Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Am 15. August 1989 verstarb im Alter von 93 Jahren der frühere Bundesminister und langjährige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Heinrich Krone.
Heinrich Krone wurde am 1. Dezember 1895 als Sohn eines Arbeiters in Hessisch-Oldendorf geboren. Er begann seine berufliche Laufbahn nach dem Studium der Philologie und Volkswirtschaft als Lehrer, widmete sich aber bald ganz der Politik. Bereits 1923 wurde er stellvertretender Generalsekretär der Zentrumspartei und zog 1925 als jüngstes Mitglied in den Reichstag ein.
In der Zeit des Nationalsozialismus galt seine Fürsorge und Hilfe den Bedrängten und Verfolgten, obwohl er selbst nach dem 20. Juli 1944 zu ihnen zählte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Heinrich Krone an führender Stelle am Wiederaufbau eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates in Deutschland mitgearbeitet. Er gehörte zu denjenigen, die sich nachhaltig für die Verwirklichung einer in den Konzentrationslagern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geborenen Idee des Zusammenschlusses katholischer und evangelischer Christen in einer politischen Partei einsetzten. Heinrich Krone wurde so Mitbegründer der Christlich Demokratischen Union Deutschlands.
Zwanzig Jahre lang, von 1949 bis 1969, war Heinrich Krone Mitglied des Deutschen Bundestages, bis 1965 als Abgeordneter Berlins.
Von 1955 bis 1961 stand er - integrierend, ausgleichend und, wenn erforderlich, versöhnend - an der Spitze der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Für die Sorgen und Nöte anderer hatte Heinrich Krone immer Zeit und immer ein offenes Ohr. Wenn ihn insbesondere jüngere Abgeordnete „Papa Krone" nannten, so schwang dabei ein im Laufe der Jahre zunehmender, ganz ungewöhnlicher Respekt mit.
Heinrich Krone war ein gefragter Ratgeber bei wichtigen politisch-parlamentarischen Entscheidungen und einer der engsten Berater Konrad Adenauers.
Im November 1961 berief ihn der Bundeskanzler als Bundesminister für besondere Aufgaben ins Kabinett. Es entsprach Heinrich Krones Naturell, daß er glanzvollere Ämter, obwohl sie ihm angetragen wurden, nicht angestrebt hat.
1969 verzichtete Heinrich Krone auf eine erneute Bundestagskandidatur. Er zog sich ganz aus der aktiven Politik zurück.
Der Deutsche Bundestag trauert um eine herausragende politische Persönlichkeit und einen vorbildlichen Demokraten. Wir werden Heinrich Krone nicht vergessen.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich komme zu den amtlichen und zugleich persönlichen Mitteilungen:
In der Sommerpause feierten mehrere Kolleginnen und Kollegen runde Geburtstage. Ich gratuliere ihnen im Namen des ganzen Hauses, und zwar Herrn Kollegen Kalisch zum 60. Geburtstag,
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Frau Kollegin Timm zu ihrem 65. Geburtstag,
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Herrn Kollegen Grüner zum 60. Geburtstag,
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Herrn Vizepräsidenten Stücklen zum 73. Geburtstag,
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Herrn Kollegen Dr. Stark ({5}) zum 60. Geburtstag,
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Herrn Kollegen Leonhart zum 60. Geburtstag
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und Herrn Kollegen Schulze ({8}), der heute seinen 70. Geburtstag feiert.
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Wir sollten trotzdem keine falschen Schlüsse daraus ziehen, daß hier die 60jährigen und Älteren Geburtstag haben; sie haben eben auch mehr Zeit für die Politik.
Präsidentin Dr. Süssmuth
Der Abgeordnete Funk ({10}) hat am 24. August 1989 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat Frau Schätzle am 25. August 1989 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die Kollegin ganz herzlich.
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Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat sich heute aus Anlaß des 50. Jahrestages des Überfalls auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, versammelt.
In diesem Krieg haben 55 Millionen Menschen, Soldaten und Zivilisten, ihr Leben verloren. Unermeßliches Leid ist über Millionen Menschen gekommen. Das Grauen, das hinter diesen Zahlen steht, wird immer jegliches menschliches Fassungsvermögen übersteigen.
Dieser Krieg hat zu einer nun über Jahrzehnte währenden Teilung Europas geführt. Schmerzlich müssen gerade wir Deutschen in diesen Tagen und Wochen feststellen, wie schwierig es ist, die Folgen dieser Teilung zu überwinden oder auch nur menschlicher zu gestalten.
Ich habe zu dieser Gedenksitzung 17 junge polnische Bürgerinnen und Bürger eingeladen, die auf der Tribüne unter uns sind und die ich herzlich begrüße.
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Sie sind stellvertretend für die jüngere Generation in Europa hier, die für die Ideale eines Friedens in Freiheit eintritt, die Versöhnung und Menschenrechte voll bejaht und sie als unverzichtbare Voraussetzung unseres Lebens betrachtet und sie deshalb nachdrücklich dort einfordert, wo sie vorenthalten werden.
Die Toten und Verfolgten des Krieges mahnen uns, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um diesen Prinzipien in der ganzen Welt Geltung zu verschaffen. Für unseren geteilten Kontinent erstreben wir eine europäische Friedensordnung als Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Glücks der Völker, die vor allen Dingen den Grenzen ihren trennenden Charatker nehmen.
Auf der Tribüne begrüße ich den Herrn Bundespräsidenten.
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Wir danken Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, daß Sie aus Anlaß dieses Gedenktages an dieser Sitzung teilnehmen.
Ebenso begrüße ich die anwesenden Botschafter und Gesandten, unter ihnen heute in besonderer Verbundenheit den Botschafter der Volksrepublik Polen.
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Ich rufe nun den einzigen Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung auf :
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung aus Anlaß des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden
vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler. - Die Entschließungsanträge werde ich nachher noch behandeln.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir gedenken heute in Deutschland, in Europa und weltweit des Beginns des Zweiten Weltkrieges vor 50 Jahren. Als frei gewählte Vertreter des deutschen Volkes sind wir hier besonders in der Pflicht. Wir stellen uns diesem Auftrag - mit jenem Ernst, den dieser Tag von uns verlangt.
Trauer bewegt uns an diesem Tag - und das Bewußtsein für die Verantwortung, die wir in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg empfinden.
Besondere Verantwortung erwächst uns aus der Tatsache, daß der Zweite Weltkrieg durch jenes verbrecherische Regime entfesselt wurde, das damals die Staats- und Regierungsgewalt in Deutschland innehatte.
Trauer empfinden wir über das Leid, das Menschen und Völkern im deutschen Namen und von deutscher Hand zugefügt wurde. Wir trauern um die vielen unschuldigen Opfer aus der Mitte unseres eigenen Volkes.
Dieser Krieg war nach dem Willen seiner Urheber ein gnadenloser Rassen- und Vernichtungskrieg. Er erreichte eine Dimension des Grauens, die es nie zuvor gegeben hatte - und die es nie wieder geben darf. Er war letzte Konsequenz einer totalitären Ideologie, die in ihrer Wahnvorstellung eine Rasse zum Götzen erhoben hatte.
Die Erinnerung daran wachzuhalten, schulden wir den unschuldigen Opfern, allen voran jenen der Shoah, des beispiellosen Völkermords an den europäischen Juden; den Polen, denen Hitler den totalen Versklavungs- und Ausrottungskrieg erklärt hatte; den Sinti und Roma; den vielen anderen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Wir trauern um die Opfer von Entrechtung und Unterdrückung, die Hitlers Diktatur zunächst über Deutschland und dann über die Welt gebracht hat; um die unschuldigen Opfer an den Fronten des Krieges und der Heimat; um die Opfer der Vertreibungen.
Wir schließen in unser Gedenken auch die Millionen von Soldaten aus so vielen Nationen ein, die in Kriegsgefangenschaft ums Leben kamen oder als Kriegsversehrte in die Heimat zurückkehrten.
Wer könnte die Frauen vergessen, die vergeblich auf ihre Männer, und die Mütter, die vergeblich auf ihre Söhne gewartet haben! Wie viele Kinder haben Vater oder Mutter verloren!
Sich der unschuldigen Opfer zu erinnern, heißt: das Grauen im Gedächtnis zu bewahren, es sich - im ursprünglichen Wortsinne - zu vergegenwärtigen. Es muß uns immer Mahnung sein und darf nicht durch falsche Vergleiche verharmlost werden. Hüten wir uns davor, gedankenlos oder gar in polemischer Absicht Worte wie „Faschismus" oder „Widerstand"
ohne weiteres auf aktuelle Sachverhalte anzuwenden!
Es gibt nicht nur die Versuchung, Vergangenes zu verharmlosen. Gedanken- und gefühllos sind auch jene, die vor dem Leid in unserer Zeit die Augen verschließen. Wir sollten in diesem Augenblick auch an jene Menschen und Völker denken, denen noch immer ein Leben in Würde und Freiheit versagt ist.
Nach diesem Weltkrieg und der Vernichtungswut der Jahre 1939 bis 1945, nach Auschwitz und Babi Jar, nach Oradour und Lidice konnte unsere Welt nie wieder so sein wie davor. Deshalb müssen sich Traditionen und scheinbare Selbstverständlichkeiten immer wieder einer kritischen Prüfung unterziehen lassen.
Kontinuität, meine Damen und Herren, ist nur verantwortbar als bewußtes Anknüpfen an das Gute, das sich eben nicht zerstören läßt. Dazu gehören die freiheitlichen Traditionen in der Geschichte unseres Volkes. Sie sind die sittliche Substanz, aus der wir, vor allem die Gründungsväter und -mütter unserer Demokratie, die Bundesrepublik Deutschland formten - das freiheitlichste Gemeinwesen, das es je auf deutschem Boden gab.
Gewiß: Auch nach 1945 meldeten sich noch manche Unbelehrbaren und Unverbesserlichen zu Wort. Doch wurden sie - und dafür sind wir dankbar - von den allermeisten Überlebenden entschieden verurteilt und ein für allemal zurückgewiesen. Denn diese hatten die Wirkung der alten Unheilslehren am eigenen Leibe erfahren. Sie wußten nur zu genau um deren verheerende Wirkung.
Das Böse in der Geschichte hat auf Dauer keinen Bestand. Das gibt uns Hoffnung. Mit seiner Wahnvorstellung vom Rassenstaat widersetzte sich Hitler jeder historischen Erfahrung. Die Geschichte ging über ihn hinweg. Nach zwölf Jahren versank das von ihm so genannte „Tausendjährige Reich" in Schutt und Asche.
Es ist wahr: Allzu viele Menschen in Deutschland, auch manche im Ausland, hatten sich vom Tyrannen blenden und irreleiten lassen. Das Urteil über die NS-Diktatur hängt indes allein von ihren Untaten ab, ihrem Vernichtungsfeldzug und dem Völkermord.
Die Wunden, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hat, sind, wie wir wissen, bis heute noch nicht verheilt. Sie haben sich ins Gedächtnis der Völker eingebrannt, und sie haben die Menschen auch persönlich gezeichnet - jeden einzelnen, der diese Zeit des Schreckens erlebt hat, und sei es als Kind.
Mich selbst lassen bis heute die Bilder nicht los, die sich mir 1939 - ich war damals neun Jahre alt - und in den Kriegsjahren danach eingeprägt haben. Ich erinnere mich noch heute an die Schrecken der Bombennächte in meiner Heimatstadt, an die vielen Toten auf den Straßen und in zerstörten Häusern.
Andere haben noch heute die Viehwaggons der Todeszüge vor Augen, vollgepreßt mit Menschen auf dem Weg in die Vernichtungslager; die Schlachtfelder des Krieges, wo Millionen von Soldaten Angst, Not und Tod erlitten; die endlos scheinenden Kolonnen ausgemergelter Kinder, Frauen und alter Menschen auf der Flucht und bei der Vertreibung und die
Flüchtlingszüge, in denen sich Mütter an ihre erfrorenen Kinder klammerten.
Jene, die damals unschuldig ihr Leben verloren, und jene, die die Schrecken überlebten - sie alle mahnen, nicht zu vergessen, daß die unveräußerliche Würde des Menschen immer und überall Maßstab unseres Handelns bleiben muß. Prüfstein ist dabei immer die Würde des Schwächsten.
Gerade bei uns in Deutschland darf die Erinnerung an das Vergangene nicht verlorengehen. Sie ist uns Deutschen eine schwere Last. Aber sie hat uns auch geholfen, unser Gemeinwesen, unsere Republik verantwortungsbewußt zu gestalten. Sie bleibt Voraussetzung dafür, daß uns das auch in Zukunft gelingt.
Anders als nach dem Ersten Weltkrieg gab es nach 1945 keine Diskussion über die Kriegsschuld. Hitler hat den Krieg gewollt, geplant und entfesselt. Daran gibt es nichts zu deuteln. Wir müssen entschieden allen Versuchen entgegentreten, dieses Urteil abzuschwächen. Das ist ein Gebot der Wahrhaftigkeit und des politisch-moralischen Anstands.
Es ist auch Gebot eines recht verstandenen Patriotismus, meine Damen und Herren. Denn Hitlers Vernichtungswille hatte sich zuletzt auch gegen unser eigenes Volk gerichtet. Im Angesicht der totalen Niederlage wollte er es mit sich in den Abgrund reißen. Er hatte von „Volksgemeinschaft" gesprochen. Doch in Wahrheit wollte er viele Gruppen unseres Volkes ausgrenzen, nicht integrieren. Er war von der Wahnidee der Rasse beherrscht. Ihr ordnete er alles unter, auch die Idee der Nation.
Er hatte von „göttlicher Vorsehung" gesprochen. Doch in Wahrheit ging es ihm um die Zerstörung religiöser Bindungen, um die Zerstörung christlich geprägter Moralität. Die sittliche Kultur unseres Landes, die sittliche Kultur Europas bedeutete ihm nichts, die eigene Willkür alles.
Wir dürfen am heutigen Tag dankbar feststellen, daß sich unsere Bundesrepublik Deutschland, unser freiheitliches Gemeinwesen, fundamental von allem unterscheidet, was die nationalsozialistischen Gewaltherrscher anstrebten. Wir haben in über 40 Jahren durch gemeinsame Anstrengung eine Republik aufgebaut, die der Freiheit und dem Frieden verpflichtet ist und hohe Achtung in der Welt genießt. Unsere Bundesrepublik Deutschland ist fest gegründet auf genau jene Werte, die Hitler zutiefst verhaßt waren und die er fanatisch bekämpfte.
Meine Damen und Herren, die Männer und Frauen, die im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz berieten, waren sich dieses Gegensatzes voll bewußt. Sie handelten aus persönlicher Erfahrung heraus. Sie hatten den Aufstieg des Nationalsozialismus erlebt. Doch die wenigsten von ihnen hatten sich damals vorstellen können, wohin die Hitler-Diktatur einmal führen würde. „Wehret den Anfängen! " - das war deshalb ihr Leitgedanke. Denn das Unheil nahm nicht erst 1939, sondern schon Jahre davor, schon vor 1933, seinen Lauf: Was zu Beginn noch aufhaltsam gewesen wäre, ließ sich im Lauf der Zeit immer schwerer anhalten oder gar rückgängig machen.
Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges lehrt zudem, daß Macht, zu welchem Zweck auch immer verliehen, nur durch Gegenmacht zu kontrollieren ist.
Die Schuld der nationalsozialistischen Machthaber wird um kein Jota verkleinert, wenn wir heute feststellen: Im Innern versagten Teile der gesellschaftlichen und politischen Eliten. Der Demokratie von Weimar hatten zu viele die Loyalität verweigert. Und später gaben sich nicht wenige - teilweise bis zum Schluß - der Illusion hin, der Fanatismus der nationalsozialistischen Machthaber lasse sich durch Kompromisse und Zusammenarbeit zähmen.
Es stimmt auch, daß europäische Mächte ungewollt eine Entwicklung förderten, die Hitlers Pläne objektiv begünstigte. Sie hatten ihn auch falsch eingeschätzt.
Die verbreitete Sehnsucht nach „Frieden in unserer Zeit" - wie Neville Chamberlain es 1938 nach München ausdrückte - war gewiß verständlich. Aber sie war ein schlechter Ratgeber. Damals kam es darauf an, die Pläne des Diktators mit wachem Blick zu durchschauen.
Nur eine umfassende Balance der Kräfte vermag einen dauerhaften Frieden verläßlich zu garantieren. Wahrer Friede setzt jedoch mehr voraus. Deshalb bekennen wir uns in unserem Grundgesetz ohne jeden Vorbehalt „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" .
Aus den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit, meine Damen und Herren, ist der Schluß zu ziehen, daß ein fairer Ausgleich nicht gelingen kann, wenn guter Wille nur auf einer Seite besteht.
Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges hat die Gemeinschaft freier Völker gelehrt, wie wichtig es ist, wachsam zu sein. Diese Lehre gilt nach wie vor - mögen wir jetzt auch im Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten und Südosten Europas Zeugen eines grundlegenden Wandels sein. Wir alle wünschen uns, daß die ermutigenden Entwicklungen unserer Zeit Bestand haben, ja, daß sie sich fortsetzen mögen. Was in unserer Kraft steht, wollen wir dazu beitragen. Denn gerade wir Deutschen sind dazu besonders verpflichtet.
Das folgt nicht zuletzt aus dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Wir Deutsche begreifen die besondere Verantwortung, die uns daraus erwächst, daß Hitler nach Abschluß dieses von vielen so genannten Teufelspaktes Polen mit Krieg überzog. Damit wurde dieses Land das erste Opfer des nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungskrieges.
Die damaligen Vereinbarungen bedeuteten eine schändliche Mißachtung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität Polens, der baltischen Staaten, Finnlands und Rumäniens. Dieser Anschlag auf das Völkerrecht, nicht zuletzt auf das Selbstbestimmungsrecht, war durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen. Wir verurteilen ihn und die nachfolgenden Gewalttaten ohne jede Einschränkung.
Die Bundesregierung hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß die Vereinbarungen von 1939 für die Bundesrepublik Deutschland nicht rechtsgültig sind. Das bedeutet auch, daß wir aus dem Pakt selbst und aus seinen Zusatzvereinbarungen keinerlei Rechtfertigung für nachfolgende Völkerrechtsverstöße des Deutschen Reiches und der Sowjetunion herleiten.
Der Hitler-Stalin-Pakt war das Produkt eines zynischen Zusammenspiels zweier Diktaturen. Die eine der beiden ist in dem von ihr selbst entfachten Inferno ein für allemal untergegangen. Die Sowjetunion steht - 36 Jahre nach Stalins Tod - mitten in einem schmerzhaften Prozeß der kritischen Selbstprüfung im Zeichen „neuen Denkens".
Im Zweiten Weltkrieg nahm eine Entwicklung ihren Anfang, die sich nach dessen Ende gewaltsam vollzog. Unser Vaterland wurde geteilt. Für die Deutschen in der DDR und für viele Völker in Mittel-, Ost- und Südosteuropa wurde das Kriegsende zum Ausgangspunkt für die Ablösung der einen Diktatur durch eine andere. Die Spaltung Deutschlands und Europas läßt sich durch den Zweiten Weltkrieg zum Teil erklären, jedoch in keiner Weise rechtfertigen.
