Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet, Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/375 Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 11/399. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach zur Verfügung. Ich rufe zunächst die erste Dringliche Frage des Herrn Abgeordneten Dreßler auf:
Treffen Meldungen in der Ausgabe des Bonner General-Anzeigers vom 2. Juni 1987 zu, daß auf der Baustelle des Bundesministeriums für Verkehr illegale Leiharbeitnehmer beschäftigt werden?
Die Bundesregierung beantwortet die Dringliche Frage Nr. 1 wie folgt:
Der Bundesregierung ist bekannt, daß auf Grund einer Überprüfung des Mobilen Einsatzkommandos des Gewerbeaufsichtsamts Duisburg der Verdacht besteht, daß auf der Baustelle des Neubaus des Bundesverkehrsministeriums von einer Duisburger Firma, die als Nachunternehmer tätig geworden ist, Arbeiter beschäftigt wurden, die nicht ordnungsgemäß sozialversichert waren.
Die Rohbauarbeiten für den Neubau des Bundesverkehrsministeriums sind auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung an eine Arbeitsgemeinschaft von mehreren Hochbauunternehmen vergeben worden. Diese Arbeitsgemeinschaft hat mit Zustimmung und Wissen der Bundesbaudirektion das Liefern, Schneiden und Verlegen der Bewehrungen an eine Spezialfirma als Nachunternehmen vergeben. Gegen eine Zustimmung zu diesem Nachunternehmerverhältnis bestanden keine Bedenken, da dieser Nachunternehmer bereits bei anderen Bauvorhaben der Bundesbaudirektion zuverlässig gearbeitet hatte.
Die in Verdacht geratene Duisburger Firma ist als weiterer Nachunternehmer mit dem Verlegen der Bewehrungen auf der Baustelle beauftragt worden.
Diese Beauftragung erfolgte ohne Wissen und Zustimmung der Bundesbaudirektion.
Die Bundesbaudirektion hat nach Bekanntwerden des Verdachts der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern die Arbeitsgemeinschaft „Rohbau" aufgefordert, das weitere Tätigwerden dieser ohne Zustimmung der Bauverwaltung eingeschalteten Firma unverzüglich zu beenden. Die Arbeitsgemeinschaft „Rohbau" hat dieses zugesagt. Die in Verdacht geratene Duisburger Firma ist auf der Baustelle des Neubaus des Verkehrsministeriums nicht mehr tätig.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Staatssekretär, können Sie mir im einzelnen sagen, zu welchen Ergebnissen die Überprüfung der Verträge und Versicherungsdaten der auf der Baustelle kontrollierten 130 Arbeitnehmer geführt hat?
Herr Kollege, momentan haben wir es nur mit einem Verdacht zu tun. Dieser Verdacht wird aufgeklärt werden. Die zuständigen Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen haben uns mitgeteilt, daß die Klärung des Verdachts noch einige Wochen dauern wird.
Unabhängig davon haben wir durch eine entsprechende Anweisung an die Bundesbaudirektion und ein entsprechendes Vorgehen der Bundesbaudirektion gegenüber unserem Vertragspartner sichergestellt, daß diese Firma nicht mehr auf der Baustelle tätig ist. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß andere Arbeitnehmer als die Arbeitnehmer der Duisburger Firma etwa gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Ein Hinweis auf Leiharbeitsverhältnisse gibt es in konkreter Form bisher auch nicht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage dazu, Herr Abgeordneter Dreßler?
Frau Präsidentin, darf ich Sie fragen: Besteht die Möglichkeit, da die Frage nicht beantwortet ist, daß man eventuell doch an die Daten kommt, ohne daß ich meine zweite Frage gefährde? Vielleicht könnten Sie intervenieren.
Ich verstehe zwar Ihr Anliegen, aber ich bitte Sie doch, das jetzt in die zweite Frage mit einzubeziehen.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß es sich um einen Verdacht handele, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß heute morgen das Arbeitsamt Bonn bereits zwei der Überprüften zur Rückzahlung ihres Arbeitslosengeldes aufgefordert hat? Darf ich daraus entnehmen, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Journalisten, die in Bonn akkreditiert sind, in solch zweifellos diffizilen Fällen eher geneigt sind als die Bundesregierung, sich Informationen einzuholen?
Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung auf Grund der Information, die wir gestern gemeinsam aus dem Bonner „General-Anzeiger" erhalten haben, sofort tätig geworden ist. Die Bundesregierung hat ja daraufhin veranlaßt, daß diese Duisburger Firma nicht mehr auf der Baustelle tätig ist. Auf der anderen Seite gibt es bisher keinen Hinweis darauf, daß etwa andere Subunternehmer ebenfalls gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen haben. Das unterstellt offensichtlich Ihre erste Zusatzfrage.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von der Wiesche.
von der Wiesche ({0}): Herr Staatssekretär, Sie haben eben selbst gesagt, daß bereits seit einigen Jahren auch mit Subunternehmern gearbeitet wird. Hat die Bundesregierung bisher, da wir ja wissen, daß gerade aus dem Bereich der Subunternehmer der größte Teil der illegalen Beschäftigung kommt, diese nie überprüft, so daß dies erst jetzt - und durch ganz kuriose Kanäle - feststellbar wurde?
Die Bundesregierung - gerade diese Bundesregierung - hat eine Reihe von Maßnahmen seit ihrer Übernahme der Verantwortung im Herbst 1982 ergriffen, um sicherzustellen, daß so weit wie irgend möglich illegale Beschäftigungsverhältnisse auf Baustellen nicht vorkommen, bzw. da, wo sie vorkommen, entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.
Ich darf darauf verweisen, daß 1985 durch das Gesetz über die Beschäftigungsförderung die Strafvorschriften bei illegaler Ausländerbeschäftigung und illegaler Leiharbeit erheblich verschärft worden sind. Ich darf darauf verweisen, daß nach Art. 7 des Steuerbereinigungsgesetzes, das Ende 1985 in Kraft getreten ist, der illegale Entleiher für Lohnsteuer des illegal entliehenen Leiharbeitnehmers haftet.
Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 enthält eine Ergänzung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, wonach Verleiher und Entleiher für Sozialversicherungsbeiträge gesamtschuldnerisch haften.
Darüber hinaus sind seit Amtsantritt der Bundesregierung in 29 Stützpunktarbeitsämtern Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung eingerichtet worden, bei denen 350 besonders geschulte
Fachkräfte zur Bekämpfung illegaler Leiharbeit und Ausländerbeschäftigung eingesetzt sind.
({0})
Außerdem hat, was die Sozialversicherungspflicht angeht, die ja hier besonders im Vordergrund steht, der Bundesbauminister durch eine entsprechende Anordnung vom 8. Dezember 1983 veranlaßt, daß in alle Verträge besondere Vertragsbedingungen aufgenommen werden, um gerade das Problem der Subunternehmer in den Griff zu bekommen; denn bei den Hauptauftragsnehmern gibt es ja erfahrungsgemäß solche Probleme kaum. Danach steht also in den besonderen Vertragsbedingungen, daß Nachunternehmer fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig sein müssen, insbesondere ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern und Sozialabgaben nachkommen und die gewerberechtlichen Voraussetzungen erfüllen müssen. Der Auftragnehmer hat rechtzeitig vor der beabsichtigten Übertragung Art und Umfang der Leistung sowie Name und Anschrift des vorgesehenen Nachunternehmers bekanntzugeben und, soweit erforderlich, die schriftliche Zustimmung gemäß § 4 VOB zu beantragen. Der Auftragnehmer hat mitzuteilen, bei welcher Berufsgenossenschaft der jeweilige Nachunternehmer Mitglied ist und zu welchem Bereich der Nachunternehmer gehört. Die Verfolgung von Verstößen - ({1})
- Das alles sind Teile der Vertragsbestimmungen.
Zu überwachen, daß diese Vertragsbestimmungen eingehalten werden, ist zunächst Sache der beauftragten Auftragnehmer. Wenn die Auftragnehmer diese Verpflichtungen im Hinblick auf den Subunternehmer nicht erfüllen, begründen sie natürlich Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit, und das wird bei künftigen Beauftragungen von Bedeutung sein.
({2})
Insofern würde sich vielleicht auch ein Teil der Zusatzfragen erledigen, wenn ich, Frau Präsidentin, jetzt gleich auch die zweite Frage des Kollegen Dreßler beantworte,
({3}) weil dort die Antworten enthalten sind.
Dem wird leider nicht zugestimmt, Herr Staatssekretär.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, Sie führten aus, daß die Bundesregierung sofort tätig geworden sei, als sie es in der Zeitung gelesen habe. Ihren jetzigen Ausführungen entnehme ich, daß es für die Bundesregierung kein Instrument gibt durch Kontrollen einzugreifen, obwohl - das noch einmal konkret - die Bundesregierung ein großer Auftraggeber innerhalb der deutschen Wirtschaft ist. Heißt das, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, zu überwachen, daß Aufträge, die vergeben werden, korrekt nach den Tarifbedingungen, nach den gesetzlichen
Bedingungen, nach den Sozialversicherungsbedingungen durchgeführt werden? Ich bitte Sie um eine ganz konkrete Antwort.
Sie müssen zwischen dem privatrechtlichen Auftragsverhältnis des Bundes gegenüber den beauftragten Firmen und den hoheitlichen Möglichkeiten, einzugreifen und solche illegalen Beschäftigungsverhältnisse aufzudecken, unterscheiden. Für letztere sind die Bundesländer zuständig.
({0})
In diesem Falle sind also die Gewerbeaufsichtsämter und die Arbeitsämter zuständig. Aber ich habe dargelegt, daß gerade in den letzten Jahren durch mehrere Gesetze dafür Sorge getragen wurde, daß die Möglichkeiten, hier einzugreifen, und auch die strafrechtlichen Sanktionen verstärkt worden sind.
Ich darf darüber hinaus darauf verweisen, daß die Bundesregierung in ihrer letzten Regierungserklärung angekündigt hat, daß sie einen Sozialversicherungsausweis in den Branchen, in denen er zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung geeignet ist, einführen wird. Dadurch werden sicher gerade im Baubereich Mißstände, wie sie hier zur Diskussion stehen, noch wirksamer bekämpft werden können.
({1})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bohl.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, wann die Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen Sie davon unterrichtet haben, daß hier eine illegale Beschäftigung vorliegt?
Eine direkte Information ist meines Wissens nicht erfolgt. Erst auf Grund der Informationen durch die schon von dem Kollegen Dreßler zitierte Zeitung sind wir auf den Sachverhalt aufmerksam geworden und haben daraufhin unsere Maßnahmen ergriffen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß auf dieser Baustelle, die ja wohl eine Baustelle des Bundes darstellt, eine Firma beschäftigt ist, gegen deren Inhaber bereits ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wurde, und wie erklärt die Bundesregierung, daß diese Firma als Subunternehmer auf der Baustelle beschäftigt wurde?
Wenn die Bundesbaudirektion informiert gewesen wäre, daß diese Firma mit einem Subunternehmerauftrag betraut worden wäre, hätte sie sicher die Zuverlässigkeit dieser Firma überprüft.
({0})
Ich bin ziemlich sicher, daß dann diese Firma nicht zum Zuge gekommen wäre. Hier liegt ein klarer Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen durch die beauftragten Unternehmen vor, da sie eben ohne die nach dem Vertrag erforderliche Zustimmung der Bundesbaudirektion einen Subauftrag vergeben haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, trifft die Meldung in der gestrigen Ausgabe des Bonner „GeneralAnzeigers" zu, daß auf der Baustelle des Bundesministers für Verkehr bei der Ausrüstung der Arbeitnehmer schwere Sicherheitsmängel festgestellt worden sind, und welcher Art sind diese schweren Sicherheitsmängel? Denn es ist ja offensichtlich so, daß die Bundesregierung diesen Auftrag nicht mit der genügenden Sorgfaltspflicht vergeben hat.
Bei uns liegt eine diesbezügliche Feststellung des Gewerbeaufsichtsamts Bonn nicht vor. Im übrigen ist auch zunächst - das muß ich ausdrücklich sagen - eine Arbeitsgemeinschaft von zwei renommierten Baufirmen beauftragt worden, bei denen auch nur annähernd vergleichbare Mängel bisher nicht aufgetreten sind. Die Probleme, die hier vorliegen, traten bei einer erstmals in Erscheinung getretenen Subunternehmerfirma auf, die ohne Zustimmung der Bundesbaudirektion beauftragt worden ist, was einen Verstoß gegen die klaren vertraglichen Bestimmungen darstellt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weiler.
Herr Staatssekretär, wie stellt die Bundesregierung in Zukunft sicher, daß die auf ihrem Bau tätigen Unternehmen die Arbeitsschutzbestimmungen und auch die Arbeitszeitordnung einhalten werden?
Es ist die Pflicht aller Baufirmen, im Rahmen der Verträge, die wir mit ihnen abschließen, alle gesetzlichen Bestimmungen zu beachten. Tun die Firmen dies unter Verstoß gegen die vertraglichen Bestimmungen nicht, erweisen sie sich als unzuverlässig. Als unzuverlässig erwiesene Firmen wird die Bundesregierung nicht wieder mit irgendwelchen Bauaufträgen des Bundes betrauen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär Echternach, läßt die Darstellung der vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung seit 1982, illegale Beschäftigung zu bekämpfen, und die Fülle von Absichtserklärungen, die Sie aufgeführt haben, im Vergleich zu dem dramatischen Ansteigen der Zahl von illegal beschäftigten Arbeitnehmern die Schlußfolgerung zu, daß mit dem gegenwärtigen Instrumentarium illegale Beschäftigung nicht zu bekämpfen ist?
Ich habe schon vorhin erklärt: Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen und planen als weitere Maßnahme den Sozialversicherungsausweis. Aber schon die eingeleiteten
Maßnahmen haben dazu geführt, daß wesentlich rigoroser durchgegriffen wird, gerade von den 29 Stützpunktarbeitsämtern mit ihren 350 Spezialkräften. Die Folge ist gewesen, daß dadurch die rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben, die Verfolgung deutlich zugenommen hat und die Zahl der verhängten Geldbußen deutlich angestiegen ist. Diese Zahl betrug im Jahre 1982 noch 657; die Zahl der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren ist im letzten Jahr auf 1 900 gestiegen. Das heißt also: Es wird bereits effektiver durchgegriffen. Die Absicht der Bundesregierung, den Sozialversicherungsausweis einzuführen, zeigt Ihnen, daß auch wir entschlossen sind, noch weiter alle Möglichkeiten einzusetzen, um solche illegalen Beschäftigungsverhältnisse so weit wie irgend möglich zu unterbinden.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, werden Sie dafür eintreten, daß ähnlich, wie die Stadt Köln das kürzlich beschlossen hat, den Auftragnehmern in den besonderen Vertragsbedingungen oder in den Bauverträgen für den Fall, daß sie Leiharbeitnehmer oder sonstige Arbeitnehmer, für die keine Arbeitserlaubnis besteht, beschäftigen, empfindliche Vertragsstrafen auferlegt werden?
Herr Kollege, hier liegt bereits ein Verstoß gegen Vertragsbestimmungen vor. Über Vertragsstrafen hinaus sind erhebliche Geldbußen zu zahlen, weil es sich hier um klare Gesetzesverstöße handelt. Es können auch Haftstrafen verhängt werden, so daß wir gar nicht auf das eher schwache Instrument der Vertragsstrafe angewiesen sind, sondern wesentlich härtere öffentlich-rechtliche Maßnahmen ergreifen können.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dreßler auf.
Wenn ja, warum hat die Bundesregierung die Beschäftigung dieser illegalen Arbeitskräfte auf ihren eigenen Baustellen nicht verhindern können, und wie gedenkt sie, diese Beschäftigung künftig zu verhindern?
Herr Kollege, nach den allgemeinen Vertragsbedingungen ist der Auftragnehmer bei öffentlichen Bauvorhaben ausdrücklich verpflichtet, für die Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen und berufsgenossenschaftlichen Verpflichtungen Sorge zu tragen. Dazu gehört insbesondere auch die Verpflichtung, alle Sozialabgaben für die Arbeitnehmer abzuführen.
Bei der Beschäftigung von Nachunternehmern besteht kein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen der Bauverwaltung und dem Nachunternehmen. Aus diesem Grunde enthalten die Besonderen Vertragsbedingungen, die, wie ich schon sagte, im Dezember 1983 auf Anordnung des Bundesbauministers aufgenommen worden sind, eine entsprechende Verpflichtung: Der Hauptunternehmer darf nur solche Nachunternehmer einschalten, die fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig sind, insbesondere ihre
gesetzlichen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern und Sozialabgaben und die gewerberechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Der Hauptunternehmer muß sich bei Beauftragung eines Nachunternehmers vergewissern, daß diese Zuverlässigkeit beim Nachunternehmer besteht. Außerdem ist der Auftraggeber verpflichtet, die Einschaltung des Nachunternehmens rechtzeitig vor der beabsichtigten Übertragung unter Angabe von Inhalt und Umfang der Leistungen sowie Name und Anschrift des hierfür vorgesehenen Nachunternehmers bekanntzugeben und in der Regel die schriftliche Zustimmung zu beantragen.
Im vorliegenden Fall hat ein Nachunternehmen gegen diese Verpflichtung verstoßen. Die Bundesregierung ist in hohem Maße daran interessiert, die illegale Beschäftigung von Arbeitskräften zu unterbinden. Sie hat deshalb die Bauverwaltung angewiesen, die zuständigen Behörden bei der Verfolgung von Verstößen gegen arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Vorschriften umfassend zu unterstützen und alle bekanntgewordenen Fälle einer illegalen Beschäftigung von Arbeitskräften unverzüglich anzuzeigen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Staatssekretär, unabhängig davon, daß viele der von Ihnen erwähnten Initiativen der Bundesregierung auf gesetzliche Maßnahmen der sozialliberalen Koalition zurückgehen,
({0})
- möglicherweise ist Ihnen das nicht bekannt - und unabhängig von der Tatsache, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit das Ausmaß der illegalen Beschäftigung vor wenigen Tagen „besorgniserregend" genannt hat: Stimmen Sie mir zu, daß sich die Maßnahmen, die der Bundesbauminister eingeleitet hat, durch den Tatbestand, der uns jetzt hier beschäftigt, als - um es höflich zu sagen - nicht ausreichend erwiesen haben?
