, das Sie angebracht haben, wurde durch die McDonald's-Kultur auf Ihrem Parteitag gut konterkariert. Wenn ich auf die CSU schlage - Sie sind doch etwas miteinander verwoben - , meine ich auch die CDU. Meine Damen und Herren, das Immissionsschutzgesetz, das wir im Jahre 1974 mit den Freidemokraten über die Bühne gebracht haben, ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Umweltpolitik der damaligen Koalition. Das Gesetz war sehr erfolgreich, nur bietet es - das müssen wir sehen - Instrumente und Erkenntnisse von vor anderthalb Jahrzehnten. Wir waren deshalb gehalten, es zu ändern. Die Leitgedanken bleiben nach wie vor Gefahrenabwehr und Vorsorge. Sie entsprechen der Konzeption einer ökologisch orientierten Gesetzgebung. Im Zeitraum von 15 Jahren muß das BImSchG zum zweitenmal novelliert werden, weil gerade im Umweltbereich ein hohes Tempo der Veränderung vieler Instrumente herrscht. Nach jahrelangen Ankündigungen hat die CDU - auch die CSU, ich muß Sie hier einbeziehen - endlich einen Entwurf vorgelegt. Wenn wir dieses Gesetz aufschnüren, so wäre eigentlich zu erwarten, daß der aktuellen Umweltgefahrensituation Rechnung getragen wird und rechtliche Instrumente so weit zur Verfügung gestellt werden, wie es irgend geht. Daten - das wissen wir - liegen wahrlich genügend vor. Warum wird diese Novelle nicht der aktuellen Umweltbelastung gerecht? Warum werden von der Koalition in der sehr vorsichtigen Art, die wir kennen, niemandem auf die Füße zu treten, die meisten der uns weiterhelfenden über 50 Änderungsanträge des Bundesrates abgewehrt? ({1}) - Von 69 über 50; man soll das noch einmal festhalten. - Diese wären ein sehr wesentlicher Schritt zur Umweltpolitik und zu einer wahrhaftigen und guten Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gewesen. ({2}) Wir wissen, daß im 4. Immissionsschutzbericht der Bundesregierung großartige Prognosen über zu erwartende Reduzierungen von Schadstoffen bis zum Jahre 1995 dargelegt sind. Eine nachhaltige Situationsverbesserung bei den Immissionen wird aber nicht belegt. Einige Beispiele: Im wesentlichen zeigen die Simulationen über die Verringerung der Schwefeldioxidbelastungen aus Großfeuerungsanlagen nur eine Abnahme in Belastungsschwerpunkten an. ({3}) Bei der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung gibt es durchaus abweichende Prognosen, insbesondere bei der Verursachergruppe Verkehr. Das wissen 12124 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 159. Sitzung. Bonn. Freitag. den 15. September 1989 wir alle und haben es letztens im „Spiegel" gelesen. ({4}) - Aber auch vieles Richtige, Herr Friedrich. Zunehmend spielen Reaktions- und Folgeprodukte von Luftverunreinigungen, z. B. photochemische Oxidantien, der sogenannte Sommersmog, eine sehr wichtige Rolle. Es muß also für die Betrachtung zukünftiger Belastungssituationen entscheidend mitbedacht werden, daß zahlreiche Schadstoffe nur gering oder gar nicht abbaubar sind. Auch wenn die jährlichen Immissionsraten stagnieren oder sinken, steigt trotzdem der Gesamtgehalt, z. B. im Speichermedium Boden, ständig weiter an. Leider ist demnach in Ballungsräumen weiterhin mit einem sehr hohen Belastungsniveau zu rechnen, zumal häufig eine hohe Dichte von punkt und linienförmigen flächenhaften Emissionsquellen mit sich gegenseitig überlagernden Einwirkungsbereichen gegeben sind. Die Kehrseite: Es ist zu befürchten, daß die Belastungen, der Umweltstreß von Menschen, Tieren und Pflanzen, in städtischen Regionen und im ländlichen Raum weiter zunehmen. Es ist absehbar, daß die Abwehr- und Immunsysteme weiter abnehmen. Die brutale Schadenseinwirkung bei den Waldbeständen und bei den Stadtbäumen, bei den Nahrungspflanzen, bei den Böden, Gewässern und anorganischen Materialien sowie die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere bei den Risikogruppen, deuten darauf hin, daß Langzeitanhäufungen bzw. -speicherungen und die Zusammenhangswirkungen, Synergismen, zum Tragen kommen, die von der bisher betriebenen Luftreinhalteplanung nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Von der schleichenden Verschiebung der Artenzusammensetzung empfindlicher Ökosysteme bei uns, im Moor, in der Heide und im Wald, will ich gar nicht reden; das wissen wir alle. Eine Fülle von nicht ausreichend abschätzbaren Entwicklungen machen unwiderruflich deutlich, daß die Instrumente für Sanierungs- und Vorsorgeaufgaben der Luftreinhaltung über den vorgelegten dritten Entwurf der BImSchG-Novelle hinaus weiterzuentwickeln sind. Es muß weit unterhalb der heute bestehenden Eingriffsschwellen angesetzt werden. ({5}) Auch werden im Hinblick auf eine Verbesserung des Umweltschutzes wenig wirksame Änderungen im Bereich der genehmigungsbedürftigen Anlagen eingeleitet. Die vorgelegte Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz als den großen Wurf, den großen Durchbruch zu betrachten, wäre wahrlich fehlerhaft. Meine Damen und Herren, es ist hier nicht die Zeit, auf sämtliche Verbesserungsnotwendigkeiten einzugehen. Ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, daß im Bundesrat 69 Anträge gestellt und daß über 50 abgeschmiert worden sind. Wir werden das alles in den Ausschußberatungen Stück für Stück noch einmal vorbringen. Da wird an jeder Stelle die Diskussion weiter geführt werden. Ich will nur einige dieser Anträge hier vortragen und an zwei, drei Stellen zeigen, was durch die Vorlage dieser Novelle eigentlich versäumt worden ist. Der Bundesrat hat auf Antrag Nordrhein-Westfalens gebeten, den neu formulierten § 17 Abs. 3 a vollkommen zu streichen, der eine sehr weitgehende Kompensationsmöglichkeit bei dem Erlaß nachträglicher Anordnungen im Zusammenhang mit der Sanierung von Altanlagen gewährt. Verkürzt dargestellt: Ein Betreiber einer Altanlage kann statt der Sanierung dieser Anlage anbieten, an einer anderen eigenen Anlage oder an einer Anlage Dritter Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung vorzunehmen, um so nachträglichen emissionsbegrenzenden Anordnungen zu entgehen. ({6}) Das steht, Herr Baum, ja auch schon im alten § 7. Die schon jetzt im § 7 enthaltene Kompensationsmöglichkeit wird durch den neuen Abs. 3 a sowohl räumlich, meine ich, als auch zeitlich so weit ausgedehnt, daß der Bundesrat zu Recht befürchtet, daß die eingesparten Emissionen irgendeiner anderen Anlage für eine unbegrenzte Zeit und auch von Anlagen in Standorten in mehreren hundert Kilometer Entfernung für hochbelastete Räume aufgerechnet werden kann. Das wollen wir nicht hinnehmen. ({7}) Die Bundesregierung hat durch ihre Gegenäußerung lediglich die Anrechnung von bereits stillgelegten Anlagen oder stillzulegenden Anlagen ausgeschlossen. Alles andere hat sie zurückgewiesen. Nach dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzeswortlaut sind Kompensationen nach wie vor über mehrere hundert Kilometer und auf unbegrenzte Zeit möglich. Aus der allgemeinen Vorsorgepflicht, mit der die Bundesregierung argumentiert - nämlich daß es dann nicht gehen solle - , kann jedenfalls eine Begrenzung nicht hergeleitet werden. Denn wenn die Kompensation einen praktischen Anwendungsbereich haben soll, können sich die überobligatorischen Emissionsminderungsmaßnahmen an einzelnen Anlagen nicht auf die gesamte Nachbarschaft auch der Anlage auswirken, an der keine Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt werden. Ich befürchte, daß durch dieses sehr weitmaschige Netz die gesamte Altanlagensanierung innerhalb der vorgesehenen Frist gefährdet wird. Wer dies nicht will, sollte auf derartige Novellierungen verzichten, um sich nicht den Vorwurf der immissionspolitischen Halbherzigkeit auszusetzen. Diese Regelung, von der ich gerade gesprochen habe, ist eher kontraproduktiv und ein Rückschritt. ({8}) Ein weiterer Punkt, bei dem im Rahmen dieser Novelle die Chance zu einer vorsorgenden Umweltpolitik vertan worden ist, ist die Unterlassung der Einführung einer Betreiberpflicht zur externen Abwärmenutzung. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung trifft hierzu überhaupt keine Aussage. Erst durch eine Stellungnahme des Bundesrates wurde der Gedanke zur zwingenden externen Abwärmenutzung in die Beratung eingeführt. Der Bundesrat - es ging, glaube ich, von Hamburg aus - schlägt vor, daß genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, daß entstehende Wärme an Dritte abgegeben oder für Anlagen des Betreibers genutzt wird. ({9}) Dieser sehr sinnvolle Vorschlag, dem die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung nicht zugestimmt hat, zielt darauf ab, eine erhebliche Verminderung der Umweltbelastungen aus der Wärmeversorgung von Haushalten und Kleinverbrauchern zu erreichen. ({10}) Auf diese Weise könnten die Voraussetzungen dazu geschaffen werden, industrielle Abwärme in Fernwärmenetzen zu verwerten. Dies bringt ein erhebliches Energieeinsparungspotential und führt zu beachtlichen Emissionsminderungen bei CO2. Eine Ersetzung von Ölsammelheizungen durch industrielle Abwärme brächte nach Darstellung des Landes Hamburg, das sich auf eine Berechnung des Umweltbundesamtes stützt, bereits eine Heizöleinsparung von zehn Milliarden Litern jährlich und hätte eine Verminderung der Energiekosten von ca. 4 Milliarden DM pro Jahr zur Folge. ({11}) - Herr Stahl, die Voraussetzungen müssen auf Bundesebene geschaffen werden. - Die daraus resultierende Emissionsminderung bei CO2 entspräche 5 der heutigen CO2-Emissionen in der Bundesrepublik. Das ist auf dem Hintergrund der Toronto-Konferenz wahrlich eine Summe, die wir durchsetzen müssen. Ich glaube nicht, daß wir damit das gesamte Spektrum erreichen, aber wir sollten immerhin beim Immissionsschutzgesetz damit deutlich anfangen; das sollten wir einklagen. Die Bundesregierung verweist darauf, daß sie das über dieses Gesetz nicht machen kann. Wir sagen: Das muß über das Bundes-Immissionsschutzgesetz gemacht werden. Ich will noch auf das Genehmigungsverfahen eingehen: Inkonsequent und halbherzig ist die Novelle auch im Bereich des Genehmigungsverfahrens selbst. Wir sind uns alle darin einig, daß das Vorsorgeprinzip zu einem tragenden Grundsatz im Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgestaltet worden ist. Dies zeigt sich z. B. auch in den Luftreinhalteplänen. Konsequenterweise fordert meine Partei die Einführung eines Versagensermessens im Bundes-Immissionsschutzgesetz für die Genehmigungsverfahren. ({12}) Während heute noch der Genehmigungstatbestand des § 6 des BImSchG von der sogenannten gebundenen Erlaubnis ausgeht - die Genehmigung i s t zu erteilen, heißt es dort - und einen Anspruch auf Genehmigung normiert, wenn die im § 6 genannten Voraussetzungen vorliegen, müssen wir -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit sehr deutlich überschritten. Wir haben bereits so viel Verspätung, daß ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ich kürze ab: Wir müssen auch dieses Versagungsermessen hineinbringen, weil wir das Vorsorgeprinzip schon beim Genehmigungsverfahren einbeziehen wollen. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Novelle, die Herr Gröbl als ein Anlagensicherungsgesetz bezeichnet hat, verdient diesen Namen eigentlich nicht; er ist an dieser Stelle sehr optimistisch. Die anderen Regelungstatbestände, die der Bundesrat vorgeschlagen hat, werden überhaupt nicht aufgenommen. Das Ergebnis lautet: Dies ist zu leicht, der Biß ist nicht da. Der Bundesrat will beißen, die Bundesregierung verweigert den Biß. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Harries.