Deshalb sind Äußerungen wie jene von Generalsekretär Gorbatschow hier in Bonn im Juni dieses Jahres, wonach die Nachkriegsperiode zu Ende gehe, ein Signal der Hoffnung für alle Menschen und Völker, die unter der Teilung Europas und Deutschlands ganz unmittelbar zu leiden haben und die sich wünschen, daß der gegenwärtige Zustand endlich friedlich überwunden wird.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, über viele Generationen hinweg hat das einst geteilte Polen unverzagt an der Idee seiner nationalen Zusammengehörigkeit festgehalten. Gerade die Erinnerung an das Schicksal Polens kann uns Deutschen helfen, die Last der Teilung zu tragen, solange wir nicht „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands" vollendet haben.
Im gemeinsamen Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung fühlen wir uns in besonderer Weise mit dem polnischen Volk verbunden. Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Wladyslaw Bartoszewski, der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Schreckliches am eigenen Leib erdulden mußte, hat hierzu vor einiger Zeit erklärt: „Die Überwindung der deutschen Teilung liegt auch im Interesse Polens. Wir wollen westwärts von uns eine Demokratie." Professor Bartoszewski hat als Freund der Deutschen die Gemeinsame Erklärung polnischer und deutscher Katholiken zum 1. September 1989 unter dem Titel „Für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in Europa" unterzeichnet.
Auch der neue polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki gehört zu den Unterzeichnern. Ich will gerne hier und heute die Gelegenheit nutzen, dem polnischen Ministerpräsidenten von Herzen unsere guten Wünsche für sein schwieriges Amt zu übermitteln.
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Wir wollen, daß er Erfolg hat. Wir wollen ihn nach Kräften dabei unterstützen; das will ich hier auch für mich persönlich bekennen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel: Der gegenwärtige politische und gesellschaftliche Wandel in den Staaten des Warschauer Pakts eröffnet die historische Chance zur Verwirklichung der Menschenrechte für all jene Europäer, denen sie in den vergangenen Jahrzehnten verweigert wurden - und damit auch für alle Deutschen.
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, diese Chance zu nutzen. Unser Ziel bleibt - so hat es Konrad Adenauer beim Deutschlandtreffen der Schlesier am 11. Juni 1961 ausgedrückt -, „daß Europa einmal ein großes, gemeinsames Haus für alle Europäer wird, ein Haus der Freiheit" .
Im Europa der Zukunft muß es vor allem um Selbstbestimmung und Menschenrechte gehen, um Volkssouveränität und nicht so sehr um Grenzen oder um Hoheitsgebiete. Denn nicht souveräne Staaten, sondern souveräne Völker werden den Bau Europas dereinst vollenden.
Nie wieder darf Europa den verhängnisvollen Weg von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität gehen, wie ihn Grillparzer im vergangenen Jahrhundert vorausgesagt hatte.
Im deutschen Namen und von deutscher Hand ist dem polnischen Volk Furchtbares angetan worden. Wer weiß hierzulande eigentlich noch, daß die Konzentrationslager auf polnischem Boden auch dazu bestimmt waren, die Eliten dieses Volkes auszulöschen? Aussöhnung ist nur möglich, wenn wir die ganze Wahrheit aussprechen.
Wahrheit ist auch, daß über zwei Millionen Deutsche - unschuldige Menschen - auf Flucht und Vertreibung ihr Leben verloren. Der Verlust der Heimat hat bei vielen Millionen unserer Landsleute tiefe Wunden geschlagen.
Diese bitteren Erfahrungen dürfen nicht verdrängt werden. Aber wir wollen daraus lernen. Denn welchen Sinn soll es haben, wenn Deutsche und Polen gegeneinander aufrechnen, wie dies einige hüben und drüben leider immer noch tun? Spätere Generationen werden uns danach beurteilen, was wir heute dafür tun, daß sie in Frieden und in gemeinsamer Freiheit leben können.
Das Beispiel der deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft beweist, daß Gräben, die jahrzehnte- oder gar jahrhundertelang bestanden haben, sich überwinden lassen. Und das Beispiel unseres Verhältnisses zum Staate Israel und zu Juden in aller Welt zeigt, daß bei gutem Willen auf allen Seiten selbst über tiefe Abgründe Brücken geschlagen werden können.
Wir wollen Verständigung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk. Das ist unsere Pflicht, und es entspricht auch der Sehnsucht beider Völker. Diesem von uns allen empfundenen Wunsch hat auch der Herr Bundespräsident zu Beginn dieser Woche in seiner Botschaft an den polnischen Staatspräsidenten Ausdruck verliehen. Fünfzig Jahre nach
Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Zeit gekommen für eine dauerhafte Aussöhnung.
Wir wissen um die Bitterkeit, die im Krieg gegen Deutschland entstand - in Polen, in Frankreich und später in der Sowjetunion, die über 20 Millionen Kriegsopfer zu beklagen hatte. Die allermeisten Völker Europas erfuhren schweres Leid von deutscher Hand. Viele davon sind heute unsere Partner, ja Freunde.
Dankbar sind wir all jenen, die uns nach dem Ende von Krieg und Gewaltherrschaft die Hand zur Versöhnung reichten, allen voran dem amerikanischen Volk, das schon sehr früh mit großzügiger Nahrungsmittel- und Aufbauhilfe ein unvergessenes Zeichen tätiger Nächstenliebe und auch politischer Weitsicht setzte. Weise Staatsmänner wie Präsident Harry S. Truman und George Marshall und viele, viele Privatpersonen hatten Anteil an solchen Werken des Friedens.
Aus Frankreich nenne ich Joseph Rovan, der schon wenige Monate nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Dachau den Satz niederschrieb: „Je mehr unsere Feinde die Züge des menschlichen Gesichts ausgelöscht haben, um so mehr müssen wir diese in ihnen selbst respektieren, ja sogar verschönern. "
Bei der Verständigung mit Polen hat es in den letzten Jahrzehnten schon wegweisende Schritte gegeben. Ich will hier besonders die vielfältigen Initiativen aus dem Bereich der Kirchen erwähnen.
Mit dem Warschauer Vertrag von 1970, den damals der Kollege Brandt unterzeichnete, gelang ein weiterer Schritt in diese Richtung. An Buchstaben und Geist dieses Vertrages werden wir uns weiterhin halten. Wir sollten darüber nicht weiter diskutieren. In der Präambel bekunden Polen und die Bundesrepublik Deutschland ihren Willen, der inzwischen herangewachsenen neuen, der jungen Generation eine friedliche Zukunft zu sichern und - ich zitiere - „dauerhafte Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben und die Entwicklung normaler und guter Beziehungen" zu schaffen.
Anfang der 80er Jahre, meine Damen und Herren, als Polen eine schwere Zeit durchmachte, brachte die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in einer Welle großer Hilfsbereitschaft ihre Solidarität mit dem polnischen Volk zum Ausdruck.
Ich bin überzeugt, daß sich die gesellschaftliche Öffnung in Polen günstig auf unsere Bemühungen auswirken wird. Die Möglichkeiten für eine Verständigung zwischen unseren Völkern werden um so besser, je weiter die Entwicklung zu mehr persönlicher Freiheit in Polen voranschreitet. Denn wahre Versöhnung ist nicht nur eine Frage menschlichen Wollens, sondern natürlich auch der politischen Gegebenheiten.
Vorurteile und Mißtrauen haben auf Dauer keine Chancen mehr, wo Grenzen überschritten werden dürfen, wo Informationen und Meinungen frei ausgetauscht werden und Menschen - vor allem auch junge Leute - einander in Freiheit begegnen können.
So konnte die deutsch-französische Aussöhnung nicht zuletzt deshalb so gut gelingen, weil sie auf dem gemeinsamen Fundament von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufbaute und weil in immer häufiger werdenden Begegnungen und Gesprächen zwischen Franzosen und Deutschen ein neues Verständnis füreinander wuchs.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wo die Freiheit verlorengeht, ist bald der Friede verspielt - zunächst im Innern und dann nicht selten auch nach außen.
Die Hitler-Diktatur und der Zweite Weltkrieg warnen uns immer wieder vor der Verführungskraft des Extremismus oder gar des Totalitarismus. Die Gefahr des Extremismus ist stets gegenwärtig - auch in einer freiheitlichen, offenen Gesellschaft.
Es ist für eine freiheitliche Demokratie daher unerläßlich, solchen Versuchungen so früh wie möglich entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund der Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur heißt das, Menschen durch den Rechtsstaat davor zu bewahren, eines Tages den Verstrickungen des Totalitarismus ausgesetzt zu sein.
Meine Damen und Herren, die freiheitliche Demokratie ist kein abstraktes Prinzip. Sie betrifft jeden einzelnen ganz unmittelbar. Es geht um seine Freiheit. Es geht um sein persönliches Glück. Tragen wir gemeinsam dazu bei, daß dies allen bewußt bleibt.
Die Menschen sind vor jener Zweideutigkeit in einer totalitären Diktatur zu schützen, die sich aus Verführung und Gewalt, aus Recht und Unrecht, aus Anpassung und Zwang zusammensetzt. Das nationalsozialistische Regime verstrickte Menschen guten Willens in ein verwirrendes, in ein diabolisches Netz, dem zu entkommen immer schwieriger wurde.
Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwammen mehr und mehr. Die Redlichkeit des einzelnen war immer weniger Gewähr für richtiges Verhalten. Mit dem Schwarz und Weiß eines Holzschnitts läßt sich daher ein gerechtes Bild der Generationen unserer Eltern und Großeltern nicht zeichnen.
Bis heute empfinden wir Deutschen in besonders schmerzlicher Weise den zwiespältigen Charakter menschlicher Existenz in dem von Hitler entfesselten Krieg. Es gehört zur Tragödie jener Zeit, daß die Loyalität und die Vaterlandsliebe von Millionen Menschen - an der Front wie in der Heimat - für verbrecherische Zwecke mißbraucht wurden.
Es gehört zur Perfidie und Perversität totalitärer Systeme, daß sie Menschen gezielt in Situationen verstricken, in denen es zwischen Schuld und Selbstgefährdung kaum mehr eine Alternative gibt.
Auf der einen Seite stehen die Soldaten, die an den Fronten des Zweiten Weltkriegs kämpften und litten. Die meisten von ihnen waren ehrlich und aufrichtig überzeugt, ihrem Land treu zu dienen. Es gab zahlreiche Beispiele von Tapferkeit und menschlicher Größe, denen Hochachtung gebührt.
Solche Einstellungen verdienen es nicht, herabgesetzt oder gar verhöhnt zu werden. Denn mit ihnen verbindet sich die Erfahrung von Tod, Schmerz und
Angst - und bei vielen von quälenden Zweifeln des Gewissens.
Auf der anderen Seite stehen die Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie lassen sich nicht aus dem Kriegsgeschehen ausblenden. An diesem Widerspruch mußten damals viele leiden.
Wenn wir von den Trümmern sprechen, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, dann sollten wir uns stets auch der Verheerungen bewußt bleiben, die in den Herzen und in den Köpfen der Menschen angerichtet wurden. Sie lasten als seelische Hypothek nicht nur auf jenen, die in Verstrickung gerieten. Sie belasten Enkel und Kinder, die sich selbst um ein gerechtes Urteil über die Generationen ihrer Eltern und Großeltern bemühen müssen - vielleicht mehr bemühen müssen, als man gelegentlich den Eindruck hat.
Wir müssen uns hüten, aus heutiger Zeit vorschnelle Urteile zu fällen. Wer von uns, meine Damen und Herren, könnte guten Gewissens von sich behaupten, daß er im Angesicht des Bösen die Kraft zum Martyrium aufbrächte? Und wer von uns kann eigentlich ermessen, was es damals bedeutete, im Bewußtsein der Gefahr für die eigene Person auch das Wohl der eigenen Familie aufs Spiel zu setzen?
Die Menschen heute sind nicht besser und nicht schlechter als die Menschen damals. Aber sie stehen glücklicherweise nicht unter dem Zwang, sich unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur entscheiden zu müssen.
Wir erinnern uns in Dankbarkeit daran, daß selbst in der dunkelsten Periode unserer Geschichte, im Zeichen von Krieg und Diktatur, der Geist der Humanität nicht zerstört werden konnte. Es gab viele bewegende Beispiele von Hilfsbereitschaft, von Großherzigkeit und von Menschlichkeit - auch über die Fronten hinweg.
Es gab Männer und Frauen, die Widerstand leisteten. Unter ihnen waren nicht wenige, die zunächst dem Diktator gedient hatten, bis sie merkten, daß sie - wie wohl auch die Mehrheit der Deutschen - verführt, verraten und ausgenutzt wurden. Sie hatten die Kraft umzukehren; viele haben dafür mit ihrem Leben bezahlt.
Allein die Demokratie verlangt den Menschen nicht ab, was in der Regel über ihre Kräfte geht. Sie bietet ihnen Schutz vor der furchtbaren Entscheidung, die die nationalsozialistische Diktatur ihnen zumutete: nämlich allzu leicht Komplize zu werden oder Heldenmut beweisen zu müssen.
Gerade in Erinnerung an die Hitler-Diktatur ist es daher wichtig, Bewegungen zu widerstehen, die eine umfassende Erlösung von allen Übeln dieser Welt als Programm verkünden. Wer - unter welchen Vorzeichen auch immer - das vollkommene Heil verheißt, der begibt sich mit Sicherheit auf den Weg zu neuem Unheil. Er hat nichts dazugelernt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Abgründe unserer jüngsten Geschichte lehren, daß es zwischen Demokratie und Diktatur keinen Mittelweg, keine Gemeinsamkeit der Werte und keinen moralischen Kompromiß geben kann. Freiheit und
Unfreiheit verhalten sich nun einmal so unverträglich zueinander wie Feuer und Wasser.
Die Diktatur mag Menschen täuschen und blenden können; allein die Demokratie gewährt ihnen Selbstbestimmung, sie überzeugt durch Sinn für das menschliche Maß, durch Solidität und Berechenbarkeit. In dieser Nüchternheit liegt ihre Größe - und zugleich ein Grund dafür, daß sie manchem so wenig glanzvoll erscheint.
Die Demokratie ist eben nicht geschaffen für den Zustand des nicht enden wollenden Rausches, sondern für die Normalität des Alltags. Sie setzt nicht auf das Heroische und auf das Außergewöhnliche, sondern auf das Humane und - im besten Sinne des Wortes - auf das Normale.
Ausdruck einer lebendigen Demokratie sind Parteien und das Recht auf Opposition. Eben deshalb wurden die Parteien von Hitler so erbittert und gnadenlos bekämpft. Denn er wußte sehr wohl: Waren die Parteien erst einmal beseitigt, dann war auch die Demokratie tot.
Wir sollten uns häufiger daran erinnern, daß führende Politiker der Nachkriegszeit wie der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher und der erste CDU-Vorsitzende Andreas Hermes die Gefängnisse und Konzentrationslager, ja die Todeszellen der NS-Diktatur erlebt hatten.
Unsere Schlußfolgerung aus den Erfahrungen der Zeit bis 1933 muß lauten: Extremismus auf der politischen Rechten oder Linken kann nur dann Erfolg haben und zur Macht gelangen, wenn sich die Bürger von den demokratischen Parteien abwenden oder abseits stehen.
Das Verhängnis ist kaum noch aufzuhalten, wenn zudem gesellschaftliche und politische Eliten die Hand reichen - womöglich in der Illusion, sie würden mit den Extremisten schon fertig werden. Wenn wir den Anfängen gemeinsam wehren, hat der Extremismus keine Chance. Wenn wir ihn dagegen als etwas Normales verharmlosen, kann er auch unsere Demokratie gefährden. Dagegen anzukämpfen, meine Damen und Herren, dafür ist es nie zu früh.
Überfordern wir nicht unsere Demokratie - sie ist ein kostbares und auch durchaus zerbrechliches Gut! Lassen wir davon ab, sie als ein Allheilmittel für alle Nöte und Probleme dieser Welt mißzuverstehen. Verteidigen wir immer und überall unsere freiheitliche, rechtsstaatliche Ordnung, denn sie allein garantiert den Bürgern Freiheit und Recht. Sie allein schützt den einzelnen vor den Gefahren des Totalitären. Jeder von uns ist dazu aufgerufen, sie zu seiner persönlichen Angelegenheit zu machen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Gerechtigkeit, Achtung des Rechts und Rechtssicherheit sind für die Existenz einer Demokratie so wichtig wie die Luft zum Atmen. Dies ist das wichtigste Vermächtnis des deutschen Widerstandes. Wer heute konsequent den Rechtsstaat verteidigt, wird morgen nicht in die Lage kommen, Widerstand leisten zu müssen. Gerechtigkeit, Achtung des Rechts und Rechtssicherheit wiederherzustellen war das zentrale Ziel des Widerstandes. Das trifft zumindest auf die große Mehrheit
aller zu, die sich tapfer gegen das nationalsozialistische Regime erhoben. Würdigen wir daher heute gleichermaßen den Tischlergesellen Johann Georg Elser, den Obersten Claus Graf Schenck von Stauffenberg, den Kreisauer Kreis um Helmuth Graf James von Moltke, die „Weiße Rose" um die Geschwister Scholl, standhafte Persönlichkeiten wie Julius Leber und Carl Goerdeler und die vielen, vielen anderen, die sich aus Gewissensgründen der Gewaltherrschaft mutig entgegenstellten.
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Es bedeutet nicht nur eine Herabsetzung des deutschen Widerstandes, sondern es ist historisch falsch und gefährlich, den untrennbar auf die Diktatur bezogenen Widerstandsbegriff beliebig auf aktuelle Sachverhalte zu übertragen. Mit seinem Monopolanspruch bekämpfte der Nationalsozialismus alle anderen Weltanschauungen radikal. Als Feinde galten ihm gleichermaßen Christen und Sozialisten, Liberale und Gewerkschafter, Konservative und Kommunisten. Ohne das Zusammenwirken von Menschen ganz unterschiedlicher politischer Überzeugungen wäre uns Deutschen der Neuanfang nach 1945 so nicht gelungen.
Nicht Erfolg oder Mißerfolg entscheiden über die sittliche Größe des Widerstandes. Das Attentat auf Hitler mußte gewagt werden - um jeden Preis.
Besonders eindrucksvolle Worte hat Oberst Henning von Tresckow gefunden, der Stauffenbergs Handeln und Denken seit 1943 wesentlich beeinflußte. Wenige Stunden, bevor er in den Tod ging, faßte er noch einmal zusammen, was der tiefste Beweggrund seines Handelns war - ich zitiere - :
Ich halte Hitler nicht nur für den Erzfeind Deutschlands, sondern auch für den Erzfeind der Welt. Wenn ich in wenigen Stunden vor den Richterstuhl Gottes treten werde, um Rechenschaft abzulegen über mein Tun und mein Unterlassen, so glaube ich mit gutem Gewissen das vertreten zu können, was ich im Kampf gegen Hitler getan habe. Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird.
