Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/6/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 ({0}) - Drucksache 11/5000 - b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 - Drucksache 11/5001 Die Beratungen sollen heute etwa gegen 22 Uhr beendet werden. Eine Mittagspause ist von 13 bis 14 Uhr vorgesehen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In der Innenpolitik ist vieles liegengeblieben, was dringend gelöst werden sollte. ({0}) Besonders die Bundesregierung muß sich endlich auf den Weg machen, well. die Schwierigkeiten sonst nicht mehr zu meistern sind. Das gilt in besonderer Weise für die Angelegenheiten der Asylbewerber, Aussiedler und Ausländer generell. Mit Respekt und Aufmerksamkeit haben wir registriert, daß sich Herr Dr. Schäuble bei seiner Landespartei, der baden-württembergischen CDU nämlich, für eine Lockerung des Arbeitsverbots für Asylbewerber eingesetzt hat. Gewiß, die Mehrheit seiner Partei ist ihm dabei nicht gefolgt. Er ist damit unterlegen, wie jedermann weiß. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, das vernünftige Ziel weiterzuverfolgen, mögen die für Asylbewerber avisierten Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft und in der Gastronomie auch nur ein zaghafter Beginn der Abkehr von einer totalen Blockadepolitik sein. Auch sind die Hinweise des seinerzeitigen Bundesministers Schäuble im Kanzleramt noch in genauer Erinnerung, der einer vorausschauenden Einwanderungspolitik für die 90er Jahre das Wort redete, weil die Bundesrepublik dann unbestreitbar auf Facharbeiter aus dem Ausland angewiesen sei. Äußerungen, die er nach erbittertem Widerstand aus den eigenen Reihen zwar nicht mehr weiterverfolgt hat. Aber die Tatsache bleibt, daß er dieses Problem erkannt und - was noch wichtiger ist - auch angesprochen hat. Wir sehen also mit diesem Bundesinnenminister - anders als mit seinem Amtsvorgänger - durchaus die Möglichkeit, auch in einer so steinigen Frage, wie es die Fremdenpolitik ist, weiterzukommen. ({1}) Wir werben um Öffnung und Unterstützung dieser Politik auch durch die CDU/CSU; denn eine bessere Ausländerpolitik als bisher ist bitter nötig. ({2}) Wir haben zu akzeptieren, daß wir bereits jetzt durch die EG jedenfalls teilweise auch Einwandererland geworden sind. Freizügigkeit innerhalb Europas ist das Stichwort. Gewiß, die Freizügigkeit ist auf die EG-Europäer beschränkt. Aber wenn nicht alle Anzeichen trügen, stehen die Signale eher auf Ausdehnung als auf Verkleinerung der EG, und das nicht nur wegen des jetzt auch formell besiegelten Aufnahmebegehrens der Republik Österreich. Im östlichen Teil Europas ist so vieles gerade in jüngster Zeit in Bewegung geraten, was vor kurzem noch als Hirngespinst abgetan worden wäre. Wo steht denn geschrieben, daß Europa an den Demarkationslinien der Militärblöcke enden muß? Und was ist mit den Türken? Eben weil so viele bei uns sind - übrigens eingeladen bei uns sind - , zum Teil in der zweiten und dritten Generation bei uns ansässig, haben sie ebenso wie andere einen Anspruch darauf, nicht mehr mit der Elle des alten Polizeiausländerrechts gemessen zu werden, das den Behörden sehr viel Ermessen gegenüber Ausländern einräumt und um so mehr Verbote und Gebote vorsieht, aber wenig gesicherte Rechte zugunsten von Fremden kennt. Das muß anders werden, auch weil wir alle Integration für diejenigen wollen, ja im eigenen Interesse darauf angewiesen sind, die nach längerem berechtigten Aufenthalt bei uns bleiben wollen. Wenn das so ist, dann schließt das das Schielen nach Assimilation aus. ({3}) Damit bin ich bei einer wichtigen Markierung. So sehr wir für die Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit eintreten, so wenig sind wir dafür zu haben, daß solche Öffnungen andererseits als Sperren gegen eine aufgeschlossene Ausländerpolitik benutzt werden. ({4}) Es ist doch einfühlbar, daß ein Ausländer zwar in einem fremden Land dauerhaft bleiben will, aber sich damit nicht zugleich aus seiner eingebrachten Staatsbürgerschaft lösen möchte. Da die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Steuern zahlen wie andere auch, Sozialabgaben an die Renten- und die Arbeitslosenversicherung entrichten wie andere auch, wird man ihnen schwerlich ein besseres Ausländerrecht mit dem Hinweis verwehren können, daß sie ja die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und damit aus eigener Kraft ihre Probleme lösen könnten. Aus unserer Sicht muß beides unabhängig voneinander möglich sein: Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für solche, die dies wollen, wie auch ein zuverlässigeres, sichereres Ausländerrecht für diejenigen, die sich schon lange bei uns aufhalten, sich aber nicht von ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit lösen wollen. ({5}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unsere Vorschläge sind eindeutig, klar und unmißverständlich, ({6}) vielleicht nicht überall beliebt, aber ich nenne sie hier: Erstens. Bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis muß künftig nach dem Aufenthaltszweck differenziert werden. Zweitens. Eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus soll stufenweise geschehen und nach achtjährigem Aufenthalt in ein Niederlassungsrecht münden, das eine grundsätzliche Gleichstellung in Rechten und Pflichten mit Deutschen bewirkt. Drittens. Ehegatten erhalten ein eigenes Aufenthaltsrecht. Viertens. Der Nachzug von Kindern von Ausländern soll bis zum 18. Lebensjahr möglich werden. Fünftens. Kindern von Ausländern soll eine Rückkehrmöglichkeit eingeräumt werden. Sechstens. Ausländer, die länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben, sollen unter bestimmten Voraussetzungen in die Bundesrepublik zurückkehren dürfen. Siebtens. Die Tatbestände, die zur Ausweisung von Ausländern führen können, sollen begrenzt und klarer geregelt werden. ({7}) Schließlich soll die Einbürgerung erleichtert werden; notfalls soll dies auch möglich sein, wenn es dadurch zu einer Doppelstaatsangehörigkeit kommt. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden uns noch mehr als bisher davon leiten lassen, daß die Betroffenen, nämlich die Ausländer, aus der Objektrolle herauskommen und verbesserte Möglichkeiten der Integration erhalten. ({8}) Nach unserer Einschätzung zählt dazu auch politische Teilhabe. In den Betrieben, in den Gewerkschaften wird es seit langem und mit Erfolg praktiziert: Da gibt es keine Schwierigkeiten, wenn ausländische Arbeitnehmer in Betriebs- und Personalräten wie bei den Vertrauensleuten der Gewerkschaften auch die Interessen ihrer deutschen Kollegen vertreten und umgekehrt. Anders wird es auch bei der politischen Vertretung nicht sein. Ist es in einer Zeit des Aneinanderrückens und Aufeinanderzugehens von Staaten und Völkern wirklich richtig, die trennenden Parameter der allgemeinen Staatslehre des 19. Jahrhunderts und aus noch früheren Zeiten zu bemühen, um über die Staatsangehörigkeitsfrage das Wahlrecht für Nichtdeutsche auszuhebeln? Ist es nicht zweckmäßiger, entspricht es nicht unserem ureigensten Interesse mehr, gerade im Umgang mit hier lebenden Ausländern die Zäune so niedrig wie möglich zu halten und auch über politische Mitwirkungsmöglichkeiten für Fremde Chancen zu eröffnen, damit Reibungsflächen zwischen ihnen und den Einheimischen abgebaut werden? ({9}) War es danach von der CDU/CSU wirklich weise, das Bundesverfassungsgericht gegen das Ausländerwahlrecht anzurufen und dieses damit zum Schiedsrichter in einer rein politischen Angelegenheit zu machen? ({10}) Wie das Verfassungsgericht auch entscheiden mag, ({11}) die Politik ist damit die Verantwortung für Ausländer, auch soweit es um deren politische Mitwirkungsmöglichkeiten geht, nicht los.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Dr. Penner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. ({0}) Wenn es denn sein sollte, daß die verfassungsrechtliche Decke für das Wahlrecht von Ausländern nicht reicht: Wer behauptet, daß dies unabänderlich sei? Obwohl wir Sozialdemokraten - wie wir meinen, aus soliden Gründen - der Meinung sind, es gebe genügend rechtlichen Spielraum für das kommunale Wahlrecht von Ausländern, werden wir uns gegen Rechtsänderungen nicht sperren, falls sie denn notwendig werden sollten. Wenn es also um qualifizierte, um Zweidrittelmehrheiten geht, Herr Kollege Dregger, werden wir, wenn es nötig werden sollte, nicht abseits stehen. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, über Asylpolitik speziell wird zu anderer Zeit en detail zu beraten sein. Nur ein Wort zu besonders befremdlichen Aspekten dieses Themas: Ich halte es für abgeschmackt, die europäische Rechtsungleichheit beim Asylrecht zu bemühen und mit diesem Argument den besonders hohen Standard unseres Asylrechts einebnen zu wollen. ({1}) So gewiß Anerkennung wie Ablehnung von Asylbewerbern zunehmend EG-weit wirken werden, so wenig werden wir Sozialdemokraten am Wortlaut des Art. 16 des Grundgesetzes herumbuchstabieren lassen. Wir dürfen und sollten Asylpolitik nicht in der politischen Auseinandersetzung des Alltags niederknüppeln und verkümmern lassen. Es ist ja richtig: Wir können nicht das Elend der restlichen Welt alleine schultern. Das tun wir aber auch nicht. Aber unseren Beitrag zur Linderung der Flüchtlingsnot müssen wir leisten. ({2}) Daran kommen wir nicht vorbei. Bei einer weltweiten Flüchtlingszahl von über 15 Millionen wird die Bundesrepublik Deutschland mit rund 61 Millionen Einwohnern doch wohl mit 800 000 Menschen human umgehen können, ({3}) und nur so viele sind es nämlich - Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber, De-facto-Flüchtlinge nebst Angehörigen und Kindern, die bei uns Aufnahme gefunden haben. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, in der Aussiedlerpolitik müssen wir daran festhalten, daß die Neuankömmlinge nicht besser behandelt werden als andere, die hier schon länger leben oder gar aufgewachsen sind. ({4}) Wer Wohnungsbauprogramme nur zugunsten von Aussiedlern durchsetzt, braucht sich nicht zu wundern, ({5}) wenn andere mit älteren Ansprüchen dagegen aufbegehren. ({6}) Aus dem gleichen Grund können wir nicht hinnehmen, daß die Neuankommenden bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugt werden. Das ist ungerecht gegenüber denjenigen, die noch länger darauf warten und bringt die Menschen gegeneinander auf. Mit um so größerem Nachdruck bestehen wir auf Sprachförderung für diejenigen, die sich bei der deutschen Sprache noch schwertun. Hilfen, öffentliche Hilfen, bei notwendigen Nachbesserungen bei der beruflichen Qualifikation sind allemal sinnvoll. Davonlaufen vor den Schwierigkeiten hilft keinem. Solange die für die Aussiedler rechtlich abgesicherten Entscheidungen aus der Nachkriegszeit stehen, müssen sie auch eingelöst werden, und zwar als Kriegsfolgelasten, für die der Bund einzustehen hat. Wenn die Bundesrepublik sich zur Aufnahme von Aussiedlern im bisherigen oder zu erwartenden Umfang unter den gegebenen Umständen außerstande sieht, dann müssen entweder mehr öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, oder die Zuwanderung zur Bundesrepublik muß so geregelt werden, daß ein Kollaps von Städten und Gemeinden vermieden wird. ({7}) Was die Übersiedler angeht, ist mir folgendes aufgefallen: Da werden Einladungen ausgesprochen, und die Einladungen sollen eingelöst werden in Zeiten, durch die der Regen tropft. Das ist kein gutes Zeichen für eine einladende Bundesrepublik. Ich habe das mit einiger Beklemmung gesehen. ({8}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Schutz der Bürger vor Verbrechen und Verbrechern ist eine zentrale Aufgabe der Innenpolitik und wird es auch bleiben. Dazu wäre manches zu bemerken, beispielsweise, daß die Aufklärungsquote von Verbrechen auch unter dem Bundesminister Zimmermann von Jahr zu Jahr gesunken ist, aber auch, daß trotz gegenteiliger Beschwörungen die kriminelle Wucht des Terrorismus eher schwächer geworden ist. Nach meiner Einschätzung geht die derzeit konkreteste kriminelle Gefahr für Völker und Staaten wie für viele einzelne von den Drogen aus. Dabei macht der Mord an dem kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten Galan nur durch besondere Publizität und vor aller Welt deutlich, was seit einigen Jahren in einigen Staaten der Welt unleugbare Tatsache ist: Die NarkoMafia ist ganz offen auf dem Weg, staatliche Macht zu zerstören. Mit Erleichterung haben wir Sozialdemokraten registriert, daß auch die nachhaltigsten Verfechter staatlichen Strafens einzusehen beginnen, daß mit Strafen und Gefängnis allein das Thema nur höchst partiell, wahrscheinlich nur peripher erfaßt werden kann. Die Probleme beginnen in jenen Gegenden der Welt, bei denen Rauschgiftpflanzenanbau oft auch heute noch die einzige Möglichkeit zum täglichen Überleben ist, und endet beim Abhängigen und bei Therapeuten, die so häufig ohne Erfolge bleiben. Dazwischen gibt es Rauschgiftkartelle und NarkoMilliarden, die häufig in den Banken und Steuerparadiesen der westlichen Welt Zinsen und Zinseszins bringen. Dabei sind wir ausdrücklich eingeschlossen. Es gibt korrupte und nur auf dem Papier befindliche Behörden und Regierungskreise, die Anbau und Handel ermöglichen oder zumindest doch erleichtern. Es gibt schwächliche Reaktionen von Abnehmerländern, die eher Verruf begründen, als die notwendige Achtung des Drogenkonsums erzwingen können. Kann etwa der Kampf der USA gegen Drogen erfolgreich sein, wenn die Vereinigten Staaten zugleich enge politische Kontakte mit dem früheren Präsidenten Noriega aus Panama unterhalten, der wegen Drogenkriminalität auf den Fahndungslisten amerikanischer Strafverfolgungsbehörden verzeichnet ist? Wie kann ein solcher Kampf erfolgreich sein, wenn Millionen US-Amerikaner nichts dabei finden, gelegentlich, aber auch häufig Rauschgift zu konsumieren? Um nicht mißverstanden zu werden: Es besteht überhaupt keine Veranlassung, mit dem Finger auf die USA zu zeigen. Es ist auch unser Thema. Und wenn nicht alles trügt, wird diese Welle auch Europa erreichen. Das Warenangebot wird ständig größer, und die südamerikanischen Drogenbosse haben die iberische Halbinsel als Einfallstor für EG-Europa entdeckt und geöffnet. Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, daß der Wegfall von Grenzkontrollen auf dem EG-Gebiet zusätzliche Verlockung für Drogenkriminelle ist, wenn auch die praktische Bedeutung für die Polizei weitgehend überschätzt wird. Je eingehender man sich mit dem Thema beschäftigt, desto nachhaltiger wächst die Einsicht, daß es d i e Lösung einfach nicht gibt. Auch wenn die Anbauländer - besonders Asiens, aber auch Südamerikas - auf den Rauschgiftpflanzenanbau völlig verzichteten, zeichnen sich heute schon chemische Ersatzlösungen ab, die bei uns, im eigenen Land also, produziert werden können. Noch so drakonische Strafen haben die Drogenpest nicht eindämmen können, wie das Beispiel Malaysia und anderer Staaten zeigt. Wir aus den Konsumentenländern müssen aufhören, die Anbauländer allein verantwortlich zu machen, ({9}) auch weil der Blick dafür verstellt wird, daß es ohne Konsumenten keinen Anbau gäbe. ({10}) Wir müssen einsehen, daß die Drogenfrage auch von den Abnehmerländern selbst gesteuert werden kann und muß, weil e i n Schlüssel zur Lösung des Problems bei den Konsumenten liegt. Weil es den großen Wurf nicht gibt und vielleicht auch nicht geben kann, müssen wir viele Einzelmaßnahmen zum einheitlichen Ganzen bündeln. Das bedeutet für uns Sozialdemokraten: Wir stehen zu den Bemühungen, in den Anbauländern den Anbau von Drogenpflanzen durch andere landwirtschaftliche Erzeugnisse zu ersetzen, so gering der Erfolg derzeit auch sein mag. ({11}) - Ich habe das eingegrenzt. Die Möglichkeiten sind, wie wir beide, Herr Hirsch, wissen, sehr begrenzt. Wir wollen eine Kontrolle der chemischen Industrie, damit wir uns nicht selbst ans Messer liefern. ({12}) Wir treten für eine größere Transparenz der internationalen Geldströme ein, auch um die Narko-Gelder besser abschöpfen zu können. ({13}) Wir unterstützen bessere Prophylaxe und effektivere Therapie, auch wenn damit mehr Staatsferne verbunden sein sollte, ja verbunden sein muß. Wir unterstützen die Initiative von Rauschgiftverbindungsbeamten des Bundesministeriums des Innern und fordern den Außenminister nachhaltig und zum wiederholten Male auf, lächerlich anmutende Widerstände besonders nachgeordneter Stellen seines Amtes dagegen abzubauen - und die gibt es. Wir sind für mehr internationale Zusammenarbeit bei der Rauschgiftbekämpfung. Wir stehen für empfindliche Bestrafung gerade der Händler, die nicht zugleich abhängig sind. Aber, meine Damen und Herren, wir können ebensowenig an der Tatsache vorbeisehen, daß die Beschaffungskriminalität immer dramatischer und auch schwerer wird, daß das Abdrängen der Abhängigen in die Illegalität Prostitution und AIDS fördert. Deshalb ist es völlig unangemessen, den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Henning Voscherau, mit einem Wust von Vorwürfen zu überziehen, der das immer drängender werdende Problem der Beschaffungsstraftaten zu lösen versucht. ({14}) Natürlich gibt es Probleme, selbst bei einer nur teilweisen Freigabe, beispielsweise bei der Werbung, beispielsweise bei der Ansprache von Jugendlichen und Kindern. Aber wollen die Kritiker nicht zur Kenntnis nehmen, daß das Einstiegsalter für harte Drogen in den USA inzwischen bei 11,5 Jahren liegt - und das in einem Land mit einem so dichtgeknüpften Netz strafrechtlicher Verbote? Ist es denn so abwegig, beim Drogenthema auch an die Erfahrungen der Prohibition der 30er Jahre zu erinnern? ({15}) So sicher es ist, daß wir wie andere Länder auch mit dem Drogenproblem werden umgehen lernen müssen, so wenig helfen Tabus und Festhalten an brüchig gewordenen Überzeugungen. ({16}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es wird darüber gesprochen - und einiges spricht ja auch dafür - , daß Sie, Herr Minister, für die Restzeit der Legislaturperiode nur noch die Möglichkeit sähen, in der Ausländer-, Aussiedler- und Asylpolitik nach Ihren Vorstellungen voranzukommen. Träfe das zu, blieben wichtige Datenschutzfelder unbearbeitet - und das sechs Jahre nach jener wegweisenden Entscheidung des Verfassungsgerichts und einer mehr und mehr einhellig werdenden Meinung zum Ende des sogenannten Übergangsbonus. Darf es denn daDr. Penner bei bleiben, Herr Minister, daß die Verfechter des Datenschutzes und die Befürworter der Belange der inneren Sicherheit zumindest den Eindruck verstärken, die Beachtung des einen schlösse die Erfüllung des anderen aus? Ich habe Sorge, daß diese Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden, die auf sichere Rechtsgrundlagen angewiesen ist. So geht es jedenfalls nicht weiter. Die politische Verantwortung, Herr Minister, fordert dabei von Ihnen auch Handeln und nicht Vertagen. Unsere Vorschläge sind klar: ({17}) Erstens. Wir bestehen darauf, daß die Erhebung von Daten als erste Phase der Datenverarbeitung in das Datenschutzrecht einbezogen wird. Zweitens. Wir bestehen darauf, daß die Akten im Datenschutz nicht rechtsfrei bleiben. Drittens. Die Betroffenen müssen bessere Mitwirkungsrechte bei Auskunftssperren und beim Löschen von eigenen Daten erhalten. ({18}) Viertens. Die Datenschutzkontrolle muß verbessert werden, und das nicht nur für die Datenschutzbeauftragten, sondern auch und gerade für die Arbeitnehmer in den Betrieben. Und schließlich: Soweit es den Sicherheitsbereich angeht, muß es bei der strikten Trennung von Diensten und Polizei bleiben. Diese Trennung darf nicht durch schrankenlose, wechselseitige Mitteilungsmöglichkeiten unterlaufen werden. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, höchst entbehrlich ist hingegen die von Herrn Bundesminister Schäuble wieder aufgenommene Debatte um den Todesschuß oder - euphemistisch gesprochen - den sogenannten finalen Rettungsschuß. ({19}) Alle Argumente sind ausgetragen. Spätestens seit dem Fall des Münchener Geiselgansters Rammelmayr ist erwiesen, daß der Schuß, der den Verbrecher tötet, zugleich auch das Todesurteil für die Geisel bedeuten kann. Rechtlich trägt der Streit Züge von Prinzipienreiterei. Mich kümmert an der Frage, daß der schießende Polizeibeamte als letztes Glied der Verantwortungskette rechtlich allein bleiben könnte. Wenn man es aber genau besieht, ist auch dieses Argument nur dem Anschein nach wichtig. Selbst die Länder, die den Todesschuß ablehnen, lassen den Schützen über eine Vielzahl von Vorschriften zur Anwendung von Schußwaffen rechtlich nicht allein. Die individuelle Verantwortung für den Schuß und seine möglichen Folgen kann dem Schützen keiner abnehmen - weder durch ein Gesetz noch durch anderes Recht. Durch Ihren Vorstoß, Herr Minister, wird sich die Diskussion um ein einheitliches Polizeirecht weiter verhaken, das ja bisher im wesentlichen an unterschiedlichen Auffassungen über Waffen und Waffengebrauch gescheitert ist. Lohnt es deshalb, Herr Minister, sich für Regelungen stark zu machen, die Sie ohnehin nur für den Bund schaffen können und die damit nur geringe Bedeutung für die polizeiliche Praxis erhalten können? Der Kollege Hirsch wird für eine Möglichkeit der Profilierung gewiß nicht undankbar sein, und er hat davon ja auch schon Gebrauch gemacht, weniger übrigens die FDP. ({20}) Der Sache ist Ihre Initiative, Herr Minister, nicht dienlich. Und noch ein Punkt, der Sorge bereiten muß: Ist Ihnen, Herr Minister Schäuble, bewußt, daß der Rückzug der Industrie aus Wackersdorf auch tagelange, wochenlange, ja Monate dauernde polizeiliche Einsätze für sinnlos erklärt hat? Da geht es, staatspolitisch gesehen, um die Nutzbarkeit staatlicher Macht nach dem Belieben einzelner, wirtschaftlich Mächtiger. Die konkreten politischen Auswirkungen sind noch bedrückender: Hunderten, ja Tausenden meist junger Polizeibeamter sind die Augen geöffnet worden, daß lange Wochenendeinsätze, Spannungen und Ängste sinnlos und zwecklos waren, weil von dritter Seite das Steuer herumgeworfen wurde. ({21}) Wenn Wackersdorf eines auch die für die Belange der polizeipolitisch Verantwortlichen gelehrt haben sollte, dann dies: Der polizeiliche Einsatz zur Durchsetzung politischer Entscheidungen kann nur Ultima ratio sein und darf auf keinen Fall in einer Werkzeug-Rolle enden, die von Dritten gesteuert und betrieben wird. ({22}) Gerade weil Polizei und innere Sicherheit im demokratischen Staat besonders wichtig sind, darf deren Tätigkeit und Verantwortung nicht zur Karikatur privater Interessen verkommen. ({23}) Es kann und darf nicht verschwiegen werden, daß besonders die Bundesländer, die mehr als der Bund und auch als die Gemeinden Personalkosten zu tragen haben, zunehmend Finanzierungsschwierigkeiten auch deswegen bekommen. Ich finde es deshalb eher vernebelnd, wenn bei Interessenverbänden und Organisationen dieser heikle Punkt immer wieder umgangen wird - übrigens auch dadurch, daß die Finanzminister häufig als Sündenböcke herhalten müssen. Was wir brauchen, ist eine politisch tragfähige Personalplanung für die nächsten Jahre. Wenn es zutreffend ist, daß an Personalabbau nicht zu denken ist - ich nenne beispielsweise Aufgabenzuwachs bei der Polizei, beispielsweise Aufgabenzuwachs bei den Finanzbehörden, beispielsweise Aufgabenzuwachs im Umweltschutz oder auch zunehmende Bedeutung der pflegerischen Tätigkeit -, dann muß auch offen gesagt werden, daß dieser Aufgabenzuwachs Geld kostet und sich deshalb das privat verfügbare Einkommen um die Kosten für diesen Mehrbedarf mindern könnte. Andererseits muß auch deutlich gemacht werden, daß die Einkommen im öffentlichen Dienst nicht so mager ausfallen, wie das von interessierter Seite manchmal dargestellt wird, wobei Engpässe der Bezieher unterer Einkommen gar nicht verschwiegen werden sollen. Es war jedenfalls unvermeidlich, aber auch gerecht, die Sanierung der Altersversorgung nicht auf die Renten zu begrenzen, sondern auch die Beamten- und Soldatenversorgung einzubeziehen. ({24}) Nicht zuletzt im Hinblick auf die immer perfektere Verzahnung der Bundesrepublik mit EG-Europa, aber auch wegen der sich immer rascher verändernden Aufgaben des öffentlichen Dienstes müssen wir verstärkt zu einer Flexibilisierung kommen. Dem steht ein eingeschliffenes Laufbahn- und Dienstpostendenken im Wege. Ich weiß, Herr Minister, daß das ein steiniger Weg ist. Aber wir kommen nicht mehr weiter, wenn wir uns wie bisher darauf beschränken, von Zeit zu Zeit Gehaltsverbesserungen zu beschließen, ohne daß damit die Strukturfrage angepackt wird. ({25}) In diesem Jahr ist schon intensiv auf 40 Jahre Grundgesetz Rückschau gehalten worden, und das Jahr ist noch nicht zu Ende. Bei der Haushaltsberatung über den Etat des Verfassungsministers sind wohl auch dazu einige Bemerkungen angebracht. Bei aller Genugtuung darüber, daß die Grundentscheidungen der Bonner Verfassung gegriffen und sich die Institutionen als überaus stabil erwiesen haben, muß der Blick auch für sich abzeichnende Fehlentwicklungen offenbleiben. Die Machtbalance zwischen Legislative und Exekutive, zwischen Parlament und Regierung stimmt nicht mehr. Das Parlamentarische darf nicht weiter geschwächt werden. Plebiszite und plebiszitähnliche Möglichkeiten gehen eindeutig zu Lasten des Parlaments und bewirken nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren ({26}) zusätzliches Gewicht, zusätzliche Macht der Verwaltungen. ({27}) Mehr Rechte des Parlaments und nicht weniger sind vonnöten. ({28}) Warum soll beispielsweise bei der Besetzung wichtiger Staatsämter - ({29}) - Frau Vollmer, ich weiß ja, daß Sie in dieser Frage anderer Auffassung sind. Aber vielleicht denken Sie auch einmal nach. ({30}) Warum soll beispielsweise bei der Besetzung wichtiger Staatsämter das Parlament nicht ein Mitspracherecht haben, wie es in den USA seit langem gang und gäbe ist? Ist es denn so falsch, Botschafter durch den Auswärtigen Ausschuß oder den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, durch den Innenausschuß bestätigen zu lassen? ({31}) Nach meiner Einschätzung kann es auch nur im wohlverstandenen Interesse des gesamten Parlaments liegen, seine Enqueterechte zu stärken und sich nicht auf die immer kläglicher werdende Rolle des Regierungsverteidigers einerseits oder des Regierungsbekämpfers andererseits bei aktuellen Untersuchungsausschüssen festlegen zu lassen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Penner, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, ich räume Ihnen ja ein, daß man durchaus über die Fage reden kann, ob das Parlament in größerem Umfang bei der Besetzung von Positionen beteiligt werden sollte. Würden Sie uns dann aber bitte verraten, warum es kein einziges Bundesland gibt, auch keines, in dem die SPD die absolute Mehrheit hat, das mit einer solchen Praxis begänne?

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirsch, Sie wissen ja, daß diese Frage bei uns derzeit diskutiert wird. ({0}) - Sie wird offen diskutiert, und das ist auch gut so. Ich bin der Meinung, die ich vorgetragen habe. Solange ich nicht vom Gegenteil überzeugt werde - und die Argumente müssen dann schon sehr stichhaltig sein - , bleibe ich dabei. Bei aller Bedeutung der Parteien für die Funktionstüchtigkeit des demokratischen Staates tut das Parlament mit seinen gewählten Parteivertretern gut daran, verstärkt deutlich zu machen, daß die Parteien wohl an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, wie das Grundgesetz es vorsieht, jedoch dafür allein nicht zuständig sind. So unabweisbar der Kampf um Einfluß auch zum Wesen der demokratischen Auseinandersetzung gehört: Etwas mehr Genierlichkeit wäre gewiß nicht fehl am Platze. Da wir gerade bei Problemen der Parteien sind: So neu sind Fragen, Sorgen und auch Streit beim Aufkommen neuer politischer Gruppierungen nebst ihren Inhalten nicht, wie man aus Diskussionen in jüngster Zeit manchmal entnehmen könnte. Die Fünf-Prozent-Klausel ist ja in den 50er Jahren nicht ohne Grund durchgesetzt worden. Protestpotential, Sehnsüchte nach rückwärts und Überspanntheiten in andere Richtungen hat es auch in der Frühzeit der Republik gegeben. Die Bindungskraft der großen Parteien war damals vielleicht stärker, und den Rest erledigte dann die Sperrklausel. Heutzutage scheint sie kein unüberwindliches Hindernis mehr zu sein, bedauerlicherweise auch für solche Parteien, die Warn- und Mahnschilder der VerDr. Penner gangenheit als Orientierungspunkte für die Zukunft propagieren. Über die Ursachen dieser Entwicklung ist viel beraten, besprochen und noch mehr gerätselt worden. Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß derlei Auswüchse am wirkungsvollsten zu steuern sind, wenn man die eigenen politischen Möglichkeiten nutzt. Gewiß zählen dazu die Aufarbeitung nicht zu leugnender sozialer Fragen, der Umgang mit Ausländern, Aussiedlern und Asylbewerbern und in gewissem Maße auch die nationale Frage. Noch wichtiger ist, glaube ich, daß wir darauf verzichten, Scheinauseinandersetzungen mit großem Feldgeschrei zu führen, und dabei den eigentlichen Streitstoff vernebeln oder aus dem Auge verlieren. Die politische Auseinandersetzung muß in einer Form geführt werden, die anspricht und nicht etwa abstößt. Nach meiner Meinung ist es auch völlig unangemessen, in der politischen Auseinandersetzung mit Randparteien gleich den Verfassungsschutz zu bemühen. Verbote und administrative Maßnahmen dürfen tatsächlich nur das allerletzte Mittel sein. Den notwendigen politischen Kampf können diese Institutionen ohnehin nicht führen oder bestehen. Der Wettkampf kann nur bestanden werden, wenn die demokratisch bewährten Parteien - jede auf ihre Art - programmatisch wie personell so beschaffen sind, daß sie Menschen überzeugen können. ({1}) Es hat vielleicht seine Bewandtnis, daß während der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt die Gelüste nach einem unschlagbar starken Staat trotz des damals virulenten Terrorismus in Schranken gehalten werden konnten. Gerade deswegen müßte sich der jetzige Amtsinhaber Helmut Kohl fragen, ob die Formierung der äußersten Rechten auch mit dem sich stetig verdichtenden Eindruck der Führungs- und Orientierungslosigkeit der Bundesregierung zusammenhängt. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben noch viel zu tun, und wir erwarten von dem Bundesinnenminister, daß er sich weiter ans Werk macht. Er hat einiges getan, und ich neige zu der Auffassung, daß er in seinen Bemühungen nicht nachlassen wird. Wir werden nicht immer einer Meinung sein, vielleicht wird uns vieles sogar trennen. Aber eines ist sicher: Wir werden uns bemühen, mit unseren Beiträgen, die wir geschildert haben, zu überzeugen. Was Sie, Herr Minister, angeht, so sollten Sie den Kontakt, den Dialog mit dem Fachausschuß und dem Parlament nicht abreißen lassen, sondern den Kontakt eher verdichten. ({2}) Es wäre Ihr Beitrag, die Gewichte zwischen Regierung und Parlament wieder auszubalancieren. Schönen Dank für die Geduld. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({0}).

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Penner hat, wie gewohnt, lang, langatmig und langweilig gesprochen ({0}) und einen Bauchladen voller durchaus wichtiger Probleme präsentiert, diese Probleme jedoch nur angerissen. Er hat Frontstellungen beschrieben, die meines Erachtens falsch sind. Das Entscheidende ist aber - hier sind wir in unseren Erwartungen an die Opposition etwas anspruchsvoller - : Lösungen hat er im wesentlichen nicht dargetan. ({1}) Herr Kollege Penner, um gleich ein Beispiel zu nennen: Wir sind uns ja einig, daß die Zunahme der organisierten Kriminalität im Bereich des Rauschgifthandels ein Riesenproblem darstellt. Aber ich frage Sie: Was soll in einer Bundestagsdebatte die Klage, man solle nicht den Produzenten-, Herstellerländern die ganze Schuld zuschieben? Das tut doch niemand in diesem Land. Nennen Sie mir einen Politiker, der Kolumbien die Schuld für die Probleme, die wir hier mit dem Rauschgift haben, zurechnen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die CDU/CSU hat wiederholt gefordert, die Europäische Gemeinschaft möge ein Substitutionsprogramm auflegen und diesem armen Land helfen, damit die armen Bauern nicht gezwungen sind, Koka anzubauen, sondern Kakao und andere Produkte anbauen können. Das ist doch unsere Politik. ({2}) Kommen Sie hier doch bitte nicht mit falschen Frontstellungen. Man kann von der Opposition schon erwarten, daß sie bei einem so wichtigen Thema wie der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität einmal Stellung zu Vorschlägen nimmt, die von der CDU/CSU und der FDP auf den Tisch des Hauses gelegt worden sind. Bitte sagen Sie doch einmal, was Sie machen wollen. Bitte nehmen Sie dazu Stellung, ob Sie z. B. bereit sind, unsere Forderung zu unterstützen, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit verdeckt ermittelnde Beamte in die Lage gesetzt werden, in die Unterwelt vorzustoßen und die großen Gangster dingfest zu machen und sie ihrer Strafe zuzuführen. Bitte sagen Sie doch, ob Sie bereit sind, mit uns gemeinsam eine bessere Möglichkeit zu schaffen, die Vermögensgewinne der Drogenbosse abzuschöpfen, damit diese ihre Geschäfte nicht weiter betreiben können. Oder sagen Sie, ob Sie bereit sind, mit uns gemeinsam einen neuen Straftatbestand zu schaffen, mit dem die Geldwäsche bestraft wird. - Sie bleiben auf diese Fragen Antworten schuldig; Sie beklagen; Sie malen ein allgemeines Zerrbild, ohne letzten Endes Lösungen darzutun. ({3}) Meine Damen, meine Herren, dasselbe spielt sich in der Ausländerpolitik ab. ({4}) Gerster ({5}) Natürlich - das hat die CDU/CSU immer klargemacht - werden wir im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft an der Freizügigkeit festhalten. Wir sind insoweit ein offenes Land. Natürlich können auch in Zukunft politisch Verfolgte zu uns kommen. Natürlich wollen wir ein gutes Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern in diesem Land, wobei klar ist, daß jeder Ausländer hier nach seinen eigenen kulturellen und religiösen Vorstellungen leben kann. Die Frage ist nur, was wir tun angesichts des Drucks, der auf Grund der wirtschaftlich unterschiedlichen Stärke der einzelnen Regionen in Europa durch die Einwanderung bei uns entsteht, d. h. was wir tun, wenn die Zahl der Ausländer zunimmt, ob es nicht richtig ist, diesen Ausländern auf Dauer die Möglichkeit der Einbürgerung zu bieten, damit sie gleiche Rechte haben, gleiche Verantwortlichkeiten wahrnehmen und als Partner mit uns leben. ({6}) Wir haben doch heute das Problem, Herr Kollege Penner, daß Ausländer und Deutsche nicht miteinander, sondern allzusehr nebeneinander leben. Ein wirkliches Miteinanderleben setzt voraus, daß sich die Ausländer auf Dauer voll zu dieser Gemeinschaft bekennen, zumindest die Ausländer der zweiten und der dritten Generation, und dementsprechend Deutsche werden. ({7}) Wer dies mit Begriffen wie „Assimilation" oder „Zwangsgermanisierung" - das haben nicht Sie gesagt, das sagen die GRÜNEN - diffamiert, der übersieht, daß wir in einer Welt leben, in der die Länder zwar immer enger aneinanderrücken, in der aber doch ganz offensichtlich die Sehnsucht der Menschen, in einer kulturellen Identität zu leben, zunimmt. Sie können doch die Augen nicht davor verschließen, daß wir in einer Welt leben, die zwar immer kleiner wird, in der aber - ob nun in sogenannten Vielvölkerstaaten unter totalitären Vorzeichen oder aber auch in Demokratien wie Irland und Spanien - die Sehnsucht der Menschen, ihr Bedürfnis, sich in einer kulturellen Identität geborgen zu fühlen, zunimmt. ({8}) Weil dies so ist, ist der Weg richtig, Ausländern, die lange hier leben und die auf Dauer hierbleiben wollen, eine faire Chance zu bieten, Deutsche zu werden. Das hat nichts mit Assimilierung oder mit Zwangsgermanisierung zu tun, sondern ist die natürlichste Sache der Welt. ({9}) Meine Damen, meine Herren, des weiteren hat Herr Penner hier die Behandlung der Asylbewerber beklagt. - Ich sage noch einmal: Politisch Verfolgte genießen bei uns Asyl. Daran wird nichts geändert. Das Problem ist aber ein ganz anderes. Das Problem ist, daß die Asylbewerber, die zu uns kommen und die einen ausgezeichneten rechtsstaatlichen Schutz genießen, und zwar durch alle Verwaltungsbehörden bis hin zum Bundesverwaltungsgericht, ihren Anspruch, als politisch Verfolgte anerkannt zu werden, durchklagen können, daß aber eben 94 % der Asylbewerber mit diesen Klagen nicht zum Erfolg kommen. ({10}) Da muß man doch ganz offen und nüchtern feststellen, daß jeder Deutsche, der einen Verwaltungsgerichtsprozeß führt und verliert, die Konsequenzen tragen muß, daß aber bei Ausländern, die als Asylbewerber hierherkommen und nicht als politisch Verfolgte anerkannt werden, die Konsequenz ausbleibt. ({11}) Herr Penner, statt hier Krokodilstränen zu weinen, sollten Sie sich mit Ihren Koalitionsfreunden in Berlin - in Berlin sind sie schon soweit - und mit Ihrem Sehnsuchts- und Wunschkoalitionspartner für Bonn, nämlich mit den GRÜNEN, auseinandersetzen, die ja in Berlin das Asylverfahren im Prinzip abschaffen und die Tore öffnen wollen. Meine Damen, meine Herren, mit dieser Politik, mit der Sie den Eindruck erwecken, daß jeder Ausländer der Welt zu uns kommen kann, verstärken Sie die Ausländerfeindlichkeit und den Fremdenhaß und bereiten Rechtsradikalen den Boden - Sie von der SPD und Sie von den GRÜNEN. ({12}) Meine Damen, meine Herren, es ist doch ein Bild des Jammers: Während der rot-grüne Berliner Senat auf der einen Seite die Tore für Ausländer aufmacht, unternimmt ausgerechnet derselbe Berliner Senat alle Anstrengungen, um die deutschen Aussiedler und Übersiedler den anderen Bundesländern zuzulasten. ({13}) Hier hat doch der rot-grüne Senat gegen Deutsche entschieden und für ein praktisch unkontrolliertes Zugangsrecht von Ausländern in Berlin. ({14}) Meine Damen und Herren, da kommt die ganze Zerrissenheit der SPD in der Frage deutscher Flüchtlinge aus der DDR zutage. Es ist wirklich schon bedrückend, in diesen Tagen erleben zu müssen, wie Deutsche aus absoluter Hoffnungslosigkeit, nämlich jemals in der DDR menschenwürdig leben zu können, hierherkommen, um hier in Freiheit statt in Unfreiheit leben zu können, Menschen, denen das Selbstbestimmungsrecht verweigert wird, die ihr Selbstbestimmungsrecht deshalb mit den Füßen ausüben. Uns sind diese Menschen willkommen. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Aber, meine Damen und Herren, wäre es nach der SPD gegangen, wären diese Deutschen aus der DDR längst durch eine eigene DDR-Staatsbürgerschaft ausgegrenzt und ausgebürgert worden. ({15}) Es kämen Ausländer zu uns, wenn es nach Ihnen ginge. Meine Damen, meine Herren, der entscheidende Punkt ist doch, daß sich die SPD und zahlreiche SPD-Politiker - ob es Beschlüsse gibt, weiß ich nicht - in Gerster ({16}) der Vergangenheit sehr offen für diese DDR-Staatsbürgerschaft ausgesprochen haben. ({17}) Ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen - das ist der Unterschied zu uns -, daß sich damals diese Sprecher der SPD, namhafte Leute, für die Wünsche des Herrn Honecker entschieden haben, während wir uns für die Wünsche der Bürger in der DDR entschieden haben, nämlich Deutsche bleiben zu wollen. ({18}) - Herr Vogel, wenn Sie sagen „Dummes Zeug" : Der Geschäftsführende Ausschuß der AL Berlin, Ihres Koalitionspartners, hat nach einem Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 26. August 1989 wörtlich zum Ausdruck gebracht: ({19}) DDR-Bürger sollten nach ihrer Ausreise in die Bundesrepublik wie Ausländer behandelt werden. ({20}) Das ist Ihr Koalitionspartner, für den Sie sich entscheiden. Was sagen Sie, Herr Vogel, zu diesem Koalitionspartner, zu dieser Aussage? ({21}) Und damit das klar ist: Es sind doch auch Parteifreunde von Ihnen auf derselben Linie. So beklagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sielaff im „SPD-Pressedienst" vom 30. August 1989 im Zusammenhang mit den Bürgern, die aus der DDR weggehen, weil sie nicht mehr dort leben können: „Weglaufen ist kein verantwortliches Handeln" . ({22}) Ich frage mich: Welche Überheblichkeit muß ein Bundestagsabgeordneter haben, wenn er angesichts der Not dieser Menschen, die alles aufgeben, um in Freiheit leben zu können, ihnen hier aus dem sicheren Stand einer freiheitlichen Demokratie sagt: „Weglaufen ist kein verantwortliches Handeln"? ({23}) Ich erwarte, Herr Vogel, daß Sie Ihren Parteifreund Sielaff zurückpfeifen. Das kann so nicht stehenbleiben. ({24}) - Ja, Sie wollen das nicht hören. ({25}) Unter dem Hinweis darauf, daß die DDR nicht ausbluten dürfe, fordert der Berliner SPD-Abgeordnete Körting, daß die Übersiedlung gesetzlich und faktisch erschwert werden müsse. Meine Damen, meine Herren, hier sollen Menschenrechte Deutscher, nämlich das Menschenrecht der Freizügigkeit, beschnitten werden. Sie sollten hier Ihre Position zu Übersiedlern aus der DDR klären. Meine Damen, meine Herren, dieselben Probleme, dieselben Unklarheiten, Ungereimtheiten - Herr Penner, dazu hätten Sie Stellung nehmen sollen - gibt es doch auch hinsichtlich der Behandlung, der Beurteilung der deutschen Aussiedler, die aus Ost- und Südosteuropa kommen. ({26}) Unsere Position ist ganz klar: Vorrang hat das Ziel, für die Deutschen in den Staaten Ost- und Südosteuropas die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Wir werben niemand ab, und wir werben auch niemand an. Herr Penner, wir laden auch niemand ein. Der Unterschied ist: Wer es dort nicht aushalten kann, ist uns aus politischen und moralischen Gründen willkommen. ({27}) Und was sagen Sozialdemokraten? Herr Lafontaine hat von Deutschtümelei gesprochen. Das ist hier wiederholt zitiert worden. Es gibt noch eine Reihe von Erklärungen. Ich darf Ihren Herrn Sielaff, der sich bei einem Verband für Aussiedler gezeigt hat, zitieren. In „Neues Leben" vom 17. September 1986 sagt dieser merkwürdige Herr: Wir fühlen uns zu der Feststellung berechtigt, daß die Deutschen in der UdSSR mehr Möglichkeiten haben, als sie in der BRD haben würden. In der gleichen Zeitung schreibt er, ebenfalls am 17. September 1986: Die Verhältnisse, in denen die Sowjet-Deutschen leben, entsprechen voll und ganz meinen Vorstellungen von der Heimat. Der SPD-Landesvorsitzende Schröder schrieb vor wenigen Tagen, am 30. August 1989, in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" : ({28}) Wegen des Wohnungsmangels und der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt sei es erforderlich, die Aufnahme der Aussiedler auf zehn bis fünfzehn Jahre zu strecken. Das sagt ein SPD-Landesvorsitzender in diesen Tagen. ({29}) Gerster ({30}) Nein, Herr Penner, die Probleme liegen ganz woanders. Ich sage Ihnen, Herr Vogel, wo die Probleme liegen. Die Probleme liegen darin, ({31}) daß Sie und andere hier Lippenbekenntnisse für die deutschen Übersiedler aus der DDR und für die deutschen Aussiedler abgeben ({32}) - der Finger steht Ihnen besser zu; da haben Sie recht, Herr Lehrer ({33}) und daß Ihre Parteifreunde draußen vor Ort in Wohnungsämtern und anderen Behörden die Menschen aufhetzen, indem sie sagen: Ihr hättet längst eine Wohnung bekommen, wenn der Kohl nicht die Aussiedler und Übersiedler herholen würde. ({34}) Sie betreiben mit Ihren Leuten eine ganz üble Demagogie ({35}) und spielen wie in Berlin deutsche Aussiedler und Übersiedler gegen Ausländer aus. Hören Sie mit diesem Spiel auf! ({36}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Wer dem Kollegen Penner zu früher Morgenstunde zugehört hat, hat bemerkt, daß er ein Zerrbild fürchterlicher innerpolitischer Verhältnisse dargelegt hat. ({37}) Meine Damen, meine Herren, im letzten Jahr kamen 340 000 Menschen in dieses Land, Deutsche und Ausländer. In diesem Jahr werden es über eine halbe Million sein: deutsche Übersiedler aus der DDR, deutsche Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa, Asylbewerber aus fast aller Herren Länder. ({38}) Diese Menschen entscheiden sich für die Bundesrepublik Deutschland, weil sie wissen, daß dieser Staat ein Staat mit größtmöglichen persönlichen Freiheiten ist, ein Staat mit größtmöglichem Wohlstand - im Vergleich zu allen anderen Staaten - , und zwar für den kleinen Mann, und mit größtmöglichen Perspektiven für den einzelnen, auch für den kleinen Mann. Diese Leute wissen genau, daß sie in diesem Land besser leben als in fast allen anderen Ländern der Welt. Mit diesen Menschen, die voller Hoffnungen, voller Erwartungen, aber auch voller Energie zu uns kommen, um ihr Leben zu gestalten, wird die Koalition der Mitte - da können Sie sicher sein - die Probleme der Gegenwart für die Zukunft anpacken. ({39}) Herr Penner, Sie haben sich von dieser Lösung verabschiedet, indem sie nur gemäkelt, aber keinerlei Alternativen gezeigt haben. Ich bedanke ich für Ihre Aufmerksamkeit. ({40})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Trenz.

Erika Trenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002342, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Berlin werden zur Zeit leerstehende Wohnungen beschlagnahmt, um Übersiedler und Aussiedler unterzubringen. Es ist gut, daß sich der Senat zu dieser Maßnahme entschieden hat; sie war überfällig. Denn schließlich herrscht nicht erst seit dem vergangenen Wochenende Wohnungsnot in Berlin. In Bayern sind Zeltstädte errichtet worden. Jetzt wird an Turnhallen, Schulen und Kasernen gedacht. Was mit jeder neuerlichen Schlagzeile, jeder weiteren Nachricht aufällt: Diese Regierung agiert nicht, sie sitzt aus und reagiert nur. Jahrzehntelang wurden Aus- und Übersiedler in die Bundesrepublik eingeladen. Man hat sie aufgefordert zu kommen. Jetzt, wo sie kommen, fällt auf: Die Einladung steht auf brüchigem Boden. Es fehlt an Wohnraum, es fehlt an Arbeitsplätzen, und nicht zuletzt fehlt es an der Bereitschaft der einheimischen Bevölkerung, ihre Arme so weit zu öffnen, wie es Kanzler Kohl in seinen Sonntagsreden beschwört. Diese Regierung verwaltet das Chaos einer ungeplanten und unvorbereiteten Einwanderung. ({0}) Was sie zu bieten hat, sind Provisorien: Container statt Häuser, Zelte statt Wohnungen, warme Worte, wo eine konkrete Grundlage für die weitere Lebensplanung gefragt ist. Es findet massenweise Einwanderung statt, aber keine Einwanderungspolitik. ({1}) Die Vergabe der Provisorien findet nach völkischen Kriterien statt. Der Haushaltsplan 1990 veranschaulicht das erneut. Wohl dem, der einen deutschen Paß sein eigen nennt oder zumindest einen deutschen Stammbaum nachweisen kann: Er findet offene Grenzen vor, hat Anspruch auf Sozialleistungen, auf demokratische, politische Teilhabe. Erfahrungen, wie die Angst vor Ausweisung, erzwungene Trennung von der Familie, sozialrechtliche Diskriminierungen, Arbeitsverbot, Kürzung der Sozialhilfe und politische Entrechtung, kennzeichnen dagegen die Situation derjenigen, die als Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt oder als Arbeitsimmigranten und -immigrantinnen in dieses Land gekommen sind. Seit Jahren ist vom „vollem Boot" die Rede, wenn es um Flüchtlinge und Immigranten ausländischer Nationalität geht. Darauf ist die deutsche Bevölkerung von Ihnen, meine Damen und Herren, eingeschworen worden. Jetzt plötzlich suchen Sie nach Nischen und Notsitzen auf diesem Boot. Bis heute drohten hunderttausend Flüchtlinge, die im Jahr aus der „Dritten Welt" hierher kamen, die Bundesrepublik zu „überfluten", drohten, Wohnraum, Arbeitsplätze und Kultur wegzunehmen. Das war und ist die offizielle Propaganda und Gesetzgebung. Jetzt auf einmal soll die Bevölkerung jährlich eine halbe Million Zuwanderer offen und herzlich empfangen, weil sie deutschstämmig sind, obwohl doch auch diese Menschen mit vollem Recht Wohnraum und Arbeitsplätze beanspruchen und den Einheimischen darüber hinaus zum Teil auch kulturell durchaus fremd sind. ({2}) Nicht nur, daß hier schon lange fremdenfeindliche Politik gemacht worden ist, nun werden auch noch die, die kommen, in „gute" und „schlechte" Fremde eingeteilt. ({3}) Auch wenn einige hier in diesem Hause diese Klassifizierung mit Vehemenz betreiben: Die Bevölkerung zieht da nicht mit. Wer jahrzehntelang suggeriert bekam, daß die Fremden für seine Existenzängste verantwortlich sein sollen, der kann sich in dieser Zweidrittelgesellschaft solche Unterscheidungen nicht leisten. Das führt letztendlich dazu, daß Sammellager von Flüchtlingen und die Übergangswohnheime von Aussiedlern und Aussiedlerinnen angezündet werden. Für diese Eskalation, deren Ende nicht abzusehen ist, sind nicht nur die verantwortlich, die mit offenen Ausländer-raus-Parolen auf Stimmenfang gehen. Verantwortung tragen maßgeblich diejenigen, für die Ausländerpolitik von jeher Gefahrenabwehr bedeutete und die durch ständige Verschärfung der Gesetze das Klima in diesem Lande anheizen. ({4}) Auch die stereotype Behauptung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland, trägt mit dazu bei. Weil wir verhindern müssen, daß sich die Verhältnisse weiter zuspitzen, brauchen wir eine vorausplanende und überschaubare Einwanderungspolitik, wobei es keine Rolle spielt, aus welcher Ecke dieser Welt ein Mensch hierher kommt, sondern es einzig und allein darauf ankommt, welche Gründe Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Wir brauchen eine Einwanderungspolitik, die den unterschiedlichen Motiven für Flucht und Arbeitsimmigration oder einfach nur den Wunsch nach einem besseren Leben Rechnung trägt; ({5}) die existentiell bedrohte Menschen uneingeschränkt schützt und Einwanderung sozial und politisch einplant, eine Politik also, die für alle Beteiligten, für die Einheimischen und Zuwanderer gleichermaßen, durchschaubar ist. Einige Stichworte, über die wir zukünftig jährlich im Bundestag diskutieren und entscheiden müßten. Wir gehen davon aus, daß das Asylrecht seine ursprüngliche Intention wiedererhalten muß und daß es erweitert werden muß und daß sogenannte De-factoFlüchtlinge ein Bleiberecht erhalten müssen. Zu dieser Debatte gehört die konsequente Bekämpfung von Fluchtursachen. Schluß mit dem Waffenhandel in Kriegs- und Krisengebieten, Wirtschaftsboykott und Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen sowie eine Entwicklungspolitik, die die autonomen Entscheidungen der betroffenen Länder zuläßt. ({6}) All das wäre ein Beitrag, das weltweite Flüchtlingselend von 15 bis 20 Millionen Menschen etwas abbauen zu helfen. Um die Zuwanderung auch sozial- und haushaltswirksam abzusichern, müssen wir in dieser Debatte zum Beispiel mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen ermitteln, in welchem Umfang soziale Begleitprogramme bereitzustellen sind. Was die Frage angeht, ob neben der Einreise von Flüchtlingen auch Einwanderung stattfinden kann, so stimme ich unserem Kanzler in der Einschätzung zu, daß die Verbesserung der Wohlfahrt und des privaten Wohlstands ein Menschenrecht ist - in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen, darüber müssen wir uns auseinandersetzen, und wir müssen auch für diese Menschen die soziale Absicherung bereitstellen. Das heißt zusammengefaßt: offene Grenzen schaffen für alle, die auf der Flucht vor existentieller Bedrohung sind, und Einwanderungsoptionen schaffen für diejenigen, die sich in der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer materiellen Lage hier niederlassen wollen. Die öffentlich breit zu führende Debatte, die Planung, die soziale Absicherung von Zuwanderern, gleich welcher Nationalität, ist unverzichtbar, um Flüchtlingen und Immigranten ein menschenwürdiges Leben in der Bundesrepublik zu ermöglichen. Sie ist ein wirksameres Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus als alle hehren Appelle aus diesem Hause. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Kompetenzbereich des Innenministers fallen einige Problemfelder, deren tagespolitische Aktualität kaum zu übertreffen ist, deren sozial- und gesellschaftspolitische Dimension eine Herausforderung an dieses Parlament ist und die völlig ungeeignet für parteipolitische Profilierungsübungen sind. Herr Penner, Sie haben einen Appell an uns gerichtet. Dem wollen wir gern folgen. Nur paßt in diesen Zusammenhang natürlich überhaupt nicht eine Bemerkung Ihres Fraktionsvorsitzenden, der den innenpolitischen Sprecher der Union einen miesen Karnevalisten genannt hat. Darüber kann ich mich wirklich nur wundern. ({0}) - Daß Sie nichts anders dazu zu sagen haben, Frau Vollmer, habe ich erwartet. ({1}) Als erstes, meine Damen und Herren, möchte ich auf den Komplex Aus- und Umsiedler zu sprechen kommen. In vielen Reden der letzten beiden Tage sind Gemeinsamkeiten angeklungen, ist viel guter Wille artikuliert worden. Diesen Worten müssen im Bundeshaushalt nachvollziehbare Taten folgen. Ich denke, wir können mit dem, was für das kommende Haushaltsjahr eingestellt worden ist, zumindest anfänglich zufrieden sein. Die Aufnahme von deutschen Aussiedlern und Übersiedlern aus der DDR hat seit 1987 in nicht vorhersehbarer Weise zugenommen. Im letzten Jahr sind mehr als 200 000 Aussiedler und etwa 40 000 Übersiedler in die Bundesrepublik gekommen. Nach den für dieses Jahr bisher vorliegenden Zugangszahlen erwarten wir annähernd 100 000 Übersiedler und 300 000 Menschen, die als Deutsche zu uns zurückkehren wollen. Von ihrer gerechten Eingliederung wird es abhängen, ob der soziale Frieden zu einem Zeitpunkt erhalten bleibt, in dem wir mit Problemen der Arbeitslosigkeit und mit der Anpassung unserer sozialen Sicherungssysteme an die demographischen Veränderungen zu kämpfen haben. Diese große Herausforderung muß deshalb durch eine überzeugende Politik beantwortet werden, mit der nicht ausschließlich auf die entstandenen Ängste und Emotionen Rücksicht genommen wird, sondern mit der vor allem die tatsächlich entstandenen politischen und sozialen Probleme beherzt und pragmatisch gelöst werden. Dabei dürfen wir diejenigen nicht vergessen, die gern da bleiben wollen, wo sie heute leben. Ziel unserer Bemühungen muß es deshalb ebenso sein, die Lebensverhältnisse in den Ausreisestaaten mit deutscher Hilfe nachhaltig zu verbessern. Für die Eingliederung der Aus- und Übersiedler sind im Bundeshaushalt für das kommende Jahr insgesamt 1,2 Milliarden DM veranschlagt. Angesichts der aktuellen Entwicklung dürfte der Gesamtansatz trotz überproportionaler Steigerung nicht ausreichen. Die vorläufige Unterbringung der Aus- und Übersiedler in den Ländern bringt - das wissen wir - im Hinblick auf die stetig steigenden Zahlen ganz erhebliche Probleme mit sich. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag wollen die Länder bei ihrer Aufgabe auf diesem Gebiet nicht allein lassen. 1988 wurde den Gemeinden ermöglicht, das Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau für ihre Übergangswohnheime nutzbar zu machen. In diesem Jahr ist das Programm noch einmal wesentlich verbessert worden; es stehen nunmehr Mittel bis zu einer Milliarde DM zur Verfügung. Zudem sind die Zinsen weiter gesenkt worden. Die Bundesregierung stellt ferner für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und im Rahmen eines Aussiedlerwohnungsbauprogramms den Ländern in den Jahren 1989 bis 1991 Zuschüsse von über 4 Milliarden DM bereit. Zur Stärkung des privatwirtschaftlichen Mietwohnungsbaus ist zudem die steuerliche Abschreibung rückwirkend ab dem 1. März dieses Jahres verbessert worden. Damit wird sichergestellt, daß in kurzer Zeit tatsächlich zusätzlicher Wohnraum für die gesamte Bevölkerung geschaffen wird. Der enorme Zustrom an Aus- und Übersiedlern hat hier bei uns in der Bundesrepublik eine neue emotionale Diskussion über die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer ebenso wie über das Asylrecht ausgelöst. Sie erschwert die Aufnahme der Aussiedler, sie gefährdet die Erfüllung unserer verfassungsmäßigen und völkerrechtlichen humanitären Verpflichtung gegenüber politisch Verfolgten, und sie gefährdet die bisher im wesentlichen erfolgreiche Integration unserer ausländischen Mitbürger. Es ist deshalb dringend erforderlich, daß wir noch in dieser Legislaturperiode zu einer umfassenden gesetzlichen Regelung des Ausländerrechts kommen, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im April 1989 angekündigt hat. ({2}) Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung auf der Grundlage der von den Innenpolitikern der Koalition vorgelegten Eckwerte - ich kann mich, glaube ich, auch im Namen meiner Fraktion freuen, daß wir hier so positiv aufeinander zugegangen sind - noch im Herbst einen Gesetzentwurf vorlegen wird. Kernelemente sind die Erleichterung der Einbürgerung, die Wiederkehroption, der Ehegattennachzug, die Familienzusammenführung, die Verfestigung des Aufenthaltsrechtes und eine klare Definition der Ausweisungstatbestände. ({3}) Die FDP hält an dem Ziel fest, ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen die Integration in unsere Gesellschaft anzubieten und zu ermöglichen. Die in der Koalition ausgehandelten Eckwerte stellen einen vertretbaren Kompromiß auf diesem Wege dar. Herr Penner hat in seiner Rede das kommunale Wahlrecht angesprochen. Nun höre ich aus Nordrhein-Westfalen, daß der Sozialdemokrat Farthmann den Sozialdemokraten Schnoor zurückgepfiffen hat. Ich frage mich, ob dies vielleicht mit einem kommenden Wahltermin in diesem Bundesland zu tun haben könnte. Ein anderes Kapitel, meine Damen und Herren, das nach Einschätzung vieler Fachleute in seinen negativen gesellschafts- und sozialpolitischen Dimensionen hier in Europa noch nicht annähernd erfaßt worden ist, ist das Problem der Rauschgiftkriminalität. Die Berichte in den Medien, nicht zuletzt gestern abend in einer Magazinsendung, über die Vorgänge in Kolumbien werfen ein Schlaglicht auf die auf Grund der Sättigung des nordamerikanischen Marktes auf uns in Europa zukommende Bedrohung. Ich begrüße deshalb nachdrücklich die im Bereich des Bundeskriminalamts eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität sowohl hinsichtlich der Personalverstärkung als auch hinsichtlich der SachFrau Seiler-Albring mittelausstattung. Ich hoffe, daß das den Berichterstattern im Bundeskriminalamt vorgelegte Konzept, auf das hier im einzelnen nicht eingegangen werden kann, greift und diesem Bereich der organisierten Kriminalität nachdrücklich zu Leibe rückt. Das Stichwort „Rauschgiftverbindungsbeamter" ist genannt worden. Herr Penner, es gibt keinen Zweifel daran, daß es nicht ganz einfach war, diese Beamten in den Botschaften zu integrieren. Da gab es im nachgeordneten Bereich des öfteren gewisse Probleme. Aber der Einsatz dieser Beamten muß natürlich - ich denke, da sind wir uns einig - ausgesprochen sorgfältig geplant werden, denn - ich glaube, so kann man es tatsächlich sagen - wir schicken sie ja in einen Krieg, in eine Auseinandersetzung um Tod und Leben, wie wir es in Kolumbien sehen. Deshalb müssen wir diesen Einsatz ausgesprochen verantwortungsbewußt planen. ({4}) Ich schließe mich der Hoffnung von Johannes Gerster an, daß es uns gelingen wird, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der die Beschlagnahme von durch den Drogenhandel angehäuften Riesenvermögen ermöglicht. Ich denke, die Wurzel des Übels in den Anbauländern ausreißen zu wollen, ist so lange eine Illusion, wie in den Abnehmerländern, in Nordamerika und zunehmend hier in Europa, die Auseinandersetzung mit dem Problem Droge nicht eine andere Qualität bekommt. Das betrifft sowohl die Fragen nach dem Grund und nach dem Warum des individuellen Drogenkonsums als auch die für mich als Mutter von zwei heranwachsenden Kindern beklemmende Diskussion um die staatliche Freigabe des Drogenkonsums. Ich bezweifle selbst angesichts vieler zunächst vordergründig einleuchtender Begründungen, z. B. die Reduzierung der Beschaffungskriminalität, die Austrocknung der materiellen Anreize etc., daß es ein verantwortbares Konzept für die Freigabe von Kokain, Heroin, Designer-Drogen usw. geben kann. ({5}) Der Präsident der Vereinigten Staaten hat gestern abend ein Antidrogen-Programm im Volumen von 7,8 Milliarden Dollar angekündigt. Auch wir Europäer, und zwar alle Europäer, müssen dringend Instrumentarien entwickeln, um diese soziale und gesellschaftspolitische Herausforderung zu bewältigen. Meine Damen und Herren, die Dienstrechtspolitik hat für die FDP nach wie vor einen hohen Stellenwert. Wir brauchen einen loyalen, funktionierenden und effizienten öffentlichen Dienst. Das Berufsbeamtentum ist für diesen Staat und diese Gesellschaft als eine der Säulen des öffentlichen Dienstes nach wie vor unverzichtbar. ({6}) Die anstehende Regelung der Beamtenversorgung ist in meiner Fraktion ausgiebig und durchaus kontrovers diskutiert worden. Wir stehen zu dem gefundenen Kompromiß, können uns aber im Verlauf der parlamentarischen Beratungen Nachbesserungen vor allen Dingen für den Kreis der berufstätigen Frauen vorstellen. Für die verbleibende Legislaturperiode gibt es weitere Arbeit. Die allgemeine Situation sowie die Arbeitsbedingungen der Polizei in Bund und Ländern müssen seit langem dringend verbessert werden. Belastungen und dienstliche Anforderungen sind sowohl bei der Schutz- als auch bei der Kriminalpolizei in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies belegen Stichworte wie Hamburger Hafenstraße, Kreuzberg, Wakkersdorf, Drogenkonsum und organisierte Kriminalität. Der Bund, vor allem aber die Länder müssen dieser Entwicklung Rechnung tragen und ihrer Verantwortung für die Polizei gerecht werden. Wir fordern daher, die Polizei stärker aufgabengerecht anzupassen, den Überstundenberg abzubauen und neuen Erscheinungsformen der grenzüberschreitenden Kriminalität durch spezialisierte polizeiliche Sondereinheiten zu begegnen. Wir sind auch bereit, über materiellen Ausgleich bei besonderen Belastungen zu sprechen. Als Haushaltspolitikerin kann ich aber nur davor warnen, in dieser Bereitschaft ein Signal für einen allgemeinen Wettlauf nach weiteren Zulagen für andere Bereiche zu sehen. ({7}) Meine Damen und Herren, zum Schluß ein kurzer Schwenk zum BGS. Das durch viele Haushaltsdebatten wie ein fliegender Holländer gegeisterte nordseetüchtige Umweltschutzboot für den Bundesgrenzschutz, das den Schutz auf See verstärken und schlagkräftig machen sollte, hatte im Frühjahr dieses Jahres Gestalt angenommen. Es ist getauft und fährt seine ersten Einsätze mit Erfolg. Es wird niemanden überraschen - ich hoffe auf ein offenes Ohr des Bundesfinanzministers - , wenn wir uns mit Nachdruck für die Beschaffung eines weiteren Bootes einsetzen - ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, Herr Bundesfinanzminister -, damit dann rund um die Uhr das ganze Jahr hindurch eine möglichst optimale Überwachung der Nordsee gewährleistet wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Penner hat neben ein paar Freundlichkeiten für den neuen Innenminister, für die ich mich bedanke ({0}) - ich will das Vergiftete dabei übersehen - , ja wohl aufgezeigt, wie schwierig es ist, in einer sozialdemokratischen Partei, die mehr und mehr in Richtung rotgrün abschwimmt und in der die grünen Sehnsüchte immer größer werden, noch eine einigermaßen dem freiheitlichen Rechtsstaat verpflichtete Innenpolitik zu betreiben. ({1}) Ich habe ja für Ihren Satz, Herr Kollege Penner, daß Plebiszite und plebiszitähnliche Möglichkeiten ein11848 deutig zu Lasten des Parlaments gehen, viel Sympathie und stimme dem ausdrücklich zu. Ich hoffe nur, daß Sie Ihren eigenen Vorsitzenden überzeugen. Er ist nämlich ganz anderer Meinung, wie wir schon gelesen haben. ({2}) - Sie auch! Der Kollege Penner gerät also zunehmend in die Minderheit. Wohin das führt, haben wir ja soeben bei der Rede der Vertreterin der GRÜNEN gehört. ({3}) Herr Kollege Penner, der Begriff „Fremdenpolitik" ist mißverständlich. ({4}) Es wird zusammengerührt, was nicht zusammengerührt werden darf, wenn der innere Frieden bewahrt werden soll und wenn Radikale keine zusätzlichen Chancen bekommen sollen. ({5}) - Wenn Sie, gnädige Frau, die Sie oft für Toleranz plädieren, einem Redner vielleicht die Chance geben, zwischendurch einmal zwei Sätze an einem Stück zu sprechen, ohne dazwischenzurufen, ist es ja schon ganz gut. Wir dürfen nicht darüber hinwegtäuschen oder verwischen, daß natürlich alle Menschen gleich sind und daß wir uns auch allen Menschen verpflichtet fühlen, aber das eben Frankreich für die Franzosen zuständig ist, Polen für die Polen, Italien für die Italiener und die Bundesrepublik Deutschland für die Deutschen, und zwar für alle Deutschen. ({6}) Wer hier zusammenrührt, was nicht zusammengehört, rührt ein gefährliches Gebräu an. Diejenigen, die für die Stabilität dieser freiheitlichen Demokratie und dieses Rechtsstaats sind, können und werden daran keine Freude haben. Deswegen muß dem entgegengetreten werden. Wir haben als geteiltes Land die Verpflichtung - darüber ist gestern lange gesprochen worden; ich will die deutschlandpolitische Debatte heute nicht wieder aufgreifen bzw. fortsetzen - , den Deutschen, die zu uns kommen, Aufnahme zu bieten. ({7}) Wir werben sie nicht an. Es ist nicht das Ziel unserer Politik, daß alle Deutschen, wo immer sie leben, ihre Heimat verlassen und zu uns kommen. Ziel unserer Politik ist vielmehr, daß sich die Lebensverhältnisse aller Deutschen in ihrer Heimat so verbessern, daß nicht Hunderttausende ihre Heimat aufgeben müssen. Das ist Ziel unserer Politik. ({8}) Aber diejenigen, die kommen, bleiben willkommen. Wer eigentlich soll unseren deutschen Landsleuten helfen, wenn nicht wir Deutsche im freien Teil unseres Vaterlands? ({9}) - Wir tun es, wir sind darauf vorbereitet. Deswegen die Bemerkung mit den Zelten, daß da ein paar Tropfen - ({10}) - Nein, Herr Kollege Penner, die Zelte sollen überhaupt nicht weg, sondern wir haben gesagt: soweit wir feste Einrichtungen haben und bekommen können. Die Bereitschaft, fest Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, wächst von Tag zu Tag. Sie war vor 14 Tagen nicht so groß, wie sie inzwischen glücklicherweise geworden ist. Der andere Punkt ist: Wenn wir das Aufnahmeverfahren außerhalb von Gießen und Schöppingen zügig abwicklen wollen - wir wollen ja zusätzliche Außenstellen der Bundesaufnahmestelle schaffen, um das Aufnahmeverfahren so rasch wie möglich abzuwikkeln - , dann brauchen wir natürlich bestimmte Größenordnungen; sonst können wir dort das Aufnahmeverfahren nicht abwickeln. ({11}) Nur darum geht es. Der Kollege Horst Waffenschmidt - dem ich an dieser Stelle in seiner Eigenschaft als Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung für seine vielfältigen und unbürokratischen Bemühungen danken darf - hat ja sofort entschieden, daß wir jede geeignete feste Einrichtung in Anspruch nehmen und nutzen. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vollmer?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, da Sie gesagt haben, Sie seien sehr gut vorbereitet gewesen: Hätten Sie die Güte, mir die langfristigen Planungen Ihres Hauses und auch des innerdeutschen Ministeriums für die zu erwartenden Aussiedler und Übersiedler, die sozialen Begleitprogramme, die Wohnungsbauprogramme zu zeigen, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, um auf diese Situation vorbereitet zu sein, und wie erklären Sie dann, daß Herr Waffenschmidt nun allüberall als Klinkenputzer mit Druck herumreisen muß, um irgendwo noch die letzten Baracken zu finden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Vollmer, ich bin gerade dabei, Ihnen unsere Vorbereitungen zu erklären und auch um Verständnis dafür zu werben. Aber eines ist auch klar: Auf das, was Sie meinen - langfristige Planungen - , bereiten wir uns überhaupt nicht vor. Ich habe doch gerade gesagt - ich hoffe, Sie haben zugehört -, ({0}) es ist überhaupt nicht Ziel unserer Politik, daß Hunderttausende von Deutschen ihre Heimat aufgeben müssen, weil sie unter entsprechenden Umständen leben. Das ist nicht Ziel unserer Politik. Deswegen haben wir hier keine langfristigen Vorbereitungen, keine langfristigen Abwerbungen getätigt, es bleibt vielmehr dabei: Diejenigen Landsleute, die auf Grund ihrer eigenen von uns zu respektierenden Entscheidung zu uns kommen, bleiben hier willkommen. Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, daß in nächster Zeit mehr kommen, dann bereiten wir uns darauf vor. Ich sage auch: Lieber haben wir ein Zelt zuviel aufgestellt, als daß Deutsche in den nächsten Tagen oder Wochen zu uns kommen - keiner weiß, wann und wie viele; mir wird viel zuviel öffentlich darüber geredet und spekuliert, auch das will ich einmal sagen; ({1}) da hätte mancher Kollege der Opposition besser einmal geschwiegen ({2}) und wir sind dann nicht vorbereitet. ({3}) Die Kritik wollte ich dann von Ihnen hören! Im übrigen sage ich noch einmal: Sofern wir feste, besser geeignete Einrichtungen bekommen, nutzen wir sie ganz selbstverständlich. Die Bereitschaft, sie zur Verfügung zu stellen, ist in den letzten Wochen von Tag zu Tag gewachsen. Ich begrüße es ausdrücklich, daß diese Bereitschaft gewachsen ist; aber vor 14 Tagen war sie eben noch nicht so groß. Da haben wir uns für den Notfall vorbereitet, indem wir auch Zeltstädte zur Verfügung gestellt haben. Nicht anders ist der Sachverhalt, völlig unproblematisch.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wollen Sie denn ernsthaft bestreiten, daß über viele, viele Jahre Bundesregierungen - welcher Couleur auch immer - bei osteuropäischen Regierungen reklamiert haben, daß es dort ein Minderheitenproblem gebe und daß wir uns über viele, viele Jahre daran gewöhnt haben, daß eben diese Reklamationen zu keinem Erfolg geführt haben? Jetzt, wo sie Erfolg haben, stellt sich heraus: Bundesregierungen haben Einladungen ausgesprochen, wir sind aber nicht darauf vorbereitet, daß die Einladungen auch angenommen werden. Die Folgen der Einladungen haben Länder und Gemeinden zu tragen; so ist das. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Verehrter Herr Kollege Penner, ich will es jetzt wirklich zum letzten Mal sagen, ({0}) und ich hoffe, es wird dann auch Ihnen klar: Ich weiß ja nicht, was die frühere Regierung gemacht hat; ({1}) für die können Sie besser sprechen, Sie haben ihr ja als Parlamentarischer Staatssekretär angehört. Unsere Politik, auch in bezug auf deutsche Minderheiten, war immer darauf gerichtet, die Lebensverhältnisse für die Deutschen in ihrer Heimat zu verbessern. ({2}) - Aber natürlich, völlig klar. Im übrigen sage ich noch einmal: In Ihrer Frage klingt ja noch immer an, als würden wir uns darüber beklagen, daß Deutsche zu uns kommen. Wir beklagen uns darüber nicht, sondern wir sagen: Es ist eine selbstverständliche Pflicht der Solidarität für die Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes. Ich bin allen Mitbürgern dankbar, die mithelfen, die Aussiedler und die Übersiedler aufzunehmen. Ich will auch bei dieser Gelegenheit einmal sagen: Ich danke den Hilfsorganisationen und den Kirchen. Ich danke an dieser Stelle auch einmal den vielen Beamten und den vielen Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, die mit ihrer unbürokratischen Flexibilität, mit der sie diese Aufgabe kurzfristig meistern, auch ein Zeugnis für die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltung und unseres öffentlichen Dienstes ablegen, auf das wir stolz sein können und für das wir all denjenigen danken sollten, die mit vielen Überstunden, mit Abordnungen in fremde Einsatzorte und anderes mehr mithelfen, diese Aufgabe zu meistern. Ich finde wirklich, meine Damen und Herren, wir sollten das nicht zerreden. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, würden Sie, um die Mär mit dem Einladen endlich einmal auszuräumen, bestätigen können, daß die Bundesregierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt 1975 einen Milliardenbetrag an Polen gezahlt hat, damit 125 000 deutsche Aussiedler ausreisen durften - wir haben das damals für richtig gehalten -, und daß eine Partei, die dies zu verantworten hat, mit der Verbreitung von Unwahrheiten zurückhaltend sein sollte wie der, wir würden jetzt Leute einladen? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Zunächst einmal bestätige ich das ausdrücklich, Herr Kollege Gerster, und bin dankbar für die Gelegenheit, dies bestätigen zu können. Zum zweiten sage ich nun an die verehrten Damen und Herren Kollegen von der SPD-Fraktion gerichtet: Denken Sie doch ein bißchen darüber nach, ob wir diese Art von Diskussion wirklich fortsetzen wollen und wem sie wirklich nützt. ({0}) - Sie werfen uns doch dauernd vor, wir würden Einladungen aussprechen und ähnliches mehr; der Kollege Penner hat es in seinem geschriebenen Manuskript. - Ich glaube nicht, daß Sie die Bereitschaft unserer Mitbürger stärken, die Deutschen, die als Aus- und Übersiedler zu uns kommen, so rasch, so herzlich und so wenig ängstlich und zögerlich wie irgend möglich aufzunehmen, und darum geht es. ({1}) Aber nun, meine verehrten Damen und Herren, würde ich doch gern wenigstens ein paar Sätze dazu sagen, daß Innenpolitik doch wohl vor allen Dingen das Ziel und die Aufgabe hat, das friedliche Zusammenleben der Menschen in diesem Staat und in der Gemeinschaft auch der Staatsangehörigen zu organisieren und sicherzustellen, daß wir also dem inneren Frieden verpflichtet sind. Ich will sagen, daß die Bundesregierung zu dieser Verantwortung steht, daß wir diese Aufgabe nicht unterschätzen dürfen und daß wir die friedenstiftende Funktion unserer Rechtsordnung und der staatlichen Organe nicht untergraben lassen dürfen. Ich will in diesem Zusammenhang insbesondere an die Kollegen von der sozialdemokratischen Opposition den mahnenden Appell richten, daß sie sich noch einmal genau anschauen, welches die Politik ihres Koalitionspartners auf dem Feld der Innen- und Rechtspolitik ist. ({2}) - Ja, jetzt geht es los, es wird schon unruhig. Ich habe es mir gedacht. - Wir haben in dieser Sommerpause Thesen der GRÜNEN zur Rechts- und Innenpolitik vorgelegt bekommen. ({3}) Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal für die Öffentlichkeit sehr detailliert darzulegen, ({4}) wie hier der Rechtsstaat handlungsunfähig gemacht und unsere Gesellschaft chaotisiert werden soll. Ich habe das Punkt für Punkt der Öffentlichkeit vorgelegt. Es ist etwas ganz Merkwürdiges eingetreten: Es hat mir niemand in der Sache widersprochen, ({5}) sondern die einzige Reaktion war, daß man das, was die GRÜNEN da an Blödsinn aufschreiben, ja nicht so ernst zu nehmen brauche. So war die Reaktion selbst aus den Reihen der GRÜNEN, Frau Kollegin Vollmer, in der Tendenz. Nur, meine Damen und Herren, das ist mir ein bißchen zu einfach, und das ist mir ein bißchen zu leichtfertig. Ich finde, wir sollten schon den Anfängen wehren. Der Spaß hört auf, wenn das Gewaltmonopol des Staates untergraben wird ({6}) und wenn der Rechtsstaat handlungsunfähig gemacht werden soll. ({7}) Der Spaß hat in Berlin mit dem rot-grünen Senat leider schon lange aufgehört. ({8}) - Wenn Sie es als Spaß empfinden, ich empfinde es als bitterernst, und deswegen werde ich meine Pflicht wahrnehmen, darauf weiterhin aufmerksam zu machen. Wir können nicht darauf verzichten, diese Auseinandersetzung zu führen. Herr Kollege Penner, Sie sollten sich in Ihrer Partei und Fraktion verstärkt dafür einsetzen, daß diese Auseinandersetzung in der SPD geführt wird, und zwar in dem Sinne, daß Sie nicht den Weg weitergehen, zu dem Sie heute morgen die Antwort verweigert haben, wohin er führt. Sie haben in allen Fragen der inneren Sicherheit viel geredet, aber nichts gesagt. ({9}) Wir werden unsere Polizei in der Bewahrung des inneren Friedens und des Rechtsstaats nicht allein lassen. Wir werden auch nicht zulassen, daß sie zunehmend diffamiert wird. Vielmehr sagen wir: Unsere Polizeibeamten verdienen den Dank der Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen für den Dienst, ({10}) den sie oft unter Einsatz von Leben und Gesundheit für den inneren Frieden und die innere Sicherheit unserer Bürger und für die Funktionsfähigkeit unseres freiheitlichen Rechtsstaats leisten. ({11}) Reden Sie nicht darum herum, und lenken Sie nicht ab! In diesem Haushalt werden die notwendigen Konsequenzen mit der Verstärkung personeller und sächlicher Mittel für das Bundeskriminalamt, ({12}) für die Bereitschaftspolizeien der Länder, mit der Verbesserung der Einsatzstärke des Bundesgrenzschutzes, der Zurverfügungstellung moderner Einsatzmittel und auch der Erhöhung der Einsatzabfindung sowie der Sätze der Nachtverpflegung bei Einsätzen gezogen. Ich will hier auch ganz klar sagen, daß wir über weitere Verbesserungen, etwa bei der Polizeizulage oder bei der Zulage für den Dienst zu ungünstigen Zeiten, Gespräche führen und daß wir hier, um Lösungen zu finden, auf die Hilfe des Parlaments angewiesen sind. Aber ich will in diesem Zusammenhang auch sagen, daß wir es unseren Polizeibeamten schuldig sind, für ihre Einsätze klare rechtliche Regelungen zur Verfügung zu stellen. ({13}) Es ist nun wirklich nicht richtig, daß wir uns nicht um die Verabschiedung des Datenschutzgesetzes kümmern. Wir haben vor der Sommerpause alle miteinander darüber gesprochen. Wir sind fest entschlossen, und wir in der Koalition - ich hoffe, auch unter Mitwirkung der Opposition - werden es auch schaffen, daß wir die datenschutzrechtlichen Regelungen in dieser Legislaturperiode verabschieden. Die meisten Gesetze sind durch die Bundesregierung bereits eingebracht; die erste Lesung hat stattgefunden. Ich halte es aber nicht für richtig, daß wir die gesetzlichen Voraussetzungen für Eingriffe auch in geringerwertige Rechtsgüter im einzelnen genau regeln, aber bei einem Eingriff in das hochrangigste Rechtsgut überhaupt, nämlich in das menschliche Leben, auf eine klare rechtliche Regelung verzichten und sie unseren Polizeibeamten schuldig bleiben. Niemand bestreitet, daß die Polizei in einer entsprechenden Notsituation auch zu diesem äußersten Mittel greifen kann, ja, greifen muß. Aber daß wir ihr eine Regelung für hoheitliches Eingreifen verweigern wollen, ist meines Erachtens kein angemessener Umgang mit diesem ernsten Problem. Ich will im übrigen noch zwei Aspekte unterstreichen: Zum einen ist doch in der Diskussion der Hinweis völlig unterschlagen worden, daß die vorgesehenen Regelungen die Voraussetzungen für einen finalen Rettungsschuß enger fassen sollen, als es nach dem bisher geltenden Nothilferecht der Fall ist. Wir wollen die Voraussetzungen für einen solchen Schuß eingrenzen und nicht erweitern. Zum anderen brauchen wir eine einheitliche Regelung im Polizeirecht des Bundes und der Länder. Es ist völlig richtig: Eine Regelung für den Bund allein reicht überhaupt nicht aus. Deswegen werde ich meine Bemühungen fortsetzen, einen Konsens mit den Kollegen der Länder zu finden, damit wir zu einer einheitlichen Regelung in Bund und Ländern kommen. ({14}) Meine Damen und Herren, zu den schwierigsten Aufgaben, mit denen unsere Polizei konfrontiert ist, gehört die zunehmende Internationalisierung der Kriminalität und hier insbesondere der Rauschgiftkriminalität. Wir werden - es ist darüber gesprochen worden; ich will der Kürze der Zeit wegen nicht wiederholen, was gesagt worden ist - alle gesetzgeberischen Maßnahmen ergreifen müssen, um an die geldwerten Vorteile dieser mafiosen Drogenhändler stärker heranzukommen. Wir werden auch die Fahndungsmöglichkeiten für Polizeibeamte zur Rauschgiftbekämpfung verbessern müssen. Aber wir werden darüber hinaus auch die gesellschaftlichen Kräfte in der Bekämpfung der Drogen stärken müssen. Ich bin bei allem, was man an Argumenten austauschen kann, der Meinung, Herr Kollege Penner, daß die Freigabe, auch die teilweise Freigabe von Drogen der falsche Weg ist. ({15}) Wir müssen die Nutzung von Drogen gesellschaftlich ächten, ({16}) in allen Bereichen, für alle Kräfte. Wir stärken die gesellschaftlichen Kräfte nicht, wenn wir gleichzeitig die Nutzung von Drogen entkriminalisieren. Nein, wir sollten den gegenteiligen Weg beschreiten. Deswegen hat der Kollege Voscherau nicht recht. Nun zum friedlichen Zusammenleben. In einen freiheitlichen Rechtsstaat gehört auch ein vernünftiges Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern. In dieser Bundesrepublik Deutschland leben 4,5 Millionen Ausländer. Wir sind ein ausländerfreundliches Land, wir wollen es bleiben, und wir werden es bleiben. Aber gerade wenn wir es bleiben wollen, dürfen wir die Unterschiede in den Verantwortlichkeiten nicht verwischen. ({17}) Ich werde den Gesetzentwurf für die Novellierung des Ausländerrechts auf der Basis dessen, was die Kollegen Gerster, Hirsch und Fellner vor der Sommerpause dankenswerterweise erarbeitet haben, in wenigen Wochen als Referentenentwurf der Öffentlichkeit und der Verbandsdiskussion übergeben. Ich hoffe, daß wir noch in diesem Jahr einen Regierungsentwurf im Bundestag einbringen werden. Ich bitte, daß wir gemeinsam daran arbeiten, daß ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zügig verabschiedet werden kann. Wir wollen auch weiterhin fähig bleiben, Menschen, die politisch verfolgt sind, in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Aber gerade damit wir das bleiben können, müssen wir dafür sorgen, daß wir schnell, schneller als bisher, unterscheiden zwischen denjengen, die nicht hierbleiben können, und denjenigen, die hierbleiben können, weil sie politisch verfolgt sind oder aus anderen Gründen hier in der Bundesrepublik Deutschland bleiben können und bleiben dürfen. Diese sollen dann auch verbesserte Möglichkeiten bekommen, hier vernünftig zu leben. Deswegen sage ich auch: Wir müssen das Arbeitsaufnahmeverbot überprüfen. Denjenigen, die nicht hierbleiben können, sollten wir schneller als bisher die Gewißheit und die Klarheit verschaffen, daß sie nicht hierbleiben können. Dann sollten wir sie auch abschieben. ({18}) Ich bin zuversichtlich, daß sich alle Bundesländer an die Absprache, die wir im Mai getroffen haben, halten werden, nämlich daß wir zum 1. Oktober mit der Zentralisierung von Ausländerbehörden der Länder und mit der Schaffung von Außenstellen des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu ei11852 ner erheblichen Beschleunigung der Verwaltungsverfahren kommen werden. ({19}) Ich hoffe, daß wir uns in diesem Bundestag auch über Beschleunigungsmöglichkeiten im Asylverfahrensgesetz auf der Grundlage der Bundesratsinitiative in wenigen Wochen einigen werden. Ich bin sicher: Wenn wir dies alles miteinander tun, dann leisten wir mehr für die Ausländerfreundlichkeit der Bundesrepublik Deutschland als viele, die gutgemeinte Reden halten, aber ihre Verantwortung nicht sehen. Darum geht es: rechtzeitig die Verantwortung wahrnehmen, rechtzeitig handeln, Gefahren sehen, ihnen entgegenwirken. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur so kann man einen freiheitlichen Rechtsstaat wirklich sicher und zukunftskräftig halten. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe. Der Bundesinnenminister wird das Seine dazu tun. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine Anmerkung. Es war hier eben viel vom inneren Frieden die Rede. Das bedeutet aber auch, daß wir in unseren Redeweisen miteinander darauf achten müssen. Ich habe eben dem stenographischen Protokoll entnommen, daß in der Erhitzung der Debatte die Zwischenrufe „Hetzer" kommen. Ich bitte auch die Opposition, darauf zu achten: Dies ist kein Vokabular, das bei uns Platz greifen darf. Ich weise das deswegen zurück. Es hat keinen Zweck, daß wir in wichtigen Debatten mit unserem Vokabular jenen Vorschub leisten, die wir demokratisch in der Auseinandersetzung nicht akzeptieren. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Elf Minuten von seinem 20-Minuten-Kontingent mußte der Innenminister bei den Ausländerproblemen und hier insbesondere bei den Aussiedlerfragen und den dabei zu konstatierenden Versäumnissen dieser Bundesregierung verweilen. Er verweilte dort nicht nur, er strampelte regelrecht. Herr Schäuble, ich darf Ihnen versichern, auch ohne Rücksprache bei den mehr als 200 übrigen Kolleginnen und Kollegen bei der Opposition, daß Sie sicher sein können, daß wir schon glücklich darüber sind, daß Sie keine Viehwaggons nach Österreich schicken, um die DDR-Flüchtlinge aufzunehmen. Ich möchte aber zunächst zwei polizeiliche Probleme ansprechen, ({0}) die nicht nur von uns - Sie wissen: ich bin kritischer Polizeibeamter ({1}) mit großer Distanz betrachtet werden, sondern auch von Kräften in diesem Hause. Sie, meine Damen und Herren, haben wieder in einer großen Allianz - mit Ausnahme der GRÜNEN - Bundesgrenzschutzbeamte nach Namibia geschickt. Sie wissen gleichzeitig, daß dies verfassungsrechtlich unhaltbar ist, auch wenn Herr Schäuble das Gegenteil behauptet. Weder im Grundgesetz noch im Bundesgrenzschutzgesetz steht irgend etwas über eine Tätigkeit im Ausland, bei der UNO-Friedenstruppe, oder über die Unterstützung solcher Einrichtungen wie der UNO-Friedenstruppe. Herr Schäuble behauptet zwar, diese BGS-Beamten würden freiwillig und ohne Maschinenpistole und ohne Stahlhelm nach Namibia gehen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sie sich dort in hoheitlicher Funktion aufhalten; in hoheitlicher Funktion nach deutschem Beamtenrecht, unter der Befehlsgewalt der UN, eines Militärgenerals. Gleichzeitig wissen Sie genauso wie wir, daß es auf diese UNO-Friedenstruppe in Namibia schon Sprengstoffanschläge gegeben hat. Wer will denn jetzt hier ausschließen, daß auch BGS-Beamte von solchen Sprengstoffanschlägen betroffen sein werden, in naher Zukunft oder auch in fernerer Zukunft? Hier ergibt sich das Stichwort: Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Nicht nur die verfassungsrechtlichen Probleme, die Sie hier einfach übergehen - allerdings mit der SPD, gegen die Stimmen nicht nur kritischer Polizisten, sondern auch der Gewerkschaft der Polizei -, sondern auch der Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht werden sträflich vernachlässigt. Sie können dann nicht sagen, wenn ein BGS-Beamter getötet wird: Huch, damit haben wir nicht gerechnet!, denn Sie schicken sie sehenden Auges in solche denkbaren Konstellationen hinein. Gleichzeitig zeigt sich aber noch etwas anderes, und das nährt die Kritik aus bestimmten Reihen der Opposition: daß der Bundesgrenzschutz nach wie vor keine Polizeiorganisation ist, und zwar nicht nur deshalb, weil er im Kriegsfalle den Kombattantenstatus genießt, sondern weil er in so einem Fall militärische Aufgaben wahrnimmt. Sie geben uns praktisch Argumentationsnahrung für die massive Kritik am Bundesgrenzschutz und die weitestgehend notwendige Beseitigung, damit der Spagat zwischen polizeilichen Aufgaben und grenzschutzpolizeilicher Tätigkeit, der in der Tat nicht angeht, beendet werden kann.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Selbstverständlich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wüppesahl, sollte Ihnen wirklich nicht bekannt sein, daß diese BGS-Beamten keine militärischen Aufgaben wahrnehmen, sondern ausschließlich als Wahlbeobachter nach Namibia gehen?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Kollege Hirsch, Sie wissen doch - wie ich eben auch schon ausgeführt habe - , daß dort in Namibia zur Zeit Situationen herrschen, die einem Bürgerkrieg gleichkommen, ({0}) - hören Sie sich bitte die Antwort zu Ende an! -, daß Sprengstoffanschläge auf die UNO-Friedenstruppe verübt worden sind und daß wir, ich sage mal: unsere Polizeibeamten des BGS in solche Situationen hineinschicken. Herr Schäuble sagt, auf die verfassungsrechtliche Problematik bezogen - und das ist nun wirklich die Krönung - : Ich habe da keine Probleme; deswegen gibt es auch keine rechtlichen Probleme. Ich bin bei solchen Äußerungen wirklich an Ludwig XIV. erinnert: Der Staat bin ich. Diese verfassungsrechtlichen Probleme - und das wird auch der SPD sicherlich noch schmerzhaft vor Augen geführt werden, spätestens, wenn wir in diesen Ländern Probleme mit den BGS-Beamten haben - sind da. Ein zweites polizeiliches Problem aus diesem Haushalt, wobei ich einmal lobend erwähnen möchte, daß wir das erstemal in dieser Wahlperiode die Haushaltspläne für Inneres und für Recht frühmorgens diskutieren. Ihr Vorgänger, Herr Schäuble, der jetzt mit Eisenbahn und Autos spielen darf, hatte immer dafür gesorgt, daß wir die Diskussion erst spät abends hatten, obwohl im Innenressort wirklich elementare Dinge bewegt werden. Ich bin ganz glücklich, daß wir jetzt auch eine größere Aufmerksamkeit genießen. Es soll zusätzlich eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei in Bayern aufgebaut werden. So steht es im Haushaltsplan. Hamburg hat ebenfalls den Bedarf für eine Hundertschaft angemeldet. Sie wissen aber, daß sich die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern die Größenordnung der Bereitschaftspolizeien in den Ländern an vier Kriterien ausrichtet: Naturkatastrophen, Krieg, Notstand und Ausbildungserfordernisse. Die Ausbildungserfordernisse sind für eine Bereitschaftspolizei eigentlich sowieso sachfremd. Das eliminiere ich ohnehin. Der Punkt Naturkatastrophen ist noch etwas, was mit ziviler Tätigkeit zu tun hat. Der Rest, Krieg und Notstand, zeigt ganz klar, in welchem Bereich wir uns auch bei der Bereitschaftspolizei bewegen, daß sie im Grunde eine Bürgerkriegsreserveeinheit darstellt. Das ist auch der Grund, weshalb unsere Kritik immer so massiv vorgetragen wird. Hier hat der Bund die erste Zuständigkeit, auch wenn Polizei Landessache ist. Deshalb muß der Bund die Bereitschaftspolizeien auf ein absolutes Minimum reduzieren, wenn nicht vollkommen abschaffen. Ich möchte noch etwas zur Drogenproblematik sagen. Herr Penner, der Sprecher der SPD zu diesem Thema heute, äußerte: Die Probleme beginnen dort, wo angebaut wird. Das ist falsch, Herr Penner. Das Problem liegt bei uns in den Industriestaaten, weil nicht in den Ländern, in denen angebaut wird, irgend jemand auf die Idee gekommen ist, die Anbauprodukte, also Mohn oder Kokablätter, zu veredeln, sondern die großen Profite über die Industrieländer gemacht werden, in denen die Veredelung, die nur mit entsprechendem Know-how und Chemie möglich ist, vonstatten geht. Das Problem hat seinen Ausgang in den Industrieländern. Sie führten weiter aus: Es endet bei erfolglosen Therapeuten bei uns. Das ist genauso falsch. Das Problem endet bei den Junkies, die in der Gosse liegen. Genau dieser Gesichtspunkt wird in der Diskussion immer wieder nach hinten gedrängt. Selbst bei der dankenswerterweise von dem Ersten Bürgermeister von Hamburg mitinitiierten Diskussion zur Entkriminalisierung wird vor allen Dingen der kriminalpolitische Aspekt nach vorne gestellt, anstatt das, was wirklich an die erste Stelle gehört, nämlich die Gesundheitspolitik, auch an erster Stelle zu benennen. Und was macht jetzt diese Bundesregierung? Sie bekommt soeben von der FDP-Sprecherin Lob dafür, daß im Bundeskriminalamt für Rauschgiftbekämpfung und gegen die organisierte Kriminalität zusätzliche Stellen geschaffen werden sollen. Es sollen mittelfristig, in den nächsten zwei bis drei Jahren, 387 zusätzliche Stellen geschaffen werden. In diesem Bereich gibt es derzeit 370 Stellen. Das bedeutet also mehr als eine Verdoppelung. Nichts zeigt deutlicher als diese Zahl, daß Sie nach wie vor diese Steinzeitmethode in der Bekämpfung der Drogenproblematik, nämlich Repression, an die erste Stelle setzen. Im übrigen sei in diesem Zusammenhang auch für die Pressetribüne darauf hingewiesen: Im Stellenplan findet ein normales Mitglied des Bundestages oder ein Journalist diese Größenveränderung nicht mehr. Das finden Sie nur noch in den Erläuterungen. Ich habe die Bitte auch an die Haushälter, dafür zu sorgen, daß die Änderungen im Stellenplan auch in die üblichen Unterlagen aufgenommen werden. Gesellschaftsnah frage ich: Betreiben wir bei der Diskussion über Entkriminalisierung nicht eine Phantomdiskussion? Ist der illegale Drogenkonsum nicht längst formaljuristisch und im tatsächlichen gesellschaftlichen Leben nahezu entkriminalisiert? Ich benutze Ihre Zahlen. Selbst die Bundesregierung unterrichtete den Bundestag über die Rechtsprechung nach den strafrechtlichen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes in den Jahren 1985 bis 1987 u. a. wie folgt ernüchternd: 204 000 polizeilich ermittelten Straftätern standen 81 000 abgeschlossene Strafverfahren gegen einzelne Täter gegenüber. Bloß ein Drittel aller Straftäter nach dem Betäubungsmittelgesetz erhalten Freiheits- oder Jugendstrafen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß 90 % aller betäubungsmittelabhängigen Straftäter eben wegen ihres Drogenkonsums kriminalisiert werden. Somit liegt der tatsächliche Anteil der verurteilten Straftäter an der angeblichen Hauptzielgruppe der Sanktionsbefürworter, nämlich an der Gruppe der Dealer, Händler oder Großtäter, unter 25 %. Noch ernüchternder aber ist: Bei rund 150 000 Konsumenten von Kokain, Heroin und Vergleichbarem und bei täglich notwendigen 1 bis 5 Konsumeinheiten fallen bereits jährlich bei durchschnittlich zwei Schüssen pro Tag - ich komme zum Schluß - 109 Millionen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz an. Nicht einbezogen habe ich die mehr als 2 Millionen Cannabis-Konsumenten in der Bundesrepublik. Die Quintessenz ist: Verurteilt werden weit unter 0,25 % - konservativ berechnet - aller nach dem Betäubungsmittelgesetz mit Strafe bedrohten Handlungen. Das ist die tatsächliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland 1989. Und da führen wir eine Diskussion über den irren Aufwand, der bei der Kriminalisierung der im illegalen Drogenbereich konsumierten Drogen durch die Bundesregierung betrieben wird. Wir haben praktisch im juristischen Bereich eine Entkriminalisierung. Dieser Staat täte gut daran, dies in seinem gesamten Handlungsbereich und Behördenapparat nachzuvollziehen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Deres.