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundes-Immissionsschutzgesetz aus dem Jahre 1974, damals von der sozialliberalen Koalition eingebracht und verabschiedet, hat mit Sicherheit eine erste ganz wichtige Grundlage zur Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen in unserem Lande gebracht. Das bekennen wir; das sagen wir; das ist überhaupt keine Frage. Dieses Gesetz wird nun zum drittenmal in wichtigen Teilen ergänzt, erweitert und geändert. Hierin sehe ich eine ganz notwendige Kontinuität politischen Handelns. ({0}) Herr Schütz, Sie haben uns in Ihrem Vortrag im Grunde eine Latte von vermeintlichen Versäumnissen vorgestellt. ({1}) Ich frage mich einfach an dieser Stelle: Warum ist damals nicht auf einmal das eingebracht worden, was Sie hier jetzt diskutieren? Ich betone nochmals, daß wir in einer Kontinuität sind und daß wir aufgerufen sind, die Verbesserungen, die sich nach dem Stand der Technik und nach neuen Erkenntnissen ergeben, einzubringen haben, und daß wir das tun. Wir sind dabei. Meine Damen und Herren, die Länder im Bundesrat haben Änderungsvorschläge eingebracht. Wir werden über diese Änderungsvorschläge im Ausschuß diskutieren. Wir werden sie abwägen und werden sehen, was davon kommt. Wir legen aber Wert darauf, daß dieses ganz wichtige Gesetz, daß diese Dritte Novelle noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Ich verweise aber auch ausdrücklich auf die ganz wichtige Aussage des Bundesrates, die zu weiten Passagen dieses Gesetzes Zustimmung signalisiert hat. Worum geht es nun in dieser Dritten Novelle? Vier Punkte sind zu nennen. Erstens. Die Sicherheit genehmigungsbedürftiger Anlagen soll verbessert werden. Zweitens. Auch stillgelegte Anlagen - das ist ganz wichtig - sollen zukünftig in den Gefahrenschutz einbezogen werden. Drittens. Die von Ihnen sehr heruntergespielte und im Grunde abgelehnte Kompensationsmöglichkeit, ({2}) Herr Abgeordneter Schütz, soll verbessert werden. Das ist für uns unverzichtbar. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Viertens. Der gebietsbezogene Immissionsschutz wird aktualisiert. Worum geht es nun im einzelnen, wenn dies die vier wichtigen Änderungen in dieser Dritten Novelle sind? ({3}) Die Sicherheit von Anlagen soll verbessert werden, auch durch Betreiber, und zwar mit einer eigenen Überwachung. Die Verantwortung wird hiermit - was wichtig ist - in die Betriebe gelegt. Ein Störfallbeauftragter kann und muß unter bestimmten Voraussetzungen vom Betreiber selbst bestellt werden. Vom Betreiber kann auch verlangt werden, sicherheitstechnische Prüfungen durch unabhängige Sachverständige durchführen zu lassen. Beim Bundesumweltminister soll eine Störfallkommission gebildet werden sowie ein Technischer Ausschuß mitberaten. Er soll insbesondere auch Vorschläge für sicherheitstechnische Regeln erarbeiten. Meine Damen und Herren, daß Anlagen in der Gefährdungsmöglichkeit auf Dritte nachwirken können, selbst wenn die Betriebe stillgelegt sind, leuchtet voll ein und deckt eine Lücke ab. ({4}) Der Gesetzentwurf spricht hier u. a. von Meldepflichten. Wir begrüßen ausdrücklich diese wichtige Verbesserung. Das Gesetz führt mit Sicherheit für die Wirtschaft, für Firmen und Betreiber - auch das sollte man, meine ich, in angemessener Weise bedenken -, zu höheren finanziellen Belastungen. Diese Belastungen sind aber - das erkennen wir an - im Interesse des Gleichgewichts zwischen Ökologie und Ökonomie unverzichtbar. Wir halten sie für vertretbar. Wichtig ist - ich komme darauf kurz zurück - die vorgesehene Änderung des § 7, der mehr zu den Kompensationsmöglichkeiten sagt, als bisher im Gesetz vorgesehen war. ({5}) Darin sehen wir unter dem Strich bei Abwägung der Immissionen eine wichtige und spürbare Verbesserung. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Meine Damen und Herren, der gebietsbezogene Immissionsschutz wird aktualisiert. Die Novelle sieht Luftreinhaltepläne, Luftminderungspläne und Untersuchungsgebiete vor. Die zuständigen Straßenverkehrsbehörden können über das, was bisher möglich war, auch zu Einschränkungen oder Verboten der Benutzung von Kraftfahrzeugen kommen. Meine Damen und Herren, wir werden zügig beraten; wir werden eingehend beraten, und zwar auch über die Vorschläge, die Sie ergänzend hier zur Diskussion gestellt haben. ({6}) Das Gesetz wird in dieser Legislaturperiode kommen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Brauer.

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst feststellen, daß Herr Minister Töpfer heute hier nicht anwesend ist, obwohl das Bundesimmissionsschutzgesetz und seine Novellierung der große Wurf der Bundesregierung sein sollen. ({0}) Ich glaube, Herr Töpfer hat auch ganz guten Grund, hier abzutauchen - vielleicht ist er wieder auf die andere Seite des Rheins geschwommen -, ({1}) weil nämlich diese Gesetzesnovellierung die entscheidenden Probleme der Luftreinhaltepolitik überhaupt nicht anpackt. Einige will ich hier exemplarisch nennen: Nach wie vor haben die Anlagenbetreiber das Recht auf Luftverschmutzung, zu Lasten der Allgemeinheit, zu Lasten der Nachbarschaft und zu Lasten der Natur. Luft, Wasser und gesunde Nahrung sind das kostbarste Allgemeingut! ({2}) - Wir haben unseren eigenen Gesetzentwurf; Sie werden das in vierzehn Tagen sehen. Nach wie vor haben die Betreiber einen Rechtsanspruch auf Genehmigung, wenn sie die Antragsunterlagen vollständig vorlegen und die Grenzwerte einhalten. Die Genehmigung gilt quasi bis in alle Ewigkeit. Priorität darf doch nicht das Bestandschutzinteresse der Wirtschaft haben, sondern Priorität ist doch das Grundrecht auf saubere Luft. Deshalb müssen die Genehmigungsbehörden ein Versagungsermessen bekommen, und die Genehmigungen sind zu befristen. Ähnliches gibt es ja auch schon im Wasserhaushaltsgesetz. Eine Befristung zwingt die Betreiber schon von vornherein zur Anwendung der neuesten und ökologisch besten Techniken. Wenn der ökologische Umbau der Industriegesellschaft gelingen soll, Herr Schäfer, dann müssen wir doch