Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation - abgekürzt wird es MOG - auf der Drucksache 11/5124 zu erweitern. Der Tagesordnungspunkt soll im Zusammenhang mit der Beratung zum Einzelplan 10 aufgerufen und ohne Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden. Gleichzeitig soll von der Frist für die Beratung abgewichen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir setzen nunmehr die Aussprache fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990
({0})
- Drucksache 11/5000 -
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993
- Drucksache 11/5001 Überweisung: Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, die Beratung soll heute etwa um 22 Uhr beendet werden. Das setzt natürlich voraus, daß Sie die Redezeiten nicht überschreiten. Eine Mittagspause ist von 13 bis 14 Uhr vorgesehen.
Nun hat der Abgeordnete Dr. Vogel das Wort.
Zunächst, meine Damen und Herren, einen wunderschönen guten Morgen.
({0})
- Na also, so geht das doch auch. Es muß ja nicht immer gleich ganz spitz zugehen.
({1})
- Das kommt schon noch, ja.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsberatung gibt Anlaß und Gelegenheit zum Disput über den Zustand unserer Republik, über die Aufgaben, vor denen wir stehen, und über die unterschiedlichen Konzepte zur Lösung dieser Aufgaben. Soweit es dabei um den Haushalt im engeren Sinne geht, haben sich Frau Kollegin Matthäus-Maier und die Kollegen Wieczorek und Esters bereits gestern geäußert. Ich freue mich, daß der allgemeine Eindruck heute ist: Wir als Opposition in der Offensive und diese Bundesregierung in der Verteidigung.
({2})
Zu den einzelnen Sachbereichen werden sich die Kolleginnen und Kollegen im weiteren Verlauf dieser Debatte noch äußern.
Ich möchte mich heute morgen mit einigen mehr grundsätzlichen Fragen beschäftigen und hoffe, daß es über diese Fragen insbesondere mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu einem wirklichen Dialog kommt.
Wir spüren seit geraumer Zeit: Die politischen Strukturen der Bundesrepublik sind in Bewegung; die Parteienformation, die mehrere Jahrzehnte lang die politische Entwicklung unseres Landes geprägt hat, ist zunächst durch das Hinzutreten der GRÜNEN verändert worden, und zwar nachhaltig. Neuerdings zieht eine Partei, die sich in anmaßender und irreführender Weise den Namen „Republikaner" zugelegt hat, Stimmen auf sich,
({3})
Stimmen, von denen sich bislang nur sagen läßt, daß sie überwiegend Protest gegen tatsächliche oder angenommene Gefährdungen, nur in geringerem Umfang jedoch Zustimmung zu den rechtsextremistischen Vorstellungen der Anführer dieser Partei zum Ausdruck bringen.
Gleichzeitig nimmt die Zahl der Mitbürgerinnen und Mitbürger zu, die sich von Wahl zu Wahl neu entscheiden. Dabei spielen auch die Grenzen zwischen den sogenannten - in Anführungszeichen - Lagern, wenn diese Lager denn je existiert haben, keine Rolle.
({4})
- Na wunderbar, schon zweimal Zustimmung von Herrn Bötsch.
({5})
- Ach, „Bööötsch". Wenn sich die Aussprachefehler nur bei der Betonung zeigen, dann ist es doch eigentlich ein milderer Fall.
Also, sehr geehrter Herr Bötsch, das alles geschieht nicht in einer Zeit wirtschaftlicher Not. Es geschieht in einer Zeit günstiger wirtschaftlicher Konjunktur, in einer Zeit, in der wohlgemerkt eine Mehrheit - das sagen ja auch Besonnene in Ihren Reihen; für eine wachsende Minderheit gilt das Gegenteil - in immer augenfälligerem Wohlstand lebt. Wenn sich die politischen Strukturen dessenungeachtet ändern, wenn vor allem die Regierung unter solchen Voraussetzungen von Wahl zu Wahl nicht an Zustimmung gewinnt, sondern eher an Zustimmung verliert, dann ist das ein Zeichen dafür, daß einer wachsenden Anzahl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger die gegenwärtige Politik - das ist für die Bürger natürlich in erster Linie die Regierungspolitik - als Antwort auf ihre Fragen und Bedürfnisse nicht mehr genügt, daß sie die offenkundigen Gegensätze und Widersprüche nicht mehr hinnehmen wollen, daß sie nicht mehr glauben, die bisherigen Grundlinien der Entwicklung könnten weiterhin einfach in die Zukunft verlängert werden.
Was wir erleben, meine Damen und Herren, ist ein wachsender Protest gegen Ihre zentrale Botschaft, nämlich gegen die Botschaft des „Weiter so",
({6})
übrigens - das sage ich nicht nur in einer Richtung - auch gegen Inkompetenz und nicht minder gegen den Stil der Politik und die Art und Weise, in der wir uns häufig nicht nur in diesem Hause auseinandersetzen.
Natürlich steckt darin auch Protest gegen Ungerechtigkeit, gegen krasse Widersprüche und gegen sinnloses Hin und Her. Wie soll denn z. B. ein normaler Mensch verstehen, daß die Verlängerung der Wehrpflicht noch im Februar und März für unverzichtbar erklärt und im April rückgängig gemacht wird? Wie soll er verstehen, daß die Quellensteuer von derselben Regierung zunächst abgelehnt, dann eingeführt und nur vier Monate nach ihrem Inkrafttreten als Monstrum bezeichnet und wieder abgeschafft wird?
({7})
Oder wie soll der normale Bürger verstehen, daß der Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zunächst als zwingend dargestellt, mit massiven Polizeieinsätzen gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung durchgesetzt, dann aber, nachdem 2,5 Milliarden DM sinnlos ausgegeben worden sind, von einem
Tag auf den anderen als überflüssig eingestellt wird,
({8})
eingestellt übrigens nicht auf Grund einer Entscheidung der Bundesregierung oder der Bayerischen Staatsregierung, eingestellt auf Grund einer Entscheidung des von mir persönlich hoch respektierten Vorstandsvorsitzenden der VEBA, auf den die Richtlinienkompetenz in Fragen der Energiepolitik offenbar endgültig übergegangen ist,
({9})
ein Vorgang, der über den konkreten Fall hinaus die in unserer Republik real existierenden Machtverhältnisse in einem bemerkenswerten, nein in einem grellen Licht erscheinen läßt.
Und es ist doch kraß widersprüchlich und nicht einzusehen, daß die Unternehmensgewinne seit geraumer Zeit steil ansteigen und der Leistungsbilanzüberschuß unseres Landes Jahr für Jahr Rekordhöhen erreicht, 1988 85 Milliarden DM, gleichzeitig aber seit nunmehr sieben Jahren und damit länger als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt mehr als zwei Millionen Bürger ohne Arbeit sind, wobei es doch gar nicht darauf ankommt, ob es nun auch infolge statistischer Operationen gerade knapp unter oder gerade knapp über zwei Millionen sind, die keine Arbeit haben. Ein gesellschaftspolitischer Skandal bleibt dieser Widerspruch auf jeden Fall.
({10})
Es ist ebensowenig einzusehen, meine ich, daß den Hochverdienenden - fast alle in diesem Haus gehören dazu - ab 1. Januar 1990 jährlich 10 Milliarden DM Steuern nachgelassen und ihnen schon weitere Steuererleichterungen angekündigt werden, gleichzeitig aber dem Bund, den Ländern und trotz Ihrer Behauptungen, Herr Kollege Waigel - denen Herr Rommel als Präsident des Deutschen Städtetages bereits widersprochen hat - , auch den Gemeinden das Geld für dringendste Aufgaben, etwa für die Verstärkung und angemessene Bezahlung des Pflegepersonals oder auch für den Wohnungsbau, fehlt, und das sind die dringendsten Aufgaben.
({11})
Es ist auch nicht einzusehen, daß, obgleich die äußere Bedrohung deutlich schwächer geworden ist, die Bundeswehr in ihrer Präsenzstärke und in der Ausstattung mit Großgeräten so belassen wird, als ob wir uns noch mitten im kalten Krieg befänden
({12})
und auch heute noch damit rechnen müßten, daß wir mit einer Vorwarnzeit von 48 Stunden überfallen werden. Das gilt übrigens auch für die Fortführung der Tiefflugaktivitäten, die ganz ähnlichen Vorstellungen entspringt, oder - und da appelliere ich immer wieder an die Vernunft des ganzen Hauses - für die Beschaffung des Jäger 90, die nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 100 Milliarden DM verDr. Vogel
schlingt und die durch nichts - durch nichts! - zu rechtfertigen ist.
({13})
Auch an Unrecht, insbesondere an sozialem Unrecht - Unrecht darf nicht mit Neid gleichgesetzt werden; das sage ich vor allem den Anhängern der katholischen Soziallehre - , das die Menschen reizt und verbittert, ist kein Mangel. Wir werden im weiteren Verlauf der Haushaltsdebatte noch darauf zurückkommen und auch darauf, daß sich nicht nur die Langzeitarbeitslosen, sondern auch andere Gruppen unseres Volkes - ich nenne beispielsweise die von Altersarmut Betroffenen - immer mehr aus dem sozialen Konsens ausgegrenzt und - ich sage es allgemein - von der Politik verlassen und im Stich gelassen fühlen.
Hier erwähne ich als Ursachen der Verbitterung nur die teils verdeckte, teils ganz offene Umschichtung von Einkommen und Vermögen, leider von unten nach oben, mit der Folge, daß die Lohnquote, also der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Sozialprodukt, mit 67,7 % inzwischen auf den niedrigsten Stand seit 1970 gefallen ist, gleichzeitig aber der Abstand der hohen und höchsten Einkommen gegenüber den Durchschnittseinkommen drastisch auseinandergegangen, drastisch gewachsen ist; oder die sogenannte Gesundheits- und die sogenannte Steuerreform.
Ich muß einen Gedanken der Frau Kollegin Matthäus-Maier von gestern noch einmal auf greif en. Besonders empörend ist auf steuerlichem Gebiet die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Arbeitseinkommen, also von Löhnen und Gehältern, einerseits und von hohen Zinserträgen andererseits. Von dem - davon haben Sie gestern kein Wort widerlegen können, Herr Kollege Waigel -, was ein Arbeitnehmer verdient, wird die Steuer schon im Betrieb auf Heller und Pfennig abgezogen. Natürlich greift das Finanzamt zu, wenn auch nur der geringste Verdacht einer Steuerkürzung auftritt. Ich möchte einmal hören, was passierte, wenn ein Arbeitnehmer sagen würde: Hier gilt das Lohngeheimnis; hier hat das Finanzamt nichts zu suchen.
({14})
Wenn dagegen ein Millionär - ich rede nicht von den normalen Sparern, deren Zinsen durch entsprechende Erhöhungen der Freibeträge überhaupt von der Steuerpflicht befreit werden sollen - dem Finanzamt seine Zinseinnahmen verschweigt, dann darf das Finanzamt nach Ihrer famosen Gesetzesänderung bei der Bank des Millionärs noch nicht einmal eine Stichprobe machen. Dies ist ein solcher Widerspruch gegen das normale Rechtsempfinden, daß diese Regelung auf Dauer keinen Bestand haben wird. Das sage ich Ihnen voraus.
({15})
- Herr Friedmann, ich bitte Sie um alles in der Welt:
Wie wollen Sie denn den Menschen erklären, daß den
Finanzämtern bei der Besteuerung der Zinsen die
Hände gebunden werden und daß sie bei der Lohnsteuer über alle Untersuchungs- und Zugriffsmöglichkeiten verfügen? Das ist doch nicht in Ordnung.
({16})
Ich weiß, Herr Kollege Friedmann, daß Sie ein gerecht denkender Kollege sind. Deswegen werden Sie auf Dauer mit diesem Widerspruch auch nicht zurechtkommen.
So wichtig diese Fragen auch sind, die Ursachen des Mißbehagens, der Sorge und der Abwendung vieler Menschen von Politik und Parteien liegen tiefer. Sie entspringen unter anderem dem Eindruck, die Parteien verfolgten nur ihre eigenen Interessen, den Parteien gehe es nur noch um ihre Macht und ihren Einfluß. Ohne Schärfe sage ich: Die jüngsten Vorgänge in Niedersachsen sind ja durchaus geeignet, diesen Eindruck zu verstärken, nicht, ihn zu vermindern. Und was man - auch das muß ich leider ansprechen - dieser Tage über Herrn Lummer hört, gehört in dasselbe Kapitel.
({17})
- Ja, gut; nur, hören Sie doch erst einmal zu.
({18})
- Na, darf ich jetzt weiter, mit Erlaubnis von Herrn Bötsch und der ganzen Truppe?
({19})
Ich frage nur: Was wäre wohl in Bayern oder zur Zeit von Herrn Diepgen in Berlin mit einem kleinen Polizeibeamten passiert, wenn er sich so verhalten hätte, wie Herr Lummer das inzwischen ja schon selber einräumt?
({20})
- Das finde ich großartig, daß Sie mich hier mit den Propheten vergleichen.
({21})
Er sagt, ich nähere mich einer biblischen Figur. Er meint, daß wir als Propheten die Wahrheit unter das Volk bringen.
({22})
Das war ein guter Zwischenruf Meister Bötsch, ausgezeichnet! Für Sie wüßte ich auch eine biblische Figur. Aber darüber reden wir dann später.
({23})
- Sie haben auch schon originellere Einfälle gehabt. Aber es ist noch zu früh.
Die Ursachen der Abwendung wurzeln jedoch vor allem in der wachsenden Erkenntnis, daß Grundgegebenheiten, die als unveränderliche Voraussetzungen
jeder Politik galten, sich wandeln und weithin nicht mehr zutreffen. Ein überwältigendes Beispiel dafür sind die geradezu revolutionären Veränderungen in Polen, in Ungarn und in der Sowjetunion.
Wer von uns hätte es noch vor zwei Jahren für möglich gehalten, daß in der Sowjetunion politische Gegensätze im offenen Meinungskampf ausgetragen und Irrtümer und Fehler der Vergangenheit schonungslos eingeräumt, ja - ich erwähne den HitlerStalin-Pakt - schärfstens verurteilt werden? Wer hätte vorausgesehen, daß in Ungarn die kommunistische Partei ihr Machtmonopol preisgibt und die völlige Demokratisierung vorbereitet, möglicherweise sogar unter Namensänderung, und daß in Polen ein nichtkommunistischer Ministerpräsident amtiert, den auch die Mehrheit der kommunistischen Abgeordneten in dieses Amt gewählt hat?
Wenn je in den letzten Jahren zu Recht von historischen Vorgängen und vom Atem der Geschichte die Rede war, hier handelt es sich um solche Vorgänge, und hier ist dieser Atem der Geschichte zu spüren.
({24})
Deshalb möchte ich allen, die diese Entwicklung in Gang gesetzt, die sie beharrlich und mit großer Nervenstärke vorangebracht haben, auch an und von dieser Stelle aus danken und sie zugleich ermutigen und ihren Völkern und ihnen nicht nur unsere Sympathie, sondern auch unsere Bereitschaft zur tätigen Hilfe zum Ausdruck bringen.
({25})
Das gilt in diesem Augenblick vor allem für Polen und für Ungarn.
Für Polen müssen dem, was schon bei vielen Gelegenheiten, zuletzt am 1. September, hier in diesem Hause an guten Worten gesagt worden ist, jetzt endlich Taten folgen. Und es zählt jede Woche, meine Damen und Herren.
({26})
Und Ungarn, so meine ich, hat sich gerade in den letzten Wochen zusätzlich Anspruch auf unsere verständnisvolle Kooperation erworben.
({27})
Denen, die in anderen Ländern des Warschauer Pakts noch zögern, die sich gegen Reformen und Veränderungen sträuben, die auf ihre Weise ihrem „Weiter so" huldigen, denen rufe ich zu: Hört auf, euren eigenen Völkern mit Mißtrauen zu begegnen! Hört auf, euch vor euren eigenen Völkern zu fürchten!
({28})
Gebt ihnen die Freiheit, selbst zu denken und zu entscheiden, und sagt ihnen die Wahrheit! - Anders kann kein Vertrauen wachsen.
An die Adresse der DDR-Führung füge ich noch hinzu: Wir respektieren unverändert die Staatlichkeit der DDR und halten an dem fest, was im Grundlagenvertrag vereinbart worden ist; denn wir wissen, meine Damen und Herren, welche Folgen unberechenbare Abläufe im Herzen Europas für die Reformprozesse im Osten und für ganz Europa haben würden. Und nicht wir, sondern die Führung der DDR gefährdet Staatlichkeit und Stabilität, wenn sie weiterhin an dem absoluten Wahrheits- und Machtanspruch einer einzigen Partei festhält
({29})
und wenn sie sich dem Verlangen der Menschen in der DDR nach mehr Demokratie und mehr Selbstbestimmung weiterhin verweigert. Ich bin sicher, es gibt auch in der gegenwärtigen Führung dort nicht wenige, die das nicht anders sehen, die sich darüber im klaren sind, daß die Entwicklung über ihre offiziellen Positionen schon lange hinweggegangen ist. Ich hoffe, diese Kräfte haben die Kraft und den Mut, daraus die richtigen Folgerungen zu ziehen.
({30})
Daß der Strom derer, die der DDR aus eigenem Entschluß den Rücken kehren, ständig anschwillt, ist eine Folge der Hoffnungslosigkeit, die sich der Menschen dort bemächtigt hat. Wir wissen, wenn die Menschen in der DDR auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ihres Landes wirklich Einfluß nehmen könnten, würden sie es nicht in so großer Zahl und unter Inkaufnahme so vieler Risiken verlassen. Daß wir denen, die zu uns kommen, helfen, ist ein Gebot der Solidarität. Noch lieber aber würden wir diesen Menschen bei der Öffnung und beim Umbau der Gesellschaft helfen - also bei der Verwirklichung von Glasnost und Perestroika -, in der sie zu Hause sind. Eine solche Hilfe würde ganz große Anstrengungen rechtfertigen, wie sie etwa Herr Biedenkopf in die Debatte geworfen hat.
({31})
Einstweilen müssen wir gemeinsam alles tun, um denen, die schon da sind oder noch kommen, beizustehen. Wir sind zur Kooperation bereit. Am dringendsten erscheint uns dabei die massive Verstärkung des Wohnungsbaus. Ich füge hinzu: die Verstärkung des Wohnungsbaus für alle Wohnungsuchenden,
({32})
für die, die kommen, und für die, die hier auf eine Wohnung warten.
Wichtig ist außerdem, daß die Übersiedler, die Aussiedler und die Asylbewerber in dieser kritischen Phase nicht gegeneinander ausgespielt und gegeneinander gestellt werden.
({33})
Aus konkretem Anlaß richte ich an alle Beteiligten die Bitte, für die DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die in Ungarn noch auf die Ausreise warten, bald eine humanitäre Lösung zu finden. Die Lösung würde sicher erleichtert, wenn auf unserer Seite auf schrille Begleitung und immer neue Sensationsmeldungen verzichtet würde.
({34})
Das ist nicht das einzige Beispiel für fundamentale Veränderungen. Es gibt andere Voraussetzungen, die
jahrhundertelang, wenn nicht jahrtausendelang als selbstverständlich galten und deshalb kaum Gegenstand der Diskussion oder gar der Reflexion waren. Ich nenne nur vier von ihnen: Kriege seien unvermeidlich. Die Natur sei unzerstörbar, und ihre Ressourcen seien unerschöpflich. Der technische Fortschritt in all seinen Entfaltungen sei unaufhaltsam, notwendig und nützlich. Und schließlich: Die Welt bestehe aus einer Vielzahl von Staaten und Völkern, die völlig souverän und unabhängig voneinander ihr Schicksal bestimmen könnten. Heute erkennen und spüren mehr und mehr Menschen, daß dem nicht so ist und daß deshalb das „Weiter so" nicht nur gefährlich, sondern in einigen Punkten auch tödlich sein könnte. Das sind keine Einbildungen oder, wie Sie, Herr Bundeskanzler, zu sagen pflegen: Horrorszenarien. Es ist die Wahrheit, die mitunter unbequeme, ja schockierende Wahrheit. Wer angesichts dieses tiefgreifenden Umbruchs Orientierung geben will, der muß diese Wahrheit zunächst einmal so konkret wie möglich aussprechen.
Darum sage ich: Es ist wahr, daß die Menschheit den Krieg als Institution überwinden muß, wenn sie überleben will. Zumindest jeder atomare Krieg würde das Ende der Gattung möglich machen, nein, das Ende der Gattung bedeuten.
Es ist wahr - wenn noch Zweifel vorhanden gewesen wären, sind sie von unserer Enquete-Kommission unter Vorsitz des Kollegen Schmidbauer, den ich hier besonders hervorheben möchte, ausgeräumt worden - , daß unseren Planeten noch zu Lebzeiten schon Geborener, solcher, die heute schon unter uns sind, eine weltweite Klimakatastrophe ereilen wird, wenn der Energieverbrauch nicht drastisch reduziert wird. Machen wir weiter so wie bisher, dann setzen wir mit der Umwelt auch die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen, also der Nachwelt, aufs Spiel. Das tun wir übrigens schon heute. Ich erhebe hier keinen Vorwurf; denn wir wissen uns in der Mitverantwortung. Wir tun das schon heute durch die Anhäufung immer größerer Mengen atomarer Abfälle, die länger strahlen werden, als die uns bewußte bisherige Geschichte der Menschheit gedauert hat. Es ist geradezu bedrückend, wie wir auch in diesem Hause vor diesem Sachverhalt und dieser Herausforderung, für die wir gemeinsam Verantwortung tragen, immer wieder die Augen verschließen.
Es ist wahr, daß die Völker der Dritten Welt einen nicht geringen Teil unseres Wohlstands und des Wohlstands der übrigen Industriestaaten mit ihrem Hunger und ihrem Elend bezahlen und daß ihr Lebensstandard zurückgeht, während ihre Verschuldung und der Kapitaltransfer in Richtung auf die Industriestaaten weiter zunehmen.
Es ist wahr, daß die mehr als 2 000 Milliarden DM - das ist ungefähr das achtfache des Volumens des Bundeshaushalts - , die weltweit auch in diesem Jahr für Rüstungszwecke ausgegeben, nein, verschwendet werden, die Sicherheit nicht erhöhen, sondern schon deshalb elementar beeinträchtigen, weil diese Mittel bei der Bekämpfung der Gefahren fehlen, die der Menschheit tatsächlich drohen und die wirklich überlebenswichtig sind.
({35})
Kein geringerer als Dwight D. Eisenhower, alliierter Oberbefehlshaber im Zweiten Weltkrieg, später Präsident der Vereinigten Staaten, ein Mann, der wußte, wovon er sprach, hat diesen Zusammenhang schon vor 36 Jahren, im April 1953, so formuliert:
Jedes Gewehr, das produziert wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, und jede Rakete kommt im letzten Sinne einem Diebstahl gleich, begangen an jenen, die Hunger haben, der nicht gestillt wird, an jenen, die frieren und nicht gekleidet werden.
Heute hätte er wohl noch hinzugefügt: Begangen auch an der Natur, deren Zerstörung mit den für diese Waffen aufgewendeten Mitteln endlich Einhalt geboten werden könnte.
({36})
Es ist wahr, daß wir die technologischen und ökonomischen Prozesse nicht länger dem Selbstlauf überlassen dürfen, wenn wir nicht zu Sklaven dieser Prozesse und schließlich zu ihren Opfern werden wollen. Wir alle haften für die ungewollten Folgen menschlichen Tuns ebenso wie für die Folgen, die gewollt sind und die wir anstreben.
Es ist schließlich wahr, daß sich die zentralen Herausforderungen nur noch global, also durch eine gemeinsame Anstrengung der Menschheit insgesamt, meistern lassen.
Die Liste dieser Wahrheiten ließe sich leicht verlängern, etwa um die Tatsache, daß die Frauen nachdrücklicher denn je auf der vollen Gleichstellung bestehen und daß unsere Gesellschaft erst dann zu einem neuen Gleichgewicht finden wird, wenn diese Forderung in vollem Umfang erfüllt sein wird.
({37})
Ich sympathisiere mit allen, die helfen, diese Forderung zu verwirklichen.
Eine weitere Wahrheit ist, daß wir in mancher Hinsicht - erschrecken Sie nicht, meine Damen und Herren ({38})
- nein, ich zitiere Herrn Geißler; deswegen ({39})
- ja, ja, Herr Bötsch - schon längst in einer Gesellschaft kultureller Vielfalt, um es milde auszudrücken, leben.
Ferner ließe sich erwähnen, daß der Altersaufbau in unserer Bevölkerung ohne die Aussiedler und Übersiedler - bei allen Problemen, die der Zuzug mit sich bringt - nicht besser, sondern schlechter aussähe. Auch das ist ein Faktum und eine Wahrheit.
Was folgt aus diesen elementaren Veränderungen von Voraussetzungen, auf denen bisher die Politik und weithin auch menschliches Verhalten beruhten? Zunächst, so meine ich, eine Neubestimmung der Begriffe, an denen sich die Politik zu orientieren hat.
Wir brauchen eine Neubestimmung des Begriffs der Sicherheit. Weil die eigentlichen Gefahren nicht mehr in Form der herkömmlichen zwischenstaatlichen Konflikte, sondern global drohen, muß Sicherheit künftig in erster Linie politisch, ökonomisch und ökologisch, aber nicht mehr überwiegend und in erster Linie militärisch definiert werden.
({40})
Es geht nicht länger darum, Waffen anzuhäufen. Es geht darum, Kriege durch regionale und weltweite Verflechtungen und gegenseitige Abhängigkeiten unmöglich zu machen und Sicherheit im neuen Sinne nicht mehr gegeneinander, sondern weltumspannend miteinander zu gewährleisten.
Auch der Begriff des Umweltschutzes bedarf der Neubestimmung. Er muß um den Aspekt des Schutzes der Nachwelt und der Erhaltung der Lebensvoraussetzungen nicht nur für die gegenwärtig existierende Generation, sondern auch für die kommenden Generationen oder, wie es Hans Jonas gesagt hat, für die ungeborenen Geschlechter erweitert werden.
Es geht auch nicht mehr um die Korrektur oder Verhütung einzelner Schäden. Es geht um die Bewahrung der Schöpfung, der uns anvertrauten Schöpfung insgesamt.
({41})
Ebenso erweitert sich der Begriff der sozialen Frage. Sie ist im nationalen Bereich - auch in unserem eigenen Land - trotz aller Anstrengungen und Fortschritte noch keineswegs endgültig gelöst. Aber heute umfaßt die soziale Frage auch das Mißverhältnis zwischen den Industrienationen, die, materiell betrachtet, immer reicher werden, und den Entwicklungsländern, von denen viele schon wegen der Bevölkerungsexplosion ständig ärmer werden und in ihrer Not - nicht aus Willkür - ihre Umwelt mit weltweiten Folgen zerstören. Das ist die soziale Frage unserer Tage. Sie ist neben die soziale Frage in den einzelnen Ländern getreten, und sie gewinnt wegen ihres globalen Charakters mehr und mehr an Brisanz, weil die Gegensätze zwischen Arm und Reich hier krasser sind, als sie es selbst zu Beginn des Industriezeitalters in der nördlichen Hemisphäre gewesen sind.
Die Wirtschaftsflüchtlinge aus den Entwicklungsländern, denen bald Umweltflüchtlinge in großer Zahl folgen werden, sind nur Vorboten dessen, was sich weltweit an sozialem Sprengstoff ansammelt, an Sprengstoff, dessen Explosion auch uns in unmittelbare Mitleidenschaft ziehen würde.
Entscheidend ist daher, daß wir den Begriff der nationalen Souveränität über die regionalen Zusammenschlüsse hinaus schrittweise durch den Begriff der Weltsouveränität ersetzen. Die Vorstellung, die globalen Probleme ließen sich im Nebeneinander von rund 160 souveränen, im Grunde nur sich selbst verantwortlichen Einzelstaaten bewältigen, gehört der Vergangenheit an. Wir sind längst in das Zeitalter der Weltinnenpolitik eingetreten und brauchen deshalb jetzt unter dem Dach der Vereinten Nationen dringend handlungsfähige Institutionen mit weltweiter Zuständigkeit. Nur so können die weltweiten Prozesse im Sinne des friedlichen Überlebens der Menschheit beeinflußt, die weltweit agierenden Finanz- und Wirtschaftskolosse und die immer rascher um den Globus rotierenden Geldbewegungen unter Kontrolle gehalten sowie die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zwischen den Hemisphären, um die es nämlich geht, realisiert werden.
({42})
- Ja, warum nicht? Warten Sie es einmal ab. Sie jedenfalls nicht, mein Lieber; Sie jedenfalls nicht, Herr Bötsch.
({43})
Diese Klärung der Begriffe und die Entwicklung entsprechender Gesamtkonzpete sind wichtig und notwendig. Aber das genügt nicht. Die globalen Dimensionen könnten sogar dazu verleiten, auf nationale Initiativen zu verzichten und zunächst einmal abzuwarten, was auf der globalen Ebene oder anderswo geschieht. Manche geben dieser Versuchung ja allzu gern nach.
Das ist uns nicht erlaubt. Ganz abgesehen davon, daß wir selbst betroffen sind. Da nirgends auf der Welt so viele Waffen wie auf unserem Territorium angehäuft sind und da unsere eigene Umwelt trotz aller Anstrengungen unverändert existentiell bedroht ist, können wir nicht von anderen fordern, was wir nicht selber tun. Außerdem sind wir die drittstärkste Industrienation der Welt. Unser Sozialprodukt ist größer als das von ganz Lateinamerika einschließlich der Karibik. Jeder einzelne von uns hat für seinen Konsum im Durchschnitt ebensoviel zur Verfügung wie 50 Menschen in Schwarzafrika, und mehr als 80 % des weltweiten Energieaufkommens werden von dem Viertel der Weltbevölkerung verbraucht, das in den Industrieländern lebt. Das heißt auch, in erster Linie tragen wir zur Aufheizung der Weltatmosphäre und zur Schädigung der Ozonschicht bei. Wir dürfen uns schon deshalb nicht auf andere herausreden.
({44})
Wir müssen handeln, und zwar rasch, und wir müssen unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen, daß tiefe Einschnitte, spürbare Einschnitte erforderlich sind.
Das beginnt auf dem Feld der Sicherheit. Hier ist die Europäische Gemeinschaft ein Beispiel für einen erfolgreich voranschreitenden, jeden Krieg unter den Beteiligten ausschließenden Verflechtungsprozeß. In Gestalt des Helsinki-Prozesses ist ein anderes bündnisübergreifendes Verflechtungsverfahren im Lauf. An seinem Ende muß eine vertraglich normierte, völkerrechtlich verbindliche Friedensordnung für ganz Europa stehen, eine Friedensordnung, der für die Staaten, zwischen denen bislang kein Friedensvertrag besteht, friedensvertragliche Qualität zukommt. Ziele bleiben dabei die völlige Durchlässigkeit der Grenzen, der friedliche Wettbewerb der Systeme und die wachsende Selbstbestimmung der Menschen innerhalb dieser europäischen Friedensordnung. Ebenso muß der Abrüstungsprozeß beschleunigt werden. Zu all dem müssen wir durch eigene Initiativen beitragen.
Meine Damen und Herren von der Union, wer statt dessen die europäischen Grenzen und vor allem die polnische Westgrenze, und das ausgerechnet noch zum 50. Jahrestag des Überfalls, erneut zur Diskussion stellt, wer neue Kurzstreckenraketen stationieren und die taktischen Atomwaffen nicht völlig beseitigen will, wer Übungen vorbereitet und zuläßt, in deren Verlauf in Europa und insbesondere in Zentraleuropa 42 Atomwaffen mit einem Vielfachen der Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe eingesetzt werden, und wer dann einen Oberbürgermeister, der sich vernünftigerweise weigert, an so etwas teilzunehmen, noch mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überzieht, nämlich den Oberbürgermeister von Würzburg, der fördert die Sicherheit nicht, der gefährdet die Sicherheit, und zwar in gefährlicher Weise.
({45})
Außerdem ist es hoch an der Zeit, die Bundeswehr an die veränderten politischen Voraussetzungen anzupassen. Mit der Veränderung ihrer Struktur, der Reduzierung ihrer Präsenzstärke und der Modifizierung ihrer Ausrüstung im Rahmen des allgemeinen Abrüstungsprozesses muß jetzt begonnen werden. Und gerade wenn die Nachrichten aus Wien günstig sind, wenn es wahr ist, daß wir schon Mitte nächsten Jahres dort zu einer Vereinbarung kommen, dann sind diese Vorarbeiten besonders dringlich.
Das alles, was ich da sage, hat übrigens auch nicht zu unterschätzende Bedeutung für das Gelingen des von Michail Gorbatschow in Gang gesetzten Reformprozesses. Wir wünschen auch im eigenen Interesse - und ich nehme an, es ist die Meinung des ganzen Hauses -, daß Gorbatschow Erfolg hat. Die Möglichkeiten, dazu beizutragen, sind bei realistischer Betrachtung begrenzt. Um so wichtiger ist, daß Gorbatschows Abrüstungsinitiativen, an deren Verwirklichung er schon aus Gründen der volkswirtschaftlichen Entlastung interessiert ist, eine konstruktive und rasche Antwort finden. Andernfalls versäumen wir nicht nur eine Chance, sondern wir spielen seinen konservativen Widersachern in seinem eigenen Land unmittelbar in die Hände - und ich glaube, keiner will das.
({46})
Noch ein Weiteres sollten, nein, müßten wir auf dem Gebiet der Rüstung unverzüglich ins Werk setzen, nämlich ein vollständiges und umfassendes Verbot aller Waffenexporte in Länder, die nicht der OECD angehören. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen voraus, Sie kommen aus der Kette der ständigen internationalen Peinlichkeiten erst heraus, wenn Sie sich zu diesem klaren Schritt entschließen.
({47})
Beides hat für einzelne Unternehmen und für bestimmte Regionen - auch das muß man sagen - erhebliche Umstellungen zur Folge, auch für die Beschäftigten. Daher muß dieser Prozeß durch flankierende Hilfen des Bundes im Interesse der Arbeitsplätze und der friedlichen Produktivität unterstützt werden.
Einschneidende, spürbare Maßnahmen sind weiter zur Abwendung der Klimakatastrophe, und hier insbesondere auf dem Feld der Energieeinsparung, notwendig. Nach übereinstimmender Ansicht aller Experten, übrigens auch nach dem einstimmig verabschiedeten Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Bundestages, muß der Energieverbrauch in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2005 um mindestens 20, und bis 2030 um mindestens 50 % gesenkt werden. Dazu bedarf es veränderter Rahmenbedingungen für den Verkehr, eines beschleunigten Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs, schrittweiser Verlagerung des Schwerlastverkehrs und des inländischen Flugverkehrs auf die Schiene und großer technischer Anstrengungen, etwa zur Gewinnung alternativer Energien, zur Steigerung des Wirkungsgrades beim Einsatz von Primärenergie und zur Herbeiführung der Serienreife schon entwickelter Motoren, die auf 100 Kilometer nur noch einen Bruchteil der bisherigen Kraftstoffmenge benötigen. Auch muß das Energiewirtschaftsrecht grundlegend erneuert werden. Bei all dem bedarf es koordinierter Initiativen der Europäischen Gemeinschaft.
Aber alles das genügt nicht: Das Ziel wird sich nur erreichen lassen, wenn auch die marktwirtschaftlichen Kräfte zugunsten der Umwelt mobilisiert werden, das heißt, wenn vor allem das Instrument des Preises eingesetzt wird, wenn also das, was sparsamer verbraucht werden soll, teurer wird. Wir wollen deshalb, daß Wasser, Luft und Boden nicht mehr als Freigüter behandelt werden. Ihre Belastung muß vielmehr auch dann schon als Kostenfaktor in die Betriebsrechnung eingehen, wenn sie sich im Rahmen des umweltrechtlich Erlaubten hält, nicht erst an der Grenze des umweltrechtlich Verbotenen.
({48})
Wir wollen außerdem - unter entsprechendem sozialem Ausgleich - einen Teil der Steuerlast vom Lohn, vom Einkommen und vom Unternehmensertrag auf den Verbrauch an Primärenergie verlagern. Dieses Konzept - das zeigt ja auch das Echo auf die gestrige Debatte - hat breite Aufmerksamkeit und sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich sehr viel grundsätzliche Zustimmung gefunden. Nur die Union hat sich leider bisher, von einzelnen abgesehen, im wesentlichen auf Polemik beschränkt. Das ist zu wenig. Gefordert ist eine Alternative.
Ein solcher ökologischer Umbau wird übrigens die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht schwächen, sondern stärken, weil sie dadurch bei der Entwicklung neuer energiesparender Technologien einen zeitlichen Vorsprung gegenüber jeder ausländischen Konkurrenz erhält.
({49})
Daß die Entwicklung in diese Richtung geht, ist ja wohl inzwischen unstreitig.
Energieeinsparung ist auch ein Beitrag zum NordSüd-Ausgleich. Denn wer will, daß sich die Lebensverhältnisse in der südlichen Hemisphäre verbessern, der kann doch von den Entwicklungsländern nicht verlangen, daß sie ihren Energieverbrauch, der heute im Durchschnitt pro Kopf 1/30 des unseren ausmacht - das muß man sich vorstellen: 30 Menschen dort
verbrauchen zusammen soviel Energie wie einer bei uns im Durchschnitt allein - ({50})
- Herr Friedmann, in aller Freundschaft, das ist nicht witzig, dieser Zwischenruf ist peinlich.
({51})
Wer das will, der kann doch nicht im Ernst verlangen, daß die Entwicklungsländer und die Menschen ihren Verbrauch auch auf diesem Niveau festschreiben. Sie müssen ihn vielmehr in gewissem Umfang erhöhen und steigern. Das macht aber überproportionale Einsparungen auf seiten der Industrienationen um so dringlicher.
Geboten ist weiter - da scheint sich eine gewisse Übereinstimmung abzuzeichnen - eine über die bisherigen Vorstellungen hinausgehende Erleichterung der Schuldenlast und eine Veränderung der Weltwirtschaftsordnung, die den Einfluß der Entwicklungsländer gegenüber den Industrienationen stärkt.
Der Gedanke der Mitbestimmung, den wir in einem bestimmten Bereich praktizieren, der muß auch hier zum Tragen kommen. Es kann und darf auf Dauer kein Weltdirektorium einiger weniger politisch und wirtschaftlich potenter Mächte geben. Das würde keine gute Perspektive sein. Herr Bundeskanzler, die Veranstaltung in Paris am 14. Juli hat in ihrer Separierung zwischen den sieben Industrienationen und den anderen an gesonderten Tischen diesen Eindruck vom Weltdirektorium unterstrichen und bestärkt.
Es bleibt die gesellschaftliche Einflußnahme auf die technologischen und ökonomischen Prozesse, nicht, Graf Lambsdorff, im Sinne einer bürokratischen Wirtschafts-Technik- oder Wissenschaftsverwaltung, die individuelle Initiativen und Kreativität erstickt, aber im Sinne einer Rückführung der Entscheidungen, die über unser aller Schicksal bestimmen, in den öffentlichen Bereich, für den die demokratischen Regeln gelten und bei denen alle eine Chance haben, am Entscheidungsprozeß mitzuwirken, weil alle im guten wie im schlechten von den Folgen der Entscheidungen betroffen sind. Ich sage voraus, die Gentechnologie ist die nächste Probe aufs Exempel.
({52})
Ich möchte, daß die großen Entscheidungen nach breitem Dialog in unserem Volk von diesem Haus, von den politisch Verantwortlichen getroffen werden und nicht von denen, die nur spezielle Interessen, weil das ihre Aufgabe ist, zu vertreten und zu verfolgen haben.
({53})
Das alles hat natürlich mit Macht zu tun, mit wirtschaftlicher, geistiger, sozialer und politischer Macht. Diese Macht ist aber vom Bewußtsein der Menschen abhängig. Eben dieses Bewußtsein hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit zunehmender Beschleunigung verändert. Viele Menschen sträuben sich mehr und mehr dagegen, um materieller Vorteile willen schwere Gefahren für die Gemeinschaft, ja für die Menschheit und die kommenden Generationen in
Kauf zu nehmen. Nicht wenige erschrecken darüber, daß auch die Zeitstrukturen durch die weltumspannende Gleichzeitigkeit aller Informationen und die rapide Beschleunigung aller Prozesse instabil werden und deshalb das menschliche Maß verlieren. Hand in Hand damit wächst die Einsicht, daß es Werte gibt, die dem „immer mehr", dem „immer größer", dem „immer schneller" vor- und übergeordnet sind, und daß das „immer mehr" keineswegs „immer besser" bedeutet und daß das „weiter so" keine Zukunft mehr ergibt. Diese Einsicht läßt mehr und mehr Menschen - das ist nur zu begrüßen - auch verstärkt nach dem eigentlichen Sinn ihres Daseins fragen.
Das alles verändert das allgemeine Bewußtsein. Dieser Änderung des Bewußtseins kann keine Macht und keine Struktur, deren Zeit abgelaufen ist, auf Dauer widerstehen, so sehr sie sich auch festkrallt und so sehr sie sich auch verteidigt. Die ökumenische Bewegung für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, die erstmals seit Jahrhunderten alle christlichen Kirchen und Religionen vereint, zeigt dies genauso an wie die sich in den Gewerkschaften ausbreitende Zukunftsdiskussion, so insbesondere bei der IG Metall, und die Vielzahl von sozialen Bewegungen und Initiativen, die dem Neuen zum Durchbruch verhelfen wollen, zu denen vor allem auch die Frauenbewegung gehört. Es gibt aber auch nicht wenige auf der Unternehmerseite, die über den Tellerrand der eigenen engen Interessen hinausblicken.
Diese Kräfte gibt es doch nicht nur bei uns. Es gibt sie weltweit. Sie stehen auch hinter den Reformprozessen in der Sowjetunion, in Polen und in Ungarn, auch in Lateinamerika. Wo sie, wie in China, gewaltsam unterdrückt werden, werden sie nur vorübergehend zum Schweigen gebracht, aber nicht ausgetilgt. Das sollten sich auch die merken, die sich eilfertig auf die Seite der Unterdrücker gestellt haben.
({54})
In der Bundesrepublik ist es an uns, dem Neuen, von dem ich gesprochen habe, politische Struktur zu geben und es in politische Wirklichkeit umzusetzen. Wir sind dazu bereit. Unser neues Grundsatzprogramm, das wir im Dezember verabschieden werden, ist eine klare Absage an das „weiter so" und die bisher umfassendste Antwort auf neue Herausforderungen, eine Antwort, die keine absolute Geltung beansprucht, die den Menschen aber auch deshalb Orientierung gibt, weil sie auf Erfahrungen beruht, die die deutsche Sozialdemokratie in mehr als 125 Jahren gesammelt hat. Mit diesem Programm und mit den konkreten Konzepten, die wir bereits vorgelegt haben, fordern wir die mit uns konkurrierenden politischen Kräfte zum Wettstreit heraus. Zu einem Wettstreit, bei dem den Menschen die Wahrheit gesagt wird, etwa die Wahrheit, daß das jetzt Notwendige von jedem Mitbürger und jeder Mitbürgerin einen spürbaren Beitrag und eine Veränderung der eigenen Lebensweise verlangt. Wer dies nicht deutlich und klar sagt, kann die Gefahren, von denen ich gesprochen habe, nicht bannen und nicht überwinden.
({55})
Es geht um einen Wettbewerb und einen Wettstreit,
bei dem auch Irrtümer eingeräumt werden, so wie wir
das kürzlich - wie ich das sehe gemeinsam - hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen der Kindererziehungszeiten getan haben.
Ich bin sicher, die Mehrheit, die Sie verloren haben, gibt es schon heute für eine Politik der durchgreifenden Erneuerung und des menschenwürdigen Überlebens.
({56})
Diese Mehrheit wird sich formieren. Natürlich wird es aber auch weiterhin strukturkonservative, ja sogar, Herr Bötsch, reaktionäre Kräfte geben,
({57}) jedenfalls, solange Sie hier sind,
({58})
Kräfte, die sich am Gestrigen und an ihren Privilegien festklammern, Leute, die meinen, es genüge, die technische Modernisierung einfach laufenzulassen, und die im übrigen an den Egoismus des einzelnen appellieren und die zugleich die Angst derer ausbeuten, die jede Veränderung, jede Reform als Anschlag auf ihren Besitzstand und ihre bisherige Lebensweise empfinden. Wie wir gesehen haben, gibt es auch Menschen, die auf starke Sprüche und plumpen Populismus, ja sogar auf neonazistische Parolen hereinfallen, weil ihnen die Komplexität der Verhältnisse und Entwicklungen unheimlich ist, weil hinter dem politischen Tagesstreit die großen Zusammenhänge zu oft nicht sichtbar werden und weil ihnen die vorhandenen Parteien Anlaß zur Kritik und zum Protest geben.
Ihr noch amtierender Generalsekretär, Herr Bundeskanzler, auf den ich mich wirklich nur sehr ausnahmsweise und in ganz seltenen Fällen beziehe
({59})
- Sie sind noch nicht soweit; Sie sind noch nicht gewählt -,
({60})
hat diese Zusammenhänge erkannt. Deshalb wollte er Ihre Partei problembewußter, gesprächsoffener und zeitgemäßer erscheinen lassen. Deshalb rüttelte er gelegentlich an konservativen Tabus und störte Ihre Kreise, und deshalb haben Sie ihn entlassen. Wenn Sie es könnten, würden Sie wahrscheinlich auch andere entlassen, die so denken wie er, etwa Frau Süssmuth oder Herrn Fink oder auch noch einige andere. Aber das können Sie nicht.
Was sagten Sie, Herr Bundeskanzler, über Ihre eigene Partei? Herr Biedenkopf, auch ein früherer Generalsekretär, hat uns vor wenigen Tagen daran erinnert, daß Sie selbst vor nicht allzu langer Zeit die Sorge geäußert haben, die Union sei drauf und dran - ein wörtliches Zitat Biedenkopf/Kohl - zu verkrusten, zu verbonzen und zu überaltern.
({61})
Es ist relativ selten, daß ein Vorsitzender über seine Partei solche Ausführungen macht. Er muß guten Grund haben.
(
Doch! Kollege Brandt macht die jeden Tag!)
- Herr Kollege Kohl, ich fürchte, Ihre Wahrnehmungsfähigkeit bei der Lektüre von Gedrucktem ist eingeschränkt und vermindert, denn ein Vergleich dessen, was Willy Brandt sagt, mit Ihren Äußerungen kann wirklich nur Ihnen einfallen. Ich sehe dafür überhaupt keinen Anknüpfungspunkt.
({0})
Andere in Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, sprechen davon, daß die Union dabei sei, ihre Identität zu verlieren. Ich lasse das einmal auf sich beruhen, ich greife auch das in Ihren Debatten häufig benutzte Stichwort vom christlichen Umgang innerhalb der christlichen Partei nicht auf. Eines aber ist gewiß: Wer so handelt wie Sie, Herr Bundeskanzler, in dieser Sache,
({1})
der mag etwas von personellen Rankünen und von der Kunst der Selbstverteidigung verstehen. Die Frage jedoch, Herr Bundeskanzler, wofür Sie eigentlich stehen, bleibt offen. Deshalb ist eine von Ihnen geführte und verkörperte Partei zu mehr als dem „Weiter so!", geschweige denn zu grundlegenden Erneuerungen der gesellschaftlichen Strukturen gänzlich außerstande.
({2})
Die Mehrheit der Erneuerung wird sich ohne Sie, nein, sie wird sich gegen Sie formieren.
({3})
Und es ist die deutsche Sozialdemokratie, die dieser Mehrheit Struktur und Gestalt geben wird.
({4})
Nun hat das Wort der Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Vogel, es war natürlich klar, daß Sie gerne etwas zu den jüngsten Diskussionen in der CDU sagen wollten. Ich muß Ihnen sagen, wenn Ihre damalige Führung Schmidt, Wehner und Brandt jemals ein so offenes klärendes Gespräch geführt hätte, vielleicht hätten sie länger regiert, auf jeden Fall besser regiert, als sie es tatsächlich gemacht haben.
({0})
Wenn ich heute morgen die „Bild"-Zeitung mit den
Brandt-Memoiren lese: „So schlimm war Wehner" , so
kann ich sagen, das ist 25 Jahre her. Wenn bei uns
einmal drei Tage lang eine offene Aussprache geführt
wird, dann wird uns das letztlich stärken. Sie sind
nicht einmal nach 25 Jahren in der Lage, einen
Schlußstrich unter Ihre Auseinandersetzungen zu ziehen.
({1})
Lieber Herr Vogel, wenn Sie als Parteivorsitzender Klartext mit Herrn Lafontaine, Herrn Momper und Herrn Rau reden, dann können Sie sich auch wieder Sorgen um die CDU machen.
({2})
Das Bild, das Sie im Sommer als Unwissender, Nichtinformierter über die Kamin- und Schloßgespräche zwischen den GRÜNEN und der SPD abgegeben haben, kann man nicht mit einer neuen Klarsichthülle erledigen, die man anlegt. Da kommt es auf politische Führungskraft an, Herr Vogel.
({3})
Solche koalitionsvorbereitenden Gespräche kann man nicht aussitzen, Herr Vogel. Da muß man handeln und Klarheit schaffen.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie müssen dem Redner die Chance geben, sich durchzusetzen. Ich wäre dankbar, wenn Sie das dadurch erleichtern, daß Sie weniger laute Zwischenrufe machen.
Sie ahnen schon, was jetzt kommt.
Was nun Heiner Geißler angeht, Herr Vogel: Sie und Ihre Freunde haben ihn auch in den Medien jahrelang diffamiert bis hin zu dem bösen Wort, er sei der schlimmste Hetzer seit Göbbels.
({0})
Wenn Sie und diese Leute, die ihn so übel angegriffen haben, jetzt aus taktischen Gründen Sympathie entdecken, dann kann ich nur sagen: Das ist ein vergiftetes Lob, das der CDU schaden soll, aber nicht Heiner Geißler nützen soll.
({1})
Im übrigen, Sie sind ein Spätmerker. Sie haben die Fähigkeiten Heiner Geißlers etwas spät entdeckt. Wir haben sie schon sehr viel früher entdeckt, Herr Vogel.
({2})
- Ich stelle fest, daß die Opposition doch sehr beunruhigt ist über die Rede.
({3})
Bei Ihnen, Herr Vogel, hat jedenfalls ziemlich große Langeweile geherrscht, als Sie geredet haben.
({4})
Aber ein Gutes hat die Sache doch. Ich habe mir das alles sehr sorgfältig aufgeschrieben: Sie haben von
dem großen sozialen Engagement Heiner Geißlers gesprochen. Das ist richtig. Deswegen wird er Ihnen auch in Zukunft noch viele Wählerstimmen abnehmen.
({5})
Herr Vogel, daß Sie hier heute morgen in Moll geredet haben, sicherlich manches Nachdenkliche gesagt haben, aber sich nicht wirklich der politischen Auseinandersetzung gestellt haben, hängt natürlich auch mit dem Sommer des politischen Mißvergnügens zusammen, den Sie erlebt haben. Die Anhäufung von politischen und moralischen Fehlleistungen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei ergibt eine ganz lange Leporelloliste der Fehlleistungen, die wir alle im Urlaub verfolgen konnten.
Damit es nicht in Vergessenheit gerät, lassen Sie mich hier einige Stichworte ansprechen.
({6})
Erstens. Ein SPD-Papier wird bekannt, in dem Sozialdemokraten auf Wahlerfolge durch die Zunahme rechtsextremer Stimmen spekulieren. Die SPD überlegt, ob es nicht nützlich wäre, das Anwachsen von ultrarechten Parteien in Kauf zu nehmen oder gar zu fördern, um sich parteipolitische Vorteile zu schaffen.
({7})
Meine Damen und Herren, wer eine solche Strategie auch nur überlegt und diskutiert - sie ist in Ihren Führungsgremien diskutiert worden - , der zerstört seine Glaubwürdigkeit.
({8})
Herr Abgeordneter Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Rühe, wenn Sie hier die Meinung der SPD zitieren, könnten Sie so freundlich sein, einen einzigen namhaften Sozialdemokraten oder ein einziges sozialdemokratisches Gremium zu nennen, das der Meinung ist, die Sie hier referieren?
Herr Kollege Schmude, der Skandal liegt doch darin, daß dieses Papier nicht gleich zerrissen worden ist, sondern in Ihren Führungsgremien andiskutiert und beraten worden ist, und daß die Verfasser noch befördert worden sind, z. B. zu Herrn Lafontaine.
({0})
Deswegen sage ich, das schadet nicht nur Ihrer Glaubwürdigkeit; das ist vielmehr ein Schlag gegen Ihre eigene Partei.
({1})
- Herr Vogel, was klein ist, das entscheiden die Leute, die uns beiden zuhören. Auf deren Urteil wollen wir uns verlassen.
({2})
Dies disqualifiziert die Sozialdemokraten für eine Führungsrolle in der Bundesrepublik.
Zweitens. Das Bekanntwerden der koalitionsvorbereitenden Gespräche zwischen Delegationen von SPD und grünen Alternativen. Es zeigt, daß in der SPD die Vorentscheidung für ein Zusammengehen mit den grünen Alternativen, wenn die Wahlergebnisse es erlauben, längst gefallen ist: vorbereitende Koalitionsgespräche mit einer Partei, die die NATO ablehnt, ein unklares Verhältnis zur Gewaltanwendung hat und die die Soziale Marktwirtschaft wie das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes ablehnt.
Ich finde, es ist gut, daß dies frühzeitig bekanntgeworden ist; denn jetzt kann sich jeder darauf einstellen. Daß es unbestritten um die Vorbereitung einer Koalition geht, zeigen die Aussagen von führenden SPD-Vorstandsmitgliedern. Der Kollege Voigt hat von „Sondierungen" gesprochen, und Herr von Oertzen hat wörtlich gesagt:
Die GRÜNEN sind koalitionsfähig. Eine Diskussion über diese Koalition kann nicht erst am Wahlabend beginnen.
Da hat er recht. Wir sind dankbar für diese Offenheit.
({3})
Die SPD von heute ist schon jetzt eine ganz andere SPD als die unter Bundeskanzler Schmidt. Wenn im Dezember nächsten Jahres die letzten Schmidtianer aus dem Bundestag ausscheiden werden, wie Annemarie Renger, Hans Apel, Hans-Jürgen Wischnewski, Dieter Haack, dann bedeutet das einen weiteren tiefen politischen Bruch in der Geschichte der SPD.
({4})
Peter von Oertzen hat nach Bekanntwerden der Gespräche Kritiker dieser Gespräche in der eigenen Partei als Außenseiter bezeichnet. Annemarie Renger, die von uns allen und auch außerhalb dieses Hauses hochgeschätzte Vizepräsidentin des Bundestags, erklärte Herr von Oertzen kurzerhand zur Außenseiterin; er sagte wörtlich, ihre Auffassung von sozialdemokratischer Politik sei nicht mehr mehrheitsfähig. Friedhelm Farthmann, der Sozialdemokrat aus Nordrhein-Westfalen, der ebenfalls Kritik an diesen Gesprächen geübt hat, bescheinigte Herr von Oertzen ein ganz massives parteipolitisches Interesse an dieser Kritik, nämlich die absolute Mehrheit der SPD in Nordrhein-Westfalen zu bewahren. Das heißt doch, Herr von Oertzen sagt - und die Wähler in Nordrhein-Westfalen werden das mit Aufmerksamkeit hören - , daß Herr Farthmann nur aus parteitaktischem Kalkül Kritik an diesen Gesprächen geübt hat, weil er nämlich weiß, daß das in Nordrhein-Westfalen nicht verstanden wird.
Wenn man beides zusammennimmt: das Papier über die Republikaner und die koalitionsvorbereitenden Gespräche der Sozialdemokraten mit den GrünAlternativen, dann bleibt nur die Schlußfolgerung:
Die Sozialdemokraten in ihrer heutigen Fassung versagen beim Kampf gegen den Radikalismus in diesem Land.
({5})
Herr Vogel, ich fordere Sie auf, in Ihren Führungsgremien einen vergleichbaren Beschluß zu fassen, wie es das CDU-Präsidium am 3. Juli dieses Jahres getan hat:
1. Die CDU lehnt jede Vereinbarung über eine politische Zusammenarbeit und jede Koalition mit links- und rechtsradikalen Parteien wie z. B. den Kommunisten, den Grün-Alternativen, den Republikanern, den Nationaldemokraten und der Deutschen Volksunion ab.
2. Dies gilt für die Bundes-, Landes- und Kommunalebene.
3. Die Landesverbände der CDU werden aufgefordert, die Einhaltung dieses Beschlusses sicherzustellen.
({6})
Warum gibt es eigentlich nicht einen vergleichbaren Vorstandsbeschluß der Sozialdemokraten? Das ist doch die Frage, über die gesprochen werden muß.
({7})
Das Versagen der SPD gegenüber Radikalen wird auch in wichtigen Fragen der inneren Sicherheit deutlich. Die leider bekannteste Straße in Hamburg heute ist die Hafenstraße. Früher war es eine Straße, die „ganz in der Nähe liegt".
({8})
Die Hafenstraße ist ein Schandfleck nicht nur für Hamburg, sondern für unser ganzes Land. Dort wird der Rechtsstaat, übrigens bis in diese Tage und Stunden mit jüngsten Vorkommnissen, tagtäglich mit Füßen getreten. Die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz wird zur Farce. Denn welcher Bürger kann es sich ungestraft erlauben, unschuldige Passanten und Polizisten anzugreifen, Autos zu demolieren, Strom zu klauen, Wohnungen zu besetzen, ohne daß ihm etwas passiert?
({9})
Herr Vogel, die SPD, die sich doch sonst immer für Gleichheit einsetzt, muß man doch fragen: Warum sind Sie nicht willens oder in der Lage, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz wiederherzustellen?
({10})
Sie haben vorhin in einem anderen Zusammenhang gemeint, sich einen Polizeibeamten vorstellen zu können.
({11})
Ich sage Ihnen, Herr Vogel: Solange Sie und Ihre
Freunde in Hamburg und anderswo so etwas dulden,
können Sie persönlich keinem Polizeibeamten guten Gewissens in die Augen schauen.
({12})
Sie können auch keinem Bürger klarmachen, daß innere Sicherheit und Rechtsgleichheit bei den Sozialdemokraten in guten Händen wären. Denn ich frage mich: Wie viele Hafenstraßen und Kiefernstraßen würde es in der Bundesrepublik geben, wenn Sie zusammen mit den Grün-Alternativen in Fortsetzung Ihrer Schloßgespräche regieren würden?
({13})
Diese haben im Sommer ein Thesenpapier zur Innenpolitik vorgelegt, das der Kollege Wolfgang Schäuble dankenswerterweise der Öffentlichkeit besonders bewußt gemacht hat. Hier wird ein Zerrbild unseres Staates gezeichnet, er wird verächtlich gemacht, um seinem Handeln die Legitimität abzusprechen.
Einige Kostproben, damit die Bürger wissen, was auf sie zukommt. Das staatliche Gewaltmonopol, eine der entscheidenden Errungenschaften des modernen Rechtsstaats, wird als „vorkonstitutionelles Gedankengut" denunziert. Gegenüber dem Staat wird ein „Recht auf Lüge und Verborgenheit" propagiert,
({14})
was nicht nur die rechtsstaatliche Ordnung, sondern jegliches menschliche Zusammenleben überhaupt unmöglich machen würde.
Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sollen geschwächt und einschränkt werden. Der Verfassungsschutz soll ganz aufgelöst werden. Das heißt, unsere Demokratie soll schutzlos und wehrlos sein gegenüber den immer noch bestehenden Aktivitäten verfassungsfeindlicher Gruppen.
Die Grün-Alternativen fordern die Entkriminalisierung von sogenannten Alltagskonflikten durch „heilsames Vergessen".
({15})
Meine Damen und Herren, der Rechtsfrieden wäre auf das schwerste gestört, wollte man Diebstähle, Sachbeschädigungen, Betrügereien und ähnliches nicht mehr verfolgen und bestrafen. Ein „Recht auf Verborgenheit", das ist das Recht für den Gesetzesbrecher, aber nicht für den freien Bürger.
({16})
Früher war mancher von uns in der Versuchung, zu sagen: Das sind doch nur Spinnereien, das kann man vielleicht auf die leichte Schulter nehmen! Aber nach den koalitionsvorbereitenden Gesprächen zwischen der SPD und den Grün-Alternativen
({17})
kann man das nicht länger auf die leichte Schulter nehmen, Herr Vogel, und das wollen wir auch der Öffentlichkeit sagen.
({18})
Denn die ersten Erfahrungen - kommen wir zu Berlin - zeigen, daß die Grün-Alternativen in der Regierungszusammenarbeit mit der SPD ihre Zielsetzungen konsequent verfolgen und daß diese langsam einsickern in die offizielle Regierungspolitik. Schon nach einem halben Jahr ist erkennbar: Ständige Angriffe auf die Polizei - ({19})
Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin, zur Zeit hat der Abgeordnete Rühe das Wort.
Fällt Ihnen weiter nichts ein? Dann steht es wirklich sehr kümmerlich um Ihre Programmatik und Ihre Politik.
({0})
Wenn Ihnen weiter nichts einfällt, als die Stichworte, die Anfang der Woche vom „Spiegel" gegeben werden, hier wiederzuplärren, dann kann ich nur sagen: Sie sind arm dran!
({1})
Frau Däubler-Gmelin, nun ist es gut!
Chaotisierung der Asylpolitik, Bagatellisierung von Rauschgiftdelikten, insbesondere durch Bleiberecht für Asylanten, die als Rauschgiftdealer in Erscheinung getreten sind - das ist der Niederschlag von grün-alternativer Politik unter der Verantwortung der SPD in Berlin.
Weiter im SPD-Sommer, verehrte gnädige Frau: Führende Sozialdemokraten erklären auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle aus der DDR - übrigens, damit Sie vorsichtig sind: Ich habe ein ganzes Paket von Zitaten mitgebracht, falls Sie mir nicht trauen sollten -,
({0})
diese Menschen kämen, weil sie von uns „heim ins Reich" gerufen worden seien.
Auf einem Wohltätigkeitsfest der SPD in der Mitte des Sommers in Kiel-Süd wird Erich Honeckers Strohhut meistbietend an Fans versteigert.
Beides ist geschmacklos und schlimm angesichts des Leids vieler Flüchtlinge, Herr Vogel.
({1})
- Sie sagen „Mein Gott! " Nicht ich habe diese Versteigerung durchgeführt, sondern es waren Ihre KolRühe
legen in Kiel-Süd, Herr Vogel. „Mein Gott! " hätten Sie vielleicht früher sagen sollen.
({2})
Die Flüchtlinge aus der DDR, die uns in diesen Tagen in immer größerer Zahl erreichen, haben vielen, wie ich denke, auch in diesem Hause, neu die Augen geöffnet für die tatsächliche Lage im geteilten Deutschland und für die Bedeutung der Freiheit im Leben der Menschen.
Die Deutschen aus der DDR, die ihr Land verlassen, haben Hunger, aber nicht auf Brot, sondern auf Freiheit. Das gilt auch für die Menschen, die gestern vor der Nikolaikirche in Leipzig demonstriert haben und die unsere Sympathie haben.
({3})
Ich selber habe in Budapest viele junge Familien getroffen, auch Familien, die das Spiegelbild zu meiner eigenen Familie waren - mit drei Kindern im selben Alter - , die alles in der DDR zurückgelassen haben und mit einer Tüte in der Hand über die Grenze gelaufen sind. Aber an ihrer Hand waren ihre Kinder. Sie haben mir gesagt: Was wir verlieren, ist unwichtig, aber wir gewinnen die Zukunft für uns und vor allem für unsere Kinder; was allein zählt, das ist die Freiheit.
({4})
Herr Vogel, man muß einmal erlebt haben, wie diese Landsleute ihren Paß voller Stolz und neu gewonnener Sicherheit hochhalten, und man muß sich dann einen Augenblick vergegenwärtigen, wie Sie über viele Jahre hinweg diese Leute aus der gemeinsamen deutschen Staatsbürgerschaft ausbürgern wollten mit dem Ergebnis, daß wir ihnen einen solchen Paß nicht hätten geben können.
({5})
Das sind zutiefst beeindruckende Begegnungen gewesen, und manche von uns - ich schließe mich da ein - können von diesen Menschen lernen, was im Leben wirklich wichtig ist.
({6})
- Ist Ihnen Selbstkritik so fremd, daß Ihnen das merkwürdig vorkommt?
({7})
- Entschuldigen Sie, Sie halten nur Reden, aber Sie müssen mit diesen Menschen einmal sprechen. Ich habe wenige Stunden, bevor sie aus der Botschaft in Budapest herauskommen konnten, mit ihnen gesprochen. Wenn Sie sich darüber lustig machen, daß das die Diplomaten dort und auch mich bewegt hat, dann
kann ich nur sagen: Was für eine traurige Gestalt sind Sie!
({8})
Ich habe dort deutsche Spitzendiplomaten getroffen, die ganz coole Typen sind und die mir gesagt haben: Wir haben viele Reden über die deutsche Frage und die Einheit der Nation verfaßt, aber niemals zuvor haben wir wie in der Begegnung mit diesen Menschen gespürt, wie lebendig die einheitliche deutsche Nation ist. Über solche Bekenntnisse sollten Sie sich nicht lustig machen.
({9})
Die ungelösten Probleme von Ost-Berlin, Leipzig und Dresden werden noch immer nach Budapest und an die ungarisch-österreichische Grenze verschoben. Aber der Wind der Veränderung wird auch in die DDR hineinwehen. Selbstbestimmungsrecht, Freiheit und Menschenrechte sind unteilbar. Der geschichtliche Aufbruch Europas wird nicht an Deutschland vorbeigehen.
Wir sind dankbar für das offene Herz, für die Hilfe von Ungarn und Österreichern für unsere deutschen Landsleute. Gerade die Hilfsbereitschaft von vielen Ungarn, die wirklich eigene Sorgen haben und denen es materiell schlecht geht, zeigt, daß nicht selten das Herz dessen besonders offen für die Nöte seiner Mitmenschen ist, dem es selber schlechtgeht. Auch davon können wir lernen. Manche in unserem Land, die sich für besonders patriotisch halten, haben, glaube ich, Anlaß, darüber nachzudenken, wie eng ihr Herz gegenüber diesen neuen Mitbürgern ist, die in unser Land kommen.
({10})
Die Mitbürger sind uns willkommen; wir werden alles tun, um ihnen zu helfen.
({11})
Aber die entscheidenden Veränderungen müssen im anderen Teil Deutschlands erfolgen. Denn auch wenn wir - wie in diesen Tagen - allen DDR-Flüchtlingen von heute helfen, so produziert doch eine reformunwillige DDR in derselben Minute, in der wir vielen hundert Flüchtlingen helfen, in immer größerer Zahl die Flüchtlinge von morgen und von übermorgen. Auch die Verantwortlichen in der DDR müssen begreifen: Ohne tiefgreifenden Wandel gibt es keine Stabilität.
Sozialdemokraten haben in diesen Wochen - nun sagen Sie nicht wieder, das sei nicht richtig - davon gesprochen, daß der Strom von Flüchtlingen die Entspannung störe. Welch schlimmes Wort und welch eine Verdrehung der Tatsachen! Nicht die DDR-Flüchtlinge stören die Entspannung, sondern diejenigen, die sie in der Unmündigkeit halten und ihnen die Menschenrechte verweigern.
({12})
Nicht die Ungarn müssen sich entschuldigen, daß ihre Grenzen durchlässig geworden sind, sondern die deutschen Kommunisten, daß sie ihre Mitbürger immer noch in Unfreiheit und Unmündigkeit halten und
daß sie die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden haben.
({13})
Denn es ist doch richtig: Mauer und Stacheldraht haben keine Zukunft in Europa. Für die Grenzen der Zukunft haben wir das Modell in Westeuropa entwikkelt. So wie sich heute Deutsche und Franzosen über die Grenzen hinweg begegnen können, müssen das endlich auch Deutsche und Deutsche tun können. Wer wie Gorbatschow und die ungarischen Reformkommunisten die Kraft findet, sich ehrlich den Fehlern und Verbrechen der eigenen Geschichte zu stellen, nur der wird auch die moralische Kraft haben und das Vertrauen finden, um die notwendigen tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Reformen durchzuführen.
Denjenigen aber, die uns immer geraten haben, in der deutschen Frage von den Realitäten des Nachkriegseuropas auszugehen, müssen wir sagen: Schaut genau hin; zu den Realitäten des Europas von heute gehört der Wille aller Deutschen, frei zu sein und zusammenzuleben.
({14})
Von deutschem Boden darf und wird nie wieder ein Krieg ausgehen. Aber auf deutschem Boden sollten auch nie wieder und dürfen nicht länger Menschenrechte verletzt werden.
({15})
Von deutschem Boden dürfen keine Flüchtlingsströme ausgehen.
({16})
Die Entwicklung der letzten Wochen hat jedermann klar vor Augen geführt: Freiheit muß man nicht lernen, und Freiheit kann man auch nicht verlernen.
Vaclav Havel, der im Oktober den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten soll - und hoffentlich selbst in der Paulskirche sein wird -, hat es in seinem Buch „Versuch, in der Wahrheit zu leben" so ausgedrückt:
Uns geht es darum, daß man würdiger leben kann, daß das System dem Menschen dient, nicht der Mensch dem System. Dieses System ist eine komplexe, tiefe und andauernde Vergewaltigung bzw. Selbstvergewaltigung der Gesellschaft. Es geht schon längst nicht mehr um das Problem irgendeiner politischen Linie oder eines Programms. Es geht um das Problem des Lebens.
Die führenden Sozialdemokraten - ich könnte sie mit dem Namen nennen, wenn ich nicht rücksichtsvoll sein wollte ({17})
- falls Sie protestieren, will ich das gerne machen: Lafontaine, Ehmke - , die uns in den letzten Wochen vorgeworfen haben, wir hätten die Flüchtlinge mit dem Ruf „Heim ins Reich" herbeigerufen, haben
nichts, aber auch gar nichts von der Freiheitsfrage verstanden;
({18})
denn der Ruf, dem diese Menschen folgen, kam und kommt nicht von uns, sondern er kommt aus dem Inneren dieser Menschen.
Diese Entgleisungen von einzelnen SPD-Politikern zeigen nur, daß die Sozialdemokraten insgesamt
({19})
mit ihrer Deutschlandpolitik gescheitert sind.
({20})
Die Tatsache, daß Sie versucht haben, die Gespräche zwischen der SPD und der SED, die Sie jahrelang in den Mittelpunkt der Debatte gestellt haben,
({21})
zu verschweigen, Herr Dr. Vogel, zeigt doch Ihr schlechtes Gewissen.
({22})
Ihre Politik der exklusiven und freundschaftlichen Beziehungen mit der SED unter gleichzeitiger Vernachlässigung der Kontakte zu Oppositionsgruppen und Dissidenten ist gescheitert.
„Es muß Schluß sein mit einer Politik der falschen Rücksichtnahme auf die SED. " - Das ist übrigens nicht von mir, sondern von einem SPD-Abgeordneten aus Berlin.
({23})
„Es gibt doch keine Legitimation mehr für uns, mit Honecker, Krenz und anderen freundschaftliche Beziehungen zu haben. Was bisher der Friedenssicherung in Mitteleuropa diente, dient heute nur noch der Aufrechterhaltung eines langweiligen, diktatorischen Systems. " Auch das ist nicht von mir, muß ich gestehen; es ist ebenfalls von einem SPD-Abgeordneten aus Berlin.
({24})
Die SPD hat jahrelang die Reform- und Dialogfähigkeit der SED völlig falsch eingeschätzt.
({25})
- Herr Ehmke hat sich schon ganz weit zurückgesetzt.
({26})
Das politisch-moralische Defizit der SPD-Politik zeigt sich an Ihren exklusiven Kontakten mit den kommunistischen Staatsparteien in der DDR, in Polen, in der Sowjetunion; ich komme gleich noch zu Beispielen.
({27})
Frau Abgeordnete, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam: Der Abgeordnete Rühe hat das Wort und nicht Sie.
({0})
Die systematische Störung eines Redners ist nicht das Musterbeispiel dafür, wie man hier eine Debatte führen sollte.
Sie kann mich auch nur akustisch stören.
Herr Abgeordneter Rühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber immer.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete. So ist es in Ordnung.
Verehrter Herr Rühe, könnten Sie mit mir übereinstimmen, daß Sie derartige Unwahrheiten nicht ständig wiederholen sollten? Dann brauchen wir dem Herrn Präsidenten auch nicht die Situation zu bieten, daß jemand von uns Sie korrigieren muß, und wir können Sie dann ohne Zwischenrufe weiterreden lassen.
({0})
Ich komme jetzt dazu, es genau zu belegen. Nehmen Sie Platz; es dauert etwas länger.
({0})
Es mag zwar etwas länger dauern; aber würden Sie bitte auf meine Frage antworten, Herr Rühe?
Herr Abgeordneter, Sie haben nunmehr zur Beantwortung dieser Frage das Wort.
({0})
Als Willy Brandt, dessen beide Reden vor dem Sommer und auch jetzt wir durchaus geschätzt haben, im Dezember 1985 als SPD-Vorsitzender - ({0})
- Ich komme jetzt dazu, zu belegen, wie Sie die Oppositionsgruppen in Osteuropa systematisch geschnitten haben, um nach Ihrer eigenen Definition die Entspannung nicht zu gefährden und nicht zur Destabilisierung beizutragen.
({1})
Aber selbstverständlich.
Sie dürfen sich setzen, ja.
Als Willy Brandt im Dezember 1985 nach Polen ging, schlug er eine Einladung von Lech Walesa aus und erklärte auf entsprechende Kritik, als Deutscher könne man nicht an etwas mitwirken, „was zur Destabilisierung Polens beiträgt".
({0})
Die Solidarnosc erklärte daraufhin in einem offenen Brief, damit habe Brandt „sein Unvermögen bewiesen, zu erkennen, wer die wirklichen Vertreter der polnischen Bevölkerung sind".
({1})
- Im Dezember 1985, gnädige Frau.
({2})
- Bitte.
Wir sind stolz darauf, daß wir - Norbert Blüm ist das beste Beispiel - auch in schwierigen Zeiten zu der Solidarnosc in Polen gehalten haben.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dr. Ehmke?
Bitte, ja, er kommt mir gerade recht.
({0})
Herr Kollege Rühe, es ist Ihnen doch sicher bekannt, daß, als Willy Brandt im Dezember 1985 in Warschau war, ein mehrstündiges eingehendes Gespräch mit Solidarnosc-Vertretern, vor allem mit dem jetzigen Ministerpräsidenten Mazowiecki, stattgefunden hat. Wenn das so ist, frage ich Sie, warum Sie meinen, hier in der Tonart von Republikanern gegen die SPD hetzen zu müssen.
({0})
Herr Kollege Ehmke, Sie sollten mich so gut kennen, daß Sie wissen, daß ich mich auf das, was ich sage, gut vorbereite; so gut sollten Sie mich wirklich kennen.
({0})
Ich habe hier zitiert. Herr Mazowiecki hat sich damals genauso geäußert. Er hat gesagt, er befürworte einen neuen Realismus in der Ostpolitik; es müßten die bestehenden Regierungen in den Teilen Europas anerkannt werden, aber auch die Gruppen, die man nicht als unbedeutend erachten dürfte, wie z. B. die verbotene unabhängige Gewerkschaft Solidarität, die bei der übergroßen Mehrheit der polnischen Gesellschaft als Ideal weiterlebe. - So die Kritik von Mazowiecki an dem Verhalten von Brandt damals.
({1})
- Natürlich.
({2})
In der Bundesrepublik ist in einer Meinungsumfrage damals deutlich geworden, daß 81 % der Bevölkerung dieses Verhalten von Willy Brandt abgelehnt haben.
({3})
Herr Abgeordneter, Herr Professor Ehmke möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Herr Kollege Rühe, ich hatte Sie gefragt, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß Willy Brandt im Dezember 1985 - wie wir es bei jedem weiteren Besuch in Warschau getan haben - mit der Solidarnosc gesprochen hat, und zwar mit Herrn Mazowiecki. Jetzt sagen Sie ja oder nein und zitieren Sie nicht etwas, was mit der Sache nichts zu tun hat.
Entschuldigen Sie mal, Lech Walesa war der Leuchtturm der Solidarnosc, und Willy Brandt hat gesagt: Ich will zu dem Zeitpunkt nicht mit ihm reden, weil das Polen destabilisiert.
({0})
Herr Abgeordneter, der Herr Abgeordnete Dr. Lippelt möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Nein, jetzt rede ich.
({0})
In Wirklichkeit haben Sie und Ihre Freunde von der PVAP Polen destabilisiert.
({1})
Die Hoffnungen der Polen auf eine neue Stabilität ruhen auf der Solidarnosc. Deswegen kann Ihnen niemand diese Auseinandersetzung mit den geistig-moralischen Defiziten ersparen.
({2})
Herr Ehmke, mal zu Ihnen persönlich. Sie waren in Slowenien, kurz bevor ich da war, im letzten Jahr, und Sie haben das Gespräch mit der neuen sozialdemokratischen Partei dort verweigert. Ich bin daraufhin zusammen mit dem Kollegen Repnik hingegangen, um dieses Gespräch zu führen, weil ich das nicht für in Ordnung gehalten habe, daß Sie so viel Rücksicht auf die Kommunisten genommen haben.
({3})
Herr Abgeordneter Rühe, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt?
Nein, nicht mehr, ich muß jetzt weitermachen. Ich muß das weiterführen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie mal bei Vaclav Havel nach! Ich habe den Sommer genutzt, um alle seine Werke zu lesen. In einem seiner letzten Werke beschreibt er, wie in den 70er Jahren Sozialdemokraten immer zu ihm gekommen seien und gefragt hätten, ob sie nicht ein bißchen vorsichtiger sein könnten im Sinne der Entspannung. Er beschreibt dort, daß die Sozialdemokraten eigentlich die letzten sind, die eine solche Politik vertreten haben.
({0})
Lesen Sie nach, was Herr Hofmann in der „Zeit" geschrieben hat, der gesagt hat: Sie haben sich um Fragen der Sicherheit gekümmert in Europa, aber für die Freiheitsfrage haben Sie kein Organ. Das können Sie in der „Zeit" nachlesen.
({1})
Egon Bahr hat in den 60er Jahren die Grundlage für die Vertragspolitik durch seine Formel vom „Wandel durch Annäherung" gelegt, und das Wort hat eine ganze Menge bewirkt
({2}) und war für die Vorbereitung der Politik wichtig. ({3})
- Das kann ich Ihnen angesichts Ihrer Politik der wirklich übergroßen Rücksichtnahme auf die SED nicht ersparen. Wenn ich mir allerdings das Verhalten der Sozialdemokraten in den letzten Jahren anschaue, dann muß ich sagen, daß diese durchaus wichtige und historische Politik in den 60er und 70er Jahren dann in den 80er Jahren zu einer Politik des Wandels durch Anbiederung degeneriert ist, Anbiederung an die SED nämlich.
({4})
Herr Abgeordneter Rühe, Frau Matthäus-Maier möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?
Bitte.
Herr Rühe, ich möchte Ihnen eine ganz persönliche Zwischenfrage stellen. Als ich in der Zeitung las, daß Herr Kohl Sie vorschlagen würde, habe ich zu meinem Mann gesagt: Dann wird der Stil in Bonn kultivierter. Ich möchte Sie fraFrau Matthäus-Maier
gen: Finden Sie das nicht eigentlich sehr in Unordnung, daß Sie in diese Hetze gegenüber der SPD verfallen, nur um auf Ihrem Parteitag ein gutes Stimmenergebnis zu bekommen?
