Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Ich nenne sie noch einmal:
1. Aktuelle Wirtschafts- und Beschäftigungssituation,
2. EG-Umweltrat,
3. Maßnahmen gegen Beteiligung deutscher Firmen und deutscher Staatsangehöriger an Auslandsprojekten im Rüstungsbereich, insbesondere bei der Raketentechnologie,
4. Stellungnahme der Bundesregierung zum VII. Hauptgutachten der Monopolkommission.
Die Bundesregierung hat ferner mitgeteilt, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung berichtet. Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in der heutigen Kabinettssitzung ausführlich mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt.
Zunächst noch einmal die Ergebnisse: Wir haben die höchste Beschäftigtenzahl, seitdem in der Nachkriegszeit bei uns überhaupt Beschäftigte gezählt werden. Die Hauptgewinner des Beschäftigtenzuwachses sind die Frauen. Ganz unstrittig ist, daß die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen dem 3. Quartal 1983 und dem 3. Quartal 1988 um 1,2 Millionen Beschäftigte gewachsen ist. Der Beschäftigtenzuwachs hat sich inzwischen fortgesetzt. Wir schätzen, daß die Zahl inzwischen bei 1,4 Millionen angekommen ist.
Die Bewegung auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich auch darin, daß wir gegenüber dem Mai 1983, wo wir 85 000 offene Stellen hatten, im Mai 1989 249 000 hatten, also einen Zuwachs um 193 %. Ebenso hat die Zahl der Vermittlungen der Bundesanstalt zugenommen. Die Kurzarbeiterzahl war im Mai 1989 bei 96 000 angekommen, im Mai 1983 lag sie bei 639 000. Bedenken Sie, daß Kurzarbeit auch eine Teilarbeitslosigkeit ist. Diese Senkung der Kurzarbeiterzahl ist also auch ein Beschäftigungserfolg.
Bei den Lehrstellen kann man von einer eindeutigen Wende sprechen. Gegenüber dem früheren Überhang an Lehrstellenbewerbern haben wir jetzt einen Überhang an Lehrplätzen. Nicht immer ist der Wunsch des einzelnen deckungsgleich mit dem angebotenen Lehrplatz, auch regional ist das unterschiedlich. Aber es bleibt dabei, daß es mehr Lehrplätze gibt als Lehrstellenbewerber.
Die Bundesregierung hat sich sehr ausführlich mit der Lage der Langzeitarbeitslosen beschäftigt. Hierfür haben wir ein Programm, in der Regierungserklärung angekündigt, von 1,75 Milliarden DM vorgesehen. Wir haben diese Ankündigung unverzüglich umgesetzt und die Sozialpartner, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, Städte, Gemeinden, Landkreise zu einem Gespräch am runden Tisch eingeladen, in dem wir beraten haben, wie wir gezielt und konzentriert denen helfen können, die die Hilfe am meisten brauchen, den Langzeitarbeitslosen.
Bei diesem Gespräch am runden Tisch sozialer Verantwortung - das möchte ich berichten - war eine hohe Kooperationsbereitschaft aller Seiten - der Sozialpartner, der Wohlfahrtsverbände - festzustellen. Ich möchte auch seitens der Bundesregierung für diese Bereitschaft, mitzuwirken, ausdrücklich danken.
Es kommt jetzt darauf an, daß diese Gemeinsamkeit des guten Willens vor Ort fortgesetzt wird; denn die Lage der Arbeitslosen ist von Region zu Region, von Sektor zu Sektor höchst unterschiedlich. Deshalb rufen wir auf, vor Ort solche Gespräche am runden Tisch der Gemeinsamkeit zu führen. Gerade die Kammern haben ja Hervorragendes bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, bei der Beschaffung von Lehrplätzen geleistet. Ich denke, daß wir diesem Erfolg in Sachen Lehrplätzen jetzt einen Erfolg bei der
Beschaffung von Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose anreihen müssen. Hier kommt es auch auf Motivationsarbeit an, bei der gerade die Wohlfahrtsverbände einen wichtigen Beitrag leisten können.
Ich denke, daß sowohl die Steuerreform wie auch unsere sozialpolitischen Reformen einen wichtigen Beitrag geleistet haben, die Wirtschaft anzukurbeln und damit auch Arbeitsplätze zu schaffen. Ich will nur darauf hinweisen, daß allein durch die Gesundheitsreform mit ihrem Angebot, die Pflege zu unterstützen - 6 Milliarden DM werden dafür zur Verfügung gestellt - , auch Beschäftigungsfelder für jene eröffnet werden, die möglicherweise nicht mehr in der Lage sind, einen technologisch hoch ausgestatteten Arbeitsplatz zu besetzen. Wir müssen auf die Tatsache, daß nach Schätzungen von Fachleuten in den nächsten zehn Jahren bis zu 3 Millionen Arbeitsplätze für Ungelernte wegfallen, einerseits mit Qualifizierung antworten - und zwar gerade in den Betrieben -, andererseits auch nach neuen Beschäftigungsfeldern für jene Ausschau halten, die im technologischen Konzept nicht qualifizierungsfähig sind. Denen wollen wir uns widmen.
Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Bundesarbeitsminister, ich habe den Eindruck, Sie wollen das Parlament veralbern; denn zu diesem Thema haben Sie am Freitag der vergangenen Sitzungswoche eine Regierungserklärung abgegeben. Darf ich Sie fragen, ob das Kabinett Ihren Ausführungen in der damaligen Regierungserklärung nicht gelauscht hat und Sie heute eine Nachhilfestunde für das Kabinett geben müssen, oder warum diese Wiederholung?
Darf ich Sie, da Sie auf die Langzeitarbeitslosen abgehoben haben, weiter fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen in der Bundesrepublik seit 1982 mehr als verdoppelt hat, und ob Sie sich in Ihrer Haut eigentlich wohlfühlen vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Sie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr um 2,2 Milliarden DM gekürzt haben und demgegenüber für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aus Ihrem Programm für das Jahr 1989 ganze 116 Millionen DM neu zur Verfügung stellen?
Herr Abgeordneter Heyenn, wenn ich mir das gestatten darf: Mich verwundert der erste Teil Ihrer Frage. Man kann gar nicht häufig genug über Arbeitslosigkeit reden.
({0})
Das ist Ausdruck unserer Sorge um die Arbeitslosen. Wenn Sie dazu bereit sind, können wir das alle acht Tage machen.
({1})
- Die Gelegenheit besteht darin, daß wir jetzt 1,75 Milliarden DM neu, zusätzlich im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit einsetzen.
({2})
Nun zu Ihrer Frage: Kürzungen bei der Bundesanstalt. Ich will doch noch einmal darauf hinweisen, daß wir trotz der Kürzungen ein Rekordniveau im Bereich Arbeitsmarktpolitik haben. Gegenüber den 6,9 Milliarden DM 1982 - ich erwähne diese Jahreszahl nicht ohne Anlaß, auch im Hinblick auf den Fragesteller - haben wir jetzt 15 Milliarden DM.
Dennoch will ich darauf hinweisen, daß es zwei unterschiedliche Strategien sind, die hier zur Debatte stehen. Wir haben mit der Bundesanstalt für Arbeit vereinbart, daß wir jetzt ihre Ausgaben für Umschulung und Fortbildung deshalb begrenzen, weil der Verdacht nicht unbegründet ist, daß sich Unternehmen ihrer Pflicht zur Umschulung und Weiterbildung der bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer zu Lasten der Bundesanstalt zunehmend entziehen. Das kann ja wohl auch nicht in Ihrem Sinne sein.
Der Beweis dafür ist, daß der Anteil der Arbeitslosen an den Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zurückgegangen und daß der Anteil der Beschäftigten an diesen Maßnahmen gewachsen ist. Für die Beschäftigten sind nach unserer Auffassung in erster Linie die Unternehmen selbst verantwortlich.
Was den Teil der Arbeitslosen anbelangt, so denke ich, daß ein gezielter und deshalb konzentrierter Lohnkostenzuschuß das beste Mittel ist. Dieses Mittel soll dafür sorgen, daß die Langzeitarbeitslosen wieder in den normalen Arbeitsmarkt zurückkehren.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind zwar bedeutsam; sie sind jedoch kein Endziel. Es geht doch nicht um eine Beschäftigungstherapie außerhalb des Arbeitsmarktes, sondern es geht darum, Rückführungen zu ermöglichen.
({3})
Das wollen wir mit einem Lohnkostenzuschuß von 1,5 Milliarden DM schaffen, wobei, meine Damen und Herren, Geld die eine Seite und Aktivität der Beteiligten die andere Seite ist.
Ich verweise noch einmal darauf: Warum sollten wir nicht bei den Langzeitarbeitslosen das schaffen, was wir auch bei den Lehrlingen geschafft haben? Die Erfolge im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit müssen jetzt durch Erfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gerade der älteren Arbeitnehmer fortgesetzt werden.
({4})
Frau Abgeordnete Schmidt, bezieht sich Ihre Frage direkt darauf? - Bitte.
Herr Arbeitsminister, können Sie vielleicht den hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen darüber Auskunft geben, wie
Frau Schmidt ({0})
sich die Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit auf Frauen auswirken? Ist Ihnen bekannt, daß die Kürzungen, die Sie veranlaßt haben, dazu führen, daß teilzeitbeschäftigte Frauen in so gut wie keine Quailfizierungsmaßnahmen gehen und daß Frauen, die wieder eingegliedert werden wollen, von der Bundesanstalt für Arbeit keine Förderung mehr bekommen?
Frau Kollegin Schmidt, da sind Sie offenbar falsch informiert. Wir haben ja gerade ein Programm vorgelegt, das die Rückkehr jener Arbeitnehmerinnen in das Arbeitsleben erleichtern soll, die beispielsweise aus Gründen der Erziehung ihrer Kinder mehrere Jahre ausgeschieden waren. Wir haben ein Programm „Teilzeit und Bildung", gefördert durch die Bundesanstalt, vorgelegt. Das gab es vor unserer Zeit noch nicht.
Der Erfolg gibt uns recht: Zwei Drittel der neugewonnenen Arbeitsplätze sind Arbeitsplätze für Frauen.
Herr Blüm, Sie sollten das Parlament richtig informieren. Vor den Kürzungsmaßnahmen gab es Rechtsansprüche für Frauen. Jetzt gibt es ein Modellvorhaben, das mit lappischen 32 Millionen DM ausgestattet ist. Was wollen Sie tun, damit Frauen wieder Rechtsansprüche auf die Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit haben?
({0})
Frau Kollegin Schmidt, ich bin deshalb dankbar für die Diskussion, weil offenbar manches Mißverständnis mit Hilfe dieser Diskussion ausgeräumt werden kann.
Der Rechtsanspruch des einzelnen auf Umschulung und Weiterbildung ist nicht eingeschränkt. Wir haben lediglich die Trägerkosten in Ermessensleistungen umgewandelt, was der Sache auch dienlich ist, weil es sich gezeigt hat, daß die Träger höchst unterschiedliche Kosten verursachen, was offenbar auch ein Wirtschaftlichkeitsgefälle bedeutet. Wenn das dazu führt, daß die Träger, die ja Beitragsmittel verwenden, selber wirtschaftlicher handeln, ohne daß die Strukturen zum Zusammenbruch kommen, dann ist das erwünscht.
Frau Abgeordnete Limbach.
Herr Minister, ich wollte noch einmal zu dem nachfragen, was Sie einleitend gesagt haben. Sie haben vom Anstieg der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gesprochen, und sie haben den Anteil der Frauen erwähnt. Können Sie die Zahlen etwas präzisieren, auch was die Erwartungen angeht, die für 1989 bestehen? Gibt es Daten über die Erwerbsquote von Frauen und über ihren Anteil an diesem Zuwachs von Beschäftigungen?
({0})
Wir rechnen damit, daß in diesem Jahr eine Viertelmillion neue Arbeitsplätze hinzukommen. Diese Zahl muß zu den Zahlen hinzugerechnet werden, die ich genannt habe.
Um den Zwischenruf gleich aufzugreifen: Es ist eine Falschmeldung zu behaupten, der Zuwachs der Arbeitsplätze sei vornehmlich ein Zuwachs von Teilzeitarbeitsplätzen. In der ganzen Zeit von Herbst 1983 bis Herbst 1988 sind insgesamt nur 350 000 Teilzeitarbeitsplätze zugewachsen. Mit diesen 350 000 können Sie schlecht den Zuwachs von 1,2 Millionen Beschäftigten erklären.
Ich bleibe allerdings dabei, daß wir nicht nur bezogen auf die Frauen, sondern allgemein in Sachen Teilzeitarbeit ein Entwicklungsland sind, daß wir in Sachen Teilzeitarbeit noch aufholen müssen. Unsere Nachbarländer Holland und Belgien haben doppelt soviel Teilzeitarbeitsplätze; auch Schweden hat doppelt soviel. Ich denke, auch das ist eine Hilfe für die Rückkehr von Frauen in das Erwerbsleben.
Frau Abgeordnete Limbach, insgesamt haben wir keinen Grund, davon auszugehen, daß sich die Gewinne beim Beschäftigungszuwachs im Verhältnis zwei Drittel bei Frauen und ein Drittel bei Männern nicht auch in diesem Jahr so fortsetzen wie im letzten Jahr. Das halte ich für einen Erfolg.
({0})
Herr Abgeordneter Fuchtel.
Herr Minister, ist es nicht so, daß die Frauenerwerbsquote heutzutage so hoch ist wie noch nie, und muß man nicht auch einmal nach der Zumutbarkeitsanordnung fragen, die in vielen Fällen eine Beschäftigung von Frauen nicht möglich macht?
Herr Abgeordneter, das Thema Solidaritätspflicht stellt sich nicht nur für die Beschäftigten, sondern es stellt sich auch für die Arbeitslosen selber. Ich will in keiner Weise das harte Los derjenigen, die entlassen worden sind und Arbeit suchen, in Frage stellen. Aber es kann wohl kaum in Abrede gestellt werden, daß sich unter den Arbeitslosen auch solche befinden, die sich aus der Kombination von Arbeitslosengeld und Schwarzarbeit ein Einkommen beschaffen, das höher ist als das Einkommen der vergleichbaren Beschäftigten.
Insofern ist die Frage zu stellen, wie wir mehr Klarheit und Wahrheit auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Einen ersten Beitrag dazu haben wir dadurch geleistet, daß diejenigen, die keine Leistungen erhalten, sich mindestens alle drei Monate beim Arbeitsamt melden müssen. Ich meine, man kann mit gesundem Menschenverstand nichts dagegen haben. Wenn je10990
mand in Not ist und elementar gedrängt wird, Arbeit zu finden, dann wird ihm, wie ich meine, nicht zuviel zugemutet, wenn man verlangt, daß er sich mindestens alle drei Monate beim Arbeitsamt meldet. Es könnte sonst passieren, daß er als Ausländer in seine Heimat zurückgekehrt ist oder daß er vielleicht verstorben ist, aber immer noch als Arbeitsloser gezählt wird.
Insofern, finde ich, stellt sich das Problem schon. Notwendig ist Solidarität nach zwei Seiten: Solidarität derjenigen, die Arbeit haben, und auch derjenigen, die nach Arbeit suchen.
Frau Steinhauer.
Herr Minister, Sie haben zu Beginn gesagt - ich habe das noch im Ohr - , Frauen hätten auf dem Arbeitsmarkt einen Gewinn erzielt. Meinen Sie nicht, daß es bei einem Frauenanteil von 49 % an der Arbeitslosigkeit und von 37 % an der Erwerbstätigkeit höchste Zeit war, daß Frauen verstärkt eine Förderung bekommen, und daß das, was Sie hier nun geschildert haben, nicht ein Gewinn für die Frauen ist?
Ich hätte eine weitere Frage zur Problematik der Ausbildungsstellen: Hat sich die Bundesregierung auch einmal damit beschäftigt, daß die zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen Bewerbern und Angebot im wesentlichen auf die demographische Entwicklung zurückzuführen ist und daß die Zahlen zum Teil überhaupt nichts aussagen, weil in verschiedenen Bereichen nach wie vor eine erhebliche Nachfrage nach Ausbildungsstellen besteht und kein Angebot vorhanden ist?
Sie haben hier weiterhin gesagt, daß Sie insbesondere mit den Sozialverbänden hinsichtlich der Eingliederung von Arbeitslosen und der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen reden wollen. Ich hätte gerne einmal gewußt, wie Sie den Verbänden erklären wollen, daß Sie zu Beginn des Jahres die Anteile für die Förderung von Arbeitsbeschaffung - im übrigen ist das nichts anderes als ein Lohnkostenzuschuß in der Industrie, hier nur für die Verbände - gekürzt haben, weswegen die Verbände teilweise nicht mehr in der Lage sind, überhaupt noch jemanden einzustellen.
Frau Kollegin, gestatten Sie, daß ich Ihre Fragen gliedere. Zum ersten Teil: Wenn 800 000 Frauen mehr nun Arbeit haben, ist das doch ein Gewinn. Oder wollen Sie das als Verlust bezeichnen? Wenn heute 800 000 Frauen mehr als 1983 beschäftigt sind, ist das doch ein Gewinn; anders kann ich das nicht bezeichnen. Oder wie wollen Sie das anders bezeichnen?
({0})
Der zweite Teil: Mit Demographie hat es relativ wenig zu tun, daß auch das heutige Angebot an Lehrplätzen das Angebot von 1982 übertrifft. Es ist nicht nur die Zahl der Bewerber zurückgegangen, sondern es ist auch die Zahl der Lehrplätze gewachsen. Wenn Sie das in Zahlen haben wollen: 1982 waren es 651 000, 1988 sind es 666 000 gewesen. Es bleibt dabei, daß die Zahl der Bewerber zurückgegangen ist,
aber es bleibt auch richtig, daß die Anstrengungen von Handwerk, Industrie, Gewerkschaften, von Arbeitgebern und Betriebsräten dazu geführt haben, daß mehr Lehrplätze als in früherer Zeit zur Verfügung gestellt wurden.
Wenn ich Zahlen zu unserem Erfolg im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit auch im europäischen Maßstab vortragen darf: Der Anteil der jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren beträgt in Italien 54 %, in Spanien 42 %, in Frankreich 29 % und in der Bundesrepublik 16 %. Wir sind das Land, das im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit am weitesten - ({1})
- Doch, ich beantworte gerne Ihre Frage so, wie Sie sie gestellt haben, und ich beantworte sie auch gerne mit Zahlen.
({2})
Was Lohnkostenzuschüsse anlangt, so bleibe ich dabei, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeitsmarktpolitik sind. Trotz Rückführung haben wir noch dreimal so viele Arbeitsbeschaffungsplätze wie 1982, damals 29 000, heute 100 000. Aber es hat sich, was ja auch und gerade aus dem Kreis der Gewerkschaften vorgetragen wird, ein Mißbrauch eingeschlichen.
({3})
- Das ist nicht Filibustern.
({4})
- Ja, ich will die Frage doch so beantworten, Herr Kollege, wie sie sich mir stellt.
({5})
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden zum Teil mißbräuchlich angeboten, weil Kommunen ihren Personaletat auf Kosten der Bundesanstalt entlastet haben. Das kann nicht unser Ziel sein.
({6})
Deshalb halte ich Lohnkostenzuschüsse, die die arbeitslosen Arbeitnehmer in den normalen Arbeitsmarkt zurückführen, für weiterreichend als einen Ausbau von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
({7})
Im übrigen ist die Trägerstruktur bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entgegen Ihren Darstellungen nicht zusammengebrochen.
({8})
Herr Dr. Laufs, bitte.
Herr Bundesminister, welches sind die Gründe dafür, daß die Arbeitslosigkeit nicht im gleichen Maße zurückgeht, wie die Zahl der
Beschäftigten ansteigt, und welches sind nach Einschätzung der Bundesregierung die langfristigen Perspektiven?