Karl Deres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000374, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Anfang die Bemerkung, daß wir ja in der ersten Lesung des Haushalts sind und daß, wenn jetzt wieder ein Haushälter sprechen darf, er Ihnen zuerst einmal etwas zum Einzelplan 06 sagt. Es ist hochinteressant, diesen Einzelplan nicht nur schlicht einmal aufzuschlagen, sondern ihn genauer anzusehen. Dann werden Sie spüren, daß Sie mitten ins volle Leben steigen. Ernstzunehmende, kritisch anzusehende und politisch schwierige Titel wechseln mit sehr schönen, angenehmen Themen in reichhaltiger Vielfalt in diesem Einzelplan 06. Innere Sicherheit und Sport, organisierte Kriminalität und Kunst, Kriegsfolgeleistungen und Kultur, Medien und politische Bildung bestimmen u. a. die bunte Palette dieses Haushalts. Etwas herabsetzend klingt es, wenn dieser Haushalt dann als Bauchladen bezeichnet wird. Wer sich jedoch länger damit befaßt, wird ihn um so mehr schätzen. ({0}) - Gar nichts. Der Anteil des Einzelplans 06 am gesamten Haushaltsvolumen des Bundes beläuft sich auf nicht ganz 2 %. Das sind aber immerhin 4,981 Milliarden DM. Der Haushalt steigt damit gegenüber 1989 um 5,1 %. Bereinigt man den Einzelplan 06 für 1989 und 1990 um die leistungsbezogenen Ausgaben für Aussiedler und Übersiedler, beträgt die Steigerung nur noch 3,1 %. Das heißt, der Zuwachs liegt unterhalb der Haushaltsentwicklung des Bundes von 3,4 %. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind dabei, bei der Aufnahme der Aussiedler und Übersiedler eine der schwierigsten innenpolitischen Aufgaben der letzten Jahre zu bestehen. Noch wissen wir nicht, wie viele Deutsche aus der DDR und wie viele deutsche Aussiedler aus Osteuropa und Sibirien in diesem Jahr zu uns kommen. Die Bilder aus Ungarn, aus den deutschen Vertretungen in Ost-Berlin und Prag können niemanden gleichgültig lassen. Diese tausendfache Abstimmung mit den Füßen ist für unser Gemeinwesen ein Vertrauensbeweis, wie er kaum stärker sein kann. Es liegt an uns, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Die Koalitionsfraktionen sind entschlossen, das zu tun. Die haushaltsmäßigen Vorkehrungen für eine menschenwürdige Aufnahme und möglichst rasche Integration der Aussiedler und Übersiedler sollten außer Streit sein. Dennoch wird aus den Reihen der SPD und der GRÜNEN die Forderung laut, den Deutschen in der DDR die gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit abzusprechen und ihnen damit die nächstliegende Zufluchtsmöglichkeit zu nehmen. Solcher Zynismus ist nicht zu überbieten. Da genießt man die Freiheiten und Garantien unseres Grundgesetzes und erteilt gleichzeitig den Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht das Glück hatten, in eine freiheitliche Demokratie geboren zu werden, billige Ratschläge, es doch tunlichst im Unrechtssystem der OstBerliner Altkommunisten auszuhalten. Es muß zu denken geben, wie sich gegenüber Aussiedlern und Übersiedlern linke und rechte Flügelmänner/-frauen in Ablehnung zusammenfinden. Niemand von uns hat den Ehrgeiz, in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland über kurz oder lang alle Deutschen zu versammeln, sosehr wir darauf bestehen, daß jeder Deutsche bei uns Aufnahme finden kann, wenn er dies wünscht. Die Heimat der Deutschen endet eben nicht an der Elbe. Solange aber die Freiheit an der Elbe, an Mauer und Stacheldraht endet, werden wir der Verpflichtung nachkommen, Deutsche aus der DDR oder von anderswo aufzunehmen. Für alle diejenigen, die in Pflichterfüllung nur eine lästige Sekundärtugend sehen, wiederhole ich: Die Aussiedler und Übersiedler sind ein Gewinn für unser Land. Sie sind keine Kostgänger, sondern ein stimulierendes und verjüngendes Element in Wirtschaft und Gesellschaft. Fast die Hälfte - 48 % - von ihnen gehören der jüngeren Generation zwischen 18 und 45 Jahren an. Deshalb sind die Ausgaben, die Bund, Länder und Gemeinden für Aufnahme und Integration dieser Menschen aufbringen, beste Zukunftsinvestitionen. Für diese Zwecke sind 1990 im Haushalt des Bundesinnenministers Ausgaben von ca. 1,2 Milliarden DM vorgesehen. Die Beratung der einzelnen Ansätze liegt noch vor uns. Für meine politischen Freunde und mich steht fest: Der Bund muß seiner Verantwortung für die Aussiedler und Übersiedler human und effizient nachkommen. Der Bund hat in den letzten Monaten zu Recht sowohl seine Behörden zur möglichst raschen Registrierung der Einreisenden verstärkt als auch die Länder durch Herrichtung, Überlassung und Betrieb von Liegenschaften zur Erstunterbringung unterstützt. Damit etwa Niedersachsen mit Aussiedlern und Hessen mit Übersiedlern nicht unzumutbar überlastet werden, müssen Bund, Länder und Gemeinden pragmatisch nach besten Kräften zusammenarbeiten. ({1}) ({2}) Wir erleben in diesen Tagen insbesondere gegenüber den Deutschen, die über Ungarn zu uns kommen, auch in Österreich spontane Hilfsbereitschaft und Solidarität. Die Verbände der Vertriebenen, die Landsmannschaften, unsere Wohlfahrtsorganisationen haben sich im beträchtlichen Umfange engagiert. Soweit auf Bundesebene möglich, wollen wir deren praktische Integrationsarbeit unterstützen. Die vom Deutschen Sportbund mit seinen Vereinen geplanten Initiativen zur Ausländerintegration sind ein nachahmenswertes Beispiel. ({3}) Die staatliche und die kommunale Verwaltung sind durch den Zustrom der vielen tausend Übersiedler und Aussiedler in besonderer Weise gefordert. Wie immer, wenn Menschen am Werk sind, gibt es Pannen und ist manches verbesserungsfähig. Das Engagement, mit welchem die Angehörigen des öffentlichen Dienstes am Werk sind, verdient Anerkennung. Ich nenne beispielsweise den Einsatz der BGS-Beamten, die binnen Stunden die Unterkunft im Bramsche eingerichtet und über Monate betrieben haben. Vorbildlich ist auch der Einsatz der ehrenamtlichen Helfer des Deutschen Roten Kreuzes, der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt, des THW und anderer Wohlfahrtsorganisationen. Dafür möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich danken. Ein weiterer Schwerpunkt der Innenpolitik in den nächsten Jahren wird die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität und organisierter Kriminalität sein. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüße ich es, daß die Bundesregierung ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet sowohl durch gesetzgeberische als auch durch organisatorische und personelle Maßnahmen erheblich verstärkt. Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Abschöpfung der riesigen Gewinne bei Rauschgifthändlern ist ein großer Fortschritt. Ich halte es allerdings für notwendig, dazu wirksame Strafsanktionen gegen das sogenannte Waschen von Verbrechensgewinnen zu schaffen, weil die Bosse des Rauschgifthandels ihre Profite erfahrungsgemäß in grenzüberschreitenden Finanztransaktionen verschleiern. Es darf nicht noch einmal vorkommen, wie Anfang dieses Jahres in Hamburg geschehen, daß die Kripo 20 Millionen Dollar aus Geschäften der kolumbianischen Kokain-Mafia beschlagnahmt, dieses Geld aber mangels Straftatbestandes wieder freigeben mußte. Die organisierte Kriminalität wuchert wie eine Krebsgeschwulst. Die Skala reicht von Serienbrandstiftungen bei italienischen Gaststättenbetrieben über organisierten Diebstahl von Lkw-Ladungen in Norditalien, die Verschiebung von Frachtschiffen samt Ladung im östlichen Mittelmeer bis hin zur general-stabsmäßig organisierten Einlösung von Hunderten von Euroschecks im Ausland, die aus den vielen Wohnungseinbrüchen der letzten Zeit stammen. Die Phase der akademischen Diskussion über organisierte Kriminalität und der defensiven Prüfungen, ob der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter angezeigt sei, ist zu Ende. Wir werden uns im Rahmen der Haushaltsberatungen eingehend mit dem vom Bundeskriminalamt und vom Bundesministerium entwickelten Konzept zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität befassen. Meine Damen und Herren, ich sehe gerade, daß meine Redezeit leider schon wieder abgelaufen ist. Ich darf Ihnen daher abschließend sagen: Wir werden uns in den Detailberatungen, die ja erst jetzt beginnen, sehr intensiv mit jedem Haushalt befassen. Kein Einzelplan wird ungerupft bleiben. Das Endergebnis muß aber heißen: Der Haushalt ist noch besser geworden, als er jetzt schon ist. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was an dem vorgelegten Haushalt im einzelnen zu kritisieren ist, wo wir Streichungen und Umschichtungen vorschlagen, werden wir in den Ausschußberatungen sagen, dort, wo es hingehört. Hier geht es im Moment um Wichtigeres, um mehr als um Geld und Zahlen. Es geht um die Fortsetzung einer längst gescheiterten Politik, einer Politik, die mit der ständigen Beteuerung auf den Lippen, das Gegenteil zu wollen, Freiheit und Bürgerrechte immer mehr einschränkt, untergräbt, Demokratie abbaut und damit zur inneren Aufrüstung und zu legaler wie nichtlegaler Gewalt beiträgt. ({0}) Was wir hier dringend brauchen, ist kein Herumdoktern an Symptomen, auch nicht, was Sie machen, nämlich immer neue Gesetze für immer neue Probleme zu schaffen. ({1}) Was wir vielmehr brauchen, ist ein Umdenken in der Innen- und Rechtspolitik. ({2}) - Legale Gewalt ist Gewalt, die - so hoffe ich j eden-falls, Herr Gerster - wir alle nicht wollen, die im Auftrag staatlicher Organe gegen Bürger ausgeübt wird. ({3}) Ich hoffe, daß Sie und ich die Gewalt - ({4}) - Herr Gerster, Sie wollen doch sicherlich nicht bestreiten, daß es Gewalt ist, wenn jemand z. B. mit einem Wasserwerfer oder mit einem Schlagstock malträtiert wird. Ich hoffe, daß das verschwinden wird, daß künftig immer weniger Gewalt, sondern Dialog und Demokratie die innenpolitische Auseinandersetzung bestimmen werden. ({5}) Ich kann nur hoffen, daß Ihre Beteuerungen wahr sind, nach denen auch Sie dies wollen und nicht - wie bisher - weiter an der Spirale der Gewalt drehen wollen. ({6}) Was wir also brauchen, ist eine grundsätzlich neue Politik, ein neues Denken in der Innen- und Rechtspolitik. Daß das manchem schwerfällt, hat auch der Herr Minister heute morgen sehr deutlich gemacht. Ihre Politik fragt nicht nach Gründen für Probleme, fragt nicht nach Gründen für Proteste ({7}) oder für die in bestimmten Bereichen zunehmende Kriminalität, sondern Ihre Politik sucht Eingriffsinstrumente, die - das ist das Fatale - die staatliche Kontrolle immer weiter in die Privatsphäre der Bürger hineinverlagert. Ich denke dabei nur an den jüngsten Entwurf, der die Arbeit verdeckter Ermittler schrankenlos ermöglichen soll, an das Ausspionieren durch Geheimdienste, an die von Ihnen beabsichtigte schrankenlose Möglichkeit der Vernetzung aller Daten zwischen den verschiedenen Diensten, die durch den Entwurf eingeführt werden soll. Ich denke dabei genauso an all das, was in dieser Legislaturperiode schon gemacht worden ist oder noch ansteht, um das Strafrecht in den politischen Bereich, in den Bereich der Gesinnungen hinein vorzuverlegen. Ich meine, daß dies eine unselige, gefährliche Politik ist, eine Politik, der wir dringend und sofort Einhalt gebieten müssen. Dieser Politik hat der Bundesinnenminister in diesem Sommer im üblen Sinne die Krone aufgesetzt, als er das aus meiner Sicht bislang Schlimmste vorgeschlagen hat, nämlich eine staatliche Ermächtigung der Polizei zum Töten, zum gezielten Erschießen von Menschen auf offener Straße, sozusagen die Wiedereinführung der Todesstrafe auf der Straße. ({8}) Ich frage Sie, Herr Schäuble, was das Grundgesetz, der Schutz des Lebens, die Würde des Menschen in den Händen einer schwarz-gelben Koalition wert ist, bei der übrigens in der Innen- und Rechtspolitik das Gelb bestenfalls in sommerlichen Presseerklärungen oder in Talkshows aufscheint. Anderswo habe ich es nicht gesehen, schon gar nicht in den Ausschußberatungen. - Was sind die Bestimmungen der Verfassung wert in einer Regierung, bei der längst schon die Republikaner als stille Teilhaber fungieren, nämlich als diejenigen, die ante portas stehen und die Politik immer weiter nach rechts verschieben? Wir brauchen ein Umdenken in der Innen- und Rechtspolitik. Wieder einmal sind es die GRÜNEN, die hier vorangehen, die eine Weiterentwicklung der demokratischen Ordnung fordern und vorschlagen, die die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Politik vorschlagen, die eine neue die Ursachen und nicht die Opfer bekämpfende Drogenpolitik fordern, die eine Entrümpelung des Strafrechts mit dem Ziel fordern, Bagatelldelikte zu entkriminalisieren und wirklich kriminelle Taten angemessen zu verfolgen, die ein Zurückholen von Kompetenzen in die Parlamente und in die öffentliche Auseinandersetzung und Meinungsbildung fordern. Daß Herrn Schäuble dies nicht paßt, daß er und seine Freunde zu den letzten gehören werden, die die Herausforderung eines neuen Denkens in der Innen- und Rechtspolitik annehmen und als Chance und nicht etwa bloß als eine Gefahr für ihre alte, festgefahrene Praxis verstehen, das war zu erwarten. Daß Sie, Herr Schäuble, in der Erwiderung auf unsere wohldurchdachten Thesen aber selbst vor Diffamierung und Verdrehung nicht haltmachen ({9}) - soll ich sagen: vor der Lüge? - , das ist allerdings traurig und es zeigt die ganze Hilflosigkeit und Unfähigkeit zu einem sachlichen Dialog sowie Ihre Schwierigkeit, die Thesen selbst sachlich zu diskutieren und zu widerlegen. Da ich, wie Sie wissen, leider sehr wenig Redezeit habe, will ich jetzt nur einen Punkt von vielen herausgreifen, und zwar den einen Punkt, den Sie, Herr Minister, auch heute wieder erwähnt haben. Sie haben behauptet, die GRÜNEN diffamierten das staatliche Gewaltmonopol und lehnten es ab. Sie behaupten dies auf der Grundlage unserer Thesen. Ich lese Ihnen jetzt einmal vor, was dazu in den Thesen steht. Wir haben erklärt - was Sie anscheinend gar nicht gern hören - , daß sich jedes staatliche Handeln vor den Grundrechten rechtfertigen muß, daß die Reklamierung eines „übergeordneten Staatsinteresses" - so heißt es in These 15 - und „ein Berufen auf den ,übergesetzlichen Notstand' ebenso vorkonstitutionellem Gedankengut" entsprechen „wie die Reklamierung eines ,staatlichen Gewaltmonopols', das sich nicht jederzeit im Wandel der historischen und demokratischen Kultur an die individuellen Freiheits- und Bürgerrechte bindet" . ({10}) - Herr Gerster, nun halten Sie mal den Mund! - Wenn Sie tatsächlich etwas anderes fordern als ein Gewaltmonopol, das sich an Freiheits- und Bürgerrechte bindet, dann wollen Sie und nicht wir eine andere Republik. ({11}) Wir wollen, daß Demokratie wieder lebendig wird, daß die Parlamente Kompetenzen zurückholen, gestärkt werden gegenüber den Apparaten und Exekutiven. Wir wollen, daß die Bürger selbst gestärkt werden, Akteneinsichtsrechte, eine gläserne Verwaltung. Denn wofür sonst ist die Verwaltung da, wenn nicht für die Bürger?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter - Häfner ({0}) : Wir wollen, daß die Bürger sich an den politischen Entscheidungen unmittelbar beteiligen können,...

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter - Häfner ({0}):... in Volksbegehren und Volksentscheiden. Das ist Demokratie. Das ist dann auch eine andere Republik, nämlich eine, wie sie die Eltern des Grundgesetzes gewollt und gemeint haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Häfner, ich erwarte doch so viel Kollegialität, daß Sie, wenn Sie sehen, daß ein Abgeordneter dieses Hauses eine Zwischenfrage stellen will, dem Präsidenten wenigstens die Möglichkeit geben, auf angenehme Weise Vizepräsident Stücklen diesen Geschäftsordnungsvorgang auch durchzuführen. ({0})

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident, ich war im Konflikt zwischen Herrn Dr. Hirsch, dessen Fragen ich sehr schätze und freudig erwarte, und der roten Lampe mit dem Signal „Ende" , die mich eben zum Abschluß der Rede drängte. ({0}) Wenn Sie die Zeit noch einräumen, beantworte ich die Frage sehr gerne.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, ich kann sie jetzt nicht mehr einräumen, Herr Abgeordneter Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das bedaure ich außerordentlich. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke. ({0}) Meine Damen und Herren, bevor der Präsident die Möglichkeit hat, hier einzugreifen und den Redner zu unterbrechen, sieht der Redner doch in der Regel, daß eine Zwischenfrage gewünscht wird. Wenn er sie zulassen will, braucht er doch nur den Kopf leicht zu wenden. Dann kann die Zwischenfrage gestellt werden. Herr Abgeordneter Funke, das geht nicht von Ihrer Redezeit ab. Bitte sehr. ({1})

