Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/11/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, Kollege Horn feierte am 2. Mai seinen 60. Geburtstag, Kollege Niggemeier am 10. Mai ebenfalls seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihnen die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aus. ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Aktuelle Stunde: Gefährdung des Rechtsstaates und der Inneren Sicherheit aufgrund der aktuellen Ereignisse am 1. Mai 1989 in Berlin ({1}) 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. Ehrenberg, Dr. Gautier, Jung ({2}), Meyer, Müller ({3}), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Bulmahn, Frau Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Gegen eine Mammutfusion DaimlerBenz/Messerschmitt-Bölkow-Blohm ({4}) - Drucksache 11/4518 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verbesserung der sozialen Situation der Bäuerinnen - Drucksache 11/4468 4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Flächen- und Betriebsstillegungen, sondern Überschußbeseitigung und ökologische Intensivierung der Landbewirtschaftung - Drucksachen 11/913, 11/4501 5. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur zukünftigen Kohlepolitik 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Rock, Weiss ({6}) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verkehr am Oberrhein - Drucksache 11/3863 - 7. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes - Drucksache 11/4508 - 8. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksache 11/4509 - 9. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zum § 218 StGB nach dem Memminger Urteil 10. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten - Drucksache 11/4507 - Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 15 von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Weiterhin wird interfraktionell vorgeschlagen, den in der 131. Sitzung des Deutschen Bundestages bereits überwiesenen Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz - Drucksache 11/4086 - nachträglich dem Innenausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie mit dieser Überweisung einverstanden? - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung neuer Freihäfen und zur Änderung des Zollgesetzes - Drucksache 11/4033 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({7}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Präsidentin Dr. Süssmuth b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({8}) - Drucksache 11/4452 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. Ehrenberg, Dr. Gautier, Jung ({10}), Meyer, Müller ({11}), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Bulmahn, Frau Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Gegen eine Mammutfusion Daimler-Benz/ Messerschmitt-Bölkow-Blohm ({12}) - Drucksache 11/4518 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({13}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 und die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf: 4. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({14}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Bayha, Borchert, Repnik, Carstensen ({15}), Fellner, Fuchtel, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Jobst, Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Dr. Kunz ({16}), Link ({17}), Dr. Meyer zu Bentrup, Niegel, Dr. Rüttgers, Sauter ({18}), Schartz ({19}), Scheu, Schmitz ({20}), Börnsen ({21}), Freiherr von Schorlemer, Dr. Uelhoff, Frau Will-Feld, Werner ({22}), Graf von Waldburg-Zeil, Seesing, Weiß ({23}), Dr. Friedmann, Bühler ({24}), Dr. Miltner und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1988 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksachen 11/2138, 11/2159, 11/2164, 11/2189, 11/4063 - Berichterstatter: Abgeordnete Bayha Kreuzeder b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1989 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksachen 11/3968, 11/3969 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({25}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({26}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1988 bis 1991 - Drucksachen 11/2453, 11/4234 - Berichterstatter: Abgeordneter Heinrich d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, Sauter ({27}), Freiherr von Schorlemer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bredehorn, Paintner, Heinrich, Kohn, Dr. Hitschler und der Fraktion der FDP Präsidentin Dr. Süssmuth Europäischer Binnenmarkt und Land- und Forstwirtschaft - Drucksachen 11/3689, 11/4374 - e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({28}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung a) Vorschlag für eine Verordnung ({29}) des Rates zur Regelung der viehseuchenrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt b) Vorschlag für eine Verordnung ({30}) des Rates zur Verstärkung der Kontrollen hinsichtlich der Anwendung der veterinärrechtlichen Vorschriften c) Vorschlag für eine Verordnung ({31}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({32}) Nr. 1468/81 betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewährleisten - Drucksachen 11/3117, Nr. 2.4, 11/4013 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Flinner f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({33}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung a) Vorschlag für eine Verordnung ({34}) des Rates zur Eröffnung einer Finanzierungsfazilität für Nahrungsmitteleinfuhren von Entwicklungsländern aus der Europäischen Gemeinschaft b) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festsetzung der Bedingungen für öffentlich unterstützte Agrarexportkredite - Drucksachen 11/3117, Nr. 2.5, 11/4245 - Berichterstatter: Abgeordneter Koltzsch g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({35}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({36}) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Schaf- und Ziegenfleisch - Drucksachen 11/3703, Nr. 2.11, 11/4061 - Berichterstatter: Abgeordneter Heinrich h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({37}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({38}) des Rates zur Abweichung von der Verordnung ({39}) Nr. 797/85 hinsichtlich bestimmter Investitionsbeihilfen für Schweinehaltungen - Drucksachen 11/4019, Nr. 2.26, 11/4401 - Berichterstatter: Abgeordneter Oostergetelo i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({40}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung des Anhangs II der Richtlinien 76/895/EWG und 86/362/EWG zur Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Obst und Gemüse sowie Getreide - Drucksachen 11/561, Nr. 2.7, 11/1137 - Berichterstatter: Abgeordneter Kroll-Schlüter j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sauter ({41}), Carstensen ({42}), Herkenrath, Kalb, Kroll-Schlüter, Michels, Niegel, Freiherr von Schorlemer, Susset, Bayha, Eigen, Schartz ({43}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Bredehorn, Frau Folz-Steinacker, Frau Walz und der Fraktion der FDP Präsidentin Dr. Süssmuth Intensivierung und Koordinierung der Agrarforschung für die Dritte Welt und in der Dritten Welt - Drucksache 11/4211 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({44}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbesserung der sozialen Situation der Bäuerinnen - Drucksache 11/4468 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({45}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({46}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN Keine Flächen- und Betriebsstillegungen, sondern Überschußbeseitigung und ökologische Intensivierung der Landbewirtschaftung - Drucksachen 11/913, 11/4501 Berichterstatter: Abgeordneter Funk ({47}) Zum Agrarbericht 1989 liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4487, 11/4505 und 11/4517 vor. Nach Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Kiechle.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der heutigen Agrardebatte eine umfangreiche Tagesordnung zu bewältigen. Im Mittelpunkt steht allerdings der Agrar- und ernährungspolitische Bericht 1989 der Bundesregierung. In Kommentaren und in Reden zu diesem Agrarbericht 1989 wurde dessen nüchterne, sachliche, die Realität widerspiegelnde Darstellung anerkannt. Insoweit ist der Agrarbericht 1989 für alle, die mehr über unsere Agrarwirtschaft erfahren wollen, eine umfassende und, wie ich meine, auch unentbehrliche Informationsquelle. Ich danke allen, die bei seiner Erstellung mitgewirkt haben. Leider konnte über die Einkommenssituation unserer bäuerlichen Betriebe im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1987/88 wenig Positives berichtet werden. Landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe erfuhren im Durchschnitt einen Gewinnrückgang ich sage allerdings: im Durchschnitt - von 10,5 % auf rund 35 500 DM je Unternehmen, vor allem als Folge schlechter Ernten und des anhaltenden Preisdrucks auf überschüssigen EG-Märkten. Im laufenden Wirtschaftsjahr, das in sechs Wochen zu Ende geht, rechnen wir zwar wieder mit einem deutlichen Gewinnanstieg um 12 bis 16 %: wegen besserer Ernten 1988 und steigender Erzeugerpreise insbesondere bei Milch, Schweinefleisch und Rindfleisch. Hinter statistischen Durchschittszahlen für unsere 327 000 Vollerwerbsbetriebe - das sind 49 % aller Betriebe - verbergen sich allerdings sehr unterschiedliche familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse auf den Höfen. So schwankt der Gewinn je Unternehmen und je Arbeitskraft u. a. nach der Betriebsgröße, nach Betriebsformen, nach dem Ausbildungsstand der Betriebsleiter sowie nach der regionalen Lage der Betriebe. Dafür ein Beispiel: Die Vollerwerbsbetriebe in den von der Natur benachteiligten Gebieten mit Ausgleichszulagen konnten - eben wegen dieser Ausgleichszulage, aber auch wegen steigender Auszahlungspreise bei Milch - erstmals leicht höhere Gewinne erzielen als die Betriebe außerhalb dieser Gebiete. Außerdem zeigte sich, daß die Teilnahme bäuerlicher Familien an der allgemeinen Einkommensentwicklung oftmals vom Umfang zusätzlicher außerbetrieblicher Einkommen abhängt. Während sich die verfügbaren Einkommen je Inhaberehepaar 1987/88 in rund einem Drittel der überwiegend kleineren Vollerwerbsbetriebe auf weniger als 20 000 DM beliefen, konnten die Familien in Zu- und Nebenerwerbsbetrieben - das sind rund 340 000 oder 51 % der Betriebe - im Durchschnitt auf ein Einkommen von rund 36 000 DM zurückgreifen. Etwa ein weiteres Drittel der Vollerwerbsbetriebe - diesmal überwiegend größere - verfügt immerhin über ein Einkommen von mehr als 40 000 DM. Die Schlußfolgerung ist: Die wirtschaftliche Lage unserer bäuerlichen Betriebe ist weiterhin sehr uneinheitlich. Es gibt gutverdienende Betriebe, es gibt Betriebe, die gerade noch so über die Runden kommen, und es gibt Betriebe, die wirtschaftlich vor großen Problemen stehen. Ohne staatliche Hilfen wie die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten, den Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer oder die Bundesmittel zur agrarsozialen Sicherung wären viele Betriebe in einer noch wesentlich schlechteren wirtschaftlichen Verfassung. „Maßstab" - ich zitiere jetzt - „für eine erfolgreiche Politik sollte weniger die Höhe finanzieller staatBundesminister Kiechle licher Unterstützungen sein als vielmehr die tatsächliche Ertragslage." Das habe ich einer Stellungnahme des Präsidiums des Deutschen Bauernverbandes zum Agrarbericht 1989 entnommen, und das ist auch richtig. Der Umfang staatlicher Unterstützung für unsere Bauern ist aber ebenfalls wichtig. Für 1989 sind im BML-Haushalt 9,5 Milliarden DM veranschlagt; 1983 waren es erst 5,65 Milliarden DM. Allein die Steigerung vom letzten auf dieses Jahr beträgt 913 Millionen DM oder mehr als 10 %. Als neue Leistungen möchte ich erwähnen: die Produktionsaufgaberente für ältere Landwirte zum 1. Januar dieses Jahres, die Ausgleichszahlungen für die Flächenstillegung - eine moderne Art der Brache - und die Betriebshilfe im Rahmen des derzeit in der parlamentarischen Beratung befindlichen sogenannten Strukturgesetzes. Allein für diese drei Maßnahmen sind 1989 rund 1 Milliarde DM an Bundesmitteln veranschlagt. Eines ist allerdings unbestritten: Mit staatlichen Hilfen allein ist unseren Betrieben keine dauerhafte Existenz zu sichern. Der weit überwiegende Teil der Einkommen unserer Bauern muß auch zukünftig am Markt - sprich: über den Verkaufserlös für Agrarprodukte - erzielt werden. ({0}) Überall, wo das bisher nicht gelingt, stellen wir fest: Die anhaltende Überschußsituation bei wichtigen Agrarprodukten drückt auf den Preis und läßt keine ausreichenden Erzeugererlöse zu. Dies gilt zur Zeit besonders für unsere Marktfruchtbetriebe. Wir stellen weiter fest, daß Betriebe, die mit zu hohen Kosten produzieren, deutliche Wettbewerbsnachteile gegenüber den Betrieben haben, die z. B. für Maschinen oder Betriebsmittel weniger Geld ausgeben, und daß viele Betriebe zu geringe Produktionskapazitäten aufweisen, um allein aus der Landwirtschaft ein befriedigendes Einkommen zu erwirtschaften. Die Einkommenslage der Betriebe zu verbessern heißt, die Anstrengungen auf diesen Problemfeldern fortzusetzen. Das ist in erster Linie Aufgabe der bäuerlichen Betriebsleiter als Unternehmer. Wie aber kann der Staat dabei am sinnvollsten helfen? Die Vorstellungen darüber gehen auch in der nationalen Agrarpolitik weit auseinander. Nehmen wir als Beispiel nur die Einschätzung des strukturellen Wandels in der Landwirtschaft. Einerseits wird gefordert, der Staat solle den Strukturwandel fördern, damit die Vollerwerbsbetriebe mehr Flächen zur Aufstockung finden. Andererseits wird die Strukturverbesserung mit dem Schlagwort vom Bauernsterben verteufelt, und es wird vom Staat verlangt, sie zu verhindern. Beides gleichzeitig gibt keinen Sinn. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Agrarpolitik, die auf Emotionen statt auf Vernunft, die auf Demagogie statt auf Realitätssinn setzt, weckt nur Illusionen. Es steht doch außer Frage: Wie in jedem anderen Wirtschaftsbereich ist auch in der Landwirtschaft die strukturelle Entwicklung der Betriebe unvermeidbar. Nur wer sich weiterentwickelt, kann sich auf Dauer im Wettbewerb behaupten. Unser Problem ist nicht der Strukturwandel an sich, sondern die Frage, ob es im Jahr 2000 und darüber hinaus noch genügend Betriebe gibt, die die Erwartungen unserer Bevölkerung an die Landwirtschaft erfüllen können, nämlich eine preisgünstige, qualitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion, die Erhaltung unserer Kulturlandschaft sowie ökologische Leistungen. Die Nahrungsmittelproduktion bleibt auch weiterhin die Hauptaufgabe unserer Bauern für unsere Bevölkerung. Dazu ist eine wettbewerbsfähige unternehmerische Landwirtschaft notwendig. Das war schon immer so und dies wird erst recht im EG-Binnenmarkt ab 1993 so sein. Eine unternehmerische Landwirtschaft steht allerdings überall in Europa heute - und morgen vermutlich noch mehr - vor der Aufgabe, nicht nur eine ausreichende und qualitativ gute Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen, sondern auch den Anforderungen des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes zu entsprechen oder, mit anderen Worten, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu halten und, soweit das bisher nicht der Fall sein sollte, zu bringen. Das heißt nun nicht, z. B. mit Sense und Wetzstein zu den Produktionsweisen unserer Väter und Vorväter zurückzukehren. Nein, Maschinen, meine Damen und Herren, haben menschliche Arbeitskraft ersetzt und sind zu unentbehrlichen Instrumenten geworden, die Erleichterungen in den Betrieben schaffen. ({1}) Chemische Hilfsmittel haben Erträge gesteigert und kostenintensive Handarbeit überflüssig gemacht. ({2}) Darauf können wir nicht einfach verzichten, ohne die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherung zu gefährden. In Zukunft müssen wir allerdings EG-weit den biologischen und technischen Fortschritt in der Landwirtschaft noch mehr daraufhin überprüfen, was unter ökologischen Aspekten verantwortet werden kann und was nicht. ({3}) Die bisherigen Erfahrungen unserer Bauern mit Umweltschützern und Verwaltungsbehörden waren nicht immer dazu angetan, großes Vertrauen in eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu entwickeln. Zu häufig haben in öffentlichen Diskussionen über Natur- und Umweltschutz diejenigen das Sagen, die mit den Existenzchancen unserer Bauern leichtfertig umgehen, ohne selbst ein persönliches Risiko zu tragen. ({4}) Nehmen wir doch unsere Bauern vor ungerechtfertigten Vorwürfen noch mehr in Schutz. Unterstützen wir gleichzeitig aber auch eine bodenschonende und umweltfreundliche Produktion. ({5}) Nur mit nationalen Maßnahmen ist es allerdings nicht getan. ({6}) Die bevorstehende Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes bietet Chance und Schubkraft zugleich ({7}) - Sie dürfen ja nachher reden, Frau Flinner; lassen Sie mich jetzt auch reden; das ist der beste Weg zur Verständigung -, um zu EG-weiten Gesundheits-, Umwelt- und Tierschutzregelungen zu kommen, die unsere Bauern wirtschaftlich mittragen können. Gehen nationale Auflagen in ihrer einschränkenden Wirkung über EG-weite Regelungen unvertretbar hinaus, müssen unsere Bauern dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. In § 19 Abs. 4 des Wasserhaushaltsgesetzes ist ein solcher finanzieller Ausgleich für Produktionsauflagen verankert, die das Maß ordnungsgemäßer landwirtschaftlicher Nutzung überschreiten. Einige Bundesländer haben diese bundesweite Regelung bereits in die Praxis umgesetzt, andere nicht. Ich appelliere an diese Bundesländer, unseren Bauern die gesetzlich zustehenden Ausgleichszahlungen nicht vorzuenthalten. ({8}) Was durch wettbewerbsmindernde Produktionsauflagen unseren Bauern an Einkommen verlorengeht, kann in Brüssel auch durch noch so intensives Feilschen um Zehntel Preisprozente nicht wieder hereingeholt werden. Agrarpolitik ist nicht nur Markt- und Preispolitik, Struktur- und Sozialpolitik, sondern in einem immer bedeutsameren Maß auch Umwelt- und Naturschutzpolitik. All diese Politikbereiche müssen wir gleichzeitig und sozusagen vernetzt bedienen. Dabei kommt uns zu Hilfe, daß Produktionsauflagen, die zunächst nur bei uns gelten, die eine umweltfreundlichere Landwirtschaft erhalten sollen und auf den ersten Blick wettbewerbsbehindernd erscheinen können, im EG-Binnenmarkt auch Marktvorteile bieten können. Gerade unsere Verbraucher entwickeln mehr und mehr Sympathien für eine möglichst naturnahe landwirtschaftliche Produktion. Diese Tendenz wird mit wachsendem Wohlstand auch in anderen Mitgliedstaaten zunehmen. Unsere Bauern sollten sich deshalb durch höchste Qualität von einer auf Masse ausgerichteten Produktion absetzen. Bei den im EG-Vergleich klein- bis mittelbäuerlichen Betrieben mit noch weitgehend naturnahen Produktionsweisen ist dies eine unserer Chancen. Gleichzeitig bleibt es für alle Betriebe notwendig, die Überschußproduktion, die der Kern allen Einkommensübels in der Landwirtschaft ist, durch eine konsequente Politik der Mengenanpassung in den Griff zu bekommen. Wie aber einen Marktausgleich schaffen und dies EG-weit durchsetzen? Hier hilft kein Mit-der-Faustauf-den-Tisch-Hauen, sondern nur konsequentes und zielgerichtetes Handeln und Verhandeln. Es ist schon äußerst schwierig, die unterschiedlichen agrarpolitischen Interessen innerhalb unseres Landes auf einen Nenner zu bringen. Die diesjährigen Preisverhandlungen haben einmal mehr gezeigt, um wie viel schwieriger es ist, zwischen zwölf EG-Mitgliedstaaten und mit der EG-Kommission zu einem Konsens zu kommen. Wir haben uns in Luxemburg vor drei Wochen gegen den auf Abbau der Preisstützung gerichteten Kurs der EG-Kommission wenigstens weitgehend durchgesetzt. Die Einzelheiten der Ergebnisse sind ja inzwischen allgemein bekannt. So viel jedoch dazu: Nicht nur gemessen an dem, was die EG-Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte, ist das Verhandlungsergebnis besser, als am Anfang überhaupt erwartet werden konnte. Es ist uns auch gelungen, zu erreichen, daß die Entscheidungen in Brüssel neben dem EG-Haushalt auch die Einkommenslage unserer Bauern im Blick hatten. Die Ergebnisse bringen trotzdem für unsere Getreidebauern keineswegs etwa eine Verbesserung und schon gar keine nachhaltige Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Denn das im Februar 1988 beim EG-Gipfel beschlossene Stabilisatorenkonzept für pflanzliche Produkte wirkt ja weiter. Um noch drastischere Preissenkungen zu vermeiden, haben wir uns im vergangenen Jahr auf eine Art Doppelstrategie eingelassen: zwar jährliche Rücknahme der Preisstützung bei Getreide im Umfang von 3 %, wenn die EG-Produktionsmenge von 160 Millionen t überschritten wird, aber parallel dazu Maßnahmen der Flächenstillegung, Extensivierung und Umstellung der Produktion als Instrumente für die Bauern, um ein Überschreiten der Garantieschwellen zu vermeiden. Die Kritik an diesen flankierend zum Stabilisatorenkonzept beschlossenen Maßnahmen will nicht verstummen. Sie gipfelt darin, die Flächenstillegungen seien ein Flop, da sie nicht gleichermaßen in der gesamten EG zum Tragen kämen. Außerdem ist diese Kritik nicht von konstruktiven Vorschlägen begleitet. Inzwischen zeigt sich aber eine breitere Anwendung in fast allen Mitgliedstaaten, so daß 1989 EG- weit mit einer Stillegungsfläche von über 400 000 Hektar gerechnet werden kann. ({9}) Über eine eventuelle Änderung der derzeitigen EG- Regelungen wird auf Grund eines Berichts der EG- Kommission in der zweiten Hälfte dieses Jahres noch gesprochen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was auch immer wir zum Marktausgleich unternehmen, eines müssen wir doch deutlich sehen: Die Möglichkeiten des Wachstums von Einkommen aus der Nahrungsmittelproduktion sind begrenzt. Sie reichen nicht für alle heute existierenden Betriebe, weil der Export auf den Weltmarkt kein beliebig zu öffnendes Ventil mehr ist und deshalb die Erzeugungsmenge in der EG im wesentlichen auf den nur langsam steigenden internen Bedarf abzustellen ist. Welche Perspektiven verbleiben unseren bäuerlichen Betrieben? Im wesentlichen sind es vier: Erstens. Um im EG-Wettbewerb zu bestehen, braucht ein Vollerwerbsbetrieb ausreichend große Flächen und/oder ausreichend große Tierbestände. Umwelt- und Naturschutzbestimmungen werden allerdings überall in der EG weiteres betriebliches Wachstum in eine ökologisch vertretbare Richtung steuern. ({10}) Zweitens. Die Nachfrage der Verbraucher nach speziellen, möglichst naturnah erzeugten Produkten wird weiter zunehmen. Hier liegen Perspektiven für Produktionsweisen, die von den Verbrauchern besonders honoriert werden, z. B. ein geringstmöglicher Einsatz von chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Drittens. Um die Vielfalt von Flora und Fauna und die Attraktivität unserer Landschaft zu sichern, werden verstärkt besondere ökologische und landschaftspflegerische Dienstleistungen gefragt sein, die eine Reihe von Betrieben - allerdings gegen Entgelt - übernehmen können. Viertens. Um verbleibende Einkommensprobleme zu lösen, sind alle zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten inner- und außerhalb der Betriebe zu nutzen. ({11}) Wichtig ist nicht, wo das Haupteinkommen der bäuerlichen Familie verdient wird, sondern daß sie genug verdienen kann, um einen angemessenen Lebensstandard möglich zu machen, um auf dem Lande wohnen zu bleiben, um breitgestreutes Eigentum zu sichern und den Betrieb eventuell auch im Nebenerwerb zu bewirtschaften. Dabei wird die gesellschaftspolitische Bedeutung der Nebenerwerbslandwirtschaft noch weiter zunehmen. Denn ohne Nebenerwerbsbetriebe ist eine flächendeckende Landbewirtschaftung und Vielfalt der Landwirtschaft im Jahre 2000 kaum vorstellbar. ({12}) Allerdings muß man die oft hohe Arbeitsbelastung in den Nebenerwerbsbetrieben sehen. Notwendig ist es daher, bei einer zusätzlichen Beschäftigung den Betrieb nicht einfach in bisheriger Form fortzuführen, sondern auf neue Haupterwerbstätigkeiten hin umzuorganisieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Agrarpolitik wird auch in den nächsten Jahren mühsame Kleinarbeit erfordern. Ich habe Ihnen ausführlich dargestellt, von welchen Zielen und Maßnahmen sich die Bundesregierung leiten läßt, um unseren Bauern im Prozeß der Marktanpassung und strukturellen Entwicklung zu helfen. Wer hier den Vorwurf mangelnder Konzeption erhebt, muß sich das Sprichwort vorhalten lassen: Wer nicht sehen will, dem helfen weder Licht noch Brill'. ({13}) - Sie müssen eine andere Brille aufsetzen; das ist wahr. Lassen Sie mich die Richtung unseres agrarpolitischen Kompasses für die Zukunft trotzdem noch einmal ganz kurz skizzieren: Erstens Wiederherstellung des Marktgleichgewichts als Voraussetzung für eine Stabilisierung und Verbesserung der Erzeugererlöse und -einkommen - Milch ist ein klassisches Beispiel dafür, wie das gehen kann - , zweitens ergänzende Stützung der Einkommen durch produktionsneutrale Flächen- und Tierprämien sowie Ausgleichszahlungen, drittens eine neue Balance zwischen Ökonomie und Ökologie in der Agrarproduktion, bei Sonderauflagen mit Ausgleichszahlungen, viertens Sicherung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe durch gezielte Förderung von Entwicklungschancen, Festhalten am Prinzip EG-einheitlicher Produktionsauflagen zum Schutz von Tier, Natur und Umwelt, eine Währungsausgleichsregelung, ({14}) solange es keine funktionierende Währungsunion gibt, qualitativ hochwertige Agrarproduktion, effiziente Vermarktungseinrichtungen, gesunde strukturelle Entwicklung unserer Betriebe, fünftens Förderung von zusätzlichen Erwerbs- und Einkommensmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Betriebe, sechstens Festigung der sozialen Sicherung im Bereich der Alters-, Krankheits- und Unfallversicherung und Auffangen individueller Härten im Strukturwandel der Landwirtschaft; ich nenne hier nur noch einmal die Produktionsaufgaberente. Flankierend kommen Maßnahmen der Raumordnungspolitik, der regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sowie der Verkehrspolitik hinzu, Maßnahmen also, die auf die Entwicklung des gesamten ländlichen Raums gerichtet sind. Die Agrarpolitik und die Bauern sind alleine nicht in der Lage, den ländlichen Raum als Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum attraktiv zu erhalten. Deshalb brauchen wir die Solidarität der gesamten Gesellschaft, wie sie das Konzept des „Solidaritätsvertrages für unsere Landwirtschaft" fordert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der EG- Binnenmarkt ab 1993 ist keine Verschwörung gegen die Landwirtschaft, sondern eine Herausforderung an ihre Leistungsfähigkeit. Machen wir unseren bäuerlichen Familien doch Mut, diese Herausforderung anzunehmen, nicht indem wir vorhandene Probleme in der Landwirtschaft etwa verschweigen oder beschönigen, aber ganz besonders nicht indem wir alles und jedes miesmachen oder indem alles und jedes miesge10544 macht wird und Zukunftsangst gepredigt wird, sondern indem wir ehrlich sagen, wo die Chancen liegen und was sich nicht ändern läßt. Beides muß gesagt werden! ({15}) Die Bundesregierung wird weiterhin alles in ihren Kräften Stehende tun, um unserer Landwirtschaft im Anpassungsprozeß an eine markt- und umweltgerechte Produktion zu helfen. Den Bäuerinnen und Bauern, den Winzern, Förstern und Fischern wünsche ich Selbstvertrauen, wünsche ich auch Freude am Beruf und die öffentliche Anerkennung ihrer vielfältigen Leistungen, die sie neben und mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen für unser Land, für den ländlichen Raum, für die Landschaften unserer Heimat erbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen danke ich für Ihr bisheriges Verständnis und bitte um Ihre weitere Unterstützung. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne den Präsidenten des Reichstags der Republik Finnland, Herrn Kalevi Sorsa, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen. ({0}) Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Ihr Besuch in der Bundesrepublik die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten unterstreicht und bekräftigt. Wir nutzen diese Gelegenheit auch gern, um Ihnen von dieser Stelle aus unseren Glückwunsch auszusprechen, um Ihnen zu sagen, wie sehr wir uns freuen, daß Sie am 5. Mai dem Europarat als Vollmitglied beigetreten sind und dort auf genommen wurden. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Tag für den Europarat, aber auch für Finnland. Herzlich willkommen! ({1}) Nun erteile ich dem Herrn Abgeordneten Oostergetelo das Wort.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, gleich mit einem Zitat zu beginnen. Es lautet, „auch in der diesjährigen Agrarpreisrunde bei den Agrarpreisbeschlüssen der Europäischen Gemeinschaft komme die verwerfliche Preisdruckpolitik der EG-Kommission voll zum Tragen." - Diese Kritik, die auch den Akteuren am Ratstisch gilt, stammt nicht von mir, nicht von der SPD-Opposition, sondern von dem Kollegen Freiherr von Heereman. Der Präsident des Niedersächsischen Landvolks, Rhode, spricht sogar von 4 %. Ich bin gespannt, was der Kollege Heereman heute für Ihre Fraktion sagen wird! ({0}) Ich meine, Sie, Herr Minister Kiechle, Herr Kittel, Ihre Damen und Herren Mitarbeiter, haben bei den Preisverhandlungen in diesem Jahr ein gutes Standing gehabt. Sie haben entsprechend auch unserer Forderung und denen anderer Mitgliedstaaten dafür gesorgt, daß über das Stabilisatorenkonzept hinausgehende Preissenkungen im wesentlichen nicht Wirklichkeit geworden sind. Dafür bedanken wir uns. Dazu stehen wir. Das Stabilisatorenkonzept bejahen wir. Die Überschüsse müssen weg, ob wir es wollen oder nicht. Das gehört zur Redlichkeit. Das muß sein. ({1}) Es gilt, dabei auch den guten Ruf der Landwirtschaft in der Bevölkerung zu festigen. Aber, Herr Bundesminister Kiechle, Tatsache ist auch, daß viele, nein, viel zu viele landwirtschaftliche Familien ein unzureichendes Einkommen haben. Viele, viel zu viele leben nur noch von der Substanz. Sie haben keine oder eine zu geringe Eigenkapitalbildung. Das läßt sich nicht leugnen. Das Festschreiben der Preise, dazu noch bei diesem Rückgang, ist letztendlich für viele Betriebe tödlich. Im Agrarbericht 1989, für den wir uns bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern bedanken, wird dies deutlich aufgezeigt. Was das für bäuerliche Familien, für Familien, die ihren Hof seit Generationen bewirtschaften, bedeutet, müssen Sie wissen. Es ist kein Wunder, wenn sich in dieser Lage bei der jungen Generation immer mehr eine pessimistische Einstellung gegenüber der Zukunft ausbreitet. Es mußte und muß im Interesse unserer landwirtschaftlichen Familien gehandelt werden. Der Einkommensrückgang hat insbesondere bei kleineren und mittleren Veredlungsbetrieben zu erheblichen Existenzproblemen geführt. Auch größere, an sich gut strukturierte Marktfruchtbetriebe sind auf Grund der negativen Entwicklung in erhebliche Schwierigkeiten geraten. So mußten unsere Vollerwerbsbetriebe im abgelaufenen Wirtschaftsjahr mit einem Einkommensrückgang von 10,5 % zurechtkommen - oder, deutlicher ausgedrückt, mit dem Einkommensniveau von 1976/77 zufrieden sein. Weitere 2,3 % aller landwirtschaftlichen Betriebe mußten ihre Hoftore für immer schließen, was nicht nur den Verlust von wichtigen Arbeitsplätzen auf dem Lande nach sich zieht, sondern die langsame und kontinuierlich verlaufende Entleerung der ländlichen Räume bedeutet. Nicht, Herr Minister, der Strukturwandel an sich ist die Frage - Sie haben das betont - , sondern ob wir genug Betriebe behalten, um eine umweltgerechte Landbewirtschaftung zu garantieren, um Nahrungsmittel auch in Krisenzeiten zu haben, um die Sozialfunktion des ländlichen Raumes zu erfüllen. Strukturwandel und Veränderungen wird es immer geben; aber Strukturwandel von oben nach ganz oben liegt nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Wir müssen das zu verhindern suchen. Ein weiteres Kennzeichen der Agrarkrise ist der drastische Rückgang der Nettoinvestitionen. Er liegt bei 30 % und setzt damit den negativen Trend des Vorjahres fort. Weitere Kennzeichen sind die Verminderung des landwirtschaftlichen Vermögens, die mangelhafte Finanzausstattung vieler landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe. Ein Großteil dieser Unternehmen ist nicht einmal in der Lage, die privaten Ausgaben - ohne Investitionen - aus ihren Gewinnen zu bestreiten, und dies, obwohl bereits 37 % des Gewinns aus unternehmensbezogenen Einkommensstützungen stammen. Was am Ende steht, oder besser, was nicht mehr steht, nicht mehr da ist, kann sich jeder ausmalen. Insofern ist Ihre Politik gescheitert. Herr Minister, Sie wollten die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom Februar 1988 über die Garantiemengen mit automatischen Preissenkungen durch flankierende Maßnahmen absichern. Sie haben sich vor allem für Flächenstillegungen eingesetzt. Sie wollten damit ein Überschreiten der Garantiemengen und damit automatische Preissenkungen verhindern. Das werte ich grundsätzlich positiv. Was haben Sie aber erreicht? Leider überwiegend Negatives. Ihr Eifer wurde von den übrigen EG-Staaten torpediert. Geringe Flächenstillegungsprämien dort waren kein Anreiz zur Teilnahme am Programm. Wir Deutschen spielten wieder den Vorreiter, verzichten damit auf Marktanteile in der EG jetzt und langfristig, vor allem zu Lasten unserer Bauern. Die Garantiemengen bei Getreide werden überschritten. Biologisch-technischer Fortschritt und die nicht gleichgerichtete Anwendung der Flächenstillegung in allen EG-Staaten sind die Ursachen. Die Folge sind automatische Preissenkungen, die bereits 1988 beschlossen wurden. Die Landwirtschaft zieht sich aus mittleren und schlechten Agrarstandorten zurück. Herr Delors hat gesagt: Wo die Landwirtschaft stirbt, stirbt alles. - Und das ist richtig. Wir sollten nicht nur auf die Kommission schimpfen, sondern wir sollten mal fragen, was wir hier selber tun können. 