Herr Abgeordneter, dazu liegen mir Zahlen vor, die das Arbeitskräftepotential beschreiben, also jene Zahlen, die zeigen, wie die Nachfrage gewachsen ist. Bei den Deutschen ist das Arbeitskräftepotential seit 1983 um 443 000 gestiegen - es gibt also 443 000 Nachfragende mehr -, bei den Ausländern um 294 000.
Ich will auch vom Anstieg im Bereich des Erwerbsverhaltens der Frauen berichten. 250 000 Frauen sind dem Arbeitskräftepotential zugewachsen. Rund eine Viertelmillion Frauen mehr als damals sind Nachfragende. Bei Übersiedlern und Aussiedlern ist das Potential um 278 000 gestiegen.
Mit anderen Worten, es suchen mehr Mitbürger Arbeit, als Arbeitnehmer aus Altersgründen ausscheiden. Das war das Ergebnis der geburtenstarken Jahrgänge. Mehr Junge drängen nach, als Alte ausscheiden. Der zweite Grund ist, daß mehr Frauen als je zuvor nach Arbeit verlangen.
Was die Entwicklung der Bevölkerung anlangt, so gehen die geburtenstarken Jahrgänge jetzt zurück, so daß von daher kein Druck auf das Arbeitskräftepotential entsteht. Bei den Frauen bleibt es bei wachsenden Wünschen nach Erwerbsbeteiligung, was ich auch ausdrücklich nicht kritisiere, sondern nur beschreibe.
Herr Reimann, jetzt noch Ihre Frage, dann brechen wir das ab, damit wir noch zu den anderen Themen kommen.
({0})
Recht schönen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Minister, unabhängig von statistischen Wertungen frage ich Sie konkret und bitte auch um eine konkrete Antwort: Sind Sie bereit, als Arbeitsminister im Kabinett darauf hinzuwirken, daß ein Wohnungsbauprogramm in Höhe von 10 Milliarden aufgelegt wird, um erstens Wohnungsnot zu beseitigen und zweitens Arbeitslosigkeit abzubauen?
Ich bin wie alle hier der Meinung, daß wir im Wohnungsbau eine große arbeitsmarktpolitische Chance haben. Deshalb erhöht die Bundesregierung ihre Mittel in Sachen Wohnungsbau.
Jetzt hat noch der Abgeordnete Hinsken das Wort.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin.
Herr Arbeitsminister, ich komme aus einem Gebiet, in dem speziell die Saisonarbeitslosigkeit oftmals über 20 % liegt. Trotzdem beklagen sich die Betriebsinhaber, daß sie freie Arbeitsplätze, speziell für Frauen, nicht besetzen können.
Ich selbst bin ein unmittelbar Betroffener. Ich habe seit zwei Jahren mehrmals Frauen und Auszubildende gesucht, die bereit sind, den Beruf einer Verkäuferin zu erlernen.
Welche Tips würden Sie den Unternehmern geben, damit sie endlich die freien Arbeitsplätze besetzen können?
Richtig ist, daß die Klagen zunehmen, daß offenen Stellen nicht besetzt werden. Das liegt zum Teil an Qualifikationsmängeln auf seiten der Bewerber. Ich denke, die Betriebe haben die Pflicht, selbst zu qualifizieren, anzulernen.
Zweitens spielen auch Fragen der Arbeitszeitgestaltung eine Rolle.
Drittens muß man an die Bewerber selber die Aufforderung richten, zu beachten, daß auch sie Solidarpflichten haben. Wenn sie die Unterstützung der Arbeitslosenversicherung der Gemeinschaft in Anspruch nehmen, müssen sie auch alles einsetzen, Arbeit zu finden. Ich finde, auch das gehört zu den sozialstaatlichen Pflichten.
Darf ich fragen, ob es zu den Themenkomplexen 2, 3 und 4 Fragen gibt? Sonst würde ich den Bereich der freien Fragen aufrufen.
Zu Komplex 3, bitte.
Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zum Export von Waffen und Raketen. Nun habe ich den Bericht nicht gehört, aber ich möchte dennoch fragen: Wann stellt die Bundesregierung klar, daß derjenige gegen deutsche Interessen handelt, der, wie ja verschiedentlich berichtet wurde, Raketentechnik in Spannungsgebiete - in den Irak, möglicherweise nach Rumänien, nach Argentinien und nach Ägypten - liefert?
Herr Bundesminister Dr. Haussmann.
Herr Abgeordneter, das Kabinett hat sich heute mit zusätzlichen Maßnahmen beschäftigt: erstens mit einem Verbot für Deutsche, im Ausland an Projekten der Luftbetankung mitzuwirken. Sie wissen, das ist einer der brisantesten Fälle in Libyen. Das Kabinett hat diese Veränderung beschlossen. Sie kann zeitgleich zu den Parlamentsberatungen zur Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes eingebracht werden.
Zweitens. Das Kabinett wird vor der Sommerpause erneut generell zur Beteiligung Deutscher an der Raketentechnologie beschließen. Ich habe heute meinen Bericht abgeliefert. Das rechtsförmliche Prüfungsverfahren des Bundesministeriums der Justiz wird vor der Sommerpause abgeschlossen, so daß diese Veränderungen zeitgleich mit der Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes ins Parlament eingebracht werden.
Herr Abgeordneter Börnsen.
Herr Wirtschaftsminister, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um die in der letzten Ausgabe des „Spiegel" kritisierte Arbeitsweise des Bundesamts in Eschborn zu verbessern?
Ich würde gern eine zweite Frage anhängen, die mit dem Bereich der Wirtschaft zu tun hat. Wir haben ja eine ganz erfreuliche, ganz dynamische Verbesserung der Investitionstätigkeit unserer Unternehmen. Worauf führen Sie diesen neuen Schub zurück?
Darf ich einmal unterbrechen. Ich schlage vor, daß Sie, Herr Bundesminister, zunächst nur zu der ersten Frage Stellung nehmen. Wir sind im Augenblick bei den Rüstungsfragen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft prüft die im „Spiegel" erhobenen Vorwürfe. Es geht um drei Typen. Erstens handelt es sich um Altfälle von Mitarbeitern, die dem Amt nicht mehr angehören.
Zweitens handelt es sich um Ermittlungsverfahren, die derzeit laufen. Ich werde ja auch im Untersuchungsausschuß dazu erneut Stellung nehmen.
Drittens handelt es sich um neue Vorwürfe, die ich sehr ernst nehme.
Ich sehe drei Möglichkeiten der Abhilfe. Erstens. Es ist gelungen, bereits in diesem Haushaltsjahr den Personalbestand aufzustocken. Ich gebe zu, es ist sehr schwierig, qualifizierte Chemiker, Physiker für diese Kontrollaufgaben am Arbeitsmarkt zu gewinnen. Aber wir wollen die Kontrolleffizienz hier auch durch Umschichtung zwischen den Behörden des Bundes deutlich verbessern.
Zweitens. Das Bundesamt bedarf einer Organisationsreform. Das kenne ich schon aus meiner Abgeordnetenzeit, auch die Anstände.
Drittens. Wir müssen durch eine verstärkte Einführung der Informationstechnik dafür sorgen, daß wir die große Anzahl von Routinefällen mit modernen Methoden der Informationstechnik so behandeln, daß das qualifizierte Personal den sensiblen Einzelprüfungen wirklich mehr Zeit und mehr Intensität widmen kann.
Herr Abgeordneter Vosen.
Herr Bundesminister, nachdem wir mit Libyen Probleme bei den B-Waffen und mit Pakistan Probleme bei den A-Waffen haben, was die Komponenten angeht: Hat die Bundesregierung nicht dadurch schwere Schuld auf sich geladen, daß sie die Richtlinien, das sogenannte Trägertechnologie-Regime, das es gibt, um Exporte solcher sensitiven Waffen zu vermeiden, nicht veröffentlicht hat? Hat die Bundesregierung den Export solcher Technologien durch diese Geheimniskrämerei nicht förmlich gefördert?
Ja. ({0})
Erstens.
({1})
Herr Abgeordneter, diese Richtlinien sind dem Bundesamt natürlich bekannt.
Zweitens. Wie ich soeben berichtet habe, verschärfen wir das Außenwirtschaftsgesetz im Bereich der Tätigkeit von Deutschen im Ausland bei der Raketentechnologie erneut.
Drittens. Es wird sich dann erweisen, daß wir mit diesem Vorgehen international führend sind.
({2})
Das heißt: Wir sind dann davon abhängig, daß andere Nationen diesem Beispiel folgen, weil eine rein nationale Kontrolle bei dem Energie- und Systemverbund heute nicht mehr wirksam ist.
Herr Vosen, bitte.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Warum hat die Bundesregierung diese Richtlinien, die den Export sensitiver Waffen verhindern sollen - diese Richtlinien gibt es ja schon lange -, bisher nicht bekanntgemacht, auch dem Parlament nicht bekanntgemacht? Es ist ja hinsichtlich dieser Vorschriften, die einen solchen Export verhindern sollen, förmlich eine Geheimhaltung betrieben worden. Wie kann die Wirtschaft das denn wissen, wenn Sie das gar nicht veröffentlichen und bekanntgeben? Diese Richtlinien gibt es ja schon länger, und kein Mensch wußte davon. Haben Sie nicht Geheimniskrämerei betrieben und den Export damit förmlich angeregt?
Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, ich persönlich bin mir keiner Verletzung meiner Veröffentlichungspflichten bewußt.
({0})
Bei den Ausfuhrlisten A, B und C handelt es sich um sehr umfangreiche Listen, über die sich die Industrie zu informieren hat. Und das zuständige Bundesamt kennt diese Listen natürlich.
Ich will aber die Gelegenheit wahrnehmen, zu dem gesamten Themenkomplex in der nächsten Woche im Untersuchungsausschuß ausführlich Stellung zu beziehen. Ich bitte deshalb um Verständnis, wenn ich es jetzt hier nicht weiter vertiefen kann.
({1})
Frau Bulmahn.
Herr Minister, trifft es zu, daß bei dem Trägertechnologie-Regime in den Richtlinien für die Weitergabe sensitiver Flugkörper und relevanter Gegenstände nur die mißbräuchliche Weitergabe von Trägersystemen geregelt wird, die für nukleare Sprengköpfe geeignet sind und eine Reichweite von 300 km sowie eine Trägerkapazität von 500 kg überFrau Bulmahn
steigen, und ist die bundesdeutsche Raumfahrtindustrie nach den TTR-Richtlinien überhaupt verpflichtet, eine Ausnahmegenehmigung für rein zivile Höhenforschungsraketen oder Teile dergleichen einzuholen?
Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete, ich bitte um Verständnis. Ich kann diese spezielle Frage hier nicht zuverlässig mündlich beantworten.
({0})
Ich werde das gerne schriftlich tun.
Herr Abgeordneter Grünbeck.
({0})
Ich wollte nur eine Zusatzfrage an den Herrn Minister richten. Herr Minister, würden Sie in Ihre Überlegungen über die bessere Effizienz des Bundesamtes für Wirtschaft auch die Auflösung des Amtes und die Übertragung seiner Aufgaben auf private Institute bei der künftigen Genehmigung von kritischen Ausfuhren mit einbeziehen?
({0})
Das Wort hat der Bundesminister.
Frau Präsidentin, ich möchte - erstens - auch den zweiten Teil der Frage von Frau Bulmahn sehr sorgfältig schriftlich beantworten. Ich bitte um Verständnis.
Zweitens. Ich stimme hier meinem verehrten Parlamentskollegen ausnahmsweise nicht zu. Die Kontrolle von sensitiven Ausfuhrartikeln und Dienstleistungen muß eine staatliche Aufgabe bleiben.
Drittens. Zu dem Zuruf des Abgeordneten Roth möchte ich mitteilen, daß sich das Kabinett heute auch mit dem Bericht der Monopolkommission beschäftigt hat und daß ich noch einmal den Zeitplan bekräftigt habe. Ich halte das für wichtig; das ist meine Informationspflicht. Die Monopolkommission wird ihr Gutachten zu Daimler/MBB Anfang August abschließen. Die öffentliche Anhörung der Beteiligten wird im August stattfinden. Die Entscheidung im Ministerverfahren wird im September dieses Jahres fallen.
Bevor ich Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher das Wort gebe, möchte ich bekanntgeben, daß wir die Befragung der Bundesregierung bis 13.45 Uhr verlängern.
Bitte, Frau Hamm-Brücher.
Herr Bundeswirtschaftsminister, dieser ganze Komplex ist durch den Skandal des Exportes der Chemiewaffen-Fabrik nach
Rabta - das ist unter den Augen des Bundesamtes geschehen - offenbar geworden. Es erweist sich nun langsam als ein Eisberg: Es offenbart sich, was alles im Wasser unter dem sichtbaren Eisberg ist. Sie haben die Frage der Luftbetankung und der Unterstützung dieses Projekts genannt.
Ich möchte Sie jetzt fragen:
Erstens. Wie ist es in Rabta eigentlich weitergegangen? Ist jetzt sichergestellt, daß keinerlei Lieferungen möglich sind?
Zweitens. Wird dort weitergearbeitet? Ist mit einer Produktion von Chemiewaffen in Rabta zu rechnen? Was geschieht seitens der Bundesregierung, um dies um jeden Preis zu verhindern?
Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete, erstens: Das Negative aus unserer Sicht war, daß es sich hier nicht um eine Ausfuhrgenehmigung gehandelt hat. Wir haben deshalb die Genehmigungspflichten unverzüglich vor allem auf chemische Bestandteile erstreckt. Das Gesetz liegt dem Parlament derzeit vor.
Zweitens. Wir haben heute im Kabinett rechtliche Schritte verabschiedet, damit eine geplante bzw. mögliche Luftbetankung unter Beteiligung von Deutschen nicht stattfinden kann.
Drittens. Es wird nach wie vor Graubereiche geben, wo wir weder mit einer verschärften Genehmigungspflicht noch mit Verboten arbeiten können. Hier hilft nur eine drastische Verschärfung der Strafvorschriften gegen Deutsche, die im Ausland an solchen Projekten arbeiten.
Diese drei Maßnahmen sind meines Erachtens am besten geeignet, einen weiteren Baufortschritt in Libyen zu verhindern, darüber hinaus aber auch ähnlichen illegalen Ausfuhren und Kooperationen von Deutschen im Ausland wirksam vorzubeugen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Bundesminister, werden Sie doch bitte einmal präzis. Welche Erkenntnisse haben Sie, wie es in der Fabrik in Rabta weitergegangen ist?
Frau Abgeordnete, ich kann über das hinaus, was wir in Aktuellen Stunden, in Untersuchungsausschüssen und auch was heute nachmittag im Auswärtigen Ausschuß eine Rolle spielen wird, hier keine neuen Auskünfte geben. Ich kann nur darauf hinweisen, daß wir alle Möglichkeiten rechtlicher Art - Verschärfung von Strafen und Rücknahme vorhandener Genehmigungen - herangezogen haben, um einen weiteren Fortschritt dieses Projektes zu stoppen.
({0})
- Es wird nach meiner Informationslage nicht produziert.
Das Wort hat jetzt der Fragesteller Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Bundesminister, nach welchen Kriterien will man die Weitergabe von Raketentechnologien generell unterbinden? Auf Grund welcher konkreten Anweisungen hat das Bundesamt für Wirtschaft bei einer Einzelfallgenehmigung künftig vorzugehen?
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter, ich habe soeben versucht, ausführlich darzustellen, daß wir durch drei verschiedene Möglichkeiten die Mitarbeit von Deutschen im Ausland an Raketentechnologie verhindern: a) durch einen generellen Straftatbestand, b) durch eine Verschärfung oder durch eine Einführung einer Genehmigungspflicht und c) - das halte ich für entscheidend - durch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit. Das setzt aber voraus, daß andere Staaten, die technologisch in der Lage sind, sich an solchen Projekten zu beteiligen, im Gleichschritt mit der Bundesrepublik Deutschland ähnliche Gesetze vorbereiten und sich an internationalen Kontrollen beteiligen. Sonst werden wir national neue Maßnahmen haben, die sich aber nicht auswirken werden, weil sie international umgangen werden. In den meisten Fällen handelt es sich hier um Projekte zwischen verschiedenen Nationen.
Herr Abgeordneter, noch eine Zusatzfrage?
Ja. - Herr Minister, ich habe nach den Vorgaben für das Bundesamt für Wirtschaft in der Bundesrepublik gefragt.
Die neue Genehmigungspflicht wird sich in einer neuen, zusätzlichen Liste für das Bundesamt für Wirtschaft niederschlagen, was Raketentechnologie angeht.
Herr Abgeordneter Müller.
Herr Minister, ich möchte erstens präzise fragen, ob Deutsche - deutsche Firmen, deutsche Personen - am Transfer von Raketentechnologie nach Rumänien beteiligt waren.
Zweitens. Ich hatte eigentlich gedacht, daß wir mit der Beratung dieser neuen Vorlage bald zum Abschluß kommen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß nächste Woche wieder etwas im Kabinett ist, was nicht in den Bundestag eingebracht ist und nachgeliefert wird?
Die nächste Frage ist damit verbunden: Ist bei Ihnen etwas vorgesehen, was verhindert, daß deutsche Firmen, die mit öffentlichen Mitteln Raketentechnologie entwickeln, offen oder duldend zulassen, daß diese öffentlich geförderte Technologie gegen deutsches Interesse an andere Länder verkauft wird?
Herr Bundesminister.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, will ich Ihnen schriftlich antworten. Denn im Moment bin ich nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten.
({0})
- Es tut mir herzlich leid. Aber das ist eine bessere Form der Information, als wenn Sie eine vorläufige Antwort bekommen.
({1})
Zum dritten Teil Ihrer Frage will ich folgendes sagen. Soweit es sich um deutsche Firmen handelt, die zum Teil im Besitz von Landesregierungen sind, laufen Ermittlungsverfahren. Zum zweiten hat das Bundesamt für Wirtschaft bereits 1981 und in den Folgejahren Genehmigungen zurückgenommen, damit sichergestellt wird, daß sich deutsche Firmen, die sich zum Teil im Eigentum von Landesregierungen befinden, an solchen Projekten nicht beteiligen.
Den mittleren Teil Ihrer Frage habe ich jetzt leider vergessen. Ich bitte Sie, ihn zu wiederholen.
({2})
Der mittlere Teil betraf das weitere Procedere. Es war eine ganz sachliche Frage danach, wann wir erwarten können, daß dieses Paket geschnürt ist, das wir im Plenum des Bundestages und in den Ausschüssen beraten sollen.
Vielen Dank, daß Sie das wiederholt haben. Der Hauptteil der Verschärfung der Außenwirtschaftsgesetze ist von der Regierung längst verabschiedet und liegt dem Parlament zur Beratung vor. Die Aufstokkung des Kontrollpersonals nicht nur in dem Amt, das mir untersteht, sondern auch bei den Zollkriminalstellen ist vom Kabinett haushaltspolitisch verabschiedet. Die Ergänzungen, über die wir eben sprachen - Verbot von Luftbetankung und Ausdehnung der Genehmigungspflicht für die Beteiligung von Deutschen an der Raketentechnologie - , wird vor der Sommerpause abgeschlossen und kann ohne Zeitverlust parallel in die Parlamentsberatung nach der Sommerpause eingebracht werden, so daß hier kein Zeitverlust eintritt.
Herr Minister, das ist eine schöne lange Zeit. Seit 1985 wissen Sie davon Und jetzt kommt es.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, ich persönlich weiß davon erst seit Antritt meines Amtes im Dezember 1988.
Letzte Frage, Frau Abgeordnete Bulmahn. Die vorgesehene Zeit ist dann zu Ende.
Herr Minister, wenn man schon eine Strafverschärfung beim Rüstungsexport anstrebt, weshalb wird dann nicht die generelle WeiFrau Bulmahn
tergabe von Trägersystemen oder einzelnen Teilen in Staaten außerhalb der NATO und des ESA-Bereichs geregelt?