({0})
Liebe Frau Matthäus-Maier, wenn Ihre eigenen Kollegen in Berlin sagen, es muß Schluß sein mit einer Politik der übergroßen Rücksichtnahme auf die SED, dann, finde ich, ist das eine notwendige Auseinandersetzung, die wir hier führen müssen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Lippelt bittet auch noch einmal um eine Zwischenfrage.
Tut mir leid. Ich muß das schon noch ein bißchen weiter ausführen können.
({0})
- Ich kann Ihre Aufregung verstehen; damit haben Sie nicht gerechnet.
({1})
Was wir heute tatsächlich in Mittel- und Osteuropa erleben, ist ein Neubeginn durch Freiheit und Selbstbestimmung, ist Wandel durch Beispiel und Anziehungskraft von Freiheit und Demokratie. Die Entwicklung, die tatsächlich stattfindet - das ist das, was wir immer gefordert haben - , kann man ganz einfach zusammenfassen: Wandel durch freie Wahlen, siehe Polen und Ungarn.
({2})
In einer Zeit von revolutionären Veränderungen in Mittel- und Osteuropa erhält die Deutschlandpolitik eine neue Dimension. Wenn es richtig war, daß es keinen deutschen Sonderweg zu Freiheit und Selbstbestimmung gibt, dann ist es heute auch richtig, daß die Freiheitsfrage, die von Polen und Ungarn aufgegriffen wurde, zu Freiheit und Selbstbestimmung auch für alle Deutschen führen wird. Es geht um die Zukunft Deutschlands, denn die notwendige Demokratisierung in der DDR ist ein Schritt in Richtung auf das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen.
Die Veränderungen in Mittel- und Osteuropa haben große Bedeutung für unsere Sicherheitspolitik. Es war lange Zeit ausreichend und für viele bequem, Sicherheitsvorsorge und Bundeswehr allein mit Verweis auf die Bedrohung zu rechtfertigen. Aber heute ist die sicherheitspolitische Lage anders; sie ist komplizierter. Wir sind deswegen gut beraten, unsere Sicherheitspolitik nicht auf Drohbildern aufzubauen, die unser Volk so nicht wahrnimmt. Die Bevölkerung
meint, die alten Drohbilder seien von der Bühne geschoben, und sie will nun wissen, wie es hinter den Kulissen aussieht. Dafür besteht viel Erklärungsbedarf. Die Politik ist gefordert.
Bisher ergab sich die Bedrohlichkeit des Ostens aus der Kombination von militärischer Überlegenheit und aggressiver expansionistischer Politik und Ideologie. Heute steht die militärische Übermacht des Warschauer Pakts am Verhandlungstisch in Wien zur Disposition, und die Politik der Sowjetunion ändert sich. Nun liegt die Bedrohlichkeit viel eher im Risiko des Scheiterns, in der Gefahr, daß die sowjetischen Reformen ihr Ziel verfehlen. Verteidigung wird damit zur Versicherungspolice gegen das Risiko des Scheiterns. Da aber Zeiten der Veränderung auch Phasen der Labilität sind, können und dürfen wir die Instrumente nicht vernachlässigen, die für stabile Verhältnisse sorgen: Streitkräfte und Bündnis. Die Bundeswehr braucht deshalb keine neue Legitimation.
Die Bundesrepublik Deutschland ist außenpolitisch nur handlungsfähig, ja überhaupt politikfähig, wenn sie Mitglied der Allianz ist. Als NATO-Mitglied leistet sie einen angemessenen Bündnisbeitrag und nutzt zugleich das Bündnis als Fundament ihrer Sicherheit und für Verhandlungen mit dem Osten, für Verhandlungen, die Europa verändern sollen. Was wir in Europa brauchen, ist ein Wandel ohne Angst.
Unsere Alliierten üben bei uns, und unsere Bundeswehr übt im Ausland. So wie unsere Soldaten dort als Gäste auftreten und behandelt werden, so erwarten es unsere Verbündeten hier.
({3})
Nicht die Souveränität steht zur Debatte, sondern die souveräne Ausübung des Gastrechts ist geboten.
Die Kampagne der Oppositionsparteien SPD und GRÜNE, wieder Arm in Arm, legt die Achse, Entschuldigung: Axt an die Wurzel der Bündnissolidarität.
({4})
- Herr Vogel, Sie sind wirklich schon arm dran, wenn das das einzige ist, woran Sie sich hochziehen können.
({5})
- Daß Sie so heruntergekommen sind!
({6})
- Das habe ich nicht gesagt. - Es ist unfair, Herr Vogel, unseren Soldaten eine politische Debatte über die Existenzberechtigung aufzuzwingen. Willi Weiskirch, der Wehrbeauftragte des Bundestages, hat zu Recht festgestellt:
Die Bundeswehr hat ihren großen Anteil daran, daß wir alle seit dem Zweiten Weltkrieg in Frieden und Freiheit leben konnten. Unsere Soldaten müssen wissen, daß sie die Gesellschaft, in der sie leben, mitträgt und stützt. - Das wieder zu erreichen ist eine Aufgabe, die jedem von uns gestellt ist - jedem!
Herr Vogel, auch jedem einzelnen Ihrer Kollegen in Ihrer eigenen Fraktion.
({7})
Der Kommunismus ist tot. Die Demokratie ist überall auf dem Vormarsch. Westliche Gipfelkonferenzen, die sich in der Vergangenheit in erster Linie mit der sowjetischen Bedrohung beschäftigen mußten, müssen sich heute mit den Chancen, aber auch mit den Gefahren des Niedergangs des Kommunismus auseinandersetzen. Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft haben Karl Marx und seine falschen Konzepte widerlegt und besiegt. Alles, was im sowjetischen militärischen Denken neu ist - Glasnost, die Offenheit, Perestroika, der Umbau zu politischem Pluralismus und mehr Markt in der Wirtschaft - , sind Teilanleihen aus unserem politischen Denken. Gorbatschow ist die Antwort der Sowjetunion auf das Versagen des Kommunismus und den Erfolg westlichen politischen Denkens und Handelns. Der Osten schaut heute auf den Westen.
Es ist wahr: Wir haben Anlaß zur Zufriedenheit und zu vorsichtigem Optimismus, aber nicht zur Selbstzufriedenheit. Die großen Erfolge dürfen uns nicht blind machen für die Schwächen und Probleme, die auch unsere Gesellschaft immer noch hat. Es gibt auch in unserer Gesellschaft immer noch benachteiligte Gruppen - dieses Thema hat die CDU frühzeitig aufgegriffen - , die keine Lobby haben, die keine Lautsprecher haben, sondern die im Kampf um Aufmerksamkeit und um Sozialleistungen in unserer Gesellschaft zu kurz kommen.
Den Drogenproblemen Jüngerer soll unser ganzer Einsatz gelten. Bindungslosigkeit, Orientierungslosigkeit, Entsolidarisierung, das alles darf uns nicht gleichgültig sein. Der Triumpf der Demokratie darf uns nicht berauschen. Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren, die wir ohne Zweifel errungen haben, ausruhen. Wir brauchen auch in Zukunft die Fähigkeit zur Selbstkritik und zum ständigen Neubeginn.
Es gibt keine fertige Gesellschaft. Eine menschliche Gesellschaft ist ständig unvollendet. Flora Lewis hat das vor kurzem in der „International Herald Tribune" angesprochen und gesagt, daß der Niedergang des Kommunismus und die tiefgreifenden Reformen im Osten dazu führen können, daß es einen neuen Wettbewerb auf neuer Grundlage zwischen verschiedenen Gesellschaften geben wird. Das neue Gegenüber, mit dem wir es möglicherweise in den 90er Jahren zu tun haben werden, wird dann vielleicht nicht mehr nur eine falsche und menschenfeindliche Utopie sein, mit der sich auseinanderzusetzen letztlich sehr einfach ist, vor allem angesichts der Fehlleistungen. Diesen neuen Wettbewerb der Gesellschaften müssen wir aufnehmen. Wir können stolz sein auf das Erreichte. Aber wir müssen auch in der Zukunft die richtigen Fragen stellen und versuchen, neue Antworten zu geben.
Theo Waigel, dem ich im übrigen Dank sagen möchte für seine gestrige Rede und für seine Leistung als Finanzminister,
({8})
hat Sie gestern schon auseinandergenommen, was Ihre berühmte Ökosteuer angeht. Das ist ja in der Tat ein tolles Stück: Entweder wirkt sie umweltpolitisch, dann wird weniger Benzin verbraucht, dann nehmen Sie aber auch weniger ein, und dann lassen sich alle ihre Versprechungen im Hinblick auf Steuern und Umverteilung nicht verwirklichen.
({9})
Oder - was wahrscheinlicher ist - sie hat umweltpolitisch keinen Lenkungseffekt, und dann handelt es sich um eine Erhöhung der Staatsquote, um Umverteilung und vieles andere mehr. Das ist also wirklich total undurchdacht. Sie stecken in einer ganz großen Klemme, wenn Sie diese beiden Dinge miteinander verbinden wollen.
({10})
Ich wollte etwas zur Umweltpolitik sagen. Ich will das einige Tage verschieben; denn das wird ja mit Recht das zentrale Thema unseres Parteitages in Bremen sein.
({11})
Aber da die, wie ich hoffe, zukünftige Kollegin, aus meiner Sicht, Anke Fuchs hier ist, möchte ich auch sie aus dem Sommertheater zitieren. Liebe Frau Fuchs, Sie haben im Hinblick auf die Debatte über die Vorschläge der SPD für Ökosteuern gesagt: Sozialismus ist eben anstrengend.
({12})
Zunächst einmal - wir sind beide Hamburger - : Herzlichen Glückwunsch. Sie bleiben den Hamburgern, die offen sind und die Wahrheit sagen, treu - auch wenn es falsch ist. Das unterscheidet Sie von manchen Parteifreunden bei Ihnen. Aber, liebe Frau Fuchs, Sozialismus ist doch nicht anstrengend, sondern er ist falsch und schädlich. Verschonen Sie uns deshalb damit.
({13})
- Lieber Herr Vogel, auch wenn Ihnen das nicht gefällt: Die Bundesregierung hat unter diesem Bundeskanzler in der Koalition von CDU/CSU und FDP erfolgreiche Arbeit geleistet.
({14})
Wir können selbstbewußt sein zu diesem Zeitpunkt.
({15})
Wir müssen, ob uns das gefällt oder nicht, auch weiterhin Erfolg haben angesichts der Verfassung, in der Sie sich befinden.
({16})
Ich sage Ihnen: Wir werden auch weiterhin Erfolg haben.
({17})
- Sie sind wirklich sehr nervös.
({18})
Unser Erfolg oder Mißerfolg entscheidet wesentlich darüber, wie sich die zweite deutsche Demokratie weiterentwickelt,
({19})
ob das Maß an wirtschaftlicher und politischer Stabilität, an das sich unsere Bürger gewöhnt haben, aufrechterhalten werden kann. Wir müssen und werden Erfolg haben, damit alle Chancen der neuen Zeit, in der wir uns befinden, genutzt werden und die nicht geringen Gefahren wirksam vermieden werden können.
Ob es uns gefällt oder nicht, wir spielen heute international eine Schlüsselrolle, und viele Erwartungen richten sich an uns.
Übrigens, Herr Vogel, im Ausland stoße ich in der Regel auf noch viel mehr Angst vor einer Koalition zwischen Ihnen und den GRÜNEN, als das hier in Deutschland der Fall ist. Dort beobachtet man uns nämlich aus der Distanz. Man hat den Blick für das Wesentliche. Wir werden dafür sorgen, daß der Blick für das Wesentliche auch hier noch etwas präzisiert wird.
({20})
Wir müssen und wir werden auch weiterhin Erfolg haben, weil international viel von uns erwartet wird. Das gilt für die Schaffung eines europäischen Binnenmarkts bis 1992. Das ist der nächste große Schritt der Europäischen Gemeinschaft, die heute weltweit als die erfolgreichste und größte europäische Friedensbewegung nach dem Kriege anerkannt wird. Es gilt für die Herstellung eines neuen Gleichgewichts zwischen Europa und Amerika, einer nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft. Hierbei geht es um die Entwicklung einer reifen Partnerschaft zwischen gleichwertigen Partnern, zwischen Europa und Amerika als gleichwertigen Partnern.
({21})
Es geht um die Konzeption und Durchführung der westlichen Politik gegenüber den historischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa, wobei der Kern die Lösung der deutschen Frage im Sinne des Selbstbestimmungsrechts, der Freiheit und Einheit für alle Deutschen ist. Es geht schließlich um ein neues Nord-Süd-Verhältnis, das den neuen Demokratien des Südens, etwa in Lateinamerika, wirksam hilft und eine internationale Umweltschutzpartnerschaft aufbaut. Wir sind auf diese Aufgaben vorbereitet. Wir werden uns diesen großen Herausforderungen auch in Zukunft stellen.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede auf ein Thema zu sprechen kommen, das derzeit die öffentliche Diskussion beherrscht: die Flucht Tausender von Menschen aus der DDR.
Um es ganz unmißverständlich zu sagen: Die GRÜNEN sind ohne Wenn und Aber für die Aufnahme der DDR-Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Wir sind dafür, daß ihnen der Start in das neue Leben so leicht wie möglich gemacht wird. Das ist für uns ein selbstverständliches Gebot der Humanität. Allerdings hat dieses Gebot für uns im Gegensatz zur Regierung universelle Geltung. Es gilt für Flüchtlinge aus der DDR. Es gilt für die Menschen, die aus Polen in die Bundesrepublik kommen, und es gilt in gleichem Maße auch für die Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt. Einer Politik, die Menschlichkeit von dem Nationalitätenstempel im Reisepaß abhängig macht, werden wir unseren Widerstand entgegensetzen. Die Tatsache, daß niemand ernsthaft daran zweifelt, daß die Bundesrepublik heute dazu in der Lage ist, Tausende von DDR-Flüchtlingen aufzunehmen, straft all diejenigen Lügen, die angesichts der asylsuchenden Flüchtlinge aus anderen Ländern vor kurzem noch behauptet haben, das Boot sei bereits voll. Die regierungsoffizielle Sortierung von Menschen in gute, weil deutsche, und weniger gute, weil ausländische Flüchtlinge, machen wir nicht mit. Sie beweist, wie instrumentell die Bundesregierung Menschlichkeit handhabt.
Helmut Kohl hat ausnahmsweise recht gehabt, als er am Wochenende gesagt hat:
({0})
Auch die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gehört zu den Menschenrechten.
Damit hatte er recht. Bloß: Dieses Menschenrecht gilt nicht nur für deutsche Flüchtlinge, sondern es gilt auch für diejenigen aus anderen Ländern. Ich fordere Sie deswegen auf, Herr Bundeskanzler, sich angesichts Ihrer neuerlichen Erkenntnis jetzt bei denen zu entschuldigen, die Sie früher als Wirtschaftsasylanten beschimpft haben.
({1})
Wir wollen nicht, daß DDR-Flüchtlinge genauso schlecht behandelt werden wie die Flüchtlinge aus Sri Lanka. Wir wollen vielmehr, daß die Flüchtlinge aus Sri Lanka, aus dem Iran, aus Kurdistan und aus Polen genauso gut behandelt werden wie die Flüchtlinge aus der DDR.
Nun ein paar Anmerkungen zum Haushalt selbst. Zahlen stehen unverdient in dem Ruf, langweilig zu sein. Dabei sind sie ab und zu sehr aufschlußreich.
Im letzten Jahr betrug der Etat des Bundesumweltministers 2,2 Milliarden DM. Das sind lächerliche 0,8 % des gesamten Bundeshaushalts. Das sind aber auch 200 Millionen DM weniger, als die Bundeswehr in diesem Jahr allein für Munitionskäufe ausgeben darf. Die Bundeswehr darf also 200 Millionen DM mehr verballern, als der Bundesumweltminister für
die Umweltschutzaufgaben insgesamt ausgeben darf.
Was kann die Prioritätensetzung durch diese Bundesregierung besser verdeutlichen als dieses Beispiel?
({2})
Da Herr Töpfer aber ein wackerer Kämpfer für die Sache der Ökologie ist,
({3})
ist es ihm gelungen, seinen Etat - so wird er uns morgen erzählen - in diesem Jahr von 2,2 auf 2,6 Milliarden DM zu erhöhen.
Er wird allerdings verschweigen, daß ein Drittel dieser Summe, nämlich mehr als 865 Millionen DM, für die Folgekosten der Atomindustrie draufgehen, also für ökologisch so sinnvolle Dinge ausgegeben werden wie Entsorgung, Endlagerung und Strahlenschutz.
Herr Töpfer wird auch verschweigen, daß exakt diese Summe nicht etwa neu im Haushalt ausgewiesen, sondern aus dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums in den Haushalt seines Ministeriums umgeschichtet worden ist. Bei einigermaßen redlichem Denken muß diese Summe abgezogen werden.
Was bleibt, ist ein Umweltetat von weit weniger als 1,8 Milliarden DM. Herr Töpfer hat also für seine medienwirksame Tätigkeit 400 Millionen DM weniger zur Verfügung als im letzten Jahr. Ihm stehen, wie gesagt, 600 Millionen DM weniger zur Verfügung, als die Bundeswehr verschießen darf.
Es gibt aber noch andere interessante Zahlen in diesem Haushalt. 84 % der Gesamtausgaben für die Energieforschung werden in die Atomenergie gebuttert. Seit dem Amtsantritt der Regierung Kohl ist der Etat für nichtnukleare Energieforschung von jährlich 772 Millionen DM auf 399 Millionen DM pro Jahr gesunken. Das macht doch die ganze Trostlosigkeit des umweltpolitischen Engagements dieser Regierung deutlich.
Auf der anderen Seite lesen auch die Sozialdemokraten die Ergebnisse der Meinungsumfragen und wissen deshalb, daß Ökologie ein wahlentscheidendes Thema sein wird. Also versuchen auch sie, umweltpolitischen Tatendrang zu demonstrieren - natürlich nicht in allen Fragen.
Über den Ausstieg aus der Atomenergie spricht man heute nicht mehr so gern. Das tun in der Zwischenzeit andere. Im „Spiegel" wird der Chef der Veba, von Bennigsen-Foerder, mit dem Angebot zitiert, man könne über die Stillegung von ein oder zwei alten AKWs durchaus reden; für die modernen Atomfabriken sollte aber gelten, daß diese noch mindestens 25 Jahre lang Profit abwerfen müßten.
Der saarländische Wirtschaftsminister Hoffmann, stets mutig auf der Suche nach dem Konsens mit der Industrie, deutete diese Forderung in einem Brief an seine SPD-Kollegen in den Ländern als lobenswerte Bereitschaft der Atomindustrie, über die Restnutzungszeit zu verhandeln.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts ist es mehr mit dem Ausstieg innerhalb von zehn Jahren.
({4})
- Hoffentlich ist das Quatsch.
({5})
Dafür hat die SPD jetzt die Ökosteuer entdeckt. Die Idee ist natürlich von den GRÜNEN geklaut.
({6})
Ich will gar nicht lange darüber lamentieren. Das ist schließlich nicht das erste und sicherlich nicht das letzte Plagiat.
({7})
- Aber nicht lange.
({8})
Eine andere schlechte Kopie unseres Programms ist doch die Frauenpolitik der SPD und deren halbherzige Quotenregelung. Das müssen Sie doch zugeben. Aber wir nehmen Ihnen das Abschreiben an sich überhaupt nicht übel. Wir würden ja ab und zu auch gern einmal in Ihrem Revier wildern, wenn es dort bloß etwas zu holen gäbe. Aber wir finden nichts.
({9})
Es ist allerdings das zu kritisieren, was die Sozialdemokratie aus der politischen Idee der Ökosteuer gemacht hat. Für uns war und ist die Ökosteuer immer nur ein Instrument gewesen, das zur Erreichung ökologischer Erfolge in einen umfassenden Maßnahmenkatalog eingebettet sein muß. Als Stichwörter nenne ich nur Konversion und Produktionsverbote für besonders giftige Stoffe. Bei uns ist die Steuer also ein Mittel für die Ökologie. Bei Ihnen ist es genau umgekehrt; bei Ihnen wird die Ökologie dazu benutzt, die Erhöhung der indirekten Steuern zu erreichen. Das heißt doch nichts anderes, als eine gute Idee auf den Kopf zu stellen.
({10})
Die Ökologie ist ein Politikbereich, in dem viel geredet und wenig gehandelt wird.
Es gibt andere Bereiche, in denen wird weniger geredet und dafür aber um so entschiedener gehandelt. Zu dieser zweiten Kategorie gehört die Rüstungsindustrie. Unter dem harmlosen Titel „Modernisierung" vollzieht sich zur Zeit innerhalb der NATO ein massiver Aufrüstungsprozeß. Mit neuen Atomgranaten, mit neuen Bombern und mit einem Nachfolgesystem für die Lance-Raketen soll die sogenannte Lücke, die der Abzug der Pershing-II-Raketen verursacht hat, geschlossen werden. Dieser Abzug war in den Augen der Militärs ohnehin immer nur ein verwerflicher friedenspolitischer Anschlag auf die Kampfkraft der Truppe.
392 Atombomber vom Typ F-15 sollen in den nächsten Jahren angeschafft werden. Was das soll, die Strategie, die dahintersteht, beschrieb General Altenburg unlängst mit folgenden Worten - ich zitiere -:
Weil wir nicht gewillt sind, auf unserem Territorium einen konventionellen Krieg auszukämpfen, planen wir einen Ersteinsatz,
- mit Atomwaffen der nicht das Territorium der Bundesrepublik treffen soll. Da wir in der Theorie aber nicht ausschließen können, daß die Truppen des Gegners dennoch auf unser Territorium vordringen, zieht die Allianz auch einen Zweiteinsatz in Erwägung.
Über den Dritteinsatz hat sich der General ausgeschwiegen.
Ich frage Sie: Was ist angesichts dieser Zukunftsperspektiven politisch vernünftiger als das Bestreben, möglichst schnell aus der NATO auszusteigen?
Andere Themen, über die wenig geredet wird, sind die Massenerwerbslosigkeit, insbesondere die gar nicht erst registrierte Erwerbslosigkeit von Frauen, und der neuerliche Betrug an den Frauen durch die sogenannte Rentenreform, den wir der SPD mit zu verdanken haben.
Worüber auch niemand redet, ist z. B. die Tatsache, daß die Putzfrauen, die hier im Hause saubermachen und die drüben unsere Büros putzen, ganze 10,15 DM in der Stunde bekommen, brutto, versteht sich. Die Tamilen, die im ganzen Bundesgebiet im Gaststättengewerbe arbeiten, werden mit einem noch viel kleineren Betrag abgespeist. Darüber wird nicht gern geredet.
({11})
- Dann müssen Sie besser aufpassen.
({12})
Dann müssen Sie die Drucksachen besser lesen.
Eine ganz widerliche Erscheinung ist zur Zeit das Loblied auf den Fleiß und auf die Anspruchslosigkeit der Aussiedlerinnen und Aussiedler und der Versuch, sie mit diesen aus der Not resultierenden Eigenschaften gegen die hiesigen Erwerbslosen auszuspielen.
Der flinke Herr Wissmann von der CDU hat den Ball natürlich sofort aufgegriffen und eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen für alle Arbeitsuchenden gefordert. Die Botschaft ist klar: Diejenigen, die nicht so fleißig und anspruchslos sind, sind eben selber schuld, wenn sie keine Erwerbsarbeit haben. Ich muß sagen, der Zynismus mancher Unionspolitiker verschlägt uns noch sieben Jahre nach der Wende manchmal die Sprache.
({13})
Meine Damen und Herren, ich möchte im letzten Teil meiner Rede auf die politischen Konstellationen in der Bundesrepublik eingehen.
({14})
Dazu gehört die Frage nach den politischen Gründen für die Entlassung des CDU-Generalsekretärs.
({15})
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir weinen Herrn Geißler keine Träne nach. Wir können in ihm einfach kein Opfer sehen, weil wir noch zu gut in Erinnerung haben, was er als Täter alles angerichtet hat. Ich möchte bloß an seine Behauptung erinnern, der Pazifismus sei schuld an Auschwitz. Mehr muß ich dazu gar nicht sagen.
Entlassen wurde der Generalsekretär aber aus folgendem Grund.
({16})
- Ja, ich habe es gehört. Das haben wir alle gehört. - Am Abend nach der Europawahl erklärte Franz Schönhuber,
({17})
eine CDU mit Generalsekretär Geißler sei für ihn nicht koalitionsfähig. Wir stellen fest: Zweieinhalb Monate später hat der Bundeskanzler diese Hürde aus dem Weg geräumt!
({18})
Jetzt soll niemand sagen, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun; denn zu viele Ereignisse und Fakten der letzten Zeit sprechen für diese These.
Wir sind auch keineswegs darüber beruhigt, daß sich Herr Albrecht in Niedersachsen nun doch entschlossen hat, sich von seinem Republikaner mit CDU-Parteibuch zu trennen. Uns beunruhigt vielmehr das miese Spiel, das wochenlang betrieben worden ist, um Vajen zu halten. Der eigentliche Skandal der Affäre besteht darin,
({19})
daß Vajen mit seiner Behauptung, es bestünde eine große Übereinstimmung zwischen Republikanern und CDU, recht hat, daß er mit dieser Behauptung den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
({20})
Die politische Methode, mit der die Republikaner auf Stimmenfang gehen, besteht schlicht darin, daß sie der CDU/CSU den Spiegel ihrer eigenen politischen Ideale vorhalten, um ihr anschließend vorwerfen zu können, die Wende nur versprochen, aber gar nicht durchgeführt zu haben.
({21})
CDU und CSU reden nur von der Wiedervereinigung, aber sie tun nichts dafür, sagen die Republikaner. CDU und CSU haben Recht und Ordnung versprochen, aber immer noch laufen Schwule und Lesben
frei herum, sagen die Republikaner. CDU und CSU haben versprochen, Deutschland ausländerfrei zu machen, aber es gibt immer noch viel zu viele davon, sagen die Republikaner. Wenn aber die Versprechen der Christdemokraten die stärkste Waffe der Republikaner sind, dann muß doch an diesen Versprechen etwas faul sein - oder?
({22})
Das Schlimmste an den Republikanern ist, daß die CDU/CSU ihnen nach dem Mund redet, um ihre Wählerstimmen zurückzugewinnen. Das ist das Schlimmste.
({23})
Dieses Kalkül liegt zugrunde, wenn Herr Klein die Waffen-SS in eine Truppe tapferer Vaterlandsverteidiger verwandelt. Dieses Kalkül liegt zugrunde, wenn Herr Waigel auf dem Schlesiertreffen offene Drohungen gegen Polen ausspricht,
({24})
und es liegt zugrunde, wenn Herr Schäuble die Todesstrafe über den finalen Todesschuß hinterrücks wieder einführen will.
({25})
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Herren Minister wollen mit solchen Äußerungen die Stimmen der Rechten wiedergewinnen, oder - was noch schlimmer wäre, jedoch zu vermuten ist - sie meinen es ernst.
({26})
Sicher ist angesichts dieses rechtsradikalen Säbelgerassels, daß sich in den nächsten Jahren - allem Distanzierungsgerede zum Trotz - auf den verschiedenen politischen Ebenen schwarz-braune Koalitionen etablieren werden,
({27})
es sei denn, die Wählerinnen und Wähler entscheiden anders; und diese Chance haben wir immerhin noch.
({28})
({29})
Meine Damen und Herren, Ordnung und Sicherheit können und wollen die GRÜNEN nicht versprechen. Ein grundlegender Umbau der Industriegesellschaft kann nicht ohne Streit mit der Industrie abgehen. Wir wollen eine umfassende Abrüstungspolitik. In diesem Punkt sind wir radikal; und das wird nicht ohne Streit mit der NATO abgehen. Wir wollen in der Innenpolitik mehr demokratische Freiheiten und mehr Rechte für Minderheiten. Das wird Reibungen geben, aber das wird auch eine ganz neue Perspektive eröffnen.
Der grüne Weg ist notwendigerweise ein Weg mit Unsicherheiten. Ich denke aber, angesichts der bedrohlichen Sicherheit, welche die Regierung verspricht, ist das allemal der bessere Weg.
({30})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im siebten Jahr des wirtschaftlichen Aufschwungs stellt sich die Lage in der Bundesrepublik Deutschland so günstig dar wie lange nicht mehr.
({0})
Die Produktionskapazitäten sind in den meisten Wirtschaftszweigen gut bis sehr gut ausgelastet. Umfragen unter den Unternehmen zeigen, daß diese gute Auftragslage zu Erweiterungsinvestitionen ermuntert und daher auch die Zukunftserwartungen für das nächste Jahr positiv sind.
Der kräftige Aufschwung hat auch auf dem Arbeitsmarkt Wirkung gezeigt und Entlastung herbeigeführt. Die Kurzarbeit hat drastisch abgenommen. Die Zahl der offenen Stellen ist erheblich angestiegen. Das wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen, wie auch die heutigen Zahlen wieder beweisen.
Durch die von der Bundesregierung eingeleitete und durchgehaltene finanzpolitische Neuorientierung hat sich die Lage der Staatsfinanzen nachhaltig verbessert. Damit konnte ein entscheidender Beitrag zur Wiedergewinnung eines stabilen Wirtschaftswachstums geleistet werden.
Mit der Verwirklichung der Steuerreform in ihrer dritten Stufe werden wir die volkswirtschaftliche Steuerlastquote auf 22,5 % zurückführen. Das ist die niedrigste Steuerlastquote seit 1960. Diese Steuerreform wird gerade auch Beziehern niedriger Einkommen zugute kommen.
Das sind Erfolge, die niemand leugnen kann, der bei klarem Verstand ist.
({1})
Das ist ja auch der Grund, weshalb wir heute früh in der Rede von Herrn Kollegen Vogel zu diesen Fragen nichts gehört haben, weil das die Erfolge unserer Politik sind. Ich habe Verständnis dafür, daß dazu nichts gesagt worden ist.
Sie haben den Zustand unserer Republik beklagt. Herr Kollege Vogel, es ist richtig, daß manches in unserer Republik beklagenswert ist. Am beklagenswertesten ist, daß von vielen eine Stimmung verbreitet wird, als wäre dies ein mieser Staat, während es ein Staat ist, der in der gesamten Welt wegen seiner hervorragenden Leistungen anerkannt ist.
({2})
Wer diese Miesmacherei betreibt, darf sich nicht wundern, wenn dann manche Wähler in radikale GrupMischnick
pierungen ausweichen, weil sie diese Miesmacherei glauben.
({3})
Ich habe manchmal den Eindruck, daß einige meinen, das, was 1976 in der Sonthofener Rede damals von Strauß gemacht worden ist, nun nachahmen zu sollen. Man erinnere sich daran, wie man dies damals mit Recht kritisiert hat, und hüte sich davor, jetzt in gleiche Fehler zu verfallen; denn das wäre nicht zum Nutzen von uns allen und unserer Demokratie, die sich in diesen 40 Jahren doch stabilisiert hat.
({4})
Das schließt nicht aus, daß wir sehen müssen, wo noch Reformen erforderlich sind. Wenn wir die Gesundheitsreform durchgesetzt haben und wenn die Rentenreform vor der Tür steht, dann geschieht das ja, um Mängel, die erkannt worden sind, zu beseitigen und Voraussetzungen für neue Maßnahmen zu schaffen, damit wir die Weiterentwicklung gerade in diesem sozialen System absichern, und zwar nicht nur für die heute Lebenden, sondern auch für die nächste Generation.
({5})
Diese Innovation haben wir als Koalition vorgenommen; das können Sie nicht leugnen.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nicht die Zeit, all das darzulegen, was wir in den verschiedensten Bereichen an Positivem erreicht haben; das werden wir in den Diskussionen zu den Fachgebieten noch hören.
Eines möchte ich allerdings deutlich sagen: Wenn mit Recht beklagt wird, daß sich radikale Gruppierungen breitmachen, dann sollten wir alle uns angewöhnen, uns sachlich damit auseinanderzusetzen. Drohungen mit einem Verbot oder andere Maßnahmen helfen nicht weiter; denn die Wähler, die da guten Glaubens nachlaufen und nicht etwa überzeugte Anhänger dieser radikalen Gruppierungen sind, kann man nur gewinnen, indem man den Ausgangspunkt ihres falschen Weges erläutert, klarstellt und das durch die praktische Politik abstellt, nicht aber dadurch, daß man sie nur polemisch bekämpft.
({6})
Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für ein Problem, das wir in diesen Tagen - - ({7})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir kennen uns schon sehr lange. Sie wissen sehr genau, daß ich das, was ich für richtig halte, ausspreche, aber dabei nie unmittelbar die eine oder den anderen ansehe. Was die finanzpolitischen Überlegungen von gestern angeht, so könnte ich dazu heute noch sehr viel sagen.
({8})
Ich denke z. B. an die Frage der Kraftfahrzeugsteuer. Das wird von uns seit 15, 20 Jahren vertreten. Wir freuen uns darüber, daß wir dafür heute Unterstützung in allen Reihen bekommen.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Ich will ihn herausgreifen, auch wenn er nicht so groß erscheint. In vielen Diskussionen ist immer wieder gesagt worden: Wir alle müssen bereit sein, den Menschen, die zu uns kommen, zu helfen. Wir brauchen Wohnungsbau. Bund, stelle Mittel zur Verfügung! - Dies tun wir. Sind aber alle von uns, die kommunalpolitisch tätig sind, bereit, bei ihren Gemeinden und Städten dafür zu sorgen, daß nicht durch bürokratische Hemmnisse die Bereitschaft zum Wohnungsbau eingeschränkt wird und daß es nicht über Wochen und Wochen dauert, bis die Genehmigung, neue Wohnungen zu bauen, erteilt wird?
({9})
Wo ist denn diese Bereitschaft, wenn man da plötzlich anfängt, Hürden aufzubauen? Hier wird die Solidarität beschworen, aber da, wo man mitentscheiden kann, wo an Ort und Stelle die Voraussetzungen geschaffen werden, werden Hemmschuhe eingebaut. Das gilt für alle Seiten. Das ist keine parteipolitisch festgelegte Problematik, sondern draußen leider überall festzustellen.
Ich will mich in meinem Beitrag hier in erster Linie mit dem auseinandersetzen, was wir in diesen Wochen erleben, zu dem wir aus gutem Anlaß auch vor wenigen Tagen Stellung genommen haben.
Meine Damen und Herren, der Flüchtlingsstrom, der Strom der Aussiedler zeigt deutlich, daß die Nachkriegszeit, formal gesehen, zwar zu Ende ist, daß es aber durch die Kriegsereignisse noch eine Unmenge menschlicher Probleme gibt, die bis heute nicht gelöst werden konnten, die jetzt teilweise gelöst werden. Das heißt: Wenn wir mit Recht immer gesagt haben, wir fühlten uns insgesamt verantwortlich, dann gilt die Verantwortung allerdings nicht nur für diejenigen, die kommen, die unserer Hilfe bedürfen, nicht nur für diejenigen, die heute in Vertretungen, in Botschaften sitzen, nicht nur für diejenigen, die in Feldlagern sind und deren Schicksal noch nicht ganz klar ist, sondern es gilt auch für diejenigen, die da, wo sie heute leben, auf Dauer bleiben wollen.
({10})
Das heißt, wir müssen eine umfassende Politik betreiben.
Wenn ich mir so manche Kommentare angehört und gelesen habe, dann hatte ich das Gefühl, daß das vordergründige Auseinandersetzen mit dem menschlichen Schicksal - was notwendig war - den Blick für die Millionen getrübt hat, die eine andere Entscheidung getroffen haben, wahrscheinlich auf Dauer treffen werden. Was bedeutet das für uns? Daß wir in der
praktischen Politik immer daran denken müssen, bei dieser Gratwanderung, die das unzweifelhaft ist, nicht aus dem Auge zu verlieren, daß wir auch mit denjenigen, die eine Politik, betreiben, die wir für falsch halten, im Gespräch bleiben müssen, um für die Menschen, die in diesen Ländern leben und bleiben wollen, das Optimale, soweit es in unseren Kräften steht, zu erreichen.
({11})
Deshalb, meine Damen und Herren, bei allem Verständnis dafür, daß man sich um Maßnahmen, Gespräche, Vereinbarungen im einzelnen streitet, vergessen wir nie dabei: Wir alle zusammen haben eine Verantwortung als ein Volk, das mitten in Europa, innerhalb unserer Europäischen Gemeinschaft lebt, aber darüber hinaus eine Verantwortung für all die Schicksale hat, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können.
Ich habe mich sehr gefreut, daß in diesen Wochen, in diesen Tagen die Bereitschaft, mit Polen enge Beziehungen auszubauen, so breit geworden ist. Das ist erfreulich. Ich kann mich allerdings noch genau entsinnen - ich greife selten auf persönliche Erlebnisse zurück - , als ich vor 30 Jahren mit einer Delegation des Bundestages bei der Interparlamentarischen Union in Warschau war, welch schwierige Aufgabe wir hatten, dort ohne diplomatische Vertretung deutlich zu machen, daß wir Deutschen bereit sind, auch mit Polen einen Weg zu gehen, wie wir ihn mit Frankreich damals schon bereit waren zu gehen. Ich entsinne mich noch sehr genau, wie wir empfangen wurden: kritisch; ich selber wurde als Militarist, Faschist, Kapitalist bezeichnet. Als mich der begrüßende, später in hohen Funktionen tätige Begleiter fragte, wie mit das gefällt, habe ich ihm das alles gesagt und hinzugefügt: Ich bin trotzdem hier. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sage das deshalb, weil wir uns hüten müssen, daß bei unseren jungen Menschen der Eindruck entsteht, wir hätten die Beziehungen zu Polen erst in den letzten zwei, drei Jahren entdeckt.
({12})
Das ist eine Aufgabe, der wir uns über lange Jahre gestellt haben und bei der wir uns bemüht haben, die Dinge weiterzuentwickeln. Wir sind froh darüber, daß vieles von diesen Initiativen Wirkung hat, daß die Umgestaltung im Gange ist.
Dasselbe gilt für Ungarn. Meine Damen und Herren, ich verhehle nicht, daß ich in den letzten Tagen mehrfach erschrocken darüber war, wie Politiker aus der Bundesrepublik Deutschland, Kollegen, glaubten Gepräche mit führenden Persönlichkeiten in Ungarn auf dem offenen Markt darstellen zu müssen, statt das, was in diesen Gesprächen gesagt worden ist, als eine Hoffnung mitzunehmen und es denen, die sich in ihren Bündnissystemen in eine schwierige Position begeben haben, nicht so schwer zu machen, humanitäre Entscheidungen zu treffen. Schweigen ist in diesen Situationen mehr wert als Reden.
({13})
Nur wer sich selbst - das geht quer durch alle Fraktionen, das ist keine Frage, die auf die eine oder andere Partei beschränkt ist, über viele Jahre bemüht hat, solche menschlichen Erleichterungen umzusetzen, weiß, daß gerade mit Regimen, die diktatorisch ausgerichtet sind, und gerade gegenüber den Ländern, in denen eine Entwicklung zur Pluralität im Gange ist, eine besondere Feinfühligkeit, aber auch Unterstützung, die wir für richtig und wichtig halten, erforderlich sind.
Wir können heute gegenüber Ungarn und Österreichern nur mit Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, was sie an stiller menschlicher Hilfe geleistet haben und was hier an offizieller Hilfe geleistet worden ist. Das zeigt, daß der Weg, den man dort geht, eben nicht nur Pluralität nach innen bedeutet, sondern daß man sich auch der humanitären Verpflichtungen nach außen voll bewußt ist.
({14})
Das heißt aber auch, meine Damen und Herren, daß wir uns bewußt sein müssen, daß wir das, was wir im Dialog, was wir im Gespräch erreichen - das gilt für Polen genauso wie für Ungarn; das gilt in einem anderen Sinne auch für die Sowjetunion - , bei unseren Entscheidungen, wie wir diese Prozesse unterstützen können, immer berücksichtigen müssen,
({15})
und daß wir nicht anfangen, dann kleinlich zu feilschen, sondern zu sehen, welch gewichtige Aufgabe zu helfen für uns besteht, daß die Überwindung dessen, was dort als falsch erkannt worden ist, mit unserer Hilfe möglich wird.
({16})
Das bedeutet für mich, daß ich hoffe, daß die Reise des Bundeskanzlers nach Polen bald möglich wird.
({17})
Ich füge aber ausdrücklich hinzu: Voraussetzung ist, daß diese Reise so abgeklärt ist, daß das Ergebnis für beide - Polen und Bundesrepublik Deutschland - positiv in die Zukunft wirkt und dann nicht etwa nur eine verbale Erklärung bleibt.
({18})
Gut vorbereitet ist besser, als schnell und ohne Ergebnis gereist zu sein. Das sage ich dazu genauso offen.
({19})
Daß ich es begrüßt hätte, wenn man in der Entwicklung so weit gewesen wäre, das schon bis zum 1. September alles abzuwickeln, daran ist kein Zweifel.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur DDR machen. Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben nicht nur zu den anderen WarschauerPakt-Staaten, sondern auch zur DDR über die Jahrzehnte hinweg unsere Bindungen gehalten. Wir haben mit allen Gruppierungen, die mit uns sprechen wollten, gesprochen. Wir haben die Möglichkeiten genutzt, da, wo es zu machen war, Einfluß zu nehmen.
Wir haben allerdings auch nie vergessen, daß die Entscheidungen nicht wir, sondern daß andere sie treffen und daß unsere Argumentation so stark sein muß, daß sie in ihre Entscheidungen möglichst einfließt.
Heute stellen wir fest, daß innerhalb der DDR die Unbeweglichkeit leider noch in einer Weise vorhanden ist, die sie selbst in die Situation bringt, wo sie anderen vorwirft, sie hätten sie herbeigeführt. Dabei wissen wir sehr genau, daß auch für die DDR Entwicklungen zur Pluralität natürlich zusätzliche Probleme gegenüber Staaten wie Polen und Ungarn bringen. Dies befreit uns nicht von der Notwendigkeit, ihnen immer wieder klarzumachen: Auf Dauer genügt es nicht, den Lebensstandard zu verbessern, sondern die Menschen wollen darüber hinaus selber über ihr Leben und ihr Schicksal entscheiden können und nicht vom Staat vorgeschrieben bekommen, wie sie zu leben haben.
({20})
Das ist der Schlüssel für die Lösung des Gesamtproblems.
Daß es vielen, die sich über Jahre, Jahrzehnte daran gewöhnt haben, in einer Form zu regieren, die mit unseren Vorstellungen von Demokratie nichts gemein hat, schwerfällt, dies zu verändern, wissen wir. Aber auch hier müssen wir beharrlich unsere Möglichkeiten nutzen, dies öffentlich darstellen, aber auch im internen Gespräch versuchen, zu erreichen, daß man Schritt für Schritt weiterkommt, so mühselig dies ist.
Das heißt, alle Gruppierungen, die sich heute in der DDR bemühen, Entwicklungen wie in Ungarn, wie in Polen voranzubringen, verdienen unsere Aufmerksamkeit und unsere Hilfe, aber nicht um etwa innenpolitisch hier bei uns irgendwelche Vorteile daraus zu ziehen, sondern um ihnen drüben die Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({21})
Wir wissen doch aus unserer eigenen bitteren Erfahrung, wie schwer es ist, in einem System dieser Art von innen her wirken zu können. Deshalb ist die entsprechende Vorsicht geboten.
Ich habe hier bewußt einige wenige Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Es gäbe bei einer Bilanz sehr viel zu sagen. Aber bei einer Zuteilung von knapp 20 Minuten für die Debatte kann man nicht auf alles eingehen. Lassen Sie mich zum Schluß aber dies feststellen: Der Wähler hat 1987 diese Koalition beauftragt, eine Regierung zu bilden, Politik zu machen. Trotz aller Unkenrufe, trotz vieler Punkte, wo wir unterschiedlicher Meinung waren, ist es uns gelungen, Daten und Fakten zu setzen und viele Dinge umzusetzen, die man nicht für möglich hielt und die sich für die Menschen doch positiv auswirken, weil wir es verstanden haben, zu dem Ausgleich untereinander und zu der Kompromißfähigkeit zu kommen, die in einer Demokratie notwendig sind.
({22})
Machen wir nicht den Fehler, in der Öffentlichkeit Kompromißfähigkeit als Konturlosigkeit hinzustellen,
sondern seien wir bereit, den Wert der Demokratie gerade darin zu erkennen, daß man in dem Kompromiß, der nach vorn weist, die einzige Möglichkeit hat, auf Dauer die Aufgaben, die vor uns liegen, und die Reformen, die notwendig sind, auch im Interesse der Bürger umzusetzen.
Dazu werden wir Freien Demokraten stehen.
({23})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einbringung des Etats für das kommende Haushaltsjahr ist traditionell Gelegenheit, auf der einen Seite Rechenschaft abzulegen, auf der anderen Seite Kritik vorzutragen. Das entspricht einem wesentlichen Auftrag des Parlaments. Es ist gut, wenn das, was zu sagen ist - und zwar von allen Seiten - , in großer Offenheit und mit einer gewissen, in der Leidenschaft der Debatte durchaus verständlichen Härte gesagt wird. Das Parlament ist der zentrale Ort der politischen Auseinandersetzung. Das ist gut so.
Wir haben dieser Tage in einer nachdenklichen Stunde auf ein zentrales Ereignis der deutschen und der Weltgeschichte, den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 50 Jahren, zurückgeblickt. Eine der Lehren, die wir daraus gezogen haben, ist die Erkenntnis, daß die parlamentarische Demokratie die einzige wirklich freiheitliche Staatsform ist. Zur parlamentarischen Demokratie gehört stets auch die Auseinandersetzung um den besten Weg für unser eigenes Volk und um den Beitrag, den wir in der Welt zu leisten haben.
Der Abgeordnete Vogel hat mir - sozusagen als Kollege im Amt des Parteivorsitzenden - einige Ratschläge gegeben. Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen zu, daß wir alle Grund haben, die Entwicklung der Parteienlandschaft bei uns in der Bundesrepublik Deutschland - wenn ich es recht sehe, betrifft dieses Problem auch andere freiheitliche Demokratien auf unserem Kontinent - sehr sorgfältig zu beobachten. Keine der großen demokratischen Parteien, die in einer bedeutenden Tradition stehen, darf so selbstgefällig sein, sich in einer solchen Zeit des Wandels nicht immer wieder selbstkritisch zu fragen: Sind wir in unserer Partei, sind wir in unserer politischen Gemeinschaft auf dem richtigen Weg? Ich lehne es ab, dabei von „Altparteien" zu reden, wie es ja inzwischen zu einer gängigen Ausdrucksweise in der Bundesrepublik geworden ist.
({0})
Diese sogenannten Altparteien - dieses Wort ist ja diffamierend gemeint - haben 40 Jahre Frieden und Freiheit in unserer Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, jede für sich und an ihrem Platz.
({1})
Aber die Väter und Mütter unserer Verfassung und die, die später im Lauf der Zeit die Wahlgesetze schu11740
fen und auch veränderten, haben beispielsweise die 5-%-Klausel nie als eine Festung begriffen, die nicht eingenommen werden kann. Ihre Position war bestimmt von den Erfahrungen der Geschichte, nicht zuletzt der Weimarer Zeit.
Wir als Union - CDU und CSU - tragen in der 40jährigen Geschichte unserer Republik insgesamt 27 Jahre Regierungsverantwortung. Wir haben in diesen 27 Jahren Wesentliches und Entscheidendes für unseren Staat tun können. Wir haben großartige Beiträge geleistet, und wir haben auch Fehler gemacht.
Da Sie ja auch selbst, Herr Abgeordneter Vogel, viele Jahre in der Regierungsverantwortung standen, wissen Sie, daß beides dazugehört - Erfolge und Fehler.
Wir haben Wahlsiege gefeiert und Wahlniederlagen hinnehmen müssen. Es ist doch ganz natürlich, daß sich eine demokratische Partei mit einer so großen Tradition und einer so beachtlichen Verantwortung für das Ganze überlegt, wie ihr Weg in die Zukunft aussieht.
Herr Kollege Vogel, ich brauche dabei keinen Nachhilfeunterricht als Parteivorsitzender. Wenn Sie einmal 16 Jahre die Sozialdemokratie geführt haben werden - so wie ich mittlerweile die CDU - , werden wir uns viel leichter verständigen können. Ihnen stehen noch viele Erfahrungen - und sicherlich auch Enttäuschungen - ins Haus, die ich bereits hinter mich gebracht habe.
({2})
Herr Kollege Vogel, wenn Willy Brandt hier wäre oder Franz Josef Strauß es sein könnte - ({3})
- Ich versuche jetzt einmal, auf die nachdenkliche Tonart einzugehen, die Herr Vogel angeschlagen hat. Aber Ihr ganzer Beitrag dazu besteht darin, die Sache irgendwie lächerlich zu machen.
({4})
Das können Sie machen. Ich fahre in dem Ton fort, den ich für richtig halte.
({5})
Ich sage noch einmal: Wenn Willy Brandt hier wäre oder wenn Franz Josef Strauß noch hier sein könnte - sie würden beide bestätigen, was ich eben gesagt habe.
Also, ich nehme gern Ihre Anteilnahme an der Entwicklung der CDU/CSU entgegen, aber seien Sie unbesorgt: Auch das, was in unserer Partei gelegentlich geschehen mag und geschieht, wird diese großartige Volkspartei, die - aus unserer Sicht - große Kraft der demokratischen Politik in Deutschland, nicht kaputtmachen können. Das war doch das, was Sie hier eingewandt haben.
({6})
Zum zweiten: Herr Abgeordneter Vogel, wir sind in der Koalition einen schwierigen Weg gegangen, weil wir in den vergangenen Jahren vieles tun mußten, was Sie nicht getan haben, als es geboten war. Daraus ergaben sich für uns - ich komme noch darauf zu
sprechen - notwendigerweise große Probleme. Zum Teil hatten die Wahlniederlagen, die wir erleben mußten, ihren Grund auch darin.
Nur, Herr Abgeordneter Vogel: Wenn Sie über die Veränderung der parteipolitischen Landschaft reden, dann müssen Sie eben auch auf die sehr bemerkenswerte Entwicklung hinweisen, daß Sie bei Wahlen praktisch nichts dazugewonnen haben.
({7})
- Entschuldigung, Sie wissen doch so gut wie ich, daß Sie bundesweit nichts dazu gewonnen haben. Wir haben doch vor einigen Wochen - nach der Europawahl - nebeneinandergesessen, und Ihr Gesicht sprach Bände.
({8}) Darüber brauchen wir wirklich nicht zu reden.
Die Frage, die uns gemeinsam interessieren muß, lautet, ob die normale demokratische Balance zwischen Regierung und Opposition - aus welchen Gründen auch immer - gestört ist. Darüber müssen wir nachdenken. Wir tun das für unsere Seite.
Wir haben daraus für uns einen eindeutigen Schluß gezogen, den ich bei Ihnen völlig vermisse.
({9})
Mein Freund Volker Rühe hat schon davon gesprochen.
({10})
- Ich würde an Ihrer Stelle die Republikaner nicht in den Mund nehmen. Sie haben in Ihrer Partei darüber nachgedacht, wie man die Republikaner fördern kann, um die Union zu schädigen. Das ist doch die Wahrheit.
({11})
Wenn Sie von den Radikalen reden: Sie von der SPD haben sich doch nicht abgegrenzt. Herr Parteivorsitzender Vogel, was sagen Sie denn eigentlich dazu, daß der SPD-Landesvorsitzende in Hessen sich vor ein paar Tagen weigerte, klar und deutlich gegen die Zusammenarbeit mit Kommunisten einzutreten? Was ist eigentlich aus der deutschen Sozialdemokratie geworden?
({12})
Die Position der Union ist eindeutig: Wir lehnen jede Zusammenarbeit und jede Koalition mit den Radikalen von rechts und links ab. Wir haben unser Erbe nicht aufgegeben. Eine Zusammenarbeit mit Kommunisten, eine Zusammenarbeit mit den GRÜNEN, eine Zusammenarbeit mit den Republikanern oder der NPD kommt für uns nicht in Frage.
({13})
Wer die Entwicklung der politischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten zwölf Monaten verfolgt hat, der weiß doch, daß DIE GRÜNEN heute einen ungleich größeren Einfluß auf die SPD-Programmatik haben als je zuvor. Das ist doch wahr!
Wenn Sie die Reden der Damen und Herren Abgeordneten aus dem Lager der GRÜNEN hier am Pult verfolgen, erkennen Sie: Das ist eine einzige Aufforderung - eine, wie ich zugebe, unerbetene Ermahnung an Sie - , sich noch weiter in eine bestimmte Richtung zu bewegen.
Herr Abgeordneter Vogel, ob Sie es glauben oder nicht - Sie mögen ja die Illusion haben, es sei anders - : Damit geraten Sie auf einen Weg, an dessen Ende eine existentielle Veränderung der Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland stehen würde. Darüber werden wir uns mit Ihnen öffentlich auseinandersetzen.
({14})
Deswegen warten Sie getrost unseren Parteitag ab, warten Sie auch getrost die weitere Entwicklung ab. Wir haben genug Gelegenheit, uns in den vor uns liegenden 15 Monaten in Wahlkämpfen auseinanderzusetzen.
({15})
- Ich kann Ihnen dazu nur folgendes sagen: Das, was der Kollege Albrecht tut, zeigt jedem, daß er aus unseren Beschlüssen klar und eindeutig die Konsequenzen gezogen hat.
({16})
- Herr Abgeordneter Vogel, die Forderung nach Neuwahlen - das nehme ich Ihnen wirklich nicht übel - ist die normale Reaktion einer Opposition. Ich selbst habe das im alten Plenarsaal drüben oft genug gefordert - und ich weiß, wie wenig sinnvoll so etwas im Ergebnis ist. So ergeht es heute Ihnen.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle
- das ist in dieser Debatte deutlich geworden - sind in diesen Tagen durch die Bilder aus Ungarn aufgewühlt, wo Tausende unserer Landsleute aus der DDR versuchen, den Absprung in die Freiheit, in den Westen, zu finden. Einige unserer Landsleute befinden sich in unserer Vertretung in Ost-Berlin und in unserer Botschaft in Prag. Viele von ihnen sprechen offen aus, warum sie der DDR den Rücken kehren. Es ist der Wunsch nach persönlicher Meinungs- und Bewegungsfreiheit; es ist der verständliche Wunsch nach besseren Lebensbedingungen.
Ich wende mich mit großer Entschiedenheit gegen jene Stammtischparolen, die auch in der Bundesrepublik umgehen und die besagen: Die kommen ja nur, weil es ihnen hier wirtschaftlich bessergeht. Meine Damen und Herren, diese Landsleute haben ein Recht darauf, daß sie einen Lebensstandard erarbeiten können, der dem unseren entspricht. Das gehört zu unserer Vorstellung von Freiheit.
({18})
Es ist ganz selbstverständlich, daß jeder, der aus der DDR zu uns kommt, bei uns als Deutscher auf genommen wird. Wir weisen niemanden zurück. Jeder Deutsche aus der DDR hat alle Rechte und Pflichten, die sich aus dem Grundgesetz und aus unserer Rechtsordnung ergeben. Daran wird sich nach unserem Wunsch auch in Zukunft nichts ändern.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hatten eben in der Diskussion auf den Hinweis des Kollegen Rühe hin gefragt, wer denn aus Ihren Reihen zum Thema Staatsbürgerrecht solche Äußerungen getan habe. Ich verstehe die Zwischenfrage nicht, Herr Schmude. Die Dokumente sind eindeutig. Herr Lafontaine hat im November 1985 gesagt - ich zitiere ihn wörtlich - :
Wenn man tatsächlich einen normalen Reiseverkehr will, dann muß man irgendwann in der Frage der Staatsbürgerschaft so entscheiden müssen, daß man eben die Staatsbürgerschaft anerkennt.
Ich könnte Ihnen noch andere Belegstellen, beispielsweise von Herrn Momper und anderen, nennen. Meine Damen und Herren, es ist doch einfach die Wahrheit, daß Sie jahrelang im Blick auf die Geraer Forderungen zumindest so getan und mir persönlich auch entsprechende Vorhaltungen gemacht haben, daß wir in dieser Frage der DDR weiter entgegenkommen müßten. Das war doch immer wieder zu hören und zu lesen.
({19})
- Sie haben uns doch angeraten, das zu tun. Lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Reden nach! Ich sage Ihnen ganz einfach: Wären wir Ihnen gefolgt, dann hätten wir heute in dieser Frage eine ganz ungute Situation.
({20})
Herr Abgeordneter Schmude, weil sie gleich nach mir sprechen, einfach die Frage: Was denken Sie eigentlich in dieser Situation - angesichts der Bilder aus Ungarn, angesichts der Gesprächserfahrungen, die Sie doch auch machen - über den Vorschlag - der doch nicht zuletzt von Ihnen immer wieder kam - , die Präambel unseres Grundgesetzes zu ändern?
({21})
Wer gibt uns eigentlich das Recht, so etwas zu sagen, wenn im gleichen Zeitpunkt Zehntausende unserer Landsleute aus der DDR den Weg in die Bundesrepublik suchen, wenn wir die Bilder aus Leipzig nach einem Gottesdienst sehen, wo gerufen wird „Wir wollen hier raus"?
Das ist doch eine Abstimmung mit den Füßen. Ich sage das auch vor dem Forum der Weltöffentlichkeit. Es gibt doch niemanden in der Bundesrepublik, der Propaganda betreibt, damit möglichst viele von drüben hierherkommen. Das ist doch nicht unsere Politik
- und darf es auch gar nicht sein. Nein, es ist eine Reaktion von vielen Menschen - wie viele es sind, wissen wir gar nicht -, die sich verbittert - und in vielen Fällen auch deprimiert - sagen: Überall bewegt sich etwas - nur bei uns nicht.
Diese Leute zum Beispiel in Leipzig sehen im Fernsehen die Bilder aus Ungarn: die Rehabilitierung des
damals hingerichteten Ministerpräsidenten Nagy. Jetzt gilt das als Justizmord - was es natürlich schon immer war. Sie sehen die Bilder aus Polen: die Wahl eines Nichtkommunisten zum Ministerpräsidenten. Sie sehen die Bilder aus dem Baltikum. Sie hören von den Diskussionen über den Hitler-Stalin-Pakt. Es ist doch nur zu verständlich, daß sich die Menschen in einer solchen Situation sagen: Es kann doch nicht angehen, daß solche Entwicklungen an uns vorübergehen. Sie fordern ihr Recht, und wir stehen dazu, daß wir das Notwendige tun, um ihnen zu helfen.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich getäuscht; denn in so vielen Gesprächen und Verhandlungen mit den führenden Leuten drüben in der DDR, in Ihren gemeinsamen Kommissionssitzungen haben Sie eben den Willen unserer Landsleute in der DDR zur Freiheit unterschätzt. Die wollen nicht derlei Kooperation; sie wollen ein Stück mehr Freiheit haben.
({22})
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie selber spüren doch, daß Sie von der deutschen Wirklichkeit eingeholt worden sind, daß die Dinge anders laufen. Es ist doch bei Ihnen immer wieder gefragt worden, ob es nicht altmodisch sei, geradezu erzkonservativ, von Deutschland zu reden. „Einigkeit und Recht und Freiheit" - das ist doch alles oft genug abwertend klassifiziert und entsprechend karikiert worden. Ihre Wunschpartner, DIE GRÜNEN, haben das ja am Freitag der vergangenen Woche - lesen Sie die Rede des Sprechers der GRÜNEN nach - noch einmal deutlich werden lassen.
Ich sage Ihnen klipp und klar - ich tue das namens der Koalition aus FDP, CDU und CSU, aber lassen Sie mich das auch als Parteivorsitzender der CDU sagen - : Wir werden unseren deutschlandpolitischen Kurs unbeirrt fortsetzen, weil er den Menschen dient, nicht irgendeiner Ideologie.
({23})
Wir werden ungeachtet irgendwelcher demoskopischen Daten alles tun, um die Eingliederung unserer Landsleute hier bestmöglich voranzubringen, um das Leben für sie zu erleichtern.
({24})
Wenn wir das sagen, heißt das: Wir respektieren die Entscheidung jedes einzelnen. Ich bitte sehr, daß hier kein Mißverständnis entsteht. Wenn ich sage, wir respektieren die Entscheidung jedes einzelnen, dann heißt das auch - das muß ebenfalls ausgesprochen werden - : Es kann nicht das Ziel einer vernünftigen Deutschlandpolitik sein, möglichst viele aus der DDR aufzufordern, hierherzukommen.
({25})
Die Probleme der DDR sind nicht hier in Bonn zu lösen; sie müssen in der DDR gelöst werden, in Leipzig, in Dresden und anderswo.
({26})
Bei allem, was wir tun, haben wir eine besondere Verpflichtung gegenüber jenen, die aus Gründen, die
ich selbstverständlich respektiere, drüben bleiben wollen, mit ihren Kindern und mit ihrer Familie - die aber natürlich auch auf ein besseres Leben drüben in der DDR hoffen. Sie wollen eine Zukunft in persönlicher Freiheit und mit einem gerechten Anteil am Erfolg ihrer Arbeit. Das ist nicht von politischer Selbstbestimmung zu trennen. Die Diskussion um Perestroika, die Diskussion um Öffnung und Veränderung der Gesellschaft in der Sowjetunion, hat deutlich gemacht, daß eine Verbesserung der ökonomischen Situation ohne eine gleichzeitige Verbesserung im Bereich der Freiheitsrechte einfach nicht denkbar ist. Es ist eine blanke Illusion, zu glauben, man könne das eine vom anderen trennen.
({27})
Deswegen hoffe ich - wir wollen alles tun, was wir dazu beitragen können - , daß sich ein solcher Prozeß einer Öffnung und zum Wohle unserer Landsleute in der DDR vollzieht. Das muß ein Axiom unserer Politik bleiben.
Die Bundesregierung ist ebenso entschlossen, in ihrer bisherigen Politik der praktischen Zusammenarbeit mit der DDR im Interesse der Menschen auf beiden Seiten fortzufahren.
Ich höre gelegentlich Stimmen, die jetzt nach Sanktionen rufen. Ich werde nichts tun - ich sage dies mit Bedacht -, was das Schicksal der Betroffenen drüben in der DDR verschlechtert.
({28})
Was wir heute - trotz der bedrückenden Situation in der DDR - für den Umweltschutz tun, hilft den Menschen in der DDR.
({29})
Was wir zur Verbesserung der Verkehrssituation tun, hilft den Menschen drüben. Unser Interesse muß sein - das war von Anbeginn das Ziel meiner Politik als Regierungschef - , den Menschen in Deutschland zu helfen. Wir versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten alles, um die DDR in die Lage zu versetzen, diesen Weg der Öffnung endlich zu beschreiten.
Meine Damen und Herren, das was im Zusammenhang mit der DDR zu sagen ist, bringt uns zu dem Thema Ungarn und zu den Bildern, die gegenwärtig aus Ungarn kommen. Ich glaube, es wäre gut, wenn von allen Seiten des Hohen Hauses deutlich gemacht würde, wie sehr wir - Bundesregierung und Bundestag - die Hilfe und die Unterstützung, die wir von dort erfahren, zu schätzen wissen.
({30})
Meine Damen und Herren, es steht außer Frage, daß wir ohne dieses Entgegenkommen in den letzten Wochen ungleich größere Schwierigkeiten - und die Schwierigkeiten sind groß genug - gehabt hätten.
Wenn man sich vorstellt - ich will es nur andeuten; Sie alle wissen das - , welch eine Gratwanderung dies für den ungarischen Ministerpräsidenten, für den ungarischen Außenminister und für die ungarische Regierung bedeutet - gerade auch angesichts des Reformprozesses in Ungarn: denken Sie nur an den
bevorstehenden Parteitag - dann kann ich nur sagen: Wir wollen ihnen herzlich dafür danken, daß sie uns und unseren Landsleuten dabei geholfen haben.
({31})
Das gilt auch für alle anderen Stellen, die hier angesprochen werden müssen: für das Internationale Rote Kreuz und nicht zuletzt auch für unsere österreichischen Nachbarn.
({32})
Ich finde es großartig, was die Wiener Regierung, aber auch viele einzelne im Burgenland aus privater Initiative heraus getan haben.
({33})
Meine Damen und Herren, ich will es nur noch mit einem Satz erwähnen: Die Entwicklung der letzten Wochen hat deutlich gemacht, daß die deutsche Frage auf der Tagesordnung der Weltpolitik geblieben ist, daß sie eben nicht auf die Müllkippe der Geschichte kam, daß der Wille der Deutschen zur Einheit in Freiheit ungebrochen ist.
Was die Lösung der deutschen Frage angeht, so sind nicht die Deutschen allein gefordert. In dem vor uns liegenden Zeitraum werden sich viele ihre Überlegungen machen müssen, nicht zuletzt auch die Verantwortlichen auf seiten der drei Westmächte, die ich hier ganz bewußt anspreche. Das Verhältnis der beiden Staaten in Deutschland zueinander ist ein wesentliches Element der Stabilität in Europa. Angesichts mancher Stimmen kann ich nur warnend sagen: Wer diese Stabilität gefährdet, muß wissen, welche Folgen dies für alle Beteiligten hätte.
In der gemeinsamen Erklärung, die Generalsekretär Gorbatschow und ich im Juni hier in Bonn unterzeichnet haben, sprachen wir - ich zitiere - „von der vorrangigen Aufgabe" unserer Politik, „zur Überwindung der Trennung Europas beizutragen" . Die Lage heute zeigt die Dringlichkeit dieser Aufgabe. Wir werden in diesem Sinne unsere Beziehungen konsequent weiter pflegen, wir werden die Beziehungen zu unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn, wo immer möglich, ausbauen. Dabei steht für uns das Verhältnis zur Sowjetunion im Mittelpunkt der Bemühungen.
Für alle Staaten des Warschauer Pakts gilt: Je entschlossener diese Staaten den Weg der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen gehen, je mehr sie sich nach innen und nach außen öffnen, desto größere Möglichkeiten und Chancen eröffnen sich für eine Zusammenarbeit mit uns. Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen müssen.
({34})
Meine Damen und Herren, das gilt in einer besonderen Weise für unserer Verhältnis zu Polen. Das Verhältnis zu Polen ist ein historisch belastetes Verhältnis. Wer einigermaßen gerecht die Entwicklung dieses Verhältnisses betrachtet, der darf nicht erst 1945 oder 1939 ansetzen, so elementar diese Daten sind; er
muß weit zurückschauen - in das 19. Jahrhundert und in die Zeit davor.
Die Nachrichten, die jetzt aus Warschau zu uns kommen, hätte noch vor zwölf Monaten niemand für möglich gehalten. Mit der Wahl eines Ministerpräsidenten aus den Reihen der Opposition hat das Parlament dort deutlich gemacht, daß es den Weg zur Demokratie konsequent weitergehen will. Was wir jetzt in unseren Verhandlungen mit Polen zu tun haben, hat zwei Komponenten, die gleichermaßen gesehen werden müssen: Zum einen geht es uns darum, zwischen Deutschen und Polen den überfälligen Schritt zu einer dauerhaften Aussöhnung zu machen; zum anderen auch - das geht weit über unsere bilateralen Beziehungen hinaus - bietet Polen das Beispiel für den großen Versuch, aus einem kommunistischen Regime eine freiheitliche Demokratie zu formen. Dies erlegt uns eine zusätzliche Verantwortung bei unseren Gesprächen und Entscheidungen auf.
({35})
Deswegen ist es so wichtig, meine Damen und Herren, daß wir bei dem, was jetzt zu tun ist, alles daransetzen zu verhindern, daß es einen Rückschlag gibt. Wir haben in den 70er Jahren, in der Amtszeit meines Vorgängers, einen Versuch gemacht, über den heute schon gesprochen wurde. Er endete mit einem Rückschlag. Wer mich jeden Tag drängt, dies oder jenes zu tun, der muß bedenken: Mir geht es jetzt vor allem darum, daß das, was wir tun, sorgfältigst vorbereitet ist. Wir dürfen uns keinen neuen Rückschlag erlauben!
({36})
Die Lage ist so - was ich hier sage, entspricht übrigens völlig dem, was ich mit dem polnischen Ministerpräsidenten dieser Tage besprochen habe - : Ich gehe davon aus, daß die künftige polnische Regierung - die Ressorts sind noch gar nicht besetzt - in kurzer Zeit - ich denke, in den nächsten 14 Tagen - im Amt sein wird. Wir wollen dann - das ist auch so verabredet - die unterbrochenen Verhandlungen sofort wieder aufnehmen. Mein Ziel ist, daß wir schnellstmöglich - auf unserer Seite wird es keinen zeitlichen Verzug geben - zu einem Abschluß kommen. Ich möchte erst danach nach Warschau reisen, weil ich es für unmöglich halte, in Warschau selbst die Verhandlungen zu Ende zu führen. Sie müssen vorher zu Ende geführt sein. Es muß klare Absprachen geben. Für jedermann muß deutlich werden, daß wir einen neuen Anfang machen. Deswegen ist es notwendig, gemeinsam ein Gesamtpaket von Maßnahmen zu schnüren.
Ich habe auf dem Pariser Weltwirtschaftsgipfel nachdrücklich um Unterstützung vor allem für Polen und für Ungarn geworben, wie ich es schon in den Jahren davor getan hatte. Es waren unsere Anregungen, die zu dem Beschluß führten, die EG mit in die Unterstützungsmaßnahmen einzubeziehen. Mit einem Wort - ich sage das ohne Pathos - : Wir müssen jetzt die geschichtliche Chance nutzen. Die Polen brauchen jetzt nicht gute Worte, sondern schlicht handfeste Unterstützung.
({37})
Wir müssen alles tun, daß nicht nur wir, sondern möglichst viele in Europa erkennen, worum es bei der Entwicklung in Warschau letztlich geht.
Meine Damen und Herren, wir werden alles tun, um die positive Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses zu fördern. Wir wissen, daß ein Vordringen der Reformkräfte in Staaten des Warschauer Pakts von entscheidender Bedeutung für eine friedliche Zukunft unseres Kontinents und der Welt ist. Wir sind Zeugen eines historischen Umbruchs in Europa mit vielen Chancen, aber auch mit Risiken. Deswegen ist es wichtig, daß wir auch in dieser Zeit die Handlungsfähigkeit des Atlantischen Bündnisses als Voraussetzung von Frieden und Freiheit für unser Land erhalten.
Es ist einfach nicht wahr, daß wir in den Abrüstungsverhandlungen bereits an einem Punkt angelangt sind, bei dem man ohne weiteres sagen kann: Die Freiheit gibt es jetzt zum Nulltarif. Keine Spur davon! Denn nicht die Sehnsucht nach Frieden, meine Damen und Herren, sichert schon eine friedliche Zukunft, sondern in erster Linie sind es die Anstrengungen, die wir unternehmen, um Frieden und Freiheit zu bewahren.
({38})
Ich stimme Ihnen zu, Herr Abgeordneter Vogel, daß es heute mehr Grund zum Optimismus gibt als in all den Jahren zuvor. Das ist wahr. Aber Optimismus allein genügt nicht. Wir müssen das Menschenmögliche tun, um wirklich voranzukommen, beispielsweise in Wien bei Abrüstung und Rüstungskontrolle. Hier gibt es gegenwärtig vieles, was einen optimistisch stimmen kann. Die westlichen Vorschläge haben die Verhandlungen seit deren Beginn vor sechs Monaten geprägt. Die Initiativen von Präsident Bush auf dem NATO-Gipfel haben wesentlich dazu beigetragen.
Wenn ich jetzt die Entwicklung betrachte und mich auch an die Debatte erinnere, die wir hier im Bundestag hatten, dann glaube ich, daß sich die knappen Zeitspannen, die Präsident Bush genannt hat - sie wurden damals weitgehend als unrealistisch bezeichnet - , heute doch als ganz realistisch erweisen könnten. Das liegt auch daran - dies muß man ebenfalls anerkennen - , daß auch die sowjetische Seite Bewegung gezeigt hat, die ebenfalls vor ein paar Monaten so nicht denkbar war.
Ich bin sicher, daß das Gesamtkonzept der NATO jetzt eine gute Chance hat. Da wir ja nicht nur auf die zwölf Monate vor uns blicken, sondern auch auf die vergangenen zwölf Monate zurückschauen, darf hier immerhin angemerkt werden, daß sich alle Unkenrufe vor dem NATO-Gipfeltreffen im Frühjahr dieses Jahres in Nichts aufgelöst haben. Unsere Position hat sich bewährt, und wir haben eine gute Chance, auf diesem Feld weiter voranzukommen.
({39})
Meine Damen und Herren, der Kollege Mischnik hat soeben in seiner Rede auf den doch erstaunlichen Sachverhalt hingewiesen, daß der Führer der Opposition, der Vorsitzende der SPD, in seiner Hauptrede auf
wirtschaftliche Sachverhalte überhaupt nicht zu sprechen kam.
({40})
- Ja, ich glaube ja, daß Sie morgen darauf zu sprechen kommen.
({41})
Aber wenn ich mir die Reden vor Augen führe, die der
Kollege Vogel in den letzten zwei Jahren gehalten hat
- Herr Kollege Vogel, dieses Horrorgemälde vom Zusammenbruch etwa nach dem Dollarcrash; erinnern Sie sich -, dann sah man förmlich die Kolonnen der Hungernden durch die Straßen der Bundesrepublik Deutschland ziehen.
({42})
Es war doch alles darin, was überhaupt denkbar war: Massenarbeitslosigkeit, die blanke Not stand hier im Saal.
({43})
- Ja, ja, verehrte Frau Kollegin, die Arbeitgeber, die nach Gießen kommen und die Menschen dort fragen: „Könnt ihr nicht zu mir kommen und bei mir arbeiten?", widerlegen Ihre These von der Massenarbeitslosigkeit zu einem großen Teil.
({44})
Ich weiß ja, meine Damen und Herren, daß es in der deutschen Gegenwart Mode ist, vor allem auch in großen Teilen der veröffentlichten Meinung, unfein ist, auf Erfolge hinzuweisen, daß Erfolge, wenn sie eintreten, totgeschwiegen werden und daß, wenn auch das nicht möglich ist, alle dran „schuld" sind.
({45})
Da ich aber seit vielen Jahren gewohnt bin, immer der Schuldige zu sein, wenn etwas schlecht läuft, will ich auch einmal als am Positiven „Schuldiger" etwas sagen.
({46})
Herr Abgeordneter Vogel, können Sie sich vorstellen, was Sie gesagt hätten, wenn Sie so ein Zertifikat hier hätten vorlegen können:
Die guten Ergebnisse, die die deutsche Wirtschaft seit Mitte 1987 vorzuweisen hat, haben die Erwartungen weit übertroffen. Angesichts der derzeit günstigen Aussichten ... scheinen der allgemeine Kurs der Wirtschaftspolitik wie auch die ökonomischen Maßnahmen angemessen.
({47})
Das ist das Urteil der OECD.
Meine Damen und Herren, seien Sie doch froh, daß es bei uns so gut geht ... ;
({48})
... das ist doch das Beste, was uns passieren kann. Was haben Sie uns alles für Ratschläge gegeben! Alles war falsch, was Sie empfohlen haben. Und dann haben Sie noch in die Schublade gegriffen und unsere Politik mit bestimmten, aus Ihrer Sicht abwertenden Stempeln versehen. Sie haben gesagt: Das ist Reaganomics. Und einige in der deutschen Wirtschaft haben das ganz falsch verstanden und es für hervorragend gehalten, wenn wir Reaganomics betreiben.
({49})
Ich meine der Umdenkungsprozeß findet ja nicht nur bei Ihnen statt - bloß sagen Sie es nicht laut -; eigentlich müßte er auch in vielen Couloirs der Vorstände deutscher Unternehmen vonstatten gehen, denn der Standort Bundesrepublik Deutschland ist nicht zusammengebrochen. Er ist in den letzen Jahren immer besser geworden. Auch das gehört ins Gesamtbild.
({50})
Meine Damen und Herren, können Sie sich vorstellen, was jetzt hier im Bundestag passieren würde, wenn Helmut Schmidt noch Bundeskanzler wäre und lapidar sagen könnte "Nach sieben Aufschwungjahren haben wir inzwischen einen Stand der Konjunktur erreicht, der demjenigen aus dem sprichwörtlichen Bilderbuch entspricht' ? Er würde lange Wasser trinken, der Beifallsorkan nähme kein Ende, und, meine Damen und Herren, eine - ({51})
- Wenn Herbert Wehner noch da wäre, würde er rote Rosen bringen. Das würde auch ich sagen.
({52})
In diesen Tagen .. .
({53})
- aber, gnädige Frau, von Ihnen würde ich auch rote Rosen nehmen; warum denn nicht? ({54})
... hat dann Herr Pöhl, ein weiterer ganz unverdächtiger Zeuge, beiläufig darauf hingewiesen, daß er es für möglich hält, daß die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts bei 4% liegen wird. Wenn man das nun im internationalen Vergleich betrachtet, dann kann man in der Sprache unserer Jugend nur sagen: Wir sind Spitze. - Wir sind Spitze, meine Damen und Herren. Es gibt gar keine andere Bezeichnung dafür.
({55})
Herr Abgeordneter Vogel, natürlich haben die allermeisten Bürger unseres Landes teil an dieser Verbesserung der Lage. Das hat greifbare Konsequenzen für die Entwicklung der Einkommen, und zwar in allen Einkommensgruppen. Die Arbeitnehmerhaushalte mit mittlerem Einkommen haben zwischen 1983 und 1988 mit plus 13,2 % deutlich besser abgeschnitten als die Bezieher höherer Einkommen. Was Sie da immer als Sozialneid unter die Leute bringen, das hat doch
gar keinen realen Hintergrund, das ist doch einfach nicht wahr!
Während in dem Fünfjahreszeitraum 1978 bis 1983
- und das sind doch Zahlen, die Sie nicht bestreiten können - die Rentner einen realen Einkommensverlust von 3,2 % hatten, stiegen die Renten im Zeitraum 1983 bis 1988 real um 6,6 %. Das ist eine Tatsache. Gleiches gilt auch für die Sozialhilfebezieher: Zwischen 1979 und 1983 gingen deren Einkünfte real um 5,3 % zurück. In den letzten fünf Jahren gab es dagegen - nach Abzug der Preissteigerung - eine Steigerungsrate von über 12 %.
Meine Damen und Herren, wenn ich dies sage, weiß ich, daß das statistische Werte sind. Sie besagen etwas über die große Mehrheit der Bürger in unserem Land. Ich weiß natürlich, daß es in diesem Land des Wohlstands sehr wohl auch Bürgerinnen und Bürger gibt, die auf der Schattenseite dieser Gesellschaft leben, und daß man darüber nachdenken muß: Was können wir tun, um auch in diesen Bereichen - wie es die Moral unserer Republik einfach gebietet - Hilfe zu geben, in vielen Fällen auch Hilfe zur Selbsthilfe?
Meine Damen und Herren, es ist auch wahr - das ist für die Zukunft von allergrößter Bedeutung - , daß die Gesamtentwicklung dazu geführt hat, daß wir eine Investitionstätigkeit haben, wie sie seit zwanzig Jahren nicht mehr erreicht worden ist. Die Investitionen von jetzt sind, nicht zuletzt im Blick auf die Europäische Gemeinschaft, die Arbeitsplätze von morgen und übermorgen. Hier wird für die Lebenschancen der jungen Generation in den 90er Jahren das Fundament gelegt. Wir wissen aus Erfahrungen, daß eine solche nachhaltige Investitionsdynamik die beste und sicherste Zukunftssicherung ist.
Ich will schon hier ein Wort zu einem Thema sagen, das heute in der Debatte - wie ich finde: zu Recht - eine große Rolle gespielt hat und auch spielen muß: Wie schaffen wir die Verbindung zwischen Ökonomie und Ökologie? Wie kann das, was für die Zukunft notwendig ist, bezahlt werden?