82 % aller am Stillegungsprogramm beteiligten Betriebe in Bayern, Herr Minister, sind Betriebe unter 20 ha. Das ist keine Glanzleistung für einen Jahrhundertvertrag oder für den bayerischen Weg. Sie müssen sich doch fragen, Herr Minister: Sind diese Ergebnisse unter räumlichen Gesichtspunkten noch tragbar? Führen sie nicht zum Ausbluten bäuerlich strukturierter Dörfer der benachteiligten Gebiete Ihrer Heimat und auch anderswo? Auf der anderen Seite haben in anderen Regionen große Betriebe überproportional an der Flächenstillegung teilgenommen. Sie erhalten für die Nichtbewirtschaftung ihrer ertragschwächsten Betriebsflächen erhebliche Prämien. Herr Eigen, das ist Einkommensumverteilung zugunsten flächenstarker Betriebe. ({2}) Das Ergebnis ist insgesamt miserabel: Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche mit negativen Auswirkungen für unsere Kultur- und Erholungslandschaft. ({3}) Damit ist auch der Jahrhundertvertrag der CSU für die deutsche Landwirtschaft gescheitert, ({4}) leider auch der Solidarvertrag der Ministerpräsidenten der Bundesländer. Es ist Ihnen bisher nicht gelungen, das Hauptziel dieses Vertrages zu erreichen: gleichgerichtete Rückführung der Produktion in allen Mitgliedstaaten. Sie haben nicht, wie es die SPD und auch die Ministerpräsidenten der Länder wollten, die Extensivierung der Landbewirtschaftung der Flächenstillegung vorgezogen. Sie haben auch nicht die agrarsoziale Sicherung reformiert. Die Ministerpräsidenten wollten es mit dem Solidarvertrag, auch Sie mit Ihren Koalitionsvereinbarungen. Gerade diese agrarsoziale Reform ist bitter nötig. Viele kleine, einkommensschwache landwirtschaftliche Familienbetriebe brauchen angesichts der aufgezeigten Einkommenssituation diese Reform heute, nicht erst am Sankt-Nimmerleinstag. Sie haben das bisher klammheimlich beiseite gewischt. Jetzt wollen Sie eventuell in diesem Bereich in Eile kleine Brötchen backen, weil Brüssel Ihnen im Nacken sitzt und die bisherigen Regelungen nicht akzeptiert. Vielleicht wollen Sie nicht, vielleicht können Sie auch nicht mehr, weil die Regierung wie beim Naturschutzgesetz handlungsunfähig ist. ({5}) Auch von den Regierungsfraktionen kommt nichts. Vielleicht steht aber auch der Bundesminister Blüm einer Regelung im Wege. Er kann möglicherweise wegen seiner Rückzugsbemühungen weg von Bonn hin zur Oppositionsbank in Düsseldorf keine Spannungen in der Landwirtschaft gebrauchen. ({6}) Um in diesem Bereich nicht zusätzliche Unruhe in der Landwirtschaft zu erzeugen, Herr Bundesminister, ist hier und jetzt ein klärendes Wort nötig. Sie haben dazu nichts gesagt. Werden Sie es durchsetzen oder nicht? Dabei muß die bessere Absicherung der Bäuerinnen im Alter endlich verwirklicht werden. Die Hauptlast der Arbeit - Haushalt, Hof, Kindererziehung - tragen die Bäuerinnen. Das dürfen wir dabei nicht vergessen. ({7}) Im Milchbereich melden Sie große Erfolge. In der Tat konnten über die Quotenregelung Überschußbestände abgebaut werden. ({8}) Dafür war viel Geld erforderlich. Der Milchpreis wurde stabilisiert. Wer genug Quoten hat, ist gut dran. Der Agrarbericht zeigt dies. Das ist richtig. Für das Allgäu trifft das in großen Teilen zu. ({9}) Insofern hat die Kirchturmspolitik Erfolg gehabt. ({10}) Aber viele Landwirte haben nicht genug Milchquoten. Drei Viertel aller Milchbauern haben unter 20 Kühe und keine Perspektive. Das ist doch auch die Wahrheit. ({11}) Auch Betriebe mit kleineren Kuhbeständen mußten die Milchproduktion zurückführen und waren in der Regel keine Härtefälle. ({12}) Vor allem junge Landwirte können sich nicht weiterentwickeln. Dies ist besonders nachteilig an Grünlandstandorten und in den benachteiligten Gebieten. Der liebe Gott läßt sich auch nicht durch Quotenbewirtschaftung absetzen. Tüchtige Kuhwirte werden auch bei Nichtquotenbauern geboren. Eine Flexibilisierung der Quotenregelung ist daher nötig. Nur so können wir jungen und tüchtigen Landwirten wieder eine Chance geben. Wir brauchen doch die Chance für sie - für Europa. Dies muß doch sein. Aber Sie stehen bisher der Flexibilisierung im Wege. Sie haben das Problem des Bauchladens nicht lösen können. ({13}) Sie haben das Problem des Bauchladens nicht lösen dürfen. ({14}) - Dann ist das ein Zeugnis dafür, Herr Kollege, daß Sie wirklich wenig davon wissen. Sie haben es nicht lösen dürfen. Sie sind abhängig in doppelter Weise. Die CSU will es nicht, der bayerische Bauernpräsident Sühler auch nicht. Alle anderen Bundesländer wollen es. Die Bundesländer und die SPD wollen mit der Flexibilisierung jungen Landwirten eine Chance geben, Unter- und Überlieferungen auszugleichen, um regionale Spielräume ausschöpfen zu können, so wie es z. B. die Holländer mit der Vermietung von Quoten ermöglichen. Wettbewerbsgleichheit mit anderen Mitgliedstaaten in der EG herstellen - das muß doch wohl im Hinblick auf das gemeinsame Europa sein. Geben Sie also Ihre bisherige Haltung auf! Lassen Sie sich nicht von einem Bundesland gängeln, Herr Minister! Sie sind dem Ganzen verpflichtet. Nehmen wir einen anderen Bereich, den Sie als Schwerpunkt bezeichnen: Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft oder kurz Strukturgesetz, heißt es da. Was von dem Gesetzentwurf zu halten ist, haben Ihnen die Experten in der Anhörung vor dem Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages erst kürzlich gesagt. ({15}) Der Gesetzentwurf verdient seinen Namen nicht, so die Experten. ({16}) Ich glaube, manch einer in Ihrer Fraktion - ich könnte auch die Namen nennen - teilt diese Meinung. ({17}) Ihr Gesetzentwurf wird bei Annahme insbesondere kleinere, flächenärmere veredlungsstarke landwirtschaftliche Familienbetriebe deutlich benachteiligen. ({18}) Sie erhalten weniger Mittel als bisher über den Mehrwertsteuerausgleich. Das haben alle Experten kürzlich nachgewiesen. Die SPD möchte den Gesetzentwurf nicht kaputtmachen, sondern dafür sorgen, daß er seinen Namen verdient. Der Agrarbericht zeigt auf, daß gerade kleinere und mittlere Veredelungsbetriebe infolge des Einkommensrückganges erhebliche Existenzprobleme haben. Die SPD will diese Betriebe besserstellen. Daher schlagen wir vor, die Beträge zu staffeln. ({19}) - Vielleicht hören Sie einmal zu, Herr Bredehorn! Auf der anderen Seite sehen Sie in einigen Bereichen, vor allem in Betrieben mit ausgeprägter Geflügelhaltung, vor, die bisher geltende Grenze von 330 Vieheinheiten wesentlich zu erhöhen. Ich frage: Wollen Sie ohne Not die Vieheinheitengrenze bis zum Dreifachen erhöhen? Warum wollen Sie die industrielle Geflügelwirtschaft bis zu einer Größe von 914 Vieheinheiten fördern? Das ist eine Jahresproduktion von 700 000 Hähnchen. Sie begünstigen damit größere Betriebe gegenüber der bisherigen Mehrwertsteuerregelung. Sie nehmen sie neu hinein. Das ist auch eine Kirchturmspolitik, Herr von Geldern. Herr Präsident Heereman, will der Bauernverband wirklich noch größere Einheiten? Wollen Sie wirklich Bestände mit einer Produktion von mehr als 1 Million Tieren, was 1 350 Vieheinheiten entspricht? ({20}) Ist das Politik für die Bauern, Herr Heereman? Antworten Sie darauf bitte nachher hier ganz klar, damit die Bauern wissen, woran sie sind. Herr Heereman, das wäre verheerend. ({21}) Warum wollen Sie, Herr Minister, auch Betrieben mit bis zu 120 Kühen noch bares Geld geben, obgleich diese doch schon durch die Quotenregelung stark bevorteilt sind? ({22}) Wir meinen, es sollten niedrige Vieheinheitengrenzen als Fördergrenzen angewandt werden. Anderenfalls nehmen Sie das Geld den einkommensschwachen Betrieben weg. Das Geld fällt doch nicht vom Himmel. Hierfür stehen 1,1 Milliarden DM zur Verfügung. Alles, was Sie den großen Betrieben geben, nehmen Sie denen weg, die es zum Überleben brauchen. ({23}) Damit es klar ist: Für die SPD sind die bisherigen 330 Vieheinheiten die äußerste Grenze. Vielleicht können Sie hier und heute einmal erklären, was denn nun wirklich das Ziel Ihrer Politik ist. Die Debatte zum Agrarbericht, zur Lage der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, ist der geeignete Ort dafür. Sie sprechen viel von Unterstützung klein- und mittelOostergetelo bäuerlicher Betriebe. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Privilegierung von Betrieben mit übergroßen Tierbeständen, z. B. beim Bauen im Außenbereich, ist in Wirklichkeit ein Etikettenschwindel, wenn man es den Ländern zuschiebt. Hierfür ist eine bundeseinheitliche Regelung zu verlangen. Das ist bequem; denn wenn Kritik aufkommt, sind dann wieder andere schuld. Mit Politik hat das wirklich nichts zu tun; im Gegenteil, es macht Konzeptionslosigkeit und Entscheidungsmüdigkeit deutlich. Das zeigt sich besonders auch bei dem Theater um die Novellierung des Naturschutzgesetzes: „Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln", und wieder rein. Wo der Bundeslandwirtschaftsminister beim Spiel steht, wissen wir nicht. Der Bundeskanzler hat bei der Regierungserklärung den Weg genannt. Aber wenn man genau hinschaut, wird auch hier in der Realität der Schwarze Peter den Ländern zugeschoben, obwohl man weiß, daß das nicht zum Erfolg führen kann. Das Traurige an der Sache ist, daß wir im Interesse der Zukunft für uns alle die Novellierung dringend brauchen. Taktische Raffinessen helfen nicht weiter. Wir brauchen Tatsachen. Die Land- und Forstwirtschaft ist durch Umweltbelastung besonders betroffen, die von der modernen Industriegesellschaft ausgeht. Sie trägt auch selber dazu bei. Wir müssen erreichen, daß auch unsere Landwirtschaft wieder umweltverträglicher wird. Auch dazu brauchen wir die Novellierung des Naturschutzgesetzes, allerdings nicht allein. Wir brauchen auch eine EG-Umweltpolitik, eine tatkräftige Politik, die Landwirtschaft umweltgerecht möglich macht, und alles, was darum herum ist. Herr Bundesminister, warum haben Sie beispielsweise in diesem Zusammenhang die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Landbewirtschaftung bisher nicht konkretisiert und rechtlich verbindlich gemacht? Die Agrarminister der Länder haben diese Grundsätze schon im September 1987 verabschiedet. Herr Bundesminister, es gibt viel zu tun. Ich habe aufgezeigt, wo es im argen liegt. Ich sage Ihnen, wir sind bereit, hier mitzuarbeiten. Aber dazu gehört, daß wir uns einigen, was wir eigentlich wollen. Hierzu gehört für uns die Erhaltung einer möglichst großen Zahl von Betrieben der Landwirtschaft und eine Vielfalt von Voll- und Nebenerwerbsbetrieben. Wir brauchen EG-weit eine umweltverträgliche Landwirtschaft, eine artgerechte Tierhaltung, Lebensmittelgesundheit und Lebensmittelqualität, die Hinwendung zum Markt, die wirtschaftliche und soziale Lebensfähigkeit der ländlichen Regionen. Eine solche Politik wird erfolgreich sein, wenn wir die Maßnahmen unter Berücksichtigung regionaler Bedingungen bündeln. Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Lösung der Markt- und Strukturprobleme. Dabei müssen wir auch bestehende Maßnahmen in Frage stellen. Meine Damen und Herren, auch die Extensivierungsmöglichkeiten, z. B. alternativer Landbau oder ökologische Systeme, müssen besser gefördert und nicht behindert werden. Nicht zuletzt sagt z. B. der Beirat, daß die Einkommenseinbußen auf Grund der Agrarpreisveränderung produktionsneutral durch Einkommensbeihilfen abgefedert werden müssen. Wie werden die landwirtschaftlichen Familien denn sonst in die Lage gesetzt, die notwendigen betrieblichen und persönlichen Entscheidungen zu treffen? Wir fordern dies seit Jahren. Wir stimmen damit überein. Sie sind ein Bindeglied im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Lösung der Markt- und Strukturprobleme. Wir halten es im Rahmen dieses Gesamtkonzepts für besonders erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, wirtschaftlich wirksame Ansätze zu einer besseren Behebung der Waldschäden zu entwickeln. Wir müssen aber auch ernsthaft darüber nachdenken, welche bestehenden Finanzierungsinstrumente hierfür zur Verfügung stehen. Wir brauchen eine leistungsfähige Landwirtschaft. ({24}) Sie kann dabei nicht nur auf einen Beitrag zum Sozialprodukt abgestellt werden. Unsere Volkswirtschaft verlangt mehr. Die Landwirtschaft hat mehr Funtkionen zu erfüllen, ({25}) die in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bisher nicht eingehen. Ich denke an die Aufrechterhaltung der Sozialfunktion unserer Dörfer zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, zur Offenhaltung und Pflege unserer Kulturlandschaft. Einbeziehen möchten wir auch die Sicherstellung einer Art Grundversorgung mit Nahrungsmitteln. Ich denke an Krisenzeiten, an Tschernobyl. Wir haben zu den von mir behandelten Fragen einen Entschließungsantrag eingebracht. Er zeigt die erforderliche Politik zugunsten unserer landwirtschaftlichen Betriebe, unserer ländlichen Räume und unserer Umwelt auf, damit auch wir den Herausforderungen des EG-Binnenmarktes 1993 begegnen können. Wir bitten das Hohe Haus, den Agrarbericht und unseren Entschließungsantrag zur Beratung und Beschlußfassung dem federführenden Ausschuß zu überweisen. Wir sind bereit mitzuarbeiten, aber gehandelt werden muß jetzt. Vielen Dank. ({26})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich namens der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion den Vertretern des Ministeriums, die am Agrarbericht mitgewirkt haben, ebenso denen in den Ländern, aber natürlich auch den Bäuerinnen und Bauern, die sich in den Testbetrieben Zeit genommen haben, damit dieser Agrarbericht erstellt werden konnte, recht herzlich danken. ({0}) Natürlich möchte ich mich für das bedanken, was der Kollege Oostergetelo hier gesagt hat. Heute schon lesen wir im „VWD " : „Die SPD fordert agrarpolitisches Gesamtkonzept." ({1}) Er hat sich hier gar nicht getraut, alles zu sagen, was er als Gesamtkonzept der SPD gestern schon der Presse mitgeteilt hat. ({2}) Aus dem, was im „VWD" steht, und dem, was er gesagt hat, ({3}) ziehe ich den Schluß, daß er heute nicht von einem Königsweg gesprochen hat, sondern daß das, was er heute hier erklärt hat, meiner Meinung nach ein Kulipfad ist. ({4}) Sie können sich darauf verlassen, daß wir die deutsche Landwirtschaft nicht auf diesen Kulipfad zwingen werden. ({5}) Der Agrarbericht der Bundesregierung unterstreicht, daß die Gewinne der landwirtschaftlichen Betriebe im langjährigen Verlauf stagnieren. ({6}) Wir wissen, daß das heute zur Beratung anstehende Wirtschaftsjahr einen Einkommensrückgang brachte und daß das Wirtschaftsjahr, das am 30. Juni endet, wieder eine Verbesserung der Gewinnlage bringt. Insgesamt stagnieren aber die Einkommen. ({7}) Sorge macht, daß unsere Landwirte bei den Einkommen nicht nur im EG-Vergleich schlecht abschneiden, ({8}) sondern daß sich auch die Schere zwischen den Einkommen innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft weiter öffnet. ({9}) Der Agrarbericht unterstreicht aber natürlich auch die Bedeutung nationaler einkommensstützender Maßnahmen. ({10}) Diese umfangreichen unmittelbaren einkommenswirksamen Hilfen nimmt die SPD schlichtweg nicht zur Kenntnis, ({11}) sonst würde sie nicht, wie auch heute wieder, gebetsmühlenartig ständig direkte Einkommenszahlungen fordern. Wir leisten auf diesem Gebiet schon einiges. ({12}) Was die SPD fordert, das setzen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen schon seit Jahren um. Den Hauptanteil an den Bundesmitteln machen die enorm gewachsenen Zuschüsse für die Agrarsozialversicherung aus. Diese Mittel sind in dem Zeitraum von 1982 bis 1989 von 3,7 auf 5,1 Milliarden DM angestiegen. Sie werden seit 1986 auch zur gezielten Entlastung einkommensschwacher Betriebe von den Beiträgen zur Agrarsozialversicherung eingesetzt. Allein für diesen Zweck werden pro Jahr rund 500 Millionen DM eingesetzt. Um zu mehr Beitragsgerechtigkeit zu kommen, werden wir in Kürze - ich komme gleich auf das zu sprechen, was Kollege Oostergetelo angesprochen hat - den Entwurf eines vierten agrarsozialen Ergänzungsgesetzes beraten. ({13}) Dann haben wir Gelegenheit, darauf einzugehen. Erstmals haben im abgelaufenen Wirtschaftsjahr die Betriebe in den benachteiligten Gebieten mit Ausgleichszulage - vielfach Futterbaubetriebe - höhere Gewinne erzielt als die Betriebe in den übrigen Standorten. Einen wesentlichen Anteil an dieser günstigen Gewinnentwicklung hat natürlich die höhere Ausgleichszulage. Rund 250 000 Betriebe erhalten eine Ausgleichszulage. Ein wichtiger Bereich ist der seit 1984 gewährte Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer, der den Betrieben als Ausgleich für währungsbedingte Einkommenseinbußen direkt zufließt. Bis Ende 1988 waren dies insgesamt knapp 3 Milliarden DM pro Jahr. Ich möchte aber auch an den finanziellen Ausgleich für die Beteiligung an der Flächenstillegung und an die Produktionsaufgaberente erinnern. Dafür werden allein vom Bund Finanzmittel in Höhe von rund 300 Millionen DM im Jahre 1989 eingesetzt. Fest steht, meine Damen und Herren: Die umfangreichen öffentlichen Hilfen haben sich zu einem unverzichtbaren Einkommenselement für die Landwirtschaft entwickelt. Dies war nur möglich auf Grund einer überproportionalen Aufstockung des Agrarhaushalts auf knapp 9,5 Milliarden DM im Jahre 1989. Daraus wird deutlich, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ({14}) gewillt sind, die weithin schwierige Einkommenslage der landwirtschaftlichen Betriebe zu stabilisieren. Aber über diese Hilfen - leider vergessen die SPD und die GRÜNEN das immer wieder - dürfen wir nicht vergessen, daß Landwirte Unternehmer sind und bleiben wollen ({15}) und ihre Einkommen wesentlich am Markt verdienen wollen und auch sollen, meine Damen und Herren. ({16}) Aber zu diesem Zweck muß natürlich der Markt funktionieren. ({17}) Unsere jungen Leute brauchen doch als Unternehmer eine für die Zukunft langfristig angelegte Politik, die einen verläßlichen Rahmen für unternehmerische Entscheidungen gibt. ({18}) Mit den Beschlüssen des Brüsseler Gipfels im Februar 1988 sind die Weichen für die Zukunft der Landwirtschaft in diese Richtung gestellt worden. Dies alles wirkt jedoch nur, wenn sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft daran beteiligen und mitwirken. ({19}) Mit der unter deutscher Präsidentschaft erfolgten Einigung der zwölf Regierungschefs über das sogenannte Delors-Paket ist ein wesentlicher Beitrag zur Sanierung der Agrarmärkte geleistet worden. Zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und zur Eindämmung von Überschüssen sind Produktionsschwellen eingeführt worden. Diese konnten - dies ist auch ein Verhandlungserfolg von Bundesminister Kiechle - durch ein Paket unmittelbar produktionssenkender Maßnahmen ergänzt und abgemildert werden. Im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Brüsseler Gipfels vom Februar 1988 ist das Preispaket für das Wirtschaftsjahr 1989/90 zu sehen. Gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag konnte die Regelung über den maximalen Feuchtigkeitsgehalt bei Getreide verbessert und auf Dauer auf 15 % Feuchtigkeit festgelegt werden. Aber ich frage natürlich, warum der Feuchtigkeitsgehalt von Getreide bei einer gängigen Vermahlungsfeuchtigkeit von 16 % dann nicht auch auf 16 % festgelegt wurde. ({20}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in Brüssel nicht allein. ({21}) Das war ein Kompromiß. Hart und erfolgreich hat sich die deutsche Seite dem Vorhaben widersetzt, die bestehenden Währungsabstände bei Getreide abzubauen. Wir begrüßen vor allem den völligen Abbau der Mitverantwortungsabgabe bei Milch in benachteiligten Gebieten und zumindest deren Senkung in nicht benachteiligten Gebieten. Diese Entlastung bedeutet für die Milcherzeuger einen deutlichen Erlöszuwachs. Der vollständige Abbau der Mitverantwortungsabgabe bei Milch und bei Getreide ist ein politisches Ziel der CDU/CSU- Bundestagsfraktion. ({22}) Meine Damen und Herren, trotz der positiven Elemente unserer Politik schmerzen die Preisabstriche bei Getreide und Zucker, wenn sie nach Lage der Dinge auch nicht zu verhindern waren. Aber sie schmerzen; das stellen wir hier deutlich fest. Insgesamt machen die Ergebnisse der Preisverhandlungen aber deutlich, daß Bundesregierung und Regierungsparteien alles daransetzen, die Preissenkungsstrategie, die sich Brüssel auf die Fahnen geschrieben hat und mit der die SPD nach wie vor liebäugelt, zu durchkreuzen. In der kürzlich abgegebenen Regierungserklärung hat der Bundeskanzler diese Marschrichtung in vollem Umfang unterstützt. Wir können den Weg des Preisdruckes nicht mitgehen. Wir müssen auch alles dafür tun, daß wir nicht auf diesen Weg gedrängt werden. Daher beschränken wir uns nicht auf die Ablehnung der von Brüssel in Gang gesetzten Preissenkungsspirale ; vielmehr haben wir gemeinsam mit der Bundesregierung ein Alternativkonzept entwickelt. Unser Ansatz ist die unmittelbare Mengenbegrenzung mit dem Ziel, die Preise zu stützen, weil die Preispolitik nach wie vor das Rückgrat der landwirtschaftlichen Einkommen sein muß. ({23}) Ohne vernünftige Preise werden Wirtschaftlichkeit und Existenzfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe aufs Spiel gesetzt! Wir haben dabei nicht nur - wie die SPD - geredet, sondern wir haben Lösungen angepackt. Das von uns unterstützte Konzept der Produktionsreduzierung an der Quelle hat gewirkt. Ich denke an die Garantiemengenregelung Milch, die wir gegen den erbitterten Widerstand der SPD und aller draußen durchgesetzt haben und die - das bestreitet heute niemand mehr - Wirkung gezeigt hat. Jetzt aber gilt es, den gewonnenen Handlungsspielraum zu nutzen, um eine größere Flexibilität bei der Durchführung der Garantiemengenregelung zu ermöglichen und dadurch auch die betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern. Dies sind einfach unverzichtbare Korrekturen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe. Wir müssen natürlich auch bei anderen Produkten durch Produktionsreduzierung Marktgleichgewicht herstellen. Bei den Maßnahmen der unmittelbaren Mengenbegrenzung ist die Bundesrepublik Deutschland mit gutem Beispiel vorangegangen. Mit dem Flächenstillegungsprogramm haben wir eine wichtige Komponente der im Februar 1988 beschlossenen Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik auf den Weg gebracht. Wenn dazu der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister Matthiesen fordert, die Bundesrepublik möge aus diesem Programm aussteigen, so ist dies unverantwortlich und kurzsichtig, weil er es sich mit bloßer Ablehnung zu leicht macht. Es wäre besser, Herr Matthiesen und die SPD würden uns dabei unterstützen, daß dieses Programm EG-weit im Europa der Zwölf durchgeführt wird. Dann könnten wir Erfolg haben, ({24}) weil wir genau wissen, meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik mit ihren 12 Millionen Hektar allein die Marktentlastung nicht bewirken kann. Auch wir wissen, daß die Flächenstillegung allein kein Patentrezept zur Rückführung der Mengen ist. Dazu gehören natürlich auch die Vorschläge zur Verwendung von Getreide im Futtertrog. Auch das wurde in Brüssel beschlossen. Dazu gehört das Problem der Extensivierung. All dies zusammen kann ein wirksames Mittel gegenüber der Preissenkungsstrategie der Kommission sein. Nun, das Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit ist ja von uns verabschiedet. Meiner Meinung nach kann auch damit ein Beitrag dazu geleistet werden, daß vor allen Dingen die Strukturen dem angepaßt werden können, was wir für die Zukunft brauchen. Die Produktionsaufgaberente entspricht damit zentralen Zielsetzungen der Agrarpolitik. Als drittes wichtiges Vorhaben hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft vorbereitet. Mit diesem Gesetzesvorhaben erfüllen wir nicht nur eine Koalitionsvereinbarung - nein, damit entsprechen wir auch den Forderungen vieler Agrarpolitiker und berufsständischer Vertreter in den vergangenen Jahren. Natürlich wird nicht zuletzt auch den Vorstellungen einiger Bundesländer Rechnung getragen. Hauptanliegen dieses Gesetzes ist es, der bäuerlichen Landwirtschaft ab 1989 1,1 Milliarden DM zukommen zu lassen. Es ist noch sehr viel Beratungsbedarf, das möchte ich hier ganz klar sagen. Wir sind uns innerhalb der Koalitionsfraktionen darin einig, daß wir in den nächsten Tagen hierzu ein Konzept entwickeln, das von den Koalitionsfraktionen getragen wird. Ich könnte mir vorstellen, daß auch der Kollege Oostergetelo, wenn er nicht die Vorstellungen einbringen will, die er hier heute genannt hat, zustimmen könnte, wenn hier in der Zukunft für die deutsche Landwirtschaft etwas getan werden kann. Meine Damen und Herren, wir beraten heute außer dem Agrarbericht 1989 auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zum Thema „Europäischer Binnenmarkt und Land- und Forstwirtschaft". ({25}) Was heißt, „den EG-Binnenmarkt verwirklichen"? ({26}) Es geht in der Agrarpolitik natürlich darum, noch vorhandene handelsbeschränkende Regelungen abzubauen, Wettbewerbsbedingungen zu vereinheitlichen und einen Wirtschaftsraum ohne innere Grenzen zu schaffen. ({27}) Die weitere Öffnung der Binnengrenzen in der EG verschafft der deutschen Landwirtschaft natürlich auch den Zugang zu einem Markt von 320 Millionen Menschen. Die Harmonisierungsbestrebungen in wichtigen landwirtschaftlichen Rechtsbereichen, wie im Düngemittelrecht, im Pflanzenschutzrecht, im Tierschutz- und Tierseuchenrecht sowie im Lebensmittelrecht, werden, nein, sie müssen vorhandene Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirtschaft beseitigen oder zumindest verringern. ({28}) Der Wettbewerb um die EG-Nahrungsmittelmärkte wird sich verschärfen. ({29}) Der verstärkte Wettbewerb ist nur mit einer leistungsfähigen deutschen Landwirtschaft zu bestehen, zu deren Unterstützung wir bereits Maßnahmen zur Förderung verbesserter Produktions- und Arbeitsbedingungen sowie zur Verringerung der Produktionskosten, den Ausbau der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, ab 1989 die Anhebung der Prosperitätsgrenze im Rahmen der einzelbetrieblichen Maßnahmen und die Förderung der Einkommenskombination eingeleitet haben. Lassen Sie mich zu diesen Bereichen folgendes noch anmerken: Wir sind daran interessiert, daß wir einheitliche Verkehrstarife bekommen. Wir sind daran interessiert, daß Harmonisierung auf dem Währungssektor möglich ist. Die Nivellierung der hohen deutschen Standards und Qualitätsnormen darf nicht nach unten erfolgen. Vor allem darf die Qualität deutscher Nahrungsmittel nicht einer gleichmacherischen Politik geopfert werden. Denn wenn schon Reinheitsgebot und Imitations-verbot nicht zu halten sind, bestehen wir darauf, daß hier klar und eindeutig gekennzeichnet wird, damit man weiß, was in den Nahrungsmitteln ist. ({30}) Wichtige Schritte zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft stehen uns noch bevor; darauf werden einige Kollegen unserer Fraktion noch eingehen. ({31}) Lassen Sie mich noch einen Satz zur Weinbaupolitik sagen: Demnächst wird in Stuttgart die Intervitis eröffnet. Wir sagen der deutschen Weinwirtschaft, daß wir das Weingesetz so zeitig verabschieden werden, daß die weinbautreibenden Länder und die Weinwirtschaft ein verläßliches Instrumentarium an die Hand bekommen. Wir wollen mit der Mengenregelung erreichen, daß nur so viel Wein vermarktet wird, wie der Markt aufzunehmen bereit ist, damit sich die Weinpreise auf einem höheren Niveau einpendeln können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Zeit ist um. Ich hätte noch ein paar Dinge zu sagen, aber so ist es nun einmal. Wir wollen, daß die deutsche Landwirtschaft im EG- Binnenmarkt die Chancen, ({32}) die ihr als einem Wirtschaftsbereich, der den Markt vor der Haustüre hat, zur Verfügung stehen, nutzen kann. ({33}) Stehen wir zusammen, meine Damen und Herren, die Land- und die Forstwirte, die Gärtner, die Obstbauern und die Weinbauern, und vertrauen wir auf die Politik der Koalitionsparteien! Dann werden wir diese Zukunftsprobleme lösen. Ich danke schön. ({34})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Kreuzeder. ({0})