Herr Bundesminister.
Ich bitte wirklich um Verständnis. Da ich kein Jurist bin, kann ich hier nicht zuverlässig antworten. Ich nehme diese Frage gern in meine schriftliche Antwort auf. Ich bitte um Verständnis.
Ich möchte hier abschließend noch einmal sagen, daß ich es für richtig halte, daß Fragen, die wegen des ihnen zugrunde liegenden Sachverhalts nicht ad hoc beantwortet werden können, in schriftlicher Form beantwortet werden.
({0})
Das ist angemessener, als darum herumreden zu müssen.
({1})
Damit ist die Regierungsbefragung beendet. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Orthoptistin und des Orthoptisten ({2})
- Drucksache 11/4571 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({3})
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 1988 über den Beitritt der Portugiesischen Republik und des Königreichs Spanien zur Westeuropäischen Union
- Drucksache 11/4707 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften
- Drucksachen 11/4687, 11/4708 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({4})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksachen 11/4686, 11/4709 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({5})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten
- Drucksachen 11/4688, 11/4712 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({6})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnsitzes für Aussiedler und Übersiedler
- Drucksachen 11/4689, 11/4710 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({7})
Rechtsausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss ({8}), Bamberg, Dr. Schöfberger, Frau Beer, Brauer, Dr. Daniels ({9}), Daubertshäuser, Ewen, Frau Faße, Frau Flinner, Frau Garbe, Ibrügger, Kretkowski, Kreuzeder, Lambinus, Leidinger, Meneses Vogl, Frau Nickels, Dr. Niese, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Rock, Frau Rust, Schily, Frau Teubner, Vahlberg, Dr. Wernitz, Wimmer ({10})
Erhalt des „Pilzen-Expreß" WasserburgEbersberg
- Drucksache 11/4538 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
h) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung
- Drucksache 11/4166 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({11})
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Präsidentin Dr. Süssmuth
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich frage: Sind Sie damit einverstanden? - Da ich keinen Widerspruch sehe, sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/4724 ({12})
Meine Damen und Herren, ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Frage 5 des Herrn Abgeordneten Geis soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 6 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Trifft es zu, daß das Bundesamt für den Zivildienst allein den niedersächsischen Kreisgruppen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und Mitgliedsorganisationen 2 269 590,94 DM an Zuschüssen für 1988 schuldet, und was wird die Bundesregierung unternehmen, damit die ausstehenden Beträge unverzüglich angewiesen werden?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Bulmahn, wie ich bereits auf eine entsprechende Frage der Kollegin Ganseforth geantwortet habe, führt das Bundesamt für den Zivildienst keine Listen, aus denen die Höhe der an die einzelnen Verbände zu zahlenden Aufwandszuschüsse hervorgeht. Die Zuschüsse werden an Beschäftigungsstellen nach der Zahl der besetzten förderungsfähigen Zivildienstplätze gezahlt. Im zweiten Halbjahr 1989 wird ein vollautomatisches Zahlungsverfahren im Bundesamt eingeführt, das die Auszahlung der gesamten verfügbaren Mittel innerhalb weniger Wochen ermöglicht. Damit können alle Platzbelegungen des Jahres 1988 erfaßt werden.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.
Können Sie mir sagen, wie hoch die Zahlungsrückstände im ganzen Bundesgebiet sind, wenn Sie schon nicht über die Informationen aus den einzelnen Kreisgruppen verfügen?
Frau Kollegin, wenn die Programmierarbeiten für das automatische Zahlungsverfahren abgeschlossen und alle Förderungsfälle erfaßt sind - das wird, wie gesagt, voraussichtlich im Herbst sein - , dann kann der aktuelle Zahlungsstand abgefragt werden. Im Augenblick habe ich dazu keine verläßliche Zahl.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön, Frau Kollegin.
Wird die Bundesregierung den betreffenden Beschäftigungsstellen die Zinsen für die nötigen Zwischenfinanzierungen erstatten, und warum meint die Bundesregierung gegebenenfalls, daß andere Regelungen, wie sie im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zwischen Vertragspartnern gelten, hier offensichtlich keine Gültigkeit haben?
Frau Kollegin, die Bundesregierung wird keine Zinsen zahlen. Die Begründung im einzelnen - auch zu dem zweiten Teil Ihrer Zusatzfrage - ergibt sich aus der Beantwortung der Anfrage der Frau Kollegin Ganseforth und insbesondere aus § 6 Abs. 3 des Zivildienstgesetzes.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Wird die Bundesregierung gewährleisten, daß man in Zukunft nicht mehr mit den Zahlungen im Rückstand ist, und wie wird sie das gewährleisten?
Frau Kollegin, wenn wir im kommenden Herbst die genauen Zahlen zur Verfügung haben, dann werden die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ohne Verzögerungen für die Begleichung der Rückstände eingesetzt. Die bis jetzt aufgelaufenen Förderungsfälle, in denen nicht gezahlt worden ist, werden der zeitlichen Reihenfolge nach bearbeitet werden. Es wird aber nach der Höhe des Haushaltsansatzes nicht möglich sein, in diesem Jahr alle früheren Platzbelegungen zu berücksichtigen, so daß auch noch 1990, möglicherweise auch noch 1991 in gewissem Umfange Zahlungen erfolgen. Aber das ist ein Thema, das im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen am besten im Haushaltsausschuß besprochen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß durch die von Ihnen geschilderte Praxis der Bundesregierung einzelne Träger in erhebliche Zahlungsprobleme kommen? Was gedenken Sie zu tun, um dies zu verhindern?
Mir sind im Augenblick keine konkreten Fälle dieser Art bekannt, aber wenn es konkrete Fälle dieser Art geben sollte, wäre auch das ein Punkt, der im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen besprochen werden müßte.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit ist der Fragenbereich beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Baum auf:
Vizepräsidentin Renger
Seit wann hat die Bundesbaudirektion Kenntnis von der schweren, auf die Baumaßnahmen zurückzuführenden Beschädigung der alten Zeder am Eingang I des Bundeshauses, die das historische Bild des alten Bundeshauses als eines Denkmals der neueren deutschen Geschichte mitgeprägt hat?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf die Frage des Kollegen Baum lautet:
Das Absterben der Zeder hängt nicht mit den jetzt laufenden Bauarbeiten ursächlich zusammen. Erste Anzeichen für eine Erkrankung des Baumes zeigten sich bereits 1984. Obwohl damals in Absprache mit der Bundestagsverwaltung verschiedene Maßnahmen ergriffen wurden, um die Lebensverhältnisse des Baumes zu verbessern - z. B. durch Entfernung des Plattenbelages im Bereich des Eingangs II, durch Auflockerung des Bodens im Traufbereich, durch intensive Wässerung und Düngung des Wurzelbereichs - hat sich die Zeder nicht mehr erholt.
Als sich im März 1989 deutlicher Nadelverlust zeigte, wurde am 30. März dieses Jahres auf Veranlassung der Bundesbaudirektion eine gemeinsame Ortsbesichtigung mit der Unteren Landschaftsbehörde durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß ein Absterben des Baumes nicht mehr zu verhindern ist. Als Ursachen werden die vor 10 bis 15 Jahren vorgenommenen Befestigungen von Flächen in der Nähe des Baumes und die Frostschäden in den Wintern 1984 bis 1987 vermutet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baum.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht meine Meinung, daß das eine sehr beschönigende Auskunft ist, denn für den Laien sichtbar ist der Baum abgestorben, nachdem nahezu das ganze Erdreich in der Umgebung des Baumes beseitigt worden ist? Ist das nicht eine besonders beschämende Sache? Wir reden hier nicht über eine Staatsaktion, aber man sollte nicht sang- und klanglos über einen solchen Punkt hinweggehen. Ist es nicht beschämend, daß jeder Bürger nach der Baumsatzung für seine Bäume Sorge zu tragen hat und der Bund es nicht fertigbringt, diese Verantwortung bei seinem Bauvorhaben wahrzunehmen?
Herr Kollege Baum, Sie gehen von der falschen Unterstellung aus, daß tatsächlich die gegenwärtig laufenden Baumaßnahmen etwas mit dem Absterben des Baumes zu tun haben. Das ist nachweisbar nicht der Fall.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Baum.
Ich habe eine Antwort gelesen, die Frau Hamm-Brücher bekommen hat. Da war der Ausschluß dieser Kausalität keineswegs so deutlich. Ich frage mich: Wer hat denn einen Nutzen an einer solchen Feststellung, die Sie hier treffen, z. B. hinsichtlich einer Schadensersatzpflicht usw.?
Herr Kollege Baum, natürlich machen wir uns auch über eine Ersatzpflanzung Gedanken. Ich muß aber noch einmal feststellen, daß Ursachen für das Absterben des Baumes bereits lange vor Beginn der Baumaßnahmen gesetzt worden sind. Da stimmen die Feststellungen der Bundesbaudirektion völlig mit denen der örtlichen Unteren Landschaftsschutzbehörde überein. Diese Ursachen sind vor 10 bis 15 Jahren und nicht in den letzten zwei Jahren seit Ende 1987 gesetzt worden, seit die Baumaßnahmen für den Plenarbereich des Bundes gelaufen sind.
Unabhängig davon gebe ich Ihnen recht, daß die Zeder eine wichtige Bedeutung für die Gestaltung des gesamten Parlamentsareals hat, und deswegen werden wir auch eine Ersatzpflanzung vornehmen. Die Mittel dafür stehen im Bereich der HU Bau für die Außenanlagen des Plenarbereichs zur Verfügung. Als Ersatzpflanzung haben wir an Stelle der Libanon-Zeder, die jetzt abgestorben ist, eine blaue Atlaszeder vorgesehen, die gegen Kälte wesentlich resistenter ist. Wir gehen davon aus, daß in absehbarer Zeit dann auch der äußere Eindruck wieder hergestellt sein wird, der zur Zeit durch das Ensemble Zeder und Bundeshaus besteht.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, als Abgeordnete, die sich seit vielen, vielen Jahren an dieser wunderschönen Zeder immer wieder aufgerichtet hat, wenn es hier besonders unerfreulich zugegangen ist, lade ich Sie herzlich ein, sich das an Ort und Stelle anzugucken. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, sich anzuschauen, was da passiert ist. Die Antwort der Bundesbaudirektion war wesentlich ehrlicher. Die hat nämlich gesagt: Es ist nicht auszuschließen, daß es durch die Baumaßnahmen passiert ist. Es mag ein bißchen übertrieben klingen; aber für alle, die jeden Baum betrauern, der kaputtgeht, frage ich Sie: Sind Sie bereit, ein Gutachten erstellen zu lassen? Denn diese Abstützmaßnahmen sind sicher nicht beachtet worden. Indirekt war dies das auslösende Moment für das sehr rasche Ende dieses Baums, das innerhalb ganz weniger Wochen eintrat. Sie können sich gar nicht vorstellen, Kolleginnen und Kollegen, wie das mit so einem phantastischen Baum gehen kann. In zwei, drei Wochen war er tot. Das ist sehr traurig. Das müssen wir aufgreifen.
Frau Kollegin, ich teile Ihre Trauer über das Absterben des Baums. Nur, ich muß noch einmal darauf verweisen, daß es nach übereinstimmenden Feststellungen sowohl der örtlichen Landschaftsschutzbehörde als auch der Bundesbaudirektion keinen ursächlichen Zusammenhang mit den laufenden Baumaßnahmen gibt, sondern daß bereits 1984 die Erkrankungen festgestellt worden sind. Insofern gibt es diese Kausalität nicht, die Sie noch einmal behauptet haben.
Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, es ehrt ja den verehrten Kollegen Baum, wie er sich bemüht, den Baum zu erhalten.
({0})
Meine Frage dabei ist allerdings: Wenn Sie Ersatzpflanzungen vornehmen wollen, wovon gehen Sie aus? Wollen Sie die Blattmasse, die abstirbt, als das Maß für die Anzahl der Setzlinge nehmen, die Sie setzen wollen? Oder wollen Sie nur einen Setzling für den Baum setzen?
Herr Kollege, es handelt sich um eine Libanonzeder, die ca. 60 Jahre alt ist. Wir wollen eine Ersatzpflanzung mit einer blauen Atlaszeder vornehmen. Sie ist in einem vernünftigen Zustand und einpflanzbar mit etwa 30 Jahren zu erhalten. Wir würden dann in ungefähr 20 Jahren optisch wieder das gleiche Bild haben.
({0})
Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, indem ich sage, daß ich es bei aller Zurückhaltung für eine Schutzbehauptung halte, daß dieser Baum nicht eingegangen worden ist,
({0})
frage ich Sie doch, wenn das eine allgemeine Naturerscheinung ist, wie viele Zedern dieser Art und Größe denn eingegangen sind und ob Sie, da Sie sich auf die Untere Naturschutzbehörde beziehen, darüber ein Gutachten irgendeines unabhängigen Sachverständigen haben und ob Sie uns das zur Verfügung stellen können.
Herr Kollege Hirsch, ich stelle noch einmal fest, daß bereits 1984 die Erkrankung des Baums festgestellt worden ist. Damals hat es eine Besichtigung durch die Bundesbaudirektion und die Untere Landschaftsbehörde und durch Sachverständige gegeben. Daraufhin sind bereits Maßnahmen ergriffen worden, um zu verhindern, daß es zum Absterben kommt. Es sind erst recht - ich werde das sogleich auf die nächste Frage des Kollegen Baum erklären - bei Beginn der Plenarbaumaßnahmen umfangreiche Sicherungsmaßnahmen ergriffen worden, die schon als solche verhindert hätten, daß etwa wegen der Baumaßnahmen im Plenarbereich die Zeder hätte absterben können. Dies alles hat leider das Absterben nicht verhindern können, weil die Ursachen bereits vor Beginn der Baumaßnahmen im Plenarbereich gesetzt waren.
Frage 8 des Herrn Abgeordneten Baum:
Was hat die Bundesbaudirektion zur Abwendung dieser Schäden auch unter Hinzuziehung von externem Sachverstand unternommen, und wer ist regreßpflichtig?
Bitte schön, Herr Staatssekretär:
Vor Beginn der Baumaßnahme - Plenarbereich - wurde Ende 1987 ein Baumschutzzaun erstellt. Seit Beginn der Bauarbeiten wurde die Zeder regelmäßig von einem Fachbetrieb für Garten- und Landschaftsbau gewässert und gedüngt. Die durchgeführten Baumschutzmaßnahmen wurden dabei von einem ortsansässigen Bauleiter des Gartenbauarchitekten überwacht.
Die Untere Landschaftsschutzbehörde ist ständig über die getroffenen Vorbeugungs- und Vorsichtsmaßnahmen informiert worden. Eine Regreßverpflichtung von Beteiligten an der Baumaßnahme besteht nicht, weil ein Fehlverhalten nicht vorliegt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baum.
Ich gebe es auf.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die ausführlichen Auskünfte.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Der Fragesteller der Fragen 9 und 10, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Frage 34 des Abgeordneten Scherrer wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Bindig auf:
Welche verkehrspolitischen Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem von der Republik Österreich angekündigten Lastkraftwagen-Nachtfahrverbot für den Bereich des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Straße ziehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung strebt an, künftig einen wesentlich größeren Teil des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene abzuwickeln. Zu diesem Zweck haben die Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, Italiens und der Schweiz im April 1989 einen gemeinsamen Stufenplan zur mittel- und langfristigen Verbesserung des alpenquerenden Eisenbahnverkehrs vereinbart.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, ich hatte in meiner ersten Frage ganz speziell gefragt, welche Oberlegungen verkehrspolitischer Art im Straßenverkehr angestellt werden. Da kann ich vielleicht die Nachfrage stellen: Wie groß ist denn in etwa das Volumen, welches im alpenquerenden Güterverkehr auf der Straße abgewickelt wird?
Herr Kollege, die Straße ist in der Frage 36 angesprochen.
Können wir vielleicht beide Fragen zusammen beantworten? - Nein. Ich will Sie nicht stören, Herr Bindig.
Ich wollte nur darauf beharren, daß ich recht habe,
({0})
weil in der Frage 35 die Straße angesprochen ist, Herr Staatssekretär. Meinetwegen kann man beide Fragen zusammen beantworten. Dann kommen Sie vielleicht zur Straße.
Dann rufe ich auch die Frage 36 des Abgeordneten Bindig auf:
Welche verkehrspolitischen Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem von der Republik Österreich angekündigten Lastkraftwagen-Nachtfahrverbot für den Bereich des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene ziehen?
Herr Kollege, wegen der ernsten Auswirkungen der einseitigen österreichischen Maßnahme auf weite Teile der Wirtschaft, die auf einen funktionierenden Güterverkehr über die Alpen angewiesen ist, hat der EG-Verkehrsministerrat auf Vorschlag von Bundesminister Dr. Zimmermann am 5. Juni die EG-Kommission einstimmig beauftragt, auf politischer Ebene mit Österreich und der Schweiz Kontakt aufzunehmen, damit erstens Österreich keine neuen Restriktionen beschließt und sich im übrigen zur Erörterung des Nachtfahrverbots bereit erklärt, zweitens die Schweiz sich zu Übergangsmaßnahmen im Bereich des Straßenverkehrs bereit erklärt, drittens alle Transitländer generell von einseitigen Maßnahmen Abstand nehmen, viertens eine Verständigung über die Einführung eines umweltfreundlichen Lkw in Absprache mit Österreich und der Schweiz erzielt wird und fünftens bei Fortsetzung der Verhandlungen die Grundlage der Gegenseitigkeit beim Zugang zum Straßenverkehrsmarkt beachtet wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Bindig.
Richten sich Ihre Überlegungen demnach jetzt ganz wesentlich darauf, den geplanten, stockenden Lkw-Verkehr wieder laufen zu machen, statt grundlegender eine Analyse vorzunehmen, wie groß denn nun der Güterverkehr auf der Straße über die Alpen ist, damit man Informationen darüber erhält, was denn eventuell verlagerbar ist?
Herr Kollege, ich muß Ihre Frage mit Nein beantworten. Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, zusammen mit Osterreich und Italien zur Entlastung der Brenner-Transitautobahn vom Lkw-Verkehr die Kapazität der Schienenverbindung München-Verona zu verbessern. Es ist vorgesehen, zwischen 1992 und 1994 ein Landungsvolumen von 1 600 Lkw zusätzlich auf der Schiene zu befördern. Vorsorglich haben wir im Bundeshaushalt bereits in diesem Jahr einen Betrag von 60 Millionen DM zu diesem Zweck qualifiziert gesperrt.
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger.
Jäger CDU/CSU: Herr Staatssekretär, da Sie von Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft gesprochen haben, habe ich die Frage, ob sich denn die österreichische Bundesregierung vor Einführung dieses Nachtfahrverbotes mit der Kommission in Brüssel oder mit der Bundesregierung deswegen ins Benehmen gesetzt und auf eine einvernehmliche Lösung hingewirkt hat oder ob dies unterblieben ist.
Es gibt, Herr Kollege Jäger, seit Jahren Gespräche offizieller und inoffizieller Art. Ich glaube, ich muß Ihre Frage, ob es ein offizielles Benehmen gegeben hat, verneinen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung, nachdem jetzt deutlich wird, daß sich beide Alpenländer, Schweiz und Österreich, gegen den Straßenverkehr wenden, Überlegungen an, ob man den Schienenverkehr auch dadurch stärken muß, daß man sich noch stärker als bisher um den Ausbau der alpenquerenden Schienenstrecken bemüht, und denkt man neben dem Brenner und dem Gotthard vielleicht noch an einen weiteren Übergang?