Herr Kollege, aus diesem Grunde beabsichtigt die Bundesregierung - wie sie in der Regierungserklärung vom März angekündigt hat - die Einführung des Sozialversicherungsausweises. Auch wir sind der Auffassung, daß hier eine Möglichkeit besteht, über die bisher eingeleiteten gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen hinaus einen wirksamen Vorstoß zu unternehmen. Das ist eine Maßnahme, die im übrigen sowohl von der Bauwirtschaft wie auch von den Gewerkschaften ausdrücklich unterstützt wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung noch nicht der Gedanke gekommen, daß die Verdoppelung der Leiharbeitsmöglichkeit im sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz vom 1. Mai 1985 diesen Sumpf der illegalen Beschäftigung begünstigt?
Herr Kollege, was die Leiharbeitsverhältnisse angeht, gibt es bisher dafür keine konkrete Bestätigung. Die Probleme lieParl. Staatssekretär Echternach
gen hier zunächst im Sozialversicherungsbereich, im Verstoß gegen die Sozialversicherungspflicht. Aber auch dem anderen Verdacht auf illegale Leiharbeitsverhältnisse wird ja nachgegangen. Im übrigen glaube ich nicht, daß es den von Ihnen behaupteten Zusammenhang gibt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, wird denn die Bundesregierung diesen konkreten Fall zum Anlaß nehmen, nicht nur bei diesem Bauvorhaben, sondern bei allen Bauvorhaben - insbesondere bei denen, die hier in Bonn stattfinden und von der Bundesbauverwaltung betrieben werden - mit einer gewissen Regelmäßigkeit von sich aus und nicht erst, nachdem sie über Zeitungen darauf aufmerksam gemacht worden ist, überprüfen, ob hier im Einklang mit den rechtlichen Bestimmungen gehandelt wird?
Ja, das wird die Bundesregierung tun.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gilges.
Herr Staatssekretär, die Arbeitnehmerorganisation Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden fordert seit jeher, daß die Beschäftigung von Subunternehmen als Nachunternehmen nicht stattfinden soll, weil das Risiko nicht ausgeschlossen werden kann, daß Sozialversicherungsbeiträge und Steuerbeträge nicht gezahlt werden. Weshalb kommt die Bundesregierung als Auftraggeber nicht zu der Entscheidung, daß generell die Beschäftigung von Nachunternehmern bzw. von Subunternehmern bei Bundesbauten ausgeschlossen wird, um das Risiko überhaupt nicht eintreten zu lassen?
Herr Kollege, ich gebe Ihnen zu, daß sicher Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen bei Subunternehmern wesentlich zahlreicher sind als bei Hauptauftragnehmern. Auf der anderen Seite kann bei größeren Bauvorhaben wegen der besonderen Fachkenntnisse von kleineren Firmen auf deren Einschaltung oft nicht verzichtet werden. Wir sind nach den Auftragsbestimmungen verpflichtet, grundsätzlich dem preisgünstigsten Unternehmen den Auftrag zu erteilen, solange die Zuverlässigkeit außer Streit ist. Wenn dann im Rahmen und mit Zustimmung des Auftraggebers fachkundige, leistungsfähige kleinere Unternehmen eingeschaltet werden, ist das sicher nicht falsch, sondern im Interesse einer vernünftigen Abwicklung des Bauvorhabens unvermeidlich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, da die illegale Beschäftigung, wie Sie ja selber feststellen, kräftig zugenommen hat, frage sich Sie noch einmal: Wie lange wird sich denn die Bundesregierung noch Zeit nehmen, um ihre Vorschläge, diesen Sumpf auszutrocknen - Sie sprachen von dem Ausweis für die Sozialversicherung - , dem Hohen Hause vorzulegen?
Herr Kollege, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß gerade diese Bundesregierung mit drei gesetzlichen Vorstößen etwas unternommen hat, daß sie über die zusätzlichen 29 Bearbeitungsstellen bei 350 leistungsfähigen Mitarbeitern ihren Beitrag geleistet hat,
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damit wirksamer etwas unternommen wird. Und wir werden, wie angekündigt, in absehbarer Zeit den Sozialversicherungsausweis einführen.
Ich glaube nicht, daß Sie der Bundesregierung unterstellen können, sie täte in diesem Bereich nicht alles ihr Mögliche.
Haben Sie den Wunsch, noch eine Zusatzfrage zu stellen, Herr Abgeordneter Stiegler? - Dann sind Sie jetzt dran.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß eine wirksame Vertragsstrafenbewehrung der Verpflichtung zur Einhaltung der Verbote, illegale Leiharbeitnehmer oder andere illegal Beschäftigte einzusetzen, die auch an Subunternehmer weitergegeben werden müßte, wesentlich mehr Wirkung brächte als die rein öffentlich-rechtliche Verfolgung und wesentlich mehr Chancen dafür ergäbe, daß die Firmen schon aus eigenem Interesse heraus auf die Einhaltung der Verbote achteten, eben weil sie eventuell 10 % Konventionalstrafe befürchten müßten, was bei großen Bauvorhaben eine gewaltige Summe sein kann?
Herr Kollege, Firmen, die gegen gesetzliche und vertragliche Bestimmungen verstoßen, machen sich schadenersatzpflichtig. Diese Schadenersatzpflicht reicht im Zweifel wesentlich weiter als eine formal vereinbarte Vertragsstrafe reichen könnte. Außerdem gibt es wesentlich weiterreichende Strafbestimmungen. Das relativ schwache Instrument der Vertragsstrafe, insbesondere wenn Sie sich die sehr einschränkende Rechtsprechung dazu ansehen, ist sicher weniger in der Lage, wirksam durchzugreifen, als öffentlich-rechtliche Instrumente und die Möglichkeit, die Firmen über die Schadenersatzpflicht voll in Regreß zu nehmen.
Es liegen noch Meldungen für drei Zusatzfragen vor. Ich werde dann aber keine mehr zulassen. - Bitte, jetzt Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung ist in der letzten Zeit mit sehr massiven Äußerungen gegen die Schwarzarbeit zu Felde gezogen. Ich frage Sie: Ist die Bundesregierung bereit - diese Handlungen kommen der Wirtschaftskriminalität mindestens sehr nahe - , massiv auf die Verbände, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern Einfluß zu nehmen, damit diese Verbände gegen die Sünder unter ihren Mitgliedern vorgehen, um diese Misere endlich zu beenden?
Ich sagte schon: Die Bundesregierung wird alles ihr Mögliche tun. Und dazu gehört natürlich auch der Appell an alle Betrof-f enen,
({0})
im Interesse der Verbesserung der Beschäftigungssituation und der Bekämpfung von Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen alles zu tun, damit so etwas unterlassen wird.
({1})
Aber, wie gesagt, wir beschränken uns nicht auf Appelle, sondern wir haben gesetzgeberische und administrative Maßnahmen eingeleitet und werden durch die Einführung des Sozialversicherungsausweises dazu einen wesentlichen zusätzlichen Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, daß ich nur noch die Zusatzfragen der Abgeordneten Heyenn und Peter zulassen werde. Ich hatte es schon angekündigt. - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit vor kurzem ausgeführt hat, daß illegale Beschäftigung legale Arbeitsplätze vernichtet, die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten verhindert und zu erheblichem Schaden für die öffentliche Hand, Steuerausfällen in Höhe von 3 Milliarden DM, Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen, führt: Meinen Sie wirklich, daß Appelle, 29 zusätzliche Planstellen und der Sozialversicherungsausweis ausreichen, oder ist dies nicht - in diesem Fall ist nun einmal die Bundesregierung als Bauherr der Gelackmeierte - viel zu wenig, um dieser Entwicklung zu begegnen? Können Sie im übrigen noch mitteilen, welcher Strafrahmen für diese Handlung in Frage kommt?
Herr Kollege, ich sagte schon: Die Bundesregierung beschränkt sich nicht auf Appelle, sondern sie hat gehandelt, und sie wird weiter handeln und alles ihr Mögliche tun,
({0})
um die von Ihnen und auch vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit mit Recht angeprangerten illegalen Beschäftigungsverhältnisse auf das kleinstmögliche Maß zu reduzieren. Allerdings ist keine Bundesregierung in der Lage, Rechtsverstöße von vornherein unmöglich zu machen. Wir werden damit leben müssen, daß es Rechtsverstöße gibt, aber wir werden uns bemühen, sie auf das kleinstmögliche Maß zu reduzieren, und wir versprechen uns in der Tat, genauso wie die Gewerkschaften und die Bauindustrie es tun, von der Einführung des Sozialversicherungsausweises eine ganz erhebliche Durchschlagskraft.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter ({0}).
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß die Antwort auf die Frage nach dem zu erwartenden Strafmaß des Subunternehmers aussteht: Sind Sie mit mir der Meinung, daß in unserer Wirtschaftsordnung der einzige strategische Ansatz, illegale Beschäftigung zu verhindern, darin besteht, das Haftungsrisiko auf den beschäftigenden Arbeitgeber, auf die Entleiherfirma, zu verlagern?
Nein, es gibt neben den arbeitsvertraglichen auch hoheitsrechtliche Maßnahmen, und das sind die Möglichkeiten, die die Gewerbeaufsichtsämter und die Arbeitsämter haben. In diesem Rahmen ist ja eben auch dieses Problem auf der Baustelle des Bundesverkehrsministeriums aufgedeckt worden, und dieses Problem wird ja auch über die hoheitsrechtlichen Maßnahmen, die in diesem Falle das zuständige Land Nordrhein-Westfalen hat, in Angriff genommen. Wie gesagt, wir werden weiter in diesem Sinne die rechtlichen Maßnahmen verfeinern; ich beziehe mich auf das, was ich eben erklärt habe.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Frage 1 des Abgeordneten Hiller ({0}) zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 4 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen wird ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für Frage 5 des Abgeordneten Kohn zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Herrn Abgeordneten Bindig auf :
Hat die Bundesregierung die Absicht, die bisher gültigen Restriktionen zur Förderung von Investitionsvorhaben in Chile und Namibia im Rahmen der Arbeit der DEG zu verändern oder aufzuheben, und wie soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung bei Investitionsvorhaben der DEG in diesen Ländern künftig verfahren werden?
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage des Kollegen Bindig wie folgt: Für die eventuelle Förderung von Investitionsvorhaben in den von Ihnen genannten Ländern gelten die Satzung und die geschäftspolitischen Richtlinien der DEG. Für Chile liegen der DEG Anträge auf Mitfinanzierung von Investitionsvorhaben wegen des Investitionsklimas offenbar nicht vor. Sollten solche Anträge eingehen, werden sie von der Gesellschaft nach ihrem Beitrag zur Förderung der Zielgruppen und der wirtschaftlichen Entwicklung zu prüfen sein.
Die Bundesregierung hat im übrigen wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie die Zusammenarbeit nichtstaatlicher Organisationen mit geeigneten Partnern in Namibia als Beitrag zu größerer wirtschaftlicher Unabhängigkeit wichtiger Zielgruppen und zur Förderung einer friedlichen Entwicklung im südlichen Afrika ansieht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, wie erklärt sich denn die Bundesregierung, daß die Geschäftsführung der DEG bei Besprechungen mit Entwicklungspolitikern geäußert hat, daß sie damit rechnet, daß sie demnächst vom BMZ einen Brief erhalten wird, in dem eine Veränderung der Investitionspraxis und ihrer Verhaltensweise in Chile angekündigt wird?
Ich habe dafür keine Erklärung. Es bedarf einer solchen Änderung auch in keiner Weise.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, würde denn für Chile nicht der Grundsatz gelten, den der Deutsche Bundestag einvernehmlich festgestellt hat, nämlich daß in einem Land, in dem sich das Verhältnis der Regierenden zu den Regierten nach dem Grundsatz der Gewalt richtet, allenfalls Projekte gefördert werden könnten, die der notleidenden Bevölkerung zugute kommen, und daß deshalb wohl kaum geeignete Projekte gefunden werden können, bei denen sich die DEG in diesem Land engagieren kann?
Sie haben in der Tat genau unser Verhalten gegenüber Chile beschrieben, wo es nur Maßnahmen der Entwicklungshilfe gibt, die an der Situation der notleidenden Bevölkerung orientiert sind. Im übrigen steht die Frage eines Engagements der DEG nicht zur Debatte. Auch die Geschäftsführung rechnet nicht damit, daß in absehbarer Zeit Anträge eingehen werden.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Bindig auf:
Warum hat die Bundesregierung bisher keinen Gebrauch von der ihr vom Parlament eingeräumten Möglichkeit gemacht, auch anderen als den „am wenigsten entwickelten Ländern" Schulden nach Einzelprüfung zu erlassen, und bei welchen Ländern gedenkt sie demnächst von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen?
Frau Präsidentin, ich antworte wie folgt: Die Bundesregierung hat seit 1978 auf Antrag 24 am wenigsten entwickelten Ländern, also LLDCs, Tilgungen und Zinsen in Höhe von insgesamt 4,2 Milliarden DM erlassen. Das sind 52 % sämtlicher Zins- und Tilgungsverzichte aller OECD-Länder und sogar 61 % der Tilgungsverzichte für sich genommen. Von diesem deutschen Schuldenerlaß entfallen 2,8 Milliarden DM auf 20 Länder in SubSahara-Afrika.
Unser Schuldenerlaß für Mauretanien ist in Vorbereitung. Weitere fünf afrikanische Least Developed
Countries haben von uns von vornherein nur Zuschüsse erhalten.
Andererseits bestanden gegenüber diesen insgesamt 26 Least Developed Countries in Afrika nach der neuesten OECD-Statistik Ende 1985 immer noch Forderungen anderer OECD-Länder aus Entwicklungshilfekrediten in Höhe von rund 2,3 Milliarden Dollar. Die Bundesregierung appelliert deshalb zunächst an alle anderen Geberländer, unserem Beispiel zu folgen und den von den Vereinten Nationen als besonders hilfsbedürftig anerkannten Least Developed Countries die Entwicklungshilfeschulden zu erlassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen entgangen, daß das, was Sie hier dargelegt haben, was allerdings richtig und auch bekannt ist, nicht meine Frage betraf? Denn dort hatte ich nicht nach den ärmsten Ländern gefragt, sondern ich hatte nach den nichtärmsten Ländern gefragt und danach wie sich die Bundesregierung diesen gegenüber verhalten wird. Das haben Sie mit Ihren Ausführungen nicht beantwortet.
Herr Kollege Bindig, mit der Bitte um Entschuldigung darf ich Sie darauf hinweisen, daß im Moment die Zahl der Least Developed Countries - was sehr bedauerlich ist - wieder wächst, und zwar dadurch, daß Länder teilweise in diese Gruppe wieder eingestuft werden, wie Mauretanien, oder unmittelbar davorstehen - Birma und Sambia wären hier z. B. zu nennen - , so daß unsere Möglichkeiten, tatsächlich zunächst im Rahmen dieser hier beschriebenen Regelungen gefordert sind. Den übrigen Teil der Frage habe ich im Dezember letzten Jahres dem Kollegen Holtz beantwortet, nämlich daß ein über diesen Rahmen hinausgehender Erlaß nicht beabsichtigt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Sie wollen also nicht in eine Prüfung eintreten, ob es z. B. möglich ist, vielleicht auch Ländern, die sich besonders der Demokratie verpflichtet fühlen und nicht zu den ärmsten Entwicklungsländern gehören oder die ansonsten in besonderen Schwierigkeiten sind - ich denke einmal an Costa Rica, Ecuador, Peru oder die Dominikanische Republik - , einen Schuldenerlaß zu gewähren und von der ausdrücklichen Möglichkeit, welche Ihnen das Parlament eingeräumt hat, Gebrauch machen?
Herr Kollege Bindig, wir versuchen, die von Ihnen eben beschriebenen Kriterien z. B. im Rahmen des umfangreichen Geflechts von Umschuldungen anzuwenden, wie ja auch bei dem Schuldenerlaß jeweils der Einzelfall geprüft werden muß. Es ist also durchaus so, daß wir solche Kriterien bei der ganzen Fülle der Finanzbeziehungen mit einarbeiten, nicht nur bezogen auf die verengte Frage des Schuldenerlasses. Wir glauben aber, daß es richtig und zweckmäßig ist, daß sich die Bundesrepu894
blik hier im Rahmen internationaler Vereinbarungen bewegt.
Herr Abgeordneter Dr. Knabe hat eine Zusatzfrage, bitte.
Ich erlaube mir die Zusatzfrage, in welchem Umfange sich die erlassenen Schulden auf die Kontinente Afrika, Asien und Südamerika verteilen, und in dem Zusammenhang die Frage, wie weit Sie auch kriegführende Länder wie Irak und Iran oder bürgerkriegführende Länder wie Sri Lanka mit einschließen.
Herr Kollege Knabe, nach der geographischen Situation ist es so, daß die ärmsten Länder ihre Konzentration in Afrika haben. Deswegen ist dieser Schuldenerlaß ganz überwiegend eine Angelegenheit gegenüber afrikanischen Ländern. In Amerika gibt es nur ein entsprechend kategorisiertes Land, nämlich Haiti. Die Schulden Haitis sind erlassen.
Die Frage von Kriegs- oder Bürgerkriegssituationen hat in diesem Zusammenhang ganz einfach aus der gegebenen Tatsachenlage her nur in bezug auf Afghanistan und Äthiopien eine Rolle gespielt. In beiden Ländern ist deswegen ein Schuldenerlaß nicht erfolgt. Die Frage Iran/Irak und Sri Lanka stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Waffenschmidt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 9 des Abgeordneten Hedrich wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Wüppesahl auf. - Er ist nicht im Saal. Dann werden diese Frage wie auch die Frage 11 des Abgeordneten Wüppesahl nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Ebermann auf. - Er ist nicht im Saal. Dann werden diese Frage wie auch die Frage 13 des Abgeordneten Ebermann nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Inwiefern unterstellt die Bundesregierung den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich weigern, an der Volkszählung teilzunehmen, faschistische Gesinnung" ({0}), obwohl die Nichtteilnahme an der Volkszählung allenfalls eine Ordnungswidrigkeit darstellt und Kritik an der Volkszählung sich sehr wesentlich auch auf rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Argumente stützt?
Herr Kollege Schily, diese Frage beantworte ich wie folgt: Die kritischen Äußerungen des Bundeskanzlers bezogen sich auf die Agitatoren, die versuchen, die Emotionen der Bürger für ihre undemokratischen Zwecke zu mißbrauchen. Der
Bundeskanzler hat daher in der Veranstaltung am 12. Mai 1987 zu Recht auf die Parallelen zur Weimarer Republik hingewiesen.