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ja ganz gut, daß es bei den Landwirtschaftsexperten so heiter zugeht, heiterer als bei anderen Gruppen dieses Plenums. ({0}) Aber die Lage der Landwirtschaft ist ziemlich ernst, und man sollte den Agrarbericht ziemlich ernst behandeln. Ich will mich auf die wichtigsten Aussagen des Agrarberichts beschränken. Erstens. 1988 gab es ca. 16 000 landwirtschaftliche Betriebe weniger als im Jahr zuvor. Das ist durchaus kein Angriff auf die Person von Herrn Kiechle, der nun einmal zufällig Landwirtschaftsminister ist; ich kann mir vorstellen, die Zahlen wären noch viel schlimmer, wenn Herr Bredehorn Minister wäre. Noch schlimmer ist, daß seit der Zeit, seit CDU/CSU und FDP die Landwirtschaftspolitik bestimmen, also in den letzten sechs Jahren, die Zahl der bäuerlichen Betriebe in der Bundesrepublik um 100 000 abgenommen hat. Das entspricht 150 000 Arbeitsplätzen. Zweitens. Das durchschnittliche verfügbare Einkommen - das ist ebenfalls schlimm - ist um 15,4 % gesunken, und der Einkommensabstand zwischen den bäuerlichen Familien und den Arbeitnehmern hat sich in den letzten zehn Jahren um 50 % vergrößert. Diese für die Bauernfamilien und den ländlichen Raum zerstörerische Politik lehnen wir ab. Wir wollen eine Politik, die konsequent alle noch verbliebenen Höfe und Arbeitsplätze auf dem Lande erhält. Wir wollen eine ökologische Intensivierung auf der ganzen Fläche, d. h. eine umweltgerechte Bewirtschaftung unserer Kulturlandschaft, keine Aufteilung in Schutz- und Schmutzgebiete. ({1}) - Sie verstehen sowieso bloß was von der Nordsee, und die ist schon so dreckig. - Genau das ist die Politik von Herrn Kiechle. Das beste Beispiel ist die Flächenstillegung. Obwohl alle Wissenschaftler und Praktiker die Flächenstillegung als Instrument zum Abbau von Überschüssen und Umweltbelastungen als untauglich abgelehnt haben, wurde sie von Ihnen, Herr Kiechle, durchgezogen, durchgedrückt selbst gegen den Widerstand der anderen EG-Mitgliedstaaten. Gebracht hat sie uns gar nichts, nicht einmal das, was Sie wollten, nämlich kleine Betriebe zur Aufgabe zu bewegen, denn die sind auf Ihr Lockangebot nicht eingegangen. ({2}) Der ganze Effekt der Flächenstillegung war - Herr Eigen, das wissen auch Sie - : Die Überschüsse sind geblieben, die Umweltbelastung ist gestiegen, und die Preise sind gesunken. So einfach ist das. ({3}) Von den verlorenen Marktanteilen will ich gar nicht reden. Es ist ganz offensichtlich, daß die anderen Mitgliedstaaten überhaupt nicht daran denken, die Flächenstillegung durchzuführen oder so anzubieten, daß sie auch in Anspruch genommen wird. Die Ausschußmitglieder - die Herren, die hier vor mir sitzen, und die paar Damen - fordern den Minister permanent auf, endlich dafür zu sorgen, daß die Flächenstillegung auch in den anderen Mitgliedstaaten der EG durchgeführt wird. Aber bisher ist nichts passiert. Flächenstillegung ist Schwachsinn, und Schwachsinn wollen wir nicht, im Parlament schon gar nicht. ({4}) Wir wollen eine konsequente Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Selbst Ihr Kollege Töpfer, Herr Kiechle, sagt Ihnen inzwischen, daß es so nicht weitergehen wird. Die Situation ist ernst. Wir sollten uns über eines klar sein: Nicht Rot, Schwarz oder Grün wird den Menschen im Lande vorschreiben, wie sie zu wirtschaften haben, sondern die Natur. Sie können machen, was Sie wollen: Sie werden eines Tages alles das machen, was wir wollen, weil wir das wollen, was die Natur will. ({5}) Den einzigen positiven Ansatz, die gemeinsam mit den Flächenstillegung angekündigte Förderung der Extensivierung, haben Sie bisher verhindert. ({6}) - Sie habe ich im Agrarausschuß überhaupt noch nicht gesehen. ({7}) Die von Ihnen angestrebte Umstellung der Landwirtschaft heißt nicht etwa eine ökologische Erzeugung von Nahrungsmitteln, sondern Umstellung bedeutet für Kiechle und Co. chemieintensive Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen für die Industrie, sprich: Die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von Großkonzernen wird festgeschrieben. Dies ist der Hintergrund für nachwachsende Rohstoffe, weg von der Selbständigkeit, und das wollen wir nicht. Wir wollen unabhängige, selbstbestimmte Arbeitsplätze und Strukturen auf dem Land erhalten und wiederherstellen, wo sie bereits von Ihnen kaputtgemacht wurden. Wir fordern ein sozialökologisches Existenzsicherungsprogramm für den ländlichen Raum zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Kleingewerbe, weil es ohne diese Bereiche kein Überleben der bäuerlichen Landwirtschaft gibt; denn die Bäcker, die Metzger, die kleinen Einzelhändler, die Molkereien und die kommunalen Schlachthöfe gehören bereits ebenso zu den bedrohten Arten wie die bäuerlichen Betriebe. Sie reden selbst immer wieder von der Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem Land. Meine entscheidende Frage, die Sie noch nicht beantwortet haben, ist folgende: Warum erhalten Sie nicht die Arbeitsplätze, die schon vorhanden sind? Dann brauchten Sie keine neuen zu schaffen. ({8}) Warum machen Sie eine Vorruhestandsregelung, ein Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, das ausdrücklich die Vernichtung des Arbeitsplatzes festschreibt? Denn die Übergabe an Kinder bzw. Verwandte in gerader Linie ist ja verboten, wo doch in sämtlichen anderen Wirtschaftsbereichen der Vorruhestand dazu benutzt wird, den Arbeitsplatz für die oder den Nachfolger freizuhalten und freizumachen. In der Landwirtschaft machen wir das Gegenteil. Diese gezielte Zerstörung von Arbeitsplätzen lehnen wir ab. Mit den 1,1 Milliarden DM, die Sie für das Gesetz vorgesehen haben, hätte man locker auch das machen können, was wir GRÜNEN wollen, nämlich ein Vorruhestandsgesetz, das ausdrücklich die Übergabe an den oder die Hofnachfolgerin vorsieht und nicht ablehnt. ({9}) Denn wir sind uns darüber einig, daß die Menschen in der Landwirtschaft nicht 40 Jahre lang 60 bis 70 Stunden wöchentlich gearbeitet haben, um ihren Hof aufzugeben, sondern um ihn als Existenzgrundlage an die nächste Generation weiterzugeben. ({10}) Diese Generation wäre auch bereit, weiterhin Landwirtschaft zu betreiben, wenn der agrarpolitische und der gesamtpolitische Rahmen passen würde. ({11}) Genau der Rahmen paßt nicht und wird weiter bauernfeindlich verändert. Das beste Beispiel ist das Strukturgesetz. Längst schreien die Natur und unsere Umwelt nach einer bodengebundenen Kreislaufwirtschaft, längst fordern die GRÜNEN, die Umweltschutzverbände und ein Großteil der Bevölkerung die Abkehr von der chemieintensiven Massenproduktion und Massentierhaltung, längst ist unsere Lebensgrundlage Wasser durch Agrargifte und Nitrat verseucht und gefährdet, und auch das haben Sie und nicht die Bauernfamilien zu verantworten. ({12}) Seit Jahren fordern wir eine flächengebundene und absolute Bestandsobergrenze in der Tierhaltung zum Schutz der Bauernfamilien und der Umwelt. Und was machen Sie? Sie wollen Ihre angeblichen Bestandsobergrenzen, 120 Milchkühe, 400 Mastrinder oder 600 Mastkälber, 200 Zuchtsauen oder gar 1 700 Mastschweine oder 100 000 Masthähnchen, als Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft verkaufen. Da lachen ja die Hühner, Leut ! ({13}) Das ist genauso falsch wie hinterhältig. Falsch ist es, weil die absolute Mehrheit der Betriebe weit unter diesen Grenzen liegt, und hinterhältig ist es, weil noch mehr gewerbliche Massentierhalter zu bäuerlichen Betrieben erklärt werden, die dann auch noch 8 000 DM kassieren, die andere ganz bitter notwendig brauchen könnten. Die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Obergrenzen für Dungeinheiten - drei Dungeinheiten, sprich 240 Kilogramm Stickstoff pro Hektar - schreiben die weitere zusätzliche Belastung unseres Grundwassers und unseres Bodens geradezu fest. ({14}) Es gibt keinen einzigen logischen Hintergrund für dieses Gesetz. Selbst bei der Anhörung im Agrarausschuß - das ist ja von Ihrer Seite heute schon bestätigt worden - haben sämtliche Experten diese Gesetzesvorlage abgelehnt. Aber ich frage mich natürlich: Was ist bei Ihrer Politik schon logisch? ({15}) Andere Hintergründe, meine Damen und Herren, gibt es allerdings. Ich zitiere Staatssekretär Gallus: ({16}) Man müsse am Ende froh sein, wenn 100 000 Betriebe übrigblieben. - Er und sein Minister Kiechle sind nicht nur froh darüber, sondern die machen auch etwas, damit diese Zahl erreicht wird. ({17}) Und das Argument zur Erreichung dieses Ziels heißt: Binnenmarkt. Mit diesem neuen Schlagwort werden alle - ich sage es einmal auf bayerisch - Schweinereien in der Agrarpolitik gerechtfertigt. ({18}) Dieser von Ihnen propagierte und angestrebte Binnenmarkt - und das ist mein Ernst - wird in Europa 15 bis 20 Millionen Menschen in der Landwirtschaft auf Arbeitssuche schicken. Er wird das ländliche Handwerk und die bäuerliche Landwirtschaft endgültig ruinieren. Die ländlichen Regionen werden veröden und entvölkert. Für diese Politik, Herr Kiechle, ist am 18. Juni Zahltag. Die Bäuerinnen und die Bauern, die Handwerker und die Gewerbetreibenden werden Ihnen bei der Europawahl die Quittung ausstellen, und es wird bei den Schwarzen dunkel werden; da bin ich sicher. ({19}) Ihre letzte Chance wäre wohl, unseren Entschließungsanträgen zuzustimmen. Doch Chancen, die bäuerliche Landwirtschaft am Leben zu erhalten, haben Sie noch nie genutzt. Allerdings denken auch Sie an Ihre Zukunft. Denn wie anders wäre es zu erklären, wenn Herr Gallus sagt, die Bauern sollten als zusätzliche Einkommensmöglichkeit Alterspflege machen? Daß Sie und Ihre Politik alt und verbraucht sind, weiß inzwischen jeder. ({20}) Zum Schluß noch ein Zitat unseres Land({21})wirtschaftsministers Kiechle. Ich zitiere: „Es gibt auf Dauer keine Agrarpolitik, die Leistungsschwäche in Wohlstand umwandeln kann." ({22}) Bei 60 bis 70 Stunden Arbeitszeit pro Woche für Mann und Frau in der Landwirtschaft ist dieser Ausspruch, Herr Kiechle, eine bodenlose Frechheit. ({23}) Ich würde Ihnen raten, dieses Zitat ein bißchen umzuformulieren - dann kommen wir der Wahrheit wesentlich näher -, nämlich: Es gibt auf Dauer keine Agrarpolitiker, die Leistungsschwäche in Ministerposten umwandeln können. Danke schön. ({24})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn. ({0})

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahlen des Agrarberichts über das abgelaufene Wirtschaftsjahr 1987/88 weisen auf deutliche Einkommenseinbußen in der Landwirtschaft in Höhe von rund 10 % hin. Besonders die Marktfruchtbetriebe gehen keinen rosigen Zeiten entgegen. Experten rechnen auf Grund der jüngsten Preisbeschlüsse mit einem weiteren Minus für die Getreideerzeuger. Die Einkommen der Familienarbeitskräfte sind im Bundesdurchschnitt bei 24 000 DM angelangt. Was aber das Alarmierende für uns sein sollte, ist, daß drei Viertel aller Vollerwerbsbetriebe weit hinter dem gewerblichen Vergleichslohn zurückbleiben, der bei 38 000 DM liegt. Das müßte für uns bedeuten, daß wir uns gerade den Vollerwerbsbetrieben, insbesondere diesen drei Vierteln der Vollerwerbsbetriebe, verstärkt zuwenden müssen, um zu sehen, wie auch diese Betriebe die Zukunft erreichen. Die Tatsache, daß die landwirtschaftlichen Betriebe in den benachteiligten Gebieten mit staatlicher Hilfe höhere Gewinne erzielen als die Betriebe außerhalb dieser Gebiete, ist erfreulich. Sie macht mir persönlich die starke Ausweitung der benachteiligten Gebiete auf inzwischen 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Bundesgebiet allerdings nicht schmackhafter. Die Gefahr, daß die Ausgleichszulage nicht gezielt wirklich bedürftigen Betrieben zugute kommt, sondern zur Gießkanne degradiert, ist weiterhin groß. Nach Ansicht der Liberalen müssen öffentliche Fördermittel zweckgebundender und zielgerichteter ausgerichtet werden. Mir gibt es jedenfalls zu denken, wenn der Agrarbericht jetzt offiziell ausweist, daß im Durchschnitt 37 % des bäuerlichen Einkommens auf Subventionen beruhen. Dabei sind die Zuschüsse zur Agrarsozialpolitik noch nicht mit eingerechnet. Die FDP hat 1985 ihre Perspektiven für eine Agrarpolitik vorgestellt. Vieles daraus ist in Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner verwirklicht. Anderes müssen wir noch umsetzen. Wieder anderes muß auf Grund der Entwicklung neu durchdacht und fortgeschrieben werden. Was haben wir vorangetrieben? Was haben wir realisiert? Als erstes die Flächenstillegung. Kollege Kreuzeder - jetzt ist er gar nicht mehr hier -, man muß ja einfach mal sehen, daß die Alternative doch die radikale Preisdruckpolitik der Kommission war. ({0}) Da kann man der Bundesregierung, dem Bundeskanzler und dem Bundesminister nur dankbar sein, daß diese Alternative der Mengenrückführung in Angriff genommen worden ist. Das ist eine Neuorientierung der Agrarpolitik. ({1}) Die Deutschen sind hier Vorreiter in Europa mit über 170 000 Hektar stillgelegter Ackerfläche. Insgesamt ist das Ergebnis nicht befriedigend; das beklagen wir. Das Ungleichgewicht wird noch deutlicher. Zu Recht haben wir, die Koalitionsfraktionen, in unserem Entschließungsantrag verlangt, daß unser schneller Vollzug, also eine deutsche Vorleistung zur Mengenrückführung, eigentlich durch die Abschaffung der Mitverantwortungsabgabe für Getreide für die deutsche Produktion honoriert werden müßte. Daneben ist die Produktionsaufgaberente realisiert worden. Zwar liegen zu diesem Zeitpunkt noch keine Zahlen von antragswilligen Landwirten vor; dazu ist das Programm noch zu neu, noch zu frisch. Es sind ja weitreichende Entscheidungen für den einzelnen Landwirt. Aber ich bin zuversichtlich, daß die Akzeptanz draußen gut sein wird, auch wenn uns die knappen Mittel das Programm vielleicht nicht so ausgestalten ließen, wie es sich die FDP gewünscht hätte. Morgen sollen die Extensivierungsgrundsätze zwischen Bund und Ländern vereinbart werden. Auch dies ein Programmpunkt, den wir in unseren 85er Perspektiven bereits gefordert haben. Ich bin froh, daß es nun endlich soweit ist, sehe aber gleichzeitig auch große Durchführungs- und Kontrollprobleme. So wie die Maßnahme jetzt vorliegt, wird sie zu Recht bei denjenigen Landwirten zu Unmut führen, die schon jetzt, und zwar ohne Fördermittel, z. B. Rinderrassen extensiv halten oder ihre Ackerwirtschaft umgestellt haben. Ich denke einmal an den norddeutschen Küstenraum. Die Ochsenmäster in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen, die wirklich eine extensive Weidehaltung betreiben, die ökologisch sinnvoll und wertvoll ist, ({2}) gehen hier natürlich leer aus. Da besteht durchaus die Gefahr, daß junge tüchtige Hofnachfolger, weil sie ein Einkommen erzielen müssen, diese vernünftige extensive Ochsenmast in eine intensive Bullenmast umwandeln. Wir müssen sicherlich nachdenken, wie wir auch diesen Betrieben helfen können. Das Konzept der FDP, durch attraktive finanzielle Angebote auf freiwilliger Basis das Ausscheiden älterer Landwirte und die Stillegung von Flächen voranzutreiben, ist mittlerweile praktische Politik geworden. ({3}) Diesen Weg müssen wir weiter beschreiten. Ich kann den Rednern der Opposition nur sagen: Noch niemals haben eine Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen so viel finanzielle Mittel für die Landwirtschaft bereitgestellt. Wir nehmen also die Situation in der Landwirtschaft ernst und wollen hier helfen. ({4}) Wir haben in unseren Perspektiven 1985 auch die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit bäuerlicher Betriebe gefordert. Hier liegt ja nun ein sogenanntes Strukturgesetz vor, ein Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft. Es bereitet vielen von uns - ich gehöre dazu, und meine Fraktion gehört dazu - noch sehr, sehr viel Kopfschmerzen. Ich meine, es muß in den parlamentarischen Beratungen erheblich verbessert werden. Wir wollen deregulieren, und dieses Gesetz scheint mir eher das Gegenteil zu tun. Ich persönlich meine, wir müßten eine Verordnung schaffen, die die flächenbezogene Verteilung dieser 2 %, dieser 1,1 Milliarden DM, ermöglicht, und müssen alle anderen Dinge in den entsprechenden Fachgesetzen, ob im Steuerrecht, ob im Umweltrecht, ob im Baugesetzbuch, entsprechend regeln. Aber wenn wir auch voller Skepsis sind: Wir haben auch konstruktive Verbesserungsvorschläge für dieses Strukturgesetz vorzubringen. Erstens. Die Verabschiedung ist für uns ohne Halbierung der Viehzuschläge nicht machbar. Dabei sollte auf keinen Fall an eine Minilösung gedacht werden. Zweitens. Bei den Förderungsausschlußgrenzen muß an die 1985 festgelegten umsatzsteuerlich relevanten 330 Vieheinheiten angeknüpft werden. Das ist für die Liberalen ein Gebot des Vertrauensschutzes. Dort, wo die Verzerrung des Vieheinheitenschlüssels - das hat Kollege Oostergetelo vorhin nicht richtig begriffen, glaube ich, als er hier mit den Hühnern anfing - eine Rolle spielt, sollten wir die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Bestandsgröße übernehmen. Wir können nicht alle paar Jahre die Landwirte mit neuen Bestandsgrößen und Umrechnungsschlüsseln irritieren. ({5}) So, nun fehlt mir das richtige Blatt. Aber ich finde es noch. ({6}) - Ja; eben; das meine ich, Herr Kollege. Ich kann auch so fortfahren. Drittens. Solche Betriebe sind in den Flächenausgleich einzubeziehen - das sind eben die flächenärmeren - , die einen gewerblichen Viehhaltungszweig betreiben, ohne daß die Bestandsgrößen über die Förderungsausschlußgrenzen hinausgehen. ({7}) Viertens. Der unbestimmte Begriff der Hofstelle als Förderungskriterium sollte entfallen. Fünftens. Die Länderermächtigungen im Bereich der Änderung des Düngemittelgesetzes sollten entfallen. Da die EG im Augenblick eine gemeinschaftliche Regelung vorbereitet, ist es meines Erachtens politisch nicht sinnvoll, im Düngemittelbereich im nationalen Alleingang vorzupreschen. Für uns bleibt am wichtigsten: Wenn schon Obergrenzen, dann müssen sie so weit wie möglich gefaßt werden. Ich fordere an dieser Stelle die Kollegen aus Bayern und Baden-Württemberg auf, kollegialer gegenüber den norddeutschen Landwirten zu denken und zu handeln, ({8}) bei denen andere Produktionsstrukturen als im Süden gewachsen sind und die dementsprechend in anderen Dimensionen wirtschaften. Wir haben in der Bundesrepublik über 50 % Nebenerwerbsbetriebe. Wir fördern sie, und wir wollen das als FDP. Jedem, der in Baden-Württemberg ein gutes Einkommen bei Mercedes-Benz erzielt, gönne ich, daß er seine zehn Kühe melkt. Nur, es darf und kann doch wohl nicht sein, daß ich aus dieser Ecke höre, daß jemand in Norddeutschland, in einem reinen Grünlandgebiet, wo er keine Alternative hat, dann, wenn er 60 Kühe melkt, zur Agrarindustrie gehören soll. So einfach dürfen wir uns das doch nicht machen. ({9}) Für die FDP - das hat unser Präsidium am Montag noch einmal herausgestellt - ist es wichtig, daß möglichst schnell die Naturschutznovelle auf den Weg gebracht wird. ({10}) Das geht nicht ohne die Länder, die mit ihren Appellen zu mehr Naturschutz unglaubwürdig bleiben, solange sie sich weigern mitzufinanzieren. Das geht aber erst recht nicht ohne die Landwirte, die Flächen für den Naturschutz bereitstellen und ihre Bewirtschaftung zurücknehmen müssen, also Einkommensverluste erleiden. Für Einschränkungen ordnungsgemäßer Landbewirtschaftung müssen unsere Landwirte Ausgleichszahlungen erhalten. ({11}) Dafür brauchen wir meines Erachtens keine neuen Ökosteuern und keine neue Naturschutzabgabe, sondern von unseren durchaus reichlich fließenden Steuereinnahmen müssen wir mehr Mittel umweltfreundBredehorn licher einsetzen. Ich stelle dazu persönlich eine Überlegung an: Wir haben eine Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" , in diesem Jahr mit einer Rekordsumme von 2,5 Milliarden ausgestattet. Ich meine, wir sollten in Verhandlung mit den Ländern überlegen, ob wir im Zug dieser Gemeinschaftsaufgabe nicht die ökologischen Leistungen, die die Landwirte zum Nutzen der Allgemeinheit erbringen, honorieren können. Die FDP wird sich weiterhin dafür einsetzen, daß die Milchquoten flexibilisiert und begrenzt handelbar umgestaltet werden, damit unsere Milcherzeuger nicht den Binnenmarkt verpassen. Gut stehen natürlich die da, die 1984 reichlich mit Quote ausgestattet wurden. Aber wie ist es mit denen, die aufstocken wollen und in Grünlandgebieten keine Erwerbsalternativen haben? Was ist mit den jungen Landwirten, die zu melken beginnen wollen? Die Bitterkeit gerade im norddeutschen Raum ist groß, daß sich Bonner Agrarpolitik nur zu oft bayerischen Interessen unterordnet. Das gilt für die sture Ablehnung einer schnellen Lösung des Bauchladenproblems genauso wie für einige Elemente im Strukturgesetz. ({12}) Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft muß weiter gefördert werden, auch im Hinblick auf den Binnenmarkt. Ich habe bedauert, daß unser Bundeskanzler, Herr Kohl, in seiner Regierungserklärung hierauf nicht eingegangen ist. Daß sich Strukturdefizite auf der Erzeugerebene zeigen, daß Kostendegressionen aus betriebswirtschaftlicher Sicht bei kleineren Betrieben nur schwer möglich sind, ist bekannt. Ich will darauf nicht näher eingehen, sondern mich im folgenden kurz dem nachgelagerten Bereich zuwenden, der unsere Agrarprodukte gegenüber ausländischen Erzeugnissen wettbewerbsfähig machen kann. Hier müssen wir feststellen, daß auf dem kaufkräftigsten Markt in der Bundesrepublik mit 62 Millionen Verbrauchern die Inlandsmarktanteile der deutschen Agrarproduktion in den letzten Jahren ständig zurückgegangen sind. Es würde zu weit führen, daß im einzelnen zu erläutern. Hier nur einige Beispiele: Bei der Butter ist der Inlandsanteil von 96 % auf 78 zurückgegangen, beim Schweinefleisch von 95 % auf 82 %, beim Rindfleisch von 82 % auf 76 %. ({13}) Zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gehört auch ein erfolgreicher Absatz unserer Produkte nicht nur im In-, sondern auch im Ausland. „Made in Germany" sollte auch Qualitätsmerkmal für deutsche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse sein. Imagepflege tut hier not, um so mehr, wenn man sieht, wie erfolgreich z. B. die Niederländer, Dänen und Franzosen sind. Wenn ich sehe, daß 75 % der dänischen Milchproduktion von einem Unternehmen vermarktet werden, daß in den Niederlanden vier Unternehmen praktisch die gesamte Milchproduktion innerhalb der EG vermarkten, daß wir aber in der Bundesrepublik über 400 Molkereibetriebe haben, von denen sich über 120 gegenseitig Konkurrenz machen, dann muß ich schon sagen, hier müßte die Agrarpolitik Rahmenbedingungen schaffen, damit wir zu einer vernünftigen Entwicklung kommen. - In Niedersachsen fangen wir an, Herr von Heereman. Wir sind dabei. ({14}) - Das ist richtig. Ich sehe das durchaus. Aber ich glaube, es gibt gute Ansätze. Ich bin persönlich da sehr engagiert. Absatzwerbung, Markenfleischprogramme, das sind alles Dinge, um den Verbraucher auf dem Binnenmarkt, auf dem deutschen Markt anzusprechen, den Verbraucher, der - ich finde das sehr positiv - sehr viel kritischer und auch sehr viel interessierter geworden ist. Es kommt nämlich nicht von ungefähr, daß in letzter Zeit die Kritik an der CMA wieder lauter geworden ist. Man darf der CMA, der Absatzförderungsgesellschaft der deutschen Landwirtschaft, den dramatischen Rückgang auf dem Inlandsmarkt sicherlich nicht allein anlasten. Aber die CMA kann sich auch nicht alle Exporterfolge, die die deutsche Agrarwirtschaft erfreulicherweise erzielt, auf ihre Fahnen schreiben. Das macht sich zwar gut auf einer Pressekonferenz, ist bei kritischem Hinterfragen aber unglaubwürdig. Ich bin überzeugt, daß ein neues Konzept und neue gesetzliche Rahmenbedingungen her müssen, die zwischen Lokalspezialitäten und Bundesmarken - letztere sprechen den ausländischen Konsumenten mehr an - unterscheiden, die den regionalen Absatzorganisationen mehr Spielraum lassen und die Ernährungswirtschaft auch finanziell mehr einbinden. Es scheint mir eine unverzichtbare Aufgabe für dieses Parlament zu sein, das Absatzfondsgesetz entsprechend zu novellieren. Eigentlich habe ich noch zwei Minuten, aber ich werde sie nicht ausschöpfen. ({15}) - Über die Fische wird sicher Herr Carstensen noch sprechen. Hier hat er mein volles Vertrauen. Ich kenne mich als Bewohner der Küste da aus. ({16}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum Schluß bei den Mitarbeitern des BML für ihre Fleißarbeit bedanken. Ich möchte mich beim Minister bedanken und kann ihm unsere Unterstützung bei seiner sicherlich schweren Arbeit zusichern. Abschließend möchte ich sagen: Auch in Zukunft wollen wir Liberalen die Agrarpolitik konstruktiv mitgestalten. Dabei wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer bäuerlichen Betriebe fördern, den notwendigen und in Zukunft weitergehenden Strukturwandel sozial abfedern und ökologische Leistungen unserer Landwirte honorieren. Uns geht es darum, daß wir agrarpolitische Rahmenbedingungen setzen, die es dem unternehmerischen Landwirt ermöglichen, sich frei zu entscheiden, wie er in Zukunft seinen Erwerb und sein Einkommen sichern will. Ich danke Ihnen. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mut zur Korrektur in der Landwirtschaft ist nötig, denn immer mehr Menschen erkranken durch ernährungsbedingte Ursachen. Die Zunahme von Allergien und die steigende Zahl von nierenkranken Mitbürgern ist ein Signal. Ursachen dafür sind Schadstoffe in der Nahrung, die u. a. von mit Schwermetallen belasteten Böden, Rückständen von toxischen Pflanzenbehandlungsmitteln, Nitrat oder Rückständen von Tierarzneimitteln stammen. Nun, wir debattieren heute nicht den Ernährungsbericht, auch wenn es sinnvoll wäre, diesen einzubeziehen. Der Agrarbericht hat ganze zwei Seiten für dieses Thema übrig. Die Ursachen für die Belastungen werden nicht benannt. Dann wäre nämlich Handeln angesagt, aber dazu müßte man Mut haben, auch ökonomische Interesse offenzulegen und ein anderes Verhalten zu verlangen. Mut ist nicht die Stärke des Herrn Ministers, der auf die Selbstreinigungskräfte durch Verdrängung setzt und diesen Vorgang dann mit FELEG und dem Flächenstillegungsprogramm sozial abzufedern versucht. Aber als ein Versuch ist das Ganze nichts wert, denn die kleinen Betriebe bleiben auf der Stecke. Gerade das Vorruhestandsgesetz, das nur mit der gesamten Produktionsaufgabe finanziell interessant ist, wird in den nächsten Jahren einen Strukturwandel größten Ausmaßes herbeiführen. Sie tragen dabei die Schuld für diese unnötigen und in die falsche Richtung gehenden Veränderungen. Außerdem gibt es im Bericht keinen Hinweis auf das Spannungsverhältnis von heute herkömmlicher Wirtschaftsweise und den auftretenden Umweltproblemen durch Nitrateintrag in die Böden und den giftigen Pflanzenbehandlungsmitteln. Belastungen der Böden durch weitere Schadstoffe aus der Luft, die durch industrielle Abgase erzeugt werden, werden ebenfalls nicht benannt. Augen zu und durch, das ist Ihr Handlungskonzept. ({0}) Das Problem muß ganzheitlich angegangen werden. Der Umweltminister wäre dabei Ihr wichtigster Partner in der Durchsetzung umweltpolitischer Forderungen. Die Ankündigungen von Herrn Töpfer z. B. in Sachen Klärschlamm-Verordnung gehen in die richtige Richtung. Leider findet der Minister keine Mehrheit in der eigenen Fraktion. Das Lebensmittel Trinkwasser wird durch Ihre Politik des Abwartens, des Keinem-weh-tun-Wollens weiter gefährdet. In vielen Gebieten der Bundesrepublik müssen Brunnen wegen der EG-Norm bereits geschlossen werden. Dort, wo Sonderkulturen vorkommen, kommt es schlichtweg zur Katastrophe. Dabei sind jeweils nur Nitratwerte ermittelt worden. Die toxischen Pflanzenbehandlungsmittel werden erst vereinzelt in die Bodenpläne aufgenommen. Aber gehandelt werden muß jetzt, im Interesse einer Umwelt und der Menschen, die Wasser und landwirtschaftliche Produkte ohne Schadstoffe brauchen. ({1}) Wir brauchen deshalb eine extensiv wirtschaftende Landwirtschaft. Muß dies zu Lasten der landwirtschaftlichen Betriebe gehen? Ich denke nein, im Gegenteil. Im Agrarbericht nimmt die Frage nach den ökonomischen Rahmenbedingungen einen großen Raum ein, Markt- und Preispolitik werden abgehandelt und die Wettbewerbsinteressen in der EG auf den Weltmärkten erläutert. Jammern ist dabei angesagt, statt konstruktive Vorschläge vorzustellen. Deshalb greifen landauf, landab Bauern zur Selbsthilfe, da sie es aufgegeben haben, den amtlichen Beratungen Glauben zu schenken; mit selbstkreierten Gütesiegeln und Kennzeichnungen erobern sich die Bauern Marktnischen. Nicht mehr als anderthalb Dungeinheiten pro Hektar, absolute Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung, giftige Pflanzenbehandlungsmittel drastisch zu reduzieren und Tierarzneimittel nur durch den Tierarzt zum Einsatz zu bringen wäre notwendig. ({2}) Die Auflagen der ausgewiesenen Wasserschutzzonen sind ein richtiger Schritt. Nur wird dabei übersehen, daß auf die Schutzzonen belastetes Wasser zufließt. Deshalb muß auf allen Flächen umweltverträglich gewirtschaftet werden. ({3}) Flächenstillegungen sind abzulehnen. Die Gefahr, daß auf den Restflächen intensiver gewirtschaftet wird, ist groß. Deshalb sollten alle Flächen im Bestand bleiben, aber extensiv bearbeitet werden. Grünbrache als Hilfe zur Regeneration im Rotationsverfahren ist anzustreben. Das von Ihnen vorgelegte Agrarstrukturgesetz, Herr Minister, ist ein Witz. Mit Fördergrenzen, die nicht einmal 1 % der landwirtschaftlichen Betriebe ausschließen, können Sie keine konstruktiven Vorgaben machen. Das ist Kosmetik, mehr nicht. Den süddeutschen Bauern mit dem Hinweis auf Einkommenskombinationen zu kommen, ist ein Armutszeugnis, ein Ausweichen auf falsche Strukturschienen, statt dem vielbeschworenen bäuerlichen Familienbetrieb jetzt erst einmal über die EG-Krise, die Sie mit verschuldet haben, hinwegzuhelfen, bis eine Eigenentwicklung wieder möglich ist; das wäre aber notwendig. Nachwachsende Rohstoffe als ein Standbein für die Landwirtschaft sind nicht unproblematisch. Zu Recht befürchtet man auf den Flächen mit Industrierohstoffen intensivere Anbaumethoden. Nur wenn gewährleistet ist, daß auch hier umweltschonend gearbeitet wird, kann man sich für die Industriepflanzen aussprechen. Die Chance, die sich dabei ergeben könnte, läge in der Möglichkeit, Ersatzstoffe für problematische Stoffe - z.B. denen auf Erdölbasis - zu erhalten. Nur, da muß die Forschung noch intensiver betrieben werden. Aber Forschung im Auftrag des BML ist wahrhaftig ein Kapitel für sich, leider ein trauriges. So heißt es im Agrarbericht, das BML bemühe sich, den veränderten Anforderungen und Bedingungen auch im Forschungsbereich Rechnung zu tragen. Eine Überprüfung der Forschungsvorhaben sei nun abgeschlossen. So wolle man neue Schwerpunkte setzen bei der Produktion und Ökotoxologie, der Funktionsfähigkeit von Ökosystemen, der Erhaltung von Produktionsgrundlagen einschließlich Produktionsalternativen, der Bio- und Gentechnologie und Technologiefolgenabschätzung, der Sammlung und Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen. Das klingt gut; aber wohin geht die Reise mit der Gentechnik? Steht sie wirklich für die Interessen von Mensch und Tier? Verbergen sich nicht knallharte ökonomische Interessen dahinter? ({4}) So will man bei Sandoz sein BST verkaufen, obwohl es keinen Vorteil bringt; denn auch das Gülleproblem läßt sich damit nicht lösen. Der Pansen der Kuh als Laboratorium für verschiedene Produkte der Pharmaindustrie ist keine Zukunftsvision mehr, und der Freilandversuch der genmanipulierten Petunie ist eine Aktion, die die Vorbehalte gegen genveränderte Mikroorganismen im Freiland verharmlosen soll. Das geplante Gengesetz orientiert sich wieder an den Kapitalinteressen der Industrie. Die wirklichen Problemfelder werden dabei nicht angepackt, geschweige denn gelöst. Die EG, die immer wieder für das Versagen der eigenen Politik herhalten muß, hat zahlreiche Programme zum biotechnologischen Bereich aufgelegt. Fragen der Sicherheit in der Forschung und der Notwendigkeit von Projekten wie ECLAIR und FLAIR werden nicht kritisch beurteilt. Wozu brauchen wir das transgene Schwein mit einer Rippe mehr, wenn klar ist, daß sich unser Ernährungsverhalten ändern muß? Die herbizidresistente Pflanze, deren Saatgut mit dem giftigen Pflanzenbehandlungsmittel aus ein und demselben Pharmakonzern geliefert wird, muß nicht sein, wenn man den Mut zum politischen Handeln hat. Wettbewerbsgründe sind vorgeschobene Gründe, die die wirklichen Interessen verschleiern. Aber der Umdenkungsprozeß bei den Bauern hat längst eingesetzt. Sie sind bereit, extensiv zu wirtschaften, wenn wir, das Parlament, die Weichen endlich richtig stellen. So muß das Weingesetz einen Paragraphen erhalten, der die umweltverträgliche Wirtschaftsweise begünstigt. Die Anmahnung des Bundesrates, daß eine Verordnung zu Pflanzenbehandlungsmitteln noch ausstehe, weist auf das Handlungsdefizit dieser Regierung hin. Wir brauchen eine regionalisierte Landwirtschaft in der ganzen EG. Tschernobyl und Sandoz haben gezeigt, wie schnell die Ernährungssicherheit bedroht sein kann. ({5}) In den GATT-Verhandlungen müssen vernünftige Strategien für die Länder der Dritten Welt und uns überlegt werden. Es kann nicht angehen, daß die Tiere der westlichen Industrienationen den Menschen dort das Brot wegnehmen. Mit zynischen Argumenten läßt sich das nicht wegdiskutieren. Die Zukunft der Landwirtschaft läge dann nicht in der Aufrechterhaltung einer musealen Naturlandschaft mit einigen wenigen hochintensiv bewirtschafteten Monokulturflächen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam den Weg der artgerechten Tierhaltung und der umweltverträglichen Landwirtschaft gehen! Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Sauter.