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während die innenpolitischen Auseinandersetzungen häufiger im Mittelpunkt der Diskussion stehen, und manches, Herr Kollege Gerster, wie bei Ihnen, etwas holzschnittartig gerät, herrschen im Geschäftsbereich des Bundesjustizministers eher die leisen Töne vor. Deswegen wird aber nicht weniger effektiv gearbeitet, was man ja auch an der Erfolgsbilanz des Bundesjustizministers ablesen kann. ({0}) Und diese leisen Töne haben wohl auch dazu geführt, daß die Rechtspolitik in dieser Haushaltsdebatte nicht im Mittelpunkt steht. Ich will mir deswegen auch verkneifen, hier längere Ausführungen zu den wichtigen Gesetzesvorhaben zu machen. Ich möchte aber auf einige wenige Punkte eingehen. Besonders hervorzuheben ist, daß der Justizminister mit den Gesetzesvorhaben der Verbesserung der Akzeptanz des Rechtes in der Bevölkerung und durch die Bevölkerung Vorrang einräumt. Das kodifizierte Recht darf auf Dauer nicht vom Rechtsbewußtsein der Bevölkerung abweichen, und die gesellschaftlichen Veränderungen, die nun einmal ständig im Flusse sind, müssen bei der Kodifizierung des Rechts berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Embryonenschutzgesetz, auf das Nichtehelichenumgangsrecht und vor allem auf das Betreuungsgesetz hinweisen. Das Betreuungsgesetz wird das alte, fast hundert Jahre geltende Vormundschaftsrecht ersetzen und nicht nur dem Umstand Rechnung tragen, daß die Menschen ja sehr viel älter geworden sind, sondern auch dem, daß die Menschenwürde im Alter stärker berücksichtigt werden muß. Der betroffene Bürger erhält auf Grund des Betreuungsgesetzes mehr persönliche Hilfe und Zuwendung als bisher. Dies ist auch deswegen notwendig, weil die Großfamilien, wie sie noch um die Jahrhundertwende durchaus vorhanden gewesen sind, nicht mehr vorhanden sind. Dieses Gesetzesvorhaben ist für uns Liberale ganz besonders wichtig. Wir danken dem Bundesjustizminister für die wirklich gründliche Vorbereitung. ({1}) Die Bevölkerung mißt dem Umweltschutz und den damit verbundenen Rechtsvorschriften zu Recht immer größere Bedeutung bei. Dies wird auch noch Eingang in die gesetzlichen Vorschriften finden, in das Umwelthaftungsrecht und Umweltstrafrecht. Wir hoffen sehr, daß die Sozialdemokraten gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einen Kompromiß hinsichtlich der Staatszielbestimmung im Grundgesetz finden werden. ({2}) - Vielleicht müssen auch Sie sich bewegen, Herr de With. ({3}) Der Binnenmarkt ab 1. Januar 1993 wirft für die Rechtspolitik seine Schatten voraus. Zahlreiche EG-Richtlinien müssen ins nationale Recht umgesetzt werden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das Produkthaftungsrecht und das Bankbilanzrichtliniengesetz. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß es hierbei keine Perfektion geben kann. Eine Überregulierung in diesem Bereich lehnen wir ab. Wir werden das Notwendige im Europarecht tun, aber auch nicht mehr. Im strafrechtlichen Bereich ist die Einführung der Vermögenstrafe als neues Rechtsinstitut für die Verbrechensbekämpfung notwendig. Wir werden sie gemeinsam, so hoffe ich, im Rechtsausschuß ausgestalten und zu einer vernünftigen Regelung kommen. Der Bundesjustizminister hat eine umfassende Neuordnung des Konkursrechts vorgesehen. Es ist jetzt notwendig, daß diese schwierige rechtliche Materie politisch und auch rechtlich diskutiert wird, damit wir die Beratung noch in dieser Legislaturperiode beginnen können. Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl befinden sich noch zahlreiche wichtige Gesetze in der Beratung. Von meiner Fraktion sichere ich zu, daß diese Beratungen intensiv, aber auch zügig im Rechtsausschuß durchgeführt werden, damit das, was der Bundesjustizminister auf den Weg gebracht hat, sich im Bundesgesetzblatt wiederfindet. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir liegt besonders der Schutz derjenigen am Herzen, die keinen großen Interessenverband bilden. Ich habe Ihnen deshalb den Entwurf eines Betreuungsgesetzes vorgelegt. Eines der bedeutsamsten familienrechtlichen Vorhaben der Nachkriegszeit tritt damit in seine entscheidende Phase. Vierzig Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes soll der freiheitliche Geist unserer Verfassung nun auch den Menschen zugute kommen, die wegen ihrer Behinderung in ihren Rechten und in ihrer Handlungsmöglichkeit durch das geltende Recht so oft auch unnötig eingeschränkt werden. Hier wie auch sonst werde ich nicht zulassen, daß hilfsbedürftige, insbesondere alte Menschen an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden. Deshalb habe ich mich auch gegen das Ergebnis - wohlgemerkt: nicht gegen die Richter, nein, gegen das Ergebnis - der Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg so deutlich ausgesprochen. In einer Gesellschaft, die sich im Sinne Albert Schweitzers einer umfassenden Ethik verpflichtet fühlen sollte, ist auch das Tier ein schutzbedürftiges Wesen. Die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches wird deshalb erstmals klar zum Ausdruck bringen, daß auch im Zivilrecht eine besondere Fürsorgeverpflichtung des Menschen für das Tier besteht. Meine Damen und Herren, für das letzte Jahr dieser Legislaturperiode hat sich die Bundesregierung ehrgeizige Ziele gesetzt. Ich kann diese Ziele im rechtspolitischen Bereich hier nicht alle aufzählen. Ich habe aufmerksam verfolgt, daß jetzt in der innenpolitischen Debatte etwa auch dem Thema der Vermögenstrafe gezielt gegen die Drogenkriminalität und vielem mehr, was wir in diesem Bereich verstärkt tun müssen, eine große Bedeutung beigemessen wurde. Dazu stehe ich. Das werde ich mit meinem Ministerium nach Kräften zu unterstützen suchen. ({0}) Ich will zwei Bemerkungen machen, zum einen zum Umweltrecht und zum anderen zu dem Thema: Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft. Umweltschäden müssen durch ein scharfes Haftungsrecht ({1}) präventiv vermieden bzw. adäquat ausgeglichen werden. Die Geschädigten müssen und werden mehr Rechte bekommen. Den Kern der Reform bildet die Neueinführung der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung zum Schutz von Boden und Luft. Auch strafrechtlich werden wir den Schutz von Wasser, Luft und Boden weiter vorantreiben. Es werden heute zu viele Ermittlungsverfahren bei der Umweltkriminalität eingestellt. Da sind Mängel in unserem geltenden Recht deutlich geworden. Diese Mängel müssen abgestellt werden. Sehr wichtig ist auch, daß Naturschutzgebiete in Zukunft auch strafrechtlich besser geschützt werden. Beide Entwürfe, das Umwelthaftungsrecht wie das Umweltstrafrecht, liegen den Bundesländern bereits zur Stellungnahme vor. Über diese großen Einzelvorhaben hinaus ist es dringend geboten, in dieser Legislaturperiode - ich sage es von seiten der Bundesregierung, obwohl ja vereinbart ist, daß sich die Fraktionen dieses dringenden Themas annehmen sollen - endlich zum Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz zu kommen. ({2}) Wir sollten die verbleibenden Monate nicht verstreichen lassen und glauben, wir könnten es uns leisten, nicht auf dem Kompromißwege doch zu einem Ergebnis zu kommen, das dann zwei Drittel des Deutschen Bundestages wie des Bundesrates hinter sich findet. Meine Damen und Herren, ein weiteres großes Thema ist die Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft. Von dieser Wirtschaft leben wir. Nur ist dies bei einigen zuweilen etwas in Vergessenheit geraten. ({3}) Es ist deshalb unsere Pflicht, die Innovationskraft der Wirtschaft zu stärken und ihr dabei die nötigen Freiräume einzuräumen. Wir werden deshalb die restriktiven Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Ausgabe von Schuldverschreibungen aufheben. Der Wettbewerb und die Anziehungskraft der Bundesrepublik Deutschland als ein internationaler Finanzplatz werden dadurch ganz wesentlich gestärkt. ({4}) Wenn es, so setze ich hinzu, um die Beseitigung von Fehlentwicklungen geht, kennen wir keine gesetzlichen Tabus. Gerade wir Liberalen, die wir so häufig als eine Partei des großen Geldes denunziert worden sind, ({5}) sehen den Machtzuwachs der Banken mit sehr kritischen Augen. Wenn irgend möglich wollen wir noch in dieser Legislaturperiode erste deutliche Schritte in diesem Bereich tun. Es versteht sich von selbst, daß ich als ein sozial engagierter Rechtspolitiker auch im Bereich der WirtBundesminister Engelhard schaft den Schutz der Schwachen besonders mit im Auge habe. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß rund die Hälfte aller privaten Haushalte Ende des vergangenen Jahres privat Kredit aufgenommen hatte, dann wird klar, daß der Verbraucherschutz bei Kreditverträgen bitter not tut. Der moderne Schuldturm, der durch die ungenügenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verzugszinsen so sehr angewachsen ist, muß durch das vom Kabinett verabschiedete Verbraucherkreditgesetz abgetragen werden. Meine Damen und Herren, zum Schluß: Wir begehen in diesem Jahr feierlich und zu Recht mit Stolz 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 40 Jahre Grundgesetz. In einem solchen Jubiläumsjahr war es aber auch hoch an der Zeit, uns auch im Bereich der Justiz zum Unrechtsregime der zwölf Jahre zurückzuwenden. Über die Jahrzehnte hinweg haben wir uns kaum mit der Justiz im Nationalsozialismus beschäftigt und das Problem auch in der Nachkriegszeit nicht bewältigt. Ich habe deshalb dafür gesorgt, daß auf dem Gelände der Deutschen Richterakademie in Trier ein Mahnmal für die ungesühnten Opfer dieser Justiz errichtet worden ist. ({6}) Ich habe des weiteren in vollem Einvernehmen mit allen Bundesländern eine Ausstellung erarbeiten lassen, die umfassend über Justiz und Nationalsozialismus informiert und in allen Ländern zu sehen sein wird. ({7}) Ich weiß, vielen wird diese Ausstellung zu spät kommen, und es gibt ebenso viele, die dahin gehend denken, daß doch endlich Schluß gemacht werden müsse mit etwas, an das man sich am liebsten nicht erinnern möchte. Ich widerspreche beiden Positionen. Wohl können wir mit einer solchen Ausstellung Unrecht weder sühnen noch gar wiedergutmachen. So gesehen kommt diese Ausstellung natürlich zu spät. Nur meine ich, in diesem 40. Jahr unserer Republik war es hoch an der Zeit, auch einen solchen Schritt zu tun. Zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und zum Erinnern an die Vergangenheit können wir unseren Beitrag leisten. Diese Vergangenheit ist lange, viel zu lange verdrängt worden. ({8}) Wir müssen alles tun, damit diese Vergangenheit nicht gänzlich vergessen wird. Dies sind wir den Opfern und ihren Leiden schuldig. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine sehr verehrten Damen und Herren, absprachegemäß kommen wir zu einem neuen Themenbereich in der Generalaussprache über den Haushalt, nämlich zur Wirtschaftspolitik. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Roth. ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin Süssmuth hat uns unmittelbar, bevor Sie, Herr Präsident, die Sitzungsleitung übernommen haben, gemahnt, diese Debatte sachlich zu führen. Sie hat moniert, daß im Protokoll des Deutschen Bundestages von gestern und heute der Zwischenruf „Hetzer!" vorkommt. Meine Damen und Herren, ich halte die Mahnung für gerechtfertigt, aber dann gilt das, bitte schön, auch für die Redner. Wer beispielsweise der Sozialdemokratischen Partei Anbiederung gegenüber Kommunisten vorwirft ({0}) - das ist fast wörtliches Zitat -, bei dem muß ich leider - es tut mir sehr leid - den Begriff „hetzen" als zutreffend ansehen. ({1}) Man kann nicht Zurückhaltung von denen erwarten, die man mit ganz kaltem Herzen, mit ganz kaltem Verstand beleidigt, und zwar nur deshalb, weil man auf die Stimmenzahlen des eigenen Parteitages am Wochenende schielt. Das war doch der Grund für Herrn Rühes Ausfälle gestern! ({2}) - Sie rufen hier, bezogen auf den Vorwurf, dazwischen, es seien Tatsachen. Ich helfe in den letzten Wochen, beispielsweise in der Volksrepublik Ungarn, die jetzt eine demokratische Republik Ungarn wird, eine Sozialdemokratie zu unterstützen. Das ist die Wahrheit! Wir sind Konkurrenten in jenem Land der Kommunisten. Das weiß doch jeder! Auch Herr Rühe, der dauernd herumreist, auch in Ungarn war, weiß das ganz genau. ({3}) Deshalb hat er gestern „gehetzt". ({4}) Meine Damen und Herren, ich bin froh, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir, und zwar Redner aus allen Fraktionen, es bisher immer geschafft haben, unsere Wirtschaftsdebatten ohne jene Unterstellungen, Schärfen und Beleidigungen zu führen. ({5}) Ich möchte das heute auch tun, und Uwe Jens wird es anschließend von unserer Seite fortsetzen. Alle sagen, die Konjunktur laufe gut, alle sagen, die Wachstumskräfte der Wirtschaft seien höher als erwartet. ({6}) Man könnte also, legt man die überkommenen Maßstäbe der Wirtschaftspolitik an, glücklich und zufrieden sein. Warum sind es dann die Menschen doch nicht? Das ist doch die Frage. Warum sind sie so beeindruckt von anderen Problemen und so wenig beeindruckt von den Wachstumsziffern? Wo liegt der Grund dafür? Ist es tatsächlich das Unvermögen zur Selbstdarstellung durch die Bundesregierung? Das war ja Ihr Thema im Frühsommer. Dann mußte der Herr Ost gehen. Ihn hat dieses Unvermögen zur Selbstdarstellung den Posten gekostet, aber das Problem, daß niemand von den Wachstumsziffern beeindruckt worden ist, ist damit nicht beseitigt. Offensichtlich verfehlt die Wirtschaftspolitik, die auf Wachstum schielt, die Empfindungen, die Erwartungen und die Hoffnungen der Menschen; ({7}) sie hinterläßt nur Enttäuschungen. ({8}) Diese Regierung ist 1982 mit der Zusicherung angetreten, sie würde die Massenarbeitslosigkeit beseitigen. ({9}) Jetzt haben wir immer noch 2 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland, jetzt nach sieben Wachstumsjahren, wo Sie versprochen haben, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. ({10}) Das heißt, das Problem der Massenarbeitslosigkeit ist durch Wachstum nicht beseitigt worden, und das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit hat drastisch zugenommen. ({11}) Das heißt, Ihr Argument, Wachstum sei der Schlüssel zur Beseitigung der Probleme, ist nicht aufgegangen. Meine Damen und Herren, die Enttäuschung der Menschen über diesen Sachverhalt ist doch um so nachhaltiger, als sie Ihnen ursprünglich geglaubt hatten, daß das Problem mit Konjunktur- und Wachstumsraten zu bewältigen sei. Jetzt, in diesem Aufschwungjahr 1989, wäre spätestens die Gelegenheit und die Notwendigkeit gegeben, nachzuprüfen: Warum funktioniert das nicht mehr so? ({12}) Sie waren ja manchmal in Ihrer Argumentation auf dem richtigen Weg, zum Beispiel bei der Qualifizierungsoffensive. Wir waren der Meinung, das ist ein Ansatzpunkt, den wir gemeinsam tragen können, denn höhere Qualität der Arbeitskräfte, bessere Bildung, Ausbildung, auch bessere Information über moderne Techniken und neue Verfahren wären eine Voraussetzung, Menschen einzugliedern, die sonst herausfallen. Nur haben Sie genau die Qualifizierungsoffensive abgebrochen; der Bundesanstalt für Arbeit wurden Mittel gekürzt, und zwar exakt an diesem Punkt. Das ist ein Beispiel dafür, daß Sie versagt haben. Ändern Sie das! ({13}) Zweite Enttäuschung: die neue Ungerechtigkeit in der Einkommensverteilung. Sie bejubeln das Wachstum, aber wie sieht das Resultat für die Arbeitnehmer aus? Die Löhne und Gehälter steigen in diesem Jahr brutto um rund 3 %. ({14}) Netto, nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, beträgt der Lohn- und Gehaltszuwachs 2 %. Die Verbraucherpreise steigen in diesem Jahr, wie Sie selbst zugeben, um 3 %, d. h. real haben die Arbeitnehmer in diesem Konjunkturjahr 1989 1 % weniger in der Tasche. ({15}) Das heißt: Reduzierung der Masseneinkommen. Im Trend war das schon seit 1982 so. In sechs Jahren Aufschwung zwischen 1982 und 1988 ist das Einkommen netto nach Abzug der Steuern, der Sozialabgaben und der Preissteigerungsrate jährlich im Durchschnitt nicht einmal um 1 % gestiegen, insgesamt um 5,8 % ({16}) Jetzt kommt die andere Zahl, und die führt zu der Enttäuschung über diesen Aufschwung: Die Einkommen der Unternehmer sind zwischen 1982 und 1988 um 61,4 % gestiegen. ({17}) Es besteht ein Verhältnis von 5,8 % zu 61,4 %! Ist es da nicht gerechtfertigt - wie es die Gewerkschaften ja tun - , von einem Aufschwung für die Unternehmer zu sprechen? In keiner Aufschwungperiode in der Nachkriegszeit gab es eine derart ungleiche Verteilung bei der Entwicklung der Einkommen. ({18}) Es ist also kein Wunder, daß die Arbeitnehmer ihre Enttäuschung über diesen Aufschwung immer wieder dringend formulieren. Ich kann, Herr Minister Haussmann, überhaupt nicht nachvollziehen, warum Sie, wenn Sie diese Einkommensentwicklung sehen, für die Sie vielleicht sogar irgendwelche Begründungen geben wollen, für die Zukunft, nun staatlich geplant, eine weitere Umverteilung zugunsten der Vermögensbesitzer und der Unternehmen vorsehen. ({19}) Sie versprechen in diesen Tagen - Frau MatthäusMaier hat darauf hingewiesen - weitere 27 Milliarden DM Steuernachlässe für die Unternehmer, ({20}) ohne jede Deckung. Wo liegt die ökonomische Begründung für diese Umverteilungspolitik in der Zukunft, wo doch die Enttäuschungen über die Umverteilungen der Vergangenheit noch nicht überwunden sind? Meine Damen und Herren, hier ist eine andere Politik notwendig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Grünbeck?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Erträge im Unternehmen ein wesentliches Element des wirtschaftlichen Aufschwungs sind, weil mehr investiert und mehr Beschäftigung geschaffen wird, und daß gut verdienende Unternehmen für die Volkswirtschaft etwas Besseres sind als mißgewirtschaftete und abgewirtschaftete gewerkschaftliche Unternehmungen? ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wissen Sie, ich darf da ein altes Wort aufgreifen: Um auf Dauer Stabilität und Stetigkeit zu haben, bedarf es der sozialen Symmetrie. Ich habe mich nicht gegen Unternehmensgewinne ausgesprochen, ({0}) sondern gegen die mangelnde soziale Symmetrie, gegen die mangelnde Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen und gegen die Tatsache, daß Sie jetzt in der Steuerpolitik die Umverteilung noch verstärken. ({1}) Die dritte Enttäuschung: Wachstum ohne Fortschritt. Seit Jahren redet die Bundesregierung von marktwirtschaftlichen Wegen zum Umweltschutz und von einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. So nebulos das auch blieb, es war im Grunde das richtige Thema angedeutet. Konkret geht es darum: Wie erhalten wir für uns und für die Nachwelt die natürlichen Lebensgrundlagen? Das ist nicht allein ein umweltpolitisches Thema, sondern gleichzeitig ein wirtschaftspolitisches und finanzpolitisches Thema. ({2}) Aber in der Praxis vergessen Sie die Umweltfrage; Sie reden gar nicht mehr darüber. Sie jubeln über 4 oder 5 % Wachstum, ohne sich zu überlegen, wie sich die Qualität des Lebens für die Menschen verändert, ja, verschlechtert. „Mehr" ist für Sie immer noch automatisch auch „besser" . Was Sie erreicht haben - so empfinden es viele -, ist Wachstum ohne Fortschritt. Das heißt, es sind zwar Zuwachsraten vorhanden, aber das Wohlbefinden und die Wohlfahrt der Menschen werden von dem Wachstum selbst nicht mehr positiv beeinflußt. Übrigens war da der Wirtschaftsausschuß - ich muß alle Fraktionen loben - weiter. Herr Biedenkopf, Dietrich Sperling - der erste von der CDU, wie jeder weiß, und der zweite von der SPD - und Peter Sellin von den GRÜNEN hatten sich zusammengesetzt das war fast eine Allparteienaktion in einem Ausschuß - und haben eine große Anhörung gemacht: Ist eigentlich Sozialproduktswachstum noch Maßstab für die Wohlfahrt der Menschen? Das Ergebnis war einhellig, übrigens selbst durch Industrievertreter gesagt: Es funktioniert nicht mehr so. Und jetzt gehen Sie in diese Debatte und in die ganze öffentliche Diskussion wiederum nur mit dem Thema: Wachstum, Wachstum, Wachstum - ohne Qualität. ({3}) Meine Damen und Herren, es kommt ja noch schlimmer. Wenn von anderen Instrumente vorgeschlagen werden, die diese Qualität des Lebens verbessern würden, beispielsweise durch Einsparungen bei der Energie, weil die Emissionen verringert werden, dann greifen Sie diese Konzepte als antimarktwirtschaftlich, als sonst schädlich und als ohnehin von Übel an und verzögern damit diesen Diskussionsprozeß, der in Richtung für eine ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft gehen muß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten KrollSchlüter? - Bitte sehr.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, können Sie bestätigen, daß von Jahr zu Jahr zunehmend ein Teil des Wachstums auf Umweltschutzinvestitionen zurückzuführen ist?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eben nicht in dem Umfange, wie es der Bundesrepublik Deutschland und ihren Umweltproblemen entspricht! ({0}) Sie haben sogar gekürzt, was deutlich wird, wenn Sie über die Jahre hinweg schauen. Vergleichen Sie einmal das große Zukunftsinvestitionsprogramm mit seiner Wassersanierung vom Bodensee bis an die holländische Grenze mit dem, was Sie derzeit basteln. Wir hatten Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ganz andere Dimensionen. ({1}) Mir geht es aber auch darum, zu sagen: Nutzt die Marktkräfte zur ökologischen Erneuerung. Wenn man Marktkräfte in die richtige Richtung wecken will, muß man beispielsweise auch beim Preis und damit bei der Steuer ansetzen. Wenn Energie über den Preismechanismus gespart werden soll, muß man auch bereit sein, eine Ökosteuer, eine Energiesteuer zu akzeptieren. Ihre Einwände auf diesem Gebiet tragen nicht. Erster Einwand: Wir wollten ja nur Kasse machen. Wir haben vorgeschlagen, die direkten Steuern, insbesondere die Lohnsteuer, zu senken und die KfzSteuer abzuschaffen. ({2}) Das ist eine positive Ausgleichsmaßnahme, mit der die soziale Situation insbesondere der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen trotz Ökosteuer nicht verschlechtert wird. Zweiter Einwand - er geht vor allem auf Graf Lambsdorff zurück - : Wir könnten uns das nicht leisten, im internationalen Wettbewerb fielen wir zurück, unsere Energiepreise seien zu hoch, wir seien im Vergleich mit dem Ausland nicht leistungsfähig. Meine Meinung ist, daß wir uns dieses Argument sehr genau anschauen sollten. In diesen Tagen ist eine der konservativsten - manche nennen in dem Zusammenhang andere Begriffe - europäischen Politikerinnen, nämlich Frau Thatcher, von einem Lager ins andere übergegangen, was diese Frage betrifft. ({3}) Angesichts der Klimakatastrophe hat sie akzeptiert, daß beispielsweise auch der Preis als Instrument zum Energieeinsparen notwendig ist. Das heißt aber, daß wir jetzt weltweit einen Wettbewerb um die besseren Produkte und Produktionsverfahren beim Energieeinsatz bekommen. ({4}) Mitte der 90er Jahre wird derjenige Exportweltmeister sein, der in der Lage ist, die ökologisch besseren Produkte und Produktionsverfahren schneller auf den Markt zu bringen. Ich habe unsere eigene Schande noch nicht vergessen - ich habe das nie verstanden - , daß wir gezwungen waren, auf japanische Katalysatoren zurückzugreifen. Inzwischen haben wir, was Katalysatoren und Filter für die Industrie betrifft, durch unsere Politik einen Vorsprung geschaffen. ({5}) Aber dieser Vorsprung muß jetzt kontinuierlich über marktwirtschaftliche Politik gehalten werden. ({6}) Ich habe gestern abend in der Verkehrsdebatte eine Stellungnahme des neuen Verkehrsministers Zimmermann zu den Diskussionsbeiträgen von Herrn Daubertshäuser und anderen vermißt. Gerade die Verkehrspolitik ist eine Politik der Umwelt- und der ökologischen Erneuerung. Mobilitätsgründe und Umweltgründe sprechen dafür, das mit Vorrang zu tun. Wir haben in diesem Sommer in der Bundesrepublik Deutschland erlebt, daß der Verkehr am Zusammenbrechen ist. Wir wissen, daß der Pkw-Verkehr in der Zukunft noch zunehmen wird. Warum entwickelt diese Bundesregierung in dieser Situation nicht den Ansatz eines neuen Verkehrskonzepts? ({7}) Wer nicht feige ist - das sage ich in Richtung auf Marktwirtschaftler in der FDP, die Einwände dagegen ständig wiederholen - , muß ja sagen zu einer Mineralölsteuererhöhung. Ohne diese Erhöhung geht das Sparen und weniger Fahren in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Deshalb bin ich der Meinung: Mineralölsteuererhöhung: ja - und gleichzeitig die Grundfreibeträge bei der Lohnsteuer nach oben. Dann gibt es einen sozialen Ausgleich, der ökologisch weiterführt. Wir werden Sie da nicht aus der Verantwortung entlassen. ({8}) Meine Damen und Herren, natürlich ist das nur ein Element. Die Bahn ist ein anderes Element. Wer dem Pkw in den 90er Jahren eine Chance geben will, muß dem öffentlichen Nahverkehr und der Bahn jetzt helfen. Meines Erachtens gibt es viel zu viele Menschen, die keine Alternative im Sinne des Einsparens haben, ({9}) d. h. die sich nicht bewegen können, wenn das Auto ausfällt oder zu teuer wird. Deshalb gehört zu dieser Politik der Energieeinsparung eine offensive Politik zur Verbesserung des Nahverkehrs und der Bahn. Das gehört bei uns zusammen! ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, zum ersten: Als hier vor ungefähr einem halben Jahr beschlossen worden ist, daß die Mineralölsteuer erhöht werden soll, waren Sie entschieden dagegen. Wo sind Ihre damaligen Worte geblieben? Zum zweiten: Ihre Kollegin Matthäus-Maier hat vorgestern hier in der Debatte des Deutschen Bundestages klargestellt, daß Sie für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 bzw. 130 Stundenkilometern auf den Autobahnen sind. Meine Frage an Sie ist deshalb: Gilt das nur für das normale Volk oder auch für Sozialdemokraten, weil mich jüngst ein führender bayerischer Sozialdemokrat, nämlich Herr Hiersemann, mit 170 Stundenkilometern auf der Autobahn überholt hat. ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letzterem rede ich ins Gewissen. Wenn das nicht wirkt, rufe ich Herrn Vogel zu Hilfe. ({0}) - Als Hilfsorgan. ({1}) - Ich könnte ja beim Präsidenten eine Ausnahmegenehmigung erwirken, Herr Waigel. ({2}) Zur ersten Frage - Ingrid Matthäus-Maier hat das in ihrem Beitrag ja schon erwähnt - : Sie haben damals die Mineralölsteuer erhöht, um Kasse zu machen. ({3}) Wir wollen ein umfassendes verkehrspolitisches Konzept auf diesem Gebiet darstellen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ich bin ganz dankbar, daß Sie diese Frage stellen; denn damit ist die Geschichte noch einmal klar geworden. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein anderes Thema ansprechen: die Effizienz und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Sie waren - Sie erinnern sich - mit dem Versprechen angetreten, die Subventionen zu kürzen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Subventionen sind und bleiben auch in diesem Haushalt auf einem Rekordstand. ({5}) Auf diesem Feld haben Sie völlig versagt. Sie haben der Erfahrung völlig zuwidergehandelt, daß nichts die Effizienz und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft mehr stärkt, als an dieser Stelle den Wettbewerb wirklich zu organisieren. Der europäische Binnenmarkt wurde in den letzten Jahren immer wieder damit begründet - ich fand das Argument richtig - : Er schaffe mehr Wettbewerb, steigere die Leistungsfähigkeit bei uns und in anderen europäischen Ländern bis hin nach Portugal und Spanien; das ist dringend geboten. Gleichzeitig wird nun aber der europäische Binnenmarkt permanent als Argument für Fusionen, für Konzentrationen, für Kartelle und für Monopole herangezogen. Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung. Wir hatten uns den Binnenmarkt eigentlich nicht so vorgestellt, daß nun dieselben Unternehmensgrößen - nur in verdreifachter, vervierfachter Größe - auftreten, sondern wir wollten mehr Wettbewerb. Es gibt eine Konzentrationstendenz, die uns außerordentlich besorgt macht. Das heißt, wir als Politiker räumen - zugegebenermaßen unter Schwierigkeiten - europäische Schutzzäune weg, und jetzt gibt es privat organisierte Schutzzäune der Unternehmen. ({6}) Das heißt, jetzt ist eine Phase da, bei der man Wettbewerbspolitik noch ernster nehmen muß als bisher, und zwar nicht mit irgendwelchen Scheinnovellierungen des Kartellgesetzes, sondern in der praktischen Politik. Ich weiß nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, wie Sie in Brüssel gegen die Verquickung von Industriepolitik und Wettbewerbspolitik - die beispielsweise die Franzosen seit jeher verfolgen, auch in der Kommission - weiterhin glaubhaft antreten und gleichzeitig in der Bundesrepublik die Superfusion Daimler-Benz/MBB genehmigen wollen. ({7}) Es ist nicht nur ein moralisches Problem, daß jemand, der sich in der Vergangenheit so entschieden für Wettbewerb und Marktwirtschaft ausgesprochen hat, eigentlich sich selbst treu bleiben müßte, gerade in einer kritischen Phase, gerade wenn es schwerfällt, nicht wenn man da irgendwo auf einer Konferenz herumredet, wo es nicht weh tut. Aber es ist auch eine sehr praktische Frage für alle Nachfolgeregierungen: Wenn diese Regierung diese Superfusion zuläßt, ist die Glaubwürdigkeit unseres Kartellgesetzes, des Grundgesetzes unserer Wirtschaft, was den Wettbewerb betrifft, nicht mehr gegeben und nicht mehr formulierbar. ({8}) Deshalb sage ich auch in unserem ureigensten Interesse, ({9}) daß Sie an dieser Stelle aktiv werden und den Mut haben müssen, die Fusion zu verweigern. Daimler-Benz wurde eine Ministererlaubnis offenbar schon in Aussicht gestellt; jedenfalls steht das heute in der „Stuttgarter Zeitung". ({10}) Manche sagen, sie wurde sogar offiziell zugesagt. Sagen Sie uns in dieser Debatte - Sie haben Gelegenheit dazu -, ob Sie am Freitag die Fusion genehmigen, ob Sie das unterstützen, dann werden wir anschließend zu den Detailfragen dieser Fusion noch eine lebhafte Debatte haben. ({11}) Stimmt es eigentlich oder stimmt es nicht, daß in den letzten Wochen über die Zustimmung zur Fusion hinter verschlossenen Türen ständig verhandelt worden ist? ({12}) - Die Anhörung ist öffentlich, transparent und sichtbar, die Anhörung ist das Gespräch zwischen Staat und Wirtschaft, nicht aber Diskussion und Kungeleien hinter hinter verschlossenen Türen. Darum geht es! ({13}) In verschiedenen Zeitungen, darunter auch der „Stuttgarter Zeitung", steht, es hätte - man muß sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen - „NonGespräche" gegeben. Wir kennen ja aus der Diplomatie in schwierigen Verhandlungsphasen Non-Papiere ({14}) als Vorstufe zum letzten Papier, zum Vertragspapier. ({15}) Aber, meine Damen und Herren, daß ein Staatssekretär, in diesem Fall der Herr Schlecht - ({16}) - Da fällt es fast schwer, im Namen keine Auszüglichkeiten zu entdecken, aber da ich Roth heiße, bin ich vorsichtig. ({17}) Meine Damen und Herren, stimmt es, daß Herr Schlecht diese Non-Gespräche in Ihrem Auftrag geführt hat, Herr Haussmann? ({18}) Das ist viel ernster als Sie das nehmen. Hier geht nämlich die böse Saat des Herrn Bangemann auf, und der bindet an dieser Stelle den Herrn Haussmann in die falsche Richtung. ({19}) Denn da Bangemann diese Fusion hinter verschlossenen Türen schon vorgekungelt hat, ist jetzt Haussmann gezwungen, Windungen und Aktionen vorzunehmen, um irgendwie über die Runden zu kommen und das Gesicht nicht völlig zu verlieren. Das ist die Tatsache. ({20}) Aber, meine Damen und Herren, das Problem ist noch sehr viel komplexer. Im Kartellgesetz ist die Unabhängigkeit der Ministererlaubnis von der direkten Beeinflussung durch das betroffene Unternehmen geradezu konstituiert. Das ganze Verfahren ist ja so kompliziert - Kartellamt, Monopolkommission, öffentliche Anhörung und dann Ministerentscheidung, und zwar isolierte Ministerentscheidung - , daß eine Verschmelzung der Vorhaben und Interessen zwischen den Unternehmen und dem entscheidenden Minister nicht stattfinden darf. Bitte nehmen Sie das ernst: Es gibt ja viele Vorwürfe gegen unsere Art Wirtschaftssystem. Ein böser Vorwurf lautet, es führe allmählich zu einer Verschmelzung an der Spitze zwischen Monopolen, Banken, Industrieinteressen und der Staatsführung. Diese Verschmelzung der Interessen wäre nicht nur ein wirtschaftspolitisches Problem, sondern auch ein Demokratieproblem. Der Fall Daimler-Benz zeigt sehr deutlich, wo auf den Feldern Automobilproduktion, Luftfahrt und Waffentechnik die Entscheidungen wirklich fallen und die Zukunft noch mehr fallen werden. Das heißt, die Entscheidungsvollmacht verlagert sich heraus aus Haushaltsausschuß und Parlament und hinein in Kungelstuben. Der Vorgang der letzten Wochen, das Gespräch hinter verschlossenen Türen mit dem fabelhaften Begriff „Non-Gespräche", zeigt diese Verschmelzung. ({21}) Hier wird dazwischengerufen: Stamokap. ({22}) Richtig, es ist exakt diese Orientierung, die wir beklagen, die zur falschen wirtschaftspolitischen Weichenstellung steht, zu der Uwe Jens noch an der einen oder anderen Stelle ergänzende Bemerkungen machen wird. ({23}) Meine Meinung ist: Herr Haussmann, nehmen Sie Ihren ganzen Mut zusammen. Zeigen Sie, daß Sie in dieser Legislaturperiode wenigstens eine Weichenstellung gegen Ihre Vorgänger in der Wirtschaftspolitik vornehmen, und sagen Sie am Wochenende nein zu dieser Fusion. Sie haben die Unterstützung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. ({24}) Tun Sie das; entscheiden Sie in die richtige Richtung. ({25}) Nach der Regierungserklärung vom Freitag und nach manchen Diskussionsbeiträgen von gestern möchte ich ein letztes Thema ansprechen und dort in Richtung auf Gemeinsamkeit und auch Bereitschaft zu finanzwirtschaftlichen Opfern plädieren. Ich meine die Situation in Osteuropa. - Wir sagen Osteuropa; das ist nicht korrekt. Die Tschechoslowakei gehört zu Mitteleuropa; auch Ungarn versteht sich nicht als Osteuropa, schon gar nicht als Balkan, wie es manche bei uns sagen. Auch Polen ist im Zentrum Europas gelegen. - Ich meine, hier sind auch wirtschaftspolitische Entscheidungen notwendig. Ich bin nicht dafür - um das klar zu sagen, und ich hoffe, daß wir da Gemeinsamkeit haben, Graf Lambsdorff - , reine Budgethilfen zu geben; diese Forderungen gibt es ja immer wieder aus manchen Ländern. Vielmehr bin ich dafür, die Erfahrungen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, beispielsweise die Erfahrungen des Marshall-Plans, der Projekt-, der Infrastruktur- und der Neugründungsfinanzierung, auch in diese Richtung weiterzugeben. Als jemand, der seit nun 21 Jahren in Ungarn jährlich ein- bis zweimal den Reformprozeß in seinem Vor und Zurück, mit Stagnation, Rückfall und dann, seit einigen Jahren, einem kräftigen Schwung mitverfolgt hat, bin ich der festen Überzeugung, daß Geldüberweisen pauschal keinen Sinn macht, auch wenn wir hin und wieder unter Druck gesetzt werden; das hat ein Besucher in diesen Tagen ein bißchen anklingen lassen. Das heißt, ich bin dafür, viel Geld in die Hand zu nehmen, das mit zu unterstützen und jetzt nicht die Zuwachsraten - sei es in der Verschuldung, sei es bei der Kreditaufnahme; denn dafür könnte man Kredite aufnehmen - zu kritisieren, wenn dieses Projekt und Programm in die richtige Richtung geht. Da sollten wir unsere Erfahrungen von Wettbewerb, von Innovationen von unten, von Neugründungen, Existenzgründungen, Innovationen im Betrieb, mehr Spielraum, mehr Wettbewerb, mehr Markt, durchaus in die Diskussion einbringen. Ich bin ganz froh, daß in den Grundfragen der Wirtschaftsordnung in diesem Deutschen Bundestag keine prinziellen Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Wir haben ganz unterschiedliche Auffassungen, was den Infrastrukturanteil in der Volkswirtschaft betrifft, was das ökologische Umsteuern betrifft. Aber in der Wettbewerbs-, in der Marktfrage sind wir uns einig. Da ist es gar nicht schlecht, wenn wir diese Erfahrungen aus einem Wiederaufbau in Richtung auf Osteuropa formulieren und dort die Reformkräfte unterstützen, und zwar unabhängig davon unterstützen, aus welchem Lager sie kommen. Ich finde es ganz schrecklich, daß jetzt manche so tun, als könnten die nächsten zehn, 15 Jahre in Polen, in Ungarn oder anderswo gestaltet werden, ohne daß die Kräfte, die die Verantwortung monopolisiert hatten, noch an dem Prozeß beteiligt sein würden. Diese Kräfte gibt es auch später noch, und sie müssen in einem demokratischen Reformprozeß integriert werden. Übrigens gelingt das in Ungarn sehr gut. Dort gibt es in der kommunistischen Partei innerparteiliche Diskussionen, die sich gewaschen haben. Ich wäre froh, wenn jede demokratische Partei in der Welt so viel intern diskutieren würde. Das heißt, wir sollten unsere Erfahrungen im Marktsystem, im Infrastruktursystem, aber auch im politischen System aufnehmen und sollten als Deutscher Bundestag bereit sein, hier auch substantiell Opfer zu bringen und Beiträge zu leisten. In den nächsten Wochen muß aber zur Sache gegangen werden; geredet haben wir über diese Frage jetzt genug. Vielen Dank fürs Zuhören. ({26})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche wird eine der schwierigsten Wettbewerbsentscheidungen der Nachkriegsgeschichte getroffen. ({0}) Auch in der heutigen Debatte werde ich mich an Stil, an Gesetz und Ordnung unseres Wettbewerbsrechts halten. Davon konnten mich bisher weder Kartellamtspräsidenten in Talkshows, voreilige „Spiegel"-Interviews, die leider zu Rücktritten führen mußten, Aktuelle Stunden im Bundestag oder auch Empfehlungen von früheren Kanzlern der SPD in der „Zeit" abhalten. Ich werde am Freitag eine Entscheidung bekanntmachen, meine Damen und Herren, die sich an folgendem orientiert: erstens an den berechtigten Besorgnissen des Mittelstands, zweitens an dem staatlichen Interesse an zwar langfristigem, aber dennoch deutlichem Subventionsabbau, drittens an den Grundlinien des Gutachtens der Monopolkommission. Das Ganze kann im Ministerverfahren gesetzlich nicht mit einer Änderung im Bankenbereich verbunden werden. Aber es muß politisch verbunden werden mit einer Änderung des Einflusses, den Banken über ihre Industriebeteiligungen ausüben können. ({1}) Ich will zweitens in dieser Rede auf das eingehen, was Herr Roth und Frau Matthäus-Maier gesagt haben. Ich will umgekehrt aus der Sicht der Liberalen und aus der Sicht des Wirtschaftsministers die Frage stellen: Ist Wirtschaftswachstum nicht alles? ({2}) Meine Damen und Herren, was wollen Sie in der Beschäftigungspolitik ohne Wachstum erreichen? Was wollen Sie ohne Wachstum für die Reformbemühungen in den ost- und mitteleuropäischen Ländern erreichen? ({3}) Was wollen Sie im Bereich des Umweltschutzes ohne Wachstum erreichen? Ich bin zu jeder Debatte bereit, die jetzige Definition des Wirtschaftswachstums unter Umweltschutzgesichtspunkten zu ergänzen und anzureichern. ({4}) Tatsache bleibt, daß das jetzige hohe Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik uns gesellschaftspolitischen Fortschritt erlaubt: in der Beschäftigungspolitik, bei der Unterstützung der Reformpolitik in Mittel- und Osteuropa und im Bereich der Umweltschutzinvestitionen. ({5}) Die deutsche Wirtschaft erweist sich derzeit als eine der dynamischsten der westlichen Welt. ({6}) Nicht nur die Konjunkturforscher, sondern auch die Opposition haben sich gewaltig geirrt. Ich will deren Voraussagen jetzt nicht noch einmal wiederholen. Was wir im Moment erleben, ist auch für uns im Vorfeld des Binnenmarktes eine erstaunliche Dynamik der Aktivität unserer Arbeitnehmer, unserer Ingenieure und unserer Selbständigen in der Bundesrepublik. ({7}) Das Bruttosozialprodukt wird am Ende dieses Jahres um real 20 %, d. h. um ein Fünftel, höher liegen als im Jahre 1982. Wichtig ist, daß sich dieses Wachstum auch im nächsten Jahr fortsetzt, damit die Chancen für gesellschaftlichen Fortschritt gewahrt bleiben. Die Stimmung in den Unternehmen ist ausgezeichnet. Sie ist so, wie sie zuletzt im Jahre 1969 festzustellen war. Die Auftragsbestände wachsen. Die Produktionskapazitäten weisen inzwischen die höchste Auslastung seit 1970 auf. Wir haben die stärkste Investitionsdynamik seit einem Jahrzehnt. Die europäischen Länder bereiten sich mit deutschen Maschinen, mit deutschen Investitionsgütern auf den Binnenmarkt vor. Die Beschäftigung steigt seit Ende 1988 beschleunigt. Der Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen, den wir zu Beginn der 80er Jahre zu verzeichnen hatten, ist mehr als ausgeglichen. Zu keinem Zeitpunkt seit Bestehen der Bundesrepublik hat es mehr Beschäftigte gegeben, nämlich über 27,7 Millionen. Die Zahl der Beschäftigten hat sich vom August 1988 bis zum August dieses Jahres um 360 000 erhöht. Hierbei handelt es sich um junge Menschen, vor allem um Aussiedler, Übersiedler, Ausländer der zweiten Generation. Das sind gesellschaftspolitische Fort11866 schritte, die uns das Wirtschaftswachstum erleichtert. ({8}) Besonders wertvoll sind die Fortschritte bei der Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben - im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern - dort einen absoluten Tiefstand erreicht. Der Anteil der Arbeitslosen unter 20 Jahren ist zum erstenmal deutlich unter 5 % gesunken. Vom August 1988 bis zum August dieses Jahres konnte die Arbeitslosigkeit um 26 % gesenkt werden. Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Jedes Prozent Wachstum in der jetzigen Lage bedeutet nicht nur Arbeits-, sondern auch Lebenschancen, insbesondere für junge Menschen, aber verstärkt auch für Aussiedler und Umsiedler. Und wir sollten bei dieser Wachstumsdiskussion nicht nur an uns denken, an die Deutschen in der Bundesrepublik, sondern wir sollten in der Wachstumsdiskussion auch an diejenigen denken, die von diesem Wachstum Arbeits- und Lebenschancen erwarten, meine Damen und Herren. ({9}) Dies sollte auch in der Arbeitszeitdiskussion eine Rolle spielen. Wir können die Arbeitszeit nicht nur egoistisch-national gestalten. Wenn Menschen anderer Länder in Ost- und Mitteleuropa länger arbeiten wollen, dann können wir uns nicht verweigern und immer kürzer arbeiten. Wir brauchen die Arbeitskraft der Facharbeiter, der Ingenieure, der Kaufleute, um Menschen in anderen Ländern helfen zu können. Die Diskussion über die Folgen weiterer Arbeitszeitverkürzung für qualifizierte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland muß sehr grundsätzlich geführt werden. Die Preissteigerungen liegen in diesem Jahr bei 3 %, meine Damen und Herren. Ich möchte diese Entwicklung nicht verharmlosen. Ich finde, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit wir wieder unter die 3 %-Marke kommen und dort bleiben. ({10}) Zuletzt hat sich jedoch der Preisauftrieb erfreulicherweise etwas abgeschwächt. ({11}) In den 13 Jahren SPD-geführter Regierung ist es nur in einem einzigen Jahr, nämlich 1978, gelungen, eine Preissteigerungsrate unter 3 % zu erreichen. ({12}) Frau Matthäus-Maier, wenn Sie unter altem Denken Stabilitätspolitik verstehen, dann bin ich in dem Fall für altes Denken ({13}) und nicht für neues Denken, das mit einem unausgewogenen Steuer- und Preiserhöhungsprogramm zu Lasten der Stabilität geht. Instabile Staatsfinanzen sind das Unsozialste für Menschen ohne Einkommen, für Rentner und für Arbeitslose. Deshalb müssen Sie Ihre Steuerdebatte mit der Beschäftigungs- und Stabilitätspolitik in Einklang bringen. Diese Frage ist nicht gelöst. ({14}) Meine Damen und Herren, auch und gerade während dieser schwierigen Wettbewerbsentscheidung gilt meine besondere Aufmerksamkeit den mittelständischen Betrieben. Dies ist keine Vorzugsbehandlung, es heißt nur, dem Mittelstand auch wirtschaftspolitisch das Gewicht beizumessen, das ihm für unsere Volkswirtschaft zukommt. Ein Großteil der neuen Arbeitsplätze entsteht eben in Klein- und Mittelbetrieben. ({15}) Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Mittelstandes kann nicht an der Höhe der Mittelstandsprogramme abgelesen werden. Es ist und bleibt ein Gütesiegel, daß der Mittelstand ohne große Subventionen Schrittmacherfunktion bei Wachstum und Beschäftigung wahrnimmt. Es zeigt sich dabei, daß sich diejenigen am besten im Wettbewerb behaupten, die ihre unternehmerische Energie für mehr Leistung am Markt einsetzen, statt hinter Subventionstöpfen herzurennen. Staatliche Hilfen bringen den Unternehmen auf Dauer keine Vorteile. Sie machen abhängig. Deshalb ist der Mittelstand gut beraten, auch in Zukunft primär auf die eigene Leistungsfähigkeit zu vertrauen und sie weiter zu verbessern. Im Vordergrund der künftigen Mittelstandspolitik steht die Vorbereitung auf den gemeinsamen Binnenmarkt. Hier liegen wie auf keinem anderen Feld große Chancen, gerade auch für kleine und mittlere Betriebe. Meine Damen und Herren, ich habe eine ständige Europakonferenz für den Mittelstand eingerichtet, um den Mittelstand gezielt auf Europa'92 vorzubereiten. Die erste Konferenz im März 1989 in Essen war ein großer Erfolg. Sie wird fortgesetzt. Ich bin der Meinung, daß es notwendig ist, für die vielen auseinanderstrebenden mittelständischen Verbände ein Dach zu bilden. Die Interessen des Mittelstandes zu bündeln, sie den Interessen der Großunternehmen, auch der Gewerkschaften entgegenzusetzen, ist Teil einer wichtigen Mittelstandspolitik. ({16}) Wichtig für kleine und mittlere Betriebe ist, daß in Brüssel die deutsche Sprache gleichberechtigt mit Englisch und Französisch ist. Ich fordere heute erneut auch die deutschen Vertreter in Brüssel auf, sich an diesen Grundsatz einer gleichberechtigten Arbeitssprache Deutsch zu halten. Meine Damen und Herren, kleine und mittlere Betriebe haben weder Stäbe noch Übersetzerbüros. Sie sind darauf angewiesen, daß ihnen neue Richtlinien nicht nur im komplizierten Französisch, verzögert dann in Englisch und erst sehr viel später in Deutsch zugestellt werden, sondern daß sie gleichzeitig die gleiche Chance wie kleine und mittlere Betriebe in Frankreich und in anderen Ländern haben. ({17}) Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums spiegelt die enorme Bedeutung der Energiepolitik wider. Das gilt insbesondere für den deutschen Steinkohlebergbau, der ohne massive staatliche Hilfe nicht lebensfähig ist. Die Beschlüsse der Kohlegespräche vom 10. Juli und 24. August dieses Jahres belegen, daß die Bundesregierung, insbesondere der Wirtschaftsminister, zu den Zusagen in der Kohlepolitik steht. Die Entscheidungen sind ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Steinkohlebergbaus und sollen den dringend notwendigen energiepolitischen Konsens in unserem Land erleichtern. Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung folgen meinen Vorschlägen. Die Beschlüsse dienen dazu, den Jahrhundertvertrag in seiner Substanz weiter abzusichern. Die Finanzlage des Vertromungsfonds wird deutlich und strukturell durch Eigenbeiträge der Bundesregierung und der Bergbauländer verbessert. Ich begrüße es, auch inmitten eines Kommunalwahlkampfs, ausdrücklich, daß Nordrhein-Westfalen sich einem eigenen Beitrag nicht entzogen hat. Leider stimmen nicht bei allen Kohleländern Worte und Taten in der Kohlepolitik überein. ({18}) Nun geht es um die Umsetzung dieser Beschlüsse. Die vom Bund und den Kohleländern beschlossene unabhängige Expertenkommission unter Vorsitz von Professor Mikat und unter Beteiligung wichtiger SPD-Politiker habe ich inzwischen berufen. Diese Kommission soll die Bundesregierung in der Erarbeitung einer Konzeption für eine nationale Kohlepolitik im Rahmen der künftigen Energiepolitik, insbesondere in der Entwicklung einer Anschlußregelung für die Verstromung nach 1995, beraten. Die Kommission wird ihren Bericht zügig, im März 1990, vorlegen, Ich erwarte, daß diese Kommission einen realistischen und konsensfähigen Entscheidungsrahmen für unsere Entscheidung vorlegt, der die energie- und umweltpolitischen Notwendigkeiten, die regionalen und die sozialen Bedingungen in den Revieren, aber auch die Aspekte und die Bedingungen des EG-Binnenmarktes berücksichtigt. Ich hoffe, daß wir auch in einem Bundestagswahljahr die Kraft haben, entsprechende mutige Beschlüsse vor dieser Bundestagswahl zu fassen. ({19}) Ziel unserer Politik ist es, die langfristig unumgänglichen Strukturanpassungen im Steinkohlebergbau sozuialverträglich und ohne bruchartige Entwicklungen zu steuern. Die derzeit gute Konjunktur sollte für eine mutige Umstrukturierung und damit für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in den Kohlerevieren mehr als bisher genutzt werden. Der Anpassungsprozeß muß auch nach 1995 weitergehen. Dies wird auch von Ministerpräsident Rau gesehen. In den Kohlegesprächen hat sich auch gezeigt, daß Theorie und Praxis in fortschrittlichem Denken sehr unterschiedlich sind. Herr Rau hat in vielen wichtigen und unbequemen Kohleentscheidungen mitgezogen. Das gleiche läßt sich leider für Herrn Lafontaine nicht behaupten. Lassen Sie mich abschließend einige wenige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema „Umweltschutz und Marktwirtschaft" machen. Das ist überhaupt kein neues Denken, es ist altes Denken, daß Marktwirtschaft in der Lage ist, schneller als planwirtschaftliche Systeme Umweltschutz voranzubringen. ({20}) - Es ist auch keine SPD-Erfindung. ({21}) Es ist ein uraltes Thema der Ökonomie in der Bundesrepublik. ({22}) Und wenn es schon um Parteipolitik geht: Es waren die jungen Liberalen in der Bundesrepublik Deutschland, ({23}) - natürlich! - die zum ersten Mal politische Beschlüsse zum Thema „Umweltschutz und Marktwirtschaft" getroffen haben. ({24}) Insofern hat Frau Matthäus-Maier eigentlich nur abgeschrieben. ({25}) Allerdings, im Gegensatz zu dem, was Frau Matthäus-Maier vorschlägt - ({26}) - Im Interesse der folgenden Redner: jetzt nicht. ({27}) - Ich bin gern bereit, das Gespräch nachher zu führen. Aber ich habe jetzt nur noch wenig Zeit. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten dürfen wir besseren und kostengünstigeren Umweltschutz jedoch nicht auf höhere Steuern und weitere Bestrafung verengen, sondern wir müssen das gesamte Instrumentarium der Marktwirtschaft einsetzen. ({28}) Nicht Bestrafung, sondern Belohnung muß im Vordergrund stehen. ({29}) Es muß sich für diejenigen auszahlen, die sich umweltgerecht verhalten. Wer immer nur an höhere Steuern und Abgaben denkt, bewegt sich auf ausgetretenen Pfaden. Das ist kein neues Denken, meine Damen und Herren, das ist altes sozialdemokratisches Denken, mit mehr Abgaben und mit Fonds die Wirtschaft zu steuern. Die Vorschläge der Sozialdemokraten erinnern mich an ein steuerpolitisches Simsalabim: Alles soll wegen der Umwelt teurer werden. Gleichzeitig sollen Steuern gesenkt werden, Steuervergünstigungen, neue Subventionen an die Wirt11868 schaft gegeben werden, und das Ganze soll einkommensneutral gestaltet werden. Daher bleibt bei den Sozialdemokraten vieles ungeklärt. Einerseits plädiert die SPD für das klare Verursacherprinzip. Andererseits möchten Sie viele von der Steuererhöhung entlasten. Daß dabei die Umverteilung nicht zu kurz kommt, überrascht nicht. Die Zeche würden die Selbständigen und die sogenannten Besserverdienenden zahlen, die bei der SPD schon bei den Facharbeitern beginnen. Auch bei der Aufkommensneutralität sind Fragezeichen zu setzen. Es wäre das erste Mal, daß sich SPD-Finanzpolitiker bei solchen Operationen nicht zu Lasten der Steuerzahler verrechnen würden. ({30}) Auch halte ich viele Details Ihrer Vorschläge für mehr als unausgegoren. Sehr starke Verbrauchsteuererhöhungen gehen voll in die Inflationsrate. Abrupte hohe Erhöhungen überfordern die Anpassungsfähigkeit unserer Wirtschaft, führen zu Wachstums- und Beschäftigungskrisen. ({31}) Umweltpolitischer Fortschritt läßt sich nur in einer wachsenden Wirtschaft erzielen, meine Damen und Herren. Denn mehr Umweltschutz muß mit neuen Investitionen verbunden bleiben. Mit einer Therapie à la SPD gerät die Investitionsdynamik unter die Räder. ({32}) Entscheidend für mich ist: Wer Fortschritte erreichen will, darf Umweltschutzpolitik nicht gegen Stabilitäts- und Beschäftigungspolitik betreiben, sondern muß Stabilitäts- und Beschäftigungspolitik in Umweltschutzinstrumente integrieren, meine Damen und Herren. ({33}) Marktwirtschaftliche Umweltpolitik sollte aber durchaus auch Steuern als Lenkungsabgabe nutzen. Umweltpolitisch begründete Steuern und Abgaben müssen aber auf wenige zentrale Umweltbereiche beschränkt werden. ({34}) Wir werden in der nächsten Legislaturperiode die Einkommen- und Körperschaftsteuer weiter senken, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Über höhere Grund- und Kinderfreibeträge werden auch niedrige Einkommen davon profitieren. Erst diese Steuersenkungen bei Unternehmen und Verbrauchern schaffen den Spielraum, meine Damen und Herren, um den knappen Faktor Umwelt durch Steuern und Abgaben in begrenztem Umfang zu verteuern. Das ist der richtige Zusammenhang zwischen Unternehmenssteuersenkung und Ökosteuern, meine Damen und Herren. Das darf nicht isoliert gesehen werden. Insgesamt muß aber die Steuerbelastung sinken. Das ist unser Konzept für mehr Umweltschutz, das gleichzeitig Stabilitäts- und Wachstumspolitik berücksichtigt. Allerdings, viele dieser Umweltprobleme lassen sich nur gemeinsam in Europa lösen. Schadstoffe machen an den Grenzen nicht halt. ({35}) Eine Vorreiterrolle der Bundesrepublik in Sachen Umweltschutz halte ich für möglich und notwendig. ({36}) Über eines müssen wir uns allerdings im klaren sein. Ein mehr an Umweltschutz können wir uns nur leisten, wenn wir produktiver sind als andere. Konkret bedeutet dies, daß Teile des Sozialprodukts, die wir für den Umweltschutz zusätzlich einsetzen, gleichzeitig für Gewinnerhöhungen der Unternehmen, für Einkommenserhöhungen der Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitszeitverkürzungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir können nicht gleichzeitig Spitzenreiter beim Umweltschutz, bei den Lohnzusatzkosten und bei Arbeitszeitverkürzungen sein. Weniger als bei uns wird in keinem Industrieland der Welt gearbeitet. Wir können es uns auch angesichts zunehmender Engpässe am Arbeitsmarkt bei Fachkräften nicht leisten, qualifizierte Arbeit stillzulegen. Wir sollten zugunsten der Umwelt auf weitere Arbeitszeitverkürzungen verzichten. ({37})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Haussmann, wer sich anhört, wer mittlerweile alles das Erstgeburtsrecht auf Umweltpolitik erhebt, muß das schon ziemlich köstlich finden. Da wird jahrelang so getan, als gäbe es das Thema eigentlich gar nicht. Jetzt, da in der Öffentlichkeit unbestritten ist, daß hier ein dringendes Versäumnis der Politik zurückliegender Jahre liegt, wollen alle die ersten gewesen sein. Sie haben jetzt die Jungen Liberalen entdeckt. Herr Haussmann, die gibt es doch erst seit ein paar Jahren. Aber zu dem Problem komme ich später. Sie haben heute morgen einmal mehr den Eindruck zu erwecken versucht, als sei die Entscheidung in der Frage der Fusion Daimler-Benz/MBB noch nicht gefallen. Das ist natürlich falsch, denn wie diese Entscheidung ausfallen wird, wissen wir längst. Das steht seit Wochen in den Zeitungen. ({0}) - Der Herr Haussmann wird diese Fusion genehmigen. Herr Grünbeck, das wissen Sie so gut wie ich. Der Herr Haussmann wird grünes Licht für die Entstehung eines gigantischen Rüstungskonzerns geben. Er wird grünes Licht für diesen Superkonzern geben, ({1}) über dessen Marktmacht das Bundeskartellamt damals geschrieben hat - ich zitiere -: Durch den Zusammenschluß entsteht eine im Rüstungsbereich dominierende Rüstungsgruppe, deren Marktmacht nicht zu kontrollieren ist. Kleinert ({2}) Zitat Bundeskartellamt. Meine Damen und Herren, selten ist so deutlich geworden wie bei dieser Entscheidung, wie es in der Realität der Bundesrepublik immer dann mit den heiligen Grundprinzipien der Marktwirtschaft aussieht, wenn Interessen mächtiger Konzerne auf dem Spiel stehen. Dann nämlich sind diese heiligen Prinzipien das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Das Ergebnis wird sein, daß ausgerechnet in der Woche nach der 50. Wiederkehr des deutschen Überfalls auf Polen nun der Weg frei ist für eine neue deutsche Rüstungsschmiede. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde das beschämend. ({3}) Das ist nicht nur eine wirtschaftspolitisch und ordnungspolitisch ungeheuerliche Entscheidung, es ist zugleich auch ein Demokratieproblem: Hier entsteht eine Machtkonzentration, die Entscheidungen der öffentlichen Hand, die Entscheidungen von Ländern und Kommunen, stärker bestimmen kann als die Entscheidungen von demokratisch gewählten Parlamenten. ({4}) Es ist in diesen Tagen nicht selten davon die Rede, daß Karl Marx nun endgültig widerlegt sei. In manchem, vielleicht sogar in vielem wird man da wenig Widerspruch anmelden können. Aber so ganz scheint es ja nun auch wieder nicht der Fall zu sein, denn wenn man sich anschaut, wer die Hosen anhat, wenn es um das Verhältnis von Wirtschaft und Politik geht, dann muß man schlicht feststellen: Gegen das Machtpotential von Herrn Reuter sind die ganzen Artisten dieses Bundeskabinetts ganz kleine Lichter. Wenn der „Spiegel" dann von einem Lehrstück in Sachen Stamokap geschrieben hat, dann kann man dem eigentlich nicht mehr viel hinzufügen. Ich will mich hier ansonsten gar nicht lange mit der Auseinandersetzung um die geschönten Bilder der wirtschaftlichen Entwicklung aufhalten, wie sie uns auch soeben wieder gezeichnet worden sind. Selbstverständlich, Ihre konjunkturellen Rahmenbedingungen sind alles andere als schlecht. Aber in einer Debatte um die Wirtschaftspolitik an der Schwelle der 90er Jahre kaum ein Wort über die ökologischen Folgekosten dieser Wirtschaftsentwicklung zu verlieren, ist verwunderlich. Wenn das hier in den Reden der Vertreter der Bundesregierung zu hören ist, dann wird schon dadurch deutlich: Sie üben sich nicht nur im Aussitzen, sondern Sie sind auch dabei, die Auseinandersetzung um eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik zu verschlafen. Ich will hier deswegen die knappe Zeit nutzen, um mich vorrangig mit denen zu beschäftigen, die wenigstens dem Anspruch nach neue Akzente in der Wirtschaftspolitik setzen wollen, und das gilt in erster Linie für die Kollegen von der SPD. In dieser Haushaltsdebatte spielt ja erstmals ein Begriff eine große Rolle, den es schon seit Jahren gibt, der aber auf dem Kampfplatz der politischen Symbole längere Zeit eher ein Schattendasein geführt hat. Gemeint ist der ökologische Umbau der Industriegesellschaft. Von den GRÜNEN seinerzeit erfunden, ({5}) um einen Weg zu zeigen für die Entwicklung der Wirtschaft nach ökologischen Kriterien, hat dieser Begriff mittlerweile Eingang in die Programmatik auch der Sozialdemokraten gefunden. - Herr Weng, ich glaube Ihnen gerne, daß Sie die entsprechenden Programmbeschlüsse seinerzeit nicht zur Kenntnis genommen haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß das, was ich hier gesagt habe, richtig ist. ({6}) Es ist sicherlich ein bemerkenswerter Vorgang, wenn jetzt, spätestens mit dem Bericht der F-90-Kommission, ({7}) auch Sozialdemokraten das Ziel des ökologischen Umbaus als Kernstück von Reformpolitik verstehen. Sicherlich ist es zu begrüßen, daß auch Sie sich jetzt zur Notwendigkeit der ökologischen Umorientierung des Steuer- und Abgabensystems bekennen. Es ist gut, wenn die GRÜNEN nicht mehr die einzigen sind, die klar und deutlich sagen, daß auf den alten Wachstumspfaden und mit den beschränkten Mitteln der alten Umweltpolitik die Probleme nicht zu lösen sind. Es ist auch gut, wenn solche Unionspolitiker, die immer noch nicht verstanden haben, welche Richtung eingeschlagen werden muß, wie etwa Herr Waigel in seiner Rede am Montag, mittlerweile in diesen Fragen wie die letzten Dinosaurier des Bundestages wirken. Das alles wäre vor Jahren so nicht vorstellbar gewesen. Es ist gut, daß sich dies geändert hat. Aber gerade weil das so ist, muß man jetzt genauer hinschauen, um zu sehen, was da alles unter der Überschrift „Umbau der Industriegesellschaft" gehandelt wird. Da, meine Damen und Herren von der SPD, muß ich Ihnen dann doch sagen: Mehr als ein bißchen angegrünt ist das nun nicht, was Sie bisher vorgelegt haben. ({8}) Vieles ist halbherzig, manches ist inkonsequent, und vieles ist ängstlich dazu. Ich will dies im einzelnen ausführen. Wenn man sich Ihre Vorstellungen zur ökologischen Ausrichtung des Steuer- und Abgabensystems ansieht, dann stößt man zunächst auf ein Grundsatzproblem. Wer Ihre Papiere liest, kann den Eindruck gewinnen, mit der ökologischen Ausrichtung des Steuer- und Abgabensystems wäre jetzt der Königsweg aus der Krise der Umweltpolitik gefunden. ({9}) Davon kann keine Rede sein. Ich warne ausdrücklich vor der Vorstellung, dieses Mittel allein könnte entscheidende Durchbrüche bringen. Abgaben und Steuern nach Umweltkriterien können da lenkend Kleinert ({10}) eingesetzt werden, wo es ausreicht, wenn über längere Zeiträume allmähliche Veränderungen von Produktionsstrukturen möglich werden. Sie können aber kein Ersatz sein für andere Mittel der Umweltpolitik. Sie können kein Ersatz sein für Ordnungspolitik; ({11}) sie können kein Ersatz sein für die Änderung des Umwelthaftungsrechts; ({12}) sie können kein Ersatz sein für andere Instrumentarien, ({13}) die dazu dienen können, daß sich Umweltschäden in betrieblichen Kostenrechnungen niederschlagen. ({14}) - Herr Roth, ich habe sehr wenig Redezeit; lassen Sie mich das doch bitte zu Ende ausführen! Nach vorsichtigen Schätzungen sind durch die Herstellung und Verarbeitung von Asbest und durch die entsprechenden gesundheitlichen Konsequenzen im Gesundheitssystem bisher 1 Milliarde DM an Kosten entstanden. Diese Kosten trägt bisher die Allgemeinheit. An dieser Stelle hätte eine Änderung des Umwelthaftungsrechts schleunigst dafür zu sorgen, daß endlich auch die Verursacher zur Kasse gebeten werden können. Erst eine solche Kombination unterschiedlicher Instrumente wird den Weg zum ökologischen Umbau ermöglichen. Ein zweiter Punkt. Das neue Steuer- und Abgabenkonzept der SPD erweckt den Eindruck, als ließe sich der ökologische Umbau im wesentlichen aufkommensneutral finanzieren nach dem Motto: Verteuerung der Energiepreise und ein paar Sonderabgaben für Umweltverschmutzer an der einen Stelle, Steuerentlastung an der anderen Stelle - und schon rechnet sich das Ganze. - So einfach wird sich das nicht machen lassen. Sicherlich: Durch den ökologischen Umbau würden der Industrie und den privaten Verbrauchern zusätzliche Kosten entstehen, die für manche Gruppen der Bevölkerung so nicht tragbar sind. Wenn durch Energiesteuern und Umweltabgaben die Preise für Benzin und Öl sowie für Gas und Wasser steigen, dann ist das für Kleinrentner, Sozialhilfeempfänger und für andere Bezieher niedriger Einkommen so nicht zumutbar. Sie brauchen einen sozialen Ausgleich, und ich füge hinzu, diese Gruppen brauchen angesichts der Umverteilungspolitik im sozialen Bereich in den letzten Jahren sogar noch mehr als nur einen Ausgleich. ({15}) Aber: Einen vollen Ausgleich für alle oder auch nur für die meisten kann es nicht geben. ({16}) Wer einen anderen Eindruck erweckt, der tut so, als gäbe es den ökologischen Umbau quasi zum Nulltarif. Das kann aber gar nicht sein; denn wenn der Umbau nirgends wirklich spürbare Mehrbelastungen bringt, ({17}) dann fehlt es an Anreizen, tatsächlich umzusteuern. Vor allem: Wer über Steuertarife und Unternehmensbesteuerung alles wieder zurückgeben will, dem wird am Ende das Geld fehlen, um den ökologischen Umbau überhaupt finanzieren zu können. Dies alles wird wiederum den Umlenkungseffekt problematisch werden lassen; denn Sie müssen, wenn Sie einen Umlenkungseffekt erzielen wollen, der spürbar sein soll, neben der Mineralölsteuererhöhung gleichzeitig auch attraktive und preiswerte öffentliche Verkehrsmittel anbieten. Und dazu brauchen Sie Geld. Der ökologische Umbau wird auch schmerzhafte Einschnitte bedeuten, oder es wird ihn gar nicht geben. Dies nicht offen und deutlich zu sagen, muß man Ihnen vorhalten. Es ist Illusion zu glauben, der ökologische Umbau lasse sich bewerkstelligen, ohne jemandem auf die Füße zu treten. „Allen wohl und niemand wehe", das wird nicht gehen. Solche Offenheit mag nicht überall gut ankommen. Und da kommt schnell manche wahlpolitische Rücksichtnahme auf. Selbst bei uns gibt es manche Stimme, die davon abrät, diese Dinge offen anzusprechen. Ich halte das für grundfalsch. Ich halte es für politisch töricht, die Dinge zu schönen und unbequeme Wahrheiten auszusparen. Umfragen zeigen, daß die Bereitschaft der Bürger, für die Umwelt mehr zu zahlen, mittlerweile weit größer ist, als das offizielle Bonn das wahrhaben will. Nach einer Infas-Umfrage wären 60 % der Bürger dazu bereit. Diese Bereitschaft wird aber eng daran geknüpft sein, daß das Geld auch tatsächlich der Umwelt zugute kommt und nicht wieder verpulvert wird für den Jäger 90, für Wirtschaftssubventionen nach dem Gießkannen-Prinzip, für mehr Straßenbau und für umweltschädliche Großprojekte. Und die Bereitschaft wird auch daran geknüpft sein, daß deutlich wird, daß vor allem auch die großen Umweltverschmutzer nicht geschont werden. Meine Damen und Herren, gerade vor diesem Hintergrund ist ein Lob für mich nicht nachvollziehbar, das in diesen Tagen von Frau Matthäus-Maier an die Adresse von Herrn Haussmann gerichtet wurde und das sich auf sein Papier mit dem Titel „Marktwirtschaft und Umweltschutz" bezog. ({18}) Nun will ich nicht leugnen: Dieses Papier enthält in einem Punkt neue Akzente. ({19}) Es wird zugestanden - und Herr Haussmann hat das eben wiederholt - , daß es vernünftige Einsatzfelder für ökologische Steuern und Abgaben gebe. Sie spielen in Ihrem Gesamtkonzept zwar eine sehr bescheidene Rolle, aber, immerhin, man soll ja jeden positiven Ansatz würdigen. Herr Haussmann, an dieser Stelle liegt das Problem nicht; da könnte man in einen Kleinert ({20}) Dialog eintreten, welche weiteren Felder vielleicht sinnvoll sind. ({21}) Das Problem liegt an anderer Stelle: Wenn man sich in diesem Papier nämlich weiter anschaut, wie gleichzeitig wieder das alte Leitbild der Wirtschaftsexpansion beschworen wird, dann kann man, Frau MatthäusMaier, dieses Lob für Herrn Haussmann eben nicht aufrechterhalten. In diesem Papier findet sich nicht einmal ein qualitatives Kriterium für Wirtschaftsentwicklung. Es findet sich kaum ein Wort zu den ökologischen Folgekosten des Wirtschaftswachstums. Es findet sich kaum ein Wort dazu, daß ökologische Umbaupolitik natürlich nicht setzen kann auf die Expansion der klassischen Wachstumsindustrien wie der Automobilindustrie oder etwa jenen Teilen der chemischen Industrie, die Mitverantwortung tragen für Schadstoffeintrag in Boden und Gewässer. Das alles findet sich nicht, und deswegen muß man bei einer sorgfältigen Beurteilung dieses Papiers zu dem Ergebnis kommen: Es ist in weiten Teilen eben doch noch ein Dokument des alten Denkens. Und deswegen, Frau Matthäus-Maier, kann ich dieses Lob in keiner Weise nachvollziehen. ({22}) Meine Damen und Herren, zum ökologischen Umbau gehören Umweltabgaben und Energiesteuern. Wir haben seit langem konkrete Konzepte dazu vorgeschlagen, die erst am Montag von unseren Rednern und Rednerinnen wieder dargelegt worden sind. Es geht aber um noch viel mehr. Es geht im Prinzip um eine neue Entwicklungsrichtung in unserem System des Wirtschaftens und des Verbrauchens. Es geht um eine neue Grundrichtung der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen moderne Umwelttechnologie statt neuer Rüstungsproduktion. ({23}) Wir brauchen umweltfreundliche Verkehrssysteme statt Wachstum der Automobilindustrie. ({24}) Wir brauchen moderne Technologie zur Energieeinsparung statt chemischer Giftküchen. ({25}) Es gibt genug Bereiche, die wachsen können und die im Interesse der Umwelt sogar wachsen müssen. Aber es muß auch ganz klar und deutlich gesagt werden, daß viele der klassischen Bereiche, daß viele der alten Wachstumsfelder in einem solchen ökologischen Umbau ihren Platz verlieren müssen, daß diese Branchen schrumpfen müssen, weil das umweltpolitisch geboten ist. ({26}) In diesem Umbauprozeß steuernd einzugreifen, das wäre die große Aufgabe einer zukünftigen Wirtschaftspolitik, deren oberstes Leitbild die ökologische Verträglichkeit des Wirtschaftens sein muß. Instrumentarien dazu stellt die Marktwirtschaft tatsächlich genug zu Verfügung. Sie, Herr Haussmann, könnten schon heute mit Ihren wirtschaftspolitischen Entscheidungen mehr Einfluß auf den Zustand der Umwelt ausüben, als ihn Herr Töpfer selbst dann hätte, wenn er die Möglichkeiten überhaupt ausschöpfen würde, die er in seinem Etat hat. Die immer wiederkehrende Jammerei, eine solche wirtschaftliche Entwicklung sei auf Grund von Weltmarkteinbindungen nicht zu verwirklichen, ist Unsinn. Eine ganze Bibliothek füllt mittlerweile die Literatur über Arbeitsplatzchancen durch Umweltinvestitionen. Die Fähigkeit der Wirtschaft zur Anpassung an veränderte Energiepreise ist schon in früheren Jahren vielfach demonstriert worden. Wer sich die Mühe macht, zu überlegen, wie Umweltauflagen und Abgabenregelungen in anderen Ländern auf die Kostenseite einwirken, wird feststellen müssen -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kleinert - Kleinert ({0}) ({1}): Einen Satz noch. - Es gibt schon heute manches, was hier lange als unbezahlbar abgetan wurde. Selbst wo schwierige Übergangsprobleme auftreten: Das Argument, man müsse wegen der Rüstungsindustrie auf Abrüstung verzichten, hat hier im Hause offen noch niemand vorgetragen. Meine Damen und Herren, sollte das für die Umwelt nicht ebenso gelten? Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich eint uns die gemeinsame Sorge um Natur und Landschaft. Natürlich haben wir gemeinsam ein Interesse, im eigenen Land und in Europa den Umweltschutz voranzubringen. Nur, Herr Kollege Kleinert, der Unterschied zwischen der Seminardiskussion, die SPD und GRÜNE über dieses Thema führen, und dem, was wir tun, ist: Wir handeln. ({0}) Wir haben die TA Luft durchgesetzt, die die Sozialdemokraten nicht durchgesetzt haben. ({1}) Wir haben die Großfeuerungsanlagen-Verordnung durchgesetzt, die beim Helmut Schmidt liegengeblieben ist. Wir haben den Kampf in Sachen Fluorchlorkohlenwasserstoffe mit wirksamen Ergebnissen aufgenommen und führen den Einsatz für den Katalysator fort. ({2}) Wir unternehmen weltweit Initiativen für den Schutz der tropischen Regenwälder, und der hessische Umweltminister Weimar setzt Dinge durch, die sein Vorgänger Joschka Fischer nicht hat durchsetzen können. ({3}) Wir reden nicht, wir handeln, meine Damen und Herren. Ich finde, wir sind uns doch darüber im klaren: Wir können nur auf der Basis einer gesunden Wirtschaftsentwicklung handeln. Im ersten Halbjahr 1989 hat das Bruttosozialprodukt gegenüber dem Vorjahresniveau real um 4,6 % zugenommen. Seit dem Beschäftigungstief im Herbst 1983 sind rund 1,2 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Zahl der von der Arbeitsverwaltung registrierten offenen Stellen lag Ende Juli bei rund 245 000. Eine Umfrage von Infratest sagt, daß die Zahl der offenen Stellen bei rund 900 000 liege. ({4}) Weil Herr Roth heute morgen gesagt hat, das Wachstum erreiche gar nicht den normalen Bürger, will ich auf unbestechliche Zahlen hinweisen, die auch Ihnen zugänglich sein müßten, Herr Kollege Roth. Wir haben zwischen 1983 und 1989 bei Arbeitnehmerhaushalten mit mittlerem Einkommen Zuwächse von 13,2 %, ausweislich der Fakten und Daten des Statistischen Bundesamtes. ({5}) Um es in DM-Beträge zu übersetzen: Der Arbeitnehmer, der damals 3000 DM Monatseinkommen hatte, hat heute 400 DM mehr, und zwar nach Abzug der Preissteigerungsraten. ({6}) Ich nehme nun den Rentner, der von allen Bevölkerungsgruppen sicher die bescheidensten Zuwächse hatte. Der Rentner hat ausweislich der Zahlen des Statistischen Bundesamtes zwischen 1978 bis 1983 einen Einkommensverlust von 3,2 % hinnehmen müssen. In der Zeit von 1983 bis 1988 hat selbst der Rentner, der wegen der Sanierung der Rentenfinanzen, wie gesagt, nur einen bescheidenen Zuwachs hat haben können ({7}) einen realen Rentenzuwachs von 6,6 %. - Herr Kollege Roth, Sie können gegen die frühere Politik von Helmut Schmidt polemisieren, auch gegen die heutige Politik von Helmut Kohl, aber bitte arbeiten Sie nicht gegen die Grunddaten von Adam Riese, sondern erkennen Sie, wie die Zahlen und Fakten wirklich sind! ({8}) Und sie sind so, wie ich sie beschrieben habe. Meine Damen und Herren, wir haben mit unserer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf der einen Seite die Kritik von links, die sich mit solchen Daten und Zahlen, die für den Bürger spürbar werden, widerlegen läßt. ({9}) Natürlich gibt es auch manche Kritik aus Führungsetagen der Wirtschaft, die sagt: Das Wachstum ist gut, aber ihr kommt bei der Zurückdrängung des Staates, der Bürokratie, bei der Flexibilisierung nicht genügend voran. Hier gibt es eine Zahl, die ich einmal ins Gedächtnis rufen will. Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt lag bei der Übernahme der sozialdemokratischen Regierung 1969 bei 38 %. Am Ende der Amtszeit der Sozialdemokraten lag er bei 49,8 %. Ich nehme Zahlen des IFO-Instituts München. Eine Zahl, die leider in der Öffentlichkeit untergegangen ist, möchte ich hier doch einmal nennen. Das IFO-Institut geht davon aus, daß 1989 der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, der 1982 bei fast 50 % lag, auf 45,5 % gesunken sein wird. Das ist nicht nur eine makroökonomische Zahl, meine Damen und Herren. Wenn der Staat schlanker wird, dann hat die Regierung auch die Möglichkeit, Steuern zu senken, dann kann man die Belastung des Bürgers mit Steuern und Abgaben auf ein erträgliches Maß zurückführen. ({10}) Deswegen ist das ein Erfolg für unsere gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die ich hier nennen will. ({11}) - Herr Kollege Roth, wenn ich schon bei Konjunkturprognosen bin, will ich nur noch ein paar aus der Vergangenheit nennen. 1986 sagte Herr Kollege Roth hier an diesem Pult, wir hätten es mit einem Konjunkturabschwung zu tun. 1987 sagte Herr Kollege Roth wieder in einer Debatte, die Regierung betreibe nur noch Konjunkturgesundbeterei, und in derselben Zeit sagte Herr Kollege Roth - immer derselbe Sprecher, immer derselbe Sozialdemokrat, immer zum selben Thema Wirtschaftspolitik - es sei eine völlige „Hilflosigkeit" - ich zitiere - der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gegeben. In den letzten Tagen sagt Bundesbankpräsident Pöhl zu Recht, die Wirtschaftspolitik sei angemessen. Er sagt, wir haben einen großen Boom. Herr Kollege Roth, jetzt hätte ich es anständig gefunden, Sie wären heute hier hingegangen und hätten gesagt: Wenn wir damals für die angeblich und vermutete negative Wirtschaftsentwicklung den Bundeskanzler und den Bundeswirtschaftsminister verantwortlich machten, dann habe ich heute die innere Größe, mich hinzustellen und zu sagen: Respekt, Bundesregierung, ihr seid mit euren Rahmendaten mit dabei gewesen, mit Arbeitnehmern und Unternehmern, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen und damit auch den Spielraum für Steuersenkungen zu ermöglichen. Das wäre eine noble und gute Geste gewesen, die leider ausgeblieben ist. ({12}) Daß wir immer noch Sorgen haben, daß nicht alles rosig ist, das wissen wir selbst. Wir wissen, daß die Arbeitslosigkeit zwar erfreulicherweise auf jetzt 1,94 Millionen trotz des erheblichen Zuwachses der Erwerbspersonen gesunken ist. Aber wir wissen, daß es eine immer noch zu hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen gibt, und deswegen wird die Bundesregierung 1,75 Milliarden DM u. a. für Lohnkostenzuschüsse einsetzen, um vor allem den Älteren unter den Langzeitarbeitslosen zu helfen. Ich sage es hier offen, meine Damen und Herren: Wir wissen, daß es neben dem Engagement für den wirklich betroffenen Arbeitslosen auch die Feststellung geben muß, daß es Mißbrauch des sozialen Netzes gibt. Ich will in dem Zusammenhang eine einzige Zahl nennen, meine Damen und Herren. Vor wenigen Wochen ist bei einer Stichprobenuntersuchung im Arbeitsamtsbezirk Aalen, in Baden-Württemberg festgestellt worden, daß 21 % der zu Hause aufgesuchten Arbeitslosen dauerhaft verreist waren. Das heißt: Wir müssen beides zugleich tun. Wir müssen auf der einen Seite den wirklich vom Schicksal Arbeitslosigkeit Betroffenen, vor allem älteren Arbeitslosen, wirksamer helfen - das tun wir -, und wir müssen auf der anderen Seite ehrlich genug sein festzustellen, daß es einen Mißbrauch des Zumutbarkeitsbegriffs bei der Arbeitslosigkeit gibt ({13}) und daß wir wirksamer als bisher diesen Mißbrauch zu Lasten der Mehrheit der echt Arbeitslosen abstellen müssen, wenn wir unsere soziale Sicherung auf Dauer erhalten und für die Zukunft sichern wollen. ({14}) Das größte Problem auf dem Arbeitsmarkt ist sicherlich, daß wir zuwenig ausgebildete Kräfte haben. Facharbeiter werden händeringend gesucht: ({15}) Elektroniker, Elektriker, Informationstechniker, Chemiefacharbeiter, Metallfacharbeiter, ({16}) Kräfte auf dem Bau. Demgegenüber sind 49 % der Arbeitslosen nicht qualifiziert. ({17}) Bei allem, was uns politisch trennt, müßte es doch eigentlich, Herr Kollege Wieczorek, eine gemeinsame Aufgabe von Sozialdemokraten, Christdemokraten, Freidemokraten sein, finde ich, auf die Tarifvertragsparteien dahin gehend einzuwirken, daß sie das tun, was sie bei der Vereinbarung von Tarifverträgen für die Qualifikation, für die Weiterbildung tun können. Wir wissen beispielsweise, daß im Jahre 1970 in den Betrieben 5 % aller Mitarbeiter an informationstechnischen Geräten der Elektronik, am Computer arbeiten mußten. Experten sagen, im Jahre 2000 würden wahrscheinlich zwei Drittel aller Mitarbeiter informationstechnische Mittel, Computer gebrauchen müssen und sozusagen den kleinen Computerführerschein haben müssen. Das heißt: Wer Arbeitslosigkeit in der Zukunft vermeiden will, wer jungen Leuten zusätzliche Möglichkeiten geben will, der muß für Weiterbildung sorgen. Deshalb verstehe ich es nicht, daß Sie beim Thema Tarifverträge immer nur die Arbeitszeitfrage in den Vordergrund rücken. Ich wünschte mir, daß wir gemeinsam im Interesse von Unternehmen, von Arbeitnehmern und von Arbeitslosen den Tarifvertragsparteien sagen: Macht so weiter, wie vor zwei Jahren Gesamtmetall und IG Metall in Stuttgart begonnen haben, die erstmals in einem großen Tarifvertrag Qualifikationsanstrengungen vereinbart haben. - In den 90er Jahren sind solche Qualifikationsvereinbarungen im Interesse der Menschen meines Erachtens wichtiger als weitere Arbeitszeitverkürzungen nach der Rasenmähermethode. ({18}) Meine Damen und Herren, wir brauchen den massiven Ausbau der Teilzeitarbeit. ({19}) Auf diesem Gebiet sind wir in Deutschland noch rückständig. Wir brauchen auch mehr private und gemeinnützige Vermittlungsmöglichkeiten. Meines Erachtens kann das Monopol der Bundesanstalt für Arbeit auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. ({20}) Wir brauchen größere Spielräume in Tarifverträgen für geringer Qualifizierte, nach Regionen und Branchen unterschiedlich, um die Möglichkeiten zur Anpassung an veränderte Arbeitsmarktsituationen auszubauen, und - ich sagte es schon - wir brauchen große Anstrengungen für die Weiterbildung von Menschen, die in den 90er Jahren nach Beschäftigung suchen. Meine Damen und Herren, wir brauchen auch die Bereitschaft, bei der Anpassung unseres Steuer- und Wirtschaftssystems an die Herausforderungen des Binnenmarkts und an die umweltpolitischen Aufgaben über manches Vorurteil der Vergangenheit hinwegzuspringen. Deswegen meine ich, in den 90er Jahren müssen zwei Dinge geleistet werden, nämlich einmal eine wirksame Unternehmensteuerreform, die vor allem die steuerliche Benachteiligung des Eigenkapitals beseitigt und dafür sorgt, daß kleine und mittlere Betriebe eine bessere Eigenkapitalquote aufbauen können; denn sie schaffen ja die neuen Arbeitsplätze. ({21}) Zum anderen müssen wir unser Steuersystem an die großen Umweltaufgaben anpassen. Ziel muß es sein, die Risiken einer modernen Industriegesellschaft ökologisch wirksam und ökonomisch effizient zu beherrschen. Uns geht es darum, mit wirtschaftlichen Anreizen umweltorientierte Verhaltensänderungen von Verbrauchern und Wirtschaft zu bewirken und einen auf Vermeidung, nicht nur auf Beseitigung der Umweltbelastung ausgerichteten technischen Fortschritt verstärkt in Gang zu setzen. Ich sage ganz klar: Für uns haben dabei marktwirtschaftliche Lösungen Vorrang vor Geboten und Verboten, wie wir das ja bereits bei der TA Luft 1986 mit den Kompensationsregelun11874 gen, nach denen Betriebe gemeinsam entscheiden können, ohne Bürokratie erreicht haben. Dort sind die Schadstoffausstoßzahlen geringer als anderswo. Wir haben begrenzte steuerliche Instrumente bei der umweltorientierten Gestaltung der Kfz-Steuer bereits eingesetzt. Aber ich sage eines, Herr Kollege Roth: Was nicht geht, ist, eine Steuerpolitik unter der Überschrift „Umweltschutz" zu entwerfen und dabei nicht zu bedenken, welche sozialen Folgen und welche Folgen für das Wirtschaftsystem dieses hat. ({22}) Wenn Sie die Mineralölsteuer um 50 Pfennig erhöhen wollen und sagen, den Ausgleich schaffen Sie über die Lohnsteuer, fügen aber nicht hinzu, daß die Menschen mit kleinem Einkommen kaum Lohnsteuer zahlen ({23}) und daß die Rentner durch ein solches System gar nicht entlastet werden können, dann stimmt die Rechnung am Ende nicht, und dann sollten Sie das den Mitbürgern auch offen sagen, denn nur dann wird aus dem ganzen ein Schuh. ({24}) Ich wünsche mir, Herr Kollege Roth, einen Wettbewerb der Ideen um dieses Thema ({25}) und keine wechselseitigen Totschlagargumente. Geben Sie doch offen zu, daß dieses Argument der Finanzierbarkeit Ihres Umweltsteuerkonzeptes auch in den eigenen Reihen ernsthaft diskutiert wird. Eine Antwort in dieser Debatte von Ihnen wäre für uns alle außerordentlich nützlich. ({26})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jens. ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Beruhigen Sie sich doch mal! So viel Anlaß zur Aufregung besteht wirklich nicht. ({0}) Daß Herr Wissmann das alles rosarot malt, ist verständlich, aber es ist nicht immer die Wahrheit. Unser Konzept - Sie sollten es vielleicht mal nachlesen, Herr Wissmann - sieht vor, daß selbst der Rentner und der Sozialhilfeempfänger einen Ausgleich bekommen. ({1}) - Das werden wir im Ausschuß sorgfältig diskutieren. Er bekommt einen Ausgleich, und er profitiert aus meiner Sicht sogar davon, weil er im allgemeinen nicht so viel Auto fährt wie der normale Bürger. ({2}) Er wird von unserem Konzept unter dem Strich profitieren, und wie, will ich Ihnen gleich gern mal privatissime erklären. ({3}) Also übertreiben Sie nicht immer, sondern versuchen Sie, die Wahrheit zu sagen! Ich sage Ihnen: Es ist manches faul im Staate der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) So etwas hat es noch nie gegeben, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Kommentar auf der ersten Seite feststellt - der Kollege Waigel ist da, ich zitiere - : „Waigel neigt dazu, wahlpolitischen Argumenten Vorrang vor unbequemer finanzpolitischer Konsequenz zu geben" . Das ist noch sehr milde ausgedrückt. Aber Herr Stoltenberg ist in der „FAZ", Herr Kollege Waigel, immer besser weggekommen; Sie müssen sich also anstrengen. Ich sage auch: Sie sind ein Störenfried - das meine ich leicht positiv - , denn es gibt - ich bitte um ein bißchen Aufmerksamkeit - eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, was ich gleich versuche zu erläutern, und es gibt offenbar auch eine Störung des weltwirtschaftlichen Gleichgewichts, und darüber wurde bisher noch nicht gesprochen. Tatsache ist doch, daß wir etwa 31 bis 33 Milliarden DM öffentliche Investitionen im Bundeshaushalt 90 tätigen, über den wir heute sprechen. Tatsache ist aber auch, wenn wir die Definition des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legen - dieses Gericht ist dazu berufen, diese Sache zu definieren - , daß wir etwa 40, vielleicht 41 Milliarden DM Neuverschuldung, zusätzliche Verschuldung in Kauf nehmen. Dieses verstößt gegen Art. 115 des Grundgesetzes, wenn es keine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt. Es wird sie wohl geben - Herr Waigel muß das noch einmal bekennen - , denn gegen das Grundgesetz - davon gehe ich mal aus - will er nicht verstoßen, und die Massenarbeitslosigkeit ist schon ein schwerwiegendes Problem, das uns allen noch unter den Nägeln brennt. Wer wollte das denn leugnen! Wir müssen noch mehr tun, um das Problem zu verringern. Es gibt zweifellos auch eine Störung des weltwirtschaftlichen Gleichgewichts. Seit 1986 haben wir jedes Jahr in der Leistungsbilanz einen Überschuß von 80 Milliarden DM; 1990 wird das auch wieder so viel werden. Das heißt im Grunde: Wir exportieren in dieser Höhe, über den Daumen gepeilt, mehr, als wir importieren. Das Geld fließt wieder ins Ausland und wird dort angelegt. Vor allem finanzieren wir in den Vereinigten Staaten die dortigen Kredite. Wir leben unter unseren Verhältnissen. Dieser ewige Leistungsbilanzüberschuß ist schon schlimm, wie ich meine. Auch darüber müssen wir nachdenken. Eigentlich müßte die DM aufgewertet werden; sie wird aber in der letzten Zeit abgewertet. Manchmal habe ich das Gefühl, auch Herrn Pöhl schert das sehr wenig; er geht von Zeit zu Zeit einmal in den Keller der Bundesbank und erfreut sich da an den riesigen Goldvorräten, die dort herumliegen, die aber völlig unproduktiv sind. Ich gebe zu, was auch Herr Wissmann gesagt hat: Wir haben Wirtschaftswachstum. Mehr können wir gar nicht erwarten. Das ist auch im allgemeinen positiv; das will ich überhaupt nicht leugnen. Nur, wir bemühen uns ja darum, das in Zukunft etwas anders zu messen. Zur Zeit messen wir nur die Quantität des Wirtschaftswachstums. Es kommt jedoch entscheidend darauf an - das wollen wir ja nach der Anhörung im Wirtschaftsausschuß alle - , die qualitative Komponente stärker zu messen. Unter diesem Gesichtspunkt ist dieses Wirtschaftswachstum eben doch noch nicht so positiv, wie es zunächst erscheint. Ich sage Ihnen auch: Wir haben eine Preisentwicklung, die die Rentner zu spüren bekommen werden und die ebenfalls nicht als positiv bezeichnet werden kann. Wir sollten uns auch darum bemühen, diese Preissteigerung stärker nach unten zu drücken. Das sind doch alles Tatsachen, an denen Sie nicht vorbeigehen können und die über den Ablauf der Wirtschaft zur Zeit manches aussagen. Ich möchte jedoch noch einmal über die Ordnung unserer Wirtschaft etwas sagen. Ich glaube eigentlich - das hat der Herr Kollege Schmude gestern gesagt - , wir haben mit dieser marktwirtschaftlichen Ordnung den „Wettstreit der Systeme" gewonnen. Wir haben, um mit Erhard zu sprechen, Wohlstand für alle. Aber dieser Wohlstand wird eben nur erreicht, wenn sich auch alle, jeder einzelne, um Wohlstand bemühen. Aber das Soziale, das zu dieser marktwirtschaftlichen Ordnung gehört, ist aus meiner Sicht noch nicht gesichert. Denn für Erhard war ganz entscheidend, daß wir Vollbeschäftigung, zumindest hohe Beschäftigung haben. Das war für ihn ein Kriterium der Sozialen Marktwirtschaft. Insofern haben wir an diesem Ende in der letzten Zeit leider manches Negative zu verzeichnen. Manchmal, meine Damen und Herren, wage ich auch ein wenig zu träumen. Für mich ist es immer noch ein Traum, daß wir doch vielleicht einmal eine Wirtschaftsordnung mit Vorbildcharakter für andere Länder im Osten und im Westen schaffen könnten. ({5}) Leider gibt es vier Kritikpunkte, die immer wieder deutlich werden, um deren Lösung wir uns bemühen müssen und die ich hier vortragen muß. Das ist erstens die Massenarbeitslosigkeit, von der ich schon kurz gesprochen habe. Das ist ein Schandfleck in unserer sozialen, marktwirtschaftlichen Ordnung. Das ist zweitens die steigende Konzentration, von der schon gesprochen wurde. Es ist drittens - ich komme gleich darauf, Herr Kollege Wissmann - die ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung; leider ist sie ungerecht. ({6}) - Ich nenne gleich noch einmal die Daten dazu. Schließlich sind wir in der ökologischen Erneuerung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung bisher leider - da hat der Kollege Kleinert recht - so gut wie kaum richtig vorangekommen. Die Arbeitslosenquote beträgt 7,5 %. International anerkannt ist, daß Vollbeschäftigung bei einer Arbeitslosenquote von 2 bis 3 % gegeben wäre. Wir haben also keine Vollbeschäftigung. Wir haben einen ständigen Sockel von ungefähr 2 Millionen registrierten Arbeitslosen. Im Grunde gibt es noch mehr, die Arbeitsplätze suchen, als diese 2 Millionen. Aber nur diese haben sich registrieren lassen, und werden deshalb auch nur gemessen. ({7}) Ich gebe allerdings zu: Viele Arbeitnehmer sind für moderne Tätigkeiten nicht qualifiziert. Viele sind auch in Regionen arbeitslos, in denen es keine Angebote gibt. Wer heute über 50 Jahre alt ist und arbeitslos wird, der gehört zum uralten Eisen und hat so gut wie keine Chance mehr, auf dem Arbeitsmarkt einen Job zu finden. Wir Sozialdemokraten werden dieses Problem der Arbeitslosigkeit intensiver anpacken, wenn wir dazu die Gelegenheit bekommen. Ich will nur sagen: Bundeskanzler Kohl stellt sich hin und meint, die Ausbildungszeiten müßten verkürzt werden. Ich meine, er als Politiker müßte dagegen angehen und sagen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus; wir müßten die Ausbildungszeiten im Hinblick auf die technische Entwicklung nicht verkürzen, sondern verlängern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Jens, wie beurteilen Sie die Aussage des Präsidenten des Deutschen Handwerks, wonach momentan 300 000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können und zudem noch 60 000 Lehrstellenplätze frei sind und niemand mehr bereit ist, bestimmte Berufe zu ergreifen, die zur Zeit keinen Zuspruch mehr erfahren?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, darüber brauchen wir uns doch nicht zu streiten. Ich habe gesagt, es mangelt manchmal an der Qualifikation. Es gibt aber auch Leute, die in bestimmten Regionen Arbeitsplätze suchen und nicht dort, wo der Präsident des Deutschen Handwerks das möglicherweise gerne sieht. Das ist ganz einfach eine Tatsache. Wir müssen mehr für die Qualifizierung tun - das ist meine Antwort -, und es ist völlig falsch, wenn da gekürzt wird. Wir müssen mehr tun zur Schaffung von Arbeitsplätzen in jenen Regionen, die zu kurz gekommen sind. Wir müssen aktivere regionale Strukturpolitik betreiben. Das ist die Antwort.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Jens, ich komme selbst aus einem strukturschwachen Gebiet, in dem die Arbeitslosigkeit teilweise - gerade in den Wintermonaten - zwischen 26 % und 30 % liegt. Trotzdem können die freien Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze im Handwerk leider Gottes nicht besetzt werden. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist ein Qualifizierungsproblem. Wir haben zum Teil auch an den Bedürfnissen vorbei ausgebildet. Ich sage Ihnen: Auch die Unternehmer müssen wesentlich mehr ausbilden, als das bisher der Fall war. Wenn es um hochtechnisierte Arbeitsplätze geht, dann ist doch nicht der Staat gefordert, sondern dann sind die Unternehmen gefordert, eine entsprechende Ausbildung zu betreiben. ({0}) Der zweite Punkt ist die Konzentration, von der ich gesprochen habe. Wir haben schon gehört: Am Freitag wird die schreckliche Mammutfusion DaimlerBenz-MBB genehmigt. Von der Bundesregierung wird ein ordnungspolitischer Scherbenhaufen angerichtet. Sie sollten in Zukunft aufhören, von marktwirtschaftlicher Ordnung und von marktwirtschaftlichen Prinzipien zu reden. Diese Fusion verstößt eklatant gegen derartige Prinzipien. ({1}) Die Konzentration ist noch nie so stark gestiegen wie während der Zeit der Koalitionsregierung. Wir haben im Jahre 1982 506 Fusionsfälle vollzogen und im Jahre 1986 1 159. Das ist eine ganz schreckliche Entwicklung. Wenn ich die „Stuttgarter Zeitung" richtig gelesen habe, so will der Herr Bundeswirtschaftsminister in Zukunft einen Mittelstandsbeauftragten einsetzen, der dafür sorgt, daß die Fertigungstiefe erhalten bleibt. Dieser Mittelstandsbeauftragte tut mir jetzt schon leid. Er wird wahrscheinlich von Herrn Reuter von Zeit zu Zeit zum Essen eingeladen, und dann wird ihm gesagt, was er zu tun hat. Im übrigen: Wenn es ökonomisch sinnvoll ist, wird auch dieser Mittelstandsbeauftragte nicht verhindern, daß sich die Produktion - auch bei einem Konzern wie DaimlerBenz - weiter konzentriert. Ich finde, es ist schlimm, wenn im Wirtschaftsministerium gesagt wird, die Monopolkommission habe mit ihren Auflagen manches - ich zitiere - „zusammengeschmissen". Was jetzt herauskommt, ist noch viel weniger als das, was die Monopolkommission gefordert hat. Insofern kann man sich mit dieser Sache in der Öffentlichkeit beim besten Willen nicht sehen lassen. Notwendig erscheint mir jetzt auf alle Fälle, daß wir darangehen, die Bankenbeteiligungen an deutschen Industrieunternehmen zu kappen. Ich erwähne hier natürlich insbesondere die Trennung der Deutschen Bank von Daimler-Benz. Darauf weist auch die Monopolkommission hin. Ich glaube, es ist dringend notwendig, daß die Milliardenbeträge, die für die Produktion des Jägers 90 vorgesehen sind, möglichst schnell ein für allemal gestrichen werden. Das muß Herr Reuter von Daimler-Benz wissen. Schließlich geht es darum, daß alle Großprojekte in der Luft- und Raumfahrt überprüft werden. Wir brauchen mehr Mittel im Bereich Forschung und Entwicklung für kleine und mittlere Unternehmen. Darauf werden wir im Wirtschaftsausschuß bei den Beratungen des Einzelplans 09 dringen. Ein Wort zur sozialen Symmetrie und zur Verteilungsgerechtigkeit, die aus unserer Sicht eine wichtige Produktivkraft ist. ({2}) Gucken Sie sich doch einmal die Lohnquote an. Ich will ja nicht behaupten, daß die Lohnquote der entscheidende Maßstab ist. Die Lohnquote und die Gewinnquote haben im Statistischen viele Nachteile. Aber Tatsache ist, daß sie sich enorm zu Lasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Unternehmer seit 1982 verändert hat. Das kann ja jeder nachlesen. Etwa 100 Milliarden DM wurden auf diese Art und Weise umgeschichtet. Ich komme auf die Daten des Kollegen Wissmann zurück. Er hat gesagt, daß die Arbeitnehmer von 1982 bis 1988 etwa 13, 14 % an Zuwachs des verfügbaren Einkommens ({3}) und die Rentner einen Zuwachs von etwa 6-7% hatten. Das ist auch richtig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt außerdem fest: Die Einkommen der selbständigen Haushalte sind im Zeitraum, den wir hier zugrunde legen, um rund 31 % auf 133 000 DM gestiegen. Wenn Sie den Zuwachs der Rentner, 6 %, und den des Einkommens der Selbständigen, die sowieso schon viel haben, von 31 % sehen, Herr Kollege Wissmann, dann können Sie doch nicht sagen, das alles sei in Ordnung. Das ist doch Umverteilung von unten nach oben, was Sie in der letzten Zeit betrieben haben. ({4}) - Gucken Sie sich doch die Daten an! Leugnen Sie sie doch nicht! Holen Sie sich die Daten doch heraus, dann werden Sie das sehen. ({5}) - Das stimmt natürlich. Da beißt keine Maus den Faden ab. Das ist nun einmal so. Schließlich zur ökologischen Komponente. Es ist in der Tat so, daß diese Sache nicht so ganz neu ist. Ökonomen wie Kapp oder Pigou haben das bereits am Anfang dieses Jahrhunderts gefordert. Nur, wir haben Handlungsbedarf, Kollege Haussmann. Wir müssen auf diesem Felde endlich etwas tun. Ich glaube, wir können, wenn wir den Weg gehen, den wir angedeutet haben, durchaus mehr Umweltschutz verwirkliDr. Jens chen und gleichzeitig auch einen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungssituation leisten. Es geht im Kern, wie ich meine, doch darum, den Faktor Umwelt zu verteuern, weil er knapp ist, und den Faktor Arbeit in Form einer Senkung der Lohn- und Einkommensteuer zu verbilligen, weil er zur Zeit in Hülle und Fülle angeboten wird. Dies führt dazu, daß Umwelt gespart wird und daß Arbeit mehr eingesetzt wird. Insofern ist unser Ansatz ökonomisch einwandfrei richtig, und wir halten es für dringend notwendig, ihn auszubauen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich glaube, daß es jetzt ganz aktuell darauf ankommt, in den Ländern zu helfen, die versuchen, ihre Ordnung umzugestalten: in Polen, in Ungarn, auch in der UdSSR. Ich frage mich immer: Warum tun wir bei den Altschulden nicht mehr? Da können wir etwas machen. Warum initiieren wir nicht ein zusätzliches Programm zur Förderung von Joint-ventures? Warum machen wir nicht etwas Zusätzliches bei der HermesKreditversicherung, um auch den Warenaustausch zu fördern? ({6}) Dies alles wäre durchaus möglich; aber es ist natürlich richtig, daß durch derartige Hilfen das Feindbild von einigen möglicherweise abgebaut wird. Das wollen einige vielleicht nicht. Die Bundesregierung ist also gefordert. Ich verlange, daß sie nicht nur bis zum nächsten Wahltermin schielt, sondern auf diesem Felde endlich aktiv Politik betreibt. Schönen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Aussprache wird um 14 Uhr fortgesetzt. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird wiedereröffnet. Wir setzen die Aussprache fort. Wenn ich es richtig sehe, hat das Wort der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist 14 Uhr, das Fernsehen ist abgeschaltet ({0}) - so sagt man mir - , man hat 13 Minuten Zeit, um in seiner Eigenschaft als wirtschaftspolitischer Sprecher und Parteivorsitzender die Weltwirtschaft und die deutsche Wirtschaft zu erklären. ({1}) - Ich will es ja gerade nicht lassen. - Ich habe mein Manuskript einmal beiseite gelegt; wie es ordentlich vorbereitet ist, ist es heute morgen schon verteilt worden. Ein Teil der Journalisten wird gar nicht merken, daß man den verteilten Text nicht vorgetragen hat. Man muß auch nicht ganz so verbiestert diskutieren. Im übrigen hat Herr Roth recht: Die Wirtschaftspolitiker haben das eigentlich nie getan. Meine Damen und Herren, als ich heute morgen die Morgenzeitungen gelesen hatte und dann an meinen Kleiderschrank ging, um meinen Schlips sorgfältig auszuwählen, habe ich gedacht: An diesem Tage, bei diesen traurigen Ereignissen für die Opposition machst du hier wenigstens farblich eine Freude. ({2}) Frau Matthäus-Maier hat es vorhin gemerkt und hat auch richtig darauf reagiert. Was soll sich eine Bundesregierung eigentlich besseres wünschen? Sie kann sich die konjukturelle Landschaft, so wie sie sich darstellt, kaum schöner malen: Die Wirtschaft wächst wie schon lange nicht mehr, Sie kennen die Überschriften alle. Kein Wunder, daß Wirtschaftsminister und Finanzminister - der Finanzminister ist noch nicht da - so strahlend aussehen wie eine Neuauflage von Plisch und Plum. ({3}) Meine Damen und Herren, sie haben auch allen Grund dazu; ich will deshalb nicht weiter darüber sprechen. Die Opposition bemüht sich redlich, die schwarzen Tupfer zu finden - ist das nun richtig? Egal - , die Nischen zu finden, in die man etwas Salz hineinstreuen kann, aber allzuviel ist es ja nicht. Andererseits - ich habe es mir einmal angesehen - waren wir zufällig nicht die einzigen, die vor zwei Tagen die erste Lesung eines Haushalts debattiert haben. Es waren noch ein paar Länderparlamente, die dasselbe taten. Mit umgekehrten Fronten konnten Sie überall dieselben Schlagzeilen lesen. Manchmal frage ich mich, wie ernst uns die Bürger im Lande eigentlich noch nehmen oder ob sie das - nicht nur in Bonn, sondern auch in den Länderparlamenten - nicht als ziemliches Imponiergehabe ansehen, was wir gelegentlich betreiben. Ich wollte mich heute, wie viele von Ihnen das auch getan haben, zum Thema Umwelt und Marktwirtschaft äußern. Ich bestätige noch einmal: Ich habe das Gesprächsangebot von Peter Glotz nicht nur für mich, sondern für die FDP angenommen. Ich wiederhole die Bereitschaft. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten solche Gespräche nicht auf Schloß Crottorf oder in der saarländischen Vertretung - dort wird der Koch besser sein als im Schloß Crottorf - betreiben, sondern wir sollten das hier im Parlament tun. Hier gehört es her. Es ist bei der Bedeutung dieses Themas nicht ausreichend, dies in einer Haushaltsdebatte zwischen dem ganzen Kraut und Rüben, was man dabei besprechen muß, zu tun. ({4}) Vielleicht ist es sinnvoll, daß sich die Fraktionen einmal einfallen lassen, zu diesem Thema eine Große Anfrage zu stellen, eine möglichst kurze, damit sie schnell beantwortet werden kann und wir bald zur Diskussion kommen, und man sich wirklich Zeit nimmt, diese in der Tat wichtige Frage gründlich zu erörtern. Ich muß mich auf ein paar kurze Anmerkungen beschränken. Ich warne noch einmal, meine Damen und Herren - dies geht an die sozialdemokratische Fraktion - vor diesem, ich darf das einmal so nennen: Knopfdruckverständnis von Wirtschaft, das aus vielen Ihrer Vorstellungen immer wieder hervorleuchtet: Ausstieg aus der Kernenergie, möglichst gleich und sofort, ökologischer Umbau der Industriegesellschaft, ganz schnell. - Wir werden in unseren Gesellschaften keine Brüche und keine bruchartigen Entwicklungen betreiben können und, hoffe ich, wollen, sondern wir werden einen allmählichen, nicht zu langsamen, aber behutsamen und schadensfreien Wandel betreiben müssen. ({5}) - Es kommt auf „behutsam" an, und es kommt - Dahrendorf hat neulich in der „Zeit" Karl Popper mit diesem Hinweis zitiert - darauf an, daß wir in einem Zeitalter langsamen und vorsichtigen Wandels leben und nicht der Revolution und nicht der Brüche. ({6}) - Wir haben wenig Zeit; ich weiß das sehr wohl. Trotzdem sage ich Ihnen: Sie richten mit bruchartigen Entwicklungen auf diesem Gebiet auch für die Umwelt eher Schaden an, als daß Sie etwas Vernünftiges bewirken. Wir wissen, daß es ein marktwirtschaftliches Patentrezept, d a s Patentrezept, nicht geben kann. Eine grundsätzliche Umgestaltung des Steuersystems hin zu einer ökologischen Steuer, und voll ausgerichtet nach diesem Prinzip, ist in meinen Augen eine naive Vorstellung. ({7}) Steuern sind und bleiben eine verläßliche Einnahmequelle für den Finanzminister. Ökosteuern rechtfertigen sich dadurch, daß sie am Schluß nicht mehr eingebracht werden. ({8}) Aber auch im Steuersystem muß langfristige Verläßlichkeit die Grundlage bleiben, wie in jeder Wirtschaftspolitik, wie auch in jeder Umweltpolitik. Das Stichwort Energiepreise fällt in diesem Zusammenhang immer wieder. Es hat heute morgen eine interessante Diskussion zwischen den beiden größten Fraktionen dieses Hauses gegeben. Sie wetteiferten im Grunde darum, daß sie möglichst niemanden belasten und möglichst niemandem wehtun. ({9}) - Nein, nein, das war schon so. - Ich fand, daß der nachfolgende Hinweis von Herrn Kleinert nicht ganz falsch war - ich habe selten gemeinsame Auffassungen mit den Sprechern der GRÜNEN und sicherlich auch mit Herrn Kleinert - : Wenn wir die Menschen nicht wirklich belasten, so daß es ihnen wehtut, gibt es keinen Spareffekt und gibt es auch keinen Substitutionseffekt. ({10}) Es ist eine Politik nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß", wenn ich mich bemühe, all denen, die das Auto brauchen und viel Benzin verbrauchen, auf irgendeine Weise - das wird zwar nicht ganz genau ankommen; das haben Sie zu Recht gesagt; Sie treffen nicht jeden individuell - Ersatz zu schaffen. Die Besserverdienenden besteuere ich höher: Die können es sich sowieso leisten, die fahren weiter. Da passiert umweltpolitisch überhaupt nichts. Da wird nur ein Umverteilungsmechanismus in Gang gesetzt. Wer CO2 für ein Umweltproblem hält - und dies ist ein Problem - , der muß dann natürlich auch über die Kohle reden, so bitter das ist, aber mit allen Vorsichtsmaßnahmen, daß am Ende auch da wieder nichts passiert. Das heißt: Wer über diese Probleme spricht, wird auch unerfreuliche Konsequenzen nennen müssen. Frau Matthäus-Maier, Sie haben vorgestern wieder über den außenwirtschaftlichen Aspekt ganz schnell hinweggeredet. Ich rede nicht darüber, daß eine rein national begrenzte massive Verteuerung von Energie - nehmen wir einmal nur die Energie - sich beim Bruttosozialprodukt niederschlägt, in die Indizes geht und diese international schwer vergleichbar macht. Über das alles könnten wir noch hinwegkommen. Aber daß es bei offenen Grenzen in der Bundesrepublik einen Importwettbewerb gibt, bei dem Sie die Konkurrenten der Bundesrepublik zu Lasten deutscher Arbeitsplätze und deutscher Wettbewerbsfähigkeit massiv begünstigen würden, das muß doch einmal diskutiert werden. ({11}) Die Bundesrepublik muß und wird auch in Zukunft offene Grenzen haben. Das muß so sein. Uns steht gerade eine Invasion von amerikanischen Handelspolitikern und Ministern in der Bundesrepublik bevor. Ich sage der Bundesregierung in allem kritischen Freimut: Sie genießt im Augenblick nicht den besten Ruf, jedenfalls nicht einen so guten Ruf, wie ich ihn gern sähe, im Zusammenhang mit ihrer Haltung zur Verteidigung des multilateralen Welthandelssystems und zum Themenkreis: Europa offen, kein Protektionismus, keine Festung Europa. Die Bundesregierung hat die Aufgabe, sich dort anzustrengen. Wir könnten natürlich einen Teil eines begünstigten Importwettbewerbs durch Verteuerung bei uns ab- und auffangen, wenn es über die Wechselkurse ginge. Aber bei festen Wechselkursen im europäischen Währungssystem geht es eben nicht, und freie Wechselkurse wollen wir wohl in Europa nicht wieder einführen. Meine Damen und Herren, ich hatte mir vorgenommen - die paar Minuten reichen vielleicht noch dazu - , noch über ein ganz anderes Thema zu sprechen. Sie kennen den Spruch: Wenn mein Nachbar seine Wohnung tapeziert, dann brauche ich das nicht gleichzeitig zu tun. Das war die dümmliche Reaktion vor drei Jahren von einigen DDR-Sprechern auf die Perestroika in der Sowjetunion. Damals hatte die DDR-Wirtschaft einen Qualitätsvorsprung und meinte, sich solches leisten zu können. Hat sie ihn eigentlich noch? Wer sich den sehr sauberen Bericht und die sehr gute recherchierte Analyse im „Tagesspiegel" - sie ist im Juli erschienen - und die hektischen und nervösen Reaktionen der DDR-Führung auf diese Zustandsbeschreibung der DDR-Wirtschaft ansieht, der weiß: Hier ist einiges faul in der Wirtschaft der DDR, und zwar ganz erheblich. In dem Zusammenhang hat Professor Reinhold, der Präsident der Akademie der Gesellschaftswissenschaften, davon gesprochen: Wir geben den Staatssozialismus nicht auf, denn was ist die DDR ohne Staatssozialismus? Ungarn ohne Staatssozialismus ist Ungarn, Polen ohne Staatssozialismus ist Polen. Was ist die DDR ohne Staatssozialismus? Dies ist das große Dilemma der DDR. Aber ist es nicht mittelbar auch unser Dilemma, weil es die Dinge für uns erschwert? Frage: Wie kommt es eigentlich, daß in den zentralverwalteten staatssozialistischen Ländern dieser geradezu rapide Abbau von wirtschaftlicher Effizienz, Leistungskraft und Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren vor sich gegangen ist? Gewiß, wir sagen: Es liegt am System; und das ist auch richtig. Aber welche Folgerungen aus dem System sind dafür verantwortlich? Wenn man das einmal untersucht, wird man zu der schlichten Feststellung kommen, daß das rasante Innovationstempo in den westlichen Wirtschaften - man kann ruhig sagen: in den kapitalistischen Wirtschaften - , daß die Beschleunigung der Produktionsverfahren und der Produkte im Osten, in diesen zentral verwalteten, schwerfälligen Wirtschaften, überhaupt nicht zu erreichen ist. Die dezentralen Entscheidungsmechanismen des Marktes - Preis, Angebot und Nachfrage - bestimmen bei uns das Tempo. Aber auch nur dezentrale Entscheidungsfunktionen können dieses Tempo mithalten und den Wettbewerb aushalten. Hier erweist sich die Überlegenheit des Wettbewerbsprinzips. ({12}) - Sicher sind Rahmenbedingungen notwendig. Herr Jens hat vorhin die Frage gestellt, ob wir mit unserer Ordnung nicht Vorbildcharakter haben könnten. Das wäre sicherlich wünschenswert. Das ideale Ergebnis werden wir nie erreichen. Aber, Herr Jens, ist es nicht Vorbildcharakter, wenn Herr Gorbatschow kommt, wenn Polen kommt, wenn Ungarn kommt und sagt: Unterweist uns im Management, in Marketing, in Know-how, wie man das überhaupt macht; bringt uns doch einmal bei, wie Markt und Marktwirtschaft aussehen! ({13}) Wenn Herr Gorbatschow mit seiner Perestroika in der Sowjetunion, wenn die Ungarn und Polen damit Erfolg haben, dann werden sie eines Tages die DDR, wenn sich dort nichts ändert, auch wirtschaftlich hinter sich lassen, trotz des Fleißes und der Intelligenz der Arbeitnehmer in Rostock, in Frankfurt/Oder und in Dresden. Dieser Staatssozialismus ist am Ende. Die Frage an Sie von der Sozialdemokratischen Partei - ich weiß, Sie werden das nicht gerne hören; ich will hier auch keine scharfe Debatte führen - lautet: Ist eigentlich der demokratische Sozialismus, so wie Sie ihn verstehen und wie wir ihn weltweit angewandt sehen, allerdings mit erheblichen Abwandlungen, mit seinen Interventionen, mit seinen Eingriffen, mit der Lenkung in der Wirtschaft, noch brauchbar? Oder führt auch der zu Inflexibilitäten, zu Unbeweglichkeiten, zu Verlangsamungen des Systems? ({14}) - Herr Roth, Herr Gonzales macht eine Wirtschaftspolitik, die ich Ihnen empfehlen würde. Die Steuerpolitik des österreichischen Bundeskanzlers Vranitzky würde ich Frau Matthäus-Maier empfehlen. ({15}) Die Wirtschaftspolitik von Kjell-Olof Feldt schafft vieles ab, was Sie in den letzten Jahren gelobt haben an schwedischem Sozialismus. Da wird nachgedacht, und da gehen Veränderungen vor sich. Deswegen frage ich Sie: Ist es eigentlich richtig, an den Vorstellungen festzuhalten, die immer noch Gegenstand des demokratischen Sozialismus sind, der unvermeidlich und notwendig zu mehr Intervention, zu mehr Bürokratie und zu mehr staatlichen Eingriffen führt?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie sind doch sicher bereit, Graf Lambsdorff, eine Frage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier zu beantworten. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herrn Schäfer möchte ich sagen: nicht wegen der roten Krawatte. Das ist zu kleinkariert, und auf Pepita kann man nicht Schach spielen.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nun hätten wir natürlich gern gewußt, warum sonst. Nachdem Sie auf die Steuerpolitik von Herrn Vranitzky und Finanzminister Lacina hinweisen, hätte ich Sie gern gefragt: Hätten Sie denn gern eine Unternehmensteuerreform, bei der der Körperschaftsteuersatz 30 Punkte beträgt, der Spitzensteuersatz 50 Punkte, wobei gleichzeitg die degressive AfA abgeschafft wurde mit der Folge, daß das Ganze aufkommensneutral stattgefunden hat?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich möchte auch nicht gerne, daß Kulturschaffende wie Ingmar Bergmann in Schweden in der Bundesrepublik aus steuerlichen Gründen aus dem Lande gejagt würden. Davon halte ich nichts. Das scheint mir auch nicht sinnvoll zu sein. ({0}) Ich möchte auch daran festhalten, daß wir eine Steuerpolitik betreiben, die rechtsformneutral bleibt und nicht Anlaß gibt - wie das in Schweden der Fall ist, wie das in Großbritannien viele Jahre lang der Fall war -, sich aus den Gesellschaften mit persönlicher Haftung in die Körperschaften oder in die Aktiengesellschaft und die GmbHs, also die juristischen Personen, zu flüchten. Dies halte ich nicht für ein wünschenswertes Ziel einer marktwirtschaftlichen Ordnung. ({1}) Hier brauchen wir eine unternehmerische Wirtschaftspolitik. ({2}) Mir ist immer noch der Unternehmer der liebste, der voll für seine Verbindlichkeiten haftet, die er eingeht. Dies ist eine Diskussion, die wir vielleicht bei anderer Gelegenheit noch einmal fortsetzen könnten. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich. Das Licht leuchtet rot auf; ich glaube, der Präsident hat sogar etwas Geduld gehabt. Dafür bedanke ich mich besonders. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte zum Wirtschaftshaushalt heute vormittag haben zwei Kollegen von der SPD gesprochen. Trotz aller Daten und aller Aussagen, die auch heute in der Presse deutlich dargestellt werden, ist es Ihnen nicht möglich gewesen, auf ein Horrogemälde zu verzichten, wobei die Darstellung des Kollegen Roth sehr deutlich und die des Kollegen Jens erfreulicherweise wesentlich moderater und relativierender war. Zumindest im Zahlenmaterial, meine verehrten Kollegen, sollten Sie sich aber einigermaßen einig sein. Während Kollege Roth von einem Anstieg des Unternehmensgewinns von 61 % spricht, sprach Jens von 31 %. ({0}) Vielleicht können Sie sich in der eigenen Fraktion einmal einig werden, welches Zahlenmaterial Sie hier dem Haus zumuten. ({1}) Vermißt habe ich allerdings in dem Zusammenhang - das darf ich auch sagen -, daß Sie, als Sie die Mindereinnahmen der Arbeitnehmer so beklagt haben, die Neue Heimat nicht angesprochen haben, denn hier entstand ein Verlust von 6,8 Milliarden DM, der zum größten Teil auf Kosten der Arbeitnehmer ging. Die Arbeitnehmerschaft hatte diesen Verlust in Form von Gewerkschaftsbeiträgen und -leistungen zu tragen. ({2}) Ich möchte aber nun auf die Erfolge hinweisen. Ich glaube, wir können nicht oft genug wiederholen, daß wir gerade jetzt, im Jahre 1989, eines der besten Jahre überhaupt in der wirtschaftlichen Entwicklung haben. Wir werden bei rund 4 % realem Wirtschaftswachstum landen - ein Erfolg, der zeigt, daß nicht nur die Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, stimmen, sondern daß wir auch darüber hinaus im gesamtpolitischen Zusammenhang das Vertrauen der Weltwirtschaft und des Handels gefunden haben. Diese hervorragende Wirtschaftsentwicklung hat sich auch mit aller Deutlichkeit auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Ich möchte das wiederholen und noch unterstreichen, was heute vormittag von unseren Kollegen gesagt wurde, daß wir auch in puncto Verfügbarkeit einige neue Akzente werden setzen müssen. In meinem Wahlkreis, in meiner Arbeitsmarktregion beträgt die Arbeitslosenquote 1,8 %. Handel und Industrie, aber auch einige größere mittelständische Unternehmen suchen händeringend Arbeitskräfte. Sie müssen heute bereits nach Großbritannien ausweichen, um dort Arbeitskräfte zu erhalten. So ist die Situation. Auch vor dieser Tatsache dürfen wir die Augen einfach nicht verschließen. 300 000 neue Arbeitsplätze haben wir in diesem Jahr geschaffen. Die Arbeitslosenzahl ist seit 1982 erstmals unter die Zwei-Millionen-Grenze gesunken. Zudem ist die Jugendarbeitslosigkeit erfreulicherweise in einer nennenswerten Größenordnung nicht mehr vorhanden. Ich glaube, das zeigt mit aller Deutlichkeit, daß das, was wir politisch geschaffen haben und auch in der Zukunft fortsetzen werden, Erfolge gezeigt hat. Übrigens, ein ganz unverdächtiger Zeitzeuge bestätigt das auch: die OECD, die in ihrem jüngsten Deutschlandbericht hervorhebt, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich Wachstum und Stabilität beeindruckende Erfolge - ich wiederhole: beeindruckende Erfolge - aufzuweisen hat. Dem ist an sich überhaupt nichts mehr hinzuzufügen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sich bei ihrer ständigen Suche nach einem eigenen wirtschafts- und finanzpolitischen Konzept an dieser erfolgreichen Arbeit der Bundesregierung und der sie tragenden Koalititon zu orientieren. Vielleicht käme dann sogar etwas Vernünftigeres als das jüngste finanzpolitische Papier heraus. ({3}) Mit dem Entwurf, den jetzt die Bundesregierung für den Haushalt 1990 vorgelegt hat, wird dieser erfolgreiche Kurs unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik fortgesetzt. Auch Kollege Jens konnte es nicht unterlassen, wieder auf die Erhöhung der Nettokreditaufnahme hinzuweisen. ({4}) Ich bin der Meinung, Herr Kollege Jens, das ist unredlich, lieber Kollege Walther, wenn man nicht gleichzeitig darauf hinweist, daß im Jahr 1990 die dritte Stufe der Steuerreform in Kraft treten wird und daß hier allein 10,5 Milliarden DM zu Lasten des Bundes gehen, ({5}) lieber Rudi Walther, ({6}) - das haben wir doch nie bestritten; Entschuldigung, das ist doch von uns überhaupt nie bestritten worden - , und das kann natürlich in einem Jahr aufkommensneutral überhaupt nicht ausgeglichen werden. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Herr Abgeordneter Walther. Der Redner ist bereit, eine Frage zuzulassen.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kurt Rossmanith, ich frage einmal genauso freundschaftlich: Ist es nicht so, daß die auf den Bund entfallenden Steuerausfälle bereits ein Jahr zuvor durch die Verbrauchsteuererhöhung in Mark und Pfennig ausgeglichen worden sind und daß deshalb die Nettokreditaufnahme des folgenden Jahres überhaupt nichts mehr mit dieser Steuerreform zu tun hat?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Rudi Walther, wenn ich etwas mehr Zeit hätte als die mir noch verbleibenden sechs Minuten, dann würde ich aufzeigen, weshalb das nicht so ist. Ich kann in dem Fall jetzt nur ganz schlicht und einfach sagen: Das trifft in dieser Form nicht zu. Im Haushalt 1990 - ich bin überzeugt, lieber Kollege Walther, den haben auch Sie als Vorsitzender unseres Ausschusses gelesen - ist ja vielmehr ausgewiesen, daß 10,5 Milliarden DM aus der Nettokreditaufnahme für die dritte Stufe der Steuerreform vorgesehen sind. Kein Mensch, keine Regierung, keine Fraktion und kein Parlament können dies allein ausgleichen, ohne - das will ich dazusagen - im familien- und sozialpolitischen Bereich Einschnitte vornehmen zu müssen. Ich glaube, das will keiner von uns und mit Sicherheit, lieber Kollege Walther, auch Sie nicht. Mit dieser Steuerreform - das hat ja auch Graf Lambsdorff noch einmal sehr deutlich gemacht - sind die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung entscheidend verbessert worden. Ich darf noch einmal darauf hinweisen: In den sieben Jahren der Regierungsverantwortung der CDU/CSU sind über 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Dieser Haushalt zeigt insbesondere, daß die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, die wir durch die Rahmenbedingungen ermöglicht haben, auch im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt von ganz entscheidender Bedeutung und Wichtigkeit ist. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen - ich will auch das einmal mit aller Klarheit darstellen - sind durch diesen gemeinsamen Binnenmarkt vor eine große Herausforderung gestellt. Es steht außer Frage, daß es hier auch staatlicher Flankierung und staatlicher Hilfe bedarf. Deshalb bin ich froh, daß in diesen Haushaltsentwurf auch ein sogenanntes Euro-Fitneßprogramm eingeflossen ist, ({0}) das einen Umfang von etwa 28 Millionen DM haben wird. Dieses Programm ist vor allem darauf ausgerichtet, vorhandene Informationsdefizite über Risiken und Chancen des Binnenmarkts durch gezielte Aufklärungs- und Beratungsmaßnahmen abzubauen. In der wirtschaftspolitischen Diskussion der letzten Wochen und Monate hat vor allem die Energiepolitik eine große Rolle gespielt. Dabei ging es im wesentlichen um den deutschen Steinkohlebergbau und die staatlichen Hilfen, ohne die der Bergbau seinen wichtigen Beitrag zu unserer Energieversorgung nicht leisten könnte. Leider hat die politische Diskussion insbesondere in den Revierländern nicht immer zur notwendigen Klarheit beigetragen. Da wurden kaum Gelegenheiten ausgelassen, um die angeblich kohlefeindliche Politik der Bundesregierung zu kritisieren. Ich hoffe, daß die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung allen diesen Kritikern klargemacht haben, daß der bestehende Jahrhundertvertrag in seiner Substanz erhalten bleibt. Angesichts der Milliardensubventionen für deutsche Kohle, die inzwischen an die Grenzen des finanzpolitisch Vertretbaren stoßen, ist das allerdings nur möglich, wenn alle Beteiligten auch dazu ihren Beitrag leisten. Ich meine den Bergbau, ich meine in ganz besonderer Weise die Elektrizitätswirtschaft, ich meine die Länder, die reviernahen und auch die revierfernen, die sich nie verweigert haben, und natürlich auch den Bund. ({1}) - Auch das, Herr Kollege Weng, auch die Tarifpartner leisten hier einen ganz wesentlichen Beitrag. ({2}) Ich erwarte deshalb, daß auch die Tarifvertragsparteien ihren Beitrag leisten werden. Dieser Punkt wird uns bei den weiteren Beratungen im Haushaltsauschuß noch intensiv beschäftigen. Da ich selbst aus einem revierfernen Land komme, will ich nicht verhehlen, daß für mich die Unterstützung der Kohlepolitik um so schwieriger wird, je mehr die Opposition und die von ihr geführten Länderregierungen den Ausstieg aus der Kernenergie betreiben und in der Zwischenzeit sogar die Entsorgung der laufenden Kernkraftwerke in Frage stellen. ({3}) Die revierfernen Länder weisen zu Recht darauf hin, daß Solidarität keine Einbahnstraße sein kann und keine Einbahnstraße sein darf. ({4}) Nur die gleichzeitige Nutzung von Kohle und Kernenergie, meine sehr verehrten Damen und Herren, bildet ja die wirtschaftliche Grundlage für den hohen Einsatz der heimischen Steinkohle in der Verstromung. ({5}) Dieser Zusammenhang sollte allen Beteiligten deutlich sein, wenn demnächst die kohlepolitischen Beschlüsse im Haushalt umgesetzt werden müssen. ({6}) - An Ihrem Zwischenruf merkt man, wie wenig - das muß ich wirklich sagen - Interesse Sie für dieses Problem haben bzw. wie wenig Sie sich inhaltlich damit beschäftigt haben. ({7}) Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie wird meines Erachtens nach der in Kürze zu erwartenden Ministerentscheidung vor einer neuen Epoche ihrer traditionsreichen und erfolgreichen Entwicklung stehen. Jetzt ist es an der Zeit, den Airbus in der industriellen Verantwortung von Daimler-Benz auf eine gesunde wirtschaftliche Basis zu stellen. Dazu gehört für mich, daß endlich auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland eine Endfertigung des Airbus stattfindet, zumal Deutschland und Frankreich mit je 371/2 % gleiche Geschäftsanteile am Airbus haben. Ich bitte die Bundesregierung und insbesondere natürlich den Herrn Bundeskanzler und auch Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, dieses notwendige Anliegen mit allem Nachdruck zu unterstützen. Man hört immer wieder, hier würde es sich um ein nationales Prestigeobjekt handeln. Wer derartiges von sich gibt, hat von der Realität wenig Ahnung. Denn durch eine zweite Fertigungslinie wird sich die wirtschaftliche Lage des Airbus deutlich verbessern. Wo die Fertigung erfolgen wird, ob im Norden oder Süden unserer Republik, steht nicht zur Diskussion. ({8}) - Ich bin der Meinung, daß sie dort angesiedelt werden sollte, wo es tatsächlich zu einer wirtschaftlichen Verbesserung und zu einer erfolgreichen gesamtwirtschaftlichen Einbindung kommen kann. Ich möchte zum Schluß zusammenfassen: Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition war nicht nur auf einem erfolgreichen Weg, sondern sie wird auch weiterhin diesen erfolgreichen Weg beschreiten. Durch die konsequente Fortführung unserer marktwirtschaftlichen Politik wird ein hoher Lebensstandard und ein hoher Beschäftigungsstand gesichert. Dadurch wird die Gewährung sozialer Leistungen möglich, von denen andere Länder wirklich nur träumen können. Es wird unsere Aufgabe und Verpflichtung sein, diesen Weg weiterhin erfolgreich fortzusetzen. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Als voraussichtlich letzter Redner in dieser Runde hat Herr Abgeordneter Hinsken das Wort.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Graf Lambsdorff wurde soeben ein Zwischenruf gemacht, er möge nach Spanien fahren, um von Ministerpräsident González zu lernen. Vor nicht allzu langer Zeit hat Ministerpräsident González auf die Frage, welches Musterland er auswählen würde und welches Land seine Wirtschaftspolitik am besten verkörpere, gesagt, er würde die Bundesrepublik Deutschland an die erste Stelle setzen. Das heißt: Andere Länder blicken staunend auf die Bundesrepublik Deutschland. Man möchte unsere Wirtschaftspolitik im eigenen Lande umsetzen. Hier aber wird geschrien, wir sollten uns an anderen Ländern orientieren. Kein Unbedeutenderer als der Bundesbankpräsident, Herr Pöhl - er ist schließlich ein SPD-Genosse - , hat vor wenigen Tagen gesagt: Der Exportboom stellt alles in den Schatten, was wir seit Anfang der 70er Jahre erlebt haben. - Das ist ja bestimmt kein befangener Zeitzeuge. Er versteht etwas von seinem Metier. Das möchte ich gerade auf ihn als Bundesbankpräsident bezogen hier feststellen. Sie, Herr Kollege Dr. Jens und Kollege Roth, kommen hierher und meinen, ein Bild malen zu müssen, das jeder Grundlage entbehrt. Die Bundesrepublik Deutschland steht wirtschaftspolitisch gesehen hervorragend da. Das ist Ausfluß einer hervorragenden Politik, praktiziert von Bundeskanzler Helmut Kohl, assistiert von seinem Finanzminister Dr. Waigel und auch von unserem Wirtschaftsminister, Herrn Haussmann, den ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen muß. Daß das Bruttosozialprodukt gerade heuer um ein Fünftel höher ist, als es im Jahre 1982 war, spricht doch Bände. Es soll natürlich auch bei dieser Debatte nicht untergehen - darauf muß verwiesen werden -, daß gerade Sie von der SPD im Jahre 1982 mit Ihrem wirtschaftspolitischem Latein restlos am Ende waren. ({0}) Lassen Sie mich ergänzend hinzufügen, daß gerade die tragenden Säulen unserer Wirtschaft, das Handwerk und der Mittelstand, insgesamt gesehen hervorragend florieren. Dem Mittelstand möchte ich mich in der mir noch verbleibenden Redezeit besonders widmen. Es hat sich gezeigt, daß sich gerade die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung gesetzt hat, hervorragend bewährt haben. Ich erinnere z. B. an das von uns geschaffene Beschäftigungsförderungsgesetz. Die Geltungsdauer dieses Gesetzes wird verlängert, weil sich dieses Gesetz bewährt hat und auch weiterhin bewähren wird. Ich möchte hier nur an den Bundeswirtschaftsminister appellieren und ihn bitten, dafür Sorge zu tragen, daß die Anrechnung von Lehrlingen auch in Zukunft nicht in das Schwerbehindertengesetz einbezogen wird. Das ist vor allen Dingen für kleine und mittelständische Betriebe von äußerster Wichtigkeit. Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie charakterfest wären - von den GRÜNEN erwarte ich das gar nicht - , dann würden Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir wollen nichts bekritteln. Die Wirtschaft läuft. Wir erkennen das an. Wir haben noch nie solch große Erfolge in der Bundesrepublik Deutschland wie gerade im letzten Jahr verzeichnen können. ({1}) - Sie, Frau Matthäus-Maier, haben hier ein Programm angekündigt, nämlich Fortschritt '90. ({2}) Ich möchte dem Programm den Titel geben: Rückschritt '70. - Ihr Programm ist ja noch zu einem größeren Teil sozialistischen Vorstellungen verhaftet. Es bietet keine brauchbaren Lösungsansätze und führt über überholte, verkrustete Vorstellungen nicht hinaus. Der Sozialismus ist doch bankrott. Marx und Lenin sind out. ({3}) Bei den GRÜNEN ist Wirtschaftspolitik sowieso nur eine Alibiveranstaltung zur Finanzierung einer anderen Republik. Meine Damen und Herren, ich meine, es ist erfreulich, daß auf Grund der durch die Bundesregierung verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Drang in die Selbständigkeit mehr und mehr zunimmt. Allein im vergangenen Jahr unterzogen sich im Handwerk 48 000 Personen einer Meisterprüfung; 36 000 von ihnen waren erfolgreich. Sie sind ein Teil derjenigen, die gerade in den letzten Jahren vermehrt den Weg in die Selbständigkeit beschritten haben. Das war zu Ihrer Zeit ganz anders. Da waren die entsprechenden Zahlen stets rückläufig. Ich meine auch sagen zu können, daß diese Bundesregierung gerade im Rahmen dieses Haushalts in mittelstandspolitischer Hinsicht ausgezeichnete Akzente gesetzt hat. Insoweit trägt dieser Haushalt natürlich die Handschrift des Finanzministers Dr. Theo Waigel, der das umgesetzt hat, was Wirtschaftsminister Haussmann im Interesse des Mittelstands ihm abverlangt hat. ({4}) Ich möchte hervorheben, daß vor allem die Leistungssteigerung im Handwerk, die überbetriebliche Bildung, die Leistungssteigerung im Handel, der Fremdenverkehr, die Unternehmensberatung, die Existenzgründungsberatung und etwa auch das Euro-Fitneßprogramm zum großen Teil dazu dienen, dem Mittelstand das an Bedeutung beizumessen, was ihm gerade hier in dieser Bundesrepublik Deutschland beigemessen werden muß. ({5}) Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie - dies wurde vor allem von Herrn Dr. Jens und Herrn Roth vorgetragen - darauf abheben, daß es hinsichtlich des Umweltschutzes gelte, die Benzinsteuer zu erhöhen, dann bitte ich Sie, sich auch einmal Gedanken darüber zu machen, wie sich dies z. B. auf einen kleineren mittelständischen Betrieb auswirkt, der fünf Autos hat, die bei einem Verbrauch von 10 Litern pro 100 km jährlich jeweils 25 000 km gefahren werden. Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß die Erhöhung der Benzinsteuer für einen solchen Betrieb eine Mehrbelastung von etwa 6 000 DM mit sich brächte? Wie soll das denn umgelegt werden? Das wird schließlich wieder den Endverbraucher erreichen, und dann kostet das Ganze mehr und bringt nicht das, was wir hier dringend brauchen und auch für erforderlich halten. Ich möchte jetzt noch ein Wort des Lobes an die Bundesregierung richten, ({6}) weil sie gerade auch in Sachen Existenzgründungsprogramme einiges Gute getan und mit dem Haushalt eingebracht hat. In diesem Zusammenhang bitte ich darum, daß auch solche Betriebe, die als marode zu bezeichnen sind und von den Eltern auf die Kinder übertragen werden, eine Existenzgründungsförderung erhalten. Solche Betriebe sind bisher außen vor. Es handelt sich dabei lediglich um 20 Millionen DM. Ich halte es für dringend erforderlich, diese Betriebe nicht auszuklammern, sondern in die Förderung einzubeziehen. Lassen Sie mich abschließend folgendes feststellen: ({7}) Die Räder der Konjunktur laufen zur Zeit auf Hochtouren. Auch der Mittelstand und das Handwerk profitieren davon. Der Haushalt 1990 setzt die richtigen Rahmenbedingungen für eine anhaltende Aufwärtsentwicklung. Diesen Weg gehen wir weiter. Wir sind nicht auf dem Weg ins Schlaraffenland. Was wir erreicht haben, ist keine Selbstverständlichkeit und muß gegen harte ausländische Konkurrenz behauptet werden. Es ist nicht die Zeit für Experimente, wenn wir erstklassig bleiben wollen. Diese Bundesregierung wird dafür garantieren. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist unbestritten, daß der Zustand unserer Umwelt und die drohenden globalen Umweltkrisen, allen voran die Klimakatastrophe, grundlegende Veränderungen verlangen. Wir müssen unsere Art des Produzierens und unsere Art des Konsumierens so verändern, daß unumkehrbare Schäden an Natur und Umwelt nicht mehr auftreten. Dies ist die zentrale innenpolitische Aufgabe Nr. 1, meine Damen und Herren. ({0}) Dem notwendigen ökologischen Umbau sind wir während der Regierungszeit dieser Regierung keinen Schritt nähergekommen. Im Gegenteil: Ihr Parteifreund Lutz Wicke vom Umweltbundesamt, Herr Dregger, hat die durch Umweltzerstörung entstehenden Schäden allein für die Bundesrepublik auf 120 Milliarden DM pro Jahr geschätzt. ({1}) Diesen 120 Milliarden DM an Schäden pro Jahr stehen ganze 30 Milliarden DM an privaten und öffentlichen Investitionen für den Umweltschutz gegenüber. Wir können uns dieses Mißverhältnis auf Dauer nicht mehr leisten. Wir dürfen nicht länger über unsere ökologischen Verhältnisse leben. ({2}) Schäfer ({3}) Im übrigen - da müssen Sie Ihre Wahlkampfreden umschreiben - : Der Anteil der Umweltschutzausgaben am Bruttosozialprodukt ist heute, 1989, geringer als im Jahre 1980. ({4}) Zum Vergleich: Bei unseren Nachbarn in den Niederlanden ist dieser Anteil kontinuierlich gestiegen. Wer wie gestern der Bundeskanzler nur die absoluten Zahlen nennt, führt bewußt in die Irre. ({5}) Der relative Anteil der Umweltschutzausgaben ist trotz des größer werdenden Problemdrucks während Ihrer Regierungszeit gesunken. Dies ist die nackte, die bittere, die schonungslose Wahrheit. ({6}) Der Energieverbrauch, meine Damen und Herren, ist heute wieder so hoch wie vor der letzten Ölpreiskrise, mit steigender Tendenz übrigens. Gerade gestern haben die Daten der Internationalen EnergieAgentur gezeigt, daß auch der Mineralölverbrauch wieder drastisch zunimmt. ({7}) Große Mineralölkonzerne prognostizieren, daß die Zeit der Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu Ende sei und künftig der Energieverbrauch wieder parallel zum Wachstum steigen werde. Diese Bundesregierung hat die Chancen, die ihr die günstige wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre geboten hat - und wir freuen uns über diese günstige wirtschaftliche Entwicklung - , nicht genutzt. ({8}) Die wichtigsten Probleme, den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Bewältigung der ökologischen Krise, hinterlassen Sie Ihren Nachfolgern ungelöst. Sie haben die guten Jahre, die Ihnen durch niedrige Ölpreise beschert wurden, genossen, Sie haben sie selbstzufrieden genossen, ({9}) aber Sie haben keine Vorsorge für die Zukunft getroffen. Für den notwendigen ökologischen Umbau wurden wertvolle Jahre verschenkt. ({10}) Vor wenigen Wochen hat die Kommission „Fortschritt '90" der SPD ihre Vorschläge für eine ökologische Orientierung des Steuer- und Abgabensystems als Teil eines ökologischen Umbauprogramms vorgestellt. Seitdem hat eine erstaunliche Aufholjagd eingesetzt. Jeder will beim Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente im Umweltschutz der erste sein. ({11}) - Das ist eine erfreuliche Entwicklung, Herr Baum. Aber wie glaubwürdig ist diese plötzliche Umkehr? Es ist immer dasselbe: Die Bundesregierung beginnt erst mit dem Nachdenken, nachdem sie gemerkt hat, daß ihr auch wegen ihrer unzureichenden Umweltpolitik die Wähler weglaufen. Die hektischen Aktivitäten in den verschiedenen Ministerien und den Parteizentralen von CDU und FDP sind der beredte Ausdruck dafür, daß die Bundesregierung das wohl zentrale gesellschaftliche Problem verschlafen hat. Dies ist eine Konstante Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. ({12}) Sie ignorieren Probleme so lange, bis der öffentliche Druck so stark wird, daß Sie reagieren müssen, ({13}) und selbst dann versuchen Sie noch, Ihre Reaktionen auf symbolische Gesten zu beschränken. ({14}) Ihrer Ankündigung des Einsatzes marktwirtschaftlicher Instrumente in der Umweltpolitik, Herr Töpfer, wird es in der Wirklichkeit der Politik gehen wie vielen Ihrer zahlreichen Ankündigungen bisher. Ich nenne beispielhaft nur Ihre Einstiegsankündigung, Sie wollten den Raucherpfennig schaffen. Kaum waren Sie Umweltminister, haben Sie erklärt, das sei nicht Ihre Kompetenz, dafür sei Frau Süssmuth, damals noch Gesundheitsministerin, zuständig. Ich erinnere an Ihre Ankündigung, Sie bräuchten, damit Sie richtig stark wären im Kabinett, ein ökologisches Vetorecht, damit Sie ähnlich stark wären wie der Finanzminister. ({15}) Aber nach der Ankündigung ist das verschwunden. Ich erinnere an Ihre Ankündigung vor der Sommerpause von diesem Rednerpult, wir würden noch in dieser Legislaturperiode die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz einschließlich einer Naturschutzabgabe verabschieden können. Es bleibt bei der Ankündigung. Allen Ihren Ankündigungen, Herr Töpfer, ist eines gemeinsam: Sie glänzen wie Seifenblasen in den schönsten Farben und faszinieren für einen Augenblick das Publikum, um schon kurze Zeit später lautlos zu zerplatzen. ({16}) In den acht Jahren Ihrer bisherigen Regierung haben Sie genug Gelegenheit gehabt, den ökologischen Umbau auch durch marktwirtschaftliche Instrumente für den Umweltschutz einzuleiten. ({17}) Aber außer wohlklingenden Versprechungen in den Regierungserklärungen des Bundeskanzlers ist daraus unter dem Strich nichts geworden. Die Professoren Hansmeyer und Schneider, Herr Töpfer, stellen in einem Gutachten vom August 1989, das Sie in Auftrag gegeben haben, fest, daß ökonomische Instrumente in der umweltpolitischen Entwicklung bisher praktisch keine Rolle gespielt haben und lediglich in rudimentärer Form Anwendung finden. Schäfer ({18}) Wir haben diesem Urteil der beiden Professoren nichts hinzuzufügen. ({19}) Das einzig nennenswerte marktwirtschaftliche Instrument im Umweltschutz ist bisher die Abwasserabgabe. Und die stammt nicht zufällig, Herr Baum, aus unserer gemeinsamer Regierungszeit. ({20}) Das ist die nüchterne Bilanz. Wundern Sie sich eigentlich noch, Herr Töpfer, daß Ihnen niemand Ihre Lippenbekenntnisse zum marktwirtschaftlichen Umweltschutz glaubt? Sie haben mit Ihrer Mehrheit doch alle Vorschläge der Sozialdemokraten in dieser Richtung abgelehnt. Sie haben in diesem Hohen Hause unseren Antrag abgelehnt, die Wirksamkeit der Abwasserabgabe frühzeitig zu erhöhen. Nächste Woche werden Sie spät hinterherhinken, nachkommen, nicht ganz so wirksam wie wir. Drei wichtige Jahre sind verschenkt. Sie haben die Vorschläge von SPD-regierten Bundesländern abgelehnt, zur Luftreinhaltung Schadstoffabgaben, Restverschmutzungsabgaben einzuführen. Sie haben bei der Neufassung des Abfallrechts unsere Vorschläge abgelehnt, Abgaben z. B. für Einwegverpackungen zu ermöglichen. Sie haben unsere Vorschläge für ein Sofortprogramm zur Rettung der Nordsee abgelehnt. Als die Nordseekatastrophe am aktuellsten war und auf allen Kanälen darüber berichtet worden ist, hat die Politik tatenlos zugesehen. Das sind Sie, Herr Töpfer. ({21}) Sie haben, meine Damen und Herren von der Koalition, unsere Vorschläge abgelehnt, die Möglichkeiten der Abschreibung von Umweltschutzinvestitionen und Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung zu erweitern und zu verbessern. Statt dessen haben Sie die bestehenden Regelungen abgeschafft. Sie haben sie ersatzlos auslaufen lassen. ({22}) Jetzt, wo wir Sozialdemokraten für unser ökologisches Umbauprogramm öffentliche Zustimmung finden, versuchen einige in Ihren Reihen noch schnell auf den fahrenden Zug aufzuspringen. ({23}) Aber Ihre Vorschläge sind weder seriös noch glaubwürdig. Es fehlt Ihnen an umweltpolitischer Konsequenz und an konzeptioneller Geschlossenheit. Sie sind in sich konfus und widersprüchlich. Ich will dazu nur ein Beispiel nennen. Sie haben als Antwort auf unsere Konzeption für eine ökologische Besteuerung des Energieverbrauchs eine Kohlendioxidabgabe aus dem Hut gezogen. Einen Kabinettsbeschluß dazu, der die Unterschrift des Finanzministers Waigel und die des Bundeskanzlers trägt, gibt es natürlich nicht. Es sind lediglich verschiedene Denkansätze der Minister Haussmann und Töpfer. Aber immerhin: Auch Denkansätze sind etwas. Während Minister Haussmann eine CO2-Steuer vorschlägt, die auf alle fossilen Energieträger erhoben werden soll, schlägt Umweltminister Töpfer eine Co2-Abgabe, eine Kohlendioxidabgabe vor, über deren Ausgestaltung nicht einmal er selbst klare Auskunft geben kann. Finanzminister Waigel, meine Damen und Herren, würdigte die Denkanstöße der Minister Haussmann und Töpfer am Montag mit keinem einzigen Wort, und der Bundeskanzler schweigt ebenfalls dazu. ({24}) Zur Sache selbst. Kohlendioxidabgabe und Kohlendioxidsteuer sind umweltpolitisch inkonsequent. Sie lassen andere Luftschadstoffe, die ebenfalls klimaschädigend sind, andere klimaschädliche Gase, beispielsweise Methan, außen vor. Unser Vorschlag einer Ökosteuer auf Mineralölprodukte und Gas, kombiniert mit einer Luftschadstoffabgabe, die CO2 einschließt und damit auch die Kohle erfaßt, ist umweltpolitisch wirksamer. Sie reduziert nämlich die Luftbelastung insgesamt und nicht nur die Belastung durch einen einzelnen Schadstoff. Lassen Sie mich ein Wort zur Kohle sagen. Wir haben uns gefreut, daß der Bundeskanzler erklärt hat, es sei eine gesamtstaatliche Dankesschuld, daß die deutsche Steinkohle an Saar und Ruhr wirklich eine sichere Zukunft hat. Das Wort kam spät. Es sind jetzt Erwartungen geweckt worden, und wir werden darauf bestehen, daß die Erwartungen auch eingehalten werden. Im übrigen gilt für uns Sozialdemokraten: Aus Gründen der nationalen Energieversorgungssicherheit werden wir auch in Zukunft einen beträchtlichen Anteil deutscher Kohle an der Energieversorgung brauchen. Kohle hat aber nur dann eine Chance - das wissen die Kumpel an Ruhr und Saar, und das wissen und praktizieren auch die Landesregierungen in Saarbrücken und Düsseldorf - , wenn sie umweltfreundlich ist. ({25}) Deswegen sieht unser Konzept keine Sonderbehandlung der Kohle, aber auch keine Benachteiligung der Kohle, was die ökologische Orientierung angeht, vor. Wer, Herr Töpfer, mit dem Rücken zur Wand steht, wer buchstäblich schwimmt, dem fehlt die Ruhe, wirklich durchdachte Vorschläge vorzulegen. Immerhin gibt es einige bei Ihnen, die nun anfangen, ihre umweltpolitischen Hausaufgaben nachzuholen. Aber solange der Finanzminister und solange der Bundeskanzler ihre Vorschläge ignorieren, bleiben dies unverbindliche Denkanstöße. Wir Sozialdemokraten dagegen haben ein anderes Verständnis von Politik. Bei uns ist Umweltschutz, ist Energiepolitik integraler Bestandteil der wichtigen Politikfelder, der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und der Sozialpolitik. ({26}) Deswegen haben sich bei uns die Wirtschaftspolitiker, die Finanzpolitiker, die Sozialpolitiker und die Umweltpolitiker zusammengesetzt und haben ein in sich 11886 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 157. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den G. September 1989 Schäfer ({27}) geschlossenes Konzept vorgelegt, das Konzept des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft. Wer, Herr Töpfer, nur laufend Denkanstöße produziert, die dann im Papierkorb verschwinden, der ist auf der falschen Veranstaltung. Politik ist kein wissenschaftliches Seminar. Politik ist auch das Zusammenfügen sich widerstreitender Interessen. Allerdings ist für Politik auch ganz entscheidend die Durchsetzung dessen, was man für notwendig und richtig hält. Da ist bei Ihnen, Herr Töpfer, Fehlanzeige: Reden, reden, reden, und wenn es ans Durchsetzen geht, schwimmen Sie buchstäblich weg, Herr Töpfer. ({28}) Ich sage noch einmal: Die Durchsetzung dessen, was man für richtig hält, ist entscheidend für die Politik. Wir müssen die Gesellschaft nicht verschieden interpretieren, wir müssen sie gestalten, wir müssen sie zukunftssicher machen. Da haben wir Sozialdemokraten mit unserem Konzept des ökologischen Umbaus einen ganz entscheidenden Schritt nach vorne getan. Das spüren die Menschen. Deshalb finden wir so viel Zustimmung bei den Gewerkschaften, bei der Industrie, im Grundsatz auch heute morgen bei Herrn Lambsdorff. Die Menschen sehen: Hier macht sich die große Volkspartei SPD daran, mit einem geschlossenen Konzept die Zukunft zu gewinnen, die natürlichen Lebensvoraussetzungen auch für die nach uns kommenden Generationen zu bewahren bzw. wiederherzustellen. ({29}) Meine Damen und Herren, die Tatenlosigkeit der vergangenen Jahre ist nicht nur beschämend. In der Tat kann man in der wirtschaftlichen Konjunktur leichter entsprechende Veränderungen durchsetzen. Sie haben die Chance nicht genutzt. Ihre Tatenlosigkeit ist nicht nur beschämend, sie gefährdet Leben und Gesundheit der nach uns kommenden Generationen, und sie gefährdet den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland. ({30}) Die Bundesrepublik ist nicht nur eines der dichtbesiedelsten und höchstindustrialisiertesten Länder der Erde, sondern auch eines der reichsten. Auf Grund unseres Wohlstandes können wir, auf Grund unserer Umweltprobleme müssen wir beim notwendigen ökologischen Strukturwandel international vorangehen und damit auch für unsere Wirtschaft Zukunftsmärkte erschließen. Wenn Sie uns immer wieder vorwerfen, wir würden mit unseren Vorschlägen die internationalen Zusammenhänge nicht sehen, frage ich mich: Lesen Sie überhaupt die Papiere, die Sie als Absichtserklärung auf internationalen Konferenzen beschließen lassen, ja beschließen? Der jüngste Wirtschaftsgipfel im Sommer dieses Jahres in Paris ({31}) hat beschlossen, Preissignale, z. B. Steuern oder Abgaben, kombiniert mit Auflagen im Umweltschutz zu setzen. ({32}) Genau dies haben wir jetzt in unserer ökologischen Orientierung des Steuer- und Abgabensystems vorgesehen. ({33}) Sie bekämpfen national in diesem Parlament, was Sie international beschließen. Sie müssen sich schon entscheiden, für was und für welche Politik Sie tatsächlich stehen. ({34}) Im übrigen, meine Damen und Herren: Unsere Exportquote unterstreicht eindrucksvoll die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft. Automobilindustrie und Großchemie haben 1988 rund 330 Milliarden DM umgesetzt, davon rund 50 % im Ausland. Wer, wenn nicht wir, die reiche Bundesrepublik, so fragen wir, ist technologisch und finanziell in der Lage, Vorreiter beim ökologischen Umbau zu sein? Höhere Energiepreise und höhere Umweltschutzkosten gefährden keinesfalls die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das Argument ist ebenso alt, wie es falsch ist. Die Erhöhung der Mineralölsteuer ist ein wichtiges Element unseres ökologischen Umbaukonzepts. Unsere Preise für Mineralölprodukte liegen um 20 % bis 30 % unter dem EG-Durchschnitt und sind sogar um 35 % niedriger als in Japan. Nein, mit unserer Ökosteuer erzeugen wir keine Wettbewerbsnachteile. Das Gegenteil ist zutreffend. Wir treffen Vorsorge für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Bundesrepublik für die Zukunft. Wir fördern damit den Aufbau einer neuen Umweltschutzindustrie. Dies schafft neue zukunftssichere Dauerarbeitsplätze. Wir verbinden die Notwendigkeit, die Umweltnot zu lindern, mit der Notwendigkeit, zukunftssichere dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Wir binden Arbeit und Umwelt zusammen. ({35}) Wir müssen Spitzenreiter werden im Markt für Energieeinspartechnologien, für regenerative Energiequellen, für Umweltschutztechnologien. Wenn wir diese Techniken bei uns erfolgreich einsetzen, werden wir damit auch im Binnenmarkt und auf dem Weltmarkt erfolgreich sein. Vorsorge für die Zukunft treffen, heißt, heute die Rahmendaten für die Wirtschaft frühzeitig so zu setzen, daß der Übergang zu einer Produktionsstruktur möglich ist, die die gleiche oder auch eine größere Menge an Gütern und Dienstleistungen erzeugen kann, aber mit weniger Energie, mit weniger Rohstoffen sowie mit weniger Umweltbelastung und Naturzerstörung. Nur so kann den globalen Umweltkrisen, allen voran den Gefahren für unser Klima, mit wirkungsvollen Schritten Einhalt geboten werden. ({36}) Wir können das Klimaproblem nur durch international abgestimmte Maßnahmen und neue internationale Initiativen lösen. Aber es bleibt richtig: Die führenden Industrieländer, die die Hauptverursacher der Umweltnot, der Umweltbelastungen sind, müssen erst Schäfer ({37}) selbst handeln, ehe sie von ärmeren Ländern Maßnahmen verlangen können. ({38}) Die ökologische Orientierung des Steuer- und Abgabensystems ist das Herzstück in einem Bündel von aufeinander abgestimmten Maßnahmen in unserem ökologischen Umbauprogramm. Zu unserem ökologischen Umbauprogramm, Herr Kollege Kleinert - er ist leider nicht da; ich sage das, um auch Märchen auf diesem Gebiet vorzubeugen - , gehören natürlich eine Verbesserung der ordnungsrechtlichen Regelungen ebenso wie eine Stärkung der Beteiligungs- und Informationsrechte der Bürger im Umweltschutz einschließlich der Verbandsklage. Dazu gehört natürlich ein wirksames Umwelthaftungsrecht. Dazu gehört natürlich ein wirksames Umweltstrafrecht. Wir brauchen natürlich auch ein neues Energierecht, das rationelle und sparsame Energieverwendung und die Förderung regenerativer Energien zu Zielen der Energiepolitik macht. Wer eine neue Energiepolitik will, die die Natur weniger belastet, der braucht ein neues Energierecht, der muß das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935 novellieren. ({39}) Ökologische Steuern und Abgaben sollen das bestehende System von Vorschriften, Grenzwerten, Geboten und Verboten nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie überhaupt nicht bereit, Zwischenfragen zuzulassen?