Herr Kollege, ich kann mir denken, worauf Sie anspielen. Es gab viele Gespräche, z. B. über die Frage, ob unter dem Splügen eine weitere Transversale gebaut werden sollte. Sie wissen, daß es im Frühjahr dieses Jahres Verhandlungen zwischen den beteiligten Ländern gegeben hat und daß die Schweiz jetzt zu der sogenannten Y-Lösung tendiert. Ich muß das im einzelnen nicht weiter erläutern. Jedenfalls wäre die Ostschweiz hierdurch mit entlastet. Allerdings wäre das nicht der klassische Splügen-Tunnel, von dem wir beide einmal gemeinsam ausgegangen sind.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Ist Ihnen denn in diesem Zusammenhang bekannt, Herr Staatssekretär, daß weder Ihr Haus noch die Deutsche Bundesbahn jemals eine wirklich systematische Untersuchung über den alpenquerenden Güterverkehr angestellt hat, um die Potentiale wirklich zu erfassen und dann zu überlegen, in welchem Raum am besten die Möglichkeit wäre, noch etwas von der Straße auf die Schiene zu legen? Meine sorgfältigen Recherchen haben ergeben, daß es solche Untersuchungen bisher nicht gibt, weder von Ihrem Haus noch von der Deutschen Bundesbahn.
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß Sie nach bestem Wissen und Gewissen sorgfältig recherchiert haben. Wenn ich sorgfältig nachschaue, was bei uns im Verkehrsministerium vorliegt, muß ich sagen: Es gibt Gutachten, es gibt auch Untersuchungen der Schweiz, es gibt mehrere gemeinsame Untersuchungen. Das Ganze ist ein Thema, das sich bereits über mehrere Jahre hinzieht.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, hat das angekündigte Lastkraftwagen-Nachtfahrverbot in Österreich Sie dazu veranlaßt, sich mit dem Umweltminister ins Benehmen zu setzen und gemeinsam eine Konzeption auszuarbeiten, wie man das Massengut11000
aufkommen auf die Schiene zurückverlagern kann und wie man auch die gefährlichen Güter auf die Schiene zurückverlagern kann?
Frau Kollegin, ich habe schon vorher, in den ersten Antworten, gesagt, daß wir seit Jahren mit den Alpenländern in Verbindung stehen. Italien ist ebenfalls mit dabei, genauso Frankreich. Wir wollen den Verkehr zu einem Teil auf die Schiene verlagern. Ich habe vorhin konkrete Zahlen genannt: 1 600 Lkw zu Beginn der 90er Jahre. Ich habe auch gesagt, daß wir bereits vorsorglich Geld in den Haushalt eingestellt haben. Wir sind also willens, hier auf die Schiene zu gehen. Das machen die Verkehrsminister aus eigener umweltpolitischer Verantwortung. Da gibt es keine Differenzen mit dem Umweltminister.
Im übrigen sind wir in Kontakt mit der EG. Morgen wird der EG-Kommissar mit Österreich über das Nachtfahrverbot verhandeln.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, ist es nicht in der Tat so, daß das Verhalten der Republik Österreich und ihrer Bundesländer in der Frage des Nachtfahrverbots zu neuen Überlegungen über alpenüberquerende Schienenstränge zwingt, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß wir mit den Kapazitäten sowohl des Brenners als auch des Gotthards selbst mit Y-Lösung und weiterem Ausbau relativ schnell am Ende sein werden, so daß sich tatsächlich neue Alpenübergänge nahelegen?
Ich glaube, daß wir erst einmal alles tun müssen, um die Kapazitätserweiterung, die Sie angesprochen haben, auch tatsächlich zu realisieren. Wir sind noch nicht so weit. Da gibt es vorher auch noch rechtliche Verfahren. Die muß man durchstehen. Man muß auch die Finanzierung absichern. Ich weiß noch nicht, wie z. B. ein Tunnel für die Eisenbahn unterhalb des Brenners finanziert werden soll. Das ist etwas anderes als das, was ich vorher zum sogenannten kombinierten Verkehr gesagt habe.
Ich gehe davon aus, daß angesichts der langen Realisierungszeiträume für neue Tunnelstrecken dann sicherlich eine Jahreszahl vor uns stehen wird, die dazu zwingen wird, noch über zusätzliche Verbindungen nicht nur nachzudenken, sondern dieselben zu beschließen, wenn der Verkehr weiter so kontinuierlich anwächst.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es in erster Linie eine Frage der Souveränität eigenständiger Staaten in Europa ist, darüber zu befinden, welche Verkehre andere Staaten durch ihr Land schleusen, und daß es durchaus, wenn man betroffen ist, berechtigt ist, darüber nachzudenken, ob einerseits der Verkehr die Leute nachts zusätzlich belastet und inwieweit andererseits diejenigen Staaten, die der Meinung sind, daß der 40-Tonnen-Lastzug
unbedingt sein muß, bereit sind, diese Kosten grundsätzlich zu tragen?
Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie die Souveränität anderer Staaten ansprechen. Ich hoffe, daß ich diese Souveränität in meinen Antworten geachtet habe.
Ich muß allerdings noch zwei Dinge anfügen. Von Österreich fahren viermal so viele Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein wie umgekehrt. Also muß es doch einmal erlaubt sein, darüber nachzudenken, wie der Verkehr in der Zukunft abgewickelt werden soll.
Außerdem strebt die Republik Österreich eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der EG an. Jetzt den Verkehr nach Italien nachts einfach zu blokkieren ist, glaube ich, nicht die richtige Eintrittskarte für die EG.
Wir danken Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneter Dr. Hirsch auf:
Welche strafrechtlichen Konsequenzen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung für den verantwortlichen US-amerikanischen Rottenführer Mark Gibson aus dem nunmehr bekanntgewordenen Bericht einer US-amerikanischen Sachverständigengruppe über die Ursache der Flugkatastrophe in Remscheid in Anbetracht des festgestellten leichtfertigen Verhaltens des amerikanischen Offiziers?
Herr Kollege Dr. Hirsch, der Bundesregierung liegt der Bericht der amerikanischen Sachverständigen zum Unfallhergang in Remscheid vor. Der Bericht, der die Fakten nennt und keine Bewertung enthält, nimmt zur Frage des Verschuldens oder der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einzelner Personen oder Dienststellen nicht Stellung.
Ob das Verhalten des Rottenführers zu strafrechtlichen Konsequenzen führt, prüfen gegenwärtig die amerikanischen Militärbehörden in eigener Zuständigkeit. Ihnen steht nach den Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts bei strafbaren Handlungen, die sich aus Handlungen oder Unterlassungen in Ausübung des Dienstes ergeben, das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit zu. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, an der Sorgfältigkeit der Ermittlungen durch amerikanische Militärbehörden zu zweifeln.
Ob und in welchem Umfang in der Bundesrepublik Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten sind, obliegt der Prüfung der für die Durchführung des NATO-Truppenstatuts zuständigen Justizbehörden der Länder.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie den Bericht kennen, dann kann doch wohl kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß dieser amerikanische Flieger den Unfall, dem sechs oder sieben Menschen zum Opfer gefallen sind, geradezu in leichtfertiger Weise verschuldet hat. Halten Sie es denn nicht für angemessen, daß hier in großer Klarheit und Offenheit dafür gesorgt wird, daß dieser Mann nicht anders behandelt wird als ein Lastwagenfahrer, der auf einer Autobahn im Nebel einen Massenunfall mit schrecklichen Folgen verursacht?
({0})
Herr Kollege Dr. Hirsch, Sie wissen, daß wir auf dem Gebiete der NATO die konkurrierende Gerichtsbarkeit haben. Im Rahmen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit gibt es Vorrechte; u. a. dann, wenn in Ausübung des Dienstes gehandelt wird. Die Amerikaner haben das Vorrecht ausgeübt und auch bekräftigt, daß sie es ausüben wollen. Wenn das geschieht, ist die deutsche Staatsanwaltschaft nach allgemeiner Meinung gehindert, von sich aus zu ermitteln.
Die Staatsanwaltschaft in Wuppertal hat Ermittlungsverfahren gegen deutsche militärische und private Dienststellen eingeleitet. Das Verfahren ist zwischenzeitlich eingestellt worden, weil keine deutschen Stellen, weder militärische noch private, ursächlich für den Unfall sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben zutreffend dargestellt, daß die amerikanischen Behörden dem leitenden Staatsanwalt in Wupptertal mitgeteilt haben, daß sie entsprechend den Bestimmungen des NATO-Truppenstatutes ihren Vorrang ausüben wollen. Nun frage ich Sie aber, was denn die deutschen Behörden getan haben, um sich entweder darum zu bemühen, daß sie die Strafverfolgung selber wahrnehmen können, also die Amerikaner von ihrem Vorrang abhalten, was ja nach dem Truppenstatut möglich ist, oder was sie dann, wenn das nicht geht, wenigstens tun wollen, um sich über den Fortgang des Strafverfahrens und darüber, ob es überhaupt stattfindet, zu vergewissern, es also in der Art zu begleiten, wie das normalerweise Nebenkläger tun könnten, wenn es um Delikte dieser Schwere geht.
Herr Kollege Dr. Hirsch, ich bin informiert, daß Sie die Fragen auch an den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen gerichtet haben. Wir haben hier im Deutschen Bundestag nicht die Haltung der Staatsanwaltschaft in Wuppertal zu bewerten. Ich möchte aber feststellen, daß sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Kompetenz gehalten hat.
Wenn Sie nun kritisieren, daß das Vorrecht nicht zurückgeholt worden ist, dann muß man hinzufügen, daß die Amerikaner mitgeteilt haben, daß sie am Vorrang festhalten. Deshalb, weil die Amerikaner erklärt haben, daß sie am Vorrang festhalten, kann ich keinerlei Möglicheiten der Beanstandung gegenüber der Staatsanwaltschaft in Wuppertal feststellen. Es ist
nicht zu beanstanden, daß die Staatsanwaltschaft von weiteren Ersuchen Abstand genommen hat.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß unabhängig davon, ob die Amerikaner ihr Vorrecht ausgeübt haben, grundsätzlich festzustellen ist, daß Flugunfalluntersuchungsakten, nach deutschem Recht erstellt, anders behandelt werden als Flugunfallakten, die nach amerikanischem Recht erstellt sind, was konkret heißt, daß eine amerikanische Flugunfallakte nicht Gegenstand der Herausgabe für die Gerichte ist - dies gilt grundsätzlich - und daß daraus resultierend auch die deutsche Staatsanwaltschaft, wenn sie hätte ermitteln wollen, nie hätte ermitteln können, weil ihr die Unfallakten nie zur Verfügung gestellt worden wären?
Herr Kollege Klejdzinski, ich kann das, was Sie fragen, nicht bestätigen. Ich habe hier auf den konkreten Sachverhalt zu antworten. Es ist nach überwiegender Meinung in Literatur und Rechtsprechung so, daß während eines laufenden Verfahrens die deutschen Staatsanwaltschaften nicht eingreifen dürfen. Wenn die Amerikaner eine Verurteilung ausgesprochen haben oder - was ich nicht weiß - ein Freispruch möglich wäre, gilt der Grundsatz: Ne bis in idem.
({0})
- Man kann nicht zweimal für dieselbe Tat bestraft werden. - Das bedeutet, daß dann die deutschen Justizbehörden von sich aus nicht tätig werden.
Etwas anderes wäre es, wenn das laufende Verfahren weder zu einem Freispruch noch zu einer Verurteilung führt. Dann kann auch die deutsche Staatsanwaltschaft prüfen, ob sie weitere Schritte einleiten will.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Habe ich es auf Grund der Behauptung des Herrn Kollegen Hirsch, daß dieser Unfall auf ein nahezu leichtfertiges Verhalten des Piloten zurückzuführen ist und daß dennoch keine Strafverfolgung im Sinne des deutschen Strafgesetzes möglich ist, richtig verstanden, daß die Bundesregierung eigentlich aufgefordert wäre, mit unseren NATO-Partnern über neue Bedingungen über Tiefflugzonen in der Bundesrepublik zu verhandeln?
({0})
Herr Kollege Grünbeck, ich kann heute keine Bewertung vornehmen, weil in dem Bericht keine Bewertung steht. Die Unterlagen sind dem Bundesminister der Verteidigung zugegangen. Er wird die Unterlagen prüfen, auch im Hinblick auf eine Bewertung. Ich bin dahingehend informiert, daß der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses sowohl den Bericht als auch die Bewertung bekommen wird. Deshalb bitte ich um Verständ11002
nis, daß ich zu Ihrer Frage keine abschließende Stellungnahme heute vor dem Deutschen Bundestag abgeben kann.
({0})
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, um eine Bestrafung des Täters zu erreichen und den Angehörigen der getöteten sechs Remscheider Opfer die Rechtsstellung von Nebenklägern zu verschaffen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Hirsch, die durch das NATO-Truppenstatut vorgegebene Rechtslage und die Unabhängigkeit der Rechtsprechung erlauben es der Bundesregierung nicht, auf Ermittlungs- und Strafverfahren Einfluß zu nehmen. Die zuständigen amerikanischen Militärgerichte wenden eigenes materielles Recht und eigenes Verfahrensrecht an.
Nach Kenntnis der Bundesregierung ist eine Nebenklage im amerikanischen Militärstrafverfahren nicht möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, nur damit wir sicher sind,, daß wir beide von demselben Vorgang sprechen: Es sind sechs Menschen getötet worden, es sind Dutzende verletzt worden, es sind Millionenwerte vernichtet worden. Halten Sie es dann für angemessen, daß sich die Bundesregierung mit der Mitteilung der amerikanischen Militärbehörde zufriedengibt, daß sie das schon selber machen werden, und daß damit dann Schluß ist, ausgenommen, daß wir uns an der Schadensregulierung beteiligen? Halten Sie das für angemessen?
Herr Kollege Dr. Hirsch, die Betroffenheit der Bundesregierung über das, was dort geschehen ist, hat der Bundeskanzler und hat die Bundesregierung mehrfach zum Ausdruck gebracht. Darüber sollten wir vor dem Deutschen Bundestag in keiner Weise streiten.
Eine andere Frage ist, nach welchen gesetzlichen Regeln dieser Vorgang zu behandeln ist. Ich habe Ihnen hier die Rechtslage so, wie sie tatsächlich besteht, vorgetragen. An der Zuständigkeit der Bundesländer zur Ermittlung müssen wir festhalten. Es gilt der Grundsatz: Solange Verfahren laufen, mischt man sich nicht ein. Wenn man sich einmischen wollte, wäre das eine Aufgabe - darüber streiten wir, glaube ich, nicht - der zuständigen Bundesländer und nicht des Bundes.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn wir nach einer leichtfertigen Straftat mit so gravierenden Folgen für unsere Mitbürger nichts anderes tun können, als den Hut abzunehmen und zu sagen, daß es uns leid tut, sind Sie dann nicht der Meinung, daß
diese Rechtslage 40 Jahre nach Ende des Krieges unbefriedigend ist und schleunigst geändert werden sollte?
({0})
Herr Kollege Dr. Hirsch, ob die Prämisse stimmt, daß hier eklatantes Verschulden vorliegt - davon gehen Sie ja aus -, kann ich Ihnen heute nach meiner Kenntnis nicht oder noch nicht bestätigen.
({0})
- Ich habe festgestellt, daß im Bericht keine Wertung vorgenommen worden ist, daß aber der Bericht selber gewertet wird. Ich bin der Auffassung, daß diese Frage, die Sie jetzt gestellt haben, an Aktualität gewinnt, wenn die Bewertung so ausfällt, wie Sie es gerade annehmen.
Zusatzfrage, Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ich bin dankbar, daß Sie festgestellt haben, daß die Ermittlungen nach eigenem amerikanischen Recht erfolgen und daß das nicht unserer Bewertung unterliegt, und daß Sie gleichzeitig erklärt haben, daß die Bundesländer zuständig seien und nicht der Bund.
Darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sie a) bereit sind, sich über das schlau zu machen, wonach ich vorhin bezogen auf den Fall gefragt habe, nämlich wie das mit den Untersuchungsakten aussieht, und ob Sie b) bereit sind, mir mitzuteilen - das können Sie durchaus schriftlich tun, weil ich der Meinung bin, daß Sie zum jetzigen Zeitpunkt sicher überfragt sind, mir dazu eine umfassende Antwort zu geben -, wie man im Grunde genommen veranlassen kann, daß die Länder die Kompetenz haben, wenn der Bund für sich in Anspruch nimmt, Verträge mit anderen Staaten, sprich: NATO-Verträge, sprich: völkerrechtliche Verträge, abzuschließen?
Herr Kollege Klejdzinski, ich trage noch einmal vor, daß bis zum heutigen Tage eine Bewertung nicht vorliegt und der Bericht selber keine Bewertung eines strafrechtlichen Verhaltens des Rottenführers beinhaltet, daß aber unabhängig von dieser Feststellung der Bundesminister der Verteidigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt prüft, wie das Verhalten zu werten ist. Es ist angekündigt, daß der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses entsprechend unterrichtet wird.
Ich kann deshalb - das betone ich noch einmal - am heutigen Tage eine Wertung nicht vornehmen. Ich habe eben gesagt, daß dann, wenn die Prämisse des Kollegen Hirsch stimmt, im aktuellen Geschehen durchaus neue Initiativen ergriffen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung sich dafür einsetzen oder sicherstellen, daß dieser Bericht auch dem Rechtsausschuß und dem
Auswärtigen Ausschuß des Bundestages zur Kenntnis gegeben wird?
Das liegt nicht in meiner Kompetenz. Ich werde Ihren Wunsch weiterleiten.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Geis auf:
Hält die Bundesregierung in Anbetracht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 § 218 Abs. 3 StGB, wonach eine schwangere Frau, auch wenn die Voraussetzungen des § 218 a StGB nicht erfüllt sind, nach erfolgter Beratung straflos eine Abtreibung bis zur 22. Woche vornehmen lassen kann, für verfassungskonform?
Herr Staatssekretär, ich bitte um Ihre Antwort.
Herr Kollege Geis, bevor ich konkret Ihre Frage beantworte, ob die Straffreiheitsklausel des § 218 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches mit der Verfassung in Einklang steht, möchte ich kurz ihren Regelungsgehalt beschreiben.
Nach § 218 Abs. 1 StGB ist der Abbruch der Schwangerschaft grundsätzlich mit Strafe bedroht. Die Tat ist nur ausnahmsweise nach § 218 a nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar, wenn der Abbruch mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird und eine Indikation vorliegt.
Ist eine Indikation nicht gegeben, so kann § 218 Abs. 3 Satz 2 zum Zuge kommen. Danach ist die Schwangere - und nur sie - nicht strafbar, wenn der Abbruch nach sozialer und medizinischer Beratung im Sinne von § 218b Abs. 1 Nrn. 1 und 2 von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen sind.
§ 218 Abs. 3 Satz 2 erklärt somit den Schwangerschaftsabbruch nicht innerhalb bestimmter Fristen generell für straffrei und nimmt ihn auch nicht von dem generellen Umwerturteil aus. Der Schwangerschaftsabbruch bleibt auch in den Fällen, in denen die Frau für straffrei erklärt wird, eine rechtswidrige Tat. Alle übrigen an ihm Beteiligten sind strafbar. Auch das Verhalten der Schwangeren wird rechtlich mißbilligt. Sie ist nur persönlich straffrei. Demgemäß werden die Kosten eines solchen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs auch nicht von den Krankenkassen bzw. der Sozialhilfe übernommen.
Diese Regelung hat die Bundesregierung im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geis.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Bedenken gegen die Logik der jetzt von Ihnen vorgetragenen Meinung der Bundesregierung teilen, wenn Sie erstens beachten, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Februar 1975 ausdrücklich gefordert hat, daß grundsätzlich auch das Gebot des strafrechtlichen Schutzes bei einer Abtreibung relevant ist und nicht allein die Beratung genügt, wenn Sie zum zweiten beachten, daß, wenn das, was Sie sagen, richtig ist,
({0})
zwar der Arzt und vielleicht auch der Partner nach § 218 zu bestrafen sind, aber dieser strafrechtliche Schutz für das noch nicht geborene Kind nicht in Richtung der Mutter Geltung hat, und wenn Sie zum dritten beachten, daß dann, wenn das, was Sie sagen, richtig wäre, der § 218a, soweit es um die Strafausschließung geht, ja nur für den Arzt bzw. den Partner, der sich an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligt, Geltung hätte?