Wir haben immerhin 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze. Seit dem Tiefpunkt von 1983 ist die Entwicklung überdeutlich. Die Bundesbank - ich zitiere wieder - sagt ganz einfach: Mit 27,6 Millionen Arbeitsplätzen haben wir den bisher höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte unserer Bundesrepublik erreicht. Das ist ein Ergebnis, das Beachtung verdient.
Herr Abgeordneter Vogel, ich denke gar nicht daran, zu sagen: Das ist alles das Werk dieser Regierung. - Da haben viele mitgewirkt: alle, die arbeiten, die Arbeitnehmerschaft genauso wie die Leute im Unternehmerbereich und die Gewerkschaften. Alles in allem vernünftige Tarifentwicklungen gehören in diesen Bereich hinein. Die Arbeitslosenzahl geht zurück. Es hieß immer: Sie steigt. Horrorzahlen sind genannt worden. Im August sind wir jetzt im vierten Monat hintereinander unter der Zweimillionengrenze.
({56})
- Sie glauben doch nicht im Ernst, daß es hier einfach um Statistik geht. Sie wissen so gut wie ich, wenn wir
schon über Statistik reden, daß große Zweifel bestehen, ob die Statistik die vorgelegt wird, stimmt.
({57})
Die Aussichten für die weitere Verbesserung des Arbeitsmarkts sind unübersehbar. Aber - auch das gehört zum Bild - trotz dieser positiven Entwicklung haben wir, etwa im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit, Daten, die zur Besorgnis Anlaß geben. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD - lassen Sie ganz ruhig darüber sprechen; in Ihren politischen Reihen sind viele der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Gewerkschaftsbewegung - , mit den Gewerkschaften reden - wir tun das auch - , dann werden Sie von denen die gleiche Sorge hören, die auch wir haben, die wir gemeinsam haben, denke ich: Was geschieht in den 90er Jahren mit denen - das ist der Sockel der Langzeitarbeitslosen - , die den steigenden Anforderungen im beruflichen Alltag nicht mehr entsprechen, die der geforderten Qualifikation nicht mehr entsprechen, deren Situation vielleicht auch so sein mag, daß sie schwer zu qualifizieren sind? Ich will es einmal so umschreiben. Das ist in Tat und Wahrheit das eigentliche Problem, vor dem wir stehen.
Wenn wir jetzt mit 1,75 Milliarden DM im Haushalt Entsprechendes getan haben, mit Lohnkostenzuschüssen bis zu 80 % in diesem Bereich, sind wir an dieses Gebiet herangegangen. Ich bin völlig offen für Gespräche, beispielsweise mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, um dieses spezielle Thema der Langzeitarbeitslosigkeit fernab jeder Polemik zu erörtern. Wenn wir uns morgen mit der Führung der Gewerkschaften und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände treffen, ist es genau unser Ziel, auszuloten, was man in diesem Feld tun kann. Dabei geht es beispielsweise auch um die absolut nicht akzeptable Situation im Blick auf Teilzeitarbeitsplätze vor allem für Frauen. Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, daß unser Nachbarland Niederlande mit einer vergleichbaren Gesellschaftsstruktur 22 % Teilzeitarbeitsplätze anbietet und wir knapp über 12 %. Hier ist noch vieles zu tun, obwohl die Gesetzgebung da ist.
({58})
Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, daß selbst in Ballungsräumen der Bundesrepublik, wo wir de facto Vollbeschäftigung haben - Sie kennen diese Regionen - , ein 55-, 53jähriger Arbeitnehmer als zu alt gilt, weil sich inzwischen eine absurde Vorstellung der Einteilung der Lebensabschnitte in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es sehr wohl richtig, daß wir - Staat und Politik, Gewerkschaften und Unternehmer - ungeachtet der notwendigen Auseinandersetzung im Parteipolitischen in diesen Fragen, wo es wirklich um die Betroffenen und ihr Schicksal geht, jetzt versuchen wollen, an einen gemeinsamen Tisch zu kommen. Es wäre auch aus einem anderen Grund ganz wichtig, daß wir in diesen Fragen jetzt schnell handeln: weil wir für die Aus- und Übersiedler aus der Sowjetunion, aus Rumänien, aus Polen und natürlich für die aus der DDR die entsprechenden Konsequenzen ziehen müssen. Ich bitte alle, dabei mitzuhelfen, gegenüber jener Feindseligkeit,
die bezüglich der Aussiedler und Übersiedler gelegentlich im Lande anzutreffen ist, Front zu machen.
Meine Damen und Herren, wer einmal - viele von Ihnen haben das ebenso wie ich getan - mit einer Familie gesprochen hat, die jetzt aus Rumänien zu uns kommt - Menschen aus Jahrgängen, denen ich angehöre - , und sich vorstellt, was diese Menschen in den letzten 40, 50 Jahren mitmachen mußten, nur weil sie Deutsche sind, der muß sich beschämt fragen, wohin viele in der Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, wenn sie sich in dieser Frage als so herzlos und hart erweisen.
({59})
Ich sage das Folgende auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden; aber ich finde, das Argument muß auch einmal auf den Tisch. Es geht zwar primär um die moralische Pflicht, den Aussiedlern zu helfen. Aber wenn wir klug sind und die Lage unseres Landes und der Bevölkerung bis hin zur demographischen Situation betrachten, dann sollte manch einer, der sich jetzt so herzlos äußert, bedenken, daß die Kinder der jetzt zu uns kommenden Aussiedler später seine Rente erarbeiten werden.
({60})
Ich habe in diesen Tagen eine sehr bemerkenswerte Äußerung von Rudolf Kolb, dem Geschäftsführer des Verbandes der Rentenversicherungsträger, gelesen. Ich möchte sie zitieren:
Nach nunmehr vorliegenden detaillierten Modellrechnungen des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger werden - unter den dort getroffenen Annahmen - die Aussiedler bereits ab 1995 die Rentenfinanzen entlasten ... Sie würden dann wegen ihrer im Verhältnis zur bundesdeutschen Wohnbevölkerung günstigen Altersstruktur die Rentenfinanzen bereits im Zeitraum bis zum Jahr 2000 um rund 3,6 Milliarden DM entlasten.
Ich finde, das ist ein Argument der Vernunft, das viele berücksichtigen sollten.
Wir haben mit dem Zuzug von Aussiedlern natürlich auch enorme Probleme. Als eines von vielen nenne ich den Wohnungsmarkt. Dabei müssen wir einfach erkennen, daß nicht nur die Zahl der Aussiedler und Übersiedler, die zu uns kommen, sondern auch eine völlige Veränderung der Lebensgewohnheiten den Wohnungsmarkt von Grund auf verändert hat. Die Tatsache, daß junge Leute zu einem relativ frühen Zeitpunkt von zu Hause ausziehen, ist inzwischen für viele Familien völlig selbstverständlich geworden. Das alles hat seine Auswirkungen.
Wir versuchen, dem Rechnung zu tragen. Erste Erfolge sind spürbar. Die Zahl der Baugenehmigungen für Mietwohnungen hat mit einer Steigerung von mehr als 50 % gegenüber dem Vorjahr eine Rekordzuwachsrate erreicht.
Wolfgang Mischnick hat eben ein wichtiges Argument angesprochen. Es nützt uns überhaupt nichts, meine Damen und Herren, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt werden, während in der BürokraBundeskanzler Dr. Kohl
tie vor Ort - es gibt viele solcher Beispiele - das Thema in einer Weise behandelt wird, wie es in der großen Aufbruchsituation des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik in den frühen 50er Jahren unmöglich gewesen wäre.
({61})
Wir haben mit der Verkürzung der Abschreibungsdauer für Mietwohnungen die Bedingungen für private Bauherren verbessert. Wir haben beschlossen, den Bau preiswerter Wohnungen für einkommensschwache Haushalte zu verstärken. Die Mittel - der Bundesfinanzminister hat es gestern eingehend dargelegt; ich kann es mit einem Satz bewenden lassen - sind wesentlich erhöht worden. Wir streben für das Jahr 1990 den Bau von insgesamt rund 300 000 Wohnungen an, darunter rund 100 000 Sozialwohnungen.
Meine Damen und Herren, ich sage das Folgende auf einen Zwischenruf von Ihrer Seite hin. Ich bin davon überzeugt, daß die anstehenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt weder allein über den freien Markt noch allein mit Hilfe des sozialen Wohnungsbaus gelöst werden können. Beides gehört zusammen. Das sollte die Konsequenz sein, die wir in dieser Hinsicht ziehen.
Meine Damen und Herren, die sehr guten Wirtschaftsdaten hängen auch mit der Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft mit dem Ausland und mit den Weltmärkten zusammen, die sich in einer guten Weise entwickeln konnten. Unbestreitbar ist, daß die jeweilige Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik darüber entscheidet, ob Wachstum und Beschäftigung nur für kurze Zeit erreicht werden oder ob es zu einer langfristigen Entwicklung kommt. Wir haben das Menschenmögliche getan, um mit Blick auf eine langfristige Sicherung unsere Gesellschaft auf die 90er Jahre und die Zeit danach vorzubereiten.
Herr Kollege Vogel, ein Grund dafür, daß wir uns beim Fitmachen unserer Republik schwergetan haben, lag darin, daß wegen früherer Versäumnisse einschneidende Maßnahmen und Reformen notwendig waren. Ich räume ein, daß wir in der Kürze der Zeit und der Dringlichkeit mancher Entscheidungen auch Fehler gemacht haben. Ich muß akzeptieren, daß Sie als Oppositionsführer uns diese Fehler auch vorhalten. Ich muß dafür geradestehen, und ich tue es selbstverständlich.
Aber wir haben diese Reformen in Angriff genommen, um Zukunft zu sichern. Und ich finde schon, daß es in diese Debatte gehört, daß seitens der Opposition auch ein klärendes Wort zu den vielen Vorwürfen etwa in bezug auf die Gesundheitsreform gesagt wird, zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und zu allem, was damit zusammenhängt.
Norbert Blüm hat viel Prügel einstecken müssen; ich natürlich mit ihm. Das gehört zum Amt des Regierungschefs. Aber Sie sollten doch hier einmal ans Pult gehen und zugeben: Nach rasanten Steigerungen in den letzten Jahren blieben die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 1. Januar 1989 an stabil. Sie sollten doch ein Wort zu dem lauten Streit und zu der Demagogie sagen, die umgegangen sind: Das Instrument der Festbeträge zeigt Wirkung.
Am Arzneimittelmarkt ist ein Preiswettbewerb eingetreten, noch ehe es die Festbeträge gab. Nach den jetzt laufenden Erhebungen zeigt sich, daß die Pharmahersteller auf breiter Front mit Preissenkungen reagiert haben. Was ist vorher alles zu hören gewesen? Es ist doch einfach wahr, und es zeigt sich doch jeden Tag überall in der Republik, daß wir überhöhte Arzneimittelpreise hatten, und zwar zu Lasten aller Beitragszahler. Das ist doch einfach die Wahrheit.
({62})
Ich will ein anderes Reformwerk ansprechen. Ich meine die Konsequenzen, die wir aus der erkennbaren Überalterung unserer Bevölkerung ziehen müssen. Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich für die Bundesregierung sagen, daß wir gerade wegen der absehbaren Schwierigkeiten, die aus der demographischen Entwicklung folgen, es begrüßen, daß sich die Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD auf einen gemeinsamen Entwurf des Rentenreformgesetzes verständigt haben. Wie Sie wissen, haben wir den gewünschten und notwendigen Kabinettsbeschluß gefaßt. Ich glaube, das ist ein anderes Feld, bei dem wir alles tun sollten, um parteipolitische Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Es geht um die Sicherung des Lebensabends einer Generation vor allem jetzt und heute, die in ihrem Leben genug Aufregung und Heimsuchung erlebt hat und die unsere besondere Zuneigung auch verdient.
Als Drittes - davon war ja schon die Rede - werden wir in wenigen Monaten ab 1. Januar 1990, die dritte Stufe der Steuerreform haben. Meine Damen und Herren, daß Sie mit Ihren Steuerreformplänen in Europa alleinstehen, zeigt Ihnen ein Blick auf Ihre sozialistischen Bruderparteien. Die Reden, die hierzu von Ihnen gehalten werden, wären in Österreich völlig unverständlich; sie wären in anderen Ländern völlig unverständlich.
({63})
Herr Abgeordneter Vogel, weil ja in der Parteigeschichte, der großen Parteigeschichte - ich sage das ohne jeden Soupçon - der deutschen Sozialdemokratie der Austro-Marxismus zu früheren Zeiten eine befruchtende Wirkung hatte, lassen Sie doch einmal die steuerpolitischen Überlegungen Ihrer österreichischen Genossen auf sich wirken!
({64})
Ich glaube, das käme unserer Volkswirtschaft insgesamt zugute.
Ich will auf dieses Lied, das Sie angestimmt haben, nicht mehr eingehen - zumal ja jeder weiß, daß es einfach falsch ist -, daß hier über steuerliche Umverteilung die Reichen reicher oder die Armen ärmer geworden sind oder noch werden.
({65})
- Meine Damen und Herren, was soll's denn, wenn
Sie sich im Brustton der Überzeugung hier herstellen
und den ganzen Saal anreden und sagen, wir alle ver11748
dienen zu viel, und dann werden wir noch mit der Steuer belohnt? Sie wissen so gut wie ich - das Beispiel des Scheiterns des Kommunismus, des Sozialismus in anderen Teilen Europas zeigt es Ihnen doch -, daß Sie natürlich, wenn Sie Leistung bestrafen, auch keine Leistung erreichen werden.
({66})
Neid ist ein miserables Mittel im Privatleben und ein miserables Mittel in der Politik. Das hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt.
({67})
Wenn wir jetzt weiter denken, an die Zeit nach 1992 in der Europäischen Gemeinschaft, an die großen Auseinandersetzungen in der Konkurrenz mit den großen Wirtschaftszentren in den USA, in Kanada in den beginnenden 90er Jahren, im kommenden Jahrhundert, und wenn wir die Entwicklung im Fernen Osten sehen, hier aber so tun, als könnten wir Weltexportland Nummer 1 sein und gleichzeitig Bedingungen im Lande zulassen, die wirtschaftliches Denken und wirtschaftliches Handeln unmöglich machen, wird klar, daß wir unser Ziel nicht erreichen werden. Das muß der Bürger sehr klar und deutlich wissen.
({68})
Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zu dem Thema Umweltschutz, das hier - wie ich finde, aus gutem Grund - sehr viel diskutiert wurde. Meine Damen und Herren, Sie können kritisieren, daß wir noch nicht genug tun. Man kann darüber diskutieren, was für die Zeit, die vor uns liegt, alles noch notwendig ist. Aber wenn ich davon ausgehe, daß wir jetzt 32 Milliarden DM in diesem Bereich in der Bundesrepublik ausgeben, daß die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft daran etwa zur Hälfte beteiligt sind
- die Privatwirtschaft übrigens nicht zuletzt deswegen, weil sie mehr oder minder auch gezwungen wurde, solche Entwicklungen zu akzeptieren - , dann finde ich das gegenüber den 20 Milliarden DM im Jahr 1982 eine beachtliche Zahl. Denn wir hatten ja nicht nur das Thema Umweltschutz. Wir mußten etwas tun, um die Ökonomie wieder in Ordnung zu bringen. Wenn jetzt die Steuereinnahmen steigen, wenn wir mehr Möglichkeiten haben, werden wir
- und das sage ich mit Bedacht - auch für die vor uns liegende Zeit der nächsten Jahre immer wieder darüber diskutieren müssen, was auf diesem Feld geschieht.
Den Erhalt der Schöpfung - Herr Kollege Vogel, Sie haben freundlicherweise die Überschrift meiner Regierungserklärung von 1987 zitiert - finde ich sehr gut. Das entspricht genau unserer Meinung.
Was heißt, wir machen nichts? Meine Damen und Herren, das meiste, was wir in den ersten Jahren tun mußten, mußten wir doch deswegen tun, weil Sie nichts getan haben.
({69})
Meine Damen und Herren, ich habe doch als Führer
der Opposition in diesem Hause die Großfeuerungsanlagen-Verordnung nicht verhindert. Es war doch Ihr eigenes Unvermögen, das durchzusetzen.
({70})
Warum haben Sie denn eigentlich beim KatalysatorAuto nichts gemacht? Ich kann Sie nur immer wieder fragen. Meine beiden Vorgänger, Willy Brandt und Helmut Schmidt, hatten doch 1972 und 1974 die Gelegenheit zu handeln, als Japan und Amerika gehandelt haben. Sie haben das doch nicht getan!
({71}): Was haben Sie denn damals dazu getan?)
Wer hat denn meinen Vorgänger beispielsweise daran gehindert, auf einem der Weltwirtschaftsgipfel die Frage des Regenwaldes und die entscheidenden Fragen der globalen ökologischen Gefährdung auf die Tagesordnung zu setzen? Ich war es doch, meine Damen und Herren,
({72})
der bei meinem ersten Weltwirtschaftsgipfel in den USA, noch eher mitleidig belächelt, den Umweltschutz zum Thema gemacht und das mühsam durchgesetzt hat. Es gab doch zu Ihrer Zeit genug Leute mit großer internationaler Reputation, die dieses Thema zu ihrem Thema hätten machen können.
({73})
Ich will es kurz sagen: Die Bundesregierung ist fest entschlossen, auf diesem Weg weiter voranzugehen. Wir wissen sehr genau - und ich sage das jetzt einmal aus meiner Überzeugung aus vielen Jahrzehnten politischer Tätigkeit -, daß unser Denken und unsere Überzeugung, die die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft betreffen, heute bedeuten, daß wir die Entwicklung Sozialer Marktwirtschaft auch zu einer ökologisch-ökonomischen Balance hin vorantreiben müssen. Ich füge auch hinzu - Herr Vogel, das habe ich wohl aus Ihrer Rede mitgenommen - , da gibt es kein Patentrezept. Das, was Sie denken, und das, was wir dazu denken - wir führen auf unserem Parteitag zu diesem Thema eine ganztägige Diskussion -, wird alles zu erwägen sein. Aber es muß dann jemand schließlich die Verantwortung übernehmen. Ich sage Ihnen für diese Bundesregierung, ich sage Ihnen für diese Koalition - da gibt es keine Unterschiede zwischen FDP und CDU/CSU - : Unser Ausgangspunkt ist und bleibt die marktwirtschaftliche Überzeugung: In diesem Feld ist am besten mit den Gesetzmäßigkeiten der Sozialen Marktwirtschaft etwas zu bewirken. Übrigens, wer daran noch Zweifel hat, kann die jetzt wiederum an den Beispielen in Ost-, Mittel- und Südosteuropa überwinden. Diese Gesellschaftssysteme haben doch gerade auch im Bereich des Umweltschutzes in einer dramatischen Weise versagt,
({74})
weil ihre Wirtschaftsordnung marktwirtschaftliche Möglichkeiten gar nicht eröffnet hat.
Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren. Ich hoffe, daß wir auch hier noch eine wirkliche Gemeinsamkeit finden. Das ist das Thema Kohle. Ich glaube
nicht, daß es in Ordnung ist, heute hier zu sprechen, ohne über dieses Thema wenigstens ein paar Sätze zu sagen.
Sie kennen alle die Problematik. Sie kennen auch die wachsende Ungeduld gleich auf zwei Seiten, einerseits bei den unmittelbar Betroffenen an der Ruhr und an der Saar und ihren Familien; man darf nie denken, es gehe nur um die Kumpels, es sind ja ganze Städte, ganze Gemeinschaften betroffen. Auf der anderen Seite - das füge ich ebenso klar hinzu; das muß man fairerweise aussprechen - gibt es in den revierfernen Gebieten ein durchaus verständliches und steigendes Unbehagen über die Entwicklung unserer Energiekosten. Das ist keine Frage einer Partei; lassen Sie sich das nicht einreden. Wir müssen versuchen, die Betroffenen zusammenzubringen. Ich spreche hier die Gewerkschaften als die Sachwalter der Arbeitnehmer an, weiter die betroffenen Unternehmen, auch die betroffenen Kommunen und lokalen Gemeinschaften, ferner die bergbaufördernden und die revierfernen Länder und die Bundesregierung. Ich bin voll und ganz einverstanden, sie zusammenzubringen. Ich beteilige mich an diesem Versuch.
In den letzten Jahren hat sich ein Preisverfall auf den internationalen Energiemärkten eingestellt, der die Schwierigkeiten drastisch steigert. Es hat keinen Sinn, die Grundtatsachen der ökonomischen Entwicklung in diesem Feld in Protestveranstaltungen zu verschweigen.
In dieser schwierigen Lage haben wir - die Bundesregierung mit Unterstützung der Koalitionsparteien - nachhaltig unseren Beitrag geleistet. Von 1983 bis 1988 wurden rund 33 Milliarden DM für die deutsche Steinkohle aufgewendet. Weil in diesem Saal in anderen Bereichen so viele Vergleiche aus dem Haushalt gezogen werden, soll diese Zahl fairerweise hier wenigstens auch einmal genannt werden. Allein in diesem Jahr werden es rund 10 Milliarden DM sein. Nie zuvor sind Mittel in vergleichbarer Größe für die Kohle zur Verfügung gestellt worden.
Wir haben jetzt mit allen Beteiligten Gespräche geführt mit dem Ziel, sowohl den laufenden Jahrhundertvertrag bis 1995 zu stabilisieren als auch, was wirklich überfällig ist, zu einem längerfristigen Konzept zu kommen. Meine Damen und Herren, wenn wir klug beraten sind, versuchen wir, gemeinsam das Notwendige zu tun.
In einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Bergbauländer am 24. August bei mir im Kanzleramt ist es gelungen, Einvernehmen über die jetzt notwendigen Schritte zu erzielen. Danach kann festgehalten werden, daß wir für die weitere Verwirklichung des Jahrhundertvertrages tragfähige Voraussetzungen geschaffen haben. Die notwendigen Einzelheiten werden jetzt in der Novelle zum Verstromungsgesetz festgelegt.
Wir haben nach langen Diskussionen eine Sachverständigen-Kommission eingesetzt, die, ich denke, bis Februar, spätestens Anfang März ihr Konzept vorlegen wird. Ich will klar und deutlich sagen, was meine Position, die Position der Bundesregierung ist. Diese Kommission ist nicht eingesetzt worden, wie das gelegentlich in der Politik geschieht, um ein Problem sozusagen unter den Tisch zu kehren. Ich erhoffe und erwarte von dieser Kommission, in der praktisch alle beteiligten Kreise vertreten sind, daß ohne jedes taktische Kalkül das auf den Tisch kommt, was denkbare Modelle sind. Ich sage bewußt „Modelle" , weil ich mir sehr wohl vorstellen kann, daß eine solche Kommission nicht zu einem gemeinsamen Beschluß kommt, was ich eigentlich hoffe, sondern daß auch unterschiedliche Meinungen möglich sind, also die der Mehrheit und der Minderheit.
Mein Ziel ist, daß wir dann möglichst rasch in einer ebenso offenen, fairen wie vielleicht auch sehr schwierigen Diskussion unsere Entscheidungen herausarbeiten. Ich will hier eindeutig zusichern: Es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, das Thema nach der Vorlage des Kommissionsberichtes zu vertagen. Wir brauchen natürlich Zeit für vernünftige Gespräche. Aber das Thema soll auf keinen Fall zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden. Es gibt ja Termine im Jahre 1990 in Nordrhein-Westfalen und anderswo und auch im Bund, die diesen Verdacht erregen könnten. Nicht die Termine, die ich eben beiläufig erwähnt habe, bestimmen das Zeitmaß unserer Entscheidung.
Für mich geht es darum - ich sage das einmal durchaus emotional - , daß wir angesichts der weltweiten Entwicklung im Energiesektor, auch angesichts der zunehmenden Vorbehalte gegen Kohlefeuerung - das haben wir heute schon angesprochen - eine Regelung finden, die den Menschen gerecht wird. Blicken wir auf 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland zurück. Man muß sich erinnern, daß am Anfang der wirtschaftliche Wiederaufbau stand. Beschäftigen Sie sich einmal näher und intensiv mit dem Thema. Stellen Sie sich vor, wie die Kohleförderung im Juni 1945 war; damals betraf das nicht das Saarland, aber die Ruhr. Stellen Sie sich vor, was dort auf dem Höhepunkt der Demontage in den Wintern 1946 und 1947 geschehen ist. Ein Teil der Initialzündung für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft ist von der Förderung der Kohle ausgegangen, des einzigen Rohstoffs, der in unserem Land vorhanden war. Es gibt deshalb über die rein materielle Betrachtung hinaus - ich sage das mit Bedacht und Bewußtsein - eine, wie ich finde, Dankesschuld an eine Region, die damals für unser Land außerordentlich viel geleistet hat.
({75})
Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Wochen in den zuständigen Ausschüssen und dann noch einmal in einer abschließenden Generaldebatte die Haushaltsberatung fortführen. Wir - die Bundesregierung - werden Kritik hören; das gehört sich so. Wir werden stolze Erfolge vorweisen können; das gehört sich auch. Wir müssen Ihre Kritik ertragen und Sie unsere Erfolgsbilanz. Ich halte das für eine richtige und gerechte Arbeitsteilung.
({76})
Meine Bitte zum Abschluß ist ganz einfach - ich greife damit wirklich nicht die Autorität des Parlaments an und auch nicht in sie ein daß Sie unge11750 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 156. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5 September 1989
achtet der Probleme, die wir im eigenen Land haben, und ungeachtet der notwendigen Auseinandersetzung über den richtigen Weg vielleicht gerade in diesem Augenblick, in diesem geschichtlichen Augenblick nicht vergessen, daß auf uns, auf die Deutschen, vor allem auf die Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes, in der Bundesrepublik, eine historische Verantwortung zukommt, daß wir also bei allem Streit und aller Auseinandersetzung diese Verantwortung nicht vergessen.
({77})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Sie werden an unseren Reaktionen gemerkt haben, daß wir Teile Ihrer Rede durchaus zu schätzen wissen. Es ist zu früh, ein Ergebnis Ihrer Bemühungen um die Kohle zu würdigen. Das Ergebnis liegt nicht vor. Aber Sie haben mit Recht auf die Belange der Menschen in den Kohleregionen hingewiesen. Sie sollten sich noch einmal in Erinnerung rufen, welch große Unsicherheit dort besteht. Ihr Wort von der Dankesschuld ist gehört worden; nun gibt es Erwartungen zu erfüllen.
({0})
Wir verstehen, Herr Bundeskanzler, daß Sie auf günstige Konjunkturdaten verweisen, auch wenn wir Ihrem Vergleich mit Helmut Schmidt nicht ganz folgen können. Was er erlebt hat, werden Sie nicht erleben, und das, glaube ich, leisten Sie auch nicht. Aber bevor Sie sich dem Erfolgsrausch überlassen, sollten Sie uns gerade in dem Zusammenhang die ständig wiederholte Frage beantworten, wie es mit dem Abbau, mit der Überwindung der fortbestehenden Massenarbeitslosigkeit bei Ihnen steht.
({1})
Wann, wenn nicht zur Zeit der Hochkonjunktur - wir haben es oft genug gefragt - , soll das gelingen? Da genügt es nicht, auf „Horrorzahlen" zu verweisen und die Statistik zu bekämpfen - bei der Statistik läßt sich von beiden Seiten manches in Frage stellen - , sondern da geht es darum, den Arbeitslosen neue Chancen zu eröffnen. Vorschläge zur Überwindung der Langzeitarbeitslosigkeit lagen schon jahrelang auf dem Tisch, bevor sich die Bundesregierung zu ersten Schritten bereit fand. Was wir jetzt sehen, reicht erkennbar nicht aus, um wirksame Abhilfe zu schaffen. Wir werden auf Nachbesserung drängen.
Sie wenden sich, Herr Bundeskanzler, gegen den Neid im Zusammenhang mit der Steuerreform. Wir fragen noch einmal, wie die Frau Kollegin Matthäus-Maier gestern: Ist es etwa Neid, wenn sich jemand, der sein Geld als Arbeitnehmer verdient und versteuert, fragt, warum jemand anders, der Zinseinkünfte in größerer Höhe bezieht, keine Steuern zu zahlen braucht, weil diese Regierung die Steuerhinterziehung in diesem Bereich praktisch fördert?
({2})
Das halten Sie doch auf Dauer gar nicht durch. Ich
warte auf den Arbeitnehmer, der einmal zum Bundesverfassungsgericht geht, um zu fragen, ob das wohl vertretbar ist: Der eine zahlt es voll, der andere nimmt das ohne Arbeit erzielte Einkommen auch noch unversteuert.
Schließlich: Sie haben zum Umweltschutz hier einen zufriedenen Rückblick vorgetragen. Aber mit allen Rückblicken dieser Art können Sie doch nicht leugnen, daß die künftige Entwicklung zum Negativen verläuft, und das schon eine ganze Weile.
Sie haben beanstandet, unser Kollege Vogel hätte die Wirtschaftspolitik nicht erwähnt. Diesen wichtigen Teil des notwendigen Umbaus der Wirtschaft im Sinne einer Forderung der Ökologie, im Sinne einer Schonung von Natur und Umwelt hat er ausführlich dargelegt. Dazu hätten wir gerne von Ihnen etwas gehört. Wie sieht Ihre Umsteuerungsüberlegung aus?
({3})
Herr Bundeskanzler, wir wissen auch den Stil Ihrer Rede zu schätzen. Der Geschmack daran wird uns freilich durch die Einsicht vergällt, daß Sie offensichtlich eine Arbeitsteilung mit Herrn Rühe vorgenommen haben. Wir sind von Herrn Geißler einiges an pauschalen Verunglimpfungen gewohnt und haben das seiner Person zugerechnet.
({4})
Nach Ihrem heutigen Auftritt, Herr Rühe, über den sich viele bei uns, die Sie gut kennen, sehr gewundert haben, sind wir geneigt, zu vermuten, daß es zu den Anstellungsbedingungen des CDU-Generalsekretärs gehört, so zu reden.
({5})
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, einen Schwerpunkt möchte ich bei der Deutschlandpolitik setzen. Von Beginn der Teilung Deutschlands an haben sich Sozialdemokraten mit besonderem Ernst darum bemüht, die Trennung zu überwinden und die beiden Teile beieinanderzuhalten. In der Deutschlandpolitik nach 1969 hat dieses Bestreben den damals angemessenen und notwendigen Ausdruck gefunden. Wir halten es für richtig, auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage die Anliegen dieser Politik in der jetzigen Debatte besonders zu betonen.
Ich sage ganz klar: Es war richtig und ist richtig geblieben, die in Deutschland bestehenden staatlichen Verhältnisse zu respektieren und auf dieser Grundlage die Sicherung des Friedens und die Verbesserung der Lage der Menschen zu betreiben. Beides hat von Anfang an zusammengehört. Das bedeutet: Für die Verbesserung der materiellen Situation der in der DDR lebenden Menschen wie für die Erweiterung ihrer Rechte und Freiheiten haben wir uns mit der Deutschlandpolitik stets bewußt eingesetzt.
({6})
Die inzwischen erfolgte Annäherung - um auch dieses Stichwort zu gebrauchen - hat bei weitem
nicht genug, aber doch spürbar Wandel zum Besseren bewirkt; bei uns - daran wollen wir uns ruhig erinnern - vor allem in der Bereitschaft, Schranken zu überwinden und mit denen zu sprechen und zusammenzuarbeiten, die man zuvor bei Leugnung der Staatlichkeit der DDR nicht zur Kenntnis genommen hatte. Wesentlich stärker und grundsätzlicher liegt der Druck zum Wandel auf dem politischen System der DDR; kein Wunder, da doch im friedlichen Wettbewerb der Systeme schließlich dasjenige zur Änderung genötigt wird, das die größeren Mängel und Schwächen aufweist.
Es war richtig und nützlich, die Einsichten in diesen Änderungsbedarf vor zwei Jahren in einem Dialogpapier zwischen SED und SPD festzuhalten. Da, Herr Rühe, ging es nicht um Freundschaft oder ähnliches, sondern um das Aufschreiben von Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen.
({7})
Die tatsächliche Lage ist durch dieses Papier nicht sogleich verändert worden. Langjährige Forderungen kritischer Menschen in der DDR, z. B. von kirchlichen und anderen Gruppen, wurden in dem Dokument von der SED anerkannt und bestätigt. Eine weitere Berufungsgrundlage für die Forderung nach mehr Meinungs- und Informationsfreiheit sowie nach weiter verbesserten Bewegungsmöglichkeiten liegt damit vor. Sie ist genutzt worden; sie muß beharrlich weiter genutzt werden.
Was damit auf Dauer erreicht werden kann, hat die KSZE-Schlußakte von 1975 überall im Ostblock und gerade auch in der DDR eindrucksvoll bewiesen. Es ist richtig, an dieser Stelle daran zu erinnern, daß die KSZE-Schlußakte in diesem Bundestag gegen Sie, die CDU/CSU, in einer Sondersitzung am 25. Juli 1975 durchgesetzt werden mußte.
({8})
Manche erhoben nach dem Zustandekommen dieses Dokuments ihr bis dahin geducktes Haupt. Rechte und Möglichkeiten im Ostblock wurden eingefordert, deren Verweigerung den Mächtigen immer schwerer fiel. Das Klima änderte sich und mit ihm die politischen Verhältnisse.
Aber die Erwartungen sind schneller gewachsen. Mit der großen Enttäuschung darüber, daß sie nicht erfüllt werden, haben wir es jetzt zu tun. Wie immer die verschiedenen Motive der Menschen sein mögen, die der DDR den Rücken kehren, sie sind Ausdruck der einen großen Unzufriedenheit. Wenn denn wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen, so zeigt sich darin eben die Unzufriedenheit mit den grotesken Mängeln und dem teilweisen Versagen des wirtschaftlichen Systems der DDR.
Auch DDR-Bürger - das ist wohl die Erfahrung von vielen von uns - , denen es privat einigermaßen gut geht, führen endlose und zornige Klage über die vielen Mißstände und Hindernisse, die ihnen die Arbeit im Betrieb verleiden. Das liegt doch nicht an den Arbeitern, es liegt an der Einwirkung politischer Macht
auf das gesamte Wirtschaftsleben in allen seinen Einzelvorgängen;
({9})
ein sicheres Verfahren zur Vergeudung wirtschaftlicher Werte und zur Verhinderung des Erfolgs. Würden wir es hier anwenden, kriegten wir mühelos auch unsere Wirtschaft kaputt.
Mit den Werten wird Arbeitskraft vergeudet. Fleißige und einsatzbereite Menschen erfahren entmutigt die Vergeblichkeit ihres Mühens. In einem der gemeinsamen Worte der Evangelischen Kirchen in der DDR und in der Bundesrepublik heißt es 1986:
Die schöpferischen Kräfte der Bürger blühen auf, Leistungskraft und Stabilität wachsen, wo Vertrauen gewagt und Toleranz geübt wird.
Die politische Führung der DDR wird sich entscheiden müssen; beides kann sie nicht haben. Entweder bleibt sie beim Mißtrauen gegen das eigene Volk, bei der Reglementierung aller Lebensbereiche, oder sie gibt der Kreativität und dem Arbeitswillen freien Raum und dann auch die selbst erarbeitete angemessene Belohnung.
Gern hätten wir in der Bundesrepublik von einer erfolgreichen DDR gelernt: z. B. wie man einen Staat ohne die politische Macht des großen Kapitals gestaltet, wie man jenes Gemeinschaftsgefühl unter den Menschen erhält, dessen Fehlen die Übersiedler bei uns anfangs befremdet feststellen; vielleicht auch wie man einen Staat aufbaut und führt, in dem Richter und andere wichtige Funktionsträger des Dritten Reiches keine Rolle mehr spielen. Aber man lernt nichts aus einem Hausbau, bei dem vielleicht Treppe und Fußboden gut gelungen sind, bei dem aber die Wände reißen und der Regen durch die Decke tropft. Allenfalls lernt man, wie man es nicht machen darf.
Wirtschaftliche Hilfe, einfach so gegeben, würde daran kaum etwas ändern. Die Bereitschaft, zur Verbesserung der Lage in der DDR im Interesse der Menschen Geld einzusetzen, auch Milliardenbeträge, von denen Herr Biedenkopf in den letzten Tagen gesprochen hat, ließe sich bei uns gewiß politisch mobilisieren, aber doch nur, wenn die Hilfe Erfolg verspricht, nicht für ein Wirtschaftssystem, in dem auch großer finanzieller Einsatz voraussichtlich folgenlos bleibt.
Endlos, meine Damen und Herren, ist die Mängelliste, die uns von den Betroffenen zum politischen Alltag vorgetragen wird. Auf einen einzigen Punkt will ich mich beschränken. Womit erklärt man es eigentlich erwachsenen Menschen, daß sie ihre Besuchsreise in den Westen wohl zu einer unfreundlichen Tante oder einem gleichgültigen Vetter, aber nicht zu guten Freunden unternehmen können; denn mit denen sind sie ja nicht verwandt? Womit erklärt es diese DDR den Anhängern ihres Systems, denen sie den Abspruch von West-Bindungen nahegelegt hatte, daß sie nun solche Verbindungen überhaupt brauchen, um reisen zu dürfen? Es ist nicht erklärbar, und es wird deshalb auch gar nicht versucht.
Wir allerdings müssen uns der Gegenfrage stellen, wie wir denn wohl darauf vorbereitet sind, daß die Reiseregelung in der DDR den Erfordernissen der Vernunft angepaßt wird. Da müssen dann Millionen
zusätzlicher Besucher bei uns Aufnahme finden, und zwar als willkommene Gäste, nicht als mittellose Fremde ohne Unterkunft und Hilfe. Richten wir uns frühzeitig darauf ein, das Begrüßungsgeld aufzustokken und mit öffentlichen Mitteln wenigstens für einige Tage denen eine Unterkunft zu bieten, die niemanden haben, der sie privat aufnimmt! Die Aufnahmebereitschaft von Gastgebern in der Bundesrepublik wird daneben immer noch gebraucht, und zwar stärker als bisher.
Von offizieller Seite in der DDR wird nun behauptet, unsere Medien seien schuld an aller Unruhe. Wir selbst sehen Anlaß zur Kritik an mancher Berichterstattung. Aber die Unzufriedenheit der Menschen mit den politischen Verhältnissen in der DDR, der Drang zur Übersiedlung und die tatsächlichen Ausreisen, das alles haben nicht die Medien erfunden oder geschaffen. Es geschieht, und die Journalisten berichten darüber, wie es ihre Pflicht ist.
Der Vorwurf der Einmischung, wieder und wieder gegen Politiker in der Bundesrepublik erhoben, ist besonders schwach. Eigentlich enthält er das Geständnis, das alles so kritisch ist, wie wir es bewerten; aber man wolle sich nicht darauf ansprechen lassen. Im „Neuen Deutschland" und anderen Medien der DDR erscheinen gleichzeitig lange Berichte über angebliche Mißstände in der Bundesrepublik. Niemand ist bisher bei uns auf den Gedanken gekommen, sich das als Einmischung zu verbitten.
Bei uns wie in der DDR treffen wir auf ungeduldige Forderungen und erregtes Aufbegehren, die in der dort betriebenen Politik ihren Grund haben. Wir haben uns auf diese Stimmungen einzustellen, ob sie uns passen oder nicht.
So nehmen wir Sozialdemokraten kritische Anfragen an unsere Deutschlandpolitik zum Anlaß immer erneuter Prüfung unseres Weges. Eben dazu suchen wir die Diskussion, den sachlichen Austausch von Erfahrungen und Argumenten. Aber Aufforderungen zum Abenteuer, Einladungen zur aufschäumenden Emotionalität müssen wir um der Sache willen ablehnen.
({10})
Es überzeugt nicht und führt nicht weiter, wenn jetzt bei uns nicht nur vereinzelt Stimmen laut werden, die die bisherige Deutschlandpolitik als zaghaft und pragmatisch schmähen und statt dessen mit der Forderung nach schneller Wiedervereinigung aufs Ganze gehen wollen. Eben der jetzt so hochmütig verworfenen pragmatischen Politik ist es zu verdanken, daß der Zusammenhalt der Nation als politische Kraft gehalten und gestärkt worden ist. Ohne diese Politik gäbe es kaum mehr etwas zusammenzuhalten und erst recht nicht zu vereinigen. Und es kann gar nicht falsch sein, wenn man weiterhin Trenngräben überbrückt und zuschüttet, Grenzen durchlässiger macht und den Abbau von Freiheitsbeschränkungen fordert und fördert. Pragmatismus um seiner selbst willen und zur Festigung des Status quo war niemals angesagt. Stets ging es um Fortentwicklung und Veränderung.
Eine Destabilisierung der DDR bis hin zum Zusammenbruch war niemals unser Ziel und darf es auch
heute nicht sein. Wir können sie freilich auch nicht verhindern. Die Stabilisierung ist allein von den politisch Verantwortlichen gemeinsam mit den Bürgern in der DDR zu schaffen. Die Ausgangslage dafür ist dort besser als in den anderen Staaten des Warschauer Pakts. Leistungsfähige Menschen, die zur konstruktiven, aber auch mitverantwortlichen und freien Arbeit an der Gestaltung des Gemeinwesens bereit sind, gibt es genug, nicht zuletzt in den Kirchen. Ihre Bereitschaft muß freilich genutzt werden: in offenen, fairen Gesprächen anstelle formelhafter Verlautbarungen, durch Einräumung eigenverantwortlicher Mitwirkungsmöglichkeiten anstelle der Unterordnung unter einen alles bestimmenden politischen Willen.
Bevor an eine staatliche Einheit beider Teile Deutschlands zu denken ist, sind viele Probleme zu lösen und Fragen zu klären. Solche Aufgaben, z. B. die Verdichtung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten mit unmittelbarer Wirkung für die Menschen, stehen jetzt auf der Tagesordnung, verlangen jetzt unsere Kraft und Phantasie. Wir stimmen Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, Sie werden die praktische Politik zum Vorteil der Menschen fortführen.
Jene Friedensordnung in Europa, die den Deutschen die Chance eines neuen Zusammenlebens eröffnen kann, ist in Ansätzen spürbar; erreicht ist sie lange nicht. Wird sie einmal erreicht sein, werden zu den bisherigen Fortschritten in der Deutschlandpolitik zahlreiche und wichtige andere hinzugekommen sein, dann werden sich die Deutschen vielleicht fragen, ob sie in einem einheitlicheren Europa eigentlich einen gemeinsamen Staat brauchen. Unsere europäischen Nachbarn werden soviel Vertrauen zu beiden deutschen Staaten gewonnen haben, daß sie nichts mehr gegen einen solchen Staat haben.
Bis dahin ist es weit. Gewiß kommen wir dem Ziel nicht näher, indem wir schwungvolle Wiedervereinigungsrhetorik an die Stelle mühsamer, geduldiger Politik zur Lösung der jetzt anstehenden Probleme setzen.
({11})
Ich rechne zur Wiedervereinigungsrhetorik, was die CDU in ihr deutschlandpolitisches Programmpapier im Juni letzten Jahres mit den Worten geschrieben hat, die vordringlichste Aufgabe aller Politik sei die deutsche Wiedervereinigung. Mit meinem Diskussionsanstoß zur Präambel, auf den der Bundeskanzler hingewiesen hat, wollte ich klarmachen: So etwas fordert die Präambel des Grundgesetzes nicht. Sie fordert nicht die Festlegung auf solche Vorstellungen unter Ausschluß aller anderen Möglichkeiten, die den Menschen helfen könnten.
Aber noch gewisser ist doch, daß wir das Ziel in weitere Ferne rücken, wenn wir, wie es der CSU-Vorsitzende in diesem Sommer getan hat, die jetzt zu Polen gehörenden früheren deutschen Ostgebiete in die deutsche Frage einbeziehen.
({12})
Wenn man will, daß alle Welt die Antwort auf diese
Frage fürchtet, auf die Frage, von der der BundesDr. Schmude
kanzler sagt, sie steht wieder auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, wenn man also will, daß die Menschen die Antwort fürchten, dann muß man es so machen wie Herr Waigel.
({13})
Man kann gar nicht genug Klarheit darüber schaffen, daß die Westgrenze Polens nach unserem politischen Willen dauerhaften Bestand haben soll.
({14})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben nach dem Gerede Ihres Finanzministers besonderen Anlaß zu solcher Klarstellung. In Ihrer sehr beachtlichen und auch von uns Sozialdemokraten im ganzen mit Beifall bedachten Regierungserklärung am 1. September haben Sie die Chance leider nicht genutzt. Die Aufforderung - so wörtlich - , „wir sollten nicht weiter darüber diskutieren", zeigt die Verlegenheit Ihres Ausweichens ins Unverbindliche.
Nein, Deutschlandpolitik betrifft beide deutsche Staaten einschließlich Berlin, und sonst nichts. Unaufgebbarer Bestandteil dieser Politik ist es, daß Deutsche aus der DDR für uns nicht Ausländer sind. Mag man das verfassungsrechtlich oder politisch-programmatisch begründen, so ist es doch vor allem eine Lebenstatsache. Ich würde es nicht fertigbringen, einem Magdeburger oder Dresdner zu eröffnen, daß er ab sofort für mich Ausländer ist.
({15})
Ich denke, wir sind uns in dieser Haltung so gut wie alle einig. Anderslautende, sehr theoretische Vorschläge einzelner ändern das nicht.
Um den Legenden, die auch heute wieder verbreitet worden sind, entgegenzutreten: In unseren Beiträgen zur Diskussion über die Geraer Forderungen haben wir immer gesagt, es wird diesen Zustand mit uns niemals geben, daß Deutsche aus beiden Staaten füreinander Ausländer sind.
({16})
Uns ging es darum, festzustellen, daß die Staatsbürgerschaft als solche bereits respektiert wird, daß es mehr aber nicht gibt.
({17})
Lafontaines Äußerung im Herbst 1985 hat den Sprachgebrauch nicht genau getroffen.
({18})
Wenn man aber diese Äußerung zitiert, dann bitte ich Sie, auch zu erinnern, daß er sie klargestellt hat und daß die Debatte darüber im Saarländischen Landtag zu einer einvernehmlichen Entschließung aller Fraktionen geführt hat. Das ist klargestellt, Herr Bundeskanzler, kommen Sie damit nicht wieder an.
Daß die Bundesrepublik niemanden gegen seinen Willen vereinnahmt, ist längst klar. Die DDR mag sich sagen lassen, daß kein Staat einen allgemeinen völkerrechtlichen Anspruch darauf hat, daß seine Bürger von einem anderen Staat, dem sie sich anschließen wollen, abgewiesen werden.
Sind die Bürger der DDR für uns Deutsche und wollen sie zu uns kommen, so ist es unsere selbstverständliche Pflicht, sie aufzunehmen, auch wenn die Übersiedlerzahl unerwartet hoch ansteigt. Es sollte nicht erst des Hinweises auf die Tüchtigkeit der neuen Bürger und ihrer Nützlichkeit für unser Wirtschafts- und Sozialsystem bedürfen, um den engstirnigen Egoismus zum Schweigen zu bringen, mit dem manche bei uns mißgünstig auf die Zuwanderer blicken.
({19})
Natürlich gilt unsere Sorge denen, die im Ausland und in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin in besonders bedrängter Lage sind. Eine Lösung für sie ist wünschenswert. Sie erfordert freilich unser konstruktives Mitdenken. Denn auf die Frage, wie sich die erneute Benutzung solcher Wege aus der DDR ausschließen läßt, sollte man sich wohl einlassen, wenn man, wie die Bundesregierung, dazu auffordert, die Ausreise nicht über die diplomatischen Vertretungen zu suchen.
In diesem Zusammenhang kann man schließlich nicht ignorieren, daß die DDR-Behörden in diesem Jahr bislang etwa 60 000 Menschen die Übersiedlung in die Bundesrepublik genehmigt haben.
Bei alledem - da stimme ich Herrn Mischnick ausdrücklich zu - dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, über der Beschäftigung mit Ausreisewilligen diejenigen zu vernachlässigen, die in der DDR bleiben und dort ihre Aufgaben erfüllen wollen. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, angesichts der Schlagzeilen zu den Übersiedlern vergessen zu sein. Sie müssen unsere besondere Zuwendung erfahren und auch spüren können, indem wir die privaten Kontakte gerade jetzt verstärken, indem wir auf sie hören und indem wir alle geeigneten politischen Maßnahmen ergreifen, um sie zu stützen und ihre Lebensumstände zu verbessern.
({20})
Uns Sozialdemokraten überrascht es nicht, daß engagierte kritische Bürger der DDR sich mit ihren Überlegungen dem demokratischen Sozialismus nahefühlen. Wir sehen darin die Bestätigung nicht nur unseres Mühens um den Zusammenhalt Deutschlands, sondern auch unserer Überzeugung, daß Sozialismus und Demokratie untrennbar zusammengehören.
({21})
So wird man in der DDR bei der Suche nach Wegen zu Veränderungen natürlich auch in dieser Richtung denken und diskutieren. Darüber in einen Meinungsaustausch zu treten, wenn es gewünscht wird, gehört für uns zu den selbstverständlichen deutsch-deutschen Kontakten.
Ob es darüber hinaus sinnvoll ist, in Anknüpfung an die früher in der DDR und zuletzt noch in Ost-Berlin bestehende SPD bestimmte Organisationsformen zu suchen, haben nicht wir zu entscheiden. Wer uns aber fragt, dem würden wir freilich den Eindruck nicht vorenthalten, daß gegenwärtig eine solche Formalisierung leicht auf Schwierigkeiten stoßen könnte, ange11754
sichts derer weitgespannte Erwartungen unerfüllbar wären.
({22})
- Wir entscheiden doch nicht, wer sich wo und wie und auf Grund welcher Einsichten organisiert. Soll denn unsere Bevormundung gleich die andere ablösen, unter der diese Menschen leiden?
({23})
Meine Damen und Herren, in den deutsch-deutschen Beziehungen erleben wir gegenwärtig eine unruhige, aber auch eine spannende Phase. Rückschläge drohen, aber auch neuer Aufbruch nach vorne zeichnet sich ab, wie wir ihn wiederholt erlebt haben. Tun wir alles, um diesen Aufbruch zu erleichtern. Unterlassen wir alles, was diese Möglichkeit verschütten und uns zurückwerfen könnte.
Vielen Dank.
({24})
Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir setzen die Aussprache fort. Der Abgeordnete Lintner hat als erster das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schmude von der SPD, der vorhin einige kritische Anmerkungen gemacht hat, ist jetzt leider noch nicht da. Aber erlauben Sie mir, wiederum drei Bemerkungen dazu zu machen. Herr Büchler, Sie können sie ihm ja ausrichten.
Zunächst einmal, glaube ich, hätte er hier zugestehen sollen, daß der Dialog zwischen der SPD und der SED, den er hier als so vorbildlich dargestellt hat, doch daran krankt, daß Sie sich von der SED ein Trugbild, ein Traumbild gemacht haben, das jetzt natürlich zerschmettert am Boden liegt; denn die prinzipielle Reformunwilligkeit der SED hat sich ja in den vergangenen Tagen gezeigt.
Das zweite: Begrüßenswert finde ich es auch, daß Sie von der SPD jetzt plötzlich so vehement dafür eintreten, daß Wirtschaftshilfe nur gegeben werden kann, wenn die SED zu Reformen bereit ist.
({0})
- Ach, Herr Büchler.
Auch da kann ich nur konstatieren, daß Sie hier eine 180-Grad-Kurve vorgenommen haben.
({1})
Wir sind ja nicht dagegen; wir sind in diesem Punkt Ihrer Meinung. Aber dann stellen Sie bitte auch in der Öffentlichkeit dar, daß Sie sich geändert haben, und machen Sie es nicht mit dem Finger auf die Regierung zeigend.
Herr Abgeordneter, ich glaube, Herr Kollege Büchler möchte eine Zwischenfrage stellen. - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Lintner, erinnern Sie sich an meine kritischen Anmerkungen zu den Krediten von Strauß und auch zu der Transitpauschale? Meine konkrete Frage: Erinnern Sie sich daran, daß ich kritisiert habe, daß das ohne Bindungen geschehen ist?
Herr Büchler, Sie wissen, ich schätze Ihre Sachlichkeit; aber Sie sind leider nicht die ganze SPD.
({0})
Wenn ein stellvertretender Parteivorsitzender wie Lafontaine oder auch Herr Schmude andere Meinungen in der Öffentlichkeit äußert, muß ich das trotz Ihres Dementis zur Kenntnis nehmen.
({1})
Drittens, meine Damen und Herren, muß ich konstatieren: Es hat mir eigentlich wohlgetan, daß Herr Schmude heute in den Mittelpunkt seiner Rede Gott sei Dank die Kritik an der SED und an den Verhältnissen in der DDR gestellt hat und daß er sich weniger wieder mit der Nabelschau hier in der Bundesrepublik beschäftigt hat. Ich glaube, das ist ein Ansatzpunkt. Daraus könnte auch bei Ihnen in der Deutschlandpolitik noch eine richtige, konstruktive Arbeit werden.
Für eines habe ich kein Verständnis, nämlich dafür, daß hier wieder so getan wird, als hätte irgend jemand die Grenzdiskussion ausgelöst. Denn, meine Damen und Herren, Sie sind sich doch darüber im klaren: Das, was z. B. der Bundesfinanzminister Dr. Waigel gesagt hat, war nichts anderes als das wörtliche Zitat von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Daß so etwas im Deutschen Bundestag oder auch außerhalb, in der Öffentlichkeit, gesagt wird, ist noch nicht einmal kommentierungswürdig; denn es ist selbstverständlich. Wenn Sie daraus dann eine Grenzdiskussion erdichten wollen, finde ich das nicht in Ordnung. Sie sollten sich im Gegenteil auch einmal öffentlich zu diesem Teil des Grundgesetzes bekennen.
({2})
Sie sind doch in diesem Punkt dauernd auf der Flucht vor dem Grundgesetz. Das mußte auch einmal herausgestellt werden.
({3})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat zu Recht festgestellt, daß die deutsche Frage jetzt wieder auf der Tagesordnung der Politik steht. Wenn das der Fall ist, dann natürlich erstens deshalb, weil im
Ostblock Reformanstrengungen in Richtung Demokratie zu erkennen sind, aber zweitens doch auch vor allem deshalb, weil wir von den Unionsparteien und die FDP in der Vergangenheit nicht bereit waren und bis heute auch nicht bereit sind, die deutschlandpolitischen Grundforderungen, die z. B. Gewährung des Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen und daraus resultierend dann zwangsläufig auch das Recht zur Widervereinigung lauten, antasten zu lassen.
({4})
Im Gegenteil, meine Damen und Herren, wir mußten diese Grundentscheidungen, die ja auch in unserer Verfassung und in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ihren Niederschlag gefunden haben, bis in die jüngste Zeit hinein gegen Ansinnen aus den Reihen der GRÜNEN, aber leider eben auch aus den Reihen der SPD, verteidigen, die uns immer zumuten wollten, doch ganz auf das Wiedervereinigungsgebot im Grundgesetz endlich zu verzichten.
({5})
Wir hatten nie Zweifel daran - Herr Kollege Büchler, das wissen Sie - , daß sich die Menschenrechte tatsächlich durchsetzen würden, und heute sind wir Gott sei dank mitten in dieser Entwicklung, auch wenn sich die kommunistische SED in der DDR dagegen noch heftig sträubt.
Wie falsch im übrigen die Sozialdemokratie
({6})
- das habe ich bereits gesagt - ihren so umhegten Gesprächspartner SED eingeschätzt hat, zeigt sich heute an der offen zutage tretenden Reformunwilligkeit der SED. Ein prominenter Wissenschaftler in der DDR, zuständig für die sozialistische Ideologie, Professor Reinhold, Ihr bevorzugter Gesprächspartner, hat mittlerweile unumwunden zugegeben, daß es für die DDR eigentlich keine Existenzberechtigung gebe, es sei denn, das sozialistische System. Das mag aus der Sicht eines Kommunisten scheinbar ausreichend sein, nicht aber aus der Sicht der betroffenen Menschen und schon gar nicht aus der Sicht unserer Demokratie.
({7})
Denn wieso - so muß man doch fragen - soll eigentlich ein sich elitär gebendes kommunistisches Regime das Recht haben, Menschen zu entmündigen, zu bevormunden, zu gängeln, auszubeuten und auch noch einzusperren, wenn sie sich dagegen sträuben?
({8})
Wir dürfen als Demokraten doch erst gar nicht auf den Gedanken kommen, all diese Opfer den Deutschen in der DDR aus Rücksicht auf den Herrschaftsanspruch einer Schicht kommunistischer Feudalherren zumuten zu wollen.
({9})
Aber leider, meine Damen und Herren, gerade aus den Reihen der GRÜNEN, gibt es solche Ratschläge bei uns in der Bundesrepublik.
Unser ständiger Vertreter in der DDR, in Ost-Berlin, der Herr Bertele, hat die Verantwortlichkeit für die
Fluchtbewegung aus der DDR bei der Messeeröffnung in Leipzig mit erfreulicher Klarheit öffentlich angesprochen
({10})
und damit beispielhaft für die ganze Bundesregierung auch Flagge gezeigt.
Den SED-Machthabern in der DDR fehlt jegliche Legitimation, um ihrer Bevölkerung solche Opfer zuzumuten. Angesichts der Fluchtbewegung aus der DDR, Hunderttausender von Ausreiseanträgen und unzähliger offensichtlicher Wahlfälschungen wird ja niemand behaupten können, die SED habe auch nur den Schein einer Legitimation für ihre Herrschaft vorzuweisen.
Aber fragen wir uns heute: Wie soll denn die Entwicklung nun weitergehen, welche Konsequenzen müssen beispielsweise wir aus der gegebenen Lage ziehen? Zunächst einmal können wir feststellen: Die bisherige Politik der kleinen Schritte hat sich bewährt; sie muß fortgesetzt werden.
({11})
Sie hat insbesondere den Zusammenhalt der Deutschen gestärkt und dazu beigetragen, das Entstehen einer nationalen Legitimation der DDR, der berühmten sozialistischen Nation, zu verhindern. Jetzt beginnt aber eine Phase, wo es nicht mehr nur um die kleinen Schritte gehen kann, sondern um demokratische Kernsubstanz und dabei naturgemäß auch um die Perspektive des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen geht.
({12})
Diesem historischen Prozeß kann die DDR ohnehin nicht entgehen, sosehr sie sich auch dagegen wehrt. Je länger sie Widerstand leistet, um so dramatischer kann die Realität dann werden.
({13})
Um die Bereitschaft zu Reformen in der DDR zu fördern, ist öffentlicher Druck auf die SED notwendig, und zwar von hier aus, aber auch durch unsere ausländischen Freunde und Partner und unter operativer Nutzung dafür geeigneter multilateraler und auch internationaler Vereinbarungen und Einrichtungen. Dabei können uns unsere Freunde im Europarat und im Europäischen Parlament wie schon bisher tatkräftig helfen. Auch die übrigen Institutionen der EG sollten sich vielleicht mehr als bisher daran beteiligen.
({14})
Es sollte auch keinerlei Zweifel unterliegen - da gebe ich dem Kollegen Egon Bahr jetzt wiederum recht, Herr Büchler - : Ein da und dort vorgeschlagener Marshall-Plan für die DDR oder wirtschaftliche und finanzielle Hilfen haben so lange keinen Sinn, wie die SED zu den von uns geforderten substantiellen Reformen nicht bereit ist.
({15})
Meine Damen und Herren, ohne diese Veränderung ist die DDR - wie im übrigen alle kommunistischen Staaten - ein Faß ohne Boden. Es wäre nicht zu rechtfertigen, da noch Finanz- und Steuermittel hineinzuschütten.
Die Menschen flüchten aus der DDR ja ohnehin nicht nur, weil es uns hier in der Bundesrepublik wirtschaftlich besser geht, sondern weil in der DDR ein Klima der Unterdrückung, der Bevormundung und der Leistungsfeindlichkeit herrscht, das zu einer grenzenlosen Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit führt. Es ist geradezu mit den Händen zu greifen, daß es in der DDR so nicht weitergehen kann. Die SED ist nun, ob sie das einsehen will oder nicht, über kurz oder lang am Ende. Mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Gewalt - die Divisionen hat der Kollege Brandt am Freitag hier angesprochen - wird sie ihre Herrschaft auf die Dauer nicht erhalten können.
Im Interesse der Stabilität und des Friedens in Europa wäre es deshalb in höchstem Maße wünschenswert, meine Damen und Herren, wenn sich auch in der DDR Kräfte finden würden, die bereit sind, sich auf demokratische Reformen einzulassen. Daß dabei allerdings die deutschlandpolitische Perspektive, nämlich das Selbstbestimmungsrecht, nicht ausgeklammert werden kann, versteht sich meines Erachtens von selbst. Es gehört zur demokratischen Kernsubstanz.
({16})
Denn, meine Damen und Herren, wer wollte es denn unter einer demokratischen Ordnung lebenden Deutschen in der DDR verwehren, ihr Selbstbestimmungsrecht einzufordern, auszuüben und dabei dafür zu plädieren, daß sich die DDR und die Bundesrepublik Deutschland zu Deutschland wiedervereinigen sollen?
Das bedeutet, daß sich die Kommunisten in der DDR früher oder später auf diese Perspektive einlassen müssen. Sie haben in diesem geradezu zwangsläufigen Prozeß am ehesten dann eine Chance bei der Bevölkerung, wenn sie sich ohne unnötiges Zögern auf diesen Weg begeben.
Die DDR droht durch die Starrköpfigkeit ihrer Führung zum eigentlichen Hindernis im Europäischen Haus des Michail Gorbatschow zu werden, denn sie blockiert damit das Zusammenrücken Europas. Natürlich mag es für die herrschenden Altstalinisten in der DDR eine deprimierende Erkenntnis sein, daß ihre ganzen Anstrengungen, die kommunistische Herrschaft endgültig zu etablieren, umsonst waren. Aber wenn sie nicht können oder nicht wollen, dann sollten sie wenigstens ihrer Partei und der Bevölkerung noch den Dienst erweisen, jüngeren Kräften Platz zu machen, um diese dann in die Lage zu versetzen, sich den Anforderungen der Zeit zu stellen.
({17})
In dem Zusammenhang sei noch gesagt: Nicht die Forderung nach Menschenrechten und Freiheit, sondern die Aufrechterhaltung einer perspektivlosen kommunistischen Diktatur ist destabilisierend.
({18})
Meine Damen und Herren, daß wir als Demokraten
uns niemals bereitfinden dürfen, diese Diktatur als
etwas Endgültiges anzuerkennen, gehört eigentlich
zum Selbstverständnis eines jeden Demokraten und braucht eigentlich gar nicht diskutiert zu werden.
({19})
Es wäre zutiefst unmoralisch, wie es der Präsident unseres Verfassungsgerichts, Herr Professor Herzog, bei seiner Ansprache hier zum 17. Juni ausgedrückt hat, wenn wir hier im Westen unsere Landsleute in der DDR einfach im Stich lassen würden.
Es bieten sich also neue Chancen in der Deutschlandpolitik, meine ich. Wir sollten dies einmütig begrüßen und versuchen, diese Chancen durch möglichst viel Gemeinsamkeit - das sei mein Appell an Sie, meine Herren - auch optimal zu nutzen, im Interesse der Deutschen auch in der DDR.
({20})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Frieß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht wieder einmal das Thema „Innerdeutsches" auf der Tagesordnung und damit auch die Definition von „deutsch sein" und die Frage: Was ist Deutschland? Die Frage, was deutsch ist, hat uns Herr Boenisch schon beantwortet:
Man darf als Deutscher zwar dümmer sein als Stalin, aber nicht weniger deutsch.
Wer deutsch ist, bestimmt das Gesetz: alle Staatsbürger und Staatsbürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik und die Deutschstämmigen aus Polen, der UdSSR, der CSSR, Ungarn, Bulgarien und Rumänien, ja sogar aus Albanien und China; ausgenommen sind laut Bundesvertriebenengesetz Deutschstämmige, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung sind; denn Deutschsein ist anscheinend auch immer gleichzeitig: für die FDGO sein.
({0}) - Freiheitlich demokratische Grundordnung.
({1})
Wo Gesamtdeutschland ist, steht im Grundgesetz, und zwar in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Manche - wie Herr Waigel - legen das noch ein bißchen großzügiger aus.
({2})
Da die Bundesrepublik nun die einzige demokratische Gesellschaft in Frieden und Freiheit ist, erhebt sie logischerweise den Alleinvertretungsanspruch für alle deutschen und muß deshalb, wie Franz Josef Strauß früher einmal bemerkte, „die Ostdeutschen aus der Sowjetknute befreien".
Innerdeutsch und damit der Traum vom Großdeutschen Reich ist so aktuell wie nie;
({3})
denn die Grenzen sind „künstlich", meinte Herr Dregger am Freitag, der gleichzeitig auch erkannte, daß Stalin die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trägt. Folglich muß endlich Schluß sein mit Schuld und Sühne, und Deutschland muß wieder das werden, was es war:
({4})
der entscheidende Machtfaktor in einem vereinten Europa.
Doch die früher aggressiveren Töne der Bundesrepublik haben sich mehrheitlich in moderatere Klänge verwandelt. Es heißt jetzt nicht mehr „Schlesien ist unser", sondern wir bauen auf das „Gesamteuropäische Haus", es heißt nicht mehr „Deutschland in seinen Grenzen nach '37", sondern wir fordern „ein Europa ohne Grenzen". Das Ziel bleibt allerdings das gleiche. Das Ziel ist ein großdeutsches Reich unter bundesrepublikanischer Führerschaft als wirtschaftlicher Machtfaktor in einem vereinten Europa.
Auf einem Symposium der Stadt Frankfurt zum Verhältnis zwischen Deutschen und Polen hat sich ein Teilnehmer dazu sinngemäß geäußert. Er sagte:
Die Frage der deutschen Grenzen ist heutzutage kein Thema mehr, wenn der Aufkauf Polens auf der Tagesordnung steht.
Ich denke, das ist der eigentliche Wandel in der derzeitigen Politik von Ihnen von den Regierungsparteien, aber auch Teilen der SPD.
({5})
- Ich bin in dem richtigen Raum.
({6})
Der bundesrepublikanische Machtbereich soll nach dem Osten ausgeweitet werden. Polen wird im bundesrepublikanischen Interesse durch Kredite mit Bedingungen demokratisiert, und auf kurz oder lang wird auch die Deutsche Demokratische Republik wirtschaftlich erobert werden. Und auf diesem Hintergrund stellt sich in einem Gesamteuropa auch, wie Willy Brandt bemerkte, die Frage der Grenzen nicht mehr. Auf diesem Hintergrund ist es für die Bundesrepublik langfristig auch völlig egal, ob es formale DDR-Grenzen gibt oder nicht. Hauptsache, der östliche Markt kann erobert werden, und die Bundesrepublik ist damit d i e Wirtschaftsmacht Europas.
({7})
Diesen Großmachtinteressen sollte die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ende setzen. Und diesen Großmachtbestrebungen erteilen wir GRÜNEN eine eindeutige Absage.
({8})
Unsere Position ist trotz der aktuellen Ereignisse immer noch dieselbe: Wir fordern die Anerkennung der DDR und damit auch die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft - ohne irgendwelche Vorleistungen.
({9})
Mit diesem Schritt wird die Grundlage für mehr Gleichberechtigung zwischen den zwei Staaten geschaffen, die entspanntere Beziehungen möglich macht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Nein, lasse ich nicht zu.
({0})
In Ordnung. Ich bedaure.
Es lesen auch andere ab.
Es bietet die Chance für freiere und ungehinderte Verbindungen zwischen Menschen. Es eröffnet vielleicht auch die Möglichkeit für die DDR-Staatsbürgerinnen und -bürger, ihre Vorstellungen von Demokratie in der DDR durchzusetzen. Diese emanzipatorischen Reformbestrebungen der DDR-Bürger werden wir mit all unseren Kräften unterstützen,
({0}) Reformbestrebungen, die von den Menschen dort ausgehen, und nicht solche, die ihnen Herr Bundeskanzler Kohl oder z. B. der SPD-Abgeordnete Körting verordnen wollen.
({1})
Das heißt nicht - um es nochmals klarzumachen - , daß wir die Verhältnisse in der DDR gutheißen. Es bedeutet, daß wir einklagen, was faktisch schon gegeben ist: die DDR als eigenständiger Staat. Das heißt auch nicht - um jetzt auf die Frage der Flüchtlinge zu kommen -, daß wir die Menschen aus der DDR als DDR-Staatsbürgerinnen bzw. -bürger zurückschicken wollen.
({2})
- Es gibt keine AL-Lösung. - Die Vorstellung des Zurückschickens würde all unseren Grundsätzen einer Immigrantinnen bzw. Immigranten- und Flüchtlingspolitik widersprechen.
Im Gegensatz zur Politik der Bundesregierung, die jahrzehntelang unsere „Brüder und Schwestern" zum Umzug in den „goldenen Westen" überreden wollte
({3})
und jetzt „die Geister, die sie rief", am liebsten wieder zurückschicken will, damit - so Staatssekretär Priesnitz - „die Wiedervereinigung nicht in der Bundesrepublik stattfinden muß", treten wir GRÜNEN für das uneingeschränkte Bleiberecht dieser Menschen ein. Dieses Bleiberecht muß allerdings mit einer anderen Politik für Immigrantinnen bzw. Immigranten und Flüchtlinge einhergehen. Denn es darf in unserer Gesellschaft keine Menschen zweiter Klasse geben. Folglich muß in Zukunft den DDR-Bürgerinnen und -Bürgern, aber auch anderen Deutschstämmigen
({4})
die Annahme der bundesrepublikanischen Staatsbürgerschaft garantiert werden. Das muß aber gleichzeitig auch für andere Einwanderer ermöglicht werden.
Gleichzeitig fordern wir grundsätzlich bessere Bedingungen für alle anderen Immigrantinnen bzw. Immigranten und Flüchtlinge. Allerdings setzt das eine alternative Sozial- und Arbeitspolitik voraus, die derzeit von der Bundesregierung überhaupt nicht in Angriff genommen wird. Wohnungen müssen gebaut werden, Lohnarbeit muß verkürzt werden, um die Arbeit umzuverteilen, und die soziale Absicherung muß angehoben werden. Das Zweimilliardenprogramm der Bundesregierung für die Menschen aus dem Osten muß aufgestockt werden. Es ist nicht so, als sei überhaupt kein Geld da. Zum Beispiel wären die 10 Milliarden DM für den Jäger 90 eine gute Finanzquelle und gleichzeitig ein guter Schritt zur Abrüstung. Ich denke, es gibt noch mehr Bereiche, wo man umverteilen könnte.
Zusammengefaßt heißt das für uns:
({5})
Wir fordern erstens die konsequente Absage an jegliche Großmachtsbestrebungen, zweitens die Anerkennung der DDR und der DDR-Staatsbürgerschaft
({6})
und drittens eine grundsätzlich andere Politik für Immigrantinnen bzw. Immigranten und Flüchtlinge, um in Zukunft das zu verhindern, was derzeit noch Wahres in dem Zitat von Wolfgang Neuss steckt, den ich zum Schluß zitieren will:
Das Beste
Es läßt mich nicht ruhen: Wie kann ich wirklich was für Europa tun? Und wenn Du mich einen Landesverräter nennst - das Beste wäre für Europa, wenn Frankreich bis an die Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Haushalts- und gerade in der deutschlandpolitischen und außenpolitischen Debatte gehe ich normalerweise gern auf die Ausführungen des Vorredners ein. Aber über absurde Unterstellungen kann man nicht diskutieren.
({0})
Meine Kollegen, da wir den Haushalt beraten, bitte ich um Nachsicht, daß ich einige Bemerkungen zum Haushalt mache. Ich möchte mich zum Einzelplan 27 und zum Einzelplan 05 mit kurzen Anmerkungen äußern.
Beim Einzelplan 27 ergeben sich erfreulicherweise keine Probleme. Die Haushaltsansätze können als maßgeschneidert angesehen werden, um die deutschlandpolitischen Aufgaben erfüllen zu können.
Hinsichtlich des Auswärtigen Amtes hat es im vergangenen Jahr bei der Beratung des Einzelplans 05 von allen Fraktionen positive Bekundungen zum Gesetz über den Auswärtigen Dienst gegeben. In der Tat hat das Kabinett jetzt mit dankenswerter Unterstützung des Bundesfinanzministers die Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Auch wenn der Gesetzentwurf nun alsbald Papierform annehmen wird, bedarf es in den nächsten Wochen noch großer Überzeugungsarbeit, um bei den Innen- und Haushaltspolitikern die immer noch erkennbaren, von Zweifel und Sorgen genährten Stirnfalten zu glätten.
Eine Fußnote noch zum Bereich der auswärtigen Kulturpolitik: Die Steigerungsrate sieht beim reinen Zahlenvergleich passabel aus. Aber Zuwendungsempfänger wie das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst haben gewehklagt. Wir sind uns dessen bewußt, daß Regierung und Bundestag den Zuwendungsempfängern in einer sich aufhellenden europäischen Landschaft nicht neue Aufgaben zuweisen können, ohne daraus resultierende finanzielle Mehrbelastungen abzudecken. In der Tat muß die finanzpolitische Konfliktlage mit Fairneß korrekt ausgesteuert werden.
Ich bin guter Hoffnung, daß wir bei den Beratungen adäquate Lösungen finden werden. Denn in diesem Zusammenhang hat es keineswegs einen Peitschenknall von seiten des Bundesfinanzministers gegeben; deshalb werden wir sicher eine einvernehmliche Lösung finden.
({1})
Meine Damen und Herren, 50 Jahre, nachdem das Deutsche Reich durch den Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg entfesselt hat, zeichnet sich in Europa eine Perspektive ab, die historisch das Ende der Nachkriegszeit bedeuten könnte. Als 1945 der Krieg endete, war der Friede noch lange nicht gewonnen. Europa und Deutschland wurden geteilt. An der Trennungslinie zwischen Ost und West standen und stehen sich bis heute hoch gerüstete Armeen gegenüber. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker Osteuropas wurde mißachtet. Demokratische Rechte, gesellschaftlicher Pluralismus, individuelle Freiheit und Menschenrechte wurden in diesen Staaten der Diktatur von Parteien geopfert, die für sich in Anspruch nehmen, immer recht zu haben.
Kriegerische Auseinandersetzungen konnten allerdings dank der Festigkeit des westlichen Bündnisses und der Bereitschaft der USA, ihre Verantwortung für Europa wahrzunehmen, vermieden werden. Westeuropa konnte Freiheit, Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte bewahren. Zugleich fanden die freien Staaten Europas Kooperationsformen, die auf Vertrauen und gegenseitiger Verflechtung basieren. Der Europarat, die westeuropäische Union und vor allem die Europäische Gemeinschaft sind Beispiele dafür.
Der Westen hat mit langem Atem nachgewiesen, daß sein System politisch erfolgreich ist und den Wünschen seiner Bürger gerecht wird.
({2})
Aus dem friedlichen Wettbewerb der Systeme entwickelte sich so für die Staaten Osteuropas der Handlungsbedarf im Hinblick auf Reformprozesse. Die Bereitschaft der Sowjetunion, das auch von ihr bekräftigte Recht auf Selbstbestimmung zu respektieren, hat insbesondere in Polen und in Ungarn zu Entwicklungen geführt, die auf eine radikale Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abzielen. Beide Länder haben erkannt, daß ihr System reformiert werden muß, wenn es den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden soll, und daß Reformen in der Wirtschaft mit politischen Reformen Hand in Hand gehen müssen.
({3})
Der KSZE-Prozeß hat Menschen- und Bürgerrechte zu einem legitimen Thema des Ost-West-Dialogs gemacht. Der Westen und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland haben darauf beständig und mit Erfolg hingewirkt. Heute kann sich kein Teilnehmerstaat der KSZE mehr der internationalen Beurteilung seiner Menschenrechtspolitik entziehen.
Der Erfolg des in Europa eingeleiteten Prozesses hängt sehr wohl - wir wissen es - entscheidend von der Reformpolitik der Sowjetunion ab. Ich habe keinen Zweifel daran, daß Generalsekretär Gorbatschow die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ebenso ernsthaft anstrebt wie die Einführung marktwirtschaftlicher Reformen. Dies folgt doch schon aus der Erkenntnis, daß die Sowjetunion ihre Rolle in Zukunft nur weiter spielen kann, wenn sie auf den Gebieten stark ist, auf die es heute ankommt: Wirtschaft, Finanzen, Technologie.
Die inneren Reformen in der Sowjetunion liegen folglich nicht nur im Interesse der Bevölkerung, sie entsprechen auch dem Ehrgeiz seiner politischen Elite. Das Reformwerk ist in der Sowjetunion eine gewaltige politische Aufgabe, die mit großen Risiken verbunden ist. Die bisher eingeleiteten Reformen werden von uns mit Hoffnung und Sympathie verfolgt. Aber wir wissen - ich habe es schon einmal gesagt -, weniger Wodka und mehr Technologie sind noch nicht die Gleichung für Demokratie.
Meine Damen und Herren, was tut die DDR angesichts dieser positiven Entwicklung in Osteuropa? Mit ihrem phrasenhaften Dogmatismus und der Beschwörung des Marxismus-Leninismus treibt sie enttäuschte
Bürger aus der Heimat. Offensichtlich schätzt die Führungsspitze in Ost-Berlin die sowjetische Politik heute noch genauso ein, wie sie einmal Karl Marx gesehen hat. Dort hieß es:
Ändern können sich Rußlands Methoden, seine Taktik, seine Manöver, nicht aber seine Ziele. Der Polarstern der russischen Politik, die Beherrschung der Welt, ist ein Fixstern.
Meine Damen und Herren, gemeinsam mit Ceausescu, der Gorbatschow ja einen Hasardeur genannt hat, meint offenbar auch die Honecker-Crew, daß die Reform des Kommunismus zum Scheitern verurteilt ist. Bei so viel Tristesse verbreitender Starrheit dürfen sich dann die Fußkranken der Perestroika nicht wundern, wenn die Bevölkerung darauf mit Massenflucht reagiert.
Aber nicht nur im Leben des einzelnen, auch im Leben der Völker stehen die Signale auf Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Selbständigkeit. Wir müssen deshalb die Wiedervereinigung als einen langen historischen Prozeß ansehen, dem man sich nur geduldig nähern kann - Schritt für Schritt, Zug um Zug, jahrein, jahraus.
Die Nationen Osteuropas schauen auf Deutschland als Brücke nach Europa. Hier liegen Anknüpfungspunkte für eine wohlverstandene deutsche Interessenpolitik. Die nationale Aufbruchstimmung bei den Völkern des Ostens ist auch eine Chance für die Deutschen, ihre Einheit in Freiheit wiederzufinden.
({4})
Meine Damen und Herren, in einem sich mehr und mehr öffnenden Europa wird sich auch die DDR-Führung in das politisch Unvermeidliche fügen müssen. Sie kommt an Reformen nicht vorbei. Was das heißt, läßt sich von Polen, Ungarn und der Sowjetunion lernen. Nur eine solche Perspektive wird die Bürger der DDR dazu veranlassen, sich in ihrer Heimat zu engagieren.
Was können wir in der Bundesrepublik Deutschland tun? Wir werden nicht aufhören, die DDR-Führung an ihre internationalen Verpflichtungen und an die politische Unausweichlichkeit von Reformen zu erinnern. Auch unsere Partner in der KSZE und in der EG werden dies tun.
({5})
Jeder Bürger der DDR, der Aufnahme bei uns sucht, ist nach wie vor willkommen. Wir müssen alles tun, um den Deutschen die Übersiedlung menschlich und wirtschaftlich so leicht wie möglich zu machen. Gleichwohl werden wir auch weiter niemanden auffordern, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Im Gegenteil: In der DDR wird jeder Bürger gebraucht, der dort auf Reformen drängen kann und sie dann mitgestalten muß, wenn auch die DDR-Führung endlich zur Einsicht kommt.
