Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich verlese zunächst amtliche Mitteilungen und bitte da um Ihre Zustimmung oder Ihren Widerspruch.
Frau Kollegin Pack hat am 8. September 1989 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als ihre Nachfolgerin hat Frau Schmidt ({0}) am 9. September 1989 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich.
({1})
Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes ist der Herr Abgeordnete Beckmann als stellvertretendes Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion der FDP schlägt als Nachfolgerin die Frau Abgeordnete Seiler-Albring vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Frau Kollegin Seiler-Albring als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.
Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ist der Abgeordnete Bohl als ordentliches Mitglied ausgeschieden. Er wird von der Fraktion der CDU/CSU nunmehr als stellvertretendes Mitglied an Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Seiters vorgeschlagen. Als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß schlägt die Fraktion der CDU/CSU Herrn Abgeordneten Dr. Rüttgers vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Dr. Rüttgers als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Bohl als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Aus dem Wahlprüfungsausschuß ist Herr Abgeordneter Beckmann als stellvertretendes Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion der FDP schlägt als Nachfolgerin Frau Abgeordnete Seiler-Albring vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist Frau Kollegin Seiler-Albring als stellvertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
-Drucksache 11/5115 -
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Streichung des Baugebietstyps „Reines Wohngebiet" aus der Baunutzungsordnung
-Drucksache 11/5052 -
3. Aussprache über die Fluchtbewegung aus der DDR
4. Aktuelle Stunde:
Kabinettsbeschluß zur Entsendung von Bundesgrenzschutz-Einheiten nach Namibia
Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 und die Zusatztagesordnungspunkte 1 und 2 auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte
- Drucksache 11/4793 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten zur Vermeidung der Doppelbe11986
Präsidentin Dr. Süssmuth
steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 11/4931 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 ({3})
- Drucksache 11/4908 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4})
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tierzuchtgesetzes
- Drucksache 11/4868 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5})
Ausschuß für Forschung und Technologie
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Schutz vor gefährlichen Stoffen und Zubereitungen
- Drucksache 11/5008 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
f) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung in die Veräußerung des Bundesanteils am „Oberen Mundatwald" gem. § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 11/5002 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
g) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der
bundeseigenen Wohnsiedlung in Dortmund-Eving, Hessische Straße, Schwäbische Straße, Preußische Straße, Pfälzische Straße und Osterfeldstraße
- Drucksache 11/5056 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
h) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der ehemaligen Vauban-Kaserne in Radolfzell, Steißlinger Straße 1
- Drucksache 11/5065 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
i) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Filmförderungsgesetz und zum Ergebnis der Verhandlungen mit den Fernsehveranstaltern privaten Rechts über deren Beitrag zur deutschen Filmförderung
- Drucksache 11/4500 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Innenausschuß
ZP1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
- Drucksache 11/5115 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({8})
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN
Streichung des Baugebietstyps „reines Wohngebiet" aus der Baunutzungsordnung
- Drucksache 11/5052 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({9})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung beschäftiPräsidentin Dr. Süssmuth
gungsfördernder Vorschriften ({10})
- Drucksache 11/4952 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({11}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({12})
- Wir haben festgestellt, daß sie noch nicht vertreten ist.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Vogt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere aus einem Schreiben des Landschaftsverbandes Rheinland an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom 14. Juni dieses Jahres:
Das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 hat der Landschaftsverband Rheinland u. a. in Form eines Sonderprogramms
({0})
zur „Beschäftigung von arbeitslosen Jugendlichen" umgesetzt. Im Rahmen dieses Programms stehen derzeit 54 Stellen zur Verfügung. Arbeitslose Jugendliche, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, können beim Landschaftsverband Rheinland für ein Jahr befristet beschäftigt werden. Gemäß § 1 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz läuft dieses Gesetz am 1. Januar 1990 aus.
({1})
Wie aus den Berichten der Tagespresse zu entnehmen ist, zeichnet sich jedoch eine Verlängerung dieses Gesetzes ab. Um die Personalplanung hierauf abstimmen zu können, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wie die derzeitigen Bestrebungen aussehen.
Wenn es nach Ihnen ginge, meine Damen und Herren von der SPD, hätten wir dem Landschaftsverband Rheinland antworten müssen: Stellen Sie das Programm für die arbeitslosen Jugendlichen ein; das Beschäftigungsförderungsgesetz wird nicht verlängert.
({2})
Das heißt, Sie, die SPD, würden diese 54 Jugendlichen arbeitslos machen.
({3})
Das wollen wir nicht. Darum legen wir heute das Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 vor.
({4})
Um der schwierigen Arbeitsmarktlage, Herr Kollege, Rechnung zu tragen, sind 1985 und 1986 im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes und durch Novellen zum Arbeitsförderungsgesetz und Schwerbehindertengesetz eine Reihe von Regelungen eingeführt worden, die Ende des Jahres oder 1992 auslaufen. Diese Regelungen haben sich im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als erfolgreich erwiesen.
({5})
Sie sollen deshalb nach dem Willen der CDU/CSU und der FDP bis Ende 1995 verlängert werden.
Im Zentrum des Gesetzentwurfs steht die vorgesehene Verlängerung der Erleichterung beim Abschluß befristeter Arbeitsverträge. Wir sind der Auffassung, daß sich gerade diese Regelung bewährt hat. Sicher, der befristete Arbeitsvertrag ist nicht der Königsweg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das haben wir auch nie behauptet.
({6})
Aber er hat sich als Brücke aus der Arbeitslosigkeit in ein Beschäftigungsverhältnis erwiesen. Weiterhin gilt, lieber befristet Arbeit zu haben, als unbefristet arbeitslos zu sein, meine Damen und Herren.
({7})
Dieser befristete Arbeitsvertrag ist ein erfolgreicher Teil eines Gesamtkonzepts, mit dem wir erreicht haben, daß die Beschäftigung auf nunmehr 27,7 Millionen Erwerbstätige kletterte. Das ist ein Nachkriegsrekord und bedeutet allein im Vergleich zum August 1988 eine Zunahme von 360 000 Beschäftigungsverhältnissen.
({8})
Seit rund zwei Monaten liegt der Abschlußbericht des Wissenschaftszentrums Berlin über die Auswirkungen der Befristungsregelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes vor.
({9})
Das Institut hat einen Teil der Annahmen, von denen wir 1985 ausgegangen sind, korrigiert. Die Untersuchung stellt aber der Prognosefähigkeit der SPD ein verheerendes Urteil aus.
({10})
Von dem, was Sie vorhergesagt haben, ist nichts, überhaupt nichts eingetreten, meine Damen und Herren.
({11})
Wir erinnern uns an die Debatte - lesen Sie einmal nach, Herr Kollege - vom 19. April 1985. Der Kollege Dreßler versuchte sich damals als Seher, als Hellseher. Aber der Versuch ist kläglich gescheitert; denn er hatte nur demagogische Parolen zu bieten. Er ließ viel heiße Luft ab.
({12})
Vogt ({13})
Das Wissenschaftszentrum Berlin kommt nämlich in seinem Bericht zu einer insgesamt positiven Bewertung: Die befristeten Arbeitsverhältnisse nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz haben sich als Einstieg in ein Dauerarbeitsverhältnis bewährt.
({14})
Die Übernahmequote bei den nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz eingestellten Arbeitnehmern in eine unbefristete Beschäftigung beträgt immerhin 56 % im Verhältnis zu den sonstigen Befristungen mit rund 25 %. Diese Zahlen sprechen für sich. Hinter diesen Zahlen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen Menschen, die wieder Arbeit gefunden haben, die den Kündigungsschutz voll in Anspruch nehmen können. Diesen Menschen haben wir geholfen.
Das Wissenschaftszentrum hat in Zusammenarbeit mit Infratest München die Arbeitnehmer und die Arbeitsuchenden selbst nach den Auswirkungen der Befristungsregelung gefragt. Anders als die SPD reden wir nämlich nicht über die Arbeitnehmer, sondern fragen sie nach ihren Erfahrungen und ihren Bedürfnissen.
({15})
Die Arbeitnehmer widerlegen die SPD, Herr Kollege Schreiner. O-Ton Rudolf Dreßler, April 1985:
Was Sie anstreben, ist die völlige Zersplitterung der Belegschaften, in denen ein Kampf jeder gegen jeden herrschen wird.
({16})
- Es hätte fast so sein können, Herr Kollege. - Aber was sagen die Arbeitnehmer selbst? Fast 80 % der Arbeitnehmer, die nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz Arbeit gefunden haben, verneinen auf Grund ihrer Erfahrungen ausdrücklich, daß sie mehr Leistung im Betrieb als ihre Kollegen mit unbefristetem Arbeitsvertrag hätten erbringen müssen.
({17})
Nur 11 % der betroffenen Arbeitnehmer hatten den Eindruck, sie müßten eine höhere Leistung erbringen.
Heiße Luft auch Ihre angebliche Prognose von den gespaltenen Belegschaften, von den Arbeitnehmern erster und zweiter Klasse, von der Rotation zwischen Arbeitslosigkeit und Arbeit. Nur eine Minderheit von 17 % der befristet beschäftigten Arbeitnehmer hat in ihrem Betrieb die Erfahrung gemacht, daß man mit befristetem Arbeitsvertrag seine Rechte als Arbeitnehmer schlechter wahrnehmen kann als die Kollegen mit unbefristetem Arbeitsvertrag. Immerhin zwei Drittel der Betroffenen hat gerade dies ausdrücklich verneint.
Noch geringer ist der Anteil derer, die meinen, ihre befristete Beschäftigung wirke sich negativ auf ihr berufliches Fortkommen aus. Überhaupt nur 6 % der befristet Eingestellten hatte diesen Eindruck. Im Gegenteil, rund 57 % erwarteten positive Auswirkungen für ihren künftigen Berufsweg.
Meine Damen und Herren, ein besonders übles Spiel haben Sie, die Sozialdemokraten, gegenüber den Schwerbehinderten, den Wehrpflichtigen und den werdenden und jungen Müttern gespielt, die einen besonderen Kündigungsschutz haben. Auch hier wurden Ihre angeblichen Prognosen von der Wirklichkeit weggespült. Ich zitiere das Institut wörtlich:
Zugleich entkräften die Untersuchungsergebnisse weitgehend die Annahme, befristete Arbeitsverträge würden von den Unternehmen zur Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes für bestimmte Arbeitnehmergruppen, nämlich Schwerbehinderte, Wehrpflichtige, werdende und junge Mütter genutzt.
Bezogen auf alle Neueinstellungen weisen Frauen mit 41 To einen nur geringfügig höheren Befristungsanteil auf als Männer mit 40 %. Bei den Übernahmequoten hinsichtlich unbefristeter Arbeitsverhältnisse schneiden Frauen im Vergleich zu den Männern sogar besser ab.
Noch etwas. Gerade junge Frauen erhalten nicht häufiger als gleichaltrige Männer befristete Arbeitsverträge. Die Untersuchung widerlegt also die Behauptung der SPD, die Erleichterung beim Abschluß befristeter Verträge würde gezielt zur Umgehung des Mutterschutzes eingesetzt.
Schließlich ist von Ihnen immer wieder behauptet worden, gerade Berufsanfänger würden im Anschluß an ihre Berufsausbildung in erheblichem Maß nur noch befristet übernommen werden. Sie können die ermittelten Zahlen nachlesen. Die Untersuchung widerlegt auch diese Behauptung.
Ich komme zu Ihrer folgenschwersten Fehlprognose, nämlich der Behauptung, das Beschäftigungsförderungsgesetz schaffe keinen einzigen Arbeitsplatz. Die Institute haben auf Grund der Befragung der Betriebe und der Arbeitsvermittler folgende Zahlen ermittelt: Es sind bis heute hochgerechnet rund 150 000 unbefristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen worden, zu denen es ohne das Beschäftigungsförderungsgesetz nicht gekommen wäre. Das heißt, wenn wir Ihrem Rat gefolgt wären, hätten 150 000 Frauen und Männer keinen Arbeitsplatz mit vollem Kündigungsschutz. Ihr Rat war falsch; Ihr Rat war unsozial, und wir werden auch zukünftig Ihrem Rat nicht folgen, meine Damen und Herren.
({18})
Zu dem beachtlichen Beschäftigungszuwachs, zu dem beachtlichen Beschäftigungseffekt des Beschäftigungsförderungsgesetzes hat die insgesamt gute und seit sieben Jahren günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung beigetragen. Aber diese günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist ja nicht zufällig eingetreten. Sie ist entscheidend auf die von dieser Bundesregierung geschaffenen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Gerade das BeschäftigungsfördeVogt ({19})
rungsgesetz hat diese Rahmenbedingungen verbessert, meine Damen und Herren.
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Ich bedauere es, daß nach den vom Wissenschaftszentrum ermittelten Ergebnissen in manchen Fällen die Arbeitgeber die Befristungsmöglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes auch dazu genutzt haben, Arbeitsverträge zu befristen, die sie ansonsten von vornherein unbefristet abgeschlossen hätten.
Wir haben immer wieder betont, daß der unbefristete Arbeitsvertrag das sozialpolitisch erwünschte Arbeitsverhältnis ist und bleiben muß. Aber um auch dies zu korrigieren: Das Wissenschaftszentrum Berlin hat ermittelt, daß in diesen Fällen immerhin zwei Drittel der Arbeitnehmer anschließend in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen worden sind, wobei zu dem verbleibenden Drittel der nicht übernommenen Arbeitnehmer auch diejenigen gehören, die an einer Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses von sich aus nicht interessiert waren.
Auch ist es keineswegs so, daß eine unbefristete Einstellung von vornherein eine dauerhafte Beschäftigung bedeutet. So dauerte nach der Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Jahre 1983 von allen insgesamt 5,8 Millionen neubegründeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nur knapp die Hälfte länger als ein Jahr.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort an Sie von der SPD. Im öffentlichen Dienst wird heute - das hat die Untersuchung ebenfalls gezeigt - bereits jede zweite Neueinstellung befristet abgeschlossen. Sie bestimmen doch in Ländern und Kommunen in entscheidendem Umfang über diese Einstellungen selbst mit. Es ist nicht redlich, in der Privatwirtschaft das undifferenziert zu kritisieren, was Sie in Ihrer eigenen Zuständigkeit ebenfalls und noch viel deutlicher praktizieren.
({21})
Lassen Sie mich abschließend noch zu einigen Regelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1990 etwas sagen. Denn durch dieses Gesetz sollen auch Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes im Schwerbehindertengesetz und im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz für den Zeitraum bis 1995 verlängert werden. Ich nenne sie in Stichworten.
Im Arbeitsförderungsgesetz sollen verlängert werden: erstens die unentgeltliche Vermittlung in berufliche Ausbildungsstellen im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit, zweitens die Förderung von Arbeitslosen unter 25 Jahren in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen ohne Anrechnung von Einkommen bereits nach vier Monaten beitragspflichtiger Beschäftigung, drittens die Förderung der Teilnahme von Arbeitslosen unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgängen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses und an allgemeinbildenden Kursen zum Abbau von beruflich schwerwiegenden Bildungsdefiziten, viertens die Förderung der Teilnahme Jugendlicher unter 25 Jahren an beruflichen Bildungsmaßnahmen im Teilzeitunterricht durch ein Teilunterhaltsgeld, fünftens die Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer nach Betreuung und Erziehung eines Kindes durch ein Teilunterhaltsgeld, sechstens die Senkung des Mindestalters für die Zuweisung in Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung für ältere Arbeitnehmer auf 50 Jahre, siebtens der erleichterte Bezug von Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und sich verpflichten, zum frühestmöglichen Zeitpunkt Altersruhegeld zu beantragen, und achtens die Verlängerung der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe.
Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geht es um die Verlängerung der zulässigen Höchstdauer der Arbeitnehmerüberlassung auf sechs Monate und im Schwerbehindertengesetz um die Doppel- und die Mehrfachanrechnung von schwerbehinderten Auszubildenden auf Pflichtplätze.
Meine Damen und Herren, neu - darauf möchte ich hinweisen - ist die Regelung der sogenannten Kollegenhilfe. Wenn ein Betrieb an sich Arbeitnehmer entlassen müßte oder sie kurzarbeiten lassen müßte, gibt es manchmal die Möglichkeit, die - bessere - Alternative, die Arbeitnehmer des Betriebes dem Betrieb eines Kollegen zu überlassen und dort zu beschäftigen. Schon jetzt können Tarifverträge das ohne die Beschränkungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zulassen.
Gibt es keinen entsprechenden Tarifvertrag, ist für kleinere Betriebe, insbesondere des Handwerks, das Erlaubnisverfahren des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu förmlich und zu aufwendig. Doch gerade in diesem Bereich bieten sich entsprechende Kollegenhilfen an. Deswegen soll an Stelle des Erlaubnisverfahrens die Anzeige der Überlassung ausreichen. Das trägt im Interesse der Arbeitnehmer dazu bei, angestammte Arbeitsplätze zu erhalten und somit Arbeitslosigkeit zu verhindern. Das ist sicherlich eine Maßnahme zugunsten und im Interesse des Handwerks.
({22})
Meine Damen und Herren, durch den Gesetzentwurf wird eine Vielzahl von spezifischen Regelungen, die bisher der Beschäftigungsförderung gedient haben, auf Zeit gesichert. Diese Regelungen haben zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen und den einzelnen Arbeitslosen in ihrer Situation konkret geholfen.
Diese Regelungen entsprechen den Bedürfnissen der Praxis. Sie sind aus dem gesunden Menschenverstand heraus begründet. Sie sind nicht Ausdruck von Ideologie. Sie helfen den Arbeitslosen. Sie zeigen, daß die Bundesregierung die Arbeitslosen nicht ihrem Schicksal überläßt.
Ich danke Ihnen.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Vogt hat soeben als Abgeordneter gesprochen. Jetzt sitzt er auf der Regierungsbank.
({0})
- Er ist sehr flexibel, und das erwarten Sie auch von den Arbeitnehmern. Sie wollen nämlich gar nicht, daß der Arbeitnehmer gesicherte, verläßliche Arbeitsverhältnisse hat, sondern Sie wollen ihm ein Leben voller Erlebnisse verschaffen:
({1})
mit Heuern und Feuern, ohne sicheren Arbeitsplatz, sondern zwischendurch immer einmal wieder Arbeitslosigkeit. Das finden Sie toll für den Arbeitnehmer,
({2})
weil Sie es gut finden für den Unternehmer.
Der Herr Vogt hat sehr viel von der SPD und von „heißer Luft" gesprochen.
({3})
Mich hätte auch einmal interessiert, was er als CDA-Vertreter zu Herrn Fink meint
({4})
und was er zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer in der CDU meint. Davon habe ich nichts gehört. Auf aktuelle Ereignisse können Sie offenkundig nicht eingehen.
Meine Damen und Herren, Sie haben mit der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund mit der Ausweitung des menschenunwürdigen Verleihens von Beschäftigten die Arbeitswelt konkret verschlechtert. Sie haben dem Normalarbeitsverhältnis den Kampf angesagt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Aber gerne, ja.
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, wir wollten den Arbeitnehmern eine Erlebniswelt verschaffen und sie heuern und feuern? Wissen Sie eigentlich, daß 80 % der Arbeitsverhältnisse langfristig stabil sind und daß die Unternehmen allesamt froh sind, wenn sie ihre Arbeitskräfte, die sie mit großer Sorgfalt ausgebildet haben und die eigentlich längst in die Partnerschaft integriert sind, langfristig beschäftigen können? Warum nehmen Sie das gar nicht zur Kenntnis?
({0})
Ich weiß nicht, woher Sie diese Weisheit nehmen, die keine ist. Ich weiß - das hat auch das Wissenschaftszentrum Berlin nachgewiesen -, daß die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse seit der Schaffung des Beschäftigungsförderungsgesetzes erheblich, erheblich gestiegen ist,
({0})
und ich weiß: das geht zu Lasten der Menschen.
({1})
Sie haben mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund den besonderen Kündigungsschutz für Behinderte, für werdende und für junge Mütter und für Wehrpflichtige unterlaufen. Jeder Beschäftigte kann sich vorstellen, was es heißt, daß der Arbeitsvertrag einfach irgendwann wegfällt, ohne daß man sich dagegen wehren könnte. Schon das alte sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz ist von der SPD und von den Gewerkschaften heftig bekämpft worden. Aber Sie finden auch Zustimmung. Die Arbeitgeberverbände haben ihrer Freude Ausdruck gegeben. Die Arbeitgeber sagen, das Beschäftigungsförderungsgesetz habe sich bewährt. Für die Arbeitgeber steht das außer Frage. Heuern und Feuern nach Belieben ist ein schönes Druckmittel, das sich auch gegen die anwenden läßt, die nicht oder noch nicht davon betroffen sind.
Sie haben bei der ersten Beratung 1985 gesagt: Zentraler Punkt dieses Gesetzes ist der erleichterte Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen bis zur Dauer von 18 Monaten; dadurch erhielten Arbeitslose, die sonst dem Risiko der Dauerarbeitslosigkeit ausgesetzt seien, eine Chance auf wenigstens vorübergehende Beschäftigung; wie die Erfahrung lehre - so weiter Originalton CDU - mündeten befristete Arbeitsverhältnisse häufig in Dauerarbeitsverhältnisse ein.
Diese Erwartung, wenn sie überhaupt ernst gemeint war, ist nicht Realität geworden.
({2})
Sie behaupten aber nach wie vor das Gegenteil. Als Beweis ziehen Sie die Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin heran. Diese Untersuchung ist in der Tat eine Fundgrube. Ich habe den Eindruck: Sie haben uns nicht zugetraut, daß wir diese mehreren hundert Seiten lesen.
({3})
Zur Stützung Ihrer politischen Position ist diese Untersuchung, Herr Dr. Becker, nämlich völlig ungeeignet. Dieser Auftraggeber hat sich - das verdient hervorgehoben zu werden - nicht verbiegen lassen. Das ist nicht immer so, sondern häufig anders.
Das Wissenschaftszentrum Berlin beendet die Untersuchung mit dem bemerkenswerten Schlußsatz:
Selbst unter den im Untersuchungszeitraum anhaltenden Konjunkturbedingungen sind die gesamtwirtschaftlichen Nettobeschäftigungseffekte der Befristungsneuregelung als gering anzusehen.
({4})
Ich frage Sie, wie Sie, wenn dies von unabhängigen Wissenschaftlern so gesehen wird, dieses Gesetz noch ,,Beschäftigungsförderungsgesetz'' nennen können.
({5})
Diese zynische Bezeichnung zeigt, wie Sie mit den Menschen in der Bundesrepublik umgehen. Sie suggerieren ihnen mit einer Überschrift, Sie schafften Beschäftigung. In Wahrheit ist davon überhaupt keine Rede.
Ich finde, das ist beschämend, und das ist mit die Ursache für Ihre ständigen Wahlniederlagen, die ständigen Wahlniederlagen der CDU/CSU.
({6})
Sie wollen die Menschen im Land für dumm verkaufen.
({7})
Das Gesetz hat nicht Beschäftigung gefördert. Ihre Prognose, die Befristung von Arbeitsverhältnissen durch Gesetz werde sich als Einstieg in Dauerarbeitsverhältnisse bewähren, hat sich nicht bewahrheitet. Die Hälfte aller Betriebe, die befristete Beschäftigungsverhältnisse abgeschlossen haben, haben diese erstmals nach Inkrafttreten des Gesetzes angewendet. Das heißt, Sie haben Arbeitgeber ermuntert, Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse zu schaffen und Randbelegschaften weiter auszubauen.
Besonders bemerkenswert ist die Feststellung des Wissenschaftszentrums, daß die Arbeitsverhältnisse befristeter Art im öffentlichen Dienst erheblich zugenommen haben.
({8})
Die öffentlichen Hände sind also auch hier mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Ich erinnere an die Bundesanstalt für Arbeit - die Erfahrung haben wir ja gemeinsam gemacht - , die in großem Umfang befristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen hat. Sie hat damit gegen geltendes Tarifrecht verstoßen. Die Rechtsprechung hat ihr dann einen Riegel vorgeschoben.
Die Untersuchungsergebnisse widerlegen weitgehend die Annahme, befristete Arbeitsverträge würden von den Betrieben zur Umgehung des Kündigungsschutzes, insbesondere des besonderen Kündigungsschutzes für bestimmte Arbeitnehmergruppen, genutzt. So sagt das Wissenschaftszentrum.
Wie das? fragt man sich. Auf die Befragung durch das WZB hin haben Personalleiter in Betrieben offen erklärt, Personen mit den genannten Schutzgründen würden bei Neueinstellungen prinzipiell nicht berücksichtigt. Das einfach so nüchtern darzustellen ist, finde ich, ein Problem, ein Problem allerdings nicht der Forschung, sondern der Politik.
Wozu gibt es eigentlich ein Schwerbehindertengesetz, das die Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft sichern soll? Auch die öffentlichen Hände werden der Pflicht zur Einstellung
Schwerbehinderter nicht gerecht. Das kann man doch nicht einfach so zur Kenntnis nehmen wie Sie und dann nichts tun.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat den Schwerbehinderten nicht genützt, auch nicht das von Ihnen durchgedrückte Gesetz, mit dem Sie die Rechte der Schwerbehinderten verschlechtert haben. Wenn man sich nur einmal die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre ansieht, wird man feststellen, daß der Anteil Schwerbehinderter an den Arbeitslosen insgesamt laufend gestiegen ist
({9})
- und das alles in Zeiten blühender Konjunktur. Wann denn, wenn nicht jetzt, soll die Massenarbeitslosigkeit insgesamt wie die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter abgebaut werden? Von „sozialer" Marktwirtschaft keine Spur!
({10})
Man muß den auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligten direkt helfen. Den besonderen Zielgruppen der Arbeitsmarktpolitik hilft es überhaupt nicht, wenn Sie nur den Unternehmern Zucker geben. Die Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertreter des Bundes und der Länder hat erst vor wenigen Tagen auf folgendes aufmerksam gemacht. Die Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Pflichtplätze wurde bei der Konzeption des Schwerbehindertengesetzes 1973 auf 100 DM festgesetzt und 1986 auf 150 DM angehoben. Wenn man demgegenüber die Steigerung der Lohnkosten betrachtet, müßte diese Ausgleichsabgabe heute mindestens 300 DM betragen, um das sozialpolitische Ziel des Schwerbehindertengesetzes, nämlich die Integration Schwerbehinderter im Berufsleben zu erreichen, zu erfüllen. Aber davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nichts zu lesen.
Die Begründung dafür, daß das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern allein schon deswegen nicht geschadet habe, weil der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten, der werdenden und jungen Mütter sowie der Wehrpflichtigen ohnehin unterlaufen werde, ist zynisch und ist lückenhaft. Es kann ja sein, daß die genannten Schutzgründe erst nach der Einstellung des Begünstigten entstehen. Dann ist es eben entscheidend, ob das Arbeitsverhältnis wegen Befristung irgendwann wegfällt oder nicht.
Es bleibt also dabei: Die Aushebelung des Kündigungsschutzes ist einer der wesentlichen Gründe zur Ablehnung der Befristung von Arbeitsverhältnissen, für die es keinen sachlichen Grund gibt.
In der Bewertung des Arbeitsministeriums zu den Untersuchungsergebnissen heißt es:
Befristete Arbeitsverträge spielen in der betrieblichen Praxis eine erhebliche Rolle. Jede dritte Neueinstellung wird heute befristet abgeschlossen, wobei aber nur 37 % dieser befristet Eingestellten eine unbefristete Einstellung vorgezogen hätten.
Ich frage mich: Kann man das begreifen? Ich verstehe das nicht, warum eigentlich sollte jemand, der
die Wahl hat, ein befristetes oder ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einzugehen, ein befristetes vorziehen? Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis jederzeit unter Beachtung der Kündigungsfristen kündigen. Warum sollte sie bzw. er auf eine mögliche Option verzichten?
Das Wissenschaftszentrum berichtet von einem überraschend hohen Anteil befristet beschäftigter Arbeitnehmer, die sich trotz Befristung ihres derzeitigen Arbeitsverhältnisses nicht nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten woanders umsehen. Als Erklärung wird von den Wissenschaftlern auf die Existenz bestimmter Milieus verwiesen, in denen Befristungen mehr oder minder gang und gäbe sind und deswegen hingenommen werden müssen.
Als Politik für Arbeitslose hat das Beschäftigungsförderungsgesetz nicht getaugt. Sie, Herr Arbeitsminister, mit Ihrer wortgewaltigen Sprache
({11})
haben mit dieser Bezeichnung aber auch die deutsche Sprache ganz einfach vergewaltigt, indem Sie die Verschlechterung der Rechte der Arbeitnehmer in den Betrieben fälschlicherweise als Förderung der Beschäftigung anpreisen.
({12})
Ich an Ihrer Stelle würde mich für diese Überschrift zu diesem Gesetz ganz kräftig schämen.
({13})
In der WZB-Untersuchung kann man auch nachlesen, daß nebenerwerbstätige Schüler, Studenten und Hausfrauen unter den befristet Beschäftigten überdurchschnittlich vertreten sind. Daß diese Personengruppen auf Arbeit gleich welcher Art zurückgreifen müssen, ist die direkte Folge des Sozialabbaus seit der Wende. Was das auf der anderen Seite für den Arbeitsmarkt insgesamt heißt, ist klar: Die unständige Beschäftigung wird gefördert, Randbelegschaften werden erweitert, Unternehmen wird die Disposition über die Arbeitskraft Mensch erleichtert. Das ist das Ziel dieses Gesetzes und seiner Verlängerung. Die Arbeitslosen haben nichts Positives vom sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz gehabt.
({14})
Notwendig wäre statt dessen die Förderung der Beschäftigung. Der Sozialabbau, den Sie betreiben, ist der falsche Weg. Gerade um die Auswirkungen des technologischen Wandels im Arbeitsleben sozialverträglich zu gestalten, ist nicht der Abbau, sondern der Ausbau von Arbeitnehmerschutzrechten gefordert. Um die Beschäftigung zu fördern, muß das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium offensiv eingesetzt werden. Sie tun das genaue Gegenteil: 9. AFG-Novelle, Abbau der Qualifizierungsmaßnahmen. Gleichzeitig werden die Arbeitslosen von Ihnen nach wie vor als faul und träge diffamiert. Das ist die Realität seit Jahren.
Wir haben das Beschäftigungsförderungsgesetz mit allen politischen Mitteln bekämpft.
({15})
Mit dem Verlängerungsgesetz halten wir es ebenso. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab und fordern Sie auf, ihn zurückzuziehen, weil wir nicht einzusehen in der Lage sind, daß Sie den Unternehmern einen Gefallen nach dem anderen tun und die Arbeitswelt zu Lasten der arbeitenden Menschen immer weiter verschlechtern.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg von der FDP.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes gibt uns Veranlassung, die Beschäftigungspolitik insgesamt noch einmal kurz zu betrachten.
({0})
Die Beschäftigungspolitik hat viele Facetten. Ein Gesetz allein, eine Maßnahme allein bedeutet für den Arbeitsmarkt relativ wenig.
({1})
Entscheidend ist die Summe aller Maßnahmen. Entscheidend ist vor allen Dingen eine ordentliche, in sich abgestimmte Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, insbesondere die letztere. Von den guten Ergebnissen einer solchen Politik, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
({2})
können Sie sich überzeugen. Der Arbeitsmarkt hat sich deutlich verbessert.
({3}) - Darauf komme ich.
Dies ist kein Wunder, das vom Himmel gefallen ist, sondern ist die Leistung vieler Menschen, Arbeitnehmer und Unternehmer, für die die Möglichkeiten, zu arbeiten, verbessert worden sind, also das Ergebnis einer richtigen Politik.
({4})
Wir haben uns eben nicht tot- und kaputtgespart, wie uns jahrelang vorgehalten worden ist, sondern wir haben konsequent Konsolidierungspolitik betrieben und die Voraussetzungen für eine leistungs- und investitionsfreundliche Steuerreform geschaffen. Das ist das Ergebnis einer konsequenten Politik.
Die Defizite aller öffentlichen Haushalte betragen nur noch 2,4 % des Bruttosozialproduktes, und die sogenannte Staatsquote ist deutlich unter 50 % gedrückt worden. Dafür haben wir gesorgt. Niedrige Zinsen haben die Unternehmen entlastet.
({5})
Cronenberg ({6})
Auch dadurch haben wir gestiegene Unternehmenserträge zu verzeichnen, die Sie beklagen und uns erfreuen.
({7})
Dadurch sind Investitionen und damit neue Arbeitsplätze entstanden. Die Eigenkapitalquoten der Unternehmen, die niedrig und die Ursache für viele Pleiten gewesen sind, sind Gott sei Dank gestiegen. Kurz, wir haben dafür gesorgt, daß die Möglichkeiten für die Unternehmen, zu arbeiten und neue Arbeitsplätze zu schaffen, verbessert worden sind.
({8})
Es sind sehr viel mehr neue Arbeitsplätze als jene 1,2 Millionen, von denen immer die Rede ist, weil nur der Saldo - Hunderttausende sind in den Problemindustrien abgebaut worden - hier von Bedeutung ist.
({9})
- Das war ein entscheidender Beitrag, aber der Kurs ist auch durch die Solidität unserer Politik bestimmt worden.
({10})
Meine verehrten Kollegen von den Sozialdemokraten, 1,2 Millionen mehr Beschäftigte - davon gehe ich aus - sind auch 1,2 Millionen mal Freude für Sie, sich darüber zu freuen, daß Menschen in Brot und Arbeit gelangt sind.
({11})
- Nein, Herr Kollege Feilcke, das sollte man nicht unterstellen.
({12})
Mit so bösartigen Unterstellungen hat der Kollege Heyenn eben in anderem Zusammenhang gearbeitet. Ich unterstelle den Kollegen von der Sozialdemokratie das nicht, sondern glaube, sie freuen sich mit uns darüber, daß 1,2 Millionen Menschen mehr beschäftigt sind.
({13})
Aber selbstverständlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist jeder arbeitsfähige und arbeitswillige Arbeitslose für uns eine Aufforderung, mehr zu tun und Richtiges zu tun.
({14})
- Genau jetzt.
Niemand, der sich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt, kann bestreiten, daß es Arbeitslose gibt, bei denen man nicht von vornherein annehmen kann, daß sie sich problemlos in den Arbeitsprozeß und in die Betriebsgemeinschaft einfügen werden.
Mit großem Recht hat die Opposition immer darauf hingewiesen, daß für Langzeitarbeitslose besondere Hilfen erforderlich sind. Deswegen, Herr Kollege
Heyenn, haben wir auch - insofern folgen wir gelegentlich auch den Ratschlägen der Opposition - ein spezielles Programm für Langzeitarbeitslose mit degressiv absinkenden Subventionen in Form von Lohnzuschüssen entwickelt, um das zu erleichtern.
({15})
Aber, Kollege Heyenn, auch die befristeten Arbeitsverträge sind in diesem Zusammenhang von großer, von beachtlicher Bedeutung. Deswegen kann ich nur unterstreichen, was der Staatssekretär Vogt eben gesagt hat: Lieber befristet in Arbeit als unbefristet arbeitslos.
({16})
Lassen Sie mich mal feststellen: 93 % aller Beschäftigten sind nicht in einem befristeten, sondern in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis.
({17})
- Bevor Sie das Wort ergreifen - Frau Präsidentin, selbstverständlich werde ich die Frage gestatten -, habe ich Veranlassung, verehrter Kollege Heyenn, noch einmal mit allem Ernst folgendes zu sagen. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß Sie eine andere Meinung haben, eine andere Bewertung des Gesetzes vornehmen; darüber kann man sich hier auseinandersetzen. Aber ich habe kein Verständnis dafür, daß Sie uns den guten Willen absprechen, mit diesem Gesetz Ordentliches zu machen.
({18})
Wir möchten mit der Verlängerung dieses Gesetzes mehr Menschen in Dauerarbeitsverhältnisse bringen und nicht, wie Sie sagen, eine Hire-und-fire-Gesellschaft installieren. Wenn wir das wollten, hätten wir andere Instrumente dazu.
Nun können Sie bitte Ihre Frage stellen.
Herr Abgeordneter Heyenn.
Die paßt genau hierhin, sehr verehrter Herr Kollege Cronenberg. Wenn Sie diese Auffassung vertreten, würden Sie mir den Gefallen tun, die Schlußbemerkung des Wissenschaftszentrums Berlin zu werten, die da lautet: „Selbst unter den im Untersuchungszeitraum anhaltend günstigen Konjunkturbedingungen sind die gesamtwirtschaftlichen Nettobeschäftigungseffekte der Befristungsneuregelung des Beschäftigungsförderungsgesetzes als gering anzusehen. " Wenn das so ist, warum die Verlängerung des Gesetzes, es sei denn zugunsten der Unternehmer und zu Lasten der Arbeitnehmer in der Republik?
Zwei Bemerkungen in diesem Zusammenhang. Meine persönliche Erfahrung aus meinem Bereich bestätigt mir, daß diese Einschätzung generell so nicht zutreffend ist. Aber wenn sie zutreffend wäre, dann sage ich Ihnen - ({0})
- Mein lieber Rudolf Dreßler, ich habe in den Betrieben in meiner Heimat festgestellt, daß über 90 % der befristet abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse in
Cronenberg ({1})
Dauerarbeitsverhältnisse umgewandelt worden sind; der Rest ist nicht zustande gekommen.
({2})
Aber wenn es auch nur einen geringen Effekt gehabt hätte, dann hat es sich schon wegen dieses geringen Effektes gelohnt,
({3})
weil eben einige Zigtausend - das ist ja in diesem Zusammenhang gering - zusätzlich in Arbeit gekommen sind.
Mir ist die Kritik der Gewerkschaften und der SPD in diesem Zusammenhang im Grunde genommen unverständlich. Sie ist um so unverständlicher, als ja sehr viele befristete Arbeitsverträge, wie schon gesagt, in Dauerarbeitsverhältnisse umgewandelt wurden. Mindestens müßten Sie sich doch, wenn Sie fair diskutieren, bereit erklären zu sagen, Sie begrüßen es, daß ein Großteil in Dauerarbeitsverhältnisse umgewandelt worden ist. Ich kann doch einerseits nicht lauthals verlangen - wie Sie das immer wieder tun - , Überstunden sollen nicht gefahren bzw. sollen abgebaut werden, andererseits aber den Betrieben ein sinnvolles Instrument, auch Auftragsspitzen zu fertigen, nehmen. Wer zusätzliche Einstellungen wünscht, wer weniger Überstunden will, der muß die vorgeschlagene Regelung doch bejahen. Das trifft besonders für jene in der Opposition zu, die von morgens bis abends den Abbau der Überstunden verlangen.
Ich sage ganz ehrlich: Befristete Arbeitsverhältnisse können auch den Einstieg für Problemfälle erleichtern; sie können eine sinnvolle Hilfe sein, Problemfälle, die man ja nicht leugnen kann, in Dauerarbeitsverhältnisse zu bringen.
Ich muß auch denjenigen, der das Ganze ablehnt, einmal fragen: Wie soll sich denn nach Ihren Rezepten, Herr Kollege Heyenn, ein Unternehmer verhalten? Soll er keine Überstunden machen? Soll er etwa Leute auf Vorrat einstellen oder soll er zusätzliche Aufträge ablehnen? Letztendlich wissen Sie doch, daß Arbeit wieder Arbeit schafft und daß, je mehr Arbeit da ist, desto mehr Beschäftigungsverhältnisse wird es geben.
Ich möchte insbesondere den Sozialdemokraten sagen und noch einmal betonen: Es ist unsere feste Überzeugung, daß mit dieser Verlängerung des Gesetzes unbefristete Arbeitsverhältnisse, also Dauerarbeitsverhältnisse entstehen. Deswegen bitte ich Sie sehr eindringlich und nachdrücklich, sich bei der Diskussion im Ausschuß Ihre Argumentation in diesem Zusammenhang noch einmal zu überlegen. Ich bin hundertprozentig überzeugt, Sie könnten ruhigen Gewissens dieser Gesetzesvorlage in der dritten Lesung zustimmen;
({4})
denn Sie hilft den Arbeitslosen, und sie hilft den Betrieben.
Im Gegensatz zu einigen Äußerungen von eben unterstelle ich Ihnen nicht schlechten und bösen Willen, sondern bin überzeugt, daß auch Sie den Arbeitslosen und den Betrieben helfen wollen. Weil ich Ihnen das unterstelle, gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß wir Sie letztendlich noch von der Sinnhaftigkeit unseres Handelns werden überzeugen können.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Wort von Herrn Cronenberg aufgreifen, daß man der Regierungskoalition doch nicht den guten Willen absprechen solle, für die Arbeitslosen etwas tun zu wollen. Ich möchte daran erinnern, daß so etwas nicht immer vom guten Willen abhängt, sondern daß da Macht- und Mehrheitsfragen eine Rolle spielen. Die Behandlung des Gesetzentwurfes heute morgen und das Ergebnis, das uns bevorsteht, sehe ich angesichts der Mehrheitsverhältnisse spiegelbildlich zu den Ergebnissen des CDU-Parteitages, der gestern zu Ende ging.
({0})
Dort haben nämlich diejenigen, die für mehr Rechte der Arbeitnehmer sind, eine empfindliche Schlappe erlitten in Gestalt der Nichtwahl des Herrn Fink, was sich auch hier fortsetzt; denn noch vor einigen Monaten mußte ich von den Sozialausschüssen hören: „Sozialausschüsse reagieren schockiert über die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes".
({1})
- Ich will jetzt meine Redezeit damit nicht verlängern. Ich gehe einmal davon aus, daß alle Bürger in diesem Lande wissen, daß die Sozialausschüsse der Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU sind.
({2})
Das Wort hat zur Zeit der Abgeordnete Hoss und nicht die Vertreter der Sozialausschüsse.
Es tut mir leid, daß ich solche Erregung hervorrufe, so daß ich meine Worte nicht mehr richtig setzen kann. Aber das Problem ist eben, daß die Mehrheitsverhältnisse so sind - sowohl auf Ihrem Parteitag als auch bei der Behandlung dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes - , daß eben nicht das abläuft, was der Arbeitnehmerflügel in der CDU und der Arbeitnehmerflügel in diesem Hause wollen. Sie haben nicht die Kraft, in dieser Frage mit uns zusammenzuarbeiten; denn vor zwei oder drei Monaten haben Sie noch anders gedacht. Damals hieß es, daß der Arbeitnehmerflügel das Auslaufen des Gesetzes fordere. Weiter hieß es, daß die Unternehmer, die Arbeitgeberverbände nicht nur befristete Arbeitsverträge von 18 Monaten, sondern sogar von 24 Monaten wollen. Das heißt, daß man in unserer Bundesrepublik Verhältnisse schaffen will, die so aussehen, daß man die ordentlichen Arbeitsverträge auslaufen lassen will. Die Mehrheit in diesem Lande, die sich jetzt noch politisch in diesem Hause manifestiert, will eine DeHoss
regulierung der Arbeitsverhältnisse und nicht den Zustand, den wir jetzt haben. Das ist das Kernproblem dieses Gesetzes. Es wird darüber zu entscheiden sein, ob es verlängert werden soll oder ob es nicht verlängert werden soll.