Wer zum Boykott und zur Mißachtung der vom Parlament auf demokratischem Wege beschlossenen Gesetze aufruft, der untergräbt die Autorität des Staates. Ein derartiger Aufruf zum Gesetzesbruch ist ein zutiefst unverantwortlicher und schwerwiegender Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze unserer Verfassung. Es gibt keinerlei rechtsstaatliche oder verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diesen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Vorgang, gegen geltendes Recht Boykottaufrufe vorzunehmen, wie dies z. B. von den GRÜNEN geschehen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre soeben dargelegte Auffassung mit der Tatsache, daß beispielsweise Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma - wie Sie wissen, einer ethnischen Gruppe, die unter den Verfolgungsmaßnahmen der Nazi-Herrschaft besonders zu leiden hatte - , die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers über Volkszählungsgegner, mit denen der. Versuch gemacht worden ist, Volkszählungsgegner in die Nähe von Faschisten zu rücken, bedauert hat, und wie verträgt sich Ihre Auffassung vor allen Dingen auch mit der Tatsache, daß der Nazi-Terror - bedauerlicherweise - sozusagen legal an die Macht gekommen ist, also man auch diesen Gesichtspunkt vielleicht etwas reflektierter zu überdenken hätte?
Herr Kollege Schily, die von Ihnen wiedergegebene Äußerung des Sprechers der Sinti ist mir nicht bekannt. Ich unterstelle einmal, daß sie so gemacht worden ist. Ich möchte sie in diesem Zusammenhang nicht weiter bewerten, sondern dazu einfach folgendes sagen: Der Herr Bundeskanzler hat sich in der von Ihnen angesprochenen Veranstaltung kritisch geäußert. Er hat den Zusammenhang mit den Methoden hergestellt, die Sie auch angesprochen haben.
Ich bin der Auffassung, es ist ein zutiefst undemokratischer und rechtsstaatswidriger Versuch, unseren Staat lächerlich zu machen, herauszufordern, herabzuwürdigen, wenn man zum Boykott gegen die Durchführung eines verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes aufruft, dem mit Ausnahme einer Fraktion alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt haben und das als rechtsstaatlich und verfassungsrechtlich einwandfrei zu bewerten ist.
Faschisten haben sich immer dadurch ausgezeichnet, daß sie den Rechtsstaat, seine Institutionen und seine Gesetze lächerlich gemacht haben. Ich finde, die Mitglieder eines demokratisch gewählten Parlaments sollten sich eigentlich darin einig sein, daß es erforderlich ist, die Gesetze, die hier verabschiedet werden, offensiv zu verteidigen, und es nicht zugelassen werden kann, daß sie lächerlich gemacht und herabgewürdigt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, wir haben ja häufiger Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers auf dem Hintergrund seines Geschichtsstudiums hören dürfen. Wollen Sie denn alle Volkszählungsgegner, die sich ja gerade auch auf verfassungsrechtliche Bedenken stützen - denken Sie an den ehemaligen Vorsitzenden der Hamburger FDP, Professor Brunnstein - und diese Bedenken auch äußern, in eine Reihe mit Faschisten stellen?
Ich durfte schon darauf hinweisen, daß der Herr Bundeskanzler bei seinen Äußerungen die Drahtzieher und politischen Weichensteller angesprochen hat, die hier zum Boykott aufrufen, die gerade dazu ermutigen, die Initiative zu ergreifen, die sogar selbst im Parlament sitzen und dann Aufrufe gegen die rechtsstaatlich zustande gekommenen Gesetze machen. Das ist ein unerträglicher Tatbestand. Hier drängt sich die Parallele zu den Kräften auf, die in unserem Volk leider Gottes einmal sehr virulent waren, die auch das Parlament und die Gesetze lächerlich gemacht haben. Es ist ein schlimmer Tatbestand, daß man dies hier noch einmal so ansprechen muß.
Ich muß Ihnen sagen: Wenn Sie von der angeblichen Verfassungswidrigkeit und von Herrn Brunnstein sprechen, dann darf ich Ihnen als eine von vielen die Äußerung des langjährigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Benda, entgegenhalten, der eindeutig gesagt hat, daß dieses Gesetz, was ja nun alle Auflagen des Bundesverfassungsgerichts beachtet, durchaus verfassungskonform ist und daß es überhaupt keinen Anlaß gibt, hier Verfassungswidrigkeit anzunehmen.
Im übrigen, Herr Kollege Schily, Sie kennen ja die Dinge aus dem ersten Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht sehr genau. Wenn es hier überhaupt nur einen Schimmer an Aussicht auf Erfolg, erneut gegen das Gesetz vorzugehen, gegeben hätte, dann wäre man ja wahrscheinlich zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Daß man es nicht getan hat, spricht ja auch dafür, daß selbst die Kritiker wußten: Das Gesetz ist verfassungskonform.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Knabe.
Herr Staatssekretär, ich möchte mir die Frage erlauben, wie die Bundesregierung faschistische Gesinnung definiert. Die von Ihnen vorgegebenen Bezüge schienen mir sehr unvollkommen zu sein, sie scheinen mir nur einen winzigen Punkt des Problems Faschismus, den ich selbst erlebt habe, darzustellen. Deshalb würde mich schon interessieren, wie die Bundesregierung Faschismus - d. h. faschistische Gesinnung in ihrer Gesamtheit - sieht und wie sie das im Vergleich zu den vielen ungesühnten Verbrechen aus der Nazi-Zeit, mit den vielen nicht verfolgten Richtern und amtlichen Gesetzesbrechern, die Menschen in den Tod geschickt haben, bewertet.
Etwas kürzer, Herr Kollege!
Ja, gut, ich bin fast am Ende. - Ich möchte wissen, wie die Bundesregierung das im Zusammenhang mit der Auslöschung ganzer Gruppen von Menschen, ganzer Völker, ganzer Familien bewertet. Das kann ich so nicht zusammenbringen.
Herr Kollege, ich möchte hier sehr eindeutig sagen, daß das, was als Faschismus zu bezeichnen ist, eine Fülle von Greueltaten, unhaltbaren Verhaltensweisen und vieles andere mehr beinhaltet. Hier geht es aber um einen ganz besonderen Bereich.
Faschismus hat sich immer dadurch ausgezeichnet und zeichnet sich - wie übrigens auch andere totalitäre Gesinnungen - dadurch aus, daß versucht wird, frei gewählte demokratische Parlamente lächerlich zu machen, die Ergebnisse ihrer Verhandlungen und Beschlüsse herabzuwürdigen. Insoweit ist hier ein Vergleich gezogen worden.
Ich muß noch einmal sagen: In diesem Zusammenhang war ein Vergleich - so wie der Bundeskanzler ihn auch angestellt hat - durchaus möglich; denn wir haben alle miteinander festgestellt, daß das, was hier geschehen ist - ich meine die Boykottaufrufe -, durch nichts zu rechtfertigen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, wenn, wie Sie soeben selbst gesagt haben, die Vernichtung von Rassen zum Kern der faschistischen Ideologie und der faschistischen Praxis gehört: Finden Sie den Bezug auf die Verweigerung betreffend dieses Gesetz nicht selbst als leichtfertig, wenn Sie das in einen Zusammenhang mit Faschismus bringen?
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß sich Faschismus wie auch andere totalitäre Gesinnungen immer dadurch auszeichnen, daß sie demokratische Parlamente herabwürdigen. Hier ist die Parallele: Durch die Boykottaufrufe werden die demokratischen Parlamente, wird der Deutsche Bundestag herabgewürdigt. Dies dürfen wir nicht zulassen.
({0})
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine Definition von Faschismus gegeben, nach der alle Gesetzesverletzungen faschistisch sind.
({0})
Wie paßt dann die Haltung der Bundesregierung bezüglich dieser Einschätzung zum Vorgehen beim Bombenanschlag in Celle, dem sogenannten Celler Loch, und wie verträgt sich dies mit Ausführungen anderer Mitglieder der Bundesregierung zum Thema „ziviler Ungehorsam"?
Frau Kollegin Schmidt-Bott, was Sie mir unterstellt haben, habe ich nicht gesagt. Im übrigen geht es mir darum, daß hier noch einmal deutlich gemacht wurde, daß sich
gerade Faschisten dadurch auszeichnen, daß sie demokratisch gewählte Parlamente lächerlich machen. Die Boykottaufrufe, die leider gerade auch von Mitgliedern der Fraktionen der GRÜNEN unterstützt worden sind, stellen eine Herabwürdigung unseres demokratisch gewählten, freien Parlaments dar. Dies ist durch nichts gerechtfertigt und auch nicht hinzunehmen.
Zusatzfrage, Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Anarchistenspruch „Staat, hau ab! " bekannt? Sind Anarchisten jetzt auch Faschisten? Finden Sie nicht, daß da eine Begriffsverwirrung einsetzt, die der Demokratie nicht gerade förderlich ist?
Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, daß zu der Verhaltensweise, die man als Faschismus beschreibt, viele grauenvolle Elemente gehören, nicht allein das Element, das heute im Vordergrund unserer Diskussion steht, die Herabwürdigkeit des Parlaments. Damit ist Ihre Frage sicherlich ausreichend beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Wieso legt die Bundesregierung hier andere Bewertungsmaßstäbe an als beispielsweise bei der Beurteilung der Tatsache, daß vor allem CDU, CSU und FDP, aber auch die SPD über Jahrzehnte vorsätzlich und zielbewußt die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aus Artikel 21 des Grundgesetzes zur öffentlichen Rechenschaftslegung über Parteispenden sowie die Einhaltung der steuerrechtlichen und strafrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Parteispenden boykottiert haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schily, diese Frage möchte ich wie folgt beantworten: Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß den genannten Parteien ein solches Verhalten vorgeworfen werden kann. Die Bundesregierung weist die in der Frage zum Ausdruck gekommene Unterstellung mit allem Nachdruck zurück. Bei den steuerrechtlichen und strafrechtlichen Vorschriften herrschte über Jahre hinweg eine Rechtsunklarheit,
({0})
die erst durch die Novellierung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1983 endgültig beseitigt worden ist. Diese Neuregelungen sind vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1986 im wesentlichen bestätigt worden.
Jeder Vergleich der über Jahrzehnte hinweg herrschenden unklaren Rechtslage mit den rechtswidrigen Boykottaufrufen zur Volkszählung ist eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit. Die Rechtsgrundlage der Volkszählung ist eindeutig, unmißverständlich und datenschutzrechtlich einwandfrei.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
: Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Antwort, die auf den Art. 21 des Grundgesetzes bezeichnenderweise nicht eingeht, der in der Frage ja auch genannt ist, mit der Tatsache, daß nach eigenem Eingeständnis, unter anderem des Herrn Bundeskanzlers vor dem Flick-Untersuchungsausschuß, die in der Frage genannten Parteien über Jahrzehnte vorsätzlich und massiv das Verfassungsgebot aus Art. 21 zur öffentlichen Rechenschaftslegung verletzt haben? Ist die organisierte Verletzung dieses Art. 21 nicht ein Boykott der Verfassung? Da Sie faschistische Gesinnung darin sehen, daß man vorsätzlich und zielbewußt rechtliche Vorschriften mißachtet, ist dann in Ihrer Bewertung, Herr Staatssekretär, die Tatsache, daß über Jahrzehnte ein Verfassungsbruch stattgefunden hat, ebenfalls die Offenbarung faschistischer Gesinnung?
({0})
Wie begründen Sie die unterschiedlichen Maßstäbe, die Sie anlegen?
Herr Kollege Schily, dieser Bewertung, die Sie gerade mit vielen Worten versucht haben vorzunehmen, kann ich mich nicht anschließen. Sie hat auch keine Grundlage. Sie vergleichen hier völlig ungleiche Tatbestände und versuchen, mit untauglichen Mitteln eine Rechtfertigung zu den Boykottaufrufen gegen geltendes Recht herbeizuführen. Sie wollen auf diese Weise wohl Verfassungs- und Rechtsbruch entschuldigen und legitimieren. Ich kann dies nur bedauern.
({0})
Zweite Zusatzfrage, Herr Schily.
Herr Staatssekretär, ich muß Sie fragen, ob Sie - offenbar ist das so - nicht in der Lage sind, auf meine Frage zu antworten. Denn ich habe Ihnen ja vorgehalten, daß hier in Art. 21 GG eine klare Rechtsgrundlage zur öffentlichen Rechenschaftslegung vorliegt, und Sie haben mir nicht widersprochen und können mir nicht widersprechen, daß genau gegen diese Verfassungsnorm vorsätzlich, organisiert verstoßen worden ist,
({0})
also diese Verfassungsnorm - in Ihrer Ausdrucksweise - boykottiert worden ist.
({1})
- Aber, Herr Bohl, Sie wissen doch, daß das stimmt. Das haben Sie ja noch nicht einmal in Ihrem Bericht, in Ihrem beschönigenden Bericht bestritten.
({2})
Und Sie haben, da Sie auf die steuerrechtlichen Vorschriften eingegangen sind, vielleicht auch gelesen, daß der frühere Schatzmeister der SPD, Herr Halstenberg, vor dem Untersuchungsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags kürzlich sehr deutlich bekundet hat, daß die in der Frage angesprochenen Parteien der Meinung waren, daß steuerrechtliche Vorschriften im Bereich der Parteispenden für sie
nicht verbindlich sind. Wie vereinbart sich das mit Ihrer, wie ich das jetzt sagen möchte, nicht wahrheitsgemäßen Antwort, die Sie mir soeben gegeben haben?
Erstens. Ich weise gerade das, was in Ihrem letzten Satz steht, mit Entschiedenheit zurück, Herr Kollege Schily.
Zweitens wiederhole ich, daß ich mich der Bewertung, die Sie hier in langen Reden zu einem ganz anderen Rechtskomplex vornehmen, nicht anschließe.
Drittens sage ich noch einmal, daß es sich bei dem rechtswidrigen Boykott gegen die Volkszählung um einen verurteilenswerten Tatbestand handelt, der mit dem anderen Rechtskomplex und Fragenkomplex überhaupt nicht vergleichbar ist.
({0})
Ich bleibe bei dem, was ich auf Ihre Frage eingangs gesagt habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, daß Leute, die sich - aus welchen Gründen auch immer - zum Boykott der Volkszählung entschließen und dafür bei der anschließenden Bestrafung mit Namen und ihrem Vermögen einstehen, ein saubereres Verhältnis zum Geld und auch zum Recht haben als der hier soeben angesprochene Personenkreis?
({0})
Ich beantworte Ihre Frage mit einem kristallklaren Nein.
({0})
Ich rufe die Frage 16 der Frau Abgeordneten Schmidt-Bott auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der organisatorischen Trennung der Verwaltung vom Volkszählungsablauf, daß in der Gemeinde Friedrichskoog die Mahnschreiben der Gebäudevorerhebung vom Bürgermeister gefertigt wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Schmidt-Bott, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Nach Art. 83 und 84 GG führen die Länder das Volkszählungsgesetz als eigene Angelegenheit aus. Es ist daher nicht Sache der Bundesregierung, die örtlichen Verhältnisse der Städte und Gemeinden zu beurteilen. Dies gehört nach Verfassung und Recht nicht zu ihren Aufgaben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Die Antwort - das wird Sie nicht überraschen - befriedigt mich nicht, weil die Länder ja ein Bundesgesetz umsetzen.
({0})
Beantworten Sie mir bitte die Frage, ob in der nicht vorhandenen organisatorischen Trennung der Verwaltung vom Volkszählungsablauf - in der Frage ist ja nur ein Beispiel von zig Beispielen genannt - ein Verstoß gegen § 9 des Volkszählungsgesetzes zu sehen ist.
Frau Kollegin Schmidt-Bott, Sie können mich auch durch weitere Fragen nicht dazu bringen, die Verwaltungstätigkeit in den Ländern einer Kontrolle durch den Bundestag zu unterziehen. Wir haben klare Verfassungsgrundsätze. Wir haben das Volkszählungsgesetz hier im Deutschen Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates auf der Grundlage der Verfassung verabschiedet. Wir haben alle notwendigen Sicherheiten für Datenschutz eingebaut. Nach dem Grundgesetz wird ein solches Gesetz von den Ländern vollzogen. Wenn es irgendwelche Anstände gibt, die zu kontrollieren sind, dann sind dafür die Parlamente in den Ländern zuständig. Aber es gibt nicht die verfassungsrechtliche Situation, daß der Deutsche Bundestag die einzelnen Behörden der Länder einer parlamentarischen Kontrolle unterzieht. Ich verweise insofern auf die Aufgabenverteilung nach unserer Verfassung.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Frau Schmidt-Bott.
Es ging mir nicht um die Kontrolle, es geht mir um eine Bewertung der Bundesregierung
({0})
von Verstößen gegen ein Bundesgesetz, für deren Verfassungsmäßigkeit - sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Ausführung - sich die Bundesregierung mehrfach verbürgt hat und nachweislich -
Bitte, keine Kommentare. Sie halten hier alle sehr lange Reden, wofür ich großes Verständnis habe. Aber ich bitte doch, hier kurze Fragen zu stellen.
Ich darf insoweit noch einmal auf meine Antwort verweisen. Es ist nicht Sache der Bundesregierung, die örtlichen Verhältnisse der Städte und Gemeinden zu beurteilen.
Ich rufe die Frage 17 der Frau Abgeordneten Schmidt-Bott auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in HöhrGrenzhausen ({0}) Bestellungen zum Zähler vom Bürgermeister der Verbandsgemeinde gefertigt worden sind?
Auch hier handelt es sich, Frau Kollegin Schmidt-Bott, um eine Angelegenheit, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt und dort zu beantworten ist.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Frau Schmidt-Bott.
Ich frage Sie, ob Sie in dem in der Frage enthaltenen Tatbestand einen Verstoß gegen § 10 des Volkszählungsgesetzes sehen und wie Sie das bewerten.
Dieser Tatbestand - ich habe mich hier gerade noch einmal bei den Beamten rückversichert, die diesen Aufgabenbereich in besonderer Weise bearbeiten - ist uns nicht bekannt, und, Frau Kollegin Schmidt-Bott, Sie werden mir sicherlich recht geben, daß es nicht angehen kann, überhaupt in den verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereich der Länder hier einzugreifen. Schon gar nicht kann ich Dinge hier im Deutschen Bundestag beurteilen, die uns weder bekannt noch irgendwie zur Information gekommen sind.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Darf ich die Bundesregierung fragen, ob ihr das Volkszählungsgesetz bekannt ist?