({6})
Erfreulicherweise wird auf solche Korrekturen nun auch in Ost-Berlin gedrängt. Anfang August hat sich dort die Liberaldemokratische Partei für eine bessere Information der DDR-Bürger über die innenpoliti11760
schen Vorgänge durch die Massenmedien eingesetzt und dies der SED zur Entscheidung auf ihrem anstehenden Parteitag zugeleitet. Darüber hinaus will die LDP die Kommunalpolitik bürgernah praktizieren. Sie macht ihren Abgeordneten in der DDR Mut, ihr Anfragerecht stärker zu nutzen und sich bei Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung einzumischen, um so Mitinitiator von gesellschaftlichen Veränderungen zu sein. Hier ist wenigstens ein Ansatz erkennbar, den es zu unterstützen gilt, damit er auch greifen kann - im Interesse der Menschen im geteilten Deutschland.
({7})
Wer angesichts dieser Entwicklung bei uns glaubt, in der Teilung Deutschlands ein sinnvolles Instrument für die Gestaltung eines friedlichen Europas gefunden zu haben, befindet sich im eklatanten Widerspruch zum erklärten Willen der Bürger im geteilten Land.
({8})
Meine Damen und Herren, jüngste Umfragen belegen nämlich eindeutig, daß sich die Bundesbürger für die Wiederherstellung der deutschen Einheit aussprechen.
({9})
Und nun lese man: 79 % der Bundesbürger sind dafür; darunter auch 50 % der Wähler der GRÜNEN und 72 % der Wähler der SPD.
({10})
Daß in der DDR der Anteil höher ist, das wissen wir.
Meine Damen und Herren, die Lösung der offenen deutschen Frage bleibt im Rahmen der europäischen Friedensordnung einer Zeit vorbehalten, in der unter den Europäern Sicherheitsfragen keine Rolle mehr spielen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker eine Selbstverständlichkeit ist und die Menschenrechte überall etabliert sind. In einer solchen Friedensordnung werden die Deutschen im Einvernehmen mit ihren Nachbarn über die deutsche Einheit nach demokratischen Regeln entscheiden können. Die Entwicklung in Europa führt die Europäer aufeinander zu. In der Überwindung der Trennung Europas liegt die Chance der unteilbaren deutschen Nation. Und so bleibt die deutsche Einheit auf der Tagesordnung, ja, heißer denn je.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Überraschend kommt doch noch eine deutschlandpolitische Diskussionsrunde zustande; ich begrüße das. Ich hatte eigentlich
erwartet, daß es nach Rühe noch etwas rüder wird durch Herrn Lintner.
({0})
Das ist nicht eingetreten; das begrüßen wir. Ich bin überhaupt erfreut, daß in der letzten Zeit anscheinend wieder eine bestimmte Bewegung zwischen den großen Parteien vorhanden ist, in der Deutschlandpolitik etwas gemeinsam zu gestalten.
({1})
- Nein, das würde ich glatt abstreiten; denn genau das Gegenteil ist der Fall. Herr Lintner, Sie haben, so meine ich, richtig signalisiert, daß Sie bereit sind, über das hinauszudenken, was Sie bisher vertreten haben. Das können wir als Sozialdemokraten nur begrüßen.
Die erste Stufe war: Sie haben unsere sozialliberale Politik akzeptiert. Nun denken Sie darüber nach, was danach werden soll. Ich meine, daß wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten und Jahren bestimmt genug an Vorschlägen für Diskussionen eingebracht haben, um die Deutschlandpolitik weiter zu entwikkeln.
({2})
- Es tut mir leid, gnädige Frau, aber auf Ihren Beitrag kann ich heute leider nicht eingehen. Das war mir einfach zu kompliziert, zu unverständlich und abseits jeder Realität, so daß ich mich also wirklich nicht damit beschäftigen kann.
({3})
Ich möchte ein paar Worte zu der Grenzdiskussion sagen, Herr Lintner, weil Sie das noch einmal aufgeworfen haben. Es geht um die leidige Diskussion über die polnische Westgrenze. Ganz klar ist das anscheinend bei Ihnen immer noch nicht. Wer Europa bauen will, wer auch den Deutschen in diesem Haus Europa ein gemeinsames Zuhause, in welcher Staatsform auch immer, geben möchte, der muß sich über eines klar sein: Die Polen brauchen ein gesichertes Zuhause. Die Westgrenze der Polen darf nicht mehr angetastet werden,
({4})
wenn wir in Zukunft Europa bauen wollen. Herr Lintner, die Sozialdemokratie hat hier weit vorangedacht. Sie sollten dem schön langsam folgen. Sie wissen, welche Diskussionen wir im Rahmen unserer deutschlandpolitischen Debatte zur Lage der Nation hier geführt haben.
({5})
Wir als Sozialdemokraten stehen - darüber gibt es gar keinen Zweifel - für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen auch in der DDR ein. Wir als Sozialdemokraten stehen für das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen in der ganzen Welt ein, warum denn auch nicht für die in der DDR. Wer daran zweifelt, hat die Sozialdemokratie nicht begriffen. Das brauchen sie aber nicht zu begreifen. Dazu sind sie ja nicht da. Nur muß klar sein: Selbstverständlich ist das
Büchler ({6})
für uns ein Auftrag, den wir mit Sicherheit nicht vernachlässigen werden.
Die DDR-Bürger müssen eines Tages entscheiden, in welcher Art und Weise sie ihren Staat oder mit uns zusammen zu organisieren haben. Das ist doch der erste Punkt, über den sich die politischen Parteien hier im Bundestag allgemein einig sein müssen, bevor wir vielleicht eine neue Deutschlandpolitik, wenn es denn nötig ist, auch miteinander, diskutieren sollten.
Ich habe das nach den langen Diskussionen deutlich gemacht. Die Innerdeutsche Arbeitsgruppe der SPD verfolgt seit Jahren einen klaren Kurs. Natürlich haben wir auch unsere Diskussionen. Aber der Kurs ist klar.
({7})
Ich habe dafür immer gesprochen, da gibt es gar keinen Zweifel. Wirtschaftshilfe für die DDR - Herr Lintner, Sie haben davon gesprochen - ist doch nichts Neues, seit fünf Jahren sagen wir das. Sie muß gebunden sein im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe, die Produktion erzeugt und den Menschen etwas bringt. Da kann es ohne Reformen nicht abgehen. Ich sage noch einmal: Wie die Deutschen eines Tages wieder zusammenleben werden und in welcher Form, darüber müssen die DDR-Bürger mit uns zusammen bestimmen.
Ich möchte etwas zu den aktuellen Problemen sagen, die jetzt anstehen. Sie wissen, ich war auch in Prag und habe mit den Menschen in der Botschaft geredet.
({8})
- Keine Frage. Es ist unsere Pflicht als Abgeordnete, mit den Menschen zu reden, möglichst ohne Fernsehkamera, wenn es denn geht.
({9})
- Ja, ich auch. Denn das andere hilft den Menschen nicht.
Ich möchte, an die DDR gerichtet, sagen: Wenn Bürger dieses Land verlassen wollen und diesen beschwerlichen Weg gehen, sei es über Ungarn oder über unsere Botschaften, dann soll doch die DDR-Führung so einsichtig sein, daß die Bürger nicht mehr zurück müssen, die unbedingt nicht in das Land zurück wollen; sondern sie soll sie ziehen lassen. Es gibt für keinen Staat ein Recht auf Menschen. Wir sind uns wohl in dieser Frage einig.
({10})
Ich möchte jetzt ein Wort zum KSZE-Prozeß sagen, weil da eigentlich in den letzten Jahren etwas nicht so recht deutlich geworden ist. Herr Schmude hat heute früh davon gesprochen, wie schwierig es war, den Prozeß auf den Weg zu bringen; es gab Sondersitzungen usw. Ich denke, es ist eine historische Leistung der Sozialdemokratie und der Liberalen, daß dieser Prozeß auf den Weg gebracht worden ist,
({11})
und zwar - ich will das nicht wiederholen - gegen Ihren stärksten Widerstand. Die Ostverträge, die Verträge, die sich daraus entwickelt haben, und natürlich der KSZE-Prozeß haben diese Bewegung in den osteuropäischen Staaten erst möglich gemacht. Daß Gorbatschow gekommen ist, hat das beschleunigt. Das muß man alles im Zusammenhang sehen. Es ist nicht Ihr Verdienst, daß es so gekommen ist, sondern das ist ein Verdienst der sozialliberalen Koalition, ist unsere ureigene Politik im richtig verstandenen Sinne. Nicht die Grenzen waren das Entscheidende bei der Diskussion; sie können so bestehenbleiben, wenn sie denn durch den Korb III, den wir dort festgemacht haben, durchlässiger werden. Das ist eine Politik, die uns jetzt natürlich weiterhilft. Wenn Sie sich dazu bekennen, dann ist das eine gute Sache. Ich denke auch, daß sich dem kein osteuropäisches Land entziehen kann.
Wir diskutieren immer - auch das möchte ich in diesem Rahmen sagen - über die stalinistischen Staaten, die da noch übriggeblieben sind: DDR, Tschechoslowakei und natürlich Rumänien und Kuba. Ich bitte dringend darum, die Tschechoslowakei etwas differenzierter zu sehen und auch dort das Gespräch zu suchen, damit in der Tschechoslowakei ein Reformprozeß auf den Weg gebracht wird. Ich denke, das lohnt sich; das sind zumindest meine Erfahrungen. Ich habe das Gefühl, daß die Tschechoslowakei nicht der Fußkranke der Perestroika sein will, sondern, so meine ich, nur noch Schwierigkeiten hat, diese Perestroika umzusetzen. Sie sagen, sie hätten 87 Gesetze in dieser Richtung gemacht. Das Vertrauen aber - das habe ich ihnen auch gesagt - kann nur geschaffen werden, wenn sie selbst Vertrauen schaffen. Man kann es nicht herandiskutieren, sondern das Vertrauen muß von innen heraus kommen.
Ich begrüße auch sehr das Wort - Herr Hoppe hat es, glaube ich, gesagt - , daß Deutschland die Brücke zwischen Osten und Westen werden soll. Das ist eine Perspektive, die wir gemeinsam anstreben können, über die meines Erachtens mit Sicherheit auch mit den osteuropäischen Staaten Einvernehmen hergestellt werden kann.
Sie haben den Einzelplan 27 angesprochen. Das war nun das Thema, das heute leider nicht stattgefunden hat. Frau Minister, Sie kennen unsere kritischen Anmerkungen zu dem Haushalt, der immer mehr zum Vertriebenenhaushalt wird. Man muß - das muß ich leider sagen - offensiv mit den Vertriebenenverbänden diskutieren. Sie müssen von ihren unmöglichen Positionen herunterkommen. Sie müssen zurückkehren zu einer offenen Diskussion der Belange, die jetzt anstehen, die sich aus dem Öffnungsprozeß im Osten ergeben. Die osteuropäischen Völker dürfen nicht durch die Vertriebenenpolitik verunsichert werden, Das ist einer der Kernpunkte. Von den Vertriebenen denkt ja auch niemand daran, wieder dorthin zurückzugehen. Da ist ein Funktionärs-Club beieinander, der mit viel Geld aus dem innerdeutschen Ministerium Politik macht, ohne die Bedürfnisse der Men11762
Büchler ({12})
schen diesseits und jenseits der Grenzen zu berücksichtigen.
({13})
Deswegen muß man einmal darüber reden. Wir werden entsprechende Umschichtungsanträge stellen.
Uns Sozialdemokraten liegt auch sehr viel daran, Frau Minister, daß die Kulturgüter in der DDR nicht verlorengehen, daß man auch hier einen Weg der Zusammenarbeit mit der DDR sucht und dazu beiträgt, daß dies auch bei den neuen Überlegungen in der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten berücksichtigt wird.
Wir wissen natürlich, daß der Besuchsverkehr, so sehr er zu begrüßen ist, erhebliche Mankos aufweist, die beseitigt werden müssen. Wir müssen den Menschen helfen, die bei uns den Besucherstrom betreuen - das sind nur wenige Prozent -, und wir dürfen den DDR-Bürgern nicht das Gefühl geben, daß sie bei uns sozusagen als Bittsteller auftreten. Das heißt: Es ist in Zukunft wirklich darüber zu sprechen, wie man einen Geldverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR schafft. Das ist - das weiß ich - ein schwieriges Kapitel, aber wir sollten es in Angriff nehmen. Das gehört zur Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik, genauso wie es dazugehört, daß wir uns mit der DDR intensiver über wirtschaftspolitische Fragen unterhalten, darüber, wie denn nun von uns aus Hilfe bei einer Umgestaltung der DDR im Sinne einer größeren Effektivität der Wirtschaft zugunsten der Menschen geleistet werden kann. Sie kennen unsere Vorschläge; ich sage es noch einmal. Wir haben wirklich auch die Grundlagen für eine Diskussion einer neuen Deutschlandpolitik.
Von den Regierungsparteien brauche ich die FDP in diesem Fall nicht anzusprechen, weil sie diese Politik mit uns zusammen begründet hat. Sie hinkt jetzt ein bißchen nach, ist sehr konservativ geworden, treibt sie also nicht entsprechend voran. Da hilft auch nicht, daß Sie jetzt auf Ihren Gesprächspartner in der DDR hinweisen, daß von dort aus scheinbar Reformbewegungen kommen. Das begrüße ich sehr, das sollten Sie auch unterstützen. Ich glaube schon, daß es hilft, wenn die liberale Partei dort drüben bestimmte - so werden sie wohl drüben gedeutet werden - Ansinnen an die SED stellt. Das muß auf anderen Gebieten natürlich auch unsere Aufgabe sein, darüber gibt es gar keinen Zweifel, und das wollen wir auch tun. Ansonsten haben Sie natürlich genau wie die Union die Deutschlandpolitik so festgeschrieben, wie sie von der sozialliberalen Koalition hinterlassen worden ist.
Die historische Bedeutung des KSZE-Prozesses und der Verträge sei davon nicht berührt. Manche können sich von alten Vorstellungen eben nicht lösen und müssen angeschubst werden, damit eine entsprechende Entwicklung stattfinden kann.
Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei hat 1984 ein Programm vorgelegt, das Beachtung gefunden hat. Darin sind die Grundlagen der Deutschlandpolitik für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion festgelegt. Daran gibt es nichts zu kritisieren, nichts zu rütteln.
({14})
Da steht auch drin, die Kommunisten bleiben unsere Gegner. Wie kämen wir auch zu etwas anderem. Es haben genug Sozialdemokraten unter der SED gelitten. Die SPD tritt für ihre Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ein. Das machen wir in der DDR-Politik selbstverständlich auch. Da gibt es Diskussionen über den besseren Weg und anderes mehr.
Ich kann sagen, daß die Fraktion einen klaren Kurs zur Weiterentwicklung der Deutschlandpolitik steuert. Das gilt vor allem für das Selbstbestimmungsrecht, das wir für die DDR-Bürger einfordern. Ganz klar ist auch - das haben wir nun unterschrieben - : Wir wollen die DDR nicht destabilisieren. Das ist auch von Ihren Sprechern bestätigt worden. Aber natürlich liegt uns überhaupt nichts daran, die SED zu stabilisieren, niemand denkt daran. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir brauchen drüben einen konkreten Partner, mit dem wir reden können.
({15})
- Ich habe dazu deutlich gesagt, daß die Präambel des Grundgesetzes genauso wie der Brief zur deutschen Einheit einen Teil unserer Politik darstellt. Wir haben das alles miteinander schon zehnmal durchgekaut.
({16})
Unsere Position ist eindeutig. Ich will jetzt nicht Ihre rechten Positionen verschiedenster Art heranziehen, die man hier auch diskutieren könnte, und bei manchen Positionen, die bei uns vielleicht nicht haarscharf in das Konzept hineingepaßt haben, gegenrechnen. Wir sind doch frei gewählte Abgeordnete, und wenn einer einmal einen Gedanken hat, kann er den auch äußern. Nur so kann eine fruchtbare Diskussion stattfinden.
Herr Lintner, wir Sozialdemokraten haben nicht zu warten, bis irgendein Komitee Richtlinien herausgibt. Vielmehr denken wir sozialdemokratisch, und so machen wir sozialdemokratische Deutschlandpolitik. Die hat nur ein Ziel: den Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu dienen.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tausende Menschen aus der DDR stehen an Ungarns Westgrenze, Hunderte warten in den Ständigen Vertretungen in Prag und in Ost-Berlin, und Millionen erhoffen sich in der DDR andere Zustände oder haben schon völlig resigniert. Im Westen haben sich viele aus friedenspolitischen Gründen für eine volle Anerkennung der DDR ausgesprochen. Aber so haben wir heute auch das Recht, der DDR zu
sagen: Die Anerkennung aus dem Westen kann niemals die Anerkennung durch die eigenen Bürger und Bürgerinnen ersetzen.
({0})
Wer die eigene Verfassung ignoriert, Wahlen manipuliert, Bevormundungen mit Sozialismus verwechselt, und trotz lautem Friedensgerede die Militarisierung der Gesellschaft forciert, kann nicht auf die Loyalität seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger hoffen.
({1}) Reformen sind überfällig.
Doch wir sind hier im Westen. Was können wir hier tun? Es ist sehr bescheiden: zuerst ein Willkommen all denen, die hier eingetroffen sind. Wir wissen, ihr fehlt zu Hause in euren Gemeinden, in Kirchen und in Betrieben, und eure Freunde werden euch hier fehlen. Wir können hier nur helfen, das Beste aus dem Schlechten der Flucht zu machen, können materiell helfen; aber eines müßt ihr selbst tun: euch in den gesellschaftlichen Prozeß einmischen. Hier kann man Einfluß nehmen: in Bürgerinitiativen, in Gewerkschaften und Parteien, auch wenn das nicht immer Zuckerlecken ist. Wer aus Verzweiflung über die Ohnmacht fehlender Mitbestimmung hierher kam, kann sich hier in die Politik einbringen. Auch die GRÜNEN brauchen eure Erfahrung, eure Einmischung, ich möchte sagen: Wir brauchen sie dringend.
({2})
Ein Grund der allgemeinen Unzufriedenheit in der DDR ist die katastrophale Lage der Umwelt und die Unterdrückung gesellschaftlichen Engagements für ihre Rettung, sobald „mensch" Aufklärung verlangt oder Kritik an Planungen übt.
Hat man die Bürgerinnen beim Atomkraftwerk Stendal gehört? War ein Protest gegen das Reinst-Silizium-Werk bei Dresden möglich? Das Bittere am Umweltabkommen ist, daß die Bundesregierung bei ihrer Abmachung mit der DDR für die Arbeitspläne zwar Industrievertreter zugelassen hat, aber entgegen den Forderungen der GRÜNEN keine der Umweltverbände oder der Umweltgruppen aus der Bundesrepublik und der DDR. Mit einer solchen Haltung hat man die Menschen dort entmutigt; das muß man ändern.
Wir beantragen, Mittel aus den Zuwendungen für Vertriebenenverbände an westdeutsche Umweltverbände und Kirchen umzuleiten, damit diese mit ihren Partnern in der DDR Umweltseminare organisieren und dringend benötigte Informationen und Anleitungen zum ökologischen Handeln beschaffen können.
Das bisherige Umweltabkommen hat wenig gebracht: Die Umweltsituation ist nicht besser geworden. An Stelle von Einsparmaßnahmen für Energie gibt es Kooperationen in der Atomtechnologie und bundesdeutsche Unterstützung für den AKW-Ausbau in der DDR. Die Werra-Weser-Versalzung ist nicht bereinigt, die Elbe-Sanierung steckt immer noch in den Kinderschuhen. Aber als größte Sorge der Bewohner und Bewohnerinnen der DDR höre ich: Ihr schickt uns euren Giftmüll zu all den Umweltbelastungen, die wir schon jetzt haben. Das ist ein Versagen des Bundes und der Länder; eine Müllvermeidungs-Politik hat bei uns nicht stattgefunden, weil man den Überfluß ja in die DDR „entsorgen" kann.
Die GRÜNEN haben einen Antrag für Umweltfonds und Umweltswing zur Luftreinhaltung im grenznahen Bereich bereits eingereicht. Wir werden das in den diesen Haushalt erneut einbringen. Aber wir wissen: auch diese 2 Milliarden DM für konkrete Projekte können an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen, wenn diese keine Möglichkeit haben, an der Planung und Abwicklung beteiligt zu sein. Das fordern wir von der Bundesregierung und der Regierung der DDR. Deutsch-deutsche Politik muß sich der neuen Herausforderung stellen.
({3})
Das Wort hat die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Frau Dr. Wilms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aussprache zur Haushaltspolitik, auch zur Deutschlandpolitik, finden zu einem Zeitpunkt statt, in dem Europäer und Deutsche neue Wege in die Freiheit suchen. Viele unserer deutschen Landsleute aus der DDR versuchen auf jede nur denkbare Art, ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Ca. 76 000 waren es in diesem Jahr bis Ende August, die mit oder ohne Genehmigung der DDR zu uns gekommen sind.
Die Bundesregierung hat diese Entwicklung weder ermutigt noch gefördert. Es kann ja nicht unser Interesse sein, die DDR zu entvölkern; denn auch sie ist ein Stück Deutschland, auch dort ist ein Teil des deutschen Volkes zu Hause. Niemand sollte Genugtuung darüber empfinden, wenn Menschen in so großer Zahl ihr Zuhause aufgeben wollen.
Es steht uns aber auch nicht zu, über die Motive und Handlungsweisen derjenigen zu richten, die für sich ganz persönlich die Entscheidung getroffen haben zu gehen. Wer sich vorstellt, was es bedeutet, die Heimat zu verlassen, aus dem gewohnten Lebenskreis herauszutreten, Freunde, Verwandte und Bekannte zurückzulassen, der weiß, daß zu einer solchen Entscheidung nur das Gefühl zwingender Notwendigkeit Menschen motivieren kann.
Die Bundesregierung ist sich deshalb ihrer Verpflichtung gegenüber unseren Landsleuten aus der DDR zutiefst bewußt. Es ist für uns ganz selbstverständlich, daß wir denen, die ausreisen wollen, jede uns mögliche Hilfe geben und daß wir denen, die schon gekommen sind, in jeder vertretbaren Weise beistehen, damit sie sich bei uns einleben können.
({0})
Wir werden niemanden, der als Deutscher zu Deutschen will, ausgrenzen.
({1})
Dies gilt für Übersiedler aus der DDR ebenso wie für Aussiedler aus Osteuropa.
({2})
Ich möchte von dieser Stelle ausdrücklich und sehr herzlich allen unseren Bürgern danken, die tatkräftig und mit großem persönlichem Einsatz unseren neuen Mitbürgern, die jetzt zu uns kommen, das Einleben bei uns erleichtern und dies weiterhin tun wollen. Damit beweisen sie nicht nur menschliche, sondern auch nationale Solidarität. Denn daß heute so viele Deutsche zu uns in den freien Teil Deutschlands kommen, ist auch eine späte Folge des Krieges und der Nachkriegsentwicklung. Wer jetzt als Deutscher von Ost nach West geht, der hat bislang auf der Schattenseite des deutschen Nachkriegsschicksals leben müssen.
({3})
Und wenn nun diesen Menschen die persönliche Lage nicht mehr erträglich erscheint, weil sie im Ausharren keinen Sinn mehr sehen, dann muß man dafür alles Verständnis haben und ihnen Zuwendung und Hilfsbereitschaft anbieten.
Gleichwohl - auch dies möchte ich sagen - erfüllt uns die Entwicklung der Ausreisen aus der DDR mit wachsender Besorgnis. Die DDR verliert in zentralen Bereichen der Gesellschaft gut ausgebildete, junge und befähigte Menschen. Für die Zurückbleibenden ist dies nicht nur mit dem Verlust an Leistungskraft, sondern auch mit einer menschlichen Verarmung verbunden.
Diese Entwicklung muß doch ein unübersehbares Signal zur Umkehr für eine Politik in der DDR sein, die von Reformen bislang nichts wissen will und damit den Menschen dort jede Zukunftshoffnung raubt.
Der Schlüssel zur Änderung der prekären Lage in der DDR ist bei der dortigen Führung, nicht bei uns. Sie ist aufgefordert, zu handeln, weil es um die Menschen geht.
({4})
Ihre Führung muß sich entscheiden, ob sie den Kurs der Starre und der Verweigerung noch länger fortsetzen will mit der Folge, daß die DDR viele ihrer besten Kräfte verliert, oder ob sie jetzt endlich Zeichen für einen neuen Aufbruch setzen will, die den Menschen drüben glaubhaft eine Entwicklung zum Besseren anzeigen.
Einen Anfang könnte die DDR machen, indem sie jetzt die von ihr im Wiener Abschlußdokument der KSZE zugesagten Rechte und Freiheiten einräumt, z. B. mehr Freizügigkeit und mehr Meinungsfreiheit und, Herr Kollege Büchler, auch mehr Konvertibilität. Wir sind sofort dabei. Denn auf diese Weise könnten den Menschen die Freiräume für ihre persönliche Entfaltung gewährt werden. Denn die heute vorherrschende Stimmung der Resignation kann nur durch eine Perspektive der Hoffnung überwunden werden. Es geht doch um Menschen, um Lebensschicksale, um menschenwürdiges Dasein und nicht um Ideologien, nicht um vorgebliche historische Notwendigkeiten.
Die Menschen in der DDR sind es leid, bevormundet und gegängelt zu werden. Sie fordern Chancen zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Fähigkeiten. Sie fordern Demokratie und Menschenrechte, sie fordern Reformen, die den Obrigkeitsstaat und die Kommandowirtschaft überwinden und das Gemeinwesen aufblühen lassen. Die Menschen, meine Damen und Herren, wollen, mit einem Wort gesagt, Selbstbestimmung: Selbstbestimmung der Person, Selbstbestimmung in der Gesellschaft, bis hin zur Selbstbestimmung des deutschen Volkes.
Wer sich dem entgegenstemmt, der hat keine Zukunft; denn der Wille der Menschen zur Freiheit hat sich in der Geschichte immer noch als stärker erwiesen.
({5})
Die Bundesregierung wird nicht abseits stehen, sondern den ihr möglichen Beitrag dazu leisten, wenn sich die DDR Reformen nicht verschließt. Notwendig ist dort eine Weiterentwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft zu mehr demokratischer Öffnung und Effektivität, wie wir es auch in anderen osteuropäischen Ländern beobachten. Da, wo uns reale und sinnvolle Anknüpfungspunkte geboten werden, werden wir - wie bisher - das Unsere hinzutun, wenn den Menschen damit geholfen wird.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa machen deutlich, daß die deutsche Frage immer stärker auf der Tagesordnung der Weltpolitik steht. Dies ist auch ein Erfolg dieser Bundesregierung, die sich die friedliche Oberwindung der europäischen Teilung - und in diesem Rahmen auch der deutschen Teilung - zum Programm gesetzt hat.
({6})
Heute erleben wir, wie sich freiheitlicher Geist in ganz Europa immer weiter ausbreitet. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ({7}) hat zu politischen Verpflichtungen aller Staaten geführt, die im Endergebnis auf die Verwirklichung von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie hinauslaufen.
Unsere erfolgreiche Politik der verstärkten westeuropäischen Integration hat eine Attraktivität des freien, westlichen Teils Europas bewirkt, der sich heute kein Staat im Osten mehr entziehen kann. Auch dies ist eine Absage an alle diejenigen, die versuchten und noch heute versuchen, den Status quo der Unfreiheit in Europa zu erhalten.
Die Bundesregierung sieht sich in ihrer Konzeption der Deutschlandpolitik durch die sich jetzt immer deutlicher abzeichnenden Entwicklungen voll bestätigt. Wir waren ja nie bereit, die traurige Realität des geteilten Deutschland als endgültig anzuerkennen oder gar - wie auf seiten der SPD - die Chance in der Teilung zu suchen. Wir haben nie unverantwortliche Forderungen nach Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft oder nach einer Bestandsgarantie für den Realsozialismus erhoben, sondern alle diese Forderungen stets aus Überzeugung zurückgewiesen, und wir werden dies auch in Zukunft tun.
({8})
Statt dessen haben wir immer beharrlich darauf gesetzt und dafür gearbeitet, daß in einem in Freiheit geeinten Europa auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann. Wir haben dabei nie vergessen, daß wir uns auch in dieser Zielsetzung fest in die westliche Werteordnung eingebunden fühlen.
Weltweit wächst das Verständnis für den Wunsch der Deutschen nach Einheit. Die Staats- und Regierungschefs der NATO unterstützen das Streben nach der Einheit des deutschen Volkes. Staatspräsident Mitterrand versteht die Wiedervereinigung als ein berechtigtes Anliegen der Deutschen. Präsident Bush bekennt sich zur Selbstbestimmung für ganz Deutschland. Vor wenigen Tagen hat der amerikanische Botschafter in Bonn, Vernon D. Walters, erklärt - ich zitiere - : „Es ist nicht normal, daß es zwei deutsche Staaten gibt. "
Nach Agenturmeldungen sollen ja 70 % der US-Bürger für die Wiedervereinigung Deutschlands sein.
({9})
Meine Damen und Herren, für diese klare Haltung unserer Freunde und Verbündeten sind wir sehr dankbar.
Besonders beeindrucken muß es aber, wenn ein führender polnischer Politiker, Professor Geremek, erklärt - zitiere - :
Ich bin der Ansicht, Deutschland soll wiedervereinigt werden . . .; ein freies Europa wird eine Lösung der deutschen Frage bringen.
({10})
Ich denke, wir alle würdigen mit großem Respekt diese Worte eines bedeutenden Polen, die den Geist freiheitlich europäischer Gesinnung atmen.
Wenn man die derzeitige Entwicklung betrachtet, erkennt man, wie zeitgemäß heute der Deutschlandvertrag von 1954 ist, in dem sich die USA, Großbritannien und Frankreich gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland auf das Ziel eines in Freiheit wiedervereinigten, in Europa integrierten Deutschlands verpflichtet haben. Heute bestehen Chancen, daß die Vision Konrad Adenauers politische Realität werden kann.
Daß wir heute so weit vorangekommen sind, isi auch ein Ergebnis jenes erfolgreichen politischen Teilbereichs, den wir als innerdeutsche Beziehungen bezeichnen. Durch die millionenfachen Kontakte dei Menschen im geteilten Deutschland, durch vielfältige Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten sind die Bindungen der Deutschen enger geworden, ist das Zusammengehörigkeitsgefühl gewachsen. Wir werden diese Politik fortsetzen; denn sie hat bereits zu Veränderungen geführt - in der Praxis ebenso wie im Bewußtsein. Selbst wenn es die Regierenden dort nicht wahrhaben wollen: Der Wind der Veränderung hat auch in der DDR zu wehen begonnen. Dafür ist die Demonstration Leipziger Bürger von gestern ein weiterer Beleg.
Meine Damen und Herren, ich denke, die Entwicklung der letzten Zeit hat für jedermann sinnfällig gemacht, daß die Deutschlandpolitik von wachsender Bedeutung ist und daß ihre Bedeutung in Zukunft noch zunehmen wird, was sich übrigens auch im Bundeshaushalt, auch im Haushalt des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen niederschlagen wird. Unvorhersehbare Ereignisse könnten verstärktes finanzielles Engagement erforderlich machen. Dem wird sich, wie ich hoffe, das ganze Parlament in selbstverständlicher Solidarität mit unseren Landsleuten aus der DDR und aus Osteuropa im Interesse der deutschen Sache nicht versagen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab möchte ich eine Bemerkung zu den etwas deprimierenden Nachrichten gestern abend im Fernsehen zur Aufnahme von Übersiedlern aus der DDR in der Umgebung von Passau machen.
Herr Verteidigungsminister, Sie und ich wissen, daß die NATO gelegentlich Aktivitätsübungen macht. Dann müssen die Soldaten ihre Kasernen räumen und gehen auf einen Übungsplatz. Es kann doch wohl nicht im Ernst so sein, daß die Soldaten in den Kasernen wohnen, während Übersiedler in durchnäßten Zelten auf ihre Eingliederung warten sollen.
Ich erwarte von Ihnen, daß Sie eine solche NATO-Übung organisieren lassen, daß in dem Moment, in dem die Übersiedler kommen, diese die festen Unterkünfte beziehen können, und innerhalb einer Woche ist die Eingliederung in den verschiedenen Bundesländern gewährleistet. Ich denke, die Soldaten haben dabei auch noch Spaß.
({0})
- Ja natürlich, es ist eine Ehrenpflicht für die Soldaten, in ihren festen und warmen Unterkünften für die Übersiedler Platz zu machen.
({1})
- Ich weiß schon, wovon ich rede, und ich denke, es ist an der Zeit, so etwas hier einmal zu sagen.
Zum Verteidigungshaushalt möchte ich als Sozialdemokrat einige Vorbemerkungen machen, die hier noch einmal deutlich vorgetragen werden müssen. Wir Sozialdemokraten meinen, die Bundesrepublik sollte ein Vorreiter bei der Abrüstung sein.
Der Verteidigungshaushalt 1990 ist um mindestens 3 Milliarden DM zu hoch angesetzt.
({2})
Die Millionenbeträge für den Jäger 90, für neue und mehr Munition, für neue Kampfbomber ECR Tornado, für neue Kampfpanzer Leopard sind das politisch falsche Signal in der heutigen Zeit.
({3})
Die Zahl der Soldaten und der Zivilbeschäftigten der Bundeswehr sollte schon 1990 um 20 000 verringert werden, um Mitte der 90er Jahre eine Gesamtstärke von unter 400 000 zu erreichen.
Nach diesen Forderungen lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen machen, die noch einmal die Grundposition sozialdemokratischer Friedenspolitik beleuchten. Es ist eine gemeinsame Auffassung von Ost und West, daß nukleare Kriege nicht gewonnen werden können und nicht geführt werden dürfen. In dem hochtechnisierten und eng besiedelten Europa wären auch konventionelle Kriege untragbar.
({4})
Krieg in Europa unmöglich zu machen ist keine Utopie, sondern eine Aufgabe, wie es sowohl von Präsident Bush als auch von Präsident Gorbatschow formuliert wurde. Es ist eine historische Aufgabe, daß Europa die Geschichte der Kriege endgültig hinter sich läßt, um seine Kräfte, seine industriellen Kapazitäten für die neuen Herausforderungen der Menschheit freizumachen.
({5})
Für uns Sozialdemokraten ist die Bundeswehr ein wichtiges Instrument zur Verhütung eines Krieges.
({6})
Die Bundeswehr ist Bestandteil des NATO-Bündnisses. Dieses NATO-Bündnis ist so lange erforderlich, bis sich eine europäische Friedensordnung als endgültig tragfähig erwiesen hat.
Wir Sozialdemokraten streben ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept für ein Europa im Jahr 2000 an. Dazu müssen die Kriterien für das Erreichen von Stabilität auf möglichst niedrigem Niveau der konventionellen und der nuklearen Streitkräfte bis hin zu einem Zustand aufgezeigt werden, der auch nach Auffassung der NATO beiderseitiger Angriffsunfähigkeit entspricht.
Strukturelle Angriffsunfähigkeit verlangt nicht nur, Überraschungsangriffe auszuschließen. Dazu gehören auch Streitkräfte, die nach Aufgabenstellung, Umfang und Struktur sowie Stationierung militärische Angriffshandlungen ausschließen. Darüber wird derzeit in Wien offensiv verhandelt. Dabei muß die Fähigkeit zur Vorneverteidigung durch die Streitkräfte beider Bündnisse erhalten bleiben.
Ein solches neues Konzept bedingt den Fortbestand von NATO und Warschauer-Vertrags-Organisation, d. h. auch die multinationale Verteidigung mit der physischen Präsenz der USA in Europa. Ich betone das noch einmal, damit uns hier nicht Falsches - wie von Ihnen ja häufig getan - unterstellt wird. Die Militärbündnisse müssen jedoch ihre politischen Aufgaben mehr und mehr den rein militärischen Aufgaben überordnen. Diese Militärbündnisse müssen sich als Instrument zur Förderung des Abrüstungsprozesses verstehen.
({7})
Bezogen auf die Bundeswehr heißt das, Herr Bundesminister, daß die Bundesregierung über die Bundeswehr Abrüstungssignale in das eigene Bündnis
und in den Warschauer Pakt hinein aufzuzeigen hat. Diese Signale, Herr Minister Stoltenberg, fehlen im Verteidigungshaushalt 1990 völlig. Sie machen eine Politik des „Weiter so".
Abrüstung allein beseitigt die Konfliktursache nicht. Sie schafft jedoch Vertrauen und setzt Ressourcen frei, die für die dringende Bewältigung unserer anderen Herausforderungen benötigt werden.
Ziel sozialdemokratischer Abrüstungsvorschläge wäre es, den Abbau wechselseitiger Überlegenheit in den einzelnen Waffenbereichen zu erreichen, eine drastische Reduzierung beiderseitiger Potentiale und die Umstrukturierung von Waffengruppen einzuleiten, damit ein raumangreifender Angriff unmöglich wird. Dazu gehören auch die Beseitigung nuklearer Kriegführungswaffen und die allmähliche Überwindung einer nuklearen Abschreckungsstrategie, die mit der Zerstörung dessen droht, was sie zu schützen vorgibt.
Wir Sozialdemokraten plädieren nachdrücklich dafür, zur Förderung des Abrüstungsprozesses eigene Initiativen zu ergreifen. Die Bundesregierung bleibt hinter NATO-Überlegungen weit zurück, wenn sie einen unveränderten Verteidigungshaushalt mit unveränderter Personalstärke und weit umfangreicheren militärischen Beschaffungsvorschlägen im Parlament einbringt.
({8})
Wie soll denn die drastische Steigerung des Verteidigungshaushalts begründet werden?
Ich betone noch einmal: Für uns Sozialdemokraten hat die Bundeswehr ihren Platz im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik gefunden. Der Primat der Politik und die Einordnung in die Verfassungsstruktur des Grundgesetzes sind unanfechtbar. Aber diese Bundeswehr bedarf dringend der Anpassung an die veränderten politischen Voraussetzungen. Dazu ist von uns aus gesehen eine Veränderung ihrer Struktur, eine Reduzierung der Präsenzstärke und eine Modifizierung ihrer Ausrüstung im Rahmen des allgemeinen Abrüstungsprozesses erforderlich.
Ich betone noch einmal: Aus unserer Sicht ist Richtschnur bei all diesen Schritten die Erhaltung der Kriegsverhütungsfähigkeit der Bundeswehr. Das setzt einen offenen Dialog mit denjenigen voraus, die in dieser Bundeswehr ihren Beruf gefunden haben; denn sie sind an einem solchen Prozeß zu beteiligen.
({9})
Aber dazu gehört auch, daß die Bundesregierung eine ehrliche Politik und eine ehrliche Planung, d. h. eine offene Planung, betreibt und sich nicht Stück für Stück die notwendigen Einsichten abringen läßt. Es hilft uns auch nicht, daß hinter vorgehaltener Hand der eine oder andere verantwortliche Soldat vom Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe mitteilt, woran denn eigentlich gearbeitet wird, während der Verteidigungsminister einen Haushalt einbringt und ihn auch öffentlich so bekannt macht, der von einer unveränderten Präsenzstärke und von weiteren BeKühbacher
schaffungen ausgeht. Es wird unter den Soldaten diskutiert und geplant, und es werden Alternativen vorbereitet. Nach außen hin findet aber eine solche offene Planung nicht statt.
Herr Abgeordneter Kühbacher, Ihr Kollege, der Abgeordnete Jungmann möchte Sie etwas fragen.
Wenn es notwendig ist, gerne.
Herr Kollege Kühbacher, Sie haben in Ihrer Rede deutlich gemacht, daß nach Ihrer Auffassung 3 Milliarden DM aus dem Verteidigungshaushalt zu streichen wären. Wie beurteilen Sie denn die Meldung gestern im „Spiegel" , daß sich der Bundesverteidigungsminister weigert, in die Dienstwohnung des Verteidigungsministeriums einzuziehen, und sein Privathaus aus Sicherheitsgründen für 750 000 DM umgebaut werden muß, und was werden Sie im Haushaltsausschuß dazu tun?
Herr Abgeordneter, Sie nehmen ja, wie es üblich ist, die Antwort stehend entgegen; danke schön.
Herr Jungmann, zunächst einmal werden wir in den Berichterstattergesprächen den Verteidigungsminister danach befragen, ob diese „Spiegel"-Meldung stimmt. Danach werden wir mit ihm in einen Dialog darüber eintreten, was er für richtig hält oder nicht. Wenn die Begründung gut ist, werden wir mit der Begründung umgehen. Wenn sie nicht ausreicht, werden wir mit ihm darüber diskutieren.
({0})
- Die Frage war bestimmt nicht bestellt, wie Sie gemerkt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal anknüpfen. Ich möchte die Bundeswehr ermutigen, in einem offenen Planungsprozeß die Bevölkerung, die sachverständig ist, in Verteidigungs- und Abrüstungsfragen einzubeziehen, weil natürlich, Herr Bundesverteidigungsminister, nur eine offene Planung einen Dialog mit allen daran Interessierten ermöglicht. Dazu gehört es, daß wir über die notwendige Reduzierung der Präsenzstärke auch mit den Soldaten, die ihren Beruf in der Bundeswehr gefunden haben, offen sprechen, daß die Planungen in Richtung größerer Reservistenmobilisierungen in Angriff genommen werden und daß die Einbeziehung der Reservisten in das Verteidigungskonzept alternativ vorgelegt wird. Die jetzigen Konzepte reichen dazu bei weitem nicht aus.
Dazu gehört, daß wir im Interesse der jungen Menschen und ihrer Planungen für ihre Zukunft und unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit schon jetzt über eine Verkürzung des Wehrdienstes auf den Zeitraum von zwölf Monaten offen nachdenken. Dazu gehört es, auf große Rüstungsprojekte zu verzichten, die Verunsicherung bei den Staaten des Warschauer Paktes hervorrufen. Denn wie soll denn der Warschauer Pakt die Signale aufnehmen, wenn in der Bundesrepublik heute auf den Bändern weitfliegende
Bomber produziert werden? Wie soll es denn zur Kenntnis genommen werden, daß wir ohne Not weitere angriffsschnelle Panzer bauen? Wie sollen wir denn gegenüber dem Warschauer Pakt politisches Vertrauen schaffen, wenn wir für den Jäger 90 allein an Entwicklungskosten im nächsten Jahr 700 Millionen DM bereitstellen wollen, für ein Projekt, für das im übrigen schon heute von Fachleuten 150 Milliarden DM Ausgaben prognostiziert werden, es sei denn, wir reduzieren die Gesamtstückzahl oder Sie haben dies vor. Davon habe ich bislang nichts gehört.
Meine Damen und Herren, nun zum Komplex Tiefflüge. Tiefflüge, mit denen das Eindringen von solchen ECR-Bombern in das Gebiet des Warschauer Pakts über dem Boden der Bundesrepublik vorgeübt werden soll, sind einzustellen, radikal einzustellen;
({1})
denn davon geht auch ein Signal aus, Herr Verteidigungsminister. Falls die Gewöhnung von Piloten an Tiefflüge über Grund notwendig sein sollten, sollten diese auf die offene See oder auf die unbewohnten Gebiete in Kanada verlegt werden, und nicht nur von der Bundeswehr, sondern auch von unseren NATO-Partnern. Im übrigen, Herr Minister, es wird zuviel und zu tief über der Bundesrepublik geflogen; das wissen Sie.
({2})
Wir leben im tiefsten Frieden, und es ist überhaupt nicht einzusehen, daß von der Bundeswehr und den NATO-Partnern suggeriert wird, als würde morgen eine Invasion des Warschauer Paktes bevorstehen.
Meine Damen und Herren, wir werden im Laufe der Beratung zum Verteidigungshaushalt Kürzungsanträge stellen und im einzelnen in den Berichterstattergesprächen diese begründen. Im wesentlichen mißfallen uns die in diesem Haushalt gesetzten falschen Signale, die die Bundesregierung unverändert in einem Aufrüstungskurs zeigt,
({3})
trotz Wien und anderer Verhandlungen und trotz anderer Einsichten, die Herr Stoltenberg in Interviews gelegentlich bei den entsprechenden Gesprächspartnern auch zugibt.
Entschuldigen Sie, daß ich jetzt so anfange: Warum, Herr Minister, in drei Teufels Namen, müssen im nächsten Jahr neben 900 Millionen DM Ausgaben für Übungsmunition - das ist doch schon eine Riesensumme - weitere 1,8 Milliarden DM für Munition ausgegeben werden, um die sogenannte Kriegsbevorratung zu erweitern? Warum eigentlich?
({4})
- Das ist nicht geheim. Wenn Sie freundlicherweise mal in den Einzelplan 14 schauen wollen, Herr Lippelt, dann können Sie das lesen. Das ist ein offener Haushalt; ich mache hier keinen Geheimnisverrat. Zuwenig Bürger lesen solche Zahlen und fragen dann auch politisch nach, warum diese Regierung, die angetreten ist mit dem Motto: „Frieden schaffen mit
immer weniger Waffen" , solche Steigerungsraten im Haushalt hat.
Im Jahr 1988 sind für 2,3 Milliarden DM Munitionsteile beschafft worden - das haben wir damals schon für falsch gehalten - , im nächsten Jahr sollen weitere 400 Milliarden DM ausgegeben werden, also insgesamt 2,7 Milliarden DM. Diese Munitionsbeschaffung ist überhöht, der Bedrohungslage nicht angemessen und darüber hinaus eine Fehlsteuerung von Steuergeldern, Herr früherer Finanzminister, die z. B. beim Wohnungsbau fehlen.
({5})
Außerdem sollen im Jahre 1990 500 Millionen DM für Betriebsstoffe ausgegeben werden, d. h. für Flugbenzin und Benzin, obwohl man in diesem Jahr mit rund 10 °A) weniger auskommt. Wir fordern die Bundesregierung auf, 50 Millionen DM zu sparen, weniger Betriebsstoffe für die Luftwaffe einzukaufen und eine Reduzierung der Tiefflüge auf diesem Wege auch nach außen deutlich zu machen.
({6})
Der im vorigen Jahr begonnene Weg, Simulatoren für Flugübungen und Flugvorbereitungen anzuschaffen, ist ein richtiger Weg. Diese Simulatoren sind aber auch einzusetzen für den Übungsbetrieb beim Verschießen von Munition, z. B. bei Panzern, Panzerabwehrhubschraubern und der Artillerie.
In diesem Zusammenhang, Herr Minister Stoltenberg, frage ich Sie zu einem Bericht aus „Bundeswehr Aktuell" : Ist es richtig, daß der Wettbewerb der Panzerverbände in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Namen „Canadian Army Trophy" so kostenintensiv durchgeführt worden ist, daß pro deutschen Panzer 250 Schuß Panzermunition regelrecht verballert worden sind, das Stück, wenn ich das richtig mitbekommen habe, zu 3 000 DM?
({7})
Zu welchem Zweck eigentlich? Um nachzuweisen, daß der Leopard-Panzer der bessere gegenüber den amerikanischen und den britischen Panzern ist?
({8})
Herr Minister, sorgen Sie dafür, daß solche Verschwendung von Steuergeldern möglichst rasch und endgültig eingestellt wird!
({9})
Solche Leistungsvergleiche, Herr Minister, sind nicht olympiareif, sie sind eine Provokation der Steuerzahler.
Die Entwicklungskosten des Jägers 90 schlagen mit rund 700 Millionen DM in diesem Jahr im Haushalt ein. Ich verwende mal diesen etwas harten Begriff: Die 700 Millionen DM schlagen ein. Neue Kostenerhöhungen auch im Bereich der Entwicklung bahnen sich an. Haben Sie den Mut, zu sagen, daß der Jäger 90 nicht zu finanzieren ist, daß er verteidigungspolitisch im Jahr 2000 nicht notwendig ist, denn vorher wird er nicht fertig, und daß Sie die Mitfinanzierung des Industriegiganten Mercedes und MBB auf diese Art einstellen!
({10})
Warum, Herr Minister, gehen Sie bei Ihren Personalüberlegungen unverändert von 266 000 längerdienenden Soldaten und 222 000 Wehrpflichtigen aus, als würde in Wien nicht verhandelt? Wir Sozialdemokraten fordern Sie auf, auf 10 000 Wehrpflichtige im nächsten Jahr und darüber hinaus auf 10 000 Zeitsoldaten zu verzichten, denn 40 000 Soldatenstellen werden im nächsten Jahr durch Auslauf der Verpflichtungszeit frei. Dies soll ein erster Schritt in die reduzierte Struktur des Jahres 1995 sein, der jetzt einzuleiten ist. Sie selber wissen doch genau, daß wir 1995 eine erheblich geringere Zahl von Soldaten haben werden. Beginnen wir also jetzt damit und geben im nächsten Jahr eine halbe Milliarde DM weniger für Personalkosten aus. Mit diesen im Verteidigungshaushalt freiwerdenden Mitteln könnte eine weitere Qualifizierungsoffensive gestartet werden, um im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit weitere Hoffnungen zu schaffen.
({11})
Das wäre ein deutliches Signal in unserem reichen Land.
Nun zu einem weiteren Kürzungsvorschlag. Wir Sozialdemokraten tragen den ständigen schwunghaften Anstieg der Kosten für die NATO-Infrastruktur politisch nicht mehr mit. Im nächsten Jahr wird der Anstieg über 17 % betragen.
({12})
Wir fordern die Bundesregierung auf, bei der NATO mit dem Ziel vorstellig zu werden, mit dem zusätzlichen Bau von Depots, von Flugzeugbunkern, von Kriegshauptquartieren und anderen Dingen aufzuhören und auch hier für die gesamte NATO ein entsprechendes Signal zu setzen.
Im übrigen, Herr Minister, sollten alle deutschen Offiziere bei der NATO angewiesen werden, zu keinerlei Planspielen für weitere atomare Übungen, wie im letzten Jahr bei „Wintex" geschehen, zur Verfügung zu stehen.
({13})
Ein atomarer Krieg in Europa ist nicht führbar und sollte deshalb auch nicht in den Übungen vorgeplant und gespielt werden.
Die politische Verantwortung für diese Planung trägt die Bundesregierung ganz allein, denn sie hätte es in der Hand, diese Kriegsspiele endgültig zu stoppen, weil bei der NATO das Einstimmigkeitsprinzip gilt.
Die Bundesregierung muß den Soldaten der Bundeswehr im Hinblick auf ihre Zukunft eine ehrliche Antwort geben. Es ist nicht angängig, daß die Bundeswehr ihren Angehörigen eine Prellbockfunktion für die falsche und initiativiose Haltung der Bundesregierung zumutet.
({14})
Die Soldaten dürfen nicht zum politischen Prügelknaben für die Unfähigkeit der Bundesregierung, im Bereich der NATO neue Konzepte anzubieten, gemacht werden.
({15})
Die Soldaten müssen sich in fast allen Standorten zu Unrecht politisch verantworten.
Herr Minister, bemühen Sie sich um mehr Ehrlichkeit, um einen offenen Dialog mit den Soldaten auch im Verteidigungshaushalt. „Weiter so!" reicht nicht. Wir Soldaten - - Wir Sozialdemokraten - ({16})
- Entschuldigung, das war die Freudsche Fehlleistung eines Reservisten; das gebe ich zu. - Wir Sozialdemokraten wollen Abrüstungssignale setzen. Im deutschen Interesse: Folgen Sie uns in den Fortschritt '90.
({17})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser verbundenen Debatte hat Herr Kollege Kühbacher eine Reihe kritischer Fragen aufgeworfen. Er hat zum Teil allerdings leider auch Einschätzungen oder Behauptungen vorgetragen, die ich teilweise sofort richtigstellen muß.
Was mich nicht angenehm berührt hat, Herr Kühbacher, ist Ihre Unterstellung zu Beginn, die Bundeswehr würde in diesen dramatischen Tagen, in denen so viele Flüchtlinge und Landsleute zu uns kommen, die Leute aus Unbeweglichkeit in Zelten unterbringen und damit sozusagen im Regen stehenlassen, um selbst keine Einschränkungen hinzunehmen. Dies ist unzutreffend. Wir haben in den letzten Wochen das Thema des Beitrags der Bundeswehr zur sofortigen Unterbringung derer, die aus der Kälte, aus der Bedrängnis kommen, nicht nur intensiv erörtert. Nach dem Stand von heute sind in relativ kurzer Frist 2 400 deutsche Flüchtlinge und Aussiedler zusätzlich in Kasernen untergebracht worden. Wir können bis zu 7 900 Personen aufnehmen. Ich gebe diese Zahlen auf Grund Ihrer falschen Darstellung bekannt. Ich danke den Soldaten, die jetzt erhebliche Einschränkungen hinnehmen, damit unsere bedrängten Landsleute ein Dach über dem Kopf bekommen.
({0})
Meine Damen und Herren, für uns ist ja der Zusammenhang von AuBen- und Verteidigungspolitik immer ein grundlegender Tatbestand gewesen. Diese Verbindung und Wechselwirkung gewinnt in der jetzigen neuen Phase der Ost-West-Beziehungen eine noch größere Bedeutung. In der Tat - es ist bereits heute ein zentrales Thema gewesen - : Erstmals eröffnet sich seit der von Stalin nach 1945 erzwungenen gewaltsamen Teilung Europas die Chance, zu mehr überschreitenden Gemeinsamkeiten unter dem Vorzeichen der Öffnung, von freiheitlicheren Lebensformen auch in Osteuropa und zu mehr Sicherheit bei einem niedrigeren Niveau der Streitkräfte zu kommen. Wir wollen diese Chance nutzen. Wir haben Gegensätze, auch in Sicherheits- und Verteidigungsfragen; aber wir sollten keine Scheingefechte führen.
({1})
Die Zeiten, in denen die sozialdemokratische Opposition den Eindruck zu erwecken versuchte, daß diese Regierung, diese Koalition sozusagen in den Schützengräben der Vergangenheit verbliebe, sollten nach dem endgültig vorbei sein, was wir in den letzten Jahren für Verständigung, für vernünftige Entspannung, aber unter Wahrung unserer freiheitlichen Grundsätze getan haben.
({2})
Die Bereitschaft zu Reformen ist freilich in den einzelnen Staaten des Warschauer Paktes noch ganz unterschiedlich gegeben. Es gibt Vorreiter, und es gibt Staaten, die in den alten kommunistischen Doktrinen und Unterdrückungsmechanismen bis heute verharren. Wir erleben auch, daß sich in der Sowjetunion jetzt in Teilen der Kommunistischen Partei Widerstände gegen den Kurs der politischen Führung verstärken. Von uns sind also auch in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Phantasie und Mut zur Neugestaltung ebenso gefordert wie Nüchternheit und Risikobewußtsein. Illusionen verbreiten jetzt jene bei uns, die die Grundlagen, die die Voraussetzungen für die genannten neuen Entwicklungen und Chancen in Frage stellen wollen.
Wer behauptet, wir könnten jetzt auf die NATO verzichten,
({3}) oder die Bundeswehr demontieren,
({4})
weil es keine mögliche Bedrohung mehr gebe, versündigt sich an den vitalen Interessen unseres Volkes.
({5})
Das tun manche in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
- Ich habe doch die Ausführungen der Redner der GRÜNEN hier genauso gehört wie Sie. Wenn Sie sich einen Schuh anziehen, der im Moment nicht für Sie bestimmt ist, ist das Ihr eigenes Problem.
({7})
Ohne das Atlantische Bündnis der westlichen Demokratien, ohne den hohen Ausbildungs- und guten Ausrüstungsstand unserer Soldaten hätten wir in den vergangenen 35, 40 Jahren nicht schwerste politische Krisen friedlich überstanden, hätten wir nicht Frieden und Freiheit behaupten können.
({8})
Ohne das Atlantische Bündnis und die Bundeswehr
wäre die erhebliche Kursveränderung in der Sowjetunion gerade auch im Außen- und - jetzt beginnend,
aber noch nicht eindeutig - im sicherheitspolitischen Bereich nicht möglich geworden. Deshalb bleiben Bündnis und Bundeswehr in Zukunft unverzichtbar, auch wenn es unser Ziel ist, nach Abbau der massiven Überlegenheit des Warschauer Paktes in Europa durch verbindliche, überprüfbare Vereinbarungen das Gleichgewicht zu erreichen, zu gewährleisten und Verteidigungsfähigkeit mit weniger Waffen und einem geringeren Umfang der Streitkräfte zu sichern. Hier von einem „Aufrüstungskurs" zu reden, Herr Kühbacher, ist wirklich eine Verzeichnung - auch im Hinblick auf den vorgelegten Bundeshaushalt.
Es ist deswegen so absurd, Herr Kollege, weil in den letzten Monaten viele Persönlichkeiten der sowjetischen Führung unsere Einschätzung der massiven Überlegenheit der Sowjetunion ausdrücklich bestätigt haben. Das, was über lange Zeit dort bestritten wurde, wird jetzt eingeräumt.
({9})
Insofern ist es ganz klar, daß die erforderliche Lösung zunächst einmal die Garantie bringen muß, daß diese massive Überlegenheit der Sowjetunion in Zentraleuropa beseitigt wird. Dann ist es möglich, in weiteren Schritten gleichgewichtig die heutigen Stärken auch im Westen zu reduzieren, was wir mehrfach in den letzten zwei Jahren als eine klare Zielvorstellung beschrieben haben.
Aber andererseits: Unsere Sicherheit gründet sich weiterhin auf die gemeinsame Sicherheit des Bündnisses. Deswegen muß unsere Politik berechenbar bleiben. Wir haben die Konzeption nicht nur in der außenpolitischen Öffnung und Zusammenarbeit, sondern auch für Verteidigungsfähigkeit durch eine geeignete Kombination im konventionellen Bereich mit der unverändert notwendigen nuklearen Abschrekkung in dem Ergebnis des Gipfels der NATO-Staaten festgelegt. Wer uns empfiehlt, Herr Kühbacher, davon abzugehen, der schadet den Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
({10})
Wir streben mit großem Nachdruck einen schnellen Erfolg der Wiener Verhandlungen an. Es gibt bei den jetzt gegebenen Kräfteverhältnissen und dem Stand der ernsthaften Gespräche mit dem Warschauer Pakt überhaupt keinen Grund, den Eindruck zu erwecken, wir seien vor Abschluß dieser Verhandlungen dran, gegenüber dem überlegenen Warschauer Pakt einseitig Reduzierungen vorzunehmen. Das wäre ein falscher Schritt.
Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt entspricht nach meiner Überzeugung den hier genannten Grundsätzen
({11})
und den wichtigsten vor uns liegenden Aufgaben. Er führt gewiß nicht zur Aufrüstung. Er entspricht vielmehr auch unseren rüstungskontrollpolitischen Interessen.
({12})
Er legt das Schwergewicht auf die materiellen und sozialen Bedingungen für die Soldaten. Diese Bedingungen müssen wir verbessern. Ich verweise auf die verschiedenen Kabinettsbeschlüsse und auch auf Begleitgesetze. Wir wollen die Laufbahnchancen für die Berufs- und Zeitsoldaten durch über 1 500 Verbesserungen im Planstellenbereich erhöhen. Wir wollen für besonders hart geforderte Funktionen bei den Berufs- und Zeitsoldaten Zulagen und Aufwandsentschädigungen verbessern. Wir wollen die Grundwehrdienstleistenden günstiger stellen: bei Unterhaltssicherung, Fortbildung, Familienheimfahrten und nicht zuletzt durch eine beschleunigte Modernisierung der Kasernen.
({13})
Wir wollen die Bedingungen für diejenigen, die überdurchschnittlich Wehrübungen leisten, im Reservistenkonzept verbessern. Das und noch mehr ist notwendig, damit die Bundeswehr auch in den 90er Jahren ihren Auftrag erfüllen und qualifizierten Nachwuchs gewinnen kann. Es ist ja ein eigentümlicher Sachverhalt: Die so positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die in diesem Jahr zu mehr als 300 000 neuen Beschäftigungsverhältnissen führt, verschärft die Probleme der Bundeswehr. Deswegen müssen wir im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft die Rahmenbedingungen für Soldaten verbessern. Um den Auftrag erfüllen zu können, brauchen wir allerdings weiterhin eine moderne Bundeswehr, auch im Hinblick auf den Stand der Ausbildung, der Ausrüstung und Beschaffung.
({14})
Wir müssen auf Grund der genannten Schwerpunkte bereits in dem jetzt vorgelegten Etat die Mittel für Beschaffung ein Stück zurückführen. Ich sage Ihnen voraus, Herr Kollege Kühbacher, das wird noch eine schwierige Debatte geben, nicht nur im Hinblick auf den Bedarf der Streitkräfte, nicht nur im Hinblick auf wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Folgen. Während Sie hier schlicht einmal eine Kürzung um 3 Milliarden DM fordern, erreichen mich zahlreiche Briefe sozialdemokratischer Landesminister und Bundestagskollegen, die sagen: Dort darf wegen drohender Einbrüche bei Beschäftigung nicht gekürzt werden, dort dürfen an Standorten keine Reduzierungen erfolgen,
({15})
dort müssen die Belange in strukturschwachen Gebieten gewahrt bleiben. Diese Diskussion sollten Sie in der eigenen Partei einmal ehrlich miteinander führen, bevor Sie hier mit Milliardenbeträgen um sich werfen.
({16})
Was mich an vielen Äußerungen - auch an Ihrer Rede - stört, ist, daß Sie Emotionen gegen einzelne Beschaffungsvorhaben schüren. Wir werden in den Ausschüssen weiter intensiv über den Jäger 90 reden.
({17})
Sie wissen ja auch, daß auf meine Veranlassung in
bisher wohl nicht dagewesener Weise schriftliche
Vereinbarungen mit der Industrie geschlossen worden sind, um unvertretbare Risiken bei Kostensteigerungen abzuwehren.
({18})
Das ist alles richtig. Nur empfehle ich Ihnen - weil dies zum drittenmal angesprochen wurde; gestern begann Frau Matthäus-Maier damit - , doch einmal darüber zu reden, daß die Sowjetunion vor wenigen Monaten in Paris bei der großen Luftfahrtschau und jetzt in Moskau den modernsten Jäger ihrer Streitkräfte, die MIG 29, vorgestellt hat, die auch zu Gorbatschows Zeiten mit Milliardenbeträgen entwickelt worden ist. Reden wir auch über die MIG 29, wenn wir über Ja oder Nein zum Jäger 90 reden, meine Damen und Herren. Sie führen hier zu einer Einseitigkeit der Betrachtung,
({19})
die nach meiner Überzeugung nicht begründet ist.
({20})
- Wollen Sie fortsetzen, was wir jahrelang erlebt haben,
({21})
daß man nur über die Waffensysteme des Bündnisses redet und über das systematisch schweigt, was drüben geschieht?
({22})
Wir wollen Abrüstung. Aber Abrüstung heißt zunächst einmal, daß die Sowjetunion auf ihre massive Vorrüstung verzichten muß. Das ist die Reihenfolge der vernünftigen Maßnahmen.
({23})
Meine Damen und Herren, Herr Kühbacher, Sie wissen ganz genau, daß es eine Verzeichnung ist, wenn Sie den Eindruck erwecken wollen, daß wir uns den Zukunftsproblemen der Streitkräfte unter dem Vorzeichen sowohl der angestrebten Abrüstungsergebnisse als auch der veränderten demographischen Situation der 90er Jahre nicht stellen. Ich habe kurz nach der Amtsübernahme Ende April im Deutschen Bundestag gesagt, daß ich die Absicht habe, die Voraussetzungen und Bedingungen der langfristigen Bundeswehrplanung grundlegend prüfen zu lassen.
({24})
- Das machen wir. Wir sind dabei. Wie Sie wissen, habe ich dem Generalinspekteur den Auftrag gegeben - auch das habe ich im Verteidigungsausschuß ausführlich vorgetragen - , bis zum Herbst dazu konkrete Konzepte zu entwickeln. Es ist zu früh, heute über Einzelheiten zu reden, weil wir noch nicht soweit sind.
Wir kennen die Ausgangsbedingungen: ein drastischer Rückgang der Zahl der Männer im wehrpflichtigen Alter bis Mitte der 90er Jahre auf etwa 60 % und die Beschäftigungssituation, von der ich hoffe, daß sie
sich in dem Trend der letzten Jahre weiterentwickeln wird. Wir müssen daraus Konsequenzen ziehen.
({25})
- Herr Kollege Gerster, wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, lasse ich gern eine Frage zu.
Da die Zeit deutlich überschritten wird, wäre ich dankbar, wenn wir uns in dieser Hinsicht eine gewisse Mäßigung auferlegten.
- Bitte sehr, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Minister Stoltenberg, wenn Sie verspätet die langfristige Bundeswehrplanung überprüfen lassen und wenn Ihr eigener IP-Stab bereits die Zahl 380 000 als wahrscheinliche Präsenzstärke der Bundeswehr ab 1995 skizziert, warum ringen Sie sich dann nicht dazu durch, die Wehrstrukturkommission einzuberufen, die, versehen mit einem kurzfristigen Auftrag, mit wesentlich größerer Kompetenz und Akzeptanz ein Ergebnis vorlegen könnte, das es auch Ihnen erleichtern würde, die Bundeswehr umzustrukturieren?
Herr Kollege Gerster, weil Sie in die Frage Wertungen einbezogen haben, möchte ich Ihnen zunächst sagen, daß die von Ihnen spekulativ genannte Zahl nicht zutrifft, was Äußerungen meiner Mitarbeiter oder des Stabes anbelangt.
Wir untersuchen Alternativen. Wir müssen uns mit dem Rückgang der Zahl der Wehrpflichtigen auseinandersetzen. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir im Bereich der Zeit- und Berufssoldaten keinen Einbruch erleiden, und wir müssen hinsichtlich der möglicherweise verstärkten Bedeutung der Reservisten zu Entscheidungen kommen, die nicht nur in der Festlegung von Zahlen bestehen. Wir sind dabei, Alternativen zu untersuchen, und werden im Herbst die Ergebnisse bekanntgeben. Natürlich stellen wir auch Überlegungen im Hinblick auf das angestrebte Ziel der Rüstungskontrollverhandlungen an, die Verteidigungsfähigkeit mit einem geringeren Umfang der Streitkräfte und weniger Waffensystemen zu erzielen.
Diese Aufgabe müssen wir in diesem Jahr meistern. Ich glaube deshalb, daß diese Aufgabe - unabhängig von dem Für und Wider der Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, worüber wir im Ausschuß weiter reden wollen - in dieser kurzen Zeit nicht durch eine neu berufene unabhängige Kommission erledigt werden kann.
Im übrigen ist Ihre Argumentation widersprüchlich: Auf der einen Seite kritisieren Sie, daß wir es noch nicht gemacht haben; auf der anderen Seite verweigern Sie sich den Konsequenzen, wenn ich sage, daß wir jetzt nicht mehr sehr viel Zeit haben.
({0})
Nein, meine Damen und Herren, alle Kritik der Sozialdemokratischen Partei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie sich von den gemeinsamen
Überzeugungen und Zielen der Verteidigungspolitik des Bündnisses schrittweise entfernen.
({1})
Nach den Aussagen von Herrn Kolbow soll der Friedensumfang der Bundeswehr um bis zu 200 000 Soldaten reduziert werden. Von 250 000 sprechen Herr von Bülow und Herr Kröning. Zwischen 350 000 und 370 000 liegen die Vorschläge von Herrn Walther. Herr Horn visiert Größenordnungen von 380 000 bis 400 000 an. Das ist eine bunte Palette ohne ein erkennbares Gesamtkonzept.
Ähnlich ist es mit den Verteidigungsausgaben. Der eine spricht von 3 Milliarden DM Kürzung, der andere von 2,5 Milliarden DM, der dritte von 2 Milliarden DM, der nächste von 30 Milliarden DM bis zum Jahr 2000.
Das hat mit einer in sich schlüssigen Konzeption nichts zu tun. Die Sozialdemokraten haben ihr verteidigungspolitisches Profil verloren.
({2})
Sie koppeln sich von der gemeinsamen Politik des Bündnisses ab.
({3})
Die Forderung nach Denuklearisierung Westeuropas würde uns nicht nur in einen Konflikt mit den USA, sondern bereits mit dem sozialistischen Staatspräsidenten Frankreichs, François Mitterrand, sowie mit der britischen Öffentlichkeit und der britischen Regierung führen. Wir wollen nicht die Isolierung im Bündnis. Wir wollen den Zusammenhalt im Bündnis festigen, um die vor uns liegenden außenpolitischen, wirtschaftspolitischen und verteidigungspolitischen Aufgaben überzeugend lösen zu können.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte doch noch auf Herrn Rühe zurückkommen. Wir haben hier heute vormittag die Bewerbungsrede von Herrn Rühe im Blick auf das kommende Wochenende gehört. Es war eine miserable Rede.
({0})
Ich muß dazu zwei Bemerkungen machen. Wenn sich Herr Rühe hier so der guten Beziehungen zur Solidarnosc rühmt, wie er es getan hat:
({1})
Warum hat dann Herr Rühe, warum haben Sie dann
nicht dafür gesorgt, daß hier am Freitag in diesem
Hause das gesamte Parlament endgültig die Frage der
deutsch-polnischen Grenze, der Oder-Neiße-Grenze, abgeschlossen hat? Das hätten Sie tun können.
({2})
Zweiter Punkt: Wenn schon so, warum hat Herr Rühe, warum hat Ihre Fraktion nicht dafür gesorgt, daß sich am letzten Freitag alle Fraktionen dieses Hauses hinter den Bundespräsidenten gestellt und ihn gegen die Hetze der Vertriebenenverbände und der Republikaner in Schutz genommen haben?
({3})
Warum haben Sie sich nicht hinter den Bundespräsidenten gestellt?
Ich will Ihnen etwas sagen: Mir sind ganz böse Erinnerungen an die letzten Jahre des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gekommen.
({4})
Damals waren es deutsch-nationale Richter, die ihn im Regen stehenließen. Jetzt hat die eigene Fraktion den Bundespräsidenten im Regen stehenlassen.
({5})
Das zum Thema deutsch-polnische Beziehungen unter spezieller Berücksichtigung der Politik der CDU/ CSU-Fraktion.
({6})
Ich wollte hier ruhiger reden, aber - es tut mir leid - Herr Rühe hat das nun einmal so mit sich gebracht.
({7})
Ich wollte eigentlich über den Einzelplan 05 reden. Ich wollte nicht den großen außenpolitischen Rundumschlag machen, sondern ich wollte über ein paar Zahlen reden. Dazu will ich jetzt auch noch einiges sagen.
Die Steigerungsrate für den Gesamthaushalt beträgt - wir wissen es; wir haben es gehört - 3,4 %. Die Steigerungsrate des Einzelplans 05 macht nur 2,8 % aus. Man reibt sich verblüfft die Augen; denn - wenn überhaupt - muß nicht jetzt die Stunde der Außenpolitik geschlagen haben, jetzt, wo aus dem halben Europa ein ganzes gemacht werden kann?
Ich will nun gar nicht davon sprechen, daß die Hilfestellungen für Polen und Ungarn jetzt doch abgesichert werden müßten - sei es in Form von Forderungsverzichten im Rahmen der Zlotysierung von Altschulden oder von Zwangsarbeiterentschädigungen oder von disponiblen Mitteln zur Schaffung von Fonds. Dafür müßten ja im Rahmen der allgemeinen Finanzverwaltung, Einzelplan 60, Vorkehrungen getroffen werden. Man findet sie natürlich nicht im Haushalt.
Ich spreche hier nur über die spezifischen Aufgaben, die im Rahmen der auswärtigen Politik gehandhabt werden müssen - auf der staatlichen, auf der kulturellen, auf der gesellschaftlichen Ebene. Da sind
Dr. Lippelt ({8})
neue Generalkonsulate für Kiew, Krakau und Fünfkirchen vereinbart worden; da geht das Goethe-Institut nach Budapest und Sofia. Wir hoffen, daß es auch bald in Warschau und in Moskau seine Zelte aufschlagen wird. Das Goethe-Institut wird zwar mit einem etwas höheren Ausgabenrahmen ausgewiesen, doch das ist nur Augenwischerei; denn ihm wird eine Verdoppelung der Einnahmen zudiktiert. Per saldo wird der Zuschuß der Bundesregierung für das Goethe-Institut gekürzt.
({9})
Ich ersuche den Finanzminister, der außer dem „Bayernkurier" gelegentlich vielleicht auch die „FAZ" liest, heute ausnahmsweise dort auch einmal ins Feuilleton zu gucken und sich den Artikel von Renate Schostack zu diesem Thema zu Gemüte zu führen.
Welche Vorkehrungen sind für die von uns allen jetzt doch erwarteten breiteren gesellschaftlichen Kontakte getroffen worden? - Bereitstellung zusätzlicher Stipendien für den DAAD oder die sonst Stipendien vergebenden Organisationen? - Nichts.
Bereitstellung von mehr Mitteln für den Wissenschaftler- und Dozentenaustausch im Rahmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft? - Nichts.
Bereitstellung von mehr Mitteln, mit denen man ganz unkonventionell etwa Gastdozenturen in Osteuropa finanzieren könnte oder z. B. auch einmal ein Historisches Institut in Moskau - nachdem es solche doch in Paris, London, Washington gibt -, damit man sich an der Aufarbeitung der weißen Flecke kompetent beteiligen könnte? - Nichts.
Für diese Regierung existiert Außenpolitik als gestaltende Aufgabe offensichtlich nicht.
Es kommt noch schlimmer, wenn man die Steigerungsrate mit anderen Bereichen vergleicht. Zunächst: 2,8 % Steigerung sind ganze 82 Millionen DM. Davon ist aber nun mehr als ein Sechstel, nämlich 16,8 Millionen DM, zusätzlichen reinen Repräsentationszwecken gewidmet, nämlich der Ausstattung und dem permanenten Betrieb des „Petersbergs". Das hätte man auch billiger haben können. Aber da man andere nicht mit hineinlassen will, wird es nun so teuer. Zieht man diese Millionen ab, so fällt die Steigerungsrate des Einzelplans 05 in die Nähe von 1%.
Für das Militär ist natürlich mehr da. Dort beträgt die Steigerungsrate zwar nur 2,25 %, aber das bedeutet gleich 1 Milliarde mehr. Ich wiederhole, was ich kürzlich hier gesagt habe: Jede Milliarde, dort eingespart und politisch ausgegeben, würde das Zehnfache an politischer Stabilisierung bringen. Die Regierung aber bleibt befangen in der herkömmlichen Phantasielosigkeit des Fortschreibens.
Oder nehmen wir die Steigerungsrate für Verkehr: 1,9 %. Auch das sind dann gleich 370 Millionen DM. Guckt man sich die einzelnen Bereiche an, dann stellt man fest, daß der Autobahn- und Fernstraßenbau eine satte Steigerung von 5 To haben. Betonpolitik bleibt das Kennzeichen dieser Regierung.
Oder werfen wir einen Blick auf die mittelfristige Planung: Die Zahlungen an die EWO, die Europäische
Weltraum-Organisation, sind für fünf Jahre mit 4,7 Milliarden DM angesetzt. Sie belaufen sich also inzwischen auf ein Drittel der gesamten Ausgaben für die Außenpolitik, d. h. der Ausgaben für alle Botschaften, Konsulate, Goethe-Institute, für die gesamte Ebene gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Institute. Auch der große Haushalt des renommierten Archäologischen Instituts ist ja im Einzelplan 05 enthalten.
So bleibt, daß dieser Regierung die Suche nach Prestige im Weltraum fast halbsoviel an Ausgaben wert ist wie die politische Ordnung der Beziehungen zwischen den Völkern hier auf der Erde und die Pflege der Kontakte zwischen den Gesellschaften über alle Grenzen hinweg. Der Beton bekommt sein Geld, in den Weltraum werden die Milliarden verfeuert. Nur für den Frieden - denn das ist ja das höchste Ziel von Außenpolitik - bleibt sehr wenig.
({10})
Man kann es natürlich auch alles ganz, ganz anders sehen. Der Haushalt des Bundeskanzleramtes nämlich hat eine Steigerungsrate von 10,9 %. Wenn man sich nun die subtilen Strategien unseres Bundeskanzlers vor Augen hält und berücksichtigt, daß das Finanzministerium jetzt in bayerischer Hand ist - genau wie auch der Beton - , dann wird man nicht ausschließen können, daß hier eine ungeliebte Politik finanziell zurückgeschnitten wird.
So war es ja auch schon bei der Polen-Politik: Die offizielle Außenpolitik ließ man festfahren. Dann übernahm das Küchenkabinett, Herr Rühe und Herr Teltschik, und der Chef kochte selbst. Es brannte zwar alles an, aber wie schrieb am Samstag bei Nachbetrachtung der Geißler-Affäre die „Süddeutsche Zeitung"? Sie schrieb: Die Mitarbeiter im Kanzleramt gingen davon aus, daß Kohl immer stärker „zum Weltpolitiker" geworden sei.
({11})
Ja, meine Damen und Herren, wenn das so ist, wozu brauchen wir dann noch Geld für Genscher und für Goethe?
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rose.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon den ganzen Tag über eine große politische Debatte erlebt. Dazu haben zwar nicht so sehr die Redner der Opposition beigetragen,
({0})
aber mit Sicherheit unser Kollege Volker Rühe und der Herr Bundeskanzler.
({1})
Wir haben jetzt am Nachmittag eine verbundene, etwas gemischte Debatte, so daß der eine oder andere
nicht mehr weiß: Ist jetzt die Verteidigungspolitik, die innerdeutsche Politik oder die Außenpolitik dran?
({2})
Ich sage gleich zu Anfang: Ich spreche nochmals zur Außenpolitik.
({3})
Allerdings bin ich dankbar, daß sich der Herr Bundesverteidigungsminister bereits eingeschaltet hat.
({4})
Denn er hat den Schuß Realismus in die außenpolitische Debatte gebracht, ohne den man über die Ergebnisse, die sich im Ostblock darstellen, nicht sprechen sollte.
({5})
Es ist heute schon zweimal das Wort „Passau" gefallen. Da ich Passau hier als Abgeordneter vertrete, steht es mir, glaube ich, eher zu, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern dort zu danken, daß sie eine so große Solidarität gegenüber den neu angekommenen Deutschen aus Ungarn - sprich: aus der DDR - gezeigt haben.
({6})
Ich halte nichts von Ihrem Vorschlag, Herr Kollege Klaus-Dieter Kühbacher - obwohl ich Sie sonst schätze - , daß man einfach so den Soldaten befiehlt: „Jetzt haut ihr mal ab, weil da neue kommen. " Das kann man nur sagen, wenn man weit weg vom Schuß ist und wenn man sich nicht um die eigenen Sorgen der Soldaten kümmert.
({7})
Der Verteidigungsminister hat bereits die richtige Antwort gegeben.
({8})
Ich muß allerdings auch - das möchte ich wirklich bewußt sagen - Kritik an dem anbringen, was bisher gelaufen ist. Denn die Koordination in diesem ganzen Schauspiel - anders kann ich es nicht nennen - war nicht das Gelbe vom Ei. Ich wäre deshalb dankbar, wenn man wenigstens im nachhinein die Unkosten,
({9})
die vor Ort durch die Übungen und die Ausgaben dafür anfallen, seitens der Regierung erstattet,
({10})
damit der gute Wille, der gezeigt wurde, nicht durch ein falsches Management zerstört wird.