jetzt schon im Bundes-Immissionsschutzgesetz befristete Genehmigungen vorsehen. ({3}) Wir streiten uns dann über die Fristen und über die Wiedergenehmigungsmodalitäten. Nach wie vor gibt es eine schleichende Anreicherung von Giften in der Umwelt und im Menschen, über deren Zukunftsgefahren selbst die Wissenschaft keine verläßlichen Aussagen machen kann. Die Wirkungen dieser langlebigen Anreicherungsgifte sehen wir doch heute schon: Krebs, Allergien, Verseuchung der Muttermilch, Immunschwäche, Vitalitätsverluste usw. Für dieses Problem kann es doch nur eine einzige Lösung geben: die Null-Emission. Damit wird gleichzeitig der Zwang zur Produktion umweltfreundlicher Güter geschaffen. Nach wie vor ist die Pflicht zur Abwärmenutzung de facto unverbindlich und hat bisher zu keinerlei Konsequenzen geführt. Immer noch gehen zwei Drittel der Energie als Abwärmeabfall verloren. Die Anlagenbetreiber müssen obligatorisch verpflichtet werden, die ungenutzte Wärme der Allgemeinheit zugute kommen zu lassen, ({4}) Kraft-Wärme-Kopplung usw. Daß nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz selbst Nachbarn keinen Rechtsanspruch darauf haben, über Art und Umfang der Schadstoffe, die sie vergiften, informiert zu werden, bleibt ein Skandal. Das ist die gängige deutsche Rechtsprechung, wie dies wieder das sogenannte Papierfabrik-Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom Januar 1989 belegt hat. Das heißt auch: Die Verwaltungstätigkeit soll weiterhin vom Grundsatz der Geheimhaltung geprägt sein. ({5}) Ein Skandal! Meine Damen und Herren, die meisten Änderungen sind marginal. Es mutet geradezu lächerlich an, wie großspurig Herr Töpfer mit den paar Fetttröpfchen auf seiner ganz mageren, dünnen Gesetzessuppe umgeht. Da wird das Bundes-Immissionsschutzgesetz durch ein paar publizistische Geschmacksverstärker kurzerhand zu einem Anlagensicherheitsgesetz hochstilisiert. Die Anordnungen zu sicherheitstechnischen Prüfungen sind reine Kann-Bestimmungen. Ein Technischer Ausschuß für Anlagensicherheit - mit völlig einseitiger Zusammensetzung - soll geschaffen werden. Die Vertreter der tatsächlich betroffenen Bevölkerung werden ebenso außen vor gelassen wie die Natur- und Umweltschutzverbände, von der Gewerkschaft erst gar nicht zu reden. Der BUND hat deshalb sogar die Verfassungsmäßigkeit angezweifelt. Es stellt sich die Frage, warum Minister Töpfer die Grundprobleme bei der Novellierung nicht anpackt. Nachdem in der Bevölkerung deutlich geworden ist, daß er redet, redet, redet und nicht handelt, will er wenigstens mit dieser Novelle den Eindruck des Handelns erwecken. Aber auch hier erkennen die Menschen, was Substanz und was laue Luft ist. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das deutsche Bundes-Immissionsschutzrecht ist in der Welt im Vergleich zu anderen Staaten Westeuropas, im Vergleich zu den USA eigentlich sehr gut. Die Amerikaner haben jetzt einen Clean Air Act vorgelegt. Dieser Clean Air Act hat bei den Großfeuerungsanlagen nur halb so strenge Grenzwerte, wie wir sie jetzt realisiert haben. ({0}) Also, bitte, sehen wir deutlich: Wir haben eines der besten Immissionsschutzrechte der Welt, von Osteuropa überhaupt nicht zu reden. ({1}) - Sie machen ja immer nur Katastrophenszenarien. ({2}) - Wir haben es auch fortentwickelt; das ist kontinuierlich geschehen. Diese Katastrophenszenarien, Herr Brauer, bringen überhaupt nichts.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es gibt sicher bessere Methoden, um die allgemeine Zustimmung zum Ausdruck zu bringen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben sehr sorgfältig erarbeitete Berichte, z. B. den vierten Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, aus dem sich ergibt, was hier geleistet worden ist, welche Emissionen verringert worden sind. Das ist erheblich. ({0}) Ich empfehle diese Berichte und auch den Ausblick des Umweltbundesamtes bis 1995 zur Lektüre. Dennoch reicht das nicht, ({1}) insbesondere bei den Kohlendioxidemissionen. Wir werden jetzt nicht nur dieses Gesetz der Bundesregierung beraten, sondern wir erwarten auch Vorschläge zur Reduzierung des Energieverbrauchs und zur effizienteren Energienutzung. Aber diese Novelle ist eine gute Grundlage zur Fortentwicklung des Immissionsschutzrechtes. All diese Probleme mit der Abwärmenutzung, Herr Schütz, die Sie genannt haben, sind ja nicht so leicht zu lösen. Wir haben ja 1985 darüber diskutiert; da gibt es doch Probleme. Da gibt es die Frage des Kontrahierungszwanges, ({2}) der Versorgungssicherheit. ({3}) Es gibt erhebliche praktische Probleme. Wir sind doch nicht böswillig, sondern wir haben Ihnen nur die praktischen Probleme vor Augen geführt. Und was wollen Sie mit den befristeten Genehmigungen? Jemand baut - mit sehr viel Geld - eine moderne neue Anlage, und dem wollen Sie eine befristete Genehmigung zumuten. ({4}) Der geht in die Niederlande, nach Luxemburg oder nach Belgien. ({5}) - Herr Brauer, daß Ihnen das wirtschaftliche Funktionieren nicht so nahe liegt wie uns, ({6}) sondern daß Sie Umweltschutz losgelöst von einer funktionierenden, effizienten Wirtschaftsordnung betreiben wollen, ist mir seit langem klar. ({7}) - Ich meine die GRÜNEN. Herr Schütz, wir gucken uns das alles noch einmal an, ({8}) was der Bundesrat vorgeschlagen hat. ({9}) Wir fangen mit den Beratungen jetzt erst an. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Vorschläge. Dann werden wir feststellen: Was kommt für den Umweltschutz heraus, und was ist nicht realisierbar, was ist heiße Luft? Machen Sie doch bitte ein Rechtssystem, ein Rechtsinstrumentarium, an dem Sie mitgewirkt haben und an dessen Umsetzung Sie in den Ländern - Sie haben soeben Nordrhein-Westfalen genannt - Tag für Tag aktiv beteiligt sind, nicht schlecht. Wir haben doch Erhebliches geleistet. Ich habe noch im Ohr, was Ihr Umweltminister Matthiesen für Nordrhein-Westfalen gesagt hat. ({10}) Ich mache mir das zu eigen. Also werfen Sie der Bundesregierung doch nichts vor, was nicht gerechtfertigt ist. ({11}) Die Novelle enthält viele Dinge, die für uns Liberale wichtig sind, die wir seit langem gefordert haben. Die Kompensationslösung ist jetzt hineingeschrieben worden, weil die frühere Lösung nicht funktionierte. ({12}) Die Kompensationslösung an sich ist doch ein marktwirtschaftlicher Weg. ({13}) Und jetzt müssen wir gemeinsam fragen - ich stelle mich dieser Diskussion - : Bringt diese Kompensationslösung etwas oder bringt sie nichts? ({14}) Diese Diskussion werden wir führen. Sie lehnen Kompensationslösungen doch hoffentlich nicht ab. ({15}) Wo sind denn die verbindlichen Luftreinhaltepläne, die wir immer gefordert haben? ({16}) - Prima. Nicht alles, was ich sage, ist gegen Sie gerichtet. ({17}) Die verbindlichen Luftreinhaltepläne waren bisher nicht möglich. Wir haben sie seit langem gefordert, und jetzt kommen sie. Das Instrumentarium wird also verbessert und verfeinert. Über weitere Dinge können wir uns unterhalten. Aber die Novelle ist insgesamt eine Verbesserung des vorhandenen Instrumentariums. Es ist schade, daß wir an einem Freitag ({18}) am Ende einer Arbeitswoche über zwei zentrale Rechtsgebiete des Umweltschutzes, Bundes-Immissionsschutzgesetz und Abwasserabgabengesetz, reden müssen. ({19}) Diese Materien hätten wirklich mehr Zeit verdient. Auch die Öffentlichkeit sollte diesen Novellierungen mehr Aufmerksamkeit schenken als manchem aufgeregten Tagesproblem in der Umweltpolitik. Hier wird wirklich etwas gemacht. ({20})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir sind jetzt am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf, der Ihnen auf der Drucksache 11/4909 vorliegt, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies beschlossen. Vizepräsident Cronenberg Ich rufe nunmehr Punkt 13 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes - Drucksache 11/4942 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Der Ältestenrat schlägt Ihnen auch hier eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Widerspruch erhebt sich dagegen nicht. - Dann ist dies beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Harries. ({1})

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln jetzt das zweite wichtige Gesetz, wie der Kollege Baum mit Recht vorgetragen hat. Gemäß der Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre 1987 wird auch dieses Gesetz, das für unsere Bevölkerung wichtig ist, zügig verabschiedet. ({0}) Meine Damen und Herren der Opposition, Sie wundern sich doch im Grunde sehr darüber, daß es uns im Umweltbereich gelingt, noch in dieser Legislaturperiode ein wichtiges Gesetz nach dem anderen zu verabschieden. Der Bundesumweltminister hat mit dieser Vorlage ein weiteres Versprechen verwirklicht. Wir haben alle vor einem Jahr intensiv über die Schäden in der Nord- und Ostsee diskutiert. Eine Ursache neben anderen für die rapide und dramatische Verschlechterung der Verhältnisse in der Nord- und Ostsee lag und liegt in der viel zu hohen Nährstoffeinleitung. Der Bundesumweltminister hat damals - wir haben darüber diskutiert - einen Zehn-Punkte-Katalog vorgelegt, dem Sie im Grunde zugestimmt haben und den Sie im Grunde auch als realistisch, richtig und notwendig anerkannt haben. Zu diesem Katalog gehört, daß die Einleitung von Phosphor und Stickstoff in unsere Gewässer verringert wird. Gerade diese Stoffe bewirken die Vermehrung der Algen und die bösen Folgen, die wir leidvoll zu beobachten hatten. Die Opposition wird zu diesem Gesetz sicher sagen, die Novelle zum Abwasserabgabengesetz komme zu spät und biete zu wenig. ({1}) Ich würde mir sehr genau überlegen, diesen Satz zu sagen. Er stimmt nämlich inhaltlich überhaupt nicht. Die Novelle kommt zum richtigen Zeitpunkt und auch mit den richtigen Akzenten. ({2}) Jede Novelle - Herr Kollege Kiehm, das wissen Sie als alter Fahrensmann doch viel besser ({3}) bedarf der Vorbereitung, bedarf der Prüfung, ({4}) ob der Stand der Technik eine Verwirklichung zuläßt. Diese vorbereitenden Arbeiten sind abgeschlossen. Das Gesetz kommt also zum richtigen Zeitpunkt und wird greifen. Was sieht das Gesetz vor? Erstens. Die Anforderungen an Abwassereinleitungen werden verschärft. Zweitens. Für erhöhte Abgaben muß der Einleiter zahlen. Drittens. Die Einleiter von Abwässern werden angehalten, zum Schutz der Gewässer zu investieren und die errichteten Anlagen auch nachträglich sorgfältig zu betreiben und zu unterhalten. Künftig muß deshalb für Phosphor und Stickstoff eine Abwasserabgabe gezahlt werden. Der Abgabesatz wird in zwei Schritten erhöht - das ist das Wesentliche - : zum 1. Januar 1991 nach Inkrafttreten des Gesetzes und nochmals zum 1. Januar 1993, jeweils um 10 DM auf insgesamt 60 DM. ({5}) - Verehrte Frau Garbe, Sie wissen es vielleicht nicht - deswegen sage ich es; auch die SPD-Fraktion wird noch darauf herumtrommeln und sagen: zu spät und zu wenig. Wir brauchen den Gleichklang zwischen Ökonomie und Ökologie. Wir können wirklich nicht immer nur die Maßnahmen sehen, die ökologisch wünschenswert sind, sondern wir brauchen die Technik, um ökologische Maßnahmen greifen zu lassen. Wir sollten anerkennen, daß vor allen Dingen die chemische Industrie durch dieses Gesetz ganz erheblich belastet wird. Wir sagen ja zu dieser Belastung. Wir meinen, daß das zumutbar ist, daß unsere Bevölkerung einen Anspruch darauf hat. Man muß aber wissen, daß es eine Belastung ist. Es gibt daher warnende Äußerungen aus der Industrie, gerade auch aus der chemischen Industrie. Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten - die Diskussion dauert an - ist intensiv über Umweltsteuern und Umweltabgaben diskutiert worden. Diese Abgabe in diesem Gesetz ist marktwirtschaftlich. Sie erhöht kaum die Staatsquote, aber sie bringt ein Instrumentarium zur Geltung, um den Verursacher, um den Einleiter zu verantwortlichen Maßnahmen zu veranlassen. Auch dieses Gesetz werden wir zügig aber ausführlich im Umweltausschuß und in anderen Ausschüssen beraten und in dieser Legislaturperiode zur Verabschiedung bringen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.