Das Volkszählungsgesetz ist der Bundesregierung intensiv bekannt, weil sie es sehr gut ausgearbeitet und mit den parlamentarischen Gremien beraten hat und weil wir alles getan haben, um eine Volkszählung zu gewährleisten, die den Interessen der Bürger entspricht.
({0})
Ich darf in diesem Zusammenhang, Frau Schmidt-Bott, darauf verweisen, daß nach unseren heutigen Erkenntnissen die weit überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Volkszählungsgesetz nicht nur akzeptiert, sondern auch ausführt.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, wenn Sie die Frage der Frau Kollegin Schmidt-Bott so beantworten, daß die Beantwortung in den Zuständigkeitsbereich einer Landesregierung fällt, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Richtlinien dieses Hauses vorsehen, daß eine Frage gar nicht an die Bundesregierung weitergeleitet werden darf, wenn sie nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, sondern in einen anderen Zuständigkeitsbereich gehört, und wollen Sie damit sagen, daß das Parlamentssekretariat dieses Hauses Fragen an die Bundesregierung weiterleitet, die gar nicht an sie weitergeleitet werden dürfen?
Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung beantwortet die Fragen - oder versucht sie zu beantworten -, die ihr zugewiesen werden. Ich habe nicht die Arbeit des Parlamentssekretariats oder der zuständigen Stellen der
Verwaltung des Deutschen Bundestages zu beurteilen. Dies ist Aufgabe des Präsidenten oder seines Vertreters.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Huonker.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Zuweisung der Fragen an die Ressorts nicht durch den Deutschen Bundestag, sondern durch das Bundeskanzleramt erfolgt?
Dies kann ich Ihnen bestätigen. Hier ging es aber nicht um die Frage, welches Ressort das beantworten soll, sondern hier ging es um die Frage, ob überhaupt die Bundesregierung oder nicht eine Landesregierung zuständig ist. Über die Zulassung der Frage entscheidet das Bundeskanzleramt nicht.
({0})
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Häfner auf. Ist er im Saal? - Herr Häfner ist nicht im Saal. Seine Fragen 18 und 19 werden nicht beantwortet.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Hinsken wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Trifft es zu, daß Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg mit seinem Rücktritt für den Fall gedroht hat, daß steuerliche Erleichterungen für den Sport gewährt werden ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Nein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri.
Die Antwort ist „Nein"? - Herr Staatssekretär, wenn dies in der „Bild"-Zeitung vom 22. Mai 1987 eine Falschmeldung war, ist es dann so, daß der Herr Bundesfinanzminister vielleicht aus einem anderen Grund, wegen anderer Subventionsanforderungen, z. B. im Bereich Airbus oder Landwirtschaft, seinen Rücktritt angedroht hat?
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wenn dies nicht der Fall ist, dann möchte ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob die Bundesregierung jeglichen Vorschlag im Bereich der steuerlichen Erleichterungen für Sportvereine ablehnt, der zu Steuerausfällen führen wird.
Herr Kollege Dr. Spöri, Sie wissen, wir haben in der letzten Legislaturperiode, um wieder eine Linie in die Gemeinnützigkeit hineinzubringen, eine unabhängige Sachverständigenkommission eingesetzt, die den Auftrag hatte, bis zum Jahre 1987 ihr Gutachten zu erstellen. Wir hoffen, daß dieses Gutachten in wenigen Monaten vorliegt. Wir hoffen, dieses Gutachten dann so auswerten zu können, daß wir hier wirklich vernünftige Lösungen finden.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hämmerle.
Herr Staatssekretär, unabhängig von Ihrer soeben gegebenen Antwort frage ich Sie: Wann ist die Bundesregierung bereit, den 63 000 gemeinnützigen Sportvereinen, ihren ehrenamtlichen Helfern und den Sportorganisationen verbindlich zu erklären, ob und wann die von den Koalitionsfraktionen und dem Herrn Bundeskanzler wiederholt versprochenen Steuererleichterungen gewährt werden?
Frau Kollegin, wir hoffen, das Gutachten in wenigen Monaten zu haben. Dann werden wir es sofort auswerten und die gesetzgeberischen Schlußfolgerungen ziehen, verbunden mit Vorschlägen an den Deutschen Bundestag.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Becker-Inglau.
Herr Staatssekretär, für wann rechnet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang verbindlich mit den Ergebnissen und der Vorlage des Gutachtens, das die von ihr beim Bundesfinanzminister eingesetzte Kommission zur Überprüfung des gesamten Gemeinnützigkeitsrechts erstellen soll, und hält die Bundesregierung Befürchtungen aus dem Bereich des Sports für berechtigt, daß derartige Vorschläge auch eine Einschränkung der Gemeinnützigkeit für den Sport enthalten können?
Das ist eine unabhängige Kommission. Wir können dem nicht vorgreifen, was sie inhaltlich vorschlägt. Aber wir hoffen, die Ergebnisse in wenigen Monaten zu haben. Es wird hoffentlich nicht mehr bis zum Ende des Jahres dauern.
Keine weitere Zusatzfrage: Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, die bisherige Steuerbefreiung für Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge abzuschaffen ({0})?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Spöri, Ziel der von der Bundesregierung für 1990 geplanten Steuerreform ist eine größere Steuergerechtigkeit durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei wesentlich niedrigeren Steuersätzen. Im Rahmen dieser Reform sollen Steuervergünstigungen und steuerrechtliche Sonderregelungen auf gehoben oder zurückgeführt werden. Um dies sachgerecht tun zu können, müssen alle Steuervergünstigungen
und steuerrechtlichen Sonderregelungen überprüft werden.
Die Bundesregierung beabsichtigt, Entscheidungen über ihre Vorschläge zum Abbau von derartigen Vergünstigungen und Sonderregelungen im Herbst dieses Jahres zu treffen. Eine Aussage zu den von Ihnen angesprochenen Steuervergünstigungen ist mir deshalb im gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spöri.
Herr Staatssekretär, ist denn das Dokument, diese Streichliste der Koalition, auf die sich die „Bild"-Zeitung vom 22. Mai bezogen hat, als sie meldete, die Steuerbefreiung für Sonn-, Feiertags- und Nacharbeitszuschläge solle abgeschafft werden, eine Fälschung? Warum haben Sie das nicht dementiert?
Dr. Häfele Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Spöri, wenn wir alles dementieren wollten, hätten wir zuviel Arbeit. Jeden Tag lesen wir überall soviel Unsinn. Dann kämen wir nicht mehr zur sachlichen Arbeit. Wir ziehen schon die sachliche Arbeit vor.
Aber Sie wissen genauso wie ich, Herr Kollege Dr. Spöri: Jede Regierung ist verpflichtet - das hat auch, wie ich Ihnen gern zum richtigen Zeitpunkt nachweisen kann, unsere Vorgängerregierung getan; sie ist dazu verpflichtet gewesen, deshalb werfe ich es ihr gar nicht vor - , diese Listen anzufertigen, um alle Vergünstigungen und Subventionen durchzuprüfen. Das ist vor 1982 geschehen, und das müssen auch wir tun. Wir müssen ständig alles überprüfen. Das ist unsere Pflicht. Hier ist nicht mehr als das passiert, was unsere Vorgängerregierung getan hat.
Wenn Sie die Sacharbeit vorziehen, Herr Staatssekretär Häfele: Bewerten Sie dann die Aussage Ihres Kollegen Carstens, des haushaltspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der am 26. Mai in der Tagespresse ebenfalls die Forderung nach Aufhebung der Steuerbefreiung für Sonn-, Feiertags- und Nacharbeitszuschläge aufgestellt hat, als unwesentliche Spekulation, oder wie schätzen Sie diese Aussage ein?
Dr. Häfele Parl. Staatssekretär: Das ist eine Anregung eines Kollegen, der sich ernsthaft Gedanken darüber macht, wie man die Sonderregelungen durchforsten kann. Es ist übrigens eine Anregung, die - wie ich Ihnen zum richtigen Zeitpunkt nachweisen werde - auch aus Ihrer ehemaligen Regierung gekommen war.
({0})
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, treffen Vermutungen zu, daß Sie die Verkündung der Entscheidung über die Abschaffung von Steuerfreibeträgen auf den Herbst verlegt haben, weil Sie das gern nach dem 13. September tun wollen, da zu diesem Zeit900
punkt Landtagswahlen in Bremen und Schleswig-Holstein stattfinden?
Herr Kollege, zu jeder politischen Entscheidung gehört auch der richtige Zeitpunkt. Das wissen wir alle. Sie haben ja miterlebt - das ist kein Staatsgeheimnis - , daß es nicht ganz einfach war, uns auf die Leitlinien für die Steuerreform zu verständigen. Ich glaube, es war eine vernünftige Entscheidung, zu sagen: Jetzt haben wir genug geleistet, das andere machen wir dann im Herbst. Wenn wir den zweiten Akt genau so glücklich lösen, sind wir alle miteinander zufrieden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Staatssekretär, um Klarheit in diese Überlegungen hineinzubringen und Ihnen dazu Gelegenheit zu geben: Müssen die Arbeitnehmer, die diese Steuerbefreiung für Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge bisher in Anspruch nehmen konnten, damit rechnen, daß diese von der Bundesregierung abgeschafft werden?
Herr Kollege, Sie dürfen aus meiner Antwort überhaupt keine solche Schlußfolgerung ziehen. Es ist völlig klar, wir haben wie unsere Vorgängerregierung die Pflicht, alle Vergünstigungen zu überprüfen. Es sind hier keinerlei Entscheidungen getroffen, und wenn Entscheidungen getroffen werden, dann nur im Zusammenhang mit einer massiven Steuersenkung, so daß im Saldo natürlich eine Steuersenkung herauskommt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Ich ziehe zurück.
Sie ziehen zurück. Herr Abgeordneter Menzel, bitte.
Habe ich das Frage-und-Antwort-Spiel richtig verstanden, wenn ich Sie frage, ob es richtig ist, daß die Bundesregierung überprüft, ob die bisherige Steuerfreiheit für Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge entfallen soll, und ihre Entscheidung erst nach den Wahlen bekanntgeben will?
Nein, Herr Kollege. Die Antwort war ganz eindeutig. So wie die SPD-geführte Bundesregierung - zum richtigen Zeitpunkt werde ich der Öffentlichkeit bekanntgeben, wie das geschehen ist - haben wir alle Steuervergünstigungen überprüft und werden sie auch in den nächsten Monaten überprüfen. Aber es ist keinerlei politische Entscheidung getroffen. Ich werfe unserer Vorgängerregierung ja auch nicht vor, daß sie überprüft hat. Wenn man ihr einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, daß sie nicht mehr den Schneid hatte, steuerliche Vergünstigungen genügend abzubauen. Aber ich werfe ihr doch nicht vor, daß sie überprüft hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, welche steuerlichen Mehrleistungen den Arbeitnehmern zugemutet würden, wenn diese Steuerbefreiung der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge aufgehoben würde?
Herr Kollege, alle Steuerbürger, auch die Arbeitnehmer erhalten eine Steuerentlastung, wenn unsere Steuerreform 1990 in Kraft tritt, wie sie bisher noch nie vorgenommen wurde. Darum geht es.
Also, Sie wollen keine Antwort geben? Frau Präsident, ich habe eine klare Frage gestellt.
Doch, ich habe eine klare Antwort gegeben.
({0})
Es tut mir leid, ich kann mich da nicht einmischen. Ich habe nicht die Möglichkeit, hier zu intervenieren.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Poß auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, daß eine Streichung des Sonderausgaben-Pauschbetrags in Höhe von 270 DM jährlich zu nennenswerten Steuermehreinnahmen führen würde?
Herr Kollege Poß, eine Streichung des Sonderausgaben-Pauschbetrages nach § 10 c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes würde zu Steuermehreinnahmen in einer Größenordnung von rund 500 Millionen DM jährlich führen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, ich knüpfe an das Fragespiel zur vorhergehenden Frage an und frage Sie im Zusammenhang mit den einschlägigen Presseveröffentlichungen, ob Sie verbindlich erklären können, daß eine Streichung dieser sogenannten Atheistenpauschale nicht beabsichtigt ist.
Herr Kollege Poß, wenn man alle Steuervergünstigungen zu überprüfen verpflichtet ist, werden Sie weder ein Ja noch ein Nein zu irgendeiner Einzelvergünstigung von mir erhalten, weil das unverantwortlich und nicht pflichtgemäß wäre. Zum Überprüfen gehört, daß man am Schluß politische Entscheidungen trifft. Die wollen wir im Herbst dieses Jahres treffen.
Können Sie denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht mal sagen, welche Begründung es für diesen Sonderausgaben-Pauschbetrag gibt oder gab und ob diese Begründung nach Ansicht der Bundesregierung heute noch gilt?
Ich kenne keine Steuervergünstigung, wo die Begünstigten nicht eine Begründung dafür hätten. Die Frage ist nur, ob das Übermaß der Steuervergünstigungen nicht zu groß ist und ob es nicht besser ist, daß wir einen anderen Weg
gehen: die Sätze herunterzuführen und damit auf Steuervergünstigungen zu verzichten.
({0})
Das ist unbürokratisch und ganz einfach.
Ich weiß nicht, ob sich das Haus dafür interessiert, was der Atheistenpauschbetrag ist. Ich habe das noch nie gehört.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, da Sie ständig am überprüfen sind: Überprüfen Sie die Vorteile, die Sie den Höherverdienenden jetzt gewährt haben, dann auch wieder, oder wie ist das?
Dr. Häfele, Pari. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Behauptung kommen. Die unterdurchschnittlich Verdienenden werden überdurchschnittlich entlastet - nachweisbar. Das ist der Sinn dieses Steuerpakets.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Huonker auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die bisherige Grundsteuerbefreiung für zehn Jahre bei neu errichteten selbstgenutzten Einfamilienhäusern zu beseitigen ({0})?
Herr Kollege Huonker, Sie haben eine gleichgerichtete Frage wie der Kollege Dr. Spöri gestellt. Sie erlauben mir, daß ich eine gleichgerichtete Antwort gebe.
Ziel der von der Bundesregierung für 1990 geplanten Steuerreform ist eine größere Steuergerechtigkeit durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei wesentlich niedrigeren Steuersätzen. Im Rahmen dieser Reform sollen Steuervergünstigungen und steuerrechtliche Sonderregelungen aufgehoben oder zurückgeführt werden. Um dies sachgerecht tun zu können, müssen alle Steuervergünstigungen und steuerrechtlichen Sonderregelungen überprüft werden. Die Bundesregierung beabsichtigt, Entscheidungen über ihre Vorschläge zum Abbau von derartigen Vergünstigungen und Sonderregelungen im Herbst dieses Jahres zu treffen. Eine Aussage zu der von Ihnen angesprochenen Steuervergünstigung ist mir deshalb im gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie den Wahrheitsgehalt der „Bild"-Zeitung so qualifiziert haben, wie Sie das getan haben, frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, daß die Grundsteuerbefreiung nach wie vor und auch in Zukunft ein wichtiges ergänzendes Instrument einer Politik ist, die möglichst vielen Bürgern, insbesondere solchen mit kleineren Einkommen, zu Wohneigentum verhelfen will.
Daß es ein solches nützliches Instrument bisher war, sehen Sie ja daran, daß wir übereinstimmend der Meinung waren, daß das richtig war. Die Frage bei der Prüfung aller
Steuervergünstigungen ist eben: Was ist vorrangig? Diese Frage wird bei jeder einzelnen Vergünstigung zu prüfen sein.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch die durch die Grundsteuerbefreiungstatbestände bewirkten Steuerausfälle sind?
Bei der Grundsteuer ergibt sich - wenn ich das richtig sehe -, wenn alles zusammenkommt und es voll für alle gelten würde, etwa eine Milliarde DM.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, können Sie Ihre Ankündigung, die Entscheidung über die Abschafffung von Freibeträgen würde im Herbst getroffen, noch etwas präzisieren? Handelt es sich bei dem in Aussicht genommenen Termin um einen Termin vor oder nach dem 13. September 1987?
Der Herbst dauert nach dem Kalender, glaube ich, bis zum 21. Dezember 1987.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Reschke auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, daß bei einer Abschaffung der derzeitigen Grundsteuerbefreiung über zehn Jahre für neu errichtete selbstgenutzte Einfamilienhäuser auch eine Aufhebung für „Altfälle" möglich ist, bei denen die Zehnjahresfrist noch läuft?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Reschke, zu Überlegungen über die Behandlung der von Ihnen angesprochenen Altfälle bestünde nur dann Anlaß, wenn bereits im Grundsatz über einen Abbau der Grundsteuervergünstigung für neugeschaffenen Wohnraum ab 1990 entschieden wäre. Dies ist jedoch, wie ich eben auf die Frage des Herrn Kollegen Huonker geantwortet habe, nicht der Fall.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reschke.
Herr Staatssekretär, würde nach Auffassung der Bundesregierung das Vertrauen zwischen Bürgern und denjenigen, die in der Vergangenheit gebaut haben und jetzt ein öffentlich gefördertes Einfamilienhaus oder Mehrfamilienhaus bewohnen, gestört, wenn nachträglich die Streichung der zehnjährigen Grundsteuerbefreiung durch ein Sparkonzept der Regierung im Herbst vollzogen wird?
Es ist keinerlei Entscheidung getroffen. Deswegen haben wir uns wirklich auch keine Gedanken gemacht, wie sich das auf laufende Fälle auswirken würde.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung sonstige Maßnahmen speziell zur Einschränkung der Förderung der Errichtung von selbstgenutztem Wohneigentum, z. B. etwas an den Spekulationsfristen zu knabbern usw. sie zu verlängern oder ähnliche Dinge?
Wir haben im letzten Jahr durch die per Gesetz vorgenommene Verbesserung der Förderung des Baus oder des Kaufs von selbstgenutztem Wohneigentum einen deutlichen Akzent in Richtung mehr persönliches Wohneigentum gesetzt.
({0})
- Überhaupt nicht. - Die Verstärkung des Anreizes zur Schaffung selbstgenutzten Wohneigentums ist in diesem Gesetz eindeutig bekundet worden. Deshalb verstehe ich Ihre Frage nicht ganz.
Also keine Streichung, darf ich Ihrer Antwort entnehmen. Plant die Bundesregierung
- entschuldigen Sie, daß ich nachfrage - also in
Richtung Einschränkung der Förderung von selbstgenutztem Wohneigentum über steuerliche Ressourcen?