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin gern bereit, wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Herr Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schäfer, wären Sie bereit, diese Ausführungen auch dann beizubehalten, wenn die SPD wieder die Bundesregierung stellen sollte? ({0})

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Knabe, es gab gegen unser Programm einige Kritik. Beispielsweise Sie von den GRÜNEN sagen: Umweltbedingte Steuererhöhungen in einem Umfang von 30 Milliarden DM sind ja viel zu wenig, wir wollen 90 oder 120 Milliarden DM. Dieses Programm ist so ausgerichtet und so dimensioniert, daß wir Sozialdemokraten es unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler ab 1991 in diesem Hause verwirklichen werden. Das ist die Antwort darauf. ({0}) Ich sage noch einmal: Die Ergänzung des bisherigen Ordnungsrechts ist notwendig, weil das bisherige Ordnungsrecht und der lückenhafte Vollzug dieser Regelung nicht ausgereicht haben, die dramatische Zuspitzung der ökologischen Krise zu verhindern. Es kommt darauf an, daß das jeweilige Instrument so gewählt werden muß, daß das umweltpolitische Ziel möglichst schnell und wirksam erreicht wird. Deswegen muß überprüft werden, wo Ordnungsrecht, wo Steuern, wo Abgaben die richtigen Instrumente sind, um der Ökologie möglichst wirkungsvoll zu helfen, dabei auch den ökonomischen Einsatz möglichst rationell und rational zu gestalten. Wir wollen z. B. den Autoverkehr dadurch ökologisch verträglicher gestalten, daß wir die US-Abgasgrenzwerte verbindlich festschreiben, daß wir eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung einführen und zusätzlich wirtschaftliche Anreize schaffen, sparsame Motoren zu bauen und das Auto rationell und umweltverträglich zu nutzen. ({1}) Zur Neuorientierung der Umweltpolitik, nein, zur Neuorientierung der Wirtschafts- und der Industriepolitik auf eine ökologisch orientierte Politik hin gehört auch, daß wir den Bürgern reinen Wein einschenken. Die Bürger wollen von den Politikern nicht mehr hören, wie viele Gesetze und Verordnungen sie novelliert haben - das werden Sie nachher alle tun - und was wir alles getan haben, die Bürger wollen vielmehr von uns Politikern wissen - das ist eine Bringschuld von uns - , wie die Belastung der Umwelt konkret reduziert werden wird. Wir brauchen daher ein Umweltprogramm, das konkrete, zahlenmäßig festgelegte Umweltqualitätsziele enthält und die Maßnahmen nennt, die dazu führen sollen, diese Ziele zu erreichen. Wir brauchen ein Umweltprogramm 2000, wie es z. B. die Niederländer entwickelt haben. Darin müssen wir unseren Mitbürgern beispielsweise sagen, welche Qualität der Umwelt wir ihnen und ihren Kindern für die Zukunft garantieren können. Wir müssen ihnen sagen, was geschehen muß, damit ihre Kinder in Nord- und Ostsee, in Flüssen und Seen wieder bedenkenlos baden können. ({2}) Wir müssen ihnen sagen, wie erreicht werden kann, daß sie ihre Kinder wieder so lange stillen können, wie sie wollen. Wir müssen ihnen sagen, wie wir es schaffen, dafür zu sorgen, daß sie in spätestens fünf Jahren überall wieder Trinkwasser bekommen, das frei von Pflanzenschutzmitteln und überhöhten Nitratgehalten ist. Nur mit der konkreten Utopie einer Industriegesellschaft, die an die Stelle von Ausbeutung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage maßvolle Nutzung und dauerhafte Erhaltung der Natur setzt, können wir die Unterstützung und das Engagement der Bürger für den notwendigen ökologischen Umbau gewinnen. Es geht nicht darum, nur Opfer zu bringen und Verzicht zu leisten, es geht vielmehr auch darum, Kreativität, Engagement, Fleiß und Geld zu investieren, um den erreichten Wohlstand zu sichern und den zusätzlichen Wohlstand, den eine intakte Natur, reine Luft, reines Wasser und gesunde Lebensmittel bedeuten, hinzuzugewinnen. Schäfer ({3}) Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir in diesem Haus streiten und es nicht zulassen, daß ein designierter Generalsekretär, wie Herr Rühe gestern, das Parlament zu parteitaktischen durchsichtigen Manövern mißbraucht. ({4}) Lassen Sie uns deshalb die begonnene Debatte über die Instrumente zu einem Wettstreit über Ziele und Konzepte eines ökologischen Umbaus erweitern! Lassen Sie uns darüber streiten, und legen Sie endlich Ihre Vorschläge vor, Herr Töpfer, wie wir bis zum Jahre 2000 den Energieverbrauch und die Emissionen klimaschädlicher Gase um 20 bis 30 % reduzieren können. Lassen Sie uns streiten, und legen Sie endlich Ihre Vorschläge vor, wie wir bis zum Jahre 2000 zu einer landwirtschaftlichen Produktion gelangen, die weitestgehend ohne Chemie auskommt. Lassen Sie uns darüber streiten und machen Sie uns Vorschläge, wie wir bis zum Jahre 2000 insgesamt ein Verkehrssystem schaffen können, das die Zahl der Toten und Verletzten um mindestens 80 % reduziert; lassen Sie uns ein Verkehrssystem entwickeln und durchsetzen, das ohne neue Fernstraßen auskommt und dessen Schadstoffausstoß und Energieverbrauch nur noch halb so groß ist wie heute. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es tut mir wirklich leid - Schäfer ({0}) ({1}): Einen solchen Wettstreit um Ziele und Perspektiven braucht unser Land. Wenn es den demokratischen Parteien gelingt, den Wählern in sich geschlossene Entwürfe für eine lebenswertere Zukunft zu präsentieren und darüber einen produktiven Streit zu führen, wird die Zustimmung zu den demokratischen Parteien wieder zunehmen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bekomme einen Streit mit Ihrer Geschäftsführerin, den ich nicht durchstehe. ({0})

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Geschäftsführerin hat drei Minuten signalisiert. Wir, meine Damen und Herren, sind zu diesem sachlichen Dialog bereit. Wir sind ausdrücklich bereit, auf der Grundlage unseres ökologischen Umbauprogramms weitere Vorschläge zu diskutieren. Nur eines ist Meßlatte: Die Vorschläge können nur bestehen, wenn sie noch weiterreichende und noch effizientere Vorschläge und Ziele nennen. Die Alternative kann nicht darin bestehen, alles beim alten zu lassen. Die Bundesrepublik Deutschland als reiche Industrienation kann vieles für den Umweltschutz leisten; nur eines können wir uns nicht mehr leisten: Ihr stupides „Weiter so". ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schäfer, ich habe ja gestern das „große Gemälde" Ihres Vorsitzenden Vogel gehört. Es hatte so viel Farbe, daß in diesem Gemälde Strukturen gar nicht mehr erkennbar waren. Dasselbe war auch bei Ihnen der Fall. Vor lauter Farbe sind keine Strukturen mehr zu erkennen. Ich habe noch im Ohr, was Ihr damaliger Vorsitzender Brandt erklärt hat: daß er blauen Himmel über dem Ruhrgebiet schaffen werde. Ich sage Ihnen einmal ganz offen: ich habe das Gefühl, daß wir das, was Sie versprechen, nachher halten müssen. ({0}) Wir müssen meist das durchsetzen, was Sie versprechen. Ich sage Ihnen auch: 1990 werden Sie nicht die Gelegenheit bekommen, das, was Sie an unrealistischen Vorstellungen hier dargelegt haben, verwirklichen zu können. Jetzt zur Sache. Meine Damen und Herren, es war ja eigentlich deutlich spürbar, daß sich Umweltpolitik fast wie ein Faden durch die gesamte Beratung des Haushaltsentwurfs und durch den gesamten Haushalt gezogen hat. Man kann nicht allein auf das Volumen des Einzelplans 16 starren, sondern man muß hinzufügen, daß sich ein großer Teil von umweltpolitischen Maßnahmen in einer Reihe von Einzelhaushalten noch zusätzlich potenziert. Die gesamten Umweltschutzausgaben betragen 1990 insgesamt rund 2,7 Milliarden DM. Darüber hinaus vergibt der Bund in erheblichem Maße zinsgünstige Umweltschutzkredite, beispielsweise aus dem ERP-Sondervermögen, sowie Kredite der Banken des Bundes, die im Bundeshaushalt gar nicht erfaßt werden. Mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 1990 hat die Bundesregierung eine solide Grundlage für eine weiterhin erfolgreiche Umweltpolitik geschaffen. Der Umwelthaushalt steigt insgesamt auf 955,5 Millionen DM, also fast auf eine Milliarde DM. Das bedeutet gegenüber 1989 eine Bruttosteigerung von 76,5 %. ({1}) - Ich komme gleich dazu. Ein Großteil des Zuwachses entfällt natürlich auf die Einrichtung des Bundesamtes für Strahlenschutz. Aber wenn man das herausrechnet, beträgt die Steigerungsrate immerhin noch 13,9 %. Das heißt, sie ist viermal so hoch wie die Steigerung im Gesamthaushalt. ({2}) Sie rühmen sich ja immer Ihres Einflusses in den Ländern, Herr Kollege Stahl. Ich darf Ihnen einmal sagen, wie Nordrhein-Westfalen es macht. Es gibt dort sicherlich auch eine Steigerungsrate im Umwelthaushalt, sogar eine um 8,5 %; insgesamt beläuft er sich auf 166 Millionen DM. Davon sind allerdings 112 Millionen DM - man höre und staune - Strukturhilfemittel des Bundes, d. h. die machen eine Steigerungsrate, indem sie das Geld des Bundes einfach in ihren Haushalt übertragen und sagen: Mensch, sind wir tolle Kerle. Dabei verschweigen sie, wer das bezahlt. Auch das sollten wir einmal darstellen. Schmitz ({3}) Die staatlichen Ausgaben für den Umweltschutz können sich insgesamt sehen lassen. ({4}) Wir sind der Auffassung, daß das eine konsequente Fortsetzung auch in der Philosophie unserer Politik ist: Wir veranlassen den Staat, nur da einzutreten, wo eben der Private in dieser Richtung keine Möglichkeiten schafft. Deswegen sind wir auch einer anderen Auffassung als Sie, wenn es um die Umweltschutzpolitik insgesamt geht. ({5}) Tatsache ist, daß die Umweltausgaben von Staat und Wirtschaft seit 1980 real um ein Drittel gestiegen sind. 1987 entfielen von den gesamten Ausgaben für den Umweltschutz 17 Milliarden DM auf Unternehmen des produzierenden Gewerbes und 15 Milliarden DM auf den Staat. ({6}) Die konsequente Durchsetzung des Verursacherprinzips - das ist der entscheidende Unterschied - hat alleine bei der Luftreinhaltung durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung insgesamt Investitionen von 50 Milliarden DM ausgelöst. Wenn Sie so wollen, sind dadurch 70 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Es geht uns darum, daß in der Umweltpolitik die marktwirtschaftlichen Instrumente eingesetzt werden. Gerade in der Umweltpolitik kommt es darauf an, daß die Umweltbeeinträchtigung etwas kostet. Deshalb liegt es im eigenen Interesse des Verursachers, darauf zu achten, daß die Umweltbeeinträchtigung möglichst klein gehalten wird. Aber es geht auch darum, das Konsumverhalten zu ändern, d. h. die Verhaltensweisen der Bürger zu beeinflussen. Da sind wir uns wahrscheinlich einig. Es darf aber nicht darum gehen - und Ihre Vorstellungen über den ökologischen Umbau deuten das ja an - , daß im Bereich der Umweltpolitik mit dirigistischen Maßnahmen das Geld in die Kasse des Staates geschaufelt wird. ({7}) - Das ist so. Wenn Sie Ihr Papier genau prüfen, werden Sie feststellen, daß es so ist. ({8}) Aus den Erfahrungen der Vergangenheit wissen wird, daß es um die wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz der SPD nicht allzugut bestellt ist. Das hat im übrigen ja auch die Debatte der letzten Tage bewiesen. Ich habe den Eindruck, daß das Papier, das Sie auf den Tisch gelegt haben, von den wenigen Vertretern der Opposition, die von diesem Thema noch etwas verstehen, ebenfalls so verstanden wird, daß es reine Lenkungsmaßnahmen und keine Maßnahmen vorbeugender Art sind. ({9}) Sie haben das Gutachten, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, zitiert. Wir halten das für richtungweisend. Das ist eine fundierte Angelegenheit und weist das, was Sie vorgelegt haben, in das Reich der ökosozialistischen Träumereien. Der entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin, daß wir Umweltschutzabgaben da wissen wollen, wo sie logischerweise zu zahlen sind: bei den Verursachern. Wenn die SPD Ökosteuern fordert, zielt sie lediglich auf eine - ich wiederhole das - zusätzliche Einnahmequelle des Staates. Damit sind Sie im Grunde genommen wieder bei den alten sozialistischen Vorstellungen. Sie haben sich im Prinzip nie geändert. Wir befürworten Abgaben, die sich bei einem entsprechenden Umweltverhalten der Bürger schlußendlich von selbst erledigen. Wir wollen das nicht als eine Dauereinrichtung zur Verbesserung der Kassen. Ich denke, Herr Finanzminster, wir sind uns im Prinzip einig, daß wir diese Abgaben nicht zur Verbesserung der Staatskasse brauchen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie müssen bei Ihren Plänen eine ehrliche Antwort auf die Frage geben, wie hoch die Belastungen des Verbrauchers sein werden, ohne daß er einen Ersatz dafür bekommt. Das sind ja auch Familienväter, das sind ja Leute, die mit Heller und Pfennig rechnen müssen. ({10}) Dazu habe ich von Ihnen, Herr Schäfer, nichts gehört. Selbst der DGB, die Deutsche Steuergewerkschaft - bis hin zur ÖTV - haben ziemlich deutlich gesagt, sie lehnten die Ökosteuer nach SPD-Muster ab. Sie sollten sich insoweit auch einmal sachkundig machen. Meine Damen und Herren, das, was hier als Gemälde vorgestellt wurde, hat ja erst dann einen realistischen Bezug, wenn wir unsere Nachbarn in diese Diskussion mit einbeziehen. Umweltpolitik macht nicht mehr vor den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland halt. Das heißt, selbst wenn wir das, was Sie vorgeschlagen haben, hier durchführen - Gott möge es verhüten - , sind wir immer noch nicht an dem Punkt, an dem wir eigentlich sein müßten, wenn es darum geht, bestimmte Dinge zu verändern. Deswegen, sage ich, können sich die Erfolge, die die Bundesregierung und insbesondere Bundesminister Töpfer erreicht hat, sehen lassen; ({11}) denn nach deutschem Vorbild wurde die Richtlinie über die Großfeuerungsanlagen auf EG-Ebene verabschiedet. Der Dreiwegekatalysator wird zwischenzeitlich auch in kleinen Wagen europaweit zum Durchbruch kommen. Gemeinsam haben wir international eine entscheidende Verschärfung der Maßnahmen zur Begrenzung der FCKW durchgesetzt. Meine Damen und Herren, das ist so. Zur Nordseeverschmutzung - lassen Sie mich daran erinnern; die Bilder haben wir alle noch vor uns; das hat mich tief beeindruckt - ist gerade in diesem Bereich von Ihrer Seite aus berechtigt, meine ich, Kritik geübt worden, daß das zu langsam geht. Aber, meine Damen und Herren, Sie müssen sich auch sa11890 Schmitz ({12}) gen lassen: 1980, noch in der Regierungsverantwortung der SPD, betrug die Dünnsäureverklappung in die Nordsee 1,5 Millionen t im Jahr. Heute und im vergangenen Jahr sind es nur noch 0,9 Millionen t. In wenigen Wochen werden die Vorgaben der Bundesregierung zur vollkommenen Beendigung der Verklappung erfüllt sein. Das nenne ich realistische Politik. ({13}) Nicht hier in großen Farben malen, meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat im vergangenen Jahr die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen, daß z. B. mit der DDR - wir haben das ja alle gemeinsam begrüßt - ein Paket gemeinsamer Vereinbarungen konkreter Maßnahmen für Demonstrationsvorhaben in einem Zeitraum von 1989 bis 1993 durchgeführt werden kann. Sie werden zu einer spürbaren Entlastung der Umwelt beitragen. Dies halte ich für richtig. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir nicht auch mit anderen Ländern zu solchen Vereinbarungen kommen, eingedenk der Tatsache, daß Umweltpolitik nicht auf einzelne Staaten zu begrenzen ist. Besonders hervorzuheben ist, meine ich, die Verminderung der Quecksilbereinleitung in die Elbe um rund 6 t pro Jahr. Das entspricht fast einem Drittel der gesamten Quecksilberfracht der Elbe. Wir erreichen auf diesem Weg weitaus größere Entlastungseffekte, als dies mit jeder anderen Maßnahme in der Bundesrepublik Deutschland möglich wäre. Meine Damen und Herren und auch die Kollegen der SPD bzw. der Opposition, dieser Haushaltsentwurf bietet eine gute Grundlage, die wir in den nächsten Wochen in allen Details im Haushaltsausschuß beraten werden. ({14}) Wir wollen das Durchsetzbare schnell verwirklichen, nicht im Sinne Ihrer Methode, die sehr populistisch alles oder nichts fordert. Wir wollen uns an das Machbare halten, den Menschen das versprechen, was wir auch machen können, und uns nicht in ein Wolkenkuckucksheim begeben, wie Sie das getan haben. Vielen Dank. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Umweltpolitiker der CDU halten sich ja noch zurück, deswegen fange ich an. Dieser Haushalt ist für die Regierungskoalition die letzte Gelegenheit, zu zeigen, daß sie in eigener Regie eine ökologische Wende vornimmt. ({0}) - Im nächsten Jahr können sie das ja nicht mehr umsetzen. Schaut man ihn aber an, ist davon nichts, aber auch gar nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Der Haushalt des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit macht deutlich, welchen beschämend geringen Stellenwert die Bundesregierung der Ökologie beimißt. Lächerliche 950 Millionen DM - ich meine, ich hätte sie auch gerne - sind im Einzelplan 16 eingestellt. Das ist weniger, als die Bundeswehr jährlich an Übungsmunition verpulvert. Zieht man von dem Betrag noch die 340 Millionen DM ab, die dem Aufbau des sogenannten Bundesamtes für Strahlenschutz dienen - es soll die Bevölkerung etwas von ihrer Aversion gegen die Atomenergie abbringen -, dann bleiben ganze 610 Millionen DM übrig. Das sind 0,2 % des Gesamthaushaltes. Deutlicher kann man nicht belegen, daß der Umweltminister in der Regierung ein politisches Leichtgewicht ist. Herr Töpfer, Ihre permanente mediale Präsenz kontrastiert auf deprimierende Weise mit Ihrem politischen Durchsetzungsvermögen. Fast drängt sich der Eindruck auf, als flüchteten Sie aus Ihrer amtlichen Ohnmacht zunehmend ins Licht der Medienöffentlichkeit, da Sie im Kabinett zuwenig zu sagen haben. ({1}) Auf Dauer aber, Herr Minister, können weder Tauch- noch Schwimmaktionen im Rhein, noch besorgte Wattbegehungen kompensieren, was Sie im Alltagsgeschäft versäumen. Umweltpolitik als Show können wir uns nicht leisten. Über kurz oder lang erkennen die Menschen, was Substanz hat und was heiße Luft ist. ({2}) Doch zurück zum Haushalt des BMU, Beispiel internationale Zusammenarbeit. In Zeiten, in denen die globale Umweltkrise immer bedrohlichere Ausmaße annimmt, Stichwort Klima, Ozonloch, Meeresverseuchung, hält die Bundesregierung es nicht für nötig, die Mittel für die internationalen Ökokontakte nennenswert zu erhöhen. Es reicht längst nicht mehr aus, auf Weltwirtschaftsgipfeln und Regierungskonferenzen vage über Umweltprobleme zu schwadronieren; der Kanzler ist stolz darauf, aber es reicht nicht. Was wir heute brauchen und was die Bundesregierung auch unterstützen und finanziell fördern kann, ist eine Umweltaußenpolitik von unten. Eine internationale vernetzte Ökologiebewegung, der konkrete Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten eingeräumt würden, könnte maßgeblich zur Verbesserung der globalen Umweltsituation beitragen. Die Bundesregierung setzt in der internationalen Umweltpolitik dagegen einseitig auf die Kooperation mit der Industrie, während unabhängige Umweltgruppen schlichtweg ignoriert werden. Daß man auf diese Weise die notwendigen tiefgreifenden Verbesserungen erzielen kann, darf bezweifelt werden, schließlich ist der Industrie weltweit das Hemd näher als der Rock. Schließlich müßte jeder, der sich in der Welt umschaut, erkennen, daß ohne den kritischen Sachverstand der Ökologiebewegung nichts läuft, nicht hierzulande - Sie oben könnten das bezeugen -, nicht in Osteuropa, nicht in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Diesen Menschen bieten die GRÜNEN ihre volle Unterstützung an. ({3}) Beispiel Personalpolitik des BMU. Ganze 17 neue Stellen bekommt das BMU, wogegen nichts einzuwenden wäre, wenn die Personalausstattung schon heute angemessen wäre; das ist aber nicht der Fall. Für den Bereich Novellierung des Chemikaliengesetzes, eine ganz komplizierte Sache, gibt es eine einzige neue Stelle, für den Bereich Arten- und Biotopschutz, Umwelt und Landwirtschaft eine einzige neue Stelle. Daß so die schleppende und peinliche Debatte über die Bundesnaturschutzgesetznovelle beschleunigt wird, dürfte dann selbst ein Minister für, na ja: Schönfärberei nicht glauben. ({4}) - Darauf kommen wir noch. - Hier zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma der staatlichen Umweltpolitik in der Bundesrepublik bis hin zur kommunalen Ebene. Es fehlt an Manpower, an Personal, das da etwas tut. Aber ich möchte nicht verschweigen - dazu komme ich auf Ihr Wort zurück - , daß das nicht reicht. Diese neuen Stellen werden gar nichts ändern, wenn die Vorgesetzten das Umweltengagement von Mitarbeitern, das Offenlegen von Problemen und ihre Forderung nach Abhilfe als unerwünschte Komplizierung der Regierungsarbeit unterbinden, behindern oder mit Beförderungsstopp bestrafen. Das habe ich selber in mehr als 20 Jahren erlebt. Auch die Haushaltsstruktur stimmt nicht. Mehr als die Hälfte der gesamten BMU-Ausgaben wird für Projekte der atomaren Sicherheit und Endlagerprojekte verwendet. Von den 543 Millionen DM für Investitionen sind es im Haushalt 1990 60 %. Bei den Forschungsmitteln aus dem Ministerium sieht es nicht anders aus. Von den 146 Millionen DM werden knapp 40 % für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz ausgegeben. Fazit: Das Umweltministerium spielt allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz im Bonner Parallelogramm der Kräfte nach wie vor keine nennenswerte Rolle. Richtungweisende Umweltpolitik findet hier kaum statt, bestenfalls das Management von Krisen, zu deren Vermeidung dem Umweltminister die Instrumente fehlen. Was wir hier vorfinden, läßt sich auf ein Wort reduzieren: Ohnmacht. Daß es Minister Töpfer, dem dieses Manko bewußt sein dürfte, an die Saar zieht, ist deshalb verständlich. Es bleibt nur die Frage, ob die Saarländer einen gescheiterten Politiker wollen. Gegen die berechtigten Vorwürfe erheben Minister Töpfer und auch Parteifreunde die Schutzbehauptung, auf den Etat des Umweltministers komme es nicht so sehr an. Viel wichtiger sei es, daß auch in anderen Ministerien ökologisch gedacht und gehandelt werde. Diesen Ball nehmen wir gern auf. Werfen wir also einen Blick auf die zentralen Bereiche der ökologischen Krise: Verkehr, Energie, Landwirtschaft. Gibt es in diesen Politikfeldern Anzeichen für ein ökologisches Umdenken? Ein Blick in die Einzeletats zeigt, daß die geballte Unvernunft regiert. So, als gäbe es Flächenversiegelung, Landschaftszerstörung und Waldsterben nicht, setzt die Bundesregierung weiterhin kritiklos auf ein Anwachsen des Automobilverkehrs. Die Ausgaben für neue Autobahnen und Bundesfernstraßen sinken nicht, sondern sie steigen auf 6,5 Milliarden DM an. Oder nehmen wir die Energiepolitik: Herr Töpfer, Sie jetten durch die Weltgeschichte und engagieren sich bei den globalen Problemen. ({5}) - Ja, natürlich, das muß man auch machen. Aber entscheidend ist, was zu Hause passiert. ({6}) Die Energiesparmaßnahmen im Einzelplan 09 sind auf beschämende 13 Millionen DM geschrumpft. Im Haushalt des Bundesforschungsministers werden fünfmal soviel Mittel für die Kernenergie bereitgestellt wie für die Erforschung regenerativer Quellen, Energiesparen und verbesserte Kraftwerkstechnik zusammen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Knabe, der Abgeordnete Schmidbauer möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es auf die Zeit nicht angerechnet wird, natürlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Knabe, würden Sie mir zugestehen, daß Sie, wenn es um das Jetten geht, nicht vielen Ministern nachstehen? Ich denke dabei an Ihr großes internationales Engagement im Bereich des Umweltschutzes. Trifft das - wo Sie anderen das Jetten vorwerfen - nicht auch für Sie zu?

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich werfe nicht das Jetten vor, sondern ich werfe vor, daß zu Hause nichts oder zuwenig getan wird. Ich kann nicht predigen, aber zu Hause nichts tun. ({0}) - Also, kein Unterton gegen das Jetten; es ist notwendig, mit anderen zu sprechen. Aber es bleibt schon die Frage, ob die CDU warten will, bis Emden und Bremerhaven unter Wasser stehen, bis man hierzulande begreift, daß unsere Zivilisation eine andere Richtung nehmen muß. Jetzt möchte ich meinen Kollegen Bernd Schmidbauer von der CDU auch einmal fragen. In der Enquete-Kommission, dessen Vorsitzender Sie sind, haben wir alle einmütig gesagt: Energieeinsparen ist das wichtigste Feld für die künftige Umweltpolitik. Was sagen Sie hier dazu? - Ein paar klare Worte wären hier sehr erwünscht. Tu-nix-Politik reicht nicht. Auch im Agrarsektor sucht man Anzeichen für einen ökologischen Wandel vergeblich. Weiter so! ist die Devise, trotz Pestiziden im Grundwasser, trotz Bodenvergiftung, trotz Artenschwund. In der Gemeinschaftsaufgab e Agrarstruktur und Küstenschutz finden sich noch heute Mittel für Flurbereinigungsmaßnahmen oder für die Eindeichung von ökologisch wichtigen Wattgebieten. Man glaubt es kaum: In einer Zeit, in der immer mehr Menschen begreifen, daß Landschaftsschutz Lebensqualität ist, forcieren Minister Kiechle und seine Mannen die Industrialisierung der Landwirtschaft - eine echte Groteske! Fazit: Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik der Bundesregierung sind noch immer zutiefst im alten Denken verhaftet. Die ökologische Ignoranz der Bundesregierung ist wirklich bemerkenswert. Ein Kollege fragte mich: Was hat die Umweltpolitik der Bundesregierung mit den ozonzerstörenden FCKW gemeinsam? Seine Antwort: Sie sind inert, zu deutsch: reaktionsträge. Nicht besser als auf der finanzpolitischen Seite sieht es auf der Seite der Gesetzgebung aus. Wo bleibt das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung? Seit mehr als einem Jahr sollte es in Kraft sein. Wie steht es mit dem Bundesnaturschutzgesetz? ({1}) - Aber die Öffentlichkeit möchte heute eine Antwort haben. ({2}) Die umweltpolitische Mängelliste der Bundesregierung ist lang, sehr lang. Das Bundesnaturschutzgesetz ist schon angesprochen worden; das kann ich jetzt weglassen. Das FCKW-Verbot fehlt. Auch hier hätten wir gerne etwas mehr Informationen. Wir brauchen aber den ökologischen Durchbruch. Wir könnten damit sofort anfangen. In der Energiepolitik brauchen wir eine Effizienzrevolution, d. h. die Energie muß rationeller verwendet werden. Wir brauchen Energiesparprogramme, eine dezentrale Energieversorgung, Energiepreise, die das Sparen belohnen, und vor allem einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie. Wer Waldsterben und Atmosphärenaufheizung stoppen will, muß diesen Weg gehen. In der Verkehrspolitik muß alles getan werden, um den Automobilverkehr zurückzudrängen. Der Straßenbau muß eingeschränkt, ja er muß eingestellt werden. ({3}) Der nicht motorisierte und öffentliche Verkehr dagegen muß gefördert werden. Siedlungs- und Raumordnungspolitik sollen sich am Leitbild der kurzen Wege orientieren. In der Landwirtschaft muß der ökologische Landbau zur ordnungsgemäßen Landwirtschaft erklärt werden. Wassergefährdende Pestizide müssen verboten, Kunstdünger muß besteuert und Bestandsobergrenzen für die Tierhaltung müssen eingeführt werden. ({4}) - Nein, die Bauern brauchen wir ganz dringend, Herr Schmitz. Das wissen Sie so gut wie ich. In der Chemiepolitik muß sich Entgiftung als Hauptziel durchsetzen. In der nahen Zukunft wird es vor allem darum gehen, einen Ausstieg aus der Chlorchemie zu erreichen. Das Verbot der ozonzerstörenden FCKWs, wie wir es jetzt vorgeschlagen haben, kann dabei nur ein erster Schritt sein. Wer dem Müllberg wirksam begegnen will, muß die Verpackungsflut und die Wegwerfmentalität stoppen. Ohne Verbote geht es in diesem Bereich nicht mehr. Wir dürfen zu dem Berg an Altlasten nicht ständig neue Lasten hinzufügen. Die GRÜNEN haben zu all diesen Gebieten vernünftige Anträge eingebracht. Die Bundesregierung könnte sich viel Arbeit sparen, wenn sie darin lesen würde, so wie es die SPD jetzt im Umbauprogramm der GRÜNEN getan hat, als sie die Ökosteuer in die Öffentlichkeit gebracht hat. Dazu nur noch ein paar Worte. Ich möchte von dieser Stelle aus vor zwei Mißverständnissen warnen. Die Ökosteuer kann nicht alles leisten, was umweltpolitisch geboten ist. Abgaben, Verbote, Gebote, staatliche Investitionen und eine verstärkte Demokratisierung der Umweltpolitik sind gewiß nicht minder wichtig. Zweitens aber - diesen Einwand halte ich für sehr wesentlich - verstellt die einseitige Fixierung auf die Ökosteuer den Blick für die Dimension des notwendigen Wandels. Wer so tut, als gehe es lediglich darum, hier und dort ein wenig an der Steuerschraube zu drehen schürt Illusionen. Den ökologischen Umbau gibt es nicht zum Nulltarif. Wir alle müssen unsere Lebensweise verändern. Wir sollten aufhören, dem Fetisch Aufkommensneutralität zu huldigen. Auf unserem heutigen Niveau - einem hohen Energieverbrauch, einer hohen Automobilität, einem hohen Fleischkonsum und einem hohen Pestizideinsatz - ist eine dauerhafte Entwicklung der Welt nicht möglich. Viele Menschen beginnen das zu begreifen. Die Politiker sollten hinter deren Bewußtseinsstand nicht zurückfallen. Danke. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng ({0}).

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn alle Menschen, die das begreifen, was der Kollege Knabe eben vorgetragen hat, auch ihre Verhaltensweisen änderten, wären wir bezüglich der Umwelt schon eine ganze Ecke weiter. Mit dem Finger allein auf die Politiker zu zeigen, hilft nach meiner Überzeugung nicht weiter. Die Politiker sind tätig. Gerade im Umweltbereich ist sicher mehr Dr. Weng ({0}) geschehen als in vielen anderen Politikbereichen in den letzten Jahren. Das gilt auch für die Koalitionsabgeordneten im Haushaltsausschuß. Wir haben in allen Haushaltsberatungen seit Bestehen des Bundesumweltministeriums für diesen Bereich ein besonders Signal gesetzt. Dieses Signal, das wir in diesem Jahr in Kooperation zwischen den Kollegen der CDU/CSU und unserer Seite erneuert haben, beinhaltet, daß wir bereit sind, beim Umweltministerium trotz der notwendigen Sparsamkeit beim Bundeshaushalt insgesamt maßvolle Steigerungen über den Plafonds des Regierungsentwurfs hinaus zu akzeptieren. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist auch nichts, was uns die Arbeit im Haushaltsausschuß erleichtert. Wir meinten, hier ein solches Signal erneut setzen zu sollen; denn diese Entscheidung zeigt ja nicht nur, daß wir von seiten der Koalition dem Umweltschutz hohe Priorität einräumen, sondern auch - das sage ich auf Grund dieser häßlichen Anfeindungen des Kollegen Knabe gegen den Bundesumweltminister - , daß wir das Engagement, die Qualifikation und die Leistung von Minister Töpfer ausdrücklich anerkennen. ({1}) Ich sage das auch, Herr Kollege Knabe, zu dem Stichwort, das Sie mit Blick auf das Saarland hier geäußert haben. Wir hoffen sehr, daß Minister Töpfer, wenn er im Saarland für die CDU kandidiert, der SPD und den GRÜNEN beliebig viele Stimmen abnimmt, damit er unter Erhalt der FDP-Stimmen zusammen mit Horst Rehberger eine fähige Regierung im Saarland bilden kann, ({2}) im Unterschied zu dem, was da im Augenblick stattfindet. Ich komme auf den Herrn Lafontaine im Zusammenhang mit dieser SPD-Arbeitsgemeinschaft „Fortschritt '90" , der er vorgesessen hat, nachher noch zu sprechen. Ich darf, meine Damen und Herren, aber daran erinnern, welche umweltpolitisch vorbildlichen Maßnahmen wir mit dem genannten Finanzspielraum in den vergangenen Jahren ausgefüllt haben: Die Mittel zum Ankauf von Naturschutzgebieten mit Unterstützung des Bundes sind in großem Umfang erhöht worden. ({3}) Das ist draußen, von den Gebietskörperschaften ebenso wie auch von freien Verbänden, sehr angesehen. ({4}) Der Besuch von Umweltminister Töpfer am Bodensee ist ja denjenigen, die sich damit befaßt haben, in guter Erinnerung. Der Bund für Vogelschutz, der hier Hervorragendes leistet, konnte vorführen, was er im Wollmatinger Ried bei Konstanz mit Unterstützung des Bundes auch mit Bundesmitteln künftig noch ausbauen kann. Das sind Maßnahmen, die wirklich fortschrittlich sind und deren Unterstützung durch unsere Beschlußlage überhaupt erst möglich wurde. Wir haben darüber hinaus im vergangenen Jahr den Bereich der Uferzonen besonders geschützt. Wir haben hier Mittel zur Verfügung gestellt, um Randstreifen, die das Einsickern von Schadstoffen in die Gewässer erschweren, besonders gut zu schützen. Dies haben wir in diesem Jahr finanziell ebenso flankiert wie im vergangenen Jahr. Und da es in diesem Jahr in ganz wichtigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu Tragen gekommen ist - das muß man auch mit Blick auf die deutschlandpolitische Debatte der letzten Tage noch einmal ausdrücklich sagen -, stelle ich hier noch einmal fest: Unsere Förderung von Pilotprojekten zur Verbesserung der Umweltsituation in der DDR ist ganz hervorragend angekommen. ({5}) Hier dient unsere Beschlußfassung nicht nur den Menschen in unserem Land, nicht nur den direkt Betroffenen - Umweltschutz darf keine Grenzen haben - , sondern es dient auch den Bürgern in der DDR, und hier in doppelter Hinsicht: direkt durch umweltverbessernde Investitionen, die ohne diese Hilfe nicht gekommen wären, und indirekt durch die Pilotfunktion in die DDR hinein. Denn wenn Fabriken und ähnliche Einrichtungen im Grenzbereich erst einmal unter dem Aspekt verbesserter Umwelt besser ausgestattet werden, bedeutet das zwangsläufig auch einen Druck auf die Regierung in der DDR, in den anderen Bereichen des Landes nachzuziehen und nicht verschiedene Zonen der Belastung ihrer Bürger dauerhaft hinzunehmen. Meine Damen und Herren, Aspekte der ökologischen Marktwirtschaft haben in der Diskussion der vergangenen Tage einen zu Recht hohen Stellenwert gehabt. Ich habe schon am Montag das Konzept der SPD hier kritisiert. Wenn ich mir vorstelle, daß sich in einer großen Partei all das, was eigene Zukunftshoffnungen hat, unter dem Vorsitz von Herrn Lafontaine zusammensetzt und unter dem Stichwort „Zukunft 2000" ein Papier kreiert, dann hätte ich mir hier wirklich etwas Inhaltsreiches vorgestellt. Ich kann jeden, der hier die öffentliche Diskussion hört, wirklich nur auffordern: Besorgen Sie sich das Papier, lesen Sie sich einmal durch, was drinsteht! Sie werden feststellen: Es ist wenig genug, es ist dürftig, es ist unausgegoren. Zwar können bestimmten Anregungen nützlich sein und werden im politischen Raum auch aufgenommen werden. Aber, meine Damen und Herren, auf andere mit dem Finger zu zeigen und da geschlossene Konzepte anzumahnen, das ist politisch nicht sauber. ({6}) Gerade weil Frau Matthäus-Maier in der Diskussion am Montag behauptet hat, bei uns gebe es hier nichts, sage ich: Bei uns gibt es eine ganze Reihe solcher Konzepte, und zwar schon lange. ({7}) Es gibt zwar nicht das total in sich geschlossene Konzept, aber es gibt Beschlußlagen unseres Präsidiums, Dr. Weng ({8}) die Frau Matthäus-Maier sicherlich immer besonders sorgfältig nachliest. ({9}) - Ja, natürlich, Beschlußlagen; was denn sonst? Sie können an eine Sache doch erst dann ran, wenn Sie sich darüber unterhalten, wenn Sie sie beschlossen haben. Dann erst können Sie sie in Angriff nehmen, Herr Schäfer. Was ist denn Ihr Papier anderes als eine Beschlußlage? ({10}) Ich sage nur: Angesichts des Anspruchs, mit dem Sie mit diesem Papier in die Öffentlichkeit gehen, ist es eine dürftige Beschlußlage. ({11}) Es zeichnet sich eben ab, daß es auch für die Wahlkämpfe des kommenden Jahres, zumal für den Bundestagswahlkampf, eine ganz wesentliche Botschaft sein wird, dieses Konzept einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft herauszustellen. Wir haben aber - auch das sage ich - schon 1985 wirkungsvolle ökonomische und umweltpolitische Instrumente beschlossen. Die betriebswirtschaftliche Anrechnung von Umweltschäden sollte starke Anreize zu sparsamer Nutzung der Natur als Produktionsfaktor und zur Minderung der Umweltbelastung geben. ({12}) Wir müssen dieses Instrumentarium natürlich weiter ergänzen. - Herr Kollege Wieczorek: In welchem Gesetz steht das? Sie können politische Programme einer Partei nicht in dieser Form in Gesetze umgießen. Aber was unsere Umweltpolitiker in der Koalition mit der CDU/CSU gemeinsam politisch gestalten, hat diesen Hintergrund. Wir schreiten hier voran und lassen uns durch Ihre defätistischen Äußerungen nicht von unserem richtigen Weg abbringen. ({13}) Wir haben natürlich Anstöße der öffentlichen Diskussion begrüßt. Ich meine, die in der Regierungserklärung angekündigte Möglichkeit einer Abgassteuer, die der Herr Bundeskanzler seinerzeit genannt hat, könnte durchaus ein erster konkreter Schritt sein. Ich sage allerdings auch: Wenn dies nicht zustande käme - im Moment kann man ja nicht ganz sicher sein, ob hier europaweit mitgezogen wird - , sind doch alte FDP-Forderungen und der Plan einer Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer durchaus wieder auf dem Tisch. Auch hier wäre ein echter Anreiz zur Sparsamkeit und damit zur Verringerung der CO2-Emissionen möglich. ({14}) Auch dies wäre natürlich europaweit wünschenswert. Sie wissen, daß Graf Lambsdorff hier einen begründeten Hinweis gegeben hat, daß wir Erwerber der umweltschützenden Katalysatorautos nicht in finanzielle Nachteile setzen dürfen. Wir haben ja seinerzeit hier Steuerfreiheit gewährt, um dem Katalysator schneller zum Durchbruch zu verhelfen. ({15}) Wenn man das jetzt ändern würde, würde das ja bedeuten, daß hier bestimmte Versprechungen eigentlich nicht eingehalten sind. Aber diese Befreiungszusage könnte man kapitalisieren. Sie ist individuell relativ problemlos auszurechnen. Ich glaube nicht, daß es ein sehr großer Aufwand wäre, diese Zusage auszuzahlen. Das umweltpolitisch Wünschenswerte jedenfalls sollte hierdurch nicht verzögert werden. Auch der Hinweis des Herrn Bundesfinanzministers, daß hier der ländliche Raum benachteiligt werden könnte, trägt meines Erachtens nicht. Zum ersten geht ja nie ein totaler Finanzausgleich. Wenn man einen solchen bei jeder Maßnahme des Gesetzgebers fordern würde, wären wir schnell bei der totalen Handlungsunfähigkeit. Zum zweiten ist eine entsprechende Erhöhung von Entfernungspauschalen, wie sie die SPD in ihrem Papier stehen hat, durchaus etwas, was den Nachteil der Fernpendler im ländlichen Raum ausgleichen könnte. Wenn man zusätzlich die Vorteile in den Ballungsräumen ein wenig abbauen würde, wäre das eine vernünftige Flankierung. Wer verstärkt Park-and-ride-Parkplätze anbietet und auch durch entsprechende flankierende verkehrsberuhigende Maßnahmen in Innenstädten diese weniger individualverkehrsfreundlich gestaltet, ({16}) der kann auf Dauersubventionen im öffentlichen Nahverkehr verzichten, weil die Auslastung noch besser sein wird. Ein letzter Satz zum Bundesnaturschutzgesetz. Es ist peinlich und schade, daß hier zunächst wegen der fehlenden Bereitschaft der Bundesländer, ihre finanzielle Verpflichtung für die Bürger zu erfüllen, ein wichtiges Gesetzgebungsvorhaben liegengeblieben ist. ({17}) Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß das so ist. Das können wir hier in der Kürze der Zeit nicht auseinandersetzen. Aber es gibt keinen Zweifel, daß das zumindest im Hintergrund der entscheidende Faktor dafür war, daß das zunächst liegengeblieben ist. Ich weise in diesem Zusammenhang auch darauf hin: Die Finanzausstattung der Länder in Relation zu dem, was der Bund an Finanzausstattung hat, sollte dies ermöglichen. Die Länder haben den Anteil ständig verbessert.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich möchte nicht in den Geruch kommen, Sie sozusagen zu bevorzugen, ({0}) und wäre Ihnen deswegen sehr dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deswegen appelliere ich nochmals dringend an den Bundesrat, grünes Licht zu geben und zu signalisieren, daß hier dem Bedürfnis unserer Bürger Rechnung getragen wird. Ich appelliere auch an die Bundesregierung, im Elan nicht nachzulassen und jetzt nicht als Bundesregierung das plötzlich liegenzulassen, wenn es bei den Ländern vielleicht doch voran geht. Dieses Ziel sollte noch in dieser Wahlperiode erreicht werden. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz. ({0})

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch nie ist in einer Generaldebatte zum Bundeshaushalt anteilig soviel über Umweltpolitik geredet worden. Würden die jüngsten Debatten im Parlament als Maßstab für die Hauptthemen gelten, denen sich die Politik zuwendet, so wäre uns um Natur und Umwelt nicht angst und bange. Leider zeigt dieser Umwelthaushalt, daß sich die Reden des Parlaments nicht in das Handeln der Bundesregierung niederschlagen. ({0}) So wie man einen politischen Amtsträger während seiner ersten 100 Tage schonen sollte, so sollten wir es auch mit dem Bundesumweltminister während seiner letzten 144 Tage im Amt tun. ({1}) Noch 144 Tage bis zur saarländischen Landtagswahl, und Herr Töpfer wird sich von seinem Bonner Ministeramt in die saarländische Oppositionsrolle verabschieden, ({2}) wenn er sein Wort hält und zu diesem auch steht. Es war ja immer schon so: Als es dem Saarland schlecht ging, ging er. Jetzt geht es dem Saarland wieder gut, jetzt möchte er wieder hin. Ihn möchten wir nicht davon abhalten. ({3}) Er hinterläßt einen Haushalt in der Höhe von noch nicht einmal 1 Milliarde DM, einer Summe, die kaum mehr als elf Zinstage für den gesamten Bundeshaushalt ausmacht. Er hinterläßt ein Ministerium, das über seinen Propagandacharakter hinaus nie wirklich komplexe, vernetzte und koordinierende Umweltschutzpolitik für die Bundesregierung betreiben konnte. Er hinterläßt eine Umweltpolitik, von der er selbst formuliert hat, daß uns nur noch ein Umweltwunder retten kann. Wer ausgestattet ist mit der Befugnis zu handeln, kann Macht ausüben. ({4}) Er übernimmt damit gleichzeitig auch Verantwortung. Handlungsbefugnis und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden: Niemand, der Macht hat, kann sich von der Verantwortung freistellen lassen. Verantwortung ist nicht übertragbar. Die Verantwortung besteht nicht für das Handeln, sondern auch für das Unterlassen. ({5}) Wer Macht hat und sie nicht ausübt, trägt auch für das Nichtsausüben die Verantwortung. Der amerikanische Philosoph Hans Jonas spricht von Verantwortungsversäumnis als einer Form der Unverantwortlichkeit. Die Frage an die Bundesregierung lautete daher: Warum sollen Natur und Umwelt nicht am Wohlstand einer führenden Industrienation teilhaben? Warum werden unsere natürlichen Lebensgrundlagen von der Bundesregierung nicht als Sozialpartner angesehen, deren Interessenlagen ebenso berücksichtigt werden müssen wie die anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren? Warum ignoriert diese Bundesregierung, daß immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland dazu bereit sind, den Weg zu einer großen Umweltreform mitzugehen, mitzugehen auf einem Weg, der mit einer positiven Wende begann, als damals, Anfang der 70er Jahre, der längst überfällige Schwenk vom Wiederaufbaustaat zur modernen Industrienation mit allen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen vollzogen wurde? Ist es Ratlosigkeit? Ist es Hilflosigkeit? Ist es Unvermögen? Die Antwort auf diese Frage fällt nicht leicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die umweltpolitische Enthaltsamkeit der Bundesregierung ist rational nur schwer zu erklären. Was wir feststellen, ist eine regelrechte Sucht nach Abstinenz in wichtigen umweltpolitischen Fragen. ({6}) Es gibt keine Linie, kein Konzept, kein Zukunftsbild. Noch nicht einmal an die marktwirtschaftliche Steuerung trauen Sie sich heran. Es soll im Umweltschutz etwas geschehen. Das meinen auch die Koalitionsfraktionen. Aber es geschieht nichts. Der Bundeskanzler hat gestern sinngemäß gesagt: Wer viel tut, macht auch viele Fehler. - Seine persönliche Konsequenz aus diesem Leitsatz, dann eben nicht so viel zu tun, ist Maxime der Bundesregierung für die Umweltpolitik geworden. Nur für die Umweltpolitik? Vor einem Jahr, meine Damen und Herren, habe ich an derselben Stelle zum selben Thema gesagt: Die Konservativen haben zwar ungebrochene Freude an der Macht, aber keine Freude mehr an der Verantwortung. ({7}) Das gilt auch heute, heute noch viel mehr als gestern. 90 % aller Schadstoffe gelangen gesetzlich geregelt, legal, behördlich genehmigt und regierungsamtlich geduldet in unsere Luft, in unser Wasser, auf unseren Boden. Die Regierung handelt dagegen nicht. Wo bleibt der gesetzlich festgelegte Stand der Technik als Anforderung an die Industrie für eine bessere Abwasserreinigung und für die Rettung der Nord- und Ostsee? ({8}) Die Nordsee ist doch nach wie vor Müllkippe und Kloake zugleich. Daß es mittlerweile noch so viele Robben wie Pandabären gibt: haben Sie sich daran gewöhnt, meine Damen und Herren? Wo bleiben die Rechtsverordnungen zur Anwendung und Durchsetzung des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes, die die Verseuchung der Flüsse und des Klärschlamms mit giftigen Chemikalien verhindern könnten? Wo bleiben die notwendigen Verbote von wassergefährdenden Pestiziden im Pflanzenschutzrecht, um das Grundwasser vor weiterer Vergiftung zu schützen und die Trinkwasserversorgung der Menschen in unserem Land zu sichern? Warum kann unsere Luft nicht sauberer werden? Der Stickoxidausstoß aus Kraftfahrzeugen - das ist amtlich - wird bis zur Jahrtausendwende weiter steigen. Kat-Pflicht und Tempolimit sind für diese Bundesregierung trotzdem kein Thema. Steuerliche Sonderabschreibungen für Energiesparmaßnahmen an Gebäuden und die Förderung des Fernwärmeausbaus - ein riesiges Potential für Energieeinsparungen - sind gegen Null gestrichen. Hier gäbe es gigantische Reserven, um den Ausstoß von Schadstoffen aus Industrie und Haushalten zu senken. Hier könnte auch, Herr Töpfer, der CO2-Ausstoß in die Atomsphäre - hauptverantwortlich für den Treibhauseffekt - drastisch reduziert werden. Nachdem Sie erfolgreich, Herr Töpfer, jegliche Energiesparförderung gestrichen haben, fällt Ihnen nur noch die CO2-Steuer oder -abgabe ein. Das Handlungssoll der Bundesregierung im Umweltschutz geht mittlerweile auf keine Kuhhaut mehr. Herr Töpfer, was tun Sie z. B. zum Schutz der Ozonschicht? Wo bleibt ein konsequentes FCKW-Verbot wenigstens dort, wo es bereits Ersatzstoffe gibt? ({9}) Die rote Liste bedrohter Pflanzen- und Tierarten wird immer länger. Eine umweltverträglich produzierende Landwirtschaft in der Bundesrepublik rückt in immer weitere Ferne. Was tun Sie für den Bodenschutz, gegen die Zeitbomben Altlasten, Sondermüll und Abfall? Wo bleiben strenge Gesetze für den Umgang mit Chemikalien, Bundesimmissionsschutz, Abwasserabgaben? Wo ist das Konzept für eine verantwortliche Entsorgung des Atommülls? Wo bleibt das Gesetz zur Reform des Umweltstrafrechts? Wo bleibt die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die Schluß machen soll mit der Naturzerstörung durch die sogenannte ordnungsgemäße Landwirtschaft und andere Naturnutzer? Wo bleibt die nach der Sandoz-Katastrophe angekündigte Reform des Umwelthaftungsrechts? Wo bleibt die Regelung einer Umwelthaftpflichtversicherung, um endlich das Verursacherprinzip bei Umweltschäden durchsetzen zu können? ({10}) Herr Töpfer, wo bleibt die Novelle zum Umweltstatistikgesetz, um die notwendigen Daten für eine ÖkoBilanz erheben zu können? Wo bleibt ein modernes und wirksames Energiegesetz? Was ist mit dem Staatsziel Umweltschutz? Wo bleibt das von Ihnen geforderte Vetorecht als Umweltminister? Der Rat der Umweltsachverständigen stellt unumwunden fest, daß Essen, Trinken und Atmen uns unter dem Strich immer weniger bekommen. Unbedenklichkeitsgrenzwerte für einzelne Lebensmittel sind dieser Bundesregierung wichtiger als der komplexe Schutz des menschlichen Organismus. ({11}) Die Gesundheit unserer Kinder wird zunehmend und nicht nur durch Allergien nachhaltig gestört. Dabei sind die Grenzen der Belastbarkeit von Lebensmitteln mit Dioxinen, Biphenylen, Blei, Kadmium, mit Nitraten und Pestiziden laut Sachverständigenrat, Herr Kollege Göhner, längst erreicht oder sogar schon überschritten. ({12}) Sprüche und Enthaltsamkeit, meine Damen und Herren, soweit das Auge reicht. Bundesminister präsentieren sich gleichsam als regierungsamtliche Fakire oder Feuerschlucker beim Nordseeschlürfen oder beim Schwimmen im Rhein dem staunenden Publikum. Meine Damen und Herren, es gab Zeiten, in denen Gesetzestexte in Stein gehauen wurden. ({13}) In der Umweltgesetzgebung dieser Bundesregierung sieht es bisher so aus, als seien die Gesetzestexte mit Wattebäuschen in Wachs modelliert worden. ({14}) Operettengrenzwerte für private Hausfeuerungsanlagen, ({15}) eine Technische Anleitung Luft, die bei vielen Industrieingenieuren nur den Lachgaseffekt auslöst, ({16}) eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die so weich war, daß sie erst nach drastischer Nachbesserung durch die Länder - wohlgemerkt vor allem durch die SPD-Länder - umweltwirksam geworden ist, von dem EG-Flop ganz zu schweigen, skandalöse Bestimmungen im Wasserhaushalts- und im Pflanzenschutzgesetz, ({17}) die die Überschrift „Gesammelte Ausnahmen" , Herr Kollege Göhner, verdienen! ({18}) Meine Damen und Herren, der designierte Oppositionsführer im Saarländischen Landtag hat in den letzten Tagen eine Einsatzgruppe für Umweltkatastrophen nach dem Vorbild der GSG 9 gefordert. Wir finden diesen Vorschlag sehr bezeichnend. Er ist symptomatisch für die Umweltpolitik dieser Bundesregierung; denn Einsatzkommandos kommen ja immer dort zum Zuge, wo bereits etwas schiefgegangen ist, wo eine gewaltsame Handlung bereits stattgefunden hat. ({19}) Der Umgang dieser Bundesregierung mit der Natur ist Reaktion statt Aktion, Bürokratie statt Kreativität, Ankündigen statt Handeln, Reparieren statt Vorsorgen. ({20}) Brauchen wir nicht vielmehr ein Rotes Kreuz für die Umwelt als eine GSG 9? Hätte Henri Dunant nicht das Grüne Kreuz statt des Roten Kreuzes gegründet, wenn er vor 130 Jahren nicht die Verwundeten von Solferino gesehen hätte, sondern heute die verwundete Natur auf dem Schlachtfeld einer Industriegesellschaft sähe, deren Regierung der Sieg beim Bruttosozialprodukt wichtiger ist als der Friede zwischen den Menschen und der Natur. ({21}) Ist die Umweltpolitik der Bundesregierung, nach Hans Jonas formuliert - ich zitiere - „eine unmerkliche, unachtsame, ungewollte Form der Unverantwortlichkeit, die deshalb um so gefährlicher ist und sich durch keine bestimmte Tat identifizieren läßt, da sie eben im Nichtstun, im Geschehenlassen besteht"? Unsere Kinder, Herr Töpfer, werden Ihnen in 10, 20 Jahren die Antwort geben. Wird man mit den Fingern auf Sie zeigen oder Ihnen Respekt entgegenbringen? Wir fordern Sie auf: Kommen Sie heute einmal hier an das Podium, und sagen Sie uns, was Sie in den nächsten 144 Tagen verbindlich ins Parlament einbringen und auch verabschieden wollen, statt Seifenblasen und Sprüche hier zu produzieren. Herr Kollege Töpfer, da man ja in etwa weiß, welche Reden von den Kollegen gehalten werden, weiß ich auch, daß es wieder heißen wird, wir seien in der Umweltschutztechnik auf europäischer Ebene Spitze. Vor diesem Hintergrund darf ich mir erlauben, aus der heutigen „Frankfurter Rundschau" eine Überschrift vorzutragen: ({22}) „Vor dem EG-Gerichtshof steht Bonn als größter Umweltsünder" . Unter dieser Überschrift heißt es: Obgleich sich die Bundesrepublik gern ein vorbildliches Umweltbewußtsein zuschreibt, ist die Bonner Regierung beim Europäischen Gerichtshof zur Zeit mit sieben Klagen wegen Nichterfüllung von Umweltschutzregelungen der Europäischen Gemeinschaft überzogen. Das sind mehr Klagen als gegen jedes andere Mitgliedsland, wie aus einer jetzt veröffentlichten Mitteilung des Luxemburger Gerichtshofs über alle derzeit anhängigen „Umweltverfahren" hervorgeht. Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit. ({23}) Herr Töpfer, ich fordere Sie noch einmal auf: Erklären Sie uns bitte einmal verbindlich, was Sie in den nächsten 144 Tagen an Regelungswerken hier wirklich einbringen wollen. Ich danke Ihnen. ({24})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sprecher der SPD fordern mit viel dünner Polemik ({0}) ein grundlegendes ökologisches Umbauprogramm und schlagen dafür vor allem die Ökosteuer auf den Energieverbrauch vor. ({1}) Sie sprechen von einem durchdachten und glaubwürdigen Lösungskonzept. Meine Damen und Herren, es ist weder durchdacht noch glaubwürdig. Und vor allem: Das ist alles gar nicht neu. Das ist schon oft geprüft und oft verworfen worden. Zur Sache haben die Kollegen Schäfer und Lennartz heute erstaunlich wenig beigetragen. Deshalb stellen wir ganz nüchtern fest: Die Ökosteuer, der Umbau der Industriegesellschaft nach Ihren Plänen, wird wenig, zu wenig für die Umwelt bringen. ({2}) Das Steueraufkommen soll für umweltfremde Zwecke ausgegeben werden, ({3}) und Einnahmen und Ausgaben lassen sich grundsätzlich nicht ins Gleichgewicht bringen. ({4}) Meine Damen und Herren, natürlich ist es jedermann klar, daß hohe Energiepreise und die Erwartung weiter steigender Preise zu einem sparsameren Verbrauch beitragen. Preise können umweltfreundliches Verhalten aber nur erzwingen, wenn sie merklich angehoben werden, also den Verbraucher am Geldbeutel empfindlich treffen. Beim Benzin z. B. müßte die Steuer mehrere Mark je Liter betragen. Darüber sind sich die Experten einig. Die SPD will im nationalen Alleingang die Energie mit zusätzlichen Steuern belegen, um den Preis künstlich und merklich zu erhöhen. Meine Damen und Herren, das geht schon aus EG-rechtlichen und wettbewerbspolitischen Gründen nicht. Wir sind in der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr frei, die Verbrauchsteuern nach Belieben zu manipulieren. ({5}) Die nationalen Spielräume werden immer kleiner. Es gibt nur eine gewisse Ausnahme, auf die der Kollege Schäfer hingewiesen hat: Die deutsche Benzinsteuer ist vergleichsweise niedrig. Ungefähr 50 Pf ist der Spielraum gegenüber anderen großen EG-Mitgliedstaaten. Die SPD will hier ansetzen und das Benzin verteuern, damit sich die Bürger das Autofahren nicht mehr wie bisher leisten können. Autofahren nur noch als Luxus für die Gutbetuchten? Natürlich nicht, wird gesagt. ({6}) Es wird auch gesagt, sozialer Ausgleich z. B. für die Fernpendler sei vorgesehen. Wo bleibt aber dann die erwünschte Wirkung für die Umwelt? Eine Mineralölsteuererhöhung um 50 Pf hätte insgesamt nur eine sehr geringe Wirkung für die Umwelt. Die Autofahrer würden zähneknirschend zahlen und weiter fahren wie in den 70er Jahren. Betrachten wir nun die Verwendungsseite des Ökosteueraufkommens: Durch die Energiebesteuerung sollen dem Staat über 30 Milliarden DM Mehreinnahmen verschafft werden. Damit könnte man in der Tat viel Umweltschutz verwirklichen. Die SPD will diese Mehreinnahmen jedoch aufkommensneutral zurückgeben in Form von Steuersenkungen und Erhöhungen staatlicher Transferleistungen. ({7}) Sie will alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen beglücken. Das ist ja schön, zugegeben. Was aber hat das mit Umweltschutz zu tun? Rein gar nichts. Das alles ist eine große Mogelpackung, hinter der sich nichts anderes verbirgt als Steuererhöhungen und Umverteilung nach dem Gießkannenprinzip. ({8}) Solche Pläne bedeuten nun wirklich nicht den ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft. ({9}) - Diese Pläne, Herr Vosen, sind eine dicke Umweltlüge. ({10}) Die prinzipielle Schwäche der Ökosteuer ist ihre fiskalische Unausgewogenheit. Die Ökosteuereinnahmen sollen wieder ausgegeben werden, selbstverständlich mit Rechtsanspruch für die Begünstigten. Nehmen wir einmal hypothetisch an, daß die von der Ökosteuer erwartete Wirkung eintritt und der Energieverbrauch absinkt. Dann gehen die Steuereinnahmen entsprechend zurück. Da der Staat die Einnahmen aber braucht, muß dann aber an der ÖkoSteuerschraube ständig gedreht oder müssen immer neue Ökosteuern erfunden werden, was für Staat und Steuerzahler völlig unerträglich wäre. ({11}) Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist, daß der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft durch Ökosteuern nicht zu bewerkstelligen ist. Das Steuerrecht kann nur flankierend einen begrenzten Beitrag leisten. Einzelne, gezielte steuerrechtliche Anreize können für einen Übergang hilfreich sein, wenn der Verbraucher eine echte Alternative zugunsten des Umweltschutzes hat. Die Kraftfahrzeugsteuer z. B. bietet solche Möglichkeiten: Starke Luftverschmutzer zahlen mehr, Katalysatorfahrer weniger. Die Staatseinnahmen werden davon insgesamt so gut wie nicht berührt. Nach der Übergangszeit zahlen alle wieder den alten Steuersatz. So haben wir das mit großem Erfolg seit 1985 mit der Kraftfahrzeugsteuer gemacht. 77 % Katalysatorfahrzeuge bei den Neuzulassungen sind ein großer Erfolg, verglichen etwa mit Frankreich, Großbritannien und Italien. Marktwirtschaftliche Kräfte für den Umweltschutz mobilisieren heißt für uns, die Soziale Marktwirtschaft mit den ihr eigenen Mechanismen dahin zu entwikkeln, daß sie weniger Umweltressourcen verbraucht und aus sich heraus Umweltschutz produziert. ({12}) Wir sind deshalb für Benutzervorteile bei umweltfreundlichem Verhalten, z. B. für freie Fahrt für Katalysatorfahrzeuge bei Smog-Wetterlagen. Wir sind deshalb für Lenkungsabgaben, z. B. für die Abwasserabgabe, und diskutieren eine neu einzuführende Restverschmutzungsabgabe. Aus dem Aufkommen soll nicht der Staat finanziert, sondern könnte ein Fonds gespeist werden, aus dem Immissionsschäden an Wäldern und Gebäuden ersetzt werden. Das Aufkommen aus einer neuen Naturschutzabgabe müßte dem Arten- und Biotopschutz zugute kommen. ({13}) Die Kraftfahrzeugsteuer wollen wir nicht abschaffen wie Sie von der SPD, sondern weiterhin als Lenkungsinstrument des Umweltrechts nutzen. Sie sollte an den Schadstoffemissionen ansetzen, den Partikeln, den Stickoxiden, den Kohlenwasserstoffen, dem KohDr. Laufs lenmonoxid und dem Kohlendioxid. Eine solche Schadstoffabgabe wird Produkte und Verbraucher zum Umweltschutz hinlenken. Unsere Vorschläge fördern die Bereitschaft des am Markt teilnehmenden Bürgers, sich für mehr Umweltschutz zu entscheiden. Um den Umweltschutz steht es dann am besten, wenn kaum noch Abgaben erhoben werden müssen, weil jeder die umweltverträglichste Technik anwendet. Wir beachten auch sorgfältig die Auswirkungen des Umweltordnungsrechts. Auch das haben wir im Blick. Unser Ziel ist die Umweltverträglichkeit unserer Industriegesellschaft, ist die soziale und ökologische Marktwirtschaft, eine Aufgabe, die für unsere Zukunft zu wichtig ist, als daß man sie einer rot-grünen Politik überantworten könnte. Vielen Dank. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste Lesung des Bundeshaushalts für 1990 ist sicher eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Das gilt in ganz besonderer Weise in einem Jahr, in dem die Diskussion über den Bundeshaushalt außerordentlich stark durch Fragen der umweltpolitischen Konzeption geprägt worden ist, was zu begrüßen ist. Lassen Sie mich deswegen ganz an den Anfang drei Feststellungen setzen. Erstens. Die Bundesregierung hat in den vergangenen zwölf Monaten in allen Umweltbereichen mit Erfolg gehandelt. Die entscheidenden umweltpolitischen Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften wurden und werden deutlich verbessert und verschärft. Damit wird eine neue Qualität der Sicherheitskultur in der Industriegesellschaft möglich. Die umweltpolitische Spitzenposition der Bundesrepublik Deutschland weltweit wird gehalten und ausgebaut. Zweitens. Die Bundesregierung hat die internationale Umweltpartnerschaft in Europa und weltweit vorangebracht. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Umweltschutz gewinnt einen ständig steigenden Stellenwert in unserer Umweltpolitik. Drittens. Das Vorsorgeprinzip ist Grundlage unseres umweltpolitischen Handelns. Ziel ist und bleibt die Einlösung eines ökologischen Generationenvertrags. Für diese drei zentralen Ziele, neue Sicherheitskultur, internationale Umweltpartnerschaft, ökologischer Generationenvertrag, stützen wir unsere Politik auf zwei Säulen, erstens auf einen klaren ökologischen Ordnungsrahmen mit scharfen, rechtlich verbindlichen Gesetzen, Geboten und Verboten ({0}) und zweitens innerhalb dieses gesetzlichen Ordnungsrahmens auf gezielten Einsatz aller zur Verfügung stehenden wirksamen marktwirtschaftlichen Instrumente. ({1}) - Ich komme darauf zurück, daß ich an vielen Stellen Gemeinsamkeiten sehe. Die optimale Verbindung und Nutzung beider Handlungsansätze ist wahr und bleibt kennzeichnendes Merkmal unserer Umweltpolitik, einer Umweltpolitik der ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft. Um es ganz klar festzulegen: Wo es darum geht, akute Gefahren abzuwehren und einen unmittelbar wirksamen Schutz der Umwelt zu gewährleisten, ist und bleibt der ordnungsrechtliche Rahmen konsequent zu verschärfen und weiterzuentwickeln. ({2}) Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode dazu umfassend entschieden und nicht angekündigt. Wir haben entschieden, daß in dieser Legislaturperiode diesem Parlament ein Gesetzentwurf zur Umweltverträglichkeitsprüfung zugeleitet worden ist. Wir haben entschieden, daß das Bundesimmissionsschutzgesetz zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz ausgebaut wird. Dieses Gesetz liegt in diesem Hohen Hause. Wir haben entschieden, daß seit zehn Jahren zum erstenmal das Chemikaliengesetz neu gefaßt wird. Dieses Gesetz liegt in diesem Hause. Wir haben entschieden, daß die Störfallverordnung neu gefaßt wird. Sie ist zum 1. September 1988 in Kraft getreten. Wir haben entschieden, daß die neuen Möglichkeiten des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes, für alle Branchen neue Anforderungen an die Gewässerreinhaltung zu stellen, ergriffen worden sind. Dies ist in wichtigen Teilen geschehen, die anderen Teile laufen entsprechend den Zeitplänen im 10-PunkteProgramm weiter. Das Ordnungsrecht wird also drastisch verschärft. Die Umsetzung dieses ordnungsrechtlichen Rahmens, meine Damen und Herren, wird die Verursacher etwa 50 Milliarden DM zusätzlich kosten. Man kann in diesem Zusammenhang beim besten Willen nicht davon sprechen, daß hier etwa noch eine Nutzung der Umwelt zum Nulltarif der Fall sei. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Damen und Herren, wer den Haushalt des Bundesumweltministers fair und richtig beurteilt, hätte dann auch diese 50 Milliarden DM in diesen Haushalt mit hineinzusetzen; denn wir sind und bleiben der Überzeugung, daß Umweltpolitik um so besser ist, wenn sie vom Verursacher bezahlt wird und sich nicht über das Gemeinlastprinzip im Steuerhaushalt wiederfindet. ({3}) Dies ist und bleibt unsere Überzeugung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe zu beantworten?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Von Herrn Knabe in ganz besonderer Weise gerne.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie erwähnen 50 Milliarden DM. Woher soll der Bürger erfahren, ob diese 50 Milliarden DM tatsächlich ausgegeben worden sind? Im Haushalt kann er es kontrollieren. Wenn es sich um Unternehmensaufwendungen handelt, ist das eine vage Angabe.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Nein, Herr Abgeordneter Knabe, das ist natürlich keine vage Angabe; denn Sie können ja hingehen und sich ansehen, daß die Kläranlage gebaut worden ist, daß die Vermeidungsinvestition durchgeführt worden ist und daß von daher gesehen diese Investitionen erfolgt sind. Ich sage noch einmal: Ich halte es auch und gerade - lassen Sie mich das deutlich dazu sagen - unter dem heute so häufig berufenen ökologisch-marktwirtschaftlichen Konzept für völlig falsch, wenn wir den Umweg über den Haushalt wählen. Dann werden wir gerade die Anreize zu einer Spürbarkeit in der Anlastung von Kosten nicht haben. Dies ist der schlichte Zusammenhang. Also: verursacherorientiert finanziert. ({0}) Meine Damen und Herren, das Ordnungsrecht ist und bleibt also ein wichtiger Punkt. Ich freue mich natürlich, daß auch der so häufig angesprochene und so selten gelesene Bericht „Fortschritt '90", der ja von Ordnungsrecht überhaupt kein Wort enthält, ({1}) in der Zwischenzeit durch die Reden, auch von Frau Matthäus-Maier und von Herrn Abgeordneten Schäfer, tatsächlich aufgebessert worden ist. ({2}) Daß es dort nicht erwähnt worden ist, meine Damen und Herren, hat offenbar den Grund, daß das, was wir ordnungsrechtlich entschieden haben, in hohem Maße dem entspricht, was die Sozialdemokraten wollen. Das ist die erste Gemeinsamkeit. ({3}) Meine Damen und Herren, das Ordnungsrecht hat Grenzen. Das Ordnungsrecht hat dort Grenzen, ({4}) wo es die Eigendynamik und das Eigeninteresse nicht entsprechend voranbringt. ({5}) Dies ist ein ganz klarer Ansatz. Was mich in besonderer Weise immer interessiert und fast schon in besonderer Weise amüsiert, ist der Hinweis des Abgeordneten Lennartz, daß 90 % der Belastungen von Luft und Wasser behördlich genehmigt seien. Ich frage mich dann immer: Woher kommen denn die restlichen 10 %? Ich möchte doch erreichen, daß das, was hinausgeht, zu 100 % behördlich genehmigt ist. Daß das Restverschmutzungen sind, ist ja gerade der Ansatz. ({6}) Die 40 mg SO2 aus einem Kohlekraftwerk sind genehmigt, meine Damen und Herren, ({7}) und deswegen gehen sie hinaus. Es wäre schlimm, wenn sie nicht genehmigt wären. Dann wäre ein Vorwurf zu erheben. Deshalb ist unser zweiter Ansatzpunkt, Anreize zu schaffen, um diese Restbelastung abzubauen. ({8}) Dies ist eben nicht nur über Steuern und Abgaben zu erreichen. Es ist eine gröbliche Verkürzung des marktwirtschaftlichen Instrumentariums, ({9}) wenn wir uns auf Steuern und Abgaben beschränken. ({10}) Deshalb setzen wir mit diesem Instrumentarium bei der Frage der Informationspolitik an. ({11}) Eine der klassischen Maßnahmen der Informationspolitik, meine Damen und Herren, ist der von uns in der Bundesrepublik von meinen Vorgängern, ich glaube, vom Abgeordneten Baum eingeführte blaue Umweltengel. Er ist weltweit der Renner geworden. Bis nach Kanada und Japan macht man uns das nach. Das ist Information für den umweltbewußt gewordenen Verbraucher, damit er weiß, wie er sich entscheiden kann. Von seiner Konsumentscheidung - ({12}) - Meine Damen und Herren, ich finde das ganz großartig. Da hieß es in diesen in Pastellfarben getönten Abschlußpassagen des Beitrags des Abgeordneten Schäfer: Laßt uns streiten und gemeinsam etwas tun. ({13}) Nun komme ich und sage: Hier wollen wir einmal eine solche Gemeinsamkeit weiterführen. Darauf wird mir nur geechot, dies sei dann doch offenbar sozialliberale Politik. - Meine Damen und Herren, Umweltpolitik hat natürlich den Auftrag und viel Anlaß, über Parteigrenzen hinweg zu denken. Ich wäre ein schlechter Umweltminister in diesem Punkt - ich weiß, Sie sind der Meinung, daß ich es auch in anderen Punkten bin - , wenn ich nicht fragte: Was ist denn vorher Vernünftiges gemacht worden? Was können wir weiterentwickeln? Das hier ist ein Beispiel dafür. ({14}) Das haben wir weiterentwickelt, auch mit Blick auf die Wettbewerbsneutralität einer solchen Sache für die verschiedenen Anbieter. - Soweit also zur Informationspolitik. ({15}) Flexible Handhabung des Ordnungsrechts: Wir haben das nicht nur angekündigt, Herr Abgeordneter Lennartz, sondern haben auch in das neue BundesImmissionsschutzgesetz hineingeschrieben, ({16}) daß wir die Kompensationsregelung erweitern. Ich habe noch im Ohr, wie die erste Ergänzung der Kompensationsregelung in der TA Luft auf den massiven Widerstand der Sozialdemokraten im Bundesrat gestoßen ist. Das ist der Punkt. ({17}) Marktwirtschaftliche Instrumente, meine Damen und Herren, sind Lizenzlösungen. Ein marktwirtschaftliches Instrument ist auch die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. ({18}) Marktwirtschaftliche Instrumente sind die Förderung von Abschreibungen und Steuervergünstigungen für umweltentlastende Investitionen. Marktwirtschaftliche Instrumente sind dann auch gezielte Lenkungsabgaben im Restverschmutzungsbereich - wie ich das vorhin gesagt habe -; dazu gehört auch die Frage, wie wir das durch steuerliche Anreize verstärken können. ({19}) Dies ist unser Verständnis, und dies, meine Damen und Herren, gilt nicht nur abstrakt, sondern auch konkret. Beispiel: Wasser. In dieser Legislaturperiode wurde - wie erwähnt - für die Sektoren der Wirtschaft eine Verschärfung der Anforderungen an die Abwasserleitung gesetzlich fixiert, im Ordnungsrecht. ({20}) - Nein, nein, die sind da. Sie müssen sich da einmal ein bißchen besser informieren. Neben das Ordnungsrecht tritt die Veränderung des Abwasserabgabengesetzes, und der Entwurf liegt in diesem Hohen Hause. Das ist nicht angekündigt, sondern das liegt in diesem Hohen Hause. Darin sind vorgesehen eine Erweiterung der Abgabenparameter um Phosphat und Stickstoff und eine Erhöhung der Abwasserabgabe mit einem verstärkten Anreiz zum Investieren; denn mein Ziel ist es nicht, Abwasserabgaben zu bekommen, sondern daß investiert wird. Meine Damen und Herren, Sie werden dann wieder sagen, das komme in meinem Haushalt nicht an. Das ist völlig richtig. Jede Abgabe, die wir hier beschließen, ist eine Abgabe zugunsten der Länder. ({21}) Sie wird bei meinem Haushalt nicht anfallen. Ich halte das auch für richtig. Deshalb ist Ihre Meßlatte nicht richtig, wenn Sie sagen: Die Nachdrücklichkeit der Umweltpolitik läßt sich am Haushaltsvolumen des Bundesumweltministers ablesen. - Das ist die falsche Meßlatte! ({22}) - Ich komme darauf zurück, selbstverständlich. Beispiel: Luft. Darauf gehe ich mit ganz besonderer Freude ein. Da kommt der Abgeordnete Schäfer und sagt: Wir brauchen eine allgemeine Luftschadstoffabgabe. ({23}) - „Recht hat er", prima. Da sage ich mir, das müßte doch offenbar bei allen Verbrennungsprozessen sein; also wird es doch in ganz besonderer Weise für das Kraftfahrzeug gelten. Er sagt mir extra: Wenn Sie es nur mit CO2 machen, ist das falsch, wir wollen alles haben. ({24}) Da muß ich mich doch fragen: Was kommt, Herr Abgeordneter Schäfer, dabei für ein Rezept heraus? Da kann ich nur sagen, er muß eine an die Schadstoffe des Autos anknüpfende Steuergrundlage wählen, wenn er so etwas will. ({25}) Wenn er das nicht will, hat er ja genau diese Luftschadstoffabgabe, die er vorher gefordert hat, für einen wesentlichen Teilbereich der Luftreinhaltepolitik nicht mehr zur Verfügung, und deswegen, meine Damen und Herren, ist das auch gar nicht schlecht. ({26}) - Ich komme auf die Wirre zurück, Frau Abgeordnete; das mache ich gern. Deswegen ist die Diskussion über die richtige Besteuerung der Kraftfahrzeuge sehr alt. Sie ist bisher immer mit dem Ergebnis ausgegangen, daß wir zwei Steuern brauchen, nämlich die Mineralölsteuer, um Verhalten zu lenken, und die Kfz-Steuer, um Anreiz zur Technik zu geben. Damit hat sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen 1981 in dem Gutachten „Energie und Umwelt" beschäftigt. ({27}) Ich darf Ihnen zitieren, was er gesagt hat: Zwischen dem Energieumsatz, der Menge und Zusammensetzung der Schadstoffemissionen und der Lärmentwicklung bestehen keine stringenten Zusammenhänge. Ein verringerter Energieverbrauch wirkt sich deshalb nicht immer automatisch in einer Verringerung der Umweltbelastung aus. Er kommt zu dem Ergebnis: Als umweltgerechte Bemessungsgrundlage verbleiben somit die realen Schadstoff- und Lärmemissionen, die im Rahmen von standardisierten Testprogrammen analog der derzeit im Rahmen der Grenzwerteregelung praktizierten Typprüfung erfaßt werden könnten. Er spricht sich also sehr deutlich für eine schadstofforientierte Kfz-Besteuerung aus. ({28}) Wenn das so ist, gibt es natürlich hervorragende Bestätiger für diese Notwendigkeit der Kfz-Steuer. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren: Wir befürworten somit eine umweltbezogene Kfz-Steuerreform, deren Ziel es ist, die bisherige hubraumbezogene Besteuerung durch ein neues System abzulösen, das sich an Schadstoff-, Lärm- und Leistungskriterien orientiert. Meine Frage an Sie ist: Von wem stammt denn wohl das Zitat? ({29}) - Nein. ({30}) Das stammt aus der Regierungserklärung des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine vom 25. April 1985. ({31}) - Wissen Sie, Frau Abgeordnete, Lesen bildet. ({32}) Manchmal hat man ja sogar Glück, wenn man nach Ihrem Wunsch Oppositionschef im Saarland werden soll, denn dann liest man auch das mal nach. Das steht darin. ({33}) Aber ich will Ihre Freude am Lesen erhöhen. Ich zitiere noch einmal: Die Kfz-Steuer sollte grundsätzlich nach der Höhe der Emissionen auf Dauer aufkommensneutral bemessen werden. Wer hat denn das gesagt? ({34}) - Nein, noch besser. ({35}) Das hat die 32. Umweltministerkonferenz am 13. April 1989 in Düsseldorf beschlossen, unter Zustimmung aller von der Sozialdemokratie gestellten Umweltminister. Das war im April diesen Jahres! ({36}) Ich darf weiter zitieren, falls Sie das brauchen. Ich zitiere noch einmal: Die Regierungschefs der Länder sind der Auffassung, daß die Kfz-Besteuerung künftig nach der Höhe der Schadstoffemissionen bemessen werden sollte. Sie beauftragen die beteiligten Fachministerkonferenzen, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten. Hierbei ist u. a. auf folgende Fragen einzugehen: Einbeziehung von anderen Fahrzeugarten außer Pkw, - auf die Frage von Lkw sind Sie überhaupt nicht eingegangen Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage, Berücksichtigung von Emissionen und Schadstoffverbrauch. So beschlossen, meine Damen und Herren, laut Erklärung in der Ministerpräsidentenbesprechung vom 29. Juni 1989, vor nicht einmal drei Monaten, unter Zustimmung aller Ministerpräsidenten, auch der von der Sozialdemokratie gestellten. ({37}) So falsch kann also unsere Überlegung nicht sein, daß wir eine schadstofforientierte Kfz-Besteuerung wollen. Hoffentlich kriegen wir sie auch auf europäischer Ebene durch, denn da haben wir auch schon den Vorstoß gemacht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dies, Herr Minister, veranlaßt die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier zu einer Zwischenfrage. Gestatten Sie das?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Ja, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gesagt, Herr Minister, so falsch könne das nicht sein. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir immer wieder gesagt haben: Eine Umstellung der Kraftfahrzeugsteuer von der Hubraumbesteuerung auf eine Abgasbesteuerung wäre sicher umweltpolitisch besser als das geltende Recht, ({0}) aber die ökologisch wirksamere Lösung wäre die komplette Umstellung. Das haben wir mehrfach, wochenlang gesagt. ({1})