({11})
Meine Damen und Herren, wir haben - das sollte man sagen - bei dem außen- und ostpolitisch erfreulichen Entwicklungsprozeß doch, wie ich vorhin schon bemerkt habe, den nötigen Schuß Realismus zu beachten. Es ist nicht so, als wäre da jetzt plötzlich die große Freiheit ausgebrochen. Es ist auch nicht so, als
ließe sich die Perestroika so ohne weiteres umsetzen. Der Kollege Manfred Carstens und ich haben vor kurzem bei politischen Gesprächen in Moskau u. a. feststellen müssen, daß die Sowjetführer riesige Probleme vor sich haben, die sie, so primitiv es klingt, in allen Feldern des Lebens, auch des öffentlichen Lebens, bekommen. Das beginnt z. B. schon beim öffentlichen Haushaltswesen, von dem selbst hohe Funktionäre keine Ahnung haben. Es endet auch nicht bei Überlegungen, wie eine Währungsreform und eine Art Sozialer Marktwirtschaft zur Effizienz des sogenannten Sozialismus beitragen könnten.
Meine Damen und Herren, angesichts von 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland können wir stolz sein, daß sich 1949 das System Ludwig Erhards und nicht die Planwirtschaft der Sozialisten durchgesetzt hat. Wer sich erinnert, daß wenige Tage vor der ersten Bundestagswahl ein Generalstreik gegen die Soziale Marktwirtschaft vom Zaun gebrochen wurde, kann nur dankbar sein, daß diese trotzdem durchgeboxt worden ist.
Wenn heute erneut wie schon so oft viele Menschen aus der DDR oder aus anderen sozialistischen Ländern zu uns in das Land ihrer Hoffnung kommen, dann doch wohl auch, weil die Soziale Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard hier Eingang fand.
({12})
Die Geschichte gab dieser Entscheidung recht. Dafür sollten wir dankbar sein,
({13})
aber auch anderen helfen, ähnlich erfolgreich die Weichen stellen zu können.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesem Hohen Haus einig sein, daß unsere Außenpolitik auf die Unterstützung der Reformkräfte abgestimmt sein muß. Dabei reicht allerdings der gute Wille zum Wandel allein nicht aus. Deshalb ist ein Kurs des politischen Realismus notwendig, der zwischen übertriebenen Hoffnungen und überzogenem Mißtrauen hindurchblickt. Er ist auf jeden Fall besser. Erinnern wir uns, daß es in der Volksrepublik China einen brutalen Rückschlag gegeben hat und daß es auch anderswo sehr schnell zu negativen Entscheidungen kommen könnte.
Wir können nur hoffen und helfen, daß die großen Krisen in der Sowjetunion und in Polen im Sinne der Freiheit gelöst werden. Wir dürfen nicht übersehen, daß der Totalitarismus noch nicht verschwunden ist, leider überhaupt nicht in der DDR oder auch in Rumänien.
Der Ruf nach einem drastischen Abbau der Bundeswehr, wie er vorhin schon angeklungen ist und wie er in gewissen politischen Kreisen offensichtlich vor Wahlen opportun zu sein scheint, könnte sich schnell als übereilt herausstellen.
({14})
Auch wir, die Haushaltspolitiker der Unionsfraktion, haben keine Tabus bei einem sinnvollen Sparen. Unnötige Ausgaben oder unsinnige Aufgaben sollen dem Bundeswehrhaushalt erspart bleiben. So waren
auch die bisherigen Aussagen zum vorgelegten Haushalt gemeint.
Unseriös ist aber der Vorschlag, Milliarden von D-Mark könnten bei weniger Soldaten eingespart werden.
({15})
Herr Kollege Dr. Friedmann hat schon gestern erwähnt, daß weniger Wehrpflichtige noch lange nicht weniger Ausgaben bedeutet. Wenn man mehr Zeit- und Berufssoldaten oder mehr Reservisten braucht, wird alles viel teurer. Ich meine, gerade die Wehrpflichtigen sind deshalb für uns am preiswertesten. Wir sollen auch mit den größeren Sozialleistungen, die wir vorhaben, durchaus den Haushalt belasten dürfen; denn das kommt unseren Soldaten zugute. An den Soldaten als den Garanten unserer Freiheit wollen wir nicht sparen.
({16})
Meine Damen und Herren, welche Chancen bietet der Bundeshaushalt, auf die Veränderungen östlich unseres Vaterlandes einzugehen? Wir können feststellen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der westlichen Staatengemeinschaft sowohl eine außenpolitische als auch eine wirtschaftspolitische Antwort auf den Wandel im sozialistischen Staatenbund formuliert hat.
Wir haben zusätzlich die kulturelle Verflechtungschance ergriffen, die die Menschen unmittelbar berühren wird. So sind Abrüstung und Rüstungskontrolle, wirtschaftliche Kooperation, Schuldenreduzierung, aber auch Kulturbegegnung zu wesentlichen Prinzipien geworden. Bei den Krediten wird noch manches zu verhandeln sein; denn, meine Damen und Herren, die Malaise der 70er Jahre darf sich nicht wiederholen. In einer Fernsehsendung gestern abend hat der neue polnische Chefideologe, ZK-Sekretär Wiatr bemängelt, daß die damaligen Kredite das falsche Wirtschaftssystem gefestigt haben. Wir werden also nachträglich in unserer Sorge bestätigt, die Ostverträge könnten zu schnell und zu leichtfertig auf Forderungen der falschen Seite eingegangen sein. Die Ostverträge haben sich also auch aus der Sicht der Polen als falsch dargestellt. Deshalb möchte ich auch erwähnen: Ostpolitik ja, aber eine richtige Ostpolitik. Deshalb gilt auch in dieser Frage: Unsere Politik hat sich als richtig herausgestellt.
({17})
Vor allem ist heute vormittag klargeworden, daß sich die SPD in der Frage des Kontakts zu Polen wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat.
({18})
Die Aussagen, die Lech Walesa getroffen hat, die heute von Herrn Ehmke angezweifelt wurden, sind in einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen", zufälligerweise auch von heute, bestätigt worden. Ich zitiere das noch einmal, weil der Kollege Rühe von Ihnen in einer Zwischenfrage angegangen worden ist. Es handelt sich um einen großen Artikel des Professors Dr. Hartmut Jäckel in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zitat:
Aus den Gesprächen, die ich in diesen Jahren in Warschau und Krakau, Breslau und Danzig geführt habe ({19}), ist mir gegenwärtig, wie bitter die damals verfemten Sprecher der Solidarność-Bewegung dieses vermißt haben: glaubwürdige Zeichen der Verbundenheit von seiten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
({20})
die sich doch geradezu als Schutzpatron der Bedrängten hätte empfinden müssen.
Es heißt dann weiter:
Als ich im August 1987 Lech Walesa nach den Hintergründen für das spektakuläre Nichtzustandekommen einer Begegnung mit Willy Brandt fragte,
({21})
lautete die Antwort:
({22})
- Professor Dr. Hartmut Jäckel in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen".
({23})
Ich zitiere weiter:
„Als Christ versuche ich, jeden Menschen zu verstehen. Ich habe Willy Brandt bis heute nicht verstanden. "
({24})
Es erübrigt sich, hinzuzufügen: Was vor vier Jahren eine politische Tat gewesen wäre, hat heute einen eher faden Beigeschmack.
Sie sollten sich wirklich einmal überprüfen, wenn Sie immer der Meinung sind, Sie hätten die richtigen ostpolitischen Kontakte hergestellt.
({25})
Meine Damen und Herren, jetzt noch einige Sätze zum Haushalt des Auswärtigen Amtes, nachdem es ja eine verbundene Debatte gibt. - Im Kulturfonds dieses Haushalts liegen die Förderungsschwerpunkte bei einem Sonderprogramm Sowjetunion, das Maßnahmen im Bereich von Wissenschaft und Hochschulen, aber auch im Bereich Aus- und Fortbildung beinhalten soll. Mit den geplanten Goethe-Instituten in Moskau, Sofia und Warschau tut sich aber leider noch nicht allzuviel. Die insgesamt vorgesehenen sechs Stellen lassen kaum Arbeit zu. Ähnlich verhält es sich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Die Absicht des Bundeskanzlers, mit Sonderprogrammen zugunsten der UdSSR und auch Indonesiens attraktiv einzusteigen, ist mit dem vorgelegten Haushalt nicht genügend finanziell abgesichert worden. Der Haus11776
haltsausschuß - wir sind heute ja erst in der ersten Lesung, es ist die Einbringungsrede - hat also noch genug Aufgaben vor sich, und wir werden uns gemeinsam, Kollege Hoppe von der FDP und ich, Gedanken darüber machen, wie wir in dieser Richtung fortfahren werden.
Die Chance, in unseren Nachbarländern selbst zum friedlichen Wandel beizutragen, darf nicht durch Pfennigfuchserei entwertet werden.
Dankbar und freudig haben wir gestern junge Schüler eines deutsch-ungarischen Gymnasiums hier begrüßt. Schön wäre es, wenn in der nahen Zukunft auch Schüler eines deutsch-polnischen oder gar deutsch-tschechischen Gymnasiums zu uns kommen könnten.
({26})
Meine Damen und Herren, es war heute den ganzen Tag von Europa - Ost und West - die Rede, aber wir haben als Deutsche auch ein Gebiet, das uns besonders nahegeht und uns interessieren muß; ich meine Namibia. Nach einer langen diplomatischen Durststrecke seit der damals umstrittenen Schließung des deutschen Generalkonsulats in Windhuk Mitte der 70er Jahre bringt die im nächsten Jahr vorgesehene Eröffnung einer neuen deutschen Botschaft in Namibia die erneute Chance einer Zusammenarbeit. Ich begrüße es, daß im Haushalt die notwendigen Anlaufplanstellen eingesetzt sind. Vielleicht kann das Sonderprogramm Südliches Afrika damit noch aktueller und auf Namibia bezogener ablaufen. Mit den 6 Millionen DM, die in diesem Sonderprogramm sind, kann man zwar keine großen Sprünge machen. Aber wenn auch die politischen Stiftungen, die anderen Kulturträger und der Schulfonds des Kulturetats dazukommen, dann wird Namibia in seiner Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland in neuem Glanz erstrahlen.
Als Deutsche hier sollten wir gemeinsam mit den Deutschen dort zu großen Entwicklungsanstrengungen bereit sein. Diesem Ziel wird auch ein 50-Millionen-DM-Programm aus dem BMZ dienen, sobald es in die echte Realisierungsphase gelangt ist. Die Entsendung von Blauhelmen wird die deutsche Verantwortung für dieses Land zusätzlich unterstreichen, übrigens überhaupt die Bereitschaft der Deutschen, den Friedensdienst der UNO engagiert mitzumachen. Ob wir dazu auch anderenorts gefordert sind - wie in Mittelamerika - , sei dahingestellt. In diesem Teil der Welt ergeben sich leider auch ständig neue Unruheherde.
So ist leider Panama auf dem schlechten Wege, von der Völkergemeinschaft abgesondert zu werden. US-Präsident Bush sprach sogar davon, daß Panama keine legitime Regierung mehr hat. Auch die Europäische Gemeinschaft hat zur freien Wahl einer demokratisch legitimierten Regierung aufgerufen. Der Deutsche Bundestag vergibt sich nichts, wenn er die Verweigerung der demokratischen Grundrechte anprangert. Die Bundesregierung sollte auf jeden Fall ihre bilateralen Beziehungen zu Panama überprüfen.
Zum Schluß noch eine Erklärung zur Eröffnung weiterer Botschaften und Generalkonsulate ab dem Jahr 1990; denn auch damit kommt Außenpolitik zum Ausdruck. Neben Windhuk bekommt bekanntermaßen die Hauptstadt der Volksrepublik Mongolei eine eigene deutsche Botschaft, nachdem die diplomatische Vertretung bisher von Moskau aus und früher von Tokio aus übernommen war. In Ulan Bator zeigt sich im Gefolge der sowjetischen Reformen der Wunsch nach einer größeren Öffnung des bisher isolierten Landes. Auch wir sollten diese mongolischen Pläne umsichtig unterstützen. Der zunehmende deutsche Tourismus, aber auch wirtschaftliche und politische Gründe verlangen unser Engagement in dieser scheinbar entfernt liegenden Region.
Meine Damen und Herren, als letztes greife ich auf, was der Kollege Hoppe schon gesagt hat. Mit dem Gesetz über den auswärtigen Dienst ist ein Meilenstein für die Angehörigen des Auswärtigen Amtes erreicht. Es mußte allerdings erst die Regierung Kohl kommen, damit dieses Gesetz überhaupt in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Ich darf feststellen, daß auch die CSU ihren großen Anteil dabei hat: im Auswärtigen Ausschuß Michaela Geiger und Ortwin Lowack, als Bundesfinanzminister selbstverständlich Theo Waigel und im Haushaltsausschuß die Vertreter der CSU, darunter auch ich. Wir werden in dieser Richtung zusammen weiterarbeiten und dem auswärtigen Dienst bei der Erfüllung seiner wichtigen Aufgaben helfen.
({27})
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Staatsministerin beim Bundesminister des Auswärtigen, Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Debatte hat sich heute wie ein roter Faden die Diskussion über die Veränderungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas gezogen. Das macht ganz klar: Wir stehen in der Außenpolitik vor neuen Aufgaben.
Nach den Grundentscheidungen für die Westbindung und für eine Öffnung in der Ostpolitik geht es jetzt darum, einen aktiven Beitrag zur Architektur und zum Bau des europäischen Hauses zu leisten. Die Nachkriegszeit geht zu Ende, die Nachkriegsordnung ändert sich. Ich bin davon überzeugt, daß von der gegenwärtigen Entwicklung in den Staaten Osteuropas letztlich alle Staaten erfaßt werden, auch diejenigen, bei denen von einer Reformbewegung bisher nichts zu spüren ist. Denn, meine Damen und Herren, nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist; und Freiheit ist eine solche Idee.
Die Reformen politischer Art, aber auch die Verfassungsreform in der Sowjetunion haben in den letzten Monaten erhebliche Fortschritte gemacht. Dies entspricht unseren Wünschen; denn, meine Damen und Herren, wir brauchen einen stabilen Partner in der Sowjetunion, wenn wir Fortschritte in der Rüstungskontrolle bei der Herstellung eines konventionellen Gleichgewichts in Europa machen wollen, aber auch wenn wir weitere Fortschritte im Handel, in den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen und beim Umweltschutz sowie auch im gegenseitigen Kulturaustausch erreichen wollen.
Hier ist soeben der Kulturetat mehrfach erwähnt worden, meine Damen und Herren. Ich wünsche mir ja, daß sich das Parlament die Freiheit nimmt, uns erheblich mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, damit wir die Kulturarbeit in osteuropäischen Staaten, die jetzt endlich in Gang gekommen ist, ausweiten können.
({0})
Auch in Polen und Ungarn vollziehen sich heute Reformprozesse von beeindruckender Dynamik, sowohl politisch wie wirtschaftlich. Das wirtschaftliche Wachstum und die Prosperität in diesen Ländern hängen aber in erster Linie von den eigenen Anstrengungen dieser Länder ab. Der westliche Beitrag kann und muß auch darin bestehen, ihre Bemühungen zur Überwindung der wirtschaftlichen Probleme zu flankieren und zu ergänzen. Das tun wir sowohl in direkten Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den betroffenen Staaten wie auch als Partner innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Wir haben mit Ungarn bereits ein Handels- und Kooperationsabkommen abgeschlossen, das unter deutscher Präsidentschaft im vergangenen Jahr unterschrieben worden ist, und wir sind mit Polen in Verhandlungen. Ich denke, es wird Zeit, daß wir auch mit der polnischen Regierung hier zu einem Abschluß kommen.
Wir wollen die Zusammenarbeit mit diesen Ländern auf allen Gebieten nach Kräften fördern und auf neue Bereiche ausdehnen; aber, meine Damen und Herren, eines muß klar sein: Wenn wir solche Abkommen abschließen, dann geht es nicht um Belohnung für Reformen, sondern es geht um Absicherung von Reformprozessen, die eingeleitet worden sind. Ob und wie wir Hilfe leisten, kann auch mit dazu beitragen, die Entscheidung über den Erfolg oder den Mißerfolg solcher Reformen herbeizuführen.
({1})
Deshalb darf niemand beiseite stehen, und niemand darf etwa durch Untätigkeit oder durch Zögern ein Scheitern der Reformbestrebungen in Kauf nehmen.
({2})
Westeuropa und Osteuropa sind in Bewegung geraten. In ihrer Dynamik laufen diese beiden Bewegungen aufeinander zu. Deswegen müssen wir alles unterlassen, was die Entwicklung aufeinander zu in Europa stören könnte. Störend würden Unsicherheiten wirken, die durch völlig überflüssige Grenzdiskussionen ausgelöst werden.
({3})
Meine Damen und Herren, die Ostverträge der 70er Jahre haben ihren Beitrag zur friedlichen Entwicklung unseres Kontinentes geleistet. Machen wir also klar: Wir erheben keine Gebietsansprüche gegenüber Polen.
({4})
Ich möchte nach dem Verlauf der Debatte vor allen Dingen heute morgen eine Bemerkung anfügen: Wer für sich in Anspruch nimmt, der bessere Unterstützer der Reformbewegung in Polen zu sein, der sollte nicht vergessen: Die jetzige Entwicklung in Polen ist der Kraft der polnischen Bevölkerung und ihrem Freiheitswillen zu verdanken.
({5})
Die allerdings haben es nicht verdient, zum Knüppel der innenpolitischen Auseinandersetzung bei uns zu werden.
({6})
Den Reformprozeß in Ungarn begrüßen und unterstützen wir. Wir müssen uns klar darüber sein, daß er nicht nur Bedeutung für die Entwicklung eines friedlichen Gesamteuropas hat, sondern auch dazu beigetragen hat, die gegenwärtige Spannung in der DDR sichtbar werden zu lassen, die dann zum Wunsch auf Ausreise vieler Tausender Bürger geführt hat.
In den letzten Wochen haben Deutsche aus der DDR in zunehmendem Maße den Versuch unternommen, ihre Ausreise durch Festsetzung in der Ständigen Vertretung in Berlin sowie in unseren Botschaften in Budapest und in Prag zu erzwingen. Die genannten Vertretungen mußten deshalb für den Publikumsverkehr vorläufig geschlossen werden. Dies haben wir nicht leichten Herzens getan, und wir wünschen uns, daß wir die Vertretungen bald wieder dem Publikumsverkehr zugänglich machen können. In Ungarn hält sich außerdem eine große Zahl von DDR-Bürgern auf, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wollen.
Es ist richtig: Der Schlüssel zur Lösung der tiefgreifenden menschlichen Probleme liegt allein bei der DDR. Aber ich möchte allen sagen: Festsetzungen in unseren Auslandsvertretungen sind nicht der Weg, eine Ausreise zu betreiben. Darauf hat die Bundesregierung wiederholt hingewiesen. Wir werden Deutschen in Not unsere Hilfe auch künftig nicht versagen, und wir werden uns, wie wir das in den letzten Wochen getan haben, mit allen Kräften für eine humanitäre Lösung einsetzen.
({7})
Wir sind dankbar, daß die Menschen, die in unserer Botschaft in Budapest Zuflucht gesucht haben, inzwischen mit der Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ausreisen konnten. Wir begrüßen auch, daß in der Ungarischen Volksrepublik niemand mehr gegen seinen Willen in die DDR abgeschoben wird.
({8})
Der ungarische Ministerpräsident hat bei seinem jüngsten Besuch in Bonn erklärt, das Problem der Deutschen aus der DDR müsse vor allem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gelöst werden. Er hat aber auch seine Bereitschaft bekräftigt, jede Unterstützung zu gewähren und den eigenen Beitrag zu leisten. Diese Haltung wissen wir zu würdigen.
({9})
Ich kann nur alle bitten, in der öffentlichen Behandlung dieses Themas der ungarischen Regierung ihren mutigen Kurs nicht zu erschweren.
Gerade in diesen Tagen ist in den Botschaften in Budapest, Prag und Wien deutlich geworden, welch hohe Anforderungen an die Angehörigen des auswärtigen Dienstes gestellt werden. Sie arbeiten dort zum Teil seit Monaten ohne Rücksicht auf Dienstzeiten, um unbürokratisch und engagiert Hilfe zu leisten. Dafür möchten wir ihnen danken.
({10})
Diese Arbeit macht aber auch deutlich, daß das Gesetz über den Auswärtigen Dienst, das ja hier von Kollegen zur Sprache gebracht worden ist, überfällig ist. Die Bundesregierung wird es voraussichtlich noch in diesem Jahr einbringen. Ich denke, daß die Dringlichkeit von den Kollegen hier unterstrichen worden ist. Deshalb bitte ich auch die Ausschüsse des Bundestags um zügige Behandlung.
({11})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einem anderen Thema sagen, das aber gerade in den Beziehungen zwischen Ost und West eine zunehmende und ganz wichtige Rolle für den Frieden in Europa spielt. Es ist der Beitrag zur Stabilität in Europa, der durch die laufenden Abrüstungsverhandlungen in Wien geleistet wird. Es ist dem beharrlichen Bemühen der Bundesregierung zu verdanken, daß auf dem letzten NATO-Gipfel der Beschluß gefaßt werden konnte, daß Optionen für ein Lance-Nachfolgesystem offengehalten werden. Jetzt geht es darum, durch rasche Fortschritte bei der Rüstungskontrolle eine Stationierungsentscheidung 1992 überflüssig zu machen.
Sicher ist es richtig, daß Abrüstung nur auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit für uns möglich ist. Aber genauso sicher ist es auch, daß wir jetzt in der Lage sein können, das Kernproblem der europäischen Sicherheit zu lösen, nämlich die Überwindung des stabilitätsgefährdenden östlichen Übergewichts bei kampfentscheidendem Großgerät. Es geht hier um die Verwirklichung eines völlig neuen Denkansatzes in der Sicherheitspolitik, nämlich um die Herstellung eines konventionellen Gleichgewichts zu Bedingungen, die jede großangelegte Invasion fremden Territoriums überhaupt unmöglich machen. Es gibt jetzt, in diesen Tagen, die konkrete und berechtigte Hoffnung, daß wir zu einem ersten Ergebnis innerhalb eines Jahres kommen können.
Die Bundesregierung wird, wo immer sie kann, das Erreichen dieses Ergebnisses fördern. Denn ein solches Ergebnis liegt in unser aller Interesse, im deutschen Interesse.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf der Regierung für 1990 sieht vor, daß für die Entwicklungspolitik 7,2 Milliarden DM ausgegeben werden. Das sind etwa 190 Millionen DM mehr als im Vorjahr; und wenn man die 80 Millionen DM dazuzählt, die über den Ansatz im Jahr 1989 hinaus aus Rückflüssen wieder eingesetzt werden, ergibt sich eine Steigerungsrate von 3,7 %. Sie liegt leicht über dem Wachstum des Gesamthaushalts. Nicht schlecht; die Bundesrepublik steigert ihr entwicklungspolitisches Engagement. So könnte man folgern.
Doch der schöne Schein trügt. Denn nicht die Barausgaben eines Jahres sind dafür maßgebend, sondern der für neue Zusagen bewilligte Finanzrahmen, die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Diese werden aber um sage und schreibe 1,7 Milliarden DM zurückgeschnitten. Das sind 22 % weniger als in 1989.
Ich weiß: Dies liegt zum Teil an niedrigeren multilateralen Verpflichtungen. Es ist aber auch weniger für die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit vorgesehen. Die Entwicklungshilfe wird also zurückgefahren, obwohl die Bevölkerung in den Entwicklungsländern weiter explodiert und die Armut wächst. Das Engagement wird verringert, obgleich wir in der Bundesrepublik 1990 wohl auch mit einer guten Wachstumsrate und damit auch mit mehr Steuern und Staatseinnahmen rechnen können.
Welch ein Armutszeugnis für eine der reichsten Industrienationen der Welt!
({0})
Wie verträgt sich dies, so fragen wir Sozialdemokraten, mit dem Wort des Bundeskanzlers jüngst auf dem Pariser Gipfel und heute auch noch einmal in der Debatte, es müsse mehr für die Dritte Welt und insbesondere für den globalen Umweltschutz geschehen?
({1})
Die SPD kritisiert, daß die Regierung den Finanzrahmen für die Entwicklungspolitik kürzen will. Gleichzeitig wissen wir natürlich auch, daß - hier wie anderswo - Geld eine wichtige Voraussetzung, jedoch nicht der einzige Maßstab für politisches Handeln ist. Genauso wichtig ist, daß man die wirklichen Probleme erkennt und die richtigen Prioritäten setzt.
Statt ins finanzielle Detail zu gehen, will ich mich deshalb im folgenden eher diesen grundsätzlichen Fragen der Nord-Süd-Politik zuwenden. Ich knüpfe dabei an die Rede meines Fraktionsvorsitzenden an. Jochen Vogel machte heute vormittag deutlich, daß die Regierungskoalition auf wichtigen Feldern der Politik historisch überlebte Lösungen blind weiterschreibt, weil sie offenbar nicht erkannt hat, daß sich im Übergang zum dritten Jahrtausend zentrale Grundannahmen, Begriffe und Paradigmen geändert haben.
Die Bundesregierung scheint aus Irrtümern und Fehlschlägen der letzten drei Entwicklungsdekaden wenig gelernt zu haben. Sie sagt auch in der NordSüd-Politik „Weiter so!", obwohl sich die globalen
Probleme immer dramatischer zuspitzen: ökonomisch, sozial, ökologisch.
Ich will allerdings nicht ausschließen, daß auch wir Sozialdemokraten uns selbstkritisch prüfen müssen, ob wir selbst schon die Tragweite von Bevölkerungsexplosion, Schuldenkrise, Globalisierung der Kommunikation, Weltraum- und Gentechnologie, grenzüberschreitender Naturzerstörung und internationaler Finanzverflechtung voll erfaßt haben.
Meine Damen und Herren, warum können wir auch in den Nord-Süd-Beziehungen nicht einfach weitermachen wie bisher? Welche Annahmen, auf denen bisher unsere Politik gegenüber der Dritten Welt fußte, gelten nicht mehr? Ich will hierfür vier Gründe nennen.
Erstens. Wir haben bisher angenommen, der Süden könne Zug um Zug durch eine Art nachholende Entwicklung zum Norden aufschließen. Heute müssen wir einsehen, daß sich 12 oder 14 Milliarden Menschen - und dahin treibt die Entwicklung mit Sicherheit - nicht den gleichen exzessiven Verbrauch von Ressourcen leisten können, wie dies heute schon 700 Millionen im Norden tun, ohne daß allen, auch uns, der ökologische Infarkt droht.
Wenn in China und Indien in 30 Jahren zusammen 3 Milliarden Menschen leben, ist die Klimakatastrophe heute schon völlig sicher programmiert, wenn diese Länder uns imitieren und deshalb dann allein in diesen Ländern mindestens eine halbe Milliarde Autos mehr die Luft und die Atmosphäre belasten.
Zweitens. Wir haben bisher unterstellt, daß Natur und Ressourcen ausreichen, um über ein permanentes wirtschaftliches Wachstum Elend zu beseitigen, immer höheren Wohlstand zu erreichen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und soziale Konflikte zu bewältigen. Heute wissen wir, daß der Verbrauch von Ressourcen sich nicht mehr nach einer zu maximierenden Produktion, sondern daß sich umgekehrt, wenn wir eine dauerhafte Entwicklung für alle Völker und auch die künftigen Generationen wollen, die Produktion nach den verfügbaren Ressourcen und den ökologischen Gesetzen richten muß - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nur: Wir müssen sie offenbar neu lernen. Brauchen wir also nicht bald, sehr bald eine Politik, die auch dann Probleme lösen kann, wenn Konsum und Produktion nicht mehr wie bisher wachsen? Wo zeigt sich diese Politik?
Drittens. Wir haben gehofft, durch weltwirtschaftliches Wachstum und immer mehr internationale Arbeitsteilung ließe sich die Lücke zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern schließen. Heute erkennen wir: Die wirtschaftliche Kluft zwischen dem Norden und dem Süden, aber auch zwischen dem Westen und dem Osten hat sich nicht geschlossen, sondern in den letzten Jahren vertieft.
Was können wir also ändern, damit wir dazu beitragen, daß die Erwartungen aller Menschen und Völker auf ein menschenwürdiges Leben erfüllt werden können? Wächst die Fähigkeit des Nordens, zu helfen und zusammenzuarbeiten, gleich schnell wie die Probleme des Südens und die daraus entstehenden globalen Konflikte?
Viertens. Wir haben bisher nicht beachtet, welche Rückwirkungen unser eigener Konsum, unsere Produktion und unsere Technologie im Norden auf andere Länder und Kontinente haben. Spätestens heute muß uns aber bewußt werden, daß Zinserhöhungen in Washington zu Hungerrevolten in Venezuela, daß die Täfelung aus Tropenholz hier zur Abholzung von Regenwäldern am Amazonas, daß die Konsummuster, die wir über die Welt schicken, zu unerfüllbaren Leitbildern in Asien und Afrika führen.
Müssen wir uns nicht endlich der globalen Interdependenzen bewußt werden und - wie Hans Jonas sagt - in einer neuen räumlichen und zeitlichen Dimension von Verantwortung denken und handeln?
Wachsende globale Probleme, zunehmende Widersprüche zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, aber auch die Tatsache, daß wir alle in einer Welt mit zunehmenden Interdependenzen leben, müssen uns zum Umdenken und zum Umsteuern veranlassen. Umdenken: Hans-Jochen Vogel hat in dieser Debatte hervorgehoben, was dies insbesondere für die Begriffe Sicherheit und Souveränität bedeutet. Ich füge hinzu: Wir müssen auch unseren Begriff von Entwicklung überprüfen. Sicherheit läßt sich nicht mehr allein militärisch definieren. Wer in Zukunft den eigenen Frieden will, muß sich nicht nur gegen andere verteidigen können; er muß dazu beitragen, ihr Überleben mit zu sichern und zusammen mit ihnen die Natur zu erhalten.
({2})
Sozialer Ausgleich und ökologische Vorsorge im globalen Maßstab also: das sind die wirklich tragenden Pfeiler der künftigen Sicherheitspolitik.
Die weltweiten Interdependenzen zwingen uns auch dazu, den Begriff der nationalen Souveränität zu überdenken; denn militärische Sicherheit, wirtschaftlicher Wohlstand und ökologische Vorsorge lassen sich auch für das eigene Land nur noch durch eine enge internationale Zusammenarbeit und durch eine Stärkung grenzüberschreitender politischer Kompetenz verwirklichen.
Auch was Entwicklung in Zukunft bedeutet, müssen wir neu bedenken. Nicht mehr ein immer höheres Quantum an materieller Produktion darf der wichtigste Maßstab von Wachstum und Wohlstand und die zentrale Leitvorstellung der Menschen sein, sondern Leitbild sollte die Qualität des Lebens sein, vor allem auch in seinen immateriellen und ideellen Aspekten.
Wenn die in den westlichen Industrieländern bisher geprägten Vorstellungen von Sicherheit und Souveränität, Fortschritt und Entwicklung sich historisch überleben, weil sie ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, verloren haben, hat dies natürlich weitgehende Konsequenzen für unser Handeln. Wir müssen politisch umsteuern. Umsteuern heißt: Die globalen Probleme, die immer stärker alle Staaten betreffen, können nur noch - Jochen Vogel hat es gesagt - durch eine wirkliche Weltinnenpolitik bewältigt werden.
Die Schwächung der internationalen Institutionen durch die konservativen Industrieländer war eine verhängnisvolle Fehlentwicklung in den ganzen vergangenen Jahren. Bilateralismus und unverbindliche
Gipfelkonferenzen - das hat sich zuletzt in Paris erwiesen - versagen drastisch vor den globalen Aufgaben.
Umsteuern heißt auch: Die Nord-Süd-Politik kann sich in Zukunft nicht mehr unbesehen auf die Modelle, das Kapital und die Technologie des Nordens stützen. Mehr als von dem Geld und den Leitbildern des Nordens ist der Süden davon abhängig, was und wie wir im Norden verbrauchen und produzieren. Und umgekehrt: Der Norden wird sich, will er den Frieden auch für sich selbst sichern, sozial und ökologisch mit dem Süden arrangieren müssen. Entwicklungspolitik ist deshalb nicht mehr mit externer Hilfe gleichzusetzen. Sie verschmilzt zunehmend mit der Wirtschafts- und Agrarpolitik, mit der Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik.
({3})
Umsteuern heißt auch: die Strategie unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt korrigieren. Eine vornehmlich durch das Wachstum der Industrieländer über den Welthandel extern angestoßene Entwicklung im Süden müßte nach Rechnung von Experten zu einer Verzehnfachung des Weltbruttosozialproduktes führen. Zu einer Verzehnfachung! Jeder sieht ein: Das ist gegen alle ökonomische und ökologische Vernunft. Das ist Wahnsinn.
({4})
Worauf es in Zukunft in der Entwicklungspolitik also ankommt, ist vielmehr, die eigenen Entwicklungspotentiale des Südens zu aktivieren, dort autonome geistige und politische Kräfte zu fördern und qualitative Momente ins Zentrum der Entwicklungspolitik zu stellen.
Von diesen Grundsätzen lassen sich eine Reihe konkreter Forderungen an die Entwicklungspolitik im engeren Sinne ableiten. Entwicklungspolitik darf nicht mehr in ein einzelnes Ressort eingesperrt werden und die allerletzte Geige im Konzert aller politischen Instrumente in Parlament und Regierung spielen. Sie muß als Querschnittsaufgabe und Dimension des gesamten politischen Handelns begriffen werden.
Entwicklungspolitik darf nicht mehr als Einbahnstraße von Nord nach Süd begriffen werden. Sie muß über die gegenwärtigen Lippenbekenntnisse hinaus wirkliche Kooperation praktizieren.
Entwicklungspolitik muß sich aus globaler Verantwortung auch an der Formulierung der künftigen Konsum- und Produktionsmuster in den eigenen Industrieländern beteiligen können.
Entwicklungspolitik sollte sich zunehmend aus der Fixierung auf punktuell gesetzte und von außen her konzipierte einzelne Projekte lösen und sich mehr und mehr darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen für eine autonome Entwicklung im Süden zu schaffen: durch Reformen der Weltwirtschaft, aber auch durch Mithilfe bei strukturellen Fortschritten in der ökonomischen, sozialen und politischen Verfassung der Entwicklungsländer selbst. Stichworte sind Agrarreform, Kapitalbildung im eigenen Lande, Binnenmarkt, Partizipation, vor allem aber - die Basis jeder Entwicklung und Produktivität - Bildung und Ausbildung.
Die letzten Jahre haben leider gezeigt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP mit wenigen Ausnahmen nicht fähig und bereit sind, umzudenken und umzusteuern. So dümpelt die Bundesrepublik, eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt, im seichten Wasser falsch verstandener eigener kurzfristiger Interessen.
({5})
Sie nimmt ihre globale Verantwortung nicht wahr, wie sie es könnte und müßte. Sie nutzt auch ihre Möglichkeiten nicht. Sie stiehlt sich nicht selten einfach aus der Verantwortung.
In der Schuldenfrage etwa versteckt sie sich seit Jahren hinter dem Rücken der privaten Banken. Sie plädiert für Freihandel, schottet gleichzeitig aber eigene Märkte ab und erlaubt Agrardumping auf fremden Märkten. Sie verlangt Initiativen für globalen Umweltschutz - vollmundig in Paris durch den Bundeskanzler -, sieht aber im Finanzplan 1990 keine zusätzlichen Mittel für ökologische Vorsorge in Entwicklungsländern über das hinaus vor, was jetzt bereits geplant ist.
CDU/CSU und FDP haben sich, so scheint es, in der Regierungsverantwortung wirklich verbraucht. Angst vor dem Machtverlust und ein unheilvoller Hang zur heilen Welt sowie zu den Rezepten von gestern verhindern den Durchbruch auch zu einer zukunftsgerichteten Nord-Süd-Politik.
Dem stellen wir Sozialdemokraten für die 90er Jahre, für die nächste Dekade, folgende Grundlinien einer neuen Nord-Süd-Politik gegenüber:
Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland muß endlich das Ziel, mindestens 0,7 % ihres Bruttosozialproduktes für die Entwicklungspolitik einzusetzen, erreichen. Sie hat sich dazu bereits vor langen Jahren im Rahmen der OECD verpflichtet. Es ist eine Schande, daß diese Bundesregierung die Ziffer von 0,48 % im Jahre 1982 inzwischen auf heute 0,38 % heruntergefahren hat.
({6})
Zweitens. Finanzielle Zusagen gegenüber Entwicklungsländern sollen in Zukunft grundsätzlich nur noch in Form von Zuschüssen erfolgen. Kredite sollten nur ausnahmsweise und nur für produktive Investitionen, die sich kurzfristig amortisieren, vergeben werden. Alles andere ist unsolide Finanzpolitik.
Drittens. Den ärmsten Ländern müssen die öffentlichen Schulden vollständig erlassen werden, wenn sie zu Reformen bereit sind, die der breiten Bevölkerung zugute kommen. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren einen kleinen Schritt in diese Richtung getan. Ausmaß und Tempo des Schuldenerlasses bleiben aber weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Wer sich in sieben Regierungsjahren angesichts der Probleme nur dazu bequemt, auf ganze 10 % seiner Forderungen zu verzichten, der macht sich lächerlich, wenn er dies lautstark als Beitrag zur Lösung der Schuldenkrise verkauft.
({7})
Viertens. Die Mittel, die aus früheren Krediten in den Bundeshaushalt zurückfließen - das sind jetzt
Jahr für Jahr weit über eine Milliarde DM - , müssen in Zukunft wieder voll in den Entwicklungsländern eingesetzt werden. Die SPD wird noch während dieser Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge machen, um aus diesen Mitteln Entwicklungsfonds in den Entwicklungsländern nach dem Modell des ERP-Plans zu finanzieren, nachdem ein vom Bundeskanzler angekündigter und von Minister Klein ausgearbeiteter Plan jetzt offenbar kläglich gescheitert ist. Es findet sich nichts mehr in dem Bundeshaushalt, der uns vorliegt.
({8})
Die Wahlgeschenke des neuen Finanzministers sollen offenbar auch auf Kosten der Ärmsten in der Welt finanziert werden.
Fünftens. Wir müssen endlich Schluß damit machen, daß die Entwicklungspolitik für eigene kurzfristige wirtschaftliche und politische Interessen mißbraucht wird. Dem widerspricht, daß die Bundesregierung immer noch entwicklungspolitische Leistungen an deutsche Lieferungen und an politisches Wohlverhalten knüpft. Ich verhehle allerdings nicht, daß in diesem Punkt auch wir Sozialdemokraten noch dazuzulernen haben.
Sechstens. Die Bundesrepublik muß sich an die Spitze einer internationalen Initiative zur Lösung der Verschuldungskrise setzen. Dazu gehört, daß der Staat alle seine Möglichkeiten nutzt und selbst die Voraussetzungen schafft, um die Banken zu veranlassen, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Der Schuldendienst der Entwicklungsländer muß an ihre langfristige Leistungsfähigkeit angepaßt werden. Alles anderes ist irrational
({9})
oder eine willkommene Basis für politische Erpressung.
Die Überschuldung entwickelt sich immer mehr zu einer entwicklungspolitischen Blockade, zunehmend vielleicht aber auch zur Barrikade eines verschärften Nord-Süd-Konfliktes. Wir appellieren an die Banken, gemeinsam mit dem Staat diese Blockade zu brechen.
Siebtens. Entwicklungspolitische Leistungen dürfen nicht mit den Auflagen des Internationalen Währungsfonds, wie sie heute definiert sind, verknüpft werden. Sie zielen zu einseitig auf kurzfristige Zahlungsfähigkeit und sind oft sozial und ökologisch verheerend. Sie gefährden demokratische Prozesse und hemmen eine konsistente, langfristige Entwicklungspolitik.
Achtens und letztens. In der Entwicklungspolitik muß es zu mehr Konzentration der Kräfte kommen. Schwerpunkte müssen sein: die ländliche Entwicklung, der Aufbau der Binnenmärkte, die Aktivierung eigenen Sparkapitals - das ist möglich - , vor allem aber Bildung und Ausbildung, die Basis jeglicher eigenständiger Entwicklung. Wir sollten aber auch darauf bestehen, daß ökonomische Entwicklungen etwas mit der Verwirklichung von Menschenrechten, Demokratie und Partizipation zu tun haben.
Meine Damen und Herren, Nord-Süd-Politik, will sie mithelfen, globale soziale Katastrophen abzuwenden und für die künftigen Generationen die Lebensgrundlagen zu erhalten, kann sich nicht mehr in einzelnen Projekten erschöpfen, auch nicht mehr in Mildtätigkeit. Sie muß die Rahmenbedingungen von Entwicklung korrigieren, sie muß Strukturen verändern - im Süden, aber auch bei uns selbst. Dies setzt eine Korrektur bisheriger Axiome, Begriffe und Strategien voraus, und dies - ich wiederhole es - hat auch damit zu tun, wie wir in den reichen Ländern leben, wie und was wir produzieren und ob wir in der Weltwirtschaft wirklich faire Strukturen wollen und Ausgleich statt Dominanz.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wilz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte die vorhin unterbrochene verteidigungspolitische Debatte fortsetzen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt den vorliegenden Regierungsentwurf zum Einzelplan 14 nicht nur als Zahlenwerk des Haushalts, sondern vor allem auch die Politik, die diese Zahlen begründet. Bereits mit dem Haushalt 1989 wurde eine Trendwende bei den Verteidigungsausgaben herbeigeführt. Der Haushaltsentwurf 1990 setzt, wie vom Kanzler bereits 1988 versprochen, diese notwendige Entwicklung fort.
Auch im Jahr des 40. Jubiläums der NATO gibt die Bundesregierung mit diesem Haushalt ein glaubwürdiges Beispiel für die Partner im Bündnis. Das Signal an die NATO lautet: Es bleibt notwendig, auch angesichts einer politischen Entspannung im Ost-WestVerhältnis und angesichts der erfreulichen Fortschritte bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien und Genf unverändert den erforderlichen Beitrag für unsere Sicherheit zu leisten. Wie der Brüsseler Gipfel bestätigt, hat der Harmel-Bericht nichts von seiner Bedeutung verloren. Bei einer nüchternen Bewertung ist es danach weiterhin erforderlich, die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte auf einem hohen Stand zu halten. Das erfordert Mittel für ausreichendes und gut ausgebildetes Personal und eine moderne Ausrüstung.
Im Gegensatz dazu sendet die SPD mit ihren wahllos gegriffenen Vorschlägen zur Reduzierung der Bundeswehr und mit der völlig unverständlichen Souveränitätsdiskussion Signale an unsere Partner, aber auch an unsere Bevölkerung, die ohne Not verunsichern müssen;
({0})
denn seit mehr als 40 Jahren sind bedeutende Truppenkontingente unserer NATO-Partner zur Wahrung von Frieden und Freiheit in unserem Land stationiert. Wir sollten immer daran denken, daß damit große Opfer für diese Völker, aber besonders für den einzelnen Soldaten und dessen Familie verbunden sind.
Es ist mir deshalb ein Anliegen, bei dieser Gelegenheit unseren Freunden aus Amerika, Belgien, Eng11782
land, Frankreich, Kanada und den Niederlanden aufrichtig für die erbrachten Leistungen zu danken.
({1})
Ich verbinde damit die Hoffnung, daß sie uns zumindest so lange in gleichem Umfang bei der Sicherung unseres Landes und damit ganz Westeuropas unterstützen, wie die in Wien erhofften Abrüstungserfolge noch nicht verwirklicht sind. Es gilt unverändert, daß eine angemessene militärische Stärke des Bündnisses eine bedeutende Grundlage für eine Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit bildet. Hierzu leistet dieser Haushaltsentwurf einen wesentlichen Beitrag.
Wir begrüßen, daß der neue Bundesminister der Verteidigung unmittelbar nach seinem Amtsantritt auf der Hardthöhe eine Überprüfung der mittel- und langfristigen Planung der Bundeswehr angeordnet hat. Wir vertrauen diesem erfahrenen Regierungsmitglied wie auch den beteiligten hohen Offizieren und Beamten der Bundeswehr. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten die Ergebnisse in Ruhe abwarten; erst dann wird der vorliegende Haushalt endgültig bewertet werden können. Es wird aber in jedem Fall unverzichtbar sein, Prioritäten für die Mittelvergabe festzulegen. Dies gilt vor allem auch für Großgerät, damit alle drei Teilstreitkräfte auch im nächsten Jahrzehnt einsatzbereit bleiben. Wir jedenfalls werden die Vorneverteidigung nicht in Frage stellen.
Unser besonderes Augenmerk gilt zugleich dem Bereich Forschung und Entwicklung. Die Bundeswehr muß in der Lage sein und bleiben, an Technologiefortschritten teilzuhaben. Die Option zur Modernisierung konventionellen militärischen Geräts muß auch künftig erhalten bleiben. Deshalb begrüßen wir die Erhöhung der Mittel in diesem Bereich ganz besonders.
Hoch zu schätzen sind auch die Mittelansätze für Fragen des Umweltschutzes. Auch dieser Einzelplan beweist, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung für den Umweltschutz überzeugend stellt. Kernpunkt dieses Haushalts ist - darüber sind wir sehr glücklich - die Fürsorge für unsere Soldaten, die zivilen Mitarbeiter und ihre Familien. Dafür gilt Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel unser Dank und - davon bin ich überzeugt - auch der Dank der Angehörigen der Bundeswehr.
Seit Bestehen der Bundeswehr lag die Priorität oftmals bei der Einführung moderner Großwaffensysteme. Dieser Haushalt trägt überzeugend die Handschrift, die sich gerade meine Fraktion vorstellt. Der Soldat als Mensch und seine Familie stehen im Mittelpunkt unserer Politik.
({2})
Wir begrüßen ausdrücklich das mit dem Haushalt vorgelegte Attraktivitätspaket, auf das der Verteidigungsminister vorhin näher eingegangen ist. Dieses Programm wird mit Beginn des nächsten Jahres eine dauerhafte Verbesserung der sozialen Lage unserer Soldaten bringen. Auf unser Wort ist Verlaß. Wir eröffnen Chance und Perspektive für jeden neuen Bewerber der Bundeswehr.
({3})
Erfreulicherweise berücksichtigt dieser Haushalt auch Verbesserungen für die neue Reservistenkonzeption, Verbesserungen die wir seit langem gefordert haben, so nicht zuletzt die praktische Gleichstellung von Wehrübenden aus Wirtschaft und öffentlichem Dienst. Ich verhehle nicht, daß die 400 Millionen DM für das Attraktivitätsprogramm im kommenden Haushalt zu Lasten dringend erforderlicher Beschaffungen gehen. Aber dennoch: Das Programm ist unbedingt erforderlich. Vergleichbares sollte in den kommenden Jahren auch für die zivilen Arbeitnehmer der Bundeswehr folgen. Dies wird nicht nur aus strukturellen Gründen, sondern auch aus sozialer Verantwortung erforderlich sein.
Der Personalbedarf an Aktiven und Reservisten für die 90er Jahre kann nicht allein durch finanzielle Zuwendungen gedeckt werden. Erforderlich ist vor allem auch eine weitere Verbesserung der Motivation für den Dienst. So wiederhole ich z. B. unsere seit Jahren auch im Zusammenhang mit der Dienstzeitentlastung vorgetragenen Forderungen nach einer erfolgreichen Beendigung des Kampfes gegen den sogenannten Gammeldienst.
({4})
Wir wollen eine noch sinnvollere und zugleich fordernde Dienstgestaltung, wo immer möglich auch eine weitergehende zivilberufliche Nutzung der militärischen Ausbildung.
Das vom Minister kürzlich vorgestellte Konzept zur Ausbildung der Ausbilder wird sicherlich bald eine weitere spürbare Verbesserung bringen. In diesem Zusammenhang sind auch die Forderungen nach dem dritten Offizier in der Einheit und dem Feldwebel als Gruppenführer zu sehen. Nur der motivierte Wehrpflichtige wird sich positiv auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung auswirken. Umgekehrt bedürfen Streitkräfte aber auch der uneingeschränkten Anerkennung durch die Gesellschaft. Sicherlich liegen in dem Charme von Herrn Gorbatschow manche Irritationen in unserer Bevölkerung begründet.
({5})
Sie werden zudem verstärkt durch eine Doppelstrategie zumindest von Teilen der Opposition: auf der einen Seite der Versuch, unsere fundamentalen Sicherheitssäulen zu zerschlagen, sei es durch das Infragestellen der Vorneverteidigung, sei es durch den völligen Verzicht auf nukleare Abschreckung in Europa; auf der anderen Seite der Versuch, durch Anbiederung und Stimmungsmache in der Kaserne eine Unzufriedenheit unter den Angehörigen der Bundeswehr zu erzeugen. Aber ich sage Ihnen schon heute voraus: Dies alles sind untaugliche Versuche, denn unsere Soldaten wissen nur zu gut, daß viele aus der Opposition sie am liebsten aus der Öffentlichkeit verbannen würden.
({6})
Diese Doppelstrategie gipfelt letztendlich in der Unterstellung, unsere Bundeswehr sei einer Akzeptanz-,
Sinn- oder Legitimationskrise ausgesetzt. Dies kann nur von Unwissenden oder Böswilligen gezielt herbeigeredet werden.
({7})
- Ganz im Gegenteil: Mir sind bei Truppenbesuchen und Wehrübungen gerade auch in jüngster Zeit selbstbewußte, von der Notwendigkeit der Bundeswehr und ihres persönlichen Opfers überzeugte Wehrpflichtige, Unteroffiziere und Offiziere begegnet. Ich versichere Ihnen: Die CDU/CSU wird auch weiterhin glaubwürdig und überzeugend an der Seite der Bundeswehr stehen und für sie eintreten.
Wir benötigen zur Begründung unserer Streitkräfte nach der längsten Friedens- und Freiheitsperiode in Westeuropa keine täglich spürbare Bedrohung und schon gar kein Feindbild. Wir wissen vielmehr, daß unsere Bundeswehr Ausdruck unserer wehrhaften Demokratie und zugleich unserer Souveränität ist.
({8})
Sie ist Garant unserer Sicherheit nach außen und dafür, daß wir nicht erpreßbar sind oder werden.
Im übrigen erfährt Bundeskanzler Helmut Kohl, aber letztendlich doch wir alle, immer wieder, daß es neben der starken deutschen Wirtschaft die Bundeswehr ist, die unser Ansehen international wesentlich mitbegründet und auf die wir stolz sein können.
({9})
Alle Angehörigen der Bundeswehr verdienen täglich unseren Dank, unsere Anerkennung und den Respekt unseres ganzen Volkes.
Ich bedanke mich.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Präsidentin! Ich spreche ebenfalls zum Einzelplan 14, auch wenn zwischen dem, was Herr Wilz eben sagte, und meinen Ausführungen vielleicht Welten liegen.
({0})
Der Militärhaushalt steigt wie im Kalten Krieg. 3,3 % mehr für die Bundeswehr verlangt die Regierung, ohne daß sie dies begründen könnte. Auch das, was Herr Wilz eben gesagt hat, war keine Begründung für diese Ausgabe von Steuergeldern. Mehr als 54 000 Millionen allein im Einzelplan 14 für Waffen und Soldaten!
Der Bundeskanzler hat am 1. September 1989 an dieser Stelle Michail Gorbatschow zitiert, wonach die Nachkriegsperiode zu Ende gehe, und auch Verteidigungsminister Stoltenberg ist ja nun offenkundig davon überzeugt, daß Moskau die Militärdoktrin geändert hat und die Fähigkeit, wie es heißt, zu raumgreifenden, offensiven Operationen aufgeben wird. Von den Verhandlungen in Wien erwartet die Regierung
ja offenkundig noch während der Laufzeit dieses Haushalts Ergebnisse.
Dennoch legt die Bundesregierung einen Verteidigungshaushalt vor, der in eklatantem Widerspruch zu den außen- und sicherheitspolitischen Veränderungen steht.
({1})
Die Staaten des Warschauer Paktes rüsten einseitig ab, die Bundesregierung und die NATO rüsten einseitig qualitativ auf. Wie ist diese qualitative Aufrüstung in einer Zeit allgemeiner Abrüstungserwartungen eigentlich zu erklären? Der US- und NATO-Oberbefehlshaber, General Galvin, hat dazu kürzlich in einem Interview aufschlußreiche Informationen geliefert, als er das Konzept der sogenannten Kaskade erklärte -ich darf ihn zitieren -:
Wenn z. B. ein Land qualitativ bessere Panzer hat, dann kann es davon welche abgeben an ein anderes Land, das weniger gute hat. Und dieses kann dann von seinen weniger guten Panzern welche abgeben an ein Land, das noch schlechtere hat. Und am Ende dieses Transfers werden die schlechtesten verschrottet. Wir erwarten nicht, daß die Sowjets ihre besten Panzer zerstören. Wir selber werden das ebensowenig tun.
Mit anderen Worten heißt dies doch: Die NATO wird nur schrottreife Waffen abrüsten. Deshalb ist die Abrüstung in Wien und die Beschaffung neuer Milliardenprojekte wie Jäger 90 für diese Regierungspolitik kein Widerspruch. Wenn schon die Zahl der Waffen reduziert werden muß, so wohl die Parole, dann soll dies durch qualitative Verbesserungen ausgeglichen werden - also Qualität statt Quantität.
({2})
Was diese Regierung vorbereitet, ist nicht Abrüstung, sondern die propagandistische Vermarktung der Verschrottung ausgedienter Waffen als Abrüstungspolitik. Neubeschaffungen, Kampfwertsteigerungen und High-Tech sollen die von der Regierung gefürchtete Reduzierung von Panzern und Flugzeugen auffangen. Wie konsequent die Regierung dabei vorgeht, zeigt der überproportionale Zuwachs für Forschung, Entwicklung und Erprobung, nämlich mit Mehrausgaben von 12,9 %. Damit sollen Vorkehrungen getroffen werden, um Abrüstungsabkommen wie den INF-Vertrag zu unterlaufen.
Für militärische Anlagen weist der Haushalt die größte Steigerungsrate auf, für einen Bereich, der nun gerade bei bevorstehenden Abrüstungsverhandlungen und -verträgen besonders vernachlässigt werden könnte. Aber mit einem Zuwachs von mehr als 16 % soll die NATO-Infrastruktur ausgebaut werden. Während der polnische Arbeiterführer Lech Walesa hofft, daß Militärbündnisse wie der Warschauer Pakt und die NATO bald nicht mehr nötig sein werden - so in diesen Tagen - , betoniert die Bundesregierung wie nie zuvor das Militärbündnis auf westeuropäischem Boden immer fester ein. Wenn man diese Regierung nicht an ihren Worten, sondern an ihrer Ausgabenpolitik mißt, dann hat sie in der Sicherheitspolitik überhaupt nichts dazugelernt. Sie wird alle erhofften fi11784
nanziellen Abrüstungsgewinne für weitere qualitative Aufrüstung vergeuden.
Weshalb macht nun eigentlich die Regierung diese gewiß unpopuläre Politik? Denn das sogenannte Attraktivitätsprogramm, von dem eben auch gesprochen wurde, ist in der Bevölkerung gar nicht attraktiv. Die Erhöhung des Militäretats bringt keinen Bonus beim Wähler. Jäger 90, Modernisierung und Tiefflug schaden der Regierung. Offenkundig sind doch Abrüstungs- und Friedenswillen der eigenen Wähler nicht stark genug, um gegen andere auf die Regierung einwirkende Kräfte bestehen zu können.
Ich meine, daß der Haushaltsentwurf der Regierung erstens von der Rücksicht auf die US-Regierung, zweitens von der Rüstungsindustrie und drittens von den Streitkräften diktiert ist. Die Bundesregierung wird noch weitere Handlungsfreiheit verlieren, wenn sie in diesen Tagen der Entstehung des größten Rüstungskonzerns Daimler-Benz ihre Zustimmung geben wird. Die Bundesregierung hat wohl nicht mehr die Macht, sich ihrer eigenen Entmündigung zu widersetzen.
Diese Bundesregierung liegt in den Fesseln eines völlig antiquierten Sicherheitsbegriffs. Sie ist immer noch auf eine nahezu ausschließlich militärisch definierte Sicherheit fixiert. Wir sind schon heute und erst recht künftig vor allem ökologisch bedroht. So müßten auch die Ressourcen eingesetzt werden. Statt Flugzeuge wie den Jäger 90 zu bauen, der im übrigen seine atomare Ladung - das wird oft verschwiegen; es wird immer noch gesagt, der Jäger 90 sei ein Verteidigungsinstrument - auch auf Polen werfen könnte, wäre mit einem Bruchteil des Geldes die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes wirksam zu fördern. Allein 1990 sollen für dieses Irrsinnsprojekt mit rund 700 Millionen DM Entwicklungskosten mehr Steuergelder ausgegeben werden, als der Alibi-Umweltminister für den wirklichen Umweltschutz, d. h. für die ökologische Sicherheitspolitik, zur Verfügung hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Wort des Verteidigungsministers eingehen, der hier gesagt hat, daß sich auch sozialdemokratische Landräte darüber beklagen, daß in ihrem Ort möglicherweise die Garnison aufgelöst wird. Das ist eine Frage, die wir schon seit geraumer Zeit auch von Bürgermeistern immer wieder hören. Aus deren Sicht ist es interessant, festzustellen, was z. B. mit dem Gewerbesteueraufkommen geschähe. Aber ist es hier nicht die Aufgabe einer Bundesregierung, auch um in ihrer eigenen Abrüstungspolitik glaubwürdig zu sein, zu untersuchen, in den davon betroffenen Regionen Vorkehrungen zu treffen, Planungen für ein Strukturprogramm zu entwickeln?
({3})
Erst wenn das geschieht, kann man sagen, daß eine umfassende Abrüstungspolitik wirklich gewollt ist.
Wir fordern einen radikalen Kurswechsel in der Sicherheitspolitik: weg von den Waffen, hin zu den Menschen. Es ist sicher eine Schande für dieses Land, daß es 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs immer noch mit einer unglaublichen Militärbesessenheit die für den ökologischen Umbau und die Neugestaltung Europas dringend erforderlichen Gelder für die Abwehr einer vermeintlichen militärischen Gefahr ausgibt. Wer jetzt nicht abrüstet, setzt sich dem Verdacht aus, in dem neuen Europa eine auf militärische Mittel gegründete Machtpolitik alter Art betreiben zu wollen. Nur ein antiquiertes Verständnis von Politikfähigkeit verlangt nach militärischen Mitteln, so wie das heute morgen auch Herr Rühe getan hat. Friedenspolitik wird nicht durch Waffen legitimiert, sondern durch eine Politik, die sich der Instrumente des Krieges so schnell wie möglich entledigt. Mit dem Geist des Haushaltsentwurfs, der hier vorgelegt wurde, läßt sich kein neues Europa bauen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten den Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr in einer Zeit, in der bei den Verhandlungen in Wien positive Ergebnisse in naher Zukunft möglich erscheinen, in der die Demokratisierungsprozesse in Osteuropa an Dynamik zunehmen und in der in unserer Bevölkerung deshalb verständlicherweise die Frage diskutiert wird, ob und wie ein Verteidigungshaushalt von 54,47 Milliarden DM im Entwurf angesichts der vielen anderen drängenden Probleme unserer Gegenwart zu begründen bzw. zu rechtfertigen ist.
Wir wollen und müssen uns dieser Diskussion stellen. Wir werden den Verteidigungshaushalt 1990 daraufhin überprüfen, ob er einerseits Signale in der von uns als notwendig erkannten und gewollten Richtung von Vertrauensbildung und Abrüstung setzt, andererseits aber irreversible Entscheidungen und Festlegungen hinsichtlich Personalstruktur und Struktur der Bewaffnung vermeidet, die wir nur im Zusammenhang mit konkreten Vertragsabschlüssen für vertretbar halten.
In diesem Zusammenhang eine Bitte an meine Kollegen von der Opposition im Haushaltsausschuß: Ich hoffe, daß die Beratung dieses Haushalts dort etwas seriöser geführt werden wird als die Diskussion in der Öffentlichkeit,
({0})
in der man sich tagtäglich mit anderen Truppenstärken, Strukturmodellen und wohlfeilen, da schnell dahergesagten, aber miserabel begründeten Streichungsvorschlägen hinsichtlich - zugegebenermaßen - unpopulärer Waffensysteme zu überbieten versucht.
({1})
Zu diesem Wettlauf paßt es überhaupt nicht, sofern Standorte oder Arbeitsplätze, z. B. auf Grund reduzierter Beschaffungszahlen im Munitionsbereich, im eigenen Wahlkreis gefährdet sind, zumal in strukturschwachen Gebieten, laut zu klagen und den Heiligen
Florian auf die vielfältigen Möglichkeiten in anderen Gegenden zu verweisen.
({2})
Auch die Sozialdemokraten kennen natürlich die besondere Bedeutung der Verteidigungsausgaben für strukturschwache Regionen. Viele Standorte sind im Zonenrandgebiet angesiedelt und sind dort oft der einzige größere Arbeitgeber. Über die Bezüge der Soldaten und des Zivilpersonals sowie die vielfältigen Dienstleistungen und Aufträge für Bewachung, Reinigung usw. fließen große Teile der Verteidigungsausgaben in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zurück und leisten damit einen wichtigen regionalpolitischen Beitrag.
({3})
Nein, unbestritten ist, daß uns im Zuge der auch uns unumgänglich erscheinenden Strukturänderungen intelligente und tragfähige Lösungen einfallen müssen, um die daraus resultierenden regionalen Probleme gemeinsam mit den Ländern und Kommunen befriedigend und sachgerecht zu regeln.
Stichwort: Strukturveränderungen. - Es fällt auf, daß bei allen Gesprächen, die ich zur Vorbereitung der Haushaltsberatungen geführt habe, ein grundsätzliches Unbehagen an den Tag getreten ist. Dieses Unbehagen resultiert aus dem Gefühl, daß die Planungssicherheit für das kommende, aber auch für die folgenden Haushaltsjahre durch zur Zeit noch nicht absehbare, mit den herkömmlichen Instrumentarien nicht steuerbare oder noch nicht eindeutig definierte Entscheidungsparameter beeinträchtigt wird. Absolute Planungssicherheit kann es in diesem Bereich natürlich nicht geben, eine verbesserte Planungsrationalität und Planungseffizienz jedoch sehr wohl.
Bei der Bundeswehr ist eine Durchforstung der Langfristplanung notwendig. Daß sich diese an den Entwicklungen im Abrüstungsprozeß orientieren muß und auf diese flexibel muß reagieren können, versteht sich von selbst.
({4})
Die FDP fordert deshalb nach wie vor die Einrichtung einer unabhängigen Verteidigungsstrukturkommission, Herr Minister. Uns ist bekannt, daß im Verteidigungsministerium an Vorschlägen zu einer neuen Streitkräftestruktur gearbeitet wird. Es wird Gelegenheit geben, diese Überlegungen offen und intensiv zu prüfen.
Ich verhehle aber nicht, daß wir Zweifel daran haben, daß die von uns in der Öffentlichkeit bereits mehrfach als notwendig beschriebenen Aufgaben hausintern lösbar sind. Wir werden deshalb in der zweiten und dritten Lesung einen Kriterien- und Aufgabenkatalog für eine solche unabhängige Verteidigungsstrukturkommission vorlegen.
({5})
Meine Damen und Herren, einige Stichworte zu der Struktur des Verteidigungshaushaltes. Ich halte die unter dem Druck knapper Mittel getroffene Entscheidung, den Bereich Forschung und Entwicklung deutlich zu stärken und den Beschaffungstitel, wenn auch unter Schmerzen, um 4,4 % zu kürzen, im Prinzip für
richtig. Dies gewährleistet zum einen angesichts der Komplexität und Risikogeneigtheit moderner Waffensysteme die notwendigen Planungsalternativen, ist andererseits aber ein sichtbares Zeichen für die Bereitschaft, auf die erhofften Ergebnisse der Wiener Verhandlungen angemessen und schnell zu reagieren.
Wir werden darauf drängen, daß die knappen Beschaffungsmittel in Waffensysteme investiert werden, die den allein auf die Verteidigungsfähigkeit ausgerichteten Auftrag der Bundeswehr sichtbar untermauern, z. B. im Bereich der Aufklärungsmittel, der Erhöhung der Sperrfähigkeit, der Schutztechnologie für gepanzerte Fahrzeuge und der Erhöhung der Luftverteidigungsfähigkeit durch Ausbau der bodengestützten Systeme bei den Land- und Luftstreitkräften.
Wir werden aber natürlich auch - wie in jedem Jahr - neben den sonstigen Betriebsausgaben die Beschaffungskapitel und den Bereich Forschung und Entwicklung mit besonderer Sorgfalt analysieren und auf Einsparungsmöglichkeiten überprüfen.
({6})
Ich versage es mir hier, Zahlen „in die Gegend zu streuen" : 3 Milliarden DM, 400 Millionen DM oder dergleichen. Ich denke, dies wird sich im Verlaufe einer seriösen Beratung und Befassung mit diesem Verteidigungshaushalt ergeben.
Ein deutlicher Schwerpunkt des zur Beratung anstehenden Verteidigungshaushalts ist das hier bereits vielfach angesprochene Attraktivitätsprogramm mit einem Ausgabevolumen von ca. 400 Millionen DM jetzt und in den kommenden Jahren. Die Regierung hat die volle Unterstützung meiner Fraktion bei der Durchführung dieses Programms, welches in besonderem Maße der liberalen Forderung nach Berücksichtigung des Menschen im Mittelpunkt des Verteidigungsauftrages gerecht wird.
({7})
Auf die Einzelheiten dieses Programms werden wir im Laufe der Etatberatungen noch näher eingehen müssen. So bleibt unter anderem zu prüfen, ob die Prioritäten für die Infrastrukturmaßnahmen in regionaler Hinsicht und mit Blick auf die Abrüstungsverhandlungen richtig gesetzt und neben der Verbesserung des Wohnumfeldes der Soldaten auch ausreichende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen getroffen werden. Eines steht aber jetzt schon fest: Trotz der im Attraktivitätsprogramm enthaltenen und der bereits mit Wirkung von 1989 eingetretenen positiven Veränderungen für die Angehörigen der Bundeswehr wird es weiter darauf ankommen, gerade im sozialen Bereich durch noch weitergehende und geeignete Maßnahmen die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr als Element der Friedenssicherung mit Blick auf erfolgreiche Rüstungskontrollverhandlungen zu erhalten und zu steigern. Es reicht nicht aus, wenn nur das Gehalt und mögliche Karriereaussichten stimmen.
({8}) - Völlig richtig, Herr Kollege Horn.
({9})
11786 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 156. Sitzung Bonn, Dienstag. den 5. September 1989
Stimmen muß darüber hinaus das soziale Umfeld in den Streitkräften. Hierzu gehören die sachgerechte Ausstattung von Wohnräumen ebenso wie der Umgang im Rahmen zeitgemäßer Menschenführung. Schlaglichtartig sind hier deshalb unsere wichtigsten Forderungen in bezug auf den zuletzt genannten Aspekt noch einmal angeführt, die auch unter dem Gesichtspunkt einer sparsamen Haushaltsführung bedeutsam sind.
Die Dienst- und Ausbildungspläne müssen entrümpelt und von rein bürokratiebedingten Lasten befreit werden, die Traditionsveranstaltungen sind kritisch zu durchforsten und die Kontrollen und Inspizierungen auf das notwendige Maß zu reduzieren; stärkere Beteiligung der Betroffenen bei der Analyse, wo und wie sinnvoll gespart werden kann.
Auf die individuelle Lebensplanung der Soldaten und ihrer Familien muß so weit wie möglich Rücksicht genommen werden. So sind insbesondere Versetzungen auf das notwendige Maß zu reduzieren und auch auf die beruflichen sowie schulischen Bedingungen der Ehepartner und Kinder abzustimmen.
Die Mitwirkungsrechte der Soldaten müssen überprüft, deren gesetzliche Grundlagen überarbeitet
({10})
und unter Berücksichtigung des Auftrages der Bundeswehr den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen angepaßt werden.
({11})
Das im Sommer zu diesem Thema durchgeführte Hearing zeigt die Notwendigkeit und Wege auf, wie Soldaten im täglichen Dienstbetrieb und in der Vertretung ihrer Kameraden im Unternehmen Bundeswehr künftig nach Möglichkeit besser mitwirken können.
Besonders am Herzen liegt uns in der FDP eine noch bessere Vorbereitung der Soldaten auf den Zivilberuf, die selbstverständlich auch innerhalb der Bundeswehr von Nutzen sein muß. Dabei kommt einer weiteren Verbesserung der zivilberuflich anerkannten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Grundwehrdienstleistende und Zeitsoldaten - hierbei vor allem für die Angehörigen der Kampftruppe - besondere Bedeutung zu.
Nun komme ich zum Umweltschutz in den Streitkräften. Umweltschutz darf vor dem Kasernentor nicht haltmachen. Es ist entscheidend, daß die Soldaten ein stärkeres Umweltbewußtsein vermittelt und ein praktikables Instrumentarium an die Hand bekommen, um künftig problemorientiert und verantwortlich handeln zu können. Ein verbesserter Umweltschutz erfordert erhebliche Anstrengungen im Unternehmen Bundeswehr und zwingt zu kostenaufwendigen Investitonen. Erstmals hat das Verteidigungsministerium in diesem Haushalt die Kosten für den Umweltschutz getrennt aufgelistet. Sie können sich mit einem Gesamtvolumen von 1 Milliarde DM im Jahr 1990 durchaus sehen lassen.
({12})
Wir halten es für notwendig und werden uns im Ausschuß dafür einsetzen, daß diese mit dem Finanzminister inhaltlich abgestimmte Zusammenstellung in einem eigenen Kapitel des Haushaltsplanes nachgewiesen wird, um die Umweltschutzausgaben transparent und nach außen für jeden sichtbar zu machen.
Ferner gilt es, auf die Schaffung eines leistungsfähigen Umweltmanagements in der Bundeswehr hinzuwirken. Die hierfür noch zusätzlich erforderlichen personellen Ressourcen sollten nicht zuletzt durch gezielte Einsparungen und Aufgabenreduzierungen in anderen Bereichen
({13})
aus dem vorhandenen Bestand erwirtschaftet werden, Herr Minister.
({14})
Wir begrüßen ebenfalls, daß die Ausgaben für Rüstungskontrolle und Abrüstungsmaßnahmen im Einzelplan 14 zum erstenmal gesondert nachgewiesen werden, um den aktiven Beitrag der Bundeswehr auf diesem Gebiet zu dokumentieren. Kritisch hinterfragt werden muß allerdings selbstverständlich die Planung eines Amtes für Rüstungskontrolle und Abrüstung, zumal die herumschwirrenden Zahlen und Angaben über den personellen Umfang dieses Amtes einem Haushälter kalte Schauern über den Rücken jagen.
({15})
Meine Damen und Herren, die sich abzeichnenden und für die nächsten Jahre zu erwartenden weiteren Erfolge bei der Abrüstung und Schaffung stabiler Sicherheitsstrukturen in Europa machen die Bundeswehr als legitimen Ausdruck des Selbstbehauptungswillens eines freien Volkes nicht überflüssig, Herr Mechtersheimer. Sie bieten vielmehr Chancen für die Bundeswehr, zentrale Probleme anzupacken und zu lösen, unter denen unsere Streitkräfte und die in ihnen tätigen Menschen derzeit leiden und um die wir Liberalen uns engagiert kümmern wollen. Von diesem Gedanken werden wir uns bei der kommenden Beratung des Bundeshaushalts der Verteidigung 1990 leiten lassen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu einem neuen Block, wie das so heißt. Das Wort als nächster Redner hat der Abgeordnete Müntefering.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute morgen sind in einigen Reden schon Hinweise daraufgekommen, daß der Wohnungsmarkt uns ganz besondere Sorge macht. Ich finde es deshalb gut, daß wir im Plenum nun eine Stunde darauf verwenden wollen, dieses Thema intensiver zu diskutieren. Denn neben den Skandal der Massenarbeitslosigkeit, den wir seit vielen Jahren haben, tritt zunehmend auch der Skandal der WohMüntefering
nungsnot in vielen Städten und Gemeinden. Wir haben die Massenarbeitslosigkeit nicht erfolgreich bekämpft, und bis jetzt wird auch die Wohnungsnot nicht erfolgreich bekämpft. Die Bundesregierung kämpft nicht an dieser Stelle.
Der frühere Minister Schneider hat das Problem über lange Zeit geleugnet, hat es bagatellisiert. Frau Hasselfeldt erkennt zwar anscheinend das Problem, ist aber dabei, Zuckerguß darüber zu streichen. Das macht die Sache nun auch nicht besser. Es kommt darauf an, daß gehandelt wird, nicht darauf, daß schöne Dinge versprochen werden.
Offensichtlich ist sich die Bundesregierung immer noch nicht im klaren darüber, wie ernst das Problem vor Ort eigentlich ist. Die Koalition streitet sich darüber, ob man Statistik, ob man Mikrozensus neu auflegt und wie das nun eigentlich ausgestaltet werden soll. Ich kann nur sagen: Welche Sorgen haben Sie eigentlich? Wenn es brennt, muß gelöscht werden, und es brennt gewaltig vor Ort.
({0})
Deshalb muß wohnungspolitisch gehandelt werden und darf man sich nicht darüber zerstreiten, wie denn zukünftig irgendwelche Statistiken aussehen sollen,
({1})
die wir natürlich haben müssen, um die es aber im Augenblick weiß Gott nicht geht.
Die Wahrheit ist: Es fehlen rund 400 000 Wohnungen sofort.
({2})
Wir haben im letzten Jahr 208 000 Wohnungen neu gebaut. Die eine Million, von der Frau Hasselfeldt in den letzten Wochen immer erzählt, ist blanke Traumtänzerei.
({3})
Wir werden in diesem Jahr 230 000 neue Wohnungen haben, vielleicht 240 000. Wir werden in diesen drei Jahren nie die 1 Million zusammenbekommen, und zwar auch deshalb nicht, weil das, was der Bund dazu beiträgt, längst nicht ausreicht.
Die Wahrheit ist, daß die Einkommensschwachen, die jungen Familien, die Studenten, die Behinderten, die Alleinerziehenden, die Aussiedler und Ausländer am Wohnungsmarkt in den allermeisten Städten und Gemeinden heute fast keine Chance mehr haben. Von Heinrich Zille stammt das Wort: Man kann jemanden mit der Wohnung erschlagen wie mit einer Axt - was wohl heißt: Wohnungslosigkeit oder in einer schlechten Wohnung wohnen, das ist für den einzelnen eine persönliche Katastrophe.
Aber es geht nicht nur um die persönliche Katastrophe der einzelnen Betroffenen, sondern es geht darum, daß für unsere Gesellschaft die Wohnungsnot in den Städten und Gemeinden ein politisches Problem von höchster Brisanz wird. Wenn es so weitergeht, daß sich neben der Arbeitslosigkeit auch die Wohnungsnot aufbaut, wird es soziale Brennpunkte
mit politischem Sprengstoff in der Gesellschaft geben.
({4})
Auch deshalb müssen wir dafür streiten, daß hier etwas passiert.
Nun hört man in den letzten Tagen viele Appelle, daß die Menschen doch bitte helfen und Wohnungen zur Verfügung stellen mögen. Ich finde das ja gut. Appelle sind eine gute Sache. Aber es ist leicht, aus Villen und Ministerien heraus Toleranz zu predigen. Wir müssen aufpassen, daß nicht allein die sozial Schwächsten das Problem der Integration auf ihrem Rücken tragen müssen.
({5})
Deshalb sagen wir mit aller Deutlichkeit: Das ganze Appellieren kann nicht bedeuten, daß das Ganze bei Zwangsbewirtschaftung oder Zwangseinweisung endet. Wir wollen neue Wohnungen. Wir wollen, daß die soziale Funktion des Bestandes gesichert wird. Darum geht es.
({6})
Der Notschrei der Oberbürgermeister und Bürgermeister, der uns erreicht, ist wohl berechtigt. Er richtet sich an den Bund und die Länder. Er richtet sich aber auch an die anderen, die Geld haben, um Wohnungen zu finanzieren. Daß es in unserem Lande fast keinen Werkswohnungsbau mehr gibt, vermag ich nicht einzusehen. Es ist wohl erlaubt, einigen Unternehmen zu sagen: Wenn ihr den Arbeitnehmer haben wollt, der auch bei euch auf Dauer beschäftigt ist und der eine Wohnung braucht, dann kümmert euch bitte auch einmal darum, daß, außer daß ihr Maschinen kauft, auch Wohnungen gebaut werden. Es wäre ja nicht ganz abwegig, wenn diese Unternehmen sich einmal wieder ein Stückchen engagieren würden.
({7})
Das gilt übrigens auch für große Versicherungen und für große Banken, die ihr Geld ja längst haben, um auch Wohnungen zu bauen.
Heute geht es um die Frage, was der Bund eigentlich beitragen kann, beitragen muß, um das Problem zu lösen. Es ist kein ausschließliches Aussiedlerproblem. Es war längst zu erkennen, daß bis zum Jahre 1995 die Zahl der Haushalte bei uns in der Bundesrepublik um 800 000 zunehmen würde. Um 800 000! Die Bundesregierung hat aus welchen Gründen auch immer Köpfe gezählt, aber keine Haushalte. Aber Wohnungen braucht man für Haushalte, nicht für Köpfe. Deshalb hätte man längst eher merken können, worum es denn eigentlich ging.
Die Sozialdemokraten haben ihre Forderungen klar formuliert.
({8})
Ich will sie ins Gedächtnis rufen und Ihnen, Frau Ministerin, noch einmal sagen, was wir wollen und was wir im Verlaufe dieser Haushaltsberatungen auch einfordern wollen:
Erstens. Deutlich mehr Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau, vor allem für den Mietwohnungsbau. Wir wollen 12,5 Milliarden DM für fünf Jahre, 2,5 Milliarden DM in jedem Jahr. Das ist das Zweieinhalbfache dessen, was Sie für das nächste Jahr zugesagt haben.
Zweitens. Die Branche und die Gemeinden brauchen Planungssicherheit. Es darf im Wohnungsbau nicht mit Stop and go weitergehen. Deshalb ist es verheerend, daß Sie ankündigen: im nächsten Jahr 1,6 Miliiarden DM, aber dann schon wieder 1,4 Milliarden DM, dann 1,0 Milliarden DM, dann 0,4 Milliarden DM. Bis zum Jahre 1993 sind Sie schon hinter das zurückgefallen, was Sie dann an Rückflüssen aus den Wohnungsbaudarlehen bekommen.
Noch einmal klar gesagt: Wenn es mit der mittelfristigen Finanzplanung so kommt, wie Sie es jetzt aufgeschrieben haben, wird der Bund 1992/93 mehr an Rückflüssen aus alten Wohnungsbaudarlehen bekommen, als er selbst ausgibt; und das in einer Situation, in der in vielen Städten blanke Wohnungsnot herrscht. Das ist eine unglaubliche Sache, die da aufgeschrieben worden ist, die so nicht bleiben kann.
({9})
Wir fordern den Ausbau und den Umbau und den Anbau vorhandener Substanz. Das ist nicht der Königsweg. Aber da werden einige 10 000 oder einige 100 000 Wohnungen schnell und preiswert finanziert werden können. Deshalb ist an der Stelle zusätzliche Aktivität erforderlich.
Wir fordern, daß die soziale Funktion des Bestandes gesichert bleibt. Dazu gehört, daß Bremsen gegen die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eingebaut werden, daß Bremsen gegen die Angst vor der Kündigung wegen Eigenbedarfs eingebaut werden, daß Bremsen gegen den Auslauf von Bindungen von Sozialwohnungen eingebaut werden. Dazu gehört, daß wir die Margen für Mieterhöhungen, die heute noch 30 % betragen, deutlich reduzieren.