({0})
Da müssen Sie, Herr Blüm, und alle Vertreter der Sozialausschüsse in sich gehen. Sie müssen sagen, ob Sie bei dem bleiben, was Sie spontan und aus sich heraus formuliert haben, oder ob Sie jetzt - nachdem man Sie zwei bis drei Monate bekniet und bearbeitet hat - umkippen und hinter den Unternehmern herlaufen und deren Argumente vertreten. Herr Blüm, Sie werden sicher auch noch in die Bütt - Entschuldigung, das war unparlamentarisch - , an das Podium gehen und begründen,
({1})
warum dieses Beschäftigungsförderungsgesetz verlängert werden soll.
Herr Lambsdorff hat in der Aktuellen Stunde vom Mai 1986 sinngemäß gesagt: Das Wichtigste an diesem Gesetz ist die Aufhebung der verkrusteten Arbeitsmarktstrukturen. Das hat er erreicht, anstatt konkrete Programme aufzulegen, um es denen, die arbeitslos sind und die - wie Sie, Herr Cronenberg, eben formuliert haben - Schwierigkeiten haben, sich einzubringen und den Anforderungen zu genügen, zu erleichtern, in den Arbeitsprozeß zu kommen. Dafür sind wir ja auch, wie es in einem Punkt des Gesetzes heißt, daß man nämlich statt nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit bereits nach vier Monaten in den Genuß von Beihilfen kommen kann, wenn man sich qualifizieren und weiterbilden will. Aber das ist doch keine Frage des Beschäftigungsförderungsgesetzes mit der Befristung von Arbeitsverträgen,
({2})
sondern das ist das Programm, das wir auflegen müssen, um Langzeitarbeitslosen, Behinderten und Schwerbehinderten Wege zu bauen, damit sie in den Arbeitsprozeß kommen.
({3})
Dabei müssen wir sehen - das hängt damit zusammen -, daß sich die Arbeitsverhältnisse so entwickelt haben, daß es eben schon zwei Millionen Bürger sind, die Schwierigkeiten haben, mit den Anforderungen im Arbeitsprozeß zurechtzukommen.
Sie begründen, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz verlängert werden soll, weil es bestimmte Effekte gebracht hat. Der Kollege Heyenn hat schon darauf hingewiesen, daß sowohl das WZB als auch die anderen beauftragten Institute und auch die befragten Arbeitsvermittler davon ausgehen, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz ganz geringe Beschäftigungseffekte hat und daß überhaupt nicht auszumachen ist, ob das vorhandene Wachstum in den letzten Jahren von 2 bis 4 % automatisch zur Neueinstellung von Leuten geführt hat, ob die Neueinstellung mit diesem Gesetz etwas zu tun hat. Im Gegenteil: Man kann davon ausgehen, daß die Wachstumsraten dazu geführt haben, daß vermehrt eingestellt worden ist. Sie haben den Unternehmern die Wahl ermöglicht,
entweder das normale Arbeitsverhältnis einzugehen mit einem halben Jahr Probezeit, die es ja immer schon gab - das ist ja eine Befristung -, oder zu sagen, ich stelle jemanden mit einer Befristung von 15 Monaten ein. Es ist doch völlig klar, daß jeder Unternehmer letzteres tut. Ich kenne doch die Unternehmer auch. Sie kennen sie doch genauso.
({4})
Im übrigen: Das Wachstum, das Sie produziert haben - ich will das nur noch einmal anmerken -, ist ein sehr zweifelhaftes Wachstum. Das, was Sie an 2 bis 4 % Wachstum haben, finden wir wieder in zugestopften Städten mit einer zunehmenden Zahl von Automobilen - das macht wiederum eine vernünftige Verkehrspolitik unmöglich - , in Müllbergen, die wir haben. Das alles gehört mit zu dem Wachstum.
Herr Abgeordneter Hoss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Ja, ich werde einmal unterbrechen, um Ihnen Gelegenheit zu einer Zwischenfrage zu geben.
Ich weiß, Herr Kollege Hoss, daß es vielleicht etwas schwer ist, sich vorzustellen, Unternehmer zu sein.
({0})
Aber wenn Sie das einmal einen kleinen Moment versuchen würden, dann möchte ich Sie fragen: Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie einen ordentlichen Auftragsbestand haben und vor der Frage stehen, Überstunden zu fahren oder versuchsweise befristete Arbeitsverträge einzuführen? Was wäre in diesem Fall Ihre Lösung: den Auftrag abzulehnen, befristete Arbeitsverträge abzuschließen oder Überstunden zu fahren?
Das hängt mit dem unternehmerischen Verhalten zusammen. Ich komme aus einer Firma, die es über Jahrzehnte hinweg so gehalten hat, nicht alle Spitzen, die es gibt, aufzunehmen; sie hat vielmehr in einer gewissen Kontinuität ihre Produktion gefahren.
Wenn Sie, Herr Cronenberg - ich nehme das an -, zu dem Kreis jener Unternehmer gehören, die nach jeder Fliege, die sie kriegen können, schlagen
({0})
und dann die Arbeitsverhältnisse deregulieren, wenn Sie das dabei in Kauf nehmen, dann muß ich das ablehnen. Für mich gibt es ein gesundes Verhältnis zwischen regulierten Arbeitsverhältnissen, arbeitsgeschützten Verhältnissen und einer Produktion, die natürlich gefahren werden muß. Ich darf jetzt nicht die Waage dahin kippen lassen, daß ich dem Unternehmer freie Hand lasse und eben die Deregulierung der
Arbeitsverhältnisse in einem Maße erlaube, das die Arbeitnehmer nicht tragen können.
({1})
- Auf diese Frage brauche ich nicht zu antworten, weil ich nicht in einem mittelständischen Unternehmen beschäftigt war.
({2})
Das Problem besteht darin: Was gegenwärtig ansteht, ist das Erarbeiten eines Programmes, das es ermöglichen soll, den vorhandenen Arbeitslosen zu helfen, in den Arbeitsprozeß zu kommen.
({3})
Es steht gegenwärtig nicht an, die Arbeitsverhältnisse weiter zu deregulieren.
Herr Blüm, ich höre Sie noch - 1985/1986 -, daß Sie das Beschäftigungsförderungsgesetz kontra Arbeitszeitverkürzung begründet haben. Sie haben gesagt: Beschäftigungsförderungsgesetz gegen die Forderungen der Gewerkschaften, Arbeitszeitverkürzungen durchzuführen.
({4})
Wenn wir jetzt einen Vergleich ziehen, wie die Ergebnisse zu werten sind, dann können wir nur feststellen, daß Ihr Beschäftigungsförderungsgesetz - da stütze ich mich auf die vorhandenen Studien; ich hatte mir alle Zahlen so schön aufgeschrieben, aber das wurde hier bereits genannt - keinen Hinweis dafür bietet, dieses Gesetz zu verlängern.
({5})
Wir sollten vielmehr unsere Kraft und unsere Fähigkeiten darauf konzentrieren, konkret vorzuschlagen, wie wir den Arbeitslosen durch Sonderprogramme, durch gezielte Programme dazu verhelfen können, in den Arbeitsprozeß zu gelangen.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Feilcke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Hoss, ich bestreite Ihnen ausdrücklich nicht die Ernsthaftigkeit, daß Sie dieses Problem, um das wir in vielen Debatten ringen, lösen helfen wollen. Nur, mit solchen Vorstellungen, wie Sie sie gerade geäußert haben, zeichnen Sie meiner Auffassung nach wirklich ein völlig falsches Bild vom Unternehmertum. Ich habe die Vorstellung bekommen: Für Sie ist ein Unternehmer entweder ein Großbetrieb mit sicherer Auftragslage - vielleicht noch der öffentliche Dienst - , und ansonsten gibt es im Grunde genommen nur Fliegenfänger.
({0})
Ich muß Ihnen sagen, daß die Vorstellungen, die Sie entwickeln, mit der Realität eines mittelständischen Unternehmens überhaupt nicht vereinbar sind. Dieser Unternehmer kann nicht sagen: Ich nehme bestimmte Spitzen nicht wahr. Er ist in der Tat darauf angewiesen, nach Aufträgen zu suchen, zu akquirieren, übrigens nicht zuletzt im Interesse der Sicherheit der Arbeitsplätze. Wir tun in unseren Diskussionen häufig so, als sei der Arbeitgeber grundsätzlich der Kapitalist, in dessen Macht es steht, nach Belieben zu schalten und zu walten: to hire and to fire. Der Arbeitgeber im mittelständischen Bereich oder im Kleinunternehmen ist sehr häufig in der Situation, daß er Mühe hat, sein eigenes Einkommen zu verdienen, weil er auf Grund der Arbeitsverträge verpflichtet ist, Mitarbeiter zu beschäftigen und zu bezahlen.
Ich glaube, wir dürfen hier kein falsches Bild malen, weil sonst die Diskussion in eine Schieflage gerät.
Sie haben von dem guten Willen gesprochen und gesagt, das allein reicht nicht aus. Sie haben recht. Der gute Wille ist auch von Herrn Kollege Cronenberg angesprochen worden. Ich sage Ihnen eines: Ohne guten Willen ist man auch nicht kreativ, und ohne guten Willen läßt man sich bei der Lösung des Problems der hohen Zahl von Arbeitslosen - immer noch 1,9 Millionen zu viele - nichts einfallen.
({1})
- Sie haben recht: Nicht alles, was kreativ ist, ist gut. Aber ohne Kreativität kommen auch keine guten Einfälle. Sie lassen das Denken im Grunde genommen zu Hause, bevor Sie hier in diesen Raum kommen. Wir sind in dieser Beziehung ein bißchen weiter.
({2})
Wir sind in der Tat nicht unfehlbar, aber wir haben eine größere Trefferquote als diejenigen, die überhaupt keine Ideen vorlegen.
({3})
Meine Damen und Herren, der Kollege Vogt hat darauf hingewiesen, was uns vor vier Jahren, 1985, bei der Einbringung des Beschäftigungsförderungsgesetzes hier alles gesagt worden ist. Er hat gesagt, daß die Abteilung Prophetie der SPD eine miserable Trefferquote hat. Es ist in der Tat sehr beeindruckend, das nachzulesen, Herr Kollege Dreßler. Es hieß damals: Wenn dieser Gesetzentwurf Wirklichkeit wird, dann werden wir in wenigen Jahren eine andere Republik haben.
({4})
Mein lieber Gott, wenn ich mir das Sommertheater dieses Jahres ansehe, dann kann ich mir vorstellen: Sie träumen gemeinsam mit den GRÜNEN tatsächlich von einer anderen Republik. Da hat sich etwas geändert. Aber die Republik ist so stabil, so sozial, daß Menschen aus aller Welt zu uns drängen.
({5})
Wir - auch die Länder, die von der SPD regiert werden - können uns dieses Zustroms und der Probleme,
die damit zusammenhängen, kaum erwehren: SchafFeilcke
fung von Arbeitsplätzen, Schaffung von Wohnraum. Warum kommen die Menschen aus aller Welt eigentlich in diese „schreckliche" Gesellschaft, wie sie von Ihnen vorausgesagt wird?
({6})
- Lieber Herr Kollege Heyenn, viele dieser Menschen, die in diesen Tagen zu uns kommen, ob als Übersiedler, ob als Aussiedler oder auch als Ausländer, hätten auch die Möglichkeit, in andere Länder zu gehen. Warum bleiben nicht viele der Aus- und Obersiedler auf dem Weg zu uns etwa in Österreich?
({7})
- Ich rede nicht schlecht über Österreich, sondern ich sage: Unsere Gesellschaft, die Sie mit so schwarzen Farben, so düsteren Zahlen beschreiben, ist für Tausende, für Hunderttausende von Menschen so attraktiv, daß sie alles hinter sich lassen.
({8})
- Herr Heyenn, ich bestreite Ihnen ausdrücklich nicht, daß Sie guten Willen haben. Nur wird der gute Wille unglaubwürdig, wenn Sie so dusselige Zwischenrufe machen.
Sie haben gesagt, die Belegschaften würden zersplittert, Herr Dreßler. Es werde einen Kampf Mann gegen Mann geben. Man hatte das Gefühl, Sie würden für die Belegschaften bald Waffenscheine ausgeben. Die Union kämpft, so sagten Sie damals, gegen den Sozialstaat und gegen die Arbeitnehmer.
({9})
Alles Quatsch! Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Hort der Stabilität, in jeder Hinsicht. Es drängt sich uns übrigens der Eindruck auf: Unsere Konzepte sind um so besser, je heftiger sie von Ihnen, Herr Dreßler, von vornherein attackiert werden.
({10})
Die Kritik von Ihnen ist für uns fast eine Erfolgsgarantie nach der Devise: je Dreßler, desto besser.
({11})
Meine Damen und Herren, natürlich sind auch wir nicht der Meinung, daß dieses Gesetz der Weisheit letzter Schluß ist. Aber ohne dieses Beschäftigungsförderungsgesetz wäre die Situation weniger gut.
Wenn man bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit jedesmal warten würde, bis die SPD mit einem Vorschlag kommt und mit diesem Vorschlag erfolgreich durch die Ideologieverträglichkeitsprüfung gegangen ist, dann wären wir heute schon bei 3 Millionen Arbeitslosen. Der Vorteil dieses Gesetzes liegt auf der Hand. Er ist von meinen Vorrednern schon
geschildert worden. Aber es lohnt sich, einige Punkte immer wieder zu nennen, damit sie von Ihnen zumindest einmal zur Kenntnis genommen und hoffentlich einmal geglaubt werden.
Herr Abgeordneter Feilcke, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Gerne.
Herr Kollege Feilcke, gehen Sie nicht sehr fahrlässig mit der Wahrheit um, wenn Sie der SPD vorwerfen, keine Vorschläge zu unterbreiten, in dem Wissen, daß wir uns in den kommenden Wochen sehr ausführlich mit einem umfangreichen und überall - auch von Ihnen persönlich - gelobten Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit auseinanderzusetzen haben?
Lieber Herr Kollege Heyenn, ich habe gesagt, ich unterstelle Ihnen guten Willen. Ich sage nicht, daß Sie überhaupt keine Vorschläge bringen. Aber zu diesem speziellen Thema, zur Flexibilisierung im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, also im Interesse des Arbeitsmarktes, liegen jedenfalls mir keine Vorschläge von Ihnen vor. Vielleicht können Sie mir Nachhilfeunterricht geben und mir sagen, welches dazu Ihre Ideen sind.
({0})
Über 230 000 zusätzliche befristete Arbeitsverhältnisse sind geschaffen worden. Von denen sind 100 000 bis 150 000 nachweisbar in Dauerarbeitsverhältnisse übergegangen. Ein großer Teil dieser Dauerarbeitsverhältnisse - das ist jedenfalls sicher, selbst wenn wir nicht sagen können, wie groß dieser Teil ist - ist eben nur durch dieses Gesetz
({1})
ermöglicht worden, dessen notwendige Verlängerung wir heute begründen.
Natürlich will jeder Arbeitnehmer einen sicheren Arbeitsplatz. Natürlich will jeder, der einen Arbeitsplatz sucht, nach Möglichkeit wissen: Habe ich eine Garantie über die nächsten Jahre, möglicherweise Jahrzehnte? Aber auch die Arbeitnehmer wissen, daß dieses Gesetz viele Arbeitgeber ermutigt, auch einmal auszuprobieren: Wie klappt das eigentlich mit meiner eigenen wirtschaftlichen Entwicklung? Wie ist die Prognose heute, wie ist die Entwicklung in eineinhalb Jahren? Viele Arbeitnehmer wissen das. Gerade im Vorfeld dieser Diskussion habe ich mit etlichen darüber gesprochen, die sagen - nach diesem berühmt gewordenen Wort von Minister Blüm - : Lieber befristet in Arbeit als unbefristet arbeitslos.
Die Argumentation - die hier sehr häufig anklingt - des „Alles oder nichts", entweder Dauerarbeitsplatz oder Arbeitslosigkeit, ist zynisch. Im übrigen: Alle rechtlichen Voraussetzungen für befristete Arbeitsplätze sind identisch mit denen der Dauerbeschäftigungsverhältnisse. Es gibt keine zweitklassigen und erstklassigen Arbeitsverhältnisse; die Rechte der Arbeitnehmer sind gleich. Auch der, der in einem
befristeten Arbeitsverhältnis steht, hat den sozialen Schutz. Er erhält beispielsweise Weihnachtsgeld und Krankengeld, er erwirbt Ansprüche bei der Arbeitslosenversicherung usw.
Herr Abgeordneter Feilcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Der fraktionslosen Kollegin, gern.
({0})
- Ich höre, sie ist fraktionslos; das stand heute in den Zeitungen.
({1})
Sie könnten auch sagen: unabhängig. Aber noch hat die Präsidentin das nicht verkündet.
({0})
Ach so!
: Meine Frage geht, bitte, dahin - wir gehen dem Jahr 2000 entgegen - : Meinen Sie nicht, daß wir uns in einem Beschäftigungsförderungsprogramm in die Richtung Gedanken machen müßten, daß Menschen - die darauf angewiesen sind - ihren absoluten sozialen Schutz, ihr Entgelt behalten und ihr Verdienst auch erhöht wird, damit diese Familienväter ihr Leben auch planen können, und daß wir einen Ausgleichsfonds einzurichten hätten, um zu verhindern, daß z. B. diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen je Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen müssen?
Liebe Frau Kollegin Unruh, ich wünschte mir, daß jeder Mensch in unserer Gesellschaft eine soziale Sicherung von der Geburt bis zum Tode hat. Die Wirklichkeit ist aber nicht so. Wir müßten dann jeden Schulabgänger verbeamten. Die Möglichkeit des Kleinunternehmers, des Kleinbetriebes ist nicht so, daß die Garantie, von der wir möglicherweise alle träumen, gegeben werden kann.
({0})
- Okay. Ich bin der Meinung, daß diese Frage nicht unmittelbar in diesen Zusammenhang gehört; darüber kann man ja miteinander reden. Bei den guten Vorschlägen, die Sie bringen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch mindestens einen Ansatz für die Finanzierbarkeit liefern würden.
({1})
- Ja, es wäre eine schöne Sache, wenn wir darüber diskutieren könnten.
In diesen Zusammenhang paßt vielleicht sehr gut etwas, was im Manteltarifvertrag für die Arbeiter und
Angestellten im Kraftfahrzeuggewerbe Berlin geschrieben steht. Da heißt es in § 3:
Gemäß Art. 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 1. 05. 85 ist es zulässig, die einmalige Befristung des Arbeitsvertrages bis zur Dauer von 18 Monaten zu vereinbaren.
Dieser Tarifvertrag ist übrigens auch von Horst Wagner unterschrieben worden, der damals Bevollmächtigter der Industriegewerkschaft Metall war und heute Senator für Arbeit in der rot-grünen Koalition in Berlin ist.
({2})
Ich glaube nicht, daß Herr Wagner es sich gefallen lassen würde, wenn Sie etwa behaupteten, hier handele es sich um ein Tarifdiktat. Vielmehr würde er Ihnen auf Nachfrage sicherlich sagen: Das ist das Ergebnis von Einsicht in die Wirklichkeit, von Vernunft und von der Notwendigkeit, auf die Situation des Arbeitsmarktes heute flexibel zu reagieren.
Meine Damen und Herren, die qualifizierende Wirkung eines befristeten Arbeitsplatzes - auch darauf hat Herr Kollege Cronenberg hingewiesen - sollten wir auf keinen Fall unterschätzen. Wenn wir die Möglichkeit behalten, bis zu 18 Monaten befristete Arbeitsverhältnisse zu schaffen, sind dadurch Einstieg oder Wiedereinstieg in das Arbeitsleben leichter als ohne dieses Beschäftigungsförderungsgesetz. Das „learning by doing" ist eine hervorragende Möglichkeit, sich am konkreten Arbeitsplatz und dann auch für andere Arbeitsplätze zu qualifizieren.
Ich hatte gestern abend in Berlin eine Diskussion
- Herr Kollege Egert, ich begrüße Sie - u. a. mit Übersiedlern, die vor wenigen Tagen hierhergekommen sind.
({3})
- Ich verstehe im Moment Ihren lieblosen Zwischenruf nicht. Ich rede im Moment von Übersiedlern, die vor wenigen Tagen hierhergekommen sind, und Sie machen einen völlig deplazierten Zwischenruf, Frau Steinhauer. Das ist mir wirklich unverständlich.
({4})
Hören Sie sich doch erst einmal an, was diese mir gesagt haben. Mir sagte z. B. ein Famlienvater, ein Kraftfahrzeugmeister aus Leipzig, bis vor wenigen Tagen dort berufstätig gewesen, der dann nach Berlin gekommen ist: Ich bin natürlich qualifiziert, aber ich weiß, daß bei euch die Technik eine andere ist. Unsere Autos sind anders als eure Autos, und eure Anforderungen sind anders als unsere Anforderungen. Ich glaube, ich werde Schwierigkeiten haben, hier im Westen in meinem Beruf zu arbeiten.
Ich habe ihn gefragt, was er von einer solchen Möglichkeit hielte. Er sagte daraufhin: Ich stelle mir vor, das könnte vielen von uns helfen, weil dadurch nicht nur der Arbeitnehmer, sondern vor allen Dingen der Arbeitgeber ermutigt werden kann, es mit uns zu proFeilcke
bieren. Wir haben dann die Chance, uns „on the job" zu qualifizieren.
Ich glaube, das dürfen wir aus aktuellem Anlaß so sehen. Ein solches Zeugnis muß nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß sein, aber es sollte ernsthaft mitbedacht werden. Jedenfalls bietet sich hier für Verteufelung dieses Gesetzes kein Ansatzpunkt.
Meine Damen und Herren, ein befristeter Arbeitsvertrag kann Personen die Möglichkeit des sofortigen Einstiegs in das Erwerbsleben geben. Der Arbeitnehmer empfindet übrigens einen solchen Arbeitsvertrag als etwas sehr viel Besseres als die Arbeitslosigkeit. Er hat keineswegs das Gefühl, mit dem Makel versehen zu sein, den er möglicherweise vorher als Bezieher von Arbeitslosengeld empfunden hat.
Meine Damen und Herren, wir sollten in unserer Arbeitsmarktpolitik eine riesige Vielfalt von Maßnahmen gleichzeitig in Gang setzen. Wir sollten die zielgerichteten Maßnahmen immer wieder überprüfen. Insofern finde ich es richtig, daß dieses Gesetz zeitlich befristet war und daß jetzt über dieses Gesetz von neuem diskutiert werden kann. Nachdem wir festgestellt haben, daß das Gesetz ein bißchen geholfen hat - niemand sagt, es habe das Problem insgesamt beseitigt - , sollten wir sagen: Selbst wenn es nur ein bißchen - angesichts der Größe des Problems - geholfen hat, sollten wir es weiterhin anwenden. Denn ohne dieses Gesetz - ich sagte es bereits - wäre die Situation weniger gut.
Der Staat darf nur die Voraussetzungen schaffen; er darf nur anregen. Er soll, wie es so schön heißt, die Rahmenbedingungen schaffen. Das Arbeitsleben selbst, der Markt, die Arbeitsbeziehungen, richten sich nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und den Einschätzungen der am Markt beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dirigistische Eingriffe sollten wir uns hier nach Möglichkeit überhaupt nicht einfallen lassen. Insofern, glaube ich, sollten wir darauf vertrauen, daß sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer im Interesse eines dauerhaften Arbeitsplatzes die richtige Entscheidung treffen. Wenn ein Einstieg dadurch ermöglicht werden kann, daß der Arbeitsvertrag zunächst befristet ist, dann sollten wir alle das begrüßen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weiler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Feilcke, ich möchte bei dem letzten Punkt beginnen. Sie sagen, dirigistische Eingriffe sollte man nicht machen. Im Grunde ist dieses Gesetz ein dirigistischer Eingriff; denn wir hatten Tarifverträge, soziales Recht, sozialen Kündigungsschutz für die Arbeitnehmer. Von daher haben Sie sich im Grunde widersprochen.
({0})
Vor einer Woche bedauerte die Bundestagspräsidentin, Frau Dr. Süssmuth, in ihrer Rede anläßlich der
40. Wiederkehr der Konstituierung des 1. Deutschen Bundestages, daß u. a. zu wenige Selbständige aus Handwerk und Industrie im Bundestag vertreten seien.
({1})
Bei diesem Gesetz, meine Damen und Herren, spürt man aber nichts davon. Mit diesem Gesetz haben Sie von den Koalitionsfraktionen die Interessen des Kapitals optimal vertreten. Es geht nicht, Herr Cronenberg, um guten oder schlechten Willen - letzteren unterstelle ich Ihnen persönlich ganz sicher nicht -, aber es geht um handfeste Interessen des Kapitals.
Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz war befristet, um nach gut vier Jahren der Anwendung Bilanz zu ziehen. Der Erprobungszeitraum war hinreichend lang, um festzustellen, ob die jeweiligen Prognosen eingetreten sind.
({2})
Wir stellen fest: Es hat sich für die Arbeitnehmerinnen und die Arbeitnehmer nicht bewährt.
({3})
Deshalb lehnen wir das Verlängerungsgesetz ab.
({4})
Die Wertung fällt natürlich unterschiedlich aus
- da haben Sie recht - , je nach politischem Standpunkt. Es gibt begeisterte Zustimmung - sehr klar - und entschiedene Proteste. Auch die Fronten in der Auseinandersetzung sind klar wie selten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sagt: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat sich voll bewährt.
({5})
Befristete Verträge bildeten sehr häufig das Tor zu dauerhafter Beschäftigung. Auch die Überstunden seien erwartungsgemäß abgebaut worden. Zeitnahe Berichte lassen allerdings erhebliche Zweifel aufkommen.
Ich möchte, Herr Staatssekretär Vogt, auf Ihre Ausführungen zu sprechen kommen. Sie sollten, wenn Sie schon aus der Begründung zu dem Gesetz zitieren, das auch vollständig tun. Sie haben davon gesprochen
- das steht auf Seite 7 - , daß ca. 150 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze geschaffen worden sind. Danach steht aber ein Satz, den Sie nicht verschweigen sollten:
Dem
- diesen Dauerarbeitsplätzen sind nicht quantifizierbare potentielle Beschäftigungsverluste gegenüberzustellen, die sich daraus ergeben, daß mitunter die Befristungsmöglichkeiten ... auch dazu geführt haben, Arbeitsverträge zu befristen, die ansonsten unbefristet abgeschlossen worden wären.
({6})
Das haben Sie eben nicht gesagt.
Die Koalitionsfraktionen haben die Arbeitgeber nicht enttäuscht; das ist festzustellen. Das Ergebnis ist die Vorlage dieses Gesetzes.
In der Zeitschrift „Der Arbeitgeber" konnte man erst vor wenigen Wochen lesen: 92 % der befragten Unternehmen beurteilten ihre Erfahrungen mit dem Gesetz als positiv. - Das wundert uns nicht.
({7})
Die Bundesregierung wird gleichzeitig aufgefordert, vor diesem Erfahrungshintergrund vorhandene Regelungen und Restriktionen einmal etwas genauer zu betrachten. Wem nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll, der konnte es vom wirtschaftspolitischen Sprecher der Unionsfraktionen genauer hören - ich zitiere - :
Die Entfristung des Beschäftigungsförderungsgesetzes ist jedoch nur ein notwendiger erster Schritt. Mittelfristig muß über eine Reform der gesamten Rechtsmaterie des Kündigungsschutzes und des Sozialplanrechtes nachgedacht werden.
So die „FAZ" vom 2. August 1988.
Das war nicht nur so dahergesagt; denn eine unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen, bestehend aus zehn ausgewiesenen Gegnern sozialer Schutzrechte, arbeitet im Auftrag der Bundesregierung an Vorschlägen für weiteren Kahlschlag. Das politideologische Ziel heißt: Abbau des Tarifvertragsschutzes, weiterer Abbau des Kündigungsschutzes, weitere Einschränkungen von Sozialplanpflichten, gesetzliche Regelung von Arbeitskämpfen und
({8})
Privatisierung - die FDP verlangt es eigentlich schon jetzt - der Arbeitsvermittlung.
({9})
Die Gewerkschaften können von konkreten Erfahrungen berichten. Dazu einige Beispiele.
Die Gewerkschaft Textil-Bekleidung hat durch Umfragen ermittelt, daß sage und schreibe 53 % aller Neueinstellungen im eigenen Organisationsbereich befristet sind. Der Schwerpunkt liegt eindeutig bei der kurzen Befristung, besonders für Frauen. Nach der Umfrage der Gewerkschaft Textil-Bekleidung hatten 52,8 % der befristet eingestellten Frauen einen Arbeitsvertrag von nur bis zu sechs Monaten.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, Landesbezirk Hessen, hat die Auswirkungen konkret dargestellt.
Frau Weiler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?
Ja.
Frau Kollegin Weiler, wenn so viele befristete Arbeitsverträge unter sechs Monaten liegen, bitte ich Sie, mir zu erläutern, inwiefern sich die Betroffenen bezüglich des Kündigungsschutzgesetzes schlechter standen. Wenn ich es noch einmal sagen darf: Wenn jemand länger als sechs Monate beschäftigt ist, greift das Kündigungsschutzgesetz ja nicht. Darum frage ich Sie, wieweit die sich schlechter stehen, als wenn sie unbefristet eingestellt worden wären.
Herr Scharrenbroich, die gesamte Atmosphäre, die gesamte Einstellung von Menschen, die von vornherein wissen, daß sie befristet eingestellt werden, bedeutet für die Lebensplanung ganz enorm viel. Das bedeutet auch für die Lebensplanung dieser Frauen sehr viel.
({0})
- Es ist doch etwas ganz anderes, ob man mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag eingestellt wird und eine normale Kündigungsfrist hat, oder ob man mit der Vorstellung eingestellt wird, sich nach sechs Monaten nach etwas anderem umsehen zu müssen. Das hat doch eine ganz andere Qualität.
({1})
Das ist also eine ganz entscheidende Veränderung der Qualität der Arbeitsbeziehung in der Bundesrepublik.
Genau daher, nicht allein wegen der Zahlen, die wir hier nennen, müssen Sie auch Herrn Dreßler recht geben, als er 1985 gesagt hat: Sie werden den Arbeitsmarkt qualitativ verändern. Sie haben es auch getan.
Auch eine Umfrage der IG Chemie, Papier, Keramik hat ergeben, daß überwiegend solche Arbeitsplätze nur unbefristet wiederbesetzt wurden, deren dauerhafte Besetzung unstrittig erforderlich war. Auch hier sind junge Frauen ganz besonders betroffen.
Aus einem Betrieb wurde berichtet: Die nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz zulässige Befristung wird dazu mißbraucht, Schwangere aus der Erwerbstätigkeit zu drängen und ihnen damit Mutterschaftsschutzrechte und Mutterschaftsschutzfristen und auch das Mutterschaftsgeld vorzuenthalten. Ich habe vor drei Jahren gehört, daß sich die damalige Frauenministerin Süssmuth sehr wohl überlegen wollte, ob sie da nicht einmal Einspruch erhebt.
({2})
Von Frau Lehr hören wir nichts mehr. Pro Jahr gibt es fast 1 Million Arbeitslosmeldungen nach befristeter Beschäftigung. Untersuchungen ergeben, daß jede sechste Arbeitslosmeldung als Grund eine auslaufende befristete Beschäftigung nennt.
Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kollegen von den Sozialausschüssen der Union sind sicherlich wieder einmal in einer bedauernswerten Situation.
({3})
- Sie werden sich wundern, daß wir uns mit denen tatsächlich solidarischer fühlen, als Sie glauben, besonders bei dem, was passiert ist.
({4})
Wir haben nämlich diese Gruppe der CDU in manchen Punkten schon einmal als Verbündete erhofft, aber - wie so vieles - leider umsonst.
Die Befristung von Arbeitsverhältnissen nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz soll nach Ansicht der CDU-Sozialausschüsse künftig von der Zustimmung der Betriebsräte abhängig gemacht werden
- so haben Sie das gesagt - , vor allen Dingen deshalb, weil man festgestellt habe, daß das Gesetz aus dem Jahr 1985 eine arbeitsrechtliche Wirkung entfaltet habe, die nicht im Interesse des Gesetzgebers gelegen habe. Das Gesetz habe die Befristungspraxis in Bereiche hinein erweitert, wo ansonsten unbefristete Neueinstellungen vorgeherrscht hätten. Die CDA hat das kritisiert. Aber was ist daraus geworden?
({5})
Das ist ein sehr konstruktiver Beitrag. - Weil Herr Feilcke es nicht ins Protokoll haben will, möchte ich es wiederholen. Er hat gesagt: Wir sind nicht bei der dritten Lesung!
({6})
Wir können also die Hoffnung haben, daß sie dieses Gesetz mit uns vielleicht doch noch ablehnen.
({7})
Die Informationen, Herr Scharrenbroich, die Sie bei der Angestelltenkammer in Bremen eingeholt haben, waren sehr, sehr wichtig; den Brief an Sie persönlich vom 8. Juni 1989 müssen Sie eigentlich haben. Nehmen Sie sich diese Informationen zu Herzen. Dann können vielleicht auch Sie dazu kommen, das Gesetz abzulehnen.
({8})
- Diesen Brief hat unser Ausschußvorsitzender bekommen, und alle Mitglieder im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben eine Kopie bekommen.
Die SPD und die Gewerkschaften haben die verheerende Wirkung dieses sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes vorhergesehen, und sie haben leider recht behalten. Ich will nur einige Punkte nennen. Der Kündigungsschutz hat in der Praxis weiter an Bedeutung verloren. Durch dieses Gesetz sind Jobsharing und Arbeit auf Abruf salonfähig gemacht worden. Die Mitbestimmungsrechte wurden ausgehöhlt. Die Sozialplanpflicht wurde eingeschränkt.
({9})
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, Herr Feilcke.
({10})
- Lassen Sie mich einmal aussprechen.
Es geht hier nicht nur darum, daß kleinen, kapitalschwachen mittelständischen Unternehmen geholfen werden soll;
({11})
denn Sie wissen sehr genau, daß sehr viele Großbetriebe und sehr viele Konzerne dieses Gesetz inzwischen anwenden und enorm viele Arbeitsplätze in dieser Weise besetzen.
({12})
Die geltenden Tarifverträge lassen genügend Spielraum für eine flexible Personalpolitik in besonderen und zu begründenden Fällen, wie bei Aushilfen, Saisonarbeit, bei Verträgen im Baugewerbe, bei Verträgen mit Künstlern und ähnlichem. Diese Ausnahmemöglichkeiten gab es schon früher und gibt es auch heute. Dafür brauchen wir Ihr Beschäftigungsförderungsgesetz überhaupt nicht.
Herr Kanzler Kohl hat seine Regierungszeit mit der Versicherung begonnen: Wir verlangen die notwendigen Opfer nicht von den Einkommensschwachen, sondern von denen, denen diese Opfer eher zugemutet werden können.
Herausgekommen ist das genaue Gegenteil: Wer nichts hat, dem wird in unserem Land auch nichts gegeben. Die Kette der Eingriffe in die soziale Sicherung wird immer länger. Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wird mutwillig verletzt.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.
({13})
Ich verspreche den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in unserem Lande, daß dieses Gesetz eines der ersten sein wird, die wir 1991 aufheben werden.
({14})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Altestenrat schlägt vor, den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1990 auf Drucksache 11/4952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweite Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
12002 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 158. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 14. September 1989
Präsidentin Dr. Süssmuth
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Eingliederungsleistungen für Aussiedler und Übersiedler ({0})
- Drucksache 11/5110 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt heute in erster Lesung der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Eingliederungsleistungen für Aus- und Übersiedler, das Eingliederungsanpassungsgesetz, vor.
Wir alle - und sicher niemand ohne tiefe Bewegung - haben in diesen Tagen die Bilder aus Ungarn und dann aus Passau oder Freilassing gesehen. Tausende von Deutschen aus der DDR haben lange gehofft, und nun haben sich ihre Hoffnungen erfüllt. Wir haben in diesen Tagen wohl alle empfunden, wie sehr diese Bundesrepublik Deutschland das Ziel der Hoffnung und der Sehnsucht von vielen Deutschen ist. Ich denke - ich will auch dies vorweg sagen - , daß uns in diesen Tagen diese Eindrücke auch neu bewußt machen sollten, daß wir Verantwortung für unsere freiheitliche Ordnung, nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Landsleute tragen, die ihre Hoffnungen auf diese Ordnung der Freiheit richten.
({0})
Wir sollten über die bewegenden Erfahrungen und Eindrücke dieser Tage mit den Umsiedlern und den Flüchtlingen aus der DDR nicht die Aussiedler vergessen, von denen Monat für Monat viele Tausende - bis zu 30 000 - aus der Volksrepublik Polen, aus der Sowjetunion, aus Rumänien zu uns kommen. Es ist unsere selbstverständliche Pflicht, meine Damen und Herren, alle diese Landsleute, die zu uns kommen, unabhängig davon, ob sie aus Leipzig oder aus Kasachstan kommen, hier in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.
({1})
Es ist nicht Ziel unserer Politik - ich habe das oft gesagt -, daß möglichst viele kommen. Ziel unserer Politik ist, daß die Deutschen in ihrer Heimat Lebensverhältnisse vorfinden, die sie nicht dazu zwingen, zu Hunderttausenden ihre Heimat zu verlassen. Aber die, die auf Grund ihrer eigenen, von uns zu respektierenden Entscheidung zu uns kommen, müssen wir aufnehmen.
Bund und Länder tun das ihre, um sie rasch in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben hier bei uns eingliedern zu können. Ich erinnere nur an das, worüber wir im Rahmen des Nachtragshaushalts 1989 debattiert und was wir in diesem Zusammenhang entschieden haben, auch daran, worüber wir im Zuge der Haushaltsberatungen für das Jahr 1990 zu beraten haben. Ich weise auch auf die bemerkenswerten und dankenswerten Bemühungen der Bundesanstalt für Arbeit hin.
In den vergangenen Monaten ist in der Bevölkerung verschiedentlich der Eindruck entstanden, Aus- und Übersiedler würden gegenüber der einheimischen Bevölkerung bevorzugt. Das ist ein Mißverständnis, meine Damen und Herren, von Demagogen zum Teil bewußt geschürt und ausgenutzt. Es war immer derselbe Rentenbescheid, der in millionenfacher Auflage überall verteilt worden ist und der angeblich den Eindruck erweckt hat, als würden die Deutschen, die neu zu uns kommen, bevorzugt.
Natürlich gibt es in den gesetzlichen Regelungen einzelne Unstimmigkeiten. Deswegen haben wir uns entschieden, diesen Entwurf eines Eingliederungsanpassungsgesetzes vorzulegen, mit dem wir dem Neid und der Mißgunst, die gegen unsere Landsleute, die zu uns kommen, geschürt werden, den Boden entziehen wollen.
({2})
Wir wollen mit diesem Gesetz unterstreichen, daß Aus- und Übersiedler nicht besser, aber auch nicht schlechter als diejenigen gestellt werden sollen, die als Deutsche schon lange das Glück haben, im freien Teil unseres Vaterlandes zu leben.
Der Entwurf will Unstimmigkeiten wie etwa Vergünstigungen beim Bezug von Sozialwohnungen, bei der Ermittlung der Wohngeldberechtigung und im steuerlichen Bereich beseitigen. Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist die Neuregelung der Sicherung des Lebensunterhalts im Falle der Arbeitslosigkeit und für die Zeiten der Teilnahme an einem Lehrgang der deutschen Sprache.
Die bisher gewährten Leistungen, nämlich Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld, sollen durch ein neu zu schaffendes Eingliederungsgeld abgelöst werden, das unter erleichterten Bedingungen bezogen werden kann; denn die Betroffenen haben hierauf bereits dann einen Anspruch, wenn sie im Herkunftsland mindestens fünf Monate erwerbstätig gewesen sind. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre häuslichen und familiären Verhältnisse zu ordnen, wird das Eingliederungsgeld in den ersten beiden Monaten nach der Einreise auch dann gezahlt, wenn der Aus- oder Übersiedler für den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis noch nicht zur Verfügung steht.
Das Verfahren kann sehr vereinfacht werden, weil die Eingliederungsgeldleistungen pauschaliert werden. So können die heute noch bestehenden Schwierigkeiten bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes für Aussiedler, die auf dem Fehlen ausreichender Sprachkenntnisse oder entsprechender beruflicher Qualifikation beruhen, in Zukunft entfallen.
Die vielfach geäußerte Befürchtung, durch die Einführung des Eingliederungsgeldes würden Familien von Aus- und Übersiedlern stärker als bisher auf Sozialleistungen angewiesen sein, teile ich nicht. Wenn beide Ehepartner erwerbstätig gewesen sind und es auch in Zukunft sein wollen, so haben sie jeder für sich einen Anspruch auf Eingliederungsgeld. Angesichts der Höhe der Leistungen kann Sozialhilfebedürftigkeit dann von vornherein mit Sicherheit ausgeschlossen werden. In rund 80 v. H. der Fälle sind beide Ehepartner berufstätig gewesen. Also wird in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch in Zukunft keiner auf Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes angewiesen sein.
Lediglich in den Fällen von Familien mit nur einem Verdienst kann die Summe des Eingliederungsgeldes und anderer Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld in Einzelfällen niedriger liegen als nach dem Sozialhilfebedarf. Aber dazu kommt es schon nach dem heute geltenden Recht in Einzelfällen. Insoweit tritt durch das neue Gesetz keine Verschlechterung ein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, nachdem Sie hier erklärt haben, daß es Verschlechterungen geben kann und falsche Semantik mit „Eingliederung" getrieben wird, frage ich: Können Sie mir einmal den Widerspruch erklären, daß Sie einerseits Aussiedler und in dieser Woche auch Übersiedler aus der DDR hier herzlich willkommen heißen und andererseits in derselben Woche einen Gesetzentwurf zur Beratung bringen, der für die Übersiedler den Anspruch auf Arbeitslosengeld beseitigen soll, wodurch diese Bürger in vielen Fällen auf die Sozialhilfe zurückfallen?
({0})
Aber, Frau Kollegin Steinhauer, Sie haben offensichtlich die Frage vor Beginn dieser Aussprache aufgeschrieben. Denn ich habe genau diese Frage seit sieben Minuten ausführlich beantwortet.
({0})
Ich habe gesagt: Erstens wollen wir Neid und Mißgunst, die von Demagogen gegen Aus- und Übersiedler geschürt werden,
({1}) den Boden entziehen.
({2})
Zweitens wird in aller Regel keine Sozialhilfebedürftigkeit eintreten. Drittens habe ich gesagt: Es gibt auch nach heute geltendem Recht - an dieser Stelle haben Sie mich soeben unterbrochen - Einzelfälle, wo Sozialhilfe gewährt werden muß. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber eine Verschlechterung tritt auch
in diesen Fällen nicht ein. Ich habe wirklich das alles gerade beantwortet.
({3})
Ich finde wirklich: Debatten bestehen nicht nur aus Reden, auch nicht nur aus Zwischenfragen, sondern ein bißchen auch noch aus Zuhören. Das ist wirklich meine herzliche Bitte.
({4})
Wissen Sie, es ist wirklich schlimm, wenn man solche Fragen stellt. Ich bin gerade dabei, darüber zu reden; und dann sagen Sie so etwas. Seien Sie mir nicht böse.