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Verehrte Frau Abgeordnete, erstens ist es nicht richtig, und zweitens ist es nicht so gesagt worden. ({0}) - Sie müssen folgendes sehen. Am 2. Dezember 1988 steht hier an diesem Pult Ihr Kollege Schäfer und sagt: Besonders enttäuschend ist, daß Herr Töpfer nicht einmal bereit war, sich ... zumindest für eine steuerliche Förderung von Drei-Wege-Katalysatoren einzusetzen. Da habe sich der Vorreiter zurückgelehnt. Das war im Dezember letzten Jahres. Wenn er wenigstens einmal hierhergekommen wäre und gesagt hätte „Dieses Instrument der Kfz-Steuer haben wir jetzt wirklich durchgesetzt, und zwar bis zu den Kleinwagen" , dann wäre es ein Stück Ehrlichkeit gewesen. ({1}) - Mit Ihrer Frage hat das deswegen etwas zu tun, weil wir dieses Instrument nutzen, um Umweltpolitik beim Auto voranzubringen. Was machen Sie denn bei der Weiterentwicklung der gesamten Palette anderer Kraftstoffarten? Wir wollen den Wasserstoff weiterbringen; wir wollen das Elektroauto weiterbringen. Wie wollen Sie das denn über die Mineralölsteuer machen? Warum können Sie denn nicht zu dem kommen, was die Amerikaner machen, die einen Rottenverbrauch für die Kfz vorgeben und etwa sagen: 6 Liter pro 100 km. ({2}) - Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung. Das war eine Darstellung von Zitaten, Ihnen hoffentlich sehr sympathischer Gremien und Personen, die mir bestätigen: Stell die Kfz-Steuer schadstoffbezogen um; dies ist für die Umweltpolitik eine sinnvolle Sache; hoffentlich bekommen wir das europäisch hin. ({3}) Meine Damen und Herren, das gleiche gilt natürlich für die CO2-Abgabe. Auch dazu lassen Sie mich nur zwei oder drei Sätze sagen. Wenn wir die ganze Zeit richtigerweise über die Fragen des Klimas und des Treibhauseffektes sprechen, dann müssen wir ja an irgendeiner Stelle auch einmal fragen, was wir denn bei uns zu tun gedenken. Ich bin der Meinung, daß man doch beim Schadstoff ansetzen muß. Daß wir da wiederum ganz offenbar bestätigt werden, ist wohl eine Tatsache, die auch in der Rede der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier vorgestern deutlich geworden ist. Sie haben auch gesagt: Jawohl, wir wollen eine CO2-Abgabe, auch für Kohlekraftwerke. ({4}) - Ich kann Sie gerne zitieren; ich habe das mitgebracht. Sie sprachen von einer Luftschadstoffabgabe, die auch CO2 umfaßt. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, nun lassen Sie uns doch die Sache einmal ansehen. Wenn wir eine Luftschadstoffabgabe machen, etwa bei Kraftwerken, kommen als Schadstoffe CO2, SO2 und NOx in Frage. Bei SO2 und NOx haben wir mit Ihrer aller Zustimmung eine sehr nachhaltige ordnungsrechtliche Vorgabe gemacht, nämlich eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Wir alle wissen, daß CO2 durch Technik nicht regierbar ist. Also müssen wir dort eine Abgabe festsetzen. So steht es nebenbei auch in unserem Leitantrag für den Bundesparteitag der CDU in Bremen. Wir wissen aber auch ganz genau, daß in dem Moment, in dem wir das CO2 verringern, die anderen Stoffe, also SO2 und NON, entsprechend mit reduziert werden. Also ist es doch nur eine Frage der Klarheit dessen, was wir tun. Für das Auto wollen Sie es sowieso nicht; das haben wir ja gerade festgestellt. ({6}) Dann kann ich nur feststellen: Also meinen Sie die Kraftwerke, und Sie meinen den privaten Verbrauch. Wenn Sie das dort machen, müssen Sie mir doch wirklich einmal sagen, woher Sie dabei Methan bekommen. Dann müssen Sie wohl die Kuhmägen verbieten, oder wie sieht das aus? ({7}) - Sie werfen uns vor, wir würden es nicht konkret machen. Ich frage einmal: Wie sieht denn Ihre Luftreinhalteabgabe aus? Ich habe sie nicht gesehen. Lassen Sie mich nur der Vollständigkeit halber hinzufügen: Meine Damen und Herren, wir haben überhaupt nicht den Eindruck, daß derjenige, der eine CO2-bezogene Luftschadstoffabgabe fordert, so etwas wie eine Politik gegen die Kohle betreibt. Lassen Sie mich das ganz nachdrücklich sagen. Wäre dem so, hätte auch jeder eine Politik gegen die Kohle betrieben, der einmal eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung gefordert und verabschiedet hat. Denn SO2 und NOx entstehen ja wohl auch bei der Verbrennung von Kohle. Es ist eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung für Kohlekraftwerke. Wenn wir - darüber sollten wir uns doch wohl über alle Fraktionsgrenzen dieses Hohen Hauses hinweg im klaren sein - für die Kohle auf Dauer eine Perspektive haben wollen, dann werden wir sie nur in der umweltverträglichen Nutzung haben. Wenn wir die Frage von CO2 mit hineinnehmen, bewirken wir einen Technikaufschwung, bekommen wir neue Kraftwerkstypen und bringen wir die KraftWärme-Kopplung voran. ({8}) Dies ist unsere zentrale Fragestellung. Gerade derjenige, der sich für Kohle einsetzt, Frau Abgeordnete Conrad, sollte dafür gelobt werden, daß er sich auch genauso für eine CO2-Abgabe einsetzt und sich nicht von vordergründigen Argumenten abschrecken läßt, dies sei eine die Kernenergie begünstigende Abgabe. Das ist nämlich das, was draußen diskutiert wird. ({9}) Lassen Sie mich abschließend ein Wort zur Frage der Umweltsolidarität und -partnerschaft in Europa und weltweit sagen. Das, was der Abgeordnete Weng in, wie ich meine, erfreulicher Klarheit ausgeführt hat, ist wirklich der zentrale Schritt nach vorn. Es ist uns gelungen, gemeinsam mit der DDR sechs ganz kon11904 krete Projekte festzulegen, für die wir 300 Millionen DM vorsehen, um mit unserer Technik dort Umweltentlastung durchzuführen. Sie mögen fragen: Was sind 300 Millionen DM vor dem Hintergrund dessen, was in der DDR an Umweltpolitik zu betreiben wäre? Richtig. Aber lassen Sie mich auch sagen: Daß wir überhaupt zu solchen konkreten Abkommen gekommen sind, zeigt, daß wir den Durchbruch zur Umweltpartnerschaft in Europa und weltweit geschafft haben. Wir haben nicht nur geredet. Eine Frage möchte ich doch noch ganz kurz stellen: Bin ich eigentlich in einer anderen Veranstaltung gewesen, oder ist nicht in diesem Jahr in diesem Hohen Hause einstimmig - einstimmig! ({10}) ein Konzept zur Frage der FCKW beschlossen worden? ({11}) Wer hat denn angesichts dieses einstimmig beschlossenen Konzepts bisher irgendwo Anlaß gehabt zu sagen, die Bundesregierung werde sich nicht daran halten? Wer kann denn jetzt sagen, es sei ein unglaubliches Versäumnis, daß diese Bundesregierung die FCKW bisher nicht verboten habe, wenn in diesem Jahr in diesem Hohen Hause dieser Entschließungsantrag einstimmig angenommen worden ist?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, ich werde nicht in Ihre verfassungsmäßigen Rechte eingreifen. Aber ich bitte wirklich um Verständnis: Wir haben deutlich überzogen, so daß wir jetzt schon bei normaler Planung auf ein Sitzungsende um 23 Uhr kommen. Ich bitte daher um Nachsicht, wenn ich Sie an diesen Umstand erinnere.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht dafür, daß ich mich auf Grund dieser Diskussion zum Überziehen der Zeit habe hinreißen lassen. Ich möchte das nicht weiter tun. Ich möchte einen letzten Satz sagen: Bei allem Streit, der über den richtigen Weg notwendig ist, sollten wir doch auch daran denken, daß diese Industriegesellschaft von allen Bürgern getragen werden muß und daß Umweltschutz ein Stück Bürgerpflicht für alle sein sollte. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt einige Anmerkungen zur Forschungspolitik machen, die natürlich auch die Umweltpolitik tangiert. Wir haben ja eine verbundene Debatte, und ich hoffe, daß auch diejenigen, die sich nur mit Umweltschutz befassen, damit einverstanden sind, nun auch etwas über Forschung zu hören. Das kann den Horizont nur abrunden. Wenn man sich den vorgelegten Etat ansieht, muß man sagen: Die Forschungspolitik der Bundesregierung hat schwere Strukturmängel. Das gilt z. B. für die Energieforschung. Mit diesem Haushalt können die Probleme, die bei einer umweltverträglichen Energieversorgung gelöst werden müssen, nicht wirkungsvoll angepackt werden. In diesem Haushalt ist immer noch zuviel Kernenergie und zuwenig nichtnukleare Energieforschung enthalten. In diesem Haushalt kommt die Informationstechnik zu kurz. Die Umweltforschung und auch die Mittelstandsforschung kommen zu kurz. Umweltforschung ist z. B. ökologische Wirkungsforschung. Auf diesem Gebiet geschieht kaum etwas. Wir werden deshalb in den Beratungen des Haushaltsausschusses erhebliche Änderungen vorschlagen. So können wir dem Etat des Forschungsministers nicht zustimmen. Es fängt ja schon bei der Steigerung des Forschungshaushaltes an. Wie im vergangenen Jahr versucht der Forschungsminister, Märchen in die Welt zu setzen und der Öffentlichkeit vorzumachen, hier liege eine Steigerungsrate von 5 % vor. Das hat er auch schon im letzten Jahr gemacht, als er ebenfalls gesagt hat, der Forschungshaushalt steige um 2,9 %. Ende des Jahres war festzustellen, daß der Forschungshaushalt, bedingt durch Kürzungen und eine globale Minderausgabe, sogar um 1 % gesunken - minus 1 %! - und eben nicht gestiegen ist. In diesem Jahr haben wir ebenfalls keine Steigerung von 5 % , wie uns der Forschungsminister glauben machen will, sondern nur eine Steigerung um 2,7 %, was unterdurchschnittlich ist, wenn man die Steigerung des Gesamthaushalts zugrunde legt. Von daher haben wir also festzuhalten, daß real rund 650 Millionen DM in den letzten Jahren aus dem Forschungshaushalt gestrichen worden sind. Da muß man natürlich noch wissen, daß dieser Forschungshaushalt durch den Zuwachs für Luft- und Raumfahrt in einem überdurchschnittlichen Maße belastet ist, durch einen großen Klotz, der auf uns zukommt und 23 % des Bundeshaushaltes Forschung und Technologie im Endstadium ausmachen soll, wenn alles gut geht. Ich fürchte, es wird mehr. Ich meine, daß die Rederei des Bundesforschungsministers über die überdurchschnittliche Steigerung die Realität weit hinter sich läßt. Herr Riesenhuber, Sie sind gut beraten, dies öffentlich zuzugeben. Wir wissen, daß Sie auf anderen Gebieten ebenfalls Probleme haben, an der Spitze der Bewegung zu stehen. So haben wir uns heute z. B. über den ThoriumHochtemperatur-Reaktor in Hamm unterhalten. Dieser Reaktor ist, wenn Sie so wollen, tot. Heute haben wir ihn im Forschungsausschuß abschließend zu Grabe getragen. ({0}) Ich meine, daß auch diese Entwicklung von Ihrem Haus und von Ihnen persönlich zu spät bemerkt wurde, genauso wie das in Wackersdorf der Fall war, wo der Bundesumweltminister und der Bundesforschungsminister nicht die Spitze der Bewegung waren, sondern die Industrie, wie sie ja es auch beim Schnellen Brüter sein wird. Auch hier wird die Industrie ebenso wie in Hamm und wie in Wackersdorf die erste sein, die sagt: Wir verabschieden uns von diesem Gerät. Herr Gieske vom RWE hat ja schon entsprechende Äußerungen in aller Öffentlichkeit getan. Herr Töpfer, wenn Sie sagen, Sie seien kein schlechter Umweltminister - so haben Sie sich soeben ausgedrückt - , dann gebe ich Ihnen den guten Rat: Raten Sie doch Ihrem Herrn Kollegen Riesenhuber, das SNR-Gerät hier nicht weiter zu propagieren. Sagen Sie ihm doch, daß Sie in Wirklichkeit dagegen sind und voriges Jahr vom Bundeskanzler zurückgepfiffen worden sind. Sagen Sie ihm doch, daß er, wenn dieses Gerät ans Netz gehen sollte, sofort seinen Offenbarungseid am Amtsgericht leisten kann; denn das Anschalten eines solchen Geräts wie des Schnellen Brüters verursacht Kosten von mindestens einer Milliarde DM über Risikobeteiligung und vieles andere mehr. ({1}) Alle wissen das, und keiner hat den Mut, die Wahrheit zu sagen, außer der Industrie, die sagt: Der Schnelle Brüter ist Sache der Politik, nicht unsere. Das hat Gieske so gesagt. ({2}) Ich meine, daß wir, statt so viel Geld in solcher Urviecher der Großindustrie zu stecken, die bei der Industrie keiner will, gut beraten wären, ein vernünftiges Energieforschungsprogramm zu machen. ({3}) - Das fehlt seit fünf Jahren, Herr Staatssekretär. Seit fünf Jahren machen Sie Ihre Schulaufgaben in Sachen eines vernünftigen Energieforschungsprogramms nicht. Ich meine, daß auch die Weltraumforschung alles andere erdrückt. Sie machen ja nur noch Kernenergie und Weltraum. Etwas anderes fällt Ihnen kaum noch ein. Natürlich gibt es da ein paar Sachen wie Umweltforschung und Klimaforschung, die Sie propagieren, ({4}) die aber in der Gesamtsumme des Haushalts sehr wenig ausmachen, im Verhältnis zur Weltraumforschung und zur Kernenergie Bruchteile von Prozenten. Es muß wirklich kritisiert werden, daß Sie hier kein Zukunftskonzept haben. Es fehlt jeder Hinweis auf eine vernünftige ökologische Wirkungsforschung. Wo in der Bundesrepublik Deutschland werden die Hunderttausende Produkte, die es auf dem Markt gibt, darauf untersucht, wie sie denn unsere Umwelt beeinträchtigen, wie sie wirken? Was ist denn eigentlich umweltfreundlicher: die Milchtüte aus Pappe, die Mehrwegflasche für Milch oder die Einwegflasche? Kein Mensch kann das wissenschaftlich belegen, weil der Kreislauf als Ganzes nirgendwo nachgewiesen wird. Eine Großforschungseinrichtung, mehrere Großforschungseinrichtungen könnten Sie damit Jahre beschäftigen. Ökologische Wirkungsforschung findet in unserem Land überhaupt nicht statt. ({5}) Das ist leider so. Das ist ein großes Versäumnis der Forschungspolitik. Ich meine also, daß wir insgesamt gut beraten wären, uns dieser Frage, da wir hier über Umwelt reden, in der Tat auch in der Forschungspolitik mehr als bisher zuzuwenden. Da besteht ein großes Manko insgesamt in der Politik dieser Bundesregierung. Diese Bundesregierung und dieser Forschungsminister sind leider in keiner Weise auf der Höhe der Zeit. Die Entwicklung umweltfreundlicher und ziviler Produkte wäre eine Sache, die man in der Forschung vorantreiben könnte. ({6}) Die Sicherstellung der Recyclingfähigkeit von Industrieprodukten wäre eine andere Aufgabe. Die Initiierung von Förderprogrammen zur Erschließung neuer, umweltschonender Energiequellen fehlt nahezu ganz. ({7}) - Ja, natürlich, das sind doch kleine Beträge, auch wenn der Bundesforschungsminister behauptet, er würde mehr tun als alle anderen Staaten in Westeuropa zusammen. ({8}) Gut, es mag ja sein, daß er einiges an Geld bewegt, aber es ist in keiner Weise mit den Aufwendungen für die Kernenergie zu vergleichen, die in diesem Land nach wie vor gemacht werden. Hier muß man zu einem vernünftigen Abwägungsprozeß kommen: Wo liegt die Zukunft der Forschung, und wo liegt die Zukunft auch des Staates in der Forschung? Denn die Industrie forscht eh anwendungsbezogen. 70 To aller Forschungsmittel in der Industrie werden für anwendungsbezogene Forschung aufgebracht. Sollten da nicht die 30 % des Staates für die Forschung verwendet werden, die dem Allgemeinwohl und unserer Zukunftssicherung dienen? Wo sind denn die Forschungsmittel für das Gesundheitswesen? Da kann noch viel mehr geschehen, als dies heute der Fall ist. Oder: Wo sind die Entwicklungsgelder für energie- und rohstoffsparende Technologien? Alles dies ist in diesem Bundeshaushalt doch mehr oder weniger nur marginal vertreten. Es ist kein Schwerpunkt. Schwerpunkte sind immer noch Kernenergie und Weltraum, und das bedauern wir außerordentlich. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Vosen, das war wohl der Ausdruck einer ungewollten Vaterschaft von Urviechern, aber ich nehme an, daß Herr Minister Riesenhuber auf dieses Problem noch eingeht. ({0}) - Es war Ihr Kollege, der dies kreiert hat. Die weltweit in bisher noch nie gekanntem Ausmaß zunehmende Umweltverschmutzung erfordert - dies ist deutlich geworden - nicht nur auf nationaler Ebene eine abgestimmte Umweltpolitik, sondern auch eine übergreifende internationale Strategie. Wir haben diese Herausforderung angenommen. Alle Unkenrufe der SPD heute mit der Verschmähung der Politik, der Diffamierung des Ministers können, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir diese Bilanz auch in Zahlen aufmachen können. Ich will es sehr kurz machen und Sie an ähnliche Reden vor einigen Jahren erinnern, als Sie uns bei der Einführung bleifreien Benzins diffamiert haben. Heute habe ich davon nichts gehört: Bleifreies Benzin ist in der Bundesrepublik Deutschland flächendekkend eingeführt, es gibt weniger Schadstoffe in der Luft, mehr Umweltschutz ist realisiert. Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, wenn Sie vor zehn Jahren die Chance gehabt hätten, Anzeigen in der Zeitung zu haben, daß Fahrzeuge nur noch mit Katalysator produziert würden, Sie hätten uns das sicher laut erzählt. Aber heute reden Sie nicht darüber; Sie nehmen still zur Kenntnis, daß bereits heute 3,3 Millionen Fahrzeuge mit geregeltem Katalysator auf unseren Straßen fahren. ({1}) - Ich sprach, Herr Kollege Vosen, von dem Zeugnis, das ich Ihnen gerade ausgestellt habe. Hätten Sie vor zehn Jahren damit begonnen, hätten Sie uns doch die Vorarbeit geleistet, wären die Dinge wesentlich schneller gegangen. ({2}) Ich will Ihnen nur sagen, daß wir heute bei Neuzulassungen von Fahrzeugen mit mehr als zwei Liter 95 To der Fahrzeuge mit geregeltem Katalysator haben, daß wir in der Mittelklasse 80 To mit geregeltem Katalysator haben und daß wir gegenüber der Vergleichszahl heute auch bei den kleinen Fahrzeugen nahezu eine Verdoppelung der Zulassungen haben. Dies, finde ich, gehört erwähnt, wenn wir über Bilanz reden, ({3}) und dies gehört auch gesagt, wenn Sie ständig mit Ihrer Kritik, die ich übrigens nicht für sehr sachlich halte, hier in die Diskussion einsteigen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, was ist eigentlich im Bereich der Schadstoffe passiert, über die theoretisch wie in einem Seminar diskutiert wird: S02, CO2, NO. und diese Dinge? Selbst in den Großfeuerungsanlagen-Verordnungen, über die nur theoretisiert wird, wissen wir heute, daß wir weit über 70 To der Schadstoffe abgebaut haben, daß wir beim SO2 die Restverschmutzung von zwei Millionen t auf 0,4 Millionen t reduziert haben und daß wir dies in den nächsten Jahren weiter reduzieren werden. Es wird nicht darüber gesprochen, daß wir ordnungsrechtlich die Dinge fortentwickelt haben: über ein Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, über ein neues Chemikaliengesetz, das wir zur Zeit diskutieren. Ich wünsche mir die Bereitschaft, auch im Rahmen dieses Ordnungsrechts sehr sachlich eine Auseinandersetzung über diese Maßnahmen zu führen: über das Bundes-Immissionsschutzgesetz, über die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes, worüber so viel gesprochen wurde. Wir werden auch darüber reden müssen, wie wir dies alles realisieren, wie wir das Personal verstärken. Ich bedanke mich bei den Haushältern für das Verständnis, natürlich auch beim zuständigen Ministerium für eine Verstärkung zu sorgen. Dies ist notwendig. Man kann sich nicht immer nur hier hinstellen und sagen, daß da etwas geschehen muß. Herr Kollege Knabe, ich empfehle Ihnen, sich dies einmal genau anzusehen und nicht nur von einer Stelle zu reden. Es nützt nichts, die Dinge zu beklagen. Wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, daß dieser Minister die Dinge auch entsprechend umsetzen kann; denn er wird gefordert, auch von seiner eigenen Fraktion gefordert. Es genügt aber heute nicht mehr, nur vor der eigenen Tür zu kehren. Wir haben inzwischen erkannt, daß die globale Dimension hinzugekommen ist. Die Situation war doch wohl so, daß Bundeskanzler Helmut Kohl bereits in Toronto die Initiative ergriffen hat, Strategien zum Schutz der Erdatmosphäre auf den Weg gebracht hat; es war sein Begriff bei der letzten Regierungserklärung. Wir sehen die Folgekonferenzen von Den Haag, von Helsinki, von London und jetzt jüngst in Paris. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß bei der Weltklimakonferenz im Herbst nächsten Jahres entscheidende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Wenn Sie heute aufmerksam die Zeitung gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, daß auch Blockfreie die Umwelt schützen wollen, daß aus diesem Kreis Vorschläge kommen, die mit unseren Vorschlägen beim letzten Weltwirtschaftsgipfel voll identisch sind, nämlich eine internationale Klimaschutzkonvention auf die Beine zu stellen, gemeinsam auf den Weg zu bringen. Hierbei ist die wichtige Rolle der Bundesrepublik Deutschland unstrittig; das scheint vielen entgangen zu sein. Wir waren es, die Initiativen für den Schutz der Tropenwälder eingeleitet haben. Wir waren es, die entscheidende Impulse zum Abschluß solcher Konventionen gegeben haben. Es wird sehr viel diskutiert - wir erhalten auch sehr viele Briefe - über die Probleme stratosphärischer Ozonabbau und Treibhauseffekt. Der Deutsche Bundestag - dies wurde vorhin erwähnt - hat am 9. März einen entsprechenden Vorschlag gemacht, der voll auf der gemeinsamen Arbeit unserer Enquete-Kommission basiert. Dort wird für alle deutlich, daß nicht nur ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, sondern daß wir aus der Produktion und dem Verbrauch dieser Stoffe aussteigen. Das ist manchem nicht deutlich geworden. Ich will dies belegen und will auch nicht verschweigen, daß dies bei der Fortschreibung unseres Beschlusses Konsequenzen haben muß. Wenn heute eine Firma in Anzeigen schreibt, daß sie ein Geschenkpaket mit Sprühflaschen übergeben, die man - zur DemonstraSchmidbauer tion - zur Löschung von Aschenbecherbränden verwenden könnte, und dabei in diesem Produkt ein reglementiertes Halon beinhaltet ist, dann finde ich das schlichtweg eine Unverschämtheit, wenn man weiß, daß dieser Beschluß vorliegt, und wenn man weiß, daß wir entsprechende Konsequenzen ziehen. Nur scheint sich dies in bestimmten Bereichen nicht herumgesprochen zu haben. Ich finde es auch unverschämt, wenn in einer Zeitung unter der Überschrift „Halon, Ozon und die Falschmeldung" geschrieben wird, daß Halone die Natur vor irreparablen Schäden schützen. Das Gegenteil ist richtig. Wenn noch davon ausgegangen wird, daß dieser Schaden nicht sehr groß sei und daß es - wie es in dieser Anzeige heißt - zu keiner Reduzierung der Halone komme, obwohl Montreal sowie die Fortschreibung von Montreal auf dem Tisch liegen, dann wird sich diese Industrie - es ist nicht die Firma Hoechst, die völlig anders reagiert hat; es ist ein anderer Hersteller - mit diesen Dingen auseinanderzusetzen haben. Es ist ebenfalls eine Unverschämtheit, wenn Pakkungen und Fanfaren mit dem Aufdruck „FCKW-frei" verkauft werden, dieses Produkt aber FCKW enthält. Auch dies werden wir abstellen. Ich kann Neugierige nur warnen und kann nur darauf hinweisen - das will ich sehr deutlich sagen - : Wir werden bereits in den nächsten Wochen unsere Instrumente entsprechend anpassen. ({4}) Wir werden entsprechend reagieren. Das kann man mit uns nicht machen. Wir wollen auch deutlich machen: Hier wird nicht nur angekündigt. Minister Töpfer hat vorhin sehr klar gesagt, daß er in der nächsten Woche einen ausführlichen Reduktionsplan auf den Weg bringt. Ich bin froh, wenn alle Fraktionen dieses Hauses das unterstützen. ({5}) und es nicht zu Einzelmaßnahmen, zu einer Abkoppelung von diesem Beschluß kommt. Ich rede hier über die Initiativen der Fraktion DIE GRÜNEN. Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken und wie beim Handel immer unterbieten wollen. Dann erreichen wir nichts. Meine Vorstellung ist vielmehr, daß sich auch die GRÜNEN etwas umweltfreundlicher verhalten und gemeinsam mit uns diese Maßnahmen angehen. ({6}) Wenn wir national die FCKW auf null reduzieren, dann heißt dies, daß wir neben dem Schutz unserer Ozonschicht auch die Reduzierung des Treibhauseffekts um etwa ein gleiches Potential erreichen wollen. Was ich bislang in den Diskussionen gehört habe, betraf vorwiegend die CO2-Problematik. Ich will Ihnen einmal sehr deutlich sagen, daß die gesamten CO2-Emissionen einen geringeren Treibhauseffekt haben als das gesamte FCKW-Potential. Alle FCKW-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland tragen stärker zum Treibhauseffekt bei als 800 Millionen t CO2, die bei uns emittiert werden. Daraus ergibt sich in der Relation die Diskussion um die Kohle. Manche mögen das Kind mit dem Bade ausschütten; aber es ist nicht notwendig, daß die Badewanne noch hinterhergeworfen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordenter Schmidbauer, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe zu beantworten?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern bin ich bereit, lieber Wilhelm Knabe. Ich habe Sie heute auch schon mit Ihrem Jetset strapaziert.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Wenn in der Bundesrepublik die FCKW wirklich ein höheres Potential für den Treibhauseffekt aufweisen als die CO2-Emissionen, muß man dann nicht den Antrag der GRÜNEN begrüßen? ({0})

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Knabe, wenn dieser Antrag konstruktiver wäre als der vorhandene Beschluß, ließe ich immer mit mir reden. Ich sagte vorhin, daß wir anpassen wollen. Aber ein Antrag, der in abgestimmter Form über ein Bundesland auf uns zukommt und nichts weiter als das realisiert, was bereits gültige Beschlußlage des Deutschen Bundestags ist, ist wenig hilfreich. Er will nur den Eindruck vermitteln, daß jemand den Wettlauf begonnen hat, diejenigen, die schon konstruktiv und realistisch vorangehen, noch überholen zu wollen. Sie haben als GRÜNE das Thema eben nicht besetzt, sondern dies waren die Koalitionsfraktionen. Nehmen Sie das einmal ruhig hin, und arbeiten Sie mit uns gemeinsam an der Reduzierung der FCKW. ({0}) - Ich habe das als Beitrag zur Unterstützung der Bundesregierung verstanden, was Sie eben gesagt haben. Es ist nett, wenn wir in der heutigen Diskussion gegen Abend schon soweit sind, daß wir einmal die konstruktiven gemeinsamen Elemente herausarbeiten. Meine Damen und Herren, es gibt genügend Maßnahmen, die den Treibhauseffekt eindämmen. Sie reichen von der Energieeffizienzsteigerung über die Energieeinsparung und über die Substitution fossiler Energien durch erneuerbare Energiequellen bis zum Austausch, zum Mix fossiler Energieträger. Damit fundierte und konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Treibhauseffekts und anderer ökologischer Schäden durch den Energieeinsatz beschlossen werden können, die gleichzeitig für einen Konsens und eine langfristig belastbare und tragfähige Energiepolitik geeignet sind, haben wir im Bereich der Enquete-Kommission ein Maßnahmenbündel beschlossen und Studienaufträge vergeben. Es ist wohl einmalig, daß heute insgesamt 70 Institute an 100 Studien arbeiten. Daß dies so geschehen konnte, dafür möchte ich mich bei den Haushältern aller Fraktionen bedanken, die mit dafür gesorgt haben, daß diese Studienaufträge unbürokratisch vergeben werden konnten, damit wir endlich Auskunft darüber bekommen: Wie steht es eigentlich mit den Reduktionspotentialen? Wir müssen vernünftige Grundlagen bekommen. Wenn wir diese Grundlagen haben, sollten wir auch über ökonomische Anreize, über Mechanismen reden, wie wir dies umsetzen können. Und es gibt - da verrate ich Ihnen sicher kein Geheimnis - viele Überraschungen bei diesen Studien. Ich bedanke mich hier noch einmal sehr herzlich bei den Haushältern, ich bedanke mich beim Finanzminister, ich bedanke mich bei der Bundestagsverwaltung für diese unbürokratische Hilfe. - Im übrigen möchte ich jetzt abbrechen, damit die anderen ihre Redezeiten voll in Anspruch nehmen können. Herzlichen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Für den letzten Satz möchte ich mich ausdrücklich bedanken. - Ich erteile das Wort nun der Abgeordneten Frau Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen! Sehr geehrter Herr Präsident! Forschungsausgaben sind die Visitenkarte einer Regierung. Sie zeigen, wohin die Reise gehen soll, was der Regierung die Zukunft unseres Landes wert ist. Denn Wissenschaft und Forschung entscheiden mehr denn je über die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen, über die Qualität von Leben, Arbeiten und Wohnen, über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften, über die Lebenschancen kommender Generationen. ({0}) Entscheidungen über Technikentwicklung und -anwendung sind immer auch Wertentscheidungen, ({1}) Entscheidungen darüber, wie wir künftig leben und arbeiten wollen. Angesichts der weitreichenden Bedeutung technologiepolitischer Entscheidungen können Forschungs- und Technologiepolitik nicht länger als isolierte Teilpolitik eines einzelnen Ressorts betrieben werden. ({2}) Forschungs- und Technologiepolitik sind eine Querschnittsaufgabe. Ich werde deshalb in meinen Ausführungen auch nicht nur Bezug auf den Einzelplan 30, sondern auch auf das Gesamtbudget des Bundes für Forschung und Technologie nehmen. Forschungsausgaben sind Zukunftsvorsorge, Zukunftssicherung. Schenkt man den vollmundigen Erklärungen unseres Kanzlers oder unserem eloquenten Forschungsminister, Herrn Riesenhuber, Glauben, dann ist die Bundesrepublik infolge der Neuorientierung dieser Regierung in der Forschungspolitik für die Zukunft bestens gerüstet. ({3}) Aber, meine Herren und Damen, ist es ein Zeichen erfolgreicher Neuorientierung, ein Schritt auf dem Weg zur Lösung der ökologischen und sozialen Probleme, ein Zeichen gestiegener Bedeutung von Forschung und Technologie, wenn die Ausgaben des Bundes für zivile Forschung im kommenden Jahr bei 11,2 Milliarden DM liegen sollen, also bei rund 3,7 % des Bundeshaushalts, während es acht Jahre zuvor, 1982, noch mehr als 4 % waren? Nominal liegt der Ansatz für das kommende Jahr damit zwar 13,6 über den Ausgaben von 1982, real - und darauf kommt es an -, meine Damen und Herren, stehen damit jetzt aber weniger Mittel für diesen Bereich zur Verfügung als 1982. Diese Politik, die Sie betreiben, diesen Mißbrauch des Forschungshaushalts als Sparschwein wollen Sie doch nicht allen Ernstes als erfolgreiche Forschungspolitik, als herausragenden Beitrag zur Sicherung unserer Zukunft verkaufen. Oder, meine Damen und Herren, drückt sich erfolgreiche Forschungspolitik für Sie in den rasanten Zuwachsraten für die Rüstungsforschung aus? Um sage und schreibe 98,8 % sollen nämlich die Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung im nächsten Jahre gegenüber 1982 steigen. ({4}) Das heißt, daß jede vierte Mark, die der Bund dann für Forschung und Entwicklung ausgibt, den Vorstellungen der Bundesregierung zufolge in die Entwicklung neuer Waffensysteme gesteckt wird. In dem Ausbau der Rüstungsforschung, in dem Einfrieren der zivilen Forschung besteht die eigentliche Umorientierung, die eigentliche Wende der Forschungspolitik. ({5}) Dies, meine Damen und Herren, ist keine positive Bilanz, dies ist eine erschreckende Bilanz. Abstriche dagegen will die Bundesregierung bei der Friedens- und Konfliktforschung vornehmen, obgleich diese mit einem Jahresetat von 3,4 Millionen DM alles andere als üppig ausgestattet ist. ({6}) Dagegen werden wir uns wehren. Gerade jetzt, in einer Phase internationaler Abrüstungsbemühungen und Verständigung, müssen wir die Friedens- und Konfliktforschung ausbauen, ({7}) müssen wir Konzepte der nichtmilitärischen Sicherheit entwickeln, müssen wir die Konversionsforschung vorantreiben, damit es nicht zu einem Konflikt zwischen Abrüstungserfordernis und Beschäftigungsanspruch kommt. ({8}) Ein weiterer Blick auf den Forschungsetat 1990 unterstreicht, daß diese Regierung den Herausforderungen unserer Zeit nicht gewachsen ist. ({9}) Statt die ökologischen und sozialen Probleme kreativ und mit Tatkraft anzugehen, hätscheln und päppeln Sie Ihre Lieblingskinder: die Rüstungs- und die Weltraumforschung - plus 111 % gegenüber 1982 - sowie die Luftfahrtforschung - plus 86,6 % gegenüber 1982. ({10}) Sie alle zusammen werden 1990 rund 39 % der Ausgaben des Bundes für Forschung und Technologie verschlingen. ({11}) Der Forschungshaushalt verkommt damit zum Subventionstopf eines einzigen Mammutkonzerns, nämlich des Daimler-MBB-Imperiums. Dieser Konzern wird künftig mehr als 40 % der Gesamtmittel, die für die Wirtschaft angesetzt sind, haben. Gemessen an der Fürsorge für den Stuttgarter Stern bleibt der vom Bundesforschungsminister immer wieder propagierte Vorrang der Vorsorgeforschung weitgehend uneingelöst. Ausgabenzuwächse in einzelnen Bereichen des BMFT, die wir ausdrücklich begrüßen, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Ausbau der Vorsorgeforschung nicht vorankommt. Von allen Förderbereichen im Bereich der Vorsorgeforschung werden nur die Umwelt-, Klima- und Sicherheitsforschung sowie die Gesundheitsforschung leicht an Gewicht gegenüber 1982 gewinnen, ({12}) wohingegen die Förderung der erneuerbaren Energiequellen - wo es genauso notwendig wäre - , der Humanisierung der Arbeitswelt, der Raumordnung und Bauforschung, der Ernährungsforschung sowie der Landwirtschaftsforschung real und an Gewicht verlieren werden. Im Gesamtergebnis bedeutet das: Der Anteil dieser Förderbereiche an den gesamten Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung wird im kommenden Jahr wie 1982 bei 14,8 liegen. ({13}) Stagnation ist aber kein Zeichen für vorrangigen Ausbau. Die Bedürfnisse und Probleme der arbeitenden Menschen sind für diese Bundesregierung allenfalls ein Restfaktor. Mit der erneuten Kürzung des Haushaltsansatzes zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch den Bundesforschungsminister um 2 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr wird im kommenden Jahr deutlich unter 1 % der Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur Verfügung gestellt. Zugleich wird die Wirksamkeit des Programms durch die Beschränkung von Umsetzungsaktivitäten weiter geschwächt, unterbleibt eine Verknüpfung mit anderen Ressortaktivitäten, wird die Um- und Durchsetzung der Forschungsergebnisse nicht organisiert, werden große Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes von der Förderung ausgeschlossen. Das vorgelegte Programm muß deshalb von Grund auf verändert und die Haushaltsmittel müssen erhöht werden. Kein Thema ist, wie fast schon zu erwarten, für die Bundesregierung die Frauenforschung. Weder verfügt sie über ein konsequentes Förderprogramm noch ist zu erkennen, welche Schwerpunkte hier überhaupt verfolgt werden sollen. ({14}) Die Absicherung der Frauenforschung, insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung und dort, wo es um Interdisziplinarität geht, ist völlig unzureichend. Die gegenwärtige Förderpraxis wird zudem den strukturellen Gegebenheiten, der Situation von Frauen im Wissenschaftsbereich, in keiner Weise gerecht. Zugleich fehlt jegliche Forschungsinfrastruktur in diesem Bereich. Dies muß anders werden. ({15}) Forschungspolitik darf sich eben nicht länger auf die Problembeschreibung, auf die Ablagerung von Ergebnissen auf einem Datenfriedhof, auf die Symptombehandlung, die Reparatur bereits eingetretener Schäden beschränken. Eine aktive, sozial- und umweltvertägliche Forschungs- und Technologiepolitik erfordert die rechtzeitige und sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken neuer Technologien, die umfassende Abschätzung der Technikfolgen, das Aufzeigen und die Erörterung von alternativen Entwicklungsmöglichkeiten, die offene Diskussion über die mit der technischen Entwicklung verbundenen Probleme und Ziele. Wir fordern, daß für jede relevante Technologie umfassende TA-Prozesse - keine bloße Untersuchung von Teilaspekten - durchgeführt werden, die auch als solche entsprechend im Haushalt ausgewiesen werden. Ansätze zur Problemlösung, Modellvorhaben und Pilotprojekte zur Umweltsanierung, zur Schaffung einer humaneren Arbeitswelt und einer umweltverträglichen Ökonomie dürfen nicht länger auf der Strecke bleiben. Hier muß endlich geklotzt und darf nicht länger gekleckert werden. ({16}) Forschungspolitik muß eine Vorreiterrolle beim ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft haben. ({17}) Sie muß eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, das die Maßnahmen der Förderung von Forschung und Entwicklung mit solchen zur Markteinführung gesellschaftlich erwünschter Techniken sowie mit Maßnahmen zur Entwicklung von Umweltstandards und technischer Normen, mit Verboten, Beschränkungen und steuerlichen Maßnahmen zu einem einheitlichen Konzept verbindet. Eine solche Strategie läßt der Forschungshaushalt nicht einmal in Ansätzen erkennen. ({18}) Perspektiv- und konzeptionslos verfährt die Bundesregierung in der Förderung von Forschung und Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft. ({19}) - Sogar eher eine Untertreibung, Herr Probst! Ausgerechnet über die finanzstarken Großkonzerne schüttet die Bundesregierung das Füllhorn staatlicher Fördermittel aus, ({20}) während die vergleichsweise ohnehin geringen Mittel zur Förderung der klein- und mittelständischen Unternehmen drastisch zusammengestrichen werden. Allein die sechs größten Zuwendungsempfänger - MBB, Siemens, IABG, AEG, Dornier und MTU - hatten 1987 zusammen mit 1,93 Milliarden DM eine Anteil von 39,7 % an den einer Betriebsgrößenklasse zuordnenbaren Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung. Alle klein- und mittelständischen Unternehmen zusammen kamen demgegenüber nur auf einen Anteil von 26,1 %. Wie Sie sich erinnern können, Herr Riesenhuber, haben Sie diese Angaben auch im Forschungshaushalt bestätigt. Die Förderung dieser Unternehmen ist für die Bundesregierung damit nur ein lästiges Anhängsel. Oder wie ist es sonst zu verstehen, wenn in dem angeblichen Gesamtkonzept der Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen eine noch stärkere Einbindung dieser Unternehmen in Weltraumprojekte, z. B. bei Columbus, vorgesehen ist und der Forschungsminister dann bestimmt, daß 2 % der auf die bundesdeutschen Unternehmen entfallenden Anteile an Columbus an Klein- und Mittelbetriebe gehen müssen? Im Schnitt, meine Damen und Herren - man höre! - , entfallen aber ohne regulierende Eingriffe des Ministers bereits 7 % der Mittel auf kleine und mittlere Unternehmen. Oder wie ist es zu verstehen, daß die Kostenexplosion bei den Weltraumprogrammen dazu führt, daß ganze Subsysteme, die von kleinen und mittleren Firmen entwickelt werden sollten, nunmehr als Hardware in den Vereinigten Staaten mit Mitteln des Forschungshaushaltes eingekauft werden sollen? Die von der Bundesregierung immer wieder betonte Bedeutung kleinerer und mittlerer Unternehmen für die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft steht im klaren Widerspruch zu ihrer tatsächlichen Förderpolitik. Ganze Programme werden im kommenden Jahr zusammengestrichen, ohne daß Ersatz geplant ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, Sie haben geschickterweise Ihr Manuskript auf das Zeichen „Präsident" gelegt, damit Sie sich nicht durch mich stören lassen. Aber mich befreit das nicht davon, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Redezeit mehr als überschritten ist.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich danke für Ihre Großzügigkeit. Ich werde jetzt auch ganz geschickt zum Ende kommen. ({0}) Dagegen werden wir uns für die Aufstockung dieser Mittel und für die Einrichtung eines Programmes „Mikrosystemtechnik" für kleinere und mittlere Unternehmen einsetzen. Wir werden uns vor allen Dingen auch für eine vernünftige Einbeziehung der Klein- und Mittelbetriebe in die einzelnen Förderprogramme einsetzen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin hier als Vertreter der Union und nicht der Mittelstandsvereinigung, kann gleichwohl ordentlich rechnen und habe festgestellt, daß die Kollegin in ihrer Rede und in ihren Aussagen, obwohl sie viele Zahlen vorgetragen hat, bedauerlicherweise so gut wie keine einzige zutreffende Zahl gebraucht hat. ({0}) - Ich möchte es ganz kurz und ganz knapp machen. Wir geben in der Bundesrepublik für Forschung etwa 60 Milliarden DM aus, die Unternehmen und die öffentliche Hand gemeinsam. ({1}) Das ist mehr als der Verteidigungshaushalt. Von diesem Anteil von rund 60 Milliarden DM an Forschungsmitteln - der noch sachkundigere Kollege sagt, es ist sogar noch mehr - übernimmt der Forschungshaushalt einen Betrag von 7,85 Milliarden DM. Das sind nach dem Entwurf 400 Millionen DM mehr als im laufenden Jahr. Führt man sich das vor Augen, kommt es einem schon einigermaßen merkwürdig vor, wenn davon gesprochen wird, wir würden Geld einsparen, vor allen Dingen in den Bereichen, die besonders wichtig sind. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Herr Vosen, insbesondere das, was Sie im letzten Dreivierteljahr zum Thema Forschung von sich gegeben haben, von einer Mitarbeiterin durchlesen zu lassen. Sie war mir darüber sehr böse. Aber sie hat dabei zusammengetragen, welche SPD-Aussagen über die Forschungspolitik dieser Bundesregierung in der Vergangenheit gemacht worden sind. Da wird ständig davon geredet, daß wir keinen Spielraum hätten, weil zuviel für Investitionsruinen ausgegeben werden müsse. ({2}) Heute haben Sie, was ja auch viel besser zu Ihnen paßt, von Urviechern gesprochen. ({3}) Sie haben von Riesenspielzeugen und anderen Dingen gesprochen. Da werden erwähnt: der Schnelle Brüter, der Hochtemperaturreaktor, neuerdings auch Transrapid oder die Raumfahrtprojekte Columbus und Hermes. Hierzu kann man ganz wenige, klare Fakten vortragen. Zum Thema Kernenergie, das in der Energie- und Umweltdebatte eine wesentliche Rolle gespielt hat. Von den 22 Leistungsreaktoren in Kernkraftwerken, die in der Bundesrepublik stehen, sind die letzten 19 - die ersten drei nicht - in der ersten Teilerrichtungsgenehmigung von SPD-Forschungsministern und SPD-Innenministern genehmigt worden. ({4}) 19 von 22 Kernkraftwerken! Das gilt übrigens auch für den Schnellen Brüter, den Sie heute gerne loswerden wollen. ({5}) Die erste Genehmigung für den Schnellen Brüter in Kalkar stammt aus dem Jahre 1972. Die erste Genehmigung für den Hochtemperaturreaktor stammt aus dem Jahre 1971. Das sind also uralte „Ruinen", uralte Geschichten, die Sie uns durch eine Doppelstrategie anzuhängen versuchen, indem Sie auf der einen Seite sagen: Das muß abgebaut werden; damit haben wir nichts zu tun, auf der anderen Seite „kalkarisieren", d. h. das Genehmigungsverfahren so betreiben, daß es nicht ordentlich zu Ende geführt werden kann, und dann schließlich fordern: Ihr müßt endlich damit aufhören, weil es gar nicht weitergeht. Während Herr Rau in Düsseldorf dafür sorgt, daß beide Projekte nicht in Betrieb genommen werden, wird das Ganze hier ideologisch mit der Forderung begleitet, wir sollten endlich davon lassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vosen zuzulassen?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Austermann, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Forschungsminister sehr glücklich darüber ist, daß die letzte Teilerrichtungsgenehmigung für den Schnellen Brüter nicht erteilt wird, weil es ihn nahezu 1 Milliarde DM kosten würde, wenn er ans Netz geht? Glauben Sie nicht, daß der Forschungsminister glücklich ist, wenn die letzte Teilerrichtungsgenehmigung nicht erteilt wird?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist mir ganz neu, daß Sie die Absicht haben, den Forschungsminister glücklich zu machen. Ich gehe davon aus, daß es sinnvoll wäre, den Schnellen Brüter sobald wie möglich ans Netz gehen zu lassen. ({0}) - Ich halte das auch forschungspolitisch für interessant und richtig. Ich glaube, daß man auch deutlich sagen muß, daß man diese Politik, die nach wie vor ein klares Ja zu einer umweltfreundlichen Energieversorgung bedeutet - während sie die CO2-Lobby betreiben; anders kann ich das nicht nennen - , verantwortlich bei größerer Sicherheit fortsetzen kann. Im übrigen ist es wohl richtig, wenn ich feststelle, daß wir mehr als jede andere Regierung, auch in Europa, für erneuerbare Energieträger leisten. ({1}) Wir haben das größte Windenergieprogramm in Angriff genommen, das überhaupt irgendwo verwirklicht worden ist. Ich glaube, es ist richtig, daß wir in diesem Jahr auch ein Programm im Bereich der Sonnenenergie in Angriff nehmen. Allein dieses Programm hat eine Größenordnung von 1 Milliarde DM. Wir stellen heute fest, daß dies ein „Renner" ist, es sei denn, der Herr Jansen in Kiel, der zweite CO2-Lobbyist, versucht nicht auch hier neue bürokratische Hürden aufzubauen, was er in den letzten Wochen und Monaten mit seinen Richtlinien für die Förderung der Windenergie gemacht hat. Diese Richtlinien gehen etwa in die Richtung, daß am meisten dort gefördert wird, wo am wenigsten Wind ist. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Wo kein Wind ist, wird Windenergie gefördert. Dies kann wohl nicht die richtige Methode sein. Lassen Sie mich ein zweites Thema ansprechen: Transrapid. Wir sind der Meinung, daß auch diese Technologie sinnvoll ist. Es handelt sich dabei um einen Zwischenweg zwischen dem Flugzeug und einem schienengebundenen Verkehrssystem. Wir sind dafür, daß dieses System mit einer Referenzstrecke in Norddeutschland in Betrieb gehen soll. Wir sind auch der Meinung, daß es verantwortlich ist, dies zu unterstützen. Auch hier sind die SPD-Ministerpräsidenten der norddeutschen Bundesländer in letzter Zeit ausgestiegen. Sie haben auf einmal gesagt, sie wollten das nun nicht mehr, nachdem inzwischen 1 Milliarde DM dafür ausgegeben worden ist. Ich sehe, daß Ihnen das inzwischen peinlich ist, denn Sie haben das Thema Transrapid heute nicht angesprochen. ({2}) - Immerhin stehen im Forschungshaushalt 77 Millionen DM für Transrapid bereit. Ich komme zum Thema Raumfahrt. An diesem Thema kann man am ehesten deutlich machen, wie sich Ausgaben für die Forschung in der Zukunft positiv auswirken. Vor wenigen Wochen war in der Zeitung zu lesen, daß 50 Raketen des Typs Ariane IV bestellt worden sind, um damit Systeme, die wir alle brauchen, die wir alle nutzen über Satelliten, in den Weltraum zu schießen. ({3}) - Nein, nein, Sie sind immer dann nicht dagegen, wenn positive Auswirkungen zu erwarten sind, aber Sie sind nicht bereit, Risiken zu tragen. - Von diesen Aufträgen im Raketenbau fließt ein wesentlich größerer Teil an Arbeitsplätze in der Bundesrepublik zu11912 rück, als wir dafür Geld, aus dem Forschungshaushalt z. B., ausgeben. Wir haben im übrigen auch dafür gesorgt, daß die Raumfahrt neu organisiert wird. Dies geschieht mit der DARA. Anstatt das Thema mit uns zu erörtern, sind Sie so kleinkariert und unterhalten sich darüber, ob der persönliche Referent des neuen Leiters der DARA hier oder dort gesucht werden sollte. ({4}) - Selbstverständlich soll er Ahnung haben. Ich gehe davon aus, daß der Leiter auch dafür sorgt, daß auch sein persönlicher Referent ein qualifizierter Mann ist. Ich möchte einen weiteren Bereich ansprechen, in dem Sie aus meiner Sicht in den 70er Jahren zu spät entscheidende Maßnahmen getroffen haben, wobei Sie uns heute vorwerfen, daß wir nicht genug täten, nachdem Sie in der Vergangenheit geschlafen haben. Dies kann man gewissermaßen als eine generelle Arbeitslinie ansehen. Es geht hierbei um das Thema Informationstechnologie. In den 70er Jahren ist nichts passiert. 1982/83 haben wir angefangen, das 4Megabit-Projekt zu unterstützen. Das wurde kritisiert. Es wurde beklagt, daß hier zuviel Geld ausgegeben werde, daß die Großindustrie damit versorgt werde. Heute jammert man, weint Krokodilstränen ({5}) und sagt, wir täten nicht genug für die Erforschung der Informationstechnologie, für das Projekt JESSI. - Sie können davon ausgehen, daß wir das Projekt so schnell wie nur möglich vorangebracht haben. Ein Grundlagenforschungsinstitut wird in Schleswig-Holstein gebaut. Weitere Überlegungen des Landes Niedersachsen werden unterstützt. Aber auch in Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und in Süddeutschland wird es wichtige große Projekte im Rahmen von JESSI geben. Aus diesen wenigen Beispielen wird deutlich, daß mit dem Forschungshaushalt die Zukunft gestaltet wird, daß der Haushalt nach vorn gewandt ist und daß er dafür sorgt, daß Projekte in Angriff genommen werden, die wirklich im Interesse der Bürger liegen. Lassen Sie mich jetzt noch wenige Beispiele stichwortartig nennen. Im Frühjahr wurde ein Umweltforschungsprogramm der Bundesregierung vorgelegt. Wir haben daraus praktische Konsequenzen gezogen mit einem Altlastensanierungsprogramm, das ausgeschrieben worden ist. - Die beispielhafte Reinigung von fünf Flüssen in der Bundesrepublik im Rahmen eines Mehrjahresprogramms ist inzwischen bewilligt worden. ({6}) Wir sind dabei, für die Landwirtschaft in einem Gülle-Forschungsprojekt zusätzliches Geld auszugeben. Wir haben zudem Themen aus dem Bereich der Technikfolgenabschätzung aufgegriffen und z. B. auch die sich immer stärker abzeichnende Problematik des Alterns in Angriff genommen. Lassen Sie mich noch weitere konkrete Beispiele ansprechen. Die Förderbedingungen für die direkte Projektförderung sind verbessert worden. Die betreffenden Regularien galten seit Mitte der 70er Jahre. Wir haben sie entstaubt, vereinfacht und stärker auf die Belange des Mittelstands abgestellt. Die Mittelstandsförderung ist so stark wie lange nicht mehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Hitschler möchte Ihnen eine Frage stellen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sehen Sie all die Projekte, die Sie hier aufgezählt haben, wirklich als wichtiger an als die Frauenkonfliktforschung, die Frau Bulmahn hier bei Ihnen angemahnt hat?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dem Zusammenhang hat mein Nachbar gesagt, daß es eine ganze Menge von Bereichen gebe, die noch nicht erforscht würden, z. B. die Männer. Diese Aussage konnte ich nur unterstützen. Es gibt also eine Menge, was wir nicht tun. Es werden aber auch Forschungen in einer Menge von Bereichen getrieben, die zu erforschen nicht lohnt. Lassen Sie mich jetzt weitere Beispiele erwähnen, die sich positiv verzeichnen lassen. Während im Jahre 1982, meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition, für kleine und mittlere Unternehmen ca. 300 Millionen DM aus dem Forschungshaushalt ausgegeben worden sind, sind es zur Zeit 600 Millionen DM, d. h. doppelt soviel. - Ich glaube, Sie sollten einmal Ihre eigene Position überdenken. Ich nenne ein anderes positives Beispiel, nämlich die Fertigungstechnik. Die Mittel, die dafür zur Verfügung stehen, sind inzwischen vollständig gebunden, obwohl für die Ausgabe der Mittel ein Zeitraum bis 1992 vorgesehen worden ist. Wenn heute jemand einen Beweis dafür haben möchte, daß dieses Land auf dem Gebiet der Technologie Spitze ist, daß wir jede Kraft, die wir haben, wirklich brauchen, um all das, was im Forschungsbereich entwickelt worden ist, umzusetzen, dann kann man dies an einem Punkt deutlich machen, nämlich an der Tatsache, daß es praktisch nirgendwo hier in diesem Land arbeitslose Ingenieure gibt. ({0}) Dies gilt im übrigen auch für Facharbeiter. Gestern noch rief mich ein Unternehmer aus meinem Wahlkreis an, der wissen wollte, woher er für einen ganz bestimmten Bereich ganz bestimmte Facharbeiter bekommen könnte. Er wartet dringend auf Landsleute aus Mitteldeutschland, die sich in seinem Betrieb engagieren können. ({1}) Nichtnukleare Energien habe ich bereits angesprochen. Das gilt auch für die Klima- und Ozonforschung und für die Altlastensanierung. Sie haben in den 70er Jahren - dies, so glaube ich, kann man gar nicht deutlich genug sagen - die Modernisierung unserer Wirtschaft, das Offnen für Zukunftsinvestitionen verschlafen. Das Beispiel Mikroelektronik habe ich erwähnt. Sie haben den großen Schritt im Bereich der Umweltforschung verschlafen, während wir heute entsprechende Mittel bereitstellen. Der Forschungsminister hat für seinen Haushalt einen Entwurf vorgelegt, den wir als sehr positiv ansehen. Wir gehen davon aus, daß im Laufe der Beratungen noch manche kleinere Korrektur vorgenommen werden kann. Nach der endgültigen Verabschiedung wird deutlich werden, daß dieser Forschungshaushalt, unsere Forschungspolitik Zukunftsgestaltung im Interesse der Menschen, der Arbeitsplätze und der Umwelt ist. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rust.

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Bundesminister für Forschung und Technologie legt uns heute einen Etat vor, der alle Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre kontinuierlich fortschreibt. ({0}) Dieser Etat ist ein herausragendes Beispiel der zweifelhaften Kontinuität, die uns Herr Waigel am Montag angekündigt hat. Angesichts der ständig fortschreitenden ökologischen Krise unseres Wirtschaftssystems wird mehr als eine Milliarde DM für Weltraumfahrt verpulvert. Das sind fast 15 % des gesamten Etats. Bis 1993 soll diese Summe laut mittelfristiger Finanzplanung auf 1,7 Milliarden DM ansteigen. Das wäre dann ein Fünftel des Etats. Der Minister kündigt zwar vollmundig an, den steigenden Finanzbedarf bei Fortschritt der Raumfahrtprojekte aus anderen Etats decken zu lassen, aber der Finanzminister scheint keinerlei Anstalten zu machen, diesen Riesenhuberschen Wunsch zu erfüllen. Und so läßt der Minister dann schon mal vorsichtshalber öffentlich fallen, einen Anteil von 20 bis 22 % halte er durchaus noch für vertretbar - auf Kosten aller anderen Projekte, versteht sich. Von solchen Steigerungsraten oder gar Anteilen am Etat können umweltpolitisch sinnvolle Projekte nur träumen. Beim Blick auf die Posten für erneuerbare Energiequellen ändert sich zuerst einmal die Größeneinheit, in der das Geld gezählt wird. Aus der lichten Höhe der Milliarden fallen wir herunter in die Niederungen der Millionen. ({1}) Der prozentuale Anteil an den Gesamtausgaben beträgt 1989 gerade 3,6 %. Und der Blick in die mittelfristige Planung verrät, daß es bei dieser Dimension auch bleiben soll. Ganze 3,4 % sind für 1993 veranschlagt. Schon an diesem einen Posten zeigt sich, daß die Regierung mit einer Energiewende nichts im Sinn hat, weder heute noch morgen. Einer Energiewende, die dringend geboten ist und von der Mehrheit der Bevölkerung ausdrücklich gewünscht wird, verweigern Sie die nötige finanzielle Unterstützung zugunsten von technischen Großprojekten, die weder forschungs- noch umweltpolitisch geboten sind. ({2}) - Kommt noch, kommt noch. Hören Sie zu! Im Wissen um die Klimaproblematik fördern Sie mit 104 Millionen DM die Entwicklung eines Hyperschallflugzeuges, von dem heute schon bekannt wird, daß sein Einsatz im interkontinentalen Linienverkehr regelrechte Schneisen in die Ozonschicht fräsen würde - ein umweltpolitisch unverantwortliches Unterfangen, das auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgemachter Unfug ist. Als ob nicht der THTR schon warnendes Beispiel genug wäre! ({3}) 60 Millionen DM werden wohl nach den gestrigen Kabinettsbeschlüssen am Bundeshaushalt hängenbleiben, allein zur Konkursabwendung beim Betreiber. Weitere Kosten zeichnen sich schon ab. Für den Schnellen Brüter sind 1990 und, interessanterweise, auch in den Folgejahren jeweils 80 Millionen DM vorgesehen, obwohl das Scheitern auch dieses einst ehrgeizigen Modellprojektes schon die Spatzen von den Kühltürmen pfeifen. Für die Markteinführung - jetzt kann der Kollege mal zuhören, der vorhin nach den Alternativprojekten gefragt hat - von Techniken zur Nutzung regenerativer Energiequellen werden nach wie vor die erforderlichen Mittel verweigert, während für SackgassenTechnologien auch mittelfristig weiter Geld verpulvert werden soll. Wer so plant, Herr Riesenhuber, der ist davon überzeugt, sich auch weiterhin die Kraftprobe mit Erde, Wasser und Luft leisten zu können. Eine ökologische Alternative haben Sie nicht zu bieten, nicht im nächsten Jahr und nicht in den Jahren danach. ({4}) Wirksame Umweltpolitik kann nicht mit dieser Regierung, sondern nur gegen sie durchgesetzt werden. Dafür bürgen auch andere Posten Ihres Haushaltsplanes, die zwar wohlklingende Namen tragen, deren prozentualer Anteil an den Gesamtausgaben des Etats aber eine ganz andere Sprache spricht. Da findet sich die ökologische Forschung, deren Anteil 1993 2,9 % betragen soll. Ein Posten namens umweltschonende und Umweltschutztechnologien erreicht 1993 2,3 %. Die Wasserforschung bleibt konstant bei 0,3 %. Und die Klimaforschung wird zwischen 1989 und 1993 von sage und schreibe 0,5 % auf stolze 0,6 % ansteigen. ({5}) Diese Steigerungsraten, Herr Riesenhuber, sind umweltpolitische Bankrotterklärungen. Ein Minister für Forschung und Technologie, der immer wieder öffentlich verkündet, die Gen- und Biotechnik sei die sanfte Chemie der Zukunft, der hat weder von den Ursachen noch von den Folgen der ökologischen Krise etwas begriffen. ({6}) Wer angesichts der existentiell bedrohlichen Risikopotentiale der Gentechnik von „sanfter Chemie" spricht, der treibt Schindluder mit der Umwelt, Herr Minister, ({7}) und er begeht den Versuch einer gefährlichen Täuschung der Öffentlichkeit, die angesichts einer Regierungspolitik mit Recht hochalarmiert ist, die an der Förderung von Risikotechniken trotz breiter öffentlicher Ablehnung langfristig festhalten will. ({8}) Vorausschauende und umweltpolitisch verantwortliche Regierungspolitik müßte ganz andere Schwerpunkte setzen: Forschung und Entwicklung zur Ersetzung von Chlor in der chemischen Produktion, Alternativen zur Gentechnik, begleitende und vorausschauende Risikoforschung, die sich nicht nur auf die naturwissenschaftlichen Risiken konzentriert, sondern endlich einmal ernst nimmt, daß technische Entwicklung, wie sie bisher betrieben wurde, zunehmend Form und Inhalt unseres Lebens fremdbestimmt. ({9}) Technischer Fortschritt ist nicht mit gesellschaftlichem Fortschritt gleichzusetzen. Das ist der Stand des öffentlichen Bewußtseins von 1989. Von diesem Erkenntnisstand, der ein Erfolg nicht zuletzt der Umweltbewegung ist, ist die Regierung so weit entfernt wie eh und je. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre, unterschiedliche Erwartungen sind auf mich gerichtet. Ich werde dem nicht gerecht werden können. Ich möchte einleitend gerne das Stichwort von der Visitenkarte aufnehmen, das Sie, Frau Kollegin, genannt haben. Ich meine in der Tat, daß der Forschungsbereich und der Forschungsetat eine gute Visitenkarte dieser Regierung ist - bei der Person des Forschungsministers scheint das unstrittig zu sein -, der Forschungsetat in seinem Volumen und in seiner Struktur. ({0}) Man reibt sich manchmal etwas verwundert die Augen, wenn man die Kommentierung von den GRÜNEN, aber auch von Teilen der SPD zur Kenntnis nimmt und versucht, ein bißchen Revue passieren zu lassen, wer eigentlich für welche Teile in diesem strukturierten Haushalt verantwortlich ist. Jupp Vosen, hier scheint das Gedächtnis außerordentlich kurz zu sein. ({1}) - Sagen wir es definitiv: wirklich sehr kurz ist. Ich werde nach ein paar Zwischensätzen auf dieses Thema noch etwas ausführlicher zu sprechen kommen. Wir haben erst einmal festzustellen - hier habe ich Gemeinsamkeiten zwischen allen Teilen des Hauses festgestellt -, daß der Forschungsbereich insgesamt für die Beschäftigungslage, für den Wohlstand in unserem Staat von außerordentlicher Bedeutung ist, ({2}) wenn auch später die Akzente teilweise unterschiedlich gesetzt worden sind. Man muß einmal in aller Nüchternheit sagen, daß das ein Schlüsselhaushalt für Arbeitsplätze, für Wohlstand eines Staates ist, den man in einer Stunde von Nord nach Süd überfliegen kann, der über 60 Millionen Einwohner hat, der aber das viertgrößte Sozialprodukt auf dieser Erde produziert. Der Wohlstand, der dadurch für unsere Bundesbürger erzielt wird, ist nur möglich, wenn wir einen ganz starken Akzent auf Wissenschaft, Forschung und Entwicklung setzen. ({3}) Ich freue mich - das möchte ich festhalten -, daß das insoweit unstrittig ist. Es ist sicherlich auch richtig, daß Forschung nur in einer Gemeinschaftsleistung zu einem guten Ausmaß und zu einer guten Qualität geführt werden kann. Es ist nicht nur eine Gemeinschaftsleistung, sondern wird auch durch andere Haushalte finanziert, Frau Kollegin. Sie sind mit einer besonderen Betonung und einer besonderen Kommentierung weitgehend im Rüstungsbereich hängengeblieben und haben das ein wenig abfällig und der Sache nicht gerecht werdend als eine Rüstungsforschung deklariert. Richtig ist, daß auch in anderen Etats Forschungs- und Entwicklungsaufwand zu Hause ist. Das gilt für den Verteidigungsbereich. Das gilt für den Postbereich. Das gilt für den Agrarbereich. Das gilt auch für den Wirtschaftsbereich. Das gilt auch für den Gesundheitsbereich und den Sozialbereich. In vielen Bereichen sind noch Forschungsanteile da. Um so zufriedener sind wir, daß mit dem Etat dieses Hauses ein Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung gesetzt wird. Dazu kommen andere Etats. Dazu kommt vor allem die gebündelte und außerordentlich hohe Forschungsleistung aus den Unternehmen. Es sind 25 000 Unternehmen, die den weitaus größeren Teil an Forschungs- und Entwicklungsaufwand hinzufügen. Diese Regierung kann sich allerdings etwas darauf zugute halten, daß sie mit ihrer Schlüsselförderung aus dem Etat des Einzelplans 30 Signale für verstärkte Forschung im Wirtschaftsbereich gesetzt hat. ({4}) Denn dort haben wir einen hohen Anstieg festzustellen, in den meisten Bereichen, wie ich meine, in der richtigen Richtung. Da kann man auch nicht sagen: Das ist vielleicht die Forschung von einigen ausgesuchten großen Unternehmen. 25 000 Großunternehmen haben wir nicht in diesem Staat. Dabei ist die große Masse der Mittelständler und auch der Kleinen, die einen guten Anteil dieser Forschung und damit des Wohlstands und der Arbeitsplätze unseres Staates und der Bevölkerung sichergestellt haben. ({5}) All das ist sehr wichtig für die Standortqualität dieser Bundesrepublik Deutschland. Jetzt möchte ich mir einige Bereiche herausnehmen. Zum Stichwort der Visitenkarte, Herr Vosen: Ich habe wirklich hypnotisierende Reden gehört, aber meistens von Sprechern in der verbundenen Debatte aus Ihrem Lager, immer dort hinschauend, weil man nicht wußte, wer meint jetzt was. Sie sagen: Die Großforschungsprojekte sind sinnlos. ({6}) Ich habe hier gestern Herrn Daubertshäuser in der Verkehrsdebatte gehört, auch Herrn Wieczorek, der, aus welchen Gründen auch immer, den Transrapid gar nicht so schlecht fand - um auch einmal ein Großforschungsprojekt zu nennen. Sie verdammen das alles in Bausch und Bogen. ({7}) Sie verdammen Projekte, die unter Ihrer Regierungszeit begonnen worden sind, z. B. der Hochtemperaturreaktor zur Veredelung der Kohle. Herr Lennartz kommt aus einem Landkreis, wo er, glaube ich, Landrat ist, wo Braunkohle gefördert wird. Wenn Sie an der Grenze wohnen, finden Sie die Schwaden aus der DDR und aus der Tschechoslowakei überhaupt nicht gut. Hier singen Sie jetzt das Loblied und sagen den eigenen Leuten: CO2 ist gefährlich! Auf der anderen Seite wird Braunkohle gefördert und auch von Ihnen protegiert. Andere wollen das wiederum gar nicht. Nun klären Sie einmal auf Ihrer Visitenkarte diese Widersprüchlichkeiten auf! ({8}) Kohle und Kernenergie sind durchaus ein sinnvolles Stichwort, über das man sprechen kann. Einige wollen aber bei Ihnen jetzt wirklich nur noch Kohleförderung fördern, andere wollen gar keine, die wollen nur noch Kernenergie. Viele haben überhaupt keine Meinung mehr. ({9}) Der Hochtemperaturreaktor ist 1971 genehmigt worden als eine Maßnahme zur Verbesserung der kohletechnologischen Entwicklung. Der Brüter, daran kann ich mich selbst erinnern, ist, glaube ich, vom Minister Matthöfer unterschrieben worden. Sie haben die ganze Sache doch politisiert. Wenn die Demonstrationsprojekte jetzt stillgelegt werden, dann doch nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil ein Sinneswandel in Ihrer Partei mit Blick auf Bevölkerungstendenzen stattgefunden hat. Sie knicken davor ein und wollen diese Projekte stillegen, ({10}) die Sie selber in Ressortverantwortung auf den Weg gebracht haben. Das ist doch der Punkt. Da gibt es doch überhaupt kein Vertun. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich bin mit dabei gewesen, als der Kanzler Schmidt es zu einer Vertrauensfrage hat werden lassen, ob die SPD und, damals, die FDP für die Fortführung des Brüterprojektes stimmt. Gucken Sie einmal in die alten Debattenbeiträge, ob es so war oder nicht. Heute stellen sich alle hin und sagen: Der Brüter taugt nichts! Der Hochtemperaturreaktor taugt nichts! Das war einmal eine Kanzler- und Regierungsfrage in diesem Hause. Prüfen Sie sich dann einmal, welche Argumente Sie jetzt zu diesen populistischen Wendungen geführt haben. Dann kommen wir der Wahrheit mal ein Stück näher. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie nun bereit, eine Frage des Abgeordneten Vosen zu beantworten?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Zywietz, die Geschichte kennen wir alle. Ich widerspreche da nicht. ({0}) Nur, ist es nicht so, daß sowohl bei Wackersdorf als auch beim Hochtemperaturreaktor die Industrie die Anträge auf Abschaltung, Stillegung und Verlassen dieser Projekte gestellt hat? Ist es nicht so, daß es auch beim Schnellen Brüter erste Andeutungen aus der Industrie gibt?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, wir wollen doch nicht alles vermischen. Erst einmal stellen wir fest, unter wessen Verantwortlichkeit diese Projekte, und aus der damaligen Sicht auch mit einiger Sinnhaftigkeit, begonnen worden sind. Wie die Angelegenheit weitergeht, das ist allerdings jetzt nicht in drei Minuten zu klären. Nur eines ist meine Überzeugung ({0}) - das will ich Ihnen sagen, Herr Dreßler - : Energieforschung in diesen und anderen Bereichen müßte stärker von denen betrieben werden, die Energie produzieren und auch verkaufen. In anderen Branchen betreiben die auch die Forschung, die Autos, Pharmaprodukte und sonstiges verkaufen. Warum soll eigentlich nicht die gesamte Elektrizitätsbranche, die das Produkt Strom verkauft, nicht auch verstärkt Stromforschung betreiben? Ich bin gar nicht scharf darauf, daß wir mit Anteilen wie bisher diesen Bereich fördern. Ich halte das für eine ureigenste Verantwortlichkeit der Branche. Darüber könnten wir uns meiner Meinung nach gut unterhalten, ob wir hier nicht eine noch weitergehende Verlagerung dieser Forschungsaufgaben zu denen, die auch das Produkt verkaufen, und die geschützte Preise bekommen, vornehmen sollten. Sie brauchen ihre guten Preise, die noch staatlich beaufsichtigt werden, auch in NRW. Schauen Sie einmal nach, wer die RWE-Strompreise für die Privatkunden und die Industrie prüft? Man kann sich offensichtlich ganze Ölfirmen davon kaufen. Dann über11916 prüfen Sie einmal, wer solche Preise genehmigt hat, daß man Ölfirmen kaufen kann und sich von der Stromforschung für die Zukunft so weit zurückhält!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, die Abgeordnete Frau Unruh möchte auch noch eine Zwischenfrage stellen.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Oh ja. - Zur Frauenforschung? Die sollten wir nicht staatlich betreiben!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Frau Kollegin!