Wir schulden den Männern und Frauen des deutschen Widerstandes tiefen Dank. Hohen Respekt zollen wir auch jenen, die sich durch Emigration dem Unrechtsregime verweigerten oder vor ihm fliehen mußten. Darunter war auch mancher, der dann aus Liebe zu seinem Vaterland die Hitler-Diktatur von außen bekämpfte. Denken wir an die Beispiele der Schriftsteller, die den Versuch unternahmen, mit der Macht ihres Wortes die Welt aufzurütteln und aufmerksam zu machen auf das, was in Deutschland geschah.
Die allermeisten Emigranten haben nicht leichten Herzens ihr Vaterland verlassen, und manchem von ihnen ist es später auch schwergefallen zurückzukehren. Um so dankbarer sind wir jenen, die mithalfen, unsere Bundesrepublik Deutschland aufzubauen. Denn bis heute fördert gerade diese Mitwirkung ganz
wesentlich die Versöhnungs- und Friedensarbeit unserer Zeit.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier auch an einen Mann erinnern, der für mich zu den großen Helden des 20. Jahrhunderts zählt, an Raoul Wallenberg. Er setzte 1944, im Alter von 32 Jahren, sein Leben ein, um in Budapest Hunderttausend von Ermordung bedrohten Juden das Leben zu retten. 1945 wurde er in die Sowjetunion verschleppt. Er ist seitdem verschollen.
In meinen Gesprächen habe ich Generalsekretär Gorbatschow auf das ungeklärte Schicksal dieses großen, mutigen Mannes hingewiesen. Ich hoffe sehr, daß in dieser Epoche des Wandels, in der in Staaten des Warschauer Paktes frei auch über das bedrükkende Erbe des Stalinismus gesprochen wird, das Schicksal Raoul Wallenbergs wirklich überzeugend geklärt werden kann. Ich begrüße es sehr, daß die sowjetischen Behörden kürzlich Angehörige von Raoul Wallenberg nach Moskau eingeladen haben.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, an diesem 1. September wende ich mich besonders an die jungen Menschen in Deutschland. Sie tragen keinerlei Schuld für Diktatur und Weltkrieg - nicht kollektiv, weil es das prinzipiell nicht gibt, aber auch nicht individuell, weil ihr Lebensalter sie davor bewahrt.
Dennoch tragen auch sie Verantwortung, weil die Vergangenheit gegenwärtig bleibt. Keiner von uns, kein Deutscher kann ihr entrinnen. Begreifen wir jedoch die Last der Geschichte auch als Chance: Wer die Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, dessen Blick ist geschärft für die Gefahren und Verführungen unserer Zeit.
Widerstehen wir auch der Versuchung, die während der NS-Zeit in Verruf gebrachten Werte der Heimatliebe und des Patriotismus heute zu verachten, weil sie damals mißbraucht wurden. Patriotismus geringzuschätzen wäre unbewußt im Sinne Hitlers. Generaloberst Ludwig Beck, einer der Männer des 20. Juli 1944, hatte dies erkannt und schrieb einmal tief erschrocken nieder - ich zitiere - : „Dieser Mensch hat ja gar kein Vaterland."
Liebe zum Vaterland und Liebe zur Freiheit, Patriotismus und europäische Gesinnung dürfen allerdings nie wieder getrennte Wege gehen. Das ist die Konsequenz, die wir gemeinsam ziehen müssen.
Ebenso kommt es darauf an, Tugenden wie Tapferkeit, Loyalität und Opferbereitschaft untrennbar an fundamentale sittliche Normen zu knüpfen. So leisten die Soldaten unserer Bundeswehr keinen Treueeid auf eine bestimmte Person, sondern sie geloben, jene Werte zu verteidigen, die in unserer freiheitlichen Verfassung, dem vor 40 Jahren verkündeten Grundgesetz, verankert sind.
Frau Präsident, meine Damen und Herren, die Generation der Gründer unserer Bundesrepublik Deutschland gestaltete die zweite deutsche Demokratie aus den Erfahrungen der Geschichte heraus. Sie führte unser Land auf den Weg jener freiheitlichen Traditionen zurück, die weder Krieg noch Gewaltherrschaft hatten zerstören können.
Wir dürfen stolz sein auf unsere freiheitliche Verfassung, das Grundgesetz. Wir bekennen uns zum absoluten Vorrang der Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens; zur Absage an Krieg und Gewalt als Mittel der Politik und an jeden Revanchismus - eine Entscheidung, die gerade auch von den deutschen Heimatvertriebenen in der Stuttgarter Charta von 1950 mitgetragen wurde -; zu dem Ziel eines freien und geeinten Deutschland in einem freien und geeinten Europa.
Es ist ein Zeugnis tiefer Menschlichkeit, daß die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes politischreligiös und rassisch Verfolgten einen Anspruch auf Asyl gewährten. Denn die Humanität eines Gemeinwesens erweist sich nicht nur in der Achtung von Freiheit und Menschenwürde der eigenen Bürger, sondern auch in der Aufgeschlossenheit für die Opfer von Unterdrückung und Gewalt in anderen Ländern.
All diese Entscheidungen haben die Grundlage dafür gelegt, daß unser Gemeinwesen als friedliebender, dem Recht und der Freiheit verpflichteter Partner in der Welt ein Maß an Anerkennung erlangte, das sich 1945, nach dem Ende von Krieg und Gewaltherrschaft, wohl niemand zu erträumen wagte. Dies 40 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland feststellen zu können erfüllt uns mit Genugtuung.
Heute, meine Damen und Herren, sind wir Zeugen beim Aufbruch Europas in eine neue Epoche. Wir müssen bereit sein, diesen Aufbruch maßgeblich mitzugestalten. Ganz Europa steht ein umfassender Wandel bevor, eine tiefgreifende Veränderung in Wirtschaft und Gesellschaft. Zum erstenmal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeichnet sich die Chance ab, daß es uns gelingt, aus dem Schatten des Ost-WestKonflikts herauszutreten. Was sich auf unserem alten Kontinent entwickelt, schlägt Menschen weltweit in den Bann.
Welches Volk könnte an diesem Vordringen der Freiheit stärkeres Interesse haben als das unsere? Das Zerbröckeln jahrzehntelanger Verkrustungen in Europa schafft neue Hoffnung auch für die Einheit unseres Vaterlandes. Die Zeit arbeitet für, nicht gegen die Sache der Freiheit.
So richten wir an diesem Tag der Erinnerung unseren Blick auch nach vorn. Bei aller Trauer, die wir in Erinnerung an den 1. September 1939 empfinden, sind wir uns der Verantwortung für die nachwachsenden Generationen bewußt. Diese Generationen werden uns einmal danach beurteilen, ob wir aus der Erfahrung von Krieg und Diktatur die richtigen Lehren gezogen haben - ob wir der Aufgabe gewachsen waren, auf Dauer eine bessere, eine friedlichere Welt zu schaffen.
Wir haben die Vision einer Zukunft, in der die Völker der Welt in gemeinsamer Freiheit friedlich vereint sind, und wir werden und dürfen nicht nachlassen, dafür zu arbeiten. Im Gedenken an den 1. September 1939 wissen wir: Dies ist das wichtigste, das wertvollste Erbe, das wir den kommenen Generationen hinterlassen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es zuviel verlangt, sollte einem zu den schwierigen Daten unserer jüngeren Geschichte immer noch Neues einfallen. Das Feld ist einigermaßen abgeschritten. Dabei wäre es verwunderlich - verwunderlich und bedenklich zugleich -, wenn es nicht über weite Strecken Übereinstimmung mit dem gäbe, was der Bundeskanzler hier vorgetragen hat. Vielleicht kommt es nicht immer auf neue Deutungen dessen an, was hinter uns liegt. Es gibt ja wohl Wahrheiten und Einsichten, die nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden können, dies gerade in einem Zeitabschnitt, in dem sich zwischen den Teilen Europas so viel ändert, wie wir es gegenwärtig erleben.
Ich finde es im ganzen ermutigend, daß bei allem sonstigen Wandel jenes doppelte Nein lebendig geblieben ist, das uns Ältere zusammenführte, als nach 1945 unser staatliches Notdach zu errichten war. Ich meine mit dem doppelten Nein das „Nie wieder" zu deutscher Schuld an Überfällen, kriegerischer Verwüstung oder gar Völkermord und das andere „Nie wieder" zur Knebelung des eigenen Volkes und zu dessen Selbstentmündigung. Das Versprechen und die Entschlossenheit - übrigens gemeinsam mit für die DDR-Verantwortlichen bekundet, von mir selbst in Erfurt mit dem Ministerratsvorsitzenden der DDR -, von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgehen zu lassen, sollten richtig verstanden werden, nämlich als Ausdruck eines geläuterten Friedenswillens. Doch wir sollten uns auch dabei nicht überschätzen. Die anderen würden sich wohl zu schützen wissen, sollte in der Mitte Europas noch einmal jemand auf extreme Weise verrückt spielen wollen.
Es läßt sich verstehen, meine Damen und Herren, daß nachwachsende Generationen auch bei uns mit Tagen, die an nationale Schande und europäisches Unglück erinnern, nicht besonders viel im Sinn haben. Der zeitliche Abstand fällt ins Gewicht. Wer jetzt 60 ist, war 10, als der Krieg begann, von dem hier gesprochen wird. Zu den Wahlen gehen jetzt junge Frauen und Männer, die eben geboren waren, als unsereins mit anderen heftig um die Ostverträge stritt. Ich denke, die Jüngeren möchten wissen, was die Zukunft bringt, ob die aufregenden Veränderungen im anderen Teil Europas das eigentliche Ende der Nachkriegszeit bedeuten und was dies für Deutschland besagen mag; doch wohl jedenfalls nicht eine neue Vorkriegszeit an Stelle der zu Ende gehenden Nachkriegszeit.
Auch wenn ein paar Jahre - nein, ganz genau sind es noch etwas weniger als zwei Jahre - vergangen sind, ist in unser aller frischer Erinnerung, daß für die beiden militärisch mächtigsten Staaten der Welt zu Papier gebracht wurde: Ein mit Nuklearwaffen geführter Krieg kann nicht gewonnen und darf nicht geführt werden. Aus solcher Einsicht hat sich logisch ergeben, ernsthaft darüber nachzudenken, wie für unseren Teil der Welt und überhaupt zwischen West und Ost gemeinsame Sicherheit dauerhaft und zuverlässig verwirklicht werden kann.
Es ist ja gewaltig, was sich über den großen Krieg hinaus in der Welt, nicht zuletzt in der Welt der Technik, verändert hat. Die 50 Jahre, die dem Jahr 1939 vorausgegangen waren, hatten es auch schon in sich. Das sind - man muß es sich klarmachen - die Jahre ab 1889, kurz bevor Bismarck ausschied. Das waren einmal 50 Jahre bis 1939, und dann begann die Periode, über die wir heute sprechen.
Nun, gegen Ende des Jahrtausends, erleben wir den Griff in den Weltraum, das weltweite Fernsehen - das es ja sehr bald geben wird, das es fast schon gibt -, die wirkliche wirtschaftliche Umwälzung durch Mikrochips, zugleich das Bemühen um die Bändigung unvorstellbarer Zerstörungskraft; und die politische Weisheit bleibt gegenüber der Technik, wie man seit langem erfährt, im Rückstand.
Hoffentlich haben wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Augen davor verschlossen, daß in den letzten Jahrzehnten bei Konflikten in anderen Teilen der Welt an die 20 Millionen Menschen - eher mehr denn weniger - umgekommen sind. Wir sollten in dieser Stunde gewiß an das Leid denken, das den Menschen im Nahen Osten schon so lange zugefügt wird und das sie sich selbst zufügen, und daran, daß in Afghanistan, in Kambodscha und anderswo immer noch geschossen wird.
Ich meine, wir dürfen auch den massenhaften, vermeidbaren Tod durch Hunger, Seuchen und Mangel an sauberem Wasser nicht aus den Augen verlieren, nicht die gefahrvolle Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen.
Aber ich gebe zu: Gesicherter Frieden in Europa - das wäre ein wichtiger Baustein für eine menschenfreundlichere Welt. Aber es bedarf dann zugleich großer zusätzlicher Anstrengungen, um internationale Einrichtungen so auszubauen, daß moderne Erkenntnisse dem Überleben und Wohlergehen der Menschheit wirksam dienstbar gemacht werden können.
Erfahrungen der Völker lassen sich weniger leicht vermitteln, als es schon manch einer an seinem Schreibtisch unterstellt hatte. Doch mag ich jenen erlauchten Geistern nicht folgen, die uns Menschen überhaupt die Fähigkeit absprechen, aus der Geschichte zu lernen. Zu hoch würde allerdings auch ich diese Fähigkeit nicht ansetzen wollen. Doch auf einem möglichst wahrhaftigen Umgang mit historischen Fakten sollte man mit Nachdruck bestehen. Ich sage „möglichst" nur deshalb, weil wir uns der Begrenztheit dessen klar sein sollten, was sich als zweifelsfrei feststellen läßt.
Der geschichtlichen Wahrhaftigkeit wird - um ein wieder aktuell gewordenes Beispiel zu nennen - nicht gerecht, wer Stalin ins Feld führt, um Hitler zu entlasten
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oder gar zu rechtfertigen. Was zur Verurteilung des sogenannten Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 zu erklären ist, hat das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vorbehaltlos und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.
Im ubrigen: Nicht irgendwie und durch irgendwen hat der Zweite Weltkrieg begonnen, auch nicht nur im
mißbrauchten deutschen Namen. Über Kurzsichtigkeiten vieler der Beteiligten nach 1918 - ich denke nicht nur an Versailles - läßt sich viel sagen. Eindeutig bleibt, auf 1939 bezogen, die hitlerdeutsche Schuld. Der neue Krieg unter dem Deutschland selbst so schwer leiden sollte, war schon vor dem Pakt vom 23. August 1939 geplant, vorbereitet, gewollt und hätte sich allenfalls durch vorweggenommene allseitige Kapitulation vermeiden lassen.
Gelegentlich liest man, auch Polen sei 1939 nicht demokratisch regiert worden, was wohl stimmt, bloß hier nichts zur Sache tut. Wenn damit die Begründung einhergeht, Polen sei gar nicht überfallen, allenfalls mit einem Gegenangriff überzogen worden, so darf man das nicht durchgehen lassen. Es ist verbürgt, daß der sogenannte Führer vor seinen Generälen prahlte, er werde für die Rechtfertigung des Angriffs sorgen - wörtlich - , „gleichgültig, ob glaubhaft".
Zu den hausgemachten, damals zu Hause gemachten Vorwänden gehörte ein fingierter Angriff auf den Sender Gleiwitz, nicht so weit entfernt von jenem damals kaum bekannten Ort namens Auschwitz, dessen Verbindung mit fabrikmäßigem Massenmord vor allem an den unzähligen jüdischen Opfern des Rassenwahns viele nie mehr haben abschütteln können. Jener Ort hat uns, die gebrannten Kinder der Menschheit, gelehrt, daß die Hölle auf Erden geschaffen werden kann; sie wurde geschaffen.
Ich denke, die meisten werden es so empfinden wie ich, daß man den israelischen Verteidigungsminister versteht, der gestern an der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem sagte, für das größte Verbrechen in der neuzeitlichen Geschichte könne es Entschuldigung und Vergeben nicht geben.
Daß es, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, für das eigene Volk so enden würde - keine Familie ohne Tote, Millionen ihrer Behausung in den zerbombten Städten beraubt, weitere Millionen ohne die alte Heimat und in der neuen Spaltung - , all das hat sich kaum einer vorstellen können, als es an jenem Freitag dem 1. September 1939 begann.
Ich lebte, wie man weithin weiß, als von den Nazis Ausgebürgerter in nordeuropäischer Umgebung. Dort hoffte man - auch das gehört zur Erfahrung unserer Zeit - , neutral durch den Konflikt der Großmächte hindurchkommen zu können. Aber man war nicht sicher, wie ernst es werden würde.
Am Sonntag, dem 3. September - ich hatte in der Redaktion die Aufgabe, während die anderen meinten, zu Hause bleiben zu können, englische Nachrichten zu hören; es gab eine Sondersitzung des britischen Unterhauses - , als die englische und französischen Kriegserklärungen vorlagen, kommentierte das Extrablatt der Zeitung, für die ich tätig war, es müsse sich erst noch zeigen, ob der Nervenkrieg eine neue Phase erreicht oder wirklich ein neuer Weltkrieg begonnen habe - September 1939.
Aus Berlin und von der Wasserkante hörte ich - so bestätigen es ja die gedruckten Berichte seitdem vielfach: Über Deutschland legte sich in jenen Septembertagen eine lastende Stille; kein Jubel wie im August 1914, in jenem August 1914, als das europäische Ur-Unheil dieses Jahrhunderts begann; keine Blumen
auf den Gewehrläufen, keine winkenden Bräute, nicht die angeberischen Sprüche auf den Eisenbahnwaggons, auch gottlob kein Segnen der Waffen und keine Flucht in den Krieg als Befreiung aus dem bürgerlichen Alltag.
Ich erinnere hieran nicht als einer der Älteren, um etwas zu verniedlichen. Ich erinnere jedoch an die heimliche Furcht, die seit der sogenannten Machtergreifung nur noch selten aus den Herzen der Deutschen gewichen war - ob Gegner oder Anhänger des Regimes. Auch bei vielen aus der ja nicht kleinen zweiten Schicht bestimmte sie die Stunden des Katzenjammers nach den hochgejubelten Siegen.
An jenem 1. September hofften die Naziführer mit ihrem Anhang, daß die Westmächte klein beigeben und sich trotz Polen arrangieren würden. Die plumpe Rechnung ging nicht auf. Die Mehrheit der Deutschen dürfte, anders als die bösen Wunschdenker an der Spitze, mit einer dumpfen, halb gelähmten Gewißheit verstanden haben, daß die Herrschaft des Todes mit letztem Ernst eingesetzt hatte. Man ahnte, daß Millionen nicht heimkehren würden. Daher das Schweigen, das Zeitgenossen ein bleiernes genannt haben.
Gewiß, dies wurde in den ersten Kriegsjahren verdrängt und vergessen, doch nicht von allen. Es war in den Herzen der vielen, die schon früh einen der Ihren verloren. In den Lagern und Zuchthäusern ließ sich dieses Schweigen ohnehin nicht überspielen. Nach Stalingrad und El Alamain kehrte es allgemein und verstärkt wieder, und es nahm jenes entsetzliche Schweigen voraus, das sich nach 1945 über die Trümmer des Reiches legte, über die Ruinen Europas, vor allem auch der Sowjetunion. Es blieb, bei einigen nachdrücklicher als bei anderen, das Schweigen der Trauer, der Scham, der Mitschuld, jedenfalls der Mitverantwortung für das Schicksal anderer und vor dem eigenen Volk.