Ich sage noch einmal, was ich Ihren Kollegen schon gesagt habe. Sie können mich alles fragen, Sie werden bei jedem Einzelfall die gleiche Antwort bekommen. Es hat keinen Sinn, irgend etwas einzelnes herauszugreifen, wenn man verpflichtet ist, alle Steuervergünstigungen zu überprüfen. Ich antworte weder mit ja noch mit nein. Sonst können wir den Katalog abfragen und heute schon entscheiden. Wenn Sie an der Verantwortung mitwirken, wie man 19 Milliarden DM Steuervergünstigungen abbaut, können wir miteinander ins stille Kämmerlein gehen, Herr Kollege. Ich bin sehr bereit.
({0})
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen, wenn ich das richtig sehe. Die Fragen 26 und 27 des Herrn Abgeordneten Kastning, die Frage 28 der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier, die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Mertens ({0}), die Frage 31 des Abgeordneten Westphal sowie die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Wieczorek werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Huonker auf:
Trifft es zu, daß in einer „geheimen Streichliste" des Bundesministers der Finanzen eine Streichung des bisher steuerfreien Essenszuschusses ({1}) vorgesehen ist ({2})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Huonker, ich muß Ihnen auf Ihre Frage 29 die gleiche Antwort geben - wenn Sie wollen - , wie ich sie auf Ihre vorherige Frage gegeben habe. Wenn Sie mir es ersparen, lese ich sie gar nicht erst vor. Es ist genau dieselbe Antwort. Sie dürfen aber Zusatzfragen stellen.
Sie haben zwei Zusatzfragen, bitte.
Ich bin mit Ihrem Verfahrensvorschlag natürlich einverstanden, Herr Staatssekretär.
Können Sie uns sagen, wie hoch die Steuerausfälle durch diesen Subventionstatbestand sind?
Da bin ich jetzt im Gegensatz zu der Frage zur Grundsteuerbefreiung vorhin wirklich überfragt. Ich habe das nicht in den Unterlagen, aber ich lasse es Ihnen gern zukommen.
Zweite Zusatzfrage.
Gehen Sie davon aus, daß beim Streichen dieses Subventionstatbestandes eine zusätzliche Tarifbewegung notwendig würde?
Herr Kollege Huonker, über Einzelfragen jetzt zu diskutieren, ohne daß politische Entscheidungen gefallen sind, ist wirklich völlig unzweckmäßig. Ich bitte um Verständnis.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist es denn möglich, daß Sie uns, wenn es schon keine geheime Streichliste ist, die noch geheime Optionsliste der überprüften Subventionstatbestände geben, damit wir uns künftige Anfrageserien ersparen können, die Zahlen kennen und wissen, mit welchem Instrumentenkasten Sie hinterher operieren wollen, ohne daß Sie sich schon auf Einzelheiten festlegen?
Herr Kollege Stiegler, wenn Sie wollen, kommen Sie nachher zu mir. Dann zeige ich Ihnen die Liste der SPD-geführten Bundesregierung aus dem Jahre 1981. Daraus können Sie alles entnehmen.
({0})
- Da steht alles drin.
({1})
- Die Liste '81 dürfen Sie einsehen - streng geheim! Sie hat von der alten Regierung den Geheimhaltungsstempel gehabt.
({2})
- Das ist schwierig für mich.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das können wir hier nicht klären, aber vielleicht können Sie in einem weiteren Gespräch mit dem Herrn Staatssekretär eruieren, wie das weitergeht.
({0})
- Mit Gewalt ist da nichts zu machen.
Vizepräsident Frau Renger
Herr Dr. Spöri, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sich eben geweigert haben, Subventionsabbauforderungen, wie sie mein Kollege Huonker in seiner Frage angesprochen hat, zu kommentieren, ohne daß Entscheidungen der Bundesregierung gefallen sind, möchte ich an Sie die Frage richten: Finden Sie es aus der Sicht der bisherigen Erfahrung dieser Diskussion um einzelne Abbauvorschläge, an der sich natürlich auch Kollegen Ihrer Fraktion beteiligen, nicht falsch, daß Sie ein Steuerpaket beschlossen haben, ohne gleichzeitig die Finanzierung zu beschließen, weil diese Spekulation dazu führt, daß Verbraucher und Wirtschaft zunehmend verunsichert werden?
Herr Kollege Dr. Spöri, natürlich wäre es besser gewesen, wir hätten es zusammen in den Leitlinien beschließen können. Denken wir aber jetzt einmal an die Zeitvorstellung: Das Gesetz soll am 1. Januar 1990 in Kraft treten. Das sind noch dreieinhalb Jahre. Noch in diesem Jahr sollen die restlichen Entscheidungen fallen. Auch mir wäre es lieber gewesen, wir hätten es zusammen gemacht. Das sind aber nur Leitlinien der Regierung, das ist nicht das Gesetz. Das Gesetz wird eingebracht werden, wenn auch diese Entscheidungen gefallen sind. Es wird ein einheitliches Gesetz. Das können wir im nächsten Jahr hier in Ruhe beraten. Wir sind völlig in der Zeit. So frühzeitig ist nie ein Steuergesetz vorbereitet worden wie das zum 1. Januar 1990.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, anknüpfend an die Antwort, die Sie meinem Kollegen Stiegler gegeben haben: Können Sie denn bestätigen, daß die von Ihrer Regierung in Milliardenhöhe neu geschaffenen Subventionstatbestände nicht wiederzufinden sind in den Streichlisten der sozialliberalen Koalition, die Sie meinem Kollegen freundlicherweise angeboten haben?
Die alten Streichlisten sind Fundgruben genügend.
({0})
Ich rufe jetzt die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Oesinghaus auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Steuermehreinnahmen, die bei einer Abschaffung des halben Steuersatzes für die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, der nach Zeitungsberichten allein bei Herrn Dr. Flick zu einer Steuerersparnis von ca. einer Milliarde DM geführt hat, eintreten würde?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, eine Bezifferung der Steuermehreinnahmen, die bei Abschaffung des ermäßigten, d. h. halben Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften eintreten würden, ist nicht möglich. Denn Veräußerungsgewinne fallen in sehr unregelmäßiger Folge an; und außerdem kann das Verhalten der Steuerpflichtigen bei einer solchen Rechtsänderung nicht abgeschätzt werden, weil die Steuerpflichtigen natürlich reagieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oesinghaus.
Hält die Bundesregierung die derzeitige Rechtslage, wonach in den Fällen der Veräußerung von Anteilen der Gewinn einer Kapitalgesellschaft je nach Fallgestaltung sogar vollkommen steuerfrei bleiben kann, für befriedigend?
Auch das wird von uns überprüft.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wird die Bundesregierung Initiativen zu einer Änderung dieser Rechtslage vorlegen?
Im Zusammenhang mit der Gesamtprüfung aller Steuervergünstigungen wird auch dieser Punkt entschieden werden.
Zusatzfrage, Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, der Herr Flick hat sich ja bei der Inanspruchnahme des hälftigen Steuersatzes in diesem angesprochenen Fall auf einen Einkommensteuerparagraphen berufen können, der ursprünglich, wenn ich mich richtig entsinne, zurückzuführen ist auf das mittelstandspolitische Motiv, mittelständischen Gewerbetreibenden zu helfen, die ihren Gewerbebetrieb verkaufen, um ihre Alterssicherung sicherzustellen. Finden Sie nicht, daß das, was in der Praxis in diesem Fall zutage getreten ist, kontrovers zur ursprünglichen mittelstandspolitischen Zielsetzung ist, und ist die Bundesregierung bereit, unter dem Gesichtspunkt dieser Praxis diesen entsprechenden Paragraphen noch einmal zu überprüfen?
Ich habe schon gesagt, daß wir auch diesen Paragraphen überprüfen. Aber leider ist es natürlich die Erfahrung, daß es bei allen gutgemeinten Absichten, irgendwo etwas zu fördern, eine Steuervergünstigung zu gewähren, im Leben oft anders läuft, als es vom Gesetzgeber beabsichtigt war. Die Schlußfolgerung, die ich - hoffentlich mit Ihnen gemeinsam - daraus ziehe: Möglichst wenig Vergünstigungen. Herunter mit den Sätzen und möglichst wenig Vergünstigungen; dann passieren solche Überraschungen nicht - für den, der überrascht wird.
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 34 und 35 des Herrn Abgeordneten Börnsen ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:
904 Deutscher Bundestag - i 1. Wahlperiode Vizepräsident Frau Renger
Was hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren unternommen, uni die beruflichen Fortkommensmöglichkeiten der Zollbeamten im Grenzaufsichtsdienst ({1}) zu verbessern, und welche weiteren Maßnahmen wird sie im kommenden Haushaltsjahr ergreifen, um die Chancengleichheit der Beamten des Grenzaufsichtsdienstes an der Ostgrenze gegenüber anderen Beamten vergleichbarer Dienststellungen im Landes- und im Bundesdienst zu verbessern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung wird die Zollbeamten im Grenzaufsichtsdienst, die zum mittleren Dienst gehören, in ihren beruflichen Fortkommensmöglichkeiten nicht anders behandeln als andere Beamte des mittleren Dienstes.
Seit der Laufbahnordnung von 1974 mit der Schaffung neuer Beförderungsdienstposten hat sich die Lage der Beamten im Grenzaufsichtsdienst wesentlich verbessert. So hat sich der Anteil der Dienstposten der Besoldungsgruppen A 7 und höher, d. h. ab Zollobersekretär, von rund 20 v. H. auf rund 50 v. H. erhöht.
Zur Zeit wird die Dienstpostenbewertung für die Zollverwaltung überarbeitet. Hieraus werden sich auch im Grenzaufsichtsdienst zusätzliche Möglichkeiten der Beförderung zum Zollobersekretär ergeben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, können Sie einmal eine Übersicht anfertigen über kommunale Beamte oder Landesbeamte, die mit den Beamten im Grenzaufsichtsdienst vergleichbar sind, und können Sie mir eine Begründung dafür geben, wieso diese Beamten an der Grenze oft 15, 20 Jahre und länger auf eine Beförderung in diese bescheidenen Eingruppierungen warten müssen?
Natürlich können Sie jederzeit gerne jede Auskunft erhalten. Aber ich wiederhole: Alle Beamten des mittleren Dienstes auf Bundesebene werden gleich behandelt.
Aber es besteht eine Besonderheit. Wir wissen ja
- das ist der Ärgernispunkt - , daß an der Grenze sowohl die Zollbeamten eingesetzt sind als auch
- vielfach an der gleichen Arbeitsstelle - Beamte vom Grenzpolizeidienst. Das geht auf eine Regelung des Jahres 1976 zurück. Der Bund ist damals in Zugzwang geraten. Die Polizeibeamten auf Landesebene sind begünstigt worden, weil man sagte, bei der Polizei, bei der Sicherheit müsse man besonders etwas machen. Dann hat man die Bundespolizei, den Bundesgrenzschutz, wegen des Vergleichs mit der Landespolizei anpassen müssen. Dann stimmte es nicht mehr ganz zusammen. Auch hier ist das im Grunde eine ähnliche Rechtsfigur wie vorhin bei den steuerlichen Ausnahmen. Wenn irgendwo eine Ausnahme geschaffen wird, kommen gleich alle an und sagen: Auch wir möchten die Ausnahme haben. Aber im Bundesdienst gibt es diese Ausnahme wirklich nur bei der Polizei, eine Notwendigkeit wegen des Vergleichs mit den Landespolizeien.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich z. B. schon die Kinder dieser Beamten in den Schulen von anderen Kindern, z. B. solchen, die von Polizeibeamten abstammen, fragen lassen müssen, was denn ihre Väter ausgefressen hätten, weil die einen in der Laufbahn fortgeschritten sind, während die anderen noch zurückhängen, und ist denn noch zu erwarten, daß es noch dieses Jahr Stellenanhebungen im Grenzaufsichtsdienst, vor allem an der Ostgrenze, geben wird?
Herr Kollege Stiegler, ich habe Ihnen schon gesagt, daß weitere Verbesserungen in Arbeit sind.
({0})
- Es hat auch hier keinen Sinn, vorschnell etwas zu sagen. Wir arbeiten daran.
Es ist schon besser geworden, wie ich nachgewiesen habe. Daran hat auch unsere Vorgängerregierung, wie Sie wissen, mitgewirkt. Weitere Verbesserungen sind in Arbeit. Wir sehen das Problem. Aber es hat keinen Sinn, hier Wunder zu erwarten. Es besteht die Besonderheit beim Polizeidienst auf Landesebene. Und diese Besonderheit wird immer etwas bleiben.
Damit ist die Fragestunde beendet, meine Damen und Herren.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die noch ausstehenden Fragen werden in der Fragestunde morgen beantwortet werden, die um 14 Uhr beginnen wird.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜNEN hat zu der Antwort der Bundesregierung auf Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. i b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a der Richtlinien unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Ich rufe also auf: Aktuelle Stunde
Bewertung von Gesetzesverstößen im Zusammenhang mit der Volkszählung
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir haben heute in der Fragestunde die Tatsache erörtert, daß Vertreter der Bundesregierung eine Parallele zwischen Volkszählungsgegnern und Faschisten herzustellen versucht haben. Staatssekretär Waffenschmidt hat in seinen Antworten unter ausdrücklicher Einbeziehung von Angehörigen meiner Fraktion diesen Vorwurf wiederholt, daß Volkszählungsgegner in die Nähe von Faschisten zu rücken seien.
Ich muß Ihnen sagen, Herr Staatssekretär: Diese Äußerungen von Ihnen sind das Empörendste, das Beschämendste und das Unerträglichste, was ich je von der Regierungsbank gehört habe.
({0}): So was Aufgeblasenes habe ich lange
nicht gehört!)
Wer den Versuch unternimmt, grüne Parlamentarier in die Nähe der schlimmsten Verbrecher, dei schlimmsten Halunken in der deutschen Geschichte zu rücken, hat das Recht verwirkt, mit uns hier parlamentarisch überhaupt noch einen Dialog zu führen.
({1})
Sie haben zunächst die einfache Anstandsverpflichtung, diesen Vorwurf zurückzunehmen.
({2})
Herr Staatssekretär Waffenschmidt, wenn Sie der Meinung sind, die Tatsache, daß man Gesetze nicht einhält, offenbare bereits faschistische Gesinnung,
({3})
ist doch die Frage - und die haben Sie in Ihrer Antwort in keiner Weise geklärt -, wie Sie eigentlich das Verhältnis des Boykotts der Volkszählung, d. h. Begehung von Ordnungswidrigkeiten - das ist etwa auf dem Rang des Verstoßes gegen Parkverbote - , auf der einen Seite und andererseits des organisierten, systematischen, über Jahrzehnte betriebenen Verfassungsbruchs durch Nichteinhaltung des Art. 21 des Grundgesetzes, nämlich öffentliche Rechenschaftslegung hinsichtlich der Parteispenden, beurteilen.
({4})
Wie ist denn da eigentlich Ihre Einschätzung? Wenn das wirklich so ist, wie Sie behaupten, muß ich Ihnen etwas sagen. Ich folge Ihnen in dieser These ja nicht. Ich bin gar nicht dafür, daß wir uns jetzt sozusagen gegenseitig - ich habe das auch mehrfach bei Herrn Bundestagspräsidenten Jenninger angemahnt - als Faschisten beschimpfen. Ich sage Ihnen also: Für mich sind Sie keine Faschisten. Das ist für mich nicht das Problem. Wir sollten uns hier nicht in dieser Weise feindselig gegenübertreten.
({5})
Aber wenn Sie das in dieser Form tun, muß ich Ihnen genau das ins Stammbuch schreiben, und wenn Sie schon mit dieser merkwürdigen Geschichtsauffassung kommen - daß Ihre Historiker manchmal sehr danebengreifen, wissen wir ja seit dem Vergleich zwischen Gorbatschow und Goebbels und ähnlichen Vorgängen
({6})
muß ich Ihnen, wenn es schon um die Frage faschistischer Gesinnung geht, sagen: Es ist immer noch einer von Ihnen Ehrenvorsitzender der CDU in BadenWürttemberg, und wissen Sie, der hat faschistische Gesinnung nach meiner Überzeugung nicht durch
Gesetzesverstoß, sondern durch blinden Gesetzesgehorsam erfüllt, der Herr Filbinger!
({7})
Das ist faschistische Gesinnung! Schaffen Sie da erst einmal Ordnung in Ihren Reihen!
Denken Sie auch einmal daran zurück, wen alles Sie in Ihre Institutionen integriert haben, z. B. Herr Globke, der einen Kommentar zu den Rassegesetzen geschrieben hat.
({8})
Was war denn da mit faschistischer Gesinnung? Hat der Herr Globke faschistische Gesinnung gehabt, ja oder nein? Das ist doch die Frage, aber damit beschäftigen Sie sich überhaupt nicht.
Weil der Herr Bundeskanzler uns ja die Ehre gibt, kann ich ihn vielleicht daran erinnern, daß er vor dem Flick-Untersuchungsausschuß eindeutig zugegeben hat, daß über Jahrzehnte gegen Art. 21 des Grundgesetzes verstoßen worden ist.
Deshalb will ich in diesem Zusammenhang auch folgendes erwähnen. Wenn der Herr Bundeskanzler kürzlich vor dem Anwaltstag aufgetreten ist und Äußerungen ähnlicher Art wiederholt hat, dann hat er, finde ich, die Legitimation dazu nicht. Man kann darüber streiten, ob es richtig ist, gegen oder für die Volkszählung zu sein. Diese Diskussion müssen wir offen führen können.
({9})
- Darum geht es! Es geht hier um den miesen Versuch, Volkszählungsgegner zu diffamieren!
Nehmen Sie das ernst, was heute Romani Rose in einem Interview mit einer Tageszeitung gesagt hat. Er als ein Vertreter einer verfolgten Minderheit hat auch Besorgnisse gegen die Volkszählung artikuliert, und er verbittet es sich, in die Nähe von Faschisten gerückt zu werden. Er ist ja Vertreter einer ethnischen Gruppe, die mit am meisten unter den Verbrechen der Nazis zu leiden hatte.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da hier eine Äußerung von mir herangezogen wird, die in dieser Form nicht gefallen ist - aber ich will sie in einer wesentlich deutlicheren Form an Sie weitergeben - , will ich hier selber Stellung nehmen.
Zunächst einmal habe ich in Trier in einer Wahlversammlung nicht pauschal diejenigen, die die Volkszählung ablehnen, mit dem Faschismusvorwurf belegt.
({0})
- Entschuldigung, Sie müssen schon das annehmen, was ich hier sage.