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage betrifft nicht die Frauenforschung, aber wenn Sie sie schon erwähnen, möchte ich sagen: Die Frauenforschung ist genauso wichtig wie die Männerforschung. ({0}) Sie wissen, die Verrohung der Gesellschaft schreitet voran. Aber jetzt zu meiner Frage. Finden Sie es nicht mehr als peinlich, wie Sie von der Regierungsseite und Sie von der SPD, seinerzeit Regierungsseite, heute Oppositionsseite, sich um die Ohren hauen, wer nun an den Kernkraftwerken schuld ist? Haben Sie zur Kenntnis genommen, daß die Menschen draußen den Jahrtausende strahlenden Müll nicht mehr haben wollen? ({1})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir ist überhaupt nichts peinlich, wenn es darum geht, die Wahrheit zutage zu fördern, und darum spreche ich hier. Wir haben in dieser Frage immer die Position vertreten, daß die Kohleförderung sein muß, daß aber - nach Lage der Dinge - auch Kernenergie möglich sein muß. Das ist hier jetzt nicht weiter auszuführen. ({0}) Wir haben auch immer dafür plädiert, eine vorsichtige Entwicklung in diesem Bereich zu steuern. Es gab einmal ganz andere Zahlen für Kernkraftwerke und ganz andere Überlegungen zu Megawatt-Zahlen. Sie müssen einmal die Stromversorger selbst fragen, welche Prognosen die gemacht haben. Wir haben für Vorsicht plädiert und für umsichtige Sicherheitsvorkehrungen. ({1}) Von dieser Strategie brauchen wir überhaupt nicht abzurücken. Wenn andere von ihrer Strategie abrükken, muß ihnen einmal der Spiegel vorgehalten werden. Das gehört auch zu einer politischen Debatte. Da im Verlauf der Debatte immer vom ökologischen Umbau die Rede gewesen ist, da der Eindruck vermittelt worden ist, es müsse jetzt alles ganz neu gemacht werden, möchte ich einmal daran erinnern, daß wir ökologischen Nachhilfeunterricht schon über zwei Energiekrisen bekommen haben, 1973 und 1978. Ich kann mich auch daran erinnern, daß wir infolge dieser nichtgewollten Fingerzeige eine Energiesparpolitik und eine Politik der alternativen Energien eingeleitet haben. Das haben wir kontinuierlich durchgehalten und kontinuierlich ausgebaut. Nur, wenn jetzt darangegangen wird, per Staatlicher Steuererhöhung einen dritten Öl- und Energiepreisschock zu produzieren, so kann ich dem überhaupt nicht folgen; denn damals hat die SPD/FDP-Regierung auf die unfreiwillige Verteuerung der Energie - die unfreiwillige Verteuerung! - mit Konjunkturprogrammen reagiert, d. h. wir haben versucht, die gesamtwirtschaftlichen Folgen gering zu halten. Sie wollen jetzt im Grunde genommen durch die Verteuerung sozusagen einen dritten Energiepreisschock verursachen ({2}) mit all diesen konjunkturellen Wirkungen, die wir damals mit Krediten gering zu halten versuchten, an denen wir noch heute zurückzahlen. Worin da die Sinnhaftigkeit liegen soll, ist mir auch bei ernstem Zuhören bisher nicht ersichtlich. ({3}) - Nein, das ist nichts anderes. Ein Gutteil der Energiesparprojekte sind erledigt. Altbauten kann man nur einmal isolieren, und die neuen Häuser werden ja nach dem neuen Standard hergerichtet. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Ich muß jetzt etwas sagen. Ich stoppe auch die Zeit. - Wir liegen eine Stunde zurück. Obwohl ich an einer lebhaften Debatte interessiert bin, kann ich im Interesse der Bediensteten dieses Hauses bei Zwischenfragen und Antworten darauf nicht mehr auf die Anrechnung auf die Redezeit verzichten. Anders ist das einfach nicht mehr zu machen. Ich bitte die Redner und die Fragesteller, sich darauf einzustellen und das bei der Zustimmung zu Zwischenfragen zu beachten. Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, nun fortzufahren. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe noch eine Minute oder zwei Minuten von den mir eingeräumten zehn Minuten Redezeit. - Ich möchte feststellen, daß wir von der FDP der Grundstruktur und der Tendenz dieses Haushalts zustimmen, weil er Kontinuität auf hohem Niveau signalisiert und auch einige neue Akzente setzt. ({0}) Ich möchte hinzufügen, daß wir eine positive Grundeinstellung zur Luft- und Raumfahrtaktivität haben. Genau diese grundsätzliche Zustimmung erlaubt es uns und auch mir zu sagen, so meine ich, daß wir darauf zu achten haben, daß es nicht zu einer unguten Drangsalierung oder einem Verdrängungseffekt im Hinblick auf die Aktivitäten aus dem Luft- und Raumfahrtbereich kommt. ({1}) Ich bin der Meinung, daß hier nicht in einem überzogenen Tempo, in 30 oder 40 Jahren, alles geschehen muß, was in Tausenden von Jahren in der Menschheitsgeschichte nicht erreicht werden konnte. ({2}) Die Industriestaaten wären gut beraten, so glaube ich, sich hinsichtlich der Vorgehensweise - bemannte/ unbemannte Raumfahrt - ein bißchen ins Benehmen zu setzen und auch einige Projekte aufeinander abzustimmen. ({3}) Etwas mehr Ruhe in der Generalentwicklung schiene mir schon ein Punkt zu sein, der zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, auch der Sowjetunion, soweit das möglich ist, und den führenden Industriestaaten Westeuropas, zu denen wir gehören, abgestimmt werden könnte. Das ist ein grundsätzliches Ja zu diesem Bereich, auch zu den Umstrukturierungen, die mit der Managementbehörde DARA versucht werden. Hoffentlich gehen die Vorstellungen auch in Erfüllung, möchte ich an dieser Stelle mal etwas sibyllinisch sagen. Aber Vorsicht und Umsicht sind sicherlich geboten, damit auch die Relation von Einsatz und Ergebnis für eine mittlere Macht wie die Bundesrepublik Deutschland stimmt. Abschließend möchte ich sagen: Wir sind für diesen Etat, denn wenn man sich umschaut, wo Arbeitsplätze gesichert sind und neue geschaffen werden, dann stellt man immer fest, daß dort, wo geforscht wird, wo entwickelt wird und sich möglichst auch in räumlicher Nähe Industrien ansiedeln, die Arbeitsplatzsicherheit und die Arbeitsplatzausstattung am besten sind, und das gilt auch für den wirtschaftlichen Wohlstand, der uns für die Menschen immer noch ein zentrales Anliegen ist. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte mich hier für diese Debatte bedanken. Ich möchte mich insbesondere für die Beiträge der Kollegen Austermann und Zywietz bedanken, die eine Reihe von Punkten sehr konkret aufgearbeitet haben, denen ich nur zustimmen kann. Insofern will ich auch auf eine Reihe von Fragen nicht eingehen. Ich will auch die Diskussion, die wir heute vormittag über drei Stunden im Ausschuß zum THTR 300 geführt haben, hier nicht wiederholen. Ich möchte auch Einzelpunkte, wie den letzten Punkt, der vom Kollegen Zywietz aufgegriffen worden ist, nicht mehr im einzelnen durchdeklinieren. Die Richtigkeit seiner Aussage, daß man bei den Weltraumprojekten durchaus prüfen soll, ob man nicht langsamer herangehen kann, als es ursprünglich mal vorgesehen war, hat sich schon nach den Budgets der letzten Jahre gezeigt, denn Sie werden sehen, daß insbesondere bei den drei Großprojekten die Mittelabflüsse geringer waren, als es damals angenommen worden ist, und auch dies paßt in einen vernünftigen Rahmen. ({0}) - Was hier Glück ist und was Ergebnis einer vernünftigen Arbeit ist, wollen wir nicht unterscheiden. Das Wichtigste ist, daß das Ergebnis stimmt, und das Erfreuliche bei der Politik, die wir treiben, ist, daß das Ergebnis in einer vorzüglichen Weise stimmt, und das gilt nicht nur für den Forschungshaushalt. Was wir hier heute haben - ich begrüße das sehr -, ist eine Generaldebatte in einer ersten Lesung. Das ist beim Forschungsetat nicht sehr häufig gewesen. Insofern möchte ich einige der grundsätzlichen Überlegungen hier aufgreifen. Der Zuwachs von 5 % ist ein guter Zuwachs. Er war in der jetzigen Situation notwendig. Der Haushalt von 7,855 Milliarden DM ist - ({1}) - Entschuldigen Sie, Sie können wirklich ausrechnen, wieviel im Jahr 1989 verfügbar ist - das ist im Haushalt ausgedruckt - und wieviel im Jahr 1990 verfügbar ist, was auch im Haushalt ausgedruckt ist. Die Differenz läßt sich hier durch Substraktion ermitteln, und dann läßt sich eine Bruchrechnung anwenden, ({2}) und die führt dann zu einem Zuwachs von 5 %. ({3}) - Nein, ich vergleiche hier nur verfügbares Soll mit Soll 1990. Herr Vosen, ich bin das einfach leid; wir haben das im Mai hier bis in die Puppen ausdekliniert. Ich bin auch gern bereit, das im Ausschuß nochmals vorzurechnen, ({4}) aber die Zeit der Plenardebatte hier mit derartigen Zahlenspielereien zu verbringen, die dreimal geklärt worden sind, ist an sich der Art der Debatte nicht ganz angemessen. ({5}) Hier ergibt sich insgesamt folgendes. Ich weiß schon, daß der Beitrag des Bundes zur Forschungspolitik nur ein Ausschnitt ist; das gesamte Budget der Republik ist größer. Aber wir haben hier einen Beitrag, der in wesentlichen Bereichen strukturieren kann. Man sollte die gesamte Landschaft sehen. Herr Zywietz sagte an einer Stelle: Man reibt sich manchmal die Augen. Ich muß sagen: Aus den Beschreibungen dieser Landschaft durch die Opposition ist die Wirklichkeit nicht mehr ganz deutlich zu erkennen, und dies wird natürlich dann kritisch, wenn man daraus Konsequenzen ziehen will. Ich bin nicht der Auffassung, daß hier alles bequem und ideal ist, aber ich glaube, daß der Ausgangspunkt zu Beginn der 90er Jahre für die Bundesrepublik Deutschland gut ist. Batelle hat vor kurzem seinen neuen Vergleich der Industrienationen veröffentlicht. Dabei stellt sich heraus, daß seit 1985 der Anteil der Forschung am Bruttosozialprodukt in den Vereinigten Staaten ständig weiter gefallen ist. Er liegt heute bei 2,49 %. Wir liegen in der Zwischenzeit bis auf das hundertstel Prozent mit Japan gleich auf. Wir liegen bei 2,90, die Japaner bei 2,91 %. Unsere Wachstumsrate war größer als die der Japaner. Gleichzeitig haben wir eine Strukturveränderung geschafft, die ich für entscheidend wichtig halte. Eine Industrienation ist in dem Maße erfolgreich, wie die Unternehmen ihr eigenes Geld auf ihre eigene Forschung setzen. Austermann hat an einer Stelle darauf hingewiesen. Weil dies so ist, ist ein hoher Beitrag der Industrie zum nationalen Forschungsbudget wertvoll. ({6}) Dies ist in den letzten Jahren gestiegen, und zwar bei einer Politik, die wir im Forschungshaushalt und darüber hinaus so angelegt haben, daß dies möglich war. Die Wirtschaft hat im Jahre 1982 56 % des Forschungshaushalts getragen. Sie trägt heute fast genau 65%. Das ist eine Steigerungsrate, die enorm ist, und dies bei einem Niveau, das uns im internationalen Vergleich an die absolute Spitze bringt. - Das ist ein Punkt. ({7}) Nun sagt Herr Vosen: die Wirtschaft. Es stellt sich die Frage: Wie paßt das beides zusammen, der staatlich zu gestaltende Bereich und der der Wirtschaft? Denn dann, wenn der Staat nicht die Grundlagen, die Voraussetzungen und die Infrastrukturen schafft, kann die Wirtschaft nicht sinnvoll wachsen. Wir stellen heute fest, wir haben in der Bundesrepublik aus einer großen Tradition heraus eine einzigartige Wissenschaftslandschaft. Die Max-Planck-Gesellschaft hat in den letzten Jahren an Glanz gewonnen. Ich rede nicht von ihrer großen Tradition; ich rede auch nicht von den Nobelpreisen, die sie in den letzten Jahren immer wieder bekommen hat; im letzten Jahr waren es drei. Ich rede davon, daß sie immer attraktiver wird und daß ihre Berufungen von Wissenschaftlern aus dem Ausland, auch von ausländischen Wissenschaftlern aus den USA, immer überzeugender werden, weil man in der Welt weiß, daß die Arbeitsbedingungen hier in Deutschland gut sind, daß die Themen interessant sind und daß wir in wichtigen Bereichen an der Spitze der Forschung stehen. Der leise Erfolg der Fraunhofer-Gesellschaft, ihr ständiger Fortschritt, der Aufbau neuer Institute ist nicht jedem klar. ({8}) Wenn wir die Fraunhofer-Gesellschaft Jahr für Jahr mit Steigerungsraten zwischen 8 und 10 % unterstützt haben, dann ist das natürlich Politik. Wenn wir die Fraunhofer-Gesellschaft ermutigt haben, neue Themen aufzugreifen - Austermann sprach vom Silicium-Institut in Schleswig-Holstein; das ist nur eines - , dann gehört es zu unserer Politik. Wenn wir die Fraunhofer-Gesellschaft ermutigt haben, neue Strukturen anzulegen, und diese es erfolgreich gemacht hat, dann gehört es zu unserer Politik. Wenn die Fraunhofer-Gesellschaft ihre Abhängigkeit von öffentlichen Geldern ständig gemindert hat und ihre Zuwendung zur Wirtschaft gesteigert hat und ihre Kooperation mit dem Mittelstand überproportional gesteigert hat und wenn sie ihre Erfinderberatung ausgebaut hat, dann ist das alles ein leiser Erfolg und eine Verbesserung der Infrastruktur der Republik, die die Wirtschaft erst in den Stand setzt zu bestehen. ({9}) Die Großforschungseinrichtungen, die Leistungen in den letzten Jahren, die Umstrukturierung auf neue Bereiche, das Aufgreifen von Themen, die Verbünde zur Umweltforschung, die neuen Bereiche Informationstechnik, Mikrostrukturtechnik, das Aufgreifen ganz unterschiedlicher Bereiche aus alten Ansätzen, die Umwandlung von Festkörperphysik in neue Bereiche der Halbleiterforschung, dies ist eine Fülle von enormen Erfolgen, die leise sind, die aber Strukturen verändern und die Partnerschaft für die Industrie so aufbauen, wie wir sie brauchen. Jetzt können wir über die Veränderungen in den Universitätslandschaften, über die Genzentren, über die neue Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, über die Programme, mit denen wir die Kooperation angestoßen haben, reden und darüber, daß sich die Verträge zwischen Wissenschaft und Wirtschaft an den Universitäten in den letzten sechs Jahren im Volumen verdreifacht haben. Das ist noch keine Bedrohung der Freiheit der Forschung. Wir sind noch unter 10 % der Forschungsmittel der Hochschulen. Aber das zeigt, daß das, was in der Wissenschaft neu gefunden wird, von der Wirtschaft erkannt, umgesetzt und übertragen wird, daß die Strukturen stimmen, daß die Leute zusammenarbeiten und daß die Ziele deutlich werden. Ich bin mit den Fachinformationszentren nicht uneingeschränkt zufrieden. Aber daß sie in den letzten Jahren stärker geworden sind, daß der Kostendekkungsgrad gestiegen ist, daß die Literatur zeitgerecht und vollständig verfügbar ist, daß die mittleren Unternehmen und die Hochschulen lernen, sie wirklich zu nutzen, dies ändert die Strukturen. Ich möchte nicht im einzelnen darüber sprechen, welche Voraussetzungen wir hier geschaffen haben. Das Paradigma dieses Jahrzehnts war große Projekte zu allen Bereichen. Dies wird auch in den nächsten Jahren weiterwirken. Das gilt für die Hochenergiephysik. HERA in Hamburg ist ein Projekt von 1,4 Milliarden DM. Ich erinnere nur an das Argument - das hat immer wieder eine Rolle gespielt - , daß wir Großprojekte nicht hinkriegen werden. Es ist immer wieder gesagt worden, sie liefen aus der Kontrolle. Die Projekte, die diese Regierung seit 1982 begonnen hat - auch große Projekte -, sind in ihren Kosten beherrschbar geblieben. Bei einem der größten, bei HERA, sind wir auf den Punkt genau im Kostenrahmen geblieben. Das Projekt war mit 1,394 Milliarden DM veranschlagt, und es wird mit 1,394 Milliarden DM zu Ende gebracht. ({10}) Was wir hier aufbauen - von der Astronomie über die Radioastronomie, die Satelliten in der Grundlagenforschung, die großen Forschungsschiffe „Polarstern" und „Meteor" bis zur Georg-von-NeumayerStation, wo jetzt eine Mannschaft junger Frauen 14 Monate überwintern wird - , sind Infrastrukturen, die in den nächsten Jahren tragfähig sein werden. ({11}) - Und Löcher bohren. Das kontinentale Tiefbohrprogramm ist eines der glanzvollsten internationalen Projekte, um das sich Wissenschaften von der Seismik bis zur Lagerstättenkunde kristallisieren. Wir haben also einige Voraussetzungen in der Infrastruktur geschaffen. Ich freue mich übrigens, daß die wirklich nicht mehr nachvollziehbaren Aussagen zu den kleinen und mittleren Unternehmen richtiggestellt worden sind. Wie begründet werden soll, daß die Förderung mittelständischer Unternehmen im Haushalt des Forschungsministers drastisch zusammengestrichen worden sei, ist nicht nachvollziehbar. Der Haushalt des Forschungsministers hat im Jahr 1982 300 Millionen DM für diese Förderung ausgewiesen; in einer weiteren Abgrenzung etwa 340 Millionen DM. Demgegenüber sind es in diesem Jahr - je nach Abgrenzung - 560 bis 600 Millionen DM. Diese Erhöhung spricht eine eindeutige Sprache. Darüber ist mehrfach diskutiert worden. Das ist mehrfach vorgetragen worden. Wir haben das gemacht, weil wir wissen, daß die Dynamik der kleinen und mittleren Unternehmen den Erfolg auf den Weltmärkten in einer besonders eindrucksvollen Weise begründet hat. Die Projekte großer Unternehmen will ich nicht im einzelnen darstellen. Herr Austermann sprach beispielsweise vom 4-Megabit-Projekt. Viele haben gesagt, es sei völlig hoffnungslos, das zu beginnen. Die Tatsache, daß wir es begonnen haben, ist der Grund dafür, daß wir heute mit JESSI beginnen können, daß überhaupt der Wettlauf mit den großen Industrienationen, mit den Japanern aufgenommen werden konnte, daß wir jetzt fast zeitgleich mit ihnen stehen, daß JESSI die Chance eröffnet, daß Europa als Partner auf den Weltmärkten da ist und nicht nur eine Nation eine Schlüsseltechnik beherrscht, die dann letzten Endes das Wissen auch aus den mittelständischen Systemunternehmen heraussaugen wird. ({12}) Das ist ein wesentlicher Erfolg. Wir haben bei den regenerativen Energien - ich habe angekündigt, ich werde das überall wiederholen, und ich werde das auch so lange tun, bis das wirklich ein Thema ist ({13}) mit über einer viertel Milliarde DM im Jahr weltweit heute die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. ({14}) Es ist größer als das, was die Vereinigten Staaten haben. Es ist größer als das, was Japan hat. Es ist größer als das - das wurde zu Recht gesagt - , was alle anderen EG-Nationen gemeinsam ausgeben. Wir gehen dabei - Herr Austermann sprach davon - bis an die Grenze dessen, was der Forschungsminister auf Grund des Ressortauftrags darf. Das 100-MW-Windprogramm ist ein Programm an der Grenze dessen, wo über die Markteinführung disputiert werden könnte. Insofern bin ich sehr dankbar über die Unterstützung des Parlaments auch in dieser Frage. Ich verstehe auch nicht die Aussage - das könnte man jetzt alles untersuchen - , daß Bruchteile von Prozenten für Umweltforschung vorgesehen seien. Das ist wirklich nicht mehr nachzuvollziehen. Es geht hier um Vorsorgeforschung. Dabei ist der größte Brokken Umweltforschung; an anderen Stellen wurden die Zahlen genannt. Den Anteil dieses Brockens haben wir weiter erhöht. Das sind jetzt 13,6 % des Haushalts. Das ist ständig - 1982 waren es noch etwas über 9 % - überproportional gestiegen. Dann gibt es die ökologische Wirkungsforschung. Man sollte es nicht glauben, aber es ist gesagt worden, daß das einfach eine Frage des Geldes sei. Das, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, war ein systemares Denken, ein Zusammenfügen der Wissenschaften, so daß die einzelnen Probleme von den unterschiedlichen Bereichen erkennbar sind. Ich sage also, daß die Ausgangslage gut ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß wir in den 90er Jahren vor einigen feisten Aufgaben stehen, bei deren Lösung wir uns noch außerordentlich anstrengen müssen. Wir haben als Exportnation eine starke Stellung in Europa und vielleicht auch gegenüber den Vereinigten Staaten. Unsere Position gegenüber den schnell wachsenden Ländern in Südostasien könnte ich mir stärker vorstellen. Die Dynamik, hier mitzumachen, ist eine unserer Aufgaben. Dies jetzt auszudifferenzieren können wir in der begrenzten Zeit nicht schaffen. Lassen Sie mich ein anderes Grundsatzproblem ansprechen. Wir werden in den nächsten Jahren die letzten großen starken Jahrgänge junger Wissenschaftler und Techniker haben; das ist nicht nur ein Problem, sondern eine Chance. Wir empfinden dies heute überwiegend als Last. Ab Mitte der 90er Jahre werden wir erkennen, was wir schon heute bei den Lehrlingen erkennen, daß wir nämlich diese Generation nutzen müssen, um sie in die bestmöglichen Ausbildungen in Wissenschaft und Technik zu geben, damit sie hier, wenn die großen starken Pensionsjahrgänge kommen, in die Verantwortung eintreten und dies weitertragen können. ({15}) Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, daß ein größerer Teil an Frauen in der Wissenschaft wirklich seinen Platz findet unter Berücksichtigung dessen, was Frauen in ihrem persönlichen Lebensvollzug an Möglichkeiten, aber auch an Belastungen haben. Wir müssen schauen, daß - dies alles gehört dazu - ein junger Wissenschaftler wirklich als junger Mensch Wissenschaftler sein kann. Wenn ein Chemiker mit 29, 30 Jahren in den Beruf kommt, dann ist er so ganz jung ja nicht mehr. Die Frage, fünf kreative Jahre zu verschenken, ist für eine Industrienation eine ganz grundsätzliche Frage. Wenn dann noch dazukommt, daß man die Leute bis 30 Jahre in einer präexistentiellen Abhängigkeit als Studenten oder Doktoranden hält, dann müssen sie ja langsam sauer werden. Das ist nicht gut für das, was sie hernach tun sollen. Wenn die Leute sauer sind, dann wird das, was passieren soll, in der Regel schlecht. ({16}) Ich möchte nicht darstellen, wie wir das angegangen haben: die Nachwuchsprogramme der Großforschungseinrichtungen, die enge Zusammenarbeit der Wissenschaftler, die wachsende Zahl der Diplomanden. ({17}) Ich spreche hier auch nicht über das Zwei-MilliardenDM-Programm, das wir angelegt haben. Das ZweiMilliarden-Programm über sieben Jahre ist ein beachtlicher Betrag. Jetzt aber möchte ich Relationen geben, weil Sie von dem Tropfen auf den heißen Stein sprechen. In der gleichen Zeit hat der Forschungsminister, ohne daß wir dies als großartige Programme verkaufen, seine Zuwendungen an die Universitäten auf über 600 Millionen DM pro Jahr mehr als verdoppelt. Das ist in den sieben Jahren also irgend etwas bei über 4 Milliarden DM. Wir sprechen über sehr große Beträge, und wir versuchen, hier zu helfen. Es gehört dazu, daß wir die Integration der Wissenschaften in Europa voranbringen, daß wir kleineren Ländern helfen, ihre eigenen Wissenschaftsstrukturen aufzubauen. Es gehört dazu, daß wir Portugal, Griechenland, Irland oder Spanien als Partner wirklich voll akzeptieren, daß wir mit ihnen nicht nur einen Austausch von Stipendien haben oder sie zu Stipendien einladen, sondern mit ihnen zunehmend gemeinsame Projekte durchführen. ({18}) Es gehört dazu, daß wir die Programme der Europäischen Gemeinschaft immer stärker prägen, und zwar so, wie es der Verantwortung der stärksten Wissenschafts- und Industrienation in Europa entspricht. Es gehört auch dazu - ich bin für diese Hinweise sehr dankbar -, daß wir sehr ehrgeizige große Projekte in Europa grenzüberschreitend aufgreifen. Die 90er Jahre werden entscheiden, ob wir als Industrienation, nicht als Deutsche allein, sondern als Europäer, in Zukunft bestehen. Um hier nur einen Punkt herauszugreifen: Hochauflösendes Fernsehen war Anfang der 80er Jahre eine Sache, die für die Europäer praktisch als abgemeldet galt. Es galt als herrschende Lehre: Die Japaner werden die Märkte haben. Wir haben das Programm aufgebaut. Wir haben es als Deutsche begonnen, Partner in Europa gewonnen. Heute verhandeln wir mit der Sowjetunion darüber, daß - Gorbatschow hat es uns grundsätzlich zugesagt - unsere europäische Norm auch für die Sowjetunion gilt. Das ändert Strukturen weit über die Märkte hinaus im Verständnis der Völker über die Grenzen hinweg. ({19}) Zur Informationstechnik, Prometheus, Sicherheit auf den Straßen, JESSI - ich habe das angesprochen -, ({20}) zum digitalen Mobilfunk, zu ganz unterschiedlichen Bereichen gehört es, starke Industrien aufzubauen und Märkte zu gestalten. Dazu gehört natürlich, daß der Staat versteht, was an Problemen aufkommt. Das ist der Grund, weshalb wir die Vorsorgeforschung ständig und überproportional gesteigert haben, weshalb wir Technikfolgenabschätzung - das Stichwort fiel zu meiner Überraschung heute überhaupt noch nicht - ständig weiter gesteigert haben. Wir schätzen heute, daß dies in einer engen Abgrenzung 100 Millionen DM in unserem Haushalt ausmacht. Dazu gehört, daß wir neue Fragen rechtzeitig erkennen und aufgreifen, wie das Problem der Alternsforschung, das wir zusammen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit aufgegriffen haben, um rechtzeitig zu begreifen, wie ein gesundes und selbständiges Alter in Kompetenz der Menschen möglich ist und sie ihr Leben aus eigener Verantwortung gestalten können. Wir wollen es so aufbauen, daß wir technisch in den Märkten erfolgreich sind, daß wir Umwelt zurückgewinnen und gestalten, daß wir in Partnerschaft mit Ländern der Dritten Welt, in Partnerschaft mit allen Ländern eine Welt aufbauen, wo wir als Industrienationen erfolgreich sind, aber wo wir vor allem verstehen, was wir tun, Risiken beherrschen, Verantwortung tragen und mit dieser Verantwortung die Zukunft so gestalten, daß auch unsere Kinder gerne leben und arbeiten werden. Dafür wollen wir mit Zuversicht zusammenarbeiten, ich hoffe, über alle Fraktionen des Parlaments hinweg. Ich glaube, das ist für die Langfristigkeit und Kontinuität der Politik, die wir betreiben, von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinn auf fröhliche Beratungen! Ich bedanke mich. ({21})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wir kommen zur nächsten Runde. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Diskussion über den Haushalt 1990 ist Frau Schmidt ({0}) von seiten der Regierung und der Koalitionsfraktionen bisher weitgehend davon geprägt, die Vergangenheit aufzuarbeiten und dabei die jüngste Vergangenheit trotz Gesundheitsreform, trotz unsozialer Steuerreform, trotz Quellensteuerdesaster glänzend und die etwas länger zurückliegende sozialliberale Regierungszeit als eine Periode schwärzesten Unglücks für diese Republik darzustellen. Herr Rühe hat hier gestern ({1}) ein besonders übles Beispiel dafür geliefert, wie Tatsachen verdreht und der politische Gegner in den Schmutz gezogen wird, ({2}) und dies aus dem Grund, sich seiner Partei als Generalsekretär zu empfehlen und sich bei den Wählern einer anderen Partei anzubiedern. Wenn von Parteienverdrossenheit gesprochen wird, dann hat dies seinen Grund nicht zuletzt in Beiträgen wie denen des designierten Generalsekretärs der CDU. Die Menschen hier in der Bundesrepublik wissen doch aus eigener Lebenserfahreung, daß keine Regierung - auch wir damals nicht, aber auch Sie heute nicht - alles richtig oder alles falsch macht. ({3}) Es interessiert sie überhaupt nicht, wenn zum 223. Mal Vorwürfe wiederholt werden oder mit immer neuen Zahlenspielereien das Schlechte als gut und das Gute eher als schlecht dargestellt wird. Im Politikbereich Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, der die Menschen besonders interessiert, weil er ihr alltägliches Leben betrifft, erwarten die Bürgerinnen und Bürger etwas ganz anderes. Erstens. Sie möchten darauf vertrauen können, daß wir ihre Lebenssituation erkennen. Zweitens. Sie möchten, daß wir daraus die richtigen Konsequenzen ziehen und vor allem dort Gerechtigkeit und Ausgleich schaffen, wo dies nötig ist. Drittens. Sie möchten, daß wir die Konsequenzen unseres politischen Handelns nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die nächste Zukunft berücksichtigen. Sie verlangen von uns zu Recht, absehbare Veränderungen in der Zukunft in unser heutiges politisches Handeln mit einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund möchte ich den Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit messen, und mit dem, was Sie als Kernstück Ihrer Politik beginnen, nämlich der Familienpolitik. Ich will mich der Versuchung entziehen, hier ein Bild zu malen, was auch für viele Familien richtig ist, ein Bild von Familien, die unter der Last ihrer materiellen Belastung stöhnen. Aber ich glaube, den Familien ist mit Schönfärberei ebenfalls nicht gedient. Wir wissen nämlich, daß das verfügbare Einkommen von Menschen mit Kindern gegenüber Menschen ohne Kinder dramatisch abnimmt. Wir wissen, daß der monatliche Lebensunterhalt - hier beziehe ich mich auf Ihre Schätzungen - bei mindestens 550 DM für ein Kind liegt, wir wissen, daß Eltern, je nachdem, welche Ausbildung sie ihren Kindern finanzieren, auf ca. 200 000 bis 400 000 DM gegenüber Kinderlosen verzichten. Wir wissen, daß viele Menschen inzwischen bewußt auf Kinder verzichten oder weniger Kinder haben, als sie sich wünschen, weil sie diese Konsequenzen hinzunehmen nicht bereit oder in der Lage sind. Deshalb, Frau Ministerin, ist Ihre Aussage nicht richtig, daß der Familienlastenausgleich den Vorstellungen junger Paare entspricht. Familien haben im Gegenteil das Gefühl: Der Kinderlastenausgleich ist nicht gerecht. ({4}) Immerhin leben bereits 30 % der Bevölkerung der Bundesrepublik lebenslang ohne Kinder. Deshalb halten wir den Kinderlastenausgleich, den Sie mit Ihrem Haushalt vorlegen, für kurzsichtig und verfehlt, verfehlt, weil die Masse der Kinder, nämlich die Erstkinder, leer ausgeht. Wir wissen aber, daß dort der größte Bedarf besteht. Er ist verfehlt und kurzsichtig, weil das komplizierte System aus Steuerfreibeträgen, einkommensabhängigem Kindergeld und Kindergeldzuschlag gerade die Familien mit ganz geringem Einkommen benachteiligt. Die Überschuldung gerade dieser Familien müßte dieser Ministerin Anlaß sein, endlich zu handeln. ({5}) Wir schlagen Ihnen deshalb einen ganz anderen Weg vor, und wir werden diesen Weg ab 1991 durchsetzen: Wir wollen für jedes Kind, und zwar ab dem ersten Kind, ein einheitliches Kindergeld von 200 DM zahlen und für Familien mit mehr als drei Kindern nochmal einen Zuschlag von 200 DM monatlich. Dies würde bedeuten, daß eine Familie mit zwei Kindern gegenüber dem heutigen System 32 000 DM mehr für ihre Kinder zur Verfügung hätte. Wir können das auch finanzieren, indem wir das Ehegatten-Splitting beschränken; ich sage noch einmal ganz deutlich: beschränken, aber nicht etwa abschaffen. Selbstverständlich werden wir dabei dafür sorgen, daß die kinderlosen Paare, die in früheren Jahren unter großen Entbehrungen Kinder großgezogen haben, daß die Mütter, die als 45- oder 50jährige keine Chancen mehr hatten, in den Beruf zurückzukehren, davon keine Nachteile haben. ({6}) - Die können wir Ihnen spitz vorrechnen. Kommen Sie gerne in mein Büro; ich mache es mir zum Anliegen, Sie darüber aufzuklären. Aber die Tatsache, daß der Tatbestand Ehe dem Staat mehr wert ist als der Tatbestand Kind, kann nicht länger hingenommen werden. ({7}) Der Familienlastenausgleich ist ungerecht, weil einkommenschwache Familien benachteiligt werden, bürokratisch, weil er für niemanden kalkulierbar und durchschaubar ist, welcher Betrag zur Verfügung steht. Demgegenüber ist unser Vorschlag gerecht, weil er einen besseren Ausgleich zwischen Menschen mit Kindern und Menschen ohne Kinder herstellt. ({8}) Frau Schmidt ({9}) - Nein, einschließlich fünf, sechs, sieben, acht, neun und zehn Kinder; wir rechnen es Ihnen vor. ({10}) Unser Vorschlag ist gerecht, weil endlich mit dem Skandal aufgeräumt wird, daß das Kind einer Verkäuferin oder eines Briefträgers 98 DM und das Kind des Kaufhausdirektors oder des Ministers dem Staat 166 DM wert ist. Unser Vorschlag ist unbürokratisch und für Familien kalkulierbar, weil sie endlich jeden Monat wissen, welcher Betrag ihnen zur Verfügung steht. Nicht zuletzt: Unser Vorschlag ist seriös und finanzierbar. Wir wissen aber, und wir berücksichtigen das, daß der Staat keinen vollständigen Ausgleich schaffen kann, insbesondere dann nicht, wenn Mütter über sehr lange Zeiträume oder gar vollständig aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder ausscheiden müssen. Aber auch hier wissen wir - und darauf müssen wir reagieren - , was Mütter und zunehmend auch einige Väter wollen: Sie wollen Zeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern, vor allem, solange sie noch klein sind, und sie möchten möglichst bald ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen. Junge Frauen wollen sich heute, wie es für Männer bisher selbstverständlich war, nicht mehr für Beruf oder Kinder entscheiden müssen, sondern Familie und Beruf miteinander verbinden. In der Familienarbeit hat sich die traditionelle Rollenverteilung jedoch nicht im gleichen Ausmaß verändert. Erwerbsbeteiligung bedeutet heute für viele Frauen immer noch eine untragbare Überforderung oder aber den Verzicht, berufliche Chancen zu realisieren und berufliche Wünsche zu erfüllen. Wir halten es deshalb für richtig, daß der bezahlte Erziehungsurlaub verlängert werden soll. Wir widerstehen der Versuchung, als Opposition zu verlangen, daß jetzt sofort und gleich und auf der Stelle dieser bezahlte Urlaub auf drei Jahre, wie es richtig wäre und wie es in Ihren Programmen und unseren Programmen steht, verlängert werden soll. Aber wir fragen Sie dennoch, warum Sie das darüber hinaus Notwendige und Mögliche nicht getan haben, warum Sie die Bedürfnisse von Müttern so wenig erkannt haben und warum Sie Absichtserklärungen so wenig konkretes Handeln folgen lassen. Wir wissen: Eines der größten Probleme von Müttern ist die Rückkehr in den Beruf, nachdem sie ganz oder überwiegend ihre Kinder betreut haben. Wir halten deshalb unabhängig von der Dauer des bezahlten Elternurlaubs eine dreijährige Arbeitsplatzgarantie für dringend erforderlich, und wir werden diese ab 1991 durchsetzen. ({11}) Zu einem Gesamtkonzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vermissen wir die Aussagen in Ihrem Haushalt. Wir vermissen den Finanzbedarf für die von Ihnen angekündigte Reform des Jugendhilferechts, und zwar vor allen Dingen den Finanzbedarf für den Rechtsanspruch auf Kindergartenbetreuung für Kinder vom 3. bis zum 6. Lebensjahr. Ohne einen solchen Rechtsanspruch ist die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf schlichtweg nicht möglich. Heute gibt es in Niedersachsen gerade für jedes zweite Kind einen Kindergartenplatz. Wir sind in Europa Schlußlicht bei der Frage der Kindergartenbetreuung, wir sind Schlußlicht bei der Frage von Tagesmüttern. Wir haben bei 14 Millionen Kindern, die es in der Bundesrepublik insgesamt gibt, gerade knapp 30 000 Krippenplätze. Wir sind Schlußlicht in ganz Europa. Wir sind Schlußlicht auch bei der Frage von Ganztagsschulen. Wir sind das einzige Land, das sich den Luxus leistet, das Ganze nur unter ideologischen Gesichtspunkten zu diskutieren. ({12}) Es wäre ein erster Schritt, im Jugendhilferecht endlich den Rechtsanspruch auf Kindergartenbetreuung unter Beteiligung des Bundes zu schaffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es mir nicht angerechnet wird, gern.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Doch, es wird angerechnet, weil wir im Augenblick nicht mehr in der Lage sind, über Mitternacht hinaus zu tagen.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann kann ich es nicht; sonst immer gern. Das ist es, was ich vorhin meinte, als ich sagte, daß wir uns davor hüten müssen, wichtigen Ankündigungen kein Handeln folgen zu lassen. Mütter haben es satt, bereits vor der Geburt eines Kindes um einen Kindergartenplatz nachsuchen zu müssen. Sie haben es satt, beim Arbeitsamt nachweisen zu müssen, daß die Kinderbetreuung gesichert ist; andernfalls werden sie als nicht vermittelbar eingestuft. Gerade hier besteht dringender Handlungsbedarf, wenn wir uns nicht alle miteinander in der Politik unglaubwürdig machen wollen. Ich fordere Sie deshalb auf, diesen Ankündigungen endlich auch Taten folgen zu lassen. ({0}) Ebenso wichtig wie der Rechtsanspruch auf Kindergartenbetreuung ist die Frage: Wie lösen wir den berechtigten Anspruch von Frauen ein, nach einer Phase der überwiegenden Kinderbetreuung wieder in den Beruf zurückkehren zu können? Auch dazu vermissen wir in Ihrem Haushalt Zahlen und Aussagen. Es geht doch nicht an, die Ansprüche auf Qualifizierung und Requalifizierung, die Frauen bis vor kurzem im Arbeitsförderungsgesetz hatten, auf Ansprüche, die sie bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hatten, radikal zusammenzustreichen, und zwar um immerhin fast 1,5 Milliarden DM, und dies dann durch ein Minimodellprogramm von insgesamt 30 Millionen DM, verteilt auf sechs Jahre, ausgleichen zu wollen. Wir wissen alle gemeinsam - das ist nichts Neues; gerade Ihre Statistiken haben es in den letzten Tagen Frau Schmidt ({1}) wieder nachgewiesen - , daß in den nächsten Jahren mindestens 2 Millionen Frauen auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wollen. Wir wissen, daß diese Frauen einer dringenden Qualifikation bedürfen und daß wir sie dann nicht auf irgendwelche Absichtserklärungen verweisen können. Wir werden uns deshalb ab 1991 nicht wie diese Bundesregierung auf Modellprogramme mit 30 Milliönchen für Berufsrückkehrerinnen beschränken, sondern wir werden zur Bekämpfung auch und gerade von Frauenarbeitslosigkeit und zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit von Rückkehrerinnen ein Programm vorlegen, das diesen Namen verdient. ({2}) In diesem Programm werden Frauen endlich die Chancen bekommen, die sie benötigen, um auf dem Arbeitsmarkt wieder eine ihrer Qualifikation entsprechende Stellung einnehmen zu können. ({3}) - Das ist im Vergleich zu den 1,5 Milliarden DM, die zusammengestrichen worden sind, die richtige Qualifizierung. Die Frage der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf und die Frage einer tatsächlichen Wahlmöglichkeit auch von Vätern und Müttern, über welche Zeiträume sie die Berufstätigkeit einschränken wollen, stehen und fallen aber damit, daß die berufliche Gleichstellung von Frauen endlich Wirklichkeit wird. Auch hierzu können sich im Ministerium neue Gedanken offensichtlich nicht durchsetzen. Es gibt keine Konzepte, und so bleibt Ihnen nur die Flucht in die Unverbindlichkeit einer unzulänglichen Frauenförderung. Eine verbindliche Frauenförderung bedarf einer gesetzlichen Grundlage; das wissen wir in der Zwischenzeit durch die Rechtsprechung. Wir haben dazu - im Gegensatz zu Ihnen - ein Gleichstellungsgesetz vorgelegt. Dieses Gleichstellungsgesetz werden wir, falls es in dieser Legislaturperiode, wie leider anzunehmen ist, an Ihrem Widerspruch scheitern wird, ab 1991 durchsetzen. ({4}) Wir brauchen bessere berufliche Chancen für Frauen. Wir brauchen die Verbesserung ihrer Einkommenssituation - ich glaube, das ist doch wohl unbestritten - , weil wir nicht wollen, daß Armut im Alter - wie bisher - in erster Linie Frauenarmut ist, weil wir nicht wollen, daß allein die Tatsache, Kinder gebären zu können - obwohl man vielleicht gar keine hat -, berufliche Nachteile für Frauen bedeutet, weil wir nicht wollen, daß berufliche Karriere gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf Kinder, und weil wir wollen, daß Väter - darüber besteht doch Konsens in diesem Haus, also sollten wir auch endlich etwas dafür tun, Herr Link - endlich die Chance bekommen, ihre Erwerbstätigkeit auch einzuschränken, um sich mehr um ihre Kinder kümmern zu können. Wir haben dazu Lösungskonzepte mit unserem Gleichstellungsgesetz vorgelegt. Zu einem Konzept der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf gehört auch, in Problemfällen und für Problemgruppen besondere Hilfen vorzusehen. Wir schlagen daher vor, den Urlaub zur Betreuung kranker Kinder endlich zu erweitern, und zwar sowohl was das Alter der Kinder betrifft - wir wollen es von acht auf zwölf Jahre heraufsetzen - als auch was die Dauer der Beurlaubungsmöglichkeit betrifft - wir wollen sie von fünf auf zehn Tage erweitern. ({5}) Darüber hinaus wollen wir für Alleinerziehende Sonderregelungen schaffen. Auch damit sind wir dann im europäischen Vergleich noch längst nicht an der Spitze. Aber wir kommen den Nöten und den Bedürfnissen von Frauen, Familien und Kindern entgegen. Auch dazu, Frau Ministerin, ist in Ihrem Haushalt nichts zu finden. Um die Situation von Familien zu verbessern, brauchen wir also einen verbesserten Kinderlastenausgleich und ein Kindergeld von 200 DM ab dem ersten Kind, wie wir es in unserer Arbeitsgruppe „Fortschritt '90" vorschlagen. Um die Situation von Frauen zu verbessern und die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf für Mütter und Väter herzustellen, brauchen wir eine verbindliche Frauenförderung, wie wir sie mit unserem Gleichstellungsgesetz vorschlagen, brauchen wir die dreijährige Arbeitsplatzgarantie für Mütter und Väter, wie wir sie im Rahmen unseres Entwurfs eines Erziehungsgeldgesetzes vorgeschlagen haben und wie wir sie wieder einbringen werden, brauchen wir die Verbesserung der Situation alleinerziehender Frauen, brauchen wir den Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kindern ab dem dritten Lebensjahr als einen ersten Schritt, und zwar im Interesse von Eltern und von Kindern - im Interesse von Kindern deshalb, weil Kinder die Erfahrung des Zusammenlebens mit Geschwistern zu Hause heute viel weniger als früher machen können. Wir brauchen die Verbesserung des Freistellungsanspruchs zur Betreuung kranker Kinder. Wir brauchen verbesserte Möglichkeiten zur Betreuung auch kleinerer Kinder unter drei Jahren. Wir brauchen also auf diesem gesamten Feld eine neue Politik; diese neue Politik läßt Ihr Haushalt vermissen. Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir brauchen auch eine neue Politik, wenn es um die Probleme ungewollt schwangerer Frauen geht. Das gemeinsame Konzept dieses Hauses „Hilfe statt Strafe" scheint zumindest in einigen Landesteilen der Bundesrepublik nicht so recht zu funktionieren. Das nicht enden wollende Hin- und Hergezerre um das beabsichtigte oder nicht beabsichtigte - oder vielleicht doch beabsichtigte oder wann auch immer beabsichtigte - Schwangerenberatungsgesetz, Prozeßverlauf und Urteil in Memmingen, immer noch nicht erfolgende oder unzureichende Sexualaufklärung - das alles führt zu Verunsicherung von Frauen, Ärzten und Beraterinnen und Beratern, all das verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch, sondern treibt Frauen über Landesgrenzen und in die Illegalität. Frau Schmidt ({6}) Die Stiftung „Mutter und Kind" ist ein ungeeignetes Mittel, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern; das zeigen uns die Statistiken. ({7}) - Ich sage ja nur, Herr Link: Die Stiftung „Mutter und Kind" ist ein ungeeignetes Instrument, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. ({8}) Sie ist vielleicht ein geeignetes Instrument, in irgendwelchen akuten Notlagen von Frauen oder Familien eine kurzfristige finanzielle Hilfe zu geben. ({9}) Ob man das so oder nicht lieber über die Sozialhilfe machen soll, steht dahin. Die Stiftung ist allerdings ein ungeeignetes Instrument, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern, ({10}) weil annähernd 90 % aller Frauen, die Leistungen dieser Stiftung bekommen, dann, wenn sie sie bekommen, längst über die Frist hinaus sind, in der ein legaler Schwangerschaftsabbruch überhaupt noch möglich ist, also nach der Notlagenindikation überhaupt keinen Schwangerschaftsabbruch mehr vornehmen können. Insoweit ist dies das falsche Instrument. ({11}) Nur darüber rede ich in diesem Zusammenhang. Wir fordern Sie auf, Frau Ministerin, endlich klar zu sagen, ob und, wenn ja, mit welchen Inhalten Sie noch in dieser Legislaturperiode ein Beratungsgesetz vorlegen wollen. Es wäre besser, Sie erklärten endlich den Verzicht auf dieses unsägliche Gesetzesvorhaben. ({12}) Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam unser Sofortprogramm für Hilfen mit Rechtsanspruch für Mütter und Familien in Notlagen zu verwirklichen. Wir fordern Sie auf, für eine verbesserte Sexualaufklärung initiativ zu werden, weil dies die einzigen wirklich erfolgversprechenden Wege sind, tatsächlich zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen zu kommen. Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, wir wissen - ich sagte es bereits -, daß Altersarmut in erster Linie eine Armut von Frauen ist. Es geht deshalb auch uns nicht nur um die Frage der Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben und um eine Verbesserung der Einkommenschancen im aktiven Beschäftigungsleben, sondern auch darum, im Rentenrecht Verbesserungen für Frauen zu schaffen. Deshalb begrüße ich es außerordentlich, daß sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen endlich entschlossen haben, einige unserer Vorschläge, deren Verwirklichung wir seit Jahren fordern, zu übernehmen. Mir sind die Fortsetzung und die Fortschreibung der Rente nach Mindesteinkommen besonders wichtig, weil sie Verbesserungen für 1,1 Millionen Kleinstrentnerinnen bedeuten. Aber zufrieden sind wir mit diesem Kompromiß noch lange nicht. Leider hat sich die Ministerin bei der Diskussion über die immer noch vorhandenen Benachteiligungen von Frauen ausgeklinkt. Gerade Sie als ausgewiesene Gerontologin, gerade Sie, die Sie die Situation älterer Frauen besonders gut kennen, hätten in dieser Diskussion engagiert eingreifen müssen. ({13}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bedauern, daß auch dieser wichtige Kompromiß, der jetzt in der Frage der Kindererziehungszeiten gefunden worden ist und der die Gleichstellung der Frauen, unabhängig davon, ob sie Arbeiterinnen, Angestellte oder Beamtinnen sind, endlich erreicht hat, einige Gruppen von Frauen nach wie vor außer acht läßt. Es sind vor allen Dingen jene Frauen, die auf Grund des geringen Familieneinkommens ihre Erwerbstätigkeit überhaupt nicht unterbrechen können. Es sind vor allem die Frauen, die als Alleinerziehende nicht zur Sozialhilfemutter werden wollen und die wissen, daß sie in den nächsten 20 Jahren für ihr Kind materielle Verantwortung tragen. Genau diese Frauengruppen grenzen Sie bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten aus. Ich halte das für einen Skandal. ({14}) Ich hoffe, Frau Ministerin, daß es gelingen wird, in den Ausschußberatungen gerade hier noch Verbesserungen zu erzielen, da auch die FDP dieses unser Bestreben unterstützt. Hier geht es nicht um immense Beträge, sondern offensichtlich darum, daß der Bundesarbeitsminister der Meinung ist, daß nur die Frauen, die es sich leisten können, zu Hause zu bleiben, berücksichtigt werden sollen. Das kann nicht hingenommen werden. ({15}) Ich hoffe, daß diese Verbesserungen erreicht werden können und daß Sie sich endlich in diese Diskussion einmischen, wie es auch die Vorsitzende der Frauenunion in unserem Sinn getan hat. ({16}) Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, es stimmt, daß die Generation der alten Menschen nicht bevormundet werden will. Deshalb ist es notwendig und richtig, z. B. ein neues Heimgesetz zu schaffen und dort die Mitsprache der Bewohnerinnen und Bewohner besser zu verankern. Aber darüber hinaus vermissen wir in Ihrem Haushalt konkrete Ansätze für eine aktive Politik für alte Menschen. ({17}) Wir kündigen an, daß wir Initiativen ergreifen werden, damit eine so unsägliche Rechtsprechung - die ja das gesamte Haus verurteilt hat - wie die von Baden-Württemberg, wonach Altersheime in Wohngebieten nichts zu suchen haben und alte Menschen Frau Schmidt ({18}) quasi in Gettos verwiesen werden sollen, nicht mehr möglich sein wird. ({19}) Wir würden gerne in ihrem Haushalt Ansätze finden, wie alte Menschen bis ins hohe Alter hinein in neuen Wohnformen anders als bisher selbständig bleiben können, wie z. B. die Situation der Gepflegten und der haupt- und nebenamtlich Pflegenden verbessert werden kann. Wir vermissen Vorschläge in Ihrem Etat, wie das Leben der Menschen bis ins hohe Alter lebenswert bleiben kann. Vielleicht ist Ihnen noch nicht ganz klar, daß es in der Politik des Ministeriums nicht vor allem darum gehen darf, die Ansätze für Altersforschung zu erhöhen, sondern darum gehen muß, die Lebensbedingungen älterer Menschen zu verbessern. ({20}) Wir brauchen also auch hier eine neue Politik. Eine Gesellschaft der Zukunft ist darauf angewiesen, daß die Solidarität der Generationen in beiden Richtungen erhalten bleibt. Wir bürden der kommenden Generation, den heutigen Kindern und den Erwachsenen von morgen, ungeheuer viel auf, ob es nun die Sondermülldeponien sind, von denen wir heute schon wissen, daß sie in 70 Jahren nicht mehr funktionieren werden; ob es die nicht entsorgten Atomkraftwerke sein werden; ob es die Umweltzerstörungen sind, die wir anrichten und deren Reparatur wir von der kommenden Generation fordern. Wir können doch den weniger werdenden Kindern nicht zumuten, all diese Probleme zu lösen; auf Grund der BAföG-Regelungen, die Sie geschaffen haben, ihre eigenen Ausbildungskosten zurückzuzahlen; für die Arbeitslosigkeit ihrer eigenen Kinder und ihrer Eltern durch die Arbeitsförderungsgesetzgebung gegebenenfalls finanziell verantwortlich gemacht zu werden, die ebenfalls Sie geschaffen haben, und zusätzlich für eine steigende Zahl älterer Menschen zu sorgen. Wir brauchen also auch eine neue Politik für Kinder und Jugendliche. Wir brauchen eine neue und bessere Gesundheitspolitik. Wir brauchen eine neue Politik für Frauen, Familien und ältere Menschen. Das bedeutet: Wir brauchen eine neue Regierung. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Wir beraten den Einzelplan 15, den viertgrößten Einzelplan des Bundeshaushaltes mit einem Gesamtvolumen von 22,3 Milliarden DM. Dieser Haushalt ist mit 6 % Steigerungsrate der einzige Haushalt, der das allgemeine Steigerungsvolumen übersteigt. Wir sind sehr dankbar, daß ein solcher Haushalt auch inhaltlich die politischen Grundsätze unterstützt, die wir verfolgen. ({0}) Wer in den letzten Tagen die Meldungen über die große Zahl der jungen Menschen gelesen hat, die heiraten wollen und gern Kinder haben möchten, kann feststellen, daß die Familie wieder in ist. ({1}) Das Greuelszenario, das von Frau Schmidt gezeichnet worden ist, ist wie ein Klagelied, das sich natürlich auf junge Menschen wenig attraktiv auswirken muß. Ich kann gut verstehen, daß Frau Schmidt die Basis dabei gar nicht im Blick hat. ({2}) Der Stellenwert der Familienpolitik ist durch die Politik des Bundeskanzlers Helmut Kohl stetig und langsam gewachsen. ({3}) Das bestätigt, daß die Familienpolitik als Herzstück der Politik der Union eine Wende im Bewußtsein der Bevölkerung herbeigeführt hat. ({4}) Aber nicht nur eindrucksvolle Zahlen belegen dies, sondern es wird auch dadurch belegt, daß die Bürger wieder Vertrauen gefunden haben und Vertrauen zu Ehe und Familie, ({5}) nicht aber zu den von der SPD in der Vergangenheit ins Gespräch gebrachten Gemeinschaften schöpfen. Frau Schmidt wollte auf den Hintergrund der gegenwärtigen Verhältnisse Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft aus dem Programm „Fortschritt'90" konzipieren. Das Gegenteil ist gelungen. Ich habe den Eindruck, daß der „Fortschritt'90" , die Zukunft der SPD, in der Vergangenheit liegt, wie die 70er Jahre beweisen. In den 70er Jahren, Frau Schmidt, hat die SPD das Kindergeld gekürzt. Frau Huber ist praktisch darüber gestürzt. Sie haben das Geld für die arbeitslosen Jugendlichen ebenfalls gekürzt, was von uns wieder eingefordert werden mußte. Wenn Sie hier Versprechen ablegen, dann müssen Sie sich natürlich an dem messen lassen, was Sie in der Vergangenheit getan haben. ({6}) In der Vergangenheit haben Sie es geschafft, daß die von Ihnen mit Krokodilstränen beweinte Armut der Frauen überhaupt entstanden ist. Wir haben diese Armut durch unsere Politik behoben, und zwar erstens durch das Erziehungsgeld für jede Mutter aus Anlaß der Geburt eines Kindes in Höhe von 600 DM monatlich, ab Beginn dieses Jahres für die Dauer von 15 Monaten. Das alles ist doch Musik in Ihren Ohren. Ich sehe, daß Sie dem zustimmen. Ab dem nächsten Jahr wird die Bezugsdauer 18 Monate betragen. Was haben Sie hingegen gemacht? Sie haben die Mütter in zwei Kategorien eingeteilt: Denjenigen, die außerhäuslich erwerbstätig waren, haben Sie vier Monate lang 750 DM gegeben. Alle anderen haben Sie ausgegrenzt. Das war Ihre freundschaftliche und vor allen Dingen den Frauen zugewandte Politik. ({7}) Meine Damen und Herren, Sie propagieren hier ja gerne „Fortschritt '90". Ich kann nur sagen: Rückschritt '70. Auf in die Vergangenheit mit der SPD! Ich will Ihnen gerne noch einige weitere schöne Beispiele nennen. Sie haben hier beispielsweise gesagt, daß die materielle Situation der Familien so grausam sei, daß 30 % der Ehen kinderlos seien. ({8}) Dies ist eine Behauptung, die Sie erst einmal beweisen müssen. Ich weiß - ich lese Statistiken - , daß der Kinderwunsch wieder stärker wird. Frau Dr. Götte, Sie haben ja eine Große Anfrage an die Bundesregierung gestellt. In dieser Großen Anfrage steht ja ganz deutlich, daß die Zahl der Kinder wieder zunimmt. Falls Frau Schmidt dies noch nicht gelesen hat, muß ich ihr dies hier sagen. ({9}) Die Zahl derer, die bisher keine Kinder haben wollten - Sie sprachen von 30 % -, wird durch die Politik der Bundesregierung ständig verringert, die die Entscheidung für ein Kind erleichtert. ({10}) - Es ist wirklich schade, daß man immer so angegeifert wird. Vielleicht hören Sie einfach einmal zu, nehmen zur Kenntnis, was belegt ist, und hören darauf, was tatsächlich geschrieben steht. Dann wäre es auch für Sie viel einfacher. Frau Schmidt meinte, ihre Vorschläge seien seriös finanziert. Wie seriös Sie finanzieren, haben wir gesehen, als 1982 für die von der SPD-geführte Regierung das Aus kam. Die Schulden waren nämlich so hoch geworden, daß man sich einfach keinen Überblick mehr verschaffen konnte. ({11}) Wer heute glaubt, mit 200 DM Kindergeld für jedes Kind Gerechtigkeit herstellen zu können, muß sich die von Frau Schmidt behauptete Ungerechtigkeit jedem anderen gegenüber vorwerfen lassen, denn ich habe noch nichts davon gehört, daß diejenigen, die etwa zu den Höherverdienenden gehören, kein Kindergeld bekommen sollen. Sie wollen das Splitting kürzen; Sie haben nicht gesagt, daß sie es abschaffen wollen. Damit tragen Sie wieder zu einer frauenfeindlichen Aktion bei. Den Frauen, die sich bewußt entscheiden, zu Hause zu bleiben, in der Familie ihren Dienst zu tun, wollen Sie das Splitting nehmen. Sie verkennen damit den Grundsatz, den wir im Steuerrecht haben, daß die Frau und Mutter 50 % Anteil am Gehalt des Mannes hat, wenn er Alleinverdiener ist. ({12}) Dabei soll es bleiben, weil wir der Meinung sind, daß die Frau die Möglichkeit haben muß, zwischen dem außerhäuslichen Erwerbsleben und der Familienarbeit im Hause zu wählen. Davon lassen wir uns nicht abbringen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gattermann?

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wird ja auf meine Redezeit angerechnet. Herr Kollege Gattermann, verstehen Sie bitte, wenn ich Ihre Zwischenfrage nicht zulasse.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich darf vielleicht einmal einen Moment unterbrechen. Es ist wirklich ziemlich schwierig, das zu entscheiden. Es ist natürlich langweilig, wenn wir jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen. Ich wollte das nur einmal sagen. Wir müssen uns endlich einmal einigen. Wenn ich entgegen der Verabredung, die getroffen worden ist, verfahre, dann sitzen wir hier noch zwischen 24 und 1 Uhr. Was soll ich jetzt machen? ({0}) - Ich glaube, ich muß doch darauf aufmerksam machen, daß Zwischenfragen angerechnet werden. Dann muß ich die Entscheidung dem Redner überlassen. ({1}) - Gut, eine kurze Frage.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ganz kurz, Herr Kollege, nur zur Untermauerung Ihrer soeben vorgetragenen These, die Frage: ({0}) Können Sie mir bestätigen, daß man, um die 6 Milliarden DM zur Finanzierung des Kindergeldvorschlags der SPD durch Kappung des Ehegattensplittings hereinzuholen, herunter muß bis auf ein Einkommen von 60 000 DM im Jahr mit einem Vorteil von 3 500 DM und daß das gut 1,6 Millionen Familien betrifft?

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Gattermann, wir wissen, daß die SPD damit einen Finanzierungsvorschlag gemacht hat, der genau die Prosperität, die bei uns die Facharbeiter haben, wieder zunichte machte und daß damit genau dort angesetzt wird, wo im Grunde die aufsteigende Linie unserer Jugend beginnt. Wir sind gegen diesen Vorschlag. ({0}) Meine Damen und Herren, des weiteren ist das Jugendhilfegesetz angesprochen worden. Frau Kollegin Schmidt, während Sie 20 Minuten Redezeit hatten, habe ich leider nur 10 Minuten. Deshalb muß ich mich kürzer fassen. Frau Kollegin Schmidt, Sie reiten auf dem Rechtsanspruch herum. Ich kann dazu nur sagen, die Länder, die Kommunen und die Träger können diese Plätze aus eigenem Recht schaffen. Von meiner Stadt Essen, der fünftgrößten Stadt der Bundesrepublik, kann ich nur sagen - die Kollegin Becker-Inglau wird mir das bestätigen; es war auch in der Zeitung zu lesen - , daß von den Fraktionen überhaupt keine Wünsche nach Kindergartenplätzen angemeldet worden sind. ({1}) Man kann also sagen, was Sie hier alles hinsichtlich des Rechtsanspruchs erzählen, karikiert im Grunde das, was in der Wirklichkeit Ihrer eigenen Städte läuft. ({2}) Im Lande Nordrhein-Westfalen fehlen 100 000 Kindergartenplätze. Warum reiten Sie auf dem Rechtsanspruch herum? ({3}) Handeln Sie in Nordrhein-Westfalen, wo sie die absolute Mehrheit haben, damit jedes Kind einen Kindergartenplatz bekommen kann. ({4}) Meine Damen und Herren, was machen Sie aber statt dessen? Sie wollen mit Ihrem Vorschlag unser Jugendhilferecht torpedieren, weil Sie wieder zu der Mischfinanzierung zurück wollen. ({5}) Diese Mischfinanzierung haben wir mit Ihrer Zustimmung abgeschafft, damit das hier ganz klar wird. ({6}) - Sie reizen mich leider zu diesen Richtigstellungen. Deshalb muß ich sie vortragen. Sie haben sich in Ihren Ausführungen wieder einmal gegen unsere Stiftung „Mutter und Kind" gewandt. Was in SPD-geführten Ländern geschieht, ist ein Skandal. Hier werden Krokodilstränen geweint, aber es wird von den SPD-Ländern keine Stiftung geschaffen und kein Jota an den bisherigen Beschlüssen geändert, und zwar dahingehend, für die Frauen in Not eine Landesstiftung einzurichten ({7}) oder den Frauen im Wege von Zuschußmöglichkeiten zu helfen. Wir haben mit unserer Bundesstiftung 220 000 Frauen geholfen. Es sind Leben gerettet worden, indem in mehr als 50 000 Fällen Kinder das Licht der Welt erblicken konnten. Sie können damit rechnen - davon beißt die Maus keinen Faden ab - , daß wir diese Stiftung, wenn es an uns liegt, weiterhin mit 130 Millionen DM fördern werden. ({8}) Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist gleich zu Ende. - Ich bedanke mich sehr dafür, daß Sie in der bisherigen Debatte besonders die Jugend aufgefordert haben, ihren Blick über die Grenzen hinweg auf diejenigen zu richten, denen es schlechter geht als uns. Ich plädiere dafür, daß man für den Jugendaustausch mit Polen in unserem Etat zunächst einmal 4 Millionen DM ausweist und daß dies auf die Familienbegegnungen über die Grenzen hinweg ausgedehnt wird, damit Europa aus einem engstirnigen, für die Jugend verschlossenen Bereich herausgeführt wird und damit die Jugend in diesem Bereich für die Zukunft besser als bisher ausgestattet wird. Deshalb bin ich dafür, daß dieses deutsch-polnische Jugendaustauschwerk um Familienbegegnungen ergänzt wird, damit wir uns näherkommen, und daß sich diese europäische Einheit auch im Bereich der Familien dokumentiert. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Walz.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Kalil Gilbran, ein libanesischer Philosoph, hierzulande nicht sehr bekannt, sagt: „In Wahrheit bist du keinem Menschen etwas schuldig, du schuldest allen Menschen alles." Dies könnte das Gesetz des Handelns für uns alle sein. Aber es könnte auch dazu verführen, zu begründen, warum der Staat seine segnenden Hände über uns alle zu halten hat, so wie es der SPD vorschwebt und so wie Sie es, Frau Kollegin Schmidt, in einer für mich erschreckenden Art und Weise dargelegt haben; denn der Philosoph mahnt in Wahrheit unsere tätige und nicht nur unsere theoretische Nächstenliebe an. Er fordert unser Herz und nicht nur unsere konzeptionelle Bereitschaft zu helfen. Aus dieser menschlichen Verpflichtung sollten wir uns nicht entlassen und unser politisches Handeln daran ausrichten. ({0}) Das heißt für uns als Liberale: Der Staat kann viel, aber er kann nicht alles tun. Für menschliche Wärme, für intakte Beziehungen ist nicht der Staat mit seinem Geld, sondern sind wir Menschen selbst zuständig. ({1}) Meine Damen und Herren, angesichts der Veränderungen in unserer Gesellschaft, distanziert umschrieben mit der Formel „demographische Entwicklung", ist doch eigentlich Nachdenklichkeit am Platze, was die Selbsthilfekräfte dieser Gesellschaft betrifft. ({2}) - Ich komme noch zu Ihnen, Liebe. Dafür brauchen wir einen sehr realen Blick für die eigentlichen Veränderungen. Aus unserer Sicht, meine Damen und Herren, ist Familienpolitik nicht mehr nur allein Kindergeldpolitik. Die Familien in ihrer traditionellen und in ihren neuen Formen haben Aufgaben abgegeben, und es werden ihnen in Zukunft neue Aufgaben zuwachsen. Familien wollen sich selbst helfen. Deshalb arbeiten viele Frauen, ({3}) aber nicht nur deshalb. Frauen und Männer brauchen die Hilfe der Gesellschaft dazu. ({4}) Diese Hilfen wurden bisher nur zögernd gewährt. Das hat auch dazu geführt, daß das Ja zu Kindern häufig unterblieb. Hier muß ich die CDU bitten, auch diesen Zusammenhang einmal zu erkennen und das Richtige zu tun. In allen anderen europäischen Ländern wurde die Berufstätigkeit der Frau akzeptiert und nicht als ein Verstoß gegen das Gebot der Mütterlichkeit angesehen. ({5}) In Frankreich z. B. ist das Angebot an Ganztagesbetreuung ganz selbstverständlich. In den Ländern, in denen Müttern geholfen und nicht versucht wird, ideologisch zu indoktrinieren, ist auch die Zahl der Geburten nicht zur demographischen Krise geraten. ({6}) Wir halten deshalb die Diskussion um eine neues Jugendhilferecht für dringend nötig. ({7}) Der vorliegende Entwurf formuliert ein neues Verständnis von Jugendhilfe, aber auch von Familienpolitik. Wir erwarten, daß zumindest ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für die Drei- bis Sechsjährigen kommt. ({8}) Wir hoffen, daß auch der SPD-Ministerpräsident Rau dem zustimmen wird. ({9}) Nötiger wäre jedoch ein solcher Rechtsanspruch für Kinder von ein bis drei Jahren und ein Einschwenken der Länder auf Ganztagesschulen. Auch hieran fehlt es. Auch hier werden nur Bekenntnisse abgegeben, und es wird nichts geboten, was den Eltern, was den Müttern helfen würde. Den Familien wachsen neue Aufgaben zu, habe ich gesagt, wobei es sich im Grunde genommen um alte handelt, allerdings mit einer Konsequenz, die ergänzende Hilfen des Staates nötig macht. Das Altwerden als menschliches, aber auch als politisches Problem zeigt sich inzwischen trotz aller Verdrängung als unübersehbar, unüberhörbar. Die Politik der Koalition, die Politik der Bundesregierung, liebe Frau Lehr, muß künftig darin ihren Schwerpunkt sehen. Privat müssen die Menschen lernen, sich dem Alter zu stellen. Dazu müssen wir nicht nur eine Kultur des Helfens, sondern auch eine Kultur des Alterns entwickeln - und keine neue Partei, Frau Unruh. ({10}) - Zur Ausgrenzung ja, aber nicht zur Integration. Die Politik muß Schwerpunkte setzen. Die Familien brauchen Hilfen, damit sie mit ihren älteren Angehörigen leben können. ({11}) Das Gesundheits-Reformgesetz hat hier einen ersten Schritt getan. Die häuslichen Hilfen werden verbessert. ({12}) Doch dringend verbessert werden müssen die Hilfen für die 200 000 schwer- und schwerstpflegebedürftigen Menschen in den Heimen. Das Heimgesetz will hier einen ersten Schritt wagen. ({13}) Allerdings müssen wir erkennen, daß nicht allein das Finanzielle eine Rolle spielt, sondern auch die Stellung und Behandlung des älteren Menschen in unserer Gesellschaft. ({14}) Vor allem geht es hier um Selbständigkeit und um Selbstverantwortung. Meine Damen und Herren, Alter darf nicht zur heimlichen Entmündigung führen. Die Diskussion um den Pflegenotstand hat in den letzten Monaten gezeigt, wie dringend politisches Handeln geworden ist. Deshalb werden wir uns noch in dieser Legislaturperiode dafür einsetzen, daß das Berufsbild des Altenpflegers verbessert und einheitlich für das Bundesgebiet gestaltet wird. Das wird jedoch nicht ausreichen. Wir brauchen eine Offensive auf allen politischen Ebenen zur Gewinnung von Pflegepersonal. Das wird der schwierigste Teil dieser Geschichte sein. Wir brauchen auch Konzepte, um das Pflegerisiko zu mildern. Das wird nicht einfach sein, weil alle Lösungen Geld kosten. Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, unsere Hilfen für die Bürger sollen unterstützen, niemals reglementieren und nicht abhängig machen. Sie sollen einen weiten Raum für die Entfaltung menschlicher Beziehungen lassen, die auch daraus entstehen können, daß man nicht überflüssig ist, daß man gebraucht wird. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder, wenn über Frauenpolitik diskutiert wird, sind unsere Männer nicht da. ({0}) Ich möchte mich heute nochmals in die Kindergartendebatte einmischen, und zwar von einem anderen Punkt aus. Es wird immer davon gesprochen, daß wir die Kindergärten deswegen brauchen, weil die Frauen berufstätig sein wollen. Das ist richtig. Aber ich möchte das Thema einmal von der Seite der Kinder aus diskutieren. Kindheit heute ist durch grundlegende kulturelle Veränderungen gezeichnet. Traditionell festgefügte und dauerhafte Familien werden mehr und mehr zurückgedrängt durch neue Lebensformen. Heute durchleben Erwachsene und Kinder mehr und mehr eine Abfolge verschiedener Familienkonstellationen. Stieffamilien, Pflegefamilien, Ein-Eltern-Familien, Wohngemeinschaften, lesbische und schwule Lebensgemeinschaften können heute nicht mehr als Randgruppenkonstellationen betrachtet werden, sondern sie müssen als gleichberechtigte Lebensgemeinschaften neben der Ehe anerkannt werden. Für Kinder bedeutet der Wechsel häufig den Verlust von verläßlichen Beziehungen. Unterstützt wird dieser Prozeß des Wechselns sozialer Kontakte durch die Forderung von Mobilität, wenn erwerbslosen Frauen und Männern zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes Mobilität abverlangt wird. Wie hat Politik auf diese strukturelle Veränderungen zu reagieren, um Kindern ein Stück Verläßlichkeit und Kontinuität zu geben, die ihnen Sicherheit und Wohlbefinden gibt? Ein Weg, den Eltern und all die wünschen, die sich der Verantwortlichkeit für unsere Kinder bewußt sind, ist die außerfamiliäre Kinderbetreuung als familienunterstützende Maßnahmen: ({1}) Kindergärten und Kinderkrippen, Horte, Eltern-KindGruppen, Mütterzentren, Familienzentren, Kinderläden, Kinderhäuser und viele andere Ideen und Projekte, die es auf diesem Gebiet gibt. Es gibt sie viel zu wenig. Eine Kindergruppe, die kontinuierlich besucht werden kann, und die Kommunikation mit anderen Kindern gibt den Kindern eine verläßliche Orientierung und den Erfahrungsraum, der sie befähigt, Autonomie, Toleranz und Liebesfähigkeit zu lernen, Fähigkeiten, die zur Gestaltung eines erfüllten Lebens notwendig sind und die nicht allein in der Familie gelernt werden können, weil es da beispielsweise auch viel Gewalterfahrung gibt. Wer nicht sieht, daß angesichts der angedeuteten kulturellen Erosionen der Familienstruktur, wie immer die Familie im einzelnen aussieht, die Aufgabe der Erziehung nicht mehr allein von der Familie erfüllt werden kann, entzieht sich der Verantwortung für unsere Kinder. Deswegen, Frau Lehr, sage ich Ihnen: Da Ihr Engagement gegenüber einer wirklichen Reform des Jugendhilferechts mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gleich Null ist, ({2}) ist Ihre Politik unverfroren ignorant und diskriminierend gegenüber Kindern und Eltern. ({3}) Meine Damen und Herren, in einer multikulturellen Gesellschaft - ich kann ja von der multikulturellen Gesellschaft reden, ohne dafür meinen Posten zu verlieren - stellen sich ganz neue Anforderungen an unsere sozialen Kompetenzen. Ist es nicht eine Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen, dafür zu sorgen, daß sich Kinder aus unterschiedlichen Kulturen, die in unserer Gesellschaft leben, vom Kindergarten an treffen, daß sie lernen, Fremdheiten zu überwinden, daß sie Toleranz lernen, daß sie lernen, sich zu akzeptieren? Nur das ist doch die Voraussetzung dafür, damit sie in Zukunft friedlich miteinander leben können. Auch das ist ein wichtiger Grund für Kindergärten. ({4}) Wir haben die Chance, solche Prozesse in Gang zu setzen. Viele Länder und Kommunen sind durch die Sozialhilfe ausgeblutet. Das wissen wir. Deshalb wollen wir, daß der Bund in die Pflicht genommen wird. Über die Gemeinschaftsaufgabe wäre es möglich, auch den Ausbau von Kindergärten zu fördern. Wir wollen aber auch nicht die Länder aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie, Frau Minister Lehr, sind vor dem Protest bestimmter Länder - übrigens auch SPD-regierter Länder - , die Angst vor den finanziellen Folgen haben, in die Knie gegangen. Sie haben sich zwar einmal keck für die Versorgung auch schon zweijähriger Kinder zu Worte gemeldet, aber als dann aus Gruppen und Organisationen, die Ihnen nahestanden, sofort großer Protest kam, sind Sie wieder abgetaucht. Frau Ministerin, aus dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist jetzt die unbestimmte Formulierung der bedarfsgerechten Orientierung von Kindergartenplätzen geworden. Damit haben Sie verloren. Unter Ihrer Amtszeit, Frau Ministerin, ist zu befürchten, daß aus der Reform des Jugendhilferechts eine bis auf das Skelett abgemagerte Neuordnung des Jugendhilferechts wird, die auf Bedarf und gesellschaftliche Notwendigkeit nicht reagiert. Das neue Jugendhilferecht sollte ein Leistungsgesetz werden. Das ist mit einer Ministerin, die kapituliert, nicht möglich. Frau Ministerin, Sie sind eine Frauenministerin. Man merkt es kaum. Ich sage Ihnen folgendes: Die Folgen der Wünsche, die die Frauen auf Grund ihrer Emanzipation haben, sind maßlos. Die Frauen wollen Erwerbsarbeit, die Frauen wollen Kinder, die Frauen wollen keine Kinder, die Frauen wollen Ausbildung, die Frauen wollen sich weiterbilden und die Frauen wollen über autonome Lebenszeit verfügen. ({5}) Darin müssen sie unterstützt werden. ({6}) Die Männer sind - um das zu sagen; sie sitzen ja hier reichlich ({7}) in dem Emanzipationsprozeß der Frauen die dunkle Seite. Wenn wir sehen, daß weiterhin männliche Werte dominieren, wie Stärke, Disziplin, Gehorsam, der Mißbrauch von Macht, der von Männern üblich ist, so sind die Männer das schwarze Kapitel der Menschheitsgeschichte. ({8}) Diese Misere wollen wir natürlich nicht der Ministerin allein anhängen. Wir können sie aber fragen: Was tut die Ministerin für den Erwerbsarbeitswunsch der Frauen? Was hat sich getan? Es gab ein Programm zum Wiedereinstieg von Frauen. Das Programm ist ja nicht einmal ganz abgerufen worden, und zwar deshalb, weil es einfach zu wenig Stellen in dem Ministerium gibt und das überhaupt nicht bearbeitet werden kann. Jetzt zu den Quoten. Die Frau Ministerin hat sich zu den Quoten nicht geäußert. Ich sage einmal für all diejenigen Frauen, die es geschafft haben, die einen Arbeitsplatz haben, die einen einflußreichen Posten haben, die also Geld, die Gestaltungsmöglichkeiten haben ist es doch einfach, zu den Quoten zu schweigen oder die Quoten zu denunzieren. Aber all diejenigen Frauen, die bei Bewerbungen durchfallen nur deshalb weil das Geschlecht „männlich" bei Einstellung schon als Qualifikation als solche gilt, die warten auf eine rechtliche Absicherung von Quoten. Wo bleibt, Frau Ministerin, der rechtliche Schutz der Ehefrau vor Ehegattennotzucht. Wenn zwar gesellschaftlich wenige, aber offensichtlich einflußreiche Männer glauben, bei Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe würden viele Frauen abtreiben, dann müssen diese Männer doch der Meinung sein, daß viele Schwangerschaften unter Gewaltanwendung entstehen. ({9}) Immerhin haben diese Männer eine Ahnung davon, daß es Gewalt in der Geschlechterbeziehung gibt. Wer parteilich ist für die Frauen, muß die Strafbarkeit von Vergewaltigung auf eheliche Vergewaltigung ausdehnen; daran führt überhaupt kein Weg vorbei. In welcher Schublade, so frage ich, hat die Regierung das Gesetz versenkt, das es ja schon einmal gab? Warum trauen Sie sich nicht, dieses Gesetz wieder herauszuholen? Auf welcher Seite stehen Sie, Frau Ministerin? Ich könnte noch eine halbe Stunde reden, aber ich habe ja nur zehn Minuten. ({10}) Meine Damen und Herren, dieser Haushalt, den wir heute behandeln, umfaßt 15 Millionen DM für die Frauenpolitik und 72 Millionen DM für die Altenpolitik. Zu einer Grundrente haben Sie sich nicht durchringen können, die Altersarmut wird nicht bekämpft, aber 72 Millionen DM werden verpulvert, die dazu dienen sollen, Wählerstimmen bei den Alten zu fischen für die Partei, die jetzt an der Regierung ist. Für die Nachwuchswerbung der Bundeswehr werden fast 27 Millionen DM ausgegeben. Für die Frauenpolitik sind es ganze 15 Millionen DM. Frau Ministerin Lehr, als Frauenministerin sind Sie nicht präsent, als Jugendministerin sind Sie noch nicht in Erscheinung getreten, als Familienministerin sind Sie ignorant gegenüber den Sorgen und Nöten von Kindern und Eltern, auf Ihren Durchbruch als Altenministerin warten wir noch. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß ja kein Nachteil sein, an einem Tag zweimal an dieses Rednerpult gehen zu dürfen. Frau Kollegin Schoppe, ich möchte bei dieser ersten Lesung des Haushalts 1990 in den wenigen Minuten doch noch einmal den Blick auf diesen Einzelplan richten; denn es handelt sich um einen der ganz großen Haushalte, um den viertgrößten Bundeshaushalt, und er erfüllt, wenn ich mich recht erinnere, im wesentlichen die Wünsche, die uns von dieser Seite des Hauses vor einem Jahr aus ähnlichem Anlaß vorgetragen worden sind. Ich kann mich an diese Debatte noch sehr genau erinnern. Frau Kollegin Schmidt hat sich diesmal ein anderes Aktivitätenfeld ausgesucht, weil sich das, was sie beim letztenmal hier vorgetragen hat, längst in so hervorragender Weise in diesem Haushalt wiederfindet. Das Kernstück des Haushalts, der eine große Akzent, ist nämlich die Aufstockung des Familienlastenausgleichs. Auf diesen Bereich sind Sie in diesem Jahr jedenfalls nicht mehr eingegangen, weil die Regierung da eine sehr gute Bilanz vorzuweisen hat. Schauen Sie einmal in diesen Haushalt in der Größenordnung von 22,3 Milliarden DM hinein, dann finden Sie darin 14,5 Milliarden DM für das Kindergeld, und Sie finden 4,5 Milliarden DM für das verbesserte Erziehungsgeld. Das macht nach Adam Riese zusammen - da braucht man keinen Computer - 19 Milliarden DM. Es bleiben 3,3 Milliarden DM und davon sind 1,5 Milliarden DM für den Zivildienst bestimmt. Das machen wir aus vollster Überzeugung, damit diejenigen, die den Wehrdienst mit der Waffe nicht wollen, einen gleichen adäquaten Dienst als Zivildienstleistende leisten, damit es auf diesem Gebiet kein Behandlungsgefälle gibt. Dann bleiben noch Bereiche übrig, die schon im einzelnen erwähnt worden sind, auf die ich auch noch zu sprechen kommen werde. Zunächst muß ich aber ihre Anmerkungen zum Bereich des Familienlastenausgleichs doch unter einigen Aspekten noch einmal ansprechen. Hierbei steht die Regierung - wir unterstützen diese Politik aus voller Überzeugung - mit einer glänzenden Bilanz da. ({0}) Wenn Sie jetzt etwas unausgegorene Forderungen nachschieben und den Familien mit zwei Kindern neue Versprechungen machen, dann müssen Sie zunächst einmal in gleicher Klarheit sagen - Herr Dreßler, ich schaue zu Ihnen hinüber; Sie sprechen ja immer gern vom Abkassiermodell -, ({1}) daß Sie bei allen Familien abkassieren wollen. Sie wollen das Splitting reduzieren. ({2}) Das heißt: Sie wollen bei allen Familien abkassieren! Denn das Splitting ist eine Begünstigung der Familien. ({3}) - Ist das von vornherein ein Widerspruch? Das sind Unterschiedlichkeiten. ({4}) Das ist der Gedanke der Partnerschaft, der Gedanke der ehelichen Partnerschaft, und dagegen argumentieren Sie jetzt an. Im Splitting werden die Einkünfte von zwei Ehepartnern addiert. Sie werden dann geteilt, ({5}) dann schaut man in die Steuertabelle, ermittelt den Steuertarif und verdoppelt die abgelesene Steuerhöhe. ({6}) Das ist eine Begünstigung gegenüber dem, was sich bei einer Einzelermittlung ergäbe; denn hierbei gibt es sozusagen einen Mittelungseffekt, einen steuersenkenden Mittelungseffekt. Sie haben hier Versprechungen gegenüber den Familien mit zwei Kindern geäußert. Darüber kann man ja reden. Aber zu Ihrer Finanzierung: Dann gehen Sie doch einmal hin und sagen Sie das allen, von denen Sie Geld haben wollen! Wir haben bisher den Familienlastenausgleich aus dem Haushalt finanziert. Sie haben hier über eineinhalb Tage nur die Defizite gegeißelt. Ich habe hier zwei Tage lang nur höhere Forderungen an den Haushalt gehört; das machen Sie. ({7}) Hier wollen Sie jetzt bei anderen für noch wenig ausgegorene Wohltaten abkassieren. Sie sollten sich das alles genau überlegen und vor allem auch mit anderen Kollegen in Ihrer Fraktion besprechen, ob das der Weisheit letzter Schluß ist, was Sie hier rausgelassen haben. ({8}) Wir nehmen das andere aber auch gleich auf den Prüfstand, damit wir die Kerndinge immer gleich beieinander haben. Natürlich sind wir bei der FDP für Kindergärten, aber lassen Sie bitte diese Sache als kommunalpolitische Aufgabe dort, wohin sie gehört, in den Kommunen, in den Städten, in den Kreisen! Sie wollen wieder einen Mischfinanzierungstatbestand. Sie haben nämlich ganz leise hintendran gesagt: Und der Bund soll mitfinanzieren. Für die Kindergartenfinanzierung haben Sie hier also einen neuen Tatbestand der Mischfinanzierung kreiert. In dieser Zusammenführung unterschiedlicher Finanzierungsbeiträge kommt Ihr Staatsverständnis schon wieder deutlich zum Ausdruck. Man kann darüber reden, was die Kindergärten angeht. Aber lassen Sie sich einen guten Rat geben: Lassen Sie diese Aufgabe bei der Kommunalpolitik, und heben Sie das nicht auf die Bundesebene, so daß man sich im Bund über die Finanzierung von Kindergärten Gedanken machen müßte. ({9}) Wir sind hier nicht allzuständig. Im Kommunalwahlkampf können Sie nicht sagen: Die Rechte der Kommunen und die der Landespolitik sind zu gering, während Sie gleichzeitig einen neuen Mischfinanzierungstatbestand schaffen wollen. Lassen Sie die Finger davon! ({10}) Wenn man das ganze, das hier ein bißchen forsch nach vorne getragen wird, ein bißchen abklopft, dann werden Sie sehen, daß die Finanzierung, die wir den Familien zuteil werden lassen, sehr solide ist, da diese aus dem Haushalt finanziert wird. Wir bemühen uns auch, die Finanzierung aus den jetzigen Steuereinnahmen sicherzustellen und machen das nicht über die vielen Millionen Haushalte - das sind nämlich viele Millionen - , die im Rahmen Ihres Splittingabbaus mehr Steuern zu zahlen hätten. Das ist nämlich der Kernpunkt der Angelegenheit. Erklären Sie es draußen! Wir werden uns Wiedertreffen. Was das Erziehungsgeld anbelangt, so haben wir diese Erweiterung in zwei Stufen gern mitgemacht. Es ist nicht nur eine Verbesserung für die Familien mit Kindern, egal, ob dann die Frau oder der männliche Partner diese Aufgabe übernimmt, sondern es ist auch ein Stück Gleichberechtigung, die in dieser Regelung mit zum Ausdruck gebracht wird, und auch dazu stehen wir sehr bewußt. In der Kürze der Zeit noch der Blick auf einige Bereiche, die ebenfalls aus diesem Haushalt finanziert werden sollen und die wir aus Überzeugung gern mittragen. Der zweite wesentliche Akzent bei aller Kontinuität ist die deutliche Erhöhung für Aussiedler und Übersiedler. Hier ist eine sehr fühlbare Aufstockung vollzogen worden, und wir bereiten uns auf die Ergebnisse einer Politik vor, für die wir als FDP nicht nur seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten stehen, nämlich daß diejenigen, die zu uns kommen wollen, hier auch unterstützende Aufnahme erhalten. ({11}) Das sind Geldmittel, mit denen wir den jugendlichen Übersiedlern die Eingliederung in unsere Gesellschaft erleichtern helfen. Mehr möchte ich dazu an dieser Stelle nicht ausführen. Ich weise noch darauf hin, daß auch der Ansatz für die AIDS-Forschung, für die AIDS-Aufklärung, für modellhafte Unterstützung in diesem Bereich fortgeführt werden soll. Solange es keine wirksame Medizin gibt, werden wir hier experimentieren müssen, was Betreuungsmodelle anbelangt, und wir werden durch Aufklärung Vorsorge zu treffen haben, solange es keine medizinische Hilfe gibt. Das muß die Linie der Aktivitäten bleiben; darum bemühen wir uns auch aus anderen Bereichen heraus. Aufklärung ist eine wichtige Angelegenheit, und darum stellen wir auch hier11932 für die notwendigen Mittel gern bereit, damit diese Aufgabe geleistet werden kann. ({12}) Ein letzter Punkt, der hier meinerseits ganz kurz angesprochen werden soll, ist die Unterstützung für die Bekämpfung der Drogensucht. Rein persönlich - das möchte ich für mich als einzelner sagen - glaube ich, daß dieses Problem in diesem, aber auch in anderen Haushalten noch nicht den ausreichenden Widerhall gefunden hat. Ich glaube, dieses Problem ist dabei, größer zu werden, und das kommt bislang auch gesamtpolitisch in den Geldmitteln, die wir dafür zur Verfügung stellen, noch nicht zum Ausdruck. Auch wenn ich in andere Länder schaue, so deuten Zahlen, Daten, Bilder aus diesem Bereich darauf hin, daß sich die nicht gute Situation offensichtlich noch verschlechtert. Hier, meine ich, sollten wir mit den Mitteln dieses Haushalts - vielleicht auch als Ausfluß von politischen Diskussionen über die Fraktionen hinaus - unseren Einsatz verstärken, damit hier nicht schon in der Jugend Lebenswege Schaden erleiden, was auch einen Schaden für die Gesellschaft darstellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Dr. Lehr.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles ist hier schon angesprochen worden. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen. Die für meinen Arbeitsbereich im Haushaltsjahr 1990 vorgesehenen Ausgaben belaufen sich auf rund 22,3 Milliarden DM. Sie liegen um 6 % über den Ausgaben des Haushaltsjahres 1989. Der Anstieg beruht im wesentlichen auf einer Erhöhung des Ansatzes beim Kindergeld - Steigerung um 440 Millionen DM - und beim Erziehungsgeld - Steigerung um 500 Millionen DM - sowie auf einer Erhöhung der Ausgaben für die Aus- und Übersiedler um rund 248 Millionen DM. Der Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bleibt damit auch 1990 der viertgrößte Einzeletat. Dieser Haushalt steht für eine Kontinuität, die sich dadurch auszeichnet, daß die seit 1982 geschaffenen Grundlagen für eine solide Entwicklung unserer Gesellschaft in die neunziger Jahre hinein fortgeführt werden. Dies gilt insbesondere für unsere Familienpolitik, die nach wie vor Zentrum unserer Politik ist. Wir haben den Familienlastenausgleich nach Jahren der Stagnation erheblich verbessert, und wir werden ihn weiter ausbauen. Die gesamten von Bundesregierung und Bundestag beschlossenen neuen Leistungen und Verbesserungen erreichen im Haushaltsjahr 1990 ein Volumen von etwa 18 Milliarden DM. Wir sind weiterhin für das duale System des Familienlastenausgleichs. Kindergeld einerseits und Steuerfreibeträge andererseits sind ein System, das familiengerechter ist als ein einheitliches Kindergeld, wie Sie es immer wieder vorschlagen, ({0}) familiengerechter, weil es verhindern will, daß Familien für die Aufwendungen für Kinder aus eigenem Einkommen noch Steuern zahlen, familiengerechter, weil es durch gestaffelte Kindergeldsätze die höhere Belastung der Familien mit mehreren Kindern berücksichtigt, und schließlich auch familiengerechter, weil es dem überragenden Rang der Familie entspricht, wenn neben dem Bund auch Länder und Gemeinden finanziell daran beteiligt sind. Wir wollen, daß derjenige, der Kinder hat, weniger Steuern zahlt als der, der keine Kinder hat. Für das kommende Jahr sind weitere Verbesserungen bereits beschlossen und nicht nur geplant: die Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind von 100 auf 130 DM, die Erhöhung der Kinderfreibeträge auf 3 024 DM und vor allem die Verlängerung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs auf 18 Monate. Selbstverständlich bleibt die weitere Verbesserung der Leistungen für die Familie auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil unserer Politik. Die Bundesregierung hat mehrfach erklärt, daß sie das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub weiter ausbauen wird. Mein Ziel bleibt: drei Jahre Erziehungsgeld unter Einbeziehung der Länderregelungen. Hier sind bereits einige Länder mit gutem Beispiel vorangegangen, nämlich Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz. Was Familien von einer rot-grünen Regierung zu erwarten haben, können Sie allerdings in Berlin sehen. Der CDU-geführte Senat hatte ein Landeserziehungsgeld von zusätzlich einem Jahr eingeführt, so daß Berliner Familien insgesamt zwei Jahre Erziehungsgeld bekamen. Der rot-grüne Senat hat jetzt öffentlich die Absicht bekundet, dieses Landeserziehungsgeld um jeweils so viel Monate zu kürzen, wie das Bundeserziehungsgeld verlängert wird. Ich halte es für einen familienpolitischen Skandal, wenn die erheblichen Verbesserungen des Bundes für die Familien dazu führen, daß sich rot-grün regierte Länder der Verantwortung für die Familien entziehen. ({1}) Ein weiterer wichtiger Punkt in meinem Etat ist die Bundesstiftung „Mutter und Kind", veranschlagt mit 130 Millionen DM. Hier wurde und wird auch weiterhin vielen Frauen geholfen. Zu den neuen Akzenten der Familienpolitik gehört das noch in diesem Jahr beginnende Programm „Zukunft der Familie". Die Entscheidung zum Kind hängt nicht nur von der finanziellen Situation ab. Dieses Programm stellt den Wert der Familie in unterschiedlichen Aktionen wie Öffentlichkeitskampagnen, Wettbewerben, Ausstellungen in den Mittelpunkt. Es will dazu beitragen, die Kinderfreundlichkeit in unserem Lande zu erhöhen. Hierzu dienen auch die darin vorgesehenen Forschungs- und Modellvorhaben. Wir wissen, daß auch junge Menschen - Frauen wie Männer - der Familie nach wie vor einen hohen Stellenwert einräumen. Das sehe ich auch als Bestätigung der Familienpolitik dieser Bundesregierung. Wichtig für uns ist die Aufwertung und Neubewertung der Arbeit in der Familie. Durch die Einführung des Erziehungsurlaubs und des Erziehungsgeldes nicht nur für Berufstätige, sondern auch für Hausfrauen sowie durch die Anerkennung der Erziehungszeiten im Rentenrecht sorgen wir dafür, daß zum erstenmal die Arbeit in der Familie mit der Arbeit im Erwerbsleben gleichgestellt wird. ({2}) Was zu Recht von Generationen von Müttern und von Familienverbänden immer wieder angemahnt und gefordert worden ist, wir haben es politisch umgesetzt. ({3}) Wir haben mit diesen Maßnahmen gleichzeitig wichtige Grundlagen für eine echte Partnerschaft zwischen Männern und Frauen geschaffen: denn Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung gelten natürlich für Mütter und Väter. Allerdings ist festzustellen, daß die Zahl der Väter, die vom Erziehungsurlaub Gebrauch machen, mit nur 2 % verschwindend gering ist. Aber ich bin zuversichtlich, daß die Zahl der jungen Männer, die bereit sind, Aufgaben in der Familie und bei der Erziehung der Kinder zu übernehmen, in Zukunft zunehmen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schoppe?

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Wenn mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß das nicht möglich ist.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Dann kann ich die Zwischenfrage nicht zulassen. Meine Redezeit ist nämlich schon reduziert worden.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, da Sie gerade davon gesprochen haben, daß auch Väter Erziehungsurlaub nehmen können, -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Schoppe, Frau Lehr hat die Zwischenfrage nicht zugelassen.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie will nicht?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie würde schon wollen, sieht sich aber wegen der Zeit außerstande.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie gerade gesagt haben, daß auch Männer Erziehungsurlaub nehmen können, weise ich Sie auf folgendes hin -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, Frau Schoppe, Sie haben nicht das Wort. Es tut mir leid. ({0})