Nicht notwendigerweise hat es so kommen müssen, wie es 1933 und 1939 gekommen ist. Nicht erst in den lebensgefährlichen Schriften des Untergrunds, nein, schon in den Aufrufen aus der Zeit der zu Ende gehenden Weimarer Republik war gewarnt worden, daß Hitler Krieg bedeute. Mit dieser Einsicht bin ich politisch erwachsen geworden. Aber ich habe nicht vergessen, daß vielen als Empfehlung erschien, was auf die anderen abschreckend wirkte.
Die meisten, auch im Ausland, meinten, die Warnungen seien übertrieben. Durch linksintellektuelle Aufgeregtheit oder was als solche empfunden wurde, mochten sich nationalbürgerliche Grundinstinkte nicht anfechten lassen. Doch auch, wenn man nicht hatte hören wollen, daß X zu Y führe, in Wahrheit hörte man es doch. Man wollte es nicht glauben und fürchtete es dennoch.
Da waren natürlich auch jene, die sich aufführten, als fürchteten sie nichts auf der Welt, schon gar nicht Gott. Die wollten Krieg, nicht bloß Krieg, sondern einen solchen, dessen maßlose Erniedrigung ihnen nichts ausmachte. Was sie wollten, hätte man auch damals wissen können. Doch denen, die es wußten und sagten, ging es nicht gut.
Eine selbstkritische Frage drängt sich mir allerdings auch hier auf: Wenn man die Warnung vor dem, woBrandt
hin NS-Herrschaft führen würde, buchstäblich und ganz ernst genommen hätte, wären dann nicht viel größere Risiken angemessen gewesen, um das deutsche und europäische Unheil abwenden zu helfen? Auch als klar war, daß Hitlers Krieg nur noch zu verlieren war, hätte sich beträchtliche menschliche und materielle Substanz vor der Vernichtung bewahren lassen.
Die große Lehre jener Zeit lautet aus meiner Sicht: Wo die Freiheit nicht beizeiten mit großem Einsatz verteidigt wird, ist sie nur um den Preis schrecklich hoher Opfer zurückzugewinnen. Ein mündiges Volk darf die Macht nicht in die Hände von Verrückten und Verbrechern fallen lassen.
({1})
Das ist die eine Lehre. Zu ihr gehört, den Nachwachsenden nahezubringen, daß dies auch sie - über ohnehin nicht zu übersehende materielle Folgen hinaus - noch mit angeht. Sie lehnen es zu Recht ab, sich Verantwortung oder gar Schuld vererben zu lassen. Zu Recht lehnen sie das ab. Doch es geht nicht mehr um unser, es geht um ihr Leben. Nur wer begriffen hat, was damals geschah, wird sich gegen die Lähmung der Vernunft und die Aggression der Dummheit zu schützen wissen, wird auch die Kraft finden, die Gefahr des Krieges, so es an ihm liegt, immer von neuem abwehren zu helfen.
Ich bleibe der Meinung: Der Bruch mit der bösen Vergangenheit hätte vor vierzig Jahren deutlicher ausfallen sollen. Ich sage ebenso deutlich: Der Idealismus großer Teile der damals jungen Generation ist schrecklich mißbraucht worden. Die Opferbereitschaft hart bedrängter einfacher Menschen ist nicht hinreichend gewürdigt worden. Sie, sowohl die aus Idealismus engagierten Jungen wie die vielen, nicht zuletzt die Frauen in den Bombennächten, hätten in der rückwärts gewandten Wertung besser wegkommen müssen, als sie unter den Bedingungen restaurativer Besatzungsdemokratie weggekommen sind, etwa im Vergleich zu manchen vermeintlichen Rechtswahrern und anderen Textdeutern, zumal den Propagandisten des Krieges nach außen und im Innern.
({2})
Ich darf hier hinzufügen, meine Damen und Herren: Wer noch immer oder wieder bei den Zerstörern Europas Anleihen macht, der fügt dem eigenen Volk Schaden zu. Aber auf leicht angebräunte Spatzen mit Kanonen zu schießen, das ergibt auch keinen Sinn.
({3})
Es wäre verwunderlich, um nicht zu sagen: verdächtig, wenn sich wie anderswo in Europa nicht auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland gelegentlich Leute zu Wort meldeten, die mit nationalistischen Ladenhütern aufwarten. Nur: Konzessionen darf man ihnen nicht machen.
({4})
Die eigentliche Antwort auf rückwärts gewandte Versuchungen, die andere große Lehre - eine hatte ich genannt - , heißt aus meiner Sicht: mit noch größerer Hingabe für Europa arbeiten, ohne damit verstaubte Vorstellungen von deutscher Führung zu verbinden.
({5})
Die europäische Einigung - ich nehme voll auf, was der Bundeskanzler hierzu gesagt hat - bildete ein Kernstück in den Vorstellungen des deutschen Widerstandes, so auch des Kreisauer Kreises um den Grafen Moltke. Nebenbei gesagt, Herr Bundeskanzler, sind wir uns auch sicherlich einig, daß wir gelegentlich in Gefahr sind, den Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung seit 1933
({6})
nicht gleichermaßen zu würdigen wie das, was hinterher mit so großem Einsatz gewagt worden ist.
Die deutschen Sozialdemokraten hatten übrigens die Vereinigten Staaten von Europa schon 1925 in ihr Programm geschrieben. Seit 1950 haben auf dem Wege zur westeuropäischen Gemeinschaft bedeutende Fortschritte erzielt werden können, und das ist gut. Inzwischen ist es Zeit, an Gesamteuropa zu denken. Daß sich diese Aufgabe stellen werde und wir den mittel-, ost- und südosteuropäischen Nachbarn nicht den Rücken zuwenden dürften, sagte ich meiner Partei vor über 25 Jahren, als sie mich an ihre Spitze berief: hier in Godesberg, Anfang 1964. Wir haben es beim Bemühen um Normalisierung im Ost-West-Bereich nicht vergessen.
Ein faszinierender Prozeß der Neugestaltung führt uns nun dem größeren Europa näher. Aber: Ohne Widersprüche und Rückschläge wird es auch weiterhin nicht abgehen. Ich denke mir, Staaten auf Rädern wird die künftige europäische Hausordnung nicht vorsehen
({7})
und keine Vertreibung und keine Trennmauer - schon gar nicht zwischen Angehörigen ein und derselben Nation -, auch nicht Regierungen, die von ein paar Dutzend Divisionen abhängiger sind als von der Verständigung mit dem eigenen Volk.
({8})
Wie immer: Wer das ganze Europa in den Blick faßt, kommt jedenfalls um Deutschland nicht herum.
Mit dem Warschauer Vertrag vom Dezember 1970 wie mit dem voraufgegangenen Moskauer Vertrag haben wir die Kette des Unrechts durchbrechen, der Vernunft eine neue Chance geben, menschliche Erleichterungen fördern wollen. Mir war bewußt, daß sich die Siegermächte auf Grenzen verständigt hatten, die über ursprüngliche polnische Forderungen und Erwartungen hinausgingen. Mir war zum anderen bekannt, daß ein konservativer Nazi-Gegner wie Carl Goerdeler, der langjährige Leipziger Oberbürgermeister, und ein Sozialdemokrat wie Ernst Reuter, damals Oberbürgermeister von Magdeburg, vorausgesagt hatten, was Hitlers Krieg für die Ostgrenze bedeuten würde. Das kam nicht wie ein Blitz vom Himmel. Es gibt im übrigen nicht den geringsten Zweifel daran, daß unser erster Bundeskanzler auch
hinsichtlich der früheren preußisch-deutschen Ostgebiete keinen Illusionen anhing. Schon er wußte, daß uns in der weiten Welt keine Regierung in Grenzforderungen unterstützen würde. Und es wäre mehr als peinlich, wenn man bei uns den Eindruck aufkommen ließe, es bedürfte russischer Truppen, um Polens Grenze gegen deutsche Ansprüche zu sichern.
({9})
Wer - im Gegensatz zum Geist des Warschauer Vertrages - die Grenzen in Frage stellt, statt sie durchlässig, wirklich durchlässig machen zu helfen, der gefährdet den Zusammenhalt und die Chancen neuen Zusammenhalts zwischen den Deutschen, wo sie heute leben.
({10})
Was unser Bundespräsident dieser Tage dem polnischen Staatsoberhaupt geschrieben hat, sollte nicht nur unser aller Würdigung, sondern auch unser aller Zustimmung finden können.
({11})
Im übrigen verweise ich - mehr als pflichtgemäß - auf den Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses.
Leider, Herr Bundeskanzler, war in diesem Sommer hier und da der Eindruck entstanden, von London und Paris, sogar von Washington sei der Weg nach Warschau kürzer als der von Bonn. Das polnische Volk und seine Regierung - das gilt gleichermaßen für Ungarn und für die anderen Länder, in denen die Prozesse der Erneuerung langsamer anlaufen - sollten spüren, daß wir uns ihnen in Solidarität verbunden fühlen.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Bundeskanzler, möchte ich eine kleine praktische Begebenheit erwähnen: Ich erinnere mich daran, daß Anfang der 80er Jahre die Post es den Hilfsbereiten ermöglicht hatte, Pakete ohne Porto nach Polen zu schicken. - Es muß ja nicht gleich Portofreiheit sein. Aber wenn ich höre - ich habe mich gestern bei den zuständigen Stellen vergewissert - , daß man jetzt, wo es ernster ist, die individuelle Hilfe erschwert - das Porto ist nämlich erhöht worden - , dann verstehe ich das nicht. Es ist überhaupt nicht verständlich, daß ein 10 kg schweres Paket, das, sagen wir einmal, einen Wert von 50 DM hat, mit 30,50 DM Porto auf den Weg zu bringen ist. Da muß sich eine vernünftigere Regelung finden lassen.
({12})
Ich will im übrigen, wo es um größere Dinge geht, nicht unterstellen, daß die polnische Seite nur Wünsche vorbringt, die leicht zu befriedigen sind; das glaube ich nicht. Der Gedanke, die Kommission der Europäischen Gemeinschaft in die Hilfe für Polen einzuschalten, war gut. Von uns wird Zusätzliches erwartet; das weiß hier jeder.
Wo es nach vorn führt und solide ist, werden wir uns große Mühe geben müssen. Selbsthilfe und europäische Unterstützung müssen wirksam ineinandergreifen, und zwar so, daß nicht neue drückende Abhängigkeiten entstehen.
Ich will offen meinem Empfinden Ausdruck geben - das möchte ich zum Schluß sagen - , daß eine Zeit zu Ende geht, eine Zeit, in der es sich in unserem Verhältnis zum anderen deutschen Staat vor allem darum handelte, durch vielerlei kleine Schritte den Zusammenhalt der getrennten Familien und damit der Nation wahren zu helfen.
Was jetzt im Zusammenhang mit dem demokratischen Aufbruch im anderen Teil Europas auf die Tagesordnung gerät, wird mit neuen Risiken verbunden sein, schon deshalb, weil es ein historisch zu belegendes und höchst vielfältig gefächertes, keineswegs erst durch den Hitler-Krieg belebtes Interesse der europäischen Nachbarn und der halbeuropäischen Mächte daran gibt, was aus Deutschland wird.
Der Wunsch, das Verlangen der Deutschen nach Selbstbestimmung wurde in den Westverträgen bestätigt und ist durch die Ostverträge nicht untergegangen; sie bleiben Pfeiler unserer Politik. In welcher staatlichen Form auch immer dies in Zukunft seinen Niederschlag finden wird, mag offenbleiben. Entscheidend ist, daß heute und morgen die Deutschen in den beiden Staaten ihrer Verantwortung für den Frieden und die europäische Zukunft gerecht werden. Wir sind nicht die Vormünder der Landsleute in der DDR. Wir haben ihnen nichts vorzuschreiben, dürfen ihnen freilich auch nichts verbauen.
({13})
Ich habe vor mir einen Brief liegen - ich habe ihn nicht selber bekommen, sondern jemand hat ihn mir gestern gegeben - , einen Brief von einer Dame aus dem westlichen Sachsen, in dem sie von den Menschen schreibt, die Angst haben, daß das Leben an ihnen vorbeigehe, und in dem sie schreibt: Keiner hungert; aber jeder hungert nach etwas Besserem.
Dies ist nicht das einzige bedrückende Zeugnis dessen, was die Menschen dort beschäftigt und uns mit angeht. Das Bewußtsein unserer Menschen hier, in der Bundesrepublik, wachzuhalten, daß die Nachbarn im anderen Teil Deutschlands zwar das kürzere Los gezogen, aber den Krieg nicht mehr als wir verloren haben, bleibt ein Gebot der Stunde.
({14})
Und daß eine effiziente und unbürokratische Hilfe für bedrängte, in unverschuldete Not geratene Landsleute ein Gebot unserer Selbstachtung bleibt, sollte keiner weiteren Worte bedürfen.
Ich möchte für meine politischen Freunde - und sicher nicht nur für diese - Dank sagen an alle nichtamtlichen und amtlichen Personen und Stellen, die nachbarliche und humanitäre Hilfe leisten und dabei auf störende Publizität verzichten.
({15})
Jede Generation muß wohl von neuem lernen, was Albert Schweitzer die Ehrfurcht vor dem Leben genannt hat. Die Lebensliebe ist das große Geschenk, das den Überlebenden zuteil wurde. Wir haben sie weiterzugeben wie die Einsicht, die ich vor vielen JahBrandt
ren - lange ist's her - auf die Formel zu bringen versuchte, daß Krieg die ultima irratio, Frieden jedoch die ultima ratio der Menschheit sei.
Um Lebensliebe und Freiheitswillen zu bitten, das ist, wie ich es verstehe, die Pflicht, die uns die Erinnerung an den September 1939 vermittelt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Regierungserklärung, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat, und unterstützt sie.
Wir danken auch Ihnen, Herr Kollege Brandt, für Ihren Beitrag, den wir in manchen, auch wichtigen, Passagen unterstützen, wenn auch nicht in allen.
Bei dem Versuch gestern, eine gemeinsame Entschließung zustande zu bringen, hat die Grenzfrage nach unserem Eindruck eine etwas übermäßige Rolle gespielt. Es war der Wunsch der SPD.
Deswegen muß ich einige wenige Bemerkungen zur Grenzfrage machen, obwohl ich das ursprünglich nicht vorhatte.
Wir müssen von der Tatsache ausgehen, daß Deutschland geteilt ist. Die Bundesrepublik Deutschland, der westliche Teilstaat Deutschlands, hat keine gemeinsame Grenze mit der Volksrepublik Polen und kann daher keinen Grenzregelungsvertrag mit Polen schließen. Der westdeutsche Teilstaat ist auch nicht befugt, über ostdeutsches Gebiet zu verfügen. Was würden wir sagen, wenn ein ostdeutscher Teilstaat über westdeutsches Gebiet verfügen würde?
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Eine Grenzregelung zwischen Deutschland und Polen kann nur ein wiedervereinigtes Deutschland treffen, das durch die Wiedervereinigung zu einem Nachbarn Polens wird. Ich bin überzeugt, daß dieser Friedensvertrag frei zustande kommen wird, weil für Polen wie Deutsche die Freiheitsfrage wichtiger ist als jede Grenzfrage und weil Polen und Deutsche wissen, daß sie ihr nationales Ziel der Selbstbestimmung nur gemeinsam verwirklichen können.
Was die Bundesrepublik Deutschland in dieser Situation tun konnte, ist geschehen durch den Warschauer Vertrag unter Ihrer Kanzlerschaft, Herr Kollege Brandt, dessen Kernsatz lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen haben gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche und werden solche auch in Zukunft nicht erheben."
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Der damit vereinbarte Gewaltverzicht gilt für jetzt und für alle Zukunft, meine Damen und Herren.
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Jetzt, in dieser politischen Situation, geht es nicht um zum Teil geregelte und zum anderen Teil nicht aktuelle Grenzfragen; es geht jetzt um innere Reformen in der DDR und Polen. Es geht um Freiheit und Demokratie in Ost- und Mitteleuropa.
Zu beidem müssen wir in der DDR und in Polen aktive Unterstützung leisten. Sobald die neue polnische Regierung gebildet ist und die Vorbereitungen zu tragfähigen Abkommen mit Polen getroffen sind, wird der Bundeskanzler nach Warschau reisen. Anders als 1975 muß deutsche Hilfe für Polen diesmal zum Erfolg führen, meine Damen und Herren.
Schließlich geht es drittens um Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen. Viele Politiker haben dazu beigetragen: in diesen Tagen Norbert Blüm durch seinen Besuch in Polen und Lech Walesa, der in Kürze hier in Bonn seinen Besuch machen wird.
Deswegen möchte ich bitten, meine Damen und Herren, daß wir alle daran mitwirken, daß wir nicht durch überflüssige und unzeitgemäße Grenzdiskussionen Verwirrungen entstehen lassen.
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Ich meine, wenigstens an diesem Tag sollte nicht der Parteienstreit, sondern die gemeinsame Aufgabe der deutschen Demokraten im Vordergrund stehen.
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Nun ein Rückblick auf die Katastrophe von vor 50 Jahren und die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Der deutsche Angriff auf Polen hat den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, der für Europa zur schlimmsten Katastrophe seiner Geschichte wurde. Wer diese Zeit bewußt miterlebt hat oder von ihren Folgen besonders getroffen ist, wird nicht nur an diesem Tage nach den Ursachen und danach fragen, was wir tun müssen, damit sich eine ähnliche Katastrophe nicht wiederholt.
Bewahrung des Friedens, Sicherung der Freiheitsrechte der Menschen und eine Friedensordnung für Europa gehören denn auch zu den großen Themen, die den Deutschen Bundestag von der ersten Legislaturperiode an immer wieder beschäftigt haben.
Zunächst ein Blick zurück. Es war Hitler, der, nachdem er die Macht in Deutschland an sich gerissen hatte, den Zweiten Weltkrieg entfesselte. Und es war Stalin, der das durch den Pakt mit Hitler ermöglicht hat.
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Aber auch die alten Führungsmächte und die alten Führungsschichten Europas, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, hatten es nicht vermocht, eine gerechte und menschenwürdige Friedensordnung für Europa zu schaffen und zu erhalten. Manches, was zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beitrug, hatte schon am Zustandekommen des Ersten Weltkrieges mitgewirkt: Nationalismus und Chauvinismus, die das Gegenteil von wahrem Patriotismus sind - denn wer sein Volk liebt, führt es nicht in einen Krieg -, Maßlosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Völkern sowie hybride Überschätzung der eigenen Art und Stärke und mangelnde Einsicht in die sich ständig steigernde Zerstörungsgewalt moderner Kriegstechnik, die den Versuch, politische Ziele mit
militärischen Mitteln zu erreichen, zur Sinnlosigkeit werden läßt. Verhängnisvoll wirkte sich eine mit größtem Raffinement geübte Lügenpropaganda aus, die es den meisten Menschen unmöglich machte, Wahrheit und Unwahrheit voneinander zu unterscheiden.