({1})
Herr Kollege Geis, ich will den Standpunkt der Bundesregierung konkretisieren. Das Bundesverfassungsgericht hat in der von Ihnen angesprochenen Entscheidung zwar einerseits die Notwendigkeit einer klaren rechtlichen Mißbilligung nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche betont und - ich zitiere - im äußersten Falle eine Verpflichtung des Gesetzgebers zum Schutze des ungeborenen Lebens mit den Mitteln des Strafrechts festgestellt; andererseits hat das Gericht aber auch betont, daß es entscheidend darauf ankommt, ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet. Die gesetzliche Regelung will den Schutz durch klare strafrechtliche Mißbilligung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs einerseits und durch Beratung und Hilfe für die Schwangere andererseits erreichen.
Die bedingte Straffreiheit der Schwangeren innerhalb der Gesamtregelung soll den Zugang zur Beratung erleichtern und damit die Voraussetzungen für einen wirksamen Lebensschutz durch Beratung und Hilfe verbessern.
Herr Abgeordneter Geis, eine kurze Zusatzfrage bitte; Ihre erste Frage war schon so lang.
Stimmen Sie mit mir überein, Herr Staatssekretär, daß diese Meinung der Bundesregierung von allen Verfassungsrechtlern in der Republik, soweit sie sich zu dieser Frage geäußert haben, nicht geteilt wird? Stimmen Sie mit mir überein, daß diese Auffassung vor allem auch von vielen maßgeblichen Parlamentariern in der seinerzeitigen parlamentarischen Beratung nicht geteilt worden ist?
Herr Kollege Geis, sicherlich gibt es auch andere Rechtsauffassungen.
({0})
Die Straffreiheitsklausel war damals im Gesetzgebungsverfahren, wenn wir uns richtig erinnern, auch stark umstritten. Die Kritik hat zum Teil geltend gemacht, die Vorschrift enthalte eine verkappte Fristenregelung. Es ist auch richtig, daß damals gegen diese Regelung geltend gemacht worden ist, die Schwangere brauche ja lediglich zur Beratung zu gehen und
könne dann nach Abschluß der Beratung straflos abtreiben.
Die Bundesregierung und die Mehrheit des Deutschen Bundestags haben seinerzeit die Verfassungsmäßigkeit der jetzigen Regelung bejaht. Der damaligen Bewertung kann nach Auffassung der Bundesregierung nach wie vor zugestimmt werden.
Sicherlich enthält das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch einige Ausführungen, die darauf hindeuten könnten, daß das Gericht bei Verneinung einer Indikation auch eine Strafbarkeit der Schwangeren für grundsätzlich erforderlich hielt. Diese Ausführungen sind nach Auffassung der Bundesregierung jedoch im Zusammenhang des Urteils zu lesen, das sich auf eine Regelung bezog, die den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens während der ersten drei Monate fast völlig zurücknahm.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts heute 14 Jahre und 14 Wochen zurückliegt: Sind in diesen 14 Jahren und 14 Wochen der Bundesregierung gerichtliche Entscheidungen oder Klageerzwingungsverfahren bekanntgeworden, nach denen sich Gerichte der Auffassung anschließen, daß hier eine verfassungsrechtliche Entscheidung kommen müßte?
Herr Kollege Lüder, Ihre Frage kann ich nicht bejahen. Aber es ist unverkennbar: Es gibt in der Literatur - sogar häufiger als früher - die Auffassung, daß man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch in einem anderen Licht analysieren und bewerten könne.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestreiten, daß die zitierte Bestimmung des § 218 Abs. 3 zu einem Abbruchtourismus ins Ausland geführt hat, weil ja in der Tat bei der Vornahme des Abbruchs im Ausland durch einen dortigen Arzt völlige Straffreiheit für alle Beteiligten durch diese Bestimmung garantiert ist? Ist die so erzielte Ersatz-Fristenregelung oder Hilfs-Fristenregelung, die damit tatsächlich entstanden ist, in verfassungsrechtlicher Sicht nicht doch höchst bedenklich, weil sie sich auf die Beseitigung der Fristenregelung durch das Bundesverfassungsgericht richtet?
Hier ist nur nach der Verfassungskonformität gefragt worden, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung liegen keine Zahlen darüber vor, in welchem Umfang ein, wie Sie es sagen, Tourismus ins Ausland stattgefunden hat. Nur, generell kann man wohl sagen, daß diskutiert werden muß, ob in bezug auf § 218 Verfassungswirklichkeit und Verfassungsanspruch miteinander in Einklang stehen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, kann mir die Bundesregierung bestätigen, daß - abgesehen von der Verfassungskonformität - jede Frau, die sich für einen Abbruch entscheidet, eine sehr schwere Entscheidung trifft, daß das keineswegs eine leichtfertige Entscheidung ist und daß es in diesem Zusammenhang eigentlich nicht in Ordnung ist, wenn man von „Tourismus" spricht, weil dieses Wort wirklich nicht den Gemütszustand der betreffenden Frauen beschreibt? Das ist eigentlich eine sehr fahrlässige Beurteilung. Ich finde es empörend, wie hier über dieses Thema geredet wird. Kann die Bundesregierung mir vielleicht auch noch bestätigen, daß nichts gewonnen würde, wenn eine Frau - zusätzlich zu ihrer schweren Entscheidung, die sie getroffen hat - auch noch eine Strafe auferlegt bekäme, und kann sie mir weiterhin erklären, wieso wir immer zwischen geborenem und ungeborenem Leben unterscheiden; geht es da nicht um den Schutz von Menschen?
Frau Kollegin, ich bestreite keineswegs die konkrete Konfliktsituation, die eine Frau bei der Frage einer Abtreibung durchmacht; das steht außer Streit. Und ich bin auch nicht derjenige, der das letztendlich zu bewerten hat.
Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schauen, das gesagt hat, daß das Lebensrecht des Ungeborenen grundsätzlich den Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau hat. Das hat dann mit der Bestrafung natürlich nicht unmittelbar etwas zu tun, wohl aber mit der Wertigkeit, und zwar mit der Frage, ob das, was da geschieht, vor der objektiven Werteordnung Bestand hat oder nicht.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung die von verschiedenen Bundesministerien vertretene Ansicht, daß entgegen jahrzehntelanger eindeutiger Gesetzessprache die durch einen Mediziner vorgenommene Tötung eines Menschen vor der Geburt nicht lediglich gemäß § 218 a StGB „nicht nach § 218 strafbar", sondern überdies gerechtfertigt sein soll, vereinbar mit dem vorkonstitutionellen, unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrecht auf Leben und mit dem allgemein anerkannten ausnahmslosen Verbot der vorsätzlichen Tötung eines nicht angreifenden unschuldigen Menschen?
Herr Kollege Jäger, nach § 218 StGB ist der Abbruch einer Schwangerschaft grundsätzlich strafbar. Nur in den Fällen des § 218 a StGB ist der Abbruch, wenn er mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird und einer der in dieser Vorschrift aufgeführten Indikationsfälle vorliegt, nicht nach § 218 StGB strafbar.
Der Begriff „nicht strafbar" im weiteren Sinne kann nach der strafrechtlichen Systematik mehrere Bedeutungen haben: erstens „nicht rechtswidrig" im Sinne eines Rechtfertigungsgrundes; zweitens „nicht schuldhaft" im Sinne eines Schuldausschließungsgrundes; drittens „nicht strafbar" im Sinne eines Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrundes.
Aus der Entstehungsgeschichte des § 218a StGB ergibt sich, daß der Gesetzgeber alle in § 218a StGB genannten Indikationen als Rechtfertigungsgründe angesehen hat. Bei den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform und den abschließenden Beratungen im Plenum des Deutschen Bundestages wurden die Indikationen als Rechtfertigungsgründe bezeichnet bzw. ihnen rechtfertigende Wirkung beigemessen, ohne daß Widerspruch erhoben wurde.
Von einer gesetzlichen Klarstellung wurde lediglich deshalb abgesehen, weil - ich zitiere aus den Materialien - „die Gefahr, daß man aus dieser Fassung schließen könnte, daß es sich nicht um einen Rechtfertigungs-, sondern um einen Schuldausschließungsgrund handele, nicht gegeben sei."
In anderen Gesetzen, die auf § 218 StGB aufbauen, z. B. § 200f Reichsversicherungsordnung, hat der Gesetzgeber ausdrücklich die Formulierung „bei nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch" benutzt. Diese Wendung verdeutlicht nachdrücklich die vom Gesetzgeber gewählte Einstufung aller in § 218 a StGB aufgeführten Indikationen als Rechtfertigungsgründe. Der in solchen Normen vorausgesetzte Wegfall der Rechtswidrigkeit kann sich nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 218a StGB ergeben.
Rechtliche Bedenken gegen die Qualifizierung der Indikationen als Rechtfertigungsgründe ergeben sich auch nicht aus dem vorkonstitutionellen Menschenrecht auf Leben.
({0})
Herr Kollege Jäger, wir sind eigentlich schon längst am Ende der Fragestunde. Ich habe Ihre Frage nur doch drangenommen, damit wir auch dieses Ressort abschließen können. Ich bitte um eine kurze Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das Bundesverfassungsgericht sagt in seinem bekannten Urteil ausdrücklich, daß Abbruch der Schwangerschaft eine Tötungshandlung ist. Kann es denn irgendein Gesetz geben, das das Töten von Menschen als etwas Rechtmäßiges erklärt, ausgenommen den Fall der Notwehr?
Herr Kollege Jäger, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auf das Sie sich berufen, enthält keine völlig eindeutige Aussage darüber, ob nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Indikationen als Rechtfertigungsgründe zu verstehen sind oder doch zumindest ausgestaltet werden dürfen. Die Auslegung der Bundesregierung geht dahin, daß es Rechtfertigungsgründe sind.
({0})
Wenn es sein muß.
Herr Staatssekretär, noch eine weitere kurze Zusatzfrage: Ist Ihnen bekannt - ich darf das voraussetzen -, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem von mir schon zitierten Urteil sagt: Der Staat muß grundsätzlich von einer Pflicht zur Austragung der Schwangerschaft ausgehen und ihren Abbruch also grundsätzlich als Unrecht ansehen? Wie ist die Haltung, die Sie hier vorgetragen haben, mit dieser Aussage des Bundesverfassungsgerichts vereinbar?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Nur, Sie haben selber festgestellt, Herr Kollege Jäger, daß das Wort „grundsätzlich" sehr unterschiedlich interpretiert wird. Ich verkenne hier nicht, daß es auch beachtliche Stimmen gibt, die eine andere Auslegung vornehmen.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. Die Fragestunde ist für heute beendet, weil die Fragen 57 und 58 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und die Frage 59 des Abgeordneten Stiegler schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir fahren mit den weiteren Ressorts in der nächsten Fragestunde fort.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf :
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum Stromverbund Bundesrepublik Deutschland-DDR
Die Fraktion der FDP hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im vergangenen Jahr ist es nach jahrelangen Bemühungen gelungen, in einem privatwirtschaftlichen Vertrag zwischen der Preußenelektra, der Bewag und der DDR-Handelsgesellschaft Intrac eine langfristige stromwirtschaftliche Zusammenarbeit unter Einbeziehung West-Berlins zustande zu bringen. Dieses energiepolitische Ziel haben alle Bundesregierungen und alle Berliner Senate seit Jahrzehnten verfolgt.
Bei den Gesprächen mit Generalsekretär Honecker am Werbellinsee hat sich der damalige Bundeskanzler Schmidt persönlich für eine solche Leitungsverbindung zwischen Berlin und dem Bundesgebiet eingesetzt. Ich habe dasselbe in vielen Gesprächen mit der DDR getan. Beim Besuch Honeckers im September 1987 in Bonn wurde das Thema von Bundeskanzler Kohl abermals mit großem Nachdruck angesprochen.
Mit der Leitungsverbindung sind nicht nur ökonomische, sondern auch umweltpolitische, deutschland und berlinpolitische Verbesserungen verbunden. Es ist kein rein berlinpolitisches Thema.
Der Berliner Senat zerschlägt durch schleppende Behandlung und langatmige Gutachtenvergabe jetzt den Stromliefervertrag. Faktisch wird durch die Verweigerung des Baus der Berliner Anschlußleitung der gesamte Vertrag außer Kraft gesetzt. Die deutschlandpolitische Vertragspolitik steht damit vor einer schweren Niederlage. Berlin wird die Folgen kurzsichtiger und ideologisch verbohrter, rechthaberi11006
scher Politik der rot-grünen Koalition zu tragen haben.
Es klingt, meine Damen und Herren, wie ein Treppenwitz der Zeitgeschichte, wenn die Gefährdung des Stromverbundes zwischen Berlin und dem Bundesgebiet mit dem Argument verteidigt wird, der Berliner Beitrag zum weltweiten Klimaschutz mache dies erforderlich. Dafür werden in Zukunft die Berliner Kraftwerke ihren Öleinsatz weiter erhöhen und ihren CO2-Ausstoß vergrößern.
({0})
Die Berliner CO2-Bilanz wird ansteigen. Die Sicherheit der Versorgung mit Strom der Berliner Bevölkerung wird nicht besser, sondern verschlechtert sich.
Die faktische Aufkündigung des Leitungsbaus durch die DDR nach West-Berlin kann schwerwiegende Folgen für die deutsch-deutschen Beziehungen haben.
({1})
Kein zweites Mal wird die DDR einem solchen ökonomischen Brückenschlag, der der Versorgung der Deutschen diesseits und jenseits der Mauer dient, zustimmen. Leichtfertig riskiert der Berliner Senat eine Absicherung des DDR-Stromnetzes im Winter, wenn nicht genügend festgefrorene Braunkohle in den DDR-Kraftwerken verfeuert werden kann. Das Ganze geht zu Lasten der Bewohner der DDR.
Im Aufsichtsrat der Bewag, dem Berliner Stromversorgungsunternehmen, hat sich kürzlich folgendes abgespielt: Die Vertreter des Senats im Aufsichtsrat, Finanzsenator Meisner ({2}) und Umweltsenatorin Schreyer ({3}), haben der Wiederbestellung eines verdienten Vorstandsmitgliedes nicht zugestimmt. Begründung: Der Vorgeschlagene setze sich für den Bau der Kernenergieleitung ein. Die Wiederbestellung erfolgte dann mit Zustimmung der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.
Der Regierende Bürgermeister Momper kommentierte händeringend: Es war doch verabredet, daß die beiden zustimmen. - In Herrn Mompers Senat weiß offensichtlich die rechte Hand nicht, was die linke tut.
({4})
In seiner Regierungserklärung hat er dargelegt, daß im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt Berlin das Scharnier für ein größeres Europa sein wolle. Keine Stadt sei so geeignet wie Berlin als Ort des Austausches und der Begegnungen zwischen Ost und West. - Wie richtig! Das europäische Haus, von dem Herr Gorbatschow gesprochen habe, sei eine faszinierende Perspektive für den Frieden und für das Wohl der Menschen auf unserem Kontinent. Wenn es nach dem Momper-Ströbele-Senat geht, werden die Bewohner des europäischen Hauses im Dunkeln sitzen.
Das Berliner Handeln, meine Damen und Herren, ist leichtfertig, es ist umweltpolitisch unverantwortlich,
es ist deutschlandpolitisch eine Katastrophe, und, was am schwersten wiegt, der Senat regiert gegen die Interessen der Bürger Berlins und gegen die Interessen der Deutschen jenseits der Mauer.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Stobbe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Graf Lambsdorff, es ist in der Tat das Ziel mehrerer Berliner Senate seit mehr als zwanzig Jahren gewesen, die stromenergiewirtschaftliche Insellage Berlins zu überwinden. Gedacht wurde an einen Verbund mit Westdeutschland. Ohne die Mitwirkung der DDR war diese Frage nicht zu lösen. Es hat im Laufe der Zeit die verschiedensten Modelle für einen solchen Verbund gegeben, auch die verschiedensten Verhandlungen. Ob der im Mai 1988 zwischen der VEBA-Tochter Preussenelektra und der Bewag einerseits sowie der DDR-Außenhandelsgesellschaft Intrac geschlossene Vertrag der Weisheit letzter Schluß ist, muß und darf diskutiert werden. Ich sage ausdrücklich: darf diskutiert werden. Denn das war schließlich bislang mit allen Ost-West-Verträgen der Fall, in deren Genuß Berlin gekommen ist. Ich nenne ein Beispiel.
Berlin hat nun schon seit langer Zeit einen Vertrag, der die Müllverbringung in die DDR regelt, eine wichtige und auch eine sehr teure Sache. Nachdem der Vertrag abgeschlossen wurde, kam es zu jahrelangen Auseinandersetzungen in der Stadt. Die Diskussion ging darüber, ob die in dem Vertrag vereinbarten finanziellen Leistungen von Berlin ({0}) angemessen waren und ob dieser Vertrag umweltpolitisch richtig konzipiert war. Die damalige Opposition, auch die FDP, hat nichts dabei gefunden, frühere Senate, die für den Vertrag in der Verantwortung standen, zur Modifikation und auch zur Kündigung zu drängen.
Was ich mit diesem Hinweis sagen will, ist dies: Auch innerdeutsche Abmachungen, so schwer sie zustande gebracht wurden, standen und werden auch in Zukunft in der Kritik stehen. Ihre Folgewirkungen müssen überprüft werden können. Für eine Demokratie ist das im Grunde genommen doch selbstverständlich. Die DDR weiß auch, daß bei uns so verfahren wird, und ist daran gewöhnt. Nur die Energieversorgungsunternehmen glauben offensichtlich, daß sie sich dieser Kritik nicht stellen müssen.
Was ist nun konkret geschehen, Herr Lambsdorff? Es gibt eine Koalitionsvereinbarung in Berlin, deren Text ich Ihnen vorlesen möchte:
Der Senat wird prüfen, ob der ... Stromlieferungsvertrag die Ziele der Versorgungssicherheit für Berlin, der Energieeinsparung und rationellen Energieverwendung und einer rohstoffschonenden und möglichst wenig umweltbelastenden Stromerzeugungsstruktur gleichrangig gewährleistet. Gegebenenfalls wird der Senat im Rahmen der Energieaufsicht darauf hinwirken, daß der Vertrag gekündigt oder entsprechend modifiziert wird. In jedem Fall muß die Stromabnahmemenge so begrenzt werden, daß dadurch der Vorrang für Kraft-Wärme-Koppelungs-Anlagen und
Blockheizkraftwerke sowie das Ziel der Zurückdrängung von Strom im Wärmemarkt nicht beeinträchtigt werden.
Für den Leitungsbau ist eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
({1})
Die Prüfungen sind besonders herausgefordert, weil das Berliner Energieversorgungsunternehmen, die Bewag, ihrem Mehrheitsaktionär, dem Senat von Berlin, die Einsicht in Teile des Vertragswerkes verweigert hat. Das ist ein Konflikt in sich, der dringend einer öffentlichen Debatte bedarf. Sie sollte meiner Meinung nach im Abgeordnetenhaus von Berlin geführt werden, nicht hier.
Aber eine genaue Kenntnis der zu liefernden Strommengen sowie der zugrunde gelegten Kostenkalkulation ist unerläßlich, um die Auswirkungen des Vertrages auf die Strompreisstruktur in Berlin zu gewinnen. Nur so läßt sich auch die Wirtschaftlichkeit des Vertrages beurteilen. Die Einsicht in die genauen Daten ist vor allen Dingen auch notwendig, um abschätzen zu können, ob die modernen energiewirtschaftlichen Zielsetzungen, denen sich der Senat von Berlin zu Recht verschrieben hat, durch den Vertrag gefördert oder behindert werden. Im Ernst, Herr Lambsdorff: Wer kann es wagen, einer Landesregierung dieses Recht zur Überprüfung abzustreiten?