({5})
- Nein; überhaupt nicht!
({6})
Aber ich würde gern, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, etwas anregen. Erstens finde ich: Wir sollten wirklich das Thema erörtern, wie wir die Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung erhalten und stärken. Das betrifft - ich sage es bewußt - nicht nur die 10 000, 11 000, 12 000 Übersiedler, die jetzt unter großer Medienbeobachtung zu unser aller Freude gekommen sind, sondern auch die 300 000, 350 000 Aussiedler, die mit wenig Medienbeobachtung zu uns kommen.
({7})
Da dürfen Neid und Mißgunst nicht geschürt werden. Deswegen brauchen wir dieses Gesetz.
({8})
Ich plädiere dafür, im Zug des Gesetzgebungsverfahrens gemeinsam auch darüber nachzudenken, ob wir nicht ein sogenanntes Teileingliederungsgeld schaffen können.
({9})
Denn dieses würde es Aussiedlern ermöglichen, in den ersten Monaten ihres Hierseins eine Erwerbstätigkeit auszuüben und daneben vielleicht halbtags an einem deutschen Sprachkurs teilzunehmen. Ich rege das ausdrücklich an.
({10})
Ich bin überzeugt, daß wir mit diesem Gesetz uns und damit den Aussiedlern - denn sie sind Teil von uns; sie gehören zu uns - helfen. Es liegt gerade im Interesse der Aus- und Übersiedler, die Mißverständnisse zu beseitigen, aus denen Neid und Mißgunst geschürt werden können. Die Menschen, die zu uns kommen, haben weiß Gott alle ein schweres Lebensschicksal hinter sich, von dem sich die wenigsten in unserer Bevölkerung eine Vorstellung machen können. Sie sind es gewesen, die ungleich schwerer als wir alle die Folgen des Zweiten Weltkriegs haben tragen müssen. Deswegen sind wir alle - wir, die wir politische Verantwortung tragen, aber auch unsere ganze Bevölkerung - diesen deutschen Landsleuten zu Hilfe und Solidarität verpflichtet.
({11})
Wenn wir es mit Freiheit und Solidarität ernst meinen, dann kann sich diese freiheitliche Ordnung an der Aufgabe, diese Landsleute aufzunehmen, bewähren. Deswegen sind die Aus- und Übersiedler auch eine Chance gerade für uns, die wir so viel Freiheit und so viel Wohlstand haben. Ich finde, wir sollten miteinander diese Chance nutzen.
({12})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hämmerle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die seit 1987 stark angestiegene Aufnahme von Aussiedlern und Übersiedlern hat deutlich werden lassen, daß das bisherige Instrumentarium für die Eingliederung in der Praxis Probleme aufwirft, die in der Vergangenheit angesichts erheblich geringerer Zugangszahlen nicht aufgetreten sind.
Mit diesen Sätzen leitet die Bundesregierung den Gesetzentwurf ein, den wir hier heute in erster Lesung beraten. Das ist eine späte Erkenntnis. Von Anfang an haben wir den Verantwortlichen in Regierung und Koalition gesagt, daß es leichtfertig ist, alles auf sich zukommen zu lassen und keine Vorsorge für die Infrastruktur im eigenen Land zu treffen. Vieles, Herr Minister, an Unmut, Ablehnung, ja Fremdenhaß, den wir alle zutiefst bedauern, hätte vermieden werden können, wenn Sie diesem Rat, der durchaus kooperativ war, gefolgt wären.
({0})
Aber nein, der Bundeskanzler hat die Politik der offenen Arme betrieben, die allerdings leer waren; leer vor allem in bezug auf Wohnungen, Arbeitsplätze und Gerechtigkeit bei den sozialen Leistungen, und zwar für alle.
Leichtfertig hat man auch unsere zentrale Forderung nach Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern mißachtet. Heute haben Sie das nicht getan; das will ich anerkennen. Das hat man so lange getan, bis es nicht mehr ging und sich die CDU unter dem Druck der Verhältnisse dieser Forderung angeschlossen hat. Nun tun Sie plötzlich so, als sei es Ihre Erfindung.
Wir bleiben dabei: Es ist ein Gebot der Menschlichkeit und nicht der Parteipolitik, sich um die Menschen zu kümmern, die zu uns kommen und die hier leben wollen.
({1})
Aber es ist ebenso ein Gebot der Menschlichkeit und zusätzlich noch der Vernunft, denen, die bleiben wollen, zu helfen.
Sie sparen mit diesem Eingliederungsanpassungsgesetz 430 Millionen DM.
({2})
Setzen Sie wenigstens etwas davon für die Hilfe im Herkunftsland ein, in der Sowjetunion und in Polen. Wir sind in beiden Ländern gewesen. Wir hoffen auf das Fortbestehen von Perestroika und darauf, was der frei gewählte polnische Ministerpräsident vor wenigen Tagen gesagt hat, nämlich man müsse sich nun auch um die deutsche Minderheit kümmern.
Aber wenn es nicht bald geschieht, wird es zu spät sein, und es wird eintreten, was der „Spiegel" in einem Bericht über das deutsche Siedlungsgebiet an der Wolga sagt:
Mit jedem Tag verschwinden Hunderte aus dem Land, die Autonomie braucht sich nur wenig zu verspäten, um endgültig zu spät zu kommen. Dann ist die eine Hälfte im Osten assimiliert, die andere im Westen. Im Roten Buch für aussterbende Völker wäre ein neues Kreuz zu malen.
Zur aktuellen Frage der Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR wird heute noch eine Debatte stattfinden. Deshalb hier nur so viel: Denen, die zu uns kommen, wollen wir mit solidarischer Hilfe begegnen.
({3})
Zu diesem Zweck müssen alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte in der Bundesrepublik zusammenarbeiten. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit.
({4})
Der Gesetzentwurf sieht vor, eine Reihe von Gesetzen den veränderten Verhältnissen anzupassen. Der wichtigste Punkt ist zweifellos die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes. Die CSU polemisiert in einer Pressemitteilung gegen die Haltung der SPD-regierten Länder, indem sie behauptet, die SPD lehne wieder einmal Maßnahmen ab, die der Gerechtigkeit dienen.
Dieses ist falsch. Der Hauptgrund des Widerspruchs der SPD-regierten Länder ist der - das haben Sie hier auch nicht ausgeräumt, Herr Minister - , daß in der Tat befürchtet werden muß, daß eine größere Zahl von Menschen in die Sozialhilfe abgleiten,
({5})
die dann - das ist der Grund des Widerspruchs - von den Kommunen und den Landkreisen bezahlt werden muß, die sowieso schon in starkem Maße mit Folgekosten von Kriegsfolgelasten behaftet sind, deren Beseitigung überhaupt nicht ihre Verpflichtung ist. Sie ist die alleinige Verpflichtung des Bundes.
({6})
Der Deutsche Städtetag hat deshalb gefordert, im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicherzustellen, daß das Eingliederungsgeld so bemessen wird - das haben Sie im Grunde hier schon zugesagt -, daß die Aussiedler und Übersiedler in Zukunft nicht in noch stärkerem Maße als bisher zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs auf Sozialhilfe angewiesen sind. Der Bundesrat hat sich diesem Petitum angeschlossen. Der Kollege Schreiner wird dazu nachher noch Ausführungen machen.
Der Gesetzentwurf enthält auch Passagen, die wir ohne Wenn und Aber mittragen, so z. B. die Änderung
des § 94 des Bundesvertriebenengesetzes, in dem festgelegt wird, daß die Familienzusammenführung von Personen nichtdeutscher Volkszugehörigkeit - ich zitiere - künftig ausschließlich nach den allgemeinen Regeln des Ausländerrechts möglich sein soll. Mit dieser Regelung wird eine Praxis beendet, die Teil des Zuzugs ist und für die es keine vernünftige Begründung gibt. Bei der Hausratentschädigung ist eine einheitliche Regelung in Höhe von 1 400 DM vorgesehen. Dem ist ebenfalls zuzustimmen.
Wir wollen dazu allerdings hier schon beantragen, daß der Lastenausgleich, so wie vorgesehen, 1992 beendet und durch eine andere gerechte Entschädigungsregelung ersetzt wird. Es gilt Abschied zu nehmen von den Regelungen aus den späten 40er und 50er Jahren, mit denen die Probleme der späten 80er und der frühen 90er Jahre nicht bewältigt werden können.
({7})
Wir behalten uns vor, auch anderes daraufhin zu überprüfen.
Wir beantragen aber auch, in den Ausschußberatungen zu prüfen, inwieweit die Praxis der sogenannten Rückverzinsung und anderes mehr schon jetzt geändert werden muß.
Ein weiterer Bereich der Überprüfung ist z. B. der Paragraph des Bundesvertriebenengesetzes, aus dem sich die Bevorzugung von Aussiedlern bei der Wohnungsvergabe ergibt. Alle Wohnungen, gleichgültig mit welchen öffentlichen Mitteln sie finanziert sind, müssen nach unserer Vorstellung allen Zugangsberechtigten offenstehen.
Nötig ist auch eine Überprüfung der Höhe und Dauer der Darlehen, die zur Gründung einer selbständigen Existenz führen.
Das beste Eingliederungsanpassungsgesetz wäre: erstens ein stark beschleunigtes Programm für den sozialen Wohnungsbau. Mehr als 1 Million Wohnungen werden gesucht. Die ersten, wir sagen: die ersten zögerlichen Schritte der Bundesregierung reichen nicht im entferntesten für den Bedarf, schon gar nicht bei den nochmals steigenden - davon gehen wir auch aus - Aus- und Übersiedlerzahlen jetzt und in den kommenden Jahren.
Zweitens: massive Maßnahmen zur Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Immer mehr Aussiedler geraten in die Arbeitslosigkeit. Es ist nicht mehr so wie am Anfang. Wir dürfen dieses nicht verkennen.
Drittens: gerechte Sozialleistungen - dieses scheint mir das Wesentlichste zu sein - , die keine Bevorzugungen enthalten.
({8})
Wenn dieser Gesetzentwurf dazu beiträgt, dann haben Sie in einem weiten Teil der Passagen und der Vorschläge unsere Unterstützung.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Thomae.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen alle Aussiedler und Übersiedler, die in den letzten Tagen und Wochen in die Bundesrepublick Deutschland gekommen sind. Sie haben sich für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung entschieden, und das verdient den Respekt von uns allen.
({0})
Wir rechnen bis zum Jahre 2000 mit rund 2 Millionen Aus- und Übersiedler. Es ist unsere Pflicht, für die Integration dieser Mitbürger in unserer Gesellschaft und in unserer Arbeitswelt weitere Vorsorge zu treffen. Es ist vor allen Dingen sicherzustellen, daß das System der sozialen Sicherung, neben der Gewährung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz, und die Versorgung mit Wohnraum in einem gebotenen Umfange möglich bleiben. Darum dieses Gesetz.
Dieses Gesetz dient dem Zweck, die Eingliederungshilfen ziel- und sachgerechter zu gewähren, die Veränderungen der Entwicklung anzupassen, das Verfahren zur Eingliederung zu vereinfachen und vor allen Dingen, meine Damen und Herren, bei vergleichbaren Leistungen die Gleichbehandlung von Aus- und Übersiedlern mit der übrigen Bevölkerung zu gewährleisten.
Der unter einem materiellen Aspekt wichtigste Punkt dabei ist die Zusammenfassung von Unterhalts- und Arbeitslosengeld zu einem einheitlichen Eingliederungsgeld. Wichtig ist, daß die schwierige Einstufung der Aussiedler bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes künftig entfällt. Durch diese Pauschalierung der Bemessungsgrundlage ergeben sich erhebliche Verwaltungsvereinfachungen; darum ist dieses Gesetz ein Gesetz in die richtige Richtung.
Nicht gefallen will mir indessen die Tatsache, daß die Kosten der Sprachförderung für Aussiedler, die in diesem Jahr etwa 3 Milliarden DM betragen werden, von der Bundesanstalt für Arbeit getragen werden sollen. Die Förderung der Sprachkurse für die neuen Mitbürger ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich bin der Auffassung, daß haushaltspolitische Aspekte in diesem Zusammenhang nicht Prioritäten haben. Ich habe zwar Verständnis für die Haltung des Finanzministers, wenn es um die finanzielle Zuweisung der Zahlung des Eingliederungsgeldes geht, und zwar in den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, völlig anders liegen die Dinge aber bei den Kosten der Sprachförderung. Diese dürfen nicht allein von denjenigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Dazu müssen wir, in diesem Fall als Steuerzahler, unseren Beitrag leisten.
Über die finanzielle Unterstützung hinaus, die wir den Aus- und Übersiedlern zukommen lassen, ist es wesentlich, daß deren sprachliche, berufliche sowie gesellschaftliche Integration wesentlich rascher und reibungsloser verläuft als bisher. Notwendig ist eine effizientere Handhabung und Koordination der Sprachförderung und der beruflichen Qualifikation.
Was ist zu tun? Ich habe dazu folgende Vorstellungen. Der Einsatz von Modulen im Rahmen der Sprachförderung muß verstärkt werden, Kombination und
zeitliche Parallelität von sprachlicher und beruflicher Ausbildung, Verbesserung und Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Schulverwaltungen, Abstimmung der Arbeitsverwaltung mit den Kommunen,
({1})
Einsatz von Telekollegprogrammen für Sprach- und für Sozialkundeunterricht,
({2})
Standardisierung der Lehr- und Lernmittel. Meine Damen und Herren, wie das gegenwärtig bei uns läuft, ist im Grunde genommen eine Katastrophe, denn jede Schule arbeitet mit einem anderen Lehr- und Sprachprogramm.
({3})
Letztlich Flexibilisierung der Nutzung des Instrumentariums und der Umschulung und Fortbildung im Bereich der überbetrieblichen Ausbildungsstellen.
Dazu fordern wir von der FDP ebenfalls Einrichtung von zusätzlichen Kindergartenplätzen, damit es zu einer besseren Vereinbarkeit zwischen Elternpflichten und beruflicher und sprachlicher Integration kommt, denn viele können heute einfach nicht an Sprachkursen teilnehmen, weil hier Kindergartenplätze fehlen, und das kann doch nicht Sinn und Trachten einer Integration sein.
({4})
Dazu gehört aber auch die Einrichtung von zusätzlichen Förderklassen und Förderkursen in allen Schulformen. Es ist nicht notwendig, solche Förderkurse in allen Schulformen anzubieten, sondern hier sollte man durch optimale Gestaltung in einer Schulform entsprechende Förderkurse einrichten.
Natürlich ist es dringend notwendig, auch im Wohnungswesen zusätzliche Maßnahmen aufzuzeigen. Es fehlt mir leider die Zeit, hierauf detailliert einzugehen, aber wenn Sie die Presse verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, daß die FDP in den letzten Tagen hier Vorschläge unterbreitet hat.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß es uns gelingen wird, unsere deutschen Landsleute zu integrieren. Sie sind leistungsbereit und anpassungsfähig, sie sind gekommen, um zuzupacken und mitzumachen, und darum heißen wir sie herzlich willkommen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Meneses Vogl.
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Maßnahmen, die dazu dienen, Menschen in einer Extremsituation zu helfen, können wir nur unterstützen. Die von uns in der Bundesrepublik als Aussiedler und Übersiedler bezeichneten Einwanderer befinden sich tatsächlich in einer solchen Situation. Sie befinden
sich in einer entscheidenden Phase ihres Lebens, in einer Phase des Umbruchs, des neuen Anfangs. Obwohl ein unmittelbarer Zwang zur Ausreise, zum Verlassen ihrer Heimat nicht bestanden hat, sind diese Menschen geflüchtet. Die Gründe, die sie dazu bewogen haben, zu flüchten, seien sie objektiv oder subjektiv, sind eigentlich unwesentlich. Es ist nicht unsere Aufgabe - ich finde es sogar unangebracht und arrogant - , uns auf die Suche nach Gründen zu begeben; ob aus politischen oder aus wirtschaftlichen Gründen oder weil sie einfach in die Freiheit wollen - gleichgültig, wie sie diesen Begriff definieren - , sie sind geflüchtet.
Das Leben eines Flüchtlings ist zunächst sehr schwer, ich glaube, das wissen wir alle. Insofern ist der Versuch, eine soziale Eingliederung dieser Menschen in unsere schwierige moderne Gesellschaft zu erleichtern, als positiv zu sehen. Der Versuch, diese Menschen aus der Sozialfall-Situation, aus ihrer Abhängigkeit von der Sozialhilfe zu befreien, ist ebenfalls begrüßenswert.
Die wesentliche Frage ist, ob diese Maßnahmen ausreichen und ob sie nicht neue Konflikte innerhalb der bereits hier benachteiligt lebenden Teile der Bevölkerung schaffen. Die hiesige Bevölkerung, zumindest der Teil, der durch seine prekäre wirtschaftliche und soziale Lage sich selbst als benachteiligt betrachtet und objektiv benachteiligt ist, empfindet die Aussiedler und Übersiedler als Konkurrenz.
Die Bevorzugung der Aussiedler und Übersiedler in einigen sensiblen Bereichen hat zu schweren Konflikten geführt; sie hat eine wichtige Rolle in dem neuen Prozeß der Veränderung der parteipolitischen Landschaft gespielt; das ist nicht zu leugnen.
Hier hat die Bundesregierung versagt, weil es ihr nicht gelungen ist, rechtzeitig eine ausreichende Aufklärung innerhalb der Bevölkerung zu schaffen. Die hiesige Bevölkerung ist durch die Ankunft der Aussiedler und Übersiedler überrascht worden. Für die Bundesregierung aber hätte diese neue Situation keine Überraschung sein dürfen.
({0})
An einer präventiven Gesamtkonzeption hat es gefehlt. So mußte sie Maßnahmen ergreifen, die den Charakter der Flickschusterei haben.
Ich glaube nicht, daß sich die Situation der Aussiedler und Übersiedler durch das mit dem neuen Gesetz geschaffene Eingliederungsgeld und durch die weiteren Eingliederungsmaßnahmen wesentlich im Vergleich zur vorherigen Lage verändern wird. Für eine Gleichstellung ist das Eingliederungsgeld nicht ausreichend, solange die Wohnsituation nicht geregelt ist.
({1})
In der Bundesrepublik besteht eine akute Wohnungsnot, das wissen wir alle. Eine Lösung dieses Problems ist bisher nicht sichtbar, im Gegenteil, die Wartelisten bei den Wohnungsämtern werden immer länger. Menschen mit wenig Geld, Rentner und Rentnerinnen, Ausländer und Ausländerinnen, Erwerbslose,
Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende und kinderreiche Familien finden keine Wohnung.
({2})
Die Aussiedler und Übersiedler werden diese Liste noch erweitern. Dadurch werden sich die sozialen Konflikte und der Konkurrenzkampf unter Minderprivilegierten noch zuspitzen. Solange dieses Problem nicht gelöst oder endlich entscheidend angegangen wird, werden die Eingliederungsmaßnahmen nicht ausreichen. Im Gegenteil, wenn es der Bundesregierung wie bisher nicht gelingt, diese Maßnahmen überzeugend zu vermitteln, können sie weiteren Zündstoff für den bereits bestehenden sozialen Konkurrenzkampf bedeuten.
({3})
Vollmundige Appelle an die nationale Solidarität bleiben ungehört in einer Gesellschaft, die die soziale Nähe und die soziale Verantwortung zunehmend nicht als ein begehrenswertes Prinzip betrachtet.
({4})
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Die Verfasser des vorliegenden Gesetzentwurfes haben schön aufgepaßt, daß nicht-deutsche Ehepartner oder Ehepartnerinnen eines Aussiedlers unter das Ausländerrecht fallen. Hieran wird noch einmal deutlich, wie sensibel die Bundesregierung reagiert, wenn es um nichtdeutsche Menschen geht.
({5})
Deswegen war es nicht verwunderlich, daß auf dem letzten Parteitag der CDU die Bemühungen der GRÜNEN und der gesamten Opposition für eine menschliche Ausländer- und Flüchtlingspolitik auf taube Ohren gestoßen sind. Auf den Gedanken, Eingliederungsmaßnahmen in Form eines Gesetzes für Flüchtlinge aus der Dritten Welt vorzuschlagen oder endlich in die Diskussion über ein Einwanderungsgesetz einzusteigen, wie das von uns vorgeschlagen und von der SPD auch angeregt
({6})
und zumindest ansatzweise berücksichtigt wurde, sind Sie nicht gekommen. Ich denke, Kollegen aus der CDU/CSU, warum auch!
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Czaja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte zu dem wichtigen Eingliederungsanpassungsgesetz in erster Lesung hat schon dazu geführt, daß notwendige allgemeine Bemerkungen gemacht wurden. Auch ich möchte die Aussage aller Parteien und der Bundesregierung und insbesondere die Antwort unterstützen, die von der Bevölkerung auf den großen Zustrom der Übersiedler in Form einer vollen und begeisternden Solidarität gegeben worden ist. Diese Solidarität möge auch bei
den praktischen Maßnahmen in den nächsten Wochen und Monaten anhalten.
({0})
Ich möchte mich aber auch bei dem Herrn Bundesinnenminister dafür bedanken, daß er gesagt hat,
({1})
dies müsse auch für die Aussiedler gelten. Besten Dank dafür. Ich habe den Eindruck, daß sich inzwischen manche Widerstände abgebaut und gelockert haben und man eingesehen hat, daß Aussiedler und Übersiedler in vielen Bereichen einen Gewinn darstellen.
({2})
Herr Bundesminister, ich möchte in diesem allgemeinen Zusammenhang Ihnen und dem Chef des Kanzleramtes, Herrn Minister Seiters, und der gesamten Bundesregierung auch dafür danken, daß sie in den letzten Wochen und Monaten mit soviel Zähigkeit, mit soviel Klugheit, aber auch mit Entschiedenheit auf der Freizügigkeit Deutscher und auf der Schutzpflicht für deutsche Staatsangehörige in dritten Staaten sowie auf der Beachtung der Ausreisefreiheit des Politischen Menschenrechtspaktes beharrt haben. Es ist ja beachtlich, wie stark sich diese Fragen der einen deutschen Staatsangehörigkeit - dank Ihrer Hilfe - , der Freizügigkeit für Deutsche durchgesetzt haben. Aber ich möchte noch besonders unterstreichen, daß hier ein erster Fall vorliegt, in dem sich hier in Europa und dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs der Art. 12 des Politischen Menschenrechtspaktes in dieser Weise gegen andere beschränkende Abkommen, die vorlagen, durchgesetzt hat.
Die Rechtsverpflichtungen dieses Artikels des Politischen Menschenrechtspaktes, der inzwischen von über 80 Staaten ratifiziert wurde - auch von der DDR und von anderen Ostblockstaaten -, eröffnen das Recht, jedes Land frei zu verlassen. Das hat sich gegenüber früheren Abkommen im Ostblock durchgesetzt, die das zu verhindern suchten. Das ist auch völkerrechtlich so in Ordnung.
Das gibt uns aber allen Anlaß, verstärkt das zu tun, was bei aller Verpflichtung zur Aufnahme der Menschen, die hier herkommen, der Deutschen, die hier herkommen, ebenso notwendig ist. Wir müssen alles nur Menschenmögliche mit Klugheit aber auch mit Entschiedenheit dafür tun, daß die Deutschen - sei es in den Gebieten östlich von Oder und Neiße, sei es in anderen Siedlungsgebieten oder in Mitteldeutschland - in ihren angestammten Regionen, in ihrer angestammten Heimat verbleiben, einen menschenwürdigen Alltag haben und sich dort frei in ihrer Eigenart entfalten können.
({3})
Hier hilft uns der Politische Menschenrechtspakt. Ich muß auch an alle unsere Verbündeten und an die Europäische Politische Zusammenarbeit die Bitte äußern - die sich so oft mit den Grundrechten in anderen Gebieten der Welt befaßt hat -, uns hier zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, es ist nach dem Menschenrechtspakt legitim, daß diejenigen, die die Menschenrechte beachten und stützen - auch das Ausreiserecht, aber vor allem auch das Recht auf einen menschenwürdigen Alltag, und das ist für uns das Wichtigste - , daß diese Staaten auch wirtschaftliche und politische Vorteile erhalten
({4})
und diejenigen, die die Menschenrechte versagen, bei neuen zusätzlichen politischen oder wirtschaftlichen Vorteilen restriktiv behandelt werden.
({5})
Nun möchte ich noch einmal, meine Damen und Herren, die Maxime, die der Herr Innenminister hier dargelegt hat und die der Herr Bundeskanzler in einer Regierungserklärung im April 1989 nach vorn gestellt hat, unterstreichen, nämlich die Maxime, daß niemand, der als Übersiedler oder Aussiedler hierherkommt, in den verschiedenen Leistungen besser, aber auch nicht schlechtergestellt werden soll. Hinsichtlich der Rentenfrage wird das ja in einem anderen Gesetz behandelt. Es gilt, diese Fragen in dem Artikelgesetz etwas näher zu durchleuchten und zu beleuchten, und Erfahrungen, die sich inzwischen ergeben haben, dabei zu verwerten.
Da sind zunächst einmal die Kosten der Sprachförderung. Diese Kosten sind sehr in die Höhe gegangen. Herr Kollege Thomae hat die Frage „Wer und wie?" angesprochen. Das ist eine besondere Frage, die zu klären ist. Aber ich glaube - das haben Sie, Herr Thomae, sehr richtig angesprochen - , die Zusammenarbeit mit den Kultusministerien und mit denjenigen, die Erfahrungen in Sprach- und anderen Unterrichtsfragen haben, sollten verbessert und verstärkt werden. Ich möchte deshalb der baden-württembergischen Regierung dafür danken, daß sie beim Landesarbeitsamt ein Abkommen hierzu durchgesetzt hat.
Ich muß jedoch auch sagen, daß die Klagen darüber wachsen, daß bei einem Teil der Träger die pädagogische Effizienz
({6})
vieles zu wünschen übrigläßt, und ich möchte an das Arbeitsministerium die dringende Bitte richten, mit der Bundesanstalt für Arbeit fliegende pädagogische Kommissionen einzusetzen, besetzt mit in Sprachfragen erfahrenen Kräften, die jene Träger abbremsen, die pädagogisch ineffizient handeln, und ihnen Ersparnisse aufzuerlegen. Bei einer Ausgabe von so vielen Milliarden muß dafür gesorgt werden, daß die Mittel pädagogisch effizient gegeben werden.
({7})
Ich möchte jenen Trägern, die das tun, herzlich danken; aber ich habe diese Kritik ja angemeldet.
Herr Bundesinnenminister, ich möchte Ihnen und auch anderen - Herr Thomae - ganz besonders herzlich dafür danken, daß Sie die Frage angesprochen haben, daß die Hindernisse für die arbeitsbegleitenden Teilsprachkurse abgebaut werden müssen. Wir müssen darüber rasch, aber auch sorgfältig beraten. Diese und andere Fragen müssen hier geklärt werden.
Deshalb ist es wichtig, daß sich nicht Erwachsene in pädagogisch ineffizienten Sprachkursen monatelang langweilen, wen sie eine Fachsprache auch am Arbeitsplatz besser und rascher erlernen können. Das alles muß gegeneinander abgewogen werden, und wir dürfen uns hier nicht von reinen Theoretikern ins Bockshorn jagen lassen.
Meine Damen und Herren - auch die SPD hat es angesprochen - , sehr sorgfältig ist natürlich die Höhe des Eingliederungsgeldes zu überprüfen. Ich bejahe ausdrücklich die Einführung, Frau Kollegin Steinhauer, des Eingliederungsgeldes, wenn es eine Vereinfachung des Verfahrens und eine Vereinheitlichung mit sich bringt.
Aber es dürfen nicht radikale, gravierende Minderleistungen gegenüber dem Arbeitslosengeld erfolgen. Das müssen wir uns noch einmal genau vorrechnen lassen; das müssen wir prüfen, auch die Berechnungsgrundlage dafür.
Ich möchte hier noch ein zweites Moment einführen, das wir zu wenig beachtet haben. Herr Innenminister, ich bitte Sie, auch mit den Ländern die Frage zu prüfen, ob die Gebühren für die Übergangswohnheime, für mehrere Menschen in einer Stube und für die bescheidene Zwangsverpflegung, insbesondere in den Hotels, nicht zu hoch sind.
Wenn eine Familie mit zwei Kindern nur ein Eingliederungsgeld in Höhe von 1 011 DM oder 1 020 DM - für das erste Kind vielleicht noch etwas dazu - erhält und zugleich bis 1 000 und mehr Mark für einen Ausweichplatz im Hotel mit einem Raum und vielleicht einer Kochmöglichkeit und für die Zwangsverpflegung bezahlen muß, dann erhält sie von der einen öffentlichen Hand das Eingliederungsgeld; andererseits muß sie dieses gesamte Eingliederungsgeld wieder an öffentliche Hände zurückzahlen. Diese Familie fällt, wenn das Hotel 1 500 DM kostet, zusätzlich der Sozialhilfe anheim. Wir können nicht unsere Hand dazu reichen, daß eine Umschichtung von Lasten der Bundesanstalt auf die Sozialhilfe erfolgt.
({8})
- Deshalb wird das sorgfältig zu prüfen sein, Frau Kollegin.
Ich möchte noch wenige Bemerkungen zur Wohnungsversorgung machen, für die Bund, Länder und Gemeinden mitverantwortlich sind. Ich möchte dazu auch einige Anregungen geben. Es mehren sich die kritischen Stimmen, daß die Mittel, die vom Bund und zum Teil von den Ländern bereits gegeben worden sind, zu zögerlich in Bauten umgesetzt werden. Ich möchte dem Wohnungsbauministerium raten, etwas zu tun, was auch schon früher gemacht worden ist: eine Monatsstatistik über die Höhe der an Träger ausgezahlten Gelder aus dem zukünftigen allgemeinen Sozialwohnungsprogramm und aus dem Sonderbauprogramm vom vorigen Jahr zu erstellen. Dann könnte man wie in einen Spiegel sehen, wo die Verzögerung stattfindet, wenn das nach Ländern gegliedert ist.
Ich möchte eine weitere Bitte äußern. Die Frau Bundesministerin für Wohnungsbau und Raumordnung
hat dankenswerterweise den Verpflichtungsrahmen für 1990 schon im September 1989 den Ländern bekanntgegeben. Meine Damen und Herren, mir ist kaum ein Land bekannt - ein einziges macht es, glaube ich - , das die eigenen zusätzlichen Mittel und die Bindungen und Bedingungen, die bei den Anträgen eine Rolle spielen, bereits bekanntgegeben hat. Wenn das nicht frühzeitig erfolgt, können die Bauträger nicht rechtzeitig vor Jahresende die Anträge auf Finanzierung stellen.
Ein Letztes zum Wohnungswesen. Bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Ausgleichsbank sind sehr hohe zinsgünstige und auszahlungsgünstige Mittel für Bauvorhaben zur Zwischenunterbringung und von Übergangswohnheimen vorhanden. Sie fließen nach Änderung der Richtlinien jetzt etwas besser ab. Aber man muß dringend überlegen, ob diese Mittel nicht auch für die Schaffung von Wohnungen selbst, auch von privaten Investoren, flüssig gemacht werden können. Es sind Hunderte von Millionen, die noch auswertbar sind.
Zwei letzte Bemerkungen. Frau Kollegin Hämmerle, ich war etwas erstaunt über Ihre Bemerkungen zum Art. 5 des Gesetzes, zu § 12 LAG. Hier kann es wohl nur um die Nr. 6 a des § 12 des Lastenausgleichsgesetzes gehen. Meine Damen und Herren, ich wollte gerade das Gegenteil vorschlagen. Frau Kollegin, ich bitte das noch einmal zu durchdenken. Man kann doch überhaupt nicht behaupten, daß bereits 1991 eine friedensvertragliche Regelung der Vermögensansprüche und der Kriegsfolgen zu erwarten ist. Es ist der eigentliche verfassungsrechtliche und gesetzgeberische Grund des Lastenausgleichs, eine Zwischenlösung während dieser Zeit zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich meine, die Anerkennung als Aussiedler ist sorgfältig, aber nicht mit neuen, nicht zu bewältigenden Hürden zu prüfen.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß in der Altersstruktur, in der Absicherung der sozialen Versorgung, im Leistungswillen und in der kulturellen Begegnung der deutschen Stämme große Gewinne zu verzeichnen sind. Wir sollten individuelle Leistungen an die betroffenen Personen zu Lasten eines Gießkannenprinzips verstärken. Ich bin der festen Überzeugung: Alles, was wir zur Eingliederung tun, wird den öffentlichen Haushalten und den Sozialträgern in verstärktem Maße wieder zufließen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will das Leitmotiv der Rede von Minister Schäuble aufgreifen. Minister Schäuble hat dargelegt, das zentrale Anliegen der Bundesregierung bestehe darin, die Quellen von Neid und Mißgunst abzubauen. Diesem Leitmotiv stimmen wir zu. Auch die Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß es darum gehen muß, eine strikte Gleichbehandlung zwischen unserer einheimischen Bevölkerung und den Aussiedlern und Übersiedlern aus der DDR, die zu uns kommen, zu erreichen. Wir sind strikt gegen
Bevorzugungen von bestimmten Personenkreisen. Die Frage ist nur, ob dieses Ziel mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung erreicht wird oder ob nicht möglicherweise das Gegenteil erreicht wird.
Ich will Sie auf einige Sachverhalte aufmerksam machen. Der erste Sachverhalt: Der rechtliche Status quo im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes geht gerade von der strikten Gleichbehandlung von Aussiedlern und Übersiedlern und der einheimischen Bevölkerung aus.
({0})
Noch einmal: Das ist der Status quo; die gegenwärtige Rechtslage geht von der Gleichbehandlung aus. Das, was nun im Gesetzentwurf der Bundesregierung steht, verstößt geradezu gegen diesen Gleichbehandlungsgrundsatz. Das kann man an einigen wenigen Zahlen darlegen.
Die Bundesregierung selbst geht in ihrem Gesetzentwurf davon aus, daß durch die Änderung der gültigen Rechtslage, also durch die Schlechterstellung der Übersiedler aus der DDR und der Aussiedler, bei der Bundesanstalt für Arbeit pro Jahr 430 Millionen DM gespart werden sollen. Das ist ja kein Pappenstiel; das ist fast eine halbe Milliarde DM.
({1})
- Das ist nicht nur eine Umschichtung, sondern es ist insgesamt unterm Strich eine Verschlechterung von fast einer halben Milliarde DM gegenüber der gültigen Rechtslage. Da kann von einer Gleichbehandlung überhaupt keine Rede sein. Das ist vielmehr eine eindeutige Schlechterstellung im Vergleich zu den bisherigen Rechtsverhältnissen.
Diese Schlechterstellung steht nun in einem merkwürdigen Kontrast zu dem Begrüßungspathos, das auf der einen Seite von Ihnen inszeniert wird. Auf der anderen Seite werden hier im Deutschen Bundestag im gleichen Atemzug drastische Verschlechterungen für die Betroffenen eingeführt. Ich habe nichts dagegen, daß Sie auf Ihrem CDU-Bundesparteitag Geld für die Übersiedler sammeln. Aber ich habe sehr wohl etwas dagegen, wenn hier im Deutschen Bundestag im gleichen Atemzug ein Gesetz eingebracht wird, das diese Personengruppe um eine halbe Milliarde DM schlechterstellt als gegenüber dem gültigen Rechtszustand.
({2})
Das ist doch nichts anderes als die Organisation von purer Heuchelei und Pharisäertum, was Sie hier betreiben.
({3})
Das sollte man auch mit diesen deutlichen Worten so nennen.
Das sollte man in diesem Hause nicht so nennen.
Bitte?
Das sollte man in diesem Hause nicht so nennen.
12010 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Schreiner ({0}): Dann nenne ich es eben außerhalb dieses Hauses so. - Und es ist sonderbar genug, Herr Kollege Schäuble, daß Sie auf der einen Seite Willkommensgirlanden flechten und auf der anderen Seite die Übersiedler als Sparbüchse der Bundesregierung benutzen; das ist sonderbar genug.
({1})
- Der Vorwurf des Zynismus fällt in diesem Fall in der Tat auf Sie zurück. - Das Sonderbare ist ja, daß Sie es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründen. Sie verstoßen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und begründen die Verschlechterung mit eben diesem Grundsatz. Wenn das kein Zynismus ist, dann frage ich mich, wie man Zynismus definieren soll.
Der nächste Punkt: Der Kollege Thomae hat davon gesprochen, es handele sich bei der Aufnahme der Aussiedler und Übersiedler um eine gesamtstaatliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
({2})
- Wer finanziert denn die Sprachkurse, Herr Kollege Thomae? Die Sprachkurse werden nicht vom Bund finanziert, sie werden von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert.
({3})
- Ja, sind Sie in der Bundesregierung, sind Sie in einer Regierungsfraktion, oder sitzen Sie in der Opposition? Was ist denn nun?
({4})
Ich sage Ihnen: Die Abwälzung dieser Lasten auf die Bundesanstalt für Arbeit schafft gerade eine Quelle von Neid und Mißgunst, Herr Minister.
({5})
Denn es ist für niemanden nachzuvollziehen, wieso eine gesamtstaatliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von einer Personengruppe dieser Republik, nämlich von den Beitragszahlern der Bundesanstalt für Arbeit, finanziert werden soll
({6})
und alle anderen plötzlich außen vor sind. Im übrigen ist es deshalb eine Quelle von Neid und Mißgunst, weil ja im gleichen Atemzug die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Bundesanstalt von genau der gleichen Bundesregierung drastisch beschnitten worden sind.
({7})
Ich sage Ihnen ein Beispiel: Wir verlieren 1989 im Verhältnis zu 1988 nach den bisherigen Schätzungen weit über 40 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf Grund der Folgerungen aus der 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Arbeitsämter haben keinen einzigen Pfennig, um die sogenannten Eingliederungshilfen für Arbeitslose zu finanzieren. Dieser Titel
in den Arbeitsämtern ist auf Null gebracht worden. Das heißt, bei den Arbeitslosen werden doch Neidgefühle und Mißgunstgefühle geweckt, wenn auf der einen Seite die Kassen der Bundesanstalt geplündert werden, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente verstümmelt werden, und auf der anderen Seite die Bundesanstalt zum Hauptlastenträger der Finanzierung der Kosten für die Aussiedler und Übersiedler gemacht wird. Das ist doch ein Widerspruch, den Sie nicht auflösen können. Da sitzt doch die Quelle von Neid und Mißgunst bei vielen Menschen, die entweder arbeitslos sind oder die arbeitslos zu werden drohen. Sie müssen einmal darlegen, wie Sie mit diesem Widerspruch leben wollen. Dann können Sie doch nicht hier im Parlament sagen: Wir wollen Neid- und Mißgunstgefühle abschaffen; wir wollen an die Quellen heran. Sie schaffen gerade die Quellen von neuen Neid- und Mißgunstgefühlen.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger aus Wangen?
Ja, das schafft mir eine kleine Pause.
Herr Kollege Schreiner, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß die Vermittlung von Sprachkenntnissen an Menschen, die hier leben und hier arbeiten wollen, eine Aufgabe ist, die ihrer Eingliederung ins Arbeitsleben dient und dabei zu den originären Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit gehört und nicht als Plünderung von deren Kassen angesehen werden kann?
({0})
Lieber Kollege, die Sprachförderung ist von 1980 bis 1987 eine originäre Aufgabe des Bundes gewesen und ist aus Bundesmitteln finanziert worden. Von dem Zeitpunkt an, wo es teuer wurde, weil die Aussiedlerströme stark zugenommen hatten, ist diese Aufgabe des Bundes aus finanztechnischen Gründen an die Bundesanstalt für Arbeit delegiert worden. Das ist der historische Sachverhalt.
({0})
Noch eine Bemerkung zum Abbau von Neid und Mißgunst. Sie haben eben in Ihrer Rede eingeräumt, Herr Minister, daß die Neuregelung, wenn sie so verabschiedet würde, zu neuen Sozialhilfefällen führen würde. Wir sind nun nicht in der Lage, das zu quantifizieren. Aber es liegt auf der Hand, daß dies bei einem Einsparvolumen von knapp einer halben Milliarde DM zu deutlichen Steigerungen der Sozialhilfekosten führen wird. Mich würde interessieren, ob die Regierung selber Quantifizierungsüberlegungen angestellt hat, daß dies zu deutlichen Steigerungen der Sozialhilfekosten und damit zu weiteren Belastungen der Kommunen führt. Auch dies ist ein Beispiel, wie sich der Bund von originären Bundesaufgaben entlastet und die Kosten auf andere staatliche Ebenen abschiebt. Mir möchte jemand einmal erklären, was das mit Abbau von Neid und Mißgunst zu tun hat, wenn
man den Städten, die eh schon unter Sozialhilfekosten ächzen, weitere Bürden auflädt.
Wenn Sie über Neid und Mißgunst philosophieren, sollten Sie darüber nachdenken, ob nicht die Praxis der Bundesregierung in den großen sozialpolitischen Feldern in den vergangenen Jahren genau die Quelle von Neid und Mißgunst darstellt. Sie wissen ebensogut wie wir, daß Sie im Bereich des sozialen Wohnungsbaus über Jahre hinweg so gut wie nichts getan haben. Sie wissen genausogut wie wir, daß in der Bundesrepublik - die Kollegin Hämmerle hat eben die Zahlen genannt - rund eine Million Wohnungen fehlen. Sie wissen genausogut wie wir, daß wir viel zuwenig Kindergartenplätze haben und daß dieses Minus an Kindergartenplätzen natürlich ebenfalls eine Quelle von Neid und Mißgunst ist, weil sich manche einheimische Frau oder mancher einheimischer Mann fragt, warum das eigene Kind nicht, aber das Aussiedlerkind wohl hineinkommt.
({1})
- Ich versuche, Ihnen darzulegen, wo die Quellen von Neid und Mißgunst liegen, weil der Minister hier ein klassisches Ablenkungsmanöver vorgeführt hat.
Ich sage Ihnen, das jahrelange tatenlose Zugucken der Bundesregierung gegenüber der Entwicklung bei der Langzeitarbeitslosigkeit sowie die Verschlechterung und Verstümmelung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Bundesanstalt sind ebenfalls Quellen von Neid und Mißgunst und sind ein Sammelbecken für die Rechtsradikalen, die da ihre Wähler rekrutieren wollen.
({2})
Wenn Sie da nicht herangehen und wenn Sie erst, nachdem Sie in Berlin und in Hessen die Wahlen verloren haben, ein kümmerliches Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit auflegen, nachdem die Kirchen, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und die Opposition im Deutschen Bundestag jahrelang gedrängt haben, dann müssen Sie sich selbst zuschreiben, daß das Versagen der Bundesregierung in den zentralen sozialpolitischen Feldern die Hauptursache für das Ansammeln von Neid und Mißgunstgefühlen ist und daß Sie an diese Hauptursachen herangehen sollten, statt hier im Parlament ziemlich alberne Ablenkungsreden zu halten.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner, ich hoffe, daß Sie wenigstens nach Ihrer Rede zu der Einsicht finden, daß Ton, Stil und die Art und Weise, wie Sie dieses Thema behandelt haben, Neid- und Mißgunstgefühlen weiter Vorschub geleistet haben.