In der Frage der Sicherung der Sozialfunktion des Bestandes ist die Bundesregierung, ist die Koalition offensichtlich handlungsunfähig. Da herrschen bei Ihnen die Ideologen. Es ist aber blanker Unsinn, den Neubau hochzupuschen, aber gleichzeitig zuzulassen, daß die soziale Funktion, die der Bestand hat, immer weiter verringert wird. Alle die, die aus dem Bestand herausgedrängt werden, erscheinen als solche, die berechtigt Sozialwohnungen fordern, wieder auf der Treppe des Bürgermeisters vor Ort. Wir werden das Problem nur verschärfen, wenn wir an der Stelle nichts machen.
Die Bundesregierung hat die Wohnungsgemeinnützigkeit aufgegeben. Am 31. Dezember 1989 fallen 900 000 Wohnungen aus der gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindung. Man kann dann nur hoffen, daß die Eigentümer nicht mit Mietexplosionen zuschlagen, wie das schon möglich ist und wie das an einigen Stellen auch passiert.
Wir wollen keine Sonderprogramme mehr für einzelne Gruppen. Versorgt werden muß nach dem Grad der Bedürftigkeit. Es wäre aber schon schön zu wissen, wer denn nun eigentlich für den Studentenwohnungsbau zuständig ist. Frau Hasselfeldt erklärt, sie
möchte. Herr Möllemann erklärt, er möchte. Es passiert aber, außer Budentauschaktion, nichts. Das ist auch eine nette Sache; nur davon werden die meisten, die in den nächsten Monaten an die Universitäten kommen, wenig haben.
Wir brauchen einen Zwei-Jahres-Haushalt oder Vorveranschlagung, damit wir wissen, was in den nächsten Jahren zur Verfügung steht, damit die Bauherren zum 1. Januar jeweils das Geld haben, damit das Geld des Bundes und der Länder nicht immer erst im April oder Mai bei den Ländern bzw. bei den Bauherren einläuft und so die ganze Bausaison auf sieben oder acht Monate zusammengequetscht wird. Wir müssen Wege finden, die Beschäftigten des Baugewerbes und des Handwerks vor der Winterarbeitslosigkeit zu schützen. Die Branche braucht das für ihr Image. Sie braucht das auch, damit sie wieder für junge Menschen attraktiv wird.
({10})
Es bleibt endlich die Feststellung, daß all das wahrscheinlich nicht reicht. Wir müssen zusätzliches Geld mobilisieren, auch beim Bund. Wir müssen bereit sein, darüber nachzudenken, ob nicht zumindest für eine bestimmte Zeit Mittel, die heute in den Bestand fließen, die sich z. B. als Verluste aus Vermietung und Verpachtung negativ in unserem Haushalt und an anderer Stelle niederschlagen, in den Neubau investiert werden. Wir Sozialdemokraten werden uns jedenfalls nicht damit abfinden, daß mit der Wohnungsnot so umgegangen wird, wie Sie es mit der Arbeitslosigkeit über lange Zeit getan haben. Die Bekämpfung der Wohnungsnot bleibt für uns ein erstrangiges Ziel unserer Politik.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Einlassungen zur Wohnungsbaupolitik, Herr Müntefering, meine Damen und Herren von der SPD,
({0})
waren immer wieder Angstmache-Kampagnen und sind es auch diesmal wieder.
({1})
Sie machen unbegründet denjenigen, die eine Wohnung besitzen, Angst, daß sie sie verlieren würden
({2}) oder daß sie sie nicht mehr bezahlen können. ({3})
Sie machen unbegründet denjenigen, die eine Wohnung suchen, Angst, daß sie nie und nimmer eine finden würden. Sie haben sich bisher in allen Ihren Kampagnen grundlegend geirrt, und genauso irren Sie
auch diesmal wieder. Probleme löst man nicht mit Angstkampagnen, deren Hintergründe politisch nur allzu durchsichtig sind. Probleme löst man, indem man richtige Folgerungen aus richtigen Analysen zieht.
({4})
In der Vergangenheit sind gerade von Ihrer Seite, meine Damen und Herren der SPD, aus falschen Schlußfolgerungen die falschen Rezepte abgeleitet worden, die dann zu völlig untauglichen Ergebnissen geführt haben.
({5})
Wohnungsbaupolitik muß von Stetigkeit, Kontinuität und Berechenbarkeit gekennzeichnet sein. Der freie Wohnungsmarkt kann sicherlich nicht alle Probleme lösen, aber wir dürfen auch nicht in schwierigen Situationen im Wohnungsbau das immer wieder funktionierende Prinzip der Subsidiarität durch die Allzuständigkeit des Staates zuschütten. Das Gebot der Stunde ist es, stabile Investitionsbedingungen zu schaffen. Der Bauherr muß wissen, für was er sein Geld anlegt, unter welchen Bedingungen er Risiken für die Zukunft eingeht. Wir als Regierungskoalition haben diese stabilen Investitionsbedingungen geschaffen. Der Bund - das zeigt gerade der Einzelplan 25 des Haushalts 1990 - hat in großem Umfang Maßnahmen ergriffen, die die Länder und die Kommunen in die Lage versetzen, ihre Aufgaben im Wohnungsbau wahrzunehmen.
Es ist nicht abzustreiten, daß es augenblicklich in einigen Ballungsräumen Engpässe in der Wohnraumversorgung durch den noch ansteigenden Zustrom von Aus- und Umsiedlern und Flüchtlingen aus der DDR gibt.
({6})
Dazu kommt eine steigende Zahl von Haushaltsgründungen junger Menschen. Dieser Entwicklung trägt der Haushaltsentwurf 1990 in seinem Einzelplan 25 voll Rechnung.
({7})
Bereits 1989 stellte der Bund im Rahmen eines Sonderprogramms umfangreiche Finanzhilfen für den Mietwohnungsbau bereit.
({8})
Allein im Jahr 1990 wird der Bund seine Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau um 1,3 Milliarden DM gegenüber dem bisherigen Finanzplan erhöhen.
({9})
In diesem Zusammenhang muß angemerkt werden, daß einige Länder die zur Verfügung stehenden Bundeshaushaltsmittel im Jahre 1989 aus dem Verpflichtungsrahmen des Jahres 1986/87 mit je 1 Milliarde DM nicht im gewünschten Umfange abrufen, so daß
diese Gelder auch nicht im gewünschten Umfange abfließen und eingesetzt werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich das erst im Zusammenhang vortragen.
Es ist immer sehr schwierig für mich, zu sehen, wann der Gedanke zu Ende ist.
({0})
Dies folgt natürlich dann, meine Damen und Herren, wenn z. B. das größte Bundesland, Nordrhein-Westfalen, seinen Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau herunterfährt - das ist eine Tatsache - , und zwar drastisch, von 1,75 Milliarden DM auf magere 0,65 Milliarden DM im Jahre 1988. Es ist schon erstaunlich, wenn eine seit 23 Jahren regierende Landesregierung den Finger der Anklage auf Bonn richtet und selbst seit vielen Jahren ihren wohnungsbaupolitischen Verpflichtungen und den Notwendigkeiten nicht nachkommt.
({0})
Darf ich noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl zulassen?
Ja, bitte.
Wunderbar - Herr Stahl.
Herr Kollege Pesch, können Sie hier im Bundestag einmal darstellen - Sie sind ja Abgeordneter der Stadt Mönchengladbach - , wieviel Wohnungen mit den 1,5 Milliarden DM der Bundesregierung, die Sie hier avisiert haben, in Mönchengladbach gebaut werden können?
({0})
In Mönchengladbach - ({0})
Sie müssen sehr vorsichtig sein, Herr Kollege Stahl,
({1})
ich bin auch noch Ratsvertreter. In Mönchengladbach besteht unser großes Problem
({2})
- Augenblick! - nicht in fehlenden Bauwilligen, nicht in fehlenden Baugenehmigungen, unser Problem besteht vielmehr darin, daß die Landesregierung Mittel, die der Bund verteilt, ungeheuer schleppend an die Kommunen weitergibt. Das ist ein Problem.
({3})
Ich könnte Ihnen Beispiele aus dem Einfamilienhausbau aufzählen, aber das würde hier zu weit führen.
Die Landesregierung schmückt sich oft mit falschen
Federn, sie schmückt sich mit Geldern, die der Bund gibt, und setzt diese Gelder oft für ganz andere Dinge ein als für die, für die die Gelder eigentlich gedacht sind, Herr Stahl.
({4})
Ich würde also mit diesen unterstellenden Fragen etwas vorsichtiger sein.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Stahl?
Wenn mir das nicht angerechnet wird.
Nein, nicht im Leben. Pesch ({0}): Danke.
Herr Kollege Pesch, wieviel Anträge hat die Stadt Mönchengladbach im letzten Jahr gestellt, und wieviel Anträge werden von der Stadt Mönchengladbach im nächsten Jahr gestellt? Da Sie die Frage nach der Zahl der Wohnungen nicht beantworten - Pesch ({0}) : Herr Stahl, ich weiß, daß Sie mich hier jetzt fangen wollen, daß ich Ihnen genaue Zahlen sage.
({1})
Wir sind hier nicht in einer Kommunaldebatte, sondern in einer Bundestagsdebatte, Herr Stahl.
({2})
Ich darf Ihnen empfehlen, wenn Sie Zeit haben, einmal eine unserer Ratssitzungen in Mönchengladbach zu besuchen. Dann werden wir Ihnen die genauesten Zahlen aus dem Wohnungsbauamt schon mitteilen.
({3})
So rosig, wie Sie das hier immer darzustellen versuchen, ist das garantiert nicht.
({4})
Nun, meine Damen und Herren, hier klaffen sozialdemokratische Versprechungen und Aussagen und sozialdemokratisches Handeln wieder einmal weit auseinander. Richten Sie doch Ihre in diesem Hause gestellten Forderungen einmal an Ihre Genossen, wie ich eben schon sagte, im sozialdemokratisch regierten Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Der Verpflichtungsrahmen des Bundes beträgt für 1990 1,6 Milliarden DM. Ich kann Sie nur auffordern: Muntern Sie Ihre Genossen in Nordrhein-Westfalen auf, daß sie unserem Weg folgen und mitmachen.
({5})
Diese Mittel sollen wieder für den gesamten sozialen Wohnungsbau, also für alle Bevölkerungsgruppen, zur Verfügung gestellt werden.
({6})
Jeder in diesem Haus weiß - dafür braucht man nicht Fachmann zu sein - , daß die Ware Wohnung nicht beliebig schnell produziert werden kann. Die Umstellung in der Wohnungsplanung von Wohnungshalden, die noch vor drei bis vier Jahren heftigst in der Diskussion waren, auf verstärkte Neubautätigkeit ist ein sehr schwieriger Prozeß, der wohnungspolitische Umsicht und Zeit erfordert.
Hier sei es mir gestattet, noch einmal auf Herrn Zöpel, den NRW-Bauminister, zurückzukommen, der es ja in seinem Gedankenreichtum beim Erfinden von Schlagworten fertiggebracht hat, den Begriff vom sogenannten Rückbau damals in die Diskussion einzuführen,
({7})
also genau das Gegenteil der tatsächlichen Notwendigkeiten für den Wohnungsmarkt forderte - und das, obwohl Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie uns jetzt neunmalklug wieder weismachen wollen, diese Entwicklung schon vor Jahren vorausgesehen hätten. Das ist wiederum allzu durchsichtig.
Das Umschalten von stark zurückgefahrenen Bauinvestitionen auf die momentanen Erfordernisse auf dem Wohnungsmarkt ist in vollem Gange. Ich darf hier mit allem Nachdruck sagen, daß das Wohnungsproblem in den nächsten zwei bis drei Jahren gelöst werden kann.
({8})
Darauf können sich die Bürger im Gegensatz zu dem, was Sie immer behaupten, verlassen.
Sollte es sich ergeben, daß in 1990 zusätzliche Maßnahmen im Wohnungsbau erforderlich sind, so werden wir uns als CDU/CSU-Fraktion diesen Herausforderungen voll und ganz stellen, so wie es in überzeugender Weise Frau Ministerin Hasselfeldt in den letzten Wochen und Monaten im Sinne einer wirklich zukunfts- und problemorientierten und bürgernahen Wohnungsbaupolitik getan hat.
({9})
Angesichts der Zahl an Baugenehmigungsverfahren, die in den einzelnen Gemeinden vorliegen bzw. kurz vor dem Abschluß stehen, bin ich sicher, daß das Ziel einer gerechten Wohnraumversorgung in absehbarer Zeit erreicht sein wird, wenn unsere Anstrengungen nicht weiter von den soeben von mir zu Recht kritisierten Ländern konterkariert und so zunichte gemacht werden.
({10})
- An diesen Realitäten, lieber Herr Kollege, können selbst Sie nicht vorbeigehen, trotz Ihrer bekannten ewigen Tiraden in dieser Sache.
Der Einzelplan 25 ist wohl ausgewogen und hat mit einem vorgesehenen Ausgabenbedarf von 6,2 Milliarden DM fast den gleichen Umfang wie im Vorjahr. Hier ist besonders hervorzuheben, daß sich die Verpflichtungsermächtigungen deutlich, und zwar von 1,8 Milliarden DM auf 2,3 Milliarden DM in 1990, erhöhen.
({11})
Von den Schwerpunkten, die im sozialen Wohnungsbau liegen, habe ich bereits gesprochen. Ich will nicht verschweigen, daß im Haushalt 1990, was den Einzelplan 25 angeht, sicherlich einige Wünsche offenbleiben. So müßte zumindest hinsichtlich des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus der Verpflichtungsrahmen höher als die für 1990 angesetzten 15 Millionen DM liegen. Gleichermaßen wäre es empfehlenswert, Haushaltsansätze für Ressort- und Bauforschung zu erhöhen. Hier gibt es übrigens einen einstimmigen Beschluß des Unterausschusses Ressortforschung beim Bundesminister für Bau. Ich bin sicher, daß mein Appell Gehör findet und daß wir am Ende der Haushaltsberatungen in diesen Punkten, die ich gerade angesprochen habe, andere Ansätze haben werden.
({12})
Es ist damit zu rechnen, daß das Förderergebnis der von Bund und Ländern geförderten Wohnungen, welches 1988 nur - ich sage leider „nur" - bei 40 000 Wohnungen lag, schon in diesem Jahr verdoppelt werden wird. Ich darf hier anmerken, daß das Fördervolumen im Jahr 1988 mit insgesamt 3,2 Milliarden DM seinen Tiefststand zu verzeichnen hatte und schon im laufenden Haushaltsjahr 1989 auf einen Bundesanteil von wieder über 1 Milliarde DM gestiegen ist.
Ich möchte zum Schluß noch einmal darauf hinweisen, daß ein kontinuierlicher Abruf der Bundesmittel notwendig ist, daß neue Anstrengungen der Länder erforderlich sind, die zur Beschleunigung städtebaulicher Maßnahmen beitragen. Hier gilt es auch einen dringenden Appell an viele Kommunen zu richten,
({13})
Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen und neue Baugebiete auszuweisen. Als nordrhein-westfälischer Abgeordneter habe ich meine leidvollen Erfahrungen, was hier die Beteiligung des Landes durch Landesverordnungen angeht.
Der Entwurf des Einzelplans 25 trägt den Problemen auf dem Wohnungsmarkt Rechnung. Er ist ein Entwurf, der vielen wohnungsuchenden Bürgern Sicherheit gibt, kurzfristig geeigneten Wohnraum zu finden. Er ist ein Entwurf, der mit viel Augenmaß privatwirtschaftliche Initiative auf dem Wohnungsmarkt nicht hemmt, sondern Anreize gibt, wieder im Wohnungsbau zu investieren, ohne dabei allzu großen staatlichen Dirigismus im Einsatz der dafür notwendigen Mittel anzuwenden. Er ist ein Entwurf, der von der klaren Erkenntnis geprägt ist, daß da, wo privatwirtschaftliches Handeln überfordert ist, der Staat sich
helfend, aber eben nur helfend, an die Seite der Handelnden stellen muß.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion handeln für die Zukunft unserer Bürger.
({14})
Darauf können die Bürger vertrauen; darauf können sich die Bürger verlassen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Einzelplan 25, der Haushalt des Bundesbauministeriums, ist ein Dokument des sozialen Zynismus und der ökologischen Ignoranz. Insofern paßt er sich - wen wundert's! - in hervorragender Weise dem Gesamthaushalt, der heute und gestern und morgen hier besprochen wird, an. Für diesen Gesamthaushalt ist das seitens der Opposition ja schon heute früh und gestern hinreichend beleuchtet worden. Für den Einzelplan 25 möchte ich das jetzt hier aufzeigen.
Sozialer Zynismus und ökologische Ignoranz zeichneten schon den gegangenen Nichtwohnungsbauminister Schneider aus. Sein Fehler war, zu lange zu blind gegenüber der Situation auf dem Wohnungsmarkt zu sein. Aber wahrscheinlich konnte er diese Situation deswegen gar nicht so genau durchblicken, weil ihm der Petersberg und andere Bundesbauten im Weg standen, gigantische Altlasten, deren Kosten wohl noch mindestens zwei weitere Wahlperioden lang unseren Haushältern Bauchschmerzen verursachen werden.
({0})
Der Herr Kollege Schroeder ({1}) von der CDU - ich sehe ihn jetzt nicht - läßt sich in diesem Zusammenhang wohl nur sehr widerwillig zitieren. Ich möchte seine Aussagen in der Haushaltsdebatte vor zwei Jahren in Erinnerung rufen. Da sagte er bezüglich der Bundesbauten, bezüglich des Petersbergs, nach Ansicht seiner Fraktion - der CDU-Fraktion - sei „das Ende der Fahnenstange bei den Kostensteigerungen nun erreicht". Das war im November 1987.
Nein; kein Ende der Fahnenstange haben wir vor uns, sondern ein Faß ohne Boden; immerhin, wie es scheint, eines aus teurem Tropenholz und dazu vergoldet, eine Schneidersche Altlast, wie gesagt, für die wir noch jahrelang Hunderte von Millionen in den Haushalt werden einstellen müssen, während kein Mensch weiß, aus welchen Quellen denn die dringend nötige Sanierung der echten Altlasten finanziert werden soll. Auch beim Umweltminister gibt es dafür übrigens nichts.
({2})
Es gibt Zehntausende von Flächen, die durch industrielle Nutzung gemäß nach dem Nach-mir-die-Sintflut11792
Prinzip dermaßen vergiftet und verseucht worden sind, daß niemand es verantworten könnte, hier z. B. das in den Städten dringend nötige Bauland auszuweisen.
({3})
Doch, wie gesagt, derlei Sorgen hat sich Oscar Schneider nie gemacht. Und daß sie auch der neuen Ministerin fremd sind, zeigt ihr Haushaltsentwurf.
Aufgeschreckt durch Protestwählerinnen und Protestwähler, für die auch die Wohnungsnot ein Motiv ist, der Union davonzulaufen, haben Sie sich endlich bequemt, in den letzten Monaten, um nicht zu sagen: gerade noch in den letzten Wochen, wenigstens für das nächste Jahr, ein Wahljahr, ein paar Millionen öffentliche Zuschüsse auch für den sozialen Mietwohnungsbau herauszurücken.
({4})
Herr Lambsdorff aus der rechten Ecke der totalen Marktwirtschaft hat ja auch gleich erschreckt zurückgeschlagen und geschrien: bloß keinen sozialen Wohnungsbau mehr!
Aber nach dem nächsten Jahr muß dann auch schon wieder Schluß sein mit der Wohnungsnot. Zumindest gibt es dann noch viel weniger Bundesmittel. Herr Müntefering hat schon darauf hingewiesen: im Jahre 1991 noch 1,4 Milliarden DM, 1992 1 Milliarde DM, 1993 0,5 Milliarden DM. Sogar die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU hat gemerkt, daß das zuwenig ist. Ich würde in diesem Fall schleunigst zu einem Regierungswechsel raten.
Schluß sein soll natürlich immer noch nicht mit der steuerbegünstigten Eigentumsbildung. 5,4 Milliarden DM gingen allein 1988 durch diese Steuernachlässe dem Bundeshaushalt verloren.
Wir GRÜNEN setzen ein Mietwohnungsprogramm dagegen, das wirklich geeignet ist, ausreichendes, sicheres, erschwingliches und gesundes Wohnen für alle zu ermöglichen. Das ist die ökologische Komponente, die bei dieser Wohnungsdiskussion viel zu sehr in Vergessenheit gerät. Es geht um sicheres Wohnen, aber es geht auch um gesundes Wohnen. Nach unseren Vorstellungen müssen die öffentlichen Mittel mit der Auflage verbunden sein, daß die Wohnungen, die damit geschaffen werden, nicht nur dauerhaft sozialgebunden sind, sondern daß beispielsweise auch umweltverträgliche Baustoffe verwendet, daß umweltverträgliche Heizsysteme eingesetzt werden usw.
({5})
Das ist vor dem heutigen umweltpolitischen Hintergrund ein absolutes Muß. Wenn man öffentliche Zuschüsse einsetzt, müssen sie an solche Bedingungen geknüpft werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Grünbeck?
Ach, der Herr Grünbeck. Bitte schön, fragen Sie nur. Ich wollte zwar gerade
sagen, daß das nicht billig ist, aber vielleicht wollen Sie auch nach den Kosten fragen. Nur zu.
Frau Kollegin, ich habe Ihr Programm über ökologisches Bauen gelesen. Darin steht, daß Sie die Hochhäuser nicht mehr wollen, weil das zur Gettobildung führt. Aber Sie wollen auch keine Einfamilienhäuser, weil sie flächenschluckend sind. Was verstehen Sie denn unter ökologischem Bauen in der Zukunft?
: Ich würde zunächst einmal die Bausubstanz nutzen, die es schon gibt. Da kann man nämlich noch einiges ausbauen. Wir sagen nichts gegen Hochhäuser; wir sagen nur etwas gegen die Art der städtebaulichen Verdichtung, wie sie in den 70er Jahren praktiziert wurde. So kann man heute wirklich nicht mehr bauen.
({0})
Das ist nicht billig. Da kann man nicht mit 1,6 Milliarden DM kleckern. Wir können aber im Laufe der Beratungen den Nachweis führen, daß das finanzierbar ist - vorausgesetzt, werte Frau Ministerin, daß Sie sich zu der Einsicht durchringen, daß das auch nötig ist, und zwar - das wissen wir auch - noch über mehrere Jahre, ohne daß Sie erst nochmals 23 Millionen DM für eine völlig überflüssige Zählaktion ausgeben. Es braucht nicht mehr gezählt zu werden, wieviel Wohnungen nötig sind; heute muß gebaut werden.
Da aber natürlich auch mit einem Programm wie unserem die Wohnungen nicht von jetzt auf gleich, nicht von heute auf morgen, zu schaffen sind, begrüßen wir, daß z. B. in Berlin nun endlich auch von Senatsseite aus das stattgefunden hat, wofür die Instandbesetzer und -besetzerinnen sich noch vor Jahren von Leuten wie Herrn Lummer verprügeln lassen mußten, nämlich die Beschlagnahme leerstehender Wohnungen und Häuser. Da mußte offenbar erst eine mutige Frau kommen, um diesen Anschlag auf die geheiligte Eigentumsideologie der Spekulanten durchzuführen.
Ich kann nur sagen: weiter so, werte Frau Witt, auch wenn mit solchen Aktionen für die Herren, die jetzt hier aufschreien, speziell wahrscheinlich auch für den Vertreter der FDP, der gleich nach mir reden wird, der Untergang des christlichen Abendlandes angebrochen zu sein scheint.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hitschler
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 25 des Bundeshaushalts hält sich im Rahmen der Linie des Gesamthaushalts außerordentlich wacker. Trotz Ausgabensteigerungen beim Wohngeld mit der Einführung der sechsten Mietenstufe und der Höherstufung verschiedener Gemeinden und zusätzlich bereitgeDr. Hitschler
stellter Mittel für den sozialen Wohnungsbau konnte der Teilhaushalt stabil gehalten werden, da sich andere Entwicklungen und Beschlüsse ausgabenmindernd ausgewirkt haben.
Das Besondere an diesem Teilhaushalt ist aber, daß eben nicht die gesamte Bilanz der Wohnungspolitik des Bundes darin umfaßt wird. Denn die Wohnungspolitik der Bundesregierung wird durch Entscheidungen, die sich nicht in diesem Einzelhaushalt niederschlagen, sehr viel stärker geprägt. So wirkten sich die gesamtwirtschaftliche Situation mit ihren günstigen Bedingungen für das wirtschaftliche Wachstum, die Preisstabilität, die günstiger werdende Beschäftigungssituation, die positive Sparentwicklung und die hervorragende Einkommensentwicklung außerordentlich vorteilhaft auf den Bau- und Wohnungsmarkt aus.
Der „Spiegel" schreibt in seiner neuesten Ausgabe - ich zitiere - : „Anhaltend und kräftig wie nie scheint die Sonne über Deutschlands Wirtschaft." Der Sonnenschein wird im Jahre 1990 darüber hinaus in die Taschen der Bürger strahlen, wenn die dritte Stufe der Steuerreform die Beutel wärmt.
Die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften werden ferner auf Grund des Wegfalls ihres Steuerprivilegs ihre Handlungsfähigkeit wiedergewinnen, ihre Fesseln loswerden und dank vorteilhafter Bewertungsansätze ab 1990 wieder kräftig investieren, was sie in der Vergangenheit versäumt haben.
Dies alles schafft ein treffliches Investitionsklima. Der Wohnungsbau profitiert zusätzlich von den erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten,
({0})
so daß sich 1990 der Mietwohnungsbau sowohl für institutionelle Großanleger wie für private Kleinanleger zu einer interessanten Anlageform mausern wird.
({1})
Darin liegt das entscheidende Verdienst dieser Bundesregierung, nämlich daß sie die Rahmenbedingungen und das Investitionsklima für den Mietwohnungsbau und den Bau von Eigenheimen, aber auch für den Industriebau positiv gestaltet hat.
({2})
Die Zahlen und Maßnahmen im Einzelplan 25 tragen hierzu flankierend, ergänzend und korrigierend bei.
Es gilt, auch daran zu erinnern, daß vom Strukturhilfegesetz und von dem über die Kreditanstalt für Wiederaufbau abzuwickelnden Gemeindeprogramm erhebliche Anstöße für die Wohnraumversorgung von Studenten, Aussiedlern und Übersiedlern ausgehen. Bedauerlicherweise ist aber hier trotz günstigster Konditionen vielfach Zurückhaltung bei den verschiedenen Ländern und Kommunen spürbar.
({3})
Die wirtschaftspolitisch günstigen Rahmendaten in Verbindung mit der Steuerreform, den Abschreibungserleichterungen, dem Wegfall der Gemeinnützigkeit und der Schaffung des dritten Förderwegs, das sind die Kernpunkte der Regierungspolitik, die das Angebot am Wohnungsmarkt in Bewegung gesetzt haben und dafür sorgen, daß auch weiterhin Wohnungen gebaut werden.
({4})
Wenn man dagegen den Rezepten der Opposition, wie sie auch Frau Teubner hier gekennzeichnet hat, folgen wollte, könnten wir auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten, ehe sich private Investoren entschlössen, am Wohnungsmarkt zu investieren.
({5})
Administrativ verordnete Mietbegrenzungen bei gleichzeitigen Modernisierungsgeboten, ausschließliche Förderung gemeinnütziger Projekte mit eingebauter Umweltbremse, Konzentration der öffentlichen Mittel auf eine direkte Objektförderung, weitere Einengung der Rechte der Vermieter,
({6})
ja, sogar zwangsweise Eingriffe in Eigentumsrechte: das sind Ihre Instrumente, mit denen Sie aufwarten, um den Mangel zu beseitigen.
Zugestanden, Sie sind redlich bemüht, den Mangel gerechter zu verteilen. Einigen, unseren Unbedarften, vermag sich dies vielleicht sogar vermitteln lassen. Dabei müßte der Blick auf die Warteschlange in den Ländern, in denen derartige sozialistische Methoden der Bedarfsbefriedigung lupenrein praktiziert werden, eigentlich auch den Unbelehrbarsten zur besseren Einsicht führen. Der durch die Zwangsmaßnahmen in Berlin beim Bürger verursachte Vertrauensschaden, Frau Teubner, steht in keinem Verhältnis zu dem angestrebten kurzfristigen Nutzen, den die Maßnahme mit sich bringt.
({7})
Die Nachfrage nach Wohnungen ist durch bekannte, hier bereits mehrfach erwähnte Faktoren fast sprunghaft gestiegen. Sie sofort zu befriedigen - das wissen Sie alle - , ist technisch ganz einfach nicht möglich, weil das Bauen Zeit in Anspruch nimmt. Die Weichen zu einer Vergrößerung des Angebots sind vom Bund richtig gestellt. Länder und Gemeinden, die ebenfalls wichtige Aufgaben in der Wohnungspolitik erfüllen, sind daher auch zum Handeln aufgefordert. Es ist deshalb ganz unverständlich, wenn verschiedene Länder die Unterzeichnung der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund über den Einsatz der öffentlichen Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus über Gebühr hinauszögern wollen.
Bund, Länder und Gemeinden müssen sich in der Wohnungsbaupolitik im Gleichschritt bewegen. Länder und Gemeinden gefallen sich aber gegenwärtig teilweise mehr in der Rolle des beim Mogeln ertappten Sünders, der durch lamentierendes Gehabe von den eigenen Unzulänglichkeiten ablenken möchte.
({8})
Einige Länger haben sich bei der Nachlaßregulierung der Neuen Heimat offensichtlich zu sehr verausgabt und deshalb für andere Aktivitäten keine Mittel mehr zur Verfügung.
({9})
Viele Kommunen befinden sich heute in einem planerischen Rückstand und sehen sich deshalb nicht in der Lage, notwendiges Baugelände zur Verfügung zu stellen und auszuweisen. Darüber hinaus wird teilweise mit administrativen Mitteln versucht, Bauwillige zu behindern, wie das beispielsweise in München beim Dachgeschoßausbau der Fall ist. Als ob ihnen daran gelegen sei, die Wohnraumversorgungsprobleme in der Öffentlichkeit möglichst drastisch erscheinen zu lassen.
({10})
Der gegenwärtige Nachfrageüberhang wird uns auf einige Jahre eine gute Baukonjunktur bescheren. Aber er bringt auch besondere Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung von Teilgruppen unserer Bevölkerung. Eine Lösung dieses Problems wird es nur geben können, wenn es gelingt, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau effektiver einzusetzen. Nach unserer Überzeugung müssen sie deshalb genutzt werden zum Erwerb von Belegungsrechten durch die Kommunen. Wir sind bereit, den Kommunen hierfür auch die Mittel zur Verfügung zu stellen.
({11}) - Auch Bundesmittel, jawohl.
Wir begrüßen daher die Möglichkeit zunächst des dritten Förderweges als eines Schrittes in die richtige Richtung. Wir halten es für notwendig, baldmöglichst Treuhandvermögen zu schaffen, um den Kommunen den Ankauf von Belegungsrechten in größerem Stile zu ermöglichen.
Vielen Dank.
({12})
Herr Abgeordneter, Herr Müntefering wollte noch gerne eine Zwischenfrage beantwortet haben. - Okay, danke schön.
Das Wort hat die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Hasselfeldt.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundesbauministeriums beweist, daß die Bundesregierung auf alle Herausforderungen des Wohnungsmarktes reagiert.
({0})
Dabei ist völlig unbestritten, daß heute in vielen Städten und Regionen unseres Landes Wohnungen fehlen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Sie liegen nicht nur im Zustrom der Deutschen, die aus dem Osten zu uns kommen, sondern auch in Entwicklungen in unserem Land, z. B. in der zunehmenden Zahl
Alleinstehender oder auch in der steigenden Zahl neu gegründeter Haushalte.
Darüber hinaus liegt eine wesentliche Ursache in der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes - und zwar dank einer vernünftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung -,
({1})
die der Bevölkerung durch ein ständig steigendes Einkommen die Möglichkeit gibt, mehr Wohnraum nachzufragen, sich größeren und qualitativ anspruchsvolleren Wohnraum zu leisten.
({2}) So ist die Tatsache.
Mit dieser erhöhten Nachfrage hat der Bau von Wohnungen in den vergangenen Jahren nicht Schritt gehalten. Wir erinnern uns doch alle noch an die sogenannte Leerstandsdiskussion, die noch vor kurzem, und zwar von allen Seiten, geführt wurde, in der beispielsweise der nordrhein-westfälische Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Zöpel den Abbruch von Hochhäusern gefordert hat.
({3})
Das Ergebnis ist, daß uns heute die Wohnungen fehlen, die schon vor zwei oder drei Jahren hätten gebaut werden müssen. Aber die Vergangenheitsbewältigung bringt uns nicht weiter.
({4})
Es ist keine Frage: Wir brauchen mehr Wohnungen. Wir müssen denjenigen helfen, die keine Wohnung haben oder eine neue suchen. Ihnen muß geholfen werden, völlig unabhängig davon, ob es sich um Alte oder um Junge, um kinderreiche Familien oder Alleinstehende, um schon immer in diesem Land lebende oder um neue Mitbürger handelt.
({5})
Gesonderte Wohnungsbauprogramme für Aussiedler wird es also nicht mehr geben. Jeder Bürger in unserem Land wird künftig gleich behandelt.
({6})
Weil wir wissen, daß eine gute Wohnungsversorgung mit zum Wichtigsten gehört, was unsere Bevölkerung braucht, und weil wir wissen, daß der soziale Friede in unserem Land eben in erster Linie auch davon abhängt, wie die Wohnungsversorgung ist, haben wir auch entsprechend gehandelt. Dabei steht im Mittelpunkt unserer Politik die Ausweitung des Wohnungsangebotes. Die fehlenden Wohnungen müssen sowohl durch einen verstärkten freifinanzierten als auch durch den sozialen Wohnungsbau geschaffen werden. Ein Mittel allein reicht in der jetzigen Situation nicht. Unsere zentrale Aufgabe muß es in dieser Situation sein, entsprechende Anreize zu schaffen.
Deshalb haben wir die Abschreibungsbedingungen für den Mietwohnungsbau spürbar verbessert. Mit der Verkürzung der Abschreibungsdauer auf 40 Jahre und der deutlichen Anhebung der Abschreibungssätze gerade in den ersten Jahren wurde jetzt schon ein spürbarer Investitionsanreiz für den Mietwohnungsbau erreicht.
In dieser Situation, in der wir heute stehen, reicht aber die Stärkung der Marktkräfte nicht aus. Es sind vor allem die sozial Schwächeren in unserem Land, die unter dem momentanen Mangel an Wohnungen besonders leiden, davon besonders betroffen sind. Deshalb müssen wir ihnen in ganz besonderer Weise helfen. Das werden wir u. a. dadurch tun, daß wir die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich aufstocken werden.
({7})
Frau Ministerin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi zuzulassen?
Ja.
Frau Ministerin, was sagen Sie zu der Äußerung der baden-württembergischen Landesregierung von heute um 16.11 Uhr in dpa, daß das finanzielle Engagement der Bundesregierung im Wohnungsbau bei weitem nicht ausreiche; statt der geplanten 1,6 Milliarden DM seien mindestens 2,5 Milliarden DM notwendig?
Wissen Sie, es ist natürlich leicht, immer wieder Forderungen an andere Körperschaften und an andere Funktionsträger im Lande zu stellen. Jedes Land, jede Gemeinde und der Bund stehen in gleicher Weise in der Verantwortung der Wohnraumversorgung. Der Bund hat das Seine im sozialen Wohnungsbau getan.
({0})
Im vorliegenden Haushaltsentwurf sind dafür 1,6 Milliarden DM - das sind, meine Damen und Herren, immerhin 550 Millionen DM mehr als in diesem Jahr - vorgesehen. Es ist im übrigen mehr als das Fünffache dessen, was in der Finanzplanung ursprünglich vorgesehen war.
({1})
Bund, Länder und Gemeinden haben für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus bereits in diesem Jahr insgesamt über 7 Milliarden DM ausgegeben. Wenn die Länder und die Gemeinden dem Beispiel des Bundes in diesem Jahr folgen und ihre Förderung des sozialen Wohnungsbaus ebenfalls kräftig anheben, dann werden wir im Jahre 1990 etwa 10 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen.
Die von uns jetzt vorgenommene Erhöhung ist keine einmalige Maßnahme. Sie können sicher sein, daß ich sorgsam darauf achten werde, daß die Förderung des sozialen Wohnungsbaus auch in den nächsten Jahren in angemessener Höhe fortgeführt werden wird.
({2})
Vorhin wurde angesprochen, daß die mittelfristige Finanzplanung im Rahmen etwas zurückgeht. Aber Sie, meine Damen und Herren, wissen doch genau so gut wie wir alle, daß die mittelfristige Finanzplanung einen Rahmenplan darstellt, daß jedes Jahr auf Grund
der dann vorliegenden Situation neu verhandelt wird. Sonst wären wir nämlich auch in diesem Jahr nicht auf die Größenordnung von 1,6 Milliarden DM gekommen, was immerhin das Fünffache dessen ist, was zunächst einmal vorgesehen war.
({3})
Sie können davon ausgehen, daß wir mit diesen Mitteleinsatz im nächsten Jahr etwa 100 000 Sozialwohnungen fördern können.
An diesem deutlich erhöhten Engagement des Bundes im sozialen Wohnungsbau sehen Sie, daß wir die Probleme ernst nehmen und daß wir insbesondere denjenigen helfen, die sich eben selbst nicht helfen können. Dabei ist unbestritten, daß die Probleme durch die zu uns kommenden Deutschen aus der DDR und aus den osteuropäischen Staaten verstärkt werden.
Frau Ministerin, der Abgeordnete Franz Müntefering möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Frau Ministerin, wegen der 100 000 Sozialwohnungen, die Sie für das nächste Jahr vermuten, noch einmal die Frage: Von den 1,6 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen des Bundes sind überschlägig 16 000 Wohnungen zu finanzieren. Wie errechnen Sie die Zahl von 100 000 für das nächste, das übernächste und das folgende Jahr?
Herr Kollege Müntefering, Ihre Rechnung ist, wenn ich das so deutlich sagen darf, eine kleine Milchmädchenrechnung. Es kommt nämlich ganz deutlich darauf an, in welchem Förderungsweg diese Mittel ausgegeben werden, und da sind wir bei einem Problem, das in der Tat in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Wir haben eine Reihe von Ländern, die mit den vorhandenen Mitteln erheblich mehr Wohnungen fördern, als dies beispielsweise in Nordrhein-Westfalen mit den herkömmlichen Förderungswegen der Fall ist.
({0})
Frau Ministerin, er möchte noch einmal nachfassen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, bitte sehr.
Sind Sie sich bewußt, daß über diesen dritten Förderweg, von dem Sie sprechen, Wohnungen geschaffen werden, die 10 bis 12 DM Quadratmetermiete kosten, die dann meist nicht bzw. nur für fünf oder sieben Jahre den sozial Schwächsten zur Verfügung stehen?
Die Beispiele, die über den dritten Förderweg schon gefördert wurden
- ich habe mich da auch vor Ort genau erkundigt -, widerlegen dies.
({0})
- Es ist unser aller Aufgabe, meine Damen und Herren, dort, wo wir Mißstände, wo wir vielleicht auch Fehler oder eine nicht unserem Sinne entsprechende Durchführung unseres Programms registrieren, wir alle miteinander in den Gemeinden, in den Städten, in unseren Ländern, aus denen wir kommen, Einfluß zu gewinnen, damit das Wohnungsbauprogramm des Bundes so durchgeführt wird, daß mit den vorhandenen Mitteln so viele Wohnungen wie möglich gefördert werden.
Es ist unbestritten, daß die Probleme der zu uns kommenden Deutschen aus der DDR und den osteuropäischen Staaten die Schwierigkeiten natürlich noch verstärken. Auch unsere neuen Mitbürger brauchen Wohnungen. Wer jedoch glaubt, daß die damit verbundenen Schwierigkeiten durch eine abermalige deutliche Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau zu lösen sind, der übersieht die Grenzen dieses wohnungspolitischen Instruments. Der starke Zustrom neuer Bürger erfordert eine möglichst rasche Bereitstellung von Wohnungen, und genau diese wichtige Aufgabe kann eben nicht durch den Neubau von Sozialwohnungen gelöst werden.
Außerdem muß berücksichtigt werden, daß die bauwirtschaftlichen Kapazitäten schon heute gut ausgelastet sind. Weitere staatliche Finanzierungsprogramme, die über die bereits geplanten 10 Milliarden DM hinausgehen, bergen also die Gefahr zusätzlicher Preissteigerungen in sich, und diese helfen wiederum weder den Wohnungssuchenden noch den Mietern noch den Bauherren. Das müssen wir in dieser Situation deutlich sehen und unsere zu ergreifenden Maßnahmen auch in diesem Zusammenhang beurteilen.
({1})
In der gegenwärtigen Situation, gerade was die Umsiedler betrifft, sind kurzfristige Lösungen gefordert. Die Beschlagnahme von Wohnungen, wie sie der Berliner-SPD-Senat praktiziert, ist dabei mit Sicherheit kein taugliches Mittel.
({2})
Ich darf Ihnen, Frau Teubner, erwidern: Auf solche Art mutige Frauen, wie Sie es zitiert haben, wie sie in Berlin vorzufinden sind, brauchen wir nicht, auf solche können wir in der Tat verzichten.
({3})
Ich frage noch einmal, Frau Ministerin, aber ich mache ein bißchen darauf aufmerksam, daß wir die geplanten Zeiten schon deutlich überschritten haben, daß wir also dicke Probleme haben. Ich wäre dankbar, wenn wir uns ein bißchen beschränkten.
Ich bitte um Verständnis. Ich glaube, ich komme auf Ihre Frage wahrscheinlich zurück. Ich gehe davon aus, daß es darum geht: Was wollen Sie denn dann machen? Ich werde Ihnen das sagen.
Es muß darum gehen, jetzt kurzfristig auch den vorhandenen Wohnungsbestand in unseren Städten, in unseren Gemeinden, und zwar auf freiwilliger Basis, zu mobilisieren. Überall dort, wo öffentliche, wo gewerbliche Gebäude zur Zeit z. B. nicht genutzt sind, muß alles versucht werden, damit ohne großen baulichen und finanziellen Aufwand auch schnell Wohnungen eingerichtet werden können.
Meine Damen und Herren, der zusätzliche Einsatz von Bundesmitteln im sozialen Wohnungsbau wird nur dann effektiv greifen, wenn auch die Länder und Gemeinden ihre Verantwortung wahrnehmen. Dazu gehört z. B. die Förderung im dritten Förderungsweg, dieses Instrument, das bezüglich Zuschußhöhe und Belegungsbindung jeden Gestaltungsspielraum eröffnet, das die örtliche Versorgungslage berücksichtigt, das gewährleistet, daß mit dem vorhandenen Geld mehr Wohnungen gefördert werden können, als das mit den bisherigen Methoden der Fall war. Es ist in der Tat erstaunlich, wenn beispielsweise ein Land wie Nordrhein-Westfalen mit einem sehr hohen Wohnungsbedarf am lautesten nach zusätzlichen Bundesmitteln schreit, die vorhandenen Gelder aber nicht in effektiver Weise einsetzt.
({0})
Wir brauchen viele Wohnungen. Wir brauchen nicht wenige teure Wohnungen.
Das zusätzliche Geld kann außerdem nur dann Wirkung haben, wenn in den Städten und Gemeinden entsprechendes Bauland zur Verfügung gestellt wird, wenn neben dem Bauland auch flexibles Baurecht praktiziert und die Baugenehmigungen zügig erteilt werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn beispielsweise das Engagement der GRÜNEN und die schlauen Sprüche, die z. B. auch hier immer wieder deutlich zu hören sind, auch durch ein entsprechendes Handeln in den kommunalen Parlamenten und in den Länderparlamenten ergänzt würden. Dort wird nämlich die Ausweisung von Bauland ganz bewußt blockiert. So ist die Situation vor Ort.
({1})
Es gibt mir auch zu denken, meine Damen und Herren, wenn gerade in München, wo die Wohnungsnachfrage besonders groß ist, die Erteilung von Baugenehmigungen besonders lang dauert, wenn dort die Ausweisung von Bauland und die Durchführung von Erschließungsmaßnahmen nur schleppend vorangehen und darüber hinaus auch noch die Dachgeschoßausbauten durch Stellplatzforderungen verhindert werden. Meine Damen und Herren, das widerspricht sich doch. Wir sitzen alle in einem Boot, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker. Wir haben alle miteinander die gleiche Verantwortung für die Versorgung
der Bevölkerung mit entsprechendem Wohnraum. Es hat keinen Sinn, wenn hier Parteipolitik im Vordergrund steht, wenn die kommunalen Parlamente das, was wir mit einleiten, konterkarieren.
({2})
Meine Damen und Herren, darüber hinaus muß in der gegenwärtigen Situation auch die Städtebauförderung einen Beitrag zur Überwindung der Engpässe am Wohnungsmarkt leisten. Ich sehe einen solchen Beitrag z. B. auch darin, zügig zusätzliche Flächen für den Wohnungsbau herzurichten und nutzbar zu machen. Auch dies unterstützt die Bundesregierung. Sie läßt die Gemeinden, sie läßt die Städte bei dieser wichtigen Aufgabe nicht allein.
Die Bundesregierung setzt die Städtebauförderung auf dem hohen Niveau von 660 Millionen DM jährlich bis auf weiteres fort. Damit wird den Städten und Gemeinden auch künftig geholfen, die Wohn- und Lebensverhältnisse für die Bürger attraktiver zu gestalten. Im übrigen ist gerade dies auch ein Beispiel dafür, wie zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund Hand in Hand daran gearbeitet wird, gerade dieses so wichtige Element, nämlich das Lebensumfeld, das Wohnumfeld, in unseren Städten zu verbessern.
Nun wissen wir alle, daß neue Wohnungen nicht von heute auf morgen gebaut werden können. Deshalb werden wir auch künftig auf das Wohngeld als sozial flankierende Maßnahme nicht verzichten. Daher haben wir auch eine sechste Mietenstufe eingeführt und werden in den Städten und Gemeinden mit überdurchschnittlich stark gestiegenen Mieten die Mietenstufe anheben.
({3})
Das wird eine Erhöhung des Wohngeldes für etwa 90 000 Wohngeldbezieher zur Folge haben.
Meine Damen und Herren, trotz aller neuer Maßnahmen halten wir aber an zwei wichtigen Punkten fest, und zwar zum einen an einem verläßlichen Mietrecht und zum anderen an einer Politik zur Förderung des Wohneigentums.
Die Förderung von Wohneigentum ist nämlich - das sage ich im besonderen an die Adresse der Kollegin Teubner von den GRÜNEN - zugleich praktische Familienpolitik, Vermögenspolitik und Altersvorsorgepolitik.
({4})
Wir tragen dem Wunsch der Mehrheit der Bürger nach den eigenen vier Wänden mit der Verbesserung der steuerlichen Förderung von Wohneigentum, der Erhöhung des Baukindergeldes ab dem nächsten Jahr und mit den neuen Programmen im sozialen Wohnungsbau Rechnung.
Der zweite Punkt berücksichtigt die Tatsache, daß die Investitionen im Wohnungsbau nur dann vorgenommen werden, wenn langfristig verläßliche Rahmenbedingungen gegeben sind. Deshalb können wir uns keine Verunsicherung durch Diskussionen über Änderungen im allgemeinen Mietrecht leisten.
({5})
Wer jetzt über grundsätzliche Änderungen des Mietrechts debattiert, wer die Mietpreisbildung wieder stärker reglementieren will und die Investoren im unklaren über die Zukunft der mietrechtlichen Rahmenbedingungen läßt, der muß sich schon bald vorhalten lassen, die dringend nötigen Investitionen im Mietwohnungsbau verhindert zu haben.
({6})
- Das Problem der Umwandlung, Herr Kollege Conradi, ist ein ganz spezifisches Problem, das nicht im Zusammenhang mit dem allgemeinen Mietrecht, beispielsweise auch der Kappungsgrenze, zu diskutieren ist. Ich habe immer klargemacht: Wenn, dann ist das einzige Problem, über das ich diesbezüglich nachdenke, die Frage der Umwandlung. Das sage ich auch jetzt noch. Das muß allerdings erst noch politisch entschieden werden. Hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Aber ins allgemeine Mietrecht möchte ich nicht gehen.
Mit den eingeschlagenen Maßnahmen, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer wohnungspolitischen Verantwortung angemessen reagiert. Die ersten Erfolge sind bereits sichtbar.
({7})
So ist die Zahl der Baugenehmigungen im ersten Halbjahr dieses Jahres um fast 25 %, im Geschoßwohnungsbau sogar um mehr als 55 % gestiegen.
({8})
Die Investitionsbereitschaft für den Wohnungsbau ist wieder vorhanden. Wir unterstützen diese Investitionsbereitschaft durch staatliche Anreize und ergänzen sie durch gezielte Hilfen für die sozial Schwächeren.
Sie können sicher sein: Ich werde dafür sorgen, daß sich der Erfolg unserer Maßnahmen auch mittel- und langfristig fortsetzen wird. Selbstverständlich werde ich dabei alle neuen Herausforderungen in angemessener Weise berücksichtigen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wohnungspolitik dieser Koalition begann 1982 im Herbst mit dem „Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen" . Jetzt, nach sieben Jahren, stellen wir fest: Das Angebot an Mietwohnungen ist nicht erhöht worden, sondern die Neubauzahlen im Wohnungsbau sind Jahr für Jahr heruntergegangen und haben 1988 mit 208 000 den Tiefststand seit Gründung dieser Republik, seit 1949 erreicht. Das ist das Ergebnis Ihrer Wohnungspolitik, die das Angebot erhöhen sollte.
({0})
Nun haben Sie den Minister ausgewechselt. Aber wie Sie das gemacht haben, fand ich schäbig; denn Oscar Schneider hatte nichts anderes gemacht, als die Wohnungspolitik dieser Koaltion getreulich durchzufüh11798
ren. Sie haben ihn weggeschickt, weil Sie gemerkt haben: Ihre Politik ist gescheitert. Nun soll die neue Ministerin hier bis zur Bundestagswahl ein bißchen gute Stimmung machen.
({1})
Nur, Frau Hasselfeldt, gute Stimmung reicht nicht. Die Leute wollen jetzt Taten sehen.
Sie haben mit starken Ankündigungen angefangen. Eine Million neue Wohnungen bis 1992. Eine Million, richtig, so viele Wohnungen wären notwendig. Aber, es ist doch ziemlich kühn, mit solchen Ankündigungen das Scheitern Ihrer Wohnungspolitik übermalen zu wollen. Wer soll denn diese neuen Wohnungen, diese eine Million in drei Jahren bauen? Frau Ministerin, ich habe gelesen, Sie haben Volkswirtschaft studiert. Im letzten Jahr wurden 208 000 Neubauwohnungen fertiggestellt. Eine Million in drei Jahren heißt eine Steigerung der Produktion um 50 bis 60 %. Nennen Sie mir eine deutsche Branche, die in zwei Jahren ihre Produktion um 50 bis 60 % steigern könnte. Dies sind doch Phantasiezahlen, die Sie hier ankündigen.
({2})
- Ich bestreite nicht, daß 1 Million Wohnungen notwendig sind. Wir wollen mit Ihnen, daß mehr Wohnungen gebaut werden.
({3})
- Wir wollen mehr Sozialmietwohnungen. Das wissen Sie genau. Nur, mit solchen Ankündigungen weisen Sie sich nicht als sehr seriös aus; denn jetzt werden erst einmal die Preise steigen. Nachdem unter Oscar Schneider vor allem die Mieten gestiegen sind, werden nun unter Frau Hasselfeldt die Baupreise explodieren. Das wird das erste Ergebnis ihrer Wohnungspolitik sein.
({4})
Wir wollen Ihnen gerne helfen, damit mehr Wohnungen gebaut werden, vor allem mehr Sozialmietwohnungen. Aber machen Sie nicht noch einmal so unseriöse Ankündigungen. Sonst nimmt Sie bald niemand mehr ernst.
({5})
Auf kurze Sicht wird der Neubau von Wohnungen die von Ihnen verschuldete Wohnungsknappheit nicht beseitigen. Deswegen kommt es darauf an, der Wohnungspolitik ein zweites Bein zu geben, das heißt eine Bestandspolitik zu machen, damit nicht dauernd preiswerte Wohnungen vom Markt verschwinden. Frau Ministerin, es ist wahnsinnig schwer, hunderttausend Wohnungen im Jahr zusätzlich zu bauen. Das werden Sie merken. Aber hunderttausend preiswerte Wohnungen am Markt zu erhalten, ist leichter und vor allem viel billiger. Deswegen unsere dringende Bitte
- es geht nicht um recht haben, es geht um die Menschen, die eine Wohnung brauchen - : Setzen Sie
nicht allein auf die Neubaupolitik, sondern kümmern Sie sich um eine kluge, soziale, verläßliche Politik in den Wohnungsbeständen! Damit werden Sie den Menschen helfen.
({6})
Was Sie zum Sozialmietwohnungsbau angekündigt haben, hat uns nicht vom Stuhl gerissen. Ich habe die Sorge, daß Sie die Fehler, die wir gemeinsam in den letzten Jahrzehnten im Sozialwohnungsbau gemacht haben, nicht korrigieren, sondern fortsetzen. Wir brauchen eine neue Qualität im Sozialwohnungsbau, eine neue Förderung, die die Bindungen langfristig sichert. Wir brauchen eine neue soziale Qualität, nicht diese Einheitswohnungen für eine Standardfamilie, die es so kaum mehr gibt. Wir brauchen eine neue ökologische Qualität. Das hat Frau Kollegin Teubner hier dargelegt. Versteifen Sie sich deshalb nicht auf die Quantitäten, sondern bemühen Sie sich um eine neue Qualität im Sozialen Wohnungsbau.
Nun will ich in der mir verbleibenden Zeit noch etwas über die Bundesbauten sagen. Denn da brummt es in Bonn und in den Zeitungen, Frau Ministerin. Niemand wird Sie für die Fehler Ihres Vorgängers verantwortlich machen. Das wäre unfair.
({7})
- Ich drücke mich auch nicht. Ich sage bloß, es wäre unfair, die Frau Ministerin für Fehler Ihres Vorgängers verantwortlich zu machen.
Oscar Schneider hat das Bauvolumen dieser Bundesregierung in vier Jahren um mehr als 50 % gesteigert: bei gleichbleibendem Personal der Bundesbauverwaltung. Das konnte nur schiefgehen. Die Bauverwaltung ist total überfordert. Man kann nicht in vier Jahren die Neubauzahlen so hochtreiben, wie der Minister das gemacht hat. Er wollte der größte Bauherr aller Bauminister sein, man müßte schon fast sagen: der Gröbab. Aber da ist er gescheitert.
({8})
Der Eindruck in der Öffentlichkeit ist nicht gut. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zum Gästehaus am Petersberg ist eine Katastrophe für die Bauverwaltung. Frau Minister, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Ich meine, Sie müßten Ihrer Bauverwaltung abgewöhnen, Ihnen, der Bundesregierung und uns nach unten frisierte Kostenvoranschläge zu geben. Ich sage das als ehemaliger Baubeamter. Ich weiß, wovon ich rede. Damit bekommt man nur Arger. Ein Baubeamter ist unkündbar. Er wird unter anderem dafür bezahlt, daß er der Ministerin sagt: Frau Ministerin, dieser Bau kostet soundsoviel. Wenn Sie oder der Haushaltsausschuß das billiger haben wollen, dann gibt es weniger Bau. Dann müssen Sie das Programm kürzen, nicht die Kostenvoranschläge. Das geht nicht. Wenn man das gleiche Programm bauen will und nur die KostenConradi
voranschläge zusammenstreicht, kommt man nicht gut weg.
({9})
Das hat Ihnen der Rechnungshof nun wirklich vorgerechnet. Es steht zu befürchten, daß bei den Bundestagsneubauten nach derselben Methode verfahren wird. Deswegen: Kürzen Sie nicht einfach mechanisch herunter!
Ich habe den Eindruck, die Spitze Ihrer Bauverwaltung hat sich durch eigenes Verschulden in einem Gestrüpp selbstgestrickter Vorschriften und Regelungen fast bis zur Unbeweglichkeit gefesselt. Wenn Sie, Frau Ministerin, dieses Gestrüpp lichten wollen, wollen wir Ihnen gerne dabei helfen. Ich will hier nicht auspacken, was wir so alles über verzögerte Ausschreibungen, verfummelte Vergaben oder vergessene Genehmigungen hören. Aber die wechselseitigen Schuldzuweisungen von der Bauverwaltung an die Architekten und umgekehrt sind kein Beweis für ein partnerschaftliches, vertrauensvolles Zusammenarbeiten. Viele Architekten, die für den Bund arbeiten, beklagen sich über das schlechte Klima, über bürokratische Enge, über Mißtrauen. Die Architekten weisen zu Recht darauf hin, daß sie für andere Bauherren, auch für andere öffentliche Bauherren seit Jahrzehnten erfolgreich und im Rahmen der Zeit- und Kostenpläne arbeiten.
({10})
- Das Olympia-Dach ist ein anderer Fall.
({11})
Ich kann Ihnen auch von unseren Architekten Beispiele nennen, wo sie erfolgreich und im Rahmen der Zeit- und Kostenlimits gearbeitet haben. Wenn das beim Bund nicht klappt, Frau Ministerin, dann stellt sich die Frage: Liegt das nur an den Architekten, oder liegt es auch an uns? Stimmt es, daß Sie in den vier Monaten Ihrer bisherigen Amtszeit nicht die Zeit für ein vertrauensvolles, gründliches Gespräch mit den beiden Architekten gefunden haben? Das ist doch die wichtigste Bauaufgabe Ihres Hauses. Sie sollten sich darum kümmern. Sie sollten das Mißtrauen ausräumen. Sie sollten dafür sorgen, daß diese schöne und wichtige Aufgabe, für das Parlament zu bauen, nicht im bürokratischen Kleinkrieg erstickt wird.
Die Architekten geben sich Mühe, etwas Gutes, etwas Besonderes für uns zu bauen. Es ist nicht ein Finanzamt, das hier gebaut wird. Zeigen Sie, Frau Ministerin, daß Demokratie kein schlechter Bauherr ist. Wir wollen Sie dabei gern unterstützen. Aber handeln müssen Sie schon selbst,
({12})
- Wenn Sie alles so weiterlaufen lassen wie bisher, dann werden Sie nicht nur in der Wohnungspolitik, sondern auch als Bauministerin scheitern. Wir wünschen Ihnen das nicht. Denn wenn Sie als Bauministerin an dieser Sache scheitern, fällt das auf uns alle, auf das ganze Parlament zurück. Daran kann niemand
von uns ein Interesse haben. Deswegen bitte ich Sie dringend, kümmern Sie sich um diese wichtigste Bauaufgabe des Bundes!
({13})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überleitung vom Bauen zur Bildung war natürlich etwas abrupt. Aber wir werden die Brücke schon schlagen.
({0})
In der letzten Haushaltsdebatte habe ich der Regierungskoalition bestätigt, daß es 1989 erstmals einen Silberstreifen am bisher grauen Bildungshorizont gab. Lassen Sie uns heute untersuchen, wie es mit diesem Silberstreifen im Bildungshaushalt steht. Schließlich sind sich Bildungspolitiker aller Fraktionen darin einig, daß in die Bildungspolitik wieder deutlich mehr investiert werden muß.
Das Prinzip Hoffnung hat einen hohen Stellenwert, kündigte doch Bildungsminister Möllemann im Frühjahr dieses Jahres an, die Bildungsausgaben des Bundes müßten um 20 To steigen. Von einem zweiten Bund-Länder-Sonderprogramm ist die Rede. Auch vom Wolfgangsee kam frohe Kunde. Dort erklärte der Bundeskanzler in einem Interview während einer Dampferfahrt, die Probleme der Hochschulen würden durch diese Bundesregierung gelöst.
({1})
Nach diesen kraftvollen Ankündigungen sind die Erwartungen entsprechend hoch. Lassen Sie uns heute untersuchen, ob der vorgelegte Haushalt diesen gerecht wird.
Positiv ist festzustellen: Der Bildungsetat wird erhöht.
({2})
Zum ersten Mal seit 1982 wird wieder die Grenze von 4 Milliarden DM überschritten.
({3})
Die Steigerung um gut 8,7 % liegt diesmal auch deutlich über der Steigerung des Bundeshaushalts insgesamt. Leider liegt sie genauso deutlich unter der vom Bildungsminister selbst propagierten Steigerung um 20 %. Dabei entspräche eine Steigerung um 20 % genau der Schrumpfung des Bildungshaushalts in der Zeit bis zum Jahr 1988 um insgesamt 1 Milliarde DM.
({4})
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß uns angesichts dieser Sachlage eine große Danksagung für die jetzt mehr eingesetzten 300 Millionen DM fast im Halse stecken bleibt.
Mit Ihrer so lautstark gefeierten Steigerung erreichen Sie noch nicht einmal das Volumen des Bildungshaushalts im Jahr 1982 in Höhe von knapp 4,5 Milliarden DM. Der Anteil am Bundeshaushalt
insgesamt beträgt etwas mehr als 1,3 %. Im Jahr 1982 waren es immerhin 1,8 %.
Wir haben also eine bildungspolitische Entwicklung, die von der Entwicklung vor acht Jahren weit entfernt ist. Wenn auch trotz der ungeheuren Etatkürzungen formal alle Aufgaben weiterhin wahrgenommen werden - mit einzelnen Verschiebeaktionen wie z. B. beim Benachteiligtenprogramm - , so ist doch klar, daß Löcherstopfen auf Dauer keine weitreichende, verantwortungsvolle Bildungspolitik ersetzen kann.
Wenn ich die Mittel, die jetzt für dringend notwendige Sonder-, Sofort- und Aktionsprogramme veranschlagt werden, addiere seien es Verbesserungen beim BAföG, bei Hochschulen, bei der beruflichen Bildung oder bei der Weiterbildung - , so ergibt sich unter dem Strich die Summe, die ein Bildungshaushalt bei der durchschnittlichen Steigerungsrate des Gesamthaushalts seit 1982 ausweisen müßte. Meine Damen und Herren, ich meine, es gehört zur Redlichkeit, dies bei der Beurteilung von Silberstreifen mitanzusprechen.
({5})
Auch in der Regierungskoalition hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich die Bedeutung von Bildung, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung fortentwickelt hat. Die Erwartungen an Bildungspolitik können über einen Haushalt nicht gekürzt werden. Der ständig gekürzte Bildungshaushalt konnte diese Erwartungen allerdings nicht erfüllen.
Bevor Bildungspolitik nur noch zur leeren Hülse wurde, haben die Betroffenen ihre bildungspolitischen Erwartungen und Ansprüche geltend gemacht. Hier möchte ich anerkennen, daß Minister Möllemann diese Ansprüche aufgegriffen hat und daß er sich dafür einsetzt, den gesellschaftlichen Bildungsbedarf haushaltspolitisch in der Regierung, der er angehört, umzusetzen.
Bildungspolitisch stehen wir jetzt vor der Aufgabe, Bildung wieder planbar und berechenbar zu gestalten. Der jetzt offen zutage tretende Bildungsnachholbedarf ist Konsequenz der Bildungsreformen der 60er und 70er Jahre. Die Bildungsreformen waren wirkungsvoll, sogar so wirkungsvoll, daß auch der gezielte Abbau des Bildungsetats - vor allem im BAföG -- die Auswirkungen der Bildungsreformen nicht abbrechen konnte. Sie waren so wirkungsvoll, daß auch die Verhinderung von Bildungsplanung die Bildungsentwicklung nicht aufgehalten hat.
Rückgängig machen können wir die bildungspolitischen und haushaltspolitischen Lücken nicht. Wir müssen jetzt aber entscheiden, welchen politischen Stellenwert für die Lebens- und Berufschancen des einzelnen Menschen wie auch für die Stabilität und Vitalität der Gesellschaft insgesamt Bildung, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung haben. Wenn wir uns darauf einigen, Bildung als eine wichtige Quelle unseres wirtschaftlichen Wohlstandes zu sehen, müssen wir uns darauf einrichten, für diese Zukunftsinvestition deutlich mehr als die heute als
Erfolg gefeierten 1,3 % des Bundeshaushalts auszugeben.
({6})
Der vorliegende Bildungshaushalt mit 4 Milliarden DM kann seine bildungspolitische Aufgabe demnach nicht erfüllen.
Wo sollen die Schwerpunkte der Beurteilung gesetzt werden? Für die SPD sind vorrangig: Hochschulen, BAföG, die Qualität der beruflichen Bildung und Weiterbildung und natürlich die Frage, wie Frauen endlich im gesamten Bildungsbereich den Männern gleichgestellt werden.
({7})
Lassen Sie mich die einzelnen Punkte ansprechen. Die Hochschulen werden zu Beginn dieses Wintersemesters nicht viel besser dastehen als im letzten Herbst. Das Bund-Länder-Sonderprogramm ist ein erster Schritt. Es kann jedoch die strukturellen Probleme der Hochschulen nicht lösen. Auch in diesem Herbst werden wieder 1,5 Millionen junge Menschen an den Hochschulen studieren. Der Bildungsminister - stark in Ankündigungen - verspricht seit Monaten,
({8})
er wolle den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, um die personelle Situation an den Hochschulen längerfristig zu lösen. Kraftvoll äußerte er sich zum Bedarf für den Hochschulbau. Er möchte, daß die Studentenwerke alle Studierenden gut betreuen können, daß die Studierenden ein Dach über dem Kopf haben - kein Zelt. Nur, in seinem Haushalt finden wir dazu wenig bis gar nichts. Die Enttäuschten tröstet er mit der Aussicht auf ein zweites Sonderprogramm. Anscheinend weiß nur der Finanzminister Waigel nichts davon.
({9})
Die Mittel für die Promotionsförderung und die Förderung des hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses wurden gekürzt. Für den Hochschulbau konnte Minister Möllemann nur 100 Millionen DM durchsetzen statt der notwendigen Erhöhung von 300 Millionen DM.
Für Forschung an Fachhochschulen stehen im Haushalt keine Fördermittel zur Verfügung, obwohl sie von allen Seiten als notwendig anerkannt ist. Obwohl ebenfalls allseitig beklagt wird, daß junge Frauen in der Wissenschaft gegenüber den jungen Männern zu kurz kommen, gibt es keine Anstrengungen, über den Bildungshaushalt die Gleichstellung junger Wissenschaftlerinnen voranzubringen.
Es bestehen also große Diskrepanzen zwischen Ministerankündigung und Haushaltsrealität.
Damit hier keine Zweifel aufkommen: Wir haben nichts gegen ein zweites Sonderprogramm. Sonderprogramme sind zur Überbrückung von Engpässen notwendig. Wir begrüßen ausdrücklich alle Anstrengungen des Bundes und der Länder, die zu sinnvollen Lösungen für die seit Jahren überlasteten Universitäten und Hochschulen führen.
Zwei Dinge sind dabei wichtig: Erstens. Sie müssen planbar und berechenbar sein. Zweitens. Sie dürfen nicht dazu führen, von der Notwendigkeit abzulenken, ein wirksames, langfristiges Konzept zu entwikkeln, das unsere Hochschulen in die Lage versetzt, ihren Teil dazu beizutragen, die sich unserer Gesellschaft stellenden drängenden Zukunftsprobleme zu lösen. Wenn wir zu der Einsicht gekommen sind, daß wir ein ökologisches Umdenken unserer Gesellschaft, einen ökologischen Umbau unserer Wirtschaft brauchen, um zu überleben, müssen wir unsere Hochschulen in die Lage versetzen, auf diesem Weg vorauszugehen, und dürfen nicht riskieren, daß sie dabei auf Krücken hinterherhumpeln.
({10})
Im letzten Jahr hat die SPD-Fraktion das vom Bildungsminister vorab angekündigte Hochschulsonderprogramm als Haushaltsantrag einbringen müssen. Die Ankündigung war gewaltig, das Verfahren peinlich. Ein Dacapo scheint geplant zu sein mit der Formel „Zweites Sonderprogramm". Warten Sie etwa wieder auf unseren Antrag, um dann wieder Ihr Etikett „Echt Möllemann" drüberzupappen?
({11})
Die SPD im Bund und in den Ländern tritt mit Nachdruck dafür ein, daß die finanzielle Ausstattung der Hochschulen dauerhaft gesichert wird und der qualifizierte Ausbau und auch der Umbau der Hochschulen für die Aufgaben des nächsten Jahrhunderts ermöglicht werden. Dazu gehören in den nächsten Jahren viele zusätzliche Stellen. Das Bund-Länder-Sonderprogramm vom März 1989 muß in den nächsten vier Jahren ganz erheblich ausgebaut und erweitert werden, um die Leistungsfähigkeit der Hochschulen, insbesondere im Hinblick auf den europäischen Markt, zu verbessern, um der Lehre in den Hochschulen neue Impulse zu geben, um bessere Qualifikationsmöglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen und somit die Personalentwicklung zu verstetigen, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen in den Hochschulen zu erhöhen, um die Möglichkeit der Fachhochschulen zu verbessern, Forschungs- und Entwicklungsaufgaben in ihrem Bereich zu übernehmen.
({12})
Gestern hat Herr Weng seinem FDP-Kollegen Möllemann für die Hochschulleistungen des Bundes Dank abgestattet. Als guter Haushälter hätte er ihn gleichzeitig ermahnen müssen, seine Schulden zu bezahlen, d. h. die bis heute von den Ländern geleisteten Vorfinanzierungen, bei denen der Bund inzwischen mit etwa einer halben Milliarde Mark in Verzug ist, endlich auszugleichen.
({13})
Es fördert die Bereitschaft zu weiteren Anstrengungen nicht, Herr Minister, wenn der, der lautstark zum Handeln auffordert, die eigenen Leistungen schuldig bleibt.
Es gibt vieles, bei dem der Bund vorangehen kann; die SPD hat dazu eigene Vorstellungen entwickelt. Dazu gehört, die Ausgaben des Bundes für die Förderprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu erhöhen - das tun Sie - und für die Förderung von Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen ein besonderes Programm zu entwickeln; das fehlt. Da die Studierenden nicht nur einen Platz zum Studieren, sondern auch einen Platz zum Wohnen und Leben brauchen, müssen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus auch der Wohnraumbau far Studenten sowie die Instandsetzung von Studentenwohnheimen angemessen berücksichtigt werden.
({14})
Das ist auf Dauer wirkungsvoller, Herr Möllemann, als wenn der Minister auf Ideenklau geht und eine Aktion „Budentausch" als einzige Alternative anbietet.
({15})
Daß endlich Bewegung beim BAföG entstanden ist, kam weniger aus eigener Einsicht der Bundesregierung, sondern auf massiven Druck von außen.
({16})
Es hat lange gedauert, bis die Vorschläge des BAföG-Beirats, die von der SPD seit 1982 Jahr für Jahr gefordert werden, in einen Referentenentwurf des Bildungsministeriums umgesetzt wurden. Eine wirkliche Reform ergibt das nicht, weil die Schülerförderung wieder auf der Strecke bleiben soll. Dabei hat der BAföG-Beirat in seinem Bericht ausführlich dargelegt, daß es Chancengleichheit in der Bildung nur gibt, wenn alle die Chance haben, die Schule bis zur allgemeinen Hochschulreife zu besuchen,
({17})
auch dann, wenn die Familie es aus eigener Kraft nicht schafft. Dafür wurde die Ausbildungsförderung geschaffen. Für die SPD gibt es keine BAföG-Reform ohne Schülerförderung.
({18})
Was Sie als Reform anbieten, Herr Möllemann, ist Etikettenschwindel.
({19})
Es geht heute nicht mehr, daß Studierende mit Kindern zwischen Studium oder Kindern wählen müssen. Wir sind ja auch sehr familienfreundlich. Deshalb treten wir dafür ein, bei der Ausbildungsförderung Kindererziehungszeiten im Studium zu berücksichtigen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Studium, von Familie und Beruf führt mich ganz zwangsläufig zum nächsten Thema, der Chancengleichheit von Frauen in der Bildung.
Für Wissenschaftlerinnen gibt es Gleichstellung leider noch immer nur auf dem Papier. Für Wissenschaftsprojekte, die Frauen zur Förderung beantragen, gibt es allerhöchstens ein paar Alibimittel, bis heute kaum bezifferbar. Qualifizierte Frauen erhalten nur selten eine feste Anstellung als Wissenschaftlerin
oder gar Professorin oder in meist staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen. Die meisten arbeiten nach Promotion oder Habilitation auf befristeten Stellen und müssen sich von Projekt zu Projekt hangeln, um existieren zu können.
Das Einkommen ist unsicher. Viele qualifizierte Wissenschaftlerinnen haben mittlerweile bei der Hangelpartie resigniert, oft das 40. oder gar 50. Lebensjahr überschritten. Dann steht ihrer festen Anstellung die Altersgrenze im öffentlichen Dienst entgegen. Ich bin der Meinung, daß uns eine Lösung für diese Frauen einfallen muß.
({20})
In vergleichbarer Lage, wenn auch auf einem anderen Teil der Bildungsskala, sind die jungen Frauen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen sind. Sie stellten den Anteil von stolzen 60 % derer, die bis heute in vielen Jahren seit 1982 keine Berufsausbildung bekommen konnten. Wir haben also ganze Jahrgänge von Frauen, die ohne Qualifizierung, ohne abgeschlossene Ausbildung arbeiten gegangen sind und oft, was den Beruf betrifft, resignierten. Sie sind heute zu alt, um ihre Erstausbildung noch nachzuholen. Sie sind nicht qualifiziert, so daß sie in kein Weiterbildungsangebot für Berufstätige passen.
Wir sprechen viel von der Qualität der Ausbildung, die für die Zukunft gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch notwendig und entscheidend ist. Hier gibt es eine Gruppe, noch nicht einmal - meine Herren, hören Sie einmal sehr aufmerksam zu - eine Minderheit, die keine Aussicht auf Zukunft hat. Für sie wird der rote Teppich für Ausbildungsplatzsuchende eben nicht ausgerollt. Sie sind Altbewerberinnen. Auch dem Bildungsminister ist in seinem Haushalt dazu nichts eingefallen.
Auf eine weitere Gruppe von Frauen möchte ich aufmerksam machen, auf Frauen, die aus anderen Ländern als Aus- oder Übersiedlerinnen zu uns kommen. Sie haben meist eine für diese Länder hochqualifizierte Ausbildung, oft im gewerblich-technischen Bereich. Diesen Frauen muß die Möglichkeit eingeräumt werden, eine ihre Ausbildung ergänzende Qualifizierung zu erhalten, um ihnen den Übergang in ihren Beruf nach unseren Maßstäben zu ermöglichen.
({21})
Noch ein Argument, um hier tätig zu werden: Die Bundesanstalt für Arbeit sieht in den Frauen ein großes Potential für die Besetzung qualifizierter Stellen in der Wirtschaft. Etwa 150 000 Frauen bilden die Reserve für eine Nachqualifizierung. Auch hier ist der Bildungsminister gefordert, nicht nur seinen Haushaltsansatz zu überprüfen, sondern auch mit eigener Kreativität seines Hauses voranzugehen.
Weiterbildung hat einen hohen Stellenwert. Es wird inzwischen viel weitergebildet. Es wird an ebenso vielen Stellen weitergebildet. Zuständig fühlt sich jeder, nur der Bildungsminister nicht. Hier zeigt er sich als Minister in der Beschränkung. Er beschränkt sich auf die Konzertierte Aktion Weiterbildung, die er ins Leben gerufen hat, und verweist im übrigen auf den freien Markt.
Mit seiner Aktion wurden Wünsche und Hoffnungen geweckt. Der Haushaltsansatz ist nur um eine Million DM erhöht worden und wird den Erwartungen sicher nicht gerecht. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der gestaltenden Rolle der Bildungspolitik. Wenn man sich einig ist, daß Qualifizierung den Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bildet und für die Gestaltung der Zukunft wichtig ist, kann man sich einem geplanten Aufbau von Weiterbildung nicht entziehen. Der gesellschaftliche und individuelle Weiterbildungsbedarf läßt sich nicht ausschließlich von den Anforderungen des technischen Wandels, von kurzfristigen Interessen der Wirtschaft und von den Auswirkungen des internationalen Wettbewerbs her definieren.
({22})
Die politische Bildung, die allgemeine und kulturelle Bildung, die Bemühungen um die Integration verschiedener Bildungsbereiche sowie von der Entfaltung der Persönlichkeit her bestimmte Weiterbildungsbedürfnisse dürfen nicht ins Hintertreffen geraten. Die SPD hält hier eine stärkere Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung für unverzichtbar. Der angestrebte hohe Standard der beruflichen Bildung muß auch für die qualitativen Ansprüche an die Weiterbildung gelten. Die Chance zur Weiterbildung und die Nutzung der Weiterbildungsangebote müssen allen offenstehen, und ihre Finanzierung muß gesichert sein.
({23})
Ich habe nur einige Punkte herausgegriffen, um die Defizite des vorgelegten Bildungshaushalts aufzuzeigen und die Vorstellungen der Sozialdemokraten darzulegen. Wir sind nach meiner Auffassung an einem Punkt, an dem der schönen Worte für die Bildung genug gewechselt sind. Wenn wir uns einig sind, daß wir Bildung, und zwar qualifizierte Bildung, in allen gesellschaftlichen Bereichen als eine lohnende Investition in die Zukunft betrachten, müssen wir diese Investition auch leisten, dürfen nicht planlos mit Sonderprogrammen und Aktionen Löcher stopfen.
({24})
Eine Entscheidung für qualifizierte Bildung heißt, eine Entscheidung für Bildungsplanung zu treffen, und das ist es, was Minister Möllemann außer dem Geld fehlt. Sein Haushaltsentwurf zeigt, daß er sich für die Bildung als Zukunftsinvestition nicht durchsetzen konnte.
({25})
Dies ist eine gefährliche Entwicklung für unsere Gesellschaft, deren Zukunftsaufgaben von jungen Menschen gelöst werden sollen, die heute von unserem Bildungswesen darauf vorbereitet werden müssen.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verantwortungsvolle Bildungspolitik ist auf die Sicherung und weitere Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generation ausgerichtet. Sie hat einerseits die Fähigkeiten und Begabungen des einzelnen zu unterstützen und sich andererseits am differenzierten Qualifikationsbedarf unserer Gesellschaft zu orientieren.
({0})
Investitionen in die Qualität von Bildung und Ausbildung, von Wissenschaft und Forschung sind Zukunftsinvestitionen - als solche müssen wir sie behandeln - für jeden einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt.
Wie Frau Odendahl lobend erwähnte, trägt der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft diesem Grundgedanken Rechnung, und zwar sowohl in seiner generellen Schwerpunktsetzung als auch in der Höhe der jeweiligen Ansätze. Die Bildungsausgaben betragen jetzt mehr als 4 Milliarden DM. Besonders zu beachten ist die Steigerungsrate gegenüber dem Jahr 1989. Während der Gesamthaushalt um 3,4 % zunimmt, steigt der Bildungsetat um 8,8 %.
({1})
Das ist insbesondere deshalb so bemerkenswert, da der Bund auf dem Gebiet der Bildung nur sehr eingeschränkte Kompetenzen besitzt. Wie dieser Haushalt beweist, versucht er aber, diese voll auszuschöpfen. Meines Erachtens ist diese Investition für unsere jungen Menschen notwendig und voll gerechtfertigt.
({2})
Ohnehin - wir wissen es - wird der Bund meist verantwortlich gemacht, wenn es im Bildungs- und Ausbildungssystem etwas hakt. Manchmal trifft die Kritik einen Falschen. Aber um ehrlich zu sein, Herr Minister Möllemann: Manchmal tragen auch wir oder tragen auch Sie dazu bei, daß die Pfeile auf Sie gezogen werden. Sie machen zusätzliche Angebote an die Länder und versuchen so, indirekt den Spielraum etwas zu erweitern. Von daher gibt es hier manchmal einige Probleme.