({2})
Denn der Stromlieferungsvertrag macht nur Sinn, wenn die besonderen Probleme, denen Berlin auf Grund seiner energiewirtschaftlichen Insellage ausgesetzt ist, unter Kosten- und Umweltgesichtspunkten besser gelöst werden können als bisher. Dabei werden gewiß schwierige Abwägungen zu treffen sein. Ich bin der festen Überzeugung, daß sowohl der Senat von Berlin als auch das Abgeordnetenhaus von Berlin dazu in der Lage sind, wie bei anderen schwierigen Verträgen in der Vergangenheit auch. Aber der Beweis, daß der Vertrag die Stadt energiewirtschaftlich in eine bessere Situation bringt, muß erbracht werden, und er muß öffentlich in der Stadt vertreten werden, denn der Vertrag bringt auch Belastungen mit sich. Wenn der Senat von Berlin darum ringt, dann sollten Sie ihn darin unterstützen, Herr Lambsdorff, und ihn nicht auch noch kritisieren.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Stobbe, haben Sie eigentlich gar nicht gemerkt, in welch umfangreicher Art Sie sich gerade selber widersprochen haben?
({0})
Sie haben die Koalitionsvereinbarung zitiert, und Sie haben hier zu Beginn Ihrer Rede erklärt, da müsse etwas diskutiert werden.
Erstens. Dieser Vertrag ist seit zehn Jahren diskutiert worden, und der Vertrag ist eben das Ergebnis dieser Diskussion.
Zweitens. Wenn Sie hier vortragen, in der Koalitionsvereinbarung sei von der Kündigung die Rede, dann ist doch unsere Sorge berechtigt, daß der neue rot-grüne Senat diesen Vertrag in der Tat in Frage stellt. Es kommt uns doch darauf an, in dieser Aktuellen Stunde zu klären, daß das aus den Gründen, die u. a. Graf Lambsdorff gerade richtigerweise vorgetragen hat, nicht geschehen sollte.
Ich darf noch einmal betonen, daß Klarheit darüber besteht, daß durch diesen Vertrag die Versorgungssicherheit Berlins in jeder nur denkbaren Weise erhöht wird und daß endlich die unglückselige Inselversorgung Berlins beendet werden kann. Das bedeutet eben, daß durch diesen Verbund auch in Berlin eine Senkung der Stromkosten erfolgen kann,
({1})
weil bisher in Berlin durch den Einsatz von teuren Energieträgern wie Öl usw. die Stromkosten über dem Niveau in der Bundesrepublik liegen.
Es ist völlig richtig, daß mit dem Bau der Stromleitung nach Berlin und der Möglichkeit, dann auch darüber hinaus Strom in das Verbundnetz der DDR einzuspeisen, ein ganz wichtiger Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Ost und West vollzogen werden könnte.
Meine Damen und Herren vom rot-grünen Bündnis, gerade der Besuch von Generalsekretär Gorbatschow und die dabei getroffenen Vereinbarungen für eine umfangreiche technische Zusammenarbeit zwischen Ost und West sollten auch für den Senat in Berlin ein Signal sein, seine Pläne und Absichten gegen den Verbund aufzugeben und alles zu tun, um diesen Verbund zustande zu bringen. Das läge im Interesse Berlins, das läge im Interesse der Bundesrepublik, und das läge auch - ich betone das ganz besonders - im Interesse der DDR.
({2})
Lassen Sie es mich mit anderen Worten noch einmal so formulieren: Eine weitgehende Verflechtung - in diesem Falle sei das Wortspiel vom Verbund erlaubt - , im wortgleichen Sinne also ein Verbund der Wirtschaften in West und Ost, das ist ein aktiver Beitrag zur Friedenssicherung oder - im übertragenen Sinne - Entspannung durch Stromspannung. Wie kann man angesichts dessen eigentlich dagegen sein, möchte ich in dieser Aktuellen Stunde fragen.
Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen, daß die Anbindung Berlins und der DDR an das europäische Stromverbundnetz gerade den Menschen in der DDR zugute kommen würde, die ja nicht nur in kalten Wetterlagen, sondern auch sonst immer wieder mit Energiemangel zu kämpfen haben. Ich bin der Oberzeugung, daß gerade durch solche Stromlieferungen ein Weg gefunden werden könnte - das liegt doch auf der Hand; das braucht gar nicht lange diskutiert zu werden, weil es so klar ist -, der zu einer schnellen
Entlastung der Umwelt führen würde; denn es zeigt sich doch immer mehr, daß gerade in der DDR die schwefelreiche Braunkohle bei fehlenden Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen zunehmend direkte Gesundheitsgefährdungen verursacht. Man muß nur einmal nach Halle reisen, dann weiß man, wovon ich spreche, und man muß nur einmal die Smogwetterlage auch in Berlin erlebt haben, und man weiß, woher sie kommt.
({3})
Lassen Sie mich das noch einmal so zum Ausdruck bringen: Jede Kilowattstunde aus der Bundesrepublik Deutschland, ob sie nun aus einem sicheren Kernkraftwerk oder aus einem sauberen Kohlekraftwerk geliefert wird, hilft den Menschen in Berlin und der DDR gleichermaßen, und von daher sollte der Verbund zustande kommen.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Daniels ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 7. März 1988 unterzeichnen die DDR-Außenhandelsgesellschaft In-trac, die Berliner Elektrizitätsgesellschaft Bewag und die Preussenelektra einen privatrechtlichen Vertrag zum Bau einer 380-kV-Hochspannungsleitung von Helmstedt nach Berlin. Die gesicherte Übertragungskapazität der Leitung soll bei 1 620 Megawatt oder, anders ausgedrückt, bei 89 % des bisher höchsten Berliner Stromverbrauchs liegen. 1 000 Megawatt sind maximal für Berlin bereitgestellt, wobei Berlin einen durchschnittlichen Stromverbrauch von 1 100 bis 1 200 Megawatt hat. Das heißt im Klartext, daß das Atomkraftwerk Grohnde nun für Berlin arbeiten soll. Die Preussenelektra zeigt damit auf, daß wir sofort aus der Atomenergie aussteigen können und daß keiner den Atomstrom mehr haben will.
Selbst die Atomfreaks in der CDU/CSU-Fraktion müßten doch eigentlich aufheulen: Wenn sie Berlin nicht von möglichen Unfällen an einer einzigen Stromleitung abhängig machen wollen, müssen sie die gesamte Leistungskapazität als Reserveleistung in eigenen Berliner Kraftwerken vorhalten - ein teures, unökologisches und unsinniges Unterfangen.
({0})
Auch für die DDR werden die Stromlieferungen zum Bumerang: Heute erhält sie zwar eine Stromleitung fast geschenkt, wird aber zukünftig viel Geld für Strom zahlen, den sie eigentlich gar nicht braucht. Wirklich wirtschaftlich wären heute Investitionen zur Steigerung der Energieeffizienz der Braunkohlekraftwerke und Energiesparmaßnahmen. Der Erfolg wäre langfristig ökonomisch und auch ökologisch. Soweit zu den Fakten.
Nun jedoch zum eigentlichen Skandal. Da findet der neue Berliner Senat in den Akten den besagten Vertrag, aber zum größten Teil geschwärzt. Ihnen von der CDU/FDP-Koalition lagen weder Mengen- noch Preisvereinbarungen vor, Ihnen war noch nicht einmal der Zusatzvertrag zwischen der Preussenelektra und der Bewag bekannt. Sie hatten kein Energiekonzept für Berlin, Sie hatten überhaupt keine inhaltlichen Kenntnisse und Vorstellungen. Selbst die fundamentalen energiepolitischen Eckdaten waren Ihnen gar nicht bekannt. Aber Sie stimmten trotzdem einfach zu, blind von der Industrie vorgeführt, wie wir das nun auch schon in Wackersdorf erlebt haben. Mit anderen Worten: Eine Energieaufsicht gab es in dem damaligen Diepgen-Senat nicht.
Auf der letzten Aufsichtsratsitzung vor zwei Wochen wollten die Senatsvertreter endlich mal die genauen Fakten erfahren. Die Industrie mauerte, aber so wird es nicht weitergehen. Der Senat hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Rechtswirksamkeit der Verträge untersucht. Der Senat will die Energieaufsicht, die das gestattet, nach § 4 des Energiewirtschaftsgesetzes endlich wahrnehmen und überprüfen, ob der Vertrag den Ansprüchen an eine ökologisch vertretbare Energiepolitik überhaupt standhält.
Sie wissen sicherlich, daß die rot-grüne Koalition gemeinsam die dringend notwendige Senkung des Energieverbrauchs in Berlin vereinbart hat. Rot-Grün will damit die Vorgaben eines weltweiten Klimaschutzes verwirklichen, die von der Klima-Enquete-Kommission so eindringlich vertreten werden. Energieeinsparung, Abwärmenutzung, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien heißen die Zielprojektionen. Es steht fest, daß weite Kreise der Berliner Bevölkerung es nicht hinnehmen, daß ihr enges Stadtgebiet durch einen unsinnigen Vertrag noch weiter zugebaut wird. Eine Stromtrasse ist in Berlin, wenn überhaupt, nur unterirdisch durchsetzbar; aber dadurch wird der Vertrag wirtschaftlich unsinnig werden.
Der Vertrag ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Energiepolitik heute auf keinen Fall gemacht werden darf. Wir brauchen statt dessen eine dezentrale, überschaubare, sozial verträgliche und ökologische Energiepolitik, nicht nur für Berlin, sondern bundesweit. CDU und FDP sind weder in Berlin noch in Bonn noch gar in Brüssel dazu in der Lage.
Lassen Sie die GRÜNEN und die SPD nicht nur in der Energiepolitik die notwendige ökologische Wende verwirklichen!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als wir vor wenigen Wochen nicht nur des 40. Jahrestags der Verkündung des Grundgesetzes, sondern in Berlin insbesondere auch des 40. Jahrestags der Beendigung der Blockade gedachten, wurden wir auch daran erinnert, daß im Blockadejahr 1948 in der abgeschnittenen Stadt Berlin ein Kraftwerk errichtet wurde, das jetzt den Namen Ernst Reuters trägt, für das Stein um Stein, Schraube um Schraube mit den damals noch so kleinen Militärmaschinen der Alliierten in die Stadt eingeflogen werden mußten.
Seit diesen Tagen weiß jeder politisch Interessierte hier im Westen wie in Berlin um die Notwendigkeit
einer Normalisierung der Stromversorgung der Stadt.
Seit es eine Ost-West-Vertrags- und Entspannungspolitik gibt, bemühten sich die verschiedenen Bundesregierungen, energiepolitisch ein Ziel zu erreichen: für die Stadt einen sicheren Fremdstrombezug durch Verbund mit dem Bundesgebiet herbeizuführen. Viele in diesem Haus haben an verschiedenen Plätzen daran mitgewirkt.
({0}) Dietrich Stobbe hat soeben daran erinnert.
Wir orientierten uns daran, daß zur Freiheit der Stadt auch die Verantwortung für einen gesicherten Stromverbund gehört. Erst in den 80er Jahren konnte dieses Ziel erreicht werden.
Jetzt stehen wir vor einer vereinbarten Lösung, die Berlin von den Problemen einer Stromversorgung im Inselbetrieb befreit.
Es ist ein Denkfehler, zu sagen: Wir wollen den Strombezug aus dem Bundesgebiet ein bißchen drosseln. Die Konsequenz ist dann - sofern wir nicht zwangsweise Energiesparen in einer Stadt des Westens einführen wollen -, daß der Strom aus eigenen, bei aller Entschwefelung und bei allem, was wir erreicht haben, dreckigen Kohlekraftwerken oder - energiepolitisch verfehlt - aus Öl- oder Erdgaskraftwerken bezogen werden muß. Die Alternative dazu lautet: Strom aus dem Bundesgebiet nach Berlin! Das ist die tiefere Vernunft dieses Vertrags.
Da kann man, Herr Kollege Daniels, nicht damit argumentieren, daß es Probleme gibt und der Senat sich bei der Bewag-Führung nicht durchsetzen kann. Solche Probleme hat jeder Senat gehabt. Es hing an der Stärke des Senats, ob er sich durchsetzte oder nicht. Wir hatten am Ende nie Probleme. Die Bewag hat uns die Zahlen immer offengelegt. Dies wird, nehme ich an, auch Walter Momper schaffen. Vielleicht nimmt er es selber in die Hand. Dann wird das gelingen.
Aber hier geht es darum, daß es einen abgeschlossenen Vertrag gibt, auf den wir alle lange gewartet und auf den viele intensiv hingearbeitet haben. Wenn dieser Vertrag jetzt mit der Überlegung „Überprüfen? Kündigen?" in Frage gestellt wird, wird ein ganzes Vertragssystem in Frage gestellt. Damit werden ein System einer Ost-West-Entspannungskonsequenz und ein System deutschlandpolitischer Verantwortung in Frage gestellt.
({1})
- Ja; natürlich nenne ich das eine deutschlandpolitische Verantwortung, gnädige Frau, wenn die DDR mit ihren dreckigsten Kraftwerksanlagen, die wir haben, nicht gezwungen ist, diesen Ruß auch noch voll auszufahren, sondern daß wir Strom in die DDR liefern können - das ist ja ein Nebenprodukt davon. Das ist die deutschlandpolitische Komponente bei diesem Aspekt, die ich hier für notwendig halte.
({2})
Wenn man mit den Kosten der Freileitung oder der unterirdischen Trasse kommt - das sind nach den bisherigen Berechnungen 80 Millionen DM - , muß man aber auch mit jenen Kosten kommen, die dadurch entstünden, daß Sie den Vertrag kündigen. Wenn Sie den Vertrag kündigen, stehen 500 bis 600 Millionen DM auf dem Spiel, nicht 80 Millionen DM für Umweltschutz durch eine unterirdische Trasse. Das sind die Zahlen. Da kann man nicht einseitig mit Zahlen argumentieren, sondern da muß man umfassend und sachlich argumentieren.
Der Grundsatz, daß Freiheit Verantwortung erfordert, gilt gerade auch in der praktischen Politik. An alle, die sich mit dem Gedanken tragen, diesen Vertrag zu kündigen, habe ich die Bitte: Spielen Sie doch mit anderen Themen, wenn Sie für Berlin Nachholbedarf im Kaputtmachen sehen. Da gibt es genug Themen, die auf der Straße liegen. Unsere Bitte an alle Beteiligten lautet: Die Parole darf nicht „Hände weg vom Stromverbund" heißen. Wir brauchen vielmehr den Willen aller Beteiligten. Da ermuntern wir die Bundesregierung, anzupacken, damit realisiert wird, was nach langem Bemühen erreichbar wurde.
({3})
Das Wort hat die Senatorin für Bundesangelegenheiten des Landes Berlin, Frau Dr. Pf arr.
Senatorin Dr. Pfarr ({0}) : Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Der Senat von Berlin und die ihn tragende Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Bindungen Berlins an den Bund zu den Grundlagen der Lebensfähigkeit Berlins gehören und deshalb zu erhalten, zu schützen und zu entwickeln sind. Dem trägt die Politik Berlins in enger Abstimmung mit der Bundesregierung und den Alliierten Rechnung.
Auseinandersetzungen über die Ausgestaltung einzelner Vorhaben, die der Stärkung dieser Bindungen dienen, ändern daran nichts; sie sind auch nicht illegitim. Daß wir eine Schnellbahnverbindung zur Bundesrepublik und einen funktionierenden, sicheren Flugverkehr wollen, ist ebenso unbezweifelbar wie unser Interesse an einer gesicherten Stromversorgung Berlins.
Auf der anderen Seite sind diese Themen aber auch nicht tabu. Es kann ja nicht sein, daß bei der Ausgestaltung entsprechender Projekte ökologische Aspekte nicht einmal mehr diskutiert werden dürfen. An einer solchen Diskussion kann und will sich gerade der neue Berliner Senat nicht vorbeimogeln, der sich bei voller Wahrung der bekannten drei Essentials - Erhaltung und Entwicklung der Bindungen Berlins an den Bund, Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft und Erhaltung des Status von Berlin ({1}) - eine ökologische Umgestaltung der Stadtpolitik vorgenommen hat.
Ich betone nochmals: Es ist völlig legitim, wenn die Koalitionsvereinbarung den Auftrag zu einer Überprüfung der vom Senat vorgefundenen Stromlieferungsverträge enthält und der Senat diese Prüfung nun auch vornimmt. Hätte der abgewählte Senat Ber11010
Senatorin Dr. Pfarr ({2})
lins ökologische Gesichtspunkte ernster genommen, müßten wir diese Nachbesserung nicht vornehmen.
({3})
Voraussetzung für eine Anpassung des Vertrages ist jedoch, daß der bisherige Stand des Projekts noch den Spielraum für eventuell erforderliche Weichenstellungen offenläßt. Dies gilt es gutachterlich zu überprüfen. Die für die Begutachtung erforderlichen Vorbereitungen sind bereits eingeleitet.
Dem Ergebnis dieser Überprüfung kann und sollte man heute nicht vorgreifen. Ich möchte hier auch nicht noch weitere Dönekes aus der Aufsichtsratssitzung erzählen, von der ich bis zur Rede von Graf Lambsdorff wähnte, sie sei grundsätzlich vertraulich, insbesondere was Personalentscheidungen betrifft.
({4})
Ich habe nicht vor, gegen geltendes Gesetz zu verstoßen.
Der Senat steht der Einbeziehung Berlins in überregionale Stromverbundsysteme positiv gegenüber. Das Projekt bietet stromwirtschaftliche Vorteile, so meinen wir, und beendet die aus der Nachkriegszeit stammende Inselsituation der Stromversorgung Berlins. Es hat allerdings den Nachteil, daß es sich eher um ein Stromlieferungsverhältnis mit einseitigem Charakter als um einen echten Verbund handelt. Unabhängig von dem Ausgang der eingeleiteten Begutachtung steht bereits heute fest, daß für die innerstädtische Leitungsführung nur umweltverträgliche Lösungen in Frage kommen.
Der Senat von Berlin betrachtet die Angelegenheit als dringlich. Deshalb hat der Regierende Bürgermeister im letzten Monat ein Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Bewag geführt. Ziel des Senats ist es, in jedem Fall zusätzliche finanzielle Belastungen des Berlin-politisch hoch bewerteten Vorhabens zu vermeiden. Es darf aber nicht verkannt werden, daß das Vorhaben nur einen ersten Schritt darstellt, um einen mitteleuropäischen Stromverbund zu erreichen, der West- und Osteuropa auch in diesem Bereich näher zusammenführt.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Senatorin Pfarr, was Sie eben gesagt haben, könnte man in einer ganzen Reihe von Punkten kritisieren und auch widerlegen.
({0})
Sie haben z. B. davon gesprochen, daß keine Prüfung durch den alten Senat erfolgt ist, bevor dieses Vorhaben jetzt vertraglich vereinbart worden ist. Das ist nicht richtig. Es hat, wie hier schon erwähnt worden ist, zehn Jahre Zeit gegeben, um diesen Stromverbund, den wir jetzt haben wollen, rechtzeitig Realität werden zu lassen. Die Zeit ist genutzt worden. Diese
Vorbereitungen waren so, daß man jetzt nicht noch einmal anfangen muß, Gutachten zu erstellen.
Sie allerdings sprachen davon, daß Sie sich kurzfristig informieren und kurzfristig Entscheidungen treffen wollen. Aber wenn sich das noch länger hinzieht, haben wir die Situation, daß sich das ganze Vorhaben erheblich verteuern würde. Dies ginge dann letzten Endes auf Kosten der Steuerzahler Berlins und auf der anderen Seite auch auf Kosten derjenigen, die den Strom abzunehmen haben. Ein Senat, der sich in solchen Dingen unfähig erweist, die erforderlichen Weichenstellungen rechtzeitig vorzunehmen, wird sein Wort kaum halten können, Vertrauen für die Berliner Wirtschaft auch künftig zu schaffen. Dies möchte ich vorwegschicken.