({1})
Vielmehr habe ich einen Zusammenhang mit denen hergestellt, die zum Boykott der Volkszählung aufrufen, die das Prinzip der Mehrheit, das ein Handlungsprinzip dieser Republik ist, verneinen und die Gewalt gegen Sachen akzeptieren und einstweilen Gewalt gegen Personen noch leugnen.
({2})
Damit habe ich genau Sie, Herr Schily, und Freunde und Kollegen von Ihnen in der Führungscrew der GRÜNEN gemeint. Ich sage das, damit kein Zweifel daran aufkommt, wen ich gemeint habe.
Ich habe in diesen Jahren sehr aufmerksam verfolgt, was in diesem Hohen Hause passiert ist, seit Sie da sind. So viel menschenverachtende, Kollegialität verweigernde Grundhaltung, wie Sie sie in dieses Haus gebracht haben,
({3})
hat es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben!
({4})
Ich will Ihnen deutlich sagen, wie ich - und viele mit mir - es empfinde: Sie sind in dieses Haus eingezogen
({5})
- gewählt - mit Blumen und Girlanden, und Sie haben den Haß in dieses Haus getragen wie keine andere Gruppe vor Ihnen.
({6})
Das ist das erste.
Das zweite: Schon allein die Tatsache, daß es hier noch nie eine Gruppe gab, die sich im Anpöbeln des jeweiligen Redners so hervorgetan hat, wie die Gruppe der GRÜNEN es tut, ist ein weiterer Beweis für diese These.
({7})
Ich habe durch Jahre hindurch hier erlebt, wie Sie ganz bewußt und aus einer Gesinnung, die für jeden auch in ihrer geschichtlichen Herkunft erkennbar ist, Redner, die an das Pult treten und andere Meinungen vertreten, herabwürdigen. Das hat es in diesem Umfang in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.
({8})
Drittens. In diesen Tagen, in den letzten Monaten, in diesen Jahren - in zwei Jahren gilt das für die gesamte Bundesrepublik - feiern wir das Entstehen unserer Demokratie vor 40 Jahren; in einer Reihe von Bundesländern war das in den letzten Jahren; in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz war es in diesen Tagen. In der Erinnerung an diese Zeit vor 40 Jahren haben viele darauf hingewiesen, nach welchem Gesetz des Anfangs die Demokraten, Menschen guten Willens, damals antraten. In jenen Tagen waren zwei Dinge ganz selbstverständlich: erstens, daß Krieg und Gewalt niemals wieder ein Mittel deutscher Politik sein dürfen - dies gilt für die Außen-, dies gilt für die Sicherheitspolitik - , und zum zweiten, daß Gewalt im Innern unserer Republik niemals wieder geduldet werden darf.
Sie haben bis zum heutigen Tag Ihr Verhältnis zur Gewalt nicht erklärt. Maßgebliche Sprecher der GRÜNEN bejahen bis zum heutigen Tag Gewalt gegen Sachen.
({9})
Wer Gewalt gegen Sachen bejaht, stimmt zu, daß im Endergebnis, ob er es mag oder nicht, Gewalt gegen Personen möglich ist, und das ist faschistische Gesinnung.
({10})
Ich kann nur sagen: Ihre Position zu dieser Republik ist nicht die Position einer demokratischen Gruppe, die die Zukunft dieser Republik bejaht.
({11})
- Das entscheiden die Wähler, und die entscheiden richtig.
({12})
Und außerdem: Sie verweigern der Mehrheit das Recht,
({13})
Gesetze zu verabschieden und die Gesetzestreue des Bürgers einzufordern. Die Gesetzgebung über die Volkszählung ist rechtmäßig zustande gekommen. Bundestag und Bundesrat haben diese Gesetze verabschiedet. Das Bundesverfassungsgericht hat sie bestätigt.
({14})
- Schon allein der Hinweis beweist ja, daß Sie eben die Grundsätze und Spielregeln dieser Republik nicht mehr bejahen.
({15})
Darum geht es, ob Sie es wollen oder nicht.
({16})
- Herr Abgeordneter Schily, Sie sind der letzte, der hier über Legitimation zu sprechen hat. Ich kann Ihnen nur klar und deutlich sagen: Solange Sie Ihr Verhältnis zum Mehrheitsprinzip im Parlament, solange Sie Ihr Verhältnis zur Gewalt nicht geklärt haben,
({17})
werden meine politischen Freunde und ich immer wieder darauf hinweisen, daß solche Gesinnung faschistischen Ursprungs ist.
({18})
Wir werden alles tun, um die Wähler in diesem Land aufzuklären, daß Bonn nicht Weimar ist
({19})
und daß wir das Notwendige tun, damit jedermann im Land erkennt, daß hier die Gewaltanwendung unterstützt wird. Das ist nicht das innere Gesetz unserer Bundesrepublik Deutschland.
({20})
Meine Damen und Herren, darf ich um Ruhe bitten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist das eigentlich für ein Land, wo in einer Volkszählungsdebatte der Bundeskanzler Kritiker und teilweise auch Gegner der Volkszählung nur noch mit den Begriffen „faschistisch" und „faschistoid" belegt,
({0})
auf der anderen Seite Gegner der Volkszählung, eben auch in den Reihen der GRÜNEN, wie etwa die Frau Ditfurth, umgekehrt die Volkszählung als ein faschistisches Instrument bezeichnen und sich damit selbst hochschaukeln - ich sage einmal - wie wildgewordene Kleinbürger, die ihre tagespolitische Kritik überhöhen, indem sie sich bei einer so lächerlichen Frage den Widerstandsbegriff aneignen. Ich habe das schon einmal hier gesagt. Das geht nicht. Das müssen Sie sich in solch einem Zusammenhang sagen lassen.
({1})
Aber es ist ein unmöglicher Zustand, und es spricht nicht für die Souveränität einer Bundesregierung und eines Bundeskanzlers, wenn man auf diese in der Tat unqualifizierten und fast psychotischen Äußerungen, die teilweise bei den GRÜNEN gemacht werden, so reagiert. Ein souveräner, demokratisch gewählter Regierungschef muß auch bei Ablehnung einer
bestimmten politischen Gruppierung anders reagieren. So simpel kann man das nicht machen.
({2})
Ausländische Beobachter unserer Volkszählungsdebatte haben schon ein paarmal mit Unverständnis gesagt, sie glaubten, daß die Deutschen ein bißchen hysterisch seien, daß sie nicht in der Lage seien, die Volkszählungsdebatte - weder bei Kritik noch bei der Zustimmung - auf den sachlichen Kern zurückzuführen. Vielmehr werde diese Diskussion permanent überhöht, d. h. sie gipfele in der Frage, ob man für oder gegen diesen Staat sei. Das ist vielleicht das Absurdeste, was in einer Gesellschaft passieren kann.
({3})
Ich möchte Sie, Herr Schily, auch noch um eines bitten. Sie haben in Ihrer zweiten Frage die Verbindung zu den Vergehen im Zusammenhang mit der Parteispendenpraxis hergestellt. Das ist Ihr Recht. Aber es geht nicht - das hat vor einigen Wochen vor allem auch einer Ihrer Redner hier gemacht, nämlich Herr Ebermann - , daß man Verstöße gegen die Volkszählung mit Verstößen gegen Gesetze auf anderen Gebieten legitimiert.
({4})
- Ich unterstelle Ihnen das ja nicht. - Diese Gefahr liegt nahe. Herr Ebermann hat das hier wörtlich gesagt.
({5})
Unser Grundsatz als Sozialdemokraten ist, daß jegliche Verstöße, wo immer sie erfolgen, bekämpft werden müssen, wenn nötig, durch Verabschiedung entsprechender Gesetze.
({6})
Die falsche Parteispendenpolitik oder Verstöße von Parteien legitimieren nicht Verstöße gegen die Volkszählung. Es ist problematisch, das eine gegen das andere auszuspielen. Ich bitte, da sehr vorsichtig zu argumentieren.
Ich habe hier vor 14 Tagen gesagt: Die Bundesregierung ist aufgerufen, bei Verstößen gegen die Volkszählung eine noble und liberale Rechtshaltung zu bewahren. Genau das Gegenteil ist leider passiert.
({7})
Ich verstehe die Empörung der Regierungsparteien über die Äußerungen - auch wir sind darüber empört - , die es im Lager der GRÜNEN gibt. Darüber hat es ja auch bei den GRÜNEN selbst eine harte Diskussion gegeben. Es hätte Ihnen gut angestanden, Herr Schily, dazu auch ein paar Worte zu sagen.
({8})
Ich glaube, es ist schon erforderlich, den Zusammenhang des Hochschaukelns dieser Diskussion in unserer Gesellschaft darzustellen.
Wartenberg ({9})
Ich meine, daß die Art und Weise der Diskussion - und nicht die Volkszählung selber - in diesem Lande inzwischen einen Riesenschaden angerichtet hat.
({10})
Alle sind aufgerufen, diese Diskussion endlich wieder auf ihren Kern zurückzuführen.
Wenn der Bundeskanzler Äußerungen macht, die in Richtung einer Verdächtigung von Volkszählungsgegnern als Faschisten gehen, so bewerte ich das höher als die schlimmen Äußerungen, die eine wild gewordene Kleinbürgerin wie Frau Ditfurth gemacht hat. Es ist schlimm, was Frau Ditfurth gesagt hat. Bloß, es ist schlimmer, wenn der Bundeskanzler in die gleiche Kerbe haut.
({11})
Ich meine, in einem solchen Fall bedarf es der Souveränität. Wenn man auf der gleichen Ebene wie seine verrückt gewordenen Gegner argumentiert, liegt das nicht im Interesse dieses Staates, sondern dann ist das ein Ausdruck von Dummheit.
Wir Sozialdemokraten können das nicht akzeptieren und weisen das zurück.
({12})
Herr Abgeordneter Gerster, Sie haben jetzt das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es rentiert sich nicht, auf den Schlingerkurs des Kollegen Wartenberg zwischen GRÜNEN und den Befürwortern dieser Volkszählung innerhalb der SPD einzugehen.
({0})
Ich empfehle den Sozialdemokraten, einmal Ordnung in ihre eigenen Überlegungen zu bringen. Dieser Schlingerkurs wird auch in Zukunft mit Sicherheit von den Wählern belohnt werden. Sie können sich darauf verlassen.
({1})
Was beabsichtigen DIE GRÜNEN mit dieser Aktuellen Stunde? Herr Schily, Sie wollen von der Tatsache ablenken, daß Sie versucht haben, die Menschen - auch harmlose Menschen - in diesem Land zum Rechtsbruch aufzufordern, aufzuwiegeln. Damit haben Sie diese Menschen in Gefahr gebracht, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen und mit Bußgeldbescheiden belegt zu werden.
({2})
Sie wollten Menschen verführen und sehen jetzt, daß
die Masse der Deutschen Ihrer Verführung nicht auf
den Leim geht und die Volkszählung zu einem Erfolg wird. Sie versuchen deshalb, mit unqualifizierten Angriffen den Bundeskanzler in eine von Ihnen unwürdig begonnene Debatte zu ziehen.
({3})
Wenn Sie Vergleiche ziehen wollen, sollten Sie sich mit dem geschmacklosen Vergleich Ihrer Sprecherin Ditfurth auseinandersetzen,
({4})
die die Frechheit besaß, sinngemäß zu sagen, jetzt könnten alte Nazis wieder Juden ausforschen, obwohl Sie genau wissen, daß die Frage nach dem Bekenntnis - auch nach dem jüdischen Glauben - auf Wunsch der jüdischen Gemeinden in Deutschland in den Fragenkatalog aufgenommen worden ist.
Sie stellen sich hierher und versuchen, eine Volkszählung, die von einem demokratisch gewählten Parlament beschlossen und
({5})
vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde und die von Ihnen letzten Endes überhaupt nicht in Frage gestellt wird, denn sonst würden Sie in Karlsruhe klagen, ja, Sie unterstehen sich, diese Volkszählung, die auf Wunsch der Juden um die Frage nach dem Bekenntnis angereichert wurde, mit der Willkür und mit dem Terror von Nationalsozialisten gleichzustellen.
({6})
Ich sage Ihnen: Letzten Endes bedeutet Ihre Haltung, die Sie als gewichtiger und moralischer als die Mehrheitsentscheidung eines demokratisch gewählten Parlaments ansehen, daß Sie Ihre Meinung überhöhen,
({7})
daß Sie für Ihre Meinung letzten Endes Totalität beanspruchen:
({8})
die größere Wahrheit, die größere Rechtsstaatlichkeit. Deswegen ist ein Vergleich, der Sie mit Menschen früherer Zeiten in Verbindung bringt, die ebenfalls demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht gelten lassen wollten, genau angemessen.
({9})
Wenn Sie geltendes Recht in Frage stellen, müssen Sie sich fragen lassen:
({10})
Welches Recht soll denn gelten? Würden die demokratischen Gesetze nicht gelten, dann würde dies bedeuten, daß sich das alte Faustrecht der vordemokratischen Gesellschaft, nach dem sich der Stärkere gegenüber dem Schwächeren durchsetzt, letzten
Gerster ({11})
Endes wieder Geltung hätte. Das nenne ich undemokratisches Verhalten.
({12})
Weil Sie bei Wahlen keine Mehrheiten bekommen, stehen Sie nicht an, zu versuchen, demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht nur zu boykottieren, sondern auch die Durchsetzung des auf demokratischem Wege beschlossenen Gesetzes zu verhindern.
({13})
Sie verfolgen damit genau den Weg, den Horst Mahler - ich habe das in diesem Hause schon einmal gesagt - vorgezeichnet hat, als er in der berühmt-berüchtigten Schrift 1971 die Meinung vertrat,
({14})
daß als Mitkämpfer für den bewaffneten Kampf nur gewonnen werden könne, wer auch sonst aktiv gegen die Gesetze handele. Für Mahler war die Entwöhnung von Gehorsam gegenüber der bürgerlichen Rechtsordnung eine wesentliche Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen. Nach Mahler mußte der eingeschliffene Gehorsamsreflex durch wiederholte, bewußte und praktische Normverletzung überwunden werden.
({15})
Ihnen geht es weder um den Datenschutz noch um den Persönlichkeitsschutz noch um die Volkszählung, Ihnen geht es darum, die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates in Frage zu stellen.
({16})
Sie wollen, daß dieser demokratische Staat nicht in der Lage sein soll, die für richtig erkannten und von den Gerichten bestätigten Gesetze durchzuführen. Ich sage Ihnen:
({17})
Diesem Ihrem Versuch werden wir mit allen demokratischen Mitteln begegnen, und wir werden dafür sorgen, daß diese Ihre Methode keinen Erfolg hat.
({18})
Meine Damen und Herren, ich möchte denjenigen, die an der Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses teilnehmen wollen, mitteilen, daß die Sitzung erst um 16 Uhr beginnt.
Jetzt haben Sie das Wort, Herr Abgeordneter Peter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir hier im Moment erleben, ist Ergebnis des irrationalen Hochschaukelns durch
Fundamentalisten auf beiden Seiten um die Frage der Volkszählung.
({0})
Das Schlimme ist, daß der größte Teil derjenigen, die bisher geredet haben, bei dem, was Anlaß zu dieser Aktuellen Stunde war, also bei dem, was in der Fragestunde passiert ist, nicht anwesend waren. Ich muß als einer derjenigen, die anwesend waren, sagen: Der Parlamentarische Staatssekretär hat es sich durch fehlende Souveränität geleistet, die möglicherweise leichtfertige Äußerung des Bundeskanzlers, in der er Volkszählungsboykotteure mit Faschisten verglichen hat, durch hilflose Äußerungen noch schlimmer zu machen. Wenn die Bundesregierung zur Selbstbesinnung nicht in der Lage ist, dann habe ich tatsächlich Bedenken an der politischen und demokratischen Kultur in diesem Hause und in diesem Lande.
({1})
Worum ging es denn, Herr Staatssekretär Waffenschmidt? Es ging darum, daß Sie gesagt haben, der Boykott eines rechtsstaatlich zustandegekommenen Gesetzes ist mit dem Faschismus vergleichbar. Dann habe ich Sie gefragt, ob in Kenntnis der Tatsache, daß der Kern des Faschismus Unmenschlichkeit in Denken und Handeln darstellt und daß er mit dem Namen Auschwitz, mit der Vernichtung von Millionen Juden, mit dem Tod der Opfer des Zweiten Weltkrieges verbunden ist, ein solcher Vergleich nicht zumindest leichtfertig ist. Sie haben diese Brücke nicht beschritten. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede den Beleg dafür gegeben, daß der gelernte Historiker nicht in der Lage ist, mit Historie umzugehen.
({2})
Denn der Kern des Faschismus, Herr Bundeskanzler, ist Unmenschlichkeit als Programm.
({3})
Da gibt es dann auch noch Auseinandersetzungen um die Frage der Rechtsstaatlichkeit. Es kommt aber auf den Kern an.
({4})
Ich wundere mich nicht mehr, daß wir in der Bundesrepublik die Inflation der Vergleiche aus der Geschichte des Dritten Reiches erleben,
({5})
den Gorbatschow-Vergleich, den Vergleich der Haftbedingungen in der DDR mit KZs, jetzt dieser Vergleich, von Herrn Waffenschmidt regierungsamtlich gemacht, des Boykotts eines Gesetzes mit faschistischer Gesinnung, dann die Stammtischzitate von den „Juden, die sich immer melden, wenn die Kasse klingelt" - in diesem Haus gibt es ja auch Vertreter dieses Zitats - und schließlich die Historiker-Debatte, die das Ziel hat, „aus dem Schatten der Geschichte herauszutreten", wie es der Herr Ministerpräsident Bayerns sagte, der das Ziel hat, daß sich „die Deutschen wieder mit aufrechtem Gang bewegen können". Das ist der Kern dieser Debatte. Der Kern dieser
Peter ({6})
Debatte ist gar nicht die Volkszählung, sondern die politische und demokratische Kultur in diesem Lande.
({7})
Wir meinen, daß wir den Kampf des Gedächtnisses gegen das Vergessen weiterführen müssen,
({8})
daß einen die „Gnade der späten Geburt" nicht davon freispricht, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Ich appelliere an Sie, Herr Bundeskanzler: Nutzen Sie die günstige Stunde, damit die leichtfertigen Vergleiche nicht auf die Opfer im Innern und Äußeren, die Lebenden, die Hinterbliebenen von Dahingemordeten, so wirken, daß das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland Schaden leidet, weil einem Kanzler die Souveränität fehlt, sich auch einmal von leichtfertig gesprochenen Äußerungen zu distanzieren.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist eine der Debatten, an denen man am liebsten nicht teilnimmt. Ich frage mich, was die Bürger, die den Fragebogen zur Volkszählung ausgefüllt haben, eigentlich von uns halten, wenn sie diese Debatte hier verfolgen.