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Sprechen wir uns hinterher. Auch im Hinblick auf unsere Gleichberechtigungspolitik stehe ich in Kontinuität von Rita Süssmuth. Wir haben die Chancen für Frauen verbreitert. Das gilt im familiären wie auch im beruflichen Bereich. Seit 1983 hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 1,3 Millionen zugenommen. Frauen waren an diesem Anstieg mit rund 65 % überproportional beteiligt. Immer mehr Frauen sind in qualifizierten Berufen zu finden; eine Entwicklung, die es zu fördern gilt. ({0}) Ein Schwerpunkt unserer Politik im kommenden Jahr ist das bereits angelaufene Modellprogramm zur Wiedereingliederung von Frauen in den Beruf nach der Familienphase. Die Eröffnung der Wiedereingliederungsberatungsstellen seit Juli dieses Jahres und die Ausschreibung des Modellprogramms haben ein außerordentlich positives Echo gehabt. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Unsere Politik setzt auf Wahlfreiheit von Frauen und Männern in Familie und Beruf. Wir haben schon sehr viel, aber gewiß nicht alles getan. Ich sehe durchaus noch Defizite, wenn ich z. B. an die Versorgung mit Betreuungseinrichtungen für Kinder erwerbstätiger Mütter denke. Auch von familienfreundlichen Arbeitszeiten sind wir leider noch weit entfernt. Doch sind wichtige Grundlagen geschaffen worden, die es im letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts auszubauen gilt. Im nächsten Jahr setzt die Bundesregierung bewußt einen neuen Schwerpunkt. Wir stellen unsere Politik für ältere Menschen auf eine neue und festere Grundlage. Dies manifestiert sich auch im Haushalt, den wir heute beraten. Ab 1990 sollen die Haushaltsansätze des Familienministeriums für altenpolitische Maßnahmen verdoppelt werden: für 1990 auf 18 Millionen DM, bis 1993 auf '72 Millionen DM für Modellprogramme, nicht in erster Linie für andere Dinge. ({1}) Die Bewältigung der Probleme, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aus den tief greif enden Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung ergeben, zählt zu den großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen der nahen Zukunft. Heute ist jeder fünfte Bundesbürger älter als 60. In etwa zehn Jahren wird es mehr als jeder vierte sein. Altenpolitik zu Beginn des nächsten Jahrtausends wird ein gutes Drittel unserer gesamten Bevölkerung betreffen. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einer vergreisenden Gesellschaft und verweisen auf die erdrückenden Alterslasten. Ich wehre mich mit Entschiedenheit gegen derartige Horroszenarien. Sie sind nicht nur diskriminierend für unsere ältere Mitbürger, sondern sie verzerren die Realität und schaffen völlig unnötig eine negative Erwartungshaltung dem eigenen Alter gegenüber. In der öffentlichen Diskussion ist die Frage der Pflege alter Menschen sehr stark in den Mittelpunkt gerückt. Dies ist ohne Zweifel ein extrem wichtiges Thema. ({2}) Die Bundesregierung hat im Gesundheits-Reformgesetz bereits wichtige erste Schritte eingeleitet. ({3}) Seit dem 1. Januar dieses Jahres bekommen pflegende Angehörige eine Urlaubsvertretung von der Krankenkasse. ({4}) Ab 1990 werden bis zu 25 Pflegestunden ersetzt. ({5}) Natürlich sind noch weitere Maßnahmen geplant. ({6}) - Was haben Sie denn gemacht? Wenn Sie „ungeheuerlich" sagen, was war denn in der Zeit zuvor? Es ist ja das erstemal, daß so etwas überhaupt passiert. ({7}) Ich werde mich nachdrücklich dafür einsetzen, daß die Situation Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen noch weiter verbessert wird. Außerdem ist in meinem Ministerium eine Regelung der Altenpflege-Ausbildung durch Bundesgesetz in Vorbereitung. Doch zunächst einmal gilt es, alles zu tun, Pflegebedürftigkeit durch den Ausbau von Prävention und Rehabilitation zu vermeiden. Doch, meine Damen und Herren, die heute Älteren sind glücklicherweise keine vorwiegend auf Hilfe und Betreuung angewiesene Problemgruppe. Viele sind erfreulicherweise bei relativ guter Gesundheit und noch voller Tatendrang. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um Männer und Frauen mit großer Lebens- und Berufserfahrung. Sie sind bereit, ihre Kräfte und Erfahrungen für sich und für andere einzusetzen. ({8}) Wir sollten dieses Angebot annehmen und dieses wertvolle Potential nutzen. Gerade die Älteren von heute, die vielfach im Krieg und in der Nachkriegszeit schwere Schicksalsschläge erlitten und gemeistert haben und deren Arbeit, Fleiß und Engagement wir den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich verdanken, gerade sie verdienen in besonderem Maße unsere Anerkennung und Solidarität. ({9}) Wir wollen nicht nur eine Politik für Ältere, sondern mit Älteren und soweit möglich auch von Älteren. ({10}) Die Bundesregierung begrüßt die wachsende Bereischaft der Älteren, ihre Interessen im Rahmen von Seniorenorganisationen selbst zu vertreten. Ich halte es für gut, daß sich Parteien verstärkt um ältere Mitbürger kümmern, Aktivitäten der Älteren fördern und ihre Mitarbeit weit stärker mit einbeziehen. Aber ich halte Seniorenparteien ebenso wie Frauenparteien oder Jugendparteien für den falschen Weg. ({11}) Nicht im Gegeneinander von Alt und Jung, sondern durch solidarisches Miteinander der Generationen werden wir die Herausforderungen des demographischen Wandels bestehen und die notwendigen Anpassungsleistungen unserer Wirtschaft und Gesellschaft erbringen. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Nein. Ich kann nicht, ich bin in Zeitknappheit. Vor einigen Wochen hat es ein Gerichtsurteil gegeben, das die Zulässigkeit eines Pflegeheims in einem reinen Wohngebiet verneint hat. Dies hat zu Recht heftige Diskussionen ausgelöst. Ich bin der Überzeugung, hier muß es Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen geben. Bemerkenswert in dieser Diskussion ({0}) war für mich, daß sich vor allem jüngere Menschen mit deutlicher Kritik zu Wort gemeldet haben. Das zeigt: Junge Menschen wissen genau, wir können unsere Gesellschaft nicht in einzelne Teile zerschneiden, sondern Ältere und Jüngere sitzen in einem Boot. ({1}) Es geht nicht um Gruppeninteressen, sondern um ein Füreinander und Miteinander, um die Entwicklung von mehr Gemeinsinn. Ganz kurz zur Jugendpolitik: Hier sehe ich vor allem noch zwei wichtige Aufgaben. Erstens: Ich strebe in dieser Legislaturperiode die Neuordnung des Jugendwohlfahrtsgesetzes an. ({2}) Wir brauchen jetzt endlich dieses Gesetz, der Kinder, der Jugendlichen und der Familien wegen. ({3}) - Wir werden einen Weg finden. Zweitens: Der Jugendaustausch muß weiter ausgebaut werden. Zusätzlich zum Jugendaustausch mit Frankreich, den anderen EG-Staaten, mit Israel und den Vereinigten Staaten wird ein künftiger Schwerpunkt des Jugendaustauschs der Austausch mit den osteuropäischen Staaten sein. ({4}) Ich verspreche mir hiervon auch eine Unterstützung der Demokratisierungsbestrebungen in den Staaten Osteuropas. Die Kontinuität unserer Politik gilt selbstverständlich auch für die Gesundheitspolitik, insbesondere auch für den Kampf gegen AIDS. Verstärken werden wir zudem den Kampf gegen den Drogen- und Rauschgiftmißbrauch. Das Drogenproblem hat sich auch in Europa bedrohlich ausgeweitet. Die Zahl der Toten und Abhängigen steigt. Wir werden uns durch diese Entwicklung nicht entmutigen lassen, sondern wir suchen nach wirksamen Wegen, den Abhängigen besser zu helfen und den Verbrechern das Handwerk zu legen. Gerade die Drogenbekämpfung zeigt: Unsere Politik ist mehr und mehr staaten- und länderübergreifend. ({5}) Die Probleme haben europäische Dimension, die Lösungen müssen sie auch haben. Wir müssen die internationale Zusammenarbeit in der Gesundheitspolitik und in der Bewältigung des demographischen Wandels stärken. Der Haushalt für das Jahr 1990 belegt: Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ist und bleibt das Ministerium, in dessen Zentrum wichtige soziale Fragen der Zukunft stehen, die jeden von uns bewegen. Gesundheit und Familie, Jugend und Alter, die Rolle der Frauen und der Männer - diese Themen gehen uns alle an. ({6}) Ich werde mich auch weiterhin mit aller Kraft für eine gute Politik in diesen Bereichen einsetzen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorab eine Bemerkung zu den Ausführungen des Abgeordneten Rühe in der gestrigen Debatte machen. Die Ostpolitik der SPD in den 70er Jahren hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, das Eis des Kalten Krieges zu schmelzen. ({0}) Auf diese Entwicklungen haben CDU und CSU mit dumpfer Prozeßhanselei geantwortet. CDU und CSU können bis heute kein überzeugendes ostpolitisches Konzept vorweisen. Ungezählte Begegnungen vieler Sozialdemokraten haben in den osteuropäischen Ländern Gesprächsfäden, Gesprächsfähigkeit dort aufrechterhalten, wo Christdemokraten in der Rolle von schimpfenden Zuschauern verharrten. Wir haben in diesen Ländern unsere Beiträge geleistet, für die Menschen, vielfach im stillen. Es ist wahr, meine Damen und Herren, bei Wallfahrten mit Fernsehkameras waren Sozialdemokraten nicht zu sehen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Einen Augenblick bitte, Herr Kollege. - Meine Damen und Herren hier auf der Regierungsseite, ich bitte, Platz zu nehmen und dort keine Veranstaltungen abzuhalten.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist ungeheuerlich, von einem etwa gleichaltrigen Parlamentskollegen, der sich um einen Posten als Parteimanager bewirbt, zu hören, wir hätten die Opposition in osteuropäischen Staaten systematisch boykottiert und mit den regierenden Kommunisten Reformbestrebungen erschwert. ({0}) Ich frage: Ist die Ursache für diese bösartige Bewertung vielleicht darin zu suchen, daß die CDU/CSU erkennen muß, daß sich die Reformbewegungen in Osteuropa an den Wertvorstellungen orientieren, die die Sozialdemokratie entwickelt hat, und eben nicht an den überholten konservativen Gesellschaftsbildern der CDU/CSU, die auch in der Bundesrepublik Deutschland heute keine Mehrheit mehr haben? ({1}) Meine Damen und Herren, eine Sozialpolitik, die sich nicht oder nicht mehr auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einzustellen vermag, ist zum Scheitern verurteilt, egal wie die augenblicklichen Wirtschaftsdaten lauten. Grundannahmen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für soziales Handeln haben sich aber in den letzten Jahren spürbar und für jedermann erkennbar verändert. ({2}) Die Reaktion der Regierungspolitik darauf: Ein Blick zurück zu Ordnungsdenken und Sozialabbau. Man lebt bei der CDU/CSU und FDP in einer Welt des Als-ob. ({3}) Die gesellschaftspolitischen Reaktionen der Bundesregierung bestehen aus Appellen, bestehen aus dem Stopfen von Löchern, die sie selbst zuvor aufgerissen hat, bestehen aus einem Abwarten, das wiederum zu Notoperationen zwingt. Daraus folgt eine Politik des Herumwurschtelns an Symptomen und zwangsläufig dann vielfach ein Zurückweichen vor Partikularinteressen. Kein Hauch einer neuen Architektur. Es fehlt der Wille, sich mit den neuen Grundannahmen auseinan11936 derzusetzen. Der zündende Funke eines Umbaus im Aufbau unseres Sozialsystems fehlt. ({4}) Wir registrieren ein Verharren in Denkschablonen, die sich weniger an der Zukunft als an der Vergangenheit orientieren. Diese Haltung belegt die Unfähigkeit, sich den neuen Anforderungen zu stellen, die wir uns in unserer Gesellschaft selbst geschaffen haben. ({5}) Die Antworten der Bundesregierung kommen über den Status eines schlechten Reparaturbetriebes nicht hinaus. Dies schadet unserem Volk. Die Regierungspolitik ist nach rückwärts gerichtet; sie erschöpft sich in Verwaltung zum Rückbau des sozialen Fortschritts. Gegen eine Regierungspolitik, die Löcher aufreißt, um bereits entstandene Löcher zu schließen, setzen wir Sozialdemokraten eine neue gesellschaftspolitische Architektur. Die Vorschläge der SPD wollen nämlich umgestalten und neu gestalten. In wohl kaum einem anderen Bereich lassen sich die unterschiedlichen politischen Ansätze von CDU/ CSU/FDP und Sozialdemokraten so deutlich herausarbeiten wie in der Sozialpolitik. Die SPD ist als Partei, als der parlamentarisch-politische Teil der Arbeiterbewegung vor über 125 Jahren entstanden, um sozialer und wirtschaftlicher Not weiter Teile der Bevölkerung politisch Ausdruck zu verleihen und sie zu überwinden. ({6}) Seit je gehört die Sozialpolitik daher zum Kernbestand sozialdemokratischen Politikverständnisses. Sie ist nicht irgendein Politikfeld unter vielen, für uns ist sie das Feld politischer Betätigung. ({7}) Diese Tradition wirkt weiter. Auch heute als Volkspartei bekennen wir uns zu diesen Wurzeln und leiten daraus unsere Politik, vor allem unsere Sozialpolitik, ab. In dieser Rangfolge der verschiedenen Politikfelder liegt also der erste gewichtige Unterschied zum konservativen Lager. Im Gewicht der Sachkonkurrenz der verschiedenen Politikfelder miteinander liegt der zweite gewichtige Unterschied. Für uns Sozialdemokraten ist die Sozialpolitik eben nicht die abhängige Variable der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Sozialpolitik ist nicht die Reparaturwerkstatt zur Behebung der Schäden des neoliberalen Wirtschafts- und Finanzbetriebs. Nein, sie hat einen eigenen gesellschaftspolitischen Stellenwert. ({8}) Wirtschafts- und Finanzpolitik einerseits sowie Sozialpolitik andererseits sind gleichberechtigte und gleichgewichtige Politikfelder. Dies zwingt dazu, das finanzpolitisch Mögliche mit dem sozialpolitisch Gebotenen in Einklang zu bringen. Sozialpolitik nach Kassenlage, bei der sie zu einer Art Wurmfortsatz der Finanzpolitik würde, kann es mit uns daher nicht geben. Dies ist der zweite Unterschied zur Politik des konservativen Lagers. Die Grundphilosophie der Regierungspolitik seit Oktober 1982 lag im Glauben, man müsse Investoren - seien es Unternehmer, seien es Wohnungseigentümer - nur von Sozialkosten entlasten und die Schutzklauseln im Arbeits-, Miet- oder im Sozialrecht Lokkern, dann werde sich das Notwendige zum Wohl der Allgemeinheit gleichsam als zwingende Folge einstellen. Flexibilisierung und Angebotspolitik waren dazu die Stichworte. Wir haben diese Politik von Anfang an für falsch, ja für verhängnisvoll gehalten. ({9}) Sieben Jahre Politik dieser Art reichen wohl aus, um sich ein Urteil über Erfolg oder Mißerfolg zu bilden. ({10}) Trotz Hochkonjunktur haben wir weiterhin 2 Millionen Arbeitslose; der Aufschwung ist weitgehend am Arbeitsmarkt vorbeigegangen. ({11}) - Daß Sie das nicht berührt, Herr Feilcke, stellen wir seit Jahren mit einer gewissen Trauer fest. Die gewaltige Umverteilung zwischen den gesellschaftlichen Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit, kräftige Steigerung der Gewinne, lohnpolitische Zurückhaltung bei den Tarifverträgen, Steigerung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen - alles dies hat nicht dazu geführt, daß die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist. ({12}) Von der Steuer- bis zur Wohnungsbaupolitik, alles haben Sie auf Ihre Grundphilosophie der Stärkung der Angebots- und Kapitalseite ausgerichtet, aber Arbeitsplätze fehlen heute noch ebenso massenhaft wie Wohnungen, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Die Fakten stehen ja fest. ({13}) Ich sage Ihnen: Diese Politik ist gescheitert. Sie haben die Bürgerinnen und Bürger zum Opfer Ihrer ideologischen Befangenheit gemacht. An die wahren Probleme der Menschen kommen Sie überhaupt nicht mehr heran, meine Damen und Herren. ({14}) Die Pflege hilfebedürftiger Menschen hat sich zu einem gesellschaftspolitischen Problem entwickelt, dessen Dimension heute deutlich erkennbar wird. Waren 1950 etwa 370 000 Menschen zwischen 80 und 85 Jahre alt, so leben heute ca. 1,4 Millionen Menschen dieses Alters unter uns. Wir registrieren also eine Zunahme von über 260 % . 7 200 Menschen im Alter von 90 bzw. 91 Jahren wurden 1950 gezählt. Heute erreichen weit über 50 000 Menschen dieses Alter. Das sind ca. 630 % mehr. Die Zahl der 95jährigen und Älteren ist in dieser Zeit von knapp über 1 500 auf wenig unter 40 000 angewachsen. Das ist eine Steigerung um sage und schreibe 2 300 %. Diese begrüßenswerte Entwicklung verlangt von der Sozialpolitik zeitgemäße Antworten. Diese gewaltige Aufgabe allein der gesetzlichen Krankenversicherung überantworten zu wollen, halten wir schlicht für falsch. ({15}) Es ist widersinnig, die Krankenversicherung unter Hinweis auf die Überforderung des Systems mit willkürlichen Umverteilungsmaßnahmen zu überziehen und gleichzeitig den finanziellen Sprengsatz der Pflege in sie einzubauen. Allein diese Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung machen die Suche nach neuen Wegen zur sozialen Sicherung Pflegebedürftiger erforderlich. Deshalb: Mit der simplen Formel „Weiter so!" kommen wir auch auf diesem Feld nicht weiter. Aber es bei diesem Vorwurf zu belassen hilft auch nicht weiter. Wir müssen versuchen, mit der gegebenen Situation fertig zu werden. Diese Situation stellt sich wie folgt dar. Erstens. Der Umfang des Problems Pflegebedürftigkeit nimmt schon aus demographischen Gründen ständig zu. Zweitens. Finanzielle Grundlage und Gesundheit der Angehörigen, die heute Pflegebedürftige betreuen, sind aufs äußerste angespannt. Sie brauchen sofort wirksame Hilfe, um nicht die Pflegebedürftigen von morgen zu werden. ({16}) Diese Situation gebietet, zunächst mit Hilfe einer Übergangslösung schnell zu versuchen, den dringendsten Bedarfssituationen zu entsprechen, bis die Grundlagen für eine verläßliche Dauerlösung erarbeitet sind. Unser Vorschlag eines befristeten Leistungsgesetzes sieht deshalb nicht nur die unentbehrlich gewordene Hilfe für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen vor, sondern verpflichtet darüber hinaus die Bundesregierung, die Entwicklung im Bereich Pflegebedürftigkeit sorgfältig zu beobachten, die Datengrundlagen zu aktualisieren und dem Parlament regelmäßig zu berichten. Nur auf diese Weise kann eine zuverlässige, zukunftsorientierte Lösung dieses für die Bewahrung des sozialen Friedens so wichtigen Problems gewährleistet werden. In welchem Maße die Bundesregierung unfähig geworden ist, die wirklich drängenden sozialen Probleme anzugehen, zeigt die jetzt vorgelegte Novelle zum Heimgesetz. Da wird geordnet und geregelt, da wird festgelegt, daß der Heimvertrag der Schriftform bedarf und welchen Inhalt er haben soll. Nur: Mit der Wirklichkeit in Heimen hat das wenig zu tun. ({17}) Hier herrscht nämlich Pflegenotstand, meine Damen und Herren: zuwenig Pflegekräfte für immer mehr Pflegebedürftige, die weitaus älter und gebrechlicher sind als früher. Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, Länder und Kommunen, Betroffene und ihre Verbände weisen Sie seit Jahren darauf hin. Die Antwort der Bundesregierung darauf sind Berichte und Untersuchungen, Forschungsaufträge und immer neue Kommissionen. ({18}) Was wir brauchen, ist eine umfassende soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit, die auch den stationären Sektor mit umfaßt, meine Damen und Herren. ({19}) Wir Sozialdemokraten haben Ihnen im Zusammenhang mit Ihrem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz unseren Entwurf eines Bundespflegegeldgesetzes vorgestellt. Wir wollen, daß alle Pflegebedürftigen, auch die in Heimen, entsprechend dem Grad ihrer Pflegebedürftigkeit die notwendige Entlastung erfahren. Wir bieten auch eine klare, sozial gerechte Finanzierung und vergreifen uns nicht an den Einkommen der Kranken, um den Pflegebedürftigen mit neuen Selbstbeteiligungen im Gesundheitswesen mehr schlecht als recht zu helfen. Für die Sozialdemokratie ist der Sozialstaat mehr als eine Beschreibung des Selbstverständnisses des modernen Staates. Die Sozialstaatsklausel unserer Verfassung bleibt Programm und verpflichtende Aufgabenstellung für die Zukunft. Sozialdemokratische Programmatik ist immer wieder Schrittmacher für die sozialstaatliche Gesetzgebung. ({20}) Und darauf, Frau Unruh, sind wir stolz. ({21}) In kaum einem anderen Bereich lassen sich die politische Fixiertheit und der Verzicht auf gesellschaftspolitische Gestaltung der Bundesregierung so deutlich machen wie in der Gesundheitspolitik und bei dem, was mit der sogenannten Gesundheitsreform angerichtet wurde. Ihr Ziel, den Unternehmen Kostenentlastung zu verschaffen, ({22}) war denn auch das Hauptmotiv für die Gesundheitsreform. Es ging - und das haben Sie ja auch überhaupt nicht verheimlicht - zuallererst um die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten ({23}) und weniger um die Schaffung vernünftiger und sachgerechter Strukturen des Gesundheitswesens, die den Patienten und Versicherten dienen. Sie haben demzufolge ja auch keines der wirklich schwerwiegenden Probleme im Gesundheitswesen angepackt. Aktiv gestaltende Gesellschafts- und Sozialpolitik hätte für eine Gesundheitsreform bedeutet: Beseitigung der gravierenden Beitragssatzunterschiede zwischen den verschiedenen Krankenkassen von bis zu 8 % - Fehlanzeige; Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung von verschiedenen Versichertengruppen - Fehlanzeige; Beseitigung der Rechtsungleichheiten zwischen den einzelnen Kassenarten - Fehlanzeige; Umsteuerung auf mehr Prävention -Fehlanzeige; ({24}) Verbesserung der Lage der psychisch Kranken - Fehlanzeige. ({25}) Ich habe nur einige wenige dringliche Probleme für eine Strukturreform im Gesundheitswesen genannt. Nichts ist in diesen wesentlichen Fragen passiert. Statt dessen sind eine drastische Erhöhung der Zuzahlungen für die Versicherten und Leistungskürzungen in weiten Teilen der Krankenversicherung passiert. Wer nur die Lohnnebenkosten senken will, meine Damen und Herren, der allerdings braucht auch unser Gesundheitswesen nicht umzubauen, der kann sich aufs Einsammeln von Geld und Leistungen beschränken, und genau dies haben Sie getan, nichts anderes. ({26}) Ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorschläge zur Neuordnung des Krankenversicherungssystems und zur Beseitigung der Ungerechtigkeiten? ({27}) Selbst wenn man Ihre Erklärungen für bare Münze nimmt, daß dies Aufgabe der nächsten Wahlperiode sein soll: Wo sind denn dann wenigstens Ihre Vorschläge hierzu? Wollen Sie gemeinsam mit der SPD alle Krankenversicherten gleichstellen, also den Unterschied zwischen Angestellten und Arbeitern auch in der Krankenversicherung endlich aufheben? ({28}) Dazu gibt es bis heute keine Antwort von Ihnen! Wollen Sie gemeinsam mit der SPD, daß sich innerhalb einer Region jeder Versicherte seine Krankenkasse selbst aussuchen kann? ({29}) Auch in dieser Frage haben Sie die Öffentlichkeit bisher ohne Antwort gelassen. Wie wollen Sie die bessere Verteilung der verschiedenen Versichertengruppen mit unterschiedlich hohen Krankheitsrisiken auf die einzelnen Krankenkassenarten erreichen? Wollen Sie dies gemeinsam mit uns durch die Einführung der Wahlfreiheit und den bundesweiten Finanzausgleich innerhalb jeder Kassenart sicherstellen? Wir erwarten auf diese Fragen endlich klare Antworten. ({30}) Bisher: Fehlanzeige. ({31}) Wollen Sie gemeinsam mit uns sicherstellen, daß Krankenkassen und die Erbringer von Gesundheitsleistungen zukünftig gleichgewichtig und gleichberechtigt über Preise und Leistungen verhandeln können? ({32}) Wollen Sie den Krankenkassen zukünftig mehr Rechte geben? ({33}) Wir wollen dies. Zu diesen Punkten gibt es von Ihnen keine Vorschläge. Wie wollen Sie die Probleme lösen, die sich aus der Gliederung unseres Krankenversicherungssystems ergeben, etwa im Bereich der Neugründung von Betriebskrankenkassen? Wir hören hierzu Stichworte wie „Neugründungsverbot". Aber wenn man nachfaßt, was denn nun gemeint sein könnte, faßt man - mit Verlaub, Frau Kollegin - ins Leere. Da, wo es um Antworten auf konzeptionelle Fragen geht, da bleiben Sie stumm, da sind Sie kraft- und ratlos. Sie können ja die Vorstellungen der SPD für falsch halten. Aber dann sagen Sie doch der Öffentlichkeit, wie Sie es anders machen wollen. Das einzige, was wir aus Ihrem Mund zu unserem Konzept eines Umbaus im Gesundheitswesen gehört haben, war das Wort vom „Gesundheitssowjet". Aber das haben Sie dann sicherheitshalber nicht wiederholt, weil sich daraus angesichts der Veränderungen im Ostteil unseres Kontinents nun wirklich keine politischen Funken mehr schlagen lassen. ({34}) Ihre Gesundheitspolitik beweist, daß neben Ihrer ideologischen Fixiertheit die Ratlosigkeit vor den tatsächlichen Problemen getreten ist. ({35}) Nun feiert der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung überschwenglich erste finanzielle Erfolge seiner sogenannten Gesundheitsreform. ({36}) Es wäre ja noch toller gewesen, wenn die härtesten Eingriffe dieses unsozialen Gesetzes nicht einmal eine Kostendämpfung bewirkt hätten. ({37}) Wenn beim Sterbegeld und beim Zahnersatz Zuschüsse und Leistungen zusammengestrichen werden, dann haben die Krankenkassen MinderausgaDreßler ben und die Versicherten höhere Ausgaben. Nach den Gesetzen der Logik ist dieser Fall eingetreten. ({38}) Oder, wie es ein Zeitungskommentar ausdrückte: Das besagt, daß die gesunden Kassenmitglieder von der Ausgabenminderung durch weitgehend stabile Beiträge profitiert haben. Wer dagegen unglücklicherweise chronisch krank ist, weit von einer Behandlungsmöglichkeit entfernt wohnt, wer plötzlich Zahnersatz brauchte, wird kräftig zugezahlt haben. ({39}) Das ist für die Betroffenen kein Anlaß zur Freude. ({40}) In der Kriegsopferversorgung hat es eine jahrelange Verzögerungstaktik gegeben, bevor sich die Bundesregierung jetzt endlich zu längst überfälligen strukturellen Leistungsverbesserungen bereit gefunden hat. Wir sehen darin auch einen Erfolg der langjährigen Bemühungen der SPD-Bundestagsfraktion, Verbesserungen bei den Kriegsopferrenten zu erreichen. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben Sie unsere Verbesserungsvorschläge, von denen Sie jetzt einen Großteil aufgreifen, in Bausch und Bogen abgelehnt. Wir hoffen, daß Ihre Einsicht in die Richtigkeit unserer Forderungen weiterhin anhält und wir im Beratungsverfahren den Gesetzentwurf gemeinsam von einem Schritt in die richtige Richtung zu einem bedarfsgerechten Verbesserungsgesetz weiterentwikkeln können. Wenn wir uns weiter mit der Frage beschäftigen, ob die richtigen Annahmen dem politischen Handeln zugrunde liegen, müssen wir auch selbstkritisch unsere Sicht von den Problemen junger Menschen einbeziehen. Denken wir wirklich genug bei der politischen Gestaltung des Alltags an die jüngere Generation als eine gleichberechtigte Teilbevölkerung, die nicht dafür bestraft werden darf, daß sie später als wir geboren wurde? Sehen wir, daß junge Menschen beispielsweise von der sich verstärkenden Tendenz der Spaltung des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind? Während ein größerer Teil der Jugendlichen in lebenslanger Vollzeitarbeit unterkommt, ist ein anderer von ungesicherter Beschäftigung und Arbeitslosigkeit bedroht. Für diesen Teil wird die Lebenswirklichkeit im „besseren" Fall von Teilzeitarbeit, ausgelagerter Arbeit, von Leiharbeit oder Selbsthilfeprojekten, von Nischenfirmen, Schwarzarbeit usw. geprägt. Diese Wirklichkeit bringt für Jugendliche eine grundsätzliche Veränderung im Umgang mit Lebenszeit und Lebensplanung mit sich. Wenn dann noch für junge Männer ein Hickhack, wie um die Verlängerung von Wehr- und Zivildienst, ja oder nein oder vielleicht, hinzukommt, kann von verantwortlichem Handeln überhaupt nicht mehr die Rede sein. ({41}) - Aber, Herr Kolb, wir haben doch hier gestritten und Sie gewarnt, diesen Schritt mit der Wehrdienstverlängerung zu gehen. Sie haben doch nicht auf uns gehört. Nach drei Monaten waren Sie auf dem Trip, auf dem die SPD schon Anfang des Jahres war. Sie müssen früher aufstehen. ({42}) Ich frage: Kann es uns da wirklich verwundern, wenn Jugendliche in zunehmendem Maße den Parteien die Fähigkeit absprechen, ihre Zukunft, sei es ökologisch, friedens- oder sozialpolitisch, verantwortlich zu gestalten? Junge Menschen haben keine Versorgungsmentalität. Aber sie erwarten mit Recht, von uns zu erfahren, wie wir heute verantwortliche Politik betreiben wollen, deren Konsequenzen im wesentlichen von ihnen später zu tragen sind. Gelingt uns dies nicht überzeugend, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Attraktivität radikaler Parteien für jüngere Menschen künftig anhält oder gar zunimmt. Die gute Konjunktur kommt auf dem Arbeitsmarkt nur in geringem Umfang an. Das haben auch die neuen Zahlen gezeigt, die wir gestern aus Nürnberg gehört haben. Die Zahl der Arbeitslosen ist saisonüblich leicht zurückgegangen. Das war's dann fast schon. ({43}) Beim Vorjahresvergleich muß man die Manipulationen der Arbeitslosenstatistik gegenrechnen. Da bleibt dann nämlich nicht viel nach. Die Zahl der Erwerbstätigen soll sich - sagen die Schätzungen ({44}) - ich bin jetzt bei den Arbeitsplätzen; nun hören Sie zu; Sie wollen doch da etwas hören - , deutlich vermehrt haben. Keiner weiß etwas Genaues, weil die Daten mit solidem Fundament schon veraltet sind, wenn sie frisch aufbereitet auf den Tisch kommen. Bei den schön aussehenden Schätzwerten - da überbieten sich die Damen und Herren der Koalition ja - ist alles als Beschäftigung ausgewiesen, was es so gibt: von Normalarbeitsverhältnissen mit ordentlicher Entlohnung und ohne Befristung bis zur völlig ungeschützten Teilzeitarbeit unterhalb der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze, von der befristeten Beschäftigung ohne sachlichen Grund bis zur Arbeit auf Abruf, oft mit viel Warten und wenig Verdienst. Auch die Zahl mithelfender Familienangehöriger wird als Beschäftigung ausgewiesen. 100 000 Aussiedler und 26 000 Übersiedler sind arbeitslos gemeldet. Bald 100 000 Aussiedler sind in Sprachlehrgängen, nur 10 000 in Maßnahmen von Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung. Daraus kann man direkt ablesen, was zu tun bleibt, worauf wir immer wieder hingewiesen haben: Notwendig ist der Ausbau der Bildungsmaßnahmen. Aber tatsächlich wurden sie von Ihnen abgebaut. In den ersten acht Monaten 1989 sind die Eintritte in berufliche Förderungsmaßnahmen um 20,1 % zurückgegangen, die in Fortbildung um 19,4 % zurückgegangen, die in Um11940 schulung um 14,0% zurückgegangen und die in Einarbeitungsmaßnahmen sogar um 31,7 % zurückgegangen. Das sind die konkreten Folgen der 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes. Es ist schon ein starkes Stück, daß immer wieder der Fachkräftemangel beklagt wird, aber gleichzeitig Qualifizierungsmaßnahmen von dieser Regierung abgebaut werden. ({45}) Dazu paßt dann auch: Nach den neuen Lohnsteuerrichtlinien soll künftig Fortbildung nach Feierabend für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerpflichtig werden. Etwas Unsinnigeres, schreibt zu Recht die Wochenzeitung „Die Zeit", hätte sich das Bundesfinanzministerium kaum einfallen lassen können. Bildungsanstrengungen werden demnächst in der Bundesrepublik Deutschland bestraft. Die 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes war ein falscher Schritt in die falsche Richtung. Um einen hohen Stand der Arbeits- und Bildungsförderung zu halten, ist eine Konsolidierung bestimmter Leistungen erforderlich. So hieß es damals im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die Konsolidierung, die keine war, hat dem Bund Einsparungen von 1,26 Milliarden DM beschert, zum Teil zu Lasten der Gemeinden, die mehr Sozialhilfe zu erbringen haben und deshalb investive Ausgaben reduzieren mußten. ({46}) Zur Kasse gebeten wurden auch die Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die daraufhin zu einem guten Teil völlig aussteigen mußten. Auch dadurch ist mehr Arbeitslosigkeit entstanden, wurde die konjunkturelle Entlastung des Arbeitsmarktes konterkariert. Fast 24 000 Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben Sie binnen Jahresfrist, Herr Kolb, mit Ihrer Stimme unterstützt, abbauen lassen. ({47}) - Überlegen Sie sich das mal. Dann können Sie weiter schreien. Jetzt, acht Monate nach Inkrafttreten der 9. Novelle, stellt sich heraus, daß die Bundesanstalt für Arbeit weit über 1 Milliarde DM weniger an Bundeszuschuß braucht. Der Zuschuß des Bundes bleibt weit unter der Höhe der Lasten durch Aus- und Übersiedler. Die Beitragszahler - Arbeitnehmer und Arbeitgeber - werden mit beitragsfremden Lasten zur Kasse gebeten. Gleichzeitig werden Qualifizierungsmaßnahmen abgebaut. Um davon abzulenken, wird der Mangel an Fachkräften thematisiert. Schuld sind immer die anderen. Kollege Scharrenbroich - er ist ja wohl nicht Mitglied der SPD-Fraktion - hat in diesen Tagen bemängelt, die Arbeitgeber seien selbst für den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften verantwortlich, über den sie jetzt so laut jammerten. ({48}) Kollege Scharrenbroich sagt, allezu viele Unternehmer hätten in der Zeit hoher Arbeitslosigkeit eine Art Supermarktmentalität entwickelt; denn sie meinten noch heute, die passenden Arbeitskräfte müßten für sie ohne eigene Aufwendungen jederzeit bereitstehen. Ich trete der Auffassung des Kollegen Scharrenbroich ausdrücklich bei. - Natürlich kein Beifall bei den Damen und Herren der Koalition. Ein Ausbau der Qualifizierung ist zur Vorbereitung auf den nach 1992 beginnenden EG-Binnenmarkt unverzichtbar. Die Bundesrepublik ist wie kein zweites Land vom Export abhängig. Unsere Wettbewerbsvorteile liegen dabei nicht auf dem Gebiet der billigen Massenproduktion, sondern in der Fertigung hochwertiger Spitzenprodukte durch hochqualifizierte und entsprechend bezahlte Arbeitskärfte. Sie sichern der deutschen Industrie die Chancen im Innovations- und Qualitätswettbewerb. Dies ist der eigentliche Standortvorteil, der nur durch den Ausbau der Qualifizierungsmaßnahmen gesichert werden kann. Im Jahresgutachten 1988/89 haben die sogenannten Weisen zutreffend gesagt: Das Qualifikationsniveau der deutschen Arbeitnehmer wird im internationalen Vergleich hoch eingeschätzt. Aber dieser Vorsprung muß durch beständige Anstrengungen zur Qualifizierung und Weiterbildung verteidigt werden. Auch Gewerkschaften und Arbeitgeber unterstreichen die Notwendigkeit des Ausbaus von Qualifizierungsmaßnahmen. In Betriebs- und Tarifvereinbarungen gibt es praktische Schritte zur Umsetzung, und da muß noch nachgelegt werden. Die Aktivitäten müssen gebündelt und koordiniert werden. Das findet bisher wenig oder überhaupt nicht statt. Notwendig ist eine wirkliche Qualifizierungsoffensive, diesmal allerdings nicht als Propagandaveranstaltung, wie wir sie zuletzt vor zwei Jahren vom Bundesarbeitsminister gehört haben. ({49}) 150 000 zusätzliche Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sind erforderlich, zusätzlich zwei Wochen Weiterbildung für alle. Ein Ausbau der Länderweiterbildungsgesetze sollte also zügig in Angriff genommen werden. Ich erinnere noch einmal daran: Es geht um die Sicherung des Standortes Bundesrepublik Deutschland. Wer bei der Qualifizierung nicht mithält, wird abgehängt. Die anderen Länder holen auf. Selbst Stagnation heute führt zum Rückschritt von morgen. Das Programm für Langzeitarbeitslose, das die Regierung aus Einsparungen zu Lasten der sozial Schwächeren finanziert, läuft nur langsam an. Die von Langzeitarbeitslosigkeit am härtesten Betroffenen werden bei dem Programm am wenigsten berücksichtigt. Über Lohnkostenzuschüsse kommt man an den harten Kern der aufgelaufenen Langzeitarbeitslosigkeit nicht heran, Herr Kolb. ({50}) Der Staat selber muß sich verpflichten, Langzeitarbeitslosen ein Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebot zu machen. ({51}) - So haben wir es in unserem Antrag formuliert, und da fragt der: „Wie denn?" - Der liest noch nicht mal Anträge, die hier im Deutschen Bundestag behandelt werden. - Auch nur so kann die Eingliederung Langzeitarbeitsloser wirklich gelingen. ({52}) Dabei geht es nicht um einen Ausbau von Verwaltungsapparaten, denn wir haben klar gesagt: Die Umsetzung soll vorrangig in privaten und öffentlichen Unternehmen erfolgen. Gefordert sind auch Kommunen und Wohlfahrtsverbände. Eine gut laufende Konjunktur und Lohnkostenzuschüsse allein lösen das Problem nicht, ja, sie können wahrscheinlich nicht einmal den weiteren Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit stoppen. ({53}) Sie trauen doch Ihren eigenen Rezepten nicht. Deshalb geht doch die Manipulation an der Arbeitslosenstatistik weiter. Gerade gestern wurde die Arbeitslosenquote künstlich gesenkt. Kein einziger Mensch hat mehr Beschäftigung gefunden, aber die Prozentzahl wurde durch die Bundesanstalt für Arbeit gestern amtlich um 0,8 % reduziert, ({54}) und zwar durch Umstellung auf die falsche Bezugsgröße aller Erwerbspersonen, also einschließlich Selbständiger, mithelfender Familienangehöriger und geringfügig Beschäftigter, die ohne jeden sozialen Schutz stundenweise arbeiten können. Jetzt wollen Sie die Zumutbarkeit verschärfen. Die Landesregierung von Baden-Württemberg macht einmal mehr den schneidigen Vorreiter bei der Attacke gegen die Arbeitslosen. Aber den zeitweiligen Ausbildungsschutz aufzukündigen, ist nicht nur für die Betroffenen unzumutbar, sondern es ist auch volkswirtschaftlich Unsinn, weil das heißt, Bildungsinvestitionen zu vernichten. Ich frage Sie ernsthaft: Sind zweieinhalb Stunden täglicher Anfahrtszeit, die nach geltendem Recht zumutbar sind, wirklich nicht genug? Wieviel soll es denn sein, meine Damen und Herren von der CDU? Wollen Sie, daß die vier Stunden Anfahrtszeit haben? Wieviel wollen Sie eigentlich den Arbeitslosen aufbrummen? Wo ist eigentlich das Maß dessen, bei dem Sie endlich einmal sagen: Jetzt ist Schluß; jetzt bekämpfen wir nicht weiter die Arbeitslosenstatistik, sondern wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit? ({55}) Die Spirale des Mißerfolgs von falschem Grundansatz und hektischem Reparaturbetrieb zeigt sich auch in der Rentenpolitik. Auch hier ist es die SPD gewesen, die die gestaltende Kraft aufgebracht hat. Die Koalition hat im Jahre 1982 mit 2,1 Monatsausgaben als Schwankungsreserve der Rentenversicherung angefangen. Das waren 20,5 Milliarden DM. Die erste rentenpolitische Amtshandlung der neuen Koalition war die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit. Diese Operation - man kann nicht oft genug daran erinnern - kostete die Rentenversicherungsträger alljährlich rund 5 Milliarden DM; von 1983 bis 1987 ergibt das, ohne Zinseffekt, eine Summe von nicht weniger als 26 Milliarden DM. ({56}) Bis 1994 werden weitere 28 Milliarden DM an Einnahmeverlust hinzukommen. Das Vermögen der Rentenversicherungsträger wurde nach der Wende unter der Verantwortung des Arbeitsministers bis Ende 1984 um 10,8 Milliarden DM auf 9,8 Milliarden DM abgebaut. ({57}) Im Laufe des Jahres 1984 mußten - das ist historisch einmalig in der Republik - die Renten mit kurzfristigen Kassenkrediten finanziert werden. Die Schwankungsreserve unterschritt in jenem Jahr die vorgeschriebene Mindesthöhe von einer Monatsausgabe. ({58}) - Wenn wir das gemacht hätten, Herr Kolb, dann hätten Sie dafür gesorgt, daß die „Bild"-Zeitung zweimal täglich erscheint, davon einmal kostenlos. ({59}) Nicht weniger als vier Sparoperationen waren notwendig, bis die jetzige Bundesregierung das Loch, das Sie selbst gerissen hatte, stopfen und die Rentenfinanzen wenigstens mittelfristig stabilisieren konnte. Die Bundesregierung hat die schon seit Jahren dringend notwendige Strukturreform der Rentenversicherung buchstäblich auf die letzte Minute verschoben. ({60}) Es blieb der SPD überlassen, aus der Oppositionsrolle heraus eine Konzeption für die umfassende Reform der Alterssicherung zu erarbeiten und bis zur Gesetzgebungsreife zu entwickeln. Das haben wir mit unserem Reformgesetz vom Dezember 1984 und mit unserem sozialpolitischen Programm getan. Im Sommer 1985 hat die Koalition im Bundestag unseren Gesetzentwurf noch abgelehnt, ohne ihn überhaupt ernsthaft zu diskutieren. Vier Jahre später nun beschäftigt sich dieses Parlament mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf der SPD und der Koalitionsfraktionen, der in wichtigen und entscheidenden Punkten mit jener damals von der Koalition abgelehnten Vorlage der SPD-Bundestagsfraktion übereinstimmt. Der Bundesarbeitsminister hat die Rede, die er gleich noch halten wird, bereits frühzeitig am heutigen Nachmittag verteilen lassen. Deshalb konnte ich heute nachmittag schon lesen, daß er sich gleich bei mir bedanken möchte. ({61}) Herr Blüm, damit Sie sich gar nicht erst bei mir bedanken, gebe ich diesen Dank aus Ihrer schriftlichen Rede an meine Partei weiter; denn diese Partei, die SPD, hat im Jahre 1984 das Rentenkonzept beschlossen, das die Bundesregierung jetzt endlich in weiten Teilen mit uns gemeinsam realisieren will. Ich sage noch einmal: Natürlich bedeutet diese Übereinstimmung nicht das Ende darüber hinausgehender eigenständiger sozialdemokratischer Alterssicherungspolitik. ({62}) Das sozialpolitische Programm bleibt für uns verpflichtend. Ich nenne noch einmal drei wichtige Punkte: die soziale Grundsicherung im Alter und bei Invalidität, den Wertschöpfungsbeitrag und die Einführung von Rentenzeiten für Pflegepersonen. Ich will abschließend feststellen: Die Bundesregierung will im nächsten Jahr trotz hoher konjunktureller Steuermehreinnahmen die Neuverschuldung erhöhen. Die mittelfristige Finanzplanung weist gleichwohl viel zu geringe Ausgaben für Zukunftsinvestitionen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Wie kann ein Arbeitsminister eigentlich zustimmen, wenn eine Bundesregierung einen mehrjährigen Investitionsplan mit sinkenden Ausgabenansätzen vorlegt? Die Investitionsquote soll ab 1990 ihre Talfahrt fortsetzen bis zum absoluten Tiefstand von ca. 11 %. Wir alle wissen, daß diese Weichenstellung in krassem Widerspruch zum investiven öffentlichen Bedarf steht. Es ist doch nirgendwo umstritten, daß Substanzerhaltung, Erneuerung und ökologische Modernisierung der Infrastruktur eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges sind. Herr Minister, öffentliche Auftritte ersetzen eben nicht handwerklich solide Arbeit. Ist Ihnen wirklich unbekannt, daß die drohende Veraltung der Infrastruktur die Umweltprobleme verschärft? Sehen Sie nicht, daß daraus eine Gefahr für die Qualität des Wirtschaftsstandorts Bundesrepublik erwachsen kann, die ernst zu nehmen ist? Selbst das Institut der deutschen Wirtschaft stellt in einer Untersuchung zum Zustand der Infrastruktur fest: Mit der zunehmenden Veraltung ist ein erheblicher investiver Nachholbedarf entstanden. Er muß abgebaut werden, wenn ein angemessener infrastruktureller Versorgungsgrad, der als gewichtiger Standortfaktor gilt, gewährleistet werden soll. Der Arbeitsminister schweigt. Und er schweigt auch - obwohl diese Haltung ansonsten bei ihm unbekannt ist - , wenn seine Partei verlautbart, daß in den 90er Jahren die Unternehmenssteuern um bis zu 30 Milliarden DM gesenkt werden sollen. Nein, meine Damen und Herren, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist in dieser Regierung kein gestaltender Faktor. Der vorgelegte Entwurf seines Haushalts belegt einmal mehr, daß sich dieses Ministerium als schlechter Reparaturbetrieb zu Lasten der Bevölkerungsteile versteht, die ihm anvertraut sind. Ich danke Ihnen. ({63})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Strube.

Hans Gerd Strube (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, nach Ihrer Rede scheint es mir angebracht zu sein, das Hohe Haus daran zu erinnern, daß Sie zu den Bankrotteuren von 1982 gehören. Damals waren Sie maßgeblich daran beteiligt, daß unser Sozialstaat ins Gerede gekommen ist. ({0}) Ich frage mich, woher Sie die Kaltschnäuzigkeit nehmen, sich heute hierhinzustellen und der Bundesregierung und der Koalition Vorschläge zu machen, wie man die Sozialpolitik verbessern kann. ({1}) Ich möchte zur Beratung des Einzelplans 11 feststellen: der Umbau unseres Sozialstaats hin zu größerer Zielgenauigkeit der sozialen Leistungen ({2}) und zu mehr Effizienz verläuft erfolgreich. Unser Umsteuern bei der Arbeitsförderung kommt den Problemgruppen am Arbeitsmarkt zugute. ({3}) Unser Umsteuern durch die Gesundheitsreform kommt den Versicherten zugute und gleicht durch neue Leistungen für häusliche Pflege ein bisheriges Defizit aus. ({4}) Unser Sozialstaat ist wetterfest. ({5}) Seine Instrumentarien sind effizienter geworden. Seine Mittel werden zielsicherer verwendet. Wir bauen diesen Sozialstaat qualitativ aus. ({6}) Wir steigern zugleich seine Leistungen für soziale Sicherheit. Meine Damen und Herren, innerhalb des Bundeshaushalts hat Soziales die höchste Priorität. Mit 70,5 Milliarden DM wird der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1990 wieder der größte Einzelhaushalt sein. ({7}) Hinzu kommt, daß auch die Haushalte anderer Ressorts enorme Mittel für Soziales bereithalten. ({8}) 70,5 Milliarden DM sind 11 Milliarden DM mehr, als im Haushalt des Bundesarbeitsministeriums 1982 eingestellt waren. ({9}) Wer hier noch von „Sozialabbau" spricht, hat meiner Ansicht nach keine Ahnung oder handelt wider besseres Wissen. ({10}) Mit einer Steigerungsrate von 4,2 % gegenüber 1989 wächst dieser Haushalt erheblich stärker als alle anderen Ressorthaushalte. ({11}) Der Sozialhaushalt macht mit 23,4 % des Bundeshaushalts fast ein Viertel des Gesamthaushalts aus. Dabei gehen über die Hälfte unserer Haushaltsmittel, nämlich 39,7 Milliarden DM, als Zuschüsse an die Rentenversicherung. Die Ausgaben für die Kriegsopfer und die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz machen mit 11,9 Milliarden DM bzw. 12,7 Milliarden DM den zweit- und drittgrößten Titel aus. Trotz niedrigerer Arbeitslosigkeit legen wir also bei der Arbeitsförderung erneut zu. Auf die Erstattung für die Zeiten der Kindererziehung an die Rentenversicherung und Mutterschaftsgeld entfallen 4,3 Milliarden DM und damit 1,2 Milliarden DM mehr als im vergangenen Jahr. Meine Damen und Herren, die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit gestattet es leider nicht, auf all die von mir genannten Schwerpunkte im einzelnen einzugehen. ({12}) Ich denke, wir werden aber bei den Einzelberatungen im Haushaltsausschuß und bei der zweiten und dritten Beratung dieses Etats dazu noch ausreichend Gelegenheit haben. Beispielhaft für die genannten Schwerpunkte lassen Sie mich deshalb zu den neuen Leistungen für Kriegsopfer sagen, daß sich die Qualität unseres Sozialstaates nicht allein an Hand des Leistungsvolumens messen läßt. Es geht auch um die Zielgenauigkeit seiner Maßnahmen. Wir haben beides verbessert, und wir haben damit vieles für die wirklich Bedürftigen erreicht. Für die Kriegsopfer waren erste umfangreiche und strukturelle Neuregelungen in dieser Legislaturperiode mit dem Gesundheitsreformgesetz verbunden. Wir haben dafür gesorgt, daß die Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung auch all denen zugute kommen, denen Heil- und Krankenbehandlungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zustehen. Dazu gehören u. a. die Einführung von Leistung bei Pflegebedürftigkeit, Früherkennungs- und Vorbeugemaßnahmen sowie der Zugang zu Kuren auch für versorgungsberechtigte Angehörige und Witwen, die davon bisher ausgeschlossen waren. Gleichzeitig wurde sichergestellt, daß Kriegsopfer und andere Berechtigte in gleichem Umfang wie bisher notwendige Leistungen ohne Beteiligung an den Kosten erhalten. Weitere strukturelle Verbesserungen für Kriegsopfer sind zu Anfang dieses Jahres auf Grund des Kriegsopferversorgungs-Anpassungsgesetzes 1988 im Umfang von 26 Millionen DM jährlich in Kraft getreten. Jetzt lösen wir ein, was Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vom 17. März 1987 angekündigt hat. Wir halten Wort und stellen in den kommenden Jahren als Kernstück unserer strukturellen Verbesserungen Jahr für Jahr 170 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung. Das Bundeskabinett hat dem bereits zugestimmt. Die neuen Leistungen werden im wesentlichen am 1. April 1990 in Kraft treten. ({13}) Zusammen mit den Kriegsopferverbänden haben wir ein umfassendes und ausgewogenes Konzept zu ihrer Verwendung entwickelt. Insbesondere wollen wir denjenigen Berechtigten helfen, die benachteiligt sind. Denn gesundheitliche und wirtschaftliche Probleme werden mit zunehmendem Alter nicht geringer. Das gilt z. B. für die pflegebedürftigen Schwerbeschädigten, deren Frauen mit zunehmendem Alter die Belastung der Pflege nicht mehr voll tragen können. Ihnen soll dadurch geholfen werden, daß ein Teil der bisher gewährten Pflegezulage für den Ehepartner auch dann weitergezahlt wird, wenn sie eine fremde Pflegekraft gegen Entgelt einstellen. Unsere Kriegsopfer und ihre Familien sind die meist stillen, aber über Jahrzehnte hinweg wirklichen Leidtragenden eines Unrechts, dessen Ausgangspunkt wir gerade in diesen Tagen gedacht haben. Wir wissen, daß Geld immaterielle Nachteile nur bedingt ausgleichen kann. Das erduldete Leid kann niemand wiedergutmachen. Wir wissen aber auch, daß die Kriegsopfer auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind. Sie sollen wissen, daß sie sich auf uns verlassen können. Wir helfen, wo wir können. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Haushälter sind von Hause aus Gestalter. Denn ihre Aufgabe ist es, Prioritäten zu setzen. Sie zwingen durch Umschichtungen zur Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven und zu einer zielgenaueren Steuerung auf die wirklich Bedürftigen. Sie ebnen auch durch Umsteuern in neue Bereiche den Weg für wichtige Zukunftsaufgaben. Eine dieser Zukunftsaufgaben liegt im Bereich der Rehabilitation und Pflege. Unser neuer Grundsatz der Behindertenpolitik, Rehabilita11944 tion geht vor Pflege, muß in der Praxis Instrumente erhalten, um umgesetzt zu werden. Dafür zweckmäßig halte ich ein dreigliedriges System vom ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen, die sich wechselseitig ergänzen. Ihren Aufbau müssen wir forcieren. Die für den Haushalt 1990 vorgesehenen 26,5 Millionen DM sind ein wichtiger Grundstock. Aber angesichts dessen, daß durch die veränderte Altersstruktur unserer Bevölkerung Pflege immer mehr zum Zukunftsthema wird, müssen wir alles daransetzen, Pflegefälle zu vermeiden, wo dies möglich ist. Das bedeutet: eine weitere Ausweitung der Mittel für die Zukunft. Ich nenne schließlich die bleibende Aufgabe Krebsbekämpfung. Krebs ist nach wie vor eine Geißel der Menschheit. Sie muß endlich besiegt werden. Wo die Menschen davon befallen sind, muß ihnen besser geholfen werden. Seit 1981 führt die Bundesregierung deshalb in ihrem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung das Modellprogramm zur besseren Versorgung von Krebspatienten durch. Dieses Programm hat entscheidend zur Verbesserung der Behandlung von Krebskranken beigetragen. Es muß weitergeführt werden. Nach wie vor bestehen in der Versorgung von Krebspatienten Defizite. Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß meiner Ausführungen den beteiligten Beamten für die Vorbereitung dieses Haushalts, für die geleisteten Vorarbeiten, Dank sagen. Erfahrungsgemäß werden aber im Interesse des Gesamthaushalts bei den kommenden Beratungen im Haushaltsausschuß auch Kürzungen und Umschichtungen vorgenommen. Ich bin aber ganz sicher, meine Damen und Herren, daß unser Bundesminister Dr. Norbert Blüm durch diesen Haushalt in die Lage versetzt wird, seine erfolgreiche Sozialpolitik fortzusetzen. Danke. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatten sind oft von gähnender Langeweile gekennzeichnet, es sei denn, Herr Blüm hat vielleicht einige Kalauer für uns bereit - nach dem Motto: Marx ist tot, aber Jesus lebt! ({0}) Der Minister wird uns nachher in gewohnter Manier vorrechnen, wie gut unter seiner Regentschaft für alle gesorgt worden ist. ({1}) Er wird von den Einsparungen schwärmen, die die Gesundheits-Strukturreform mit sich gebracht hat, er wird die Rentenreform preisen und auf die Segnungen für die Langzeiterwerbslosen verweisen. Und die SPD - auch das war zu erwarten - hat in sauberer Klarheit und Kleinarbeit bewiesen, daß das so nicht stimmt, daß die Einsparungen bei der Gesundheits-Strukturreform vor allem die chronisch Kranken treffen, daß das Geld für die Langzeiterwerbslosen vorher durch Einsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit hereingeholt worden ist. Zu der Rentenreform sagt sie nicht so sehr viel, denn sie ist ja mit von der Partie gewesen. Sie müßte aber eigentlich sagen, daß die Rentenreform nicht das Problem der vielen alten Menschen angeht, die in Altersarmut leben, weil sie nicht die volle Erwerbsbiographie aufweisen können, die unser Rentensystem verlangt. ({2}) Hier kam auch die große Enttäuschung. Ich dachte, Herr Dreßler würde zu einem parlamentarischen Höhenflug ansetzen, als er begann, von dem sozialen Umbau zu reden. Aber die SPD hat in der Tat an dem Beispiel, wo sie im vergangenen Jahr Gesellschaftspolitik konkret gemacht und mitbestimmt hat, gezeigt, daß sie mit Umbau eben nichts im Sinn hat; denn gerade die Renten-Strukturreform ist eine systemkonservative gewesen. Die alten Strukturen sind belassen worden. Von Umbau ist weit und breit nichts zu sehen. ({3}) Ich aber möchte heute über den sozialen Umbau sprechen. Der ökologische Umbau ist ja nun in aller Munde, was noch nicht heißt, daß etwas passiert. Es geht jetzt um den sozialen Umbau der Gesellschaft, und ich sage: Ohne den sozialen Umbau ist der ökologische nicht zu haben. ({4}) Das heißt, wir müssen uns den Herausforderungen der Zukunft stellen. Sie sind hier zum Teil genannt worden. Es sind die demographische Veränderung und die Strukturen der Erwerbstätigkeit. Zum ersten Beispiel. Es ist alles genannt worden. Es gibt gravierende demographische Veränderungen. Sie, Herr Blüm, werden natürlich sagen, daß Ihnen diese Zahlen hinlänglich bekannt sind. Sie sind in der Debatte um die Rentenreform ja auch genannt worden. Sie sind dort aber immer als Waffe gegen die Alten ins Feld geführt worden, nämlich zur Begründung dafür, daß jetzt eine Kürzung der Rentenansprüche angesagt sei. Das ist der Hintergrund gewesen. Es ist nicht über eine Neugestaltung der Gesellschaft nachgedacht worden, wenn sie sich demographisch so einschneidend verändert, wie das jetzt ansteht. Phantasie, Herr Minister, über die sie so gern reden, hätte angesichts der demographischen Veränderungen allerdings zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit der Kollegin Hasselfeldt, der neuen Wohnungsbaupolitikerin, bedeutet. Es geht um das Gestalten unter dem Gesichtspunkt, daß Altwerden auch möglich ist, ohne gleich ins Heim gehen zu müssen, wenn die Fähigkeit zur Selbstversorgung vorübergehend oder auch dauerhaft eingeschränkt ist. Dazu würde auch Ihr vehementer Einsatz für die Verdoppelung, ja für die Verdreifachung der ambulanten sozialpflegerischen Dienste gehören. Die fehlen nämlich genauso wie die großangelegten Projekte für das Wohnen im Alter, seien es ausreichende Zuschüsse für Umbauten der Wohnungen, sei es die Förderung von Altenwohn- oder -hausgemeinschaften oder des Lebens im Generationenverbund. Eine Politik, die wirklich vorausschauend die Veränderungen der Alterstruktur im Blick hätte, würde auch anders, als das jetzt bei der Rentenreform geschieht, dafür Sorge tragen, daß jeder alte Mensch - ich sage: jeder Mensch - ein hinreichendes Einkommen hat, um in Würde alt sein zu können. ({5}) Dies unabhängig davon, ob er oder sie - in der Regel sind ja die Frauen davon betroffen - fünf Kinder großgezogen, die Großmutter gepflegt, in Teilzeitarbeit, in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen oder in schlechtbezahlten Frauenberufen als sogenannte Zuverdienerin gearbeitet hat. Das bedeutet die Einführung der Mindestrente. Es gibt Vorschläge zur Lösung des Problems der Altersarmut, und zwar nicht nur von den GRÜNEN. Nur bedeuten sie, daß wir nicht alles beim alten lassen dürfen. Da sind wir bei der Frage des Umbaus. Sie bedeuten, daß wir uns wirklich an die Strukturen heranwagen müssen. Wir müssen Privilegien der einen abschaffen, die der höheren Beamten zum Beispiel, und zusätzliche Versorgung für die anderen, die Ärmeren bereithalten. ({6}) Mit dem Problem der Pflege sowohl der Alten als auch der Behinderten komme ich zu der Verzahnung mit dem zweiten Beispiel, nämlich der Veränderung der Strukturen im Erwerbsleben. Gerade aus Ihrem Haus, Herr Blüm, aber auch von Herrn Haussmann wird den Erwerbslosen vorgeworfen, daß sie zuwenig Bereitschaft zur Mobilität hätten. Sie müßten zum Beispiel bereit sein, so heißt es, aus dem Emsland nach Stuttgart zu gehen. Sie dürfen sich nun aber nicht darüber wundern, daß diese Art von Unterordnung der Menschen unter wirtschaftliche Interessen soziale Folgen hat. Die von Ihnen beschworene Mobilität führt in der Konsequenz zu einer Individualisierung der Gesellschaft und zur Zerstörung der gewachsenen sozialen Bezüge, die dann in dem alltäglichen Problem mündet, ({7}) daß niemand mehr da ist, um die Alten zu pflegen, und daß Unterbringung im Heim angesagt ist, ({8}) weil ja die sozialen Dienste hinten und vorne nicht langen. ({9}) Sie verschließen vor dieser Entwicklung die Augen und sehen die Pflege immer noch als privates Lebensrisiko an, für das es keine grundlegende Finanzierungslösung gibt - außer dem Trostpflästerchen im Gesundheitsstrukturgesetz für den Fall der häuslichen Schwerstpflege. Die Pflege im Heim ist in der Regel eine Aufgabe für die Sozialhilfe mit allen entmündigenden Folgen für die Betroffenen. Es kann nur als politische Blindheit bezeichnet werden, wenn die Lebenslage von 2 Millionen Menschen - die Tendenz ist steigend - nicht strukturell angepackt wird, sondern per Einzelfallhilfe des Bundessozialhilfegesetzes geregelt wird. Sie setzen natürlich weiterhin voll auf die unentgeltliche Pflegearbeit der Frauen und Töchter, die dann im Alter selbst die Quittung für ihre unbezahlte und sozial nicht abgesicherte Arbeit bekommen, dann also selbst auf der Seite der Altersarmen auftreten. ({10}) - Mit 400 DM kann ich doch nicht leben, kann ich doch nicht existieren! Das ist doch keine ökonomische Unabhängigkeit! Was ist denn das, was Sie da anbieten? ({11}) Auch hier gibt es Überlegungen und Ansätze, diese gesellschaftlichen Aufgaben anzugehen. Wir GRÜNEN haben seit Jahren Vorschläge für ein Bundespflegegesetz, aber es gibt eben keinen Willen zu einem sozialen Umbau. Zurück zu den Strukturen der Erwerbsarbeit. Gefordert ist eine Neugestaltung des Erwerbsbereichs, die die Geschlechterfrage zum Ausgangspunkt nimmt. Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, daß die Uniformität in der Erwerbswelt überholt ist. Tatsächlich gibt es ja auch schon längst eine wachsende Differenzierung der Arbeitsverhältnisse, Teilzeit usw.; nur ist sie heute in der Regel mit der Auflösung von Schutzrechten verbunden. Sie ist auf der Seite der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Folge individueller Notlösungen; denn eine Frau - es ist ja selten der Mann - , die Kinder betreut oder zu Hause einen Menschen pflegt, kann sich ja nicht wie der Mann, von der Haus- und Familienarbeit acht Stunden freistellen. Zur Lösung dieser Probleme brauchen wir wirklich flexible Regelungen, die aber nicht schutzlos machen. Da braucht es Gestaltung in Richtung Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit, auf Freistellung, auf Garantie der Rückkehr auf den vollen und gleich qualifizierten Arbeitsplatz bei Subvention des Einkommensverlustes. Diese Risiken dürfen nicht weiter privatisiert bleiben. ({12}) Wirksame Maßnahmen in all diesen angeführten Problemfeldern - das werden Sie mir jetzt entgegenhalten - kosten Geld. Sie haben recht, eine Mindestsicherung für Alte gibt es nicht zum Nulltarif, eine Absicherung der Pflege ist teuer, die Veränderungen der Erwerbsstrukturen, wenn sie nicht als privates Risiko und als privater Verlust begriffen werden sollen, brauchen ein erkleckliches Umverteilungsvolumen. Der ökologische Umbau bedeutet, daß nicht alles weitergehen kann wie bisher; einschneidende Veränderungen im Steuersystem, in den Produktions- und Konsumgewohnheiten sind unumgänglich. Das glei11946 che gilt selbstverständlich ganz genauso für den sozialen Umbau. Wer wirklich vorhat, sich auf die sozialen Zukunftsaufgaben vorzubereiten, der braucht ein großes Umverteilungsvolumen. Da dürfen wir uns überhaupt nichts vormachen. Dafür müßte jetzt mit aller Kraft in der Gesellschaft geworben werden, damit die Bereitschaft dazu wächst. Warum sollte es nicht bei uns wie in Schweden möglich sein, den gesellschaftlichen Wohlstand, die gesellschaftliche Lebensqualität am Niveau der öffentlichen Dienstleistungen statt am privaten Reichtum zu messen? ({13}) Wenn allerdings, wie jetzt in der Haushaltsdebatte, als größter Erfolg die Verringerung der Staatsquote gefeiert wird, können wir uns von der gestaltenden Sozialpolitik verabschieden. ({14}) Wir sind eines der reichsten Länder der Erde. Der Zweig der Konsumgüterindustrie und des Handels, der sich auf Luxusgüter verlegt hat, boomt am allermeisten. Wer nicht wagt, das zu benennen, und im gleichen Atemzug mehr Ausgleich und soziale Gerechtigkeit fordert, der muß weiterwursteln wie bisher, notdürftig Löcher stopfen und Pflästerchen verteilen. Herr Blüm, ich erwarte es nicht von Ihnen, aber das ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung: Wer sich nicht dazu durchringen kann, gegen ungerechte Vermögensverhältnisse, die durch die Politik der Bundesregierung auch noch zugenommen haben, entschieden anzugehen, der kann sich als Arbeits- und Sozialminister abmelden. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günther.

Horst Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000749, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jetzt laufende Debatte über die Sozialpolitik insgesamt in ihrer Verbindung zum Entwurf des Bundeshaushalts 1990 dient vor allem dem Ziel, die Aussagen zur Sozialpolitik zu vertiefen, die es bereits in der beachtenswerten Einbringungsrede des Bundesfinanzministers Waigel und in der anschließenden Grundsatzaussprache gegeben hat. ({0}) Im Gegensatz zu den Horrorgemälden, die die Opposition auch heute wieder vorgeführt hat, ({1}) muß man doch endlich einmal feststellen, wie die Lage der Bevölkerung wirklich ist. Das einzige, was mich davon abhalten könnte, ist, daß es Mitmenschen gibt, denen es nicht so gut geht; das wissen wir auch. Aber Sie zwingen uns durch Ihre Horrorgemälde, hier doch einmal folgendes festzustellen. Meine Damen und Herren, wir haben seit Jahren eine Erhöhung der Nettorealeinkommen, die einhergeht mit der Anhebung von Renten und der Anhebung von sonstigen Sozialeinkommen. ({2}) Wir haben in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern den längsten Urlaub, wir haben die kürzeste Arbeitszeit, wir haben die beste Mitbestimmungsregelung für die Betriebe und Unternehmen, wir haben die beste Kaufkraft für unser Geld, wir haben seit Jahren Wirtschaftswachstum mit der Folge von zusätzlichen Arbeitsplätzen, wir haben die höchste Beschäftigtenzahl, die es je in unserem Land gegeben hat, wir haben relative Preisstabilität, wir haben das beste Rentensystem der Welt, wir haben eine phantastische Gesundheitsversorgung, und wir haben überhaupt die beste soziale Absicherung in allen Lebenslagen für die Bürger unseres Landes. ({3}) Wenn das nicht so wäre, würden Sie von der Opposition doch nicht jeden Tag eine neue Forderung aufstellen: Paßt bloß auf, wenn der EG-Binnenmarkt kommt, daß das alles erhalten bleibt! Wenn das so schlecht ist, Herr Dreßler, wie Sie es hier vorgeführt haben, dann nennen Sie doch mal andere Länder, deren System wir nachmachen sollten. Sie finden kein einziges im ganzen EG-Bereich. ({4}) Andere würden sich die Finger danach lecken, und weil das so ist, brauchen wir auch nicht von der Hand in den Mund zu leben. Wir können vernünftig planen und auch vorausschauende Politik machen. Aus diesem Grunde können auch die Ausgaben im Sozialhaushalt des Bundes im Zusammenhang mit der mehrjährigen Finanzplanung bis 1993 und mit der Entwicklung des Sozialbudgets gesehen werden. Dieses belief sich im Jahre 1988 nach Schätzungen auf 660,2 Milliarden DM oder 31,1 % des Bruttosozialprodukts. Für 1989 wird das Sozialbudget vorläufig auf 680 Milliarden DM oder 30,5 % des Bruttosozialprodukts veranschlagt. Das Sozialbudget ist nominell auch in den zurückliegenden Jahren ständig gestiegen. Demgegenüber ist aber der Anteil am Bruttosozialprodukt im Gesamttrend leicht gesunken. Wenn Sie meinen, das sei negativ: Nein, das Bruttosozialprodukt ist außerordentlich progressiv angestiegen. Das ist dafür der Grund. Das starke Wirtschaftswachstum hat seit September 1988 zu einem Anstieg der Erwerbstätigenzahlen geführt, der noch deutlich über den sehr starken Anstieg der Zahl der Menschen hinausgeht, die Zugang zum Erwerbsleben suchen, und zwar trotz der starken Zuwanderung von Aussiedlern und Übersiedlern, die zusätzlich auf den Arbeitsmarkt wollen. ({5}) - Ja, richtig. Wir haben eine starke Abnahme der Arbeitslosenzahlen bei gleichzeitigem Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Wir haben eine seit Jahren kräftig steigende Nachfrage nach Arbeit, die jetzt, wie gesagt, durch die große Zahl von Aus- und Übersiedlern noch zunimmt, deren Kommen wir übrigens außerordentlich begrüßen. Daß die Entwicklung dennoch so gut ist, hat den Grund in einer insgesamt richtigen Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. ({6}) Im laufenden Monat September wird die Arbeitslosenquote unter das Niveau vom September 1982, also unmittelbar vor der politischen Wende vor sieben Jahren, absinken. ({7}) Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint dies nicht besonders beeindruckend, wohl aber, wenn man in die Beurteilung einbezieht, was in sieben Jahren bewältigt wurde. In dieser Zeit stieg die Zahl der Erwerbspersonen um über eine Million an. Auf Grund der Vorbelastungen aus der Zeit vor der Wende sank aber die Zahl der Erwerbstätigen noch bis Anfang 1984 um über 300 000 ab. Danach sind die Erwerbstätigenzahlen kontinuierlich gestiegen. Sie werden im Herbst dieses Jahres fast 1,4 Millionen höher liegen als im Frühjahr 1984 und über eine Million höher als im September 1982. Das ist eine ungeheure Leistung, meine Damen und Herren, auf die wir stolz sind, auch wenn sie noch nicht ausreicht; das wollen wir gerne zugeben. ({8}) Es wird beschäftigungspolitisch auch zukünftig in unserem Lande vorangehen. Aber ich will auch feststellen: Unbefriedigend ist die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktlage für die Schwerbehinderten. Zwar ist die Arbeitslosigkeit auch bei ihnen zurückgegangen, aber von August 1988 bis August 1989 nur um 3,9 %, während die anderen Arbeitslosenziffern insgesamt um 10,5 % abgenommen haben. Meine Damen und Herren, das ist nicht schön; das wollen wir auch verbessern. Die Rate der Arbeitslosigkeit bei den Schwerbehinderten ist überdurchschnittlich hoch. Ich richte daher einen erneuten Appell vor allen Dingen an die öffentlichen, aber auch an die privaten Arbeitgeber, die ihre Pflichtquote für die Beschäftigung Schwerbehinderter nicht erfüllt haben, sich nun endlich ihrer Aufgabe anzunehmen und wenigstens die Pflichtquote zu erfüllen. ({9}) Meine Damen und Herren, der Arbeitsmarkt hat aber auch ansonsten schwierige Strukturen. Arbeitslose passen nicht immer auf offene Stellen; Bildungsdefizite verhindern oft Fortbildung und sogar auch Umschulung. Was falsche Bildungsinhalte und falsche Schulpolitik versäumt haben, kann auch die Bundesanstalt für Arbeit nicht nachholen, obwohl hier trotzdem einiges geschieht. ({10}) Dazu gehört auch die Diskussion um die Sprachförderung. Mögen jetzt auch einige Aussiedler sofort ohne Sprachförderung vermittelt werden können, besteht doch die Gefahr - darauf möchte ich hinweisen - , daß sie bei der nächsten Rezession wieder entlassen werden. Auf der anderen Seite ist es falsch, Aussiedler aus guten Arbeitsverhältnissen, die sie bekommen haben, herauszuholen, um sie in einen Sprachlehrgang zu geben. Etwas mehr individuelle Bearbeitung und flexibleres Handeln scheinen auf diesem Sektor insgesamt angebracht zu sein. ({11}) Ein weiteres Feld, meine Damen und Herren, ist die Vermittlung älterer Arbeitnehmer, nicht nur der Langzeitarbeitslosen. Ab 50 zu alt; meine Damen und Herren, wenn ich mir vorstelle - ich habe diese Zahl vor wenigen Wochen erreicht - , daß es mir so ergehen könnte und mir gesagt würde, mit der 5 vorne sei ich zu alt, würde ich vielleicht zunächst erst einmal lachen; aber dann würde ich sicherlich auch sehr traurig, und zwar über so viel Dummheit und Arroganz zugleich. Wir gehen hin und nehmen im Rentenrecht die Erhöhung der Lebensarbeitszeit vor. Dann muß damit auch das Umdenken in den Köpfen insbesondere derjenigen, die einstellen, einhergehen, daß man dann auch ältere Leute wieder einstellt und sie nicht einfach der Allgemeinheit überläßt. ({12}) Das muß vorangetrieben werden. Ich denke, alle sollten sich daran ein Beispiel nehmen; denn wir stellen immer wieder fest: In Aufsichtsräte werden auch Leute gewählt, die über 65 Jahre alt sind; ich nehme an, wegen der großen Erfahrungen, die sie haben. Warum nutzt man diese nicht auch bei der Arbeit im Betrieb besser? Aber auch die Vermittlungstätigkeit muß modernisiert und wirksamer werden. Zunehmende Klagen über Leute, die nicht wollen, erreichen uns. Bei uns in der Politik wird alles abgeladen. Die einen greifen uns wegen hoher registrierter Arbeitslosigkeit an, die anderen, weil sie angeblich Arbeitslose geschickt bekommen, die nicht arbeiten wollen. Es kann doch nur im Interesse aller liegen - vor allem derer, die durch fleißige Arbeit Beiträge zahlen, und auch derer, die unbedingt vermittelt werden wollen, aber für die nicht genug Zeit aufgewandt wird -, wenn man sich diesem Problem etwas intensiver und genauer widmet. ({13}) Deshalb müssen z. B. die vorhandenen Instrumente der Vermittlung im Betrieb ausgebaut werden. Wenn der Vermittler mit in den Betrieb geht, kann er sowohl feststellen, ob der Arbeitslose arbeitswillig ist, als auch gleichzeitig die Zumutbarkeit des Angebots seitens des Arbeitgebers insgesamt prüfen. Das wollte ich zum Thema Arbeitsmarkt einmal gesagt haben. Die soziale Sicherung steht in unserem Land auf soliden Beinen. ({14}) Sie ist und bleibt solide finanziert. Dabei ist besonders zu beachten, daß die aus dem Bundeshaushalt zu erbringenden Aufwendungen für die soziale Sicherung - es werden 1990 etwa 103 Milliarden DM insgesamt sein - in den nächsten Jahren bei realistischer Einschätzung erbracht werden können, ohne daß die Neuverschuldung des Staates prozentual über das Ausmaß des Anstiegs des Bruttosozialprodukts hinaus anwachsen wird. Dagegen gab es zwischen 1974 und 1982 Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalte, die jährlich zwischen 2,6 % und 4,9 % des jeweiligen Bruttosozialprodukts lagen. 1982 lag dieses Defizit bei 4,4 %. Nach 1982 konnte dieser Prozentsatz allmählich auf 2 abgesenkt werden; eine Tatsache, die uns Sozialpolitiker sehr froh stimmt. Ohne wachsende Wirtschaft und ohne solide öffentliche Finanzen gäbe es für unsere Mitbürger auch keine Zuversicht, daß unser gut ausgestattetes soziales Sicherungsnetz auf Dauer tragfähig bleibt. Allerdings kann der Staat seine Vorausberechnungen nicht ohne Berücksichtigung bestimmter Annahmen über die Entwicklung wichtiger wirtschaftlicher Daten vornehmen. Wenn in der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes bis 1993 ein durchschnittliches jährliches reales Wirtschaftswachstum von 2,5 % - Sie sehen, wie bescheiden wir sind - unterstellt wird, liegen dem Annahmen über maßvolle Verkürzungen der Arbeitszeiten in der Weise zugrunde, daß drei Fünftel der Erhöhung der Arbeitsproduktivität in höhere Realeinkommen umgesetzt werden, zwei Fünftel in Arbeitszeitverkürzungen. Wirtschaftliches Wachstum benötigen wir in Zukunft aber auch, um zusätzliche Aufgaben in der Sozialpolitik in Angriff nehmen zu können. Wir brauchen insbesondere Mittel erstens für die weitere Verbesserung der Leistungen an die Familien und die Infrastruktur für Familien und Kinder, z. B. in der Jugendhilfe, sowie im Schwerbehindertenbereich; zweitens für produktive Maßnahmen der Arbeitsförderung, die wir in einer bestimmten Weise umstellen und zum Teil ausbauen müssen für Qualifizierung, berufliche Rehabilitation und die Eingliederung Schwerbehinderter, wenn das nicht endlich auf andere Weise zustande kommt; drittens für die Finanzierung der im Trend steigenden Lasten in der Alterssicherung, und zwar nicht nur der Rentenversicherung, sondern auch der Beamtenversorgung und ergänzender Alterssicherungssysteme; viertens für die Eingliederung der wachsenden Zahlen von Aussiedlern und Übersiedlern in unser wirtschaftliches, soziales und gesellschaftliches Leben. Neben diesen Herausforderungen der Beschäftigungspolitik und der Sicherung sozialer Leistungen gilt es, dafür zu sorgen, daß unsere Sozialversicherungssysteme auch in Zukunft leistungsfähig und finanzierbar bleiben. Mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen, das am Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat die Koalition hierfür im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wichtige und - wie die Entwicklung bereits deutlich zeigt - erfolgreiche Voraussetzungen geschaffen. ({15}) Die Ausgabenexpansion in der gesetzlichen Krankenversicherung ist gestoppt. Wir verzeichnen erstmals seit langen Jahren wieder stabile Beitragssätze. Dank der kooperativen und konstruktiven Mitwirkung der Spitzenverbände der Krankenkassen gelingt die Verwirklichung des Konzepts der Festbeträge für Arzneimittel. Ich habe gestern mit einem chronisch Kranken gesprochen: Er braucht überhaupt nichts mehr zuzuzahlen. Und hier wird das Horrorgemälde der chronisch Kranken an die Wand gemalt. Die Arzneimittelpreise kommen ins Rutschen. Die Krankenkassen erzielen hohe Einsparungen, die den Versicherten zugute kommen. Die Versicherten erhalten vollwertige Leistungen. Und was von der Opposition immer bestritten wurde: Die Arzneimittelindustrie leistet nun in der Tat ihren Beitrag - wie Sie ihn auch immer nennen wollen; von mir aus Solidaritätsbeitrag - zu den Einsparungen im Gesundheitswesen. Meine Damen und Herren, der zweite, ebenso wichtige Bereich ist die gesetzliche Rentenversicherung. Hier gibt es erfreulicherweise - ich sage das gerne - einen gemeinsamen Gesetzentwurf mit der SPD. Die Reform orientiert sich insbesondere an folgenden Maßstäben: Sie erfolgt im Rahmen des bestehenden Rentensystems, d. h., die Renten bleiben lohn- und betragsbezogen und damit an der Lebensleistung ausgerichtet. Damit wird den Vorstellungen von allgemeinen Grundrenten eine klare Absage erteilt. Auch die Eigenständigkeit der verschiedenen Alterssicherungssysteme, insbesondere der Beamtenversorgung, bleibt gewahrt. Die SPD konnte also ihre Bestrebungen nach sogenannter Harmonisierung, die letztlich auf Vereinheitlichung und Einheitsalterssicherung hinauslaufen, wie ich meine, nicht durchsetzen. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wir von der Union hätten noch manche Maßnahme lieber schneller, umfangreicher und intensiver verwirklicht. ({17}) Es bleiben noch viele Aufgaben zu erledigen. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl und die sie tragenden Fraktionen und Parteien sind, ob Sie es glauben oder nicht - prüfen Sie es nach -, auf einem sehr guten Weg. ({18}) Der Haushalt 1990 setzt den Rahmen für eine weitere erfolgreiche Politik im Sinne unserer Bürger. Dafür sind wir da, und dafür arbeiten wir weiter. Vielen Dank. ({19})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 4,6 % Wirtschaftswachstum für das erste halbe Jahr, relativ stabile Preise ({0}) und stabile Sozialbeiträge sind die Eckwerte, auf die wir sehr stolz sind. ({1}) Daß es die Opposition in dieser Zeit besonders schwer hat, steht für mich außer Frage. Diese Erfolge kommen nicht von irgendwoher. ({2}) Sie sind das Ergebnis der 1982 eingeleiteten und in dieser Legislaturperiode fortgesetzten Konsolidierungs- und Reformpolitik. Die Bürger sehen und wissen, daß ein politischer Wechsel das Ende der Prosperität und den Rückfall in die Zeiten des Pessimismus, der Wachstumsfeindlichkeit, der Verschuldung, der Geldentwertung, der Arbeitslosigkeit und der Erschütterung der sozialen Sicherungssysteme mit sich bringen würde. ({3}) Da hilft die unverbesserliche und durch regelmäßige Wiederholungen nicht richtiger werdende Kritik der Opposition an der Gesundheitsreform überhaupt nicht. Die Bürger erkennen, daß die Gesundheitsreform Früchte trägt, daß die medizinische Versorgung, meine Damen und Herren, genauso gut wie vorher ist, daß aber jetzt der Beitragsanstieg zum Stillstand gekommen ist. Dazu werden die Festbeträge bei Arzneimitteln und Hilfsmitteln, bei Brillen und Hörgeräten entscheidend beitragen. Die Festbetragsregelung erweist sich jetzt, wo es konkrete Erfahrungen gibt, als ein durchaus positives Instrument, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Die Einsparungen durch Festbeträge sind ein echter Kostendämpfungsbeitrag der pharmazeutischen Industrie, der nicht durch andere Maßnahmen unterlaufen oder kompensiert werden kann. Zweitens. Es ist zudem ein Kostendämpfungsbeitrag der Apotheker und des pharmazeutischen Großhandels; denn diese werden empfindlich getroffen. Drittens. Durch die Festbetragsregelung allein für die ersten zehn Wirkstoffe werden die Versicherten in Höhe von 140 Millionen DM von Zuzahlungen im Arzneimittelbereich befreit. Viertens. Das Ganze wird ohne staatliche Reglementierung erreicht. Für uns ist nämlich entscheidend, daß die Krankenkassen den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Marktsituation festsetzen und daß die Hersteller ihrerseits autonom ihren Marktpreis festlegen können. Das ist effizienter und viel mehr als das, wovon die Opposition immer geträumt hat, was sie aber nie zustande brachte. Aus all dem ziehen wir folgende Schlußfolgerungen: Die Kritik der Opposition, die Regelungen im Gesundheits-Reformgesetz zum Arzneimittelbereich seien unsozial und ein Teil des sogenannten Abkassiermodells, wobei Apotheker und Industrie geschont würden, haben sich als völlig haltlos erwiesen. ({4}) Richtig ist das Gegenteil. Ich bitte Sie daher nochmals, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Festbetragsregelung Apotheker, Großhandel und Industrie belastet und Patienten entlastet. Die Festbetragsregelung ist ein langfristig wirksames Konzept, um mehr Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt zu sichern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will keinen Rundumschlag machen, sondern bei der Gesundheitspolitik bleiben, weil einige Klarheiten erforderlich sind, auch für Herrn Dreßler. Es ist kein Geheimnis, daß wir Liberalen Positivlisten ablehnen, daß uns aber auch Negativlisten ein Greuel sind. ({5}) Um so nachdenklicher hat mich aber gemacht, daß sich die SPD in ihrer Kritik an dem Entwurf für die Negativliste „Unwirtschaftliche Arzneimittel" derart weit aus dem Fenster lehnt. Denn wenn eine Partei eine Positivliste für die GKV fordert, dann fordert sie eine Liste, die die Versorgung der Patienten auf nur 2 000 bis 2 500 Medikamente begrenzt. Damit müßten zwangsläufig fast alle Naturheilmittel aus der Erstattungsfähigkeit der GKV herausfallen, denn es gibt etwa 40 000. ({6}) Wenn also eine Partei mit den Naturheilmitteln durch eine Positivliste Tabula rasa machen will, ist es für mich nicht begreiflich, wie Sie Ihre Kritik an der Negativliste aufrechterhalten wollen. ({7}) Wer sich für die Naturheilmittel einsetzen will, muß eine Positivliste ablehnen und kann eine Negativliste nur so weit akzeptieren, wie die besonderen Therapieleistungen in ihrer ihnen eigenen Wirkungsweise geschützt werden. ({8}) Genau dies hat die FDP getan. ({9}) Es wird keine Negativliste geben, die Naturheilmittel als solche in besonderem Maße trifft. ({10}) - Ich glaube manchmal, Sie haben das GRG noch gar nicht völlig durchgelesen. In diesem Zusammenhang lege ich großen Wert darauf, daß die Bedenken, die während der Anhörungen am Entwurf geäußert worden sind, einer ernsten und verantwortungsvollen Prüfung unterzogen wer11950 den. Hierzu, meine Damen und Herren, gehört auch, daß die inhaltliche Verbindung zur Vierten Arzneimittelgesetznovelle gesehen und gewürdigt wird. ({11}) Es muß ausreichende Übergangsfristen geben, um den Herstellern die Möglichkeit einzuräumen, auf die veränderten Rahmenbedingungen einzugehen. ({12}) Die größeren Probleme sehe ich für die GKV und die Patienten im übrigen nicht auf dem Arzneimittelmarkt, sondern im Krankenhausbereich. Die im Gesundheits-Reformgesetz geschaffenen Instrumente zu mehr Wirtschaftlichkeit und zu mehr Sparsamkeit müssen jetzt von allen Beteiligten konsequent genutzt werden. Der Tarifabschluß für die Pflegekräfte bedeutet für die Kassen eine Erhöhung der Ausgaben um 1,4 Milliarden DM. Hierzu kommen die eingeleiteten Verbesserungen der Personalanhaltszahlen. Die Kassen werden mit der Finanzierung von 5 000 zusätzlichen Stellen weitere große Lasten tragen müssen. Hier haben die Länder eine besondere Verantwortung. Nicht in Ordnung wäre es aber, wenn die Krankenhäuser auf dem Rücken der Beitragszahler und der Pflegekräfte versuchen, unwirtschaftliche Strukturen zu erhalten. Ich bin hier sehr gespannt, wie die Landesregierungen auf die Forderungen der Kassen zur Schließung von Krankenhäusern, zum Abbau überflüssiger Krankenhausbetten im einzelnen reagieren werden. ({13}) Auch die Kassen sind gefordert, die sinnvolle Verwendung ihrer Ausgaben hier mehr als bisher zu kontrollieren. Wir haben Instrumente geschaffen, mit denen den Fehlbelegungen begegnet werden kann. Auf Dauer wird es aber der stationären Versorgung nur besser gehen können, wenn wir endlich das Selbstkostendeckungsprinzip abschaffen. Es wäre für uns auf keinen Fall hinnehmbar, wenn der Krankenhaussektor die Ersparnisse der Reform aufweichen würde. Deshalb muß die Krankenhausreform genauso dringlich wie die Organisationsreform in der nächsten Legislaturperiode angegangen werden. Für ein Vorschaltgesetz zur Organisationsreform gibt es keinen Anlaß. Mitgliederbewegungen zwischen den Kassenarten gehören zum System. Keine Kassenart hat einen naturgegebenen Alleinvertretungsanspruch in Sachen Krankenversicherung. Unser Ziel ist mehr und nicht weniger Wahlfreiheit und mehr und nicht weniger Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies alles gehört in eine gründlich geführte Diskussion zur Vorbereitung der Organisationsreform. Wir wollen ein Gesamtkonzept erarbeiten, das versuchen muß, zwei Forderungen miteinander zu verbinden, die oft genug als Gegensatzpaar diskutiert werden: Wir wollen mehr Wahlfreiheit für die Versicherten erreichen, wir möchten aber auch das gegliederte System erhalten. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir feiern in diesen Tagen 40 Jahre Bundesrepublik, 40 Jahre Sozialstaat. Wenn man sich erinnert, wie das vor 40 Jahren aussah, wird niemand bestreiten, daß wir den Sozialstaat vorangebracht haben: ({0}) Millionen von Arbeitnehmern, Unternehmer, Gewerkschafter, Arbeitgeber. Ich sage nicht, daß wir im Paradies wären. Ich sage auch nicht, es gäbe keine Probleme in unserem Sozialstaat. Aber ich sage: Dieser Sozialstaat ist besser, als er in jeder anderen Zeit unserer Geschichte war. ({1}) Es ist ein Sozialstaat, wie es kaum einen zweiten auf der ganzen Welt gibt. Wenn ich mir heute die Opposition anhöre, denke ich, wir würden im Massenelend leben. Da frage ich mich nur, warum aus der ganzen Welt Leute ausgerechnet zu uns kommen wollen, hier Asylanträge stellen. Ich kenne kein sozialistisches Land, das sich vor Einwanderung schützen müßte. Sie brauchen keine Asylgesetze; es kommt niemand. Zu uns wollen die Leute aus der ganzen Welt kommen, und wir wollen sie auch aufnehmen, sofern sie politisch verfolgt sind. Wenn wir nicht das Wohlstandsland wären, dann frage ich mich, warum die Leute aus der ganzen Welt zu uns kommen. Ich weiß auch, daß wir diesen Sozialstaat umbauen müssen. Soll ich es noch deutlicher sagen? Kein sozialistischer Staat hat mit den Problemen zu kämpfen, mit denen wir zu kämpfen haben. ({2}) - Das ist das Dementi Ihrer Elendsdarstellungen. Wenn wir der Staat wären, den Sie darstellen, würden wir gar keine Attraktivität entwickeln. ({3}) Meine Damen und Herren, das Problem unseres Sozialstaates heißt Weiterentwicklung. Es wird notwendig sein, alle Kraft darauf zu verwenden, die kollektiven Systeme, wie wir sie uns geschaffen haben - Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung - zu halten, zu stabilisieren. Wenn uns das gelingt, ist das ein großer Erfolg. Ausweitung sehe ich im subsidiären Bereich. Die Familienpolitik ist unser Erkennungszeichen. Um eine solche Politik überhaupt betreiben zu können, dürfen die Bäume in der Rentenversicherung, in der Krankenversicherung nicht in den Himmel wachsen. Wer alles verspricht, kann nichts leisten. Das halte ich für sozialpolitische Hochstapelei. Übrigens: Wer bezahlt das Ganze? Vorhin hat der Kollege Dreßler - das war gerade so verräterisch - gesagt, die Versicherten hätten in der Krankenversicherung mehr Ausgaben und die Krankenkassen hätBundesminister Dr. Blüm ten weniger Ausgaben. Wer sind denn die Krankenkassen? ({4}) Er verwechselt DAK mit der OPEC oder etwas Ähnlichem. - Das sind doch die Versicherten. Es wäre genauso, als wenn ich sagen würde: Allen Menschen geht es besser, aber den Männern geht es schlechter. Das ist ungefähr dieselbe Logik. Denn wenn die Krankenkassen Minderausgaben haben, dann haben auch die Versicherten Minderausgaben; denn die Krankenkassen werden von den Versicherten getragen. ({5}) - Frau Unruh, ich warte ganz erwartungsvoll auf Ihre Frage, wenn der Herr Präsident mir das erlaubt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, Sie können mir gerne einen Teil meiner Funktionen abnehmen, aber die wichtigsten behalte ich noch. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Das kann ich nur bestätigen, Herr Kollege. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Unruh, bitte.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe jeden Tag etwa 50 Briefe auf dem Tisch; Sie ja vielleicht auch. Ich frage Sie jetzt, ob es der Sinn Ihrer Reform war, daß folgendes passieren kann. Eine 58jährige Frau, Mutter von zehn Kindern, Witwe, 613 DM Rente, schwer an Leberkrebs leidend, bekommt von der AOK Lüdenscheid verweigert, in der Nähe ihrer Kinder in ein Krankenhaus zu gehen, bei dem der Pflegesatz pro Tag unter 500 DM liegt; sie soll statt dessen in ein Krankenhaus gehen, das pro Tag teurer ist. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Verehrte Frau Kollegin, sicherlich: Wir wollen uns eines jeden dieser Probleme annehmen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß diese Frau mit zehn Kindern dank unserer Politik allein 280 DM als Kindererziehungsleistung bekommt, das sie in der Rentenversicherung vorher nicht hatte. Insofern bin ich Ihnen dankbar für die Frage. ({0}) - Sie erhält im Rentenalter zehmal Kindererziehungszeiten angerechnet. Das sind im Monat 280 DM mehr, als sie zu Zeiten der sozialliberalen Regierung erhalten hätte. Es sind im übrigen genau 6,2 Millionen Mütter, die bis 1990 Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen. Das wird uns dann insgesamt 10 Milliarden DM gekostet haben. Das ist kein Randproblem. Wir haben gerade hier neue Schwerpunkte und Hilfen geschaffen, die auch dieser Mitbürgerin helfen. Ich vertrete in der Tat den Umbau der Rentenversicherung in Richtung Familie. Wer Kinder erzieht, leistet doch auch einen Beitrag zur Sicherung des Generationenvertrags. Zur Krankenversicherung: Welche Arroganz - so muß ich schon sagen -, verehrte Frau Kollegin, liegt darin, daß Sie unsere Krankenversicherungsreform in Sachen Pflege als „Trostpflästerchen" bezeichnen! Lassen Sie sich das noch einmal auf der Zunge zergehen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, es wäre im Interesse des ganzen Hauses, wenn Sie die Sprechstunde nach der Diskussion abhielten.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich kann die Dynamik von Frau Unruh nicht kanalisieren. Insofern, Herr Präsident, bitte ich um Ihre Mithilfe. Gerade bei der Krankenversicherungsreform ging es uns darum, Verschwendung und Überversorgung abzubauen, um den Pflegebedürftigen zu helfen, Sie reden bei 5 Milliarden DM von einem „Trostpflästerchen". Wissen Sie eigentlich, wieviel das ist? Die ganze Sozialhilfe hat für ambulante und stationäre Pflege in 1988 6,3 Milliarden DM ausgegeben. Wir geben jetzt in der Krankenversicherung allein für die ambulante Pflege 5 Milliarden DM aus. Wissen Sie, wieviel das mehr ist als zur Zeit der Sozialdemokraten? Wissen Sie, wie groß der Unterschied zwischen damals und heute ist? - Das sind genau 5 Milliarden DM. Die Sozialdemokraten haben nämlich zu diesem Thema außer Parteiprogrammen und Papieren nichts geliefert. ({0}) Was kann eine Mutter, die ihr Kind pflegt, mit sozialdemokratischen Parteiprogrammen anfangen? Wir aber geben 5 Milliarden DM dafür aus. Sie können ja sagen - Sie können mit mir darüber reden - , daß es noch nicht genügt. Aber, meine Damen und Herren, das ist der Beitrag der Krankenversicherung. Wenn alle, die Verantwortung haben - Kommunen und Länder; ich kenne viele sozialdemokratisch geführte Länder - , ihren Beitrag leisten, sind wir in Sachen Pflege ein großes Stück vorwärts gekommen. Noch einmal zum Sozialstaat. Wir haben einen Sozialstaat mit imposantem Umfang. Denjenigen, die von „Kahlschlag" sprechen, möchte ich noch einmal sagen: 680 Milliarden DM geben wir in diesem Jahr im Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland für Sozialleistungen aus. Das sind knapp 30 % bzw. 155 Milliarden DM mehr als 1982. Wir haben nicht abgebaut, wir haben, wie ich zugestehe, die Dynamik abgebremst, weil sie uns sonst wie eine Lawine überschwemmt hätte. Wenn 155 Milliarden DM mehr ausgegeben werden, kann man doch nicht von einem Abbau sprechen. Das ist gerade so, als wenn jemandem, der beim Autofahren die Geschwindigkeit von 100 Stundenkilome11952 ter auf 80 Stundenkilometer zurücknimmt, gesagt würde, nun fahre er im Rückwärtsgang. Nein, er fährt langsamer - das ist richtig -, aber ein Rückwärtsgang ist es nicht. Sie reden von Kahlschlag: Ist es Kahlschlag, wenn wir 155 Milliarden DM mehr für den Sozialstaat ausgeben als 1982 und damit eine Gesamtsumme, was die sozialen Leistungen angeht, die 21/3 mal so groß ist wie das Volumen des gesamten Bundeshaushalts? Pro Kopf der Bevölkerung sind die Sozialleistungen - zum Mitschreiben - von 8 524 DM 1982 auf 11 000 DM 1989 gestiegen. Wissen Sie, gegen Zahlen kommt man nicht an. Kahlschlag ist es nicht, wenn wir unsere Anstrengungen verstärkt haben. Da sagt der Kollege Dreßler - ich habe mitgeschrieben - : Der Aufschwung ist am Arbeitsmarkt weitgehend vorbeigegangen. Meine Damen und Herren, auch hier können Sie sagen: Wir wollen noch mehr. Aber immerhin haben wir 1,4 Millionen Arbeitsplätze mehr. ({1}) Das ist fast die gleiche Zahl, die die Sozialdemokraten in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit verloren haben. Nur, der Unterschied ist: Die haben Arbeitsplätze verloren, etwas weniger als 1 Million, und wir haben mehr als 1 Million neue geschaffen. Der Unterschied ist: Das sind rote Zahlen, wir haben schwarze Zahlen. ({2}) Jeder kann sich merken: Rot ist in der Politik schlecht. ({3}) Zu den Erwerbstätigen: 27 720 000 Erwerbstätige - das ist die höchste Beschäftigtenzahl, seitdem bei uns überhaupt Statistik geführt wird. Und wenn Herr Dreßler gesagt hat, es sei Manipulation, daß wir nun die Erwerbstätigen zählen, so sage ich: Erstens folgen wir damit einer internationalen Praxis. Zweitens liegt die alte Rechnung immer noch vor; die wird parallel vorgelegt, da wird überhaupt nichts verheimlicht. Drittens folgen wir einer Anregung des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der diese Forderung bereits 1982 im Kabinett vorgelegt hat. Sie können sich da bei Ihren damaligen Ministerkollegen sicherlich vergewissern. Es ist eine Anregung von Helmut Schmidt gewesen, hier einer internationalen Praxis zu folgen. ({4}) Übrigens: 65 % der neuen Arbeitsplätze waren Arbeitsplätze für Frauen. Seit Beginn dieses Jahres hat die Bundesanstalt für Arbeit knapp eineinhalb Millionen Vermittlungen vorgenommen. Eineinhalb Millionen Mitbürger haben durch die Bundesanstalt für Arbeit einen Arbeitsplatz erhalten. Das ist die größte Zahl an Vermittlungen seit 1977. 1,5 Millionen offene Stellen seit Januar - das ist die höchste Zahl an offenen Stellen seit 1977. Im Juli hatten wir 178 000 unbesetzte Lehrstellen und nur 96 000 unvermittelte Bewerber. Wenn einer fragt „Wo ist die Wende?'', dann ist meine Antwort: Die Wende besteht darin, daß Sie und wir vor einigen Jahren den Überhang von Bewerbern unter dem Stichwort „Lehrstellenkatastrophe" beklagt haben, daß wir aber heute wieder mehr Lehrstellen als Bewerber haben. Ist das Fortschritt?! Kann man dann den Satz sagen: Der Aufschwung ist am Arbeitsmarkt vorbeigegangen? ({5}) Jugendarbeitslosigkeit: Unter den Arbeitslosen in Europa stellen die Jugendlichen unter 25 Jahren einen hohen Prozentsatz dar. In Italien sind 53 % der Arbeitslosen unter 25 Jahren; Portugal: 43 %; Spanien: 41 %; Luxemburg: 34 %; Irland: 33 %; Niederlande: 36 %. Wissen Sie, wieviel es bei uns sind? -15,9 %. Wir sind mit großem Abstand das Land mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit, mit dem geringsten Anteil jugendlicher Arbeitsloser. ({6}) Natürlich, meine Damen und Herren, ich stehe wieder nicht vor Ihnen und sage: Wir sind am Ziel. Ich denke, daß wir uns gerade den Langzeitarbeitslosen zuwenden müssen, und zwar nicht mit Worten. Wir machen es mit 1,7 Milliarden DM für ein Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. ({7}) - Liebe Frau Unruh, ich halte mich an Fakten. Ich trage heute abend überhaupt keine Ideologie vor. Ich trage die realen Veränderungen vor: ({8}) Die Realeinkommen der Arbeitnehmer sind zu Beginn der 80er Jahre gesunken, ab 1985 steigen sie. Zwischen 1985 und 1989 haben sie um 7,5 % zugenommen. Wenn man noch Steuerreform und die Ergebnisse der Krankenversicherungsreform hinzufügt, wird es 1990 reale Einkommensverbesserungen um 10,5 % geben, ohne jede Umverteilung. Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß ein Durchschnittsverdiener im nächsten Jahr 2 100 DM mehr hat als 1985 - real! Davon reden Sie nichts ab. Allein von diesem Überschuß kann er sich mehr als 100 Brillen zu 20 DM kaufen. Damit kann er 140 Massagen - die in der Gesundheitsreform eingeschränkt wurden -, ({9}) damit kann er 200 Videokassetten, damit kann er 10 Schweinehälften nur von der Erhöhung des Realeinkommens bezahlen. Also, meine Damen und Herren, lassen Sie die Kirche im Dorf! Hören Sie mit der Darstellung auf, als seien wir in einem Sozialstaat des Massenelends! ({10}) Die Arbeitnehmer werden sich an den Realitäten orientieren. Und wenn sie sich an den Realitäten orientieren, wissen sie, daß wir ihre Lage verbessert haben. ({11}) Ganz kurz zur Krankenversicherungsreform. Erinnern Sie sich doch bitte - es wird vielleicht manchem Sozialdemokraten peinlich sein - an die Plakate im Dezember des vorigen Jahres - es ist noch keine zehn Monate her - , Plakate der SPD: „Ab 1. Januar 1989 dürfen Sie nicht mehr krank werden." ({12}) - Den ersten Preis in der Verunsicherungskampagne - hart bedrängt von den Lobbyisten - würde ich der Sozialdemokratischen Partei zuerkennen. ({13}) „Ab 1. Januar 1989 dürfen Sie nicht mehr krank werden." Jetzt frage ich Millionen von Mitbürgern: Wenn Sie zum Arzt gehen, hat sich irgend etwas verändert? Er wird behandelt wie bisher. Ich frage alle Mitbürger: Stimmt diese Angst- und Verleumdungspropaganda? Die Kuren im Bereich der Rentenversicherung sind von 490 000 im ersten Halbjahr 1988 auf 440 000 im ersten Halbjahr 1989 zurückgegangen. Es sind 50 000 weniger Kuren bei der Rentenversicherung, obwohl die Rentenversicherung gar nicht geändert wurde. Das, Herr Dreßler, ist das Ergebnis Ihrer Angstkampagne. Sie haben den Leuten so Angst gemacht, daß sie nicht einmal mehr ihre Ansprüche wahrgenommen haben. ({14}) Es hat sich in der Rentenversicherung überhaupt nichts geändert. 50 000 Mitbürger haben ihre Kur nicht in Anspruch genommen, obwohl überhaupt nichts passiert ist. Sie sind auf den Leim der SPD gegangen. Wer der SPD glaubt, der ist schlecht beraten, wie sich an dieser Stelle zeigt. ({15}) Ich höre: „Abkassieren". Wenn wir die Beitragserhöhungen um jährlich 3-4 Milliarden DM gestoppt haben, dann haben wir das Abkassieren gestoppt. Hätten wir keine Reform gemacht, so wären die Beitragserhöhungen stärker als jede Zuzahlung gewesen. Insofern: Wir schützen doch den Versicherten und den Patienten. Das sind doch nicht zwei Personengruppen, die gegenseitig austauschbar wären. Herr Thomae, Horst Günther und andere haben vom Festbetrag gesprochen. Das ist, wie ich glaube, der größte Hit der Saison. ({16}) Wann je hat ein politisches Instrument jene Preisstürze ausgelöst, wann je sind die großen Pharmakonzerne so in Trab gesetzt worden, wie es die Gesundheitsreform bewirkt hat? 30 % Preissenkung, 50 Preissenkung bei Arzneimitteln! ({17}) Die 3 DM Zuzahlung fallen weg. Da sparen die Patienten allein 140 Millionen DM Zuzahlung, und die Beitragszahler - das sind wieder dieselben -280 Millionen DM. Das sind, zusammengezählt, 420 Millionen DM. Hörgeräte: Die Hörgerätepreise wurden über Nacht um 22 % niedriger. Und der größte Hersteller hat zum Dank dafür die Garantiezeit von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht, was beweist, daß das nicht auf Kosten der Qualität gegangen ist. Das sind doch Fakten. Ja, die Marktwirtschaft funktioniert. Denn endlich haben die Krankenversicherungen einmal von ihrer Nachfragemacht Gebrauch machen können und nicht jeden Preis gezahlt. Endlich einmal gibt es Wettbewerb. Also, Herr Dreßler, wenn es Ihnen in Ihrer Fraktion schadet, will ich gern auf den Dank an Sie verzichten. Ich dachte, es sei ein Gebot der Fairneß, daß wir unseren gemeinsamen Erfolg - das halte ich nämlich nicht für selbstverständlich -, diese Reform gemeinsam zustande zu bringen, öffentlich darstellen. ({18}) - Das sind keine Mätzchen. Ich wollte unsere gemeinsame Anstrengung darstellen. Jetzt zur Rentenversicherung. Auch da zur „Kahlschlagpolitik" . Wenn wir Reformen, die gerade hier attackiert wurden, nicht gemacht hätten, wäre die Rentenversicherung zahlungsunfähig geworden. Ihre große Leistung war doch gewesen, den Wagen auf die abschüssige Ebene zu bringen. Wir haben doch einen Rettungsversuch gemacht. Im übrigen sage ich: Das einzige, was man unseren Reformen vorwerfen kann - das würde ich als Kritik akzeptieren - , ist, daß sie alle zu spät kommen. Wir machen die nicht erledigten Hausaufgaben der SPD. Die Rentenreform hätte man zehn Jahre früher machen können. Auch die Krankenversicherungsreform fällt nicht vom Himmel. ({19}) Ich bade aus, was an mangelndem Mut und großer Feigheit vorhanden war. Wir führen die Reformen durch, die eigentlich früher hätten durchgeführt werden müssen. Rentenniveau 1980 71,1 % nach 45 Versicherungsjahren, 1981 70,8 %, 1982 72,7 %, in diesem Jahr 1989 72,6 %. Ja, wo sind denn da die Rentner abgestürzt? Das Niveau haben wir trotz dieses Umsteuerungsprozesses halten müssen. Wir haben die Hinterbliebenenreform durchgeführt. Sieben Jahre hat das Verfassungsgericht auf diese Reform gewartet. Wir waren kaum in der Regierung, da haben wir sie durchgeführt, worüber Sie lange ausführlich geredet haben. Wir hätten für die psychisch Kranken nichts getan? Ja, langsam, ich gebe zu, Schritt für Schritt ist Entwicklung nur möglich. Sind wir nicht auch einen Schritt vorangekommen dadurch, daß die Zentren für die Frühbehandlung mehrfach behinderter Kinder jetzt in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufgenommen werden? ({20}) Sehen Sie, meine Damen und Herren, das sind alles so Details. Ich gebe zu, die eignen sich nicht für die großen Überschriften. Aber das zeichnet doch das soziale Leben aus. Es ist doch nicht erst etwas Schicksal, wenn es zehn Millionen Menschen betrifft. Auch wenn es nur Hunderttausende betrifft, muß man für sie da sein. Wir reagieren nicht erst auf Protest. Die, die der Hilfe am meisten bedürfen, die sind gar nicht protestfähig. Die Mutter, die ihr Kind rund um die Uhr pflegt, ist auf keinem Marktplatz als Demonstrant zu finden. Denen haben wir geholfen. Eine Sozialpolitik für diejenigen, die sich nicht bemerkbar machen können! Vielleicht sind das die neuen Armen in einer Informations-, Kommunikationsgesellschaft, die Stimmlosen, die Lautlosen, die sich nicht wehren können. Wer nur auf Protest reagiert, nur auf Demonstration, der wird sie alle durch die Maschen der öffentlichen Aufmerksamkeit fallen lassen. Für die haben wir die Reformen durchgeführt, und deshalb stehe ich mit gutem Gewissen vor ihnen. ({21}) Ich will noch einige Sätze sagen. Der Kollege Dreßler hat bei einer Bemerkung zu unserem Kollegen Rühe mit dem Satz angefangen: Es ist wahr, bei Wallfahrten mit Fernsehkameras waren Sozialdemokraten nicht zu sehen. ({22}) Darauf will ich doch etwas eingehen. Ich bin beeindruckt von einem gläubigen Volk in Polen. Ich ganz persönlich bin mir ganz sicher - nicht jeder muß meine Meinung teilen - , daß die Polen die Zumutungen des Nationalsozialismus und des Sozialismus als Volk gar nicht überlebt hätten, wenn sie nicht tief gläubig wären. Dessen bin ich ganz sicher. Und deshalb bin ich auch sicher: Marx ist tot. Das ist richtig. Der Sozialismus ist so tot, wie man gar nicht toter sein kann. Die Menschen laufen ihm davon. In der Tat, der Glaube war in Polen stärker als Karl Marx. Das ist richtig. Deshalb ist es kein Kalauer, sondern ein Satz, den ich mit großem Respekt vor dem polnischen Volk ausgesprochen habe. ({23})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth ({0}). - Herr Abgeordneter, wir wechseln inzwischen das Thema: allgemeine Finanzpolitik.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in die Schlußrunde ein und kommen zu dem Thema zurück, das ja schließlich Dreh- und Angelpunkt dieser dreitägigen Debatte gewesen ist, die Finanz- und Haushaltspolitik. Es ist schon bemerkenswert und erstaunlich, wie wenig die Opposition in diesen Tagen auf das eigentliche Zahlenwerk des Bundeshaushalts 1990 eingegangen ist und wie wenig Sie Gelegenheit genommen haben, konkrete sachliche Alternativen zur Regierungspolitik zu entwickeln. Viele Ihrer Redner waren in einer Außenseiter-Position. Daß Sie gegen die Regierung, gegen die Koalition sind, das haben wir eigentlich nicht anders erwartet. Aber Sie stellen sich auch gegen die Sachverständigen, gegen die Bundesbank, gegen die Institute. Was in der Bewertung vielleicht noch wichtiger ist: Sie stellen sich gegen die denkenden Menschen in diesem Land und gegen die Tatsachen. Ich meine, am Schluß dieser Debatte sagen zu können, daß der Bundesfinanzminister Theo Waigel seine erste große Bewährungsprobe bestanden hat und daß er ein gutes Zeugnis für diesen Haushalt 1990 verdient. ({0}) Es ist ein Haushalt, der allen Anforderungen an eine moderne Finanzpolitik entspricht. Er steht voll im Dienst unserer mittelfristigen Strategie einer stetigen, in sich konsistenten Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung und der Verbesserung gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Er sichert die wirtschaftliche Dynamik in der Bundesrepublik im nunmehr achten Aufschwungjahr nach den schweren Krisenjahren der SPD von 1980 bis 1982. Dieser Haushalt ist mit seinem gut 3%igen Wachstum stabilitätskonform, und er festigt das Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung. Er ist aber auch bürgerfreundlich und steuerzahlerfreundlich, denn ich darf doch in Erinnerung rufen: Dies ist das Haushaltsjahr mit dem größten Steuersenkungsschritt seit dem Regierungswechsel. ({1}) Wir werden die gesamtwirtschaftliche Steuerbelastungsquote auf 22,5 % zurückführen. Das ist der tiefste Stand seit den Jahren Ludwig Erhards, seit 1959. Ich meine, das durften die Bürgerinnen und Bürger von einer Steuersenkungskoalition aus CDU/CSU und FDP mit Fug und Recht auch erwarten. Wir sind stolz darauf. ({2}) Ich bin gespannt - vielleicht hören wir es ja noch - was die Repräsentanten der Opposition im nächsten Jahr von dieser Jahrhundertreform zurücknehmen wollen, ({3}) ob Sie den geradlinig-progressiven Tarif, Herr Kollege Struck, wieder korrigieren wollen, ({4}) ob Sie diesen arbeitnehmer- und mittelstandsfreundlichen Tarif verschlechtern wollen. Sie haben sich den Ruf einer Steuererhöhungspartei erworben, und Sie haben diesen Ruf in diesen Tagen massiv gefestigt. Werden Sie glücklich damit, aber wir werden guten Roth ({5}) Gewissens mit unserer Politik in die Wahlauseinandersetzung des nächsten Jahres gehen! ({6}) Unsere Politik ist Zukunftsvorsorge im besten Sinne des Wortes. Frau Kollegin Matthäus-Maier, hier wird auch kein „Pulver verschossen, das man für Notzeiten braucht", wie Sie dieser Tage gesagt haben. Wenn Sie solche Notzeiten erahnen, hat das vielleicht etwas mit dem Ausmaß Ihrer Zuversicht im Blick auf eine rotgrüne Konstellation zu tun. Aber trösten Sie sich, so weit werden wir es nicht kommen lassen. ({7}) Unsere Politik hat den Fortschritt schon vor 1990 gebracht, und diesen Fortschritt werden wir mit unserer Politik auch nach 1990 verteidigen. ({8}) Sie haben sieben Jahre Gelegenheit gehabt, Lehren aus Ihrem Regierungsversagen zu ziehen. ({9}) Wie wenig Ihnen das allerdings gelungen ist, hat die Aussprache dieser drei Tage unter Beweis gestellt. Mit heißen Köpfen, aber mit leeren Händen sind Sie in diese Debatte gegangen! Sie haben sich auch 1989 noch nicht dazu durchringen können, die Ungereimtheiten und Widersprüche sozialdemokratischer Finanzpolitik aus der Zeit vor dem Regierungswechsel wirklich aufzuarbeiten. Sie haben Ihre Regierungsarbeit damals nie in Einklang mit den Grundsätzen einer soliden Finanzpolitik bringen können, und ich fürchte, das wird Ihnen mit den jetzigen Ansätzen auch nicht gelingen, denn Sie klotzen auch heute wieder hin und her mit zig Milliarden, mit Umbau, Umverteilung, Programmen, Experimenten, Abgaben usw. Aber den Beweis dafür, wie daraus wirtschaftliche Stabilität und Berechenbarkeit resultieren sollen, sind Sie auf allen Gebieten schuldig geblieben. ({10}) Meine Damen und Herren, den Haushaltsgruppen von CDU/CSU und FDP wird es im Rahmen der Einzelberatung des Haushaltsplans sicherlich gelingen, die Empfehlungen des Finanzplanungsrats einzuhalten und den 3 %-Rahmen für die Entwicklung des Bundeshaushalts nicht zu verlassen. Dies müssen wir auch erreichen; denn die boomartige wirtschaftliche Entwicklung in diesem Herbst, der Nachfrageschub, den wir aus der Steuersenkung 1990 erwarten dürfen, und alle wirtschaftlichen Rahmendaten legen es uns geradezu nahe, jetzt wirklich konsequent bei unserem Kurs des Maßhaltens zu bleiben. Wir dürfen die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft im Jahre 1990 nicht überstrapazieren. Diesen Fehler werden wir nicht machen. ({11}) Diese Bundesregierung, diese Koalition, hat immer nur ein Konjunkturprogramm gekannt: Stetigkeit und Berechenbarkeit ihrer Politik. Nicht Maßlosigkeit, Schulden, Steuerdruck und Staatslastigkeit, sondern genau diese zähe Stabilitätspolitik hat uns nach vorn gebracht. In Zahlen sieht das ja auch bemerkenswert aus. Wir haben im nächsten Jahr ein Bruttosozialprodukt, das auf 2 300 Milliarden DM angewachsen sein wird, nach 1 600 Milliarden DM im Schlußjahr Ihrer Verantwortung. Das ist ein Zuwachs des Bruttosozialprodukts um 45 % in einer vergleichbar kurzen Phase, und zwar bei insgesamt stabilen Preisen. Meine Damen und Herren, meine Sie nicht, daß es ehrlich wäre, im Rückblick zu sagen, daß damals viele, insbesondere junge Menschen Angst vor ihrer wirtschaftlichen Zukunft hatten und daß es heute in der Bundesrepublik Deutschland auf allen Gebieten wesentlich besser aussieht, daß wir Spitze sind und daß wir allen Anlaß haben, jeden Rückfall in den Schlendrian der damaligen Zeit zu verhindern? ({12}) Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Haushalt 1990 unter Beweis stellen können, daß trotz sparsamster Haushaltsführung Handlungsspielräume für neue Aufgaben und Herausforderungen da sind. Das betrifft die Familienpolitik - um ein wichtiges Beispiel, das Kernstück unserer zukunftsorientierten Gesellschaftspolitik, zu nennen - , bei der wir seit 1985 eine Steigerung um 15 Milliarden DM, um 60 %, auf die Rekordhöhe von 38,9 Milliarden DM haben werden. Wir haben Vorsorge getroffen - das ist gestern ausführlich besprochen worden - für den Zustrom an Aussiedlern, an Übersiedlern aus der DDR und aus Ostberlin. Wir kommen damit unserer Verpflichtung nach, diesen Menschen eine gesellschaftliche Eingliederung in unserem Land auf der Grundlage der Gleichberechtigung gegenüber allen anderen Mitbürgern zu ermöglichen. - Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, komme ich aus Gießen. Dort haben die Bundesaufnahmestelle und die Zentrale Aufnahmestelle des Landes Hessen ihren Sitz. Sie werden mir erlauben, daß ich an dieser Stelle ein Wort des Dankes sage für die beispielhafte Einsatzbereitschaft der Beamten und Mitarbeiter des Bundes und des Landes Hessen, an die Wohlfahrtsverbände, Hilfsorganisationen, Kirchen, für das private Engagement vieler Burger, die geholfen haben, den DDR-Flüchtlingen in diesen Tagen und Wochen einen guten Start zu ermöglichen. ({13}) Die Zusammenarbeit zwischen Innenminister Schäuble und der hessischen Landesregierung hat gut funktioniert. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß wir im Roth ({14}) Rahmen der Haushaltsberatungen gesondert auf die Lastenverteilung zu sprechen kommen werden; ({15}) denn das Bundesland Hessen ist hier in der Tat stärker gefordert als andere Bundesländer. Ich bin zuversichtlich und davon überzeugt, daß es uns gelingen wird, dafür einen konstruktiven Weg zu finden. Meinen Damen und Herren, ich möchte jetzt noch einen Punkt ansprechen. Dabei übrschlage ich alle die anderen Aufgaben, ({16}) die wir uns neu gestellt haben im Bereich der Förderung unserer Bundeswehrsoldaten, bei der qualitativen Verbesserung des Straßenbaus, im sozialen Wohnungsbau, wo wir im nächsten Jahr 550 Millionen DM zusätzlich bewilligen, so daß die Kassenmittel mehr als 2 Milliarden DM betragen werden. Ich glaube, hier ist der Bund Motor der Entwicklung gewesen. Der Wohnungsbau ist wieder in Fahrt gekommen. ({17}) Ich finde, daß dies gut so ist. Das sensibelste Thema unserer Haushaltspolitik ist und bleibt die Staatsverschuldung und der Zwang zur weiteren Konsolidierung, meine Damen und Herren. ({18}) Heute hat hier in Bonn der Bundesschuldenausschuß getagt und aus dem Jahresbericht der Bundesschuldenverwaltung ist deutlich geworden, daß der Zuwachs der Schulden von 1983 bis einschließlich 1988 mit 166,7 Milliarden DM beträchtlich niedriger gewesen ist als die im selben Zeitraum an die privaten Kapitalgeber des Bundes gezahlten Zinsen, die die Größenordnung von 177 Milliarden DM gehabt haben. ({19}) Seit dem Regierungswechsel des Jahres 1982 war also die Kreditaufnahme für den Bund nicht einmal mehr ein Null-Summen-Spiel aus Krediten und Zinsen in deckungsgleicher Höhe, meine Damen und Herren. Immerhin mußte der Finanzminister 10,3 Milliarden DM mehr an Tilgungsleistungen und Zinsen in den Kapitalmarkt hineingeben, als er in derselben Zeit aus dem Kapitalmarkt entnehmen konnte. Ohne die SPD-Schulden von früher hätte es nie Kredite geben müssen. Wir hätten sogar Kassenüberschüsse gehabt. Meine Damen und Herren, deshalb fallen die Angriffe Ihrer Seite völlig in sich zusammen. ({20}) Die SPD hat nie eine Mark Schulden zurückbezahlt. Der letzte Bundesfinanzminister, der das getan hat, war Franz Josef Strauß im Jahre 1969. ({21}) Meine Damen und Herren, die dauerhafte Konsequenz aus diesem finanzpolitischen Versagen der SPD sollte jedermann klar sein: Sämtliche regulären Ausgaben des Bundes müssen heute und in Zukunft durch reguläre Einnahmen finanziert werden. ({22}) Das Instrument der Kreditaufnahme zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen ist durch Sie unwiederbringlich verspielt worden. Sie haben in der Zeit von 1971 bis 1982 immerhin noch 153 Milliarden DM an Kreditmarktmitteln für reguläre Ausgaben verwenden können - die Kredite waren also höher als die Zinsen, die im selben Zeitraum fällig waren. Deshalb haben Sie aus der damaligen Einstiegsdroge Staatsverschuldung eine harte Dauerdroge gemacht, an der wir uns heute so schwertun. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Die Politik dieser Koalition folgt weiterhin der Maxime der qualitativen Konsolidierung und der politischen Erneuerung. Wir sind das einzige Land neben Großbritannien, das in den 80er Jahren den Staatsanteil am Bruttosozialprodukt deutlich absenken konnte. Wir werden dem Bundesfinanzminister Theo Waigel, wenn wir an die Sisyphusarbeit der Einzelberatungen des Haushalts 1990 gehen, ({23}) jede Rückendeckung für seine Politik geben; denn wir wollen, daß sich die Rahmenbedingungen der deutschen Entwicklung weiter stabilisieren. Wir wollen weiterhin Aufschwung, soziale Sicherheit und Fortschritt in diesem Lande. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß noch so zahlreiche Mitglieder dieses Hauses die abschließende Finanzdebatte verfolgen. ({0}) Ich begrüße unter den Zuhörern auch meine Ehefrau, die sich anhören will, wie die Debatte hier sein wird. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will mit einer Antwort auf den Paul Hoffacker beginnen, den ich jetzt hier nicht sehe, aber vielleicht hört er über die Anlage meine Antwort doch. ({2}) Meine Damen und Herren, der Kollege Hoffacker hat hier davon gesprochen, daß unsere Kindergeldvorstellungen, die die Kollegin Matthäus-Maier am Montag erläutert hat, und die ich hier nicht wiederholen muß, nicht finanzierbar seien. Das ist nun das erste Argument seit langer Zeit, was dazu gefallen ist. Seit einem Dreivierteljahr tragen wir Sozialdemokraten unsere Vorstellung, nämlich für jedes Kind ein einheitliches Kindergeld von 200 DM, das durch die Aufhebung der Kinderfreibeträge und durch Änderungen beim Ehegattensplitting finanziert wird, vor, und das Bundesfinanzministerium hat sich bisher noch nicht in der Lage gesehen, diese Rechnung, die wir aufgemacht haben, zu widerlegen. Deshalb ist die Behauptung des Kollegen Hoffacker falsch, meine Damen und Herren. ({3}) Das zweite, das ich sagen möchte, bezieht sich auf die Debatte am Montag. Wir haben in der Berichterstattung auf die Auftaktdebatte und über die Einbringungsrede des neuen Bundesfinanzministers einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" mit der Überschrift „Die Opposition in der Offensive" gelesen, Herr Kollege Waigel. Ich möchte daraus zitieren. Natürlich zitiere ich daraus gern. Der Kollege von der „Süddeutschen Zeitung" , der das geschrieben hat, hat das gut und auch richtig geschrieben. ({4}) - Ich sage das als Gewerkschaftsmitglied, Herr Waigel. ({5}) - Daß Sie mit Gewerkschaften nichts am Hut haben, weiß ich. Die oppositionelle SPD kann für sich verbuchen, der Debatte die thematische Kontur gegeben zu haben. ({6}) - Nun regen Sie sich doch nicht auf. Hört doch mal zu! Wir sind im Augenblick in einer friedlichen Stimmung hier. Finanzer unterscheiden sich von anderen eigentlich dadurch, daß sie immer solide und ordentlich argumentieren, Herr Bötsch. ({7}) Gewöhnen Sie sich das einmal an. - Herr Rühe ist ein schlimmes Beispiel. Das muß ich schon sagen. Allerdings möchte ich auch sagen - der Kollege ist nicht da - : Bernhard Friedmann hat einen sehr wohltuenden Debattenbeitrag geleistet, für den ich hier ausdrücklich danken möchte, auch für die SPD-Fraktion. ({8}) Ich setze mit dem Zitat fort: Der Eindringlichkeit, mit der ihre Finanzexpertin Matthäus-Maier die Notwendigkeit zukunftsorientierter Entscheidungen in der Finanzpolitik unterstrich und zum Inhalt ihrer Kritik am statischen Haushaltskonzept Waigels machte, vermochten sich die Sprecher der Regierungsfraktionen nicht zu entziehen. Dem bleibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, nichts hinzuzufügen, wobei ich ausdrücklich meine finanzpolitische Sprecherin loben möchte. ({9}) Die Entscheidung, die die SPD-Fraktion damals getroffen hat, war eine sehr gute Entscheidung, wie sich heute zeigt. Es geht weiter: Bemerkenswert defensiv zeigte sich bei dieser Konfrontation der Bundesfinanzminister. Er schien vor allem darauf präpariert zu sein, der SPD frühere finanzpolitische Sünden vorzurechnen. Der Kollege Adolf Roth hat das gleiche eben wieder gemacht. Ich möchte dazu etwas sagen und den Kollegen Weng aus seiner vorgestrigen Rede zitieren. ({10}) - Teilweise. - Zu dem Thema Schuldenlast und Zinslast hat der Herr Kollege Weng gesagt: Ich meine allerdings, daß der Hinweis der Union, sie zahle im wesentlichen Zinsen und Zinseszinsen für die Schulden früherer Regierungen, inzwischen nicht mehr trägt. Das stimmt. ({11}) Es ist vom Prinzip her schon bald egal, Herr Kollege Waigel - da müssen Sie vielleicht ein bißchen von dem abweichen, was Ihnen Ihre Leute aufgeschrieben haben -, wofür wir die Zinsen zu zahlen haben. ({12}) Entscheidend ist die Höhe der Zinslast, Herr Kollege Waigel. Ich denke, hier stimmen wir überein. Wir müssen uns alle bemühen, meine Damen und Herren, mit den Zinsen, die nun einmal angefallen sind und die den drittgrößten Ausgabenteil im Bundeshaushalt ausmachen, fertigzuwerden. Hören Sie endlich einmal auf, von Erblast zu reden! Das kann keiner mehr hören. Wir wollen es nicht mehr hören, ({13}) weil es auch nicht mehr stimmt. Wolfgang Weng hat recht. Eines ärgert mich natürlich auch: Tun Sie nicht so, als seien wir Sozialdemokraten von 1969 bis 1982 allein in der Regierung gewesen! Da waren wohl auch noch andere dabei. ({14}) Wenn man sich das politische Geschehen der Debatte und insbesondere während der Sommerpause betrachtet, wird ein grundlegender Unterschied zwischen der CDU/CSU und der SPD deutlich. ({15}) - Ich komme auf diesen Punkt. - Die Union hatte unbestritten die Meinungsführerschaft in der Frage, ob Geißler CDU-Generalsekretär bleibt oder nicht. Die SPD, meine Damen und Herren, hatte die Meinungsführerschaft in der Frage, ({16}) wie wir unsere Umwelt so gestalten - und unsere Wirtschaft entsprechend umbauen -, daß sie zukünftig lebenswert bleibt. ({17}) Sie beschäftigen sich nur mit sich selbst und mit Ihren eigenen Problemen, und wir beschäftigen uns mit den Aufgaben der Zukunft. Das ist der Unterschied. ({18}) - Darauf komme ich noch zu sprechen. Was ist nun mit dem Bundesfinanzminister? Herr Waigel, mich hat in Ihrer Replik am Montag auf die Rede der Kollegin Matthäus-Maier erstaunt, daß Sie sich insofern Ihrem Amtsvorgänger annähern, als Sie äußerst dünnhäutig auf Kritik reagieren. Sie haben sich darüber beschwert, daß wir bei Ihrer Rede Zwischenrufe machen. Herr Waigel, ich habe das heute nochmals im Protokoll nachgelesen. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die SPD-Fraktion ist nicht Befehlsempfänger des Finanzministers und hört sich brav an, was Sie uns erzählen. Herr Stoltenberg - das möchte ich Ihnen sagen; das werden Ihnen auch Ihre Mitarbeiter im Hause sagen - wurde immer nervöser, je länger die Zeit fortschritt. Ich denke, es wäre für Sie kein guter Anfang, wenn Sie schon mit so einer Dünnhäufigkeit auf Kritik reagieren. Zum Beispiel ist es doch wohl völlig unbestritten, Herr Waigel, daß Sie sich in der Sommerpause nicht mit den Zukunftsfragen in der Finanzpolitik beschäftigt haben, sondern mit so unseligen Fragen wie der, wo die Grenzen von 1937 verlaufen. ({19}) Da haben Sie der Bundesrepublik großen Schaden zugefügt. ({20}) Ich will jetzt nicht auf diese außenpolitischen Fragen eingehen - ({21}) - Ja, Sie verstehen von gar nichts, Herr Bötsch. Insofern verstehe ich ein bißchen mehr. Ich komme jetzt einmal zur Schuldensituation, weil ich mir denke, daß das ein Punkt ist, über den man ausführlich diskutieren muß, später auch noch im Haushaltsausschuß. Sie wollen 33,7 Milliarden DM neue Schulden machen. Hinzu rechnen wir noch 7 Milliarden DM Bundesbankgewinn. Sie sind also bei 40,7 Milliarden DM Deckungslücke im Haushalt. Nun sagen wir nicht - Ingrid Matthäus-Maier hat auch schon erklärt - , daß Kreditaufnahme an sich etwas Falsches und Schlimmes ist. Das Schlimme an Ihrer Kreditaufnahme ist nur, daß Sie mit diesem Geld nicht Zukunftsaufgaben finanzieren wollen und daß Sie daß Sie das zu einem Zeitpunkt tun, wo die Konjunktur so gut läuft, daß man sich in der Tat antizyklisch verhalten sollte und nicht prozyklisch. Das ist das Schlimme, und das ist der Unterschied zwischen den Kreditaufnahmen, die Sie und die wir zu verantworten haben. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Situation von 3 bis 4 % Wachstum und kräftig sprudelnden Steuereinnahmen ist diese hohe Kreditaufnahme überhaupt nicht zu verantworten. Sie ist auch wirtschaftspolitisch verfehlt. Wenn Sie jetzt noch so massiv die Verschuldung erhöhen, geht das in erster Linie in die Preise. Mit dieser gesamtwirtschaftlichen Lage ist das jedenfalls nicht vereinbar. ({22}) Die Zinsausgaben des Bundes, meine Damen und Herren, betragen heute 32,4 Milliarden DM. Das ist ein Anstieg um 10 Milliarden DM seit 1982, also in sieben Jahren. Nach Ihrer Finanzplanung werden die Zinsausgaben des Bundes bis 1993 noch einmal um fast 10 Milliarden DM ansteigen auf 21,2 Milliarden DM. Das heißt: Der Zinsanstieg um 10 Milliarden DM dauerte zuletzt noch sieben Jahre, die nächsten 10 Milliarden DM Zinsanstieg erfolgen in nur noch vier Jahren. Darin zeigt sich die ganze Dramatik der Entwicklung. Die Möglichkeiten staatlicher Politik und staatlicher Reformpolitik werden durch diesen Anstieg der Zinsquote immer mehr eingeengt. Es gibt keine staatlichen Handlungsspielräume. Das ist die Folge der Schuldenpolitik dieser Bundesregierung: der zunehmend handlungsunfähige Staat. Wir werden dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen, sondern unser Konzept dagegensetzen. Es fehlt die positive Perspektive in der Finanzplanung bis 1993. ({23}) Sie planen bereits heute auch für 1993 noch immer eine Neuverschuldung von 25,6 Milliarden DM ein. Jeder, der sich mit Finanzpolitik beschäftigt, weiß, daß die Neuverschuldung zum Schluß immer höher ausfällt, als sie von der Bundesregierung vier Jahre im voraus geplant war. Diese Erfahrung haben wir gemacht, diese Erfahrung haben Sie jetzt gemacht, und Sie, Herr Waigel, werden sie auch noch machen. ({24}) - Nein, nein, nicht das Gegenteil. Wir werden uns in vier Jahren wieder sprechen: Sie dann von der Oppositionsseite und wir von der Regierungsseite. Bei dieser Bundesregierung war die Neuverschuldung später im Durchschnitt 8,5 Milliarden DM höher, als ursprünglich in der Finanzplanung vorgesehen. ({25}) - Das ist gar nicht Quatsch, das stimmt. ({26}) Jochen Borchert sagt gar nichts dazu, also stimmt es: Das ist die Wahrheit. ({27}) Sie wollen auf Teufel komm raus Wahlgeschenke in zweistelliger Milliardenhöhe an die Unternehmen verteilen. Sie beharren unbelehrbar auf Ihrem Standpunkt, die Bundesrepublik sei als Produktionsstandort nicht mehr attraktiv, weil die Unternehmensbesteuerung zu hoch sei. Nun möchte ich Ihnen einen Zeugen aus den Tikker-Meldungen von heute abend zitieren, der bestimmt nicht verdächtig ist, der Sozialdemokratie nahe zu stehen, nämlich den Präsidenten des Bundesfinanzhofes, Herrn Klein, der den Kollegen der CSU ja sicherlich gut bekannt ist. Der Franz Klein hat heute laut Ticker-Meldung gesagt, daß überhaupt keine Notwendigkeit bestehe, die Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland in der Weise zu ändern, daß die Unternehmen weniger Steuern zu bezahlen haben. Das sollte denn doch auch für Sie, meine Damen und Herren, ein guter Zeuge sein und Sie veranlassen, endlich von diesen verfehlten Plänen Abstand zu nehmen. ({28}) - Es geht doch um folgendes, Herr Kollege Faltlhauser: Wenn Sie und leider auch die Kollegen von der FDP für die nächste Legislaturperiode ankündigen, die Unternehmensbesteuerung zu ändern - die Bundesrepublik sei ein schlechter Standort, unsere Unternehmen seien benachteiligt usw. -, dann müssen Sie sich doch gefälligst auch einmal anhören, was sachkundige Kritiker dazu sagen, nicht nur die Gutachter, die wir zitiert haben, sondern zum Beispiel auch der Präsident des Bundesfinanzhofs. ({29}) Die Unternehmensbesteuerung muß nicht geändert werden. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt nach wie vor ein attraktiver Industriestandort. ({30}) Unsere Unternehmer wissen doch selbst, daß sie die hervorragende öffentliche Infrastruktur in unserem Land nicht zum Nulltarif haben können. ({31}) Es kann doch auch nicht im Interesse der Unternehmen sein, einen armen Staat zu haben, weil der Staat Vorleistungen, die notwendig sind, für die Unternehmen erbringen muß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bötsch zu?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer. Ich lasse, zu diesem Zeitpunkt jedenfalls, jede Zwischenfrage zu.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr, Herr Kollege Bötsch!