Der Zickzackkurs des rot-grünen Senats um die Frage der Durchführung oder Kündigung des mit der DDR-Außenhandelsgesellschaft Intrac, Preussenelektra und Bewag vereinbarten Stromlieferungsvertrages zeigt, daß die SPD ihre vollkommene Unentschlossenheit und Unsicherheit auf dem Gebiet der Energiepolitik bis zum heutigen Tage nicht nur nicht überwunden, sondern eher noch - falls überhaupt möglich - unübersichtlicher gestaltet hat. Anders ist jedenfalls das Verhalten des Regierenden Bürgermeisters und, wie ich sagen muß, leider auch unseres früheren Kollegen Dr. Mitzscherling als neuem Wirtschaftssenator in dieser Frage nicht zu verstehen.
({1})
Seit 1970, meine Damen und Herren - ich darf das hier noch einmal wiederholen, damit es auch ganz deutlich wird - , haben sich alle Bundesregierungen und Senate von Berlin mit Vehemenz dafür eingesetzt, die Situation bei elektrischer Energie in Zusammenarbeit mit der DDR zu verbessern - auch hier ist die deutschlandpolitische Komponente angesprochen worden -, d. h. eine Möglichkeit zu schaffen, Strom aus dem übrigen Bundesgebiet nach Berlin ({2}) durch die DDR zu leiten.
Im Januar 1988 ist es dann endlich gelungen, eine Grundsatzvereinbarung zu erzielen. Die Intrac gibt sich Mühe, den Zeitraum für die Fertigstellung des ersten Abschnitts durch die DDR nach Magdeburg zum 30. September 1989 zu erreichen. 50 km sind also bereits fertiggestellt, die restlichen Teilstücke derzeit im Bau. Die Stromlieferungen sollen spätestens nach Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts gänzlich aufgenommen werden; eine Teillieferung an die DDR ist noch für den kommenden Winter vorgesehen.
Die positiven Folgen dieses Vertrages sind so offensichtlich, daß ihre Aufzählung hier deshalb notwendig ist, um einmal zu zeigen, in welch sachlichen und argumentativen Bahnen die sozialdemokratischen Energiekonzepte ablaufen.
Zum ersten würde durch die Stromlieferungen nach Berlin ({3}) der in Berlin im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet mit 28 % enorm hohe Anteil von Öl - Bundesgebiet 1,9 % - abgesenkt werden; denn die Bewag müßte weniger Energie produzieren, was die problematische Smoglage in Berlin verbesSchulze ({4})
sern helfen würde. Außerdem würde durch den Stromverbund eine Kapazitätsausweitung der Berliner Kraftwerke auf absehbare Zeit nicht erforderlich. Deshalb sind derzeit auch keine Planungen für neue Kapazitäten notwendig.
Die Berliner Bürger hätten in mehrfacher Hinsicht Vorteile: Die Versorgungssicherheit auch im Falle möglicher Großstörungen stiege. Der Verzicht auf mitlaufende Reserveaggregate, die nur mit Teilleistung gefahren und damit ohne größtmöglichen Wirkungsgrad betrieben werden, führte zur Verminderung von CO2-Ausstoß und zu Finanzmitteleinsparungen.
Stromfrequenzschwankungen, die bisher hauptsächlich empfindlichen Verbrauchern viel zu schaffen machten, können erheblich reduziert werden. Weitere Einsparungen von Finanzmitteln würden durch Verzicht auf den Bau weiterer technischer Einrichtungen zur Stabilisierung der Versorgung im Inselnetz, vor allem von Batteriespeichern, möglich. Schließlich wird durch den Stromverbund der gewünschte Vorrang für Kraft-Wärme-Kopplung - wir haben in Berlin immerhin neun Kraftwerke, acht davon liefern auch Fernwärme - nicht berührt. Dies gilt sowohl für derzeitig bestehende wie für künftige Anlagen dieser Art, auch für Blockheizwerke.
Der Stromverbund, meine Damen und Herren, ist aus Berliner Sicht wesentlich von der Motivation getragen, hier eine größtmögliche Versorgungssicherheit zu erreichen. Berlin von dem europäischen System, das wir mit diesem Verbund letzten Endes anstreben, abkoppeln bzw. erst gar nicht daran teilhaben lassen zu wollen, zeigt, wohin der wirtschaftspolitische Zug dieses SPD-AL-Senats führt.
({5})
- Herr Kollege Diederich, von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Ich freue mich für Ihren Einstand, den Sie damit nach Ihrem Wiedereintritt in den Bundestag geben.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß der Anlaß, über den wir heute diskutieren, die ganze künstliche Aufregung, die die Regierungsparteien zur Schau tragen, nicht lohnt. Offensichtlich geht es hier mehr um eine Profilierung der FDP als um den Stromverbund,
({0})
um eine kritische Würdigung des Stromverbundes zwischen der Bundesrepublik und der DDR einschließlich Berlins. Ich würde ganz gerne kurz zu den energiewirtschaftlichen Kernfragen zurückkommen.
Wir Sozialdemokraten setzen uns für eine ökologische Umstrukturierung der Energieversorgung ein. Die Knappheit der Ressourcen an fossilen Brennstoffen und die drohende Klimakatastrophe zwingen uns dazu. Wir wollen Energie sparen und rationelle Energienutzung durchsetzen,
({1})
die Kraftwärmekopplung fördern, die Energieeffizienz insgesamt verbessern und alle Möglichkeiten eines Einsatzes erneuerbarer Energien ausschöpfen.
({2})
Da das bei den derzeit niedrigen Energiepreisen auf dem Weltmarkt weder von den Energieversorgungsunternehmen freiwillig geleistet wird noch vom Energiemarkt bewerkstelligt werden kann, arbeiten wir Sozialdemokraten an einem neuen Energiegesetz, das den Aufsichtsbehörden neue Befugnisse an die Hand gibt, diese Ziele auch durchsetzen zu können.
({3})
In dieser Absicht sind wir uns mit dem Berliner Senat einig. Auch der Berliner Senat stellt die Ziele der Versorgungssicherheit, der Energieeinsparung und rationellen Energienutzung sowie einer umweit- und ressourcenschonenden Stromerzeugung in den Vordergrund seiner Bemühungen. Dabei werden wir ihn unterstützen.
({4})
Die Berliner Bewag gehört zu über 50 % dem Land Berlin. Für uns ist es daher selbstverständlich, daß das Land Berlin als Energieaufsichtsbehörde sein Unternehmen auf eine ökologisch verträgliche Energie- und Stromversorgung ausrichtet. Es ist deshalb das gute Recht des Senats, den zwischen der Bewag, der Preußenelektra und der Intrac der DDR geschlossenen Stromlieferungsvertrag an diesen Zielen zu messen und auch zu überprüfen. Wie deutlich geworden ist, hat sich die Geschäftsleitung der Bewag aber bisher geweigert, dem neuen Senat den Stromlieferungsvertrag in allen seinen Teilen zugänglich zu machen. Bislang haben jedenfalls die vom Senat neu entsandten Aufsichtsratsmitglieder keine Möglichkeit gehabt, den Vertrag einzusehen und inhaltlich zu überprüfen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt daher die Forderung, das unverzüglich nachzuholen.
Natürlich ist die SPD daran interessiert, die Beziehungen zur DDR zu verbessern.
({5})
Natürlich gehört dazu auch der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und der Energieversorgung.
({6})
Die Energieversorgung in der DDR ist aber weder ökologisch verträglich noch ausreichend sicher. Wir wissen, daß die DDR Schwierigkeiten hat, eine volle und sichere Versorgung zu gewährleisten.
Bis heute arbeitet sie mit ökologisch unzureichenden Kohlekraftwerken, mit einer extrem schwefelhaltigen Braunkohle - das ist hier schon zweimal sehr deutlich gesagt worden -, deren Emissionen zu massiven Gesundheitsschäden und Dauerschäden an Natur, an Flüssen und Wäldern geführt haben.
Jung ({7})
Auch die Kernkraftwerke sowjetischer Bauart, die in der DDR betrieben werden, entsprechen nicht den atomrechtlichen Sicherheitsstandards, die in der Bundesrepublik gelten. Dieser Zustand wird wahrscheinlich noch lange anhalten, weil die DDR nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, um in der Energieversorgung umzusteuern.
Es wäre daher sinnvoll - und das ist der eigentliche Kern der Sache - , wenn unsere Energieversorger zusammen mit den Anlagenbauern der DDR modernste Entschwefelungs- und Entstickungstechniken, Techniken zur Energieeinsparung und Effizienzverbesserung anbieten würden und die Bundesregierung diese industriepolitischen Kooperationen über Hermes-Bürgschaften absichert.
({8})
Hier hat die Bundesregierung bisher nichts geleistet.
Es kann deshalb nicht das letzte Wort einer vernünftigen energiepolitischen Kooperation sein, nur Strom aus den Überkapazitäten der Bundesrepublik in die DDR zu liefern
({9})
und über eine Leitungsweiche nach West-Berlin abzuzweigen.
Wir brauchen eine ökologisch verträgliche Kooperation mit der DDR in der Energieversorgung, in deren Mittelpunkt der Gedanke der Energiedienstleistung steht.
Bei einer derartigen Kooperation ist die Lieferung von Strom, der bei uns umweltverträglicher und risikoärmer erzeugt wird, in die DDR durchaus vertretbar und wünschenswert. Das darf aber natürlich nicht dazu führen - das hat der Berliner Senat völlig richtig erkannt -, daß in Berlin Bemühungen zur Energieeinsparung konterkariert werden und z. B. Strom in den Wärmemarkt vordringt,
({10}) wo er energiepolitisch völlig unsinng ist.
({11})
Darum ist es jetzt an der Zeit, daß die Bewag ihrem Hauptaktionär ihre Verträge offenlegt, um danach vernünftige Abwägungen treffen zu können.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Riedl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung nimmt sehr gerne die Gelegenheit wahr, in dieser Aktuellen Stunde ihre Haltung zum innerdeutschen Stromverbund unter Einbeziehung Berlins darzulegen.
Die Bundesregierung hat dieses Projekt, wie Sie wissen, von Anfang an begrüßt, und zwar aus drei Gründen: aus deutschland- und berlinpolitischen Gründen, aus energiepolitischen und wirtschaftlichen Gründen und nicht zuletzt aus umweltpolitischen Gründen.
Mit den im Jahre 1988 auf kommerzieller Grundlage abgeschlossenen Verträgen über eine stromwirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR unter Einbeziehung von Berlin ({0}) ist eine Zielsetzung erreicht worden, die seit Jahrzehnten von allen Bundesregierungen und von jedem Berliner Senat gemeinsam verfolgt worden ist, nämlich die Überwindung der Inselsituation des Berliner Netzes.
Ich erinnere an frühere Pläne, z. B. aus dem Braunkohlerevier im Helmstedter Raum Strom nach Berlin zu liefern, oder an die Überlegungen, im Raum Königsberg ein Kernkraftwerk zu errichten und seine Finanzierung durch Stromlieferungen nach Berlin und in das übrige Bundesgebiet sicherzustellen.
Alle diese Pläne, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben sich nicht verwirklichen lassen,
({1})
dies nicht zuletzt deshalb, weil es nicht gelungen ist, befriedigende Lösungen für die Einbindung von Berlin, Frau Abgeordnete Schulte, zu finden.
Die Bundesregierung hat es daher zu Recht als einen entscheidenden Durchbruch gewertet, daß im Jahre 1988 mit dem Vertrag zwischen Preußenelektra und der Bewag einerseits sowie der DDR-Handelsgesellschaft Intrac andererseits die Grundlagen für eine langfristige stromwirtschaftliche Zusammenarbeit gelegt worden sind.
An diesen Vereinbarungen sollte nicht gerüttelt werden.
({2})
Sie sollten vielmehr entsprechend dem in der Grundsatzvereinbarung niedergelegten Zeitplan zügig und entschlossen in die Tat umgesetzt werden, und zwar im Interesse der Berlin- und Deutschlandpolitik und - ich darf dies einmal ganz deutlich sagen - im ureigensten Interesse Berlins.
Die Vorteile, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegen doch klar auf der Hand. Sie sind energiepolitischer, umweltpolitischer und deutschlandpolitischer Art.
Zu den energiepolitischen Vorteilen: Die direkte Leitungsverbindung zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Sicherung und Verbesserung der Stromversorgung in Berlin. Berlin weist innerhalb des Bundesgebiets die höchsten Strompreise auf und liegt sowohl bei den Industriekunden wie bei den Stromabnehmern insgesamt im Durchschnitt um ca. ein Viertel über dem durchschnittlichen Preisniveau des übrigen Bundesgebiets.
Berlin ist gut beraten, diese Differenz nicht zu vergrößern, sondern die in der Verbundleitung liegenden Möglichkeiten zur Entlastung des Strompreisniveaus zu nutzen. Sie ermöglicht es, die Insellage Berlins und
die dadurch bedingte kostenungünstige Erzeugungsstruktur zu überwinden. Sie schafft Sicherheit gegenüber den beträchtlichen preislichen Risiken der in Berlin im Verhältnis zum übrigen Bundesgebiet auf einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Öl und zukünftig Gas basierenden Energieversorgung. Sie erlaubt eine elektrizitätswirtschaftliche Optimierung der betrieblichen Fahrweise der innerstädtischen Kraftwerke. Sofortreserve und Frequenzstabilisierung können - wie auch bei allen Verbundunternehmen im Bundesgebiet - über das Verbundnetz gesichert werden. Nicht zuletzt wird der Zugang zu preisgünstigen Spotbezügen über das bestehende Verbundnetz eröffnet.
Die Bundesregierung wertet den Stromverbund daher als einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Berlin. Ein Verzicht auf die Verbundleitungen oder ihre Befrachtung mit sachlich nicht gerechtfertigten, kostenträchtigen Auflagen müßte das Strompreisniveau in Berlin und damit den Wirtschaftsstandort Berlin zusätzlich belasten. Dies geht zu Lasten der Berliner Bevölkerung.
Wir sehen diese Entwicklung mit Sorge. Ich sage daher im Namen der Bundesregierung hier vor dem Deutschen Bundestag ganz klar: Entscheidungen, mit denen das ohnehin hohe Berliner Strompreisniveau mutwillig erhöht würde, müssen diejenigen verantworten, die sie treffen. Mit Ausgleichszahlungen des Bundes für hausgemachte Belastungen kann nicht gerechnet werden.
Auch die umweltpolitischen Vorteile der Kooperation liegen auf der Hand: Der Stromverbund entlastet die Berliner Luft, da die innerstädtischen Kraftwerke, die alle auf der Basis fossiler Energien betrieben werden, vermindert genutzt werden und umweltvernünftiger eingesetzt werden könnten. Indirekt führen auch die Bezüge der DDR, soweit damit der Einsatz eigener Kraftwerke kompensiert wird, zur Reduzierung der hohen Emissionen aus den DDR-Kraftwerken.
Schließlich hat der Verbund - ich habe es schon gesagt - eine beträchtliche deutschland- und berlinpolitische Dimension. Der Stromverbund schafft eine wirtschaftliche und psychologisch wichtige Verbindung zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet. Er bietet auch die Chance einer Intensivierung und Ausweitung der innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen.
Es wäre ausgerechnet jetzt in einer Ära politischer Aufbruchstimmung zwischen Ost und West verfehlt und, ich würde auch sagen: anachronistisch, diese Grundlagen der Zusammenarbeit zu kappen. Die auf kommerzieller Ebene geschaffene Vereinbarung sollte daher vielmehr politisch flankiert und begleitet werden.
Die Bundesregierung hat dazu das Ihre getan und wird es auch in Zukunft tun. Sie hat für die von Preußenelektra und Bewag übernommenen Investitionsaufwendungen eine Bundesgarantie in Höhe von 350 Millionen DM zugesagt. Auch dies zeigt den Stellenwert, den die Bundesregierung der Herstellung des innerdeutschen Stromverbundes und der Anbindung Berlins an das übrige Bundesgebiet beimißt.
Die Auskopplung Berlins aus dem europäischen Verbund ist ein Irrweg, den der Berliner Senat und das Berliner Abgeordnetenhaus schnellstens beheben sollten.
Danke.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Heimann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weder ist diese Aktuelle Stunde aktuell, noch ist es die richtige Stunde, jetzt über dieses Thema zu sprechen. Daß der Berliner Senat prüfen wird, ist seit langem bekannt, also wirklich nicht aktuell. Das Ergebnis der Prüfung liegt nicht vor. Also, worüber reden wir hier eigentlich?
Wenn wir das alles einmal beiseite lassen und so tun, als ob der Bundestag wirklich die Aufgabe hätte, eine Prüfung vorzunehmen, die einer Landesregierung obliegt, stellt sich die Frage, ob man das in Form einer Aktuellen Stunde seriös tun kann. Ich will das einmal versuchen und ein paar Argumente gegeneinander abwägen.
Zunächst einmal die deutschlandpolitischen Argumente: Selbstverständlich ist es völlig richtig, daß jede Verbindung mehr mit dem anderen deutschen Staat, daß jede Form der Vernetzung, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, deutschlandpolitisch nützlich ist. Sicherlich wollen wir Kooperationen, die unumkehrbar sind, weil sich gegenseitige Interessen so miteinander verflechten, daß keine Seite sie mehr auflösen kann, ohne die eigenen Interessen zu verletzen.
Wir wollen eine gute Nachbarschaft, die nicht nur vom guten Willen abhängig ist, sondern die besteht, weil jeder Nachbar den anderen braucht.
Wenn ein solcher Stromlieferungsvertrag, wie er hier zur Diskussion steht, diesem Ziele dienen sollte, kann man sagen: Deutschlandpolitisch wäre die Bilanz vernünftig.
Berlinpolitisch ist das nicht mehr so einfach zu sagen. Denn berlinpolitisch genügt es nicht, wenn man argumentiert, daß es schon ein großer Vorteil sei, daß Berlin ({0}) Strom aus Westdeutschland beziehe. Berlinpolitisch läßt sich das nur dann rechtfertigen, wenn dieser Strom wirklich in Berlin gebraucht wird, wenn der Bezug dieses Stroms energiepolitisch und ökologisch sinnvoll ist.
({1})
Herr Staatssekretär, wenn Sie hier behaupten, das sei der Fall, frage ich Sie: Warum verheimlicht denn eigentlich die Bewag die genauen Daten des Vertrages? Was hat sie eigentlich zu verbergen? Ist dieser Vertrag wirklich so günstig?
Ich habe da ganz dicke Fragezeichen zu setzen, und das sage ich auch als ein Abgeordneter, der aus einem Bezirk kommt, in dem dann 70 m hohe Leitungsmasten in dichter Folge über dichtbesiedeltes Gebiet, über Wald und Ufer gebaut werden müßten. Ich habe das alles einmal mitgemacht, habe es selbst erlebt, als
die Bewag in den 70er Jahren eine grandiose Fehlplanung angestellt hat. Ich mußte das damals aushalten, weil ich Vorsitzender meiner politische Partei in diesem Bezirk war, die das zu vertreten hatte. Das zweite Mal bin ich skeptischer und frage genauer, und deshalb verstehe ich auch sehr gut, weshalb der Senat diese Fragen stellt.
80 Millionen kostet die Trasse allein in West-Berlin, und auch nur dann 80 Millionen, wenn Leitungen auf 70 m hohen Masten über das Gebiet geführt werden. Achtmal so teuer würde es, eine halbe Milliarde würde es kosten, wenn man sie unterirdisch verlegen würde. Da muß man schon begründen, weshalb das sinnvoll und notwendig ist.