Ich halte es mit dem Bundestagspräsidenten, der appelliert hat, die Erinnerung an den Faschismus nicht zu einer kleinen Münze des Tagesgeschäftes zu machen.
({0})
- Ich freue mich, daß Sie so Beifall spenden. - Nur, Sie sind doch diejenigen, die das ununterbrochen, dauernd tun.
({1})
Die Frau Unruh stellte sich also im Wahlkampf im Dezember in Essen in einer Podiumsdiskussion hin und erklärte dort schlankweg: Wenn diese Regierung wiedergewählt wird, dann führt der Weg direkt in den Faschismus, in ein faschistisches System.
({2})
- Das haben Sie gesagt. - Sie stellen sich dauernd hin und reden von Widerstand. Herr Kollege Wartenberg hat Ihr ständiges Sichhinstellen als Widerstandskämpfer neulich in einer sehr eindrucksvollen Rede dargestellt. Haben Sie sich einmal überlegt, was das bedeutet, in welcher Weise Sie das Andenken an den Widerstand im Dritten Reich damit diffamieren
({3})
und wie Sie die demokratischen Fraktionen dieses Hauses in eine Reihe mit Diktatoren oder mit Faschisten drücken wollen?
({4})
Ich finde es eine Unverschämtheit und eine wirklich groteske Haltung, wenn Sie sich hier hinstellen und sich nun beklagen wollen. Ich bin nicht dafür, irgend jemanden mit dem Faschismus zu vergleichen. Aber das darf uns nicht daran hindern, der Katze die Schelle umzuhängen - und das in aller Deutlichkeit.
({5})
Und genau das muß geschehen. Sie stellen sich doch hin - und da hat der Bundeskanzler recht - und leugnen das Gewaltmonopol des Staates.
({6})
Sie, Herr Schily, nicht, aber was ist mit Ihrer Fraktion? Ist es nicht so, daß Sie die Verbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen ablehnen, daß Sie sie leugnen, daß Sie sich als die wahren, einzigen Erkenner der Heilslehre hinstellen,
({7})
die das Recht der Minderheit propagieren wollen, indem Sie sagen: Wenn wir hier keine Mehrheit finden, dann suchen wir sie uns auf der Straße?
({8})
Ist nicht das in Wahrheit Ihre politische Argumentation?
({9})
Und diese Argumentation - das sollte Sie zum Nachdenken bringen - ist faschistoid. Das ist die Wahrheit, das ist so!
({10})
Sie sollten vor der Erkenntnis, auf welchen Weg Sie sich begeben haben, erschrecken und sich davor hüten.
({11})
- Das Dollste, lieber Herr Schily, ist doch, daß Sie und andere sich hinstellen und sagen, das alles sei doch nur eine Ordnungswidrigkeit. Ist Ihnen denn eigentlich klargeworden, daß ein Unterschied zwischen den Menschen, die Sie dazu verführen, sich an irgendwelchen Boykotthandlungen zu beteiligen
({12})
- nicht Sie, Herr Schily, aber Ihre Kollegen - , und denen besteht, die sich hinstellen und andere Menschen auffordern, demokratisch beschlossene Gesetze zu mißachten? Ist das auch nur eine OrdnungswidrigDr. Hirsch
keit, wenn Sie sich gegen politische Grundprinzipien unserer Verfassung wehren?
({13})
Sind Sie nur in der Lage, in strafrechtlichen Kategorien zu denken?
({14})
Begreifen Sie nicht, daß es ein existentieller Unterschied ist, ob Sie eine - ({15})
- Frau Präsidentin, vielleicht ist es denkbar, zu erreichen, daß sich der Abgeordnete Schily an die Geschäftsordnung hält und dann redet, wenn er dran ist.
({16})
Bisher haben Sie nicht zugehört, sondern geredet. Vielleicht sind Sie der einzige Mensch, der gleichzeitig einatmen und reden, gleichzeitig hören und reden kann. ({17})
Sie dürfen nicht nur in strafrechtlichen Kategorien denken. Da ist der Unterschied. In der Tat haben wir aus guten Gründen gesagt, daß der Boykott, daß die Nichtbefolgung der Antwortpflicht, eine Ordnungswidrigkeit sein soll. Wollen Sie, daß es ein Vergehen ist?
({18})
- Eben. - Aber es besteht ein politischer Unterschied zwischen denen, die meinen, sie könnten den Fragebogen aus Angst, aus Furcht, aus falscher Unterrichtung nicht ausfüllen, und denen, die sich hinstellen und mit falschen Argumenten agitieren, die sagen: „Nur Schafe lassen sich zählen", „Volkszähler sind dumme Schweine" und was alles gesagt worden ist. Natürlich, Sie sind es, die diffamiert haben, die angefangen haben zu diffamieren. Und wer Wind sät, erntet Sturm. Das ist die schlichte Mechanik, über die Sie sich nun auf einmal beklagen.
({19})
Meine Damen und Herren, ich glaube, etwas mehr Gelassenheit auf allen Seiten täte uns gut. Ich bin froh, daß die Volkszählung einen vernünftigen Verlauf nimmt. Ich bin sicher, daß sich die Bürger auch durch solche Attitüden nicht davon abbringen lassen werden, ihre Pflicht zu tun.
({20})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schily, Ihre Vorwürfe, auch gegenüber dem, was ich in der Fragestunde gesagt habe, sind völlig unberechtigt, unbegründet,
({0}) und ich weise sie mit allem Nachdruck zurück.
({1})
Ich möchte Ihnen hier noch einmal deutlich sagen, daß ich, nachdem Sie den Begriff des Faschismus hier eingeführt haben, gesagt habe, daß diese Geisteshaltung viele Greueltaten und böse Elemente umfaßt; und daß es aber geradezu ein Kennzeichen faschistoider Haltung und auch der Haltung anderer Gewaltherrschaften immer war, daß sie demokratische Parlamente herabgesetzt haben und demokratische Entscheidungen nicht anerkennen wollten. Darum ging es, und darum geht es auch heute hier.
({2}) Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Wir weisen heute einmal mehr Ihre Aufrufe zum Rechtsbruch, Ihre Aufrufe zum Verfassungsbruch mit allem Nachdruck zurück.
({3})
Es ist blamabel, daß Mitglieder des Deutschen Bundestages Bürgerinnen und Bürger aufrufen, geltendes Recht zu verletzen, gegen demokratisch zustande gekommene Gesetze anzugehen. Mit Ihrer Haltung schaden Sie nicht nur dem wichtigen Ziel der Volkszählung.
({4})
Sie schädigen und zerstören mit einer solchen Gesinnung den Rechtsstaat, und das lehnen wir ab, und dagegen wenden wir uns.
({5})
- Sie können sich doch gleich melden.
({6})
- Herr Kollege, ich will Ihnen das gerade deutlich machen. Wer die Menschen zu Widerstand gegen demokratisch zustande gekommene Gesetze aufruft, der vergeht sich gegen die Rechtsordnung des Grundgesetzes; denn nach unserem Grundgesetz gibt es nur ein Widerstandsrecht; nämlich dagegen, daß einer die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen will. Andere Widerstandsrechte gibt es nicht. Wer so etwas behauptet, redet gegen die Verfassung und ihren Geist und begeht auch Verfassungsbruch.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dem Zusammenhang ein Weiteres sagen. - Herr Kollege Schily, Ihre Zurufe weisen darauf hin, wie unsicher Sie sind: Sie können niemanden ausreden lassen, Sie machen nur Zwischenrufe, Sie machen hier nur Unruhe.
({8})
Sie sollten wenigstens die Fairneß gegenüber den Kollegen haben, daß Sie nur dann reden, wenn Sie das Wort haben, und den anderen sonst zuhören. Weil Sie aber nicht zuhören, machen Sie auch unnötigerweise Aktuelle Stunden als vorerst letzten untauglichen Versuch, sich gegen die Volkszählung zu wenden. Es wird wieder ein untauglicher Versuch sein. Aber Sie wollen gar nicht gegen die Volkszählung vorgehen, Sie wollen ja den Staat herausfordern, und Sie wollen gegen diese freiheitlichen Beschlüsse in diesem Parlament vorgehen,
({9})
und dagegen wehren wir uns mit der Mehrheit dieses Hauses.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch zwei weitere Dinge sagen. Herr Schily, Sie und Ihre Kollegen haben in Ihren Ausführungen immer wieder von dem notwendigen Angehen gegen die Volkszählung gesprochen. Eine Reihe hat vom zivilen Ungehorsam gesprochen; Sie haben von Widerstandsrechten gesprochen. Ich sage hier gerade auch in der heutigen Debatte: Wer das Wort „Widerstandsrecht" im Zusammenhang des Streitens gegen legale Gesetze in den Mund nimmt, der setzt die Widerstandskämpfer gegen den Faschismus herab,
({10})
und wir lassen nicht zu, das Widerstandsrecht in dieser Weise zu mißbrauchen; denn wer so handelt,
({11})
der verhöhnt im Grunde die, die gegen den Faschismus gekämpft haben, und das lassen wir nicht zu.
({12})
Lassen Sie mich noch einmal das aufnehmen, was der Bundeskanzler Ihnen hier ins Stammbuch geschrieben hat, Herr Schily, Ihnen und Ihren Mitstreitern, die Sie sich hier gegen die Gesetze wenden. Das Schlimme ist ja, daß Sie Mehrheitsentscheidungen nicht anerkennen wollen, weil Sie für sich eine absolute Wahrheit in Anspruch nehmen wollen,
({13})
daß Sie zweitens die Verfahrensspielregeln unseres freiheitlichen Rechtsstaates außer Kraft setzen wollen - Sie wollen das, was mit Mehrheit zustandegekommen ist, nicht anerkennen - , und das Schlimmste ist, daß Sie Ihr Verhältnis zur Gewalt immer noch nicht geklärt haben.
({14})
Sie haben Ihr Verhältnis zur Gewalt nicht geklärt,
und solange Sie sich mit Ihren Mitstreitern hier im
Unklaren halten, solange Sie Gewalt gegen Sachen tolerieren,
({15})
andere Gewaltanwendung in Kauf nehmen, versündigen Sie sich gegen die Grundsätze unserer freiheitlichen Demokratie
({16}) und haben jedes Recht verwirkt,
({17})
hier Demokraten zu beschimpfen und herabzusetzen.
({18})
- Ich nehme das Recht für mich in Anspruch, in freiheitlicher, demokratischer Form in diesem Parlament zu diskutieren. Wenn Sie einmal zuhören würden, Herr Schily, würden Sie zugeben müssen, daß die ganze künstliche Aufregung, die Sie hier heute nachmittag auch wieder untauglicherweise zu erzeugen versucht haben, völlig unbegründet ist.
Lassen Sie mich zwei abschließende Bemerkungen machen. Erstens. Ich möchte gern von dieser Stelle aus all denen danken, die sich dem wichtigen Aufgabenbereich der Volkszählung in den letzten Tagen so erfolgreich zugewandt haben.
({19})
Ich danke ausdrücklich den rund 500 000 ehrenamtlich tätigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die für das Gesetz eintreten, das Sie bekämpfen. Wir danken denen, die sich so für die Bürger einsetzen.
({20})
Zweitens. Wir danken auch den Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die die Fragen, die für die Zukunft unseres Landes wichtig sind, bereits beantwortet haben. Wir danken ihnen, daß sie sich durch Ihre irreführenden und irritierenden rechtsstaatsfeindlichen Äußerungen nicht haben irritieren lassen. Das hat einmal mehr gezeigt, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande wohl zu unterscheiden wissen zwischen dem, was im Sinne freiheitlicher Ordnung zu tun ist, und dem, was gegen die freiheitliche Ordnung auch aus Anlaß dieser Ihrer Kampagnen vorgebracht worden ist.
({21})
Wir haben hier in den letzten Monaten mehrfach in Aktuellen Stunden zu dieser Thematik reden müssen. Aber ich sage noch einmal: Das Beschämende, meine Kollegen von den GRÜNEN, ist dies,
({22})
daß es Ihnen im Grunde gar nicht um die Volkszählung geht, sondern daß Sie diesen Staat treffen wollen. Aber ich sage Ihnen gerade als einer, der auch noch die Grauen der faschistischen Diktatur erlebt hat: Wir werden diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat mit allen Mitteln gegen die verteidigen, die den
Rechtsstaat aushöhlen, die sich gegen den Rechtsstaat wenden mit ihren Machenschaften gegen demokratische Gesetze.
({23})
Gegen Ihren Rechtsbruch, gegen Ihren Verfassungsbruch werden wir uns einsetzen, damit die Beschlüsse dieses Hauses respektiert werden.
({24})
- Mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, mit allen politischen Mitteln werden wir uns gegen diejenigen einsetzen, die diesen Rechtsstaat herausfordern, die diesen Rechtsstaat herabsetzen.
Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Dieses Gesetz, das Sie bekämpfen, wird zu einem guten Ende ausgeführt, und dieses Gesetz wird zum Nutzen aller Bürger auch zum vollen Erfolg für diesen Staat durchgeführt werden, trotz Ihrer rechtswidrigen Widerstandshandlungen, die Sie hier vorgenommen haben.
Ich danke Ihnen.
({25})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ganseforth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte wieder zurückkommen auf den Anlaß der Diskussion und auf die Fragestunde. Herr Staatssekretär Waffenschmidt hat soeben von „allen Mitteln" gesprochen. Nachher hat er es eingeschränkt auf alle demokratischen politischen Mittel.
({0})
Ich möchte auf die Fragestunde zurückkommen, in der das „Celler Loch" angesprochen wurde. Als Niedersächsin reizt es mich geradezu, danach zu fragen, ob das auch die Mittel sind, mit denen der Rechtsstaat verteidigt werden soll.
({1})
Damit sind wir wieder bei der Fragestunde, die vorhin stattgefunden hat. Anlaß war die zitierte Äußerung von Bundeskanzler Kohl über die faschistische Gesinnung. Als er vorhin kam und selber zu dem Thema Stellung nahm, hatte ich gehofft, daß er diese Äußerung zurücknehmen oder geraderücken würde. Ich bin aber ziemlich entsetzt, daß er im Grunde alles so wiederholt hat,
({2})
mit anderen Nuancen, daß er aber nicht bereit war, auch nur ein Wort von dem Schlimmen, was da geäußert worden ist und einen völlig falschen und schiefen Vergleich darstellt, zurückzunehmen.
({3})
Ich frage mich, ob er nicht weiß, wovon er redet, oder ob es Absicht ist, daß er diese Vergleiche zieht. Ich finde, daß diejenigen, die Probleme mit der Volkszählung haben, ernstgenommen werden müssen. Man muß fragen, wo die Widerstände stecken, wo die Bedenken liegen. Mit diesen Argumenten muß man sich sachlich auseinandersetzen.
({4})
Die Fragestunde heute war ein Beispiel dafür, wie emotional man damit umgehen kann. Das ist es, was wir der Regierung vorwerfen: Sie bringt die Volkszählung dadurch in Mißkredit, daß sie so emotional reagiert, wie es Staatssekretär Waffenschmidt vorhin getan hat.
({5})
Im Grunde war eine solche Auseinandersetzung mit den Fragen ein Armutszeugnis. Die Kritiker haben eine sachlichere Behandlung verdient.
Ich denke, wenn wir die Volkszählung zum Erfolg führen wollen - und das wollen wir - , dann müssen wir um Vertrauen werben, dann müssen wir sachlich argumentieren und dürfen nicht so emotional argumentieren.
({6})
Was wir hier in der Debatte soeben erlebt haben, war eine Ablenkung von dem eigentlichen Thema, von dem Thema, ob man diesen Ausdruck „Faschismus" für diejenigen verwenden kann, die mit der Volkszählung Probleme haben oder sagen, daß sie Sorgen und Schwierigkeiten haben,
({7})
die Bögen auszufüllen. Und die Diskussion - ({8})
- Es ging nicht um die Aufwiegler,
({9})
sondern es ging um alle, die damit zu tun haben. Der Ausdruck „Faschismus" ist auch für die Aufwiegler viel zu hoch gegriffen und führt zu einer Inflation, die wir hier in diesem Hause nicht dulden dürfen.
({10})
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, daß ich das Ganze beschämend finde, wo wir doch so viele gravierende Probleme haben, die diese Regierung zu lösen hat. Sie sollte sich vielleicht auf andere Themen wie z. B. auf das der Arbeitslosigkeit oder der Bekämpfung der Zerstörung der Umwelt mit diesem Engagement und diesen Emotionen stürzen statt auf solche Nebenkriegsschauplätze.
Schönen Dank.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ganseforth, Sie haben gesagt, wir müßten für die Volkszählung um Vertrauen werben. Ich glaube, daß es gut wäre, wenn die Sozialdemokraten nicht nur ein formales Bekenntnis ablegen, sondern endlich auch aufhören würden, den GRÜNEN die Argumente für ihre Gegnerschaft zu liefern.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei dem Bundeskanzler, daß er klargestellt hat, daß er die Gegner der Volkszählung nicht als Faschisten bezeichnet hat. Aber ich halte es auch für richtig, daß er auf eine parallele Gefährdung der Demokratie damals und heute hingewiesen hat. Sie haben dazwischengerufen, Herr Schily - und andere von Ihnen - : „Parteifinanzierung", „Celler Loch"; „Straßenverkehr" haben sie sogar gerufen.
({1})
Meine Damen und Herren, niemand behauptet doch, daß wir unfehlbar sind. Niemand sagt, daß wir immer das Glück haben, Recht und Gesetz richtig zu interpretieren und korrekt einzuhalten. Niemand von uns nimmt heute für sich in Anspruch,
({2})
daß diese Praktiken, die wir alle gemeinsam - die traditionellen demokratischen Parteien - bei der Parteienfinanzierung zu verantworten haben, in Ordnung gewesen sind. Im Gegenteil, wir haben eingesehen, daß da manches nicht in Ordnung war. Wir haben das korrigiert und uns dazu bekannt.