({3})
- Ich als Föderalistin und als Bayerin habe versucht, dies sehr vornehm zu umkleiden. Ich glaube, Sie haben es gemerkt.
({4})
Die Probleme und auch die Lösungsansätze im Bildungsbereich haben sich in den letzten Jahren ganz entscheidend verändert. Spielten früher Fragen des Lehrstellenmangels und damit z. B. auch Eingliederungsmaßnahmen zugunsten benachteiligter Jugendlicher eine ganz entscheidende Rolle, so stehen wir heute vor anderen Fragen, z. B. denen einer weiteren Qualifizierung der beruflichen Bildung und der Förderung besonders Befähigter. Erstmals soll in diesem
Haushalt überprüft werden, ob nicht analog der Begabtenförderung im Hochschulbereich eine derartige Förderung auch im beruflichen Bildungswesen stattfinden soll. Das haben Sie meines Erachtens vergessen zu erwähnen, Frau Odendahl. Die Mittel zur Erforschung, wie Leistung und Begabung in der Berufsbildung gefördert werden könnten, halte ich für sehr gut angelegt und für einen ganz neuen Akzent in diesem Haushalt. Auch die Steigerung des Austausch- und Stipendienprogramms im Bereich der beruflichen Bildung halte ich insbesondere im Hinblick auf den Binnenmarkt für besonders notwendig.
({5})
- Frau Odendahl, ich möchte ganz gerne, weil ich Herrn Daweke nicht allzuviel Zeit wegnehmen möchte, versuchen, das im Zusammenhang zu machen.
({6})
- Jetzt nehmen Sie mir die Zeit weg, indem Sie diese Zwischenrufe machen.
Aber auch die Fortsetzung der Modellprogramme
- ich darf hier beispielhaft die Entwicklung neuer Qualifikationsstrukturen nennen, Nachqualifizierung, Verbesserung der Ausbildung und Fortbildung des Personals, also derjenigen, die Ausbildung und berufliche Weiterbildung vermitteln, aber auch die Einbeziehung derjenigen, die weniger leistungsfähig sind, der Behinderten oder die Erweiterung des Berufsspektrums für Frauen - ist nach wie vor wichtig, und wir unterstützen sie.
Über die Notwendigkeit der Förderung von Investitionen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten bräuchte ich eigentlich kein Wort zu verlieren. Wir alle wissen, daß durch sie die Berufsbildungsqualität gerade in den kleinen und mittleren Betrieben von Handwerk und Industrie gesichert wird. Dieser Haushaltstitel trägt diesem Gedanken Rechnung. Es werden Zuschüsse für laufende Zwecke und für Investitionen gegeben, um eine Anpassung der überbetrieblichen Ausbildung an die neuere technologische Entwicklung zu garantieren.
({7})
Der wachsenden Bedeutung der Weiterbildung wird auch in diesem Haushalt Rechnung getragen. Die Steigerung der Mittel für Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung beträgt gegenüber 1989 5,3 %. Wir haben dafür 20 Millionen DM eingesetzt. Damit wird deutlich, daß wir die vierte Säule des Bildungswesens ausbauen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt dieses Bildungshaushalts ist die Ausbildungsförderung generell, das bekannte BAföG. Ich war etwas erstaunt, daß von Frau Odendahl heute nicht allzuviel Kritik in diesem Bereich gekommen ist.
({8})
Wir wissen ja, daß wir uns über das BAföG nie einigen
werden. Ich darf hervorheben, daß die Leistungen des
BAföG um 10,2 % gesteigert sind. Diese Steigerung ist
nicht nur durch die regelmäßige Anpassung der Bedarfssätze und Einkommensfreibeträge, sondern auch durch strukturelle Verbesserungen verursacht. Sie wissen, dies betrifft die Einbeziehung der mittleren Einkommen, die Abschlußförderung und die Anhebung des Krankenversicherungszuschusses. Dies sind wichtige Aspekte, die neu aufgenommen worden sind.
Einigkeit hoffe ich in den Diskussionen im Bereich der allgemeinen Studienförderung, der Studienförderungswerke und auch der Promotionsförderung zu erreichen. Ich denke, wir wissen, wie wichtig die Förderung eines qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses ist, gerade weil wir ein differenziertes Netzwerk von Nachwuchsförderungsprogrammen entwikkelt haben. Da bin ich etwas anderer Ansicht als Sie, Frau Odendahl, die Sie dies heruntergespielt haben. Wir haben dieses Nachwuchsförderungsprogramm sehr weit ausgebaut. Ich erinnere an das Heisenberg-Programm und die Post-Doktorandenprogramme. Wir brauchen dafür eine breite Förderung im Bereich der Promotionen, um Habilitationen überhaupt möglich zu machen.
({9})
- Ich stelle ja gerade fest, daß wir hier vielleicht etwas verstärken müssen.
({10})
Ich meine auch, die Errichtung der Graduierten-Kollegs, für die in diesem Haushalt 10 Millionen DM angesetzt sind, ist kein Ersatz für die auszubauende Promotionsförderung.
({11})
In der Nachwuchsförderung sehe ich trotz des enormen Mitteleinsatzes, den wir geleistet haben, ein Defizit, wenn es in den Bereich geht, den Sie, Frau Odendahl, angesprochen haben, nämlich in bezug auf die Frauen. Wir wissen, daß etwa 20 % Frauen promovieren, sich aber nur 7 % habilitieren. Da ist eine Lücke. Ich meine, hier könnten wir nachfragen, ob wir die Habilitationsförderungsmittel gezielt auch für Frauen bereitstellen. Professorinnen fallen nicht vom Himmel; da müssen wir schauen, daß wir Habilitantinnen bekommen. Vielleicht können wir nachfragen, ob ein gezieltes Programm gerade für diejenigen angesetzt werden könnte, die aus familiären Gründen nach der Promotion aussteigen oder sich in einen anderen Beruf, der ihnen sicherer erscheint, ich sage einmal: geflüchtet haben. Da haben wir sicherlich einiges, wo wir noch einsteigen können. Eigentlich gehört es nicht zur Rolle einer Haushälterin, dies zu sagen, aber ich konnte mir diese Bemerkungen nicht verkneifen.
({12})
Ich denke, auch vom Haushaltsausschuß her darf man Akzente setzen.
Forschungsförderung - ich habe es ausgedrückt - ist ein ins Auge fallender Schwerpunkt dieses Haushalts. Neben dem Sonderprogramm, das extra ausgewiesen ist, haben wir eine enorme Erhöhung der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft
auf knapp 640 Millionen DM. Dies entspricht einer Steigerungsrate von 5 %.
Gemeinsam sollen wir uns überlegen - da knüpfe ich an das an, was Sie, Frau Odendahl, gesagt haben - , welchen Stellenwert anwendungsbezogene Forschung der Fachhochschulen in Zukunft haben wird. Sie ist jedenfalls bisher nicht gesondert ausgewiesen, müßte aber ihren Platz entweder innerhalb oder außerhalb der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft finden.
Mittel des Hochschulbaus - dies ist erwähnt worden - wurden auf 1,1 Milliarden DM erhöht, eine gewaltige Anstrengung, um auch den zukünftig noch hochbleibenden Zahlen der Studenten Rechnung zu tragen. Wir wissen aber alle, daß der räumliche Ausbau der Hochschulen allein die Überfüllung nicht löst. Es gibt zahlreiche andere Maßnahmen.
Ich meine, der Bund hat seine Pflicht in diesem Bereich erfüllt, hat seine Akzente gesetzt.
({13})
Es besteht jetzt auch die Frage, wie flexibel Universitätsverwaltungen sind, wie Hochschulverwaltungen hier einsteigen können, wie manche Kapazitäten besser genutzt werden können, wie manche Studien- und Prüfungsordnungen verändert werden können. Man soll also nicht alles auf den Bund beziehen, sondern soll einmal nachfragen, zu welchen Einzelleistungen auch andere noch fähig sind.
({14})
Förderung der Studentenwohnungen ist nicht Gegenstand unseres Haushaltes.
Ich denke, alle die Bereiche, die wir von unserer Aufgabenstellung als Bund durch das Grundgesetz zugewiesen bekommen haben, sind in diesem Haushalt ausgewiesen, sind ausgefüllt. Ich denke, daß der Haushalt in sich ausgewogen ist und durch kleine Veränderungen noch verbessert werden kann. Ich erwarte dann Ihre Zustimmung dazu.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wetzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In wichtigen Grundsatzfragen bestehen bekanntlich erhebliche Gegensätze zwischen dieser Bundesregierung und der Mehrheit der Bevölkerung. So geht dieser Haushaltsentwurf der Bundesregierung völlig daran vorbei, daß eine große Mehrheit der Bevölkerung ausdrücklich den ökologischen Umbau dieser Industriegesellschaft will. Die Menschen erwarten und fordern von der Regierung, daß sie für diesen Umbau die erforderlichen finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen schafft. Das ist Zukunftsaufgabe Nummer eins.
Der ökologische Umbau dieser Industriegesellschaft muß natürlich den Umbau und Ausbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems mit einschließen.
({0})
Nur wenn ökologische Überlebensfragen in die breite Bildung der Gesellschaft und in die Tiefe der Wissenschaften eindringen können, nur dann werden wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unserer historischen Aufgabe als Bildungs- und Wissenschaftspolitiker gerecht.
Wenn dies die Meßlatte ist, Herr Möllemann, an der auch Ihre Politik und Ihr Haushalt zu messen sind, dann wird Sie meine Antwort nicht überraschen: Eine Konzeption für den zeitgemäßen und problemgerechten Umbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems ist bei Ihnen nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. Quantitativ gesehen sind die haushaltspolitischen Ansätze für einen Ausbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems völlig unzureichend.
({1})
Um nur einige der drängendsten Haushaltsprobleme anzusprechen, frage ich Sie, Herr Möllemann:
Erstens. Wo bleibt das große Bund-Länder-Sonderprogramm zur beruflichen Ausbildungsförderung?
({2})
Es ist doch ein Skandal: 1,5 Millionen Menschen, vor allem Frauen, die zwischen 1960 und 1969 geboren wurden, sind ohne Berufsausbildung geblieben. Wenn diese um ihre Berufsausbildung betrogene Generation im Jahr 2000 erst einmal 30 oder 40 Jahre alt ist, dann kann sich jeder an seiner Hand ausrechnen, welche Arbeitsmarktchancen diese Frauen und Männer dann haben werden.
Zweitens. Herr Möllemann, Ihr erstes Hochschulsonderprogramm ist gescheitert. Zwar rühmt Sie Ihr eigener Staatssekretär, daß Sie 11 000 Studienplätze geschaffen hätten. Aber an den Hochschulen fehlt wissenschaftliches Personal für die Betreuung von über 600 000 Studenten. Bei diesem Schneckentempo, Herr Möllemann, dürften Sie in etwa 50 Jahren mit dem Überlastproblem fertig geworden sein.
({3})
Unsere Kritik aus dem vorigen Jahr hat sich also bestätigt. Das Programm ist erstens quantitativ unzureichend und zweitens zu selektiv insbesondere auf die Bereiche der Informatik und der Betriebswirtschaftslehre zugeschnitten.
({4})
- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion, darf ich um etwas Ruhe bitten? - Es darf nicht so bleiben, daß große Teile der heutigen und der nächsten Studentengeneration um ein qualitativ angemessenes Studium gebracht werden. Deswegen meinen wir, daß Sie und die Landesminister, Herr Minister, schleunigst zu einer kritischen Revision des sogenannten Überlastprogramms schreiten müßten.
Drittens. Zwar begrüßen wir Ihre Ankündigung, sich für ein Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einzusetzen. Aber, Herr Minister, wo bleibt denn in Ihrem Haushalt Ihre Eigeninitiative? In Ihrem eigenen Haushalt, etwa bei der Studienförderung oder der Promotionsförderung, ist nicht die Spur einer verbesserten Nachwuchsförderung wiederzufinden.
({5})
Heute geht es um grundsätzliche Fragen, nicht um Einzelprobleme der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Ich könnte die Mängelliste dieses Haushalts natürlich stundenlang fortsetzen: weiterhin restriktive Politik auf dem Feld der Ausbildungsförderung, unzureichende Mittel im Bereich des Hochschulbaus, keine Mittel für die Fachhochschulforschung etc. etc. Viel davon ist von meinen Vorrednerinnen, insbesondere von Frau Odendahl, schon angesprochen worden.
Ich will aber zum Schluß zwei besonders drängende Probleme ansprechen.
Zum ersten: Die studentische Wohnungsnot. Herr Minister, es ist fast schon zynisch, wenn Sie einerseits zur Mobilisierung von Zimmerreserven oder zur Einrichtung von Notquartieren für Studenten aufrufen, andererseits im Bundeshaushalt keinen Finger krümmen, wenn es um die Förderung des studentischen Wohnraumbaus geht.
({6})
Herr Minister, wir fordern Sie auf: Ergreifen Sie die Initiative zum Wohnraumbau gegen die Wohnungsnot der Studierenden! Sie würden darin die volle Unterstützung vermutlich nicht nur von uns GRÜNEN, sondern des ganzen Hauses bekommen.
({7})
Ob dieses Programm dann in Ihrem Haushalt oder im Wohnungsbauhaushalt angesiedelt ist, wäre für uns eine reine Nebensache.
Nun zum letzten Punkt: Die geplante Novellierung des Hochschulrahmengesetzes. Herr Minister, Sie beabsichtigen damit, daß sich die Hochschulen in den Numerus-clausus-Fächern demnächst ihre Studierenden selber aussuchen dürfen. Von den inneren Widersprüchen dieses Vorhabens einmal abgesehen - also mehr Hochschulbürokratie, zusätzliche Überlastung eh schon überlasteter Fachbereiche usw. usf. -, liegen diese Absichten natürlich auf der Grundlinie Ihrer Hochschulpolitik. In einer Zeit der durchaus positiv zu bewertenden Massennachfrage nach Hochschulbildung wollen Sie die heute schon bestehenden Aufspaltungstendenzen in einen Elitebetrieb und in einen billigen Massenbetrieb weiter stärken. Sie können und wollen sich offenbar nicht der Notwendigkeit stellen, die Qualität des Studiums auf großen Maßstab zu verbessern. Aber genau darum geht es heute.
({8})
Herr Minister, wenn Sie schon die große Schublade einer HRG-Novelle aufziehen, dann wäre eine Konzentration auf die wirklichen Hauptfragen einer Hochschulreform fällig: Sicherung der Hochschulautonomie durch neue, selbstverwaltete Forschungsetats, Frauenförderung, Mitbestimmung, Studienreform in Richtung Interdisziplinarität und in Richtung größerer studentischer Eigenverantwortung.
Meine Damen und Herren, Herr Minister, erst dann, wenn solche Fragen ins Zentrum der verantwortlichen
Politik gestellt werden, wird das Bildungs- und Hochschulsystem den erforderlichen Beitrag zur ökologischen und sozialen Umgestaltung der Industriegesellschaft leisten können. Diese Aufgabe muß Priorität haben.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Anfang ein Stoßseufzer: Ich muß ganz schnell reden, denn ich habe nur fünf Minuten Redezeit.
Wie schön wäre es doch, Frau Odendahl, wie gut wäre es doch, Herr Wetzel, auf alle Punkte einzugehen. Wie schön wäre es, wenn ich auch noch so laut reden könnte wie Sie, lieber Kollege Rixe. Das geht alles nicht. Also geht es schwarz auf weiß, d. h. blaugelb.
Wenn Sie sich, Herr Kollege Wetzel, die Mühe machen würden, die Protokolle und Beschlußfassungen der zahlreichen bildungspolitischen Aktivitäten der FDP im vergangenen Jahr so gründlich zu lesen, wie ich das mit Ihren wertvollen Ausführungen zu tun pflege, wenn Sie also zur Kenntnis nähmen, was wir auf unserem bildungspolitischen Kongreß in Dortmund, auf unserem Bundesparteitag in Wiesbaden, bei der Sitzung unseres Bundeshauptausschusses in Saarbrücken, auf unserem Bundesparteitag in Köln zu den wichtigen Fragen beschlossen haben - in der Bestandsaufnahme sind wir ja völlig einig -, könnten Sie manches, was ich nur als Unterstellung empfinden kann, so nicht zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren, der Unterschied zwischen uns beiden ist der, daß wir in der Verantwortung stehen und das Mögliche zu berücksichtigen haben, während Sie der schönen Tätigkeit des Träumens in den Tag hinein - das würde ich auch gern einmal; da spreche ich aber nicht für meine Partei - nachgehen können.
({0})
- Die Rolle kommt nie; deswegen kann ich nie in dieser Situation sein.
Meine Damen und Herren, die Schwerpunktsetzungen und Perspektiven, die wir im Zusammenhang mit diesen geschilderten Aktivitäten besprochen, diskutiert und beschlossen haben, die Bund und Länder betreffen - wir können nicht immer nur auf den Bund schauen - , entsprechen im wesentlichen den Schwerpunktsetzungen des Haushaltsplans 1990 der Bundesregierung.
Man kann es nicht oft genug sagen: Unter realistischen Voraussetzungen - da sehe ich zur SPD - ist eine Steigerung des Einzelplans um 8,8 %, lieber Kollege, ja schon was, wenn der Gesamthaushalt nur um 3,4 To steigt. Auch wenn in der Bildungspolitik - manchmal muß man auch daran erinnern - nicht alles und jedes nur mit Geld und staatlichen Regelungen gemacht werden kann, kommt hier deutlich der steigende Stellenwert der Bildungs- und Wissenschaftspolitik des Bundes zum Ausdruck. Wer das negiert, hat keine Ahnung von den Schwierigkeiten verantwortlicher und realistischer Arbeit - ich betrachte jetzt einen früheren Parlamentarischen Staatssekretär - in einer Fraktion.
({1})
Natürlich gibt es - ich kann nicht auf Einzelheiten eingehen - immer den Vorbehalt, daß programmatische Zielvorstellungen und Zielsetzungen, die ja über den Tag, über das Jahr, über eine Wahlperiode hinausdenken müssen und sollen, manche Brechung durch vielfältige Rahmenbedingungen erfahren. Ein Haushaltsentwurf läßt demgegenüber stets noch Wünsche offen. Auch das ist einfach eine Erfahrung und darf nicht unterschlagen werden.
Trotzdem gilt die von mir erwähnte Entsprechung zwischen unseren Perspektiven und den Mittelansätzen, etwa im Bereich der Hochschulen, für das schon genannte Sonderprogramm von Bund und Ländern, dem ich kein Scheitern attestieren würde. Vielleicht sind unsere Ansprüche unterschiedlich. Ich bin zufrieden, wenn wir Schritt für Schritt vorankommen. Ich erwarte gar nicht, daß noch heute vor Mitternacht die Welt völlig anders geworden sein wird.
Ich halte auch die Steigerung des Ansatzes für den Ausbau der Hochschulen um 100 Millionen DM auf 1,1 Milliarden DM für einen weiteren Schritt in die notwendige Richtung. Über diese Richtung werden wir weiter zu sprechen haben.
Meine Damen und Herren, ich halte auch die Erhöhung der Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Hochschulforschung um 5 % für durchaus beachtenswert. Das entspricht übrigens auch einem Beschluß unseres Hauptausschusses in Saarbrücken.
Ich glaube, daß eines Tages auch die BAföG-Beurteilung anders ausfallen wird, als das heute hier gesagt wurde.
Ich glaube, daß wir auch weiter über die Förderung anwendungsbezogener Forschung an den Fachhochschulen diskutieren werden.
Ich könnte das so fortsetzen, aber die Zeit reicht nicht aus, weil ich zu Anfang von meinem Manuskript abgewichen bin. Aber ich habe das Vertrauen, daß Jürgen Möllemann, dem ich für seine vielfältigen Initiativen danke,
({2})
nachher noch genügend Zeit finden wird, auch das darzustellen, was ich für die Fraktion nun nicht mehr sagen kann.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Daweke.
Meine Damen und Herren, ich bin der letzte Redner der Fraktionen - danach kommt noch der Bundesminster - , und ich versuche jetzt einmal, den Eindruck zusammenzufassen, den man nach den beiden Oppositionsrednern hier haben muß.
Im Grunde genommen hat Frau Odendahl gesagt: Im Ansatz ist der Haushalt nicht schlecht, er ist prima, aber wir hätten es gerne noch ein bißchen besser. Sie wollen drauflegen.
Beim Kollegen Wetzel habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Sie haben sich - das entspricht Ihrem Ambiente und der Welt, in der Sie leben - fast nur mit den Hochschulen befaßt. Aber vielleicht können Sie doch auch einmal zur Kenntnis nehmen, daß in diesem Haushalt z. B. zwei ganz wichtige Dinge für die berufliche Bildung getan werden. Wir globalisieren sie. Wir fördern den Austausch auch in der beruflichen Bildung - das finde ich ganz wichtig, nicht nur vor dem Hintergrund Europas, sondern auch mit Blick auf die unterschiedlichen Erwartungen der jungen Generation heute - , und wir sichern auf Dauer die überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Das nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis, und ich meine, das müßte man in diesem Rahmen betonen, weil wir uns alle in dieser Zeit vielleicht zu sehr mit der Frage der Hochschulen beschäftigen. Das drängt, sie äußern sich auch stark, aber der andere Bereich ist uns genauso wichtig.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte gerne aus unserer Sicht noch drei Punkte anmahnen, wo wir uns selber für die Ausschußarbeit Ziele setzen sollten und wo ich in der Tat mit einigen Vorrednern übereinstimme, daß dort Handlungsbedarf besteht.
Es ist hier schon von den Mitteln für die angewandte Forschung bzw. die Forschung an Fachhochschulen gesprochen worden. Es gibt im Ausschuß Einigkeit darüber, daß wir da etwas tun wollen. Wir wissen, daß es nicht an den Mitteln scheitert - die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat Mittel für diesen Zweck -, sondern daß es am Verfahren liegt. Wenn man das weiß, muß man ein neues Verfahren installieren. Ich denke, wir sollten darüber weiter nachdenken. Es gibt Überlegungen, die AIF oder andere damit zu beauftragen; ich halte das für einen guten Ansatz. Wir sollten dann auch einen Etattitel dafür ausweisen. - Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Es ist über die Promotionsförderung gesprochen worden. Der Bundesminister hat sich mit den Ländern über ein zweites Notprogramm geeinigt, wie ich höre, oder jedenfalls wollen Sie gemeinsam dem Bundeskanzler ein solches Notprogramm vorschlagen. Ausgezeichnet, kann ich nur sagen. Nur, die Leute, die wir dort fördern wollen, kommen doch aus dem Potential derjenigen, die jetzt promovieren, die sich habilitieren wollen. Deshalb denke ich, daß wir bei den Promotionsstipendien drauflegen müssen, und das geht am besten bei den Begabtenförderungswerken.
Das dritte - das gehört nicht zu unserem Haushalt, aber das gehört zu unserem Themenkatalog - ist die Frage des studentischen Wohnens. Mich hat besonders geärgert, Frau Odendahl, daß Sie sich hier hinstellen und anmahnen. Sie sind doch 1981 aus dem studentischen Wohnbau ausgestiegen.
({1})
- Aus großer Finanznot und auf Drängen aller Länder, die gemeint haben, man sollte die Gemeinschaftsaufgaben prinzipiell zurückdrehen. Aber man muß einfach feststellen, daß 1981 Ende war.
Ich finde, es ist prima, daß beispielsweise Länder wie Baden-Württemberg jetzt Notprogramme auflegen, Sonderprogramme für den studentischen Wohnraumbau, aber es ist auf der anderen Seite auch bedauerlich, daß das z. B. das Hochschulland Nordrhein-Westfalen nicht tut. Wie ich höre, ist man auch nicht bereit, mit den Mitteln aus dem sozialen Wohnungsbau, die wir jetzt aufgestockt haben, dafür besondere Abteilungen zu bilden.
({2})
Ich denke, wir sollten alle darauf drängen, daß das in unseren Bundesländern geschieht, und gerade auch Frau Brunn und Herrn Zöpel darauf hinweisen, daß mit den 1,6 Milliarden DM aus dem Haushalt des Bauministeriums auch diese Wohnungen gebaut werden müssen.
({3})
- Das reicht nicht, und ich will auch gerne sagen, daß wir uns auch andere Wege überlegen sollten, um dort voranzukommen.
Meine Damen und Herren, wir haben das große Vergnügen, eine Berichterstatterin im Haushaltsausschuß zu haben, die sehr viel von diesem Thema versteht, weil sie lange bei uns im Ausschuß war. Ich denke, daß wir zusammen mit Frau Kollegin Männle und den anderen Kollegen Bewegung in die Fraktion und Bewegung in den Haushalt bekommen können, so daß auch diese angemahnten Punkte demnächst abzuhaken sein werden.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Minister Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft steigt in diesem Jahr um 9,3 %. Der Haushalt wird, wenn er so verabschiedet wird, im nächsten Jahr um 8,8 % steigen. Das sind in beiden Jahren Steigerungsraten, die ich für respektabel halte, auch wenn ich mir mehr hätte vorstellen können. Aber sie liegen sicher weit über dem, was in irgendeinem Bundesland im Hochschul- oder Bildungsbereich an Steigerungsraten zu verzeichnen ist.
({0})
Ich glaube auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie wissen sehr genau - es hat mich ein bißchen amüsiert, wie Sie versucht haben, ein anderes Bild darzustellen - , daß sich unter den Betroffenen, Beteiligten und Interessierten auch herumspricht, daß hier eine entsprechende Akzentsetzung erfolgt. Das wissen Sie doch ganz genau. Das können Sie auch nicht wegreden.
Zweiter Punkt: Sie rechnen immer das Benachteiligtenprogramm heraus. Wir geben dafür in diesem Jahr 412 Millionen DM aus. Sie wissen, daß es anders angesiedelt ist, aber Sie wissen auch, daß die Aufgabe weiter erfüllt wird. Das heißt, wenn man nicht so vorgeht, Herr Wetzel, wie Sie es tun, wenn man nämlich nicht fragt, wo etatisiert ist, sondern fragt, ob wir die Aufgabe erfüllt haben, müßte man das ja noch hinzurechnen. Das tun Sie natürlich nicht.
Dritter Punkt: Zu den Hochschulen. Das Sonderprogramm eins, von dem Sie gesprochen haben, ist zwischen Bund und Ländern vereinbart. Es trägt in der Fassung, die jetzt gilt, die Unterschrift aller SPD-regierten Länder. Ich denke, dann kann sich die SPD nicht im Bundestag hinstellen und sagen, das sei unzureichend. Das ist doch von uns gemeinsam vereinbart und wird jetzt umgesetzt. Das bringt natürlich Verbesserungen.
Hochschulbaufinanzierungsgesetz: Wir steigern diesen Etat von 1 Milliarde DM auf 1,1 Milliarde DM, d. h. um 10 %. Sie haben vorhin gerade gesagt, Frau Odendahl, der Bund habe da Schulden. Sie wissen doch genau, daß wir einen gültigen Rahmenplan haben. Es gibt ein Verfahren, das eindeutig festlegt, welche Bauten in welchem Abschnitt mit welchen Mitteln durchgeführt werden. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn die Länder sagen, sie möchten es schneller haben. Aber zu sagen, daß derjenige, der sich strikt an die getroffenen Vereinbarungen hält, bei einem anderen Schulden hat, ist nicht in Ordnung. Wir haben den Hochschulrahmenplan 18 und 19 voll bedient und tun das weiterhin. Ich wünschte mir mehr. Aber bitte tun Sie nicht so, als hielte der Bund seine Verpflichtungen nicht ein. Das ist nicht korrekt.
Nächster Punkt: Wir steigern die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft um 5 %. Das ist das Petitum, das aus diesem Bereich kam. Damit kann spürbar mehr in der Grundlagenforschung getan werden.
Wir errichten jetzt ein Netz von Graduiertenkollegs. Zum erstenmal gehen wir aus der Modellphase heraus und errichten 50 bis 60 Graduiertenkollegs zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Das ist doch, finde ich, eine beachtliche Zahl. Ich habe bisher nicht gehört, daß jemand etwas anderes beantragt hätte.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Frage eingehen, die Sie gestellt haben, Herr Kollege Daweke. Ich glaube in der Tat - darüber wird ja auf der nächsten Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder auf Grund der Vereinbarung zwischen ihnen zu reden sein; das ist ja terminiert - , daß es eine Qualifizierungsbrücke ins Jahr 2000 zu schlagen gilt, weil zwischen 1995 und 2005 etwa die Hälfte aller heute im Amt befindlichen Hochschullehrer ausscheiden wird.
({1})
Das wird dann Leute einschließen, die in der Promotion sind, in der Habilitation, und solche dazwischen. Das heißt, daß sich all diese Titel dann automatisch entsprechend ändern würden. Das ist ja keine Einzelmaßnahme.
Wenn Sie hören, daß der Bildungsminister, der Forschungsminister und zwei Länderkollegen einen Entwurf für den Kanzler und die Ministerpräsidenten gemacht haben, in dem ein Volumen von 6 Milliarden DM vorgesehen ist - das ist gerechnet; das müßte erst noch von allen Betroffenen beschlossen werden; das geht ja nicht anders in so einem Verfahen - , dann können Sie sich vorstellen, welche Bereiche dort in erweitertem Maße gefördert würden. Aber bitte: Es gibt die Absichtserklärung des Bundes und der Länder, sich über dieses Thema zu unterhalten. Ich kann doch gar nicht sagen, ob die Länder mitziehen werden. Ich muß im übrigen natürlich am Ende auch die Unterstützung der eigenen Regierung für dieses Konzept gewinnen. Das ist ja durchaus nichts Ungewöhnliches.
Aber ich will schon sagen, was mich ärgert. Sie wissen doch so gut wie ich, daß für die Personalpolitik an den Hochschulen allein die Bundesländer zuständig sind. Sie sagen mir ja auch immer wieder deutlich, was ihre Zuständigkeiten sind. Ich habe nicht gehört, Herr Wetzel, daß der Senat in Berlin, der soeben zustande gekommen ist, eine Aufstockung der Mittel vorgenommen hätte.
({2})
Ich habe massiv intervenieren müssen, damit nicht abgebaut wurde.
({3})
Sie reden hier daher, und da, wo Sie regieren, tun Sie nichts. Wo ist denn die Personalsituation am schlimmsten? Doch in Bremen und in Nordrhein-Westfalen, wo die SPD alleine regiert. Warum kommt denn in der Landtagsdebatte dort kein Antrag, die Mittel für die Hochschulen aufzustocken? Frau Brunn hat 900 Stellen an den Hochschulen eingesammelt und 600 davon wieder verteilt. Ist das Aufstocken?
({4})
Verstehen Sie, es ist ganz leicht, da, wo man nicht regiert, zu sagen, es müßte geschehen, und da, wo man regiert, nichts zu tun. Ich finde es nicht sehr überzeugend, wie Sie da vorgehen.
({5})
Zum Thema Studentenwohnheimbau: Ja, glauben Sie denn, es gibt in diesem Raum einen, er es gut findet, daß bei der massiven Wohnungsproblematik, die es auch durch den Zustrom von Aus- und Übersiedlern und durch 1,5 Millionen Studenten verstärkt gibt, eine Menge Studierende noch keine Bude haben? Das beunruhigt mich so wie Sie auch. Aber wieso ist denn das für diese Fragen zuständige Land NordrheinWestfalen im Augenblick dabei, 100 - in Worten: einhundert - Wohnheimplätze zu bauen? Warum macht es Nordrhein-Westfalen nicht wie Baden-Württemberg? Dort bauen sie 5 400. Ich habe doch nicht die Zuständigkeiten abgegeben; mein Vorgänger Björn Engholm war es, der die Zuständigkeiten für den Wohnheimbau an die Länder gegeben hat.
({6})
Und Sie stellen sich hierher und sagen, wir sollten finanzieren. Ich habe nicht gehört, daß Sie Ihre eigene Entscheidung von damals mißbilligt hätten.
Herr Minister, Frau Odendahl möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das?
Bitte.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Minister, sind Sie bereit, hier zu bestätigen, daß die Wohnraumsituation im Jahre 1982 gesamt gesehen und das Zurverfügungstellen von Wohnungen im sozialen Wohnungsbau anders waren, als sie heute sind, und daß dieser Bundesregierung seit dem Jahre 1982 genügend Zeit geblieben ist, entsprechende Veränderungen vorzunehmen, wo sie erforderlich waren?
Eine Menge Veränderungen, die uns erforderlich erschienen, haben wir ja auch vorgenommen. Das werden wir auch weiter so tun.
Nur, in der Frage, Frau Odendahl, liegen Sie daneben. Die Quote der Versorgung der Studenten mit Wohnheimplätzen ist heute nicht geringer, als sie damals war. Wir sind leider nie an die 15 % gekommen, sondern sind bei jenen 10 %. Sie sind also nicht geeignet, hier Vorbild zu sein. Ich sage das, weil Sie das immer so mit einem erhobenen Zeigefinger tun, nach dem Motto: Und wir haben damals. Sie haben damals eben nicht; wir gemeinsam haben damals nicht. Insofern bin ich ja hier die personifizierte Kontinuität
({0})
und sage: Sie eignen sich da nicht als Kritiker.
Zum Thema BAföG: Wir erhöhen ganz spürbar die Freibeträge. Wir führen eine Studienabschlußregelung ein. Wir beziehen höhere Beiträge für die Krankenversicherung ein. Wir schaffen die Schülerförderung für die Fachoberschulen, die Beruf saufbauschulen und die Berufsfachschulen. Künftig wird BAföG wieder zur Hälfte als Zuschuß gewährt. Das kann man doch nicht als Lappalie bezeichnen. Sie wissen doch genau, daß dies den Bund und die Länder im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit 615 Millionen DM mehr kosten wird. Ist das eine Bagatelle? Ich glaube, das ist eine spürbare Verbesserung.
Im übrigen glaube ich, man kann aus der Entwicklung in unserem Bildungswesen eines nun wirklich nicht ableiten, daß nämlich die Bildungsmöglichkeiten eingeschränkt worden wären. Wir hatten noch nie so viele Schülerinnen und Schüler auf weiterführenden Schulen wie jetzt. Es ist sogar die Frage erlaubt, ob es sinnvoll ist, wenn in einer Stadt - ich nehme einmal meine Heimatstadt Münster - 55 % aller Grundschulkinder an das Gymnasium wechseln.
({1})
- Das wäre das Schlimmste.
Ich frage mich wirklich, ob wir eine Entwicklung anstreben sollen, bei der wir am Ende zwar sehr viele Leute haben, die wissen, was getan werden müßte, aber keinen mehr, der es machen kann. Verstehen Sie, auch Sie werden Wert darauf legen müssen, daß, wenn in Ihrer Wohnung demnächst einmal die Wasserleitung kaputt ist, nicht jemand kommt, der Ihnen die physikalischen Gesetzmäßigkeiten dafür erklärt, sondern einer, der es reparieren kann.
({2})
Wir brauchen auch Facharbeiter.
({3})
Deswegen besteht kein Grund, hier zu sagen, wie Sie es hier getan haben; Schüler-BAföG für Schüler an allen weiterführenden Schulen sei zwingend notwendig. Dies scheint uns nicht der Fall zu sein.
({4})
- Nein, Frau Hillerich, das ist kein starkes Stück, sondern das ist eine klare Tatsache. Ich habe nur gesagt: Mir scheint es fragwürdig zu sein, ob es wirklich vernünftig ist, wenn 55 % eines Jahrgangs zum Gymnasium gehen, weil ich den Eindruck habe, daß da in vielen Fällen nicht Begabung, Befähigung und Neigung eine Rolle spielen, sondern ganz andere Überlegungen.
({5})
- Das tue ich ja auch wohl; aber ich weiß, wenn ich in die Betriebe zu Berufsbildungsdiskussionen gehe, daß in den Gewerkschaften längst die gleiche Debatte läuft. Erzählen Sie mir doch so etwas nicht!
Warum, lieber Herr Kollege, haben wir denn Tausende arbeitsloser junger gut motivierter Lehrer auf der Straße, und Ihre zuständigen Schulminister stellen keinen einzigen davon ein? Tun Sie das doch, wenn Sie die Situation an den Schulen verbessern wollen! Sie reden hier wieder daher, aber da, wo Sie etwas tun können, tun Sie es doch nicht!
({6})
Zum Thema berufliche Bildung. Wir stocken die Mittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten gegenüber der Finanzplanung von 80 Millionen auf 95 Millionen DM auf, und wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung festgeschrieben, daß das eine Daueraufgabe bleibt. Das ist eine Kurskorrektur gegenüber den vorherigen Entscheidungen. Wir führen schließlich in diesem Bereich ein System der Begabtenförderung ein. Wir sind der Meinung, daß es gut ist, Schüler und Studenten, die besonders begabt sind, zu fördern, aber wir möchten das künftig auch bei Lehrlingen tun können, die eine besondere Begabung zeigen, und deswegen wird ein entsprechendes Begabtenförderungswerk entwickelt.
Ich räume ein, daß der Haushalt zum Thema Weiterbildung noch keine grundlegend neuen Konturen zeigt; das ist wahr. Das liegt aber daran, daß wir erst für den Herbst erste Ergebnisse der konzertierten Aktion „Weiterbildung" erwarten. Ich kann natürlich meine Kollegen im Kabinett nicht mit der Marschroute überzeugen: Ich weiß zwar noch nicht, wohin ich will, aber das mit ganzer Kraft. Das geht nicht. Ich muß schon erst das inhaltliche Konzept vorlegen, das aus der konzertierten Aktion „Weiterbildung" hervorgehen wird, und dann kann man es haushaltsrelevant machen. Im Moment sind wir noch nicht soweit.
Ich möchte, Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen, einen letzten Punkt ansprechen. Es geht um das Thema der Förderung für Aus- und Übersiedler und hier vor allen Dingen um die berufliche Integration und auch Weiterbildung. Ich will hier ganz deutlich sagen, daß mir die Art und Weise, wie dazu die Diskussion in unserer Öffentlichkeit geführt wird, überhaupt nicht behagt. Ich finde, daß die Tatsache, daß so viele von denen, die jetzt aus der DDR, aus Polen, aus der Sowjetunion kommen, so jung sind, hochmotiviert sind - das wird deutlich, wenn man mit ihnen spricht - , für uns auch eine große Chance darstellt, nicht nur eine Chance, neue Perspektiven zu gewinnen, sondern eine ganz handfeste Chance für unser Beschäftigungssystem, auch für die Sicherung der Renten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Industrienation Bundesrepublik Deutschland mit dem wohl besten Aus- und Weiterbildungssystem in Europa nicht in der Lage sein sollte, auch für viele Tausende junger Menschen das Maß an beruflicher Bildungsarbeit zu leisten, das hier notwendig ist. Ich werde mich jedenfalls auch weiterhin dafür einsetzen, daß wir beispielsweise unser System der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, dieses hochwirksame Netz von über 600 000 Ausbildungsstätten, auch für diesen Zweck einsetzen, und ich bin froh, daß sich auch die Kammern dazu bereit erklärt haben.
Zum guten Schluß, meine Damen und Herren: Ich glaube, der Haushalt des Bildungsministeriums mit seiner Steigerungsrate von 8,8 % nach 9,3 % im letzten Jahr setzt die richtigen Akzente. Ich habe überhaupt nichts dagegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie, sei es im Haushaltsausschuß, sei es im Plenum, an den Stellen, an denen ich mir bei den Beratungen im Kabinett auch schon weitergehende Beschlüsse hätte vorstellen können, aber mich gegenüber dem dafür mit zuständigen Finanzminister nicht durchsetzen konnte, mir helfen, das im nachhinein zu tun.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Agrarpolitik, wofür? Der Haushaltsplan 1990 müßte darauf eigentlich eine Antwort geben. Gehen die Regierung und die Regierungsparteien die bestehenden Probleme tatkräftig an? ist die Frage. Haben sie Antworten auf die bedrängenden Fragen von heute und auf die Fragen der Perspektiven, auf die Fragen von morgen? Wird die Sozialfunktion des ländlichen Raumes gesichert? Spürt man den Willen zum Handeln für die Rettung der bäuerlichen Struktur? Um ein altes Wort zu zitieren: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Ich meine, nein.
Am 1. Oktober dieses Jahres z. B., in weniger als 30 Tagen, treten neue Grenzwerte der Trinkwasserverordnung in Kraft. Rückstände aus Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmitteln im Grundwasser sollen eingedämmt werden. Die Grenzwerte können vielfach nicht eingehalten werden. Und was tut die Regierung? Nichts. Sie zieht sich auf Ausnahmegenehmigungen zurück. In vielen Gemeinden unseres Landes ist die Trinkwasserversorgung nur noch so aufrechtzuerhalten.
Oder denken Sie an das Drama bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes. Hier ist die Regierung absolut handlungsunfähig. Sie will keinem weh tun. Nur die Natur bleibt dabei auf der Strecke.
Die Regierung ist rückwärtsgerichtet. Sie beschränkt sich im wesentlichen auf die Darstellung ihrer Aktivitäten in der Vergangenheit. Die Regierung verkauft alles als Erfolg, so beispielsweise auch bei der Milch. Die Quotenregelung ist ein Paradebeispiel. Bundesminister Kiechle weist auf die Stabilisierung des Milchpreises und auch auf den Abbau der Lagerbestände hin.
In der Tat, den Milchbauern geht es zur Zeit am besten, vorausgesetzt sie haben genug Quoten. Das trifft aber nur für ein Viertel der Betriebe zu.
({0})
Aber wie sollen die natürlichen Gründlandstandorte in unseren Mittelgebirgen und in den übrigen benachteiligten Gebieten genutzt und gepflegt werden, wenn drei Viertel der Betriebe keine Zukunftschance haben? Ist der Erfolg im Milchbereich, Herr Minister, Herr Staatssekretär, wirklich so groß, wenn so viele Milchbetriebe schließen mußten, ihre Hoftore zumachen mußten, und zwar für immer, oder keine Zukunftsperspektive mehr haben? Dies ist doch keine Träumerei. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Frage geworden.
({1})
Herr Minister, Sie geben den Quotenüberhang, den sogenannten Bauchladen, bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, mit 740 000 t an. Auch das wird teuer, wenn man das in Ordnung bringen will. Sie selbst sprechen von einem Anlastungsrisiko seitens der EG. Mehrere hundert Millionen DM kann das kosten, weil Sie unseren Milchmarkt bisher nicht in Ordnung gebracht haben. Wo stecken diese Millionen im Haushaltsentwurf 1990 der Bundesregierung? Wie sollen sie finanziert werden? Über einen Nachtragshaushalt, mit noch mehr Schulden des Bundes? Oder gar am Parlament vorbei? Wo ist Ihr Konzept zum Abbau des sogenannten Bauchladens? Wo ist Ihr Konzept zum Ausgleich von Über- und Unterlieferungen in den Regionen?
Im Haushaltsentwurf ist davon nichts zu finden, dafür aber in Ihrer Hausbotschaft vom 29. August 1989.
Wie wollen Sie die dort angekündigte großzügige Herauskaufaktion von Milchquoten eigentlich finanzieren? Welcher Betrag ist dafür haushaltsmäßig erforderlich, und wann ist das der Fall? Das Hohe Haus hat doch ein Recht, das hier und heute bei der Haushaltsberatung zu erfahren.
Wie wollen Sie die regionale Problematik der Aufkaufaktion in den Griff bekommen? Werden Sie damit den Ausverkauf an Milch in benachteiligten Gebieten weiter forcieren, auch wenn ganze Molkereistrukturen dabei zusammenbrechen?
({2})
Wir Sozialdemokraten setzen uns für eine Flexibilisierung und Regionalisierung der Quotenregelung ein, solange wir damit leben müssen. Damit sollen die Milchmengen in benachteiligten Gründlandstandorten wie den Gebirgs- und Mittelgebirgslagen und den Küstenregionen bleiben und nicht abwandern. Junge Landwirte müssen endlich wieder eine Chance erhalten, ihre Existenz auszubauen.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bredehorn beantworten?
Wenn das nicht angerechnet wird, Herr Präsident, ja.
Wenn Sie sich sehr beeilen, werde ich es nicht anrechnen.
({0})
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege, Sie fordern die Regionalisierung der Milchquoten. Es würde uns interessieren, wie die SPD sich das vorstellt. Ist das molkereibezogen? Welche Regionen sehen Sie dabei vor?
Herr Kollege, Sie gehörten ja immer zu denen, die dieses Quotensystem kritisiert haben, bis Sie sich von der Regierung dann wieder haben einfangen lassen. Wäre es nicht besser, Sie, der Sie doch im Vorstand einer riesigen Molkerei sind, zu der mittlerweile alle Nachbarn - ich sage nicht, daß sie von Ihnen geschluckt worden sind - dazugekommen sind, würden selbst eine Antwort auf diese Frage geben? In dieser Frage sind wir nicht festgelegt. Regionalisierung ist mit Bezug auf Molkerei, auf Region oder auf Länder möglich. Aber Sie wissen, daß wir die Regionalisierung brauchen.
Wir Sozialdemokraten setzen uns dafür ein, daß junge Landwirte endlich wieder eine Chance bekommen.
Wie sieht es nun beim Getreidemarkt aus? Sie werden doch nicht müde, darauf hinzuweisen, daß es die Bundesregierung war, die zum Stabilisatorenkonzept, mit den automatischen Preissenkungen übrigens - das wird dabei verschwiegen -,
({0})
die Maßnahmen wie Flächenstillegung und Extensivierung durchgesetzt hat. Das ist sicher richtig. Der
Bundeskanzler, der Bundesminister Kiechle haben
beim Europäischen Rat unter deutscher Präsidentschaft im Februar 1988 das Gesamtkonzept maßgeblich beeinflußt. Aber die Suppe, die sie damals eingebrockt haben, müssen unsere Landwirte nun auslöffeln.
({1})
Damals, im Februar 1988, haben Sie aus unserer Landwirtschaft eine Antragslandwirtschaft gemacht, mit Basismitverantwortungsabgabe und Zusatzmitverantwortungsabgabe. Obwohl Sie bei der sogenannten Wende angetreten sind, Bürokratie abzubauen, haben Sie laufend das Gegenteil gemacht,
({2})
nicht nur bei Getreide und Milch.
Was ist die Folge? Unsere Landwirte haben einen Boom. Sie ersticken in Anträgen. Zur eigentlichen Buchführung, zur betriebswirtschaftlichen Durchleuchtung des Betriebes bleibt neben der täglichen harten Arbeit im Stall und auf dem Feld kaum noch Zeit.
({3})
Die Berater draußen werden zu Antragsberatern ({4})
mit immer neuen Terminen, die einzuhalten sind. Für eine umfassende ökologische Beratung ist kein Platz mehr.
({5})
Sie ist aber angesichts der Umweltbelastung, auch durch die Landwirtschaft, bitter nötig.
({6})
Für eine eingehende sozioökonomische Beratung bleibt ebenfalls keine Zeit. Dabei ist dies angesichts des Agrarberichts 1989, wenn man die miserablen Einkommen sieht, doch bitter notwendig.
({7})
Unsere landwirtschaftlichen Familien müssen doch wissen, wohin es geht, und können sich nicht von einem Termin zum anderen vertrösten lassen.
Auch bleibt keine Zeit, unsere Nebenerwerbslandwirte bei der richtigen Organisation des landwirtschaftlichen Betriebes im Hinblick auf die Doppelbelastung durch den außerlandwirtschaftlichen Erwerb zu beraten. Wie sonst sollen wir denn erreichen, daß auch unsere Nebenerwerbslandwirte längerfristig die Landschaft pflegen und Dorfstrukturen erhalten helfen? In manchen Gegenden tun sie das schon ausnahmslos.
Nein, Herr Bundesminister,
({8})
der Spruch „Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare" darf nicht Leitschnur der Politik sein. Sie tötet Eigeninitiative und Ideenreichtum. Diese aber brauchen wir gerade an der Schwelle zum EG-Binnenmarkt.
In Osteuropa hat man inzwischen eingesehen, was es bedeutet, wenn man so mit der Landwirtschaft umgeht. Gehen Sie bitte nicht den umgekehrten Weg.
Im übrigen will ich hier sagen: Der Titel im Einzelplan 10 betreffend Praktikantenaustausch mit der Sowjetunion wird von uns begrüßt. Wir sind für die Aufstockung desselben. Ich hoffe, Sie tragen das mit, damit wir auch hier mithelfen können.
Meine Damen und Herren, zurück zur Flächenstilllegung: Die von Ihnen propagierte Flächenstillegung will in der EG doch keiner. Und unsere Landwirte werden dadurch mehrfach bestraft.
({9})
Bei zu hohen Gesamtmengen der EG müssen unsere Landwirte trotz Flächenstillegung die automatischen Preissenkungen von 3 % hinnehmen, Mitverantwortungsabgaben zahlen
({10}) und verlieren langfristig Marktanteile.
Herr Minister, auch aus ökologischen Gründen ist Flächenstillegung problematisch. Die Extensivierung der Landwirtschaft generell hat hier sehr erhebliche Vorteile.
Auch in der Strukturpolitik haben Sie weitreichende Beschlüsse gefaßt. Im Rahmen der Reform des Strukturfonds sind jetzt Programme zur Entwicklung des ländlichen Raumes zu erstellen. Das ist im Grundsatz gut. Nur durch eine Bündelung und schwerpunktmäßige Durchführung von Maßnahmen - vor allem auch verschiedener Politikbereiche - ist die Entwicklung ländlicher, insbesondere peripherer Räume zu erreichen.
Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob die von Ihnen befürwortete starke Stellung der Brüsseler Bürokratie segensreich auf die regionale Entwicklung in unserem Lande wirken kann. Brüssel ist doch viel zu weit weg, wenn es darum geht, regionale Probleme wirklich zu lösen. Wir sollten hier auch einmal klären, welchen Einfluß der Bund bei dem Planungsprozeß überhaupt noch hat. Eine Briefträgerfunktion des Bundes reicht hier unseres Erachtens nicht aus. Die Gesamtkoordinierung für eine ausgewogene räumliche Entwicklung im Bundesgebiet ist unerläßlich.
Ein ganz trauriges Kapitel ist die Agrarsozialpolitik. Das Hohe Haus hat 1986 die Regierung einstimmig aufgefordert, eine umfassende Reform der agrarsozialen Sicherung vorzunehmen. Die Regierung selbst hat eine solche zu Beginn dieser Legislaturperiode angekündigt. Geschehen ist nichts. Im Agrarbericht 1989 wird darauf hingewiesen, daß es eine überproportional hohe Belastung kleinerer und mittlerer Betriebe gibt, die abgebaut werden muß. Die soziale Sicherung der Landfrauen weist große Lücken auf. Schnelles und sachgerechtes Handeln ist also angezeigt, und dennoch passiert nichts.
({11})
Ein seit vielen Monaten vorliegender Diskussionsentwurf wird unter der Decke gehalten. Der für die Reform zuständige Minister Blüm ist handlungsunfähig. Obwohl viele Ankündigungen aus dem Regierungslager kamen, läßt man nunmehr erklären, über
den voraussichtlichen Inhalt des Entwurfs eines Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes und den Zeitpunkt der Vorlage könne man noch nichts sagen. Was mag der Grund sein? Muß der Wahlkämpfer Blüm in Nordrhein-Westfalen Rücksicht auf die rheinischen und westfälischen Bauernführer nehmen, oder was ist der Grund? Auf jeden Fall ist die Reform der agrarsozialen Sicherung überfällig. Wir Sozialdemokraten haben mehrfach unsere Bereitschaft erklärt, an einer umfassenden Reform mitzuwirken. Stückwerk allerdings lehnen wir ab.
Der Minister Kiechle muß sich sagen lassen: Seine Bilanz ist nicht von Erfolg gekrönt, jedenfalls nicht für die Klein- und Mittelbetriebe.
({12})
Das zeigte sich auch kürzlich in diesem Hause bei der Diskussion und bei der Ausgestaltung des Strukturgesetzes. Wir freuen uns - damit das klar ist - über den Einstieg in direkte, produktionsungebundene Hilfen, die nun möglich werden.
({13})
Das war eine alte Forderung von uns, damit wir endlich aus dem Teufelskreis herauskommen: produktionsgebundene Hilfen, mehr Produktion, Preisverfall. So war das immer. Aber, meine Freunde, wir fordern Sie auf, die von Ihnen in Brüssel mitbeschlossenen Einkommensbeihilfen endlich zu exekutieren. Warum sagen Sie davon nichts mehr? Vielleicht hat Herr Eigen die Ehre, uns zu sagen, wann die Bundesregierung durchführt, was sie hier beschlossen hat.
Eines muß deutlich gesagt werden: Mit diesem Strukturgesetz haben Sie den Einstieg in die Förderung von Betrieben mit agrarindustriellem Ansatz gesucht und gefunden, Herr Eigen. Wer das will, muß Ihnen gratulieren.
({14})
Sie haben damit bäuerlichen Familien Mittel entzogen. Das ist nicht zusätzliches Geld. Das nimmt man den Bauern weg - damit das klar ist - , die es so dringend benötigen. Hier zeigt die Koalition ihr wahres Gesicht. Das stimmt mich traurig. Milchmengen sind von unten nach oben verteilt worden. Eine soziale Sicherung zur Entlastung der Klein- und Mittelbetriebe ernst zu nehmen würde übrigens auch Ihrem Parteinamen zur Ehre gereichen.
({15})
Die von allen gewollte notwendige Entlastung der Klein- und Mittelbetriebe wird bewußt verzögert.
({16})
Im Strukturgesetz wird der Einstieg in die Förderung der industriellen Massentierhaltung betrieben.
({17})
- Wenn das ungeheuerlich ist, will ich die Zahlen nennen; denn Sie verschweigen das draußen immer. Ich möchte daran erinnern, daß Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, entgegen einigen wenigen Stimmen aus Ihren eigenen Reihen - die Sie im Ausschuß am nächsten Tag überstimmt haben - nunmehr Betriebe mit 100 000 Hähnchen oder einer Jahresproduktion von 700 000 Tieren als bäuerlich
fördern, desgleichen Betriebe mit 120 Milchkühen, die zwischen 600 000 und 900 000 kg Milch geben. Sie haben es „bitter nötig", staatliche Zuschüsse zu bekommen!
({18})
Wer davon nicht leben kann, soll aufgeben, damit andere eine Chance bekommen!
({19})
Solchen Betrieben haben Sie Hilfen gegeben, die sie nicht brauchen. Oder denken Sie an die Kooperationen, die an und für sich nichts Schlechtes sind. Wir wollen sie ja auch. Aber was machen Sie? Sozioökonomischer Einkommensausgleich geht auch an Betriebe mit einer Jahresproduktion von bis zu 2,1 Millionen Masthähnchen, an Betriebe bei Sauenhaltung mit einer Jahresproduktion von 13 000 bis 14 000 Ferkeln oder Betriebe mit einer Jahresleistung von 12 750 Mastschweinen. Sie haben das voriges Mal noch verdeckt. Jetzt sagen Sie offen, was Sie wollen. Bekennen Sie dann auch in den Veranstaltungen, ob das, was Sie betreiben, tatsächlich der bäuerlichen Landwirtschaft dient.
Sie versehen das alles mit dem Etikett „bäuerliche Landwirtschaft". Das ist nicht das Ziel unserer Politik. Wir wollen keine amerikanische, keine australische und auch keine Kolchosenlandwirtschaft. Es ist Etikettenschwindel, wenn Sie Ihre Politik mit der Überschrift „Hilfe für die bäuerliche Struktur" versehen.
({20})
Wir wollen uns die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft etwas kosten lassen. Aber Sie zerstören die Akzeptanz dafür in der Gesellschaft, wenn Sie nur Großverdienern und Großmästern Staatsgelder zukommen lassen. Wie sollen wir in unserer Gesellschaft die Akzeptanz aufrechterhalten, damit sie sich eine bäuerliche Struktur, die im Interesse der Gesamtgesellschaft liegt, etwas kosten läßt, wenn Sie diese Struktur kaputtmachen?
Wir werden - ich sage dies mit allem Nachdruck - die Ausgestaltung der Förderung, wie sie im Strukturgesetz vorgesehen ist, nach Übernahme der Regierung, wenn wir die Mehrheit bekommen, sofort ändern.
({21})
Wir wollen damit auch der Radikalisierung des Wahlverhaltens einiger entgegenwirken, damit sie nicht den Ewiggestrigen nachlaufen. Freunde, das hat miteinander zu tun. Ich möchte nicht, daß man von den Angehörigen meiner Berufsgruppe sagt, sie liefen nun den Republikanern nach. Die Rattenfänger von gestern wollen wir nicht.
Aber eines sage ich: Wir müssen die existentiellen Sorgen der Bürger ernst nehmen. Da nützt es nichts, daß der Bauernverband Mitgliedern der Republikaner auch noch Glückwunschtelegramme schickt, die nun ins Europäische Parlament einziehen. Es ist traurig, daß es so etwas gibt.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen das ernst nehmen. Wir Sozialdemokraten werden daher das Instrument der direkten Hilfen ausbauen und indirekte Hilfen abbauen. Wir wollen die Hilfen denjenigen geben, die sie am nötigsten haben.
({22})
Wir wollen sie auf die bäuerlichen Betriebe konzentrieren, die durch den Anpassungsprozeß am stärksten in Bedrängnis geraten sind. Im Interesse unserer Dörfer, des ländlichen Raums und der Gesamtgesellschaft wollen wir bäuerliche Strukturen erhalten und unterstützen. Wir wollen und müssen für diese Betriebe auch die Durststrecke bis zur Wiederherstellung eines Marktgleichgewichts überbrücken.
Für uns ist Agrarpolitik nicht engstirnige Kuhstallpolitik. Dies ist zu kurz gedacht.
({23})
Agrarpolitik ist Politik für den ganzen ländlichen Raum und für alle in ihm wohnenden Menschen. Das sind 50 % der Bevölkerung.
Wir haben in der Zukunft große Aufgaben zu bewältigen. Zum Beispiel die Belastung des Trinkwassers mit Nitraten und Pflanzenschutzmittelrückständen
({24})
verlangt von uns große Anstrengungen im Hinblick auf den ökologischen Umbau der Landwirtschaft. Wir müssen vom Zwang zur Massenproduktion wegkommen. Wir müssen noch mehr als bisher über Qualität nachdenken und die Auswirkungen der Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen im Auge behalten.
Voraussetzung hierfür ist, die bürokratischen Hemmnisse weiter abzubauen. In diesem Bereich müssen wir übrigens dem Markt wieder mehr Vertrauen schenken.
Wir haben hervorragend ausgebildete junge Leute, die im Wettbewerb bestehen können. Die Politik muß diesen jungen Menschen, diesen Betriebsleitern, die Möglichkeit geben, ihre Chancen zu nutzen. Dies gilt besonders aus Gründen des Wettbewerbs in der Europäischen Gemeinschaft.
Wir wollen, daß sich auch unsere Kinder in unserem Land wohlfühlen. Dazu gehören saubere Lust, sauberes Wasser, gesunder Boden.
({25})
- Herr Kollege, Sie prangern den Versprecher „saubere Lust" statt „saubere Luft" an. Mir wäre es lieber gewesen, Sie hätten mit uns gestimmt, nicht aber in Bayern unsere Regelung unterstützt und sie bei der Abstimmung hier abgelehnt. Entschuldigung, für Sie persönlich gilt das nicht. Sie wurden ja ausgetauscht. Aber all denen, die nicht an der namentlichen Abstimmung teilgenommen haben, gratuliere ich dazu, daß sie sich mit dieser Halbwahrheit durchzuschwindeln versuchen. Aber wir werden das deutlich machen.
Wir wollen, daß sich auch unsere Kinder in unserem Land wohlfühlen. Dazu gehört, daß wir eine zukunftsorientierte Politik machen. Dazu gehört, daß wir unsere Landwirtschaft in ihrer Vielfalt unterstützen, eine leistungsfähige und umweltverträgliche Landwirtschaft. Es wird uns noch einmal leid tun, wenn ganze
Dörfer zusammenbrechen. Politik für den ländlichen Raum muß zur nationalen Aufgabe erklärt werden. Aber geben Sie es endlich auf, den Verdrängungswettbewerb - dies ist an den Fakten ablesbar - um jeden Preis zu forcieren und das dann auch noch mit dem Begriff „bäuerlich" zu bemänteln.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte erst einmal eines feststellen: Ich freue mich ganz außerordentlich, daß der Kollege Koltzsch hier im Plenum anwesend ist. Wäre dies nicht der Fall, wären wir nämlich mit Jan Oostergetelo von der SPD ganz allein hier. Wo ist eigentlich das Interesse der SPD-Fraktion?
({0})
- Sie sind stellvertretendes Mitglied, liebe Frau Weyel.
({1})
Ich freue mich, daß Sie jetzt nach der Rede von Herrn Oostergetelo gekommen sind. So haben Sie sie nicht mit anhören müssen; das finde ich toll.
({2})
- Entschuldigung, das ist schon ein Ausdruck des Interesses. Ich sehe hier meine Kollegen aus dem Ernährungsausschuß im Plenarsaal, während die Kollegen von der SPD nicht hier sind. Das darf ich dann ja wohl sagen. Das ist schon ein Maßstab für das Interesse an der Agrarpolitik.
({3})
Ich will mich nicht lange mit der Rede von Jan Oostergetelo aufhalten. Das war wieder einmal so eine aufgeregte Rede,
({4})
in der vieles gesagt wurde, was er selbst nicht glaubt und
({5})
wobei er wider besseres Wissen sprach. Dann kam darin auch wieder dieser typische Neidkomplex zum Ausdruck. Das muß ja sein; das muß ja gebracht werden. Damit will man Wählerstimmen bekommen.
({6})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wer sagt, man dürfe nicht von Gebieten Quoten umverteilen, in denen man nicht Milch erzeugen muß, sondern man müsse sie dorthin geben, wo Milch erzeugt werden muß, dem muß man entgegenhalten - du weißt das ganz genau, Jan Oostergetelo -, daß es in den Gebieter, in denen man nicht Milch zu erzeugen braucht, längst keine Milcherzeugung mehr gibt. Diese Tatsache bestand schon lange vor der Zeit, zu der die Quote
eingeführt wurde. Heute wird dort Milch erzeugt, wo man Milch erzeugen muß.
({7}) Dort soll natürlich Milch erzeugt werden. ({8})
Herr Abgeordneter Eigen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Ja, gut; bitte schön.
Bitte, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Kollege, wenn Sie schon behaupten, daß ich das, was ich gesagt habe, nicht so meinte, würde ich Sie bitten, das, was Sie damit meinen, zu belegen? Sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meinem Vortrag sogar die Gebiete genannt habe - Mittelgebirgslagen, Gebirgslagen und die Gebiete an der See -, die existentiell auf Milchviehhaltung angewiesen sind und die - das wissen Sie wiederum genauso gut wie ich - die Milch nicht verlieren dürfen? Sie haben keine Alternative.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, nach unserer Geschäftsordnung soll eine Zwischenfrage kurz, klar und verständlich sein und kein Debattenbeitrag sein. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies berücksichtigen würden?
({0})
Dort auf dem Tisch liegt die Presseverlautbarung von Jan Oostergetelo. Er hat gesagt, von den guten Gebieten, die nicht auf Milcherzeugung angewiesen sind, soll auf die benachteiligten Gebiete, von denen er eben sprach, umverteilt werden. Er sagte dies, obgleich er genau weiß - das wiederhole ich - , daß es in den Gebieten, die er meint, schon lange keine Milchwirtschaft mehr gibt. Dort betreibt man nämlich Pflanzenbau und nicht Milchwirtschaft.
Jetzt zum Klassenkampf. Dieses ständige Gemäre kann ich nicht mehr hören. Von 700 000 Bauern haben weniger als 30 000 Bauern mehr Fläche als Jan Oostergetelo. Hier immer wieder so zu tun, als gehörte man selbst zu den ganz kleinen Bauern und müßte hier im Bundestag immer ankreiden und darstellen, wie schlimm es denen geht und wie gut es den großen geht, muß nun endlich einmal aufhören: Diese Art von Klassenkampf muß ein Ende haben. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
({0})
Ich habe nichts gegen kleine Bauern. Unsere Politik, die Politik der CDU/CSU und der FDP, umfaßt kleine Bauern, mittlere Bauern und große Bauern gleichermaßen. Wir lehnen diese Form von Klassenkampf ab.
({1})
Wenn im Strukturgesetz - besonders auch für die Kooperation - gewisse Größenordnungen angeführt sind, die sozusagen nach außen den Eindruck vermitteln, als handelte es sich hier möglicherweise schon um „Fabriken", dann muß man in dem Zusammenhang natürlich sehen, daß es hier um europäischen Wettbewerb geht. Wer den europäischen Wettbewerb will, der muß natürlich auch unseren Landwirten, vor allem den jungen, tüchtigen Landwirten, die Chancen geben, mit ihren Betrieben in Größenordnungen hineinzuwachsen, die einen europäischen Wettbewerb vertragen. Das weiß doch jeder.
({2})
Herr Abgeordneter Eigen, ich bin verpflichtet, Sie zu fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo zulassen.
Ich wollte nun eigentlich langsam einmal mit meiner Rede beginnen.
Ja, Herr Abgeordneter Oostergetelo, ich wäre an sich auch dankbar, wenn Sie diesen Dialog vielleicht gleich im Bayernzelt fortsetzen könnten; denn wir sind schon stark im Verzug. Ich glaube, Sie täten auch den Bediensteten des Hauses einen großen Gefallen, wenn Sie verzichten würden.
Herr Kollege, ich frage Sie: Ist ein Vorwurf wirklich treffend, wenn Sie zugeben, daß es auch Sozialdemokraten mit guten Betrieben gibt? Was ist das für ein Neid! Es geht doch darum, daß wir ein Stück Gerechtigkeit walten lassen. Ich greife doch Ihren Betrieb nicht an. Wollen Sie nicht zugeben, Herr Kollege, daß Sie beim Strukturgesetz erst dann zustimmen wollten, wenn Sie alle mit hineinnehmen konnten?
({0})
Herr Kollege Oostergetelo, ich will diesen Dialog nicht fortsetzen.
({0})
Sie wissen ganz genau, was ich meine. Ihre zweite Frage zeigt Ihr schlechtes Gewissen in dem Bereich. Sie wissen ganz genau, daß Sie auf diesem Gebiet angreifbar sind. Das werden Sie auch ertragen müssen; sonst halten Sie den Mund in dieser Hinsicht.
({1})
Denn Faktum ist etwas ganz anderes: Heute wird schon ein Drittel des Einkommens der deutschen Landwirtschaft aus öffentlichem Transfer bestritten. Das ist Faktum.
({2})
Das ist nicht gut. Eigentlich sollten unsere Landwirte ihr Geld am Markt verdienen.
({3})
Nur weil das aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, muß leider soviel öffentlicher Transfer gewährt werden, und der geht vor allen Dingen an die kleineren Betriebe. Das weiß Jan Oostergetelo ganz genau. Daß beim 3. ASEG, daß beim Beitragsentlastungsgesetz, daß bei all diesen Maßnahmen kleinere Betriebe bevorzugt und große benachteiligt sind, wissen Sie ganz genau.
({4})
Was soll immer dieser Klassenkampf hier im Bundestag?
So, und nun zu einigen Fakten: Wenn man den Agrarhaushalt 1990 isoliert betrachtet, wird man, glaube ich, der Sache nicht gerecht. Man muß schon etwas in die Vergangenheit gehen und etwas über sechs Jahre vergleichen. Ich habe es mir einmal ausgerechnet: Der Gesamthaushalt ist von 1977 bis 1983 um 45 %, der Agrarhaushalt um weniger als die Hälfte, um 22 %, gestiegen. Das war in der Regierungszeit von Helmut Schmidt. In der Zeit von 1984 bis 1990 ist der Gesamthaushalt nur um 18 % gestiegen - das zeigt die Stabilitätspolitik der Bundesregierung Kohl insgesamt -,
({5})
aber der Agrarhaushalt ist um 50,6 % angewachsen. Das zeigt das Engagement der Regierung Kohl mit dem Landwirtschaftsminister Kiechle für die deutsche Landwirtschaft.
({6})
Hinzurechnen kann man auch noch die Erweiterung des Transfers nach Brüssel; darauf komme ich dann gleich noch. Hier, an den Fakten erkennt man, wer eine gute Agrarpolitik macht, wer es sich was kosten läßt und wer nicht.
({7})
Ich denke, meine Damen und Herren, an die bittere und giftige Polemik hier in diesem Saal, die gegenüber unserem früheren Finanzminister Stoltenberg wegen der 5 % Vorsteuerpauschale geübt worden ist, die ja nur gegeben werden mußte, weil der positive Grenzausgleich am 1. Januar 1985 gesenkt wurde. Ob das der Fraktionsvorsitzende Dr. Vogel war, ob das Ihr damaliger Fraktionssprecher für Finanzen, Dr. Apel, war oder ob das Herr Roth war - alle sind sie über Herrn Dr. Stoltenberg wegen dieser Mittel hergefallen, die den deutschen Landwirten zugute kamen.
({8})
Das muß ja auch einmal gesagt werden. Hier immer davon reden, man wolle für die Bauern etwas tun, aber dann, wenn etwas getan wird, den Finanzminister und die Bundesregierung in der Haushaltsdebatte madig machen, weil sie etwas tut, das paßt nicht zusammen.
Da müssen Sie in Ihrer Argumentation schon ehrlich bleiben.
({9})
Die Kollegin Matthäus-Maier hat am 26. Mai 1989 vom Subventionswahnsinn gesprochen, davon, daß die Landwirte im Jahr 1992 eine Steuersubvention von 4,6 Milliarden DM bekommen sollen. Dazu kann ich nur sagen: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. 1992 4,6 Milliarden an Steuersubventionen - ich kann sie mir nicht herrechnen. Das zeigt ja doch wohl irgendwie, daß hier auch noch die Kenntnisse fehlen.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wollte eigentlich etwas mehr von der Zukunft sprechen,
({10})
und das will ich jetzt tun. Zunächst zur Politik der SPD
({11})
- bei den GRÜNEN kann ich nicht so recht herauskriegen
({12})
- ja, auf die Zukunft komme ich gleich - , welche agrarpolitische Konzeption sie denn haben, außer der, daß sie keine haben - : Meine Damen und Herren, die SPD meint, das Problem der Landwirtschaft mit Einkommensübertragungen lösen zu können. Gerade die hohen Aufwendungen, die wir als Einkommensübertragungen durchführen, sei es im Sozialbereich, sei es im Bereich benachteiligter Gebiete oder sei es jetzt im Bereich des Strukturgesetzes, zeigen ja, daß man mit Einkommensübertragungen allein die Agrarprobleme überhaupt nicht lösen kann. Wir stecken in einer Krise viel mehr der größeren, leistungsfähigen Betriebe als der mittleren und der kleineren Betriebe, und zwar wegen des völlig falschen Ansatzes in Brüssel.
Aber ich meine, man kann in einer Sache Konsens erreichen. Die Landwirte sollen grundsätzlich ihr Geld am Markt verdienen. Wer kann wohl dagegen sein? Dafür müssen alle sein. Das heißt, daß wir die politischen Rahmenbedingungen schaffen, damit das Preis-Kosten-Verhältnis stimmt, um den Landwirten ein vergleichbares Einkommen zu gewähren. Wenn wir dann den kleineren Landwirten oder den Landwirten mti einer geringeren Ressource oder in benachteiligten Gebieten oder solchen, die aus irgendwelchen Gründen mit dem Fortschritt der Technik in der Europäischen Gemeinschaft nicht mitgekommen sind, die wir aber im ländlichen Raum erhalten wollen, eine Einkommensübertragung geben, dann haben wir doch eine Mischung der Vernunft: einmal leistungsfähige Betriebe über den Markt, über das PreisKosten-Verhältnis, und Erhaltung der Bevölkerung, auch der bäuerlichen Bevölkerung, im ländlichen
Raum, indem man da, wo es sein muß, gewisse Einkommensübertragungen durchführt. Auf diese Grundlage könnten wir uns eigentlich einigen.
Aber leider sind wir in weiten Bereichen nicht mehr Herr der Lage. Wir mußten uns gefallen lassen, daß die Kommission viele Bereiche der Politik übernimmt. Hier wird es nun natürlich bitter; denn die Bundesregierung hat leider nicht verhindern können - ich sage: nicht verhindern können; ich sage nicht, sie hat es gewollt -, daß wir beim Getreide, bei Raps, bei pflanzlichen Produkten einen tiefen Preiseinbruch gehabt haben, der allergrößte Befürchtungen rechtfertigt. Der Butterberg, der Magermilchpulverberg, der Rindfleischberg sind alle auf null abgebaut. Für das Getreide habe ich die Zahlen hier vorliegen. Ich will sie aus Zeitgründen nicht alle erläutern. Wir haben alle Berge beinahe auf null abgebaut. Aus Brüssel fließen jetzt Mittel zurück. Man sagt, daß die Bundesrepublik 1989 etwa eine Milliarde DM nicht zahlen muß, 1990 etwa 2,4 Milliarden DM. Damit könnte man doch nun wirklich eine neue, konstruktive Agrarpolitik finanzieren.
Wir alle sind wohl dafür, die Preise etwas anzuheben. Als erstes sollte man die Mitverantwortungsabgabe aufgeben. Wir halten sie im Grundsatz für falsch.
({13})
Ich weiß, daß Minister Kiechle und sein Staatssekretär Kittel in Europa bei den Nationalstaaten dafür werben, daß wir hier einen Schritt weiterkommen.
({14})
Noch wichtiger ist, daß wir mit diesen Mitteln die anderen Länder der EG in die Lage versetzen, die Stabilisatoren auch wirklich durchzuführen: die Flächenstillegung, Substitutenrückführung, Verfütterung von Getreide. Ich erinnere mich noch an den Vorschlag des Kollegen Michels bei dem Besuch bei Kommissar Andriessen. Warum hätte man nicht sofort für alles Getreide, das verfüttert wird, grundsätzlich die Mitverantwortungsabgabe streichen können? Das wäre eine ganz unbürokratische Möglichkeit gewesen, für mehr Verfütterung zu sorgen.
Vor allen Dingen ist die Förderung bei nachwachsenden Rohstoffen wichtig. Da, meine Damen und Herren, bin ich im Kontext mit der ganzen Debatte von heute morgen,
({15})
mit der hervorragenden Debatte von heute morgen, was jedenfalls den Bundeskanzler und Herrn Rühe anging. Da ging es auch um Zukunftsprobleme und auch um die Erhaltung der natürlichen Ressourcen. Nichts ist gefährdeter als die Atmosphäre. Andererseits ist nichts wichtiger für Mensch, Tier und Pflanze als die Erhaltung einer uns das Leben ermöglichenden Atmosphäre. Wir haben bei den nachwachsenden Rohstoffen wirklich die Chance, etwas Wesentliches zu tun.
Ich bin sehr traurig darüber, daß erstens die Kornmission Minister Töpfer zurückgepfiffen hat, als er das Pfand für Plastikflaschen einführen wollte. Ich bin der
Meinung: Umgekehrt müßte überall da, wo im Bereich der Verpackung Stärke Mineralöl ersetzen kann, dies von Gesetzes wegen auch durchgeführt werden. Das wäre einmal eine vernünftige Umweltschutzmaßnahme.
({16})
Dann kämen wir auch stärker in den Bereich der nachwachsenden Rohstoffe hinein und würden über die Photosynthese zusätzlich Sauerstoff in die Atmosphäre bringen.
({17})
Nichts kann der Atmosphäre zuträglicher sein als intensive, leistungsfähige Bebauung der Böden, wo ständig Chlorophyll vorhanden ist, um die Photosynthese zu ermöglichen. Einmal wird das eine der wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft sein. Auf Weizenland wird netto mehr Sauerstoff erzeugt als im Regenwald.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu einem anderen Thema. - Mir wurde gesagt, ich würde einige Minuten mehr zur Verfügung haben, weil die Regierung hierzu nicht sprechen werde. Ist das korrekt?
Nach meinen Unterlagen ist das noch nicht vorgesehen.
Ich möchte noch einige kurze Worte an die Verbraucher sagen, und zwar wegen der Debatte um die Lebensmittelqualitäten.
Unsere Verbraucher werden durch das deutsche Lebensmittelrecht und durch eine leistungsfähige Landwirtschaft, die qualitätsbewußt erzeugt, mit den besten Nahrungsmitteln der Welt versorgt.
({0})
Lassen Sie sich nicht durch das kriminelle Verhalten von einzelnen verunsichern, die Hormone oder Hustenmittel oder was immer das sein mag - „Salbutamol" heißt das Zeug ja wohl - verfüttern!
({1})
Sie sind absolute Ausnahmen. Die Masse unserer Bauern lehnt diese Methoden ohne Wenn und Aber ab und will unseren Verbrauchern hervorragende Nahrungsmittel zur Verfügung stellen.
({2})
Nun komme ich zum Schluß. - Wir werden den Haushalt 1990 im Bundestag noch beraten: es ist ja jetzt erst die erste Lesung. Wir werden sicherlich noch einiges ändern. Die bäuerlichen Familien, die Forstmänner, die Gärtner, die Fischer, sie alle können sich darauf verlassen: Die CDU/CSU-FDP-Fraktion läßt sie nicht im Stich.
({3})
Das war es.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Flinner.
So viel Zeit möchte auch ich einmal zum Reden haben. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landwirtschaft ist wieder in die öffentliche Diskussion geraten, nicht etwa deshalb, weil sich die Agrarpolitik geändert hätte, nicht etwa deshalb, weil es etwas wirklich Neues gäbe, sondern weil wir wieder einmal einen Kälbermastskandal haben, ganz neu aus Baden-Württemberg, ganz neu, Herr Eigen. Es sind nicht schwarze Schafe, sondern es ist eine Herde schwarzer Schafe.
({0})
- Sie wissen genau, daß ich sehr für die Bauern eintrete. Sonst wäre ich nicht hier im Deutschen Bundestag. Ich trete für die Bauern ein, aber nicht für die Kategorie von Bauern, für die Sie eintreten.
({1})
Weil in Deutschland die Agrarprodukte kreuz und quer hin- und hergeschoben werden, tauchen die wachstumsgeförderten Schnitzel aus Niedersachsen gleich in Stuttgart auf. Wer von uns kann sicher sein, daß er nicht schon heute Hustensaft im Mittagsbraten hatte? Solche Fragen stellen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ihr Vertrauen in die deutschen Landwirte und deren Produkte nimmt ab. Dagegen kommt die CMA, die sehr wohl von uns auch noch finanziert wird, mit noch so teuren Werbeaktionen nicht an. Das wäre ja auch schlimm; denn die Nahrungsmittel müssen besser werden, nicht die Werbung muß besser werden.
({2})
Wie kommt es eigentlich zu diesen Mastskandalen? Daß es nur zufällig ein paar schwarze Schafe unter den Tiermästern gibt, glaubt doch keiner mehr.
({3})
Im Gegenteil: Innerhalb der vorliegenden agrarpolitischen Rahmenbedingungen sind solche Mastskandale völlig konsequent.
({4})
- Hören Sie einmal zu! - Wenn sich die Landwirtschaftspolitik nicht insgesamt ändert, werden wir immer wieder solche Verbrechen erleben.
({5})
Nur in der Massentierhaltung machen diese schlimmen Praktiken Sinn. In klein- und mittelbäuerlichen Betrieben gibt es so etwas nicht. Doch da die Regierungspolitik immer weiter auf Konzentration und Agrarfabriken setzt
({6})
und EG-weit die Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion vorantreibt, werden wir auch
in Zukunft nicht von solchen Mastskandalen verschont bleiben.