Da beginnen eben die Zweifel. Wenn es wirklich ein Stromverbund wäre, ein Stromverbund, der Spitzenlasten hin und her ausgleichen könnte, könnte das sehr sinnvoll sein, denn Spitzenlasten auszugleichen, das ist etwas, was Berlin auch ökologisch braucht. Aber es ist ja kein Stromverbund. Es ist eine einseitige Stromlieferung mit ganz festen Abnahmemengen, und zwar eine Milliarde Kilowattstunden pro Jahr. Das ist keine geringe Summe. Das heißt, von morgens um 7 bis 22 Uhr abends muß jeden Tag eine bestimmte Menge Strom von West-Berlin abgenommen werden.
({2})
Die Prognosen, ob wir das brauchen, sind ja nicht so sicher. Zur Zeit geht man von 0,5 % Zuwachs pro Jahr aus, und es gibt Überlegungen, daß man, wenn man spart, sogar weniger als jetzt brauchen könnte.
Das Schlimme ist, daß damit endgültig eine ökologisch sinnvollere Erzeugung von Energie verhindert würde. Wir sehen doch überall - da braucht man sich doch nur den bayerischen Gemeindeverband anzuschauen - , wie sich Gemeinden von einem Energiekonzept abkoppeln, das große Mengen Energie über weite Strecken, über Regionen hinweg, mit großen Energieverlusten befördert, d. h. mit einer minimalen Ausnutzung von Energie, einer Ausnutzung, die bei 30 oder 35 % liegt, während man, wenn man dezentral vorginge, wenn man Blockheizkraftwerke bauen und die Kraft-Wärme-Kopplung nutzen würde, eine Ausnutzung von 70 bis 80 % erreichen würde.
({3})
Die große Frage ist, ob nicht dann, wenn West-Berlin wirklich diese feste Abnahmeverpflichtung eingehen würde, für West-Berlin ein für allemal - einfach weil nicht mehr Strom gebraucht wird - jeder andere Weg, Energie sinnvoller, moderner und ökologischer herzustellen, endgültig verbaut würde.
({4})
Deshalb hat der Senat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, zu prüfen, und wir müssen abwarten, was dabei herauskommt. Sagt der Senat: „Es ist in Ordnung", gut, dann brauchen wir hier nicht zu diskutieren. Deshalb frage ich, warum wir hier heute darüber diskutieren. Sagt er: „Es liegt nicht im Interesse Berlins", werden immer noch eine ganze Reihe von juristischen Fragen zu klären sein. Ich kann den
Senat nur auffordern, vor diesem Hintergrund sorgfältig zu prüfen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mahlo.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Heimann, wir diskutieren heute über diesen Fall, weil es um eine aktuelle Frage des Gemeinwohls von Berlin geht, und das ist niemals zu früh und auch niemals überflüssig.
Ich wollte mich an sich gerne mit dem Argument der GRÜNEN auseinandersetzen, das sich im wesentlichen auf die ökologische Zweifelhaftigkeit dieses Projekts bezieht. Wie wir wissen, ist die eigentliche Begründung der Stellungnahme des derzeitigen Berliner Senats gegen den Verbund die, dieser Verbund ermögliche es, Strom aus Kernkraftwerken nach Berlin zu transportieren, und dies sei - ({0})
- Das habe ich in einem Interview von Frau Dr. Schreyer mit der „Berliner Morgenpost" gelesen. Ich nehme an, daß Sie das auch kennen. Da hat sie das ausdrücklich als den entscheidenden Grund genannt. Ich meine, daß es interessant ist, diese Argumentation einmal auf ihre Schlüssigkeit und ihre Rationalität hin zu untersuchen.
Wie Sie alle wissen, verfügen wir in Mitteleuropa aus klimatischen und geographischen Gründen nicht über nennenswerte alternative Energien, jedenfalls bis heute nicht. Für Berlin bleibt also nur die Wahl zwischen nuklearer und fossiler Energieerzeugung.
Wenn wir auch einräumen, daß keine der beiden Energieerzeugungsarten ganz ohne Probleme ist, so ist doch festzustellen, daß die Kernenergie jedenfalls eine saubere Energie ist, ohne Emission. Dagegen liegt der Zusammenhang zwischen Ozonloch bzw. Treibhauseffekt und nichtnuklearer Energieerzeugung für jedermann auf der Hand. Die Entsorgung dieser Energieerzeugung erfolgt direkt in die Erdatmosphäre, die allen gehört. Gegen diese Einleitung kann sich niemand wehren. Sicherheit, sozialer Friede und Wohlstand können in der Welt wie in Berlin nur garantiert werden, wenn es gelingt, die Energiefrage zu bewältigen.
Daß ausgerechnet eine Senatorin für Umweltschutz so bedenkenlos für die Verbrennung von 01 und Kohle optiert, ist rational jedenfalls von mir nicht mehr nachzuvollziehen.
({1})
- Ich habe es ja gerade zitiert. Sie können es in der gestrigen Ausgabe der „Berliner Morgenpost" nachlesen.
Abgesehen davon, daß wir uns der Frage stellen müssen, wie wir auf den Tag nach dem Öl, der kommen wird, vorbereitet sind, bleibt zunächst einmal umweltpolitisch festzustellen, daß jede Kilowattstunde, die nicht in Berlin hergestellt wird, für die Luft in diesem massiven Ballungszentrum ein Vorteil ist.
Es ist ein Vorteil, wenn innerstädtische Kraftwerke, von denen einige bekanntlich noch erheblich umweltbelastend arbeiten, weniger zum Einsatz kommen. Es ist ein Vorteil, wenn zukünftige Ölpreissteigerungen abgefangen werden können. Es ist umweltpolitisch ein Vorteil, wenn die DDR durch das Angebot von Energie zu Niedrigstpreisen veranlaßt wird, den Weiterbetrieb unwirtschaftlicher, veralteter, nicht entschwefelter Kraftwerke einzustellen oder einzuschränken, und wenn sie veranlaßt wird, ihre Pläne, ganze Regionen zu entsiedeln, um heimische Braunkohle besser abzubauen, aufzugeben.
Das Vorhaben des derzeitigen Berliner Senats, den Stromverbund aufzukündigen, ist umweltschädlich, verbraucherfeindlich und deutschlandpolitisch wie europapolitisch ein Rückschritt. Erhitzen Sie den Glibber der wortreichen Begründung, die dafür abgegeben wird, und Sie haben das, um was es hier wirklich geht, nämlich Ideologie.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Frieß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-FDP ist sich in dieser Frage für kein Ganovenstück mehr zu billig,
({0})
und zwar dann, wenn es darum geht, menschenverachtende und menschenvernichtende Politik durchzusetzen. Diesmal ist es die Entspannung in den deutsch-deutschen Beziehungen, die dafür herhalten muß, um eine zentralistische und atomare Energiepolitik zu legitimieren. Es geht Ihnen nicht um die Lösung von Energieversorgungsproblemen,
({1})
sondern darum, Überkapazitäten aus Atomstrom an Mann und Maus zu bringen und damit die Todestechnologie Atomkraft zu unterstützen.
Die Menschen in West-Berlin brauchen keinen zusätzlichen Strom, vor allem keinen Atomstrom. Sie wollen eine andere Energiepolitik. Die AL tritt deshalb für dezentrale Blockheizkraftwerke, für Erdgasnutzung, Wärmedämmung und progressiv gestaffelte Strompreise ein. Damit wollen wir die Zusammenarbeit mit der DDR verstärken, und das nennen wir Entspannungspolitik im Interesse von Menschen.
Dieser Stromverbundvertrag muß deshalb sofort aufgelöst werden.
({2})
Hierfür gibt es absolute Mehrheiten in der Bevölkerung. Die Menschen wollen lieber heute als morgen aus der menschen- und umweltvernichtenden Atompolitik aussteigen. Und das ist Ihnen von der CDU/ CSU und FDP egal.
({3})
Sie sind nur an der Zusammenarbeit mit der Atomindustrie interessiert.
Und Sie von der SPD betreiben wieder einmal Politik nach dem Hü-und-Hott-Prinzip: Absage an den Stromverbund: ja, Vertragskündigung: nein. In Ihrem Westberliner Wahlprogramm allerdings steht es noch anders. Dort wollen Sie den Stromverbundvertrag durch einen regionalen Stromverbundvertrag ersetzen. Da stimmen wir zu, da sind wir uns einig. Deswegen nehmen wir euch in dieser Frage auch beim Wort.
({4})
Frau Kollegin, für Ihre Bezeichnung „Ganovenstück" rufe ich Sie zur Ordnung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen - wie die Bundesregierung - den Vertrag zwischen der Preußenelektra, Bewag und Intrac über stromwirtschaftliche Zusammenarbeit. Und ich begreife manchmal nicht, daß die ungewöhnliche politische Dimension, die dahintersteckt, nämlich die Anbindung Berlins an Westdeutschland unter Einbindung der DDR, hier so wenig erörtert wurde, vor allen Dingen von denen, die heute den Berliner Senat repräsentieren.
Daß es dabei nicht nur um Symbolkraft, um eine politische Zukunftsvision geht, sondern um mehr, ist dargelegt worden. Daß Berlin aus seiner Insellage herauskommen muß, daß es darum geht, den innerdeutschen Austausch zu erweitern, daß es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit Berlins zu verbessern, wird von dem jetzigen Senat offenbar nicht mehr gesehen.
Ich frage mich: Welche Kleinkariertheit, welche Borniertheit, welche Überheblichkeit und welche Geistesarmut können Mitglieder des Berliner Senats und der Abgeordnetenkammer veranlassen, diese Intensivierung der Beziehungen, für die wir ja alle kämpfen, auch als westdeutsche Politiker, in Frage zu stellen? Und ich frage Sie: Kann es denn wirklich wahr sein - der Beitrag der Kollegin Frieß hat es ja sehr deutlich gemacht - , daß der Vertrag deshalb nicht eingehalten werden soll, weil er für die Berliner AL heute den Einstieg in die Kernenergie oder eine Versorgung aus Kernenergie für Berlin bedeuten würde, weil man Angst vor der eigenen Basis hat und weil die AL schon heute einen derartigen Druck auf die SPD ausüben kann, daß sie dieses Vertragswerk in Frage stellt?
({0})
Soll denn wirklich forciert werden, daß in Berlin - es ist ja vorhin erwähnt worden - die Lichter zumindest dunkler werden, daß - schlimmer noch - Räder stillstehen,
({1})
weil die Konkurrenzfähigkeit Berlins nicht gewährleistet ist?
Daß außerdem Schadensersatzansprüche in Höhe von mehreren hundert Millionen D-Mark anstehen, scheint offenbar schon eine quantité négligeable geworden zu sein. Aber die Frage bleibt doch: Wer soll das eigentlich bezahlen? Kollege Riedl hat vorhin schon darauf hingewiesen. Berlin hat sicher unsere besondere Solidarität und unsere Sympathie und unsere volle politische Unterstützung; das sage ich auch als CSU-Politiker ganz offen. Aber: Jede politische Dummheit eines SPD/AL-Senats in Berlin werden wir nicht unterstützen.
({2})
Ich darf festhalten: Die Politik des Senats in diesem Bereich - in anderen Bereichen sicher auch - ist eine Politik gegen die Interessen der Berliner, ist eine Politik gegen die Interessen aller Deutschen, weil sie nämlich gerade den Zusammenhalt zwischen den Deutschen in Frage stellt. Sie ist eine Politik gegen die Interessen, die sich aus ökologischen Grundsätzen ergeben; das ist im einzelnen dargelegt worden. Und sie torpediert letztlich das Zusammenwachsen - das immer wieder betont wurde - in Europa und der Europäer.
Und daß AL und SPD heute schon links von der SED stehen, ist eine neue Erfahrung, die wir aus dieser Diskussion gewonnen haben.
({3})
Ich halte das Ganze für einen Akt unglaublicher und schädlicher Prinzipienreiterei.
Kurz zusammengefaßt: Das, was der Senat im Augenblick macht, ist für mich ein echter Schildbürgerstreich.
Danke
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Diederich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich feststellen, daß es bei der Debatte in Berlin nicht um die Frage der Berlin- und der Deutschlandpolitik geht; denn - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - es handelt sich dabei um einen Stromlieferungsvertrag und nicht um einen Stromverbund. Herr Kollege Riedl hat das hier ja gesagt.
Ich gehöre zu denen, die begeistert zugestimmt haben, als Kollege Lambsdorff, glaube ich, in der Zeit der sozial-liberalen Koalition für den Stromverbund eingetreten ist, als wir versucht haben, in Königsberg Strom produzieren zu lassen und die Verknüpfung mit der Bundesrepublik herzustellen. Jetzt aber geht es schlicht und einfach um eine Stromlieferung nach Berlin.
Wir wollen die Bindungen und Verbindungen stärken, wir wollen die Freizügigkeit der Menschen stärken, und wir wollen den wirtschaftlichen Austausch zwischen Berlin und der Bundesrepublik und natürlich auch zwischen Berlin und dem Umland stärken. Meine Damen und Herren, wenn wir uns da absolut einig sind, ist die Frage einer einzelnen Stromleitung
und ob sie steht oder nicht steht, nicht unbedingt maßgebend.
Herr Kollege Lowack, ich frage mich wirklich, wie in einer Stromleitung eine „Vision" liegen kann. Unsere Vision ist doch, daß in Berlin die Grenzen fallen und daß sich der Austausch zwischen Ost und West entwickelt. Ich denke, der Besuch von Herrn Gorbatschow hat gezeigt, daß wir da Fortschritte wollen.
({0})
Das kann man aber doch nicht an einem einzelnen Projekt festmachen.
({1})
Ich komme zum zweiten Punkt. Es geht für uns Sozialdemokraten in Berlin um nüchterne wirtschaftliche und umweltpolitische Fragen.
Lieber Kollege Schulze, Sie haben darauf hingewiesen, was der alte Berliner Senat gemacht hat. Ich möchte feststellen: Die Berliner haben ihn abgewählt; jetzt haben andere die Verantwortung. Ich denke, es ist das Recht jedes Senats und jeder Regierung, auch geschlossene Verträge noch einmal auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Das können Sie nicht in Frage stellen, weil es in Berlin eine intensive Diskussion gegeben hat. Es geht hier auch nicht um die Frage: Atomstrom, ja oder nein?, sondern es geht um die Frage: Ist der Stromlieferungsvertrag wirklich tragfähig?
({2})
Uns als Berliner erregt, daß eine Aktiengesellschaft, in der das Land Berlin auch noch Mehrheitsgesellschafter ist, diesen Mehrheitsgesellschafter nicht einmal in die Verträge hineinsehen läßt. Wo bleibt denn die Information und die Beteiligung der Bürger, wenn wir den Unternehmen die Möglichkeit geben, eine solche Einsicht zu verweigern?
({3})
Das wollen wir erreichen; wir wollen nämlich überprüfen, ob das, was da ausgehandelt worden ist, Herr Lambsdorff, sinnvoll, wirtschaftlich, vernünftig und umweltverträglich ist. Das werden wir auch tun. Deswegen ist Ihre Aufregung über diese Diskussion völlig verfehlt.
({4})
Lassen Sie uns die Diskussion in Berlin in aller Ruhe führen. Ich denke, wir werden da zu einem guten Ergebnis kommen. Wir werden die Kosten und den Nutzen abwägen und dann eine Entscheidung treffen, die im Interesse der Berliner ist. Ich glaube, das ist nicht ein Thema für den Bundestag,
({5})
sondern ein Thema für die Berliner.
Dr. Diederich ({6})
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pfennig.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Diederich hat völlig recht: Es geht hier nicht um das Problem einer Stromleitung. Deswegen haben hier verschiedene Kollegen auch schon gesagt: Jahrzehntelang war es das Ziel jeder Bundesregierung und jedes Berliner Senats, die Inselsituation Berlins in der Energieversorgung zu beenden durch eine möglichst störungsfreie Verbindung mit westdeutschen Energielieferanten und damit die Anbindung an die europäischen Netze. Deshalb wurde es uneingeschränkt als Erfolg angesehen, daß sowohl beim Erdgas mit Hilfe der Ruhrgas AG die Anbindung an das europäische Netz durch Einbeziehung der Tschechoslowakei und der DDR als auch beim Strom mit Hilfe der Preußenelektra durch Einbeziehung der DDR dies gelang.
Erst wenige Wochen vor der Berliner Wahl entdeckte die SPD in Berlin - wie üblich nach der Alternativen Liste -, daß die Stromverbindung nicht gut sei, weil damit Atomstrom nach Berlin gelangen könnte. Heute sind in beiden Bereichen die erzielten politischen und wirtschaftlichen Erfolge gefährdet.
({0})
- Es könnte auch Solarstrom durch die Leitung kommen,
({1})
und trotzdem sind Sie gegen diese Leitung. Ich sage ja gleich, warum.
({2})
Bei der Versorgung der Stadt mit Erdgas gefährden Sie den Erfolg dadurch, daß Sie sich zwar einig sind, daß das herangeführte Erdgas sofort angeschlossen und die Umstellung von Stadt- auf Erdgas vorangetrieben werden soll. So steht es in der Koalitionsvereinbarung. Aber die Voraussetzungen dafür sind blockiert, solange die Erdgasspeicher nicht tatsächlich vorhanden sind. Die dagegen bestehenden und geltend gemachten Vorbehalte von Bürgern werden vermutlich den von der AL geführten Umweltsenat in Berlin nicht ruhen lassen, weitere Argumente gegen die Erdgasspeicher zu finden.
Bei der Stromverbindung sieht es noch schlechter aus. Hier hat die Umweltverwaltung ein Rechtsgutachten über die Gültigkeit und Kündbarkeit des Stromliefervertrags in Auftrag gegeben und ferner die
Prüfung veranlaßt, ob überhaupt Strom aus Westdeutschland benötigt werde. Auch hier ist natürlich die innerstädtische Verbindung blockiert. Sie soll einer - der Kollege Stobbe hat diese Stelle der Koalitionsvereinbarung schon vorgelesen - „umfassenden" Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. - Was für einer denn sonst? Offensichtlich soll es sich hier um eine Schikaneprüfung handeln. Deswegen sind die Maßnahmen schon klar umrissen. Auch wohin sie führen sollen, steht in der Anlage zur Koalitionsvereinbarung: Die Bewag soll den Charakter eines Umweltkonzerns erhalten. Alle Regelungen sollen aufgehoben werden, die den energiepolitischen Handlungsspielraum Berlins einschränken.
Der Vorsitzende der energiepolitischen Kommission der SPD in Berlin hat im Mai 1989 verkündet, daß nicht bloß das schöne deutsch-deutsche Geschäft sabotiert, sondern ein vernünftiger Energieverbund mit der DDR angestrebt werden solle. Wer gedacht hätte, der jetzige Gas- und Stromverbund unter Einbeziehung der DDR und die damit erfolgte Einbindung Berlins als weiterer Verknüpfungspunkt zwischen West- und Osteuropa sei damit gemeint, der irrt sich. Angestrebt wird ein Energienahverbund zwischen Ost- und West-Berlin, also eine Einbindung des Westteils der Stadt in das DDR-Netz bis hin zum Bezug von Fernwärme aus Ost-Berlin. So zumindest lauten die Vorschläge im energiepolitischen Programm der SPD aus dem Jahr 1988.
Die Ausgrenzung Berlins aus der gesamteuropäischen Energieverknüpfung und seine Abhängigkeit von der notleidenden DDR-Energieversorgung wären damit perfekt. Diese Überlegungen führen direkt zur Abkoppelung Berlins von Westeuropa. Sie sind übrigens keine Einzelfallüberlegungen. Die angedachte Verlagerung des Flugverkehrs nach Schönefeld, der Nichtbau der Spandauer Schleuse sind weitere Symptome. Bundesregierung und Bundestag sollten dem Senat nicht nur klarmachen, daß er sich bei der Durchsetzung einer solchen Politik auf einem Irrweg befände, sondern auch, daß die für Berlin lebenswichtigen Bindungen zum Bund damit von innen ausgehöhlt würden.
({3})
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Juni 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.