({3})
Aber der Unterschied zu Ihnen ist doch der: Wir korrigieren uns, wir versuchen, Fehler aus der Welt zu bringen. Sie aber stellen sich hier hin an das Pult des Deutschen Bundestages, wissend, daß etwas, was Sie fordern und wozu Sie aufrufen, ganz klar gegen Recht und Gesetz verstößt, und Sie fordern das deutsche Volk auf, sich an Ihrem Aufruf zum Rechtsbruch zu orientieren. Sie fordern bewußt zum Bruch von Recht und Gesetz auf - das ist der Unterschied - , und das macht Sie für unseren demokratischen Staat so gefährlich.
({4})
Meine Damen und Herren, jeder von Ihnen - und Herr Schily, Sie sind doch derjenige, der selbst vielleicht die meisten Bedenken zu dieser Frage hat -, der einen solchen Aufruf zum Rechtsbruch im Deutschen Bundestag erhebt, muß sich doch fragen, ob
das, was er für sich selbst und für seine Gruppe in Anspruch nimmt,
({5})
in der Konsequenz nicht auch jede andere Gruppe genauso in Anspruch nehmen kann, die Bauern, wenn ihnen bestimmte Steuerregelungen nicht gefallen, und auch jede andere Gruppe. Wohin muß denn so etwas führen? Das kann doch nur damit enden, daß jeder mit jedem ihm zur Verfügung stehenden Mittel versucht, seine persönliche Auffassung, sein Gruppeninteresse, seinen Egoismus durchzusetzen.
({6})
Das ist das Ende des sozialen Friedens. Das ist doch der größte zivilisatorische Erfolg, daß es nicht mehr die Herrschaft einer Regierung gibt, sondern vor allem die Herrschaft des Rechts und die Herrschaft des Gesetzes.
({7})
Ich möchte Sie ganz eindringlich bitten, meine Damen und Herren bei den GRÜNEN: Besinnen Sie sich! Kehren Sie um! Bekennen Sie sich zu den Spielregeln, denen Sie es zu verdanken haben, daß Sie die Freiheit der politischen Arbeit und Argumentation haben!
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich dachte, wir hätten eine Stunde des Nachdenkens, aber vielleicht kommt das noch hinterher.
Volkszählung ist die Erhebung personenbezogener Daten. Diese Daten können sehr verschiedenen Zwecken zugeführt werden, günstigen Zwecken für die Menschen und nachteiligen. Im Faschismus wurden die Angaben der Volkszählung hunderttausenden Juden zum Verhängnis und brachten sie in die Gaskammern. Volkszählungsboykott ist eine etwas martialische - ({0})
- Damals war es so.
Herr Kollege, auch ich glaube, es wäre gut, wenn Sie das vielleicht zurücknähmen.
Ich wollte sachlich sagen, daß die Daten zu verschiedenen Zwecken verwendet werden können.
({0})
„Volkszählungsboykott" ist eine etwas martialische Bezeichnung. Im Kern der Sache geht es um die Selbstbestimmung über die personeneigenen Daten, geht es einfach um Abstinenz, diesmal nicht vom Alkohol, sondern eben von diesen Daten. Selbst der Gesetzgeber erkennt das an, denn er belegt den Boykott nur mit einem Bußgeld.
Faschismus ist etwas völlig anderes. Faschistische Gesinnung bedeutet die Lehre vom Herrenmenschen, bedeutet systematischen Verfassungsbruch, Ausschaltung des Parlaments, Ausschaltung der Gewerkschaften, Einsperrung unschuldiger Menschen ohne Gerichtsbeschluß, Mißhandlung, Beraubung, Aneignen von Eigentum anderer - Herr Horten soll ja dort reich geworden sein - , Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen, Massentötung von Geisteskranken, millionenfache Tötung von Juden, Roma und Sinti und politischen Gegnern, Einmarsch in die Tschechoslowakei, Holland, Belgien, Norwegen, Polen, Sowjetunion, Jugoslawien, Verhungernlassen - ({1})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist ab sofort zu Ende.
: Wer das vergleicht, weiß nicht -
Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte Sie, den Platz wieder zu räumen. - Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, der Beitrag des Kollegen Knabe sollte vervielfältigt in allen Wahlversammlungen der GRÜNEN verteilt werden. Man muß das einfach einmal nachlesen, was hier gesagt und vorgetragen worden ist.
Ich wollte eigentlich damit beginnen zu sagen: Ich bin kein Historiker, und deshalb bin ich vorsichtig im Umgang mit historischen Parallelen, und deswegen bin ich auch ganz vorsichtig bei Parallelen zum Faschismus, zum Kommunismus und zu welchem Ismus auch immer.
({0})
Aber die Debatte heute geht ja nicht darum, wer welche Sprache wählt. Der Bundeskanzler hat klargestellt, wie er das gemeint hat. Das, was er hier gesagt
hat, ist seine Darstellung gewesen, die wir zur Kenntnis nehmen. Wir müssen doch eines sehen: Sie tun so, als sei diese Rede auf dem Boden einer demokratischen Auseinandersetzung bei der Inanspruchnahme demokratischer Rechte durch Volkszählungsverweigerer entstanden. Nein, das war ein Echo, das war eine Antwort. Sie dürfen auch nicht den beschimpfen und den kritisieren, der ein kräftiges, von mir nicht verwendetes Wort, das so fern der Realität nicht ist, verwendet hat, um zu kennzeichnen, was hier gewesen ist.
Wir haben in der letzten Aktuellen Stunde über die Volkszählung deutlich gemacht, daß wir ein Wort von Ihnen erwarteten zu dem, was die Mitbürger bei der Volkszählung tun, und zu dem, was in der Gewaltfrage gesagt wurde, und zu dem, wie zum Boykott aufgerufen worden ist. Nichts ist hier gekommen, nichts!
({1})
Wenn Sie jetzt mit der Gewaltdebatte und der Klarstellung der Gewaltdebatte kommen und dann zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen differenzieren wollen - ({2})
- Entschuldigung, noch bin ich darauf angewiesen, das zur Kenntnis zu nehmen, was Sie in den Zeitungen über Ihre Debatte verlauten lassen. Das, was hier gesagt worden ist und was hier Gegenstand der Fragestunde war, ist ein Echo auf ein Verhalten der GRÜNEN, das keinerlei Entschuldigung und keinerlei Erklärung verdient.
({3})
Wenn wir hier glaubten, Sie als Maßstab für die korrekte Sprache nehmen zu können, dann wären wir auf dem falschen Weg.
Meine Damen und Herren, das, was hier gesagt worden ist, ist in der politischen Auseinandersetzung gesagt worden. Sie sehen schlecht aus, wenn Sie - ausgerechnet Sie! - sich zum Moralapostel machen wollen, indem Sie sagen, wer welchen Begriff verwenden darf. Ich bitte, noch einmal die unmögliche, undenkbare und bis eben für mich unvorstellbare Sprache nachzulesen, die hier auch von Ihnen gekommen ist.
Ich denke an eine Debatte zurück, Herr Kollege Schily, wo Sie selbst Ihre Fraktion ermahnen mußten, als die Frau Abgeordnete Schmidt-Bott am 2. April 1987 zum Demonstrationsrecht etwas sagte, was uns an die Terminologie des Nazireichs erinnerte. Sie haben damals selbst zur Berichtigung auffordern müssen. Die Berichtigung durch die Frau Kollegin Schmidt-Bott hieß dann, sie hätte zum Demonstrationsrecht nicht „vergast", sondern „CN-begast" gemeint. Ich habe das noch einmal nachgelesen. Wer diese Vergleiche braucht, wer diesen Mißgriff der Sprache benutzt, wer sich in diese Äußerungen versteigt, der hat das Recht der Kritik hier verwirkt.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluß dieser Debatte möchte ich auf ihren Anlaß und das Problem, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben, zurückkommen, nämlich darauf, ob es dem Bundeskanzler unseres Landes erlaubt sein darf, die GRÜNEN des Faschismus zu bezichtigen.
({0})
- Ich höre hier: Er darf es. Ich sage: er darf es nicht.
({1})
Wer eine politische Partei in unserem Lande des Faschismus verdächtigt, der verdächtigt sie, als Mittel der Politik den Terrorismus, die physische Vernichtung des Gegners und den Völkermord anzusehen.
({2})
Ehe ein solcher Vorwurf von einem Bundeskanzler erhoben wird, sollte dieser sich der Verantwortung für die demokratische Kultur in unserem Lande bewußt sein und sorgfältig abwägen, was er mit derartigen zügellosen Entgleisungen zum Nachteil unserer demokratischen Auseinandersetzung, unseres demokratischen Lebens anrichtet.
({3})
Damit hier kein Zweifel entsteht: Ich räume dem einzelnen ein, aus Gewissensgründen gesetzlichen Ungehorsam zu begehen. Er muß sich darüber im klaren sein, daß das dann Rechtsbruch ist und daß er die Folgen dieses Rechtsbruchs auf sich zu nehmen hat.
({4})
- Nun schreien Sie doch nicht immer so primitiv dazwischen, nun hören Sie doch einmal zu!
({5})
Eine andere Qualität hat es, wenn eine demokratische Partei zum Gesetzesbruch aufruft. Wir alle sind auf das Mehrheitsprinzip als politisches Regulativ dessen angewiesen, was in unserem Lande geschehen und nicht geschehen soll. Wenn Sie heute zum Gesetzesbruch aufrufen, dann werden Sie morgen, wenn Sie einmal zur Mehrheit gehören sollten, erleben, daß andere sich auf diesen Aufruf berufen, und zwar gegen Sie. Das müssen Sie wissen. Deshalb lehnen wir Gesetzesboykott als Mittel der Politik kategorisch ab.
({6})
Ich füge noch etwas hinzu. Das sage ich nicht zu allen GRÜNEN, das sage ich nur zu einem Teil der
GRÜNEN: Gewaltanwendung als Mittel der Politik ist schlechthin unerträglich!
({7})
Da kann man sich auch nicht damit herausreden, daß zu unterscheiden sei zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen. Letzten Endes ist Gewaltanwendung ansteckend. Niemand kann die Folgen von Gewaltanwendung einschätzen und beherrschen.
({8})
Damit richte ich Kritik an DIE GRÜNEN. Ich bitte Sie herzlich darum, daß Sie Ihren Status nicht selbst untergraben durch den Gegenstand dieser Kritik. Ich bitte sehr herzlich darum, daß Sie sich als Demokraten ausweisen. Aber diese ganze Kritik, die ich teile, rechtfertigt es in keiner Weise, DIE GRÜNEN des Faschismus zu bezichtigen. Das ist es, wogegen wir uns wehren. Und daß ausgerechnet der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland einen solchen unverantwortlichen Vergleich heute hier wiederholt hat, das erfüllt mich mit größerer Sorge als Ihre Position zum Gesetzesboykott und die Position, die ein Teil von Ihnen zur Gewaltanwendung gegen Sachen einnimmt.
Vielen Dank.
({9})
Herr Abgeordneter Neumann, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich ausschließlich mit dem Vorwurf des Faschismus, der ja hier der Aufhänger für die Debatte war, kurz noch abschließend auseinandersetzen.
Vorweg diese Feststellung: Keiner meiner Kollegen hat DIE GRÜNEN als Faschisten bezeichnet, sondern es ist die Rede davon, daß gewisse Methoden, daß gewisse Ansätze, daß der Umgang mit Gesetzen sehr deutlich an das erinnern, was in der nationalsozialistischen Zeit vorgekommen ist, also gewisse faschistoide Züge trägt.
({0})
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, was ist passiert? Hier ist mit großer Mehrheit das Volkszählungsgesetz verabschiedet worden. Das können Sie nicht bestreiten. Dieser Bundestag ist korrekt zusammengesetzt, und damit ist das Gesetz in Ordnung. Sie akzeptieren eine solche Entscheidung nicht und rufen bei der Durchführung der Volkszählung dazu auf, mit allen Mitteln dieses legal zustande gekommene Gesetz zu boykottieren. Im Rahmen Ihrer allgemeinen Äußerungen schließen Sie auch die Gewaltanwendung nicht aus.
({1})
Sie beziehen sie nicht ausdrücklich auf die Volkszählung, aber prinzipiell gibt es führende Sprecher von
Ihnen, die der Gewalt und damit der Anwendung von
Neumann ({2})
Gewalt nach dem Motto Gegengewalt das Wort reden.
Ich zitiere hier einmal Ihren Sprecher der Fraktion, Herrn Ebermann. Herr Ebermann, der täglich davon redet, daß dies nicht sein Staat ist, daß er ihn ändern will, redet deutlich der Gewalt das Wort. Er sagt folgendes zu dem Ergebnis in Hamburg und ist ganz stolz darauf: „Wir hatten ja sogar zehn Prozent ohne das Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol. " An anderer Stelle - darauf ist hier eingegangen worden - heißt es von Herrn Ebermann, bezogen auf die Masten: „Daß solche Masten als Symbole kippen, finde ich persönlich durchaus richtig. " Wir haben den Vorgang, daß einerseits zum Boykott gegen die Volkszählung aufgerufen wird - von Herrn Schily immer nach dem Motto „Ohne Gewalt" -, und daß andererseits von wichtigen Funktionären Ihrer Partei auch der Gewalt im Rahmen der politischen Auseinandersetzung das Wort geredet wird.
Jetzt kommen wir zu den aktuellen Ereignissen der Volkszählung. Ihnen ist nicht bekannt, daß es bis zum 24. Mai 1987 im Bundesgebiet zu elf tatsächlichen Angriffen auf Volkszähler kam, zum Teil mit Raub der Unterlagen, wobei in einem Fall, in Berlin, die maskierten Täter ein Messer und eine Schußwaffe mit sich geführt haben?
({3})
Es flogen Molotowcocktails und anderes.
Jetzt, meine Damen und Herren von den GRÜNEN: Hier ist doch unverkennbar eine Verbindung. Wenn Sie sich hinstellen, Herr Schily, und sagen: „Auch ich bin dagegen, daß bei der Volkszählung Gewalt angewendet wird", müssen Sie als Fraktion doch erst einmal ein geschlossenes Bekenntnis für das Gewaltmonopol des Staates und gegen die Anwendung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ablegen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich kenne nur aus den Geschichtsbüchern, wie die Nazizeit begann. Aber wenn Sie das alles mal nachlesen: Wie ging das denn 1933 los? Da ging es auch damit los, daß zustande gekommene Gesetze boykottiert wurden - ({5})
- Lieber Herr Schily, nehmen Sie die ganze Zeit der Weimarer Republik.
({6})
- Gut, ich gebe Ihnen recht. - Also, in der ganzen Zeit der Weimarer Republik, auch über 1933 hinaus, gab es noch Gesetze, gegen die verstoßen wurde. Da ging es los, daß die Schlägertrupps, z. B. die SA und andere, versuchten, das, was legal war, zu unterlaufen, genauso wie wir es heute in Verbindung mit einigen Attentaten auf Volkszähler erleben.
({7})
Und ist es dann illegitim,
({8})
wenn in einer solchen Situation davon gesprochen wird, daß denen - und dazu gehören die GRÜNEN -, die von Einzelpersonen abgesehen, keine Absage an die Gewalt vornehmen, der Vorwurf gemacht wird, daß sie in ähnlicher Gesinnung mit gleichen Formen der Auseinandersetzung, wie sie in der Nazizeit üblich waren, arbeiten. Deswegen wiederhole ich den Vorwurf :
({9})
Sie tragen Mitverantwortung, mindestens für das geistige Klima, für das, was jetzt auch an Tätlichkeiten in Verbindung mit der Volkszählung passiert. Und wer dies tut, der leistet einen Beitrag zu einer Auseinandersetzung, von der wir glaubten, daß sie längst der Vergangenheit angehören würde.
({10})
Meine Damen und Herren, jetzt sind wir tatsächlich am Ende der Aktuellen Stunde.
Es gibt noch nach § 30 der Geschäftsordnung Erklärungsbedarf zur Aussprache. Frau Abgeordnete Unruh, Sie haben das Wort erbeten, Herr Dr. Hirsch ebenso. - Bitte schön.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Hirsch, das, was Sie vorhin gesagt haben, hat sehr weh getan. Ich habe z. B. 300 Wahlkampfveranstaltungen gehabt. Sie werden mir nicht eine nachweisen können, wo ich z. B. gesagt hätte: Wenn die CDU/CSU/FDP wieder an die Regierung kommen, hätten wir faschistische Zustände in der Bundesrepublik Deutschland. - Genau im Gegenteil! Ich habe in den Wahlkampfveranstaltungen um Demokratie geworben, aber gesagt: Wir in dieser Bundesrepublik Deutschland müssen lebendige Demokratie lernen. Warum sollen wir nicht mal wieder wenden?! ({0})
Ich habe das deshalb gesagt, weil genau diese CDU/ CSU/FDP-Regierung die sozial Schwachen dermaßen im sauren Regen hat stehenlassen, daß es mein Kampf bleiben wird, für eine Wende in dieser Bundesrepublik Deutschland zu sorgen. Das würde dann natürlich heißen: SPD, aber bitte nicht mit der FDP, sondern mit den GRÜNEN
({1})
- warum nicht? - , damit es den sozial Schwachen in dieser Bundesrepublik Deutschland besser geht.
Sie können sich ändern. Ich habe nämlich zusätzlich gesagt -
Frau Kollegin, einen Moment bitte. - Sie dürfen nur das zurückweisen,
Vizepräsident Frau Renger
was Sie als Vorwurf oder falsche Interpretation empfinden,
({0})
aber Sie dürfen hier nicht eine Diskussion anfangen. Ich bitte darum, dies zu bedenken und zum Schluß zu kommen.
Frau Unruh [GRÜNE]: Letzter Satz. Ich habe zusätzlich gesagt: Ich möchte in diesem Hause fraktionsübergreifend wirken. Das können Sie nachlesen.
Ich danke.
({1})
Das Wort nach § 30 Geschäftsordnung hat Herr Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Unruh! Die Wahlkreiskandidatin der FDP in Essen hat am 13. Januar eine Podiumsdiskussion der Grauen Panther mit Empörung verlassen, nachdem Sie dort erklärt haben - erklärt haben sollen - , wenn diese Regierung wiedergewählt werde, gingen wir auf ein neues Hitler-Regime zu.
({0})
- Wir gingen auf ein neues Hitler-Regime zu!
({1})
Diese Bemerkung ist für jemanden, der das Dritte Reich ebenso wie ich - und wie Sie auch - miterlebt hat, in der Tat erstaunlich.
({2})
Wenn sich diese Mitteilung nicht bewahrheitete, wäre ich erfreut und würde das Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen.
({3})
Wenn sich diese Mitteilung aber bewahrheitet, sollten Sie überlegen, welche politischen Konsequenzen Sie daraus ziehen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Donnerstag, den 4. Juni 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.