({0})
Ich glaube, daß man die Frage so nicht behandeln kann.
Es geht um eine ganz grundlegende Problematik. Deutsche aus Ost- und Südosteuropa hatten, obwohl sie zum Teil natürlich über Jahre gearbeitet haben - wenn sie älter sind, haben sie ein Leben lang arbeiten müssen; aber das ist eine Minderheit - , nicht die Chance zu einer Altersabsicherung wie bei uns etwa Rentner oder Pensionäre. Sie hatten nicht die Möglichkeit zu Krankenversicherungsbeiträgen, Sozialversicherungsbeiträgen und ähnlichen Dingen. Wenn diese Menschen hierher kommen, müssen wir einen Modus finden, wie sie angemessen behandelt und in unser Sozialsystem eingefügt werden.
({1})
Sie kommen aus einer Welt mit ganz anderen rechtlichen Absicherungen, keinesfalls mit einem Sozialausbau, wie wir ihn haben, und müssen nun bei uns beurteilt werden. Da kann man bei einem Rentner nicht auf Rentenversicherungsbeiträge zurückgreifen. Deswegen muß man eine pauschale Regelung finden; denn wir wollen die Leute, die hierher kommen, nicht auf Dauer in die Sozialhilfe abschieben. Das will auch Ihre Kollegin Hämmerle nicht. Weil dies so ist, müssen mittlere Sätze gefunden werden, um sie angemessen zu behandeln und zu beurteilen.
({2})
Ich finde es unerträglich, wenn uns z. B. Frau Steinhauer in einer Zwischenfrage vorwirft, wir würden den Aussiedlern und Übersiedlern etwas wegnehmen, und Sie dann den Eindruck erwecken, als würden ihnen goldene Nasen geboten. So kann man mit diesem Thema nicht umgehen, meine Damen, meine Herren.
({3})
Es ist ja verwunderlich: Herr Schreiner, Sie kommen aus dem Landesverband des Herrn Lafontaine.
({4})
Er hat mit seinem schlimmen Wort von der Deutschtümelei im Prinzip den Introitus für Stimmungen geliefert. Er hat leider Gottes Neid, bei einer Minderheit zum Teil sogar bis hin zu Haßgefühlen, geschürt.
Ich finde, wir sollten gemeinsam in einen Wettbewerb der guten und besseren Ideen eintreten, wie wir dieses komplexe Thema erörtern, daß Menschen, die hierher kommen und nicht in unserem Sozialversicherungssystem gelebt haben, angemessen behandelt werden. Wir brauchen einen Wettbewerb der Ideen, aber bitte nicht mit dieser Aufgeregtheit und bitte nicht mit diesen Unterstellungen. Wir sind gern bereit, auch in der Gesetzesberatung die Vorlagen im einzelnen zu erörtern und möglicherweise nachzubessern. Aber, meine Damen, meine Herren, ich bitte Sie, nicht in der ersten Lesung mit Unterstellungen zu arbeiten, die der Sache nicht dienen.
({5})
- Frau Präsidentin, ich lasse die Zwischenfrage gern zu, wenn Sie sie zulassen. Ansonsten ist meine Redezeit beendet.
Welches Vergnügen! Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Schreiner.
Ich habe nur eine ganz kurze Frage. Herr Kollege Gerster, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich den von Ihnen soeben zitierten Begriff weder in der Vergangenheit gebraucht habe noch daran denke, ihn in der Zukunft zu benutzen?
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sich von Ihrem Landesvorsitzenden distanzieren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Eingliederungsanpassungsgesetzes auf Drucksache 11/5110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 11/5136 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({1})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Unruh, Frau Beck-Oberdorf, Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN
Zur Gleichbehandlung von Rentnern/innen, Beamten und Bundestagsabgeordneten bei der Reform der Alterssicherungssysteme
- Drucksache 11/4965 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß ({2})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Hoss, Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN
Zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer/innengruppen sowie erwerbstätiger und nicht erwerbstätiger Erziehender bei der Bewertung von Kindererziehungszeiten in der Alterssicherung und zur Heraufsetzung der Bemessungsgrundlage von 75 % auf 100 % des
Durchschnittseinkommens in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 11/4964 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes 90 Minuten vorgesehen. - Das Haus ist auch damit einverstanden; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
- Es hält sich in Grenzen, Frau Kollegin.
Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP haben den Gesetzentwurf zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften im Bundestag eingebracht. Das Bundeskabinett hat einen gleichlautenden Gesetzentwurf beschlossen, der zunächst den ersten Durchgang im Bundesrat machen wird.
Die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen des Beamtenversorgungsrechts sind erforderlich, weil die steigende Lebenserwartung und die gesunkene Geburtenrate und die dadurch schrumpfende Quote der erwerbsfähigen Bevölkerung im Verhältnis zur im Ruhestand befindlichen hohe finanzielle Belastungen aller Alterssicherungssysteme verursachen. Diesen durch die demographische Entwicklung bewirkten Veränderungen soll durch die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung getragen werden. Ihnen soll auch durch die vorgeschlagenen Änderungen in der Beamten- und Soldatenversorgung Rechnung getragen werden. Der Entwurf enthält auch entsprechende Regelungen für die übrigen Amtsträger.
Da die Beamtenversorgung darüber hinaus auch eine Leitbildfunktion für die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hat, werden sich ihre Änderungen systembedingt auch auf dieses Alterssicherungssystem auswirken, und im Rahmen der Tarifautonomie werden entsprechende Regelungen zu vereinbaren sein. So werden alle Alterssicherungssysteme gleichermaßen zur Bewältigung der Probleme herangezogen, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben.
({1})
Nur durch diese gleichmäßige Heranziehung wird eine Konsolidierung aller Alterssicherungssysteme für die Zukunft erreicht und erreichbar sein.
({2})
So wird auch der Fortbestand der ganz oder teilweise aus öffentlichen Mitteln finanzierten Alterssicherungssysteme gewährleistet.
Im übrigen orientiert sich der Entwurf, den die Fraktionen eingebracht und die Bundesregierung entsprechend beschlossen hat, an den Eckwerten, die der Deutsche Bundestag am 10. März dieses Jahres beschlossen hat. Der eigenständige Charakter der verschiedenen historisch gewachsenen Alterssicherungssysteme bleibt gewährleistet.
({3})
Eine Harmonisierung im Sinne von Gleichmacherei, wie manche sie fordern, kommt nicht in Betracht.
({4})
- Ich warte noch ein bißchen, bis ich zu Ihnen etwas sage. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich mir das nur noch eine Weile anhöre.
({5})
- Nein, überhaupt nicht.
({6})
- Das ist eine Inaussichtstellung. - Wenn ich Ihnen das doch einmal sagen darf: Wenn ich Sie so erlebe und denke, Sie wollen hier für die ältere Generation sprechen:
({7})
Ich finde, Sie sollten sich einmal ein bißchen überlegen, was Sie für die ältere Generation in bezug auf die jüngere für einen Eindruck machen. Das haben unsere älteren Menschen nicht verdient.
({8})
Meine Damen und Herren, ich habe darauf hingewiesen, daß der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit am 10. März dieses Jahres Eckwerte beschlossen hat, an denen sich der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf orientiert. Ich will vielleicht doch noch einmal erklären, warum es nach Überzeugung der Bundesregierung unverzichtbar notwendig ist, daß wir an der Eigenständigkeit der Beamtenversorgung festhalten. Sie ist ein notwendiger, unverzichtbarer, wesentlicher Bestandteil des Berufsbeamtentums.
({9})
Status der Berufsbeamten und Versorgung bilden die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Dem Treueverhältnis der Beamten und der Pflicht zur lebenslangen Hingabe ihrer Arbeitskraft und Einsatzbereitschaft und -fähigkeit korrespondiert der Anspruch auf einen standesgemäßen Unterhalt, und dazu gehört eben auch die Anbindung der Beamtenversorgung an das Endgehalt des Beamten vor Eintritt in den Ruhestand.
({10})
Meine Damen und Herren, die Institution des Berufsbeamtentums hat sich in unserem demokratischen und sozialen Rechtsstaat als ein unverzichtbarer Garant für die Wahrnehmung elementarer Belange der Bürger erwiesen. Der Dienst unserer Beamten ist im Interesse der Bürger. Gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung sichern die Beamten eine stabile Verwaltung in Uneigennützigkeit, in Loyalität und in Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl.
Wenn es noch eines Beweises für die Leistungsfähigkeit und die Leistungswilligkeit unserer Beamten und auch für die Flexibilität von öffentlichen Verwaltungen bedurft hätte, dann, meine Damen und Herren, wäre dieser ja vielleicht gerade in den letzten Tagen mit dem Einsatz der Mitarbeiter von Bundes- und Landesverwaltungen und auch des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr bei der Aufnahme von Aus- und Übersiedlern und bei der raschen Abwicklung von Aufnahmeverfahren erbracht worden. Ich finde, wir sollten diese Gelegenheit einmal nutzen, darauf aufmerksam zu machen, wie leistungsfähig unser oft zu Unrecht gescholtener öffentlicher Dienst ist und als wie leistungsfähig er sich auch in diesen Tagen erwiesen hat.
({11})
Weil dies alles so ist, müssen die notwendigen Veränderungen in der Alterssicherung der Beamten, so wie es der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP im März schon beschlossen hat, die grundlegenden Prinzipien der Beamtenversorgung beachten. Diese Ziele werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf verwirklicht.
Die Änderungen bewirken eine der Rentenreform adäquate Kostensenkung.
({12})
Wir rechnen, bezogen auf das Jahr 2010, mit Minderausgaben in der Rentenversicherung in einer Größenordnung von 35,5 Milliarden DM. Da das Verhältnis der Zahl der Rentner im Jahre 2010 zur Zahl der Versorgungsempfänger im selben Jahr 8,3 : 1 beträgt, muß sich eine adäquate Kostensenkung in der Beamten- und Soldatenversorgung auf 4,2 Milliarden DM errechnen. Dies zeigt, daß wir einen adäquaten Kostensenkungsbeitrag für die Beamtenversorgung in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben.
({13})
Die Minderausgaben werden im einzelnen vor allem durch folgende Maßnahmen bewirkt werden: zum ersten durch die Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala auf 40 Jahre bei einem linearen jährlichen Steigerungssatz von 1,875 %.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß Beamte heute die 75 % Höchstruhegehalt in einem progressiven Kurvenverlauf erwerben, nach 10 Jahren 35 %, in den nächsten 15 Jahren weitere 30 % und in den letzten 10 Jahren noch einmal 10 %, also 10 Jahre je 1 %. Nach 35 Jahren bekommen sie dann 75 %. Wir haben beschlossen, daß der progressive Anstieg des Erwerbs des Ruhegehaltes in den ersten Jahren gleichmäßig
verlaufen soll und daß eine Spanne von 40 Jahren für den Erwerb des Höchstruhegehaltes zugrunde gelegt wird. Wir gehen davon aus, daß in allen Laufbahnen bei einem normalen Laufbahnverlauf entsprechend der Bundestagsentschließung nach 40 Jahren das Höchstruhegehalt erreichbar bleibt.
Ich will ausdrücklich sagen, daß dies auch für Beamte des Vollzugsdienstes, die wegen der vorgezogenen Altersgrenze mit 60 Jahren in den Ruhestand treten, gilt. Entsprechende Änderungen der zwei Voraussetzungen schlagen wir auch für andere öffentlichrechtliche Amtsverhältnisse vor.
Nun, meine Damen und Herren, könnte natürlich die Linearisierung auf der Basis von 40 Jahren bei denjenigen, die wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand treten müssen, im Einzelfall unter Umständen erhebliche Einbußen bedeuten. Zur Milderung dieser Einbußen enthält der Gesetzentwurf den Vorschlag - ich halte diesen Vorschlag für unverzichtbar notwendig - , daß wir die Zurechnungszeiten bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit von heute 55 auf 60 Jahre erweitern und daß wir diese Jahre nicht nur mit einem Drittel, sondern in Zukunft mit zwei Dritteln berücksichtigen. Auf diese Weise werden versorgungsrechtliche Nachteile bei vorzeitiger Dienstunfähigkeit, die sonst aus der Linearisierung folgen würden, gemildert bzw. vermieden.
({14})
- Ich glaube gar nicht, daß Sie das verstehen, gnädige Frau. Insofern hat es keinen Sinn, auf Ihre Zwischenrufe weiter einzugehen.
({15})
Die bisherigen Vorschriften über die allgemeine Mindestversorgung bleiben bestehen. Es wird zusätzlich eine amtsbezogene Mindestversorgung von 35 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge eingeführt, um auch insoweit unvertretbare große Einbußen zu verhindern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Nein, vielen Dank, nicht von der Frau Kollegin Unruh.
Im übrigen will ich darauf hinweisen - das wird wichtig sein, weil ja wahrscheinlich sehr viel bewußte, aber auch vielleicht durch Nichtwissen begründete Verunsicherung betrieben werden wird - , daß Übergangsvorschriften unzumutbare Härten vermeiden werden. Alle, die bei Inkrafttreten des Gesetzes Versorgungsempfänger sind, sind von der gesetzlichen Neuregelung überhaupt nicht betroffen.
Wir entsprechen auch dem Vertrauensschutz. Alle lebensältere Beamte, die bis zum Jahre 2000 ihre Altersgrenze erreichen, werden ebenfalls nicht von der Neuregelung erfaßt, sondern nach bisherigem Recht behandelt. Alle dienstjüngeren oder lebensjüngeren Beamten werden bei Inkrafttreten des Gesetzes den individuell erworbenen Versorgungsanspruch in voller Höhe behalten. Sie werden durch Übergangsvorschriften lediglich in der weiteren Steigerung ihrer Ruhegehaltssätze in einer linearen Form von dem individuell erreichten auf das Höchstruhegehalt weitergeführt werden. Damit ist dem Vertrauensschutz in vollem Umfang Rechnung getragen.
Wir wollen auch die Altersgrenzen anpassen und flexibilisieren, indem wir zum einen für alle diejenigen, die in Zukunft - ab dem Jahre 2002 - von der Antragsaltersgrenze Gebrauch machen, die also ab dem 62. Lebensjahr und nicht erst ab dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand eintreten, einen Versorgungsabschlag in der Höhe von 3,6 % von den Versorgungsbezügen - analog zu den 3,6 %, die wir in der Rentenversicherung vorgeschlagen haben - einführen werden.
Wir werden den Beamten zur Flexibilisierung darüber hinaus die Möglichkeit einräumen, wenn dienstliche Belange nicht entgegenstehen, auch über das 65. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres Dienst zu tun. Aber ich will ausdrücklich hinzufügen, daß Schwerbehinderte - wie bisher - auch in Zukunft mit 60 Jahren ohne Versorgungsabschlag in den Ruhestand treten können.
({0})
Im übrigen bleiben die gesetzlichen Altersgrenzen für den Vollzugsdienst und die Feuerwehr unverändert, weil die besonderen Belastungen dieser Dienste eine Verlängerung nicht zulassen. Auch die Berufsunteroffiziere treten wegen der besonderen körperlichen Anforderungen wie bisher mit 53 Jahren in den Ruhestand. Die jeweiligen Altersgrenzen für Berufsoffiziere werden nach den Vorschlägen des Gesetzentwurfs dagegen um jeweils ein Jahr hinausgeschoben.
Wir sehen strengere Anforderungen bei Versetzungen in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit vor. Auch dies hat der Bundestag als Eckwert im März beschlossen. Es soll der Grundsatz gelten, daß Rehabilitation Vorrang vor Versorgung hat. Deshalb soll ein Beamter, der auf seinem bisherigen Dienstposten wegen Dienstunfähigkeit nicht mehr verwendet werden kann, eine geeignetere und zumutbare Aufgabe erhalten. Diese Möglichkeit soll zuerst geprüft werden, ehe er notfalls wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden kann.
Ein wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren, ist die erweiterte Anrechnung von Erwerbseinkommen bis zum 65. Lebensjahr bei vorzeitiger Pensionierung. Zum erstenmal wollen wir eine Anrechnung von außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielten Erwerbseinkommen - allerdings nur innerhalb bestimmter Grenzen - auf das Ruhegehalt einführen. Wir erweitern damit auch darüber hinaus die schon bisher geltende Anrechnung von Einkommen im öffentlichen Dienst und schöpfen insoweit die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten voll aus. Aber ich will ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Anrechnung von Erwerbseinkommen, die außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt wurden, auf die Versorgungsbezüge von Beamten, die vor dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand treten, erstens nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gilt und sich zweitens nur auf die Teile der Ruhestandsbezüge bezieht,
die nicht individuell erworben sind, sondern die in Form von Zuschlägen wegen des vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand hinzukommen. Insofern halte ich eine Anrechnung von außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielter Erwerbseinkommen auch für sachlich gerechtfertigt, denn die Zuschläge sollen ja einen Ausgleich für den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand bilden, der wiederum nicht notwendig ist, wenn zusätzliche Erwerbseinkommen vorhanden sind.
In einem Punkt, meine Damen und Herren, sind wir von dem Eckwertebeschluß des Deutschen Bundestages vom 10. März abgewichen. Ich will darauf ausdrücklich aufmerksam machen und bitte den Deutschen Bundestag insofern nachträglich um Zustimmung für das Abweichen von seinem eigenen Beschluß. Es betrifft die ursprünglich vorgesehene, vom Deutschen Bundestag beschlossene erweiterte Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Dienstzeiten in der Beamtenversorgung.
({1})
- Gnädige Frau, Sie gehören dem Deutschen Bundestag an, und Beschlüsse des Deutschen Bundestages gelten auch für Sie. Wir weichen davon ab, weil wir auf Grund einer Diskussion, die in der Öffentlichkeit stattgefunden hat, glaubten, daß es richtiger ist, Ihnen unter Abwägung aller Umstände vorzuschlagen, daß wir für Kinder, die ab dem 1. Januar 1992 geboren werden und für die Kindererziehungszeiten in Anspruch genommen werden, in Zukunft auch durch ein eigenes Gesetz außerhalb der Beamtenversorgung finanzielle Ausgleichsleistungen, die genau der Regelung im Rentenrecht entsprechen, vorschlagen werden. Es soll sich um einen dynamisierten Betrag entsprechend der Rentenformel handeln, der sich derzeit auf 28,79 DM pro Monat beläuft mit 12 Monatszahlungen im Jahr und steuerfrei als Zuschlag zur Beamtenversorgung.
Schließlich werden die künftig wachsenden finanziellen Belastungen der Alterssicherungssysteme den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen haben. Auch sie sind
- was sich schon aus dem geltenden Recht ergibt - bei der Anpassung zu berücksichtigen.
Ich habe versucht, Ihnen hier einige wesentliche Grundzüge des Gesetzentwurfs vorzutragen, den die Fraktionen und die Bundesregierung parallel beschlossen und eingebracht haben. Ich denke, daß diese Regelungen einen auch für den öffentlichen Dienst adäquaten Beitrag zur Sicherung der künftigen Altersversorgung gewährleisten. Dieser Beitrag ist notwendig, um das bewährte Versorgungsrecht über die Jahrhundertwende hinaus funktionsfähig zu erhalten. Die Versorgung der Beamten, Richter und Soldaten ist kein Privileg und schon gar kein überholtes. Sie ist die Gegenleistung des Dienstherrn für die in der aktiven Zeit erbrachte Leistung.
Wir alle werden bei der weiteren Beratung dieses Gesetzentwurfs - die, die sich an den Vorberatungen beteiligt haben, verfügen über intensive Erfahrungen - darauf zu achten haben, daß Neidgefühle und Uninformiertheit nicht zu einer sachfremden Diskussion führen. Aber das gilt für beide Seiten. Es gilt für
diejenigen, die als Nichtangehörige des öffentlichen Dienstes auf die angeblichen Privilegien starren.
({2})
- Wenn Sie einmal mit einem Polizeibeamten einer Landespolizei oder auch des Bundesgrenzschutzes über die Privilegien des öffentlichen Dienstes sprechen,
({3})
werden Sie auf ziemlich viel Unverständnis stoßen.
({4})
- Sie haben doch gar keine Ahnung! ({5})
Es ist doch wirklich eine Zumutung, was wir uns hier von Ihnen dauernd anhören müssen. Ich will Ihnen das wirklich einmal sagen.
({6})
Es ist vor allen Dingen eine Zumutung für die älteren Mitbürger, für die zu sprechen Sie vorgeben. Es ist eine Zumutung für die älteren Mitbürger in diesem Land.
({7})
- Ja? Sie können rausgehen.
Nun will ich es noch einmal sagen. Ich will ausdrücklich auch an die Beamten und die Organisationen, die ihre Interessen vertreten, appellieren. Wir müssen in der Diskussion über diesen Gesetzentwurf darauf achten, daß wir Sachlichkeit und Sachbezogenheit wahren.
({8})
Wir müssen bei dieser Diskussion darauf achten, daß die Gründe, die zu der Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit der Alterssicherungssysteme geführt haben, in dieser Diskussion nicht verlorengehen. Sie dürfen auf beiden Seiten in der Diskussion nicht vergessen werden.
Wenn wir es so machen, wird es uns gelingen, die Reform unserer Alterssicherungssysteme zu ihrer langfristigen Sicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wie in der Altersversorgung für die Beamten und die Soldaten so zu bewältigen, daß wir unseren älteren Mitbürgern und denen, die, wie wir, erst künftig älter sein werden, zusagen können, daß Rente wie Beamtenversorgung auch in Zukunft sicher sein werden. Denn das sind das Ziel und das Anliegen dieser Gesetzgebung.
({9})
Vielleicht darf ich jetzt reden. - Ich meine, wir sind hier keine pädagogische
Vizepräsidentin Renger
Anstalt, und Zwischenrufe sind nun einmal erlaubt. Das kann man nicht ändern.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Bernrath.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nach der Vorstellung des Buchs von Egon Lutz gestern und der Präsentation durch Egon Bahr, der ja ganz besonders die starke Beamtenlobby herausgestellt hat, bin ich an sich ganz glücklich, daß heute morgen nicht alle Beamten gekommen sind
({0})
und du, Egon, insofern ein wenig daneben liegst. Die interessieren sich offensichtlich nicht so sehr für ihren Status. Jedenfalls wollen sie hier nicht Einfluß nehmen. Vornehme Zurückhaltung!
Meine Damen! Meine Herren! Ich habe am 10. März dieses Jahres im Zusammenhang mit der gemeinsamen Entschließung von Koalition und SPD zur Beamtenversorgung deutlich erklärt, warum wir uns bei der Sanierung der Alterssicherungssysteme nicht aufs Opponieren beschränken. Ich möchte die heutige erste Lesung eines Beamtenversorgungsänderungsgesetzes nutzen, um noch einmal in aller Öffentlichkeit klarzumachen, warum wir zusammen mit CDU/CSU und FDP nach tragfähigen und langfristig wirksamen Lösungen suchen.
Gerade in einer so einschneidenden Frage wie der Alterssicherung sind wir immer um einen breiten Konsens bemüht gewesen. Das ist der jeweiligen Aufgabe und damit der Sache auch immer gut bekommen. Vor allen Dingen hat es den Menschen, hier unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, deren existentielle Alterssicherung und Altersunabhängigkeit betroffen sind, stets auch genützt.
({1})
- Ich spreche von allen.
Es war uns von vornherein klar, daß die unumgängliche Sanierung der Alterssicherung nicht auf die Rentenversicherung, mithin auf Arbeiter und Angestellte, beschränkt werden dürfte.
({2})
Die Versorgung der Beamten und Soldaten war zwingend und - wie es in unserer gemeinsamen Erklärung vom 7. März heißt - adäquat, also mit gleichem Gewicht, einzubeziehen.
Ganz gewiß gab es zu Beginn unserer vorbereitenden Gespräche dazu und ganz allgemein unterschiedliche Ansätze oder Zielsetzungen und auch mehr oder weniger Handlungsbereitschaft. Aber angesichts der steigenden finanziellen Aufwendungen für die Alterssicherung, die nicht nur die Finanzminister beunruhigten, war ein Aussparen der Beamtenversorgung völlig unmöglich. Die bekannte, eben noch einmal erläuterte demographische Entwicklung ist kein Problem allein der Rentenversicherung; bei dieser ist es allerdings am deutlichsten, weil sie im Umlageverfahren finanziert wird. Vergleichbare Probleme entstehen aber auch bei der Finanzierung der Beamtenpensionen, die aus den Staatshaushalten oder aus den Kommunalhaushalten gezahlt werden.
Der Wandel der Bevölkerungsstruktur und der Zugang an beamtetem Personal schlagen sich in diesen öffentlichen Haushalten als Anstieg der Finanzierungslast für Pensionen nieder. Das Prognos-Institut, das im Auftrag des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger ein Gutachten erstellte, geht davon aus, daß sich die Pensionsaufwendungen bis zum Jahre 2000 von 27 Milliarden DM 1984 auf über 62 Milliarden DM mehr als verdoppeln werden. Für das Jahr 2015 rechnet Prognos je nach wirtschaftlicher Entwicklung mit Aufwendungen zwischen 127 und 141 Milliarden DM, für das Jahr 2030 mit Aufwendungen bis zu 396 Milliarden DM.
({3})
Diese Steigerungen lassen sich noch extrapolieren, also weiter fortrechnen. Sie sind besorgniserregend.
Allerdings sagt dieser Anstieg der absoluten Zahlen noch wenig aus. Aussagekräftiger werden diese Zahlen im Vergleich. Der Anteil der öffentlichen Pensionen etwa an den sozialen Leistungen der Gebietskörperschaften wird insgesamt von 34 % in 1984 auf 67 im Jahre 2040 - bei günstigen Annahmen; bei ungünstigen Annahmen sogar auf 72 % - steigen. Das heißt, der Anteil der Pensionen an diesen Leistungen wird sich in diesem Zeitraum mehr als verdoppeln. Allen Beteiligten dürfte klar sein, daß diese Entwicklung Konsequenzen in der Beamtenversorgung notwendig macht, um auch sie für die Zukunft zu sichern. Es geht also keineswegs nur darum, die Versorgungssysteme aus Gerechtigkeitsgründen zu harmonisieren, wenngleich es natürlich auch darum geht.
Allen Beteiligten dürfte auch klar sein, daß in der Beamtenversorgung nicht alles unverändert bleiben kann und daß - auch aus Gründen der Gerechtigkeit - nicht alles unverändert bleiben darf, wenn in allen anderen Alterssicherungssystemen erhebliche Belastungen auftreten, die von den Beitragszahlern und Rentnern oder auch von der Gesamtheit der Steuerzahler in irgendeiner Form zu finanzieren sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Beck-Oberdorf?
Herr Bernrath, halten Sie das jetzt eingebrachte Gesetz denn für geeignet, den dramatischen Zahlen, die Sie gerade selbst dargestellt haben, entgegenzuwirken?
Wir haben sehr unterschiedliche Systeme, Frau Kollegin, und wir haben ein von der Verfassung und der Rechtsprechung sehr abhängiges System der Beamtenversorgung. Wenn wir auf Dauer unterhalb dieser Dramatik bleiben wollen, wird dieses Gesetz dafür die entscheidenden Voraussetzungen bringen.
({0})
Die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes dürfen - und wollen auch nicht - ausgenommen bleiben, wenn so gravierende Finanzierungsprobleme im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wie auch im Bereich der im öffentlichen Dienst beschäftigten fast 5 Millionen Mitarbeiter, davon nahezu 2 Millionen Beamte, alle Systeme bedrohen. Wir Sozialdemokraten verstehen unsere Beteiligung aber auch unter der Verpflichtung, dem Nachwuchs in den Beamtenberufen ein nicht nur verbrieftes, sondern auch finanziell abgesichertes Recht auf Altersversorgung zu erhalten.
Noch eins ist wichtig und darum vorab zu betonen: Die Versorgungsbezieher von heute werden von den neuen Regelungen ebensowenig betroffen wie diejenigen, die schon mindestens 25 Jahre im Dienst sind. Vertrauensschutz war und ist das Stichwort, von dem wir uns haben leiten lassen.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf entspricht im großen und ganzen der zitierten gemeinsamen Entschließung. Innerhalb der Beamtenversorgung wird damit ein der Rentenreform adäquater Beitrag zur finanziellen Konsolidierung geleistet,
({1})
und zwar der Höhe der Einsparung nach, aber auch tendenziell in der inhaltlichen Annäherung wesentlicher Einzelregelungen aller Systeme.
({2})
Eine besondere Bedeutung hat in der öffentlichen Diskussion die Bewertung der Kindererziehungszeiten gehabt. Wir haben in den Verhandlungen von Anfang an eine einheitliche Bewertung der Kindererziehungszeiten - wie im Rentenrecht - gefordert. Die Vorstellungen unserer Verhandlungspartner bei CDU/CSU und FDP gingen damals noch in eine andere Richtung. Die damit ursprünglich angestrebte Bindung der Kindererziehungszeiten an individuelle Einzeleinkommen konnte zwar durch eine gebündelte Pauschalierung nach Laufbahnen abgeschwächt werden; diese entsprach aber nicht der geforderten Adäquanz, die letztlich auch aus sozialen und langfristig der inhaltlichen Näherung der Versorgungssysteme dienenden Gründen von den Fraktionen und von der Öffentlichkeit verlangt wurde.
({3})
Das jetzt gefundene Ergebnis mit einem einheitlichen Kindererziehungsbetrag entspricht unseren Vorstellungen. Allerdings meinen wir, daß in den parlamentarischen Beratungen nochmals gemeinsam geprüft werden muß, wie noch vorhandene Benachteiligungen berufstätiger Frauen bei den Kindererziehungszeiten beseitigt werden können.
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Die wichtigste und nachhaltigste Veränderung und damit Einsparung ergibt sich aus der Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala. Nach geltendem Recht wird eine Höchstversorgung von 75 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge nach 35 Jahren mit zweifach gebundener Anspruchsbrechung erreicht. Künftig sind dafür 40 Dienstjahre erforderlich, wobei der Vorsorgungsanspruch linear um 1,875 Prozent jährlich steigt. Die für die Höchstversorgung notwendige Dienstleistungszeit erhöht sich also um fünf Jahre. Sie erhält allerdings den Beamten, die nach Gesetz mit 60 Jahren in den Ruhestand versetzt werden müssen - Polizei, Justizvollzugsdienste, Feuerwehren - die Möglichkeit, die Höchstversorgung dennoch zu erreichen.
Die Zurechnungszeit bei unverschuldeter Frühpensionierung, fängt Nachteile der Linearisierung für die davon betroffenen Personen auf. Sie hat überwiegend Bedeutung für das Betriebspersonal des einfachen und mittleren Dienstes, beispielsweise bei Bahn und Post, wo das durchschnittliche Pensionsalter betriebsbedingt - ich erinnere an die Schichtdienste - weit vor dem 60. Lebensjahr liegt.
Es bleibt bei der vorgezogenen sogenannten freiwilligen Altersgrenze von 62 Jahren, allerdings mit der ganz einschneidenden Einschränkung, daß bei ihrer Inanspruchnahme ab 2002 ein Abschlag von 3,6 % von den auf das 65. Lebensjahr berechneten Versorgungsbezügen hinzunehmen ist. Ausgenommen sind nur Schwerbehinderte und Personen, für die die besonderen Altersgrenzen bei der Polizei usw. gelten. Aber auch diese müssen sich verpflichten, bis zu ihrem 65. Lebensjahr nicht mehr als 450 DM monatlich zu ihrer Versorgung hinzuzuverdienen. Dieser Abschlag entspricht dem in der Rentenversicherung. Er ist darin gerechtfertigt, daß die Versorgungszahlung bei freiwilligem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand entsprechend verlängert wird.
Aus dem Gesetzentwurf will ich nur noch zwei Regelungen beispielhaft erwähnen. Einmal: Es gibt jetzt erstmalig im Beamtenversorgungsrecht eine Anrechnung privater Erwerbseinkommen. Sie ist zwar noch günstiger als im Rentenrecht, ist aber unter den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen - die sogenannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes - ein erster und insoweit auch zulässiger Schritt.
Schließlich wurde eine materielle Beteiligung der Beamten an den demographischen Belastungen ihres Alterssicherungssystems erreicht, die zwar rechnerisch einem offenen Altersversorgungsbeitrag der Beamten gleichwertig ist, dies allerdings nur, wenn die öffentlichen Arbeitgeber ihre aus § 14 Bundesbesoldungsgesetz begründete Verpflichtung dazu verantwortungsbewußt und nachrechenbar wahrnehmen. Anderenfalls werden wir schnell wieder über andere Formen adäquater Beteiligung der Beamten an den zwangsläufigen Kostensteigerungen sprechen.
({5})
Da die beamtenrechlichen Versorgungsbezüge einkommensteuerpflichtig sind, entspricht ihre künftige Anpassung im wesentlichen der nettolohnbezogenen Rentenanpassung.
Es gab in den letzten Monaten gelegentlich berechtigte, auch hilfreiche Kritik, aber auch die inzwischen bei uns übliche populistische Polemik. Diejenigen, die dabei von Bürgerzorn oder von Bonbons, die den Beamtenprivilegien noch hinzugefügt würden, spre12018
chen, haben sich mit den uns gestellten Aufgaben nicht vertraut gemacht.
({6})
Sie übersehen, daß wir drei sehr unterschiedliche Versorgungssysteme haben: erstens die Rentenversicherung mit den nettoangepaßten Renten im gewerblichen Bereich - hier ist in der öffentlichen Diskussion die Wirkung der Betriebsrenten völlig außer Betracht geblieben - , zweitens die Versorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst mit einer beitragsfreien Zusatzversicherung nach dem Maßstab der Beamtenversorgung und damit günstigen Nettoleistungen und drittens - darum geht es hier entscheidend - die Beamtenversorgung, begrenzt auf steuerpflichtige 75 % der letzten Aktivenbezüge, allerdings mit 13maliger jährlicher Zahlung. Hier liegt die Schwierigkeit: Eine gerechte inhaltliche Näherung dieser Systeme wird durch die allein dem Beamtenrecht eigentümliche Tatsache erschwert, daß hier alle Einkommen, von der untersten Besoldungsgruppe A 2 bis zur höchstdotierten B 11, nach gleichen Maßstäben erfaßt werden, und dies führt in der Tat auf Dauer zu unerträglichen Versorgungsspannen.
({7})
Darum erwarten wir, daß es nicht bei der augenblicklich vorbereiteten Reparatur der Versorgungsregelungen bleibt. Der Aufgabenwandel im öffentlichen Dienst - weniger Ordnungs-, mehr Leistungsverwaltung - und die Europäisierung öffentlicher Dienstleistungen lassen sich mit den in der Tat, auf unsere Zeit bezogen, weit hergeholten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht mehr bewältigen.
({8})
Das ist, Herr Minister, um an Ihre Worte anzuknüpfen, keine Gleichmacherei, sondern notwendige Folge einmal dieser Entwicklung, aber auch der undifferenzierten Verbeamtung. Mit jeder unnötigen Verbeamtung entziehen Sie der Rentenversicherung einen Beitragszahler. Im übrigen ist nicht einzusehen, daß in weiten Bereichen des öffentlichen Dienstes, die Sie beispielsweise privatisieren wollen oder die Sie im Wettbewerb wahrnehmen lassen wollen, Beamte beschäftigt werden.
({9})
Hier widersprechen sich Ihre Begründung und Ihre Behauptung, daß wir etwa nach der Verfassung diese Eigenständigkeit für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst in diesem Umfange benötigen.
Darum werden wir auch künftig verstärkt fordern, daß erstens über Einstellung und Ausbildung der Beamtenanteil am Personal des öffentlichen Dienstes schrittweise so gesenkt wird, daß letztlich Beamte ausschließlich hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmen,
({10})
daß - ich sage es noch einmal - diese vordergründige Verbeamtungspolitik der letzten Jahre damit ein Ende findet
({11})
und daß eine der wichtigen Ursachen für diese besorgniserregenden Prognosen beseitigt werden kann.
Zweitens fordern wir, daß sich für die dann noch notwendigen Beamten deren Dienstrecht im Folgebereich - Besoldung, Versorgung, Krankenversicherung - nicht mehr von anderen Arbeitsverhältnissen unterscheidet
({12})
und daß insoweit Tarifverträge mit autonomen Verhandlungsrechten der Gewerkschaften Platz greifen müssen.
({13})
Wir haben in den Beratungen - das möchte ich abschließend sagen - ausdrücklich darauf geachtet, daß die Eigenständigkeit der Zusatzversorgung beachtet wird, gerade auch unsere Forderung nach mehr Tarifautonomie,
({14})
weil dafür die Tarifvertragsparteien und nicht der Gesetzgeber zuständig sind. Wir haben darauf geachtet, daß in der Entschließung des Bundestages vom 7. März und im Gesetzestext insoweit eine Aussage getroffen wurde, die nicht über die Beschreibung der gegenwärtigen Rechtslage hinausgeht.
Wir werden uns auch in den weiteren Beratungen auf das beschränken, was den Gesetzgeber angeht, und nicht einen Schritt weitergehen; aber das, was uns angeht, muß verantwortungsbewußt auch unter den eben genannten Zielsetzungen, dafür die Voraussetzungen zu schaffen, erledigt werden. Diese Aufgabe kann uns niemand abnehmen. Wir arbeiten daran verantwortungsbewußt mit und nehmen dabei Kritik in Kauf. Aber ich sage noch einmal: Wir werden auf diese Weise die Grundlage dafür schaffen, daß wir eines Tages vergleichbare Versorgungssysteme mit gleichen Belastungen, aber auch mit gleichen Leistungen für alle Beschäftigten in unserer Gesellschaft haben.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor uns liegende Gesetzentwurf zur Änderung der Beamten- und Soldatenversorgung ist ein Kompromiß, der nach langen Verhandlungen zustande gekommen ist, ein Kompromiß nicht nur zwischen den verhandelnden Fraktionen, sondern auch zwischen den Sozialpolitikern und den Innenpolitikern der Fraktionen.
({0})
- So ist es, Herr Gerster.
Er birgt deshalb aus der jeweiligen Betrachtungsweise Licht- und Schattenseiten. Ich meine, insgesamt kann sich das Ergebnis sehen lassen, auch wenn es nicht immer einfach sein wird, die Notwendigkeit dieser Reform auch im Detail zu vermitteln und deutlich zu machen, daß es ohne Eingriffe nicht geht.
Alle Alterssicherungssysteme - ich betone ganz bewußt das Wort „alle" - müssen wegen der sich abzeichnenden demographischen Entwicklungen auf den Prüfstand. Für den öffentlichen Dienst heißt das: Änderungen nicht nur für Beamte und Soldaten, sondern auch für Angestellte und Arbeiter. Hier tragen die Tarifpartner die Verantwortung. Auf jeden Fall kann es nicht sein, daß über den Umweg unterschiedlicher Versorgungsniveaus zwischen Beamten einerseits und Angestellten und Arbeitern andererseits Neid und Unzufriedenheit im öffentlichen Dienst hervorgerufen und Entbeamtungstendenzen hineingetragen werden.
Die Korrekturen sind auf Grund der demographischen Entwicklung notwendig. Ohne sie würden z. B. die Pensionslasten für die Beamtenschaft dramatisch ansteigen.
({1})
Nach Berechnungen des Prognos-Instituts wäre bis zum Jahr 2000 mit mindestens einer Verdoppelung zu rechnen, bei ungünstiger Wirtschaftsentwicklung mit einer Verfünffachung bis zum Jahr 2015; selbst bei günstiger wirtschaftlicher Entwicklung müßten im Jahre 2040 aus Steuermitteln 573 Milliarden DM für die Altersversorgung der Staatsdiener aufgebracht werden, mehr als 22 mal soviel wie heute, wenn die Voraussetzungen nicht geändert würden.
Die demographische Entwicklung und damit auch die Entwicklung der finanziellen Last verläuft aber nun einmal bei den Beamten nicht anders als bei den Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes. Die FDP geht also davon aus, daß die Tarifpartner - wie dies auch schon in der gemeinsamen Entschließung zum Ausdruck gekommen ist - ihrer Verantwortung nachkommen.
Die Gleichbehandlung von Tarifbereich und Beamtenschaft - speziell bei der Besoldungsanpassung - ist für uns immer die Leitlinie gewesen. Dies wird auch so bleiben, wobei der Gesetzgeber darauf achten sollte, daß entstandene Ungleichheiten abgebaut werden, und gleichzeitig vermeiden sollte, daß neue Benachteiligungen entstehen.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht keine Senkung des Versorgungsniveaus vor. Bei einem normalen Laufbahnverlauf wird nach wie vor die Pension von 75 % erreicht. Es geht vielmehr um die Streckung und Linearisierung der zeitlichen Voraussetzungen für die Höchstversorgung, was mit einer Anpassung und Flexibilisierung der Altersgrenzen verbunden ist. Die Linearisierung des Ruhegehaltssatzes ist ein systemimmanentes Mittel zur Veränderung der Berechnung der Altersversorgungsansprüche, die auch Vorteile für Problemlösungen in anderen Bereichen, z. B. beim Versorgungsabschlag für Teilzeitbeschäftigte, bietet. Aber diejenigen, die für die Linearisierung eingetreten sind und sich gleichzeitig vor der Sommerpause gegen die damals gefundene Erziehungszeitenregelung ausgesprochen haben, müssen erklären, wie sie die Schlechterstellung von Frauen rechtfertigen. Die Linearisierung beseitigt zwar Ungerechtigkeiten; in der Gesamtversorgung stehen sich Frauen, die Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen, aber schlechter.
Um es ganz deutlich zu sagen: Die jetzige Regelung zu den Kindererziehungszeiten erfüllt die Forderung des gemeinsamen Eckwertebeschlusses nicht. Dieser fordert nämlich, Kindererziehungszeiten als Dienstzeiten in der Beamtenversorgung erweiternd zu berücksichtigen. Eine ursprünglich vereinbarte Regelung, die die Forderung aus dem Eckwertebeschluß erfüllte, erwies sich politisch als nicht haltbar. Dabei haben die Kritiker dieser Regelung durchweg übersehen, daß Beamtinnen, die den Höchstruhegehaltssatz von 75 % erreicht haben, von den Kindererziehungsbeträgen auch nicht einen roten Heller bekommen würden. Es läuft der gesetzgeberischen Intention zuwider, wenn Beamte ohne Kindererziehungszeiten besser dastehen als die mit Kindererziehungszeiten. Meine Damen und Herren, ich hätte mir eher eine Lösung gewünscht, die sich mehr an den Grundprinzipien der Beamtenversorgung orientiert hätte. Für die FDP kann deshalb diese gefundene Regelung kein Muster für andere Regelungen sein.
({2})
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine generelle kritische Bemerkung zu den Kindererziehungszeiten. Es läßt sich die Forderung nach Anrechnung von Kindererziehungszeiten - unabhängig davon, ob die Frauen und Männer während dieser Zeit erwerbstätig waren oder nicht - natürlich leicht aufstellen, wenn man nicht selber an der Kasse sitzt. In der Sache freilich halten wir diese zeitenadditive Lösung für richtig. Bedauerlicherweise läßt sich nicht die notwendige Zustimmung dafür finden, dies im Zusammenhang mit dem Rentenreformgesetz so zu gestalten. Frauen oder Männer, die Kindererziehung und gleichzeitige Berufstätigkeit miteinander vereinbaren können, werden dadurch eindeutig benachteiligt.