Franz Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen un Herren! Lassen Sie mich aus gegebenem Anlaß, Kollege Bredehorn, eine Vorbemerkung machen. Wenn ich mich recht erinnere, begehen wir in diesem Jahr den hundertsten Geburtstag von Andreas Hermes. Andreas Hermes war der Mann, der nach 1945 Konsequenzen gezogen und gesagt hat, die deutsche Landwirtschaft müsse darauf achten, daß sie eine einheitliche Vertretung bekommt, in der Große und Kleine beieinander sind. Ich denke, daß Andreas Hermes hier recht gehabt und daß er im Interesse der Landwirtschaft insgesamt und auch aus leidvoller Erfahrung gesprochen hat. Ich warne davor, Groß und Klein, Nord und Süd gegeneinander auszuspielen. ({0}) Kollege Bredehorn, ich bin mir nicht so sicher, ob niedersächsische und schleswig-holsteinische Landwirte in jedem Fall mit denen im Schwarzwald, auf der Schwäbischen Alb oder in der Rhön tauschen würden. Ich will das nur deshalb vorab sagen, damit wir hier klare Verhältnisse bekommen und nicht versuchen, uns gegenseitig auseinanderzudividieren. ({1}) Ich will ein Wort zum Agrarbericht sagen, weil er so etwas wie Bilanz ist und auch einen Ausblick geben soll: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben immer wieder nach Perspektiven gefragt. Und auch die Verantwortlichen und die Betroffenen draußen fragen immer wieder: Wo ist eigentlich der Blick in die Zukunft? Wenn wir uns zurückwenden und noch einmal überlegen, was in den letzten Jahren alles an Vorschlägen für Patentlösungen gekommen ist, wird klar, daß sie uns nicht weiterführen. Die Vertreter der reinen Lehre haben gesagt: Marktwirtschaft und Preissenkung. Das ist übrigens die Politik gewesen, die auch von der Kommission vertreten worden ist. Diese Politik der Kommission hat Schiffbruch erlitten. Sie hatte geglaubt, daß durch weitere Preissenkungen auch die Mengenreduzierung erreicht werden könnte. Das Gegenteil ist eingetreten. ({2}) Sauter ({3}) Herr Bundesminister Kiechle, etwas, was mich ein bißchen ärgert: Wenn bei den Preisverhandlungen die Vorschläge der Kommission kommen, läuft das immer nach dem gleichen Drehbuch ab. Da wird zunächst von exorbitanten Preiseinbrüchen ausgegangen, und nachher einigt man sich auf einen Kompromiß. Ich denke, es ist notwendig, daß wir uns auch im Vorfeld der Kommissionsvorschläge rechtzeitig einschalten. Aber wenn wir die reine Lehre durchsetzen wollen, werden wir eine Entwicklung bekommen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich industrielle Agrarproduktion auf günstige Standorte zurückzieht und in vielen Regionen unseres Vaterlandes keine Landwirtschaft mehr stattfindet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das eigentliche Ärgernis im Zusammenhang mit der Politik, die in den letzten Jahren in der EG stattgefunden hat, sind die Überschüsse gewesen. Verehrter Kollege Kiechle, ich finde, daß Sie und diese Bundesregierung hier ein schier historisches Verdienst dadurch erworben haben, daß Sie neue Wege gegangen sind, versucht haben, dieses Ärgernis aus der Welt zu schaffen. Wir haben Teilerfolge erzielt. Die Quotenregelung bei Milch ist angesprochen worden. Bei allen Mängeln, die ihr anhaften, gibt es heute niemanden mehr, der sagt, daß dies ein falscher Weg gewesen sei. Wenn jetzt die Mitverantwortungsabgabe in den benachteiligten Gebieten abgebaut wird, so begrüßen wir das dankbar. Ich möchte aber darum bitten, daß wir weiterhin darauf hinwirken, daß die Mitverantwortungsabgabe für Milch insgesamt gestrichen wird. ({4}) Sie ist angesichts der Situation auf dem Buttermarkt und bei Milch ein Anachronismus geworden. Wir brauchen diese Mitverantwortungsabgabe nicht mehr. Ein zweiter wichtiger Bereich sind die Schlachtviehmärkte. Wir haben, wenn wir uns die Resultate des Agrarberichts ansehen, im Gegensatz zu den Futterbaubetrieben Einbrüche bei den Veredelungsbetrieben, die sehr schmerzlicher Natur und sehr tiefgreifender Art sind. Hier hat es in den letzten Jahren infolge der ständig zunehmenden Produktion Preisrückgänge gegeben. Das war auch Politik der Kommission. Und wir müssen konsequenterweise dazusagen: Über die Quotenregelung ist ein zusätzlicher Druck auf die Schlachtviehmärkte entstanden. Das war vorprogrammiert. Aber ich denke, daß wir hier ganz vorsichtig davon sprechen können, daß sich eine Konsolidierung abzuzeichnen beginnt. Ein dritter wichtiger Teilmarkt bereitet uns erhebliche Sorge. Wenn wir uns die Resultate der Marktfruchtbetriebe ansehen, stellen wir fest, daß wir hier erhebliche Preiseinbrüche hatten, die sich auch in den Ergebnissen niedergeschlagen haben. Die Versuche, die bisher gemacht worden sind, Extensivierung, Flächenstillegung, Produktionsaufgaberente, sind richtig. Überzeugende Alternativen dazu habe ich bis zur Stunde nicht gehört. Wir können uns gerne, meine Kolleginnen und Kollegen, über die Extensivierung unterhalten. Das eigentliche Problem besteht in der Kontrolle der Extensivierung. Das ist die Schwierigkeit, vor die wir uns gestellt sehen. Ich füge hinzu, daß die insgesamt erfolgreiche Politik dieses Bundesministers, die Kurskorrekturen, die Wende in der Agrarpolitik weg von der Überproduktion hin zu mehr Markt, auch die Ausgangslage für uns in den GATT-Verhandlungen verbessert, indem wir eine neue Möglichkeit haben, zu sagen: Wir haben unsere Pflicht getan. Ich denke, wir sollten auch an die Adresse unserer amerikanischen Verbündeten und an die Adresse der anderen Agrarexportländer sagen, daß wir, die Europäische Gemeinschaft, einen wesentlichen Anteil dazu beigetragen haben, daß die Überschüsse abgebaut worden sind, und daß dies nicht durch verstärkte Zufuhr von Substituten konterkariert werden darf. ({5}) Es müßte doch im Interesse aller Betroffenen möglich sein, darauf hinzuwirken, daß mehr Ordnung auf den Weltmärkten herrscht; denn die Politik der Dumpingpreise, die zur Zeit geführt wird, macht ein Überleben des Farmers in den USA, ein Überleben des Landwirts in der Europäischen Gemeinschaft und der Landwirte in der Dritten Welt ungeheuer schwer. Deshalb meine ich, man müßte mehr Ordnung auf den Weltagrarmärkten erreichen können, indem sich die Leute, die hiervon betroffen sind, ein bißchen zusammensetzen. ({6}) Ich füge ein Weiteres hinzu: Diese erfolgreiche Politik, der Abbau von Überschüssen, hat auch zu Einsparungen geführt. Ein Teil der Mittel, die aus der EG zurückgeflossen sind, haben die Finanzminister für ihre Etats verwendet. Ich denke, es besteht ein moralischer Anspruch der Landwirte darauf, daß Teile der Mittel, die durch den Abbau der Überschüsse frei werden, den Landwirten unmittelbar zur Verfügung gestellt werden. Heute ist viel über Umweltprobleme gesprochen worden. Wir Landwirte sind dazu bereit. Ich denke, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland uns nicht zu verstecken brauchen, was die Umweltschutzpolitik anbelangt. Wir haben große Probleme, was die Waldschäden anlangt. Niemand gebe sich der Illusion hin, daß der Wald inzwischen gesund geworden sei. Die Waldschäden gehen weiter, nur das Tempo hat sich verlangsamt. Deshalb empfinde ich es als eine begrüßenswerte Tatsache, daß es in der Europäischen Gemeinschaft - übrigens über das Europäische Parlament - gelungen ist, Regelungen dafür zu finden, daß der Katalysator in der ganzen Gemeinschaft eingeführt wird. Ich will noch einen Satz zu einem Thema sagen, das hier verschiedentlich angeklungen ist, über das wir besonders sprechen sollten und das auch in der Großen Anfrage angesprochen worden ist, nämlich zur Entwicklung der ländlichen Regionen, weil dieses Thema unmittelbar mit der Agrarpolitik zusammenhängt. Ich finde bemerkenswert, was jetzt die europäische Kommission an Vorschlägen unterbreitet hat. Dennoch müssen wir uns intensiver um diese Frage kümmern, damit die Mittel nicht in die falsche RichSauter ({7}) tung fließen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben im Vergleich mit der Europäischen Gemeinschaft verhältnismäßig günstige Strukturen. Dennoch dürfen wir uns mit der Situation, wie wir sie heute haben, nicht zufriedengeben. Wir brauchen mehr außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze. Ein Letztes lassen Sie mich noch sagen. Ich und viele andere haben die Sorge, daß wir in 10 oder 15 Jahren zuwenig junge Menschen haben, die bereit sind, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen. Wir sollten von der Politik her einen Beitrag dazu leisten, daß die Resignation überwunden wird, und den jungen Landwirten sagen, daß es, wenn diese Politik fortgesetzt wird, wenn die Überschüsse abgebaut werden, wenn die Honorierung der ökologischen Leistungen der Landwirte gewährleistet wird und wenn außerdem Fleiß und Tüchtigkeit dahinterstehen, durchaus berechtigt ist, den jungen Menschen auch im landwirtschaftlichen Beruf Mut für die Zukunft zu machen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines zeigt der Agrarbericht ganz gewiß: Die Regierungspolitik treibt die deutsche Landwirtschaft systematisch in den Ruin. ({0}) - Natürlich. Sie, Herr Kiechle, und Ihre Kollegen lassen unsere Bäuerinnen und Bauern im Stich. Da nützen keine beschwichtigenden Worte, die über die Probleme nur hinweghuschen, wie wir sie uns auch in der Regierungserklärung vom 28. April anhören mußten. Wer da genau aufgepaßt hat, konnte bemerken, daß es der Regierung nicht darum geht, die Nöte der Bauern zu beheben, daß es ihr nicht darum geht, den Konflikt zwischen moderner Landwirtschaft und Naturschutz anzugehen, daß es ihr nicht darum geht, den gewachsenen ländlichen Raum zu bewahren. Es geht statt dessen um die Marktsanierung; und da ist zu ergänzen: auf Kosten der kleinen und mittleren Betriebe. Es geht um Europa, genauer gesagt, um den Binnenmarkt. Denn nicht umsonst hat Herr Kohl das alles im Zusammenhang mit seiner Europapolitik gesagt. So geben die auf den ersten Blick recht nichtssagenden und doch so vielsagenden Kanzlerworte Einblick in das, was die Regierung unter einer verläßlichen Zukunftsperspektive für den bäuerlichen Familienbetrieb versteht. Wo bleibt diese Zukunftsperspektive, wenn sich laut Agrarbericht die Einkommen der landwirtschaftlichen Unternehmen um 10,5 % vermindert haben, ja, die verfügbaren Einkommen gar um 15,4 % zurückgegangen sind? Wer sagt, er wolle unsere Bauern für den europäischen Markt wettbewerbsfähig machen, darf nicht vergessen, zu erwähnen, daß er mehr als der Hälfte aller Höfe überhaupt nicht die Chance gibt, in diesen Wettbewerb einzutreten, geschweige denn ihn zu bestehen. Im Norden der Bundesrepublik, so sagt der Agrarbericht, finden sich überwiegend Produktionsstrukturen, die mit anderen wettbewerbsstarken Regionen in der EG vergleichbar sind. Hier liegt die Wachstumsschwelle auch schon bei 50 ha. Aber der Gewinn pro Unternehmen ist dort auch nicht höher als in Süddeutschland. Nur die Umweltprobleme sind erheblich größer. Es hat wirklich keinen Sinn, in diese Richtung zu steuern. ({1}) Die Regierung schaut neidisch auf andere EG-Partnerländer wie die Niederlande, Großbritannien oder Dänemark und wünscht sich dortige Verhältnisse auch für unsere Landwirtschaft. Ich kann nur dringend abraten. Vielfach haben gerade dort Monokulturen und die Konzentration insbesondere in der tierischen Erzeugung zu irreparablen Umweltschäden geführt. Eine Landschaft mit Artenvielfalt, wie wir sie hier noch manchmal antreffen, ist in den dortigen landwirtschaftlichen Nutzgebieten nicht mehr zu sehen. Außerdem ist auf der Ebene der chemisierten und rationalisierten Landwirtschaft der Wettbewerb noch härter. Dort dreht sich die Spirale von Intensivierung, Investitionsbedarf und Rationalisierungszwang noch viel schneller. Das sollte unseren Bäuerinnen und Bauern wirklich keiner zumuten. Genauso ist es ein Unding, wenn 54 % der Ausgaben des Agrarhaushalts, die für die landwirtschaftliche Sozialpolitik aufgewendet werden, als besondere Leistung für die Landwirte dargestellt werden. In Wirklichkeit dient dieser Posten doch nur zur sozialen Abfederung der Folgen einer jahrzehntelangen falschen Agrarpolitik. ({2}) Dieser Strukturwandel ist inzwischen so weit gegangen, daß wir in diesem Jahr erstmals mehr Leistungsempfänger aus der landwirtschaftlichen Alterskasse haben, als es Beitragszahler gibt. ({3}) Das muß man sich einmal vorstellen. Es ist kein Wunder, daß folglich die kleinen Betriebe durch die Beitragslast völlig überfordert sind. Aber nicht diese Höfe und ihre Betriebsleiter oder Betriebsleiterinnen trifft die Schuld an der Misere, sondern schuld sind die Rahmenbedingungen, welche die Agrarpolitik gesetzt hat und die bewirken, daß ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Der Agrarbericht soll verdecken, wie schlimm die Situation wirklich ist. So werden jetzt alle Betriebe bis 40 000 DM Standardbetriebseinkommen zu den kleinen gezählt. Früher lag diese Grenze bei 30 000 DM. Warum werden in der Testbetriebsbuchführung die Nebenerwerbsbetriebe unter 5 000 DM Standardbetriebseinkommen überhaupt nicht mehr erfaßt? Damit man sich keine Gedanken darüber macht, wie viele ohne Gewinn oder sogar mit Verlust arbeiten. Was der Agrarbericht uns auch vorenthält, ist die katastrophale ökologische Situation. Landwirtschaft und Naturschutz, heute oft als miteinander verfeindet bezeichnet, gehören grundsätzlich zusammen. Ohne Natur- und Artenschutz kann niemand auf Dauer gute Landwirtschaft treiben. Die Verschiebung der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes bedeutet, daß die Chance vertan wurde, die ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen. Hier hätten endlich verbindliche Regelungen, wie wir sie schon lange fordern, zur Festschreibung einer bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft getroffen werden müssen. Niemand darf sich einbilden, man könne gleichzeitig gegen die Natur Landwirtschaft betreiben und dabei gesunde Nahrungsmittel erzeugen. Genausowenig reichen Genbanken zur Erhaltung der Artenvielfalt auf unserer Erde. Gentechnik und die großflächige Einführung des Anbaus sogenannter nachwachsender Rohstoffe werden uns nicht zu mehr Ökologie verhelfen, sondern im Gegenteil ungeahnte Probleme bringen. ({4}) Zum Thema Bäuerinnen und Bauern: Erneut ist im Agrarbericht die Arbeit der Bäuerinnen kaum erwähnt, obwohl von ihnen ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Arbeit zusätzlich zur Haushaltsführung geleistet wird. Mit der Feststellung, daß die soziale Absicherung der Bäuerinnen verbessert werden könnte, darf sich die Regierung nicht begnügen. Es ist gänzlich unangemessen, bei entsprechenden Korrekturen zugleich die Erhöhung der Beiträge anzudrohen; denn schließlich ist die Politik dieser Regierung am Rückgang der Beitragszahler schuld und muß die höheren Bundeszuschüsse zur Agrarsozialversicherung verantworten. Der soziale und gesellschaftliche Fortschritt darf vor dem Eingangstor der Bauernhöfe nicht stehenbleiben. Mit Befragungen, Untersuchungen, Erwägungen und vor allem mit Beschwichtigungen wurden die Bäuerinnen bisher mehr vertröstet als berücksichtigt. Das darf so nicht weitergehen, Herr Kiechle. Wir haben einen Antrag zur Verbesserung der Situation der Bäuerinnen eingebracht, dessen Verwirklichung diesen Frauen tatsächliche Hilfe bringen würde. Die Bäuerinnen müssen endlich einen eigenständigen Anspruch aus der landwirtschaftlichen Alterskasse, der Kranken- und Unfallversicherung erhalten. Sie müssen endlich, wie andere erwerbstätige Frauen auch, einen gesetzlich verankerten Mutterschutz erhalten, der nicht an zusätzliche Bedingungen geknüpft ist. Unser Antrag stellt ein umfassendes Konzept dar, den Bäuerinnen in den Bereichen, wo sie bisher immer benachteiligt waren, zu ihrem Recht zu verhelfen. Niemand sollte uns nachsagen, wir gingen mit unseren Forderungen zu weit oder wollten gar für die Bäuerinnen eine bevorzugte Stellung erreichen. Was wir fordern, ist die seit langem für die Bäuerinnen fällige Angleichung bei der Rente und bei den Möglichkeiten, wie sie für Frauen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen längst selbstverständlich sind. ({5}) Meine Damen und Herren, auch wenn es uns die Herren von der Regierung immer wieder absprechen wollen: In der Agrarpolitik ist eine grundlegende Abkehr vom falschen Weg, den die Regierung immer noch verfolgt, dringend erforderlich. Unsere Agrarpolitik bedeutet ein durchführbares Konzept für die Bäuerinnen und Bauern, für eine ökologisch-bäuerliche Landwirtschaft und für den ländlichen Raum. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute in diesen drei Beratungsstunden eine ganze Palette von Themen zu bewältigen. Ich möchte mich in meinem Beitrag schwerpunktmäßig allerdings nur mit einem Thema beschäftigen, nämlich mit dem europäischen Binnenmarkt und dessen Auswirkungen auf die Landwirtschaft. ({0}) - Es freut mich, daß Sie gespannt sind. Ich hätte natürlich genauso große Lust, mich zur Agrarsozialpolitik auszulassen; denn ich bedaure sehr, daß wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr eine umfassende Reform durchführen können, sondern nur noch den ersten Schritt. Nichtsdestotrotz begrüße ich, wenn wir diesen ersten Schritt noch in dieser Legislaturperiode auch tatsächlich gehen können. Ich beschäftige mich auch weniger mit dem, was wir auf den Weg gebracht haben, sondern vielmehr damit, welche Maßnahmen wir in der Zukunft treffen sollten, um der Situation gerecht zu werden. Die Koalition hat in einer Großen Anfrage an die Bundesregierung die Brisanz und Wichtigkeit dieses Themas zum Ausdruck gebracht. Europa ist in der augenblicklich laufenden Diskussion Thema Nummer eins. Dies nicht nur, weil wir am 18. Juni zum drittenmal das Europäische Parlament wählen, sondern auch, weil uns das Datum 1. Januar 1993 mit der Vollendung des europäischen Binnenmarkts in allen Politik- und Wirtschaftsbereichen sehr beschäftigt. Jeder fragt sich: Was kommt auf uns zu? Haben wir Vorteile zu erwarten, oder werden wir überrollt? Wie sieht es mit der Wettbewerbsfähigkeit aus, und wie stark sind wir nach wie vor mit Wettbewerbsverzerrungen beschäftigt? Solche Gedanken treiben natürlich auch unsere Bauern um. Die Einkommensituation der Landwirtschaft ist ja auch nur als schlecht zu bezeichnen. Die meisten Bauern verbinden genau diesen schlechten Zustand automatisch mit Brüssel; denn dort werden ja die Preise gemacht und die Mengen festgelegt. Durch die gemeinsamen Marktordnungen für fast alle Agrarprodukte in der Landwirtschaft ist die Landwirtschaft der am weitesten integrierte Wirtschaftsbereich. Nachteilig wirkt sich allerdings immer eine nicht vorhandene europäische Währungsunion aus; denn jede D-Mark-Aufwertung im Verhältnis zu den anderen europäischen Währungen bringt eine Wettbewerbsverschlechterung für die deutschen Bauern mit sich. Währungsausgleichsbeträge sind hier oft nur ein unzureichender Ersatz und werden schnell als eine weitere Subvention gebrandmarkt. Das habe ich vorhin auch in einer anderen Rede gehört. Ich meine, wir sollten schneller und mit aller Konsequenz auf das Ziel einer einheitlichen Währung hinarbeiten, um dieses dauernde Hickhack „Währungsausgleich - Abbau des Währungsausgleichs" endlich beenden zu können. ({1}) Hier muß ich aber auch ein Wort in Richtung Bundesregierung sagen, und zwar in Form eines Tadels. Die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage im Zusammenhang mit dem Währungsausgleich die betriebsbezogenen staatlichen Hilfen mit 37 % der Gewinne von Vollerwerbsbetrieben an und wirft dabei alle möglichen staatlichen Hilfen in einen Topf. Diese Vermengung in dieser Form ist schlichtweg nicht zulässig. Wenn die Bundesregierung die Dinge schon so vermischt, dann kann man vom Bürger auch keine objektive Betrachtungsweise verlangen. Ich erinnere an die Diskussion, die wir jetzt um die 5 % Mehrwertsteuer führen, die wir ja als Ausgleich für eine Abwertung bekommen haben. Darüber redet heute kein Mensch mehr. Es heißt: Ihr Bauern streicht zusätzlich Milliardensubventionen ein. Aber wir müssen uns dann entsprechend rechtfertigen. Hier wäre mir eine klarere Trennung wirklich lieber. Wir haben in der Bundesrepublik laut Antwort der Bundesregierung besondere Probleme, die sich aus der historisch bedingten kleinbetrieblichen Struktur in weiten Teilen der Bundesrepublik ableiten lassen. Wenn es wahr ist, daß sich der Wettbewerb mit den anderen Mitgliedstaaten mit der Vollendung des europäischen Binnenmarkts verstärkt, dann müssen wir meiner Meinung nach noch stärker die Instrumente einsetzen, die eine Wettbewerbsverbesserung herbeiführen. ({2}) Das bedeutet, daß wir die Ausgleichszulage in den benachteiligten Gebieten erhöhen müssen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Verbesserung bei den Nebenerwerbsbetrieben bei der Mutterkuhhaltung und den Wegfall der Mitverantwortungsabgabe für Milch in benachteiligten Gebieten lobend erwähnen. Wünschbar wäre, daß wir auch in diesen Gebieten die Mitverantwortungsabgabe für Getreide völlig streichen könnten. Das ist dringend vonnöten. ({3}) Unsere Bauern müssen ihre Betriebe entwickeln können; denn im Vergleich der Betriebsgrößen - dabei nehme ich die Veredelung und Sonderkulturen mit hinzu - sind wir fast das Schlußlicht in der EG. Deshalb dürfen wir die Grenzen auch bei dem derzeit diskutierten Strukturgesetz nicht zu eng ziehen. Für Romantik ist nur ein ganz kleiner Spielraum vorhanden, Herr Kollege Kreuzeder. In der Regel fehlt genau dafür dann auch das Geld. Das sehen wir ja heute schon. Schon heute sind viele Länder nicht in der Lage, allein den Spielraum auszunutzen und auszuschöpfen, den die Gesetzgebung vorgibt. Hier ist zwar jeder Wunsch berechtigt, aber Wünsche alleine reichen nicht. Hier muß Substanz hinein. Romantik reicht hier nicht aus. ({4}) In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals an eine dringend notwendige flexible Handhabung der Milchquote erinnern. Es ist einfach nicht mehr vermittelbar, daß wir uns angeblich aus unserer Selbstknebelung nicht befreien können. Doch leider muß man sagen, daß auch die CSU das immer noch nicht begriffen hat. Ich bitte, daß Sie sich doch auch noch einmal mit der Frage auseinandersetzen. Ich stelle fest: Wir in der Bundesrepublik haben eine schlechtere Struktur als unsere Nachbarn und dazu noch die höchsten Produktionskosten - nicht zuletzt durch schärfere Baugesetze und schärfere Umweltauflagen hervorgerufen. Nichtsdestoweniger liegen genau hier die Chancen, die der Binnenmarkt der deutschen Landwirtschaft eröffnet. Die Wettbewerbsverzerrungen müssen und können konsequent abgebaut werden. Dazu müssen wir die Harmonisierungsbemühungen auf ganz bestimmten schwerpunktartigen Feldern vorantreiben. Ich bin Herrn Kiechle dankbar, daß auch er das heute morgen in seiner Rede angesprochen hat. Diese Chance, die uns dieser Binnenmarkt bietet, müssen wir nutzen! Ich nenne hier nur die wichtigsten Bereiche: Pflanzenschutzgesetz, Düngemittelgesetz, Tierschutzgesetz, Tierseuchengesetz. ({5}) Bezüglich des Tierseuchengesetzes möchte ich hinzufügen, daß ich es außerordentlich bedaure, daß der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Regelung der viehseuchenrechtlichen Kontrolle im innergemeinschaftlichen Handel auf Grund von fehlenden fachlichen und rechtlichen Voraussetzungen die Abschaffung der Grenzkontrolle zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nicht erlaubt und wir im Ausschuß dieser Verordnung deshalb auch nicht zustimmen konnten. Bei den Pflanzenschutzmitteln fordere ich eine europaweit einheitliche Zulassung für die einzelnen Wirkstoffe; denn nur so kommen wir mit dieser Harmonisierungsbemühung voran. Unbefriedigend ist auch die Tatsache, daß unsere Nachbarn die EG-Trinkwasserverordnung zwar verabschiedet haben, aber gerade in den Anwendungsbereichen von Pflanzenbehandlungsmitteln und Düngemitteln wir die schärfsten Auflagen haben. Hier muß eine Harmonisierung erfolgen; sonst können unsere Bauern nicht mehr mithalten. Damit ich aber nicht falsch verstanden werde: Ich bin für strenge Regelungen im Umweltschutz und im Pflanzenschutz sowie für strenge Tierschutzauflagen. Von mir aus könnte man einen Großteil der Pflanzenbehandlungsmittel, die schwer abbaubar oder nicht abbaubar sind, verbieten. Nur: dann, bitte schön, europaweit! Dann machen wir mit, dann sind wir mit von der Partie. Ich möchte die Energie der Bundesregie10562 rung darauf lenken, daß wir hier endlich einmal Fortschritte bekommen. ({6}) Ich glaube, daß wir es nicht verantworten können, die deutsche Landwirtschaft weiterhin mit einseitigen nationalen Regelungen zu drangsalieren. Bei der Hühnerhaltung haben wir bereits einheitliche EG-Normen. Warum sollte das nicht auch bei anderen Tiergattungen möglich sein? Die Landwirtschaft hat im europäischen Einigungsprozeß eine Vorreiterrolle gespielt. Die Sorgen und Probleme, die die anderen Wirtschaftsbereiche heute erst diskutieren, sind in der Landwirtschaft schon längst unser tägliches Brot. Bisher waren wir mit den Problemen, die der EG- Agrarmarkt für uns brachte, ziemlich alleingelassen. Es ist zu hoffen, daß mit einer Integration der gesamten Wirtschaft gewisse Nachteile für die Landwirtschaft ausgeglichen werden können. Ich habe einige Dinge davon vorhin angesprochen. Ein gemeinsamer Agrarmarkt, ein offenes, liberales Europa, ein Markt mit 320 Millionen Verbrauchern, - das ist, alles zusammengenommen, eine faszinierende Perspektive, auch für die Landwirtschaft! Sorgen wir dafür, daß alle gesellschaftlichen Gruppen an dieser Chance partizipieren können und daß die Vorreiterrolle unserer Bauern nicht umsonst war! Ich bedanke mich. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offenkundig fehlt der Bundesregierung eine abgestimmte Gesamtkonzeption für die Entwicklung des ländlichen Raums. In ihrem eigenen Agrarbericht kann die Bundesregierung unter der Rubrik „Neuorientierung der Agrarpolitik" nur einen einzigen Punkt anführen - und diese Maßnahme ist dazu noch eine der umstrittensten - , nämlich die Flächenstillegung. Damit wird, meine ich, die Konzeptionslosigkeit nur noch deutlicher. ({0}) Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland werden weder im Agrarbericht noch in den heutigen Ausführungen des Ministers erkennbar. Wir alle wissen, daß der ländliche Raum sehr unterschiedlich geprägt ist und seine Probleme deshalb differenzierte Lösungsmöglichkeiten erfordern. Aber deswegen kann man doch nicht völlig darauf verzichten, im Raumordnungsplan, in der Strukturpolitik und auch im Agrarbericht eine aufeinander abgestimmte Gesamtkonzeption aufzuzeigen. Ich zitiere: Agrarpolitik ist nicht nur Markt- und Preispolitik, Struktur- und Sozialpolitik, sondern in einem immer bedeutsameren Maße auch Umwelt- und Naturschutzpolitik. Alle diese Politikbereiche müssen wir gleichzeitig und sozusagen vernetzt bedienen. Dies, Herr Minister Kiechle, erklärten Sie. Nur bleibt das reine Theorie, wenn keine konkreten Taten folgen, keine Zukunftsperspektiven erkennbar bleiben. Wo bleiben die flankierenden Maßnahmen in der Raumordnungspolitik, in der regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sowie in der Verkehrspolitik, die Sie selber fordern? Die Bundesregierung läßt im Gegenteil zu, daß der ländliche Raum weiterhin ausgedünnt wird. Impulse in der Arbeitsmarktpolitik für den ländlichen Raum sind nirgends zu sehen. Bundesbahn und Bundespost ziehen sich weiterhin immer mehr aus dem ländlichen Raum zurück und verschlechtern die Infrastruktur. Ihre praktische Politik, Herr Kiechle, widerspricht den eigenen Aussagen der Regierung. In der Tat, der Bericht ist sehr nüchtern. Er zeigt die teilweise dramatische Situation vieler Landwirte und ihrer Familien auf. Nur haben Sie als Lösungsangebote wiederum lediglich altbekannte, plakative Slogans anzubieten. Die Bundesregierung wurstelt weiter so vor sich hin; aber für die Entwicklung des ländlichen Raumes und ganz besonders für die Landwirtschaft kann das Hinwursteln tödlich sein. Die negative Einkommensentwicklung bei den Landwirten und die Resignation vieler Bauern wird Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung unserer ländlichen Räume haben. Wichtige Aufgaben wie Aufrechterhaltung der Sozialfunktion unserer Dörfer, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Offenhaltung und Pflege der Kulturlandschaft werden zunehmend gefährdet. Wir wollen - Herr Heinrich, darin sind wir uns einig - Landwirtschaft nicht als Idylle, sozusagen lediglich als Anreiz für Stadtkinder, einmal eine echte Kuh auf der Alm gesehen zu haben. Wer Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland erhalten will, muß mehr wollen. Dazu fällt der Bundesregierung leider nichts mehr ein. Entsprechend - das wissen Sie ganz genau, wenn Sie draußen mit den Landwirten diskutieren - ist auch die Stimmung bei den Landwirten. „Die Bundesregierung braucht keine Bauern mehr, nur weiß sie nicht, wie sie uns das sagen soll. " So brachte es ein Pfälzer Bauer in einer Diskussion, wie ich meine, auf den Punkt. Eine wahrlich traurige, aber offensichtlich doch wohl zutreffende Beurteilung der Agrarpolitik der letzten Jahre. Die Prognosen der EG-Kommission erfordern für die Zukunft aktives Handeln und Gestalten. Herr Heinrich, man darf nicht bei der Analyse bleiben. Im Oktober letzten Jahres hieß es im Kommissions-Bericht: Im gesamtwirtschaftlichen Bereich ist damit zu rechnen, daß von außen kommende Investitionen in den ländlichen Regionen spärlicher und selektiver werden. Insbesondere gilt dies für die Errichtung neuer Produktionsstätten. Welche Konsequenzen zieht die Regierungskoalition daraus? ({1}) - Eben! - Weiter heißt es: Die Weiterentwicklung .. . ... der ländlichen Wirtschaft wird daher stärker als in der Vergangenheit auf eine Aufwertung des örtlichen Entwicklungspotentials aufbauen müssen. Das heißt in diesem Zusammenhang: auf der Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen. Neben Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft selbst wird daher eine Politik der Schaffung dauerhafter und wirtschaftlich gesunder Arbeitsplätze auch außerhalb des Agrarsektors gefordert. Aber das Gießkannenprinzip, nach dem öffentliche Gelder nach wie vor rein schematisch unter den Landwirten verteilt werden, benachteiligt erneut die Klein-und Mittelbetriebe. Dieses ungerechte Prinzip schreibt auch das neue Strukturgesetz wieder fest, indem es den Mehrwertsteuerausgleich in Höhe von 1,1 Milliarden DM nicht nach dem Bedürftigkeitsgrad verteilt, sondern gleichmäßig auch für die vorsieht, die nicht unbedingt zu den Armen gehören. ({2}) Die Realisierung des europäischen Binnenmarkts wird die Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Landwirtschaft weiterhin und zusätzlich erheblich verschlechtern. Ich bin nicht so optimistisch, wie Sie, Herr Heinrich, es hier dargestellt haben. Die regionalen und nationalen Bindungen für den Handel und für die Produktion auch landwirtschaftlicher Erzeugnisse werden weitgehend durch internationale, insbesondere europaweit arbeitende und verflochtene Handelsunternehmen und Nahrungsmittelhersteller abgelöst werden. Wir wissen, daß immer noch ein hoher Prozentsatz der Mittel für die Landwirtschaft nicht beim Landwirt selbst ankommt und wir mit den Agrarsubventionen teilweise sogar US-Nahrungshandelsunternehmen mit finanzieren und die Landwirte vor Ort deswegen gescholten werden. Schon heute hat die deutsche Landwirtschaft selbst im Inland auf fast allen wichtigen Produktionsmärkten Verluste zu verzeichnen. Der Anteil der deutschen Butter ging seit 1979 bis 1987 im Inlandsmarkt um 18 % zurück. Bei Obst und Gemüse sind es sogar jeweils 20 %, die wir bei einheimischen Produkten am Markt verloren haben. Obwohl der Verbrauch landwirtschaftlicher Produkte in der Bundesrepublik gestiegen ist, waren nicht die deutschen Landwirte Nutznießer dieser Entwicklung; überwiegend kam der Verbrauchszuwachs den ausländischen Anbietern zugute. Ich möchte nur ein einprägsames Beispiel nennen, und zwar vom deutschen Zuckermarkt. Trotz einer enormen Überversorgung von 147 % - vor 20 Jahren waren es 88 % - sank der Anteil deutscher Zuckeranbieter auf unserem Markt um rund 7%. Die Liefermengen ausländischer Anbieter schnellten dagegen empor. Meine Damen und Herren, dieser Trend könnte sich verstärken, setzt man kein geeignetes Konzept dagegen, wenn der Binnenmarkt geschaffen ist. Kein Grund also für die Bundesregierung, das Heil der deutschen Landwirte womöglich vom europäischen Binnenmarkt zu erhoffen. Hier sind eigene Konzepte dringend notwendig. Wer den Wagen der Landwirtschaft einfach weiter den Weg hinunterfahren läßt, ist mitschuldig, wenn er vom Weg abkommt, umkippt oder im Dreck steckenbleibt. Meine Damen und Herren, die Situation im Agrarbereich ist dramatisch. Herr Sauter, ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie sagen: Resignation muß überwunden werden. Nur: Dann sind wir verpflichtet, den jungen Landwirten, den Landwirten, die von morgens bis abends schaffen, auch Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, damit sie wissen, daß ihre Existenz auch in Zukunft gesichert ist. ({3}) Regierung sind Sie, Herr Susset. Sie sollen nicht ständig fragen: Was wollen Sie? Legen Sie ein Konzept vor, oder aber wir übernehmen die Regierung. Dann werden wir Ihnen unsere Gesamtkonzeption vorlegen können. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Kollegen Sielaff muß ich darauf hinweisen, daß der Kollege Egon Susset hier im Parlament ist und nicht in der Regierung. ({0}) - Die Regierung wird von uns getragen. Ich darf auf das zurückkommen, was Kollege Oostergetelo schon in der Presse verlautbart hat, nämlich: SPD fordert agrarpolitisches Gesamtkonzept; eine Neuorientierung der Agrarpolitik wird gefordert. Nicht nur von Ihnen, sondern von vielen hört man die Forderung nach einer Neuorientierung der Agrarpolitik. Ich behaupte aber, daß wir mit der Frage der Neuorientierung nicht zu Rande kommen, solange wir nicht ernsthaft die Frage beantworten, wie wir die Aufgabe der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft künftig sehen wollen, wie wir die Aufgaben der Landwirtschaft definieren. ({1}) Es ist die Frage: Weisen wir der Landwirtschaft nach wie vor nur die Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion zu, oder müssen nicht wichtige Bereiche hinzukommen, gewinnen sie nicht immer mehr an Bedeutung, wie beispielsweise Erhalt einer intakten Natur und Umwelt ({2}) und auch die Frage des Angebots und der Erzeugung nachwachsender Rohstoffe und Energien? Ich meine, daß gerade der Frage der Erhaltung einer intakten Natur, Umwelt und Kulturlandschaft - ({3}) - Bitte schön, Frau Kollegin, lassen Sie mich einigermaßen ungestört reden! Ich habe keine vorbereitete Rede, sondern ich muß auch während des Redens noch denken, im Gegensatz zu Ihnen. ({4}) Es ist also die Frage: Wie wird künftig der Stellenwert der Landwirtschaft sein, welche Aufgaben hat sie zu erfüllen, insbesondere im vielfältigen Bereich der Erhaltung einer intakten Natur, einer intakten Umwelt, einer intakten Kulturlandschaft, in einer Gesellschaft und in einem Land, das sehr dicht besiedelt ist, wo wir einen sehr hohen Lebensstandard haben, wo diese Nachfrage immer größer wird. ({5}) - Ich bin schon längst bei der Sache, Herr Kollege Wimmer. Ich will damit deutlich machen, daß die Landwirtschaft außerhalb ihrer Nahrungsmittelproduktion ganz wichtige Leistungen für die gesamte Gesellschaft erbringt, die nur sie und niemand anders erbringen kann. ({6}) Dies wird auch bestätigt, und das sehen zwischenzeitlich auch führende Leute der Kirchen, aber auch der Industrie ähnlich. Ich darf einen Mann aus der Industrie zitieren, der einmal sagte: Wenn es um die Frage Wirtschaft und Umwelt geht, kann man nicht an der Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft vorbeigehen. Es wäre mir eine schreckliche Vorstellung, etwa das Voralpenland im Stil der östlichen Kolchosenwirtschaft oder nach dem Muster amerikanischer Mammutfarmen veröden zu sehen. Die Landwirtschaft hat Anspruch auf Unterstützung durch den Staat. Wie alles hat auch die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt ihren Preis. Eine Politik, welche die Bauern von Haus und Hof vertreibt, hat keine Berechtigung. ({7}) Hier ist also ein Bedarf in unserer Gesellschaft, der von der Landwirtschaft gedeckt werden kann. Dies kann nicht kostenlos geschehen, dies muß also auch vom Staat her entlohnt werden. Wir sind mit dem Agrarstrukturgesetz dabei hier einen Einstieg für die Entlohnung dieser Leistungen zu machen. Im übrigen haben einige Bundesländer hierzu einige sehr sinnvolle Maßnahmen ergriffen. Es ist also sinnvoll, nicht immer das immer mehr zu fördern, wovon wir schon genug haben, sondern das zu fördern, wo wir noch Bedarf haben. Ich darf auf das zurückkommen, was Kollege Sauter gesagt hat: Ich halte es ebenfalls für geboten - der bayerische Landwirtschaftsminister hat bereits einen Vorschlag unterbreitet - , daß wir freiwerdende Mittel auf Grund des Rückgangs der Lagerbestände dann auch hier entsprechend umwidmen und für diese Zwecke künftig einsetzen. ({8}) Wir müssen auch immer deutlich machen, daß es bei der Agrarpolitik nicht nur um eine Politik für die Bauern geht. Es geht um eine Politik für unsere gesamte Gesellschaft, und es ist erforderlich, daß wir insbesondere den ländlichen Raum erhalten. Deswegen kommt besonders auch dem ländlichen Raum - Sie haben es ebenfalls angesprochen - und der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit besondere Bedeutung zu. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir hier insbesondere auch die Nebenerwerbslandwirtschaft nicht außen vor lassen dürfen. Gerade in den von Natur aus benachteiligten Gebieten kommt ihr eine sehr vielfältige und immer wichtigere Bedeutung zu. Ich möchte ein Weiteres sagen: Wir sollten auch nicht immer nur von bäuerlicher Landwirtschaft reden, sondern wir müssen ganz selbstverständlich auch den Mut haben, zu sagen: Was verstehen wir unter bäuerlicher Landwirtschaft? ({9}) Ich weiß, daß dies sehr schwierig ist, weil die Vorstellungen hierzu sehr unterschiedlich sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Oostergetelo, bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, da ich vieles, was Sie jetzt gesagt haben, teile und Sie jetzt auf die Frage der bäuerlichen Struktur zu sprechen kommen: Können wir mit Ihrer Unterstützung rechnen, damit wir aus dem Gesetz nicht ein Gesetz zur Verhinderung, sondern zur Rettung der bäuerlichen Struktur machen?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie mir noch sagen, was Sie darunter verstehen, ({0}) kann ich die Frage leichter beantworten; erstens. Und zweitens wissen Sie aus den Ausschußberatungen sehr genau, wie meine Haltung zu diesen Dingen ist. ({1}) Aber ich sage noch einmal: Wir dürfen nicht nur immer von der bäuerlichen Landwirtschaft reden und dann trotzdem - wie einige es tun - von der industriell-gewerblichen Produktion und von den Großbetrieben träumen. Das will ich sehr, sehr deutlich sagen. Wer Agrarproduktion industriell-gewerblich betreiben will, der soll dies auch zu den normalen Bedingungen der gewerblichen Wirtschaft tun und nicht anders. ({2}) Ich möchte aber auch sagen: Meine Damen und Herren Kollegen, die SPD hat kein Konzept. ({3}) Wenn ich mir all das, was von Ihnen zur Agrarpolitik gesagt wird - vielleicht weniger jetzt von den Fachpolitikern als von denen der Partei- und Fraktionsspitze, den verschiedenen Programmkommissionen, die einmal meinten, die Landwirtschaft dem Markt aussetzen zu müssen, dabei aber meinten, dies natürlich zu den Bedingungen des Weltmarkts zu tun -, vor Augen führe, wenn ich daran denke, wie die Agrarsozialpolitik abgebaut worden ist ({4}) - sie ist unter Ihrer Regierungsverantwortung abgebaut worden - , dann ist diese Aussage durchaus gerechtfertigt. Heute gehen die Sprecher der SPD landauf, landab und kämpfen für eine bessere Berücksichtigung - natürlich nur verbal - der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. In Wirklichkeit haben sie damals am Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm festgehalten, das viele Kleinere ausgeschlossen hat. ({5}) Zweitens haben Sie die Agrarsozialpolitik abgebaut. Wenn Sie in den Agrarbericht hineinschauen, dann stellen Sie fest, daß gerade die Agrarsozialpolitik vorzugsweise den kleineren Betrieben hilft. ({6}) - Haben jetzt Sie den Kanzler gestellt oder die anderen? ({7}) Ihr wart ja immer so stolz auf euren Kanzler, und dann habt ihr ihn fallenlassen! ({8}) Und was den zweiten Bereich angeht, nämlich die Ausgleichszahlungen, die sich bei den Bauern ja nun wirklich einkommenswirksam auswirken, so kann ich hier feststellen, daß doch gerade wir diese Komponente sehr stark gefördert haben. ({9}) Und ich brauche gar nicht so weit in Ihre Regierungszeit zurückzugehen. Ich brauche nur zu lesen, was Ihr zwischenzeitlich abgehalfteter finanzpolitischer Sprecher noch im letzten Jahr in der „Süddeutschen Zeitung" gesagt hat. ({10}) - Ja, das muß man fragen; das war der Herr Apel. ({11}) - Ich habe das schon da. ({12}) Ich darf zitieren: Wir wären - damals gesagt zur Steuerpolitik, Staatsverschuldung usw. in der Steuerpolitik sicherlich vorsichtiger gewesen, und insbesondere hätte es den Milliardenrausch zugunsten der Landwirtschaft nicht gegeben. An die Stelle dieser Mehrausgaben hätten wir gesetzt das Programm Arbeit und Umwelt, mehr öffentliche Investitionen, Kampf der Jugendarbeitslosigkeit. So im Interview am 28. Januar 1988 in der „Süddeutschen Zeitung". Das ist also wohl das Konzept der Partei- und Fraktionsführung der SPD. Meine Zeit ist leider um; sonst hätte ich Ihnen noch etwas mehr gesagt. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Rudolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001565, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vorliegende Agrarbericht gibt eine Situationsbeschreibung. Leider - und ich sage das ganz bewußt - unterscheidet sich diese Beschreibung nur unwesentlich von der letzter Jahre. Die Lage vieler Landwirte wird zunehmend kritisch, auch solcher, die vor noch nicht allzulanger Zeit gut dastanden, z. B. im Getreidebereich. Diese Lage wird nicht besser durch den Hinweis der Bundesregierung, daß die Vollerwerbsbetriebe inzwischen 37 % ihres Einkommens gewinnwirksamen agrarpolitischen Maßnahmen verdanken, fast könnte man sagen: durch eine Politik direkter Einkommensübertragungen, wie wir Sozialdemokraten sie schon immer gefordert haben, wie sie von Ihnen aber immer abgelehnt worden ist. Jetzt scheint sich bessere Einsicht durchzusetzen. Wir freuen uns darüber, Herr Kollege Susset. Trotzdem ist die Sache nicht so einfach. Denn die Politik der Bundesregierung ist nicht die Folge eines durchdachten langfristigen Konzepts, das möglichst vielen deutschen Bauern die Zukunft sichert. Diese Politik ist das Ergebnis von Halbherzigkeiten und - auch ich gebrauche das Wort noch einmal - von planlosem Herumwursteln mit dem Ziel, klaren Entscheidungen auszuweichen. Es ist der mißlungene Müller ({0}) Versuch, es möglichst allen recht machen zu wollen und niemandem wehzutun. Mit einer solchen Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es noch nie gelungen, Menschen zu überzeugen, jedenfalls nicht auf Dauer, weder in der Landwirtschaft noch anderswo. Die Kritik Ihnen wohlgesonnener Landwirte nimmt zu. Wir alle diskutieren nach den Wahlergebnissen in Berlin und Hessen das Problem des Rechtsextremismus und die damit verbundenen Gefahren für unsere Demokratie. ({1}) - Ich komme gleich darauf zurück. Das Abwandern der Wähler zu den Extremen, mehr nach rechts als nach links, hat natürlich viele Gründe. ({2}) Aber eines steht fest: Zu einer Radikalisierung im Wahlverhalten kommt es, Herr Susset, wenn sich Bevölkerungsgruppen mit ihren existentiellen Problemen von der Regierung und von der Politik im Stich gelassen fühlen. Wenn das mit der Agrarpolitik so weitergeht - Sie hören das sicher draußen genauso wie ich bei vielen, vielen Veranstaltungen - , dann werden bald auch viele Bauern die Republikaner wählen, nicht - ich betone das ganz deutlich - weil sie Neonazis oder radikal sind, sondern weil sie einen Denkzettel verpassen wollen; so wird uns ja auch berichtet. ({3}) Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn bei der Agrardebatte 1990 festgestellt werden sollte, daß das Durchschnittseinkommen der Bauern wieder um einige Prozentpunkte gestiegen ist oder daß der Anteil der staatlichen Unterstützung am Gesamteinkommen wieder ein Stück größer geworden ist als 1989. Durchschnittszahlen, meine Damen und Herren, machen nicht die zufriedener, denen es wirtschaftlich schlecht geht, ({4}) und dazu gehören viele Bauern. Bei vielen Landwirten und hier besonders bei den jungen kommt aber erschwerend hinzu, daß sie nicht nur gegenwärtig wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, sondern daß sie in Ihrer Politik keine Zukunftsperspektiven sehen. ({5}) Deshalb kann die Antwort auf die Frage nach der Zukunft für die Landwirte nicht darin bestehen, daß wir Jahr für Jahr den Agrarbericht in der üblichen Weise diskutieren, darüber streiten, ob die Prozentzahlen stimmen oder nicht, und weiter versuchen, Löcher zu flicken, im übrigen aber darauf hoffen, daß die Zeit das Problem schon lösen wird. Mit der Zeit meine ich in diesem Fall die bereits vorprogrammierte Abwanderung von Hofnachfolgern und den dadurch zu erwartenden und gar nicht mehr zu verhindernden Strukturwandel. Diese Politik ist aus zwei Gründen gefährlich: Erstens wird sich dadurch die Unzufriedenheit unter den Landwirten mit all ihren eben schon erwähnten politischen Konsequenzen verstärken. Zweitens werden Sie es mit dieser Politik nicht schaffen, in unserem Land eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft zu erhalten. Einig sind wir uns wohl alle - ich hoffe es zumindest -, daß unser Land eine eigene wettbewerbsfähige bäuerliche Landwirtschaft braucht: aus Gründen der Ernährungssicherung und um die uns vertraute und anvertraute deutsche Kulturlandschaft, die ja auch uns ans Herz gewachsen ist, zu erhalten. ({6}) Wer sonst soll es denn tun? Dieser Konsens, der sich im Deutschen Bundestag 1955 bei der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes gezeigt hat und der, wie ich hoffe, zumindest im Grundsätzlichen noch besteht, sollte Anlaß sein, einmal über den agrarparteipolitischen Schatten zu springen. Ich könnte es mir wie Sie, Herr Kollege Kalb, leichtmachen und dem Kollegen Kiechle nachweisen, was er nach unserer Auffassung alles versäumt und falsch gemacht hat. Aber ich weiß, daß auch dann, wenn wir Sozialdemokraten von jetzt an regieren müßten, die Schwierigkeiten nicht geringer und Patentlösungen nicht zu erwarten wären. Denn der größte Fehler dieser Regierung - der nicht wiedergutzumachen ist - war es, daß sie zu lang brauchte, bis sie einsah: So kann es nicht mehr weitergehen. Selbst als sie es einsah oder einsehen mußte - Stichworte: Überschüsse, Finanzierung - , hat diese Regierung eine Änderung der Agrarpolitik nur schleppend und halbherzig betrieben. Denken Sie an die Jahre 1983, 1984 und 1985! ({7}) Und das, Herr Kollege Eigen, kommt hinzu: Bei den Bauern wurde nicht nur jede für sie nachteilige Brüsseler Entscheidung beschönigt, sondern darüber hinaus immer wieder der Eindruck erweckt: Es kann ja alles so bleiben und so weitergehen wie bisher. Herr Minister, da nützen die Worte „Illusionen wekken" natürlich nichts. Diese Illusionen wecken Sie seit vielen Jahren bei vielen Landwirten mit dem Hinweis: Es wird schon so weitergehen. ({8}) Mit jedem Jahr aber, das man vergab, wurde die Situation für die Landwirte schlechter und die Folgen für die Betroffenen härter. Angesichts dieser Voraussetzungen ist es nicht leicht, jetzt in Brüssel eine Agrarpolitik durchzusetzen, die die Wettbewerbsfähigkeit bäuerlicher Betriebe in unserem Land sichert und der bäuerlichen Jugend Zukunftsperspektiven aufzeigt. Das sehen wohl auch wir. Müller ({9}) Dieser Regierung muß man aber auch noch vorwerfen, daß sie in Brüssel nicht immer mit dem bestmöglichen Ergebnis für unsere Landwirte verhandelt hat, daß unsere Landwirte unnötige Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen - Fußnote: Grenzausgleich - und daß sie unsere Landwirte nicht in ausreichendem Maß über absehbare und unausweichlich auf sie zukommende Entwicklungen aufklärt; Hinweis: Getreide und auch Quoten bei Milch. Wie soll es weitergehen? Das hat zur Folge, daß sich bei den Bauern das Gefühl verstärkt, sie würden langsam, aber sicher auf dem Altar der Europäischen Gemeinschaft und der Industrieexporte geopfert. ({10}) An dieser Situation wird sich auch dann nichts ändern, wenn das laufende Wirtschaftsjahr wieder einen kleinen Zuwachs in bestimmten Produktionszweigen bringen sollte, der Trend in Brüssel aber weiter auf starke Preissenkungen ausgerichtet bleibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat auch keinen Sinn, ja, ich möchte betonen, es ist geradezu gefährlich, die Schuld für alle nachteiligen Entwicklungen ständig der EG-Kommission in die Schuhe schieben zu wollen. ({11}) Das führt nur zur Europa-Verdrossenheit und wirft bei unseren Landwirten die Frage auf, ob denn diese Bundesregierung nur eine nachgeordnete Dienststelle der EG-Kommission ist, die sich dem Brüsseler Diktat zu beugen hat. Ich weiß, wie kompliziert das alles ist, Herr Kollege Susset. Aber dieser Eindruck wird erweckt, wenn man aus Brüssel zurückkommt. Da heißt es doch immer: Wir hätten ja, aber wir konnten nicht. ({12}) Ich weiß, daß die Brüsseler Entscheidungen das Ergebnis schwieriger, langer und oft auch sehr zäher Verhandlungen sind. Aber wir alle hier im Deutschen Bundestag werden von den deutschen Landwirten für das verantwortlich gemacht, was in Brüssel geschieht oder nicht geschieht, und das, wie ich finde, auch völlig zu Recht. Wir müssen den jetzigen Trend in der Agrarpolitik mit seinen Auswirkungen bis zur Staatsverdrossenheit und Resignation verändern. Das ist schwierig. Es ist mit Sicherheit nicht dadurch zu erreichen, daß man irgendwo noch ein paar Mark für die deutsche Landwirtschaft locker macht, um dieses Geld mit der Gießkanne zu verteilen. Wir haben hervorragend ausgebildete junge Landwirte, die, was ihre Qualifikation betrifft, im europäischen Wettbewerb durchaus bestehen können. Was denen fehlt, ist das Vertrauen in die Politik. ({13}) Die Politik muß es diesen Betriebsleitern ermöglichen, ihre Chance zu nutzen. Auf der anderen Seite dürfen wir die Betriebe nicht im Stich lassen, die, aus welchen Gründen auch immer, auf Dauer keine Zukunft in der Landwirtschaft sehen, sei es wegen nicht ausreichender Kapazität des Betriebs, sei es auf Grund des Alters des Betriebsleiters, sei es, weil kein Hofnachfolger da ist. Gerade diese Betriebe sind auf die Hilfe des Staates angewiesen. Entweder muß der Staat ihnen den weiteren Verbleib in der Landwirtschaft ermöglichen - das geht aber nur losgelöst von den Gesetzen des Marktes, z. B. als Beitrag zur Erhaltung unserer Kulturlandschaft - oder der Staat hat die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß diese Betriebsleiter und ihre Familien ohne soziale Härten den Ausstieg aus der Landwirtschaft finden. Ein Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist die Schaffung genügend vieler außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Das aber kann die Landwirtschaft allein nicht leisten. Dazu wäre ein arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept notwendig. Dazu scheint jedoch diese Regierung nicht fähig zu sein - Stichwort: Ordnungspolitik. Herr Minister, Ihr Hinweis auf den Solidaritätsbeitrag ist da auch nicht gerade sehr hilfreich. Ich brauche nur an den Wohnungsbau der letzten Jahre zu denken. Wenn es uns aber nicht gelingt, EG-weit konkurrenzfähige landwirtschaftliche Betriebe zu erhalten oder zu schaffen, den Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft sozial abzufedern und den ländlichen Raum als attraktiven, lebenswerten Kulturraum zu erhalten, werden die Landwirte und die Bevölkerung im ländlichen Raum uns noch im größeren Maße, als dies leider schon jetzt der Fall ist, ihr Vertrauen entziehen und sich zu unser aller Schaden radikalen Parteien und politischen Strömungen zuwenden. Die Hinweise hören wir. Ich denke, wir sind uns einig, daß es dies zu verhindern gilt. Ich weiß: Ländlicher Raum ist nicht nur ein Agrarproblem, auch nicht nur ein Parteienproblem, sondern auch ein Stadt-Land-Problem. Auch die Städte und Ballungsgebiete müssen ein Interesse daran haben, den ländlichen Raum als ihr Naherholungsgebiet intakt zu erhalten. Darum sollte der Naturschutz in die Gemeinschaftsaufgabe übernommen werden. Die Abgeordneten aller Parteien sollten sich an einer Grundsatzdebatte über die künftige Ausrichtung der deutschen Agrarpolitik beteiligen. Ich sage ausdrücklich: der deutschen Agrarpolitik. Denn wir vertreten hier deutsche Interessen. Wir können uns die Verantwortung für die deutsche Landwirtschaft nicht von der Kommission oder von sonst jemandem abnehmen lassen. Wir können diese Verantwortung aber auch nicht wegschieben und/oder der Kommission aufbürden. Das hat mit Europafeindlichkeit überhaupt nichts zu tun, im Gegenteil. Bei der Schaffung eines gemeinsamen Europas haben wir dafür zu sorgen, daß die Entwicklung hin zu diesem Europa allen Schichten unseres Landes nutzt, nicht nur der Großindustrie, so wichtig deren steigende Exportchancen und die damit verbundenen Gewinne für unseren Haushalt auch sein mögen. Vor mehr als 30 Jahren sind auf der Konferenz von Stresa wichtige Daten für eine Agrarpolitik erarbeitet worden, die fast drei Jahrzehnte lang eine tragfähige Grundlage für eine gemeinsame Agrarpolitik gebildet haben. Die Entwicklung hat vieles überholt. Aber ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Müller ({14}) gegenwärtigen Situation wäre es angebracht, zumindest ein deutsches Stresa mit allen Betroffenen, besser sogar noch ein neues Stresa auf EG-Ebene anzustreben. Die Chancen dafür scheinen mir nicht schlecht zu sein, denn es mehren sich auch in anderen EG-Ländern die Zeichen, daß eine Fortführung der bisherigen Agrarpolitik auf Widerstand stößt, weil sie auch in diesen Ländern die bäuerlichen Strukturen in Gefahr bringt. Aber die europäischen Mühlen mahlen bekanntlich langsam. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir die Talfahrt der deutschen Landwirtschaft noch rechtzeitig stoppen wollen. Ich weiß, daß die Bundestagswahl des nächsten Jahres ein Hindernis für eine solche konzertierte Aktion auf nationaler Ebene darstellt, denn eine solche Zusammenarbeit läßt sich im Wahlkampf parteipolitisch natürlich schlecht vermarkten; jeder kennt das. Sie würde aber - davon bin ich fest überzeugt - unserer Demokratie nützen. Die Menschen würden erkennen, daß es uns nicht allein um Parteipolitik geht, sondern um eine Politik, die die Interessen unserer Bürger, in diesem Fall der Bauern, an die erste Stelle setzt. Ich bedanke mich. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Freiherr von Heereman. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Flinner, Sie verstehen vieles nicht. Aus diesem Grunde sollten wir das hier nicht zu sehr vertiefen. Ich möchte hier feststellen, daß die Gedanken, die Kollege Müller vorgetragen hat, eine nationale konzertiere Aktion in Sachen Agrarpolitik zu fahren, dies aber auch auf europäischer Ebene zu tun und eine Art Stresa wieder einmal in Gang zu setzen, sicherlich gut sind. Ich bin auch der Überzeugung, daß Wahlzeiten dabei nicht unbedingt hinderlich sein müssen. Man kann trotzdem reden und sprechen. Insofern sollte man das, was bisher schon in vielen Bereichen läuft, fortsetzen. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe hier ganz große Probleme. Wenn ich die Welten sehe, die zwischen den Ausführungen des Kollegen Oostergetelo und den Ausführungen der Frau Kollegin Adler liegen, dann weiß ich gar nicht, wie man und wo man dann zu Konsensen kommen soll. Ich meine, daß wir - das geht quer durch - dann erst einmal feststellen müßten, wo denn dann die zuverlässigen Partner sind und wo man etwas bewegen kann. Ich glaube, man macht es sich dann viel zu leicht. Auf der einen Seite gibt es Zusammenarbeit, auf der anderen Seite Vorschläge, die nicht akzeptabel sind. Herr Kollege Sielaff, man muß von den Dingen auch ein bißchen Sach- und Fachverstand haben. Wenn Sie sagen, wir hätten Marktanteile bei Zucker verloren, dann kennen Sie den Inhalt des AKP-Abkommens, das in Lomé geschlossen worden ist, nicht, mit dem wir, um den AKP-Staaten bewußt zu helfen, vermehrte Importe von Rohrzucker in die EG herbeigeführt haben. ({0}) - Ich weiß wohl, daß Sie es trifft, wenn man Ihnen bescheinigt, daß Sie über etwas reden, über das Sie sich vorher nicht richtig informiert haben. Als der Kollege Susset sprach, kam ein Zwischenruf des Kollegen Roth: „Ihr haltet es nur mit Baronen! " So sollte man nicht sofort anfangen. Ich will gar nicht auf sämtliche hochedlen Männer eingehen, die bei euch angesiedelt sind, ob das z. B. von Friedeburg, ob das von Oertzen oder der mit der Hafenstraße untergegangene Herr von Dohnanyi ist. Ich würde hier doch einmal ein bißchen zurückhaltender sein. Damit bin ich bei einem Punkt, der Sie trifft, ({1}) der auch die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN trifft. ({2}) Wenn Sie glauben, daß es überhaupt notwendig und angebracht ist, über Klassenkampf und Auseinanderdividieren Agrarpolitik und Politik für die Mehrheit der Bauern und ihrer Familien zu machen, dann sind Sie nämlich auf dem falschen Dampfer; dieses bringt uns nicht weiter. ({3}) - Frau Flinner, sagen Sie Ihrer Kollegin, daß Sie Ihnen mal den Puls fühlt. ({4}) 0,4 % aller Betriebe haben über 100 ha, ({5}) 4,5 % über 50 ha. Die Mehrzahl sind klein- und mittelbäuerliche Betriebe. Das ist doch etwas, was uns nicht auseinanderdividieren sollte, sondern zusammenbringen muß. Darum begrüße ich den sehr nüchternen Agrarbericht. Ich begrüße auch die sehr nüchterne und realistische Darstellung, die der Bundesminister Kiechle hier heute morgen vor dem Parlament gegeben hat. ({6}) Hier ist eben nichts beschönigt worden. Ich begrüße sehr, daß nichts beschönigt worden ist. Ich begrüße auch Ihr Zitat, lieber Kollege Oostergetelo, das Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen gebracht haben. Sie haben das so umgedreht, als wenn ich das auf den Minister gemünzt hätte. Ich habe die Kommission kritisiert, daß sie nach wie vor glaubt, über Preissenkungspolitik die Dinge voranbringen zu können. Das ist falsch. Mit Preissenkungen bringt man keine Märkte in Ordnung. ({7}) Sie kritisieren alle die Flächenstillegung, nur, Sie haben ja keine Alternativen gebracht. ({8}) Sie machen doch den Bauern etwas vor. Frau Flinner, Sie reden doch denen etwas ein, was weltfremd ist. ({9}) Sie muten den Bauern zu, weiter mit 12 000, 15 000, 18 000 Mark Familieneinkommen zu leben, und sagen: Macht mal weiter, wir helfen euch schon. ({10}) - Verehrter Herr Kreuzeder, Sie sagen in dem Ton der Überzeugung: Die wählen uns schon! Wer die moralische, sittliche Einstellung Ihrer Partei kennt, ({11}) der kann doch nicht, wo Abtreibung und Terroristenverherrlichung zu Hause ist, ({12}) dann auch noch Sie wählen; das glauben Sie doch wohl einfach nicht. ({13}) Dann reden Sie von Bodenverseuchung. Was ist denn das? 240 kg N! Was nimmt denn die Pflanze auf? Sie reißen die Dinge doch total aus dem Zusammenhang. ({14}) Sie bringen doch allen Menschen bei, daß die Bauern nur vergiften: Bauer, Bäuerin - Frau Flinner, Sie haben das dargestellt -, ({15}) kein Unterschied! Aber wenn den Bauern dauernd gesagt wird, daß sie nur die Umwelt vergiften, daß alles das, was sie tun, schlecht ist, daß sie Tiere quälen, dann bringen Sie den Menschen im nichtlandwirtschaftlichen Bereich etwas bei, was nicht stimmt, dann gaukeln Sie denen etwas vor. ({16}) Die Bauern sind fleißig, sie verstehen ihr Handwerk, sie verseuchen nicht die Umwelt. - Aber Sie machen noch ein Geschäft mit unseren Landwirten. ({17}) - Daß Sie das trifft, das weiß ich. Das muß Sie auch einmal treffen; denn es muß hier doch einmal zur Sache gekommen werden. Was haben denn die Bauern, die vor den Fernsehapparaten sitzen und sich das hier angehört haben, ({18}) von Ihnen mitgeteilt bekommen? Überhaupt nichts! ({19}) Wir sagen - und damit bin ich wieder bei der Flächenstillegung - : Warum dieses denn nicht durchziehen? Es muß obligatorisch sein in der Europäischen Gemeinschaft. Solange aber - und das sage ich sehr deutlich auch an die Bundesregierung - die Flächenstillegung nicht in allen übrigen EG-Ländern läuft, kann es nicht weiter angehen, eine Mitverantwortungsabgabe von 3 % zu erheben, da die Dinge des Gipfels vom Februar 1988 nicht erfüllt worden sind. ({20}) Bei den Substituten ist nichts passiert. Bei der Getreidebeimischung haben wir noch nichts erreicht. Das sind doch die Punkte, die ebenfalls mit in dem Kompromiß enthalten waren. Hier muß also eine Änderung kommen; denn die wirtschaftliche Situation erfordert das. Herr Bundesminister, Sie haben sie deutlich dargestellt. Sie haben aber auch gesagt, was gemacht worden ist, daß gerade bei den Betrieben, bei denen Sie von der Opposition es immer so hinstellen, als werde für sie nichts getan, 37 % des Einkommens aus Einkommensübertragungen und Entlastungen stammt. Das hat doch wohl diese Bundesregierung gemacht. Sie hat gerade für diese Bereiche gesorgt, so daß sie - im Verhältnis gerechnet - ein besseres Einkommen als Vollerwerbsbetriebe haben, die zum Teil diese Hilfe nicht bekommen haben - auch weil sie nicht in benachteiligten Gebieten sind usw. Man muß hier die Situation einmal wirklich so darstellen, wie sie ist, ({21}) und nicht alles kritisieren und keine Alternativen vorstellen. Sie erwecken mit - wenn Sie so wollen - Umwelt-Diskussionen dann noch den Eindruck, als wenn unsere Bauern alles vergifteten. ({22}) Wir sind es leid, daß wir immer neue Auflagen bekommen, derweil sich die anderen ins Fäustchen lachen, weil sie nicht mitzumachen brauchen. Lassen Sie uns doch mehr gemeinsam versuchen, ({23}) die Dinge europäisch durchzusetzen und nicht einseifig anzupacken, wie das zum Teil sogar mit Ihrer Unterstützung und auch in den Bundesländern, wo Sozialdemokraten das Sagen haben, geschieht. Ich kenne eines; da ist sicherlich das eine oder andere gut gelaufen. Nur, wenn man generell sagt: Wir lehnen ab, was die Bundesregierung macht, und auch noch Sand ins Getriebe wirft und hinterher die Bundesregierung kritisiert, daß die Novelle zum Naturschutzgesetz nicht gelaufen ist, halte ich das doch für - „scheinheilig" ist ein falscher Ausdruck; ich habe viel zuviel Verehrung für die Einstellung der Kolleginnen und Kollegen, um hier das Wort „Scheinheiligkeit" reinzubringen - nicht ganz offen. ({24}) - „Pharisäerisch" könnte es eher sein. Meine Damen und Herren, wir müssen uns vermehrt dafür einsetzen, daß die Kommission diese Politik nicht weitermacht. Die Bundesregierung und der Minister Kiechle haben in den letzten Beratungen erreicht, daß es bei Milch Verbesserungen gegeben hat. Was im Allgäu bei der Milch gut ist, Herr Kollege Oostergetelo, ist für alle Betriebe in der Bundesrepublik gut, wenn ich an die Strukturen denke. Jetzt müssen wir darangehen, die Preissenkungsphilosophie der Kommission endlich zu beenden und den Weg einer Änderung der Agrarpolitik zum Wohle aller fortzusetzen, ohne Unterschiede, ({25}) ohne daß man den einen oder anderen glaubt diffamieren zu müssen. ({26}) Herzlichen Dank. ({27})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4063. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/2159 anzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2138 abzulehnen. - Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - DIE GRÜNEN enthalten sich der Stimme. Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 weiter, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2164 abzulehnen. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der GRÜNEN ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt. Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2189 abzulehnen. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 b. Der Ältestenrat schlägt vor, den Agrarbericht 1989 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4487, 11/4505 und 11/4517 sollen an dieselben Ausschüsse wie der Agrarbericht überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so beschlossen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4234. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2453 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist gegen die Stimmen der GRÜNEN ohne Stimmenthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4013 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4245 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmige Annahme. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf 11/4061 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmige Annahme. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4401 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/1137? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Bei Gegenstimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 4 j und zu Zusatztagesordnungspunkt 3. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP sowie den der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4211 und 11/4468 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keine gegenteilige Meinung; es ist so beschlossen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4501 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/913 abzulehnen. Wer ist für Ablehnung dieses Antrages? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Vizepräsident Stücklen Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Geschäftswertes bei land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben - Drucksache 11/2343 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 11/4394 Berichterstatter: Abgeordnete Eylmann Schütz ({2}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Redezeit von 30 Minuten vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für dieses Gesetz hat die Landwirtschaft lange gekämpft, wie es die Art der Bauern ist, hartnäckig und nachdrücklich, zuweilen auch lautstark. Ihr Einsatz war schließlich so überzeugend, daß heute dem Gesetz eine breite, wenn nicht sogar einhellige Zustimmung sicher ist. Als man 1968 den § 19 der Kostenordnung, welcher der Stein des Anstoßes ist, änderte, wollte man ein gutes Werk tun. Grundsätzlich sollte bei Grundstücksgeschäften der Einheitswert den Geschäftswert bestimmen, wenn sich nicht aus anderen Anhaltspunkten etwas anderes ergäbe; dann sollte der Verkehrswert gelten. Mit dieser unklaren Fassung des Gesetzes begann das ganze Unglück. Die Neufassung des § 19 entwikkelte sich zu einem Eldorado für die Justiz, zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Richter. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen ist Legion. Die Kostensenate der Oberlandesgerichte entwickelten einen großen Ehrgeiz, immer neue Varianten zu entwickeln. Das Ergebnis war eine höchst unterschiedliche Rechtsprechung mit einem deutlichen Süd-NordGefälle, d. h., im Süden waren die Gebühren der Übergabeverträge wesentlich höher als im Norden. Der BGH konnte nicht für eine Vereinheitlichung sorgen, weil er nicht zuständig war. Daß dies auf die Dauer den betroffenen Landwirten, die von dieser Rechtsprechung besonders berührt waren, nicht mehr vermittelt werden konnte, war klar. Es mußte etwas geschehen. Wir lösen das Problem in der Weise, daß wir den vierfachen Einheitswert als Geschäftswert festschreiben. Gerade Kostenvorschriften müssen klar und eindeutig sein; eine solche Vorschrift ist jetzt klar und eindeutig. Wir meinen, daß das insgesamt eine vernünftige Regelung ist. Indem wir die Neuregelung auf die Übertragung landwirtschaftlicher Grundstücke beschränken, schaffen wir natürlich eine Sonderregelung für die Landwirtschaft. Sie wird begünstigt, weil der vierfache Einheitswert in der Regel sehr viel niedriger ist als der Verkehrswert. Diese Begünstigung der Landwirtschaft ist aber gewollt und gerechtfertigt. Abgesehen von der bedrängten Lage der Landwirtschaft, von der heute morgen schon die Rede war, ist zu berücksichtigen, daß die Landwirtschaft besonderen Produktionsbedingungen ausgesetzt ist und die Erhaltung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe eine wesentliche agrarpolitische Zielsetzung ist; sie kommt auch in mehreren Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Teil schon seit Jahrzehnten zum Ausdruck. Daß wir dieser Sondersituation der Landwirtschaft gegenüber der gewerblichen Wirtschaft auch im Kostenrecht Rechnung tragen, machen wir zum wiederholten Mal deutlich, daß sich die Landwirtschaft auf die Solidarität dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien verlassen kann. ({0}) Wir muten den Notaren im ländlichen Raum gewisse Gebührenschmälerungen zu, die sich aber in zumutbaren Grenzen halten. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin selbst Notar. ({1}) Vor allem schaffen wir, was meine Berufskollegen vielfach noch nicht registriert zu haben scheinen, einen Ausgleich dadurch, daß wir im Gesetzgebungsverfahren endlich das sogenannte Fiskusprivileg neu regeln. Ursprünglich war es so, daß die Notare bei Geschäften, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, für 20 % ihrer normalen Gebühren arbeiten mußten. Das war eine absolut unzumutbare Regelung, die das Bundesverfassungsgericht schon 1978 kassiert hat. Es hat damals entschieden, daß die Ermäßigung auf keinen Fall höher als 50 To sein dürfe. Im übrigen müsse der Gesetzgeber prüfen, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Höhe es aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei, den Notaren Einnahmeeinbußen zuzumuten. Elf Jahre nach dieser Entscheidung ist es endlich an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen. ({2}) Bisher waren es ja vor allem fiskalische Erwägungen der Finanzminister und der Kommunen, die eine Lösung erschwert haben. Das war ungerecht gegenüber den Notaren. Diese Verzögerungstaktik muß nun einmal ein Ende haben. Wir schaffen jetzt eine Stufenlösung. Bis zu einem Geschäftswert von 50 000 DM gibt es keine Ermäßigung. Das umfaßt beinahe 90 % der in Frage kommenden Geschäfte, z. B. die vielen kleinen Verträge über Straßenflächen. Ich hoffe zuversichtlich, daß auch die Bundesländer und Kommunen die jetzige Regelung befürworten und für gut befinden. Wer dort Bedenken haben sollte, der sollte noch einmal den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978 nachlesen. Danach ist eine Gebührenermäßigung nur gerechtfertigt, wenn die in der Regel ja geringe Ersparnis geeignet und erforderlich ist, um die Durchführung eines bestimmten Vorhabens - etwa eines Straßenbauvorhabens - zu ermöglichen oder spürbar zu fördern. Wenn man sieht, welchen minimalen Anteil in aller Regel die Beurkundungsgebühren an den Kosten die10572 ser Vorhaben ausmachen, kann man zweifeln, ob überhaupt jemals diese Voraussetzung erfüllt ist. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir schaffen mehr Rechtsklarheit, leisten einen Beitrag zur Entbürokratisierung, entlasten die Notare, entlasten aber auch die Landwirtschaft und die Gerichte. Das alles geschieht in einem großen Einvernehmen und mit ganz wenigen Paragraphen. Ach wäre die Gesetzgebung doch immer so schön und einfach! ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin fast geneigt zu sagen, Herr Eylmann: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern - an dieser Stelle. ({0}) Wir haben gemeinsam oder fast gemeinsam - ich weiß noch nicht, wie sich die GRÜNEN verhalten - die Novellierung der Kostenordnung an zwei wichtigen Stellen in den Ausschüssen vorberaten. Die letzte Änderung der Kostengesetze, meine Damen und Herren, erfolgte 1986. Dabei ist eine Diskussion entfacht worden, die leider nie zu Ende geführt worden ist; heute steht sie wieder an. Mein Kollege Hans de With hat schon damals - 1986 - die Anregung des Deutschen Bauernverbandes aufgegriffen und eine Änderung der Kostenordnung in § 19 Abs. 2 beantragt. Er wollte bei der Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks geregelt wissen, daß die Kostenbewertung höchstens nach dem Ertragswert und nicht nach dem Verkehrswert vorzunehmen sei. Leider ist die Mehrheit des Ausschusses diesem Antrag - bei allem Verständnis für das Anliegen des Deutschen Bauernverbandes, wie Sie damals gesagt haben - nicht gefolgt. Die Begründung der damaligen Ablehnung überzeugte nicht, weil die noch nicht erfolgte Anhörung der Notarkammer natürlich hätte nachgeholt werden können und man dies in das Verfahren hätte einbringen können. Wir befinden uns heute in der gleichen Situation; allerdings sind alle Betroffenen beteiligt worden, so daß nunmehr eine einverständliche Regelung getroffen wird. Man muß sagen: „Spät kommt Ihr - Doch Ihr kommt! " - Wir freuen uns jedenfalls, daß alle Fraktionen, deren Vertreter hier an dieser Stelle versammelt sind, zustimmen. ({1}) - „Der weite Weg, Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen." - Das war richtig, nicht? Die Regelung ist aus zwei Gründen nach wie vor notwendig: Erstens. Die Höhe der Notargebühren ist unausgewogen und teilweise übersetzt. Zudem hat sich - Herr Eylmann hat schon darauf hingewiesen - eine unterschiedliche Rechtsprechung entwickelt. Ich will bei der Darstellung der übersetzten Beträge nicht so weit gehen, wie der Kollege Seehofer in einer Anfrage, der einen Fall aus dem Raum München aufgegriffen hat. Danach waren bei einer Hofübergabe eines Betriebes von 24 ha Notarkosten von 25 000 DM angefallen, weil sich die Kosten am Verkehrswert orientiert hatten. Das war hoffentlich ein absoluter Einzelfall. Klar ist aber, daß der alte § 19 Abs. 2 Kostenordnung von Gerichten und Notaren sehr unterschiedlich ausgelegt wurde. Eine uns vorliegende Untersuchung nennt eine Schwankungsbreite der Gebührenbelastung im Bundesgebiet bis zum Zwölff achen der Kosten, je nach Berechnungsmethode. Dies hängt immer davon ab, in welchem Oberlandesgerichtsbezirk der jeweilige Hof liegt. Diese Ungereimtheiten sind seit langem bekannt. Sie waren einer der Gründe für unser damaliges Novellierungsbegehren Ende 1986. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber im übrigen schon Anfang 1986 aufgefordert, klarere Bewertungsmaßstäbe für derartige Hofübertragungen zu setzen. Zweitens. Neben diesem objektiven Grund für die Notwendigkeit einer Novellierung der Kostenordnung gibt es noch einen - zweiten - wichtigen Grund, die Hofübertragung schon zu Lebzeiten der Hofbesitzer nicht mit übermäßig hohen Gerichts- und Notarkosten zu belasten. Ich glaube, wir diskutieren die Änderung der Kostenordnung nicht ohne Grund im Anschluß an die Diskussion über den Agrarbericht der Bundesregierung. Die Einnahmesituation der Landwirte ist im Agrarbericht deutlich dargestellt worden. Bei einem Einkommensrückgang von 10,5 % im Durchschnitt je landwirtschaftlichem Unternehmen und einem Rückgang der Nettoinvestitionen von 30 % sind dem Agrarbericht zufolge immer weniger Hofnachfolger bereit, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Wenn das von uns artikulierte Interesse daran, daß vor allem die Vollerwerbsbetriebe in der Hofnachfolge weitergeführt werden sollen, nicht nur als leeres Gerede abgetan werden soll, dann müssen wir günstigere Rahmenbedingungen für die Hofnachfolger schaffen. ({2}) Eine dieser Bedingungen ist, den Hof rechtzeitig, schon zu Lebzeiten des Hofbesitzers, auf den oder die Hofnachfolger/in zu übertragen. Es darf dann aber eben nicht der Fall eintreten, daß der Hofinhaber wegen einer zu hohen Gebührenbelastung von einer rechtzeitigen Übertragung absieht. Wir haben in diesem Hause gemeinsam das Interesse, daß sich die Lebensbedingungen in den bäuerlichen Betrieben nicht allzusehr von denen der sie umgebenden anderen gewerblichen Betriebe unterscheiden. Ich will dies nicht im einzelnen ausführen; Sie haben das sicherlich bei der Diskussion des Agrarberichts getan. Ich will noch zwei Gesichtspunkte erwähnen, die auch hier in diesen Zusammenhang gehören. Es gibt keine Betriebsstruktur, in der die Arbeitnehmer mit über 65 Jahren noch die Hauptlast der Produktion tragen, und es gibt keinen vernünftigen Grund dagegen, den erwachsenen Kindern schon im angemessenen Alter die Betriebsführung zu übergeben, um so als Hofnachfolger auch rechtzeitig notwendige Investitionsentscheidungen treffen zu können. Die jetzt auf Initiative Baden-Württembergs im Bundesrat einstimmig gefundene Regelung, den Geschäftswert des Übertragungsgeschäftes bei der Hofübergabe an den vierfachen letzten Einheitswert zu knüpfen, nimmt unseren dargestellten ursprünglichen Gedanken und den des Bauernverbandes auf, die Kostenberechnung nicht am Verkehrswert eines Hofes zu orientieren, sondern am Ertragswert, wie wir es 1986 auch vorgeschlagen hatten. Der Ertragswert findet im Einheitswert des Hofes seinen Ausdruck. Weil dies so richtig ist, sind wir mit dem jetzigen Bundesratsvorschlag sehr einverstanden. Hiergegen, meine Damen und Herren, wird natürlich aus den Reihen der betroffenen Notare, die - Herr Eylmann hat es dargestellt - Gebühreneinbußen erfahren werden, eingewandt, daß es zu den tragenden Grundsätzen der Kostenordnung gehöre, die Gebühren an den wirklichen Wert anzuknüpfen. Dies ist grundsätzlich richtig. Wir müssen aber klar sagen, daß wir an dieser Stelle aus den gerade dargestellten Gründen eine gebührenrechtliche Sonderregelung haben wollen. Ich will die besondere Kostensituation bei der Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebes mit von der Bundesnotarkammer selbst vorgetragenen Zahlen verdeutlichen. Die Notarkammer gibt an einer Stelle den Verkehrswert eines Betriebes von etwa einer Million DM - genau waren es 977 000 DM - bekannt, der nur einen Einheitswert von etwa 20 000 DM - genau waren es 19 500 DM - aufweist. Der Betrieb wird nicht näher beschrieben. Diese Kostensituation wäre aber zum Beispiel bei einem landwirtschaftlichen Betrieb in Stadtnähe - wegen der hohen Grundstückskosten hat er auch einen hohen Verkehrswert -, dessen Ertragslage nicht so günstig ist - deshalb liegt der niedrige Einheitswert vor - , denkbar. Solange der Betriebsinhaber den Verkehrswert durch den Verkauf an einen Dritten nicht realisiert, sondern den Hof an den Hofnachfolger zur weiteren Bewirtschaftung überträgt, wäre eben die Anknüpfung an den Verkehrswert mit der daraus resultierenden hohen Gebührenbelastung für den Hofnachfolger unzumutbar. Auf Grund der besonderen Situation der Landwirtschaft mit den zahlreichen sich von der gewerblichen Wirtschaft unterscheidenden Eigenschaften ist die von uns vorgenommene Anknüpfung an den Ertrag des Betriebes, vermittelt über den Einheitswert, für die Kostenberechnung allein richtig. Die Sonderbehandlung ist also richtig. Ich muß Sie von dieser Position überhaupt nicht überzeugen. Das wissen Sie alle selber. Wir sind uns hier sehr einig. ({3}) - Alle, die hier sitzen. Wir können aber nicht ausschließen, daß einige Notare, insbesondere einige Landnotare - mit Ausnahme von Herrn Eylmann - Einbußen in der Gebühreneinnahme nicht hinnehmen wollen. Ich halte es in diesem Zusammenhang für richtig, daß wir gleichzeitig mit § 15 der Kostenordnung auch § 144 der Kostenordnung ändern. Diese Änderung des als verfassungswidrig verworfenen Absatzes 3 des § 144, die den alten Absatz 3 ersetzt, wird eine Gebührenmehreinnahme der Notare mit sich bringen. Eine Ermäßigung der Gebührensätze im Rahmen des § 144 findet nach unserer Vorstellung erst bei Geschäftswerten von über 50 000 DM statt. Im Rahmen der Häufigkeitsverteilung der Geschäfte, die exemplarisch für den Bund vorliegen, lagen 1987 87,5 % aller Geschäfte unterhalb dieser Ermäßigungsgrenze von 50 000 DM. Das heißt: Nur 12,5 % aller Gebühren werden nach diesen Zahlen überhaupt ermäßigt. Dies ist für die Notare im Vergleich zur jetzt geltenden Rechtslage eine sehr deutliche Verbesserung. Die Neufassung des § 144 ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, weil die Grenze der Zumutbarkeit bei diesem Eingriff in die Berufsausübung mehr als gewahrt ist; eigentlich müßte man sagen: bei diesem Nicht-Eingriff. Man kann zwar nicht von einer Kompensation der Kosten zwischen § 19 und § 144 sprechen, weil zum Teil unterschiedliche Gruppen der Notare betroffen werden; es wird aber hoffentlich deutlich - und da sind wir uns auch einig - , daß die Sorgen der Notare durch die Novellierung des § 144 auch bei uns eine angemessene Berücksichtigung finden. Deswegen sollten wir beides verabschieden. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Wesentliche zum Inhalt dieser Vorlage ist gesagt. Erfreulich ist auch die Feststellung, daß wir „ein einzig Volk von Brüdern" sein wollen. ({0}) - Sie haben aber, Herr Schütz, den folgenden Text übersehen - mag sein, daß Sie ihn im Hinterkopf hatten - : in keiner Not uns trennen und Gefahr. ({1}) Also: Wenn es ernst wird, dann hätten wir es gern auch so solidarisch. Hier bewegen wir uns ja auf einem Gebiet, auf dem der Fiskus sehr großzügig sein kann; denn er gibt der Landwirtschaft eine kleine Vergünstigung, oder, besser gesagt, er mindert ihre Nachteile zu Lasten Dritter. Das ist immer ein angenehmes Geschäft. In meiner Eigenschaft als Notar sage ich: Ich bin damit einverstanden. Dabei will ich keine falschen Eindrücke erwecken: Als Großstadtnotar bin ich zu meinem „Bedauern" von den hier in Rede stehenden Geschäften verhältnismäßig wenig betroffen, im Gegensatz zu Herrn Eylmann, der hier sein eigenes Opfer selber wirklich erfreulich darlegen konnte. Das Problem liegt eindeutig hier. Ich bin nicht der Meinung, daß man sagen muß: Es handelt sich um eine Ausnahme zugunsten der Landwirtschaft. Vielmehr liegt das Problem darin, daß die Sache bislang dogmatisch wohl nicht richtig behandelt worden ist. Kleinert ({2}) Es gibt eine solche Diskrepanz zwischen dem Geschäftswert als Verkehrswert und dem Ertragswert gerade in der Landwirtschaft wegen der enormen Unterschiede zwischen den Erträgen und den Werten, die in den seltenen Veräußerungsfällen erzielt werden können, daß daraus eine Belastung des Erbganges entsteht. Das läßt sich mit althergebrachten Grundsätzen, wie sie sich z. B. in der Höfeordnung und in anderen Gesetzen niederschlagen, überhaupt nicht in Einklang bringen. Das wird hier etwas in Ordnung gebracht. Herr Schütz, es ist nicht so, daß wir die verdienstvollen Anträge des Landes Baden-Württemberg einfach nur übernommen hätten. Vielmehr hat sich der Rechtsausschuß über die Freigiebigkeit des Fiskus seine eigenen Gedanken gemacht und ist dann auf den segensreichen Gedanken gekommen - insofern auch Gedanken des Verfassungsgerichts folgend -, einen gewissen Ausgleich da zu schaffen, wo der Fiskus wiederum betroffen wird. Dies bringt mich in diesem Zusammenhang auf den Gedanken, daß wir überhaupt nicht von einer Sonderregelung für die Landwirtschaft sprechen müssen. Dafür, daß sie gewollt wird, gibt es gute Gründe in dem, was hier den ganzen Vormittag diskutiert worden ist; das wird nicht verkannt. Aber deshalb muß man immer noch nicht von einer Sonderregelung sprechen. Vielmehr kann man sagen: Dies ist ein Einstieg in eine vernünftigere Betrachtungsweise verschiedener Wertgrenzen. Ich frage mich nämlich auch, wie es bei der Unternehmensübergabe ist. Die gleichen Probleme, die im landwirtschaftlichen Bereich auftauchen, tauchen natürlich auch im gewerblichen Bereich auf. Da müssen wir uns ebenfalls Gedanken machen. Auch da sind oft theoretische Werte vorhanden, die mit den Erträgen, die erwirtschaftet werden, den Erträgen, die dann durch solche Gebühren belastet werden, nur sehr wenig in Einklang stehen. Also lassen Sie uns doch die Sache, ohne der Landwirtschaft das Gefühl zu geben, wir hätten hier etwas ganz Besonderes gemacht - so gerne wir immer mit den Landwirten zusammenarbeiten - , etwas horizontaler betrachten und auch andere Bereiche ins Auge fassen. Ich möchte zum Schluß den Gedanken bringen, daß zwar das, was wir hier heute tun, wichtig ist und daß es schön ist, daß die Berufskollegen, jedenfalls in ihrer großen Zahl, es auch mittragen. Es bleibt aber immer noch der extreme Unterschied zwischen Notargebühren für Erbfolge und Erbschaftsteuern. Im Bereich der Erbschaftsteuern gibt es größenordnungsmäßig ganz andere Probleme, die im Landwirtschaftsbereich bisher schon besser gelöst sind als anderweitig, aber im Unternehmensbereich völlig ungelöst existieren. Wenn wir nun einmal darüber nachdenken, daß es ohne Belastung eines funktionierenden Betriebes und im Verhältnis zu seiner Ertragskraft möglich sein muß, ihn zu übergeben, dann gilt auch das wiederum nicht nur für den landwirtschaftlichen Bereich, sondern genauso für die gewerbliche Wirtschaft. Dann ergeben sich allerdings bei der Erbschaftsteuer Probleme, gegen die das, was wir heute hier zu besprechen haben, die berühmten Peanuts sind. Das alles sollte man nicht aus dem Auge verlieren, sondern man sollte immer schön gleichmäßig das Ganze betrachten. Den einen Teil haben wir heute hier, wie ich meine, einverständlich und vernünftig geregelt. Das entbindet uns nicht von der Pflicht, in anderen Bereichen entsprechend vernünftig weiterzudenken. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt der Vorlage steht die Entlastung der Landwirtschaft von übermäßigen Notariatsgebühren im Falle der Hofübergabe. Eine frühzeitige und geordnete Übergabe landwirtschaftlicher Betriebe liegt ja nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern in unser aller Interesse. Diese Übergabe hilft, die Leistungsfähigkeit der Betriebe zu erhalten und die kulturelle Identität der ländlichen Räume zu bewahren, die durch den von Generation zu Generation weitergegebenen bäuerlichen Grundbesitz geprägt wird. Grundlage für die bei einer Hofübergabe anfallenden Notariatsgebühren ist zur Zeit der Verkehrswert des landwirtschaftlichen Betriebs. Dieser Verkehrswert wird nicht selten von der außerlandwirtschaftlichen Nachfrage stark beeinflußt und führt zu einem Geschäftswert, der in keinem Verhältnis zum bäuerlichen Ertragswert steht. Es darf aber nicht dahin kommen, daß der Hofinhaber wegen einer zu hohen Gebührenbelastung von der rechtzeitigen Regelung der Hofübergabe absieht. Wenn die notwendige Kontinuität der Bewirtschaftung gesichert werden soll, muß sich die nachfolgende Generation beizeiten auf ihre künftige Aufgabe einstellen können. Unsere landwirtschaftlichen Betriebe kämpfen zum Teil mit so erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, daß wir ihnen hier keine zusätzlichen Belastungen zumuten dürfen. Meine Damen und Herren, der Entwurf begrenzt den Geschäftswert nicht nur; er ersetzt die unbestimmte Fassung des bisherigen Rechts auch durch eine eindeutige Regelung. Die Rechtsprechung zum gegenwärtigen § 19 Abs. 2 der Kostenordnung ist sehr unterschiedlich und hat in der Kostenpraxis zu großen regionalen Unterschieden geführt. Der Gesetzgeber ist aber verpflichtet, eine gleiche Behandlung gleicher Sachverhalte sicherzustellen. Es geht nicht an, daß die Kostenbelastungen bei Hofübergaben in den südlichen Bundesländern ganz erheblich höher liegen, als dies im Norden unserer Republik der Fall ist. Die Interessen der Notare sind bei der Ausgestaltung der neuen Gebührenregelung gebührend berücksichtigt worden. Auch in Zukunft werden die Notargebühren den Aufwand angemessen entgelten, der dem Notar entsteht und der insbesondere mit der Beurkundung eines Hofübergabevertrags verbunden ist. Ich bitte Sie, dieser Vorlage Ihre Zustimmung zu geben. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des Geschäftswertes bei land- und forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei fünf Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Entwurf in zweiter Lesung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Fünf Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 109 zu Petitionen - Drucksache 11/4384 - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 110 zu Petitionen - Drucksache 11/4385 - c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 111 zu Petitionen - Drucksache 11/4386 Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4502 bis 11/4504 sowie 11/4512 bis 11/4514 VOL Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird dafür eine Aussprache von 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss ({3}).

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den vorliegenden Petitionen geht es wieder einmal um die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Die Petenten haben sehr deutlich gemacht und sehr fundiert begründet, daß bei den vergangenen Genehmigungsverfahren einiges nicht in Ordnung war. Wir können inzwischen an Hand des Wortprotokolls des Erörterungstermins zur Wiederaufarbeitungsanlage vom August letzten Jahres eindeutig feststellen, daß zahlreiche Punkte nicht behandelt sind und daß das, was uns der Bundesumweltminister in der Stellungnahme an den Petitionsausschuß übermittelt hat, schlicht und einfach nicht stimmt. Ich kann Ihnen auf Anhieb zehn Stellen in dem Protokoll zeigen, wo gesagt wurde: Das wird später noch behandelt. Entgegen den Zusagen wurde dann die Erörterung aber einfach abgebrochen und beendet. Ich meine, das ist symptomatisch dafür, daß es offensichtlich, wenn es um die WAA geht, schon längst nicht mehr nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zugeht. Da ist eine Erörterung eben nicht erst dann abgeschlossen, wenn alle Themen besprochen sind, sondern schon dann, wenn die Staatsregierung in Bayern genug hat. Der Bundesumweltminister, der hier eigentlich als Bundesaufsichtsbehörde tätig werden müßte, duldet dieses Verfahren wissentlich. Ich denke schon, daß das zumindest mit den üblichen Verfahren, wie sie sonst ablaufen, nichts mehr gemein hat. ({0}) Hier geht es offensichtlich darum, eine WAA durchzuschleusen, eine WAA genehmigungsfähig zu machen, die sonst nicht genehmigungsfähig ist. Hier geht es darum, Blamagen für die DWK, Betreiber und andere zu verhindern, die sich auf dem Erörterungstermin der Angriffe der Einwender nicht mit Argumenten erwehren konnten und deshalb von seiten der Versammlungsleitung offensichtlich mit Rückendekkung des Bundesumweltministeriums geschützt werden mußten. Die Petenten monieren ein Zweites. Sie monieren, daß der TÜV Bayern offensichtlich vor dem ersten Erörterungstermin rechtswidrige Absprachen zu Lasten der Petenten getroffen hat. Das heißt, es gab „goldene Regeln" - wo es hieß: den anderen Gutachtern nicht widersprechen, auch wenn sie falsche Aussagen gemacht haben - und andere Dinge, die einfach eindeutig zum Nachteil der Petenten, zum Nachteil der Einwender gereichten. Auch das ist mit einem rechtsstaatlichen Verfahren eigentlich nicht vereinbar. ({1}) Was tut die Bundesregierung in diesem Fall? Sie sagt: Das, was vorliegt, ist ja nur ein Protokollentwurf, der nicht unterschrieben ist; von daher hat das offiziell gar nicht stattgefunden. Das ist doch absoluter Blödsinn! ({2}) Es kommt doch nicht darauf an, ob jemand, der sich völlig falsch verhalten hat, der im Genehmigungsverfahren die Rechte der Einwenderinnen und Einwender mit Füßen tritt, das dann noch schriftlich, mit seiner Unterschrift, bestätigt und sagt: Wir haben uns so verhalten. Wenn ein solcher Entwurf gefertigt worden ist, hätte doch eigentlich das Bundesumweltministerium als Aufsichtsbehörde einschreiten und sagen müssen: Jetzt wollen wir aber wissen, was los war. Es kommt nicht darauf an, ob das Protokoll unterschrieben ist, ob es als Protokollentwurf gekennzeichnet ist, sondern darauf, ob solche Absprachen stattgefunden haben. Da hat das Bundesumweltministerium, da hat Weiss ({3}) Herr Töpfer bis heute seine Aufsichtspflicht völlig vernachlässigt. Hier müssen Maßnahmen der Bundesaufsicht eingreifen, denn was da in Bayern abläuft, hat mit einem normalen, üblichen Genehmigungsverfahren nichts mehr gemein. ({4}) Aber es geht wohl auch darum, daß die Petenten fordern, daß die weiteren Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt werden und daß die Bauarbeiten eingstellt werden. Man muß sich einmal überlegen: Der Sofortvollzug wurde von seiten der Bayerischen Staatsregierung damit begründet, daß es dringend geboten sei, zügig eine Wiederaufarbeitungsanlage zu verwirklichen, weil es keine Alternativen gebe. Wir wissen eigentlich seit gut einem Monat, daß zumindest auch die Bundesregierung inzwischen eine Alternative sieht, daß es ein ganz anderes Angebot eines Energieversorgungsunternehmens gibt, es irgendwo anders zu machen. Ich will jetzt nicht dafür plädieren, die Wiederaufarbeitung nach Frankreich zu verlagern, aber ich möchte schon klar sagen: Damit sind die Voraussetzungen entfallen, die damals seitens des Bayerischen Umweltministeriums zur Begründung des Sofortvollzugs herangezogen worden sind. ({5}) Es müßte eigentlich, wenn es irgendwo nach vernünftigen Grundsätzen zugeht, gesagt werden: Wenn die Voraussetzungen entfallen sind, muß auch der Sofortvollzug aufgehoben werden, d. h. der Baustopp verhängt werden. ({6}) Und wenn die Bayern das nicht von sich aus tun, dann muß der Bundesumweltminister das einfordern und seiner Aufsichtspflicht im Rahmen des Art. 85 des Grundgesetzes nachkommen. ({7}) Das hat er bis heute nicht getan. Das ist schon wieder ein Umstand, von dem man eigentlich nur sagen kann: Hier geht es nicht um die Sicherheit der Atomtechnik, sondern hier geht es schlicht und einfach darum, zu schauen, daß das Ding irgendwie gebaut werden kann. ({8}) Das kann ich einfach nicht akzeptieren! Vielmehr müssen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden, und das heißt: Baustopp jetzt und sofort! Es ist auch den Bürgerinnen und Bürgern in der Oberpfalz nicht weiter zuzumuten, diese Diskussionen ständig mitzuerleben. Es muß jetzt Klarheit geschaffen werden. Und man kann eigentlich nicht verantworten, daß jetzt tagtäglich weitere Gelder, weitere Millionen verbaut werden. Das heißt: Das muß jetzt entschieden werden, und bis dahin ist ein Baustopp zu verhängen. Danke. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Bei diesen Petitionen geht es um zwei grundsätzliche Anliegen - Fortsetzung des Erörterungstermins im Genehmigungsverfahren und Baustopp aus rechtlichen Gründen - , die nichts mit der aktuellen Diskussion um Wackersdorf und der Frage zu tun haben, ob Wiederaufarbeitung bei uns oder nur in einer europäischen Anlage stattfinden soll. Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Diskussion um Wackersdorf mutet die Forderung eines Vertreters der GRÜNEN, der Petenten, der Oppositionsfraktionen nach Fortsetzung des Erörterungstermins im Genehmigungsverfahren natürlich etwas seltsam an. ({0}) Während die beteiligten Unternehmen darüber nachdenken, dieses Projekt in Wackersdorf fallenzulassen, fordern Sie immerhin die Fortsetzung des Erörterungstermins; das ist eine interessante Variante. Und Sie fordern dies - ({1}) - Aber nun beruhigen Sie sich doch! Sie sollten erst einmal klären, wie Ihre Haltung zu dieser aktuellen Frage ist. Ich höre da immer - sowohl im Ausschuß als auch öffentlich - zwei völlig gegensätzliche Standpunkte: Die einen, z. B. Ihr Sprecher im Umweltausschuß, sagen, im Grundsatz seien sie für das Angebot der VEBA, Herr Farthmann in Nordrhein-Westfalen begrüßt das Angebot der VEBA, ({2}) und Herr Vogel erklärt gleichzeitig, daß er das vom Grundsatz her ablehne. Also, Sie müssen das erst einmal für sich klären, bevor Sie hier in dieser Diskussion lauthals das Wort ergreifen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Meine Damen und Herren, ich mache nur darauf aufmerksam, die Zeiteinteilung, die wir immer so einmütig beschließen, wird regelmäßig dann über den Haufen geworfen, wenn wir zu viele Zwischenfragen haben. ({0}) Vizepräsident Stücklen - Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen. Von Eintritt in die Mittagspause um 13 Uhr kann keine Rede sein. ({1}) Wir werden ungefähr um 13.45 Uhr in die Pause eintreten, und um 14 Uhr geht es wieder weiter. - Bitte sehr.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Göhner, sind Sie denn bereit, uns bei der Willensbildung zu helfen?

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sicher!

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie an unserem Verhalten ständig Kritik üben, frage ich Sie: Sind Sie der Meinung, daß Wackersdorf weitergebaut werden soll, oder sind Sie der Meinung, daß die Bauarbeiten dort eingestellt werden sollten?