Zu dem Krieg an den Fronten, dem schon im Ersten Weltkrieg Millionen von Soldaten zum Opfer gefallen waren, kamen im Zweiten Weltkrieg neue Dimensionen: der grausame Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung, d. h. gegen Frauen, Kinder und Greise, und die nicht weniger grausame Vertreibung der Zivilbevölkerung, d. h. ebenfalls von Frauen, Kindern und Greisen, von Millionen von Menschen aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat. Schändlicher noch als alles andere waren aber die schrecklichen Ausrottungsmorde, die im Schatten des Kriegsgeschehens und unter dessen Tarnung vor allem an den Juden Europas verübt wurden.
Wenn man nach den tieferen Ursachen dieser furchtbaren Geschehnisse forscht, so mag es unterschiedliche Antworten geben; nicht jeder wird dieselbe geben. Ich sehe die tiefste Ursache in der Abkehr von Gott. Ohne diese Bindung verliert der Mensch seine einzigartige Würde, seine Gottebenbildlichkeit, was ihn leicht zum Werkzeug wahnhafter Ideologien werden läßt.
Die Väter unseres Grundgesetzes haben aus ihren Erfahrungen und Erkenntnissen den Kernsatz unserer Verfassung entwickelt. Er lautet - ich zitiere ihn -:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das, meine Damen und Herren, ist die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.
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Die Würde des Menschen heißt die Würde jedes Menschen, die Würde jedes einzelnen Menschen, ohne Rücksicht auf Rasse oder Klasse. Haben wir, hat die Welt aus dem gelernt, was von 1914 bis 1945 im „zweiten Dreißigjährigen Krieg" , wie Raymond Aron ihn bezeichnet hat, geschehen ist?
In Europa folgte nach 1945 dem heißen der kalte Krieg. Nicht Zusammenarbeit in einer Friedensordnung, sondern Antagonismus der Systeme und ideologische Konfrontation bei gegenseitiger militärischer Abschreckung vor allem durch atomare Waffen waren die bestimmenden Faktoren. Zwar schweigen die Waffen - sie müssen schweigen, weil ein Krieg mit den Waffen unserer Zeit alles zerstören würde, was Menschen geschaffen haben und was wir bis heute bewahren konnten - , aber der Nichtkrieg bedeutet noch nicht Frieden; denn Friede ist mehr als Abwesenheit von Krieg, Friede ist auch mehr als das Gleichgewicht des Schreckens. Friede ist eine Ordnung des Rechts, die die Macht begrenzt und legitimiert. Friede ist eine Ordnung, die eine moralische Grundlage hat, die - so formulieren wir es heute - auf den Menschenrechten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht.
Zum Frieden gehört aber auch der Rückhalt des einzelnen Menschen in seiner Gruppe und in seiner Nation, die ihm Heimat ist, auch geistige und kulturelle Heimat, in der er Geborgenheit findet. Nation und Demokratie haben einen gemeinsamen Ursprung. Die Ereignisse in Polen, in Ungarn, im Baltikum, in der sowjetischen Moldaurepublik zeigen die Aktualität dieser Feststellung.
Auch für uns Deutsche ist die Nation eine Kraft, die dazu beitragen wird, die DDR für die Demokratie reif zu machen. Das Fehlen der Demokratie, der persönlichen Freiheit und des daraus erwachsenden Wohlstands der breiten Schichten in der DDR ist ja das einzige, was Mitteldeutschland und Westdeutschland voneinander unterscheidet. Wenn diese Unterschiede wegfallen - sie werden wegfallen, weil sich auch die DDR den Entwicklungen in Osteuropa nicht entziehen kann und weil die Menschen in der DDR es satt sind, das länger zu ertragen, was drüben als Sozialismus bezeichnet wird - , dann ist auch die staatliche Einheit der deutschen Nation nicht mehr aufzuhalten.
Meine Damen und Herren, das wissen auch die Machthaber in der DDR. Sie und ihre Fürsprecher östlich und westlich der Teilungsgrenze warnen daher vor einer Destabilisierung der DDR durch Reformen. Wir wünschen einen friedlichen Wandel. Wir wissen: Destabilisierend ist auf Dauer nicht die Freiheit, sondern die Unterdrückung.
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Auf Freiheit kann nicht verzichtet werden; als Vertreter ohne Vollmacht für andere kann man das schon gar nicht. Wer selbst die Freiheit in Übermaß genießt wie wir, sollte sich hüten, seinen Landsleuten in der DDR einen Verzicht oder Teilverzicht auf Freiheit zu empfehlen.
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Das wäre nicht nur unmoralisch, sondern auch unwirksam. Nein, die Geschichte wird vor der DDR, diesem „künstlichen Gebilde", wie de Gaulle es einmal genannt hat, nicht haltmachen, und das ist gut so.
Meine Damen und Herren, 44 Jahre nach Kriegsende steht der große gesamteuropäische Friedensschluß noch aus. Wie können wir zusammen mit unseren europäischen Nachbarn und mit den beiden Weltmächten den Zustand des Nichtkriegs in einen Zustand des Friedens überführen, wie können wir eine Friedensordnung, die ohne Mauern und Stacheldraht bestehen kann, die den kulturellen Zusammenhängen und dem Willen der Völker Rechnung trägt, schaffen? Das ist die große Aufgabe, die, bisher nicht erfüllt, mahnend und fordernd vor uns steht.
Sind die jetzt bestehenden Paktsysteme, sind die jetzt dominierenden Mächte fähig, Frieden zu schließen?
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In früheren Jahrhunderten sind Europa große Friedensschlüsse gelungen. Sie waren groß, weil in ihnen nicht nur die Sieger, sondern auch die Besiegten zu Garanten der wiederhergestellten Ordnung gemacht wurden. So war es 1648 im Westfälischen Frieden von Minster und Osnabrück, durch den - darin sehe ich das Besondere an diesem Frieden - das gegenseitige
Verzeihen und die Versöhnung ausdrücklich zum Vertragsgegenstand gemacht wurden. Verzeihen und Versöhnen, das ist ein christliches Gebot. Kann das Europa auch in unserer Zeit den Frieden bringen?
Auch am Ende der napoleonischen Ära stand ein Vertrags- und Versöhnungsfrieden. Das besiegte Frankreich wurde in seiner territorialen Integrität nicht angetastet. Es wurde als gleichberechtigter Partner an den Friedensverhandlungen beteiligt und übernahm wieder seine alte Rolle im Konzert der Mächte, wie man es damals nannte.
Das Gegenbeispiel ist der Versailler Vertrag von 1919, bei dem sich die Siegermächte nicht damit begnügten, dem Besiegten Gebietsverluste und sinnlose Reparationslasten aufzuerlegen. Die Sieger demütigten den Besiegten zusätzlich, indem sie ihn von den Verhandlungen ausschlossen und ihm die alleinige Schuld am Kriegsausbruch zuwiesen.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs kam eine Friedensordnung in Europa schon deshalb nicht zustande, weil die Allianz der Siegermächte an dem fundamentalen Gegensatz zwischen freiheitlicher Demokratie und kommunistischer Diktatur zerbrach. Nur der gemeinsam geführte Krieg gegen Hitler-Deutschland hatte diesen Gegensatz für wenige Jahre überdecken können.
Wenn auch das gesamteuropäische Friedenswerk noch aussteht: Es ist manches geschehen, und es geschieht manches, was diesen Friedensschluß vorbereitet. Westlich der Teilungsgrenze ist eine Friedensordnung entstanden, die aus Feinden gute Nachbarn, Freunde und Verbündete gemacht hat. Was im Westen Europas gelungen ist, kann in manchem Modell für eine gesamteuropäische Friedensordnung sein.
In den bilateralen und multilateralen Verträgen, die wir mit der Sowjetunion, mit Polen und anderen abgeschlossen haben, ist Gewalt als Mittel der Politik endgültig, vorbehaltlos und glaubhaft ausgeschlossen. Abrüstungspolitik ist zu einem wichtigen Faktor der Außen- und Sicherheitspolitik geworden. Die militärische Strategie - zumindest die der NATO - hat einen grundlegenden Wandel im Vergleich zu den beiden Weltkriegen durchgemacht. Es geht nicht mehr darum, den Gegner zu vernichten - eine Strategie, die ihren höchsten Triumph im Zweiten Weltkrieg feierte - , sondern es geht darum, den Gegner vom Krieg abzuhalten und, wenn das mißlingen sollte, so schnell wie möglich die Kampfhandlungen zu beenden und den Frieden wiederherzustellen.
Östlich der Teilungsgrenze wächst die Erkenntnis, daß auch das dortige System, das sich Sozialismus nennt, seine Zukunft nicht auf Militärmacht, auf Unterdrückung der Menschen und auf Isolation von der übrigen Welt gründen kann.
Die Gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers und des sowjetischen Staats- und Parteichefs Gorbatschow vom 13. Juni in Bonn hat neue Perspektiven aufgezeigt. Es heißt dort - ich zitiere -:
Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion betrachten es als vorrangige Aufgabe ihrer Politik, an die geschichtlich gewachsenen europäischen Traditionen anzuknüpfen und so zur
Überwindung der Trennung Europas beizutragen. Sie sind entschlossen, gemeinsam an Vorstellungen zu arbeiten, wie dieses Ziel durch den Aufbau eines Europas des Friedens und der Zusammenarbeit - einer europäischen Friedensordnung oder des gemeinsamen Europäischen Hauses - , in dem auch die USA und Kanada ihren Platz haben, erreicht werden kann.
Ich beglückwünsche Sie, Herr Bundeskanzler, zu dieser Gemeinsamen Erklärung, die - ebenso wie Ihr Erfolg auf dem NATO-Gipfel in Brüssel kurz zuvor - deutlich gemacht hat, daß die Bundesrepublik Deutschland heute in der internationalen Politik ein Element des Friedens, der Stabilität und der internationalen Zusammenarbeit ist. Das 50 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges feststellen zu können ist für mich eine persönliche Genugtuung.
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Diese Feststellung ehrt unser Volk, unseren Staat, sie ehrt den Deutschen Bundestag, sie ehrt den Bundeskanzler und seinen Außenminister, dem wir bei dieser Gelegenheit unsere besten Genesungswünsche aussprechen,
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und sie ehrt auch alle diejenigen, die Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers oder Außenministers gewesen sind, Herr Kollege Brandt.
Wie kann die in der gemeinsamen Erklärung genannte „gesamteuropäische Friedensordnung" aussehen? Die Völker Europas allein können sie nicht schaffen. Wir leben nicht mehr in einem europäischen, sondern in einem Weltmächtesystem, in dem die USA und die Sowjetunion dominieren. Beide Weltmächte sind Staatenunionen, wenn auch höchst unterschiedlicher Art. Beide sind notwendige Partner einer gesamteuropäischen Friedensordnung, also sowohl die Sowjetunion als auch die USA sind notwendige Partner einer gesamteuropäischen Friedensordnung.
Der dritte Partner sollte das vereinigte Europa sein, das zwischen den USA und der Sowjetunion liegt, d. h. das Europa von Polen bis Portugal, das zur Zeit geteilt ist und aus Mittelmächten und Kleinstaaten besteht. Dieses vereinigte Europa in der Mitte könnte zur friedenserhaltenden Mitte zwischen den Weltmächten werden. Es könnte ihnen ersparen, mitten in Europa, d. h. in Deutschland, einander hochgerüstet gegenüberzustehen. Es könnte sie dadurch von Lasten befreien, die für sie immer größer werden. Dieses Ziel, das mir vorschwebt, ist Sache eines Entwicklungsprozesses, der zum Ziel führen kann. Der Sowjetunion kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Je mehr die Sowjetunion das Selbstbestimmungsrecht ihrer Nachbarvölker, z. B. der Polen, anerkennt, um so enger kann und muß unsere und des ganzen Westens Zusammenarbeit mit der Sowjetunion werden.
Wenn die von Gorbatschow eingeleitete Entwicklung nicht gestoppt wird, dann wird auch die Sowjet11640
union erkennen, daß eine gesamteuropäische Friedensordnung, in der die Völker und Nationen ohne Furcht und Zwang unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit miteinander leben können, auch für sie die bessere Alternative zur jetzigen Teilung Europas ist.
Im Zeichen der Einheit und Freiheit Europas werden auch Polen und Deutsche zueinander finden, wie nach dem Kriege Franzosen und Deutsche zueinander gefunden haben. Was den Ausgleich im Osten schwieriger macht als im Westen, ist die Tatsache, daß im Osten nicht nur Grenzen verschoben, sondern auch Millionen Menschen aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat vertrieben wurden. Hier wurde schweres Unrecht, das vorausgegangen war, mit schwerem Unrecht vergolten. Es traf auf beiden Seiten Millionen Unschuldiger. Polen und Deutsche müssen die Schwierigkeiten, die sich aus dieser historischen Last ergeben, gemeinsam meistern. Das kann nicht einseitig, und es kann nur auf der Grundlage der geschichtlichen Wahrheit geschehen, unter Berücksichtigung des geltenden Rechts und in dem Bewußtsein, daß Polen und Deutsche nur gemeinsam eine gute Zukunft haben können.
Bei allem Schlimmen, das Polen und Deutsche erlitten und sich gegenseitig zugefügt haben, sie müssen nach vorne blicken. Polen und Deutsche waren seit Anbeginn ihrer Geschichte Nachbarn. Sie müssen wieder gute Nachbarn werden.
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Dazu kann vielleicht die Erkenntnis beitragen, daß Stalin mit der Westverschiebung Polens auch die Absicht verfolgte, Deutsche und Polen auf Dauer zu Todfeinden zu machen, um sie beide besser beherrschen zu können. Diesen Wunsch Stalins dürfen Polen und Deutsche nicht erfüllen. Wir dürfen nicht Todfeinde sein.
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Dazu kann auch die Erkenntnis beitragen, daß unsere gemeinsame Geschichte nicht nur über Jahrhunderte hinweg von guter Nachbarschaft getragen war, sondern daß Polen und Deutsche als Völker der Mitte auch unter ähnlichen Schicksalsschlägen zu leiden hatten. Die Teilungen sind dafür ein Beispiel.
Wichtiger noch ist die Tatsache, daß Polen und Deutsche gemeinsame Zukunftsinteressen haben. Gemeinsam ist unser Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung. Wir werden ihn nicht als Gegner, sondern nur als Partner verwirklichen können.
Da das so ist, liegt eine Politik der Versöhnung nicht nur im europäischen, sondern auch im nationalen Interesse sowohl der Polen als auch der Deutschen. Politik der Versöhnung, was heißt das? Es heißt, daß alles Gegenwärtige und Zukünftige - auf die Vergangenheit haben wir leider keinen Einfluß mehr - einvernehmlich geregelt werden muß. Das gilt für die Grenzfragen ebenso wie für die Nachbarschaft und das Zusammenleben.
Meine Damen und Herren, das, was als Aufgabe vor uns steht, vor Polen, Deutschen, Russen, vor allen Europäern und vor den Amerikanern, ist so groß, daß sie es ohne die Kräfte des Herzens, des Geistes und
des Glaubens nicht erfüllen können. Es geht ja um nicht weniger als um eine gemeinsame friedliche Zukunft, um eine Zukunft ohne Haß, ohne Angst, ohne Willkür und ohne Gewalt, um ein versöhntes, einiges und freies Europa, das mit beiden Weltmächten zusammenarbeitet, und in der Mitte Europas um ein einiges und freies Deutschland.
Das ist die Perspektive, die mir vor Augen steht, wenn ich an den Tag vor 50 Jahren zurückdenke, den ich als 18jähriger erlebt habe. Die Vision einer gesamteuropäischen Friedensordnung bewegt gewiß nicht nur meine Fraktion. Ich glaube, daß wir uns in der Zielsetzung in diesem Hause zumindest nahe sind. Es mag Unterschiede in der Beurteilung der Wege geben, die zu diesem Ziel führen, nicht aber in dem Wunsch, dieses Ziel zu erreichen. Tun wir daher alles, was in unseren Kräften steht, damit die gesamteuropäische Friedensordnung, wie ich sie erläutert habe, Wirklichkeit wird. Sie ist gewiß ein gutes Ziel. Es steht nicht nur in Übereinstimmung mit den Zukunftshoffnungen der Menschheit, sondern es dient vor allem ganz unmittelbar den Menschen, die von Teilung, Gegnerschaft und Unterdrückung betroffen sind.
Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute des 1. September 1939 erinnern, so soll zu Beginn über die Inszenierung gesprochen werden, mit der damals versucht wurde, den deutschen Überfall auf Polen zu legitimieren. Denn nur zu sagen, damals sei der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, wie es in vielen Geschichtsbüchern zu lesen ist und wie es leider auch in der Einladung zu dieser Sitzung steht, verdeckt die Wahrheit. Da am Anfang oft schlaglichtartig der Charakter des Ganzen sichtbar wird, sei dieser Anfang hier kurz in Erinnerung gerufen.
Es waren SS-Sonderkommandos, die, teils in polnischen Uniformen, teils in Räuberzivil verkleidet, in der Nacht zum 1. September das Zollhaus Hohenlinden und den Sender Gleiwitz überfielen, herumschossen, antrainierte polnische Kommandos brüllten und im Sender einen polnischen Aufruf verlasen. „Konserven", so die zynische Redeweise, wurden von einem SS-Spezialkommando geliefert. Es handelte sich dabei um betäubte KZ-Insassen, die vor Ort erschossen und dann zurückgelassen wurden, um der Weltöffentlichkeit hinterher als polnische Insurgenten präsentiert zu werden. Das war die Eigeninszenierung, auf die hin dann „ab 5.45 Uhr zurückgeschossen wurde".
Das Detail am Anfang enthüllt den mörderischen Charakter des NS-Regimes, das 1933 von deutschen Wählern und Wählerinnen ins Amt gewählt und im Amt gehalten wurde von der Gesellschaft und ihren Institutionen, die nur teils brutal gleichgeschaltet worden waren, teils aber auch bereit und willig sich selbst gleichgeschaltet hatten. Da ist keine Verharmlosung und keine Relativierung möglich.
Dr. Lippelt ({0})
Kein Zweiter Weltkrieg brach aus. Ein Eroberungs und Ausrottungskrieg wurde angezettelt. Kein noch so verbrecherischer Hitler-Stalin-Pakt kann die Schuld auf mehrere Schultern verlagern. Zu deutlich waren die Rollen aufgeteilt zwischen dem seinen Kampf planenden deutschen Aggressor und dem die Situation zu eigenen Zwecken ausnutzenden sowjetischen Diktator.
Mörderisch wie der Anfang war der Verlauf dieses Krieges. Deshalb muß, wer vom 50. Jahrestag jener Aggression spricht, vor allem sprechen von Auschwitz, Chmelno, Majdanek, Treblinka, Belzec und Sobibor, den Stätten des geplanten technisierten Massenmords. Hier vollzog sich als ein Teil unserer Geschichte, an den es zu erinnern gilt, ein Absturz der Menschheit in einen Zustand des Barbarischen, den zu benennen unsere Sprache versagt.
Der Versuch, das zu historisieren - vor wenigen Jahren von einigen deutschen Historikern unternommen - , läuft auf die Entlastung von politischer Verantwortung der Gesellschaft und des Regimes hinaus. Wir danken dem Bundespräsidenten, daß er dem jüngsten Historikerstreit ein Ende gesetzt hat mit seinem Wort von der Singularität von Auschwitz.