({3})
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf stellt sicher, daß es für bereits im Ruhestand befindliche Beamte und Soldaten keine Eingriffe in laufende Versorgungsbezüge geben wird. Für aktive Beamte und Soldaten sind angemessene, langfristige Übergangsregelungen vorgesehen. Einen zweiten Sündenfall - wie beim § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes, den wir heute nachmittag im Innenausschuß mit dem Ziel beraten werden, zum 1. Januar 1990 den Anrechnungsfreibetrag und den Mindestbelassungsbetrag weiter zu erhöhen - wird es bei der anstehenden Gesetzesänderung nicht geben.
({4})
Bei der Soldatenversorgung mußte sichergestellt werden, daß die Attraktivität der Laufbahnen aus
Gründen der Nachwuchsgewinnung erhalten bleibt und die personalstrukturelle Situation nicht weiter in eine Schieflage gerät. Ich meine, daß auch hier vertretbare Lösungen gefunden wurden, die Rücksicht auf die besondere Situation des Soldatenberufs nehmen. Erwähnen will ich nur, daß aus den genannten Gründen die besondere Altersgrenze für Berufsunteroffiziere nicht angehoben wird und die Zuverdienstgrenze auf 120 % - nicht, wie teilweise gefordert, auf 100 % - festgesetzt wurde. Meine Damen und Herren, für Soldaten gilt genauso wie für den übrigen öffentlichen Dienst, daß zur Attraktivitätsverbesserung unverändert dringend weitere strukturelle Verbesserungen auf den Weg gebracht werden müssen.
Wir haben bei den Verhandlungen darauf geachtet, daß die Angemessenheit der Mindestversorgung durch Zurechnungszeiten im Falle der Dienstunfähigkeit gewährleistet ist
({5})
- Hören Sie einen Augenblick zu, Frau Unruh! -, weil die Beamten insbesondere bei der Polizei und in anderen Vollzugsdiensten durch Außen- und Wechseldienst besonderen gesundheitichen Belastungen ausgesetzt sind, die zum Beispiel bei fast jedem dritten Polizeibeamten zur Dienstunfähigkeit führen.
Wenn es stimmt, daß es im Bundesgebiet 25 000 Polizeibeamte gibt, die nach 1972 in den Polizeidienst eingetreten sind und dabei älter als 20 Jahre waren und die nach 2002 nach Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren pensioniert werden, ohne daß sie die Höchstgrenze von 75 % erreichen konnten, und daß sie infolgedessen Abschläge von 10 % bis 15 % hinnehmen müßten, so müssen wir dem in den weiteren Beratungen nachgehen.
({6})
- Ein bißchen mehr Sachkenntnis Ihrerseits, Frau Unruh, würde die Debatte wirklich fördern.
({7})
Dabei kann das hilfreich sein, was im Innenausschuß des Bundesrates beschlossen worden ist. Ich glaube, wir müssen uns dieser Problematik annehmen.
({8})
Für die FDP war es von großer Wichtigkeit, daß die Eigenständigkeit der Beamtenversorgung gewahrt bleibt und jede Automatik der Übertragung von Belastungen der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf künftige Besoldungserhöhungen ausgeschlossen wird.
Die noch offenen Fragen, wie beispielsweise die Versorgung der kommunalen Wahlbeamten und die Versorgung der Mitglieder des Deutschen Bundestages, sollten schnellstmöglich geklärt werden.
({9})
Denn wenn es zutrifft, daß die Anpassung der Beamtenversorgung auch dem Ziel dient, die Akzeptanz der Rentenreform zu heben, um wieviel mehr gilt das dann auch für entsprechende Änderungen bei der Versorgung der Abgeordneten des Bundestages und auch der Landtage, meine Damen und Herren, und ebenso der Minister sowie der Staatssekretäre!
Ich will auf die Anträge der GRÜNEN nicht weiter eingehen. Die ablehnende Haltung meiner Fraktion ergibt sich schon aus meinen bisherigen Ausführungen. Doch möchte ich noch einige Bemerkungen in aller Kürze machen, und zwar zu verschiedenen Zwischenrufen von Frau Unruh.
Frau Unruh, die ganze Debatte um den öffentlichen Dienst krankt, so glaube ich, daran, daß die Menschen nichts lieber tun, als ihre Vorurteile zu pflegen.
({10})
Bei manchen Äußerungen innerhalb und außerhalb dieses Hauses hat man das Gefühl, daß sich das Bild der Menschen vom öffentlichen Dienst an dem Motto orientiert: Ärmelschoner lügen nicht! Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Wahrheit zu tun.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh? - Bitte.
Meinen Sie, Herr Kollege, es wäre eine Pflege von Vorurteilen, daß Arbeiter und Angestellte selbst nach 40 Jahren nachweislicher Abführungen an die Rentenversicherungen nicht 1 600 DM bekommen, was die Mindestpension der Beamten ist, und daß jetzt die Mindestpension für höhere Beamte auf 3 000 DM aufgestockt wird, und zwar ohne Eigenanteile?
({0})
Wissen Sie, ich bedauere sehr, daß Sie alles das, was der Minister Ihnen noch einmal zur Systematik der Beamtenversorgung erklärt hat, leider nicht verstanden haben.
({0})
Aber wie ist es denn tatsächlich mit dieser ganzen Privilegien-Diskussion? Frau Unruh, ist es denn nicht so, daß Sie in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes heute schon Schwierigkeiten haben, überhaupt geeigneten Nachwuchs zu finden? Warum geht denn kein Techniker, warum geht denn kein Ingenieur in den öffentlichen Dienst? Doch wohl nicht wegen überzogener Privilegien; das ist es doch nicht. Er geht deswegen nicht dorthin, weil er in der freien Wirtschaft bessere Konditionen vorfindet. Das ist die Wahrheit.
({1})
Wie sieht das denn mit der angeblichen Privilegierung in anderen Laufbahnen aus? Fragen Sie doch
einmal den Briefträger, der Ihnen die Briefe bringt, was er verdient!
({2})
Fragen Sie den: Wie ist es mit der „Privilegierung"? Meine Damen und Herren, für uns alle ist noch ein weites Feld an Tätigkeiten offen, und ich denke, wir sollten im Zusammenhang mit der anstehenden Debatte über den Strukturbericht noch einmal darauf zurückkommen.
({3})
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Richter, es geht nicht darum, ganz generell und im großen Aufwasch über die Beamten herzuziehen. Denn dann machten wir es Ihnen nur leicht, dann könnten Sie sagen: Es ist nur der Neidkomplex, den wir schüren.
({0})
Daß aber im Beamtenwesen Differenzierungen bestehen, daß es eine Rangordnung bei den Beamten gibt, daß sich die höheren Abteilungen sehr gut bedient haben und sehr gut für sich sorgen und daß das zu großem Unverständnis in der Bevölkerung führt, müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Das können Sie auch nicht wegreden.
({1})
Ich möchte zunächst einmal aus dem vorgelegten Gesetz zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes Art. 17 zitieren, der den Kindererziehungszuschlag regelt.
Verehrte Frau Kollegin, würden Sie schon eine Zwischenfrage zulassen?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, da Sie sagten, die höheren Beamten hätten sich bedient: Können Sie mir Beispiele nennen, wo außerhalb der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages eine Beamtenversorgung durch Selbstbedienung von Beamten vorgenommen worden ist?
Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber Sie wissen auch, daß es in diesem Haus eine sehr starke Lobby der Beamten gibt.
({0})
Ich habe nicht behauptet, es sei illegal gewesen. Aber man kann auch Zustände, die moralisch nicht zu rechtfertigen sind, legal über dieses Haus herstellen lassen. Das ist das, worum der Disput geht.
({1})
Ich wollte mich zunächst der Frage der Kindererziehung zuwenden, die in diesem Gesetzentwurf angesprochen und geregelt ist. Ich zitiere Art. 17 des Entwurf s:
Das Ruhegehalt eines Beamten, Richters oder Soldaten erhöht sich bei einem nach dem 31. Dezember 1991 geborenen Kind für jeden Monat eines Erziehungsurlaubs .. .
Wir können nur mit Erstaunen feststellen, daß die Integration der Männer in die Haus- und Familienarbeit bei Ihnen offensichtlich vollständig gelungen ist. Diesen Eindruck muß jedenfalls der vorliegende Gesetzestext erwecken.
({2})
Es ist nämlich nur von männlichen Personen die Rede. Mit größtem Erstaunen haben wir zur Kenntnis genommen, daß in Ihren Reihen die Erziehungsarbeit in der Regel offenbar von Männern geleistet wird. Wir wollen an dieser Stelle durchaus beschämt bekennen, daß sich in unseren Kreisen dieses Modell noch nicht durchgesetzt hat.
({3})
Haben Sie in den Kreisen der CDU/CSU, FDP und SPD die Emanzipation der Geschlechter etwa klammheimlich im Zeitraffertempo vollzogen? Sind Sie dabei sogar so über das Ziel hinausgeschossen, daß die Männer diesen Bereich für sich alleine erobert haben? Aber bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Ganze leider wieder einmal wohl nur als die hinlänglich bekannte sprachliche Ignoranz gegenüber Frauen. Gemeint sind doch sicherlich die Beamtinnen und Richterinnen. Wie Sie es mit den Soldaten machen wollen, weiß ich nicht genau.
Nun sind es in der übergroßen Mehrzahl die Frauen, für die die vorgeschlagenen Regelungen zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Alterssicherung zum Tragen kommen. Das gilt auch für die Beamtinnen und Beamten, um die es heute geht. Für sie steht nun nach einem breiten gesellschaftlichen Protest, den das privilegierte „Beamtenbaby" im Sommer ausgelöst hat, eine Regelung zur Abstimmung, nach der die Kindererziehungszeiten für alle Gruppen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einheitlich bewertet werden sollen.
Allerdings will ich keinen Hehl daraus machen - das ist das, was Sie angesprochen haben, Herr Richter - , daß der Erfolg, Sie zur Rücknahme eines Beamtenprivilegs zwingen zu können, durchaus zwiespältiger Natur ist. Denn mit der nun vorliegenden Regelung wird der Anspruch der Frauen nach unten nivelliert. Und da sind Sie gerade mit Leistungen für Frauen gerne und schnell dabei.
Wenn Sie in Zukunft die Kindererziehungsleistung für alle Erziehenden gleich bewerten, als Bemessungsgrundlage jedoch 75 % des Durchschnittsverdienstes ansetzen, schreiben Sie eigentlich nur die gesellschaftliche Lohndiskriminierung fort, die Frauen in dieser Gesellschaft gewährt wird. Im Erwerbsleben verdienen Frauen im Schnitt 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Vor diesem Hintergrund meinen Sie auch, die traditionell weibliche Auf12022
gabe der Kindererziehung mit ebendiesem Abschlag bewerten zu können.
Weil wir gegen diese Art von Diskriminierung von Frauen und auch von Erziehungsleistung sind, schlagen wir die Bewertung von Erziehungszeiten für alle Frauen, Angestellte, Beamtinnen, Arbeiterinnen, Erwerbstätige und Nichterwerbstätige - auch das ist ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzung - , auf der Basis von 100 % des Durchschnittseinkommens vor.
Zu Recht haben alle Frauenverbände und Organisationen gegen die Ungleichbehandlung von erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen in dieser Frage protestiert.
({4})
Es darf bei der Bewertung von Erziehungsarbeit keine Spaltung der Frauen geben: weder die in weibliche Beamte oder sonstige Beschäftigte noch die in Erwerbstätige und Nicht-Erwerbstätige.
({5})
Nun zum zweiten Komplex, um den es heute geht: die Altersversorgung unserer Staatsdiener und Staatsdienerinnen. Die Spatzen pfeifen es inzwischen ja auch für breite Teile der Bevölkerung laut und vernehmlich von den Dächern, daß die Herren Staatsdiener mittels einer guten Lobby - darüber haben wir soeben gesprochen - prächtig für sich gesorgt haben, wenn es um ihre Absicherung im Alter geht.
({6})
Sie können Kritik daran nicht als Neid abtun. Vielmehr müssen wir uns fragen lassen - auch ich bin Beamtin -,
({7})
wie es denn mit dem Rest der Bevölkerung aussieht. Wenn - wie gerade mit dem Rentenreformgesetz - schmerzhafte Einschnitte für die meisten Teile der Bevölkerung verordnet werden, wenn Sie sich gleichzeitig nicht auf eine Grundversorgung für alle Alten haben verständigen können, dann allerdings müssen sich die Beamten - und stellvertretend Sie - fragen lassen, woher dann das Recht auf solch eine privilegierte Absicherung im Alter kommt.
({8})
Auch Sie von der SPD haben eigentlich die Grundsicherung verraten, indem Sie diesen Beamtenkompromiß eingegangen sind. Es ist ja kein Zufall, daß sich die Sozialpolitiker bei dieser Debatte verdünnisiert haben.
({9})
Ich weiß: Sie werden jetzt sagen, daß die Systeme ja ganz und gar nicht vergleichbar seien.
({10})
Wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann allerdings kann ich Ihnen nur vorschlagen, die Vergleichbarkeit der Systeme herzustellen.
({11})
Und wenn Sie dann antworten, das sei durch Art. 33 des Grundgesetzes quasi unmöglich gemacht, ist es wirklich an der Zeit, für die Revision des Art. 33 und die Abschaffung des Berufsbeamtentums zu streiten, zumal diese Debatte über die EG sowieso auf Sie zukommt; Herr Bernrath hat das ja soeben auch angesprochen.
({12})
Es gibt viele Schutzrechte der Beamten, die ich für durchaus übertragungswürdig auch auf andere Arbeitsverhältnisse halte.
({13})
Das gilt insbesondere auch für das Alterssicherungssystem, z. B. für die Mindestpension.
({14})
Also, lassen Sie uns an die Schaffung eines einheitlichen öffentlichen Dienstrechtes auf höchstmöglichem Niveau der Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutzrechte für alle hinsteuern. Dann haben wir auch die sauberste Möglichkeit, eine wirkliche Vergleichbarkeit der Alterssicherungssysteme herzustellen.
Nun gut, solche politischen Initiativen kann man von einem Parlament, das zu 50 % mit Beamten bestückt ist, wohl kaum erwarten.
({15})
- Sie müssen aber hören, was ich sage, Herr Richter. Ich kämpfe nicht für meine Privilegien. ({16})
Aber wegen des Anstandes hätte man doch erwarten können, daß Sie wenigstens den Empfehlungen der Sachverständigenkommission „Alterssicherungssysteme" folgen würden. Schließlich wurde diese Kommission vom Bundestag selber berufen, und sie hat Ende 1983 ein fundiertes Gutachten mit Harmonisierungsvorschlägen vorgelegt.
Nicht einmal die Einführung eigener Pensionsbeiträge für Beamte haben Sie nun vorgesehen. Selbst wenn Sie jetzt sagen, das würde sich nicht rechnen, weil dann den Beamten und den Beamtinnen des einfachen und gehobenen Dienstes als erstes ein Gehaltsausgleich gezahlt werden müßte - was wir durchaus auch so sehen -, so würden solche Beiträge doch eine gewisse Transparenz zwischen der Rentenversicherung und der Beamtenversorgung herstellen.
({17})
Das wäre für die Bevölkerung ein sehr wichtiger Akt.
Was jetzt mit dem gemeinsamen Gesetzentwurf auf dem Tisch ist, ist - mit Verlaub gesagt - eine Nasführung der Bevölkerung.
({18})
Wenn Sie zur Beruhigung all derjenigen, die die Kürzung in der eigenen Rententasche hinzunehmen haben, behauptet haben, die Änderung der Beamtenversorgung solle eine der Rentenreform adäquate Kostensenkung bewirken, so ist leicht zu belegen, daß Sie damit die Unwahrheit sprechen:
({19})
Sie haben den Betrag, um den die Durchschnittsrente auf Grund der von Ihnen geplanten Rentenreform sinkt, einfach auf die Beamtenversorgung übertragen und verschweigen dabei, daß die Durchschnittspension auch nach Abzug von Steuern und Krankenversicherung fast doppelt so hoch ist wie die Durchschnittsrente.
({20})
Indem Sie daher die Pension von 2 000 DM um denselben Betrag von 80 DM kürzen wie die Rente von 1 000 DM, muten Sie den Rentnern und Rentnerinnen einen Abzug von 8 % zu, während die Pensionen lediglich um 4 % gekürzt werden.
({21})
Der ohnehin sozial untragbare Abstand zwischen Renten und Pensionen wird dadurch nicht verringert, sondern - im Gegenteil - vergrößert.
Es fehlt mir jetzt leider die Zeit, im einzelnen noch darzulegen, daß durch die Steuerreform ein zweites Moment der Ungleichbehandlung bzw. Übervorteilung der Beamten eingeführt worden ist. Durch die Steuerreform werden die Beamten zusätzlich hohe Einsparungen in ihren Pensionen gewährt bekommen,
({22})
während bei den Renten, da sie nicht versteuert werden, eben dieser Vorteil nicht zu kassieren ist.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen, daß es sowohl anständig als auch klug wäre, wenn sich die Beamten dieses Hauses selber dazu bereit erklären würden, ihre Privilegien hier zur Disposition zu stellen. Denn sonst können Sie noch so schön reden, Herr Innenminister Schäuble: Die zunehmende Ablehnung des Beamtenstandes durch die Bevölkerung wird sich sonst nicht zu Unrecht verstärken.
({23})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kappes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren ! Die Altersversorgung von Bürgerinnen und Bürgern neu zu regeln, die ihr Leben lang fleißig gearbeitet haben und dann zu Recht einen materiell gesicherten Lebensabend erwarten, ist, wie ich meine, schon allgemein eine Aufgabe von hohem politischen Rang. Sie erfordert nicht nur die Kenntnis komplizierter Sachzusammenhänge, sondern mindestens ebensoviel menschliches Einfühlungsvermögen in die Situation der Betroffenen.
Für uns Innenpolitiker, denen nicht zuletzt die Sorge um den öffentlichen Dienst anvertraut ist, gilt dies in der Frage der Beamtenversorgung in besonderem Maße. Die Beamten, Richter und Soldaten verkörpern zwar nicht schlechthin den Staat. Aber was wäre der Staat ohne seine Staatsdiener, was wären unsere Verwaltungen, unsere Gerichte und unsere Bundeswehr ohne Bürger, die als Beamte, Richter oder Soldaten in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat stehen? Und wie stünde es um das Ansehen dieses Staates, wenn er die Treue seiner Diener nicht seinerseits mit angemessener Fürsorge beantwortete?
({0})
In diesem Sinne will ich für meine Fraktion - nachdem der Herr Bundesminister des Innern den materiellen Inhalt der vorgeschlagenen Änderungen bereits erläutert hat - auf diejenigen Gesichtspunkte hinweisen, die uns besonders wichtig erscheinen.
Zunächst einmal geht es uns ganz und gar nicht darum - eben war wieder davon die Rede -, irgendwelche angeblichen Privilegien zu beseitigen oder einzuschränken. Manche, leider auch Teile der SPD, fordern das, Andere, vor allem die SPD, sprechen beschönigend von der angeblichen Notwendigkeit einer Harmonisierung von Beamtenversorgung und Rentenversicherung. Das alles hat mit der politischen Aufgabe, wie wir sie sehen, nichts zu tun.
Nein, uns geht es um nichts anderes, als verantwortungsbewußt und rechtzeitig die unabweisbaren Konsequenzen aus dem Geburtenrückgang der vergangenen zwei Jahrzehnte und aus der sich daraus zwangsläufig für die Zeit nach der Jahrtausendwende ergebenden stark verringerten Zahl der Erwerbstätigen zu ziehen. Um den Bestand unseres Volkes in der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten, hätten wir seit Beginn der 70er Jahre eigentlich sechs Millionen Kinder mehr gebraucht. An dieser realistischen Feststellung kann entgegen den Behauptungen der Gewerkschaften und mancher Verbände auch die Zuwanderung von Aussiedlern und Umsiedlern nichts Entscheidendes ändern, wenngleich das niedrigere Durchschnittsalter und die größere Kinderzahl der Neubürger bei der Verteilung der Versorgungslasten durchaus ein Gewinn sind.
({1})
Unsere Beamten, Richter und Soldaten wissen dies ebenso gut wie die anderen Bürger. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie sich ebensowenig wie die künftigen Rentner den Notwendigkeiten verschließen werden, die sich aus dieser Entwicklung ergeben. Man kann nun einmal nicht mit 60 in den Ruhestand gehen, immer häufiger 90 werden - wie wir das erfreulicherweise in unseren Wahlkreisen beobachten - und bei stark sinkender Zahl der aktiv
Beschäftigten ohne weitere Beitragserhöhungen ein unverändert hohes Alterseinkommen beziehen.
({2})
Das ist gewissermaßen, Frau Kollegin, eher eine mathematische als eine politische Erkenntnis,
({3})
und sie gilt für die Pensionäre genauso wie für die Rentner. Daß im übrigen auch die Abgeordneten solidarisch Konsequenzen daraus ziehen werden und müssen, halten wir für selbstverständlich.
Aus dieser Sicht ist in unseren Augen der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und SPD ein vertretbarer Kompromiß, der die vom Deutschen Bundestag in seiner Entschließung vom 10. März 1989 vorgegebenen Eckwerte in gesetzliche Regelungen umsetzt. Wenn ich Kompromiß sage, so soll dies zugleich deutlich machen, daß der Gesetzentwurf das Ergebnis zwar fairer und offener, aber auch sehr harter Verhandlungen ist. Hinzu kam, daß die Innenpolitiker der drei Fraktionen die Sache leider nicht unter sich ausmachen konnten, so daß die unterschiedlichen Vorstellungen der CDU/ CSU einerseits und großer Teile der SPD andererseits über den Wert des Berufsbeamtentums hier sehr wohl ihre Rolle gespielt haben.
Lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Wir sind nach wie vor - ich erkläre das ausdrücklich für die Fraktion der CDU/CSU - entschieden dagegen, das Berufsbeamtentum zugunsten eines einheitlichen Dienstrechts abzuschaffen. Deshalb war es für uns wichtig, das Alterssicherungssystem der Beamten, Richter und Soldaten nur mit systemeigenen Mitteln des Beamtenversorgungsrechts zu ändern. Prinzipien des Rentenrechts lassen sich nun einmal nicht auf das ganz anders geartete Beamtenversorgungsrecht übertragen.
({4})
- Nun hören Sie mir noch ein bißchen zu, Herr Kollege Penner. Es kommt auch noch etwas Freundliches an Ihre Adresse.
Wir haben die Eigenständigkeit des Alterssicherungssystems der Beamten, Richter und Soldaten hartnäckig gewahrt. Auch in Zukunft wird es keine besonderen Beitragsleistungen zu ihrer Alterssicherung geben, wie sie von großen Teilen der Sozialdemokraten und vor allem bekanntlich von den GRÜNEN gefordert werden.
({5})
Aber auch in anderen Regelungsbereichen wird deutlich, daß wir an der Eigenständigkeit der Beamtenversorgung nicht haben rütteln lassen.
Im einzelnen ist für uns folgendes wichtig: Erstens. Die künftige Belastung der Beamten durch die Reform der Beamtenversorgung ist der Belastung der Rentenversicherten durch die Reform der Rentenversicherung entgegen allen anderen Behauptungen sehr wohl adäquat.
({6})
Es gibt weder Sondervorteile noch Sonderopfer.
Zweitens. Die Besoldung der Beamten wird auch künftig unter Berücksichtigung der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und auch der wachsenden finanziellen Belastungen der Alterssicherung festgesetzt. Eine automatische Nettoanpassung der Besoldung an die Vergütungen der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, wie sie in den Verhandlungen gefordert wurde, lehnen wir nach wie vor entschieden ab. Im übrigen gestatten Sie mir noch die Anmerkung, daß uns, dem Parlament, eine entsprechende Verpflichtung in der Besoldungspolitik auch wesentlichen Handlungsspielraum genommen hätte.
Drittens. Die Streckung der Zeitvoraussetzungen für das Erreichen der Versorgung in Höhe von '75 % der Einkünfte aus dem letzten Amt von bisher 35 Jahren auf 40 Jahre
({7})
- hören Sie mir doch noch ein bißchen zu, Frau Kollegin ({8})
- das fällt mir bei Ihnen häufig auch schwer - hätte nach den Vorstellungen mancher SPD-Politiker auf 45 Jahre ausgedehnt werden sollen. Dies war für uns unannehmbar, weil damit eine 75 `)/0 -Versorgung für viele Beamte fast unerreichbar geworden wäre. Insbesondere Vollzugsbeamte, z. B. der Polizei, und Feuerwehrbeamte, für deren Pensionierung eine besondere Altersgrenze von 60 Jahren gilt, hätten eine angemessene Versorgung kaum noch erreicht.
({9})
Deshalb schied für uns eine Verlängerung dieser Pensionsaltersgrenze von vornherein aus. Die Versorgungsabschläge, die wirksam werden, wenn jemand vor dem 65. Lebensjahr auf Antrag in den Ruhestand tritt, werden nach unserer Auffassung dazu führen, die Gesamtlebensarbeitszeit im öffentlichen Dienst zu erhöhen.
({10})
- Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben gerade die Zahl 45 in Verbindung mit der SPD-Fraktion genannt. Würden Sie mir zustimmen, daß diese immer unmittelbar mit der umgekehrten Nachversicherung verknüpft war?
({0})
Das mag sein. Ich befürworte die umgekehrte Nachversicherung sogar selbst, das will ich hier ausdrücklich erklären. Wenn ich Ihnen da etwas Falsches zugedacht habe, dann will ich das zurücknehmen. Aber es gab aus Ihrer Richtung
viele, die gesagt haben, es müßten eigentlich 45 Jahre sein.
({0})
- Ich meine nicht nur den engeren Zirkel. Aber gut, ich will das gerne relativieren, möglicherweise auch nachprüfen. Ich würde Ihnen jedenfalls darin zustimmen, daß die umgekehrte Nachversicherung auf Dauer gesehen, im Grunde genommen eine gute Lösung wäre.
({1})
- Herr Penner, warten Sie. Sie kommen doch gleich noch dran.
({2})
- Ich habe ja auch noch ein paar Minuten.
Viertens. Durch eine detailliert gestaltete Übergangsregelung - ich verweise hierzu noch einmal auf die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers - gewährleisten wir einen für uns besonders wichtigen Vertrauensschutz für die im Dienst stehenden Beamten. Die jetzigen Pensionäre werden von der beabsichtigten Novellierung überhaupt nicht betroffen. Für die künftig in den Ruhestand eintretenden Beamten gilt grundsätzlich, daß sie ihre bereits erworbenen Versorgungsansprüche nicht verlieren.
Fünftens und letztens. Die Anrechnung von - schon mehrfach angesprochen - Kindererziehungszeiten in der Beamtenversorgung regeln wir - auch das ist wahrlich ein Kompromiß! - außerhalb des Beamtenversorgungsgesetzes in einem besonderen Artikel des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs. Angesichts der lebhaften öffentlichen Diskussion zu Beginn der Sommerpause und anschließend zu diesem Thema kann ich mir weitere Ausführungen dazu heute wohl ersparen.
Wesentlich ist letztlich, daß Beamte und besonders Beamtinnen in der Regel mit Arbeitnehmern in der Rentenversicherung gleichbehandelt werden. Persönlich meine ich allerdings - ich will das nicht verschweigen -, daß wir im Laufe der Zeit sowohl in der Rentenversicherung als auch in der Beamtenversorgung dahin kommen sollten, Kindererziehungszeiten bei der Berechnung der Alterseinkommen so zu werten, als wäre die Mutter - oder auch einmal der Vater
- in dieser Zeit nicht wegen der Kindererziehung beurlaubt gewesen - ein familienpolitisches Ziel, das wohl vorerst leider nicht zu finanzieren ist.
({3})
- Na ja.
({4})
Im übrigen war mit dem Entwurf nicht nur den Anforderungen des Berufsbeamtentums, sondern auch den besonderen Verhältnissen des Wehrdienstes und dem Gesichtspunkt der Attraktivität des Soldatenberufs Rechnung zu tragen. Bei den Diskussionen über
Änderungen im Beamtenbesoldungs- und Beamtenversorgungsrecht wird allzuleicht übersehen, daß sich zwar nicht die gleichen, aber doch ähnliche Fragen auch im Bereich der Bundeswehr stellen. So ist es z. B. notwendig, den Berufssoldaten mit besonderen Altersgrenzen - das wurde bereits hervorgehoben - erhöhte Zuschläge zum erdienten Ruhegehalt zu gewähren, weil sie eine Dienstzeit von 40 Jahren von vornherein nicht erreichen können. Auch bei der künftigen Anrechnung von Erwerbseinkommen außerhalb des öffentlichen Dienstes auf das Ruhegehalt wurde den besonderen Bedingungen bei den Soldaten Rechnung getragen; auf Einzelheiten brauche ich nicht näher einzugehen. Das gilt auch für die vom Jahre 2002 an mit gewissen Ausnahmen vorgesehenen höheren Altersgrenzen.
({5})
- Das trifft ja nicht zu. Es geht doch um diejenigen, die früher in den Ruhestand gehen müssen und sich bei einer Erwerbstätigkeit dann lediglich die Zuordnungsbeträge anrechnen lassen müssen. Wir können das dann in den Ausschußberatungen vertiefen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß uns ein ausgewogener Gesetzentwurf vorliegt, der bei aller Unterschiedlichkeit der Grundpositionen das Ergebnis, Herr Kollege Penner, fairer Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD ist.
({6})
Es muß hier klar bleiben, was auch sonst klar ist. - Ich möchte mich hierfür namens meiner Fraktion bedanken, ausdrücklich auch in Richtung der sozialdemokratischen Kollegen, und besonders die Herren Bernrath und Penner nennen,
({7})
wenngleich die Verhandlungen nicht selten an Härte nichts zu wünschen übrig ließen und auch wir uns in manchen Fragen sehr viel lieber durchgesetzt hätten.
({8})
Aber gegenseitiges Nachgeben ist nun einmal, Frau Kollegin, das Wesen des Kompromisses.
Besonders danken möchten wir auch dem Herrn Bundesminister des Innern und seinen Mitarbeitern für konstruktive und sachkundige Zusammenarbeit. Sie hat uns ermöglicht, zu den schon sehr weit gediehenen Beratungen der Rentenreform in relativ kurzer Zeit aufzuschließen.
Zum Schluß noch einige wenige Sätze zu den beiden Anträgen der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4964 und 11/4965. Ihnen können wir aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmen:
Die Heraufsetzung der Bemessungsgrundlage bei der Bewertung von Kindererziehungszeiten auf 100 % des Durchschnittseinkommens wäre zwar wünschenswert, ist aber offensichtlich derzeit nicht zu finanzieren. Wichtiger erscheint uns zur Zeit die Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten bis zu drei Jahren. Sozialpolitik ist nun einmal die Kunst des
Möglichen, und dazu gehört die realistische Unterscheidung von dem immer viel weitergehenden Wünschenswerten.
Soweit sogenannte Gleichbehandlung bei der Reform der Alterssicherungssysteme gefordert wird, geht dieser Antrag, wie wir meinen, von falschen Voraussetzungen aus.
({9})
Entgegen der Begründung des Entwurfs, Frau Kollegin Unruh, ist gerade keine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Alterssicherungssysteme anzustreben. Nur Gleiches ist gleich zu behandeln. Das vorgesehene Einsparvolumen in der Beamtenversorgung entspricht im übrigen auch sehr wohl den geplanten Einsparungen in der Rentenversicherung, wie schon erläutert wurde.
({10})
Beide Anträge der GRÜNEN sind daher abzulehnen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Es ist selbstverständlich, daß wir nun in den Ausschußberatungen noch die eine oder andere Detailfrage gemeinsam erörtern müssen. Hier oder dort können sich durchaus Hinweise auf ungewollte Härten als richtig erweisen. Kleinere Korrekturen könnten daher noch erforderlich werden und sollten einvernehmlich möglich sein. Das gilt auch für eine eventuelle Benachteiligung von Frauen, die natürlich niemand will.
Alles in allem meinen wir, daß der Gesetzentwurf durchaus dem Ziel gerecht wird, uns einen funktionstüchtigen, ideell und materiell gesicherten öffentlichen Dienst zu erhalten, indem er das bewährte Versorgungssystem der Beamten, Richter und Soldaten langfristig sichert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion hat in ihrer Sitzung vom 4. September 1989 der Einbringung des Entwurfs zur Änderung des Beamten- und Soldatenversorgungsrechts als Grundlage für die weiteren Beratungen im Gesetzgebungsverfahren zugestimmt. Es war für alle Beteiligten klar, daß Veränderungen im Beamtenversorgungsrecht auch Änderungen im Soldatenversorgungsrecht nach sich ziehen würden.
Die allgemeine Altersgrenze für Soldaten liegt heute beim 60. Lebensjahr. Diese Altersgrenze soll auf das 61. Lebensjahr angehoben werden. Das bedeutet, Generale werden damit in die Verlängerung der Dienstzeit einbezogen. Auch diesen Fakt sollte man nicht unterschlagen.
Ebenso ist eine Anhebung der besonderen Altersgrenzen um ein Jahr für Berufsoffiziere - vom Hauptmann bis zum Oberst - vorgesehen. Davon ausgenommen bleiben die Berufsunteroffiziere, deren besondere Altersgrenze von 53 Jahren bestehenbleibt.
({0})
Gleiches gilt auch für Strahlflugzeugführer, für die sogenannten BO 41, die wegen der Besonderheiten ihres Dienstes von der Anhebung um ein Jahr ausgenommen sind. Das sind also alles in allem Maßnahmen, die vertretbar sind.
Überrascht hat uns am gestrigen Tage allerdings die Mitteilung des Verteidigungsministers, daß bei der Zurruhesetzung in allen Laufbahnen der Berufssoldaten gravierende Veränderungen eintreten sollen. In einer Weisung ist vorgesehen, daß neben den Offizieren des militärfachlichen Dienstes ab 1990/1991 bei den Berufsunteroffizieren ab 1992/1993 eine größere, bis 1998 wachsende Anzahl von Berufssoldaten bis zu zwei Jahren über die besondere Altersgrenze hinaus im Dienst verbleibt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ja, bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Heistermann, können Sie bestätigen, daß uns Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, als diese Frage der Verlängerung der Dienstzeit für Berufsunteroffiziere anstand, beschworen hat, dies nicht zu tun, da das eine existentielle Frage der Bundeswehr sei?
Ich kann Ihnen das nur bestätigen, da ich an den Verhandlungen teilgenommen habe. Dies ist eigentlich ein Vorgang, der uns ein wenig überrascht.
({0})
Wenn es der Regierung möglich war, am gestrigen Tage den Verteidigungsausschuß zu unterrichten, dann wäre es auch während der Verhandlungen möglich gewesen, die neueren Überlegungen des Hauses mit in die Beratungen einzuführen. Wir hätten hier einvernehmliche Regelungen erzielen können.
Ich kündige, Herr Staatssekretär, für die SPD-Bundestagsfraktion an, daß wir nachprüfbare Unterlagen darüber erwarten, für wie lange die angekündigten Maßnahmen geplant sind und wie viele Soldaten von Ihren Maßnahmen betroffen sind. Das wollen wir nachprüfen, das wollen wir uns ansehen, und zwar ganz abgesehen von der Frage, welche Umfangszahl der Bundeswehr und welche Struktur Ihrer Weisung zugrunde liegen. Richten Sie sich also auf sehr interessante Fragen und auf eine interessante Debatte dazu ein.
Die SPD-Bundesfraktion wird bei den weiteren Beratungen der Gesetzesvorlage darauf achten, Kollege Richter, daß die Alterssicherung der Soldaten eine Sache, die unausgewogene Altersstruktur der Bundeswehr und das Attraktivitätsprogramm für die Bundeswehr eine andere Sache ist. Beides muß sauber getrennt bleiben; erforderlich ist auch eine unterschiedliche Behandlung.
Wir wollen für die Soldaten jene gesellschaftliche Normalität, die für andere gesellschaftliche Gruppen auch gilt. Davon werden wir uns bei den weiteren Beratungen leiten lassen.
({1})
Wir sind offen für weitere, bessere Vorschläge. - Kollege Gerster, wir werden bei den Beratungen Gelegenheit haben, uns auf das jeweils Bessere zu verständigen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker ({0}).
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten ebenso über Änderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung wie über Änderungen im Rahmen des Beamtenversorgungsgesetzes. Wir wollen hier natürlich noch einmal dokumentieren, daß wir das, was wir hier für einen großen Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger beschließen, auch daraufhin abklopfen, welche Veränderungen unserer Rechtsverhältnisse wir vorzunehmen haben.
Ich glaube, es besteht Übereinstimmung in allen Fraktionen - ich gehe davon aus - , daß wir sowohl § 19, in dem der Anspruch von Abgeordneten auf Altersentschädigung geregelt ist, als auch § 24 - Sterbegeld - sowie § 29 - Anrechnung beim Zusammentreffen mehrerer Bezüge aus öffentlichen Kassen - des Abgeordnetengesetzes in diesem Gesetzgebungsverfahren mit daraufhin zu untersuchen haben, welche Konsequenzen sich für uns daraus ergeben.
Es kommt hinzu, daß wir den Gesetzentwurf zur Änderung unserer Bezüge, nachdem die Präsidentin ihren Bericht vorgelegt hat, wohl nicht eher in die Debatte einführen können.
Letztlich wollen wir noch einen gemeinsamen Vorschlag machen, nämlich daß für die zukünftige Regelung und Änderung unserer Rechtsverhältnisse jeweils der Rat von Sachverständigen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft mit eingeholt werden kann.
Ich glaube, daß wir, so eingebettet und abgesichert, auch denjenigen entgegentreten können, die sagen, daß hier Sonderrechte für Abgeordnete in den verschiedenen Bereichen geschaffen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Richter?
Bitte.
Herr Abgeordneter Richter zu einer Zwischenfrage, bitte.
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß es wünschenswert wäre, wenn sich auch die Kollegen in den Landtagen - wenngleich zeitlich nicht
unbedingt in unmittelbarem Zusammenhang - adäquate Gedanken machen würden?
Herr Kollege, ich stimme Ihnen voll zu, aber wie Sie wissen, sind in den verschiedenen Landtagen inzwischen sehr unterschiedliche Vorstellungen entwickelt worden. Es wäre schön, wenn man sich auch in den Landtagen auf eine einheitliche Regelung einigen könnte.
({0})
- Sie wissen, daß daran nicht gedacht ist. Wir haben in den Fraktionen beschlossen, daß wir sinngemäße Anpassungen unserer Rechte vornehmen wollen. Das kann nicht dazu führen, daß Abgeordnete, wenn sie einmal gewählt sind, ihre Unkündbarkeit von vornherein mitgeliefert bekommen. Dies ist nicht beabsichtigt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Becker, würden Sie bitte die Gratulation der SPD-Bundestagsfraktion freundlich zur Kenntnis nehmen, nämlich deswegen, weil Sie heute Großvater geworden sind?
({0})
Das hat allerdings gar nichts mit der Berechnung der späteren Rente zu tun.
({0})
Ich bedanke mich sehr. Aber, meine Damen und Herren, das, was wir hier beschließen wollen, hat auf meinen Enkel heute noch keine Auswirkungen.
({0})
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rüttgers.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will hier nur dokumentieren, daß die von Herrn Kollegen Becker hier vorgetragenen Hinweise zum Verfahren und zum Umfang der zur Zeit anstehenden Prüfungen von unserer Fraktion so mitgetragen werden.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/4964, 11/4965 und 11/5136
Vizepräsidentin Renger
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 g auf: 7. Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über den Binnenschiffsverkehr
- Drucksache 11/3957 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0})
- Drucksache 11/4798 Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen
({1})
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ungarischen Volksrepublik über die Binnenschiffahrt
- Drucksache 11/3958 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({2})
- Drucksache 11/4799 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Niese
({3})
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. April 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Auslieferung
- Drucksache 11/3864 Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 11/4880 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Singer
({5})
d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957
- Drucksache 11/1821 Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 11/5112 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Schmidt ({7})
({8})
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 120 zu Petitionen
- Drucksache 11/5147 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 121 zu Petitionen
- Drucksache 11/5148 -
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 122 zu Petitionen
- Drucksache 11/5149 Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 7 a. Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 7 b: Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 c: Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift und die vom Ausschuß empfohlene Änderung auf.
Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN ist der Gesetzentwurf angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 d: Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN angenommen.
Tagesordnungspunkte 7 e bis 7 g: Wer für diese Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung einiger Abgeordneter der GRÜNEN sind die Empfehlungen beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13.15 Uhr.
({12})
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Die Bundesregierung hat weiter mitgeteilt, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Möllemann, berichtet.
Das Wort hat Herr Bundesminister Möllemann.
Das Kabinett hat sich heute u. a. mit einer Vierten Novelle zum Hochschulrahmengesetz beschäftigt.
Der Deutsche Bundestag hatte 1986 die Bundesregierung aufgefordert, eine Neuregelung der Zulassungsvorschriften vorzuschlagen. Die Novelle, die wir heute beraten und verabschiedet haben, sieht folgende Änderungen in fünf Kernbereichen vor:
Erstens. Eine stärkere Beteiligung der Hochschulen bei der Auswahl der Studienanfänger und eine Erweiterung der Wahlrechte der Studienbewerber.
Zweitens. Eine Gleichstellung der Studienbewerber aus EG-Staaten mit deutschen Bewerbern.
Drittens. Die Zulassung der Bildungsinländer aus Nicht-EG-Staaten durch die Zentralstelle der Länder im Rahmen einer Sonderquote innerhalb der Ausländerquote.
Viertens. Die Einbeziehung von Betreuungs- und Pflegezeit für Kinder oder pflegebedürftige sonstige Angehörige in den Nachteilsausgleich bei der Hochschulzulassung.
Fünftens. Eine verbesserte Kapazitätsausnutzung durch Erweiterung der Teilzulassungsmöglichkeiten.
Das sind die fünf wesentlichen Zielsetzungen.
Dazu im einzelnen folgendes. Bei dem ersten, dem wichtigsten Punkt des Gesetzentwurfs geht es darum, entsprechend dem Bundestagsbeschluß das Verfahren der Studienplatzvergabe neu zu regeln. Die Neuregelung schafft die Voraussetzungen für mehr Wettbewerb im Hochschulbereich.
Nach der Novelle können Hochschulen mit mehr Bewerbern als Studienplätzen im Verteilungsverfahren - das sind die Fächer Informatik und Volkswirtschaftslehre - und bei der Ortsverteilung im allgemeinen Auswahlverfahren - das sind weitere acht Studiengänge, die ich bei Bedarf nachher hier vortragen kann - , einen Teil der Studienbewerber, 50 bis 70 % , nach eigenen Leistungskriterien auswählen.
Die übrigen Studienplätze - das sind 30 bis 50 % -werden wie bisher nach sozialen Kriterien vergeben.
Anders als bisher bewerben sich die Studienanfänger bei der Leistungsauswahl und bei Hochschulen ohne Bewerberüberhang direkt bei der Hochschule ihrer Wahl. Die Auswahl nach Leistungskriterien ist eine Kann-Regelung. Die Hochschulen können sich selbst entscheiden, ob sie sie anwenden wollen.