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir darin zustimmen, daß Sie die Meldung der dpa leider nur unvollständig zitiert haben? Darin heißt es - wenn ich das einmal vollständig vorlesen darf - : Das Aufkommen der Körperschaftsteuer liege im Verhältnis zu den Gewinnen eher im unteren Bereich. Wer keine Ausnahmen für sich geltend machen könne, der sei aber international zu hoch besteuert, sagte Klein in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung". Wenn man alle Vergünstigungen abbaue, könnten die Steuersätze um die Hälfte gesenkt werden. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Bötsch, wenn Sie die Antwort hören wollen, müssen Sie zunächst einmal aufstehen. ({0}) Das hätte eigentlich der Präsident sagen müssen. - Einiges färbt ja von Fraktionsvorsitzenden ab. ({1}) - Genau. Wo ich recht habe, habe ich recht. Natürlich stimmt das, was Sie vorgelesen haben. Das Faktum aber, Herr Kollege Bötsch, bleibt. Ich nehme es Ihnen auch gar nicht übel, daß Sie eine solche Frage stellen, weil Sie von Finanzpolitik nun wirklich nichts verstehen. ({2}) Aber das Faktum bleibt. Die Unternehmensbesteuerung muß nicht gesenkt werden. Unsere deutsche Wirtschaft ist nach wie vor auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig, und Franz Klein hat das bestätigt. So, und jetzt gehen wir weiter zum nächsten Tagesordnungspunkt! ({3}) Wir kommen zu dem Drama mit der Quellensteuer. Nun mag sich der Theo Waigel zugute halten, daß er mit einer genialen Leistung dieses Monstrum - wie wir es genannt haben - wieder aus der Welt geschafft hat. Es ist auch gar nicht verkehrt, daß diese Quellensteuer, so wie Sie sie gemacht haben und wie Sie alle, die Sie hier sitzen, sie verteidigt haben, abgeschafft ist. Wir haben doch noch die Reden im Ohr; natürlich haben Sie die Quellensteuer verteidigt, alle, die Sie da sitzen, und haben uns im Haushaltsausschuß gesagt, wie gut sie sei. Ich erinnere mich noch an die Diskus11960 sinnen über die Prospekte, die da verteilt worden sind. ({4}) Dieses Monstrum abzuschaffen reicht aber nicht. Es geht auch darum, daß Sie, Kollege Waigel - das nehmen wir Ihnen bitter übel -, durch den neuen § 30 a der Abgabenordnung die Finanzämter bewußt blind gegenüber Steuerhinterziehung machen. ({5}) Ein Punkt, den Sie, Herr Waigel, schon einmal erklären müssen, ist, warum Sie dieses Thema nicht aufgreifen. Diese Politik ist ein Schlag gegen den Rechtsstaat. Der Sinn von Gesetzen ist doch, daß sie eingehalten werden; sonst sollte man sie besser bleiben lassen. Für die Einhaltung von Gesetzen ist die Regierung zuständig. Jeder Minister hat darauf seinen Amtseid geleistet, Sie auch, Herr Waigel. Zu den Gesetzen gehören auch die Steuergesetze. Nach den Steuergesetzen muß man auch auf Kapitaleinkünfte Steuern bezahlen. Das weiß doch jeder hier. ({6}) Aber wenn Sie, Herr Waigel, die Finanzämter nicht in die Lage versetzen, zu kontrollieren, ob jemand seine Kapitaleinkünfte auch ordnungsgemäß in der Steuererklärung angibt, dann schlagen Sie ihnen bewußt das Schwert aus der Hand, mit dem der Finanzbeamte losgehen kann, um eine ehrliche Steuer einzutreiben. Das ist der Punkt, den wir zu beanstanden haben. ({7}) Auch die Wirtschaft fordert, daß Kapitaleinkünfte nach Recht und Gesetz besteuert werden müssen. Wir sind uns da einig mit den Vertretern der Wirtschaft oder mit den Vertretern der Deutschen Steuergewerkschaft, um nur einige bedeutende zu nennen. Auch der Bundesrechnungshof hat angemahnt, daß dieses Problem erledigt werden soll. Nach Schätzung der Steuergewerkschaft gehen dem Staat 15 Milliarden DM Steuereinnahmen durch Unehrlichkeit, durch Steuerhinterziehung verloren, und Sie, Herr Waigel, wollen diese Entwicklung tatenlos hinnehmen. Das Geld, das Sie hier verlieren und auf das Sie hier verzichten, besorgen Sie sich dann lieber über höhere Schulden. Ein finanzpolitischer Skandal! ({8}) Unsere europäischen Partner haben angemahnt, dieses Problem zu lösen, und Sie wissen, welche Lösungsmöglichkeiten es dafür gibt. Ich möchte einen Zeugen zitieren, den französischen Staatspräsidenten Mitterrand. ({9}) - Jawohl. Er hat in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" am 27. Juli 1989 unmißverständlich festgestellt: „Es muß vermieden werden, " ({10}) - das kann ich - „daß die Liberalisierung des Kapitalverkehrs zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche Vorschub leistet. " Das sagte François Mitterrand. Damit hat

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Sie haben das Bankgeheimnis zu einem Fetisch gemacht, der uns allen eigentlich Angst machen sollte. Ihr Motto lautet: Was jemand auf der Bank hat, geht den Staat nichts an. Sind Sie sich eigentlich über die Konsequenzen im klaren? Wissen Sie eigentlich, wie viele Gelder heute aus Mafia-Verbrechen und Drogenhandel zunehmend in die Bundesrepublik Deutschland geschleust werden? Der Kollege Deres hat heute in anderem Zusammenhang von diesem Thema gesprochen. Wollen Sie denn wirklich die Bundesrepublik Deutschland zur großen Geldwäscherei für Drogenhändler machen? Sie sind auf dem Weg dahin, wenn Sie das Bankgeheimnis weiterhin zu diesem Fetisch machen. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, einen ähnlichen Weg zu versuchen wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Wir haben anläßlich einer Diskussion im Finanzministerium in Washington erfahren, daß erhebliche Geldeinzahlungen auch durch staatliche Instanzen kontrollierbar gemacht werden müssen. In Amerika ist es so, daß jede Bareinzahlung über 10 000 Dollar sofort von der zuständigen Bank dem Finanzministerium in Washington gemeldet werden muß, und zwar wegen der dahinter stehenden Drogenproblematik. ({0}) - Wir wollen gar nicht so weit gehen. Nur wollen wir hier eines einmal klar feststellen: Das Drogengeschäft lebt davon, daß das Kapital bar und in cash unter der Hand und unter dem Tisch gehandelt wird. Hier wird nur in cash gehandelt, und dieses Geld muß natürlich irgendwann wieder bei den Banken landen, und es ist eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Staates, dafür Sorge zu tragen, daß wir das auch besser kontrollieren können. ({1}) Sie wissen, welche Vorstellungen die sozialdemokratische Partei zur Besteuerung von Zinseinkünften hat; ich brauche sie nicht vorzutragen, und Sie wissen auch, wie wir das kontrollieren wollen. Wir wollen nicht ein absolutes Kontrollverfahren, wie es in den Vereinigten Staaten von Amerika gilt, aber wir wollen, daß die Finanzämter über Stichproben die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob jemand seine Zinseinkünfte ehrlich angibt oder nicht. ({2}) Ich denke, daß alle ehrlichen Steuerzahler nichts dagegen einwenden können. ({3}) Sie werden sich, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, bei den Beratungen des Bundeshaushaltes sehr schwertun, uns die Notwendigkeit der zusätzlichen Milliarden für die Großprojekte darzulegen. Kollegin MatthäusMaier hat schon davon gesprochen, und ich spreche Sie jetzt noch einmal an, Herr Kollege Waigel: Jede zusätzliche Mark für den Schnellen Brüter, für das Raumfahrtprojekt Columbus und für den Jäger 90 ist eine Mark zuviel, ist rausgeschmissenes Geld. ({4}) Auch Ihnen müßte daran gelegen sein, hier wieder finanziellen Spielraum zu gewinnen. Muß sich denn hier erst das gleiche abspielen wie bei der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, bei der die Bundesregierung bis zuletzt an einem absurden Projekt festhielt, während sich die Wirtschaft schon längst daraus verabschiedet hatte? Sie sollten doch aus diesem Fehler lernen; unsere Hilfe dazu kann ich Ihnen anbieten. Als wir gesagt haben, die Wiederaufarbeitungsanlage und der Hochtemperaturreaktor müssen weg, haben Sie hier im Bundestag getobt. Jetzt ist die Wiederaufarbeitungsanlage weg. Der Hochtemperaturreaktor wird folgen, und als nächstes wird der Schnelle Brüter an der Reihe sein. Das pfeifen doch die Spatzen vom Dach. Lambsdorff hat das selbst auch gesagt. Sie hängen jetzt noch an diesen Projekten, und in einem Jahr werden Sie uns hier erklären, warum das alles nicht mehr geht. Seien Sie doch einmal vorher vernünftig und nicht erst hinterher. ({5}) - Natürlich, wir bekennen uns ja auch zu dieser Verantwortung, auch in der Kernenergiepolitik. Aber ich sage Ihnen einmal, meine Damen und Herren: Ein Politiker ist in meinen Augen erst dann ein Politiker, wenn er sich auch zu seinen Fehlern bekennt und in der Lage ist, diese zu korrigieren, wenn es denn die Vernunft verlangt. ({6}) Aber Sie rennen ja immer weiter blind in das Unglück hinein; Sie geben immer nur verbale Erklärungen halbherziger Art zum Jäger 90 ab, und wenn es dann zum Schwur kommt, sind insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der FDP so klein mit Hut. ({7}) - Das wäre ein Thema, über das ich an anderer Stelle gerne noch einmal reden möchte. Jetzt im Augenblick paßt es nicht so herein. Aber im Zweifel werden wir keine unterschiedliche Auffassung dazu haben, Frau Kollegin Schoppe. Die Bundesregierung hat vollmundig den Subventionsabbau angekündigt. Ihr Amtsvorgänger, Herr Stoltenberg war dabei immer an der Spitze. Tatsächlich haben Sie aber seit 1982 50 neue Subventionen eingeführt. Es kann also nicht von Subventionsabbau die Rede sein, sondern eher von einem Subventionsaufbau. Das ergibt sich übrigens auch aus Ihrem Subventionsbericht. ({8}) - Das kann er vielleicht nachher selbst sagen. Ich möchte aber dazu einmal meine Meinung sagen, von der ich nicht weiß, ob sie mit der Fraktion abgestimmt ist. Das ist mir in diesem Falle, was das Thema Subventionsabbau angeht, aber auch egal. Seit 1980 bin ich Mitglied des Finanzausschusses, und jetzt bin ich Mitglied des Haushaltsausschusses. ({9}) - Sie ist aber noch nicht zu Ende, Klaus-Dieter; ich hoffe, da stimmst Du mir zu. Ich glaube, daß alle, die sich mit dem Subventionsabbau befaßt haben, eigentlich doch wohl eine Lehre beherzigt haben. Überall werden wir, wenn wir von Subventionsabbau reden, natürlich sofort Zustimmung erhalten. Und dann heißt es immer: Ja, aber nicht bei mir. Es geht vielmehr nach dem Motto: Hannemann, geh du voran. Daraus kann man eigentlich nur eine Konsequenz ziehen. ({10}) - Nein. Man kann daraus die Konsequenz ziehen, daß man gleichmäßig über alle Subventionen mit einem Kürzungsbetrag hinweggeht. Dann ist der Schmerz für alle gleich, und wir halten es aus. Ich weiß, daß es sehr umstritten ist, weil dann natürlich jeder in bezug auf seine Subvention wieder sagt: Du kannst bei mir nicht 10 % kürzen. Aber, meine Damen und Herren und Herr Kollege Waigel, ich denke mir, wenn man wirklich an den Subventionsabbau herangehen will, dann bleibt einem nichts anderes übrig als eine prozentuale Kürzung überall. Wir werden darüber sicherlich noch zu diskutieren haben. Ich habe hier, wie gesagt, meine persönliche Meinung vorgetragen. Ich komme zu meinem letzten Punkt, um auch die Geduld der Zuhörer nicht überzustrapazieren, wobei ich überhaupt der Meinung bin, eine Finanzdebatte zu dieser Zeit ist nicht die optimale Lösung für eine Haushaltsdebatte. ({11}) - Ja, ich finde auch, ihr arbeitet ganz gut mit. Also, ich bedanke mich herzlich dafür. Ich komme zu dem Thema, das Sie ja alle sehr beschäftigt hat, nämlich zu dem ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft. Ich glaube, wenn man einmal die gesamten Propagandablasen und so etwas wegläßt, von unserer Seite und von Ihrer Seite, ({12}) - ja, ich bin hier durchaus auch selbstkritisch -, dann bleibt doch ein Sachverhalt festzuhalten: Wir sind eines der reichsten Länder der Erde. Trotzdem kann in keinem unserer Flüsse ein Kind heute baden. Wir sind eines der reichsten Länder der Erde, und wir müssen alle Angst davor haben, wie denn unsere Welt, materieller Wohlstand immer weiter vorausgesetzt, in den nächsten zehn Jahren überhaupt noch aussehen wird. ({13}) - Wissen Sie, ich bin jetzt bei einem Punkt, bei dem ich etwas nachdenken sollte. Dann brauchen Sie nicht immer so dummerhaftige Zwischenrufe zu machen, oder melden Sie sich zu einer Zwischenfrage. ({14}) Wenn man einmal von diesem Faktum ausgeht, daß wir einfach nicht so weitermachen können wie bisher, nämlich bei allem materiellen Wohlstand unsere Ressourcen verbrauchen und unsere Natur kaputtmachen, dann ist doch jetzt nur noch die Frage zu stellen, ob wir uns denn - das ist unser Punkt - nur auf die normalen Instrumente, wie Gebote und Verbote, konzentrieren sollten oder ob wir uns nicht auch einmal als Finanzpolitiker darauf konzentrieren müssen, die Frage zu untersuchen, ob die Finanzpolitik, die Steuerpolitik, eine Hilfe beim Umbau unserer Industriegesellschaft leisten kann. Bernhard Friedmann hat diesen Denkansatz mitgetragen. Ich fürchte auf Grund der Debatten, die wir bisher erlebt haben, nur, daß er in Ihrer Fraktion alleine steht. ({15}) Dann bleibt doch wirklich nur eines übrig, Kollege Fellner: Es ist klar, daß der entscheidende Punkt bei uns der Energieverbrauch ist. Wenn es uns nicht gelingt, den Energieverbrauch oder zumindest den Anstieg des Energieverbrauchs zu reduzieren, werden wir uns irgendwann in einer Welt wiedersehen, die wir alle nicht wollen. Ganz offenbar ist es so - das bestätigt Herr Friedmann, das bestätigt der niedersächsische Umweltminister Remmers, das bestätigt eine Frau Breuel, die noch niedersächsische Finanzministerin ist - , daß wir zum Umbau unserer Industriegesellschaft über die Steuerpolitik Hebel ansetzen müssen. Nichts anderes ist das, was wir jetzt in unserer Arbeitsgruppe „Fortschritt 90" versuchen, nämlich die Frage zu prüfen: Was können wir auch in der Steuerpolitik tun? Wir wissen natürlich auch - wir sagen das den Leuten auch, und zwar nicht nur abends um 21.50 Uhr, wenn keiner mehr zuhört, sondern draußen auf Veranstaltungen - ({16}) - Es ist doch nicht unsere Aufgabe - wenn Sie Ihre Aufgabe so verstehen, dann tun Sie mir leid - , jedem nach dem Munde zu reden. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, Konzepte zu entwickeln, an denen sich die Leute reiben können. ({17}) Wir sagen den Leuten: Wenn ihr eine saubere Umwelt haben wollt, wenn ihr mit uns in der Zielrichtung übereinstimmt, daß wir saubere Luft, sauberes Wasser haben und weniger Energie verbrauchen müssen, dann müßt ihr dafür auch bezahlen. Das heißt, wenn von Aufkommensneutralität gesprochen wird, dann bedeutet das nicht Aufkommensneutralität für jeden einzelnen, dann bedeutet es nicht, daß sich das nach dem Motto rechnet: Na gut, ich fahre ein Katalysatorauto, na gut, ich fahre nicht mehr mit dem Auto zum Bäcker, sondern ich gehe zu Fuß, aber was zahlst du mir dafür? Das, was er dafür erhält, kann er sehen, weil er dann saubere Luft oder vielleicht sauberes Wasser hat. Aber unter Umständen kann sich das in seinem Portemonnaie oder in seinem Finanztopf negativ auswirken. Das muß auch so sein. Wir können doch nicht in unserer Gesellschaft so weiterleben, in der jeder seine Umwelt fröhlich kaputtmacht nach dem Motto: Hauptsache, mir geht es gut, was unsere Kinder und unsere Enkelkinder an Luft und Wasser vorfinden, ist nicht mehr mein Thema. Wir Sozialdemokraten sehen das als unsere Hauptaufgabe an. Wir werden dieses Konzept offensiv vertreten. Damit schließt sich wieder der Kreis, d. h. ich bin wieder bei dem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" vom Anfang, Herr Kollege Waigel. Wir haben in der Sommerpause unsere Konzeption, unsere Vorstellungen vorgelegt. Sie haben darauf nicht geantwortet - auch nicht in Ihrer Einbringungsrede zum Haushalt - , sondern haben sich auf alte Platten beschränkt. Die SPD hat die Zukunft vor sich, und Sie sind ein Bestandteil der Vergangenheit. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Schluß des Kollegen Struck fällt mir mein Anfang ein wenig schwerer, als ich gedacht habe; denn ich will damit beginnen, daß ich mich dem Kollegen Struck hinsichtlich seiner Freude darüber anschließen kann, daß die Beteiligung für die späte Stunde noch recht stark ist. Ich vermute, das geht zugunsten des Finanzministers, der noch eine abschließende Rede halten will. Ich kann mich dem Kollegen Struck noch in einem anderen Punkt anschließen - das wird Sie etwas überraschen - : Auch ich bin in der Lage, meine Frau zu begrüßen, die auf der Tribüne sitzt. ({0}) Ich habe aber noch eine weitere, eine echte Überraschung. Ich schließe mich dem Kollegen Struck ein drittes Mal an: Ich begrüße auch Frau Struck. ({1}) Verehrte Frau Struck, wenn Ihr Mann in den letzten Tagen öfter im Plenum gewesen wäre und etwas weniger Zeitung gelesen hätte, hätten Sie von ihm eine andere Rede gehört. ({2}) Dann hätte er Ihnen nämlich wahrscheinlich mitgeteilt, daß die erste Lesung des Bundeshaushalts des kommenden Jahres in den letzten Tagen zweierlei dokumentiert hat: zum ersten die Leistungen und die Entschlußkraft der Koalition, eine beeindruckende BiDr. Weng ({3}) Tanz in allen Politikbereichen und die Bereitschaft, sich der kontroversen Diskussion offen zu stellen; ({4}) zum zweiten, Frau Struck, den Mangel der Opposition an tatsächlichen Alternativen. ({5}) Die florierende Wirtschaft, die eklatanten Verbesserungen am Arbeitsmarkt, aber auch die unübersehbaren Fortschritte bei der Umweltpolitik haben hier eine ganz wichtige Rolle gespielt. Natürlich ist der deutschlandpolitische Teil dieser Debatte klar zugunsten der Koalition ausgegangen. Norbert Blüm und andere von der Koalition haben es gesagt: Die Abstimmung von Menschen mit den Füßen, meine Damen und Herren, von Menschen, die ihr Land verlassen und sich in eine ja an sich unsichere Zukunft zu uns hierher aufmachen, führt das Jammergeschrei der Opposition doch wirklich ad absurdum. ({6}) Wenn es hier bei uns wirklich so furchtbar aussähe, wie es die Opposition schildert und darzustellen versucht, würden dann wirklich so viele Menschen aus anderen Ländern, so viele Mitbürger aus der DDR zu uns kommen wollen? ({7}) Der Versuch von manchen Presseorganen, trefflich unterstützt von der Opposition, hier ein solches Zerrbild unseres Landes zu zeichnen, schlägt fehlt; er ist gescheitert. ({8}) Die Kritik wird zusätzlich relativiert, meine Damen und Herren, durch die Zustände dort, wo die Opposition hier im Bundestag selbst Verantwortung trägt. Zum Beispiel die Haushalte der SPD-geführten Bundesländer sind nun wirklich alles andere als Musterbeispiele solider Finanzwirtschaft. Ich will an bestimmte Mißstände gar nicht im einzelnen erinnern; aber es fällt mir spontan ein, was in Berlin passiert ist: Als man dran kam, hat man erst einmal einen Riesenschwung Personalstellen geschaffen, die nicht in der Sache, aber für die Parteibuchgänger nötig waren. So fängt die Opposition an, wenn sie dran kommt. ({9}) Ich will, meine Damen und Herren, wegen der Kürze der Zeit noch eine einzige Anmerkung machen - es ist jetzt ja wirklich schon etwas spät -, eine Anmerkung zu der Entscheidung, die neben tagespolitischer Aktualität auch wichtige Haushaltsaspekte hat: Nach heutiger Presse - nach einigen Andeutungen konnte man es ja auch vermuten - hat Helmut Haussmann die Fusion von Daimler-Benz und MBB unter nicht unerheblichen, sondern sehr weit gehenden Auflagen genehmigt. Damit hat die FDP nicht nur wirtschaftliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Kabinettsbeschluß erreicht - dies ist auch unserer gemeinsamen Arbeit im Haushaltsausschuß zu verdanken; Sie wissen, es wurde mit erheblichen finanziellen Folgen zugunsten des Bundeshaushalts nachverhandelt -, sondern die FDP hat mit ihrem Wirtschaftsminister nun auch ordnungspolitisch die erforderlichen Verbesserungen durchgesetzt, die auf Grund dessen, was das Kartellamt in seiner Ablehnung und was die Monopolkommission bei ihrer Bewertung gesagt hatten, nötig waren. ({10}) Mein Appell, Herr Kollege Faltlhauser, geht an die seitherigen Gegner der Fusion - aber er geht natürlich auch an diejenigen, die ihr schon lange zugestimmt haben - , jetzt nicht weiter oder neu zu kritisieren und sich jetzt nicht wohlfeil zu Lasten eines Ministers zu profilieren, der nach meiner Überzeugung hier das Mögliche erreicht hat. Ich selbst hätte, ehrlich gesagt, mit weniger Auflagen für DaimlerBenz gerechnet, als das nach dem heutigen Stand der Pressemitteilungen tatsächlich stattfindet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja selbstverständlich, Herr Kollege Kühbacher.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Weng, hat sich die FDP oder der Herr Minister Haussmann in offenen oder in versteckten Protokollen verpflichtet, die Abnahme der Jäger-Flugzeuge 90 auch von MBB zu gewährleisten?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kühbacher, ich kann, wie Sie wissen, die Frage natürlich nicht beantworten. ({0}) Woher soll ich wissen, ob es versteckte Protokolle gibt? Nur, mit der Unterstellung versteckter Protokolle hier anzutreten und eine solche Frage zu stellen, die ja nach üblichem politischen Sprachgebrauch beinhaltet, daß Sie solche Protokolle kennen, daß sie Ihnen bekannt sind, überrascht mich. Wenn Ihnen da irgend etwas bekannt ist, bin ich Ihnen dankbar, wenn Sie es hier auflegen und vorzeigen. Mir ist dahin gehend nichts bekannt. ({1}) Der Haushaltsaspekt bei dieser Fusion und bei dem Einstieg von Daimler-Benz - ich will das noch ergänzend sagen - beinhaltet ja nicht nur den momentanen Einstieg von Daimler-Benz mit hohen Beträgen, sondern beinhaltet ja auch die Hoffnung, daß die Subventionen für den Airbus in Zukunft deutlich reduziert werden, weil hier industrielle Führerschaft läuft. Die Bundesregierung ist nach meiner Überzeugung aufgefordert, mit dafür Sorge zu tragen, daß hier möglichst schnell privatisiert wird und daß auch bei Airbus auf europäischer Ebene möglichst schnell die Staatswirtschaft anderer Länder abgebaut und ein privatwirtschaftlicher Betrieb Airbus Industrie installiert Dr. Weng ({2}) wird, der dann diese industrielle Führerschaft erst zum echten Erfolg führen kann. Meine Damen und Herren, wir gehen jetzt im Ausschuß an die Arbeit. Wo der Haushalt der Bundesregierung, den das Parlament hiermit übernommen hat, noch zu verbessern ist, werden wir ihn verbessern. An der Geschlossenheit der Koalition bei der Verfolgung einer Gesamtpolitik, die der Wohlfahrt der Bürger in unserem Lande ebenso dient, wie sie unserer darüber hinausgehenden Verantwortung für Menschen in anderen Ländern Rechnung trägt, kann auch dann kein Zweifel bestehen, wenn die eine oder andere kritische, auch selbstkritische Anmerkung die offene Diskussion begleitet. Wir sind auf dem richtigen Weg. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich freue mich über die Möglichkeit, zum Schluß dieser höchst aufschlußreichen Debatte die wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen. Ich freue mich auch, dies in aller Offenheit ohne Furcht vor allzu starker Publizität tun zu können, denn bekanntlich gibt es in dieser Republik kaum etwas Geheimeres als Reden, die nach 22 Uhr im Plenum des Deutschen Bundestages gehalten werden. ({0}) Wichtigste Ergebnisse der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1990 sind: Erstens. Der Wahlkampf ist eröffnet. Zweitens. Die Regierung hat in allen wichtigen Fragen vollkommen versagt, die Opposition würde in allen wichtigen Fragen alles richtig machen. Drittens. Die Regierung stimmt dieser Einschätzung nicht zu, sondern findet sich selbst Spitze. Viertens. Das findet der Finanzminister auch, scheint aber darüber vergessen zu haben, vor seiner Rede den Haushaltsplan zu lesen. Fünftens. Der Wahlkampf geht weiter. Trotz des hohen Informationsgehalts der dreitägigen Debatte, in der ich selbst auch insgesamt dreimal Gelegenheit hatte, das Wort zu ergreifen, bleiben folgende Rätsel ungelöst: Erstens. Warum hat die CDU/ CSU nicht ihren hochkompetenten Starredner Heinrich Jodokus Lummer in die neu entflammte deutschlandpolitische Debatte geschickt? ({1}) Zweitens. Warum sind Waltraud und Otto nicht auf dem Laubenpieperfest? Ist dies ein Anschlag auf die rot-grüne Koalition in Berlin? ({2}) Drittens. Was steht eigentlich im Entwurf zum Bundeshaushalt 1990? Da die Erörterung dieser nach wie vor offenen Fragen die mir nach Fraktionsproporz zustehende verbleibende Redezeit von neun Minuten erheblich überschreiten würde, komme ich jetzt zum Schluß, jedoch nicht ohne den noch anwesenden Kollegen im Plenum ganz herzlich für ihre konzentrierte Aufmerksamkeit zu danken. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Weng! Verehrte Frau Struck! Es tut mir leid, daß Ihr Mann, Frau Struck, sich in den letzten Tagen so wenig um Sie kümmern konnte. Es tut mir natürlich auch ehrlich leid, daß Sie ihn heute abend zwar sympathisch, aber in der Sache nicht in Bestform erleben konnten. ({0}) Aber Sie sind dafür durch eine gute Rede des Kollegen Weng entschädigt worden und Sie werden - ich kann es Ihnen ankündigen - durch eine gute auch von mir entschädigt werden. ({1}) Wenn Sie schon die „Süddeutsche Zeitung" zitiert haben - das war der einzige Strohhalm, an den sich der Kollege Struck klammern konnte - , will ich Ihnen auch noch einen Satz aus der „Süddeutschen" von heute heute sagen, Herr Kollege Struck. Ich zitiere - : Vogel ist in der Rhetorik Rühe unterlegen und mit seinem Latein an der Stelle am Ende, an der Kohl mit der Schilderung seiner Leistungen beginnt. Ich weiß nicht, ob das in der „Süddeutschen Zeitung" derselbe Kollege war, auf den Sie sich vorher besonnen haben; jedenfalls sollten Sie sich immer mit der ganzen Zeitung auseinandersetzen. ({2}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Alternativen der Opposition sind in den letzten drei Tagen nicht erkennbar geworden. Unsere Aufgabe ist es, den Bürgern zu sagen, was sie von uns erwarten können und wie wir die Aufgaben der kommenden Jahre meistern wollen. ({3}) Wir haben das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft in den letzten sieben Jahren nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verändert, und wir werden die begonnenen Reformvorhaben konsequent fortsetzen. Es war nicht einfach, in dieser Legislaturperiode diese Fülle von Reformvorhaben anzupacken und durchzuführen. ({4}) Vielleicht haben wir damit die Bürger an die Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit gebracht. Nur, meine Damen und Herren, das unterscheidet uns von Ihnen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hätten an den nächsten Wahltag gedacht. Wir haben die Pflicht, auch an die nächste Generation zu denken und auch unpopuläre Dinge durchzusetzen, die Sie vor früheren Wahltagen nie angepackt haben. Sie haben erst danach den Bürgern die Wahrheit gesagt. ({5}) - Dieser Vorwurf ist, das wissen Sie, nicht berechtigt. Sie wissen, daß dieser Haushalt von der Nettokreditaufnahme, von der Verschuldung und von all diesen Kriterien her gesehen qualitativ besser ist als jeder Haushalt, den die sozialliberale Koalition in ihrer Regierungszeit verabschiedet hat. ({6}) Wenn der Haushalt im Jahre 1990 nur um 3,4 % steigt, obwohl im Jahr zuvor auf Grund von Dingen, die wir nicht zu vertreten haben, eine Steigerung von 5,8 % hingenommen werden muß, dann werden Sie doch nicht behaupten können, daß wir im nächsten Jahr das Füllhorn aufmachen. Ganz im Gegenteil: Wir legen einen stabilitätsgerechten Haushalt vor, der der staatspolitischen Verantwortung auch in einem Wahljahr gerecht wird. ({7}) Wir bereiten unser Land auf den europäischen Binnenmarkt vor, zu dessen Verwirklichung wir entscheidend beitragen und auch in Zukunft weiter beitragen werden. In Ihrer Zeit hat Europa stagniert. ({8}) In der Zeit von Bundeskanzler Kohl ist dieses Europa ganz entscheidend vorangekommen. Das bestätigen uns auch die Sozialisten in den anderen europäischen Ländern. ({9}) - Zum Europäischen Währungssystem sollten Sie einmal nachlesen, was der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen dazu neulich gesagt hat; aber vielleicht ist das eine interne Angelegenheit von Ihnen. Wir stehen in engem Dialog mit den osteuropäischen Staaten. Wir wollen ihnen helfen, den Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung zu gehen und marktwirtschaftliche Reformen zu verwirklichen. Was haben Sie denn 1982 über die Deutschland- und Ostpolitik gesagt? - Eine Eiszeit bräche an. Eiszeit gab es nur am Nordpol, am Südpol und in Ihren Köpfen, aber sonst nirgendwo. In den Ostbeziehungen hat sich mehr entwickelt als je zuvor. ({10}) Wir haben Vorsorge getroffen für die weitreichenden Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung. Wir arbeiten bereits jetzt an Konzeptionen einer Altersversorgung, die bis ins nächste Jahrhundert Bestand hat. Ich halte es für gut, daß wir in dieser entscheidenden Frage einen parteiübergreifenden Konsens erreicht haben. Unser Motto in diesem Zusammenhang heißt: Freundschaft zwischen den Generationen. Darum wiederhole ich nochmals: Die Gründung einer AltenPartei ist das Falscheste, was man in dieser Gesellschaft tun kann. Ich hoffe, daß es uns weiter gelingt, in allen demokratischen, verantwortlichen Parteien alt und jung gemeinsam an den Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft zu beteiligen und sie verantwortlich daran heranzuführen. ({11}) Wir haben die technologischen Herausforderungen der immer stärker zusammenwachsenden Weltwirtschaft, insbesondere auch aus dem Bereich der jungen Industrieländer, angenommen. Und wir helfen zugleich den armen und ärmsten Entwicklungsländern bei der Lösung ihrer schwerwiegenden Probleme. Vor allem haben wir wirksame Konzeptionen zur Verbesserung des Umweltschutzes entwickelt, und wir sind dabei, noch bessere Voraussetzungen zu schaffen, damit unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte Umwelt vorfinden. Wir setzen weiter auf die schöpferischen Kräfte des Wettbewerbs, auf Initiative und Risikobereitschaft jedes einzelnen. Der Satz aus dem Fußballsport „Never change a winning team" ({12}) gilt auch in der Politik. ({13}) Ich bin sicher: Die Mehrheit der Bürger unseres Landes kennt diese Regel und wird sie anwenden, wenn zu entscheiden ist, wer die Verantwortung für unser Land im kommenden Jahr und darüber hinaus tragen soll. Sie können ganz beruhigt sein: Wir verfügen über gute Nerven. Die meinen sind sehr gut entwickelt. Die Laune ist gut, am Schluß der Debatte noch besser als am Anfang, weil man ja das Punkteverhältnis sehr deutlich abschätzen kann und dies auch in der Presse zum Ausdruck gekommen ist. Aber Sie selbst, Herr Struck, haben relativ empfindlich reagiert, als Ihnen hier eben Widerspruch entgegengebracht wurde. Ich finde das immer so nett, wenn man anderen Empfindlichkeit vorwirft und anschließend beim zweiten Zwischenruf empfindlich reagiert. Eines müssen Sie mir erlauben - das werde ich auch künftig tun - : Wenn ich merke, daß der Redner systematisch gestört werden soll, dann muß er auch die Freiheit haben, darauf hinzuweisen. Das tun übrigens Ihre Redner manchmal auch. Meine Damen und Herren, zu einer seriösen Politik gehören Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Glaubwürdig ist nur, wer offen seine Ziele und seine Motive nennt. Frau Matthäus-Maier redet - der Kollege Struck hat das jetzt ebenfalls wiederholt - von einem einfachen und bürgerfreundlichen stichprobenweisen Kontrollmitteilungsverfahren bei Kapitaleinkünften. Wenn bei nur 1 % aller Konten eine Kontrollmitteilung ausgeschrieben werden müßte, wären das weit über 2 Millionen Kontrollmitteilungen. Auf jedes Finanz11966 amt entfielen im Schnitt mehr als 4 000 Kontrollmitteilungen, die „von Hand" geprüft und zugeordnet werden müßten. Wo bleibt da die Einfachheit? Der Personalaufwand wäre um ein Mehrfaches höher als beim Quellensteuererstattungsamt in Trier. ({14}) Wenn Sie uns mit diesen scharfen Worten das unterstellen, was Sie in dieser Debatte in einer fast bösartigen Weise mehrfach getan haben, ({15}) dann müssen Sie diese Unterstellung, diese Kritik an die Herren der Bundesbank weitergeben, an den Präsidenten der Bundesbank, der die Abschaffung genau dieser Quellensteuer gefordert hat, weil er - wie die ganze Bundesbank - genau weiß, welche volkswirtschaftlichen Schäden entstanden sind, die korrigiert werden mußten, um die Finanzmärkte wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Ausland zu bringen. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Aber selbstverständlich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Finanzminister, ist Ihnen bekannt, daß über jeden wissenschaftlichen Vortrag, für den der Referent 100 oder 150 DM erhält, eine Kontrollmitteilung an sein Sitzfinanzamt geleistet wird? Können Sie sich vorstellen, daß man mit den Banken über einen entsprechenden Erlaß eine Regelung dergestalt treffen könnte, daß bei jedem Konto, auf dem mehr als 10 000 DM Zinsen anfallen, eine 1%ige stichprobenweise Verlautbarung an das Sitzfinanzamt geht? Sind Sie mit mir der Meinung, daß dies der Steuerehrlichkeit sehr viel mehr dienen könnte als diese Zahlen, die Sie im Moment vortragen?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich weiß selbstverständlich, daß Sie sich das vorstellen können, daß das Ihre Vorstellung ist. Ich sage Ihnen klipp und klar: unsere Vorstellung ist das nicht. Mit unserem Verständnis von dem Verhältnis des Bankkunden zu seinem Institut steht das nicht in Einklang. ({0}) Wir werden das mit aller Klarheit ablehnen. Ich hoffe, Sie machen das zu einem Wahlkampfthema, wir auch. ({1}) Es tut mir sehr leid, Frau Struck, daß ich jetzt, weil es hier auch um Aufrichtigkeit geht, noch etwas zu dem sagen muß, was der Herr Kollege Struck zu den Subventionen ausgeführt hat. ({2}) Er spricht davon, daß 50 neue Finanzhilfen eingeführt worden sind. Aber er hat nicht gesagt, daß mehr als 50 Finanzhilfen abgeschafft worden sind. Er hat Ihnen, Frau Struck, nicht gesagt, daß der Anteil der Subventionen des Bundes am Bruttosozialprodukt 1990 auf 1,3 % sinkt, während er in den 70er Jahren noch bei 2 % lag. Ich hoffe, daß er Ihnen, liebe Frau Struck, was seine Diäten anlangt, klarere und offenere Auskünfte gibt als dann, wenn er sich hier über Subventionen ausläßt. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einmal zu dem Punkt Wahlhaushalt ({4}) - ich komme darauf noch zu sprechen - : Unser Entwurf steht in völliger Übereinstimmung mit unserer mittelfristigen finanzpolitischen Konzeption. Seine Zuwachsrate liegt deutlich unter derjenigen - ich wiederhole das - der Wahljahre 1972, 1976 und 1980. Was wir tatsächlich „verteilen", sind dauerhafte Steuerentlastungen, sind dauerhafte Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, um einen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung und einen breiten Konjunkturpfad zu ermöglichen. Denn wir wissen seit der mißglückten Konjunkturpolitik der 70er Jahre, daß nur Steuerentlastungen die Wachstumsgrundlagen unserer Wirtschaft und die Kaufkraft der privaten Haushalte auf Dauer stärken. Die Entlastungen durch die Steuerreform werden noch lange über das Jahr 1990 hinaus fortwirken. Wer uns vorwirft, Wahlgeschenke zu machen, der sollte klar sagen, bei welchen Positionen wir hätten kürzen sollen. Ich habe an Sie die Aufforderung gerichtet, uns zu sagen, ({5}) wie Sie sich z. B. bei der Kohle, da und dort eine Kürzung vorstellen. Sie und Ihr Kanzler haben uns früher, als wir in der Opposition waren, immer wieder nach den Alternativen gefragt. ({6}) Wo sind Ihre Vorschläge in Sachen Subventionskürzung? Lieber Herr Kollege Struck: Mit der Rasenmähermethode zu kommen, die Subventionen global um 5 % oder 10 % zu kürzen, das ist so alt, das ist so veraltet, das glaubt Ihnen wirklich niemand mehr, das erlebe ich jetzt seit 1972. ({7}) - Nein. Zu einem anderen Punkt, ja, aber zu dem Punkt nicht, Herr Struck. Das ist wirklich ein Ladenhüter. Diese Rasenmähermethode, SubventionskürBundesminister Dr. Waigel zungen global um 5 % oder 10 % vorzunehmen, bringt Ihnen nichts, bringt uns nichts. Sie sollten sich davon ganz schnell verabschieden. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister - Dr. Waigel, Bundesminister der Finanzen: Nein, zu dem Punkt nicht. ({0}) Lassen Sie mich noch etwas zum Thema öffentliche Investitionen und Verschuldung sagen: Wir haben die in den 70er Jahren geöffnete Schere zwischen Verschuldung und Investitionen seit 1983 tatsächlich wieder geschlossen. Der Anteil der Nettokreditaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden am Bruttosozialprodukt konnte von rund 4,5 % Anfang der 80er Jahre auf 2 bis 2,5 % seit 1985 praktisch halbiert werden. Bezieht man die Sozialversicherungen, die in der Regel Überschüsse erwirtschaften, mit ein, liegt dieser Anteil sogar noch deutlich niedriger. In diesem Jahr wird er voraussichtlich bei Null liegen. Öffentliche und private Investitionen sichern gemeinsam unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dabei - das muß man wissen - entfällt auf die privaten Investitionen mit rund 88 % der weit überwiegende Teil der Aufgabe. Wer den Rückgang der öffentlichen Investitionen im Verhältnis zu den privaten Investitionen beklagt, der muß natürlich auch wissen, daß mit der Reduzierung des Staatsanteils auch hier automatisch eine gewisse Reduzierung erfolgen muß. Es hat sich eindeutig herausgestellt, daß betriebliche, private Investitionen viel eher in der Lage sind, arbeitsplatzschaffend zu wirken, ({1}) als öffentliche Investitionen dies in manchen Bereichen vermögen, ({2}) wiewohl wir selbstverständlich auch weiterhin öffentliche Investitionen zur Verbesserung der Struktur, als Voraussetzung auch für manche privaten Investitionen benötigen. ({3}) Aber den Vorrang der privaten Investitionen für die Vollbeschäftigung und für den Abbau der Arbeitslosigkeit muß man erkennen. ({4}) Durch Konsolidierung einerseits und durch Entlastung bei den Steuern andererseits haben wir den in den 70er Jahren lang anhaltenden Trend rückläufiger privater Investitionen beendet. Zwischen 1969 und 1982 ist der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttosozialprodukt von 24,7 % auf 20,6 % zurückgegangen. Bis zum nächsten Jahr wird er nach den vorliegenden Vorausschätzungen wieder um einen vollen Prozentpunkt auf 21,6 % steigen. Konsolidierung und Steuersenkungen erweisen sich als die eigentlichen investiven Elemente unserer Finanzpolitik. Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft öffentliche Investitionen dort verstärken und wir haben das auch in diesem Haushalt getan - , wo sie zur Verbesserung der Infrastruktur, des Ausbildungsstandards oder zur Entwicklung fortgeschrittener Technologien beitragen können. Ich will auch noch einmal zu einem Punkt Stellung nehmen, der mehrmals in der Diskussion eine Rolle gespielt hat, nämlich zu der Grenze nach Art. 115 des Grundgesetzes. Herr Jens, der leider nicht da sein kann - das mache ich ihm aber nicht zum Vorwurf; ich kenne ihn als einen sachkundigen und auch im persönlichen Umgang sehr angenehmen Kollegen; ich kenne ihn noch aus der Wettbewerbspolitik - ({5}) - Dann gibt's nur eine Möglichkeit: Nach einem gewissen Umlernprozeß kann er dann zu uns kommen. ({6}) Also: Herr Jens hat in Abweichung von seiner sonst so feinfühligen Art mich einen Störenfried genannt - aber gut; damit muß man leben - und hat behauptet, die Nettokreditaufnahme werde 1990 mit 40 Milliarden DM die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes überschreiten. ({7}) - Ich komme gleich darauf. Das habe ich ihm neulich schon widerlegt. Was einmal widerlegt ist, sollten Sie als eine intelligente Frau nicht noch einmal behaupten, Frau Kollegin Matthäus-Maier. ({8}) - Ich habe es widerlegt. Aber Sie haben es nicht gehört. ({9}) Dieser Vorwurf ist absurd. Denn die nach Art. 115 des Grundgesetzes relevante Nettokreditaufnahme liegt 1990 bei 33,7 Milliarden DM. Die Summe der im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen liegt bei 37,7 Milliarden DM. Wer will da bestreiten, daß 37,7 Milliarden DM mehr sind als 33,7 Milliarden DM? Also ist der Vorwurf, Art. 115 werde nicht eingehalten, absurd. Sie sollten endlich mit diesem Märchen Schluß machen. Ich sage Ihnen noch einmal: Wenn Sie der Meinung sind, das verstößt gegen Art. 115 oder Art. 109, dann klagen Sie doch! ({10}) - Aber, lieber Kollege Kühbacher, dann können Sie doch nicht durchs Land gehen und behaupten, das sei verfassungswidrig. Das können Sie dann nicht tun. Ob man die eine oder andere Klage einbringen würde oder nicht, darüber kann man später manchmal durchaus eine differenzierte Betrachtung anstellen. ({11}) Wissen Sie, ich erinnere mich da an König Ludwig I. Zu ihm hat sich einmal eine ältere Dame begeben und gesagt: „Majestät, kennen S' mich noch?" „Nein, nein", hat er gesagt. Daraufhin hat sie gesagt: „Majestät haben mich doch malen lassen!" Worauf er sagte: „Tät's nimmer; tät's nimmer. " ({12}) Ich will daraus jetzt keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der einen oder anderen Klage herleiten. ({13}) Aber jedenfalls muß es auch erlaubt sein, darüber differenziert im Blick auf die Vergangenheit nachzudenken.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Sie können nicht laufend behaupten, das sei verfassungswidrig. Darauf müssen wir uns jedenfalls einigen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte, Herr Kühbacher.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich befürchte, daß nicht alle, die uns jetzt noch zuhören, den Art. 109 des Grundgesetzes präsent haben. Aber sind nicht auch Sie der Meinung, wenn Sie doch selbst Spitze sind, wie Sie behaupten oder der Kanzler das hier so nett vorgetragen hat, daß es sich dann wenigstens - Dr. Waigel, Bundesminister der Finanzen: Das meint auch die „Süddeutsche Zeitung".

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nun gut, die auch. Man kann ja auch solche Kommentare bekommen, wenn man sie braucht. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Entschuldigung, Kollege Kühbacher, diese harte Kritik am Kollegen Struck hätten Sie jetzt nicht üben sollen. ({0}) Aber Entschuldigung, ich habe Sie unterbrochen.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will die Frage noch einmal formulieren: Meinen Sie nicht auch, daß es sich, wenn die Situation so günstig ist, wie Sie sie beschreiben, dann mindestens für einen sorgsamen Hausvater, wie Sie es als Finanzminister werden wollen, gehörte, ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Schon bin. ({0})

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- wenigstens den Bundesbankgewinn nicht zu verbraten, sondern in der gegenwärtigen Situation in eine Rücklage einzubringen? ({0}) Das verlangt Art. 109.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Nein. Das ist ein ganz großer Irrtum. Sie scheinen sich weder mit dem Urteil noch mit Art. 109 gründlich beschäftigt zu haben. Denn weder das Urteil noch Art. 109 verlangt von uns, daß wir den Bundesbankgewinn nicht zur Haushaltsfinanzierung verwenden. Ich will Ihnen sagen: Wenn wir den Bundesbankgewinn, was wir tun könnten, voll in die Haushaltsplanung einbrächten, dann hätten wir 3 Milliarden DM, 4 Milliarden DM oder 5 Milliarden DM weniger an Nettokreditaufnahme. Ihre Kritik, auf Art. 109 gegründet, würde noch mehr in die Irre gehen, noch mehr in die Leere gehen. Daraus sehen Sie, daß Sie hier völlig falsch argumentieren und uns weder einen Verstoß gegen Art. 115 noch einen solchen gegen Art. 109 vorwerfen können. ({0}) Wir dagegen haben im Gegensatz zu Ihnen, lieber Herr Kollege Kühbacher, ein zusätzliches Instrument der Stabilität in den finanzpolitischen Entscheidungsprozeß eingeführt. Indem wir in diesem Jahr und im nächsten Jahr den möglicherweise über einen bestimmten Betrag hereinkommenden Bundesbankgewinn zur Verringerung der Altschulden verwenden, führen wir ein qualitativ positives, neues Element in die Haushaltsdiskussion, Haushaltsplanung und Haushaltsfinanzierung ein, etwas, was Sie nicht getan haben und was Sie auch nicht getan hätten. Da bin ich ziemlich sicher. ({1}) Meine Damen und Herren, es wäre jetzt reizvoll, wenn der Kollege Wolfgang Roth noch da wäre, zu dem Thema Stellung zu nehmen, die Bundesregierung betreibe keine aktive Arbeitsmarktpolitik. Ich kann nur eines sagen: Wir haben die Mittel für die begleitende Arbeitsmarktpolitik bei der Bundesanstalt für Arbeit von 7 Milliarden DM auf 15 Milliarden DM 1988 ausgeweitet. 600 000 Menschen sind davon positiv betroffen. 1982 waren es sehr viel weniger. Sie wissen, daß wir bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis an die Grenze des arbeitsmarktpolitisch Möglichen gegangen sind, daß wir die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld mehrfach verlängert haben. Die notwendigen Mittel haben inzwischen ein Volumen von 5 Milliarden DM erreicht. Das kommt insbesondere den Langzeitarbeitslosen zugute. Dann ist wieder einmal auf die gesunkene Lohnquote hingewiesen worden. Nur, diese Argumente werden auch durch ständige Wiederholung nicht schlagkräftiger. Was nützt uns eine Lohnquote von 80 % oder sogar vielleicht 90 %, wenn zugleich das verteilbare Einkommen drastisch zurückgeht. Wir alle kennen die Ergebnisse gescheiterter sozialdemokratischer Umverteilungspolitik in den 70er Jahren. Warum haben denn damals Helmut Schmidt und andere immer wieder gefordert, daß die Gewinnsituation verbessert werden müsse, weil die Gewinne von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen sind? Sie haben ja die einfachsten Erkenntnisse aus dem Lehrbuch oder jedenfalls aus der Lektion, die Sie bei Helmut Schmidt hätten lernen können, zwischenzeitlich vergessen und sind weit hinter das wieder zurückgesunken, was Sie damals mühselig im Godesberger Programm und danach gelernt haben. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wirklich soziale Politik zeigt sich in den Ergebnissen. Da kann man nur sagen: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Da können wir uns weiß Gott sehen lassen. Wir haben als Industrieland einen ganz entscheidenden Beitrag in entwicklungspolitischen Fragen geleistet. Wir werden dies in wenigen Tagen bei der Jahresversammlung von IWF und Weltbank Ende September wieder unter Beweis stellen. Wir haben uns mit dem Schuldenerlaß mit einem Gesamtvolumen von fast 9 Milliarden DM gegenüber den Entwicklungsländern an die Spitze der Industrieländer begeben. Wir haben darüber hinaus erhebliche Finanzierungsbeiträge zu den internationalen Entwicklungsbanken geleistet. Wir setzen uns im IWF - das ist wichtig - nachdrücklich für eine Quotenerhöhung ein, um damit die Bereitstellung zusätzlicher Finanzierungsspielräume für die verschuldeten Staaten zu ermöglichen. Sie wissen auch, daß wir uns aktiv und wirksam an der Brady-Initiative beteiligt haben, um den hochverschuldeten Ländern vor allem Südamerikas zu helfen. Aber Schuldenerleichterungen allein reichen nicht aus. Wir müssen - hier spielen die internationalen Organisationen eine hervorragende Rolle - den verschuldeten und mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen kämpfenden Ländern helfen, marktwirtschaftliche Reformen durchzuführen. Internationale Hilfe kann nur den Anstoß geben. Vor allem müßten erweiterte Wettbewerbsspielräume geschaffen und Stabilität in der Geld- und Finanzpolitik gesichert sein. Das gilt für die Entwicklungsländer und ebenso für die Staaten des Ostblocks, die jetzt einen Weg aus gescheiterten kommunistischen Experimenten suchen. Die Diskussion heute und in den letzten Tagen hat auch gezeigt, daß diese Bundesregierung die Initiative in der Umweltschutzpolitik 1982 ergriffen und systematisch fortgeführt hat. Ich will dieses Thema am Schluß noch einmal aufgreifen und einige Eckpunkte unserer umweltpolitischen Strategie darstellen. Wir haben seit 1982 auf diesem Gebiet mehr getan als alle Vorgängerregierungen. Wir haben die Initiative in der Europäischen Gemeinschaft zur Verminderung des Schadstoffausstoßes bei Autos ergriffen. Trotz der Widerstände bei unseren Partnern haben wir steuerliche Anreize zur Anschaffung schadstoffarmer Autos in der Kraftfahrzeugsteuer verankert. Darum muß man es sich heute gut überlegen, wenn man die Forderung aufstellt, die Kraftfahrzeugsteuer abzuschaffen, weil ja das mit das bisher wirksamste Instrument, der wirksamste Anstoß war, um die Umrüstung auf Katalysatoren und die Ausrüstung mit Katalysatoren herbeizuführen. Wir haben hier aber auch, was den Energieverbrauch, was den Benzin- und Ölverbrauch anbelangt, mit der Spreizung der Steuersätze für verbleites und nicht verbleites Benzin einen entscheidenden Beitrag geleistet. Meine Damen und Herren, Steuern und Abgaben sind marktwirtschaftliche Instrumente und damit Bestandteil unserer Politik. Verbraucher und Produzenten müssen die tatsächlichen Kosten einschließlich der Kosten des Umweltschutzes kennen, damit sie sie bei ihren Entscheidungen berücksichtigen können. Neben Auflagen und Verboten und freiwilligen Selbstbeschränkungen der Industrie ist deshalb die Anpassung der Marktpreise an die gesamtwirtschaftlichen Kosten ein wirksames Mittel, um das Verursacherprinzip durchzusetzen. Jedes umweltpolitische Instrument, Frau Kollegin Matthäus-Maier, muß jedoch an seiner Wirksamkeit gemessen werden. Sie selbst haben gesagt: Wir gehen davon aus, daß wir den Trend zu einem steigenden Energieverbrauch durch eine ökologisch wirksame Energiebesteuerung stoppen können. - Um dieses bescheidene Ziel zu erreichen, brauchen Sie bereits 30 Milliarden DM Umschichtungsvolumen. Welche Reserven bleiben Ihnen, wenn Sie noch andere Ziele im Umweltschutz erreichen wollen? ({3}) Was wollen Sie tun, wenn sich die Verteuerung des Energieverbrauchs als unzureichend erweist, um die gesteckten Ziele zu erreichen? Sie wissen doch ganz genau, was damals in den 70er Jahren und danach geschehen ist, als die Benzinpreise im Bereich von 1,50 DM lagen. Der Verbrauch ist nicht entscheidend gesunken. Darum ist Ihr Ansatz in sich sehr problematisch und von der Wirksamkeit her wohl nicht erfolgreich. Meine Damen und Herren, es ist entscheidend - der Gedanke kommt aus unseren Reihen -, an die Emissionen und nicht an die Produkte anzuknüpfen. Deswegen ist es unser Ziel, in diesem Zusammenhang ein brauchbares System zu finden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde Sie übrigens sehr herzlich bitten, mit Ihren Vorstellungen zu Ihren sozialistischen und sozialdemokratischen Partnern in Europa zu gehen. Ich halte das für ganz wichtig. Sie wissen doch ganz genau - der Kollege Apel und andere haben Ihnen das gesagt -, daß mit einer solch isolierten Position in Europa keine Politik mehr zu machen ist. Ich will noch etwas zu einem Punkt sagen. Sie glaubten, mich heute und auch in den vergangenen Tagen mehrfach mit dem apostrophieren zu sollen, was ich vor den Schlesiern in Hannover gesagt habe. Ich bin überzeugt: Die allermeisten von Ihnen haben überhaupt nicht nachgelesen, was ich gesagt habe, und sind nicht in der Lage, es zu zitieren. ({4}) Ich habe nicht mehr und nicht weniger gesagt als das, was das Bundesverfassungsgericht in drei Urteilen bis vor wenigen Jahren noch zu dem Thema gesagt hat. Jede Kritik, die Sie an mich richten, müssen Sie also an das Bundesverfassungsgericht richten. ({5}) Ein Letztes in dem Zusammenhang. Sie haben diese Diskussion ganz bewußt „Grenzdiskussion" genannt, obwohl ich keine Grenzdiskussion geführt ({6}) und nie Gebietsansprüche erhoben habe. Sie wollten aus innenpolitischen Gründen dieses Thema hochspielen, um davon zu profitieren. Sie werden sich allerdings wundern; denn das wird nicht zu Ihren Gunsten ausgehen. ({7}) Meine Damen und Herren, diese Debatte hat - das finde ich sehr positiv - die Stimmung in der Bundesrepublik Deutschland der Lage angeglichen. Wir hatten ja bisher die Situation, daß die Lage wesentlich besser war als die politische Stimmung. Wenn man die letzten drei Tage Revue passieren läßt, dann bin ich ziemlich sicher, daß wir auf einem guten Weg sind, die politische Stimmung der realen ökonomischen und sozialen Lage anzupassen. ({8}) Ende der 50er Jahre hat die SPD mit ihrem Godesberger Programm und mit einer grundlegenden Änderung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik, dem Ja zur NATO, und mit ihrer Wirtschaftspolitik einem begrenzten Ja zur Sozialen Marktwirtschaft, den Weg aus der politischen Isolierung gefunden. ({9}) Allerdings war das damals auch durch politische Persönlichkeiten ausgewiesen, ({10}) die dafür standen. Namen wie Fritz Erler, Carlo Schmid, Karl Schiller und Alex Möller standen auch für eine marktwirtschaftliche und eine außenpolitische Änderung. Heute entfernen Sie sich von Godesberg. Sie haben kein Finanz- und Wirtschaftskonzept. Sie sind weltweit isoliert in der Steuerpolitik. Sie sind widerlegt in oder Finanzpolitik. Sie sind illusionär in Ihrer Sicherheitspolitik. Weit und breit finden sich keine überzeugenden politischen Repräsentanten für ein realistisches Zukunftsprogramm. ({11}) Sie haben weder sachlich noch personell eine Alternative. ({12}) Wir sind Ihnen für Ihre Beiträge dankbar; denn damit haben Sie die Unterschiede in der Politik wieder sichtbar gemacht. Sie haben den Bürgern die Wahl erleichtert. ({13}) Wir sind davon überzeugt, daß die Bundesregierung und die Koalition diese Kraftprobe klar gewonnen, entschieden bestanden haben. Wir werden auf dem Wege weitermachen. ({14}) Ich bin sicher: Wir werden zum Ende der Legislaturperiode eine Bilanz vorweisen können, zu der Sie weder personell noch sachlich eine Alternative darstellen. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 11/5000 und 11/5001 an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Der Deutsche Bundestag wird morgen, am Donnerstag, dem 7. September 1989, um 10 Uhr aus Anlaß der 40. Wiederkehr der Konstituierung des 1. Deutschen Bundestages zusammentreten. Die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf Donnerstag, den 14. September 1989, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.