Aber eine Anstrengung, wie sie die Gruppe „Memorial" heute in der Sowjetunion unternimmt, hat es in der Bundesrepublik nicht gegeben. „Memorial" vergleicht Stalin und den Stalinismus mit Hitler und dem Nationalsozialismus, um die moralische und politische Verantwortung der am System Beteiligten einzuklagen, gerade nicht, um die Betroffenen daraus zu entlassen.
Von Kollektivschuld kann hier und dort nicht geredet werden. Aber nur von Hitler und seinen nationalsozialistischen Machthabern zu reden, wie es der Bundeskanzler getan hat, geht auch nicht. Treffend bleibt der von Hannah Arendt geprägte Begriff der organisierten Schuld, einer Schuld, in die fast die gesamte Gesellschaft verwickelt wurde.
Lange bevor die KZs der deutschen Massenvernichtung weit entrückt an den Ostgrenzen Polens errichtet wurden, standen in allen Regionen Deutschlands schon die übrigen KZs. Im Laufe des Krieges erhielt fast jeder größere deutsche Industriestandort seine Außenstelle eines KZ. Viele wußten es, viele sahen es, aber die meisten wollten die Entwürdigung des Mitmenschen nicht wahrhaben.
Es war die deutsche Chemie, die Zyklon B in die Vernichtungslager lieferte, und es war die Deutsche Reichsbahn, die trotz aller Luftangriffe ihre Transporte von Menschen quer durch Europa in jene Lager abwickelte. Es war - auch das muß gesagt werden - die kämpfende Truppe, die den Vernichtungslagern die Zeitspanne für ihr Morden verschaffte. Auch das muß gesagt werden, bei allem Respekt vor denen, die meinten, dort ihr Vaterland zu verteidigen, und ihr Leben dabei verloren. Die Massenvernichtung war nur die technische Zuspitzung einer brutalen deutschen Besatzungspolitik in Polen und in den eroberten Teilen der Sowjetunion.
Wer die Universität Warschau heute betritt, steht vor der Gedenktafel der ermordeten Professoren. Denn die deutsche Besatzung begann mit der Verhaftung und Ermordung der Wissenschaftler der polnischen Universitäten und all derer, die das Regime der Intelligenz zurechnete. Die Besatzungspolitik setzte sich fort mit der täglichen Praxis der Versklavung und Deportation der polnischen Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Deutschland.
Parallel dazu begann die Germanisierung des Bodens: Im sogenannten Wartheland änderte sich durch die Deportation und die Vernichtung von Polen und Juden sowie durch die Ansiedlung von Deutschen das Verhältnis zwischen polnischer und deutscher Einwohnerschaft drastisch.
Um nur ein Beispiel zu nennen: An der Ostgrenze Polens, im Gebiet um Zamosc wurden mehr als 100 000 polnische und ukrainische Bauern vertrieben, um hier eine deutsche Siedlungsinsel zwischen der Warthe und der zur Besiedlung vorgesehenen Krim zu schaffen. 80 bis 85 % Polen seien nach Sibirien abzuschieben; 15 % galten als eindeutschungsfähig. So Ministerialbürokraten unter der Federführung der SS im Generalplan Ost.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, ein paar Worte zu dem Raum anzufügen, in dem sich diese menschheitsgeschichtliche Katastrophe vollzog. Jene KZs der Vernichtung und Ausrottung standen in jenem Grenzraum Ostmitteleuropas, der für das deutsche historisch-politische Bewußtsein weit entrückt und relativ konturlos ist und in dem sich doch eine Kultur eigener Prägung entwickelt hat, die Kultur des Zusammenlebens verschiedener Völker, Sprachen und Kulturen.
Der polnische Nobelpreisträger Czeslaw Milosz hat sie am Beispiel seiner Heimatstadt Wilna beschrieben. Ich zitiere:
Sie liegt in einem Land der Wälder, Seen und Bäche, wohlgeborgen in einem Talkessel. Der Reisende sieht sie unerwartet hinter dem Wald auftauchen, die Türme von mehreren Dutzend Kirchen, die von italienischen Künstlern im Barockstil erbaut wurden, stechen mit ihrem hellen Weiß und Gold von der Schwärze der Tannen ab ... Rings um dehnt sich eine verträumte Provinz Europas aus, und deren Bewohner, die polnisch-litauisch und weißrussisch oder in einem Gemisch dieser Sprachen redeten, bewahrten viele Sitten und Gewohnheiten, die sonst nirgendsmehr erhalten sind ...
Italienische Architektur und Naher Osten berührten und mischten sich in Wilna. In den engen Gassen des Judenviertels sah man durch die Fenster Judenfamilien am Freitagabend im Kerzenschein beim Mahle sitzen. In den alten Synagogen ertönten die Worte der hebräischen Propheten. Hier war eines der bedeutendsten Zentren jüdischer Literatur und jüdischer Studien in ganz Europa ...
Ich spreche
- so sagt Milosz von der Vergangenheit, denn heute ist diese Stadt meiner Kindheit verschüttet wie Pompeji von der Lava. Die meisten Einwohner wurden von den Nazis hingemordet und von den Russen nach
Dr. Lippelt ({1})
Sibirien verschleppt oder nach Westen in die von den Deutschen geräumten Plätze überführt.
Was Milosz hier beschreibt, was andere wie Bruno Schulz aus Drohobycz in Galizien und Günter Grass aus Danzig geschildert haben, hat Johannes Bobrowski in seinen Erinnerungsbildern von Königsberg und Tilsit beschworen: die Nachbarschaft und das Zusammenleben der verschiedensten Sprachen und Kulturen zerstört durch die Nazis.
Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem südlichen Teil dieses Raumes, der Bukowina mit ihrer Hauptstadt Czernowitz, im 19. Jahrhundert östlichste Provinz der Donaumonarchie mit einem Fünftel jüdischer Einwohner. Dort erreichte Nathan Birnbaum auf der zionistischen Sprachkonferenz 1908, daß Jiddisch neben Hebräisch zur zweiten Nationalsprache des jüdischen Volkes erklärt wurde - Jiddisch, das doch eine eigenständige, eigengeprägte Entwicklung aus dem Mittelhochdeutsch war. Natürlich bezog sich die jüdische Bevölkerung der Bukowina auf den größeren deutschsprachigen Kulturraum.
Aus dem deutschen Gymnasium in Czernowitz gingen ein Wirtschaftswissenschaftler und ein Dichter hervor, die zu den größten dieses Jahrhunderts gezählt werden müssen: Joseph Schumpeter, dessen Lebensweg über Wien, über deutsche Universitäten in das Exil nach Harvard ging und dessen Bücher nach 1945 zu uns zurückkehrten, und Paul Celan, dessen Tragödie darin bestand, daß er an die Sprache der Mörder seines Volkes gekettet war.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich spreche hier über die Katastrophe dieses europäischen Raums Ostmitteleuropa, weil ich denke, daß wir uns von einer nationalstaatlichen und nationalgeschichtlichen Betrachtungsweise lösen müssen.
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Eine solche spricht von verlorenen Gebieten Ostdeutschlands, von einem nach Westen verschobenen Polen, von der Sowjetunion als zunächst Opfer einer Aggression, dann aber Gewinner eines Krieges.
Aber der Raum Ostmitteleuropa hatte eben diese eigene Prägung durch historisch gewachsenes Zusammenleben verschiedener Kulturen, Sprachen und Völker. Sie lebten in einer oft prekären Balance. Aber diese stabilisierte sich doch, unter anderem durch die Minderheitenschutzverträge, die im Anschluß an die Pariser Friedenskonferenz die Alliierten Polen, die Tschechoslowakei, Rumänien zu schließen veranlaßten. Hier entwickelten sich Elemente eines fortschrittlichen Minderheitenrechts.
Wie wichtig die Entwicklung solcher Kultur des Zusammenlebens auch als Vorbild für andere Regionen gewesen wäre, wird uns heute bewußt, wenn wir uns einsetzen für die türkische Minderheit in Bulgarien, die kurdische in der Türkei, im Irak und Iran. Aber da ist nichts mehr, worauf wir verweisen könnten als Vorbild. Die Kultur dieses Zusammenlebens wurde brutal ausgelöscht.
Leid kann nicht mit anderem Leid aufgewogen werden, Verbrechen gegen die Menschheit können nicht mit dem Hinweis auf andere Verbrechen relativiert werden. Die Katastrophe Ostdeutschlands, die Leiden
der Schlesier, der Ostpreußen und Pommern auf der Flucht stehen uns seit den vor 40 Jahren von Theodor Schieder und anderen Historikern gesammelten und jetzt wiederaufgelegten Dokumenten der deutschen Vertreibung eindringlich vor Augen. Aber es dürfen auch nicht Ursache und Wirkung verwechselt werden.
Der heute vor 50 Jahren von der deutschen Führung in verbrecherischer Absicht begonnene Vernichtungskrieg darf nicht mehr - ich sagte es - von nationalstaatlicher Sicht aus betrachtet werden. Er muß als singuläre Menschheitskatastrophe begriffen werden. Und über sie führt kein Weg zurück zu nationalstaatlichem Gerangel um verlorene Gebiete.
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Und gerade weil wir uns anschicken, die engen Grenzen des nationalen zugunsten eines europäischen Bewußtseins zu überwinden, muß uns zuerst und vor allem die Zerstörung Ostmitteleuropas vor Augen stehen.
Was gilt es 50 Jahre nach dieser Katastrophe zu tun? Welche politischen Aufgaben sind jetzt zu formulieren? „Versöhnung" , so denke ich, ist ein weit über das Politische hinausweisendes Wort. Ich habe Schwierigkeiten, es zu gebrauchen. Johannes Bobrowski spricht von „Nachbarschaft" . Die Selbstverständlichkeit ehrlich gelebter Nachbarschaft wieder neu zu begründen, das allerdings können wir uns wohl vornehmen. Am Anspruch auf Frieden als gelebte Nachbarschaft gemessen, hat allerdings unsere Regierung in diesem Jahre versagt.
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Die 50-DM-Pauschale zur Abschreckung polnischer Touristen, das Ausbleiben der Warschau-Reise des Bundeskanzlers, die erneute Infragestellung der polnischen Westgrenze durch den Finanzminister, die Reaktion des CSU-Generalsekretärs auf die Nichtregistrierung des Kulturvereins der Deutschen in Oppeln, aber auch die Schließung des Polen-Marktes in Berlin, die ja nicht von der Bundesregierung zu verantworten ist, alle diese Reaktionen haben eines gemeinsam: eine beunruhigende Geschichtsvergessenheit.
Denn wer zum Beispiel von Bayern aus deutsche Minderheitenpolitik in Polen meint treiben zu müssen, der sollte die Tradition kennen, in der solche Politik steht. Sie beginnt mit der Germanisierungspolitik der preußischen Regierung Ende des 19. Jahrhunderts, wurde fortgesetzt in der von nationalistischen Vorbehalten gegen den polnischen Staat getragenen Politik der Weimarer Republik und mündete in den Mißbrauch der Minderheiten durch das faschistische Deutschland zum Schüren der Vorkriegsstimmung. Diese Vorgeschichte erklärt, warum das wiedererstandene Polen nach 1945 nur noch „deutschstämmige" Polen akzeptieren wollte und keine organisierte Minderheit wieder. Auch über diese Fragen - das sei hinzugefügt - mag in Zukunft wieder gesprochen werden können, aber doch erst dann, wenn
Dr. Lippelt ({5})
kein Minister einer deutschen Regierung die Grenzfrage weiterhin für offen erklärt.
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Dagegen scheinen sich die deutsche Diplomatie und die Bundesregierung die Frage kaum gestellt zu haben, wie denn nach dem grundlegenden Vertrag von 1970, dessen Abschluß das historische Verdienst von, vor allen anderen, Willy Brandt ist, nun in der Praxis die deutsch-polnischen Beziehungen zu gestalten seien. Es ist ihnen nichts Besseres eingefallen, als bruchlos bei der Polenpolitik der Weimarer Republik anzuknüpfen. Offenhalten der Grenzfrage, Minderheitenfrage, Ausnutzung von Finanz- und Währungsschwierigkeiten bestimmten nämlich auch damals das Bild einer von deutschnationalem Ressentiment diktierten Politik gegenüber Polen. Sie war dadurch gekennzeichnet, daß Stresemann auf dem Höhepunkt seiner politischen Erfolge mit Locarno und dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund eben gerade Polen die Anerkennung seiner Westgrenzen verweigerte. Das von polnischer Seite geforderte Ost-Locarno fand nicht statt. Das Verhältnis Deutschlands zu Polen war nie als Verhältnis zwischen Gleichberechtigten gedacht, sondern immer von der Arroganz dessen bestimmt, der sich auf Dauer stärker fühlte.
Deshalb brauchen wir heute ein politisches Verhalten gegenüber Polen und gegenüber den Reformbewegungen in Osteuropa, das mit den überkommenen Mustern völlig bricht und dem historischen Moment gerecht wird. Wir brauchen eine Politik, die davon ausgeht, daß Osteuropa für die Entwicklung eines ganzen Europa nicht weniger bedeutsam ist als Westeuropa.
Wir brauchen eine radikale Friedenspolitik, die die Mittel, die bisher zur Aufrechterhaltung der militärischen Abschreckung vergeudet wurden, für die Gestaltung einer gemeinsamen europäischen Zukunft freisetzt. Zur gemeinsamen Sicherheit bedarf es nicht mehr der militärischen, sondern der politischen Stabilisierung und der Stabilisierung des ökologischen Gleichgewichts. Solches Umdenken ist jetzt möglich geworden.
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Denn in Polen, das sich 1791 als erstes europäisches Land eine Verfassung schrieb, welche die Prinzipien der Gewaltenteilung und der religiösen Toleranz verankerte, wurde in den letzten Jahren Demokratie von unten beginnend wieder erstritten. Zum 200. Jubiläum der Französischen Revolution hat diese Bewegung dem Gedanken der Demokratie weltweit neue Legitimation verliehen. Wir wollen Lech Walesa und Tadeusz Mazowiecki stellvertretend für die gesamte demokratische Bewegung hier nicht nur beglückwünschen. Wir müssen und können auch zu ihrem weiteren Erfolg beitragen. Wie dies geschehen könnte, will ich skizzieren, wenn auch sehr unvollkommen.
Erstens. Es darf gegenüber Polen keine offen gehaltenen Grenzfragen mehr geben.
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Wer sich gegen eine solch klare politische Haltung auf
den verfassungsrechtlichen Vorbehalt der endgültigen Regelung durch einen Friedensvertrag beruft,
steht in der Pflicht, mit allem Nachdruck auf einen Friedensvertrag zu drängen und dieses Thema sofort auf die Tagesordnung der nächsten KSZE-Konferenz zu setzen. Sonst, Herr Dregger, wird Ihr permanenter Hinweis auf den Friedensvertrag nur als eine peinliche Ausflucht eines verkappten Revanchismus verstanden.
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Freiheit kann sich nur in anerkannten Grenzen verwirklichen. Freiheit vor Grenzen erhärtet genau den Verdacht, daß Grenzen von zweitrangiger Wichtigkeit wären.
Wir sind dem Bundespräsidenten dafür dankbar, daß er die polnische Westgrenze in seiner Botschaft an den Staatspräsidenten Jaruzelski nochmals bestätigt hat. Heute stünde es dem Bundestag gut an, durch eine Resolution, die wir eingebracht haben, diese Geste aufzunehmen.
Daß wir das hohe Amt des Bundespräsidenten auf diese Weise in die tagespolitische Auseinandersetzung zögen, vermögen wir nicht zu erkennen. Denn hier geht es nicht um Tagespolitik, sondern um ein diesem Jahrestag wie der historischen Situation angemessenes Zeichen der gewählten Abgeordneten unserer Demokratie. Der polnische Staatspräsident hat durch seinen Sprecher auf die Botschaft geantwortet, jetzt müßten erst Taten folgen. Der Bundestag wäre heute eigentlich dazu aufgerufen.
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Zweitens. Wir sollten das von der Gewerkschaft Solidarität vorgeschlagene Reformprogramm nachdrücklich unterstützen und die erhofften Hilfestellungen geben. Denn so richtig es ist, daß die tiefe polnische Wirtschafts- und Finanzkrise das Fiasko des Systems zentraler Planwirtschaft darstellt, richtig ist auch, daß Polen auch heute noch unter den Folgen der Zerstörung seiner Gesellschaft unter deutscher Besatzung leidet. Eine ganze Generation liquidierter Intelligenz ist nicht so schnell zu ersetzen.
Drittens. Zumindest eine zivilrechtliche Entschädigung für Deportation und Zwangsarbeit kann von diesem Bundestag im nächsten Haushalt endlich beschlossen werden. Die GRÜNEN fordern das seit langem.
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Viertens. Der Kapitaldienst für die polnischen Altkredite sollte in großem Maße umgeleitet werden in Umweltfonds, die im Lande stehenbleiben, die aber von Umweltverbänden grenzübergreifend verwaltet werden. Denn auch die Umweltprobleme sind grenzübergreifend.
Fünftens. Man sage nicht, all dies sei nicht finanzierbar. In den nächsten Monaten möchte die Bundesregierung vom Bundestag einen Militärhaushalt von 55 Milliarden beschlossen haben. Ohne jetzt in eine Rüstungskontroll- und Abrüstungsdebatte einzutreten, das Prinzip ist doch nicht zu bestreiten: Jede dort gekürzte Milliarde, in dem hier vorgeschlagenen Sinne ausgegeben, bringt ein Vielfaches an politi11644
Dr. Lippelt ({12})
scher Stabilität. Und diese Ausgaben setzen sich auch nicht jedes Jahr fort wie die Militärausgaben.
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Sechstens. Sich solcherart aus überholten Militärdoktrinen zu lösen, wäre ein Beitrag zum Frieden. Ganz nutzen können wir die bestehenden Friedensmöglichkeiten aber nur dann, wenn wir selber das Vertrauen der anderen in unsere Friedensfähigkeit stärken. Angesichts einer Militärtechnik, die immer mehr auf Waffen des „dual use" setzt, ist eine Verankerung des Atomwaffenverzichts im Grundgesetz notwendig. Meine Fraktion hat deshalb mit dem Datum des 1. September 1989 einen Formulierungsvorschlag für einen entsprechenden Artikel des Grundgesetzes eingebracht. Auch das würde ja zu Ehrlichkeit im nachbarschaftlichen Verhältnis verhelfen.