Zu den anderen Kernpunkten folgende Bemerkungen. Mit der vorgesehenen Gleichstellung der Studienbewerber aus anderen EG-Staaten mit deutschen Bewerbern leistet die Bundesregierung einen wichtigen europapolitischen Beitrag. Für Studienbewerber aus Nicht-EG-Staaten, die ihre Hochschulberechtigung bei uns im Inland erworben haben - das sind die sogenannten Bildungsinländer - , wird eine Sonderquote im Rahmen der Ausländerquote bei der ZVS gebildet. *)
Wie schon bisher, z. B. für Wehr- und Zivildienstleistende, wird bei der Hochschulzulassung auch für die Betreuung oder Pflege von Kindern ein Nachteilsausgleich eingeführt. Diese Neuregelung kommt insbesondere Frauen zugute.
Schließlich wird die geltende Vorschrift über die Teilzulassung zum Studium ergänzt, um eine bessere Auslastung der Hochschulkapazitäten zu erreichen. Eine Zulassung kann danach auch für den ersten Teil eines anderen als dem vom Bewerber gewählten Studiengang erfolgen, wenn dieser Studiengang dem ursprünglich gewählten sehr verwandt ist und später freie Kapazitäten in dem ersten Studiengang erwartet werden.
Frau Präsidentin, das waren die wesentlichen Schwerpunkte des Entwurfs der Novelle zum Hochschulrahmengesetz. Darüber wollte ich hier berichtet haben.
Ich danke Ihnen.
Die erste Fragestellerin ist Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Bundesminister, Sie haben fünf wichtige Punkte der Novellierung genannt. Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung auch beabsichtigt, den Gummiparagraphen hinsichtlich der Berücksichtigung von qualifizierten Frauen im Hochschulbereich, in Lehre und Forschung, der keine wesentliche Wirkung gezeigt hat, bei der Novellierung verschärft, verstärkt und mit größerem Nachdruck zu formulieren.
Nein, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, dies ist nicht Gegenstand dieses Entwurfs. Wohl aber ist dies Gegenstand der beim Bundeskanzler anberaumten Besprechung zwischen dem Kanzler und den Regierungschefs der Länder, in der es darum gehen soll, in einem Konzept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine eigene Komponente vielfältiger Maßnahmen zur Förderung der Rolle der Frauen in der Wissenschaft und im Hochschulbetrieb vorzusehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, glauben Sie im Ernst, daß man bei solchen Dingen ohne eine Regelung per Gesetz auskommt, daß sie also durch Gespräche mit Ministerpräsidenten geregelt werden können?
*) Bei der Auswahl innerhalb der Sonderquote werden die für Deutsche geltenden Kriterien angewandt.
Zweitens möchte ich fragen: Wird bei einer Novellierung nun auch endlich die Pflicht zur Einführung der verfaßten Studentenschaft für alle Bundesländer konstituiert?
Das sind nun zwei ganz unterschiedliche Punkte. Dazu möchte ich folgendes sagen. Selbstverständlich ist es richtig, daß ein Gespräch allein das Problem nicht lösen kann.
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Aber auf Grund der Zuständigkeitsverteilung sind alle Bestimmungen auf dem Feld der Personalpolitik an den Hochschulen in einem Bundesgesetz dann wirkungslos, wenn die Länder nicht daran interessiert sind und nicht gewillt sind, sie auch umzusetzen. Wir beklagen ja beide gemeinsam das Dilemma, daß wir zwar nahezu 50 % Studienanfänger weiblichen Geschlechts haben - das ist nicht zu beklagen, das ist gut - , daß wir aber nur ganze 3 % Frauen auf Hochschullehrerpositionen haben.
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Hier muß ein Maßnahmenbündel zur Förderung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb entwickelt werden - das ist nicht allein durch Rechtsformulierungen oder durch Paragraphen zu regeln - , das die Länder mittragen. Ich bin auf die Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen. Deswegen wollen wir uns vorweg verständigen, bevor wir eine Formulierung finden, die hier vorgegeben würde.
Der zweite Punkt ist, daß die Länder frei sind, eine verfaßte Studentenschaft in ihren Hochschulgesetzen abzusichern. Neun von elf Bundesländern haben sie auch. Das Land Baden-Württemberg und der Freistaat Bayern haben sie nicht. Sie können sie aber nach den Bestimmungen des Hochschulrahmengesetzes sehr wohl einführen.
Herr Graf von Waldburg-Zeil!
Herr Bundesminister, gehe ich recht in der Annahme, daß die erste der genannten Regelungen, die ja der Stärkung der Autonomie der Hochschulen und der Wettbewerbsfähigkeit unter den Hochschulen dient, nicht nur im Hinblick auf das Inland getroffen wurde, sondern auch eine Auswirkung auf die bevorstehende Konkurrenz in Europa hat?
Ja sicher, das ist eine der Zielvorstellungen, die damit verbunden ist. Aber ganz grundsätzlich gilt ja auch für Europa, daß man das, was man dort verwirklicht wissen will, zunächst einmal im eigenen Bereich sicherstellen muß. Deswegen geht die Bundesregierung diesen Weg.
Herr Abgeordneter Wetzel!
Herr Bundesminister, eine derartige Befragung bietet ja nicht genügend Zeit und Raum, um die ganzen strittigen, die neuralgischen
Punkte in dieser Gesetzesnovelle hier anzusprechen, geschweige denn sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob hier hochschulpolitisch und wissenschaftlich-politisch mit dieser Novelle die Prioritäten überhaupt richtig gesetzt wurden, ob die Neuregelung des Zulassungsverfahrens angesichts des bevorstehenden und zu erwartenden Mehraufwands an Hochschulbürokratie und vielem anderen mehr wirklich das vordringlichste Problem ist. Deswegen habe ich eine sehr kurze und knappe Frage. Diese vierte Novelle stellt einen sehr tiefgehenden Einschnitt in unser bisheriges Verständnis von der Autonomie der Hochschulen und allgemeiner Hochschulzulassung dar. Meine Frage lautet - Sie hatten im Juni eine Anhörung mit den Ländern und den Hochschulverbänden in Ihrem Hause anberaumt - : Wie sah denn deren Stellungnahme zu dieser Novelle aus? Wie haben sich einerseits die Länder dazu verhalten, und wie haben sich andererseits die Hochschulverbände - also insbesondere der Wissenschaftsrat, die Westdeutsche Rektorenkonferenz und die Fachhochschulkonferenz - dazu verhalten?
Herr Kollege Wetzel, ich glaube, wenn wir den Studienbewerbern mehr Wahlfreiheiten, mehr persönliche Rechte zu entscheiden, wo sie studieren wollen, einräumen, den Hochschulen mehr als bisher die Möglichkeit geben wollen, selbst zu entscheiden, auszuwählen statt über ein anonymes Verfahren der ZVS Entscheidungen zugeteilt zu bekommen, dann ist das kein Eingriff in die Hochschulautonomie, sondern ist eine Erweiterung der Autonomie. Die Hochschulen bekommen dann mehr Rechte.
Zweitens tragen wir dem Gedanken der Autonomie dadurch Rechnung, daß wir eine Kann-Bestimmung vorsehen. - Die Hochschule, die das nicht will, kann weiterhin ihre Zuteilung über die ZVS bekommen; sie muß es nicht. Ich bin aber sicher, daß sich, da eine Reihe von Hochschulen sofort beginnen werden, das sehr schnell in alle Bereiche hinein auswirken wird.
Zu Ihrer Frage will ich folgendes sagen: Der Deutsche Hochschulverband - das ist die Organisation, in der die meisten Hochschullehrer organisiert sind - hat die Novelle uneingeschränkt begrüßt. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat sie in der Zielrichtung begrüßt, aber darauf hingewiesen, daß die Wahrnehmung dieser erweiterten Rechte - Autonomiemöglichkeiten der Hochschulen - auch Arbeitsaufwand bedeutet. Das ist wohl wahr. Wenn man ein Recht in Anspruch nimmt, muß man etwas dafür tun. Das kann man nicht leugnen.
Ich will ein Drittes hinzufügen: Was wir hier nicht gleichzeitig tun können, aber parallel mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz in Angriff genommen haben, ist die Entwicklung von ein- bis zweimal im Jahr zu veröffentlichenden Leistungsvergleichen der Hochschulen an Hand von Parametern, die die Hochschulen selbst entwickeln sollen, nicht wir, damit der einzelne Studienbewerber weiß, warum er sich in Frankfurt, in Münster, in Hannover bewirbt - nach Kriterien, die gemeinsam von den Hochschulen entwickelt werden sollen.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben die angedeuteten Einwände von Frau Hamm-Brücher und mir, die Hochschulautonomie betreffend, soeben als nicht begründet dargestellt.
Meine Frage soll diesen Punkt ein wenig vertiefen: Sehen Sie nicht auch einen Eingriff in Hochschulautonomie, wenn als Effekt dieser von Ihnen vorgelegten Novelle, die ja unter dem Druck einer sehr hohen und sich steigernden Nachfrage nach Studienplätzen zustande gekommen ist, zu verzeichnen ist, daß wir zwei Klassen von Hochschulen haben werden, nämlich diejenigen Hochschulen respektive Fachbereiche, die sich ihre Studierenden auswählen können, und andere Hochschulen respektive Fachbereiche, die die abgeblitzten Bewerberinnen und Bewerber dann aufzunehmen haben?
Herr Minister.
Wenn Sie meinen, daß bei einem Wettbewerb die einen vorn und die anderen weniger vorn, also weiter hinten sind, dann ist das ganz richtig. Das ist gewollt. Es soll ja diesen Wettbewerb geben. Die Studenten sollen ja wissen, warum sie sich dort bewerben und dort nicht. Im übrigen tun sie es ja schon heute. Schon heute äußert ja der Studierende oder der angehende Student, der in einem der genannten Studiengänge studieren will, wohin er möchte. Heute hat er selbst aber keinen Einfluß auf die Zuteilung; heute wird er anonym zugeteilt. Wo soll denn unter dem Gesichtspunkt der Individualität der Vorteil liegen? Demnächst kann er persönlich entscheiden, wohin er geht, und die Hochschule nimmt die Auswahl vor. Das finde ich gut. Ich sage dazu noch einmal: Die Hochschulen müssen dieses Verfahren ja nicht praktizieren. Sie sind autonom zu sagen, daß sie es nicht anwenden.
Im übrigen hatte ich das Gefühl, daß Ihre Interpretation, Ihre Position und die von Frau Dr. Hamm-Brücher seien identisch, eine sehr gewagte war.
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Darüber werden Sie sich austauschen.
Ich komme zur nächsten Fragerunde, zu den aktuellen Fragen. Erster Fragesteller ist Herr Abgeordneter Jahn.
Die Bundesregierung hat sich vermutlich heute auch mit der Frage der Übersiedler beschäftigt. Wir werden darüber gleich eine Debatte haben. Ich nehme an, daß dann im einzelnen dazu berichtet werden wird.
Aber die Tatsache, daß so viele Menschen schlagartig hier zu uns kommen, hat ja die Aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt, das auch ohne diesen Zustrom an Bürgern, die bei uns Zuflucht suchen, besteht, nämlich die erheblichen Mängel in der Wohnraumversorgung, die in manchen Gebieten der Bundesrepublik Wohnungsnot darstellen, und die insbesondere in Ballungsgebieten zu verzeichnende Explosion der Mieten bis in unbezahlbare Höhen. Ich frage, nachdem offenbar Einigkeit darüber besteht, daß Sonderprogramme nicht in Betracht kommen - die Regierung will sie nicht, wir auch nicht - , ob die Regierung diese Übereinstimmung und die tatsächlichen Vorgänge zum Anlaß genommen hat, zu prüfen, was geschehen kann, um so schnell wie möglich zu einer angemessenen Wohnraumversorgung zu kommen, ob sie insbesondere bereit ist, die bisherige Wohnungspolitik im Hinblick auf die Förderung des öffentlichen Mietwohnungsbaus zu überdenken und die bisherigen Ansätze zu erhöhen - noch einmal: nicht bezogen auf einzelne Gruppen, sondern insgesamt, weil wir insgesamt dringend eine Entlastung brauchen.
Frau Bundesministerin Hasselfeldt.
Frau Hasselfeldt: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Herr Kollege Jahn, zunächst einmal ist es anerkennenswert und teilweise sogar erstaunlich, daß für die Übersiedler, die in den letzten Tagen zu uns kamen, allein im Raum Passau, beispielsweise gestern über die Zeitung „Passauer Neue Presse", nicht nur 5 000 Arbeitsangebote, sondern zugleich auch 2 000 Wohnungen angeboten worden sind. Dieses Entgegenkommen, dieses Angebot finde ich sehr begrüßenswert und anerkennenswert. Es veranlaßt mich aber auch zu der Bemerkung, daß doch noch Wohnraum vorhanden ist, vor allem dann, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Nichtsdestotrotz ist mir bewußt, daß dieser Zustrom die vorhandenen Engpässe am Wohnungsmarkt nicht geringer macht, sondern einen zusätzlichen Druck ausübt. Es ist in der Öffentlichkeit und auch in der Fachwelt unbestritten, daß die ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung sowohl die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen als auch die deutliche Erhöhung der Mittel für den Sozialwohnungsbau der richtige Weg sind, in die richtige Richtung gehen und auch in der Größenordnung ausreichend sind. Mit einem Aufstocken dieser Mittel würden wir die jetzt vorhandenen Probleme kurzfristig nicht lösen. Deshalb überlegen wir in einer heute eingesetzten Koalitionsarbeitsgruppe aus Mitgliedern der Koalitionsfraktionen, und zwar gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister und dem Bauminister eventuell zusätzliche Anreize zu schaffen und weitere Maßnahmen zu ergreifen, und zwar auch im Wohnungsbestand, auch bei der Förderung von Selbsthilfe oder in der Nutzung von öffentlichen Gebäuden.
Eine Zusatzfrage.
Frau Bundesministerin, wird diese Arbeitsgruppe auch der Frage nachgehen - ich gebe Ihnen recht: kurzfristig kann mit zusätzlichen Mitteln, so notwendig sie wären, Wohnraum nicht geschaffen werden; das braucht seine Zeit; aber darüber müssen wir uns gesondert auseinandersetzen -, wie wir den vorhandenen Bestand an Sozialmietwohnungen für die Zukunft so sichern, daß dieser Bestand unangefochten zur Verfügung steht, oder gehört das nicht zum Thema der Arbeitsgruppe?
Frau Hasselfeldt: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Zum Thema der Arbeitsgruppe gehören sowohl Übergangseinrichtun12032
gen als auch dauerhafte Unterkünfte, gehören sowohl Wohnungen im Sozialbestand als auch solche im frei finanzierten Wohnungsmarkt. All das muß im gesamten Wohnungsmarkt unter einem Blickwinkel gesehen werden. Zur Aufgabenstellung dieser Arbeitsgruppe gehört auch, daß wir Maßnahmen nicht nur für die Übersiedler treffen, sondern daß wir sehr wohl sehen müssen, daß das zusätzliche Engpässe auf dem gesamten Wohnungsmarkt mit sich bringt. Deshalb sollten Maßnahmen erarbeitet werden - einige Vorschläge liegen auf dem Tisch, die aber intensiv geprüft und abgewogen werden müssen - , die der Wohnraumversorgung der gesamten Bevölkerung in unserem Lande zugute kommen.
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Möchten Sie noch zum Wohnungsbau fragen?
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- Dann kommt zunächst Herr Voigt dran.
Im Zusammenhang mit dem eben vom Kollegen Jahn angesprochenen Komplex möchte ich fragen, ob sich die Bundesregierung auch mit der in Wort und Tat bewunderswerten menschenrechtlichen Orientierung Ungarns beschäftigt hat und ob sie, nachdem Ungarn zusammen mit Jugoslawien, der Sowjetunion und Polen Anfang Juli den Gaststatus beim Europarat erhalten hat, der Meinung ist, daß dann, wenn in Ungarn Ende dieses Jahres/Anfang nächsten Jahres freie Wahlen gewesen sind, Ungarn das Recht auf volle Mitgliedschaft im Europarat erhalten sollte.
Herr Abgeordneter Voigt, die Bundesregierung hat sich natürlich auch mit der - wie Sie gesagt haben und wie wir es nur unterstreichen können - bewundernswerten Haltung der ungarischen Regierung befaßt. Wir haben für die menschliche Hilfe, die den Flüchtlingen zugute gekommen ist, ausdrücklich gedankt.
Mit der Frage einer Vollmitgliedschaft im Europarat hat sich die Bundesregierung bisher noch nicht befaßt. Aber ich denke, es ist ganz selbstverständlich, daß die Bundesregierung eine Vollmitgliedschaft Ungarns im Europarat, nachdem sie dem Gaststatus Ungarns dort zugestimmt hat, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen entsprechend den Statuten des Europarats begrüßen wird.
Eine Zusatzfrage.
Die Bundesregierung hat sich dann sicherlich auch damit beschäftigt, daß wir dem Land - Ungarn - gegenüber, das uns - Deutschen - gegenüber Reisefreiheit ermöglicht, nach wie vor eine Visumspflicht haben.
Nun haben wir im vorigen Jahr einen Antrag auf Aufhebung der Visumspflicht für Ungarn eingebracht. Wie verhält sich die Bundesregierung, die in dieser Frage bisher zögerlich war, hinsichtlich der Aufhebung der Visumspflicht jetzt gegenüber Ungarn?
Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß sich die Bundesregierung für die Aufhebung der Visumspflicht gegenüber Ungarn immer eingesetzt hat, ganz speziell in den vergangenen Monaten. Sie wissen ebenfalls, daß wir im Kreise der Partner des sogenannten Schengener Abkommens, also im Kreise der fünf Staaten Belgien, Luxemburg, Niederlande, Frankreich und Bundesrepublik Deutschland, versuchen, zu einer übereinstimmenden Praxis bei der Visumerteilung zu kommen.
In diesem Kreise war es bisher nicht möglich, eine Visumsfreiheit für Ungarn durchzusetzen. Ich halte es für wünschenswert, die Frage auch in diesem Kreis in angemessener Zeit wieder aufzunehmen.
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- Die Begründungen dafür sind nach unserer Meinung wirklich durchschlagend.
Herr Abgeordneter Dr. Penner.
Nimmt die Bundesregierung die mehr oder minder deutlichen Andeutungen des aus dem Bundespräsidium der CDU abgewählten baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth ernst, der künftig einen eigenständigeren Kurs auch gegenüber Bonn fahren will?
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Darf ich fragen, wer für die Bundesregierung antworten will, oder bleibt die Frage so stehen? - Herr Bundesminister Seiters.
Jetzt verstehe ich, warum ich den Titel „Bundesminister für besondere Aufgaben" habe.
({0})
Herr Penner, ich habe Ihre Frage gehört. Im Präsidium der CDU wie auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es sehr viele eigenständige Persönlichkeiten. Ich denke, daß der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg wie bisher mit der Bundesregierung gut zusammenarbeiten wird.
Frau Präsidentin, ich möchte hinzufügen, daß gleiches auch für die FDP-Fraktion und das FDP-Präsidium gilt.
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Also, Herr Kollege Seiters, das war ja ganz flott formuliert.
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- Die Antwort. - Aber ist Ihnen entgangen, daß Herr Späth inzwischen nicht mehr Mitglied dieses höchst ehrenwerten Gremiums ist und daß damit die Geschäftsgrundlage entfallen sein könnte?
Sie kennen nicht die Regelung, die es bei uns gibt.
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Die Ministerpräsidenten der Länder, auch wenn sie nicht gewählte Mitglieder des Präsidiums sind, bekommen immer Einladungen zu den Sitzungen des Präsidiums und sind von daher kooptiert.
Ich kriege gerade den Hinweis - vielleicht, Frau Präsidentin, darf ich das noch sagen - von der Kollegin Adam-Schwaetzer: Es ist ja hier eine Regierungsbefragung nach der Kabinettssitzung. Ich bestätige ausdrücklich, daß dieses Thema das Kabinett heute nicht beschäftigt hat.
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Deswegen haben wir es auch unter „Aktuelle Fragen" abgehandelt.
Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Frau Präsidentin, ich hatte mich noch, wenn Sie erlauben, zum Wohnungsbau gemeldet.
Frau Bundesminister, ich möchte fragen, ob sich die Arbeitsgruppe, die Sie eingesetzt haben - denn der Mittelansatz, ob er nun hoch genug ist oder nicht, hat ja nicht sofortige Wirkung -, auch mit den vielen Zweitwohnungen, die wir haben, beschäftigt. Das wäre meines Erachtens angesichts der Tatsache, daß viele Zweitwohnungen, wie wir wissen, freistehen, angebracht, wenn es in einzelnen Räumen wirklich extreme Schwierigkeiten gibt.
Herr Kollege Oostergetelo, ich habe vorhin schon erwähnt, daß der Arbeitsauftrag dieser Arbeitsgruppe sehr umfassend ist, daß diese Arbeitsgruppe kurzfristig wirkende Maßnahmen mit ausarbeiten soll, die schnell realisiert werden können, entweder aus dem Wohnungsbestand heraus oder indem die Förderung der Selbsthilfe mit eingeht. Das ist zunächst einmal der Ansatz.
Wir prüfen alle in diese Arbeitsgruppe hineingetragenen Vorschläge, wobei ich allerdings sagen möchte: Eine Beschlagnahme von freistehendem Wohnraum ist nicht die Alternative, die ich mir zur Lösung der Probleme vorstelle. Die Arbeitsgruppe wird sehr zügig arbeiten. Wir wollen Anfang Oktober die ersten Ergebnisse vorzeigen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Sie hatten noch eine Frage.
Frau Präsidentin, meine Frage geht an den Bundesminister im Bundeskanzleramt. Ich möchte wissen, ob meine Annahme richtig ist, daß das Bundeskabinett die Entscheidung des Bundeswirtschaftministers, die Fusion DaimlerBenz/MBB mit Auflagen zu genehmigen, unterstützt und ihr zugestimmt hat.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, diese Frage ist heute im Kabinett nicht erörtert worden.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, erstens bedaure ich das, und zweitens möchte ich hinzufügen, daß wir hier nicht nur zu der heutigen Kabinettsitzung, sondern darüber hinaus zu allen politischen Vorgängen, die sich in der Regierung abspielen, Fragen stellen können. Deshalb wiederhole ich meine Frage, ob und in welcher Form die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers vom Kabinett zustimmend zur Kenntnis genommen wurde.
Frau Kollegin HammBrücher, ich habe gesagt, daß dies heute im Kabinett nicht erörtert worden ist. Das Thema fällt in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers; der Kollege Beckmann wird sich dazu gleich äußern. Ich verstehe aber nicht, warum Sie meinen, daß dieses Thema heute in Abwesenheit von Herrn Haussmann hätte erörtert werden müssen.
({0})
- Ja.
({1})
- Doch, es geht ihn etwas an.
Bevor der Parlamentarische Staatssekretär Beckmann antwortet, hat der Abgeordnete Jahn die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Herr Staatssekretär, es kann schlechterdings nicht bestritten werden, daß es, wenn es auch formal eine Ministerentscheidung ist, sich um eine Entscheidung von ganz außergewöhnlicher Bedeutung für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland handelt. Meinen Sie im Ernst, daß dem angemessen Rechnung getragen wird, wenn das Kabinett damit überhaupt nicht befaßt wird. Eine Befassung des Kabinetts damit liegt ungeachtet der formalen Zuständigkeiten jedenfalls nicht außerhalb des Denkbaren und wäre dem Gegenstand auch angemessen gewesen.
Über die Zuständigkeit haben wir gesprochen. Ich darf die Frage dahin
gehend beantworten, daß ich aus den Reihen des Kabinetts, auch außerhalb des Kabinetts keine Kritik an der Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers gehört habe.
Herr Staatssekretär Beckmann.
Herr Kollege Jahn, der Bundeswirtschaftsminister hat das Kabinett in der letzten Sitzung vor der Entscheidung über ihren Inhalt ausführlich unterrichtet; das Kabinett hat dies zur Kenntnis genommen. Im Anschluß an die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers in dieser Frage hat der Herr Staatssekretär Schlecht die anderen Ressorts hierüber eingehend informiert.
Eine weitere Frage durch Herrn Abgeordneten Dr. Penner.
Die FDP hat nach meiner Erinnerung auch im Hinblick auf Ausbildungsschwächen bei Aussiedlern die Einstellung von 10 000 Lehrern gefordert. Wie soll das finanziert werden?
Diese Frage ist nicht nur berechtigt, sondern sogar interessant.
({0})
- Dies meine ich nicht als Zensur, sondern als meine persönliche Bewertung.
Ich bitte Sie, verehrter Herr Kollege Penner, sie an die nach der Verfassung für das Schulwesen zuständigen Länder zu richten. Der Bundesbildungsminister
- sicher auch seine Partei - muß sich aus einer ganzheitlichen Betrachtungsweise schon darum kümmern, daß jede Ebene - der Bund, die Länder und die Gemeinden - das zur Integration der Aus- und der Übersiedler Notwendige tun. Ich wiederhole: Es ist angesichts des noch vorhandenen Stundenausfalls, angesichts ungünstiger Schüler-Lehrer-Relationen und der Tatsache, daß die vielen tausend Schülerinnen und Schüler, die unter den Aussiedlern sind, beschult werden müssen,
({1})
sehr unerfreulich, daß wir trotzdem Tausende arbeitsloser Lehrer auf der Straße haben, die die Länder nicht einstellen. Dafür sind die Länder zuständig. Ich appelliere an die Länder, ihrer Verpflichtung, eine vernünftige Unterrichtsversorgung sicherzustellen, gerecht zu werden.
({2})
Zusatzfrage, Herr Penner.
Herr Möllemann, darf ich Sie denn so verstehen, daß Sie Forderungen stellen, die von anderen finanziell zu begleichen sind?
Nein, Sie haben mich falsch verstanden. Insofern hat das natürlich wieder den kleinen Vorspann, den Herr Seiters vorhin bei einer anderen Frage zu machen hatte: Sie haben mich so zu verstehen,
({0})
daß sich das FDP-Präsidium an alle politischen Ebenen gewandt hat; Sie haben mich danach gefragt. Wir haben an Bund, Länder und Gemeinden appelliert, das jetzt Notwendige zu tun. Das gilt eben auch für die Länder. Ich als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft gehe davon aus, daß dies wirklich notwendig ist.
({1})
- Ich würde Sie bitten, mich so zu verstehen.
Danke, Herr Bundesminister. Vielleicht ist es gut, wir lassen die Bewertungen weg; sonst gibt es ein Hin und Her zwischen Parlamentariern und Regierung.
Als nächster Fragesteller Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Minister Möllemann, es ist doch wohl so, daß es sich nicht um das Geld des Bundes oder um das Geld eines Landes handelt, sondern immer um das Geld des Steuerzahlers
({0})
und daß dementsprechend verlangt werden kann, daß Bund und Länder gemeinsam das tun, was im Interesse der Bevölkerung, zu der dann ja auch die Aussiedler gehören, notwendig und richtig ist.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Dr. Hirsch. Ich will ergänzend sagen, daß wir in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung gemeinsam mit den Ländern über diese Frage im Gespräch sind, die notwendigerweise eine Kooperation von Bund und Ländern voraussetzt, beispielsweise dann, wenn wir die gemeinsam finanzierten Modellversuche in ihren Erkenntnissen für die bestmögliche Unterrichtung dieser Kinder anwenden wollen und auf die Länder transferierbar machen wollen. Das ist wohl so.
Frau Matthäus-Maier.
Herr Minister, da Herr Hirsch zu Recht darauf hingewiesen hat, daß wir auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene jeweils mit dem Geld des Steuerzahlers umgehen: Könnten Sie sich denken, daß wir das Geld des Steuerzahlers in Zukunft vielleicht nicht mehr für das Jagdflugzeug Jäger 90 verwenden, sondern daß Sie es den Ländern geben, um Lehrer einzustellen?
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Ich kann mich darauf beschränken, zu sagen, daß meine Vorstellungskraft nahezu unbegrenzt ist.
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Meine Damen und Herren, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit ist die Befragung der Bundesregierung beendet.
Ich schlage vor, daß wir die Sitzung bis 14 Uhr unterbrechen und dann fortfahren.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich als Parlamentspräsidentin gerne kurz folgendes verlesen:
Angesichts der uns alle bewegenden Dramatik der letzten Wochen und Tage im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom aus der DDR haben wir heute kurzfristig im Konsens aller Fraktionen eine Aussprache vereinbart, der ich nicht vorgreifen will. Dennoch möchte ich, auch anknüpfend an unsere Debatte heute vormittag, für den ganzen Deutschen Bundestag unsere Landsleute aus der DDR bei uns herzlich willkommen heißen.
({0})
Wir danken der Regierung der Volksrepublik Ungarn und den unzähligen ungarischen Bürgerinnen und Bürgern für so viele Beispiele selbstloser Nächstenliebe und Opferbereitschaft.
({1})
Unser Dank gilt ebenso der österreichischen Regierung und unseren Nachbarn in Österreich für ihre tatkräftige und - wir konnten es in den Medien verfolgen - so unkomplizierte wirksame Hilfsbereitschaft.
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Wir danken ebenso allen Hilfsorganisationen in unserem Land und allen unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern für ihre jetzt schon so spontane Hilfe und Unterstützung für unsere zumeist jungen Landsleute aus der DDR, die nicht mehr und nicht weniger wollen, als endlich ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung führen zu können.
Der Deutsche Bundestag appelliert an unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen: Lassen Sie uns gemeinsam alle uns nur möglichen Anstrengungen unternehmen, diese Sehnsucht unserer Landsleute nicht zu enttäuschen.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Aussprache über die Fluchtbewegung aus der DDR
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen blickt nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern blicken viele Menschen in der Welt auf die Fluchtwelle an der ungarisch-österreichischen Grenze und auf Bilder, die auf unglaublich elementare Weise den Freiheitswillen von Menschen und das Glück über endlich gewonnene Freiheit verdeutlichen. Niemand von uns bleibt davon unberührt. Die Welle der Hilfsbereitschaft zeigt es.
Nach der Frau Präsidentin möchte auch ich hier für die Bundesregierung sagen: Wir heißen unsere Landsleute in der Bundesrepublik Deutschland herzlich willkommen. Wir werden alles tun, daß sie bei uns hier eine neue menschliche Heimat finden.
({0})
Ich will auch von mir aus den Dank an die österreichische und insbesondere die ungarische Regierung wiederholen, weil es sich nicht nur um eine humanitäre Entscheidung handelt, sondern auch um eine Entscheidung, die wir mutig nennen, in einer außergewöhnlich schwierigen Situation. Wir werden dies den Ungarn nicht vergessen.
({1})
Wir alle, denke ich, in diesem frei gewählten Parlament weisen mit Nachdruck auch den absurden und beleidigenden Vorwurf des Menschenhandels zurück.
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Wer bei der Ausübung des Menschenrechts auf Freizügigkeit von Menschenhandel spricht, der sei an die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen erinnert, wonach jedermann das Recht hat, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen. Er sei erinnert auch an die gemeinsame Bonner Erklärung von Staats- und Parteichef Gorbatschow und Bundeskanzler Kohl vom Juli 1989, in der sich beide Seiten dazu bekannten, daß der Mensch mit seiner Würde und seinen Rechten im Mittelpunkt der Politik stehen muß, und an das Recht der Völker und Staaten, ihr Schicksal frei zu bestimmen.
Wir weisen sicherlich auch gemeinsam Behauptungen zurück, eine Hetz- bzw. Verleumdungskampagne habe junge Menschen verführt. Im Grunde ist dies entlarvend, weil es das Menschenbild der SED verdeutlicht. Wer so redet, hat nichts, aber auch gar nichts vom Freiheitswillen der Menschen verstanden.
({3})
Es gäbe natürlich auch eine andere Erklärung: Wer so redet, hat Angst vor dem Selbsteingeständnis, daß die kommunistische Ideologie gescheitert ist, oder vor dem Verlust der Macht.
Über 60 000 Menschen sind in diesem Jahr mit Genehmigung übergesiedelt. Bis Ende des Jahres werden es wahrscheinlich über 100 000 sein.
Mehr als 18 000 sind über Ungarn in den Westen gekommen, davon über 13 000 seit Sonntagnacht.
Einige hundert haben, weil sie keinen anderen Ausweg sahen, zeitweilig Zuflucht in unserer Vertretung in Ost-Berlin sowie in unseren Botschaften in Buda12036
pest, Prag und Warschau gesucht, um auf diese Weise eine Ausreisegenehmigung zu erzwingen.
Die meisten sind jung, zwischen 20 und 40 Jahren. Viele lassen gesicherte Existenz, vielleicht bescheidenen Wohlstand zurück, dazu Freunde, Verwandte, Heimat. Sie kommen dennoch, um hier neu anzufangen.
Die Motive und die Gründe sind vielfältig. Sie hängen natürlich auch mit den allgemeinen materiellen Lebensbedingungen zusammen, aber in allererster Linie mit etwas anderem. Ich erinnere mich an mein Gespräch nach dem enttäuschenden Ergebnis der Unterredung mit dem amtierenden Außenminister Krolikowski mit den 117 Zufluchtsuchenden in Ost-Berlin und später mit den Flüchtlingen in Gießen. Ich habe in die Gesichter geschaut. Ich habe mir die Einzelschicksale angehört. Ich kann nur sagen - und ich denke, auch hier stimmen wir überein - , das Entscheidende ist: Es geht hier um verweigerte Freiheiten, um Hoffnungslosigkeit und vor allem um einen totalen Verlust an Vertrauen gegenüber der Führung der DDR.
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Die Menschen sind fassungslos, daß der bedeutende und dramatische Prozeß der Veränderung im osteuropäischen Raum hin zu mehr Menschenrechten, mehr Selbstbestimmung und mehr Freizügigkeit nach dem Willen der DDR-Führung ganz offensichtlich an ihnen vorbeigehen soll. Die alten gestanzten Antworten der DDR-Führung auf die existentiellen Wünsche der Menschen, die Mischung aus Reformunwilligkeit und Hilflosigkeit verstärken den Ausreisedruck. Dabei müßte die DDR wissen, daß Bunkermentalität kein Ersatz für politisches Handeln ist und daß eine weitere Abschottung den Prozeß einer gefährlichen Selbstisolierung erhöht und daß es auf Dauer unmöglich sein wird, eine zweite - geistige - Mauer in Osteuropa zu errichten, um sich vor dem ansteckenden Geist von Freiheit und Selbstbestimmung zu schützen. Denn ein Staat, dem die Jugend davonläuft, hat keine Zukunft.
({5})
Ich sage mit Bedacht: Es kann nicht Ziel einer vernünftigen Deutschlandpolitik sein, daß möglichst viele Menschen aus der DDR zu uns übersiedeln. Wir haben an die Zufluchtsuchenden in den deutschen Botschaften zu denken; wir haben an die zu denken, die auch künftig über eine Ausreisegenehmigung die Bundesrepublik erreichen wollen, aber nicht zuletzt auch an die vielen Menschen, die in der DDR bleiben möchten, die ihre Hoffnung aber auch auf die Bundesrepublik Deutschland setzen. Das erfordert eine Politik der Behutsamkeit, der Beharrlichkeit und der Standfestigkeit, ohne etwas zu verschweigen.
Aber klar sein muß auch, daß jeder, der aus der DDR zu uns kommt, hier als Deutscher aufgenommen wird. Er hat alle Rechte und Pflichten, die sich aus dem Grundgesetz und unserer Rechtsordnung ergeben.
Wir maßen uns nichts an. Wir verletzen weder das Völkerrecht noch Rechte der DDR, wenn wir daran
festhalten, daß es nur eine deutsche Staatsangehörigkeit gibt.
({6})
Wir grenzen niemanden aus, wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten der DDR ein. Im Gegenteil, die DDR mischt sich in unsere Angelegenheiten ein, wenn sie von uns verlangt, daß wir Deutsche, die sich uns zuordnen wollen, zurückweisen.
({7})
Für Zufluchtsuchende in unseren Vertretungen, insbesondere in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin und in der Botschaft Prag, erwies sich eine Lösung wie in Ungarn nicht als möglich. Nach Gesprächen mit Rechtsanwalt Vogel haben immerhin am 8. September alle Zufluchtsuchenden unsere Ständige Vertretung in Ost-Berlin und am 12. und 13. September auch ein großer Teil der Zufluchtsuchenden unsere Botschaft in Prag verlassen. Sie haben das in jedem Fall aus eigenem freiem Entschluß getan, nachdem ihnen Straffreiheit, Rückkehr an den Arbeitsplatz und vor allem eine umfassende anwaltliche Betreuung zugesichert worden war.
Wir haben der DDR immer wieder erklärt, daß es an ihr sei, durch ihr Verhalten die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Zufluchtsuchenden sich freiwillig zum Verlassen der Vertretungen entschließen. Wir haben deshalb auch keinerlei Vereinbarungen mit der DDR getroffen und auch gar nicht treffen können. Andere Meldungen sind unzutreffend.
Auf die Zufluchtsuchenden, die noch in der Botschaft Prag geblieben sind, wird seitens der Bundesregierung keinerlei Druck ausgeübt. Jeder muß für sich selbst entscheiden. Die Bundesregierung erwartet aber in jedem Fall, daß die DDR die Zusicherungen einhält, die gegeben wurden,
({8})
und daß schließlich für die Betroffenen eine ihren Interessen entsprechende humanitäre Lösung gefunden wird.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist im Interesse der Menschen zu einer Fortentwicklung der innerdeutschen Beziehungen bereit. Vieles wäre auf diesem Felde möglich. Aber die DDR muß ihrerseits dafür die Voraussetzungen schaffen. Gegenwärtige Verhärtungen wie das Einfrieren von Städtepartnerschaften sind kein geeigneter Beitrag dazu.
({9})
Letztlich wird eine umfassende Zusammenarbeit nur fruchtbar werden können, wenn die Gründe für den Ausreisedruck in der DDR beseitigt werden. Die Bundesregierung wird jedenfalls niemals bereit sein, mit Stillschweigen die Verletzungen elementarer Menschenrechte zu übergehen. Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, die in der KSZE und in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und damit
Bundesminister Setters
ihren Bürgern eine Perspektive zu eröffnen, die ihnen persönliche Freiheit, politische Selbstbestimmung und einen gerechten Ertrag ihrer Arbeit gewährleistet.
({10})
Meine Damen und Herren, auch angesichts weiter steigender Zuzugszahlen von Aus- und Übersiedlern ist nach Einschätzung der Bundesregierung eine rasche Aufnahme und Eingliederung möglich. Der Bund hat durch das Sonderprogramm vom 31. August 1988 sowie durch erhebliche Mittelverstärkung im Jahre 1989 und für 1990 wichtige finanzielle Voraussetzungen geschaffen. Das Aufnahmeverfahren ist dank der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, Kommunen und Hilfsorganisationen außerordentlich schnell abgelaufen. Das Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau wurde auf den Bereich der vorläufigen Unterbringung ausgeweitet und wesentlich verbessert.
Im Rahmen eines Aussiedler-Wohnungsbauprogramms wurde 1989 zusammen mit den Komplementärmitteln der Länder der Bau von 30 000 zusätzlichen Wohnungen gefördert. 1990 wird die Bundesregierung ihre Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau weiter erhöhen und den Ländern 1,6 Milliarden DM zur Verfügung stellen. Die mit diesen Mitteln geförderten Sozialwohnungen werden allen Bürgern in gleicher Weise zur Verfügung stehen.
Jetzt kommt es darauf an, rasch zusätzliche Wohnungen aus dem vorhandenen Gebäudebestand bereitzustellen. Die Bundesregierung wird prüfen, welche zusätzlichen Anreize geboten werden können, um möglichst viele Eigentümer zu motivieren, bisher ungenutzte Räume zur Verfügung zu stellen.
Gleichzeitig wird geprüft, welche öffentlichen Gebäude für die vorübergehende Wohnungsversorgung benutzt werden können. Im Bereich der schulischen, beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung wurden die Haushaltsmittel kontinuierlich angepaßt.
Unsere wirtschaftliche Lage, meine Damen und Herren, ist erfreulich günstig. Sie erleichtert uns die berufliche Eingliederung der Übersiedler und Aussiedler beträchtlich. Wir haben in den letzten Jahren über 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern und Auszubildenden wird immer größer. Dies alles erleichtert die Eingliederung der Übersiedler.
Im übrigen will ich doch auch einmal nach einem ganz persönlichen Eindruck sagen: Diese Mitbürger wollen sich nicht in unserem sozialen Sicherungssystem einrichten. Sie sind qualifiziert und motiviert. Sie wollen ihre Zukunftsgestaltung selbst in die Hand nehmen. Schon sehr bald werden sie daher zu Sozialprodukt, Steueraufkommen und Sozialversicherung beitragen.
Meine Damen und Herren, ich habe von der Welle der Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung für unsere Landsleute gesprochen. Wir alle, die politischen Parteien, die Bundesregierung, die Länder, die Kommunen, die Kirchen, die gesellschaftlichen Gruppen und Vereine, müssen in der Wohlstandsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland helfen, unseren Landsleuten den Start in einer neuen Umgebung zu erleichtern. Wir dürfen sie nicht enttäuschen. Ich bin auch überzeugt davon, daß das gelingt, weil auch schon bisher nicht nur durch die öffentlichen Institutionen, sondern auch durch die vielen Menschen, die ganz privat mit großem Einsatz geholfen haben, die Zusammengehörigkeit in Deutschland lebendig unter Beweis gestellt worden ist.
Meine Damen und Herren, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß die deutsche Frage offen ist, dann sind es die uns menschlich bewegenden Bilder dieser Tage. Sie machen auf eindringliche Weise deutlich, daß das Gefühl für die fortbestehende Einheit unserer Nation bei den Menschen trotz über 40jähriger Trennung lebendig ist. Sie bestärken uns in unserem festen und unbeugsamen Willen, an dem Ziel festzuhalten, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist nach längerer Pause die erste Sitzung, an der Herr Kollege Genscher wieder teilnimmt. Wir freuen uns darüber und über die Wiederherstellung Ihrer Gesundheit.
({0})
Wir haben gelesen, daß der Herr Bundeskanzler heute das Krankenhaus aufsucht und sich einem chirurigschen Eingriff unterzieht. Ich möchte ihm von dieser Stelle aus ein gutes Gelingen dieses Eingriffs und recht gute Besserung wünschen.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion und meiner Partei heiße ich die Übersiedlerinnen und Übersiedler, die in diesen Tagen und Wochen aus der DDR zu uns in die Bundesrepublik gekommen sind, herzlich willkommen.
({2})
Ich habe das vor einigen Tagen im Übergangslager Schöppingen selber an Ort und Stelle getan; ich wiederhole es von dieser Stelle aus.
Wir haben mit ihnen gebangt und teilen das Gefühl der Erleichterung und der Freude, das sie jetzt hier bei uns beseelt. Wir werden ihnen mit Hilfsbereitschaft begegnen, und wir sind zur Zusammenarbeit mit allen verantwortungsbewußten Kräften bereit, um ihnen das Heimischwerden in der Bundesrepublik zu er-leichtern. Dabei werden wir gerade auch im Interesse der Übersiedler auf zweierlei achten:
Erstens. Die Hilfe, die jetzt notwendig ist, muß von der ganzen Gemeinschaft geleistet und darf nicht primär auf Kosten derer erbracht werden, die selbst schon lange auf eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz warten.