Günter Kiehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001092, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Kollege Harries, dann geht es nicht nur darum, dieses Gesetz so, wie es vorliegt, zu verabschieden. Das Einräumen einer angemessenen Beratungspflicht setzt vielmehr voraus, daß Sie sich bereit finden, ihre eigene Position kritisch zu überdenken, nachdem Sie jetzt das Gutachten von Hansmeyer und Schneider gelesen haben; ({0}) sonst macht nämlich die Debatte um diese Zeit und vor diesem leeren Saal überhaupt keinen Sinn. Mein Hauptanliegen will ich einmal zusammenfassen mit den Worten: Das Gesetz bringt nicht das, was nötig und was möglich ist. Sie selbst haben darauf hingewiesen - das stimmt ja - , daß eine ungeheure Vorbereitungszeit bei technischen Gesetzen erforderlich ist. Mein Ansatzpunkt der Kritik ist, daß an vielen Stellen dieses Gesetzes nach der Abgabegerechtigkeit und nach der Vollzugserleichterung gefragt wird. Aber auf der Strecke geblieben ist im Grunde genommen eine Möglichkeit, für einen verbesserten Umweltschutz etwas zu tun. Ich sage das nicht nur an die Adresse der Bundesregierung allein, sondern ich habe den Eindruck, daß heute bei vielen Administrationen - von wem sie auch bestimmt werden - auf Länderebene rechtliche Positionen wichtiger sind als umweltpolitische Positionen, die uns am Herzen liegen. ({1}) Nun will ich wenige Positionen sozusagen im Galopp aufzeigen. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß Phosphor und Stickstoff einbezogen werden müssen. Nur, ich täusche mich doch wohl nicht in der Annahme, daß wir das schon vor zwei Jahren verlangt haben. ({2}) - Herr Baum, Sie haben damals gesagt: Ich bin in der Sache der Meinung, nur muß ich mich der Koalitionsdisziplin beugen. Das will ich ja alles glauben. Aber nun, Herr Harries, auch noch zynischerweise zu schreiben, unsere seinerzeitige Forderung sei verfrüht gewesen, das kann doch wohl nur als Ironie bei der Abfassung dieses Gesetzes empfunden werden. ({3}) Dieses Gesetz kommt in dieser Weise zu spät. Ich fürchte nur, wir werden so lange Technik betreiben, bis draußen die Umwelt noch weiter stirbt. ({4}) - Es geht nicht um die Kläranlage, sondern es geht um die Art, wie Verschmutzungen aus Kläranlagen weiterhin mit marktwirtschaftlichen Mitteln unmöglich gemacht werden. Die Möglichkeiten, die Sie aus der Hand gegeben haben, werden Ihr eigenes Ziel gefährden, nämlich bis zum Jahre 1995 den Nährstoffeintrag zu halbieren. Das steht so im Gesetz, Herr Gröbl. Nun bitte ich Sie: Sie stellen sich hin als der Retter der Nordsee, und in den einfachsten technisch-politischen Verfahrensweisen versagen Sie. ({5}) Ich hoffe nur eines, nämlich daß das, was die Sachverständigen Hansmeyer und Schneider geäußert haben, Ihnen zumindest zu denken gibt, ob Sie sich nicht der Position der SPD anschließen sollten. Das, was die Höhe und die Aufrechnungsmöglichkeiten der Abgabe angeht, verliert ihren Wert als eine Maßnahme, die zusätzliche innovative Investitionen auslöst. Sie wird im Grunde genommen zu einer Verwaltungsapparatur, die eine Abgabe unter anderen ist. Sie machen nicht das möglich, was an sich nützlich wäre. Nun müssen Sie sich noch eines sagen lassen: Die Belastung der Industrie ist ebensowenig wegzudiskutieren wie die Belastung im Versorgungsbereich der Kommunen. Nur, lieber Herr Harries, wer hingeht und einen Wassergroschen, der das Verursacherprinzip aufweicht, bundesweit einführen will ({6}) mit immenser Belastung der Industrie, der hat kein Recht, zu sagen, die Abwasserabgabe sei zu hoch. ({7}) Ich will Ihnen das einmal an einem Beispiel aufzeigen. Der Haushaltsansatz in Baden-Württemberg beträgt für die Abwasserabgabe 20 Millionen DM. Für den Wasserpfennig müssen aus dem Bereich der Versorgungsunternehmen sowie der Industrie und des Gewerbes 110 Millionen DM aufgebracht werden. Sie könnten die Wirkungsweise der Abgabe erheblich verbessern, wenn Sie auf den albernen Wasserpfennig verzichten und statt dessen hier etwas tun würden. ({8}) Ich will mich jetzt nicht weiter mit Einzelheiten beschäftigen, sondern nur die Kollegen der Fraktion um eines bitten: Hansmeyer und Schneider sagen, daß nicht nur das Aufkommen neu überdacht werden muß. Vielmehr geben sie zu überlegen, ob nicht eine schwerpunktmäßige Förderung - nicht dieses Gießkannensystem - auch einen Beitrag dazu leisten kann, um insbesondere das Nordseeproblem zu lösen. ({9}) Das sollten wir gemeinsam berücksichtigen. Fazit: Es gab einmal die Überzeugung, das Wasserhaushaltsgesetz und das Abwasserabgabengesetz hätten mit ihrer Zangenwirkung eine besondere Bedeutung. Sie haben das Instrument der Abwasserabgabe mutwillig zerstört. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kiehm, ich möchte mich im Namen des Hauses für die Kürze Ihrer Ausführungen sehr herzlich bedanken. Wir haben dadurch Zeit gespart. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weise die Feststellung zurück; denn das Wasserabgabenrecht ist nicht zerstört worden, Herr Kollege Kiehm. Wenn Sie sich einmal ansehen, was die Rheinwasserwerke jetzt gerade in Ihrem Bericht für 1988 vorgelegt haben, dann können Sie sehen, daß sich die Wasserqualität nicht zuletzt wegen der Anreizwirkung der Abwasserabgabe verbessert hat. Machen wir das doch nicht schlecht, sonst zitiere ich Ihnen jetzt dauernd Herrn Matthiesen, der das in Nordrhein-Westfalen lobt. Ich trinke doch in Nordrhein-Westfalen Rheinwasser; mir ist doch wichtig, was die Rheinwasserwerke sagen. Sie sagen das, und ich erkenne das an. Wir haben in das Abwasserabgabengesetz 1976 ein bisher einmaliges vorbildliches Instrument eingeführt, nämlich eine Lenkungsabgabe, die das umweltfreundliche Verhalten hinsichtlich der Restverschmutzung aktivieren soll. ({0}) Das Gesetz ist nach und nach in seiner Wirkung abgeschwächt worden. Es wurde heftig bekämpft. Es wurde uns damals gesagt, das Gesetz sei viel zu schwach und es werde überhaupt nicht wirken. Das war falsch, das Gesetz hat gewirkt. ({1}) Aber es ist durch die Abgabesätze, die Inflationsrate schwächer geworden und durch andere Dinge in seiner Wirkung gesunken. Es fehlen die Parameter Stickstoff und Phosphor; das haben wir schon damals gesagt. Das kommt jetzt. Auch uns wäre es lieber gewesen, wenn das früher gekommen wäre. Natürlich, Herr Kiehm, die Bundesregierung muß bis 1995 die Schadstoffe halbieren. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, müssen das tun. Unsere Regierung hat sich verpflichtet. Das ist eine enorme Investitionsaufgabe, die sich hier u. a. den Gemeinden stellt. Wir sind der Meinung, daß die Novelle ganz dringend ist und daß sie wichtige Verbesserungen enthält. Im übrigen hat sich der Bundesrat in seinem Umweltausschuß zustimmend geäußert. Da gab es überhaupt gar keine andere Meinung. Das ist aber für mich in diesem Falle kein Maßstab, weil die Wasserverwaltungen der Länder für mich nicht unbedingt in allen Punkten des Gesetzes maßgebend sind. Da spielen andere Interessen eine Rolle. Wir haben also Mängel und Defizite. Natürlich ist das, was Hansmeyer und Schneider gesagt haben, sehr sorgfältig zu prüfen. Diese beiden Experten äußern sich grundsätzlich positiv zur Abwasserabgabe und heben ihre vollzugsunterstützende Wirkung hervor. Andererseits zeigen sie Schwachpunkte im politisch-administrativen Bereich auf. Ich frage mich: Warum gibt es Bundesländer, wo das Aufkommen der Abwasserabgabe so außerordentlich gering ist? ({2}) Wird da wirklich vollzogen oder wird das einfach liegengelassen? Warum funktioniert das Instrument da nicht mehr? Es gibt für mich auch Fragen, denen ich bei den Beratungen sehr sorgfältig nachgehen werde. Es sind die Regelungen über die Verrechnungen und Ermäßigungen. Da war ich letztens schon etwas mißtrauisch. Ich konnte mir kein Bild machen. Wenn diese ganzen Bonusregelungen, die da hineinkommen, letztlich dazu führen, daß das Gesetz zahnlos wird, dann würden wir einen Fehler machen. Deshalb werden wir das auch noch einmal daraufhin überprüfen. Hier haben wir also eine Lenkungsabgabe, ein wirklich marktwirtschaftliches Instrument. Wir wollen alle, wie ich das sehe, Lenkungsabgaben auch auf anderen Gebieten einführen. Also geben wir uns gemeinsam Mühe, daß dieses vorbildliche erste Instrument einer Lenkungsabgabe in seiner Wirkung verbessert wird. Das ist jedenfalls die Absicht nicht nur meiner Partei, sondern der Koalition und des Ministers, der hier unsere Unterstützung hat. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Alle Welt redet von Ökosteuern als dem Stein der Weisen. ({0}) Es gibt da ja aber noch das Instrument der Abgabe, z. B. die Abwasserabgabe, über die wir debattieren. ({1}) Die Zielsetzung der Abwasserabgabe damals vor 15 Jahren, also in der sozialliberalen Ära, war - ich zitiere - „eine wirksame Reinhaltung der Gewässer und eine gerechte Zuordnung der Kosten für die Vermeidung, die Beseitigung und für den Ausgleich der durch die Gewässerverschmutzung entstandenen Schäden". Erst 12 DM pro Schadeinheit, dann auf 40 DM ansteigend, wurde jedoch der Anreiz der Abwasserabgabe durch die Geldentwertung bis 1986 wesentlich reduziert. Der Abgabensatz hat sich dann gegebenenfalls noch nach den Bestimmungen des § 9 Abs. 5 des Abwasserabgabengesetzes halbiert, so daß mit Fug und Recht zu sagen ist: Das Abwasserabgabengesetz in seiner konkreten Ausgestaltung war nicht der Weisheit letzter Schluß, Herr Kollege Baum. Obwohl das Gesetz - das können wir heute auch sagen - damals im Umweltschutzbereich ohne Vorbild war - denn wegweisend wurden in ihm Ordnungsfunktion und ökonomische Anreize miteinander verzahnt - , ließ die politische Wirksamkeit hinsichtlich der Gewässergüte doch zu wünschen übrig. Wird nun die dritte Novelle des Abwasserabgabengesetzes der ihr zugedachten Aufgabe gerecht? Hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Wir GRÜNEN befürchten nein; denn nur scheibchenweise wird die Abgabe pro Schadeinheit auf 60 DM angehoben, und das auch erst ab 1. Januar 1993. 1974 hielt die damalige Bundesregierung in der Begründung des Abwasserabgabengesetzes einen Abgabensatz von 80 DM pro Schadeinheit für notwendig. In den letzten 15 Jahren ist fast alles teurer geworden, nur die Umwelt wird immer noch unter Preis verschleudert. So müssen wir die Vorlage des Umweltministers interpretieren. Nehmen wir die Schadstoffparameter: Erst das Umkippen von Teilen der Ostsee und erst der Algenteppich auf der Norsee haben es vermocht, in die Liste der Gewässerschadstoffe auch Stickstoff und Phosphor aufzunehmen. Viel zu spät. Herr Kiehm, Sie haben völlig recht: Die Forderung war längst gestellt. Daß andere Parameter immer noch in der Liste sind, ist hingegen schlimm. Zum Beispiel Cadmium: Der Minister muß wissen, wie stark unsere Ökosysteme mit Cadmium belastet sind, so daß uns unsere Lebensmittel täglich eine Fracht an Cadmium zuführen, die bereits über 50 % des ADI-Wertes liegt. Sie wissen, daß die Vögel an der Nordsee schon in leichten Hungersituationen sterben, wenn die im Gewebe deponierten Schwermetalle und langlebigen organischen Gifte mobilisiert werden. Solange die Produktion und Anwendung gefährlicher Stoffe gängige Praxis bleibt, kann es keine Entlastung der toxischen Gesamtsituation geben. Umweltschutz in erster Linie über die Verringerung der Schadstoffeinleitungen durch der Produktion nachgeschaltete Reinigungstechniken erreichen zu wollen, muß scheitern. Es wird lediglich eine Verlagerung von Schadstoffen vom Abwasser in den Klärschlamm, in den Abfall usw. vollzogen. So geht es nicht weiter. Für all die persistenten, mutagenen, kanzerogenen, terratogenen Stoffe muß es sofort Produktions- und/oder Gebrauchsverbote geben, nicht erst einen langsam wirkenden ökonomischen Anreiz zur Minimierung. ({2}) Der Ausstieg aus der Chlorchemie muß erfolgen; daran geht kein Weg vorbei. Erst dann kann es unseren Flüssen, erst dann kann es den Meeren, mit allem was darin und darauf lebt, besser gehen; uns dann natürlich auch. Wir werden unsere Vorstellungen für einen wirksamen Gewässerschutz