Siebtens. Angesichts dessen, was der Bundesregierung in diesem Jahr gelang, nämlich der Gorbatschow-Besuch, und dessen, worin sie so sehr versagte, dem nicht zustande gekommenen WarschauBesuch, muß auch ganz klar sein, daß Polenpolitik immer eingebettet sein muß in eine allgemeine Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten, insbesondere der Sowjetunion. Aber es gilt auch umgekehrt: Es darf keine privilegierte Entwicklung der deutschsowjetischen Beziehungen ohne gleichzeitige Entwicklung der deutsch-polnischen geben. Rapallo - damit möchte ich schließen - muß endgültig aus dem Vorrat politischer Ideen in Deutschland gestrichen werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Kollege Brandt hat vorhin schon daran erinnert: Als heute vor 50 Jahren deutsche Soldaten in Polen einmarschierten, als Hitler das größte Völkermorden der Weltgeschichte begann, da gab es im Deutschen Reich keine Kriegsbegeisterung, es gab aber auch nicht sehr viel Widerspruch. Alle Zeitzeugen stimmen wohl mit dem überein, was Ulrich von Hassell am 1. September 1939 in sein Tagebuch schrieb: „Auf der Straße wenig Menschen, nur offizielle Begeisterung der Absperrung. " - Tatsächlich: Die Deutschen waren in ihrer Mehrheit, in ihrer großen Mehrheit bedrückt, der Jubel blieb aus. Die Mächtigen sahen es voller Enttäuschung.
Ich sage das hier nicht, um unser Volk, um die Deutschen jener Jahre von aller Mitverantwortung für das zu befreien, was damals schon an Schrecklichem geschehen war und sich nun noch viel schrecklicher fortsetzen sollte. Denn es ist auch wahr, es ist leider wahr, was ein anderer über den Kriegsausbruch 1939 geschrieben hat:
Selbst wenn die Deutschen den Lügen ihrer Führer nicht geglaubt hätten,
- so Golo Mann sie hätten trotzdem gehorcht und jeder die ihm angewiesene Arbeit getan. Dahin war es nach sechs Jahren immer tiefer krallender Nazi-Herrschaft gekommen: Ein einziger konnte befehlen,
was er wollte, 75 Millionen Menschen folgten nach, sie gehorchten ohne Freude, sie glaubten ohne Freude.
Soweit Golo Mann.
Die Zustandsbeschreibung ist deprimierend. Sie ist besonders deprimierend für alle von uns, die das bewußt miterlebt haben. Ich selber gehöre dazu und habe es nicht vergessen, auch nicht, wie sich fehlende Freude bei vielen doch noch ein Jahr später einstellte, als Frankreich besiegt zu sein schien. Wie alle Erfolge der Nazis war auch dies nur ein Scheinerfolg, und er führte uns, er führte Europa, er führte die Welt Jahr für Jahr in immer tiefere Katastrophen.
Aber dies, so meine ich, müssen wir an diesem Tag in aller Nüchternheit sagen: Nicht das Jahr 1945 brachte die Katastrophe, wie so oft gesagt worden ist. Sie hatte bei uns schon zwölf Jahre vorher eingesetzt. Für fast alle Völker dieses Kontinents zog sie an dem Tage herauf, an den wir uns heute erinnern.
Viele Deutsche haben es damals geahnt, heute vor 50 Jahren. Aber das ganze Ausmaß dessen, was nun in deutschem Namen seinen Anfang nahm, haben sich nur die allerwenigsten vorstellen können; auch die wenigen nicht, die sich nun erst recht zum Widerstand aufgerufen sahen. Auch ihrer müssen und wollen wir heute gedenken. Denn aus welchen Lagern sie auch kamen, sie waren die Vorbilder, auf die sich Deutschland moralisch berufen konnte, als sechs Jahre danach ein neuer Beginn, ein anderer Beginn versucht wurde.
Wir sollten an diesem Tage sehen: Die immer wieder erhobene Frage: Wie konnte es geschehen? ist keine Frage, die an den 1. September 1939 anknüpfen kann. Sie gehört zu einem früheren Datum, zum 30. Januar 1933.
({0})
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges war die ebenso brutale wie folgerichtige Konsequenz einer Gewaltpolitik, die mit der Verfolgung und Ermordung von politisch Andersdenkenden und mit Judenpogromen begonnen hatte und mit der Einverleibung Osterreichs unter dem Deckmantel einer Heim-insReich-Bewegung sowie der Annexion der Tschechoslowakei noch lange nicht befriedigt war. Diese Politik, wenn man sie denn so bezeichnen will, war nie zu befriedigen, nur - wie Herr Brandt gesagt hat - durch allseitige Kapitulation.
Jeder, der es nur gewollt hätte, hätte es nachlesen und also wissen können. Hitler hatte niemanden über seine Pläne im unklaren gelassen. Zu lange hatte man es nicht wissen und nicht glauben wollen, nicht in Deutschland und auch nicht in den beschwichtigenden Demokratien Westeuropas. Ich schiebe nichts auf andere ab, wenn ich darauf hinweise.
Anders als über die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg - der Herr Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung gesagt - hat es nie - und zu Recht - eine ernstzunehmende Historikerdebatte über die Schuld am Kriegsausbruch 1939 gegeben. Nicht nur die deutsche Generation, die damals erDr. Graf Lambsdorff
wachsen war, auch die Nachgeborenen müssen damit leben. Es war allein deutsche Schuld und deutsche Verantwortung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß erst der Hitler-Stalin-Pakt den Weg zum Kriegsbeginn am 1. September 1939 frei machte.
Wir kennen den Ausgang: über 50 Millionen Tote, gefallen, ermordet, erschlagen, auf Schlachtfeldern, in Konzentrationslagern, in Bombenangriffen, schließlich bei der Vertreibung umgekommen; ein zerstörtes Europa, ein geteiltes Europa, das gerade jetzt in Ansätzen versucht, auch ideologische und machtpolitische Grenzen zu überwinden, die damals geschaffen wurden; ein verwüstetes, geteiltes und amputiertes Deutschland und das schauerliche Wissen um Grausamkeiten, die im deutschen Namen an anderen begangen wurden.
Niemand von uns, der die Namen Auschwitz oder Majdanek hört, kann so weiterleben, als ob dies alles nicht geschehen wäre. Dieser Krieg und das, was in ihm geschehen ist, hat nicht nur das Bewußtsein meiner Generation und der noch Älteren für immer geprägt.
Keiner - auch das sei gesagt - kann immer nur an das Schreckliche denken. Aber bewußt oder unbewußt läßt diese Zeit unserer Geschichte auch die Nachdenklichen unter denen nicht in Ruhe, die selber nichts mehr davon gespürt haben. Der Frieden, der Wohlstand, die politische Freiheit, die äußere Unbeschwertheit werden dann nicht mehr als Selbstverständlichkeit empfunden, sondern als ein kostbares Geschenk, das nicht vom Himmel gefallen ist, für das man arbeiten, das man täglich neu erwerben, das man verteidigen muß.
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Polen war das erste Opfer jenes Krieges. Es ist vielleicht das am schwersten getroffene geblieben. Ich habe hier keine Geschichte zu rekapitulieren. Aber immer noch gellt mir die Stimme des Diktators über das Radio ins Ohr, als er seinem sogenannten Reichstag vor 50 Jahren verkündete, nun werde zurückgeschossen. Sie haben recht, Herr Lippelt: Schon das eine Lüge am ersten Tag eines Krieges, in dem allein 6 Millionen Polen, davon 5 Millionen Zivilisten, ums Leben gebracht wurden. Wir wissen heute, daß diesem Einmarsch deutscher Soldaten, denen die Vernichtungskommandos der SS auf dem Fuß folgten, ein zynischer, ein hinterhältiger Pakt zweier Gewaltherrscher vorausgegangen war, der das kleine Land zum vierten Mal zerteilte und sein Schicksal für immer zu besiegeln schien.
Es ist gut, daß darüber heute offen auch in der Sowjetunion gesprochen wird. Geschichtliche Verantwortlichkeit ist unteilbar. Erst dort, wo man sich zu ihr bekennt, wird der Grund gelegt, aus der Geschichte zu lernen, die richtigen Konsequenzen zu ziehen, aus Trauer und Scham etwas Neues aufzubauen. Vielleicht geschieht das nun auch in der Sowjetunion, die es als eine Siegermacht des Krieges, als eine Weltmacht damit sicher viel schwerer hat als wir. Ich habe hohen Respekt vor diesem Prozeß der Selbstbesinnung in einem Land, das nicht nach einem verlorenen
Krieg von außen zur Selbstbesinnung gezwungen wird.
({2})
In der Bundesrepublik haben wir uns darum bemüht. Wir haben gezeigt, daß man aus der Vergangenheit lernen kann - vielleicht, Herr Brandt, nicht genug; aber etwas doch. Freilich darf das Bemühen darum nicht aufhören, auch nicht die politische Auseinandersetzung mit denen, die niemals etwas lernen wollen. Es ist beschämend, daß es heute wieder Anlaß zu solcher Bemerkung gibt, zum Hinweis auf eine Gruppierung, deren Anwesenheit in unseren Parlamenten Liberale bedrückt.
Und ich sage auch: Ich habe nicht überhört, Herr Brandt, daß Sie gesagt haben: „Nicht mit Kanonen schießen und vor allem keine Konzessionen machen; die angebräunten Spatzen." - Das klingt mir zu harmlos. Man hört überall, das gebe es doch in allen westlichen Demokratien und allen Parlamenten. Ich sage aus meiner Überzeugung: Das mag und darf es vielleicht überall geben - aber nicht bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Ich weiß, daß diese Überzeugung ad absurdum geführt werden kann - leider.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Hugo von Hofmannsthal hat 1912 in einem gänzlich anderen Zusammenhang eine Zeile geschrieben, die mich oft beschäftigt hat. Sie lautet: „Wir trauen nicht den Schlachten, die wir schlagen." Von solchem Gefühl waren manche deutsche Soldaten wohl bereits in Polen ergriffen, als sie merkten, für wen und für was sie sich schlugen. Es gibt bewegende Zeugnisse dafür. Und später, als der Eroberungswahn bis nach Moskau und darüber hinaus greifen wollte, haben immer mehr erfaßt, was ihnen befohlen wurde. Sie haben diese Schlachten eben dennoch geschlagen, bis zum bitteren Ende.
Ich selber habe - wenn Sie diese persönliche Bemerkung erlauben - noch bis zum auch für mich persönlich bitteren Ende mitgekämpft. Wir gingen mit 17 Jahren freiwillig in diesen Krieg, der doch schon verloren war und der für uns verlorengehen mußte, wenn die richtige Sache gewinnen sollte.
Warum, so habe ich mich oft gefragt - und nicht ich allein, sondern mit vielen Freunden aus damaliger Zeit zusammen - , haben wir uns damals so und nicht anders verhalten? Warum war der Widerstand nur bei so wenigen? Es waren doch keine fanatischen Nationalsozialisten, die sich zu Millionen opfern ließen. Die meisten taten es sicher, weil sie gar nicht anders konnten. Aber das war es wohl längst nicht allein.
Millionen haben mitgeholfen, die Existenz jenes pervertierten Reiches zu verlängern, und zwar in dem für frühere Generationen, aber eben unter ganz anderen Verhältnissen selbstverständlichen Glauben, es gehe darum, Deutschland vor seinen Feinden schützen zu müssen - trotz Hitler. So haben viele damals gedacht, obwohl die wirklichen Feinde Deutschlands
in Deutschland selber saßen und den Krieg nicht beenden wollten, weil das ihr eigenes Ende bedeutete.
Nach 1945 hat es jeder verstanden, nach und nach wenigstens; damals nur sehr wenige.
Um so größer ist unser Respekt vor denen, die das Richtige zur rechten Zeit taten. Die Namen derer, die sich auflehnten, haben Bestand und bleiben in unserer dankbaren Erinnerung. Die Namen der Feldmarschälle jenes unseligen Mannes sind, anders als sonst in deutscher Vergangenheit, fast alle vergangen und verweht. Und Stalingrad ist vielleicht der Schlachtenname des Zweiten Weltkrieges, der jedem Deutschen etwas bedeutet - ein Symbol für den Untergang des Reiches, aber auch für den Untergang des Frevlers.
50 Jahre nach Kriegsbeginn, 40 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland sind neue Generationen herangewachsen. Sie können den düstersten Abschnitt deutscher Geschichte nur schwer begreifen. Wir, die wir ihn erlebt haben, können Erklärungen anbieten; Entschuldigungen nicht: Und selbst jede Erklärung versagt vor den Untaten, die damals verübt worden sind.
Bei allen Unvollkommenheiten dessen, was seither in der Bundesrepublik Deutschland geschehen ist, dürfen wir aber sagen: Es gibt wohl ein paar Unverbesserliche, aber nichts verbindet diesen Staat mehr mit jener Zeit vor 50 Jahren, außer mahnender Erinnerung.
Es kommt nicht so sehr darauf an, ob der eine von uns die kollektive, der andere die individualistische Komponente in unserer Gesellschaftsordnung gern stärker ausgebaut sähe. Das sind gewiß wichtige Fragen, aber sie berühren nicht die moralische Qualität unseres Staates.
({4})
Viel entscheidender ist, daß die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen dafür gearbeitet hat, ein guter Nachbar zu werden und zu sein, nach Osten und nach Westen. Im westlichen Bündnis haben wir über 40 Jahre Frieden in Europa mit bewahrt und mit gesichert. Wir haben das Vertrauen nicht enttäuscht, das die einstigen Kriegsgegner dem besiegten Volk entgegenbrachten. Wir werden es auch künftig nicht enttäuschen.
Und im Osten weiß man, wie sehr diese Bundesrepublik zur Verständigung zwischen den Blöcken und den Bündnissen beigetragen hat, nicht erst seit dem Beginn dieses Jahrzehnts.
Bei aller gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Kritik im einzelnen: Die Bundesrepublik ist der freiheitlichste, der sozialste, der mit dem höchsten Wohlstand bedachte Staat, der je auf deutschem Boden existiert hat. Wir wollen uns anstrengen, daß es dabei bleibt.
Dazu, wie es heute ist, gehört freilich auch die fortwährende Teilung des Landes, gehören die Unfreiheit und miserablen Lebensbedingungen der Deutschen in der DDR. Sie sind in diesen Wochen auf dramatische Weise wieder in unser Bewußtsein gerückt worden. Wie gerne würden wir helfen, wenn wir es nur könnten.
Es liegt nicht in der Macht der Bundesrepublik, die Verhältnisse in der DDR zu ändern. Es liegt in der Macht der Verantwortlichen dort, und sie rühren sich nicht. Dabei verkennen wir nicht die Fortschritte in den innerdeutschen Beziehungen, die in den vergangenen Jahren erzielt wurden; den gestiegenen Reiseverkehr auch in westliche Richtung, den Kulturaustausch, die Wissenschaftlerkontakte und erste Zusammenarbeit im Umweltschutz. Da ist viel geschehen, nicht gegen die Regierung der DDR, sondern mit ihr zusammen und für Deutsche in Ost und West.
Aber dies ändert nichts daran, daß scheibchenweise gereichte Erleichterungen eben nicht ausreichen, daß der Ruf nach mehr Freiheit gerade unter jungen Menschen nicht verstummt, unter solchen jungen Menschen, die Freiheit selber noch nie gekannt haben. Die Führung der SED scheint heute nicht bereit zu sein, solche Hoffnungen zu erfüllen.
Wir müssen in aller Nüchternheit sagen, so schmerzlich und so unbefriedigend es ist: Auch die Bundesregierung, auch dieses Parlament werden an diesen Zuständen in der DDR nichts ändern können. Was wir können und was wir tun ist die beständige Aufforderung an die Verantwortlichen in der DDR, sich endlich auf den Gezeitenwechsel einzustellen, der längst ihre Verbündeten in Osteuropa erfaßt hat. Wir raten dem SED-Politbüro dringend, nach Moskau, nach Warschau und nach Budapest zu sehen und sich nicht länger dem Wind der Veränderungen zu verschließen, der von dort in den östlichen Teil Deutschlands weht. Ein Land wie die DDR wird nicht immer abseits stehen können, wenn ringsherum die Welt in Bewegung gerät.
({5})
Was wir tun können und was wir tun müssen, ist eine tatkräftigere Unterstützung, auch ökonomische Unterstützung, aufgeschlossener Politik in Osteuropa, damit Reformbemühungen dort wirklich dauerhaften Erfolg haben. Das gilt zu allererst für Polen, das unsere Hilfe wie kein anderes Land auf diesem Kontinent braucht.
Gerade heute muß es gesagt werden: Wir wissen, daß unser Verhältnis zu Polen eine besondere Qualität hat und eine besondere Sensibilität erfordert. Beide Völker haben sich vor und nach 1939 Schlimmes angetan; aber keiner sollte mehr aufrechnen, niemand eine gespenstische Diskussion über polnische Westgrenzen führen. Deutsche und polnische Katholiken haben in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 8. August dieses Jahres dafür erneut ein richtiges Zeichen gesetzt.
({6})
Der Brief des Bundespräsidenten an den polnischen Staatspräsidenten bringt eine Auffassung so eindrucksvoll zum Ausdruck, wie ich sie für meine
Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Dr. Graf Lambsdorff
Freunde, für die FDP, hier heute nicht besser formulieren könnte.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, ich sage auch: Für jeden Ostpreußen, für jeden Schlesier, für jeden Pommern, aber doch auch für jeden Deutschen ist das eine schmerzliche Feststellung.
({8})
Wer aber die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa entstandenen Grenzen in Frage stellt, der stellt den Frieden in Europa in Frage. Das darf nicht sein!
({9})
Lassen Sie mich eine persönliche Bemerkung einflechten, die von meinen Freunden geteilt wird: Ich finde es der Würde dieses Tages, der Würde dieser Veranstaltung und dieser Diskussion nicht angemessen, daß wir um Entschließungen rangeln. Wir hätten auf Entschließungen verzichten sollen.
({10})
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir bitten um Versöhnung. Polen hilft auch uns, hilft unseren Bemühungen um mehr Freiheit überall, wenn es seinen Weg der Reformen weitergehen kann. Die Bundesregierung darf das nicht geringschätzen, wenn sie die materielle Unterstützung Polens beschließt.
Solange in der DDR nicht mehr Freiheit einzieht, werden auch wir nicht sagen dürfen: Wir hätten in Deutschland die Folgen des Krieges, der vor 50 Jahren begonnen hat, überwunden; denn so lange haben wir Deutschen sie nicht überwunden, solange gilt das, was Herr Brandt angedeutet hat, daß die eine Hälfte der Deutschen den Krieg verloren hat und die andere offensichtlich nicht. Wir setzen auf Freiheit auch dort, und wir lassen auch nicht ab, Herr Lippelt, von der nationalen Einheit unseres Volkes.
({11})
In diesen 50 Jahren ist Deutschland, ist Europa um- und umgepflügt worden. Zwischen dem Rhein und dem Baltikum ist nichts mehr wie es damals war. Der Verursacher des Zweiten Weltkriegs hat der Sowjetunion den Weg bis zur Elbe geöffnet und Ost- und Mitteleuropa so in eine Gesellschaftsordnung gezwungen, die jahrzehntelang mit Stalinismus identifiziert werden mußte. Deutsche haben das auch im eigenen Lande hinnehmen und ertragen müssen. Deshalb haben wir uns in der Bundesrepublik mit unserer Vertragspolitik bemüht, die schlimmsten Auswirkungen der europäischen, der deutschen Teilung zu mildern. Jetzt, seit ein paar Jahren sprechen alle Anzeichen dafür, daß sich das Gesicht Europas ein weiteres Mal und auf friedliche Weise verändern könnte. Im Westen, in der Europäischen Gemeinschaft, die wir wollen und zu der wir untrennbar gehören, fallen die Grenzen. Der Osten gerät in Bewegungen. Wer hätte vor fünf Jahren auch nur davon geträumt, was wir heute täglich mit erregter Anteilnahme in der UdSSR, in Polen und in Ungarn verfolgen?