({3})
Zweitens. Die Übersiedler und die anderen Gruppen derer, die hilfesuchend zu uns kommen, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
({4})
Ich appelliere an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, denen, die das versuchen - zum Teil mit populistischen Parolen -, entschieden entgegenzutreten.
Unser Dank gilt allen, die in den letzten Tagen und Wochen daran mitgewirkt haben, daß es zu vertretbaren, zu guten Lösungen gekommen ist. Ich schließe dabei insbesondere auch Einzelpersonen ein, die ihr Äußerstes getan haben.
Der Dank gilt aber vor allem der ungarischen Regierung, die - das muß immer wieder betont werden - in eigener Souveränität und im Geiste der Humanität eine beispielhafte Entscheidung getroffen hat.
({5})
Bei den Mitgliedern dieser Regierung, denen wir gerade gemeinsam Beifall gespendet haben, handelt es sich übrigens um Kommunisten, überwiegend um Kommunisten, die ihrer Partei seit Jahren und Jahrzehnten angehören,
({6})
Kommunisten, zu denen wir Sozialdemokraten seit langem intensive Gesprächskontakte unterhalten, an die wir uns also, wie einige auch in diesem Hause das zu nennen beliebten, seit Jahren „angebiedert" haben,
({7})
während doch in Wahrheit gerade diese Gesprächskontakte mitgeholfen haben, den Reformprozeß in diesem Lande voranzubringen.
({8})
Vielleicht - ich hoffe es jedenfalls - wird denen, die es angeht, dieser Zusammenhang und damit die Unredlichkeit ihrer agitatorischen Polemik jetzt wenigstens im nachhinein bewußt.
({9})
Die DDR-Führung behauptet, der Übersiedlerstrom sei durch Machenschaften der Bundesrepublik ausgelöst worden. Diese Behauptung weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.
({10})
In Wahrheit liegt die Ursache für die Fluchtbewegung in der Unfähigkeit und im mangelnden Willen der gegenwärtigen DDR-Führung, die längst überfälligen Reformen in Gang zu setzen und den Menschen das Maß an demokratischer Freiheit und eigenverantwortlicher Mitbestimmung einzuräumen,
({11})
das in Polen und Ungarn, aber auch in der Sowjetunion in einem Prozeß, der noch vor kurzem als ganz undenkbar erschien, bereits Wirklichkeit geworden ist.
({12})
Die Ursache liegt darin, daß die Führung das verweigert, was sie im Streit- und Dialogpapier des Jahres 1987 selbst als notwendig anerkannt hat. Denn dort heißt es - dies werden wir immer wiederholen - :
Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, ihre Erfolge und Mißerfolge, Vorzüge und Nachteile muß innerhalb jedes Systems möglich sein. Und: Gesellschaftssysteme stehen immer wieder vor Aufgaben, die sie ohne Veränderung, Fortentwicklung und Reform nicht bewältigen können.
Auf der Einforderung dieser Sätze werden wir bestehen.
({13})
Da und dort wird über die Motive diskutiert, aus denen die Übersiedler zu uns kommen. Wir tun das nicht, wir respektieren ihre Entscheidung und verstehen sie. Viele von uns hätten sich in ihrer Lage nicht anders entschieden.
Aber wir respektieren ebenso die Haltung derer, die in der DDR bleiben, etwa weil sie dort für Änderungen eintreten wollen, oder auch einfach deshalb, weil sie wissen, daß es Mitmenschen, etwa Kranke und Leidende, hart treffen würde, wenn sie gingen.
({14})
Denen, die kommen, wollen wir helfen. Die, die bleiben, wollen wir ermutigen, auch dadurch, daß wir das Gespräch nicht abreißen lassen.
({15})
- Herr Rühe, Sie haben Ihr Soll weiß Gott in der letzten Woche schon erfüllt, machen Sie jetzt Pause! -,
({16})
daß wir nicht nur in Schönwetterzeiten, in denen Milliardenkredite eingefädelt wurden
({17})
und sich die Besucher in Ost-Berlin und in Leipzig
gerade auch aus Ihren Reihen drängten und die TürDr. Vogel
klinken in die Hand gaben, sondern gerade jetzt in die DDR reisen
({18})
und dort mit allen reden, gerade jetzt mit allen reden.
({19})
Wir reden mit den sich formierenden Kräften der Veränderung, wir reden wie eh und je mit den Kirchen, aber wir reden auch mit denen, die für die krisenhafte Entwicklung verantwortlich sind und denen wir nicht nur über die Medien von hier aus, sondern von Angesicht zu Angesicht sagen: Hört auf, euren eigenen Bürgerinnen und Bürgern mit Mißtrauen zu begegnen, ja euch vor ihnen zu fürchten! Gebt ihnen die Freiheit, selbst zu denken und zu entscheiden, und wenn ihr das nicht könnt oder wollt, dann macht anderen Platz, die dazu in der Lage sind! Das sagen wir an Ort und Stelle.
({20})
Nur so kann der Flüchtlingsstrom zum Versiegen gebracht und nur so kann verhindert werden, daß im Herzen Europas - und hier sehe ich eine Übereinstimmung mit dem, was Herr Kollege Seiters an dieser Stelle eben gesagt hat - unberechenbare Abläufe in Gang kommen, die die Reformprozesse im Osten und den europäischen Friedensprozeß in gleicher Weise gefährden würden.
Ich bin sicher, bis in die DDR-Führung hinein gibt es Kräfte, die das nicht wollen. Sie gibt es außerhalb der SED, aber - der „Aufruf der hundert", die jetzt ein neues Forum gegründet haben, bestätigt und beweist es - auch in ihr, und sie wollen wir stärken. Wer das für unmöglich hält, wer sagt, solche Entwicklungen seien in der DDR nicht möglich
({21})
den erinnere ich daran, daß die Prozesse in der Sowjetunion, in Polen und in Ungarn vor kurzem ebenfalls noch für unmöglich gehalten wurden.
({22})
Die Herren, die jetzt sagen, eine Reformentwicklung in der DDR sei nicht möglich, haben doch genauso vor Jahr und Tag gesagt, in der Sowjetunion, in Polen oder in Ungarn sei dies nicht möglich.
({23})
Das „Unmögliche" aber ist nicht in den Zeiten des Kalten Krieges und der Konfrontation,
({24})
das „Unmögliche" ist nicht durch Gesprächsverweigerung
({25})
und erst recht nicht durch Grenzdiskussionen, sondern durch eine Politik des Dialogs, der immer neuen Schritte und Anstöße,
({26})
durch eine ebenso besonnene wie beharrliche Politik möglich geworden; durch eine Politik, die auf die ansteckende Kraft des Freiheits- und des Selbstbestimmungswillens der Menschen vertraut. Für diese Politik werden wir auch in Zukunft unbeirrt eintreten.
({27})
Wir werden dafür eintreten bis zu dem Tage,
({28})
an dem mit der Teilung Europas auch ein Zustand überwunden ist, der Deutsche dazu bringt, von Deutschland nach Deutschland flüchten zu müssen.
({29})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel ({0}).
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal Herrn Bundesminister Seiters für die Erklärung, die er für die Bundesregierung hier abgegeben hat, herzlich danken und Ihnen, Herr Minister Seiters, gleichzeitig herzlich danken für die Umsichtigkeit bei dem Bemühen um die Lösung schwieriger Probleme in den vergangenen Wochen.
({0})
Ich möchte in diesen Dank die gesamte Bundesregierung einbeziehen - es sind viele Ressorts beteiligt gewesen - : Bundeskanzler Helmut Kohl, dem selbstverständlich auch wir im ureigensten Interesse beste und schnelle Genesung wünschen, meine Damen und Herren,
({1})
selbstverständlich auch Herrn Außenminister Genscher. Auch wir, verehrter Herr Minister, freuen uns, daß Sie wieder gesund unter uns sind und mit uns gemeinsam streiten.
({2})
Ich möchte nicht vergessen, in diesem Zusammenhang auch Frau Bundesminister Wilms zu nennen und auch ihr herzlich zu danken.
({3})
Meine Damen und Herren, wir erleben in diesen Wochen und vor allem in den letzten Tagen eine, wie es in einer Zeitung formuliert worden ist, Renaissance der nationalen Identität der Deutschen. Aus Berichten über Begegnungen mit DDR-Flüchtlingen in Ungarn, aber auch aus Begegnungen mit den Menschen hier in der Bundesrepublik und drüben in der DDR wird unmittelbar greifbar, daß die eine deutsche Na12040
Vogel ({4})
tion in den Köpfen und Herzen der Deutschen lebendig ist.
Die Deutschlandpolitik hat sich, wie nicht zuletzt in der Haushaltsdebatte der vergangenen Woche deutlich geworden ist, auf breiter Front zurückgemeldet. Mich hat z. B. auch sehr beeindruckt, wie der Ehrenvorsitzende der SPD, Willy Brandt, hier im Hause seinem Empfinden Ausdruck gegeben hat, „daß nun eine Zeit zu Ende geht, in der es sich in unserem Verhältnis zu dem anderen deutschen Staat vor allem darum handelte, durch vielerlei kleine Schritte den Zusammenhalt der getrennten Familien und damit der Nation wahren zu helfen", und wie er in dem Zusammenhang das Verlangen der Deutschen nach Selbstbestimmung angesprochen hat. Das Erfreuliche ist, daß sich mit der Rückmeldung der Deutschlandpolitik - die viele schon in die Abstellkammer der Geschichte glaubten verweisen zu können - gleichzeitig die Chancen eines breiten demokratischen Konsenses in dieser Deutschlandpolitik einzustellen scheinen.
({5})
- Ich glaube, daß trotz Ihrer Polemik, Herr Kollege Dr. Vogel,
({6}) uns diese Möglichkeit nicht verbaut ist.
Weil das alles so ist, kann und darf uns das Schicksal der in der DDR lebenden Menschen, dieser einen deutschen Nation, nicht gleichgültig sein. Es ist eine üble Diffamierung der Tausenden von Flüchtlingen, die den Weg über Ungarn in die Freiheit gewählt haben, um dem Steinzeitsozialismus in der DDR, diesem Staat zum Davonlaufen, zu entrinnen, wenn die Kommunisten unterstellen, sie hätten sich abwerben lassen. Es sind doch die gleichen Menschen, die trotz aller Repressionen in öffentlichen Demonstrationen Freiheit in der DDR einfordern und die, wie wir es im Fernsehen erleben konnten, „Stasi raus" skandieren.
Es ist wahr, die Deutschen, die aus der DDR zu uns kommen, um ihren ganz persönlichen Traum von Freiheit zu verwirklichen, sind uns herzlich willkommen. Wir haben allen Anlaß, den Mut der Ungarn zu bewundern, die ein leuchtendes Beispiel der Humanität gegeben haben.
({7})
Herr Kollege Dr. Vogel, wenn die Kommunisten in Ungarn und die Kommunisten in der DDR vergleichbar wären, dann verstände ich, was Sie hier gesagt haben.
({8})
Leider haben wir es mit Kommunisten in der DDR zu tun, über die die Kommunisten in Ungarn heute nur den Kopf schütteln können, und ich bin sicher, die Ungarn werden auch den Kopf über das schütteln, was Sie hier ausgeführt haben.
({9})
Meine Damen und Herren, auch bei unseren österreichischen Nachbarn möchte ich mich für die Fraktion der CDU/CSU herzlich bedanken.
({10})
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen, da die Redezeit zu Ende geht. Die SED empört sich über eine angeblich unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR durch uns. Dazu möchte ich in aller Ruhe auf die Verpflichtungen hinweisen, die die DDR in der KSZE-Schlußakte von Helsinki und vor allem in dem abschließenden Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens eingegangen ist. Wir fordern nicht mehr und nicht weniger, als daß die DDR das hält, was sie ihren Bürgern darin versprochen hat. Der Störenfried sind nicht wir, sondern die bornierten Mitglieder des SED-Politbüros, die den Anschluß an die Reformbewegung im Ostblock verschlafen haben.
({11})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die vielen DDR-Flüchtlinge in der Bundesrepublik ankommen sieht, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß offensichtlich der Auszug der Jugend aus der DDR begonnen hat. Welche Verhältnisse, welche Zustände müssen in einem Staat, in einer Gesellschaft herrschen, wenn die Jugend keine Perspektiven mehr für sich sieht. Ist es nicht die entmündigende und die entwürdigende Politik eines Staates, die das Leben in der DDR für so viele unerträglich macht? Ist es nicht allzu verständlich, daß die freie Ausreisemöglichkeit aus Ungarn bei den DDR-Entflohenen auf Freude und auf Jubel stößt?
Die GRÜNEN begrüßen die Menschen aus der DDR und werden sich dafür einsetzen, daß sie auch in wenigen Wochen, wenn die blitzlichtumflorte Ankunft bereits vergessen ist, auf Hilfe rechnen können, damit ihnen das Leben in unserer Gesellschaft erleichtert wird.
({0})
Gleichzeitig aber sollten wir nicht die Trauer und den Schmerz der Zurückgebliebenen vergessen.
({1})
Woher soll eine Gesellschaft die Kraft für Veränderungen nehmen, wenn ein großer Teil derjenigen, die nicht mehr ein Leben in Lüge und Bevormundung ertragen wollen, das Land verläßt?
Um so mehr müssen sich alle Fraktionen in diesem Hause fragen, ob ihre Politik in der Vergangenheit nicht zur Entmutigung reformerischen Engagements in der DDR beigetragen hat.
({2})
Warum haben Sie von der SPD bei Ihren vielen, vielen
Gesprächen mit der SED-Führung nicht offen den
Weg zu den Vertretern kirchlicher und Basisgruppen gefunden?
({3}) - Nicht offen!
({4})
Welch beeindruckende Wirkung auf alle politischen Kräfte in der DDR hätte ein öffentlicher, ein offener solcher Gang eines Herrn Vogel oder eines Herrn Bahr gehabt.
({5})
Und wie ist es möglich, daß Herr Schäuble als Kanzleramtsminister in Ost-Berlin weilt und mit Herrn Honecker das deutsch-deutsche Verhältnis feiert, während demokratisch engagierte Menschen von der Schule fliegen oder verhaftet werden, ohne daß der CDU-Minister auch nur ein Wort darüber verliert?
({6})
Ich kann nur hoffen, daß in Zukunft Besuche in OstBerlin symbolträchtig Distanz zur SED-Führung und Nähe zu den demokratischen Kräften signalisieren werden.
In diesen Tagen haben mutige Menschen in der DDR eine landesweite Organisation für demokratische Erneuerung, das Neue Forum, gegründet. Die GRÜNEN unterstützen ausdrücklich und aus innerster Überzeugung diese Bemühungen des Neuen Forums.
({7})
Zweifellos wäre es eine Ermutigung für die Menschen der DDR, wenn Sie, Herr Ehmke, in den kommenden Tagen als Gast bei Herrn Sindermann und der Volkskammer in Ost-Berlin auch mit Vertretern des Neuen Forums zusammenträfen.
({8})
Wir werden die Glaubwürdigkeit der SPD auch an diesen Schritten messen.
Das Gesellschaftsmodell einer Parteidiktatur über im Kollektiv organisierte Menschen mußte scheitern. Die DDR kann die Menschen nicht als ihr Eigentum betrachten.
({9})
Die Menschen verlangen selbstverständlich individuelle Freiheitsrechte; sie verlangen die Möglichkeit von eigenen Lebensentwürfen. Wenn die DDR als Staat und als Gesellschaftsrahmen Legitimation und Anerkennung bei ihrer Bevölkerung erreichen will, dann nur als demokratischer Rechtsstaat, der die Würde der Menschen zu achten bereit ist.
Die Existenz zweier deutscher Staaten - dies wird oft schweigend übergangen - liegt doch in den verheerenden Erfahrungen Europas mit einem Nationalstaat begründet. Insofern haben auch Otto Reinhold und der von seiner Äußerung provozierte Jubelchor der Nationalsinnigen hier bei uns unrecht, wenn sie
die Existenzberechtigung von dem sozialistischen System abhängig gemacht sehen wollen. Die Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnisgeflecht dient ja gerade auch der Sicherheit vor einer erneuten Vorherrschaft Deutschlands in Europa
({10})
und gab erstmals in der deutschen Geschichte einer pluralistischen Demokratie und weltoffenen Toleranz eine Entwicklungschance. Über diese Zusammenhänge müssen wir uns im klaren sein: Europäische Integration mit einem Höchstmaß an Dezentralität und nationalstaatliche Wiedervereinigung passen nicht zusammen, sondern erfordern eine Entscheidung.
({11})
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wird die erfolgreiche Demokratisierung Osteuropas und auch gerade der DDR -
Darf ich um etwas mehr Ruhe bitten!
({0})
Zur Aussprache gehört auch das Zuhören.
In diesem Sinne wird die erfolgreiche Demokratisierung Osteuropas und gerade auch der DDR eine wichtige Voraussetzung für ein friedensfähiges Europa sein. Jedoch verlangt eine europaverträgliche deutsche Zweistaatlichkeit auch die Herstellung der Freizügigkeit. Damit meine ich nicht nur das Recht der DDR-Bürger und -Bürgerinnen, ihr Land zu verlassen, sondern auch - das wird häufig vergessen - das Recht, zurückzukehren.
({0})
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß nicht wenige Bürger und Bürgerinnen in die DDR zurückkehren wollen, daß sich viele der Aufbruchstimmung hingegeben haben und daß sie in diesem Augenblick an die Tür der Ständigen Vertretung klopfen, weil sie zurückkehren wollen. Da das zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich ist, gilt es, von dieser Stelle aus die DDR aufzufordern und im Namen der Menschen, die zurückkehren wollen, zu bitten, jetzt die Rechtsgrundlage für eine Rückkehr in die DDR zu schaffen.
Ich danke Ihnen. Meine Redezeit ist leider zu Ende.
({1})
Das Wort hat Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Freie Demokratische Partei schließt sich all denen an, die hier ihren Dank gegenüber der ungarischen und österreichischen Regierung ausgedrückt haben, gegenüber der Bevölkerung der beiden Länder, gegenüber allen, die an der erfreulichen Entwicklung der letzten Wo12042
chen beteiligt waren: die Vertreter der Bundesregierung, aber auch Einzelpersonen auf der anderen Seite. Herr Vogel, Sie haben recht. Ich will gerne auch die Beamten und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes erwähnen, die in einer recht medienträchtigen Umgebung Diskretion gewahrt haben.
({0})
Aber es mischt sich auch bei uns Betrübnis in unsere Freude über die Ankunft der Flüchtlinge, weil wir wissen, daß die in der DDR Zurückgebliebenen die große Mehrheit sind, und weil wir wissen, daß die Zustände in der DDR immer noch so aussehen, daß der Ausreisedruck nicht beseitigt ist. Deswegen fordern wir die Führung der DDR zu Reformen auf. Wir fordern sie auf, mit den Menschen zu sprechen, und wir fordern sie auf, sich der Entwicklung in Osteuropa nicht länger zu verschließen. Ob es Reformfähigkeit gibt oder nicht, darüber wird man diskutieren müssen und können. Die Zeit erlaubt das heute leider nicht.
Die FDP hält nichts davon, jetzt Grundsätze und Praktiken der Deutschlandpolitik der Bundesregierung und der Koalition zu ändern.
({1})
Auch die politischen Gespräche mit den Machthabern müssen sein. Ob das zum politischen Gruppentourismus ausarten muß, ist allerdings eine andere Frage.
({2})
Ich will aber auch zu der Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs Hennig Stellung nehmen, der gemeint hat, die Verbindung zwischen so gegensätzlichen Kontakten, nämlich bei Besuchen bei der Führung der DDR und der Vertretung der Kirchen, sei im höchsten Maße geschmacklos. Ich teile diese Auffassung nicht. Ich werde mich auch in Zukunft darum bemühen,
({3})
bei etwaigen Reisen in die DDR, wie ich das übrigens jedes Mal getan habe, genau eine solche geschmacklose Verbindung herzustellen.
({4})
Wir werden in diesen Tagen oft gefragt: Stützt ihr nicht mit wirtschaftlichen Geschenken das System der DDR? Diese Frage kommt häufiger hoch. Ich denke, man kann sie überzeugend beantworten. Aber eines bleibt doch wohl hinzuzufügen: Jetzt die wirtschaftliche Zusammenarbeit aufzukündigen, das schadet den Menschen, und es gibt dem System auch noch die Ausrede, eigenes Versagen auf Dritte abschieben zu können. Und das kann ja wohl nicht sein.
({5})
Die FDP, Herr Vogel, hat nicht von Anbiederung der Sozialdemokraten an Kommunisten gesprochen. Wir werden das auch nicht tun. Aber Sie haben durch Ihre Verhandlung mit der Staatspartei der DDR die frühere gemeinsame Linie unserer Deutschlandpolitik ein Stück verlassen. Reformfähigkeit haben Sie der SED attestiert. Sie sind enttäuscht worden; Sie sind wohl
auch getäuscht worden. Aber haben Sie es der SED nicht allzu leicht gemacht, Sie, die Sozialdemokraten, zu täuschen?
({6})
Ich war gestern in Trostberg in Bayern in einem der Durchgangslager für aus Ungarn einreisende DDR-Flüchtlinge. Das war eine in jeder Hinsicht positive und - wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben - eine schöne Erfahrung: Hilfe von allen Seiten, ehrenamtlicher Einsatz der Helfer des Roten Kreuzes, unbürokratische Haltung von Bundesgrenzschutz, Polizei, Bundesregierung, Landesregierung und Arbeitsverwaltung, spontane Hilfsbereitschaft der Bewohner von Trostberg und selbstverständliche Bereitschaft von bayerischen Unternehmen, ihre Mitarbeiter für den ehrenamtlichen Einsatz beim Roten Kreuz freizustellen; vor allem aber - das wirklich vor allem - die Freude der Flüchtlinge, bei uns zu sein, in der Freiheit, in einem Lande, das ihnen nicht Perspektivpläne, sondern Perspektiven, das ihnen Zukunft bietet. Sie waren voll des Lobes über die Hilfe in Ungarn und in Österreich und ebenso über die Hilfsbereitschaft, die sie hier bei uns erfahren haben, voller Dank und Anerkennung, wie sie in den ersten Stunden und Tagen aufgenommen wurden. Kurz: Diese Atmosphäre werden wir, die Besucher, so bald nicht vergessen.
Und vielleicht die erfreulichste Feststellung: Von etwa 1 500 in Trostberg eingetroffenen Flüchtlingen waren nur noch einige hundert dort. Die anderen waren weitergereist: zu Verwandten, zu Freunden, aber auch zu neuen Arbeitgebern. Hessen meldet soeben die Schließung des größeren Teils der dort errichteten Durchgangslager; sie werden nicht mehr benötigt.
({7})
- Wir reden jetzt über die DDR-Flüchtlinge.
Alle wollen Arbeit, und alle bekommen Arbeit. Sie, die Flüchtlinge, wissen, daß der technische Stand der Industrie bei uns höher ist, und sie werden schnell dazulernen. Die Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit, Frau Engelen-Kefer, hätte sich gestern besser in ein Vermittlungszelt gesetzt und den Ankömmlingen mit Rat und Tat zur Seite gestanden, als ein herzloses Interview in der „Münchner Abendzeitung" zu diesem Thema zu geben.
({8})
Die Arbeitsvermittlung erfolgte sofort, an Ort und Stelle. Unternehmer erschienen im Lager; einem bin ich am Eingang des Zelttores begegnet. Ich fragte ihn, was er hier suche. Er sagte: Ich suche einen Dachdekker. Ich sagte: Zufällig habe ich vor zehn Minuten mit einem gesprochen, der Dachdecker ist. Die Sache wurde vermittelt. Als ich ging, waren sie dabei, einen Arbeitsvertrag zu besprechen. Ich sehe der Übersendung des Bußgeldbescheides durch die Bundesanstalt
für Arbeit gefaßt entgegen, meine Damen und Herren.
({9})
Der Vertreter des Arbeitsamtes dort schätzt, daß 90 % der Ankömmlinge sehr schnell Beschäftigung finden. Diese Menschen sind keine Belastung, sie sind ein Gewinn für unseren Arbeitsmarkt.
({10})
Mobilität und Flexibilität - d a s ist ein Rezept für mehr Beschäftigung; wir haben es doch immer gesagt. Aufnahmefähigkeit und Aufnahmebereitschaft zeigen, daß das ständige Oppositionsgerede von Massenarbeitslosigkeit zum guten Teil Demagogie ist.
({11})
- Also, diese offensichtlich sichtbaren Beweise gegen Ihre dauernd vorgetragene These passen Ihnen nicht, dann entsteht bei Ihnen Aufregung.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Bitte sehr.
Herr Kollege Lambsdorff, ich danke Ihnen. - Herr Kollege Lambsdorff, haben Sie Verständnis für unsere Reaktion, die darauf beruht, daß wir meinen, daß die Not und die Freude dieser Menschen, die zu uns kommen, nicht zum Anlaß genommen werden können, um Gewinn- oder Verlustrechnungen auf dem Arbeitsmarkt anzustellen?
({0})
Verehrter Herr Gansel, ich wundere mich, daß diese Frage ausgerechnet von Ihnen kommt. Ist der Arbeitsmarkt ein Thema von Gewinn- und Verlustrechnung? Aus meiner Sicht nicht. Das ist eine neue sozialdemokratische Auffassung von Arbeitsmarkt.
({0})
Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck überschätzen wir auch die Probleme am Wohnungsmarkt ein wenig. Aber sicher ist es wahr: Arbeitsplätze für leistungsbereite Arbeitnehmer gibt es überreichlich, Wohnungen fehlen. Die FDP hat dafür praktische, kurzfristig wirkende Maßnahmen vorgeschlagen. Auch für die Bereiche Kindergärten, Schulen und Integration im Berufsleben haben wir Vorschläge gemacht.
({1})
- Das sind nun einmal die Themen, an denen die Leute interessiert sind, Frau Kollegin Vollmer, genau daran. Das haben wir gestern gehört, und deswegen machen wir dafür Vorschläge.
({2})
Fazit dieser ersten Tage: Die Deutschen in der Bundesrepublik sind durch ihren Wohlstand nicht herz- und gefühllos für die Nöte anderer geworden.
({3})
Aber, meine Damen und Herren, es gilt auch hier die Spruchweisheit: In der Länge liegt die Last. Das gilt für Einheimische, und das gilt für Flüchtlinge. Aber es gilt ganz besonders für die Bewohner der DDR. Sie tragen seit fast 50 Jahren fast allein die Last des verlorenen Krieges. Wie lange noch?
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wartenberg ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muß am Anfang sagen, daß es einen doch traurig stimmt, daß der Anlaß dieser Debatte zu plattester innenpolitischer Profilierung mißbraucht wird.
({0})
Das, was Graf Lambsdorff hier eben gemacht hat,
({1})
ist nicht akzeptabel in diesem Zusammenhang.
({2})
Die SPD hat
({3})
durch den Fraktionsvorsitzenden sehr deutlich gemacht, welche hohe politische Dimension, welche Verantwortlichkeit wir gegenüber den Entwicklungen in der DDR, aber auch innenpolitisch gegenüber den Flüchtlingsströmen haben. Sie haben schon in der Haushaltsdebatte mit Diffamierungen geantwortet.
({4})
Ich muß leider auch sagen: ich finde es nicht sehr erträglich, daß Sie hier einen Alleinvertretungsanspruch in Sachen demokratischer Entwicklung und demokratischer Auseinandersetzung in der DDR formulieren. Das geht nicht.
({5})
Meine Damen und Herren, die uns in den letzten Tagen über die Medien vermittelten Bilder haben wohl jeden, der noch nicht verhärtet ist, angerührt. Die freudigen Gesichter der überwiegend jungen
Wartenberg ({6})
Menschen, die aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen sind, sollten auch diejenigen beschämen, die angstvoll und engherzig reagieren, wenn andere Menschen an unserem Wohlstand und an unserer Freiheit teilhaben wollen.
({7})
Die spektakuläre Ausreise aus Ungarn ist jedoch nur ein Teilaspekt einer Entwicklung, die jetzt etwa zwei Jahre andauert. Im letzten Jahr sind etwa 250 000 Aus- und Übersiedler in die Bundesrepublik gekommen, dazu etwa 100 000 Asylbewerber. In diesem Jahr werden es eventuell 450 000 Menschen sein, im nächsten Jahr etwa die gleiche Größenordnung. Das ist eine gewaltige Herausforderung für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, eine Herausforderung, die zu bewältigen ist. Ich habe bewußt alle Gruppen von Menschen genannt, die in den letzten Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Ihnen allen muß unter der aktuellen Entwicklung, die jetzt im Vordergrund steht, unsere Zuwendung gelten.
({8})
Die Gründe für die Zuwanderung mögen unterschiedlich sein. Der Rechtsstatus, die Rechtsansprüche und auch die Herkunftsländer mögen unterschiedlich sein. Aber vergessen wird nicht, daß wir diesen Menschen auch Humanität und Tolerenz in unserer Gesellschaft zu gewähren haben.
Es gibt viele gute persönliche und politische Gründe, die DDR zu verlassen. Es gibt aber auch viele gute persönliche, auch politische Gründe, in der DDR zu bleiben. Wer die Freude mit denen teilt, die hierher kommen konnten, wird nicht von der Sorge und der Trauer derjenigen unberührt sein, die in der DDR bleiben.
({9})
Ein Regimekritiker in der DDR äußerte in einem Interview in einer Tageszeitung bei uns vorgestern folgendes - auch dieses muß hier angesprochen werden - :
Ich habe heute früh die Freudenschreie an der Grenze gehört und kann diese Freude überhaupt nicht teilen. Und auch nicht die Freude, die offensichtlich bei vielen Politikern in der Bundesrepublik darüber herrscht. Es zählen die Tränen über die Menschen, die uns hier fehlen. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn sich diese Menschen für Verbesserung in unserem Land einsetzen würden, als daß sie die Reform für sich in einem anderen Land suchen.
Diese Aussage kann - das sage ich ganz eindeutig - nur von einem DDR-Bürger getroffen werden. Wir haben nicht das Recht, von Menschen zu fordern, in der DDR zu bleiben. Aber wir müssen die Ambivalenz der Bewertung der Flüchtlingsbewegung in unsere Diskussion mit einbeziehen, wenn wir den Menschen in der DDR helfen wollen.
({10})
Wir appellieren heute - da müssen wir auf einige innenpolitische Aspekte der Flüchtlingsströme zu sprechen kommen - an die Solidarität und Hilfsbereitschaft unserer Mitbürger. Es ist richtig: Unter dem aktuellen Aspekt, unter der aktuellen Entwicklung der jetzt seit Anfang dieser Woche gekommenen Menschen scheint es eine spontane, große Welle der Hilfsbereitschaft zu geben.
Wir stellen aber fest, daß allgemeine Aussagen und Appelle an die Solidarität auch auf längere Zeit an den Köpfen der Menschen vorbeigehen können, wenn wir konkrete Probleme auf dem Wohnungsmarkt, in der Schulversorgung, in der Infrastruktur nicht lösen. Die Toleranz, das Verständnis und die Solidarität mit den Menschen, die zu uns kommen, werden, wenn wir genau hinschauen, 85% unserer Bevölkerung überhaupt gar nicht abverlangt. Sie werden materiell gar nicht in Anspruch genommen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, wenn wir langfristig innenpolitisch vernünftig mit diesen Fragen umgehen wollen. Es ist nur ein gewisser Teil unserer Bevölkerung, der die Lasten der Eingliederung zu tragen hat. An die müssen wir uns wenden.
({11})
Wir hatten vor einigen Wochen eine Debatte über die Eingliederung von Ausländern in unserer Gesellschaft. Da haben wir vor wenigen Wochen noch einmal deutlich darauf hingewiesen: Integration und Eingliederung funktionieren auf lange Zeit nur, wenn man gleichzeitig die Last der Probleme nicht einseitig auf bestimmte Gruppen verteilt.
({12})
Nicht derjenige ist betroffen, der eine Wohnung hat, sondern diejenigen, die bei niedrigem Einkommen gezwungen sind, sich einem verschärften Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt auszusetzen. Hier wird die Problematik sichtbar, daß mit allgemeinen Solidaritätsappellen bei dieser Gruppe von Menschen aus ihrer eigenen Lage heraus nicht unbedingt ein solidarisches Verhalten entsteht. An die Adresse der Bundesregierung - ich meine das nicht polemisch - sage ich: Es fehlen - das ist ein Stück Fehlplanung -1 Million Wohnungen. Das ist auch heute in der Regierungsbefragung noch einmal deutlich geworden. Die Regierung hat heute nicht beschlossen, die Mittel aufzustocken. Was soll eigentlich in den Ballungsgebieten geschehen?
({13})
Herr Lambsdorff hat darauf hingewiesen, daß die Menschen, die jetzt gekommen sind, zum Teil offensichtlich relativ schnell untergebracht werden können. Wir haben in einem Ballungsgebiet wie z. B. in Berlin im Januar 11 000 Unterbringungsplätze, vorübergehende Plätze, gehabt. Inzwischen sind es 17 000. In anderen Ballungsgebieten ist das auch so. Das heißt, wer hier „Herzlich willkommen" sagt, muß auch das Kleingedruckte nennen, um die Enttäuschung nicht zu groß werden zu lassen.
({14})
Wir haben schon heute Menschen aus der DDR, die anderthalb Jahre im Obdachlosenasyl wohnen.
({15})
Wartenberg ({16})
Wir müssen den Menschen auch sagen, daß sie da selbst, wenn Mittel bereitgestellt werden, Wohnungen nicht so schnell gebaut werden können, vielleicht zwei, drei, vier Jahre auf Wohnungen warten müssen. Ich meine, daß das hier heute mit angesprochen werden muß, um nicht in der Oberflächlichkeit einer allgemeinen Willkommensbegrüßung zu bleiben, die die Probleme unserer Gesellschaft langfristig nicht lösen wird.
Integration von vielen Menschen - 450 000 pro Jahr - setzt eine Politik voraus, die sich an die wendet, die unserer Solidarität bedürfen. Damit wird die Solidarität für die Neuankommenden geschaffen.
({17})
Ähnliches gilt für Schulen und Kindertagesstätten. Natürlich ist die Familie betroffen, die Kinder in einer Schule hat, in der für lange Zeit die Turnhalle für die Unterbringung genutzt wird. Dort wird das Toleranz- und Solidaritätsverhalten völlig anders sein als bei der Masse der Bevölkerung. Kalkulieren wir das mit ein, damit wir nicht die böse Überraschung erleben, daß ein Teil unserer Bevölkerung diese Solidarität nicht nachvollziehen kann!
Ein zweiter Punkt, den ich zur Frage der Solidarität kurz ansprechen möchte. Im letzten Jahr sind über 40 % der Aus- und der Übersiedler von zwei Bundesländern aufgenommen worden, nämlich von Nordrhein-Westfalen und Berlin. Die übrigen neun Bundesländer haben weniger als 60 % aufgenommen. Im Frühjahr ist versucht worden, eine regional gerechte Verteilung vorzunehmen. Die meisten Bundesländer haben sich dagegen gewehrt. Es ist nicht gelungen. Wer von der politischen Ebene von Solidarität redet und nicht in der Lage ist, die Instrumente einer solidarischen Aufnahme und Verteilung bereitzustellen, der soll an seinen Worten von Solidarität ersticken.
({18})
Ich halte das, was vor der Sommerpause passiert ist, für deprimierend. Es hat die gesellschaftliche Realität der Bundesrepublik Deutschland sehr deutlich gemacht. Ich meine, wir können die Probleme lösen, aber dann muß gezielte Politik getrieben werden. Das müssen wir leider der Bundesregierung vorwerfen.
({19})
Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe ist es, den Prozeß der Selbstbestimmung der Deutschen in der DDR zu stärken. Mein Kollege Norbert Gansel hat vor wenigen Tagen formuliert:
Die Deutschen in der DDR brauchen mehr Freiheit, Freiheit als individuelles Menschenrecht, Freiheit als gesellschaftlichen Produktivfaktor, Freiheit als eine Mindestvoraussetzung für Identifikation mit dem Staat,
({20})
Freiheit auch, um die deutsche Frage erträglich für die Deutschen und ihre Nachbarn beantworten zu können.
Ich füge in der aktuellen Situation hinzu: Die Deutschen in der DDR brauchen die Freiheit, um von dem Zwang befreit zu werden, ihre Selbstverwirklichung und ihre Lebensperspektive in der Bundesrepublik Deutschland suchen zu müssen.
Ich danke Ihnen.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wartenberg, zu Ihnen möchte ich eines sagen. Ich bedaure außerordentlich, daß Sie es genauso wie Ihr Vizeparteivorsitzender Lafontaine machen, nämlich über Deutsche allein gar nicht reden können, sondern immer gleich die ausländischen Asylanten mit ins Problem verweben und damit die Problemlösung erst recht schwierig machen. Das sollten Sie aufgeben und damit aufhören, Sie dienen damit jedenfalls nicht den Flüchtlingen aus der DDR.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wollte mich heute eigentlich gar nicht mit dem Verhalten der SPD auseinandersetzen. Aber ich habe die Rede von Ihnen, Herr Dr. Vogel, und die Ankündigung vernommen, bereits in der nächsten Woche wieder mit einer stattlichen Delegation in die DDR reisen zu wollen, um dort genau mit jenen SED-Spitzenfunktionären zusammenzutreffen,
({1})
von denen Sie noch gestern, Herr Dr. Vogel, höchstpersönlich und öffentlich behauptet haben, sie seien reformunfähig, um heute das Gegenteil zu sagen. Nicht nur ich, sondern offensichtlich auch die Leute in Ihren eigenen Reihen waren peinlich berührt,
({2})
so z. B. der Kollege Norbert Gansel, der vorhin die Zwischenfrage gestellt hat und öffentlich von Ihnen mehr Abstand zwischen der SPD und der SED und der DDR-Führung gefordert hat.
({3})
Ein derartiger Vorgang kann nicht einfach übergangen werden, zumal jetzt nicht, wo sich - endlich, muß man sagen - in der DDR Reformkräfte regen und sich die Fraktionen dieses Hauses eigentlich darauf konzentrieren sollten, Reformen in der DDR den Weg zu bahnen, soweit es eben von hier aus möglich ist.
({4})
- Herr Dr. Vogel und Herr Professor Ehmke, beruhigen Sie sich! - Angesichts der Überladung Ihres Programms mit Kontakten zur SED-Prominenz und der Volkskammer - ich kann es Ihnen aufzählen:
({5})
der Volkskammerpräsident Sindermann, das Politbüromitglied Axen, der Außenminister Fischer, Ausschüsse der Volkskammer, all das steht auf Ihrem Programm ({6})
wirkt doch der Hinweis auf Gespräche mit Oppositionellen nur wie ein peinliches Alibi, Herr Professor Ehmke.
({7})
Bei aller Beteuerung haben Sie offensichtlich vergessen, die Überschrift über Ihre Reise zu ändern. Dort heißt es nämlich sage und schreibe: „Programm der Delegationsreise der SPD-Bundestagsfraktion zur Volkskammer der DDR" und nicht: zu oppositionellen Kräften. Ich glaube, meine Damen und Herren, das sagt alles.
({8})
Wichtig ist es jetzt, alle Gutwilligen in der DDR, auch in der SED, soweit sie vorhanden sind, und ihre Organisationen wissen zu lassen, daß sie auf unseren Beistand zählen können, wenn sie sich an die nötigen Reformen heranwagen.
Herr Abgeordneter Lintner, der Abgeordnete Schily möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Schily, bitte schön.
Herr Kollege Lintner, täuscht mich meine Erinnerung, daß Sie seinerzeit sehr stolz darauf waren, daß der DDR-Staatsratsvorsitzende in Bonn zu Besuch war, und wie viele Oppositionelle haben Sie
zu diesem Besuch eingeladen?)
({0})
Herr Kollege Schily, es ist ja nie bestritten worden, daß die Regierung mit denen sprechen muß, die die Macht ausüben, und das ist da geschehen.
({0})
Wir werfen der SPD jedoch vor, daß sie quasi ihre Kontakte exklusiv auf die SED beschränkt. Jetzt entdeckt die SPD die Opposition, nachdem sie nach langen Jahren Recherchen, obwohl wir es immer vorausgesagt haben, festgestellt hat, daß die SED reformunwillig ist. Das hat sie von uns schon vor zwei Jahren hören können. Sie hat es nur selber nicht geglaubt. Aber heute muß sie es einsehen. Das ist der Unterschied.
Unser Ziel, meine Damen und Herren, ist und bleibt die Demokratisierung der DDR. Zur Demokratie gehört für uns zwingend und untrennbar auch, das Selbstbestimmungsrecht - als ein geradezu konstitutives Element - zu unterstützen. Jeder, der sich auf den Weg demokratischer Reformen in der DDR macht, muß deshalb diese deutschlandpolitische Perspektive
sehen. Daß nicht dem deutschen Volk allein das Selbstbestimmungsrecht verweigert werden kann, meine Damen und Herren, das ist im Zusammenhang mit der Diskussion der deutschen Frage auch der Grundtenor der Kommentare aus dem Ausland zur deutschen Frage. Ich muß feststellen: Wie könnte es auch anders sein, denn die Prinzipientreue muß natürlich ein tragendes Element der westlichen Wertegemeinschaft sein.
Meine Damen und Herren, die DDR-Führung hofft immer noch, durch maßlose Polemik und bewußtes Lügen über den tatsächlichen Zustand der DDR hinwegtäuschen zu können. Geld - so hat sie beispielsweise behauptet - soll in bezug auf Ungarn im Spiel gewesen sein, und zwar so, wie das SED-Regime - das muß durchaus einmal öffentlich gesagt werden - bei uns für jeden abzukassieren pflegt, der zu uns kommt. Das ist eine geradezu makabre Form des Handels mit der eigenen Bevölkerung.
({1})
Tatsache ist doch, meine Damen und Herren, daß ständig eine Abstimmung mit den Füßen stattfindet, die aller Welt zeigt, daß die SED-Herrschaft über die Menschen in der DDR auch nicht den Hauch und den Schein einer Legitimität besitzt. Das mit Schweigen übergehen zu wollen, um den Gang der innerdeutschen Kontakte nicht zu belasten, hat angesichts der offenkundigen Unzufriedenheit der gesamten Bevölkerung in der DDR keinen Sinn mehr. Dabei ist auch von Bedeutung, daß viele von den Deutschen, die jetzt über Ungarn zu uns gekommen sind, in der DDR überhaupt keinen Ausreiseantrag gestellt hatten und in der Statistik der Unzufriedenheit noch gar nicht enthalten sind. Zählt man alle zusammen, die mit dem Regime in der DDR offenkundig unzufrieden sind, so kommt man auf Millionenzahlen. Zieht man dann noch jene ab, die zu jung für die Ausreise sind oder die so alt sind, daß sie ohnehin reisen dürfen, dann hat offenbar ein großer Teil der aktiven Bevölkerung mit dem SED-Sozialismus nichts mehr im Sinn.