Der Agrarhaushalt, meine Damen und Herren, zeigt uns, welche Politik diese Regierung verfolgt. Es geht weiter mit dem Höfesterben, es geht weiter mit der Chemie auf den Feldern, und es geht weiter abwärts mit unseren Lebensgrundlagen, nach dem Motto „Weiter so, Deutschland!" In diesem Haushalt gibt es keinen Fortschritt zur Ökologisierung der Landwirtschaft. Im Gegenteil, die 700 Millionen DM, die nach dem Landwirtschaftsförderungsgesetz ausgegeben werden, gehen hauptsächlich in die Agrarfabriken und verschlechtern zusätzlich die Wettbewerbslage der kleinen und mittleren Betriebe.
({7})
- Herr Eigen, Sie wissen das -, die eine Hilfe dringend nötig hätten. Ursprünglich sollte es ja „Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft" heißen. Aber von Anfang an hat keiner daran geglaubt, daß damit den Bäuerinnen und Bauern geholfen wird.
Die sogenannten Umweltschutzauflagen dieses Gesetzes, die im Laufe der Ausschußberatungen immer weiter verkümmert sind, schränken in keiner Weise die Belastungen von Boden, Luft und Wasser ein. Sie bilden vielmehr einen weiten Spielraum, innerhalb dessen die Umweltverschmutzung noch stark erweitert wird. Ich denke da vor allem an das Düngemittelgesetz. Die Erkenntnisse über die Verseuchung des Grundwassers und der Nordsee sind am Landwirtschaftsminister wirklich spurlos vorbeigegangen.
Das Trinkwasser wird immer knapper, es gibt immer mehr Wasserwerke, die kein reines Wasser mehr liefern können, weil zu viele Pestizide ins Grundwasser gelangt sind.
Aus alledem zieht die Regierung keine Konsequenzen. Keine Maßnahme findet sich im Agrarhaushalt, die diesen Unsinn stoppt.
({8})
An solchen Beispielen sehen wir, wie machtlos und hilflos der Umweltminister ist.
Nicht besser ist es mit der Flächenstillegung. Alle Experten und die Umweltschutzverbände lehnen sie ab.
({9})
Für die Umwelt und für die Reduzierung der Überschüsse ist dabei nichts herausgekommen, aber auf Jahre hinaus sind wir mit gewaltigen Kosten belastet und bezahlen damit noch, daß Franzosen und Holländer von den deutschen Bauern Marktanteile geschenkt bekommen. Das werden Sie wohl nicht bestreiten.
Wir GRÜNEN dagegen haben Vorschläge zur flächendeckenden Ökologisierung gemacht. Unsere Pläne bedeuten den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Die Regierung dagegen betreibt den Ausverkauf unserer Kulturlandschaft auf dem Rücken von uns Bäuerinnen und Bauern. Wir brauchen keine Flächenstillegung, wenn selbst mit der intensiven Landbewirtschaftung, wie sie von dieser Regierung gefördert wird, bei vielen Produkten noch nicht einmal ein Selbstversorgungsgrad von 100 % erreicht wird. Wir brauchen auch keine Produktionsaufgaberente, die es unmöglich macht, daß Familienangehörige als Hofnachfolger den Betrieb übernehmen können. Alle diese Geldbeträge sollten viel besser dafür verwendet werden, uns Bäuerinnen und Bauern die Möglichkeit zu geben, mit der Erzeugung gesunder Nahrungsmittel wieder ein angemessenes Einkommen zu erzielen.
({10})
Dringend nötig wäre die Entlastung von den viel zu hohen Beiträgen für die landwirtschaftliche Alterskasse. Es geht nicht an, daß die Beitragslasten für die kleinen Betriebe eine solche Benachteiligung darstellen. Die paradoxe Entwicklung, daß es inzwischen mehr Leistungsempfänger als Beitragszahler gibt, haben nicht die Bauern zu verantworten, die jetzt zur Kasse gebeten werden. Vielmehr hat die Regierung auf diesen Zustand zielstrebig hingearbeitet, indem sie den Strukturwandel beschleunigt.
({11})
Außerdem, meine Damen und Herren, ist die Verbesserung der Situation der Bäuerinnen überfällig. Die Bäuerinnen brauchen einen eigenständigen Anspruch in der Alterskasse, ohne daß damit höhere Beitragslasten verbunden sind.
({12})
Auch in anderen Bereichen, vor allem im Mutterschutz, muß den Bäuerinnen gezielt geholfen werden, ein Niveau der sozialen Absicherung zu erreichen, das anderswo längst selbstverständlich ist. Auch hier hat die Regierung bisher völlig versagt.
Was wir statt dieses Haushalts brauchen, ist ein landwirtschaftspolitisches Programm, das die Notlage auf den Höfen beendet und gleichzeitig die Ökologisierung der Landbewirtschaftung fördert.
Im Landwirtschaftsministerium spekuliert man jetzt sehr über den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen und von Energiepflanzen; Herr Eigen, Sie haben es angeschnitten. Wie wir alle wissen und Sie nicht wahrhaben wollen, stört dieser Anbau das ökologische Gleichgewicht in höchstem Maße. Und rentabel sind diese Pflanzen auch nicht; das zeigt sich schon bei den bisher angelegten Anbau- und Verwendungsversuchen.
({13})
Uns erwartet damit wieder ein riesiger Subventionsbedarf. Das wissen sie, Herr Eigen; das haben wir auch im Ausschuß schon diskutiert. Wir sehen das schon jetzt beim Raps, und es kommt bei den anderen Früchten genauso.
({14})
Es darf nicht sein, daß das Geld der Steuerzahler für solchen Unsinn zum Fenster hinausgeworfen wird und man der Bevölkerung noch weismacht, damit würden die Bauern unterstützt.
({15})
Wir haben während der Haushaltsberatungen nun schon öfter gehört, z. B. gestern und heute morgen, man sollte das Verursacherprinzip anwenden. Wie wäre es denn, wenn die Regierungspolitiker für die Folgen ihrer Handlungen geradestehen müßten? Wollten wir das in der Agrarpolitik tun, müßte Herr Kiechle den Konkursverwalter holen; um eine Bankrotterklärung käme er nicht herum.
({16})
- Doch, das kommt von mir.
Dann möchte ich noch zur Mitverantwortungsabgabe kommen. Herr Eigen, ich bin mit Ihnen einig: Die Mitverantwortungsabgabe muß wieder abgeschafft werden. Aber ich bin mit Ihnen in dem einen Punkt, den wir morgen im Ausschuß beraten werden, nicht einig. Das Abschaffen der Mitverantwortungsabgabe ist das einzig Richtige.
Ich danke schön.
({17})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bredehorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zum Entwurf des Agraretats 1990 zurückkommen und kann nur feststellen: Dieser Entwurf ist die konsequente Fortsetzung der Politik dieser Bundesregierung und die konsequente Fortsetzung der erfolgreichen Politik der Koalitionsfraktionen, um die notwendigen Mittel für eine vernünftige und zukunftsgerichtete Agrarpolitik zur Verfügung zu stellen.
Dabei müssen wir die Gelder - das ist unsere Aufgabe - gezielt einsetzen, um Einkommens- und Strukturprobleme der Landwirtschaft zu lösen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer bäuerlichen Betriebe zu fördern, um den notwendigen Strukturwandel sozial abzufedern und um ökologische Leistungen unserer Landwirte zu honorieren.
Ein Wort zur Debatte. Frau Flinner, mit der generellen Verunglimpfung unserer Bauern, unserer Landfrauen und unserer bäuerlichen Betriebe, die Sie hier betrieben haben,
({0})
will ich mich nicht auseinandersetzen.
Herr Oostergetelo aber hat davon gesprochen, daß diese Regierung, daß die Koalitionsfraktionen nicht genug zur Erhaltung der bäuerlichen Betriebe und zur Erhaltung der Sozialfunktion des ländlichen Raums tun. Herr Kollege, wenn ich den Worten Ihrer Finanzexpertin Frau Matthäus-Maier folge, die vom Wahnsinn von Milliardensubventionen für die Landwirtschaft spricht, dann muß ich sagen: Das ist ungewöhnlich und ohne jegliche Kenntnis der Zusammenhänge. Denn wir müssen doch wissen: Die Erhaltung der bäuerlichen Betriebe und die Erhaltung unserer Kulturlandschaft, in der sich Millionen unserer Mitbürger erholen wollen, können wir nicht zum Nulltarif haben. Wir müssen das Geld aber sinnvoll und vernünftig ausgeben.
({1})
Da müssen wir um den besten Weg ringen.
Ich muß Ihnen auch sagen, Kollege Oostergetelo, daß Sie ein Horrorgemälde von der Ausbreitung der Agrarindustrie in der Bundesrepublik malen. Zum Wecken von Neidkomplexen unter den Bauern muß ich sagen: Es tut mir wirklich ein bißchen leid, Herr Kollege. Ich kenne ja auch Ihren Betrieb schon; ich sage das jetzt einmal als einer der Bauern, die einen kleineren Betrieb bewirtschaften und damit zurechtkommen - es liegt ja nicht nur an der Größe - : Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Sie das so sagen; das muß ich einmal ganz deutlich sagen.
Es ist doch genau umgekehrt. Unser Problem ist doch die schlechte Struktur in der Landwirtschaft, die wir in der Bundesrepublik haben, im Grunde genommen die schlechteste Struktur in der EG - in. Griechenland usw. ist es noch schlechter - im Vergleich zu den Konkurrenten und zu den Partnerländern, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Das ist doch nicht in Ordnung. Wenn Sie hier davon sprechen, wir dürften unsere jungen, unternehmerisch tüchtigen, bereiten und gut ausgebildeten Landwirte nicht enttäuschen, aber gleichzeitig von Obergrenzen reden, dann muß ich feststellen, daß die SPD einen Antrag gestellt hat, nach dem bei 60 Kühen Schluß ist.
({2})
- Sicherlich reicht das in manchen Gebieten. Aber es gibt eben auch Gebiete, wo nur Grünland ist und wo die Leute einfach eine Chance haben müssen. Schauen Sie sich einmal in der EG um: Da haben wir im Durchschnitt 16 Kühe. Ich meine, man darf sich das nicht so einfach machen.
({3})
Ich habe wirklich mit etwas Enttäuschung festgestellt, daß sogar der Antrag der GRÜNEN, die von 40 Kühen sprachen, von Kollegen der SPD unterstützt worden ist. So sollten wir nicht miteinander umgehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird: gern.
Auf keinen Fall. - Bitte, Herr Oostergetelo.
Herr Kollege, da Sie ein guter Kuhwirt sind, frage ich Sie: Bei unserem Antrag ging es nicht um ein Verbot, sondern darum, daß jemand, der mehr als 60 oder 80 Kühe hat, nicht mehr gefördert werden soll. Sind Sie wirklich der Meinung, daß jemand mit 300 000, 400 000, 600 000 oder 900 000 Litern nicht in der Lage ist, allein vom Preis zu leben?
Muß ich den noch fördern? Nur darum ging es, um nichts anderes.
Herr Kollege, ich muß ihnen leider sagen: Diese Betriebe sind ja nicht mit drin. Es ging ja um die sozialstrukturellen Ausgleichsmaßnahmen. Und diese Betriebe sind ja jetzt - ({0})
- Sie sprechen von 900 000 Litern. Diese Betriebe sind ja heute
({1})
schon nicht mehr drin.
({2})
Lieber Herr Kollege, es geht doch darum, daß der im Höchstfall 8 000 DM bekommen kann. Das haben wir oben abgeschottet.
({3})
Wir haben ganz bewußt die paar größeren Betriebe, die wir haben, herausgenommen. Die brauchen das auch nicht; da gebe ich Ihnen ja recht. Wer da noch nicht mit seiner Wirtschaft zurechtkommt, bei dem ist irgendwoanders etwas nicht in Ordnung. Darüber sind wir uns doch einig.
Aber ich meine, es ist nicht in Ordnung, wenn man so etwas macht. Denn Sie müssen doch einfach die großen Unterschiede sehen. Ich bin wirklich sehr froh, wenn in Baden-Württemberg jemand zehn Kühe melkt und noch ein gutes Nebenerwerbseinkommen hat. Wir wollen diese Betriebe. Das ist in Ordnung. Aber ich bin dagegen, wenn man einfach aus ideologischen Gründen sagt, an der Nordsee, wo es nichts anderes als Grünland gibt, müsse bei 40 oder 60 Kühen Schluß sein. Nein, der muß auch die Möglichkeit haben, unternehmerisch tätig zu sein.
({4})
- Bitte, Sie haben doch diese Grenzen gefordert. Ich meine, wir müssen doch einmal deutlich sagen, daß das so nicht in Ordnung ist.
({5})
Ich meine, Herr Kollege, wir sollten hier wirklich in offener und ehrlicher Diskussion das miteinander zum Wohl unserer Bauern austragen und die Diskussion nicht nur in Ideologie und Neid führen.
Der größte Brocken im Agraretat bleibt die Agrarsozialpolitik
({6})
mit mehr als 5,4 Milliarden DM. Hier wird es wohl - ich bedaure das sehr - nicht mehr zu der notwendigen großen Reform in dieser Wahlperiode kommen. Wir sind aber gewillt und entschlossen, die von der EG geforderte notwendige Anpassung vorzunehmen. Die FDP jedenfalls legt Wert darauf, daß die 300 Millionen DM nach dem Sozialversicherungsbeitragsentlastungsgesetz weiterhin der Landwirtschaft voll zugute
kommt. Wir müssen also diese Mittel in unser Agrarsozialsystem integrieren.
Ich bin besonders froh, daß erstmals im Agrarhaushalt 6 Millionen DM für eine Umstellungshilfe bereitgestellt werden. Das bedeutet, daß Landwirte, die im mittleren Lebensalter sind und erkennen, daß sie auf ihrem Hof langfristig keine Chance mehr haben, für einen qualifizierten Beruf umgeschult werden können und daß in dieser Zeit diese Umschulung und die Bewältigung der dadurch in diesem Jahr auf dem Hof entstehenden Probleme aus dem Agrarhaushalt entsprechend unterstützt werden. Ich meine, daß ist der richtige Weg. Hier gibt es ja auch einen Modellversuch in Bayern, der, wie ich höre, sehr erfolgreich verläuft. Das ist mir ganz klar. Das sind Landwirte im mittleren Alter, die bereit sind, etwas zu leisten und sich zu engagieren.
Mit den bereitgestellten Mitteln für Flächenstillegung, Extensivierung, Produktionsaufgaberente sind alte FDP-Forderungen im Haushalt verankert.
Es wird jetzt alles darauf ankommen, daß auch unsere EG-Partnerstaaten entsprechende Gesetze anwenden und insbesondere finanziell vernünftig ausgestalten, damit die Überschußproduktion in ganz Europa zurückgeführt wird.
Unsere Vorreiterrolle in diesem Bereich darf nicht dazu führen, daß die deutsche Landwirtschaft Marktanteile an ihre Konkurrenten verliert.
In der Gemeinschaftsaufgabe - lassen Sie mich das ganz kurz ansprechen - mit rund 1,5 Milliarden DM bleiben die Mittel in gleicher Höhe. Meine persönliche Meinung und auch die Meinung meiner Fraktion ist: Wir dürfen die einzelbetriebliche Förderung nicht vernachlässigen. Wir müssen den Weg gehen, daß wir die Nebenerwerbslandwirte fördern und zugleich den Landwirten, die im Vollerwerb eine Chance haben, die Möglichkeit geben, im europäischen gemeinsamen Markt zu bestehen.
Herr Oostergetelo hat das Bundesnaturschutzgesetz angesprochen. Gerade wir von der FDP-Fraktion setzen uns ja sehr dafür ein, es noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.
({7})
Es gibt ja einen Entwurf des Ministers. Wir werden darüber beraten müssen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Erhaltung wertvoller Biotope und Pflanzen, die sonst unwiederbringlich verloren wären, im Interesse unserer Natur und im Interesse unserer Nachkommen muß in bestimmten Bereichen zu Auflagen führen, die auch die ordnungsgemäß betriebene Landwirtschaft in ihrem Tun einschränken.
({8})
Ich meine, wir müssen bereit sein, den Landwirten für die verlorenengegangenen Möglichkeiten, für den Nachteil gegenüber den anderen Berufskollegen, mit denen sie konkurrieren müssen, einen Ausgleich zu geben.
({9})
Ich meine, wir sollten versuchen, diese Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe bereitzustellen. Sie wissen: Naturschutz ist Länderaufgabe. Sie wissen, daß
es bei den Ländern durchaus unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten gibt. Ich meine, hier ist der Bund gefordert, seiner finanziellen Verantwortung gerecht zu werden. Dies werden wir sicherlich sehr ernsthaft miteinander diskutieren müssen.
Der soziokulturelle Einkommensausgleich, der die währungsbedingten Nachteile der deutschen Landwirte in der EG abmildert, muß jetzt flächenbezogen verteilt werden. Ich höre von den Landwirten aus der Praxis: Der hierfür notwenige große bürokratische Aufwand führt zu Unmut. Das muß man einfach deutlich sehen.
({10})
Es sind viele Anträge unterschiedlichster Art zu stellen. Es geht nicht nur um diesen Ausgleich der währungsbedingten Nachteile, sondern auch um die Bullenprämie - Stichwort: Loch im Ohr - , es geht auch um den Ausgleich aus dem Fonds für benachteiligte Gebiete.
({11})
- Da haben Sie recht. Auch ich beklage das. Wir müssen uns sicher überlegen, ob man das nicht in einem Generalantrag machen kann. Darüber müssen wir nachdenken. Wir wollen ja nicht, wie hier gesagt wurde, Formulare von der Wiege bis zur Bahre.
({12})
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Der Entwurf des Agraretats für 1990 zeigt, daß wir die Landwirtschaft nicht im Stich lassen, sondern daß sie für uns nach wir vor einen hohen Stellenwert hat. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß der EG-Binnenmarkt vor der Tür steht und daß sich der Wettbewerb zwischen den einzelnen Landwirtschaften noch verstärken wird.
Die Liberalen werden sicherlich marktwirtschaftliche Lösungsvorschläge bevorzugen, soweit das möglich und verantwortbar ist. Wir von der FDP werden auch weiterhin dafür sorgen, daß wir für unsere Landwirtschaft die Rahmenbedingungen schaffen, mit deren Hilfe sie den Konkurrenzkampf im zukünftigen gemeinsamen Markt bestehen kann.
Schönen Dank.
({13})
Meine Damen und Herren, ich rufe zwischendurch den Zusatztagesordnungspunkt auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Carstensen ({0}), Rossmanith, Herkenrath, Kalb, KrollSchlüter, Niegel, Sauter ({1}), Dr. Götz, Schartz ({2}), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Fuchtel, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz ({3}), Spilker, Link ({4}), Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Rüttgers, Scheu, Schmitz ({5}), Frau Will-Feld und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen ({6})
- Drucksache 11/5124 Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Ernährung Landwirtschaft und Forsten ({7})
Finanzausschuß
Der Gesetzentwurf soll federführend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Finanzausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir können in der Haushaltsdebatte fortfahren und kommen zum Bereich des Bundesministers für Verkehr. Das Wort hat Herr Abgeordneter Daubertshäuser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Haushaltsentwurf des Bundesministers für Verkehr belegt erneut: Dieser Bundesregierung fehlt ganz einfach die Kraft für eine gestaltende Verkehrspolitik. Halsstarrig beharrt sie auf ihrem ideenlosen „Weiter so".
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen: Merken Sie denn nicht, daß diese Ihre Verkehrspolitik längst gescheitert ist? Unser Straßennetz ist überlastet.
({0})
- Herr Kollege Bohl, Sie wissen das ganz genau. - Mensch und Umwelt ersticken im Verkehr. Wir können tagtäglich in der Zeitung lesen: Es droht der Verkehrsinfarkt.
Der Luftverkehr steht vor einem Chaos; die härtesten Wochen in diesem Jahr werden uns noch im September und im Oktober bevorstehen. Auch mit ihrer Eisenbahnpolitik ist diese Bundesregierung am Ende. Die Krisensitzung des Bahnvorstandes in der letzten Woche hat dies noch einmal bestätigt.
({1})
- Sicher, Herr Kollege Gries, Sie sind halt nicht so in der Bahnpolitik orientiert wie Ihr Kollege Kohn. Von daher ist Ihnen das wahrscheinlich entgangen.
Sie stehen nun in der Verkehrspolitik insgesamt vor einem Scherbenhaufen, und Sie wollen jetzt noch 400 Millionen DM mehr für den Straßenbau ausgeben. Sie müßten eigentlich durch die Erfahrungen der letzten Jahre gewitzt sein. Ein linear ansteigendes Verkehrsaufkommen holt man nur mit mehr Straßen nie ein. Immer mehr Straßen sind das falsche Rezept. Das ist eine sehr engstirnige Betonkopfpolitik, die immer tiefer in die verkehrspolitische Sackgasse hineinführt.
Im Bereich des Luftverkehrs wissen Sie schon seit Jahren, wann von den Fluglotsen das Pensionsalter erreicht wird und wie viele Fluglotsen in Pension gehen. Man hätte hier rechtzeitig Nachwuchskräfte anwerben müssen. Aber die Bundesregierung hat dies
pflichtwidrig unterlassen, und man hat sich neben vielen anderen Problemen im Luftverkehr auch noch das Personalproblem eingehandelt.
Dieses verkehrspolitische Dahinwursteln ist in der Bahnpolitik zur offiziellen Regierungspolitik erklärt worden.
({2})
Gegen jede Vernunft und gegen die Ratschläge fast aller Experten hat diese Bundesregierung, Herr Kollege Gries, 1983 ihre sogenannten Bahnleitlinien verabschiedet. Es wird nun immer offenkundiger: Diese Bahnleitlinien strangulieren das Unternehmen Deutsche Bundesbahn.
Jede moderne Unternehmensführung weiß doch: Mit das größte Kapital sind die Mitarbeiter. Nur, bei der Deutschen Bundesbahn bleiben diese Mitarbeiter auf der Strecke. Über sechs Millionen Überstunden hat die Bundesbahn zu verzeichnen. Wenn man sich die Dienstpläne anschaut, erkennt man: Sie sind der Ausdruck eines beeindruckenden Personalmangels. Der Urlaubsrückstand erklimmt eine Rekordhöhe nach der anderen.
Meine Damen und Herren, da muß man doch fragen: Was macht das für einen Sinn? Was hat dies mit menschengerechter Unternehmensführung zu tun? Das ist die knechthafte Erfüllung von sogenannten Eckdaten, die zu Geßler-Hüten degeneriert sind und dann auf dem Rücken der Eisenbahner ausgetragen werden, die man wie Zitronen auspreßt.
Die Bundesregierung müßte wissen: Wer die Bundesbahn personell so ausblutet, der stiehlt diesem Unternehmen die Zukunft und zerstört damit die Substanz des Unternehmens. Fest steht: Mit den Ergebnissen dieser Verkehrspolitik, Herr Kollege Gries, können die Menschen in der Bundesrepublik wahrhaftig nicht zufrieden sein.
({3})
Sie wissen, die Straßen sind nicht ausreichend verkehrssicher. Zu viele Menschen sterben bei Unfällen und werden schwer verletzt. Sie wissen, Lärm und Abgase gefährden zunehmend unsere Gesundheit. Die Wohn- und die Lebensbereiche sind zum Teil unwirtlich geworden. Der Wald stirbt weiter; das hat der Waldschadensbericht der Bundesregierung erst vor einigen Wochen wieder ausgewiesen. Der Verkehrsbereich insgesamt verbraucht zu viel unserer knappen Energiereserven.
Nötig ist also eine Neuorientierung der Verkehrspolitik. Wir haben im Gegensatz zur Bundesregierung ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept. Unser Ansatz ist dabei: Verkehrsträger und Verkehrsunternehmen haben die notwendigen Beförderungs- und Transportaufgaben ökonomisch sinnvoll sowie menschenund umweltgerecht zu leisten.
Die Verkehrspolitik muß dafür die Rahmenbedingungen setzen. Sie hat die erforderlichen Strukturen zu schaffen. Die Menschen und die Umwelt ersticken im Verkehr. Deshalb brauchen wir die Verkehrsverlagerungen vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehr.
Das Verursacherprinzip muß viel stärker Geltung erhalten. Das heißt, die Verkehrsträger haben mehr als bisher für die von ihnen verursachten Kosten aufzukommen; man kann sie nicht einfach der Allgemeinheit überlassen. Das gilt für die Wegekosten, das gilt für die Umweltkosten und selbstverständlich auch für die Unfallkosten. Das heißt, wir wollen die Lenkungsfunktion des Marktes im Verkehrsbereich durch eine sinnvolle Ordnungspolitik stärken.
Herr Kollege Gries, Sie sind doch Marktwirtschaftler. Sie wissen, der Markt berücksichtigt gesellschaftspolitische Erfordernisse nicht. Deshalb muß der Staat hier die Rahmenbedingungen setzen, beispielsweise für ökologisch verträgliche Verhaltensweisen oder für sozialverträgliche Lösungen. Die spezifischen Vorzüge des jeweiligen Verkehrsträgers müssen besser genutzt werden, und man muß die einzelnen Verkehrsträger besser miteinander verknüpfen.
({4})
- Es ist völlig richtig, Herr Kollege Gries: Das gilt für alle. Die Vernetzung der Verkehrsträger zu einem ökonomisch und . ökologisch intelligenten Gesamtsystem erfordert dann natürlich auch eine gewisse Feinabstimmung bei den Schnittstellen. Wer wirklich mehr Transporte auf die Schiene bringen will, der muß diese systemtechnische Kooperation zwischen Schiene und Straße verstärken; das ist der wesentliche Punkt dort. Aber das ist nicht umsonst zu haben. Hier muß man also Geld in die Hand nehmen, um z. B. Terminals für den kombinierten Ladeverkehr zu schaffen und auch entsprechendes Wagenmaterial vorzuhalten, damit nicht irgenwo Züge und Transportgut tagelang warten müssen, weil das entsprechende Material fehlt.
({5})
- Ich kritisiere diese Haushaltspolitik, die nicht in der Lage ist, die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
({6})
- Herr Kollege Fischer, wer den Straßenverkehr tatsächlich wirkungsvoll entzerren will, der muß zu einer Entlastung der Hauptverkehrskorridore kommen. Der Ruf nach mehr Straßen jedenfalls ist nach meiner Auffassung absolut einfallslos, und er ist auch falsch.
({7})
Ökonomisch und auch ökologisch sinnvoll ist es, z. B. den kombinierten Verkehr auszubauen - weil Sie nach Schwerpunkten fragen - , d. h. die im Wettbewerb stehenden Verkehrsträger Straße, Wasserstraße und Schiene müssen zu optimalen Verkehrsketten mit dem Ziel verknüpft werden, die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen, um damit auch zu einer höheren Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems zu kommen.
Es wäre deshalb sinnvoll gewesen, in diesem Haushaltsentwurf ein Beschleunigungsprogramm für den Bau von Terminals für den kombinierten Verkehr vorDaubertshäuser
zusehen. Wegen des Sachzusammenhangs und wegen einer Gesamtoptimierung unseres Verkehrssystems muß dieses Beschleunigungsprogramm für den kombinierten Verkehr aus den Straßenbaumitteln finanziert werden. Das ist auch möglich; Sie haben ja um 400 Millionen DM aufgestockt.
({8})
Unseren Ballungsräumen droht der Verkehrsinfarkt. Wir wissen alle, daß die Innenstädte unter der Autolawine ersticken. Das Auto - das streitet niemand ab - hat den Menschen einen Zugewinn an Lebensqualität und Mobilität gebracht. Es bleibt auch künftig ein wichtiges Verkehrsmittel. Aber in den letzten Jahren ist doch ebenfalls deutlich geworden, daß das Auto nicht nur Vorteile hat.
({9})
Deshalb kann man in der Zukunft nicht alleine auf das Auto setzen,
({10})
d. h. Busse, Bahnen, Fahrräder usw. müssen aus dem politischen Abseits hervorgeholt werden. Ihre verstärkte Nutzung muß man fördern.
Wenn Sie sich angucken, wie die heutigen Kostenstrukturen, wie die heutigen Infrastrukturen aussehen, wissen Sie sehr schnell, daß diese Kosten- und Infrastrukturen den Pkw begünstigen. Diese Benachteiligungen des ÖPNV muß man abbauen. Ein Großteil der Schwierigkeiten in unseren Ballungsräumen rührt doch daher, daß unsere Gesellschaft zugunsten des Pkw und zu Lasten des ÖPNV viele marktwirtschaftliche Gesetz außer Kraft gesetzt hat. Wir werden das ändern.
({11})
- Aber sicher, Herr Kollege Gries. Gucken Sie sich doch nur einmal die Kostenstrukturen an.
Welchen Stellenwert diese Bundesregierung dem öffentlichen Personennahverkehr zumißt, wird doch daran deutlich, daß sie seit vier Jahren an einem Konzept für den ÖPNV in der Fläche bastelt, aber immer noch keine brauchbaren Ergebnisse vorzuweisen hat. Das ist doch wahrhaftig ein trauriger Rekord.
Wenn man für den ÖPNV etwas erreichen will, muß man sicher auch mehr Geld in die Hand nehmen. Die Kürzungen der ÖPNV-Mittel im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes waren wahrhaftig das absolut falscheste Signal, das man in diesem Zusammenhang setzen konnte.
({12})
Wer wirklich will, daß das Schienenverkehrsangebot der Deutschen Bundesbahn das Rückgrat einer Netzbedienung in der Fläche werden soll, der muß diese unselige Kürzung der Gemeindeverkehrsfinanzierungsmittel aufheben und mit uns gemeinsam Sorge dafür tragen, daß analog der Busfinanzierung auch der Fahrzeugbedarf der Bundesbahn für den Schienenpersonennahverkehr in der Fläche bezuschußt wird. Wir wollen die Gleichstellung in der finanziellen Förderung des VT 628 mit dem Bus; denn diese
Gleichstellung ist eine Voraussetzung dafür, daß die Deutsche Bundesbahn zu einer engen Zusammenarbeit mit den anderen Trägern des öffentlichen Personennahverkehrs kommen kann.
Mit diesem Finanzierungsmodell ist es möglich, auf den Nebenstrecken der Bundesbahn mit vereinfachten Betriebsweisen und dem Einsatz moderner Fahrzeuge sowie der Einführung von Taktfahrplänen die Wirtschaftlichkeit und die Angebotsqualität zu verbessern und damit auch erst eine echte Alternative zum Individualverkehr zu entwickeln. Aber Geld und Ideen reichen hier alleine nicht aus. Noch wichtiger ist der politische Wille, den öffentlichen Verkehr zu fördern. Exakt hier liegt doch das große Defizit dieser Bundesregierung. Sie will es offensichtlich nicht. Deshalb warten wir doch seit vier Jahren auf das Konzept.
Auch in der Bahnpolitik hat meine Fraktion ein klares Konzept mit detaillierten Gesetzentwürfen vorgelegt. Dieses klare sozialdemokratische Konzept steht in einem krassen Kontrast zu den Unverbindlichkeiten, die man bisher von der Bundesregierung hören konnte. In seiner Leistungsbilanz hat ja Dr. Zimmermann nunmehr die Berufung der Regierungskommission als großen Erfolg gefeiert.
Wir alle wissen, daß in der Bahn- und in der Verkehrspolitik Maßnahmen ergriffen werden müssen. Welche Maßnahmen es sind, ist auch schon seit langem in der Öffentlichkeit. Statt nunmehr eine Kommission zwei Jahre lang am runden Tisch sitzen zu lassen, wäre es für unser gesamtes Verkehrssystem wirkungsvoller gewesen, endlich Taten sprechen zu lassen.
Das gleiche Vertagungstheater haben wir doch jetzt bei der Trassenentscheidung Köln-Rhein/Main wiederum erlebt. Die endgültige Entscheidung ist wieder einmal vertagt, nämlich auf den Herbst. Dabei weiß jeder, daß diese Strecke überlebensnotwendig für die Deutsche Bundesbahn ist.
({13})
Auch insoweit kommt die Bundesregierung doch über ihre Sonntagsreden, Herr Kollege Gries, nicht hinaus. Nicht die verkehrspolitische Vernunft, sondern die Kirchturmperspektive von Lokalpolitikern und von Provinzfürsten bestimmt hier doch das Marschtempo, und seit zwei Jahren ist diese Entscheidung überfällig.
({14})
- Aber, Herr Kollege Straßmeir, es ist nicht dummes Zeug. Sie kommen vom Oktoberfest; deshab sehe ich Ihnen diesen unqualifizierten Einwurf nach.
Also, Sie wissen sehr genau, daß wir bei der Einbindung der Flughäfen ein Riesendefizit haben. Es gibt keine ernstzunehmende Stimme, die nicht in Übereinstimmung mit unserer Position fordert, den Kurzstrekkenflugverkehr und die Zubringerflüge auf die Schiene zu verlagern.
Was tut die Bundesregierung? Sie reduziert die Bahnansätze von 1,6 auf 1,2 Milliarden DM, und sie genehmigt in diesen Tagen den Tarifantrag einer
Fluggesellschaft, die nunmehr im innerdeutschen Verkehr die Tarife der Bahn unterbieten darf. Das heißt, in den Sonntagsreden erklärt man, man wolle den Luftverkehr durch die Bahn entlasten; im täglichen politischen Handeln wird das Gegenteil exekutiert. Man verlagert den Verkehr von der Schiene in den sowieso schon überlasteten Luftraum.
Also, meine Damen und Herren, der Verkehrshaushalt 1990, wie er uns vorgelegt wurde, ist eine Absage an ein sinnvolles Miteinander der verschiedenen Verkehrsträger. Immer mehr Geld für das Verkehrssystem Straße und die rote Laterne für die Deutsche Bundesbahn und den öffentlichen Personennahverkehr, das ist die verkehrspolitische Duftmarke, die von den Ministern Dr. Waigel und Dr. Zimmermann gesetzt wird. Der Verkehrsminister sagt, das sei Kontinuität. In Wirklichkeit ist es die verschämte Umschreibung des gescheiterten „Weiter so". Aber damit - das wissen Sie, Herr Kollege Straßmeir - ist schon lange kein Staat mehr zu machen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fischer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Daubertshäuser, wir sind allmählich schon an die Horrorberichte gewöhnt, die Sie vortragen, um deutlich zu machen, daß sich sozusagen alles dem totalen Desaster nähert. Nur, Sie übersehen natürlich wesentliche Fakten. Zum Beispiel übersehen Sie, daß bei Ihrer Regierungspolitik die Straße vorn war. Seitdem wir regieren, ist die Bahn vorn.
({0})
Der Bundesverkehrswegeplan 1985 hat die Wende zugunsten der Bahn gebracht. Diese Fakten kennen Sie, und Sie bemühen sich hartnäckig, sie zu unterdrücken. Aber die Rekordjahre der Ablieferung neuer Straßen, vor allem von Bundesautobahnen, waren die Regierungsjahre in der SPD-Verantwortung. Das ist doch allgemein bekannt.
({1})
Im übrigen haben Sie gar nicht begriffen, warum der Bundesverkehrsminister mit Leidenschaft dafür eingetreten ist, daß die Straßenbaumittel erhöht werden. Denn dies ist unser Beitrag, um - so sage ich einmal - einen umweltgerechteren Straßenbau zu gestalten.
({2})
Wenn Sie heute umweltgerechter planen und bauen wollen, dann brauchen Sie dafür mehr Geld, sehr viel Geld; denn umweltgerechter Straßenbau - das gilt entsprechend für alle Bereiche der Verkehrsinfrastruktur, natürlich auch für die Bahn - heißt, daß man teuren Straßenbau macht.
({3})
Wenn Sie dies nicht wollen, dann bringen Sie damit
zum Ausdruck, daß Sie im Grunde genommen die
erheblich erhöhten Umweltschutzaufwendungen beim Ausbau der Infrastruktur nicht wollen.
({4})
Außerdem habe ich heute zwei Anträge zum Haushalt von einem SPD-regierten Bundesland auf den Tisch bekommen, und zwar mit der Aufforderung, bitte für das nächste Jahr allein über 100 Millionen DM mehr für den Straßenbau durchzusetzen, mit der Gesamtkonsequenz von etwa einer Milliarde DM mehr für den Straßenbau; das steht dahinter. Antragsteller ist das Bundesland Hamburg. Ich möchte zunächst einmal darum bitten, daß Sie nicht nur mit den Kollegen aus Hamburg, sondern auch im Rahmen der SPD - vielleicht gibt es ja einmal wieder einen Parteitag - endgültig entscheiden, was Sie überhaupt wollen. Wir fühlen uns ein bißchen an der Nase herumgeführt, wenn eine Landesregierung versucht, uns hier in Marsch zu setzen, und dann stoßen wir sozusagen gleich auf den erbitterten Widerstand des Kollegen Daubertshäuser. Dies paßt nicht zusammen.
({5})
Im übrigen habe ich mich die ganze Zeit bei Ihrer Aufzählung sehr gewundert, Herr Kollege Daubertshäuser. Haben Sie eigentlich die Milliardenforderungen, die Sie hier eben verbal postuliert haben, mit Herrn Vogel, mit Frau Matthäus-Maier, mit Ihrer Fraktion abgestimmt?
({6})
Denn die Töne, die wir bisher zu der Frage der Neuverschuldung gehört haben, gehen in eine völlig andere Richtung. Man kann doch nicht auf der einen Seite den Bund rügen und andererseits hier ein Milliardenfan aufmachen. Wenn wir einmal quantifizieren, was in dieser Rede sozusagen an Mehranforderungen herausgekommen ist,
({7})
dann kann ich nur sagen: gut 2,5 Milliarden DM, d. h. die SPD ist nicht nur für 33, sondern für annähernd 36 Milliarden DM Neuverschuldung. Dies ist eine neue Nachricht und eine Botschaft, die Sie dann auch verantworten müssen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Verkehrshaushalt steigt auf etwa 25,3 Milliarden DM, um 1,9 % und damit unterproportional im Rahmen des Gesamthaushalts. Die Steigerung besteht aus den eben bereits beschriebenen zusätzlichen Mitteln für den Straßenbau und die Straßenunterhaltung. Wenn man die umgewidmeten 40 Millionen DM aus dem Bereich der GfN, der Gesellschaft für Nebenbetriebe der Autobahn, wo wir gemeinsam keine öffentlichen, sondern private Investitionen wünschen, hinzurechnet, dann steht in Wahrheit eine Summe von 405 Millionen DM zur Verfügung. Damit soll das Erfüllungsziel des vordringlichen Bedarfs wieder näher an das Jahr 2000 herangeführt werden. Ich habe allerdings eher den Eindruck, daß damit vermieden werden
Fischer ({9})
kann, daß der Erfüllungszeitpunkt noch weiter hinausgeschoben wird. Wir sind ja heute schon bei 2008, 2009, 2010. Das heißt, wir müssen, um überhaupt in dem gemeinsam verabschiedeten Plan zu bleiben, dringend solche Ausgleichsbeträge haben, weil heute ökologisch wertvoller geplant und gebaut wird. Damit können begonnene Maßnahmen fortgeführt, Maßnahmen zur Erhaltung der Substanz erfüllt, neue Ortsumgehungen realisiert werden, nach denen landauf, landab alle Welt schreit, denn eine neue Ortsumgehung bedeutet Verbesserung der Lebensverhältnisse im Ortskern, damit dort überhaupt wieder erträgliche Verhältnisse einkehren.
Dazu gehört auch, durch die Beseitigung höhengleicher Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen einen wesentlichen Beitrag für die Verkehrssicherheit zu leisten sowie durch die Beseitigung von Netzlücken in der regionalen Erschließung und durch die Erschließung strukturschwacher Regionen und Randgebiete einen wesentlichen Beitrag für die Ausgewogenheit der Lebensverhältnisse in unserem Lande zu leisten. Hier wird Belangen der Schutzwürdigkeit von Umwelt, Natur und Landschaft in ganz besonderer Weise Rechnung getragen. Ich kann nur wiederholen: Der höhere Ansatz ist der Anteil für den Umweltschutz, denn wir müssen z. B. sehr teure Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, sehr teure Lärmschutzmaßnahmen finanzieren, und dies tun wir aus voller Überzeugung. Aber man muß die finanziellen Konsequenzen dann auch vertreten und verantworten.
Aber nicht nur in dem Bereich wird das besondere Engagement des Verkehrsministers im Umweltschutz deutlich, sondern auch in anderen Bereichen: Das Radwegeprogramm wird fortgeführt, es wird Lärmsanierung betrieben, es wird etwas getan, um über das Programm „Intelligente Straße" zu einer besseren Infrastrukturauslastung und Verkehrssicherheit zu kommen; aber natürlich weist auch die Fortführung der Investitionen in den kommunalen Straßenbau und in den öffentlichen Personennahverkehr mit Milliardenbeträgen Jahr für Jahr in diese Richtung. Ich glaube, daß wir uns damit sehr stark für eine umweltgerechte Gestaltung des Verkehrs einsetzen. Wir müssen nicht nur die Infrastruktur verbessern, sondern auch die Verkehrsmittel umweltfreundlicher machen. Da haben wir, wie ich glaube, in unserer Verantwortungsbilanz mehr vorzuweisen als die frühere Bundesregierung, was allgemein bekannt ist, aber - da stimme ich Ihnen aus vollem Herzen zu, Herr Kollege Daubertshäuser, und ich bin sogar teilweise mit Ihnen der Auffassung, daß die Rüge, die Sie hier an die Deutsche Bundesbahn ausgesprochen haben, berechtigt ist - dies muß auch durch eine sinnvolle Arbeitsteilung unter den Verkehrsträgern gefördert werden. Ich glaube, daß wir da gar keinen Gegensatz haben. Hier müssen die arteigenen Vorteile der einzelnen Verkehrsträger genutzt werden, und diese müssen zur Zusammenarbeit in die Lage versetzt werden. Sonst wird eine erträgliche Abwicklung des Verkehrsvolumens in der Zukunft nicht gelingen. Alle Verkehrsträger müssen ihren Beitrag leisten. Dazu muß aber jeder einzelne Verkehrsträger auch leistungs- und wettbewerbsfähig sein.
Ich meine, daß wir deshalb heute in den umweltfreundlichen und energiesparenden Verkehrsträger Bahn zu Recht mehr als in das Straßensystem investieren.
({10})
- Ich glaube, Frau Flinner, daß die Akzente, die wir hier seit 1985 gesetzt haben, Investitionen in Milliardenhöhe für den Ausbau der umweltfreundlichen Bahn ermöglicht haben. Allein in dem vorliegenden Verkehrshaushalt, der einen Umfang von 25,3 Milliarden DM aufweist, ist ein Betrag von über 14 Milliarden DM Bundeszuweisungen für die Deutsche Bundesbahn vorgesehen.
Der kombinierte Verkehr muß also vordringlich gefördert werden. Insoweit besteht Einigkeit. Die verladende Wirtschaft, die Verkehrsunternehmen und auch die Deutsche Bundesbahn müssen mehr und mehr erkennen, daß die Notwendigkeit besteht, durch die Bildung von Transportketten eine sowohl ökonomisch als auch ökologisch optimale Verkehrsabwicklung zu erreichen. Wir setzen uns daher insbesondere für eine nachhaltige Förderung des kombinierten Verkehrs ein. Es ist erfreulich, daß der kombinierte Verkehr in diesem Jahr die Grenze von 20 Millionen t überschritten hat. Unerfreulich ist, daß die Deutsche Bundesbahn mangels Kapazität immer wieder Sendungen, die für den kombinierten Verkehr gedacht sind, zurückweisen muß.
({11})
- Ich glaube, hier sollten sich auch jene, Herr Kollege Weiss, die sich hier ansonsten als Freunde der Bahn und des Schienensystems gerieren, vor Ort solche Investitionen aber oftmals langfristig blockieren, einmal hinter die Ohren schreiben, daß man sich entscheiden muß.
({12})
Ich habe soeben diejenigen angesprochen, die sich draußen als Umweltschützer aufspielen, hier großartig auf die Bahn setzen, in Wirklichkeit aber entsprechende Investitionen blockieren. Sie sind dafür verantwortlich, daß die Mittel aus dem vom Bund aufgelegten Programm, das ein Volumen von insgesamt 716 Millionen DM hat, nicht so abfließen können, wie wir es uns wünschen, und daß nicht Jahr für Jahr die Beträge in den kombinierten Verkehr investiert werden können, die sehr dringend investiert werden müssen. Ich appelliere an Ihre Mitverantwortung, in diesem Bereich die Blockadepolitik aufzugeben und zu ermöglichen, daß der kombinierte Verkehr tatsächlich expandieren kann.
({13})
Aber wir appellieren in dem Zusammenhang auch an die Deutsche Bundesbahn, nicht darauf zu spekulieren, daß die Mittel im Haushalt im Rahmen der
Fischer ({14})
Übertragbarkeit auch als erfolgwirksame Leistungen eingesetzt werden können, sondern sie wirklich dem Zweck zuzuführen, für den sie gedacht sind, nämlich für den Ausbau des kombinierten Verkehrs. Wir jedenfalls werden uns bei den Beratungen im Ausschuß und im Plenum dafür einsetzen, daß dies durch haushaltstechnische Mittel sichergestellt wird.
Herr Kollege Daubertshäuser, Sie haben hier die Privatisierung der Flugsicherung angesprochen. Wir sind uns mit der Bundesregierung und allen Fraktionen völlig einig, wohin der Weg führen soll. Deswegen bedurfte es in Ihrer Presseerklärung vom 23. August überhaupt nicht der Feststellung, daß die deutsche Flugsicherung ebenfalls neu organisiert werden müsse. Aber es ist völlig unverständlich, wenn Sie der Regierung Untätigkeit vorwerfen. Es gibt nicht nur eine völlige inhaltliche Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen und der Bundesregierung, sondern es hat seither auch intensive Abstimmungen der beteiligten Ressorts gegeben.
({15})
Einige Ressorts haben einige grundsätzliche und rechtliche Bedenken geltend gemacht. Dies muß ausdiskutiert, dies muß ausgeräumt werden. Ich bin überzeugt, daß dies möglich sein wird.
Wir haben, wie allgemein bekannt ist, als Übergangslösung eine Zulage von zwischen 120 DM und 430 DM im Monat gewährt. Weiterhin hat die Bundesregierung auf dem Wege hin zu einer Privatisierung dafür gesorgt, daß die An- und Abfluggebühren künftig von den Fluggesellschaften zu entrichten sind und daß eine hundertprozentige Deckung der Kosten der Flugsicherung garantiert wird.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Situation ist es wirklich nicht erforderlich, daß der Bundeskanzler seine Richtlinienkompetenz ausübt, wie Sie es angemahnt haben. Ich möchte Sie auch darum bitten, auf Ihren Vorschlag zu verzichten, der auf eine Kapazitätssteuerung hinausläuft, denn dies liefe allen Gesetzen der Marktwirtschaft zuwider. Wir müssen die Probleme im Luftverkehr mit marktwirtschaftlichen Instrumenten in den Griff bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es werden ausreichend Haushaltsmittel zur Erfüllung der anstehenden Aufgaben in der Flugsicherung bereitgestellt.
Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß auf dem Wege zu einem europäischen Binnenmarkt im Rahmen des „Fitness-Programms" des Bundeswirtschaftsministeriums ein EG-Binnenmarkt-Zentrum für die Verkehrsunternehmen geschaffen werden soll. Wir wollen, daß dort allgemeine Binnenmarktfragen behandelt, daß Unternehmensberatung, EDV-Beratung, Kooperationsberatung, Beratung zur Frachtenbörse und Grundlagenforschung geleistet werden können. Ich bin überzeugt, daß dies von den Verkehrsunternehmen auch dankbar aufgegriffen werden wird.
Es wird sicherlich in einer Spezialdebatte zu vertiefen sein, wie grundlegend sich die Opposition bei der Frage eines internationalen Schiffahrtsregisters geirrt hat. Nicht nur ist heute bereits die Mehrheit der deutschen Tonnage dort registriert, sondern wir haben auch, wenn ich mir die Arbeitsplatzbilanz anschaue, einen Zuwachs von über 500 Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute. Das steht in diametralem Gegensatz zu den Horrormeldungen der ÖTV, die Sie sich ungeprüft zu eigen gemacht haben,
({16})
wonach es, wenn dieses Gesetz in Kraft trete, keinen deutschen Seemann mehr geben werde. Genau die gegenteilige Entwicklung läuft.
({17})
Herr Kollege Daubertshäuser, in Ihrer Rede hat auch gefehlt, der Bundesregierung Dank und Lob für die hervorragende Verkehrsunfallbilanz des ersten Halbjahres auszusprechen.
({18})
Wenn der Trend - was wir hoffen - so weiterläuft, Herr Kollege Daubertshäuser, werden wir in diesem Jahr die beste Bilanz überhaupt erleben.
Ich glaube, daß dies alles Informationen sind, die sich von Ihrem überzogenen Horrorgemälde völlig unterscheiden. Wenn Sie sich an den Tatsachen orientieren, kämen Sie zu folgenden Feststellungen:
({19})
Erstens. Wir haben Probleme zu lösen.
Zweitens. Wir haben auch erfreuliche Ergebnisse und positive Meldungen.
Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich sehr gut auf die internationalen und die europäischen Herausforderungen eingestellt. Sie ist gut gerüstet.
({20})
Wenn wir gemeinsam fachlich-sachlich den Verkehrshaushalt beraten, leisten wir für die Verkehrspolitik einen wesentlicheren Beitrag, als wenn wir hier derartige Horrorgemälde an die Wand malen.
({21})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Rock.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verkehrspolitik, die diesen Namen auch verdient, ist eines der entscheidenden Handlungsfelder eines notwendigen ökologischen Umbaus. Pkw und Lkw sind mit ihrem Ausstoß an Schadstoffen zu ganz wesentlichen Teilen beteiligt am Waldsterben, an der Bodenversiegelung durch Straßenbau; sie sind Mitverursacher des Treibhauseffekts; sie schädigen die menschliche Gesundheit durch Emissionen, durch Lärm und durch verursachte Unfälle. Da genügt es nicht, sozusagen den „Schadstoff des Monats" zu kreieren und sich in einer Grenzwertdiskussion zu erschöpfen, oder gar zu glauben, alle diese Folgeerscheinungen seien mit Hilfe techniFrau Rock
scher Mittel beherrschbar. Der beste Katalysator filtert weder Kohlendioxid noch Benzol.
Wirksame Abhilfe kann nur an der Wurzel des Übels, am Verkehrsaufkommen und an der Verkehrsmittelwahl, ansetzen.
({0}) Alles andere ist Umweltkosmetik.
({1})
Die Verkehrspolitik, wie sie sich aus dem vorgelegten Haushaltsentwurf ablesen läßt, ist nur dünne kosmetische Tünche und ein Griff in die Mottenkiste von vorgestern. Sie begnügen sich damit, Abläufe optimieren zu wollen. Sie wollen den Verkehr zügiger abrollen lassen. Und Sie, Herr Kollege Fischer, glauben gar auch noch, das als Beitrag zum Umweltschutz verkaufen zu können. Für weiteren Straßenbau schlagen Sie Schneisen in die Landschaft. Dafür stellen Sie Mittel bereit. 6,6 Milliarden wollen Sie dafür ausgeben.
({2})
- Sie wissen doch, daß die GRÜNEN absolut erdverhaftet sind. Aber wenn Sie sehen, was das umweltverträgliche Verkehrsmittel ist, werden Sie mir zustimmen, daß - ({3})
- Würden Sie mich vielleicht mal ausreden lassen? Dann kämen wir hier gemeinsam weiter.
Sie jedenfalls setzen auf eine zweifelhafte Fahrt freier Bürger ohne Tempolimit in eine ökologische Krise.
({4})
In Ihrem Haushaltsentwurf machen Sie sich zum bloßen Erfüllungsgehilfen der Shell-Prognose.
({5})
Wenn Sie aber tatsächlich Verkehrspolitik betrieben, wenn Sie Verkehrspolitik als ordnungspolitisches Instrument begriffen, als Ansatzmöglichkeit für eine Luftreinhalte- und Gesundheitsvorsorgepolitik, dann müßten Sie ganz gezielt die umweltverträglichsten und sichersten Verkehrsmittel fördern.
({6})
Das bedeutet in erster Linie eine Sanierung der Bundesbahn. Es darf dabei nicht darauf gewartet werden, bis eine eingesetzte Kommission in ein paar Jahren die Ergebnisse vorlegt, die schon heute bekannt sind. Es ist höchste Zeit, zu handeln, und zwar hier und jetzt zu handeln und die Mittel in diesem Haushalt bereitzustellen. Nicht Straßenverkehr, sondern die Bundesbahn und der öffentliche Verkehr müssen mit Priorität behandelt werden. Wir fordern nach wie
vor, daß der Bund die Zinsen für die Schulden der Deutschen Bundesbahn übernimmt.
({7})
Der Staat sollte das Schienennetz im Ausbau und in der Wartung finanzieren. Denn der öffentliche Schienenverkehr ist eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe. Mit Ausdruck der unsinnigen, aufgezwungenen Sparbeschlüsse ist die Personalknappheit bei Lokführern und Zugbegleitern und im Rangierdienst. Daß die Bahn aus Personalgründen ihren Transportauftrag nicht wahrnehmen kann, daß sie sich quasi selbst wegrationalisiert, ist gerade im Zusammenhang mit der anstehenden EG-Liberalisierung verheerend. Denn es leistet einen weiteren Beitrag zur Verlagerung des Verkehrs auf die Straße.
Hier und jetzt müssen die Weichen für einen umweltgerechteren Verkehr gestellt werden. Die Weichenstellung für die Zukunft, der große verkehrspolitische Wurf ist sicher nicht das unausgereifte Prestigeprojekt der Industrie, der Transrapid. Für diesen Schrott auf Stelzen machen Sie 86 Millionen DM allein in diesem Haushalt locker.
({8})
- Nein, das ist überhaupt nicht umweltfreundlich. Die Debatte darüber, wie umweltschädlich dieses Verkehrsmittel ist, werden wir sicher noch führen.
({9})
Wenn Sie tatsächlich ein umweltfreundliches Verkehrsmittel fördern wollen, geht es in erster Linie um den öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere in der Fläche.
({10})
Wenn dieses allseits propagierte Ziel mehr als eine einzige Worthülse sein sollte, dann müssen Sie dafür Mittel bereitstellen und nicht Papier, auf das Sie Programme schreiben.
({11})
Die öffentlichen Verkehrsbetriebe brauchen Investitionszuschüsse für die Aufnahme neuer Linienverbindungen zur Erschließung des ländlichen Raums. Sie benötigen Zuschüsse für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, auch stillgelegter Nebenstrekken. Sie brauchen dringend eine Entlastung bei den fixen Kosten. Sie brauchen die Wiedereinführung der Gasölbetriebsbeihilfe. Notwendig ist daneben auch eine Förderung von Umweltabos und Halbpreispässen. Alles das muß in einem ökologisch verantwortlichen Verkehrshaushalt verankert sein.
Es muß auch die Bereitschaft bestehen, ordnungspolitische Rahmen zu setzen. Dazu gehört unter anderem eine drastische Anhebung der Mineralölsteuer. Wenn Sie hier das Verursacherprinzip zugrundelegen und die gesellschaftlichen Kosten von Pkw und Lkw von den Benutzerinnen und Benutzern getragen
werden sollen, dann müssen Sie die Mineralölsteuer um 2 DM pro Liter anheben.
({12})
Die Mehreinnahmen, die Sie daraus schöpfen, sollten selbstverständlich nicht in den allgemeinen Haushalt fließen. Sie sollten als Ökobonus den Bewohnern und Bewohnerinnen zurückgegeben werden, damit die Leute tatsächlich eine Wahl der Verkehrsmittel haben und nicht einseitig auf das Auto festgelegt sind.
({13})
Die Mineralölsteuererhöhung ist nicht als Strafsteuer zu verstehen, sondern als gezieltes Instrument, die Verkehrsmittelwahl des einzelnen zu beeinflussen.
Es gibt noch eine Reihe von Vorschlägen, die ich aus Zeitgründen nicht mehr vortragen kann. Wir werden aber im Ausschuß die Freude haben, darüber umfassend zu beraten. Ich denke, es ist hier und jetzt notwendig, eine verkehrspolitische Wende einzuleiten, eine Weichenstellung für die Zukunft, eine Weichenstellung für einen ökologisch verträglichen Verkehrshaushalt.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich bin ich zum letzten Tagesordnungspunkt auch in alphabetischer Reihenfolge der letzte Redner. Ich freue mich, daß ich hier als Haushälter in diesem erlauchten Kreis der Verkehrsexperten das Wort nehmen darf.
Ich habe von den GRÜNEN vernommen, daß jetzt die verkehrspolitische Wende eingeleitet werden müsse, und von der SPD, daß alles neu gemacht werden müsse. So wie ich Politik kennengelernt habe, haben solche radikalen Lösungen den Menschen in den seltensten Fällen gutgetan. Was die Begriffe angeht, die ich höre, etwa den Begriff der ökologischen Umorientierung, so stehe ich dem offen gegenüber. Aber gerade Ihr Einwurf, es gebe keinen ökologischen Straßenbau, macht mich doch nachdenklich.
Bei all dem sollte man den Menschen nicht vergessen. Ein Stück Individualität, nämlich das Verkehrsmittel selbst wählen zu können, scheint mir auch ein sinnvolles und bedenkenswertes politisches Unterfangen zu sein.
({0})
Auch der Mensch ist ein Teil dieser Ökologie und dieser Lebensordnung.
({1})
All die Verkehrssysteme nur an anderen Kriterien zu orientieren scheint mir einigermaßen frivol an der Sache vorbeizugehen und etwas zu kurz gesprungen zu sein.
Sie sprechen sehr häufig davon, daß es einen ökologischen Hausbau gibt. Das akzeptiere ich. Es gibt so etwas wie eine ökologische Architektur, ökologische Energiesysteme. Warum soll es nicht auch einen ökologisch orientierten Straßenbau geben? Können Sie mir erklären, warum das ein Widerspruch sein soll?
({2})
Straßenbau kann ich antiökologisch oder unsinnig betreiben, und ich kann ihn vernünftiger betreiben. Genau dafür sind wir. Es ist eine vernünftige Orientierung, mit dem Ausbau des Straßensystems auch den individuellen Bedürfnissen der Bürger gerecht zu werden. Das ist ein Stück Freiheit gerade in der zunehmenden Freizeitgesellschaft.
Das ist natürlich nicht das einzige Angebot, das wir den Mitbürgern machen. Sicherlich gibt es schienengebundene Verkehrssysteme - auch dafür tun wir eine ganze Menge - , und es gibt den Luftverkehr. Aber warum dieses Entweder-oder? Warum diese Extreme, die hier dargelegt werden? In der Regel dienen sie dem Menschen in seinem Lebensrhythmus nicht.
Wenn wir den Haushalt betrachten, dann stellen wir fest, daß dieser Haushalt durchaus vernünftig und bedarfsgerecht entwickelt worden ist. Herr Daubertshäuser, die Hälfte der 25 Milliarden DM - es ist der viertgrößte Einzelhaushalt - kommt der Bundesbahn zugute.
({3})
Wenn Sie Klage darüber führen, was bei der Bundesbahn angeblich alles nicht vernünftig ist, dann müssen Sie ein schlechtes Gewissen haben. Denn entweder haben Sie in Ihrer nicht ganz kurzen Regierungszeit einiges versäumt, oder Sie sind urplötzlich zu anderen Schlüssen gekommen. Beides erweckt bei mir Verdacht.
({4})
Ich möchte darauf hinweisen, daß unter der SPD-Regierung - damals war ich wie Sie Mitglied dieses Hauses - per Bahngesetz, wenn ich mich recht erinnere, der Bundesbahnpräsident abgeschafft und ein modernes Management eingesetzt worden ist. Das ist unter Ihrer Federführung, ich meine, unter Herrn Hauff als Verkehrsminister, geschehen.
({5})
Das ist sicherlich ein richtiger Weg gewesen. Aber wenn Sie ohnehin schon nach Ihrer politischen Struktur ein Management besetzt haben und wenn Herr Haar so lange Vorsitzender der Gewerkschaft war, dann weiß ich gar nicht, woher Sie den Mut nehmen, diese Bahn in Grund und Boden zu reden.
({6})
Sie hatten vom Management und vom Einfluß auf die Mitarbeiter her beste Instrumente und Handlungsmöglichkeiten, um die Bahn so zu gestalten, wie es Ihrer politischen Zielsetzung entspricht.
Wenn das nicht hinreichend geschehen ist, dann sollten wir das Entweder-oder mal weglassen und differenziert darüber reden, was dort vielleicht verbessert werden kann.
Jedenfalls mich als Haushaltspolitiker, soweit ich mich mit dieser Materie beschäftigt habe, hat dieses drastische Bild überhaupt nicht überzeugt, weder von der Entwicklung noch vom Bedarf her. Es gibt einzelne Dinge, die man entwickeln kann.
Von den GRÜNEN wird der Transrapid abgelehnt. Auch der Kollege Wieczorek hat in der Generaldebatte gegen die „Technischen Monsterdinger" gesprochen. Für Transrapid hat er aber gern geworben. Ich wußte nicht, ob er als Parlamentarier oder als Chef einer Thyssen-Tochter gesprochen hat. Aber das nur am Rande.
Warum wird hier eine Bahnlinie ökologisch ins Abseits gestellt? Warum wird sie vorab ohne hinreichende Prüfung ins Abseits gestellt? Das, was Sie zum Schluß gesagt haben, kann ich logisch nicht nachvollziehen. Wenn die Bahn gut ist, sollte man auch Transrapid wohlwollend prüfen.
({7})
Denn schließlich haben wir 1 Milliarde DM - zwar nicht aus dem Verkehrsetat, aber aus dem Forschungsetat - dafür ausgegeben. Lassen Sie die Vorurteile beiseite. Dann werden wir zu einem vernünftigen Dialog kommen und werden die Dinge beurteilen können.
Herr Abgeordneter Haar, Sie haben eine Zwischenfrage.
({0})
Herr Kollege, würden Sie die sachliche und politische Kritik von Herrn Kollegen Daubertshäuser an den Leitlinien der Deutschen Bundesbahn mit einer Rede gegen die Bundesbahn vergleichen? Das haben Sie drei Minuten lang versucht. Wollen Sie bei dieser gefährlichen Aussage bleiben?
Erstens sind die Leitlinien nicht so schlecht. Von der FDP, vom Kollegen Kohn, sind auch zehn Grundsätze entwickelt worden. Und Leitlinien sind noch lange keine Befehlsanweisung. Das Management, das Sie maßgeblich mit ausgesucht haben, hatte alle Freiheitsgrade, das vorzuschlagen, was für die Bahn richtig gewesen wäre. Sie hätten es dabei als Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft mit Ihrem Einfluß unterstützen können. Dann wäre vieles in Ordnung, und Sie brauchten es hier nicht zu beklagen.
Aus Haushaltssicht - wir warten da einmal auf die Anträge - haben wir jedenfalls vorgesehen, daß der halbe Verkehrsetat für die Bundesbahn und deren Zielsetzung zur Verfügung gestellt werden kann. Ich kann also zum Zeitpunkt des Einstiegs in die Haushaltsberatungen, die jetzt im Ausschuß vollzogen werden, überhaupt nicht sehen, wo da Nachlässigkeiten liegen sollten. Ich bin offen dafür, unsere Fraktion ist offen dafür, daß wir im Rahmen der weiteren Beratungen in einen vernünftigen Dialog eintreten. Wir sollten das nicht durch unsinnige Polemik vom Start weg verschütten.
Auch bezüglich dessen, was das Auto anbelangt und den Straßenverkehr, war - zwar nur in Schattierungen - von dieser Seite des Hauses eine Antistellung herauszuhören, als könnte es in diesem Bereich ein Entweder-oder geben. Energiesparen ist auch eine Umweltschutzpolitik, aber Straßen zu bauen, die sicher sind und die einen fließenden Verkehr gewährleisten, und Ortsumgehungen,
({0})
die die Verkehrsgefahr reduzieren, sind doch alles vernünftige Maßnahmen, die den Menschen adäquat sind, die für Sicherheit sorgen und die auch umweltschonend sind.
Wenn wir hier in angemessener Manier eine Aufstockung vorgenommen haben - der ganze Etat bleibt ja hinter dem Wachstum des Bruttosozialprodukts zurück; es beläuft sich auf 1,9 % -, dann ist das eine Politik,
({1})
die durchaus bedarfsgerecht und vernünftig ist. Ich kann gar nicht erkennen, worüber Sie sich dabei aufregen. Wir von der FDP sind der Meinung, daß das eine durchaus vernünftige Politik ist. Hier werden nicht auf Teufel komm raus Strecken dazu gebaut - weder Bundesstraßen noch Bundesautobahnen -, sondern mehr und mehr Geld wird für die Erhaltung, für die Begradigung, für einen vernünftigen Lärmschutz - alles vernünftige Zielsetzung - ausgegeben. Das ist prima so, und das wissen die Bürger auch zu schätzen. Ich bekomme aus meinem Wahlkreis jedenfalls eine Menge Zuschriften, daß es genau an diesen Dingen mangelt. Mit den zur Verfügung gestellten Mitteln wollen wir da im Rahmen der Möglichkeiten Abhilfe schaffen.
Wenn Sie immer sagen, die Bundesbahn muß gefördert werden und der Öffentliche Personennahverkehr muß gefördert werden, dann müssen Sie doch sagen, Sie wollen höhere Subventionen für die Städter und für die Bewohner in den Ballungsgebieten, aber die in der Fläche wollen Sie allein lassen. Das ist nämlich die Wahrheit, die dahinter steht.
({2})
Man könnte daraus schlußfolgern, daß Sie das hier auch unter einer politischen Optik sehen: Die einen sind Ihnen vermutlich die besseren Kunden und vermutlich auch Wähler, und für die anderen haben Sie nichts übrig. Da sind wir anderer Meinung. Auch die Menschen in der Fläche haben einen Anspruch auf eine vernünftige Verkehrsbedienung.
({3})
Und die geht nur über einen vernünftigen Straßenausbau.
({4})
- Das ist nicht Unwissenheit, sondern das ist genau der Punkt. Und Sie würden nicht so heftig reagieren, wenn Sie sich nicht auf dem verkehrten Fuß ertappt fühlten.
({5})
- Ja, aber Sie haben davon reichlich, wie ich gehört habe.
Insofern ist das, was wir mit diesem Haushalt vorgelegt haben und an Mitteln bereitstellen wollen, sachdienlich und adäquat.
Jetzt möchte ich noch ein Wort zum Luftverkehr und zur Flugsicherheit sagen. Bei der vergangenen Debatte habe ich festgestellt, daß wir hier zwischen den Fraktionen weitestgehend einen Konsens haben, das jetzige System der Flugsicherheit abzulösen. Das scheint mir auch dringend nötig zu sein, denn dieses System wird den Anforderungen nicht voll gerecht. Nur, Herr Minister, wenn Sie auch noch relativ neu im Amt sind, meine ich doch, daß die Sache nun langsam lösungsreif sein müßte, nachdem sich andere im Fachausschuß - nicht ich - damit beschäftigt haben und wir uns auch vor einem Jahr im Haushaltsausschuß damit beschäftigt haben. Wenn man einmal die ganze Vita zurückblättert und sieht, wer sich alles schon von Herrn Schlieker in grauer Vorzeit an mit dieser Thematik beschäftigt hat, und wer dann weiß, daß immer noch Papier gewälzt wird und man in der Sache zu wenig schnell vorankommt, kommt man zu dem Ergebnis, daß hier die Lösung drückt. Ich meine, sie ist auch machbar. Sie muß so angesetzt werden, daß der Staat, der nach unserer Auffassung selbstverständlich für die Sicherheit im Luftverkehr zu sorgen hat, diese Aufgabe nicht unbedingt in der jetzigen Form selbst managen muß. Vielmehr kann dies erstens auch in einer anderen Organisationsform gemacht werden, und zweitens müssen die Benutzer des Luftraums eine volle Finanzierung erbringen. Wir brauchen hier nicht zu subventionieren. Die Branchen, die sich im Luftverkehr betätigen, sind keine Armutsbranchen, sind keine Pleitebranchen; nach meinem Kenntnisstand machen die fast alle zweistellige Umsatz- und Gewinnsteigerungsraten. Von diesem Geld muß auch die Sicherheit im Luftraum sichergestellt werden. Und wenn das geschieht, werden wir auch das richtige Personal in ausreichender Zahl, mit richtiger Ausbildung, mit der richtigen Besoldung und damit auch mit einem Stück besserer Motivation haben. Wenn das so umgestellt wird, dann werden wir keinen zweiten solchen Sommer erleben müssen, auch wenn wir dieses Jahr vielleicht noch mit einem blauen Auge davongekommen sind.
Ich weiß jetzt nicht, welche Verkehrswege Sie benutzen, aber ich fliege 50mal im Jahr von Hamburg hierher.
({6})
- Ich komme auch in den sitzungsfreien Wochen immer mal einen Tag her, das sollten Sie vielleicht
auch tun, das ist sehr sinnvoll. Dabei können Sie dann die Privatreisenden und Geschäftsleute auf dem Flughafen sehen, können Sie sehen, was für Schäden dort entstehen und wie da, auf gut deutsch gesagt, herum-geeiert wird, wie die Gesellschaften, wenn sie Verspätung haben, nicht die Wahrheit sagen, wie die Geschäftsleute nicht wissen, ob sie ihre Abholung organisieren sollen, wie Anschlußflüge verpaßt werden, wie bei vielen Leuten rund um die Uhr ökonomischer Schaden entsteht. Und das Ganze kann doch im zweiten und dritten Jahr einfach nicht wahr sein, nur weil es, verdammt nochmal, nicht gelingt - obwohl das Geld dafür dasein könnte - , das System umzustellen.
({7})
Das ist ein Anachronismus erster Güte, den es keinen zweiten Sommer so geben darf.
({8})
Und es sind alle Vorbereitungen getroffen, dies zu ändern. Es gibt, soweit ich nach meiner Beschäftigung mit der Sache erkennen kann, keinen einsichtigen Grund, daß hier noch etwas auf die lange Bank geschoben wird.
Ich habe mich auch in den Vereinigten Staaten ein bißchen umgeschaut, wie die Dinge dort geregelt sind.
({9})
Es ist nicht alles besser, so daß man nur hinzugucken und abzukupfern braucht. Aber es gibt eine Menge Dinge, von denen man etwas lernen kann. Ich kann nur empfehlen, daß man sich das zunutze macht.
Und ein letzter, kurzer Punkt: Wenn man in der Flugsicherung ein anderes System braucht und auch mehr Geld in die Hand nimmt, dann kann ich, Herr Minister, mit Verlaub - das ist zum Schluß eine kleine, aber nicht unwichtige regionalpolitische Anmerkung - überhaupt nicht verstehen, daß bei einem Kanal wie dem Nord-Ostsee-Kanal die Freifahrtgrenze erhöht wird.
({10})
Das heißt: Im Luftverkehr wollen wir mehr für die Sicherheit tun, bei den Kanälen erlauben wir jetzt auch großen Schiffen, daß sie diese Wasserstraßen, die vom Bund mit viel Geld erbaut und hergerichtet werden, ohne Lotsen benutzen. Das ist ein logischer Widerspruch. Und ich warte eigentlich immer noch auf eine Erklärung aus der Mitte des Hauses, warum die Sicherheit in der Luft - und ich bin dafür - erhöht wird und warum sie auf den Kanälen, den Bundeswasserstraßen reduziert werden soll.
({11})
Hier möchte ich einmal sehen, daß diese Dinge beseitigt werden. Denn wir haben nicht nur Anspruch auf vorhandene Bundeswasserstraßen, sondern auch auf sichere Wasserstraßen.
Wir halten die Struktur dieses Haushalts für in Ordnung. Und als Mitberichterstatter im HaushaltsausZywietz
schuß freue ich mich auf einen guten, fachlichen Dialog mit den hier versammelten erlauchten Experten aus dem Fachausschuß.
Vielen Dank.
({12})
Hoffentlich sind die Stenographen alle mitgekommen. Das war ja ein Feuerwerk!
Nun hat der Herr Abgeordnete Haar das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1989 sollte nach der Ankündigung der Bundesregierung ein Jahr der Bahn in der Verkehrspolitik werden. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stelle ich fest: Durch die bahnpolitischen Leitlinien der Bundesregierung wurde ein rigoroser Schrumpfkurs verordnet,
({0}) einseitig auf Personalabbau gesetzt,
({1})
ohne die Ursachen des Bahndilemmas zu beseitigen.
({2})
Heute trage ich Ihnen Fakten vor, die deutlich machen, wohin Ihre Politik die Bahn ganz aktuell geführt hat.
Den Transportberichten der Zentralstelle Produktion bei der Hauptverwaltung der Bundesbahn entnehmen wir Ende Juni: Im Güterzugverkehr mußten spürbare Qualitätseinbußen hingenommen werden; am Donnerstag um die Mittagszeit 100 Güterzüge auf Bespannung mit Lokomotiven gewartet. - Am 2. Juli aus der gleichen Dienststelle: Am Mittwoch und Donnerstag warteten in der Mittagszeit jeweils 78 Sondergüterzüge auf Bespannung durch Loks. ({3})
Am 23. Juli: Die Personalsituation im Triebfahrzeugdienst ist angespannt. Insbesondere die Bundesbahndirektionen Frankfurt und Karlsruhe sind betroffen, die im wöchentlichen Durchschnitt nur 76 % bzw. 67 % der geplanten Lokführerdienstbereitschaften stellen konnten.
Aus dem Bereich Hamburg folgender SOS-Ruf an den Vorstand der Bundesbahn:
Wegen Lok- und Lokführermangels sowie fehlenden wagentechnischen Personals waren am 27. und 28. Juni 68 Güterzüge durchschnittlich jeweils 98 Minuten verspätet.
Aus dem Bezirk Karlsruhe folgende Mitteilung:
Wegen stetiger Laufzeitüberschreitung ist der
Verkehr in der Relation Darmstadt nach Basel im
Grunde so erschwert, daß akute Abwanderungsgefährdung durch die Kunden der Bahn entsteht.
Wörtlicher Bericht!
({4})
Aus dem Bezirk München folgende Mitteilung am 4. Juli:
10 Güterzüge erreichten eine Verspätung von mehr als 58 Stunden vom 2. bis 5. August im Nürnberger Hauptbahnhof. Wegen Personalmangels im Rangierdienst konnten nur 41 von 188 Reisezugwagen der Reinigung zugeführt werden.
({5})
Meine Damen und Herren, das ist das Jahr, das von Herrn Warnke Anfang 1989 als Jahr der Bahn angekündigt worden ist.
({6})
Ich führe noch ein Protokoll aus dem Bereich der Bundesbahndirektion Stuttgart mit einigen Sätzen an:
Kundenberater sind zur Zeit nur damit beschäftigt,
- ich zitiere hier wörtlich Beschwerden nachzugehen. Gepäck-, Expreßund Frachtgut wird gesucht, u. a. Datenträger, eilige Arzneimittel. Überall gibt es Ladereste.
({7})
Meine Damen und Herren, diese Situation diskreditiert die Bahn. Entmutigt und entnervt sind viele Führungskräfte und Tausende im Schicht- und Wechseldienst stehende Eisenbahner. Enttäuscht sind viele Bereiche in der Wirtschaft und viele Bahnkunden. Das ist die Wahrheit.
({8})
Der Vorsitzende des Hauptpersonalrates bei der Deutschen Bundesbahn hat das in folgendem Satz zusammengebracht:
Mit der wundersamen Brotvermehrung gab es letztmalig vor 2 000 Jahren einen Erfolg. Auf den Personalmangel bei der Bahn ist dieses Ereignis nicht übertragbar.
Der Bahnvorstand - Sie müßten doch davon Kenntnis haben - hat folgendes anordnen wollen:
({9})
infolge Peronalmangels Nahverkehrs-, Entlastungsund Sonderzüge zu streichen und auf Sonderverkehre im Güterbereich zu verzichten. Das Ergebnis mehrstündiger Beratungen in der letzten Woche lautet nach außen: Es gibt kein Problem, kein Personalproblem bei der Bahn. Und dann werden die alten Zahlen mit 6 200 Einstellungen, die vor fünf Monaten zwischen der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und dem amtierenden Verkehrsminister vereinbart worden waren, als Neuigkeit in der Öffentlichkeit verkauft.
Was ist das für eine Politik?
({10})
Fehlbetrag und Verschuldung der Bahn nehmen zu.
({11})
Die DB-90-Strategie führt zum Offenbarungseid der Bundesregierung, auch wenn das bis heute geleugnet wird.
({12})
Der Lack großer Ankündigungen ist weg. Ein 6-Millionen-Überstunden-Berg wird als Folge zahlreicher Wochenfeiertage abgetan und mit Deckungslücken bemäntelt.
({13})
- Ihre Aufgeregtheiten möchte ich mir mal zu eigen machen können. Der Beschluß des Vorstandes der Bundesbahn, die begrenzten Ressourcen sollten den künftigen Leistungsumfang bestimmen, gleicht einer Kapitualtion vor den Zukunftsaufgaben der Deutschen Bundesbahn. Das heißt nämlich, wenn kein Personal da ist, werden die Leistungen nicht mehr gefahren. So einfach ist diese Gleichung.
({14})
Nein, meine Damen und Herren, dem ökonomischen Dilemma kann die Bahn nur durch ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept entrinnen, das einer ökologischen Neuorientierung zum Durchbruch verhilft.
Die Bundesleistungen der Bahn - das sind Angaben des Vorstandes der Bahn - seit 1982 betragen jährlich zwischen 13,5 Milliarden und 14 Milliarden DM. Für die letzten sieben Jahre kommt dies einer realen Kürzung um 5,5 Milliarden DM gleich.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt bei diesen Etatberatungen die Umschichtung von 500 Millionen DM aus dem Straßenbau zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs im Haushalt 1990, damit die Umweltbelastungen reduziert werden und eine fiskalische Korrektur in der Verkehrsfinanzpolitik eingeleitet wird. Denn ohne politische Rahmen- und Zielvorgaben
({15})
ist eine moderne Verkehrspolitik der ökologischen und volkswirtschaftlichen Vernunft nicht möglich.
Im übrigen freuen wir uns darauf, daß sich jetzt auch der Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn zu einer außerordentlichen Sitzung trifft,
({16})
um über Rahmenbedingungen bei der Bahn zu beraten und Schlimmstes im Herbst- und Winterverkehr vielleicht noch verhüten zu helfen durch Beschlüsse, zu denen wir hoffentlich auch mit Unterstützung des Bundesverkehrsministers kommen.
({17})
Die bilanztechnischen Maßnahmen allein, soweit man hier von Kosmetik sprechen darf, greifen auf Dauer zu kurz. Wenn das Chaos auf den Straßen und in der Luft jetzt auch noch durch ein Chaos der Schiene ergänzt werden sollte - das ist das Schlimme für uns alle; da brauchen Sie gar nicht dazwischenzurufen -,
({18})
dann schwindet die Glaubwürdigkeit der deutschen Verkehrspolitik, und der Ruf der Bahn ist dann auf Dauer ruiniert. Das gehört zu dieser Bestandsaufnahme.
Deshalb darf ich Sie bitten - ich habe das schon bei der letzten Rede zur europäischen Verkehrs- und Bahnpolitik im Namen meiner Fraktion gesagt - : Verstehen Sie sich langsam auch bei diesen Rahmenbedingungen zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme, damit wir endlich dem erklärten Ziel, mehr Güter auf die Schiene zu bringen, näher kommen können; denn das wäre der Beginn einer Verkehrspolitik der Einsicht in jahrzehntelange Fehlentwicklungen, für die wir alle - ich weiß das - Verantwortung tragen. Weiterwursteln im alten Stil, meine Damen und Herren, würde bedeuten, der Volkswirtschaft milliardenschwere Lasten aufzubürden, und das wäre im Grunde verantwortungslos.
({19})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Mittwoch, den 6. September 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.