in einem Änderungsantrag zur Novelle des Abwasserabgabengesetzes darlegen. Aus Zeitgründen möchte ich auf eine Aufzählung unserer Forderungen hier und heute verzichten. Herzlichen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Novelle zum Abwasserabgabengesetz baut die Bundesregierung das marktwirtschaftliche Instrument der Abwasserabgabe weiter aus. Diese Abgabe schafft zusätzliche Anreize für die Einleiter, in Gewässerschutzmaßnahmen zu investieren, und sie ist ein Eckpfeiler für die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips im Gewässerschutz. Um es zu verdeutlichen: Die Abwasserabgabe ist eine Lenkungsabgabe. Sie führt zu privaten und kommunalen Investitionen für mehr Umweltschutz. Sie ist keine, meine Damen und Herren von der SPD - DIE GRÜNEN werden darauf eh nicht eingehen - , ökologisch getarnte Quelle des Fiskus. ({0}) - Das ist doch das Problem Ihres Konzepts. ({1}) - Das ist meine Behauptung von Ihrem Konzept. ({2}) - Nein. Der Anreiz der Abwasserabgabe als ökonomisches Instrument wirkt in zweifacher Weise: Der Einleiter soll auch ohne ordnungsrechtlichen Zwang möglichst schnell die dritte Reinigungsstufe einführen, d. h. er soll in die Phosphatfällung investieren und den Stickstoff aus dem Abwasser entfernen, und er soll möglichst umgehend die gefährlichen Stoffe nach dem Stand der Technik verringern. Der Einleiter soll darüber hinaus - schon im wirtschaftlichen Eigeninteresse - die errichtete Anlage so betreiben, wie es die wasserrechtliche Erlaubnis vorschreibt. Wer diese ordnungsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt, zahlt stark erhöhte Abgaben. Dies wirkt zusätzlich und schneller als die verwaltungs- oder strafrechtlichen Sanktionen. Der Gesetzentwurf enthält vier wesentliche Elemente. Erstens. Vom 1. Januar 1991 an muß auch für die Einleitung von Phosphor und Stickstoff Abwasserabgabe gezahlt werden. Über die Funktion von Phosphor und Stickstoff hat Kollege Harries bereits gesprochen. Zweitens. Der Abgabesatz wird für alle Schadstoffe von jetzt 40 DM in zwei Schritten um jeweils 10 DM am 1. Januar 1991 und am 1. Januar 1993 auf dann 60 DM angehoben. Hierdurch wird vor allem der Anreiz für höhere Investitionen verstärkt. Andererseits werden wenigstens vorübergehend mehr Mittel für den Gewässerschutz zur Verfügung stehen. ({3}) Wir müßten uns ja eigentlich wünschen, daß diese Mittel in geringem Umfang aufkommen, weil es dann ein Zeichen dafür wäre, daß die Gewässer sauber und gesund sind. ({4}) - Ich weiß schon: Sie wollen Geld sehen und das Geld dann wieder weiterverteilen. Drittens. Der Abgabesatz wird auf ein Viertel reduziert, wenn die Anforderungen der Abwasserverwaltungsvorschriften eingehalten werden. Viertens. Diesem Ziel dient auch das Element: Die Investitionen für die notwendigen GewässerschutzParl. Staatssekretär Gröbl maßnahmen können nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll mit der drei Jahre vor Inbetriebnahme der neuen oder erweiterten Abwasserbehandlungsanlage fällig gewordenen Abgabe verrechnet werden. Niemand wird sich in Zukunft darauf berufen können, wegen der Abgabenzahlung fehlten die Mittel für Gewässerschutzinvestitionen. Außerdem soll die Regelung so ausgestaltet werden, daß sich der Verwaltungsaufwand bei der Ermittlung der Verrechnungsgrundlagen vermindert. ({5}) - Sie müssen nur aufpassen. Wenn Sie nämlich zuhören, dann werden Sie auch den roten Faden entdekken. Das wäre für Sie schon ganz gut. ({6}) - Den kriegen Sie auch noch. Der Gesetzentwurf verstärkt das marktwirtschaftliche Instrumentarium, er bringt neue wirtschaftliche Anreize für Investitionen in den Umweltschutz. Er erfaßt alle heute im Gewässerschutz problematischen Stoffe: sauerstoffverbrauchende Stoffe, Schwermetalle, organische Halogenverbindungen, Nährstoffe und Fischgifte. Frau Garbe, nun ein Wort zu Ihnen. Sie haben ja noch nicht einmal das alte Gesetz richtig gelesen, geschweige denn unseren Gesetzentwurf. Wie kommen Sie denn darauf, daß Cadmium ausgespart ist? Cadmium ist in der Tabelle aufgeführt. Ich will es Ihnen schriftlich geben. ({7}) - Sie haben moniert, es sei in den Parametern nicht aufgeführt. Richtig ist: Es ist in den Parametern enthalten. ({8}) Dann erzählen Sie doch hier bitte nicht das Gegenteil. Dieser Gesetzentwurf reizt unmittelbar zur Vermeidung bzw. Verminderung der Schadstoffe an der Quelle und zum Ausbau der Kläranlagen an. Er bringt aber auch ein Stück Verwaltungsvereinfachung und ein Stück Transparenz für Wirtschaft und Kommunen, die unser politisches Ziel, unsere Gewässer rasch und konsequent weiter zu verbessern, verstehen und nachvollziehen können. Mit diesem Gesetzentwurf ist auch nicht nur ein wichtiger, sondern der letzte noch offene Punkt des Zehnpunkteprogramms erfüllt, das Minister Töpfer Mitte letzten Jahres verkündet hat. Innerhalb Jahresfrist sind die zehn Punkte erfüllt und von der Bundesregierung abgearbeitet worden. Der Bundesrat hat im ersten Durchgang gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen erhoben. Dies spricht dafür, daß der in breitem Konsens mit den Ländern erarbeitete Gesetzentwurf ausgewogen ist. Ich bitte den Deutschen Bundestag und seine Ausschüsse um eine zügige Beratung und Verabschiedung, damit das Gesetz so schnell wie möglich voll greifen und ein wichtiger Teil dieses Zehnpunkteprogramms zum Schutz der Nord- und Ostsee in die Praxis umgesetzt werden kann. Vielen Dank. Auf weitere gute Zusammenarbeit! ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir auch am Ende dieser Debatte. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/4942 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Andere Vorschläge werden offensichtlich nicht gemacht. Dann ist die Überweisung beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich möchte den drei oder vier Damen sowie den sieben Herren, die noch hier sind, herzlich für ihre Anwesenheit danken. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. September 1989, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.