Das, meine Damen und Herren, ist die Wirklichkeit innerhalb der DDR und der SED. Ich hoffe, Herr Dr. Vogel, Sie werden diese Wirklichkeit bei Ihren Gesprächspartnern in der nötigen Deutlichkeit ansprechen. Wir werden Sie jedenfalls dann danach befragen.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Aufregung dieser Tage ist es vielleicht schwierig, auch so etwas wie den Ausdruck einer besonderen Trauer zu formulieren, einer Trauer über das, was nicht war. Ich bin mir sicher, daß diese Trauer nicht von allen Seiten des Hauses geteilt wird. Ich will trotzdem versuchen, sie auszudrücken.
Gerade unter dem Aspekt der Erosions- und Demokratieprozesse, die derzeit das europäische Haus erFrau Dr. Vollmer
schüttern, ist nur mit großem Bedauern zu vermerken, daß es keinen deutschen Beitrag zur Entwicklung der Verbindung von Demokratie und Sozialismus in der Vergangenheit gegeben hat und auch jetzt nicht gibt. Dabei wäre es doch ein lohnender, ein historisch notwendiger Wettkampf gewesen, wenn es neben unserem, dem westdeutschen, Such-Weg, der Verbindung von kapitalistischer Marktwirtschaft und Demokratie auch einen anderen gegeben hätte, fußend in den Traditionen der Arbeiterbewegung und des Sozialismus in Thüringen, Sachsen und Berlin. Die Chancen waren da; die Versuche hat es immer wieder gegeben. Die Schirdewan- und Harich-Gruppe, Robert Havemann und Wolf Biermann hatten sich in ihrer, der sozialistischen Wirklichkeit festgekrallt, um eben dies zu versuchen.
Der endgültige Niedergang der DDR-Führung wurde dann auch mit jener herrischen Willkürgeste des ausgestreckten Zeigefingers besiegelt, mit der sie 1976 Wolf Biermann und dann so viele - so viele! - außer Landes verwies. Das ist eben der Fluch der bösen Tat. Sie fühlten sich ja so mächtig bei dieser Geste und sägten doch damit an ihrem eigenen Stuhl der Macht.
Daraus, aus jenem Gewaltakt, ist inzwischen ein freiwilliger Strom geworden, der heute nicht mehr zu stoppen ist. Was also notwendig wäre - wenn sie denn einen Rat annehmen würden, die Führenden in der DDR - , wäre ein Offenbarungseid dieser DDR-Führung vor der eigenen Bevölkerung. Dazu gehörte die Erklärung: Die Ausweisung von Wolf Biermann war ein Verbrechen. Die Gängelung und Demütigung der Opposition war ein Verbrechen. Dieser Offenbarungseid müßte mit einer sehr starken, radikalen Geste verbunden sein, z. B. mit dem Angebot an Wolf Biermann und all die anderen: Kommt zurück. - Er müßte ferner mit dem überprüfbaren Angebot völliger Organisations-, Versammlungs- und Redefreiheit verbunden sein. Es muß ein Angebot vor der Weltöffentlichkeit sein, dessen Durchführung diese auch kontrollieren kann. Ein anderer Weg steht, glaube ich, Erich Honecker, heute nicht mehr offen. Er wird ihn gehen müssen, wenn er denn noch die Kraft dazu hat. Sonst wird ein anderer diesen Weg sicher gehen.
({0})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache über die Fluchtbewegung aus der DDR.
Wenn die Kollegen, die bei der nun folgenden Fragestunde nicht anwesend sein wollen, den Saal verlassen haben, werden wir mit der Fragestunde weitermachen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/5157 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf.
Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Wüppesahl sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Eylmann auf:
Erwägt die Bundesregierung mit Rücksicht darauf, daß die Einkommenstabelle zur Prozeßkostenhilfe ({0}) seit 1980 unverändert geblieben ist und das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. April 1988 Gesichtspunkte genannt hat, die für eine Überprüfung der Tabelle sprechen, eine Erhöhung der Einkommensgrenzen?
Herr Kollege Eylmann, das Bundesverfassungsgericht betont in seiner Entscheidung vom 26. April 1988, daß es gegen das Prinzip des sozialen Rechtsstaats und gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn die Kostenbeteiligung gemäß der Prozeßkostenhilfetabelle das Existenzminimum der bedürftigen Partei gefährdet. Es hat ausgeführt, daß der sozialhilferechtliche Regelbedarf bei Hilfe zum Lebensunterhalt als ein Kriterium zur Ermittlung des Existenzminimums herangezogen werden kann, und weiter festgestellt, daß der Einkommensgrenzwert der Prozeßkostenhilfetabelle noch deutlich über demjenigen Betrag liegt, der danach zur Sicherung des Existenzminimums erforderlich erscheint.
Ferner hat das Bundesverfassungsgericht eine Verpflichtung des Gesetzgebers verneint, die Erhöhung der Tabellenwerte, wie bei ihrer ursprünglichen Festsetzung, an der Einkommensgrenze für die Hilfe in besonderen Lebenslagen auszurichten.
Die Bundesregierung verkennt nicht, daß sich der sozialhilferechtliche Regelbedarf bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Tabellengrenzwert stark angenähert hatte und seitdem weiter gestiegen ist. Im Bundesministerium der Justiz sind daher inzwischen Vorbereitungen für eine Überarbeitung und Anpassung der Tabelle in Angriff genommen worden.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage zu stellen? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, läßt sich absehen, wann mit einer gesetzgeberischen Initiative der Bundesregierung zu rechnen ist?
Herr Kollege Eylmann, ich lehne es grundsätzlich ab, einen konkreten Zeitpunkt festzulegen. Aber wir handeln unverzüglich; und das heißt in der Sprache der Juristen: ohne schuldhaftes Zögern. Die Frage der Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der Länder, erfordert - dafür bitte ich um Verständnis - eingehende Untersuchungen.
Weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gansel auf:
Wie ist der Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen der Beteiligung deutscher Staatsangehöriger und Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland an der C-Waffen-Produktion im Irak und in Libyen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hat zuletzt in der Fragestunde am 31. Mai 1989 über den Stand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen einer möglichen Beteiligung Deutscher an der Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak und in Lybien berichtet.
Nach den von mir eingeholten Informationen der zuständigen Landesjustizverwaltungen Hessen und Baden-Württemberg stellt sich der gegenwärtige Stand der Ermittlungen wie folgt dar: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Darmstadt und der Ermittlungsgruppe des Kölner Zollkriminalinstituts wegen des Verdachts illegaler Ausfuhren von Ausrüstungsteilen zur Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak sind in der Zwischenzeit zügig weitergeführt worden. Die Strafverfolgungsbehörden haben weitere Zeugen - zum Teil unter Beteiligung von Gutachtern - vernommen. Die Staatsanwaltschaft steht im Meinungs und Erfahrungsaustausch mit anderen Staatsanwaltschaften - zum Beispiel mit der Staatsanwaltschaft Mannheim - , die Ermittlungsverfahren mit weitgehend deckungsgleichen Sachverhalten betreiben. Eine Prognose zum zeitlichen Abschluß der Ermittlungen ist aus der mir mitgeteilten Sicht nicht möglich, weil abschließende Ergebnisse der unumgänglich notwendigen Sachverständigengutachten, die sich als schwierig und zeitaufwendig erwiesen haben, noch nicht vorliegen.
Nun zum zweiten Komplex. Die Ermittlungen der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in Mannheim wegen einer Beteiligung Deutscher an der Errichtung einer Kampfstoffproduktionsanlage in Libyen konzentrieren sich zur Zeit darauf, eine Vielzahl von Zeugenaussagen und das bei den Durchsuchungen sichergestellte umfangreiche Material auszuwerten. Das ermittelnde Bundeskriminalamt hat eine Sonderkommission gebildet, in der auch Beamte der Zollbehörde mitwirken. Die Staatsanwaltschaft setzt zeitweilig bis zu vier Dezernenten ein; außerdem hat sie zwei Sachverständige aus dem Bereich Chemie- und Industrieanlagenbau eingeschaltet.
Der Haftbefehl gegen den früheren Geschäftsführer der Imhausen-Chemie GmbH in Lahr wurde mit Beschluß des Amtsgerichts Mannheim vom 8. Juni 1989 auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall gemäß § 370 Absatz 1 Satz 3 Abgabenordnung erweitert. Es besteht der dringende Verdacht, daß der Beschuldigte an Gewerbe- und Körperschaftsteuern sowie an Einkommensteuer einen Betrag in Millionenhöhe hinterzogen hat. Die Haftbeschwerde wurde vom Landgericht Mannheim mit Beschluß vom 30. Juni 1989 verworfen.
Die Ermittlungen werden mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durchgeführt. Wann sie abgeschlossen werden können, kann im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend mitgeteilt werden.
Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Gansel.
Ich bedanke mich für die ausführliche Antwort. Aber haben Sie Verständnis für meine Frage, wieso Sie von einer zügigen Bearbeitung der Ermittlungen wegen der Beteiligung deutscher Firmen an der C-Waffenproduktion im Irak sprechen, wenn diese Ermittlungen jetzt seit zwei Jahren laufen und noch zu keinem Abschluß geführt haben. Seit zwei Jahren laufen die Ermittlungen wegen des Komplexes Samara und Nerah.
Herr Kollege Gansel, ich habe diese Frage natürlich von Ihnen heute erwartet.
({0})
- Erwartet oder erwarten müssen. - Wir, die Bundesregierung, haben in diesem Fall keine Zuständigkeiten. Das Ermittlungsverfahren liegt in den Händen der Länder. Die Länder teilen uns mit, daß sie die Ermittlungen zügig führen: unverzüglich, ohne schuldhaftes Zögern. Ich kann das dann auch nur so zur Kenntnis nehmen und bin der Auffassung, daß man den Ländern dies auch so abnehmen sollte. Sie haben heute - ich sage das ganz offen - nach dem Stand der Ermittlungen gefragt.
({1})
Da kann ich Ihnen nur das vortragen, was mir gesagt wird. Sie haben aber auch schon einmal nach einem Zwischenbericht gefragt. Den Zwischenbericht haben wir gegeben. Wenn Sie auf einen weiteren Zwischenbericht drängen, werde ich mich diesem Anliegen nicht verschließen.
Weitere Zusatzfrage.
Ich nehme die Anregung gern auf und bitte darum. Ich bitte auch um Prüfung, ob es möglich ist, den zur Zeit mit den Vorlagen der Bundesregierung zur Verschärfung des Kriegswaffenkontrollrechts und Außenwirtschaftsrechts beschäftigten Ausschüssen einen Erfahrungsbericht zur Verfügung zu stellen, damit wir bei den Beratungen auf Grund dieser Erfahrung dazu beitragen können, daß die Gesetze präziser und wirkungsvoller gefaßt werden können. Vielleicht wäre das ein sinnvolles Ergebnis Ihrer Erkenntnisse.
Herr Kollege Gansel, Sie wissen, daß wir die Kriminalität, die hinter diesen Straftaten steht, mit Aufmerksamkeit verfolgen. Es bestand für die Bundesregierung bereits Anlaß, die Frage aufzuwerfen, ob § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes geändert werden muß. Sie können davon ausgehen, daß der Strafrahmen geändert werden wird.
Herr Kollege Gansel, damit es korrekt abläuft, haben wir Ihre Bitte als Frage verstanden. Damit können wir den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz verlassen. Herr Staatssekretär, wir bedanken uns bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Werner auf:
Vizepräsident Cronenberg
Ist die Bundesregierung bereit, das Bundesamt für Statistik anzuweisen, in die zukünftigen Statistiken über die Zusammensetzung des Bruttosozialproduktes die Leistungen des Arbeits- und Zeitaufwandes der Mütter und Familienhaushalte für die nachfolgende Generation aufzunehmen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung befürwortet und unterstützt grundsätzlich eine mengen- und wertmäßige Erfassung der sogenannten Hausarbeit in der Statistik. Damit soll u. a. auch gezeigt werden, welche Leistungen die Hausfrauen für die Familie und für die Allgemeinheit erbringen. Dabei ist zu bedenken, daß die statistische Erfassung und die Bewertung der Hausarbeit leider Gottes außerordentlich schwierig sind, Herr Abgeordneter.
Der Nachweis sollte als Ergänzung zu den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfolgen. Die Sozialproduktberechnung erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend den international abgestimmten Definitionen. Eine wichtige Grundlage für die Erfassung der Hausarbeit sind repräsentative Zeitbudgeterhebungen.
1992, also in drei Jahren, wird vom Statistischen Bundesamt eine Erhebung auf freiwilliger Basis bei - ich meine, daß dies ein richtiges Spektrum sein kann - rund 10 000 Befragten durchgeführt werden, in der über die Verwendung des 24-Stunden-Tages Buch geführt wird. Es muß also alles genau aufgeschrieben werden. Auch das Schlafen wird man mit einbeziehen müssen. Es geht um 24 Stunden.
Durch die sicherlich nicht problemlose Bewertung der in Haus, Hof und Garten erbrachten Leistungen soll dann die Leistung in den Haushalten ermittelt werden.
Aber ich will trotz dieser Problematik sagen: Das ist gut und richtig. Wir können zwar die Milliarden Kilometer zum Mars auf einen Meter genau messen, aber die Leistungen unserer Hausfrauen und Mütter und Großmütter zu Hause leider Gottes nicht einmal annähernd in D-Mark angeben. Das ist für einen hochindustrialisierten Staat wie die Bundesrepublik Deutschland sicherlich nicht unbedingt ein Ruhmesblatt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, zunächst einmal möchte ich meine Befriedigung darüber ausdrücken, daß die Bundesregierung sich auf dem richtigen Weg befindet. Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Chance sehen, daß die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes, beginnend 1992, in der Tat etwa bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode in der Form zu einem Abschluß gebracht werden können, daß wir dann auch die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen.
Herr Abgeordneter, davon können Sie ausgehen, obwohl ich natürlich feststellen muß, daß bei uns in der Bevölkerung eine relativ hohe Sensibilität gegenüber Statistiken und Befragungen jedweder Art vorherrscht. Dieselben Leute, die bei uns eine relativ einfache Volksbefragung bekämpfen - sie sitzen hier im Parlament ja auf
einer bestimmten Seite - , beklagen, daß man den Wert der Hausfrauenarbeit heute noch nicht angeben kann. Ich bin sogar mit Ihnen der Auffassung, daß das Jahr 1992 ein Zeitpunkt ist, der zu weit entfernt liegt.
Ich werde auch Ihre Frage zum Anlaß nehmen, noch einmal eine Prüfung anzuweisen, ob dies nicht vorverlegt werden kann. Aber manches dauert auch in unserer parlamentarischen Demokratie seine Zeit.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang der Prüfung auch bereit, jene Berechnungen - allerdings handelt es sich um Rohberechnungen - zur Kenntnis zu nehmen, die seitens der bekannten Familienorganisationen und auch etwa der Liga für das Kind durchgeführt worden sind, die Anhaltspunkte dafür geben, in welcher Höhe die entsprechenden volkswirtschaftlichen Beiträge erwirtschaftet werden, die ja in der Tat einen echten positiven Beitrag zum Wachstum der Volkswirtschaft beibringen, und würden Sie mir zu gegebener Zeit auch die möglichen EG-weiten Folgen einer entsprechenden Berechnung oder Umrechnung darbieten können?
Ich finde, das zweite ist eine sehr gute Anregung. Wir müssen das auf EG-Ebene machen. Ich werde Ihre Anregung aufgreifen, daß dies erarbeitet und Ihnen dann vorgelegt wird.
Zum ersteren, Herr Abgeordneter: Natürlich müssen wir Erfahrungen der Familienverbände, der Kirchen, der Gewerkschaften, der wissenschaftlichen Institutionen berücksichtigen. Darauf muß die Erfassung des Bundesamtes für Statistik und der Regierung fußen. Wir brauchen diese Zahlen und Elemente des Wertes der Hausfrauenarbeit nicht zuletzt auch für die Bewertung dieser Arbeit im Rahmen unserer gesetzlichen Rentenversicherung; denn man weiß zwar, was ein aktiver Fabrikarbeiter oder ein Universitätsprofessor an Leistungen für die Rentenversicherung bringt, wir wissen dies allerdings nicht von der Arbeit unserer Mütter und Großmütter, unserer Hausfrauen. Deshalb ist dies meiner Ansicht nach eine, ich gehe davon aus: vom ganzen Parlament erstrebte richtige Erhebung. Wenn uns das Parlament noch ein bißchen Rückenwind gibt, dann könnten wir dieses Datum 1992, glaube ich, doch etwas vorverlegen.
Jedenfalls bedanke ich mich sehr, daß Sie dieses Thema einmal aufgegriffen haben.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Staatssekretär Dr. Riedl, wir bedanken uns herzlich.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten braucht nicht aufgerufen zu werden, da der Abgeordnete Pfuhl um schriftliche Beantwortung seiner Frage 6 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ebenfalls braucht der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung nicht aufgerufen zu werden, weil der Abgeordnete Reimann
Vizepräsident Cronenberg
um schriftliche Beantwortung seiner Frage 7 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen also nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Hiller ({0}) auf:
Wieviel Abfall wurde im Jahr 1988 aus der Bundesrepublik Deutschland, spezifiziert nach Bundesländern, in die DDR transportiert, und wie hoch war der Anteil an Sondermüll?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung der Fragen.
Herr Kollege Hiller, nach den der Bundesregierung vorliegenden Angaben wurden im Jahr 1988 folgende Abfallmengen aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR verbracht. Die folgende Tabelle gliedert sich auf in Herkunftsland - wie von Ihnen gewünscht: nach Bundesländern -, in Siedlungsabfälle und in Sonderabfälle, die nicht als Siedlungsabfälle gelten. Das waren die möglichen Aufgliederungen.
Herkunftsland Baden-Württemberg: 119 967 t Sonderabfälle ; keine Siedlungsabfälle.
Freistaat Bayern: keine Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Berlin: 37 074 t Sonderabfälle; 988 914 t Siedlungsabfälle.
Bremen: 27 197 t Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Hamburg: 297 939 t Sonderabfälle; 464 761 t Siedlungsabfälle.
Hessen: 113 240 t Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Niedersachsen: 39 632 t Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Nordrhein-Westfalen: 56 200 t Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Rheinland-Pfalz: keine Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Saarland: 4 954 t Sonderabfälle; keine Siedlungsabfälle.
Schleswig-Holstein: ebenfalls keine Sonder- und auch keine Siedlungsabfälle.
Das ergibt addiert insgesamt 2 149 878 Tonnen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Hiller.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den letzten Jahren unternommen, um den Mülltourismus in die DDR, insbesondere nach Schönberg, zu unterbinden?
Die Bundesregierung hat zusammen mit den Bundesländern eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um das Entstehen der Sonderabfälle zu vermeiden oder die Wiederverwertung bzw. die gefahrlose Entsorgung der Sonderabfälle im eigenen Land zu erreichen. Hier gibt es eine Reihe von Initiativen, die u. a. in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN enthalten sind, die ich Ihnen gern noch einmal übergeben werde.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Was gedenkt die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode zu tun, um die Müllexporte zu verringern oder zu verhindern?
Die Bundesregierung wird den bereits erfolgreich eingeschlagenen Weg weiter beschreiten. Ich darf als Beispiel anführen: Die Dünnsäure, die bisher auf See verklappt worden ist - zwar nicht ein Produkt, das in die DDR exportiert wird, aber anfallender Sonderabfall - , wird in Zukunft in einer Wiederaufarbeitungsanlage verwertet werden. Wir sind gerade dabei, eine Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel bei der EG zu notifizieren. Auch von dieser Verordnung versprechen wir uns erhebliche Fortschritte bei der Minderung der Entstehung von Sonderabfällen. Hier ließe sich noch eine Reihe von Beispielen aufzählen, die ebenfalls in der Beantwortung der vorhin zitierten Kleinen Anfrage enthalten sind.
Dann rufe ich die Frage 9 des Abgeordneten Hiller auf:
Wie sind die entsprechenden Angaben für 1989?
Für das Jahr 1989 liegen uns noch keine verbindlichen Angaben über die aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR verbrachten Abfallmengen vor. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, daß die Abfallverbringung in die DDR 1989 in etwa der gleichen Größenordnung wie 1988 erfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die von Gebietskörperschaften der Länder Baden-Württemberg und Hessen beabsichtigten Verträge mit der DDR über die Abnahme weiterer Müllmengen noch nicht realisiert bzw. in Kraft gesetzt wurden. Bisher finden lediglich sogenannte Probetransporte mit geringem Mengenumfang in die DDR aus Baden-Württemberg und Hessen statt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, die für 1988 und 1989 geforderten Angaben mir auch für die Jahre 1986 und 1987 zu übersenden?
Herr Kollege, mir liegen diese Angaben von 1986 und 1987 nicht vor. Sie wissen, für die Genehmigung der Abfallexporte sind ausschließlich die Bundesländer zuständig. Wir haben im Vorfeld der Arbeiten zur Baseler Konvention die Daten für 1988 erhoben. Sofern sie bei uns verfügbar sind, Herr Kollege, übergebe ich Ihnen selbstverständlich die Zahlen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch bereit, mir die von der DDR übermittelten Daten zur Sicherheit der Sondermülldeponie Schönberg/ DDR zur Verfügung zu stellen?
Soweit uns Daten aus der DDR zur Sicherheit der Anlage Schönberg zur Verfügung gestellt sind, bin ich gern bereit, Ihnen entsprechendes Material zu überreichen, empfehle Ihnen aber, sich auch bei Ihrem Parteifreund, dem Kollegen Heydemann, zu erkundigen
({0})
- der ist parteilos, gehört aber Ihrer Regierung an -, der sich vor Ort in der DDR erkundigt hat und mit seiner Beurteilung sicherlich auch bei Ihnen Eindruck gemacht hat.
Ich rufe nunmehr die Frage 10 des Abgeordneten Diller auf:
Wird die Bundesregierung der erneuten Aufforderung der rheinland-pfälzischen Landesregierung vom 21. Juli 1989 folgen und bei der französischen Regierung darauf drängen, daß die neuen Genehmigungsbescheide für das Atomkraftwerk Cattenom statt Werten von maximal 15 Curie nur Werte von maximal 3 Curie je Block und Jahr enthalten?
Herr Staatssekretär, Sie haben zur Beantwortung das Wort.
Die am 4. August 1989 erteilten und am 17. August 1989 im Journal Officiel veröffentlichten neuen Genehmigungen der zuständigen französischen Behörde für die radioaktiven Ableitungen aus den Blöcken Cattenom 3 und 4 enthalten im Rahmen des Minimierungsgebotes bezüglich der flüssigen Abgaben erstmals ausdrücklich die Verpflichtung des Betreibers, geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, daß die Abgabe auf 20 % des höchstzulässigen Wertes begrenzt bleibt. Das enspricht der völkerrechtlich verbindlich zugesicherten Einhaltung von jährlich maximal 3 Curie je Block.
Die französische Seite hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sie mit dieser von der Standardregelung in Frankreich abweichenden Auflage den deutschen Wünschen entgegenkommen wollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diller, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmen wir beide darin überein, daß die tatsächlichen Abgabewerte beispielsweise bei deutschen Kernkraftwerken auch nur geringfügige Prozentwerte der genehmigten Werte sind und daß deshalb das, was jetzt in Frankreich passiert ist, überhaupt nicht zufriedenstellend sein kann?
Wir stimmen insofern überein, als die tatsächlichen Abgabewerte bei deutschen Kernkraftwerken weit unter den genehmigten Werten liegen. Ähnliches läßt sich aber auch von Cattenom feststellen. Auch dort liegen die tatsächlichen Abgabewerte deutlich unter den genehmigten; jetzt
bezogen nicht auf Block 3 und 4, sondern auf Block 1.
Zur zweiten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diller, bitte sehr.
Darf ich Sie dahingehend verstehen, daß Sie davon ausgehen, daß die tatsächlichen Abgabewerte in Cattenom in der Zukunft auch nur geringfügige Prozentanteile von den 3 Curie ausmachen werden?
Die derzeitigen Erfahrungswerte liegen bei 0,7 Curie.
Ich rufe nun die Frage 11 des Abgeordneten Diller auf:
Wird die Bundesregierung der Aufforderung der rheinland-pfälzischen Landesregierung folgen und die Verlagerung der Tiefflugschneisen für strahlgetriebene Militärflugzeuge beim Atomkraftwerk Cattenom zum Verhandlungsgegenstand mit der französischen Seite machen?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Ja, die Bundesregierung entspricht gern der Bitte der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Sie wird dieses Thema jedoch nicht mit dem nicht zutreffenden Argument unzulänglicher Auslegung gegen Flugzeugabstürze, sondern vielmehr im Rahmen der Gespräche zur Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie einbringen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, nachdem im Juni dieses Jahres die DFK tagte, mußte ich zu meiner Enttäuschung in der Broschüre des Hauses feststellen, daß dieses Thema kein Gegenstand der DFK-Sitzung war. Warum nicht?
Dieses Thema wird in absehbarer Zeit ein Gegenstand der DFK sein. Es wird in einer entsprechenden Arbeitsgruppe behandelt weden, und zwar in dem Rahmen, den ich vorhin in meiner Antwort genannt habe.
Ihre letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre eingangs gemachten Äußerungen dahingehend verstehen, daß innerhalb der NATO, wie eine Agenturmeldung es einmal berichtet hat, Überlegungen angestellt werden, den militärischen Tiefflugverkehr im Bereich Cattenom gänzlich einzustellen? Ist dies oder lediglich eine Verlagerung das Ziel der Bundesregierung?
Sie dürfen die Beantwortung der Frage so verstehen, daß wir uns bemühen, wie bisher auf dem Verhandlungswege ein weiteres Zeichen französischen Entgegenkommens gegenüber deutschen Wünschen zu erreichen.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches.
Vizepräsident Cronenberg
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation braucht nicht aufgerufen zu werden, da die Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Frau Würfel und die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Becker ({0}) schriftlich beantwortet werden sollen. Der Abgeordnete Becker ist allerdings doch hier.
({1})
- Ah, ja. Also bleibt es dabei: Auch die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Becker ({2}) werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau braucht ebenfalls nicht aufgerufen zu werden, weil die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Dr. Hirsch, 18 und 19 des Abgeordneten Dr. Sperling sowie 20 und 21 des Abgeordneten Reschke auf deren Wunsch ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Staatsminister Schäfer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 22 der Frau Abgeordneten Hoffmann ({3}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Lage der türkischen Minderheit in Bulgarien?
Herr Staatsminister, ich bitte Sie, die Frage zu beantworten.
Die Bundesregierung, Frau Kollegin, ist über die Lage der türkischen Minderheit in Bulgarien sehr besorgt. Sie hat Hinweise darauf, daß es den Angehörigen dieser Minderheit seit 1984 unter anderem nicht mehr erlaubt ist, ihre kulturellen und religiösen Sitten und Gebräuche zu befolgen sowie die türkische Sprache in der Öffentlichkeit zu benutzen. Die Bundesregierung hat mehrfach an die bulgarische Seite appelliert, den Angehörigen der türkischen Minderheit entsprechende Lebensbedingungen zu ermöglichen.
Bitte sehr, eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hoffmann.
Herr Staatsminister, welche Motive hat nach Ansicht der Bundesregierung das bulgarische Regime für die Verfolgung der türkischen Minderheit?
Ich glaube, daß der Hintergrund der bulgarischen Haltung - ich will mich jetzt ein bißchen vorsichtig ausdrücken und nicht wie Sie von Verfolgung sprechen - hauptsächlich auf die bulgarische Vorstellung von einer bulgarischen Nation und auf die alte Auffassung der bulgarischen Regierung zurückzuführen ist, daß es sich bei der betroffenen Bevölkerungsgruppe eben nicht um Türken im ethnischen Sinne handelt, sondern um in der Zeit der osmanischen Herrschaft über das Land islamisierte Bulgaren.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Hoffmann. Bitte schön.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung ihre Möglichkeiten, Einfluß auf die bulgarische Regierung zu nehmen, so daß die türkischen Bulgaren in ihrem Lande ihre Sprache sprechen dürfen und ihre Namen behalten können?
Frau Kollegin, wir haben uns wiederholt in diesem Zusammenhang mit der bulgarischen Regierung in Verbindung gesetzt. Ich verweise auch auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Frau Abgeordneten Hensel von der Fraktion DIE GRÜNEN, in der wir das sehr ausführlich dargestellt haben. Zuletzt haben Bundesminister Töpfer und auch Bundesminister Engelhard bei ihren Besuchen in Bulgarien im Juli noch einmal auf die Lage der türkischen Minderheit hingewiesen. Wir haben auch eine im Rahmen der NATO erarbeitete und am 9. August dieses Jahres veröffentlichte Erklärung von NATO-Generalsekretär Wörner mit unterstützt. Wir haben darüber hinaus immer wieder, bei allen nur denkbaren Gelegenheiten, versucht, Einfluß zu nehmen, damit sich die Situation verbessert.
Herr Abgeordneter Jäger, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen, bitte sehr.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es in Bulgarien zwar in der Tat eine Bevölkerungsgruppe gibt, die aus nichttürkischen Bewohnern moslemischer Religionszugehörigkeit besteht, daß aber der weitaus größte Teil der Personen, die jetzt diesen Zwangsmaßnahmen der bulgarischen Regierung unterliegen, tatsächlich ethnische Türken sind?
Herr Kollege, ich hatte in meiner Antwort auf die Frage von Frau Kollegin Hoffmann darauf hingewiesen, daß es sich dabei um eine bulgarische Interpretation, nicht um unsere Interpretation handelt. Selbstverständlich ist uns dies bekannt.
Ich darf, Herr Kollege Jäger, im Anschluß auch an die Frage von Frau Hoffmann vielleicht noch darauf hinweisen, daß es sicher gut wäre, wenn - und es gibt ja gewisse Anzeichen dafür - die bulgarische und die türkische Regierung wieder in einen engeren Dialog über die schwierigen Fragen und die Angelegenheit nach der Flucht einer großen Zahl von Bulgaren über die türkische Grenze einträten.
Ich rufe nun die Frage 23 der Frau Abgeordneten Hoffmann ({0}) auf:
Wie sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, die deutschbulgarische Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet einzuschränken und dies mit den ständigen Menschenrechtsverletzungen an der türkischen Minderheit in Bulgarien zu begründen?
Herr Staatsminister, würden Sie nunmehr bitte diese Frage beantworten.
Unsere im Rahmen der kulturellen Kontakte und des Austausches gegebenen Einflußmöglichkeiten fördern auch das Verständnis für eine freiheitliche Ordnung und die Menschenrechte. Die Bundesregierung hält daher die Einschränkung der deutsch-bulgarischen Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet nicht für ein geeignetes
Mittel, auf eine Änderung der bulgarischen Politik gegenüber der türkischen Minderheit hinzuwirken.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Frau Hoffmann.
Herr Staatsminister, wenn die bulgarische Regierung auf der einen Seite ihre türkische Minderheit in ihrer ethnischen, kulturellen und religiösen Identität stark einschränkt, ist dann nicht doch auf der anderen Seite die deutschbulgarische Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet - zumindest moralisch gesehen - in Frage gestellt?
Frau Kollegin, eine solche kulturelle Zusammenarbeit ist nicht so sehr eine Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung als vielmehr eine Zusammenarbeit mit der gesamten Bevölkerung. Ich gehe davon aus, daß wir bei Gelegenheiten, die wir haben, kulturell mit Bulgarien zusammenzuarbeiten, natürlich auch bemüht sein müssen, dabei nach Möglichkeit die Rechte von Minderheiten wahrzunehmen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatsminister, ist aber nicht zu verstehen, daß die türkische Regierung sehr sorgfältig beobachtet, wie schleppend sich die kulturellen Kontakte - ich denke hier zum Beispiel an die geplante deutsche Universität in Istanbul - in der Türkei entwickeln und wie die kulturellen Kontakte in Bulgarien wesentlich schneller über die Bühne gehen? Ist da nicht ein Zusammenhang, und darf man sich hier nicht wundern, wenn die Türken sich etwas zurückgesetzt fühlen oder das nicht mit großer Freude hinnehmen?
Frau Kollegin, mir ist nicht bekannt, daß die türkische Regierung in diesem Zusammenhang schon an uns herangetreten wäre, um sich zu beklagen. Im Gegenteil, ich habe in diesem Jahr, wenn ich das privat hinzufügen darf, einen dreiwöchigen Urlaub in der Türkei gemacht und dabei auch Gelegenheit gehabt, am Rande Gespräche zu führen. Ich kann nur feststellen, daß das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und der türkischen Regierung keinesfalls durch diese Fragen getrübt zu sein scheint.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß zur kulturellen Tradition des heutigen Staates Bulgarien auch die kulturelle Tradition seiner starken türkischen Minorität gehört, und wird die Bundesregierung in dieser Kenntnis die bulgarischen Partner davon zu überzeugen versuchen, daß eine Eliminierung dieser türkischen kulturellen Bestandteile aus den deutsch-bulgarischen Beziehungen gegen den Geist dieser kulturellen Beziehungen verstoßen würde?
Herr Kollege, wir haben - ich habe darauf hingewiesen - wiederholt im Sinne auch der ethnischen Minderheit in Bulgarien mit der bulgarischen Regierung gesprochen. Es haben verschiedene Bundesminister mit der bulgarischen Regierung gesprochen; wir haben das wiederholt betont.
Ich habe auf Grund der neuesten Entwicklung und der Tatsache, daß es auch in der Türkei gewisse Probleme mit der Eingliederung von Flüchtlingen oder von Menschen aus Bulgarien, die in die Türkei gegangen sind und jetzt wieder nach Bulgarien zurückkehren, gegeben hat, die Hoffnung, daß diese beiden Staaten in der Lage sein werden, dieses Problem miteinander zu lösen. Wir können uns nur am Rande bemühen, Einfluß zu nehmen.
Aber ich glaube, daß es im wesentlichen darauf ankommt - und ich würde es hoffen - , daß eben die bulgarische Regierung mit der türkischen Regierung Gespräche aufnimmt, die natürlich auch zum Ziel haben sollten, die berechtigten Ansprüche einer Minderheit in Zukunft etwas besser wahrzunehmen.
Herr Abgeordneter Jäger, Sie können stehenbleiben; denn die nächste Frage, die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Pohlmeier, wird schriftlich beantwortet, und danach kommt eine Frage von Ihnen.
Ich rufe also Frage 25 des Abgeordneten Jäger auf:
Trifft es zu, daß Aussiedler aus der UdSSR für einen Antrag auf Ausbürgerung aus der Sowjetunion im voraus eine Gebühr von 500 DM pro Person ({0}) bei einem sowjetischen Konto in Bonn einzahlen müssen und daß sie bis zu einem Bescheid elf Monate und länger warten müssen, ob sie ihre sowjetische Staatsangehörigkeit tatsächlich verlieren?
Herr Kollege, ich darf Ihre Frage mit einem einfachen Ja beantworten.
Das veranlaßt Sie, eine Zusatzfrage zu stellen, Herr Abgeordneter?
Ja. - Herr Staatsminister, wenn es zutrifft, daß Gebühren in der in meiner Frage angegebenen Höhe verlangt werden: Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß Gebühren dieser Größenordnung für in solchen Fällen anfallende Verwaltungsgeschäfte einer Botschaft oder anderer Behörden weit überhöht sind und mit den Abmachungen von Madrid und Wien, wo ja auf ermäßigte Gebühren im Zusammenhang mit Ausreise und Übersiedlung gedrungen worden ist, nicht in Einklang stehen?
Herr Kollege, es ist zwar so, daß auch andere Staaten, nicht nur die Sowjetunion, Gebühren bei der Ausbürgerung und der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft erheben. Sogar die Bundesrepublik Deutschland erhebt Gebühren, wie Sie wissen. Sie sind etwas niedriger; aber es gibt zum Beispiel bei der Einbürgerung in unserem Land erhebliche Gebühren, etwa bestimmte Prozentsätze eines Monatseinkommens. Es ist also keineswegs so, daß die Sowjetunion hier allein Gebühren erhebt. Das darf ich zunächst festhalten.
Ich muß aber darauf hinweisen - und insofern stimme ich Ihren Ausführungen zu - , daß wir uns bemühen, in den Verhandlungen, die wir mit der Sowjetunion führen, darauf zu dringen, daß es nach Möglichkeit zu einer Senkung dieser Gebühren kommt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung auch der Auffassung, daß die Dauer der Abwicklung eines solchen Antrags auf Ausbürgerung ungewöhnlich lang ist und daß gerade bei einer Ausbürgerung, wo im Grunde nichts anderes zu prüfen ist als die Frage, ob die Person den Staat auf Dauer verlassen und ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben will, diese Dauer unverhältnismäßig lang ist und im Interesse der betroffenen Personen abgekürzt werden muß?
Wir würden hoffen, Herr Kollege, daß eine Abkürzung dieser Fristen erreicht werden kann. Wir kennen aber auch die sowjetischen Hinweise darauf, daß bei der sehr hohen Zahl der Aussiedler, die es inzwischen gibt, die über einige Tausende hinausgeht und sich in den letzten Jahren erheblich vergrößert hat, die Bearbeitung offensichtlich länger dauert. Aber auch hier bemühen wir uns, eine Verkürzung zu erreichen.
Dann rufe ich die Frage 26 des Abgeordneten Jäger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der schwerwiegenden Folgen einer doppelten Staatsangehörigkeit während vieler Monate für rußlanddeutsche Aussiedler mit der sowjetischen Regierung über eine Beschleunigung der Ausbürgerungsverfahren und über eine Ermäßigung der Gebühren auf eine angemessene Höhe zu verhandeln?
Herr Kollege, das Problem der doppelten Staatsangehörigkeit von rußlanddeutschen Aussiedlern ist in der deutsch-sowjetischen Arbeitsgruppe für die Zusammenarbeit in humanitären Fragen aufgenommen worden. Die sowjetische Regierung ist der Ansicht, daß volksdeutschen Aussiedlern die sowjetische Staatsbürgerschaft noch für einen gewissen Zeitraum nach der Aussiedlung erhalten bleiben müsse, um ihnen Besuchsreisen oder im Falle ihrer Rückkehrwilligkeit die Heimführung zu erleichtern. Der gesamte Komplex einschließlich der Beschleunigung des Entlassungsverfahrens und der Gebührensenkung, die wir gerade angesprochen haben, wird in der nächsten Sitzung der Arbeitsgruppe, d. h. voraussichtlich vor Jahresende, erneut erörtert werden.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, ist es nicht so, daß die doppelte Staatsangehörigkeit in Wahrheit für die Betroffenen erhebliche Probleme aufwirft, insbesondere dann, wenn es sich um Personen handelt, die durch fortschreitendes Alter unter die Wehrpflicht der UdSSR fallen? Ich denke etwa an Kinder, die nach Erreichen eines bestimmten Alters automatisch der Wehrpflicht unterliegen und die bei doppelter Staatsangehörigkeit an sich verpflichtet wären, sich in der
Sowjetunion dem Einzug in die sowjetische Armee zu stellen. Sieht die Bundesregierung die Probleme, die hier für die betroffenen Bürger entstehen, und werden die in die von Ihnen erwähnten Gespräche einbezogen?
Ich gehe davon aus, daß das einbezogen wird. Ihre Frage bezieht sich jetzt auf Besuchsreisen der bereits Ausgereisten zurück in die Sowjetunion in den ersten elf Monaten, womit im allgemeinen sicher nicht zu rechnen ist, um so mehr, als sich die Aussiedler sicher der Doppelstaatlichkeit und des geltenden Völkerrechts bewußt sind. Dieses läßt auch uns keine andere Wahl, als beispielsweise Doppelstaatler anderer Staaten und der Bundesrepublik Deutschland hier zum Wehrdienst einzuziehen, wenn sie in die Bundesrepublik kommen. Es ist ein Völkerrechtsprinzip, das für alle gilt.
Aber wir können in diesem Zusammenhang der Sowjetunion natürlich nicht vorschreiben, daß sie zunächst einmal sagt „Wir verzichten sofort auf die Staatsbürgerschaft" , wenn sie noch gewisse Bedenken erhebt, daß möglicherweise ein Teil der Aussiedler nicht hier bleibt. Das ist die sowjetische Argumentation, die uns mitgeteilt worden ist. Wir tun alles, um in den Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß alle nur denkbaren Erleichterungen - auch bezüglich der von Ihnen aufgeworfenen Fragen - erreicht werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang schon einmal die Frage geprüft, ob die Zustimmungsbedürftigkeit der Ablegung einer Staatsangehörigkeit durch den betreffenden Staat überhaupt noch mit der durch den Pakt über bürgerliche und politische Rechte und insbesondere seinen Art. 12 gegebenen grundsätzlichen völkerrechtlichen Menschenrechtslage in Einklang steht?
Herr Kollege, da das eine sehr komplizierte juristische Materie eröffnet, würde ich vorschlagen, daß man solche Themen in den Ausschüssen grundsätzlich erörtert, bevor ich hier in einer späteren Fragestunde diese komplizierte Frage mit Hilfe des Sachverstandes des Parlaments noch besser beantworten kann.
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie mit diesem sinnvollen Vorschlag des Herrn Staatsministers einverstanden sind, und gebe dem Abgeordneten Becker für eine Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, ist es nicht so, daß bei der Erörterung der Frage der Doppelstaatsangehörigkeit auch eine ganze Reihe von Vorteilen für die Betroffenen ins Feld zu führen sind, und ist es nicht auch so, daß man sich überlegen sollte, ob man nicht in gewissen Fällen gerade dem Beibehalten der Doppelstaatsangehörigkeit für eine gewisse Zeit das Wort reden könnte?
Es ist mir bekannt, Herr Kollege, daß auch diese Auffassung vertreten wird. Um so mehr, meine ich, sollten wir diese ganze Problematik auch in den Ausschüssen einmal sehr gründlich erörtern.
Danke schön. - Herr Staatsminister, damit haben Sie keine Fragen mehr zu beantworten. Es sind heute überhaupt keine Fragen mehr zu beantworten.
Aber ich muß dem Hause noch bekanntgeben, daß die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Dr. Haack auf Grund unserer Geschäftsordnung - Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde - schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 29 des Abgeordneten Uldall, die Frage 30 des Abgeordneten Stiegler, die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Steiner, die Frage 33 des Abgeordneten Gansel - es handelt sich dabei um Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen - sowie die Frage 34 des Abgeordneten Lowack, die Frage 35 des Abgeordneten Stiegler und die Fragen 36 und 37 der Abgeordneten Frau Walz - hierbei handelt es sich um Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer brauchen deswegen nicht beantwortet zu werden, weil Herr Dr. Mechtersheimer diese Fragen zurückgezogen hat.
Die übrigen Fragen aus dem Bereich des Bundesministers der Verteidigung - das sind die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Frau Adler sowie die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Pauli - werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gleiche trifft zu für die Frage 44 des Abgeordneten Reimann, die Frage 45 des Abgeordneten Geis, die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Stahl ({0}) und die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Amling; dabei handelt es sich um Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein sowie die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Grünbeck - das sind Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr - sollen auf Wunsch der Fragesteller ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. September 1989, 8 Uhr ein.
Den beiden Geschäftsführern der großen Fraktionen, die noch hier sind, wünsche ich einen angenehmen Arbeitstag.
({1})
Die Sitzung ist geschlossen.