Beide Seiten rücken einander näher. Vielleicht geht die Nachkriegszeit nun wirklich zu Ende, auch für die Deutschen in beiden Teilen der Nation. Nur ein freies, nur ein friedliches Europa wird uns unser nationales Ziel erreichen lassen: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um an den Vorredner eingangs ein Wort zu verlieren: Herr von Lambsdorff, Sie formulierten, der Würde des Hauses wäre es angemessen, auf Entschließungsanträge bei der heutigen Aussprache zu verzichten. Ich glaube, Sie haben recht, wenn das scheinbar Selbstverständliche, das Minimum, nicht im Vorfeld des heutigen Tages zum Optimum geworden wäre, nämlich die Anerkennung der polnischen Westgrenze durch den Deutschen Bundestag. Ich finde, bereits das zeigt beschämend, auf welch qualitativem Niveau wir uns substantiell im Bereich von Beschlüssen in der Bundesrepublik Deutschland bewegen.
Es wird auch sprachlich ummantelt, was an Verpflichtungen aus dem, was am 1. September 1939 entstanden ist, auch heute noch für die Bundesrepublik tatsächlich existiert. Es handelt sich um das Land, das die Deutschen ausgebeutet, dessen Infrastruktur sie weitgehend vernichtet, dessen jüdischen Bevölkerungsteil sie fast vollständig ermordet hatten und das sich bis heute noch nicht von dieser Zerstörung erholen konnte. Angesichts dieses Faktums ist es dringend notwendig, das, was wir alles nicht beschlossen haben, in Form von Entschließungsanträgen noch einmal zur Abstimmung zu bringen.
Das Stückchen „Kanzlerreise", das uns in den letzten Monaten aufgeführt worden ist, wird von einem roten Faden durchzogen: Es muß den Polen dabei gezeigt werden, daß man nicht als einer kommt, der um Vergebung bittet, sondern als einer, der um Hilfe gebeten werden will. Auch dies ist ein Stück Realität Bundesrepublik 1989.
Ich habe mir den Spaß gemacht, einmal nachzusehen, wie die Definition des Themas, zu dem wir heute sprechen, eigentlich lautet. Es handelt sich um die Formulierung „zum 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs". Nach dem Brockhaus bedeutet „Ausbruch" ein „plötzlicher Beginn, Heftigwerden". Als Erklärung werden Zorn oder Krankheit genannt. Das kommt hier sicherlich nicht in Betracht. Zweite Möglichkeit: Plötzlich gesteigerte oder eintretende Tätigkeit eines Vulkans. - Auch das dürfen wir ausschließen. Dritte Alternative: Gewaltsame Befreiung, Entspringen. - Genau das Gegenteil ist Anlaß der Diskussion heute. Viertens: Angriff eingekesselter Truppen, um die Einschließung in Richtung auf die eigene Front zu durchbrechen. - Auch das ist genau das Gegenteil des Diskussionsanlasses. Fünftens: Ein Ausbruchwein, ein sehr süßer Wein, zu dessen Gewinnung man die Beeren am Stock halb eintrocknen läßt und die jeweils geeigneten ausliest ({0}). 11648 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Wüppesahl
In der Sprache wird häufig genug deutlich, was tatsächlich an Bewußtseinsstand erlangt ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, daß nicht einmal in der Themenwahl klar wird, was heute behandelt werden soll. Jedenfalls ist man von der Bewältigung weit entfernt, weil man noch im Stadium der Verarbeitung befindlich ist. Warum heißt es nicht „Aussprache" oder „Regierungserklärung zum Angriffskrieg Deutschlands" oder „zum Überfall auf Polen"? Dies ist keine Nebensächlichkeit, wie ich denke, sondern dies ist die große Überschrift, zu der wir heute diskutieren, und alle verbalen Bekenntnisse werden relativiert.
Ich behaupte, es gibt sogar wieder einen großen Teil unserer Bevölkerung, der bei Anlässen dieser Art davon spricht, daß irgendwann Schluß sein muß mit der Vergangenheit; es sei ja so lange her. Diese wahrscheinlich schon wieder als Mehrheit zu quantifizierende Gruppe in der Bevölkerung richtet ihre Antipathien mehr auf diejenigen, die Nachdenklichkeit zeigen, als auf diejenigen, die in der Kontinuität des Anlasses stehen.
Ich glaube auch, daß immer deutlicher wird, auch bei dem, was wir in den letzten zwei Jahren an Exportproblemen im Rüstungsbereich aus der Bundesrepublik erleben mußten, daß Hitler eigentlich nur ein Ausrutscher gewesen ist: Es ging vorher und nachher weiter.
Was wir eigentlich am leichtesten hätten lernen müssen, nämlich Friedfertigkeit, ist in diesem Lande scheinbar nicht möglich. Spätestens seit Errichtung der Bundeswehr 1954/55 zeigt es sich: Wir haben viel zuwenig und viel zu viele haben nichts gelernt. Die Option auf die Atombombe besteht, da sich die Bundesrepublik beharrlich weigert, die Zusatzprotokolle zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen und die Laufzeit des Sperrvertrages zu verlängern. Meine Damen und Herren, in der gesamten dreistündigen Diskussion heute vormittag ist der Bezug auf die JetztZeit, auf das, was wir gelernt haben oder auch nicht gelernt haben, meines Erachtens viel zu kurz gekommen. Der Atomwaffensperrvertrag verbietet nicht den Erwerb oder Besitz von Atomwaffen oder deren Herstellung im Auftrag der Bundesrepublik auf dem Territorium eines anderen Staates. Er ermöglicht ohne Vertragsverletzung die Entwicklung weitreichender Trägersysteme auch in der Bundesrepublik, die Atomwaffenforschung und die Entwicklung einzelner Komponenten für Atomwaffen.
Auf Betreiben der Großen Koalition und hier vor allem - bei aller Würdigung, die heute bereits vorgenommen worden ist, gehört das auch zu der geschichtlichen Entwicklung - des Außenministers Willy Brandt wurde in den Vertrag der Vorbehalt aufgenommen, daß sich die Bundesrepublik an einer Atomstreitmacht im Rahmen einer Europäischen Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik beteiligen darf. Die Bundesrepublik ist ein Atomwaffenstaat auf Abruf.
({1})
Die Forderung: „Nie wieder Krieg! " wird nicht durch
diese Bundesrepublik erfüllt. Im Gegenteil, auch 1989
und in den Jahren unmittelbar davor haben wir viele gegenteilige Beweise oder Indizien.
Die Bundesrepublik ist wieder einer der Hauptwaffenhändler auf der Welt geworden. Deutsche Industrieprodukte „Made in Germany" unterstützen Kriege in der gesamten Welt. Die Reihe skandalöser Exporte allein von Atomtechnologie ist lang. Ich nenne nur beispielhaft:
Erstens. Im Rahmen der Affäre um die Firma Trans-nuklear Anfang 1988 wollte Ministerpräsident Wallmann nicht ausschließen, daß Plutonium nach Pakistan geliefert worden war.
Zweitens. Dann wurde bekannt - das sind unangenehme Wahrheiten, meine Damen und Herren, aber es ist so -, daß BRD-Firmen in Argentinien Raketen und - drittens - im Irak und - viertens - in Ägypten Raketenfabriken bauen. Die Bundesrepublik trägt durch diese Atomexporte zur Vermehrung von Atomwaffenstaaten bei und untergräbt damit nicht nur Geist und Buchstaben des Atomwaffensperrvertrages, sondern senkt gleichzeitig die politische Akzeptanzschwelle dafür, daß auch der Bundesrepublik mit Auslaufen des Atomwaffensperrvertrages 1995 der Status eines Atomwaffenstaates zugestanden wird.
Ich denke, nach diesen Ausführungen ist die vorhin gemachte Bewertung, daß heute vormittag vielleicht ein bißchen zuviel eigenes Schulterklopfen praktiziert worden ist, bereits überdeutlich geworden.
Aber es kommt noch schlimmer: Statt daß sich dieses Land und seine Bevölkerung angesichts der eigenen Geschichte solcher Handlungen enthält und schämt, werden weiter diejenigen, die als Pazifisten diese zum Teil direkten Kriegsunterstützungsbeiträge kritisieren - erinnert sei nur an Rabta - angeprangert; sie werden wieder öffentlich angegriffen. Nur das schnelle Geld scheint zu zählen.
Das Gezeter um das Denkmal für den unbekannten Deserteur in Bonn ist einfach ungeheuerlich. Jeder Soldat, der sich diesem Angriffskrieg zu entziehen versuchte oder entzogen hat und dies zum Teil mit seinem Leben bezahlen mußte, war ein kluger Mann und gehört zumindest nachträglich gerade im heutigen Wissen um die Barbarei dessen, wozu auch die Deserteure angehalten werden sollten, geehrt. Statt dessen lesen wir im Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag mit dem Datum von gestern, nicht von irgend jemandem, sondern von dem rechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, des Kollegen Wittmann, daß er der Auffassung ist, daß die Ehrung der Deserteure eine Brüskierung und Verhöhnung derjenigen darstellt, die im Kriege Leib und Leben für das Vaterland einsetzen mußten. Was ist das für ein Geschichtsverständnis! Ich enthalte mich da jeder Wertung.
Wir lesen hier weiter im Pressedienst der CDU/ CSU-Fraktion, die nicht in der Lage war, im Vorfeld des heutigen Tages das Selbstverständliche in einem Antrag mit zu beschließen, was der Bundespräsident in seinem Brief nach Polen formuliert hatte, daß diejenigen, die als Deserteure ihre Kameraden in schwierigster Lage im Stich gelassen haben, heute nicht als
Vorbilder - so geht das dann weiter - angesehen werden dürfen.
({2})
- Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Diese Deserteure haben sich für eine lebensbejahende Zukunft eingesetzt und haben das einzig Vernünftige in der damaligen Situation getan. Statt dessen - Schlußsatz - wird nach wie vor den Opfern des Nationalsozialismus mit schäbigen Almosen, bürokratischem Spießrutenlaufen und anderen Schikanen gezeigt, welche Kontinuität in der Bundesrepublik 1989 herrscht: Ehemalige Soldaten, Wehrmachtsgeneräle und Militärjuristen bekommen Kriegsdenkmäler, Orden und beste Pensionen, ganz zu schweigen von den Ämtern und Würden, in die sie nach dem Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland gesetzt wurden.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn eine breite Zustimmung zu den Entschließungsanträgen von SPD und GRÜNEN heute zustande käme. Ich werde mich schämen, falls dies nicht möglich ist.
({3})
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist damit zu Ende.
Zur Regierungserklärung liegen mehrere Entschließungsanträge der Fraktion der SPD einerseits und ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP andererseits, vor, und zwar auf den Drucksachen 11/5114 und 11/5117. Zu diesen Anträgen wurden schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben, und zwar einmal von der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher, Herrn Abgeordneten Hirsch und Herrn Abgeordneten Laermann und zum anderen von Herrn Abgeordneten Seesing.*)
Zu den beiden Anträgen, zur Begründung und zur Abstimmung, hat der Abgeordnete Jahn um das Wort gebeten. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute, an dem Tage, an dem vor 50 Jahren durch Hitler der deutsche Angriff auf Polen begonnen hat und damit der Zweite Weltkrieg entfesselt worden ist, ist ein klares Wort des Deutschen Bundestages notwendig.
({0})
Die Bekräftigung von Rechtspositionen ist notwendig und wichtig; das allein aber reicht heute nicht aus. Der Deutsche Bundestag sollte heute den dauerhaften Bestand der Westgrenze Polens bekräftigen. Der Deutsche Bundestag sollte heute eindeutig sagen: Es gibt keine deutschen Gebietsansprüche gegen Polen.
({1})
Wir fordern Sie auf, dieser Aussage in unserem Antrag in namentlicher Abstimmung zuzustimmen.
*) Anlagen 2 und 3
Zu dem Antrag der Koalition beantrage ich namens der SPD, über die beiden Absätze getrennt abzustimmen. Dem ersten Absatz können wir zustimmen. Beim zweiten Absatz werden wir uns der Stimme enthalten. In der Regierungserklärung gibt es - der Herr Kollege Brandt hat das hier deutlich gesagt - manches, dem wir zustimmen, und manches, dem wir in dieser Form so nicht zustimmen, das jedenfalls unserer Aussage nicht entspricht. Deshalb ist die Enthaltung zu diesem Teil Ihrer Entschließung die angemessene Bewertung durch die Opposition.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Lippelt zu den beiden vorliegenden Anträgen das Wort.
Herr Präsident! Ich begründe, warum wir dem SPD-Antrag zustimmen, und zwar sehr gerne zustimmen, denn er bringt inhaltliche Klarstellungen, die ich hier auch deutlich vorgetragen habe. Wir hätten allerdings sehr viel lieber einen eigenen Antrag zur Abstimmung gestellt, aber der ist nicht zugelassen worden. Wir respektieren die Entscheidung des Präsidenten, und ich will sie hier gar nicht diskutieren. Sehr bedauerlich ist sie trotzdem; dazu habe ich in meiner Rede ein paar Worte gesagt, auf die ich hier in aller Form noch einmal hingewiesen haben möchte.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5114. Die Fraktion der SPD verlangt hierzu gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist bekannt.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Schriftführer, sich in doppelter Besetzung an die Urnen zu begeben.
Hat noch ein Mitglied des Hauses die Absicht, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Ich sehe, daß alle ihrer Pflicht nachgekommen sind.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Auszählung durchzuführen.
Ich weise darauf hin, daß über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP erst abgestimmt werden kann, wenn das Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der SPD bekannt ist, d. h. wenn die Auszählung der Abstimmung über diesen Antrag abgeschlossen ist. Bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung für ungefähr 10 Minuten.
Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})
Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5114 bekannt. Abgegebene Stimmen: 379. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 162 Abge11650
Vizepräsident Stücklen
ordnete, mit Nein haben 208 Abgeordnete gestimmt. 9 Abgeordnete haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 378; davon
ja: 162
nein: 207
enthalten: 9
Ja
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Antretter Bachmaier
Becker ({1}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({2}) Brandt
Brück
Büchler ({3}) Büchner ({4})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Buschfort Catenhusen
Conradi
Dr. Diederich ({5}) Diller
Dreßler
Duve
Egert
Dr. Ehmke ({6}) Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({7}) Frau Fuchs ({8})
Dr. Gautier Gerster ({9}) Gilges
Dr. Glotz
Frau Dr. Götte Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann
Heyenn
Hiller ({10})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({11})
Dr. Jens
Jung ({12}) Frau Kastner Kastning
Kiehm
Kirschner
Klein ({13})
Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch
Koschnick Dr. Kübler Kuhlwein
Lambinus
Lohmann ({14})
Lutz
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({15}) Müller ({16}) Müller ({17}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Pauli
Dr. Penner Peter ({18}) Porzner
Purps
Rappe ({19}) Reimann
Frau Renger Reschke
Rixe
Roth
Schäfer ({20}) Schanz
Scherrer
Schluckebier
Frau Schmidt ({21}) Schmidt ({22})
Dr. Schmude Schreiner
Schröer ({23})
Frau Schulte ({24}) Seidenthal
Frau Seuster Sielaff
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({25})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck
Frau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak
Vahlberg
Dr. Vogel
Walther
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({26}) Frau Weyel
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({27}) Wischnewski
Dr. de With
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP
Gries
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Frau Eid
Frau Flinner Häfner
Frau Hillerich Kleinert ({28})
Dr. Knabe
Dr. Lippelt ({29}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Rust
Schily
Frau Schmidt ({30}) Frau Schoppe
Frau Teubner Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Vennegerts Weiss ({31}) Frau Wollny
Fraktionslos Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Austermann Bauer
Dr. Becker ({32}) Dr. Biedenkopf Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Breuer
Buschbom Carstens ({33})
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({34}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Fischer ({35}) Francke ({36})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({37})
Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({38})
Glos
Dr. Göhner Gröbl
Günther
Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({39}) Hauser ({40}) Hedrich
Helmrich
Dr. Hennig Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({41})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({42})
Kalb
Dr. -Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann
Klein ({43})
Dr. Köhler ({44}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey Kraus
Dr. Kreile Krey
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({45}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs Lenzer
Frau Limbach
Link ({46})
Link ({47}) Lintner
Dr. Lippold ({48}) Louven
Lowack
Lummer
Frau Männle Dr. Mahlo Marschewski Michels
Dr. Möller Müller ({49})
Müller ({50}) Nelle
Dr. Neuling Neumann ({51})
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack Pesch
Petersen
Vizepräsident Stücklen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen
Rawe
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({52}) Frau Roitzsch ({53}) Dr. Rose
Roth ({54}) Rühe
Ruf
Sauer ({55})
Sauer ({56})
Sauter ({57})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schemken Schmidbauer Schmitz ({58})
Dr. Schneider ({59}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({60}) Dr. Schulte
({61}) Schulze ({62})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({63})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Straßmeir Strube
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Dr. Unland Frau Verhülsdonk
Dr. Voigt ({64})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Weiß ({65}) Werner ({66})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({67})
Windelen
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn Eimer ({68})
Engelhard
Frau Folz-Steinacker Funke
Grüner
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({69})
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Nolting
Richter
Rind
Schäfer ({70})
Frau Dr. Segall
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Wolfgramm ({71}) Zywietz
Enthalten
CDU/CSU
Frau Dr. Hellwig FDP
Cronenberg ({72}) Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Dr.-Ing. Laermann Neuhausen
Ronneburger
DIE GRÜNEN
Eich
Frau Frieß
Damit ist der Antrag der SPD in namentlicher Abstimmung abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/5117. Die Fraktion der SPD hat beantragt, daß absatzweise abgestimmt wird.
Ich lasse daher über den ersten Absatz der Drucksache 11/5117 abstimmen,
Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen.
({73})
Also ist dieser Absatz einstimmig angenommen. Ich komme zum zweiten Absatz.
Wer für diesen Absatz ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Eine Gegenstimme, zwei - ({74})
- Ich darf doch bitten, Platz zu nehmen und, wenn möglich, einheitlich den Arm zu heben, wenn das in der Abstimmungsprozedur gewünscht wird. Das sind doch Abstimmungen, die im Protokoll festgehalten werden und letztlich nicht Bagatellangelegenheiten sind.
Also noch einmal: Wer dagegen ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
({75})
Also, vier Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion und vier aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer enthält sich, bitte? - Enthaltungen: die SPD-Fraktion plus eine aus der Fraktion DIE GRÜNEN.
Ich stelle also fest, daß dieser Antrag auf Drucksache 11/5117 bei absatzweiser Abstimmung mit den bekanntgegebenen Ergebnissen angenommen ist.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Montag, den 4. September 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.