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich helfe Ihnen gerne, Herr Kollege Reuter. Doch die Grundsatzfrage, die vorweg entschieden werden muß, ist die, ob man eine Wiederaufarbeitung überhaupt will. In dieser Frage muß man Klärung haben, bevor man fragt, ob Wiederaufarbeitung bei uns, in Frankreich oder an beiden Standorten stattfinden soll. ({0}) Zu dieser Grundsatzfrage sage ich Ihnen: Wir sind für Recycling von Abfällen. Und gerade bei einem besonders problematischen Abfallstoff, nämlich bei hochradioaktiven Abfällen, sagen Sie nein zum Recycling? Angesichts dieser Ausgangslage ist die zweite Frage, ob diese sinnvolle - ({1}) - Also, ich höre in der Abfalldiskussion ständig, daß Sie für Wiederaufarbeitung sind. Nur bei einem Stoff, der besonders problematisch ist, ({2}) dessen hohe Radioaktivität und dessen Menge man durch Wiederaufarbeitung vermindern kann, sind Sie plötzlich dagegen, jedenfalls teilweise, was die SPD anlangt. Deshalb appelliere ich an Sie, daß Sie diese Frage unter sich klären. Die Frage, an welchem Standort dies geschieht, ist eine äußerst schwierige Frage der europäischen Zusammenarbeit, die in Ruhe geklärt werden muß - wir tun das - , ist aber von der Frage, die hier zur Debatte steht, völlig zu trennen. Da geht es um die Frage des Erörterungstermins. Das ist 23 Tage lang erörtert worden, und hier gibt es ein Mißverständnis. Die Petenten und die Oppositionsfraktionen meinen offenbar, daß der Erörterungstermin dazu da sei, alle Einwendungen zu diskutieren. Deshalb ist die Bayerische Staatsregierung in diesem Verfahren ja auch immer wieder dazu gedrängt worden, zu Fragen Stellung zu nehmen und zu entscheiden. Das ist aber nicht die Aufgabe des Erörterungstermins, ({3}) sondern der weiteren Schritte des Genehmigungsverfahrens. Das heißt, dort sind die Einwendungen zu sammeln und zur Kenntnis zu nehmen. ({4}) Zu prüfen sind sie in den anschließenden Genehmigungsschritten. ({5}) Sie verwechseln einen solchen Erörterungstermin einfach mit der Möglichkeit, dort unbegrenzt reden zu können. Das können Sie nicht einmal hier, erst recht nicht in einem solchen Erörterungstermin. Was jetzt den Baustopp angeht, den Sie gerne hätten: ({6}) Wissen Sie, wenn wir jetzt einen Baustopp verfügen würden, dann würden wir der Energiewirtschaft auch noch den Gefallen tun, daß wir uns dafür entschädigungspflichtig machen würden. ({7}) - Ja, das ist der nackte Tatbestand. Die Verhängung eines Baustopps zum jetzigen Zeitpunkt wäre rechtswidrig, ({8}) und Sie fordern hiermit die Bundesregierung zu einem rechtswidrigen Tun auf. Wir weisen das zurück. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe zunächst davon aus, daß Herr Dr. Göhner in der Lage ist, bei den drei vorliegenden Petitionen zu erkennen, daß es nicht vordergründig nur darum geht, den Erörterungstermin neu aufzurollen, sondern daß die Zielsetzung aller drei Petitionen gleich ist, nämlich: keine Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Die Instrumente, die hier beantragt werden, z. B. die Fortsetzung des Erörterungstermins oder auch ein zusätzliches Gutachten oder ein vorläufiger Stopp der Bauarbeiten, sind natürlich unterschiedlich. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen. Das heißt doch im Klartext, daß der Petitionsaus10578 schuß den Problemen, die hier zu diskutieren sind, nicht gerecht geworden ist. ({1}) Nach der Mehrheitsmeinung im Ausschuß sei ein Eingriff im Rahmen der atomrechtlichen Bundesaufsicht nicht erforderlich. Meine Damen und Herren, gerade das Gegenteil ist doch hier richtig! ({2}) Denn der Abbruch des Erörterungstermins zeigt doch sehr deutlich, daß ganze Bereiche der Einwände nicht zur Sprache gekommen sind, wie der Kollege Weiss ja ausgeführt hat. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Bundesregierung hier handeln muß, und wir empfehlen daher, die vorliegende Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. ({3}) Wir Sozialdemokraten wollten die WAA in Wakkersdorf nie bauen. Wir wollen die direkte Endlagerung, Herr Kollege Dr. Göhner, wenn Sie uns schon fragen, und werden dabei ja auch durch ein Gutachten des Kernforschungszentrums in Karlsruhe von Ende 1984 unterstützt. ({4}) - Die Entwicklung ging weiter. Lesen Sie mal das Gutachten von 1984, in dem steht, daß die direkte Endlagerung 30 % kostengünstiger zu bewerkstelligen ist. ({5}) Wir wollen keine Plutoniumwirtschaft. Wir wollen, meine Damen und Herren, wie ausgeführt, die direkte Endlagerung. ({6}) Es gibt aus unserer Sicht keinen vernünftigen Grund, am Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf festzuhalten. 1985 - wenn Sie schon fragen - hat die Bundesregierung unter dem Kanzler Kohl mit Unterstützung von Franz Josef Strauß beschlossen, mit dem Bau in Wackersdorf zu beginnen, ohne auf die damaligen Rahmenbedingungen einzugehen. ({7}) - Herr Dr. Göhner, es wird ja nicht besser, wenn Sie ständig dazwischenrufen. ({8}) Zur Zeit herrscht doch bundesweit eine totale Konfusion in dieser Frage. In Zeitungsberichten lese ich: „An Wackersdorf soll festgehalten werden" bis „An Wackersdorf die Lust verloren?". Das alles ist, meine Damen und Herren, in diesen Tagen auf dem Medienmarkt nachzulesen. Die eingetretene Situation zeigt die totale Abhängigkeit der Politik von der Industrie. ({9}) Wo bleibt, meine Damen und Herren, die vielbeschworene Verantwortung gegenüber den jetzt lebenden Menschen und den zukünftigen Generationen? Nicht die vorliegenden Petitionen, nicht die Sicherheitsbedenken und nicht die Kritik von Fachleuten haben dazu geführt, daß die Bundesregierung umdenkt. Nein, wir werden möglicherweise erleben, daß die Wiederaufarbeitungsanlage deshalb nicht gebaut wird, weil die Industrie sie nicht bauen will; so wird es sein. ({10}) Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, daß eine von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Bundesregierung hier handelt. Aber diese Bundesregierung macht auf mich den Eindruck, als würde sie von der Industrie wie ein Tanzbär mit einem Nasenring durch den Zirkus getrieben. So stellt sich doch das Verhalten der Bundesregierung dar! ({11}) Es ist viel Vertrauen dadurch verlorengegangen, daß die Bundesregierung hier nicht handelt. Wenn Sie, meine Damen und Herren dieses Hohen Hauses, heute diesem Änderungsantrag, wie er vorliegt, zustimmen, so daß die Petition der Bundesregierung zur weiteren Beachtung überwiesen wird, dann leisten Sie einen Beitrag dazu, daß verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückgewonnen wird. Dazu wollte ich Sie hier eigentlich ermuntern und auffordern. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Daß die GRÜNEN keine Gelegenheit auslassen würden, hier wieder über das Thema Kernenergie zu debattieren, war ja wohl abzusehen. ({0}) Interessant ist ja, daß als Hauptargument gegen die Kernenergie, wenn man alle anderen Bedenken ausgeräumt hat, immer wieder das Thema hochkommt: Aber letzten Endes und vor allem ist die Entsorgung nicht gesichert. ({1}) Folgerichtig lehnen Sie es natürlich ab, zuzuhören, wenn wir den Versuch des Beweises unternehmen, daß eine sichere Entsorgung möglich ist. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Dame, unsere verehrte Kollegin Frau Segall, in aller Ruhe sprechen zu lassen.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich werde versuchen, das kurz darzulegen. Ihr Ziel ist die Lahmlegung der Kernenergieunternehmen. Das ist völlig klar. Darüber brauchen wir hier fast nicht mehr zu diskutieren. Ich spare mir jetzt jede Anmerkung zu den neuesten Entwicklungen. ({0}) Außer den GRÜNEN hat die SPD für eine Debatte hier gestimmt. An Ihre Adresse richte ich die Frage: Wie stellen Sie sich das eigentlich vor: Kohlepolitik und Ausstieg aus der Kernenergie? ({1}) Wir werden heute nachmittag darüber debattieren. ({2}) Ich möchte dieser Debatte nicht vorgreifen. Aber die Frage darf man doch wohl noch stellen: Wie soll es mit der Kohlepolitik denn weitergehen, wenn wir die Beihilfen reduzieren müssen, ({3}) ohne Kernenergie? Welche Stromkosten wollen Sie dann eigentlich der deutschen Industrie zumuten? ({4}) Wie sieht es dann mit der Wettbewerbsfähigkeit und unseren Arbeitsplätzen aus? ({5}) Ich bin jedenfalls der Meinung: Kohle und Kernenergie getrennt zu betrachten, führt nur in Sackgassen. Das ist heute überhaupt eine Krux in der Politik: Wir machen überall nur Ein-Ziel-Politik. Wir nehmen uns ein einziges Ziel vor, gucken nicht links, gucken nicht rechts. Dieses eine Ziel ist natürlich unter Umständen zu bestimmten Kosten zu erreichen. ({6}) Aber Politik ist ein Abwägen verschiedener Ziele. Das verfehlen wir jetzt häufig mit der Ein-Ziel-Politik. So. Jetzt komme ich schnell zu den Petitionen. Da haben wir eine Petition, bei der ein neuer Gutachter gefordert und Beschwerde über den Erörterungstermin geführt wurde. Diese Petition haben die FDP und die CDU/CSU allerdings als erledigt angesehen. Denn nach unserer Ansicht ist kein Anlaß für einen Eingriff via Bundesaufsicht gegeben. Herr Reuter, man fragt sich wirklich manchmal, ob Sie im Umweltausschuß nicht richtig zugehört haben. Dort ist das ausgiebig erörtert worden. ({7}) - Natürlich. Diese Retourkutschen sind ein ganz kleines bißchen billig. ({8}) Wir haben zwei weitere Petitionen. Soweit es sich darum handelte, sie den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, haben wir das einstimmig beschlossen. ({9}) Jetzt kommen sie hier wieder an. Das ist überhaupt lustig. Auf der Drucksache 11/4504 steht unter b) etwas, was wir im Petitionsausschuß einstimmig beschlossen haben. Und das wollen die GRÜNEN jetzt als Änderungsantrag einbringen. Ich frage mich, warum wir hier immer wieder über etwas debattieren, was wir in den Ausschüssen und im Plenum sowieso weiter debattieren müssen. Zu den Petitionen sehe ich das, was wir im Petitionsausschuß mit Mehrheit beschlossen haben, als richtig an. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Peter ({0}).

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD ist einmal in Zwischenrufen und zum anderen sehr lautstark und engagiert um ihre Position zu der Frage der Entsorgung gebeten worden. Herr Kollege Göhner, es ist richtig: 1979 wurde die parallele Verfolgung der Entsorgungskonzepte Wiederaufarbeitung und Endlagerung im Konsens zwischen Bundesregierung und Bundesländern beschlossen. Es ist zweitens richtig, daß das von Anfang an eine parallele Verfolgung war, und daß, wenn später Erkenntniszuwachs kommt, erneut Entscheidungsbedarf besteht. 1984 gab es dadurch Erkenntniszuwachs, daß sich nach der Systemstudie „Andere Entsorgungstechniken" die direkte Endlagerung als sicherer, billiger und, was aus heutiger Sicht noch gewichtiger ist, auch proliferationssicherer erwiesen hat. Das war für die sozialdemokratisch regierten Länder der Grund, 1985 bei dem Votum für Wackersdorf nicht mitzumachen. Das heißt allerdings, der Konsens ist von Ihnen dadurch aufgekündigt worden, daß Sie nicht bereit waren, die belegten und belegbaren Erkenntniszuwächse zu berücksichtigen. Frau Kollegin Dr. Segall, die entscheidenden Positionen der Sozialdemokratischen Partei auch zu der Verbindung der verschiedenen Energieträger sind in der Aktuellen Stunde zu Wackersdorf von unserem Kollegen Volker Jung dargestellt worden. Da haben wir gesagt: Es gibt unter den Bedingungen Europas zwei Optionen. Das ist zum einen die nationale Definition der Energiepolitik mit der Konsequenz der Auseinandersetzung mit äußerem Druck im Hinblick auf französischen Atomstrom. ({0}) - Die Frau Kollegin Segall scheint das wirklich überhaupt nicht zu interessieren. Frau Kollegin Dr. Segall, Sie haben eine Frage zur SPD-Position gestellt. Ich bin es gewohnt, daß zumindest der Fragesteller zuhört, wenn es schon die anderen nicht machen. Peter ({1}) Wir haben also die nationale Option mit der Konsequenz des Drucks von außen im Hinblick auf Import von Atomstrom, der Gefährdung der sicheren Basis der heimischen Kohle - die Sie mit Ihrem Verhalten in den letzten Tagen zunehmend gefährden ({2}) und der Möglichkeit, auf unsere Wünsche nach differenzierten Energiesteuern nicht einzugehen. Die zweite Option ist die der europäischen Energiepolitik, die die heimischen Energieträger in ein differenziertes Energiekonzept einbezieht und letztlich von Europa den Ausstieg aus der Kernenergie verlangt. Das ist die Alternative, deren wichtige Voraussetzung eine Änderung des EURATOM-Vertrages wäre. Das ist eine Alternative. Das kann man nachlesen. Dazu muß man sich allerdings die Mühe machen zu lesen. Das ist immer gut für Erkenntniszuwachs. ({3}) Nun zu den Argumenten, die zum Baustopp gesagt worden sind. Ich finde sie einleuchtend. Wenn 2,5 Milliarden DM fehlinvestiert wurden, ist das noch lange kein Grund, weitere 7 Milliarden DM in den Sand zu setzen, was im Moment bei Wackersdorf passiert. ({4}) Ich meine auch, wenn die Bundesregierung politisch versucht, die Wiederaufarbeitungsanlage zu retten, entläßt sie die Elektrizitätswirtschaft aus ihrer Verantwortung. Das führt dazu, daß Steuergelder und die Gelder der Stromkonsumenten verschleudert werden. Das kann man auch nicht wollen. ({5}) Deshalb sind wir für Berücksichtigung der Petitionen. Bei der Sammelübersicht 111 gibt es Übereinstimmung über Buchstabe a) der Beschlußempfehlung des Ausschusses. Hier haben Sie zu Recht einen Hinweis gegeben, Frau Kollegin Segall, den ich gerne aufgreife. Das ist ein Beweis dafür, daß ich im Unterschied zu anderen auch zuhöre. Nun zur Frage, warum wir hier im Hause diskutieren wollen und diskutieren müssen. In dem Maße, in dem die Bundesregierung ihre Orientierung offensichtlich verloren hat, weil sich die VEBA und andere etwas anders überlegt haben, gibt es in diesem Hause die Chance, zum Ratgeber der Bundesregierung für einen künftigen und vernünftigen Umgang mit der Entsorgungsfrage in der Kernenergie zu werden. Dazu bieten die Petitionen in der Tat eine Chance.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, die Redezeit ist zu Ende.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der letzte Satz, Herr Präsident. Wenn eine namentliche Abstimmung gefordert wird, so u. a. auch deshalb, um den Kollegen Zierer, Dr. Jobst, Fellner und vor allen Dingen Ihrem Kollegen der FDP-Fraktion Rind, die Gelegenheit zu geben, das, was sie in der Öffentlichkeit gesagt haben, durch namentliche Abstimmung auch tatsächlich zu bekunden. Das wäre ein Akt der Glaubwürdigkeit und der Ehrlichkeit. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Ich darf um Aufmerksamkeit bitten. Es folgen ganz wichtige Abstimmungen. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 a, Sammelübersicht 109, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4502 und 11/4512. Die Änderungsanträge sind wortgleich. Ich lasse deshalb über die Änderungsanträge gemeinsam abstimmen. Wer für die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Die Anträge sind damit abgelehnt. - Haben Sie Zweifel? Die Zweifel können nur hier oben entstehen. Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/4384, Sammelübersicht 109, stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 b, Sammelübersicht 110, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4503 und 11/4513. Die Änderungsanträge sind wortgleich. Ich lasse deshalb über die Änderungsanträge gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit sind die Änderungsanträge mit Mehrheit abgelehnt. Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/4385, Sammelübersicht 110, stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 6 c, Sammelübersicht 111, und zwar zuerst über Buchstabe a des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4504 sowie den inhaltsgleichen Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4514. Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN und die Fraktion der SPD verlangen hierzu namentliche Abstimmung. Die namentliche Abstimmung ist eröffnet. Gestatten Sie, daß ich während der Abstimmung einige Anträge, die ohne Debatte erledigt werden können, aufrufe. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betr. Parlamentswahlen in Panama - Drucksache 11/4527 - zu erweitern. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. ({0}) Vizepräsident Stücklen Meine Damen und Herren, haben Sie das alles mitbekommen? - Ja. Ist jemand von den Damen und Herren Abgeordneten des Hauses dagegen? - Ich sehe völlige Übereinstimmung, es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses da, das sich noch an der namentlichen Abstimmung beteiligen will? - Dies ist nicht der Fall. Können mir die parlamentarischen Geschäftsführer ein Signal geben, daß ich die Abstimmung abschließen kann, weil sie dieser Überzeugung oder Meinung sind? - Einen Moment noch. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat, der gleichzeitig mit dem Plenum getagt hat, ist auf dem Wege hierher und steckt im Stau. Ich muß also noch bis 13.20 Uhr oder 13.25 Uhr warten, bis ich die Abstimmung abschließen kann. Meine Damen und Herren, nachdem auch die Mitglieder des Ältestenrates die Möglichkeit gehabt haben, sich an der Abstimmung zu beteiligen, schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung wird nach der Mittagspause bekanntgegeben *). Die Tagesordnung wird dann fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir fahren mit der unterbrochenen Sitzung fort. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur zukünftigen Kohlepolitik Die Fraktion der SPD hat diese Aktuelle Stunde gemäß unserer Geschäftsordnung beantragt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jung.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende März hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Bundesregierung aufgefordert, noch in diesem Herbst einen Plan zur Verringerung der Ausgleichszahlungen nach dem Dritten Verstromungsgesetz vorzulegen, und zwar bis 1993, also noch vor Ablauf des Jahrhundertvertrages zum Jahr 1995. Konsequenz eines solchen Abbauplanes wäre eine weitere Reduzierung der Verstromungsmengen heimischer Steinkohle, weil die Elektrizitätsversorgungsunternehmen die kontrahierten Mengen kürzen könnten, wenn sie nicht gar die Vereinbarung mit den Bergbaugesellschaften ersatzlos kündigen, weil die Geschäftsgrundlage des Jahrhundertvertrages entfallen ist. Damit würde ein Zechensterben großen Ausmaßes vorprogrammiert, nicht nur mit Sophia Jacoba und Ibbenbüren, sondern auch bei der Ruhrkohle und den Saarbergwerken. *) Ergebnis Seite 10603 B Meine Damen und Herren, für diese Entscheidung hat die Kommission weder eine politische noch eine rechtliche Legitimation. ({0}) Im Gegenteil, in den energiepolitischen Zielen der Gemeinschaft für 1995, die vom Ministerrat im Herbst 1986 beschlossen wurden, wird der Kohle ein wachsender Anteil bei der Energieversorgung zugemessen. Erst im Januar dieses Jahres hat der Präsident der Kommission, Jacques Delors, dem Bundeskanzler mitgeteilt, daß er die Besorgnis über die Versorgungssicherheit, das eigentliche Anliegen des Dritten Verstromungsgesetzes, teilt. Das hat Hoffnung auf eine Verhandlungslösung gemacht. Mit ihrer Entscheidung vom März hat die Kommission aber den knallharten Rechtsweg gewählt, und zwar mit rechtlich unhaltbaren Argumenten. Damit ist sie dem Druck der französischen Regierung erlegen, die deutsche Kohleverstromung zugunsten des französischen Atomstroms zurückzudrängen. ({1}) Wie man hört, war Vizepräsident Bangemann an dieser Entscheidung maßgeblich beteiligt. ({2}) Nachdem die Kommission das Dritte Verstromungsgesetz und den darauf aufbauenden Jahrhundertvertrag fast zehn Jahre nicht beanstandet hat, betrachtet sie den Kohlepfennig nunmehr willkürlich als eine indirekte Beihilfe für den Steinkohlenbergbau, die bis Ende 1993 befristet ist. Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Kommission erlangt Rechtskraft, wenn sie nicht angefochten wird. Das hat die Bundesregierung aber abgelehnt. Das heißt im Klartext, die Kommission usurpiert Entscheidungsmacht in der Energiepolitik, für die sie kein Mandat hat, ({3}) und die Bundesregierung klatscht dazu Beifall. Bundeswirtschaftsminister Haussmann hat keinen Tag verstreichen lassen, um diese Entscheidung pauschal zu begrüßen. Wer da noch an Zufall glaubt, dem ist nicht zu helfen. Hier wird doch mit Brüssel über Bande gespielt. ({4}) Mit der Weigerung der Bundesregierung, gegen die Entscheidung der Kommission zu klagen, verschafft sie der Europäischen Gemeinschaft die Rechtsgrundlage, um den Jahrhundertvertrag aus den Angeln zu heben und das Dritte Verstromungsgesetz gegenstandslos zu machen. Damit bringt sich die Bundesregierung selbst in eine äußerst starre Verhandlungsposition. ({5}) Eine Klage des Steinkohlenbergbaus, der die Bundesregierung eventuell - hier ist ein Schlupfloch: eventuell - beitreten will, hat politisch und rechtlich eine ganz andere Qualität. Der Bergbau ist zwar be10582 Jung ({6}) troffen, aber er wird wohl kaum nationale Interessen einklagen können. Auf der Strecke bleibt die Energieversorgungssicherheit, national wie europäisch. Die Bundesregierung wird kein Mittel mehr in der Hand haben, um das Dritte Verstromungsgesetz zu vollziehen. Damit verletzt sie eindeutig ihren Verfassungsauftrag. Die Kommission hat keine energiepolitische Kompetenz. Sie greift in eine nationale Regelung ein, ohne über Instrumente zu verfügen, eine Ersatzregelung auf europäischer Ebene durchzusetzen. Wie der Bundeskanzler, meine Damen und Herren, in dieser verfahrenen Situation sein Versprechen aus der jüngsten Regierungserklärung einlösen will, bald ein Konzept zur längerfristigen Sicherung der Verstromung deutscher Steinkohle nach dem Auslaufen des Jahrhundertvertrages vorzulegen, bleibt sein Geheimnis. Wenn er noch etwas retten will, dann muß er wenigstens durchsetzen, daß die Bundesregierung einer Klage des Steinkohlenbergbaus beitritt. Dazu fordern wir sie nachdrücklich auf. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bezweifeln, daß die Rede meines Vorredners wirklich ein Beitrag dazu gewesen ist, die Sorgen der Bergleute in den Revieren zu vermindern. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist richtig, der Verzicht der Bundesregierung auf die Klage gegen eine Entscheidung der Europäischen Kommission vom 30. März 1989 hat Unruhe und Besorgnis ausgelöst. Ich glaube, die Aktuelle Stunde bietet eine geeignete Möglichkeit zu einer Reihe von Klarstellungen. Diese Aktuelle Stunde kann dann dazu beitragen, die Sorgen der Bergleute an Rhein, Ruhr und Saar zu verringern. Meine Damen und Heren, wir haben die Bergleute nicht im Stich gelassen, und wir werden sie auch in den kommenden Verhandlungen nicht im Stich lassen. ({1}) Es macht doch jetzt im Grunde gar keinen Sinn mehr, über den Fristablauf zu jammern und aus dem Klageverzicht der Bundesregierung eine Katastrophe für den Bergbau abzuleiten. ({2}) - Nein. Inzwischen ist doch klargeworden, daß die Bergbauunternehmen mit Unterstützung der Bundesregierung klagen werden. Die Fristen reichen aus. Die Verhandlungswege zwischen Bundesregierung und Kommission werden nicht blockiert, und die Rechtslage wird am Ende die gleiche sein, wie sie bei einer sofortigen Klage der Bundesregierung gewesen wäre. ({3}) - Ich hätte auch lieber eine Klage gehabt, ({4}) aber ich sehe durchaus auch die Gründe, die die Bundesregierung veranlaßt haben, einen anderen Weg zu gehen. Die Türen zu Verhandlungen mit der Kommission sind und bleiben auch auf diesem Wege offen. Meine Herren von der SPD, Sie übersehen doch auch eines in Ihren heftigen Angriffen gegen die Kommission und die Bundesregierung: Bisher hat die Bundesregierung in Brüssel immer sehr erfolgreich verhandelt. Wir haben doch gerade gegen großen Widerstand die Anerkennung des neuen Hüttenvertrages bis 1997 durch die Europäische Kommission durchgesetzt. ({5}) Dies ist eine Voraussetzung dafür, daß der Bergbau Milliardenbeträge erhält und so die deutsche Stahlindustrie mit deutscher Kokskohle zu Weltmarktpreisen versorgt werden kann. In dieser aufgeregten Diskussion in diesen Tagen - das möchte ich gerade auch unseren Bergleuten sagen - wird doch völlig übersehen, daß sich der Bergbau gar nicht in einer katastrophalen Lage befindet. ({6}) Das ist doch nicht wahr. ({7}) Das einvernehmlich vereinbarte Anpassungskonzept hat sich bisher doch als tragfähig und durchführbar erwiesen. Da wird genausoviel abgesetzt, wie vereinbart worden ist. Der neue Hüttenvertrag hat sich auch bewährt, und dank der günstigen Stahlkonjunktur, die ja letzten Endes auch mit der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung zusammenhängt, ({8}) liegt der Absatz in diesem Bereich wesentlich günstiger, als das bei den Anpassungsüberlegungen je erwartet worden ist. Bei der Kohleverstromung hat dank des steigenden Dollarkurses und der steigenden Ölpreise der Druck auf den Ausgleichsfonds deutlich abgenommen. Wir verzeichnen doch wahrscheinlich durch diese Entwicklung allein im Jahre 1989 Entlastungen in der Höhe von 2 Milliarden DM. Das heißt mit anderen Worten, daß der Ende 1988 beschlossene Kohlepfennig von 8,5 % zur Zeit ausreicht, um die laufenden Ansprüche der Elektrizitätsversorgungsunternehmen an den Fonds aus dem Jahrhundertvertrag zu bedienen und eventuell sogar Schulden abzutragen. Damit sind die Chancen für die Stabilisierung des Ausgleichsfonds gestiegen, und eine endgültige Sicherung des Jahrhundertvertrags sowie Regelungen über 1995 hinaus werden doch erleichtert. Ich bin einverstanden, wenn gesagt wird, wir brauchten in der Kohlepolitik natürlich sehr viel Geduld und Vertrauen. ({9}) Ich möchte hier noch einmal deutlich sagen: Für die CDU/CSU-Fraktion gilt weiterhin das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 27. April und erneut am Dienstag vor der Bundestagsfraktion gesagt hat, daß nämlich die Bundesregierung sehr bald ein Konzept zur längerfristigen Sicherung der Verstromung deutscher Steinkohle nach dem Auslaufen des Jahrhundertvertrages vorlegen wird. Das haben die Kumpels verdient. Ich werde mich selber darum kümmern, die Enden zusammenzubringen. Eines lassen Sie mich noch zum Schluß sagen: Wir können uns an Europa nicht vorbeimogeln. Ob uns das paßt oder nicht, die Europäische Kommission hat nun einmal auch rechtliche Möglichkeiten, sich mit Energiepolitik zu befassen. Da hilft auch ihr blindwütiges Einschlagen auf die Bundesregierung nicht. Am Ende kann es doch nur heißen: nicht gegen, sondern mit Europa. Wir werden auch dafür sorgen, daß in Europa die deutsche Steinkohle einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der europäischen Energieversorgung leistet. Ich bin der Auffassung, das ist das beste, was wir für unsere Bergleute und für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze tun können. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Es ist zu hören und zu lesen, daß die Bundesregierung deswegen nicht rechtzeitig Klage eingereicht habe, weil sie dem Druck aus Brüssel nachgegeben habe. Ich halte eine solche Interpretation für völlig daneben. Was wir in diesen Tagen erleben, ist vielmehr ein gemeinsames abgekartetes Spiel zwischen der Bundesregierung und der EG-Kommission. ({0}) Die anmaßende Entscheidung der EG-Kommission vom 30. März, daß die Kohlesubventionen bis 1993 zurückgeführt werden sollen, ist nur auf dem Hintergrund eines deutsch-französischen Kartells der Atomlobby gegen die heimische Steinkohle bei uns zu verstehen. ({1}) Wir möchten ganz deutlich betonen, daß wir GRÜNEN mit den aktuellen Widerstandsaktionen der Bergbaukollegen auf der Straße und vor den Toren ihrer Schachtanlagen solidarisch sind. Wir erklären uns auch solidarisch mit der Erklärung der Jugendvertretung der Zeche Schlägel & Eisen, die ja ebenfalls stillgelegt werden soll. In dieser Erklärung wird zum Ausdruck gebracht, daß es tatsächlich um den Kampf der heimischen Steinkohle gegen die Atomenergie und jetzt auch gegen ein EG-europäisches Kartell der Atomenergie geht. Die deutsch-französische Atomlobby operiert in drei Schritten. Federführend dabei ist der bundesdeutsche VEBA-Konzern. Bennigsen-Foerder hat ja die Strategie ausgegeben: Es geht darum, einen neuen Konsens zwischen Kohle und Kernenergie in der Bundesrepublik herzustellen. Das funktioniert so: Erster operativer Schritt: Verzicht der Atomwirtschaft in der Bundesrepublik auf Wackersdorf. Das ist ein Bauernopfer, das deswegen nicht schwerfällt, weil die entsprechende Dienstleistung billiger in La Hague erbracht wird. Wir lehnen dieses Verschieben des Atommülls natürlich ab. Die Forderung kann nur heißen: ersatzlose Streichung und Stillegung der WAA Wackersdorf. ({2}) Zweiter Schritt - darüber wird jetzt in der deutschfranzösischen Kommission offen verhandelt - : wiederaufgearbeitet wird in La Hague; dafür werden die bundesdeutschen Grenzen für den französischen Atomstrom geöffnet, der nur deswegen auf dem Markt bestehen kann, weil er hoch subventioniert ist. Der nukleare Zynismus der EG-Kommission zeigt sich darin, daß man zwar die Kohlesubventionen in der Bundesrepublik attackiert, gleichzeitig aber kein Wort über die Atomsubventionen gegenüber der EDF in Frankreich verliert. ({3}) Dritter operativer Schritt: Bennigsen-Foerder/ VEBA hat im Oktober letzten Jahres - in Vorbereitung seiner Wackersdorf-Entscheidung - einen Brief an Kanzler Kohl geschrieben, in dem Bennigsen-Foerder eine Revision des Jahrhundertvertrages ab 1991, eine Rückführung des Mengengerüsts bis 1995 und dann eine Anschlußregelung bis 2000 fordert. Im Jahre 2000 sollen nur noch 30 Millionen t heimischer Steinkohle verstromt werden. Gegenüber dieser durchsichtigen, von der EG- Kommission gestützten und mit Willen und Unterstützung der Bundesregierung verfolgten - die Bundesregierung weicht nicht einem Druck aus, sondern sie operiert mit der EG-Kommission; Bangemann ist ein Beispiel dafür - deutsch-französischen Atomstrategie fordern wir GRÜNEN eindeutig die Einhaltung des Mengengerüsts, so wie es im Jahrhundertvertrag vorgeschrieben ist, ohne Wenn und Aber bis 1995. ({4}) Wir sagen: Es darf keine Zechenschließung, keinen Kapazitätsabbau geben - das ist auch gegen die Kohlerunde 1987 gerichtet - , solange in der Bundesrepublik noch ein Atomkraftwerk betrieben wird und solange hoch subventionierter französischer Atomstrom in die Bundesrepublik importiert wird. Wir sagen gegenüber der anmaßenden Entscheidung der EG-Kommission ein eindeutiges Nein gegenüber der Herrschaft der EG-Bürokratie, die nicht nur zynisch über die sozialen Interessen der Bergleute und der Kohleregionen in der Bundesrepublik hinweggeht, sondern die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik aushebelt. Das ist es, was wir in der augenblicklichen Situation tatsächlich erleben. Wir sagen ein ganz klares Nein zu dieser Herrschaft der EG-Bürokratie. Wir fordern, daß noch in dieser Legislaturperiode - vor der Bundestagswahl - eine Anschlußregelung für den Jahrhundertvertrag vereinbart wird. 1995 bis 2010 ist ein langer Planungszeitraum, der soziale Sicherheit und auch Planungssicherheit für den heimischen Bergbau garantiert, der allerdings hinsichtlich der Verstromungsmenge so ausgestaltet ist, daß wir gleichzeitig der Herausforderung durch die Klimakatastrophe und den Treibhauseffekt Rechnung tragen. ({5}) Das heißt: Wir brauchen in der Zeit von 1995 bis 2010 weniger heimische Steinkohle, ({6}) nicht nur aus Klima-Gründen. Wir können das auch energiewirtschaftlich und energiepolitisch belegen. Das haben wir in unserem gerade vorgelegten grünen Energie-Wende-Szenario bis 2010 gezeigt. ({7}) Ab 1995 bis 2010 besteht genügend soziale Planungssicherheit. Wenn wir heute anfangen, in den Kohleregionen eine ökologisch und sozial verträgliche Strukturpolitik zu machen, Ersatzinvestitionen vorzunehmen, können wir rechtzeitig ab 1995 die Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung stellen, um dann den schrittweisen Umstieg - Rückbau der heimischen Steinkohleförderung, der heimischen Steinkohlenutzung zugunsten von Energieeinsparung und erneuerbaren Energiequellen - durchzuführen. Wir fordern, daß heute eine solche Energiewende einsetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Stratmann, Sie wissen, daß ich in der Aktuellen Stunde gehalten bin, auf die Einhaltung der Redezeit zu achten. Aber Sie haben gleich noch zwei Minuten. Vielleicht können Sie den zweiten Teil dann in diesem Zusammenhang vortragen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke Ihnen für den Hinweis. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dadurch erleichtern Sie mir das Geschäft ein wenig. Das Wort hat Herr Abgeordneter Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Koalition hält weiter an ihrer verantwortungsbewußten Einstellung gegenüber der deutschen Kohle fest: ({0}) Erstens. Der Jahrhundertvertrag ist weiterhin das Rückgrat des deutschen Kohleabsatzes. Die Verstromungsmenge liegt zur Zeit bei rund 41,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Wir wollen den Jahrhundertvertrag auch gegenüber der EG-Kommission verteidigen. Zweitens. Der Hüttenvertrag, die zweite Säule des Absatzes deutscher Steinkohle, ist als Rahmenvertragswerk von der EG-Kommission bereits bis 1997 akzeptiert worden. ({1}) Wir wollen durchsetzen, daß die deutsche Stahlindustrie auch weiterhin einen wesentlichen Teil deutscher Kohle abnimmt. Auch hierzu sind weitere Gespräche mit der EG-Kommission notwendig, damit die Einzelgenehmigungen für die jeweiligen Wirtschaftsjahre erteilt werden. Drittens. Die speziellen Probleme der Zechen Sophia-Jacoba und Ibbenbüren hängen nicht mit den Finanzierungsproblemen im Jahrhundertvertrag zusammen. Sie resultieren aus dem Absatzrückgang der Kohle am Wärmemarkt. Wenn wir nach Lösungen für diese Zechen und ihre Beschäftigten suchen, die sich zu Recht um den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze sorgen, so müssen wir diese Problematik von den allgemeinen kohlepolitischen und europapolitischen Betrachtungen abtrennen. Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 27. April dieses Jahres ein deutliches Bekenntnis zur deutschen Steinkohle abgelegt. ({2}) Er hat noch am Wochenende dieses Bekenntnis wiederholt und sich persönlich für eine langfristig sichere und tragfähige Regelung eingesetzt. Die FDP-Fraktion steht hinter dieser Politik für die deutsche Kohle, und wir stimmen dem Bundeskanzler ausdrücklich zu. ({3}) Die Argumente der Opposition sind nicht überzeugend. Es ist ein Irrtum, zu glauben, man könne auf Dauer eine Kohleregelung gegen die Europäische Gemeinschaft durchsetzen. Im Gegenteil: Wir müssen eine Kohleregelung, die mehr Energiesicherheit garantiert und sozial verträglich ist, mit der Kommission verabreden. Unsere deutschen Kommissare Bangemann und Schmidhuber unterstützen diese Bestrebungen nachdrücklich. Es ist auch nicht richtig, wenn die SPD behauptet, die Bundesregierung verzichte auf alle Optionen, wenn sie eine Klage gegen die Entscheidung der Kommission über die Verstromungshilfen nicht einreicht. Im Gegenteil: Die Koalition hat die Unternehmen und die Verbände des Bergbaus deutlich aufgefordert, jetzt Klage zu erheben, um die Position der deutschen Kohle in Brüssel klar zu vertreten. Für die Regierung dagegen muß eine Verhandlungslösung Priorität haben, weil sie als Verhandlungspartner der Kommission in Brüssel erfolgversprechender Einfluß zugunsten der deutschen Kohle ausüben kann denn als Klageführer. Meine Damen und Herren, auch die Kommission sieht die sozialen Probleme, die in den Revieren bei einer massiven Rücknahme der Produktion entstünBeckmann den. Wir sollten nicht vergessen, daß sich auch ohne die Kommission die Notwendigkeit zu einer mittelfristigen Rückführung der Kohlebeihilfen ergeben würde. Die revierfernen Länder sind nämlich nicht länger bereit, einen Kohlepfennig in der jetzigen Höhe mitzutragen. Wir kommen also um eine politische Gesamtlösung für die deutsche Kohle überhaupt nicht herum. Ich meine: Die SPD macht es sich zu leicht, wenn sie dies schlicht und einfach leugnet. ({4}) Überhaupt erstaunt es, meine Damen und Herren, daß in dieser Sache immer nur die Revierländer Nordrhein-Westfalen und Saarland durch ihre Ministerpräsidenten Rau und Lafontaine das Wort ergreifen. Wo bleiben denn Engholm, Voscherau, Momper? Welche Haltung vertritt eigentlich der bayerische Kollege und Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Dr. Vogel, in dieser Frage? ({5}) Es ist doch klar zu erkennen, daß die Kohlepolitik durchaus nicht einheitlich von der SPD getragen wird, ja, daß geradezu ein Riß zwischen Revierländern und revierfernen Ländern auch durch Ihre Fraktion geht. ({6}) Meine Damen und Herren von der Opposition, es fällt Ihnen nur leichter, dies zu verkleistern, weil Sie nicht in der Regierungsverantwortung stehen. ({7}) Meine Damen und Herren, die Behauptung, die EG-Kommission habe von der Bundesregierung einen vollständigen Abbau der Verstromungshilfen bis 1993 gefordert, ist schlichtweg abwegig. Wir wissen seit langem, daß die Genehmigung der kohlespezifischen Beihilfen im Jahre 1993 ausläuft. Die EG-Kommission hat nunmehr von der Bundesregierung verlangt, daß sie bis zum Herbst ein Konzept vorlegt, in dem Degressivität, also ein Abschmelzen der Kohlebeihilfen, erkennbar wird. Ein vollständiger Abbau wird nicht verlangt. Wir werden uns auf den Weg der intensiven Verhandlungen begeben. Ich fordere Herrn Rau und Herrn Lafontaine auf, auch bei Ihren sozialistischen Freunden in Europa auf eine gute Lösung hinzuwirken. Das wäre das Konstruktivste, was Sie zu dieser Zeit tun könnten. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Einert. Minister Einert ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 30. März 1989 weiß die Bundesregierung, daß die Kommission der EG die Verstromungshilfen für die deutsche Steinkohle bis zum 31. Dezember 1993 abschaffen will. Damit steht zwei Jahre vor dem Auslaufen des Jahrhundertvertrages das Kernstück der deutschen Energiepolitik auf dem Spiel. Die Pläne der EG-Kommission wären das Aus für viele Zechen an Rhein, Ruhr und Saar. Seit dem 30. März 1989 weiß die Bundesregierung auch, daß sie bis zum 9. Mai 1989 gegen die Brüsseler Entscheidung eine Anfechtungsklage erheben mußte, wenn sie unsere gemeinsam vereinbarte Kohlepolitik verteidigen wollte. Die Bundesregierung hat diesen Termin untätig verstreichen lassen. Die Ankündigung, den Beitritt zur Klage der Bergbauunternehmen zu prüfen, ist eine leere Geste. Unter allen möglichen Antworten auf die Entscheidung der EG-Kommission hat die Bundesregierung die mit Abstand schlechteste gewählt. ({1}) Erstens schwächt der Verzicht auf eine Klage die deutsche Verhandlungsposition in Brüssel. Zweitens wird die Bundesregierung mit ihrem Lavieren im eigenen Land immer unglaubwürdiger. Ihr Verwirrspiel in der Kohlepolitik ist den Menschen im Revier nicht länger zumutbar. ({2}) Drittens vernachlässigt die Bundesregierung ihre Pflicht zur Sicherung der nationalen Energieversorgung und verletzt damit vitale Interessen unseres Landes. Ich will das noch kurz begründen: Indem die Bundesregierung die Entscheidung der EG-Kommission gegen die deutsche Steinkohle grundsätzlich akzeptiert, gibt sie ihre wichtigsten Verhandlungspositionen von vornherein auf. Wer sagt, er wolle zunächst den Verhandlungsweg gehen und sehe deshalb von einer Klage ab, führt in die Irre. Tatsächlich läßt sich eine Klage gegen die Brüsseler Entscheidung auch gut begründen: Die Verstromungshilfen sind nicht, wie die EG-Kommission unterstellt, Subventionen für die Steinkohle, sondern sie fließen der Elektrizitätswirtschaft zu und dienen der langfristigen Sicherung der Energieversorgung. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Energiepolitik der Gemeinschaft ist nicht so weit entwickelt, daß sie uns von dieser Aufgabe entlasten könnte. Es ist daher kaum vorstellbar, daß der Europäische Gerichtshof bei der gegenwärtigen Rechtslage einem Mitgliedstaat die Möglichkeit zur Sicherung seiner Energieversorgung einschränken kann. Es fragt sich ohnehin, woher die EG-Kommission den Mut zu ihrer harten Gangart gegen die deutsche Kohlepolitik genommen hat, während sie andere Mitgliedstaaten schont. ({3}) Offensichtlich hat der energiepolitische Hickhack in der Bundesregierung selber die Kommission zu ihrer Entscheidung ermuntert. Einiges spricht sogar dafür, daß Teile der Bundesregierung mit der Kommission ein abgekartetes Spiel treiben. ({4}) Minister Einert ({5}) In jedem Fall ist die Bundesregierung dabei, die ihr von der Verfassung aufgegebene Verantwortung für eine nationale Energiepolitik durch die Hintertür an die nicht zuständige EG-Kommission abzutreten. Die Bundesregierung verletzt leichtfertig nationale Interessen. Sie selbst schädigt ihr Ansehen und ihr Durchsetzungsvermögen in Brüssel. So, meine Damen und Herren, bringen wir Europa nicht voran. ({6}) Im eigenen Land verliert die Energiepolitik der Bundesregierung den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Der Bundeskanzler garantiert in seinen Reden und Interviews mit schöner Regelmäßigkeit eine langfristige Energieversorgung mit heimischer Kohle. Derartige Zusagen sind offensichtlich nicht viel wert, wenn die Bundesregierung gleichzeitig darauf verzichtet, den Jahrhundertvertrag gegenüber Brüssel zu verteidigen. Für das Verhalten des Bundeskanzlers und seiner Minister gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder hat die Bundesregierung kein energiepolitisches Konzept und der Bundeskanzler weiß nicht, was gespielt wird, ({7}) oder die Öffentlichkeit wird bewußt getäuscht. ({8}) So darf es jedenfalls nicht weitergehen. Es mag ja sein, daß die Bundesregierung das Schicksal der Menschen im Revier nicht so ernst nimmt, wie sie in ihren Sonntagsreden vorgibt. ({9}) Dann sollte sie wenigstens Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen, die insbesondere bei der Energieversorgung auf zuverlässige Rahmendaten angewiesen ist. ({10}) Wer weniger deutsche Steinkohle verstromen will, muß klar und offen sagen, was statt dessen in den Kraftwerken eingesetzt werden soll. ({11}) Die wichtigsten Alternativen wären Kernenergie, Öl, Gas und Importkohle. Das heißt erstens: Verzicht auf die deutsche Steinkohle bedeutet in jedem Fall einen Verlust an Versorgungssicherheit. ({12}) Zweitens. Richtig ist, daß die Preise für Öl, Gas und Importkohle gegenwärtig außerordentlich niedrig sind. Doch kein Sachverständiger geht davon aus, daß dieser Kostenvorteil von Dauer ist. Die Energiepreise bleiben nicht niedrig. Verantwortliche Energiepolitik darf sich nicht von unsicheren Kostenvorteilen leiten lassen. Darf ich zwischenfragen, Herr Präsident: Ich habe doch zehn Minuten Redezeit?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Um die Geschäftslage zu klären, Herr Minister: Ich kann Ihnen selbstverständlich das Wort nicht entziehen, denn es ist das gute und verfassungsmäßige Recht von Bundesratsmitgliedern, jederzeit in die Debatte eingreifen zu dürfen. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam: Wenn Bundesrat und Bundesregierung zusammen über 30 Minuten Redezeit in Anspruch nehmen, wird die Aktuelle Stunde verlängert. Mir ist mitgeteilt worden, daß sich, da auch der Ministerpräsident des Saarlandes noch zu sprechen wünscht, die vorgesehene Redezeit ungefähr so aufteilt. Das ist der Grund dafür, daß wir die Uhr so eingestellt haben. Sie selber müssen entscheiden, wie Sie sich verhalten. Andernfalls müssen wir eine Verlängerung der Aktuellen Stunde vornehmen. - Meine Redezeit jetzt wird natürlich nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. Minister Einert ({0}): Ich danke Ihnen für die Information, Herr Präsident. Ich habe maximal zehn Minuten Redezeit. Ich werde diese Grenze unterschreiten, aber im Rahmen von fünf Minuten kann ich meine Ausführungen nicht machen. Ich wiederhole den letzten Satz: Ein Verzicht auf deutsche Steinkohle bedeutet in jedem Fall einen Verlust an Versorgungssicherheit. Auch wenn die Energiepreise im Augenblick niedrig sein mögen, dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, die Energiepolitik auf unsichere Kostenvorteile aufzubauen. Die Problematik des Einsatzes von Kernenergie ist bekannt. Ich füge hinzu, daß dieser Energieträger im Hinblick auf die Kosten und die Umwelt auch keine echte Alternative darstellt. Bei dieser Sachlage, meine Damen und Herren, ist die diffuse Haltung der Bundesregierung zur Verstromung der deutschen Steinkohle, wie wir sie im Jahrhundertvertrag vereinbart haben, nicht zu erklären. Es ist höchste Zeit, daß der Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister aus dem Zwielicht heraustreten. Sagen Sie in aller Deutlichkeit den Menschen im Revier und in der deutschen Wirtschaft, was Sie wirklich wollen. Wir alle sind auf eine zuverlässige, kalkulierbare Energiepolitik angewiesen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat schon im Februar dieses Jahres den Vorschlag für einen neuen Konsens in der Energiepolitik auf den Tisch gelegt. Unsere Ziele sind: rationelle Energiegewinnung und Energienutzung sowie sparsamer Umgang mit Energie, ({1}) umweltverträgliche Nutzung der heimischen Kohle, Förderung neuer und unerschöpflicher Energien. Ich bin sicher, daß sich dieses Konzept gut in eine europäische Energiepolitik einfügen läßt. Nehmen Sie unser Gesprächsangebot an, stellen Sie sich einem offenen Wettbewerb um die besten Lösungen! Vor allem aber: Verteidigen Sie unsere nationale Handlungsfähigkeit gegenüber der EG-Kommission, solange die Gemeinschaft nicht in der Lage ist, eine entMinister Einert ({2}) sprechende Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten! ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Einert, Sie haben eben ein Angebot der Kooperation gemacht, ohne zu sagen, auf welchen Feldern wir eigentlich dann miteinander kooperieren sollten. ({0}) Sie haben eben erklärt, Sie hätten eine Konzeption. Wenn die Konzeption der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der des Saarlandes darin besteht: wir bewegen uns keinen Millimeter, das kostet uns nur unser eigenes Geld, dann ist das keine Konzeption; das muß ich Ihnen hier mal in aller Deutlichkeit sagen. ({1}) Welchen Einfluß haben Sie eigentlich auf diejenigen genommen, die im Lande Nordrhein-Westfalen aus der Kohle aussteigen wollen, z. B. die Stadtwerke Wuppertal? Welchen Einfluß haben Sie auf die EVUs genommen? Sie haben die Möglichkeit, über Ihre Parteifreunde, die dort die Mehrheit haben, Einfluß darauf zu nehmen, ob die nordrhein-westfälischen EVUs in der Frage des Kohlepfennigs zur Kooperation bereit sind. Diese Frage, meine ich, fällt in Ihre Verantwortung. Das müssen Sie hier erstmal beantworten. ({2}) Ich gehe davon aus, daß wir nach wie vor Konsens darüber haben, daß unsere heimische Kohle einen unverzichtbaren Beitrag zur Energieversorgung leistet. Das wird von niemandem bestritten. Die Bundesregierung wird daher diese Verstromung der deutschen Steinkohle auf dem Verhandlungswege in Brüssel sichern wollen. Das bestreitet wohl niemand; das ist auch Konsens. ({3}) Hier stellen sich natürlich eine Reihe von Fragen auch an die Kommission in Brüssel. Auch nach den montanrechtlichen Beihilfeentscheidungen wurden die deutschen Ausgleichszahlungen 1987 und 1988 von der Kommission genehmigt. Diese Genehmigung wurde ausschließlich mit dem Hinweis auf soziale und regionale Probleme im Steinkohlebergbau gerechtfertigt. Ich halte das für falsch. ({4}) Dabei bleibt festzuhalten, daß, selbst wenn man das unterstellt, diese Probleme nur mittelfristig, langfristig zu lösen sind. Also ist dies für mich kein ausreichendes Argument. Dies kann nicht bis zum Beginn der 90er Jahre gelöst sein. Darüber hinaus stellt sich an die Kommission die Frage, ob sie eigentlich kommentarlos über die Zweckbestimmung der deutschen Gesetzgebung hinweggehen kann. Das kann sie nach dem geltenden Recht eigentlich nicht. Im Jahrhundertvertrag wurde nämlich vereinbart, daß die Brennstoffversorgung für die Kraftwerke durch die deutsche Steinkohle sicherzustellen ist. Die Frage muß beantwortet werden. Seitens der Bundesregierung muß in Brüssel angesprochen werden, warum die Ausgleichszahlungen gemäß der Beihilfeentscheidung der Kommission selbst keine Form der Beihilfe an den Bergbau darstellen, sondern zum jetzigen Zeitpunkt nur als solche dargestellt werden sollten. Wir müssen darauf hinweisen, daß die Elektrizitätswirtschaft, die Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Aufgabe haben, nach wie vor ihre Brennstoffbasis zu sichern. Wir sprechen also, jedenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt, nicht von den Interessen des Kohlebergbaus allein, sondern von nationalen Interessen. Dies müssen wir, meine ich, hier festhalten. Insofern stellt sich die Frage, wie weit die Europäische Gemeinschaft in die nationale Sicherung der Energieversorgung eingreifen kann und ob - gegebenenfalls mit welchen Mitteln - sie selbst eine solche Sicherheit gewährleisten kann. Diese Frage ist nicht beantwortet; die müssen wir stellen. Ich denke, wir können sie berechtigterweise stellen. Ich darf noch auf einen anderen Umstand hinweisen. In den kommenden Verhandlungen muß deutlich markiert werden, daß es nicht angehen kann, daß mit ziemlich massiven Mitteln Einfluß auf die im Jahrhundertvertrag vereinbarten Mengen ausgeübt wird, daß eine Verringerung der deutschen Steinkohleverstromung etwa zugunsten von Importkohle aus Drittländern nicht in Betracht kommt. Wer sagt denn, wenn deutsche Kohle herausgenommen wird, daß die EVUs bei den modernen Kraftwerken, die wir haben, die umgerüstet worden sind, nicht möglicherweise Importkohle einsetzen? Es geht da gar nicht um die Frage, ob wir nicht bereit sind, deutsche Steinkohle einzusetzen, es geht um die Frage, zu welchem Preis. Das ist die konkrete Frage, die in Brüssel verhandelt werden muß. Das muß man ganz nüchtern sehen. Deswegen stelle ich wirklich die Frage, ob dies von der Kommission so gesehen worden ist. Wir haben volles Verständnis für die tiefe Verunsicherung und den hohen Erwartungshorizont der Betroffenen. Die Bergleute haben einen Anspruch darauf, daß die Politik Antworten darauf gibt. Wir müssen allerdings auch Sorge dafür tragen - das sage ich im Hinblick auf die Europawahl - , daß unser gemeinsames Ziel Europa nicht durch vielleicht unverständliche administrative Maßnahmen auch in diesem Bereich in Mißkredit gerät. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf eines hinweisen. Ich habe den Eindruck, daß diese Aktuelle Stunde nur dazu genutzt wird, parteipolitisch einseitiges Profil zu gewinnen, ohne der Sache zu dienen. ({5}) Ich denke, der Beweis ist dadurch geliefert worden, daß ausgerechnet der Ministerpräsident des Saarlandes, dem der Bund eh die ganzen Kosten abnimmt, Schmitz ({6}) von hier aus Öl ins Feuer gießt. Herr Ministerpräsident, Sie sollten das heute zurücknehmen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Menzel.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Entwicklung im Bergbau trotz Reduzierung der Förderung von ehemals fast 140 Millionen Jahrestonnen auf jetzt gut 70 Millionen Jahrestonnen, wenn der damit verbundene Abbau von ehemals ca. 700 000 im Bergbau Beschäftigten auf jetzt 150 000 im wesentlichen ohne Unruhe in den Bergbaurevieren vonstatten gegangen ist, dann nur deswegen, weil die Kohlepolitik immer im Konsens zwischen der für die Bergarbeiter zuständigen Gewerkschaft IG Bergbau und Energie, den Bergbauunternehmern und den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern betrieben wurde. ({0}) Das erforderte von allen Beteiligten ein hohes Maß an Kompromißbereitschaft und ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein. Diese Kompromißbereitschaft und das damit verbundene Verantwortungsbewußtsein der Beteiligten fanden letztmalig ihren Niederschlag in der Vereinbarung vom Dezember 1987. In ihr sind alle Beteiligten - ich betone: alle Beteiligten - sicher bis an die Grenze des Zumutbaren gegangen. Niemand sollte unterschätzen, welche Last die IG Bergbau und Energie mit ihrer Zustimmung zu dem Abbau der Förderung um 10 bis 15 Millionen Tonnen und dem damit verbundenen Abbau der Belegschaft um ca. 30 000 mit übernommen hat. ({1}) Kaum sind die erforderlichen Personalpläne fertig, kaum haben die notwendigen personellen Anpassungen und die Umsetzungen begonnen, wird von der Bundesregierung und der EG-Kommission eine neue Kohledebatte vom Zaun gebrochen, die weitere drastische Einschränkungen zur Folge hätte, wenn die EG-Vorstellungen Wirklichkeit würden. Es gäbe dann schon ab 1993, also lange vor Auslaufen des Jahrhundertvertrages, erneute Einbrüche bei der Förderung und erneute drastische Reduzierungen bei den Belegschaften. Es ist nicht nur ein Trauerspiel, es ist erschütternd, wenn sich die Bundesregierung nicht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen eine solche Politik und gegen solche Machenschaften wendet. ({2}) Ich frage Sie: Was sollen denn die Bergarbeiter und ihre Familien denken, was sollen denn die Menschen im Revier davon halten, daß der Kanzler den Eindruck erweckt, als verfolge er eine Politik, den heimischen Bergbau aus Gründen der Energieversorgungssicherung zu erhalten, als setze er diese Sicherheit über kurzfristige wirtschaftliche Überlegungen, jedoch seine Wirtschaftsminister - heißen sie Bangemann oder - inzwischen - Haussmann - sich immer mehr zu Stichwortgebern der EG-Kommission entwickeln und damit die deutschen Interessen unter die Räder kommen lassen? ({3}) Es ist Zeit, Herr Wirtschaftsminister, Sie daran zu erinnern, daß Sie hier vor diesem Hause geschworen haben, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, nicht aber Bauchredner der EG zu sein. ({4}) - Ja, liebe Freunde, das mag Ihnen nicht passen, aber so kommt das in den Revieren an. - Wen wundert es, daß die Bergarbeiter und die Menschen in den Revieren das Vertrauen in die Regierung, ja, das Vertrauen in die Politik verloren haben? Wenn die Bergarbeiter, die als besonnene Staatsbürger bekannt sind, ihre Arbeit niederlegen, wenn sie Straßen blockieren, wenn sich Bergarbeiterfrauen an die Tore von Ministerien ketten, dann tun sie das doch nicht aus Übermut, sondern deswegen, weil sie auf Grund einer Politik, die Sie zu verantworten haben, keinen Ausweg mehr sehen. ({5}) Was sollen die Menschen denn davon halten, wenn das Europäische Parlament fordert, den Anteil fossiler Brennstoffe an der Energieversorgung zu erhöhen, aber letztlich eine Politik betreibt, die dem entgegengesetzt ist? ({6}) Die Bergarbeiter haben die Republik in schweren Zeiten noch nie im Stich gelassen. Sie sind mit hungernden Mägen in die Gruben gefahren und haben durch ihre Leistung - mehr als alle anderen - zum wirtschaftlichen Aufbau der Republik beigetragen. Sie haben, als Mitte der 70er Jahre die Ölhähne abgesperrt wurden und Ölpreise fast nicht mehr bezahlbar waren, abermals in die Hände gespuckt und durch ihre Leistung ein Fiasko vermieden. Heute, wo sie auf den Staat, den sie entscheidend mit aufgebaut haben, angewiesen sind, heute, wo sie Solidarität einfordern, werden sie von der Regierung schmählich im Stich gelassen. ({7}) Das ist es, meine Damen und Herren, was die Bergarbeiter an Rhein und Ruhr hoffnungslos macht und was sie in die Situation bringt, auf die Straße zu gehen, obwohl sie immer als Menschen mit kühlem Kopf bekannt waren. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde geht es um das Thema Klage gegen KohleverDr.-Ing. Laermann stromungsbeihilfe-Entscheidung der EG. Ich frage mich - darauf werde ich dann gleich noch einmal zurückkommen - , ob es wirklich einen Sinn macht, daß wir uns jetzt darüber streiten, was richtiger wäre: zu klagen oder später der Klage beizutreten oder Verhandlungen zu führen mit dem Ziel, in dem wir uns doch hoffentlich dann alle einig sind, die Rolle der deutschen Steinkohle und die Position und die Situation derjenigen, die im Steinkohlebergbau beschäftigt sind und die unmittelbar und mittelbar von ihm abhängen, nämlich die ganze Infrastruktur der Region, zu verbessern. Wir sollten überlegen, ob wir ihnen nicht besser helfen, wenn wir den Weg der Verhandlungen beschreiten. ({0}) Die SPD behauptet, mit dieser Entscheidung vom 30. März greife die EG-Kommission ohne eine gemeinschaftsrechtliche Befugnis in die Zuständigkeit der Bundesregierung für eine nationale Energie- und Kohlepolitik ein. Meine Damen und Herren, dies stimmt doch nicht. Die Kommission hat sehr wohl eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage für ihr Handeln im EGKS-Vertrag. Grundsätzlich gilt, daß Beihilfen, in welcher Form auch immer, nur dann als Gemeinschaftshilfen anerkannt werden können, wenn sie den Kriterien der Art. 2 bis 8 des Montanvertrages entsprechen. Im Rahmen ihrer Entscheidungen hat die Kommission Kohlebeihilfen unter bestimmten Bedingungen genehmigt. Wir beklagen ja auch nicht, daß sie sie für 1987 und 1988 genehmigt hat. Da sprechen wir ihr die Kompetenz nicht ab. Die Entscheidung, die sie nun getroffen hat, gilt bis zum 31. Dezember 1993. Es müßte auch einmal geklärt werden - das ist die Frage, die in den Verhandlungen zu klären ist - , ob es sich um Kohlebeihilfen oder Verstromungsbeihilfen handelt. Ich bin neugierig darauf, wenn wir hier auf den Dampfer gedrängt werden, wie es die Kommission sieht. Bisher hat sich die Bundesregierung dem wirksam widersetzt. Die Kommission hat für 1987 und 1988 die Auflage der Degressivität gemacht. Es soll also abgebaut werden. Es hat aber niemand behauptet, auch die Kornmission in ihrer Entscheidung nicht, daß damit bis 1993 der Jahrhundertvertrag auslaufen muß. Sie hat nur gesagt: Ihr müßt darüber nachdenken, wie ihr denn die Degressivität der Beihilfen gestaltet. Das ist etwas ganz anderes als das, was hier immer behauptet wird. Es wird auch behauptet, die Kommission hätte andere Staaten nicht berücksichtigt; bei anderen Staaten hätte sie sich dazu nicht geäußert. Wollen Sie einmal nachlesen, daß auch Spanien und Großbritannien aufgefordert sind, ein Konzept für den Abbau von Beihilfen vorzulegen! Wir haben die Bundesregierung immer bedrängt, bei einem Abbau der Subventionen für den Stahl im Interesse der heimischen Stahlindustrie voranzumachen. Da haben wir der Kommission ebenfalls eine Kompetenz zugebilligt. Die Kommission sollte hier nämlich sehr viel stärker den Subventionskodex beachten. Also, entweder gilt das, oder es gilt nicht. Einmal so und einmal so kann ja wahrscheinlich nicht die richtige Position sein. ({1}) Es ließe sich in vielen Punkten hier noch Ähnliches widerlegen, was von Ihrer Seite aus behauptet worden ist. Aber ich denke, angesichts meiner Eingangsworte hilft eigentlich die Auseinandersetzung, ob man Klage führen soll oder nicht oder ob die Klage richtig ist oder falsch ist, nicht. Ist es nicht vielmehr unsere Aufgabe und sollten wir uns dieser nicht vielmehr zuwenden, uns dafür einzusetzen und unser Gehirnschmalz darauf zu verwenden, die Anschlußregelung zu konzipieren und gemeinsam unsere Kräfte auf die Aufgabe zu fokussieren, ein Konzept für eine Anschlußregelung zu finden und gemeinsam nach Strukturen und Lösungen zu suchen, wie wir den Menschen in den Bergbaugebieten helfen können. ({2}) Da geht es um die Saar; da geht es um die Ruhr; da geht es um Ibbenbüren; da geht es um Sophia Jacoba; da geht es um den Bereich EBV. ({3}) Ich rufe Sie auf, daß wir uns gemeinsam darum bemühen, Lösungen zu finden, ({4}) wie wir den Menschen in diesen Regionen dauerhaft helfen können, wie wir langfristige Konzepte erarbeiten können, die auch darauf Rücksicht nehmen, daß mit Sicherheit im Laufe der nächsten Jahrzehnte der Kohleabbau zurückgehen wird. Wir müssen also den Strukturwandel in diesen Regionen forcieren. ({5}) - Ich denke, wir reden hier als Parlament, und als Parlamentarier sind wir ebenfalls aufgerufen, uns um diese Dinge zu bemühen. Oder sitzen Sie nur da, um die Regierung zu kritisieren, und sitzen wir nur da, um die Regierung und ihr Tun zu bejubeln? Das ist nicht meine Auffassung von der Aufgabe eines Abgeordneten hier in diesem Hohen Hause. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann. ({0})

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Laermann hat in einem Punkt völlig recht: Es kommt darauf an, die Kräfte zu fokussieren. Die Frage ist: Worauf? Ich finde es völlig verkürzt, wenn in dieser Aktuellen Stunde lediglich die Frage „klare oder nicht klare Haltung der Bundesregierung in dieser Frage" zur Diskussion steht, sondern das ist nur ein aktueller Anlaß, der vor einem viel breiteren Hintergrund, den ich vorhin skizziert habe, zu interpretieren ist. Meines Erachtens kommt es, wenn man die Kräfte fokussiert, darauf an, die Hauptgefahr darin zu sehen, daß laut EG-Kommission oder Bennigsen-Foerder oder wie sie alle heißen ein neuer Konsens von Kohle und Kernenergie etabliert werden soll: ein bißchen WAA weniger und Schneller Brüter weniger, aber Leichtwasserreaktoren laufen weiter, Zechen weniger. Kräfte fokussieren, das heißt, einen neuen Konsens dagegenzusetzen. Und diesen neuen Konsens sehe ich in einem noch zukünftigen, aber möglichen Bündnis von Antiatombewegung, Umweltschutzbewegung, die die Klimakatastrophe ernst und zur Anleitung ihres eigenen Handelns nimmt, und Bergleuten. Ich weiß, daß wir von einem solchen Bündnis weit entfernt sind. ({0}) Aber das in Angriff zu nehmen, Herr Niggemeier, wäre eine gemeinsame Aufgabe. Ich beklatsche, wenn 50 Bergleutefrauen den Zugang zum Bundeswirtschaftsministerium blockieren, als eine hervorragende Aktion. Aber gerade Sie, Herr Niggemeier, sollten die „einheit", Ihr Organ, nutzen, um zur Blokkade von Zufahrten von RWE und VEW im Ruhrgebiet aufzurufen - dort sitzen die Gegner, ({1}) die der Kohle den Garaus machen wollen - , dazu aufzurufen, ({2}) die Zufahrten zur VEBA zu blockieren. ({3}) Die Blockadeaktionen auf der Straße wie damals bei Rheinhausen sind notwendig. Ich hoffe, daß sie zunehmen. Ich hoffe, daß GRÜNE sich an diesen Blokkadeaktionen beteiligen. ({4}) Aber es kommt darauf an, den richtigen Gegner auszumachen. Zu diesem Gegner gehört die Bundesregierung. Es ist das Bündnis von Atomenergie, EG- Kommission und Bundesregierung, das wir mit vereinten Kräften bekämpfen müssen. Danke schön. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß es sich bei dem Aufruf zu den Blockaden nur um angemeldete Demonstrationen handeln kann. Denn andernfalls würde ich das von diesem Pult nicht dulden können. ({0}) - Dann allerdings erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf ({1}) und fordere Sie auf, derartige Aufrufe von diesem Pult aus nicht zu wiederholen. ({2}) Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum benötigt die deutsche Kohle eine längerfristige Perspektive über den Jahrhundertvertrag hinaus? Weil weder Herr Lafontaine noch Herr Rau hexen können. Weder können sie den Energiepreis hochmanipulieren, ({0}) noch können sie neue Märkte für die Kohle hervorzaubern, noch können sie Kohlehalden verschwinden lassen, noch können sie revierferne Länder und die Kommission zwingen, die bisherige Kohlepolitik unverändert fortzusetzen. ({1}) Und wer längerfristig den Kumpels eine Perspektive geben will, der muß sich hier hinstellen und ehrlich sagen, was langfristig möglich ist. ({2}) Wer dazu beiträgt, daß die Kohle rein parteipolitisch behandelt wird, wie es gestern im Landtag in Saarbrücken geschehen ist, ({3}) und wer nachher erlebt hat, wie aggressiv und wie fehlgeleitet Kumpels auf Bonner Politiker zugehen - Sie werden die Bundesregierung, Herr Ministerpräsident, und die Brüsseler Kommission bei Ihrem Strukturproblem noch benötigen. ({4}) Ich warne Sie davor, ({5}) etwas Falsches zu eröffnen. ({6}) - Dies hier ist ein Ort der offenen Aussprache. ({7}) Deshalb muß das hier einmal gesagt werden. ({8}) Es bleibt dabei, daß die Zukunft der deutschen Kohle und der Bergleute und ihrer Angehörigen nicht zum Gegenstand billiger Polemik und Parteipolitik gemacht werden darf. Wir brauchen eine langfristige, eine solide Fortschreibung unserer Energiepolitik. ({9}) - Hören Sie bitte zu, es kommt jetzt. ({10}) Es gibt nicht den geringsten Zweifel, daß die heimische Kohle auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag in der Bundesrepublik leisten wird. Diese Bundesregierung aus Unionsparteien und FDP leistet für die deutsche Kohle den höchsten Beitrag in der Geschichte. 10 Milliarden DM im Jahr werden eingesetzt. ({11}) Das sind Steuergelder von Ihnen und von uns, von den kleinen und mittleren Betrieben. Wir haben es überhaupt nicht nötig, uns dafür zu entschuldigen. ({12}) Wir stehen vor den Bergleuten. Bloß müssen Sie mit uns die Antwort geben, wie es langfristig weitergehen soll. ({13}) Es wäre eine Illusion und trüge zur Fehlleitung der Kumpels bei, wenn wir glauben machten, der gemeinsame Binnenmarkt könne an der Energiepolitik vorbeigehen, meine Damen und Herren. Genauso wie sich die Arbeitnehmer in der Textil-, in der Holzindustrie auf den Binnenmarkt vorbereiten müssen, genauso müssen wir den Kumpels sagen, wo ihre Chancen langfristig liegen. Ich nehme es im Interesse der Kumpels gerne in Kauf - ich mache das häufig -, mit Sozialisten in Brüssel und in Paris die antieuropäische Einstellung der SPD in Ordnung zu bringen. ({14}) - Natürlich. Denn, meine Damen und Herren, so wird es in Paris und in Brüssel gesehen. ({15}) Deshalb werde ich meinen Beitrag dazu leisten, daß wir die schwierigen Verhandlungen nicht mit einer Klage beginnen, sondern mit Gesprächen. Das ist der Schlüssel zur Lösung. Das ist keine rechtliche Frage. Wir nützen die Zeit, um zusammen mit dem Kommissar für Energie, mit dem ich verhandle, und mit dem Kommissar für regionale Beihilfen zusätzliche Programme für das Saarland und für Nordrhein-Westfalen zu mobilisieren, die wir benötigen, um weitere regional- und sozialpolitische Flankierungen zu leisten. Denn niemand kann sich langfristig über die Veränderungen in der Energie- und in der Klimapolitik, Herr Umweltsprecher, hinwegtäuschen. ({16}) Deshalb brauchen wir jetzt eine Perspektive, die über die Wahltermine im Saarland und in Nordrhein-Westfalen hinausgeht und die den Kumpels Klarheit gibt. Ein solches Konzept, an dem wir konsequent arbeiten, kann nicht vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden. Wir sollten uns gegenüber den Bergleuten nicht so verhalten, als ließe sich die Kohlepolitik auf eine rechtliche Frage verkürzen. Wer so denkt, denkt unpolitisch und verbaut bessere Lösungswege. Wir brauchen eine politische, eine verhandlungspolitische langfristige Lösung. Daß das möglich ist, zeigt die erreichte Zustimmung der Kommission zur Verlängerung des Hüttenvertrags. Die Erfahrungen sprechen dafür, daß sich auch bei der Verstromung mit der EG-Kommission Einvernehmen erzielen läßt. Die Bundesregierung will den Verhandlungsspielraum für eine langfristige Lösung nutzen. Die Bundesregierung wird ein Konzept zur längerfristigen Sicherung der Verstromung deutscher Steinkohle nach Auslaufen des Jahrhundertvertrags vorlegen. Dabei müssen wir erstens von den Stromzuwachsraten ausgehen, zweitens von dem Preisverhältnis zu den anderen Energien, drittens von der Kostenentwicklung des Bergbaus, viertens von den umweltpolitischen Erfordernissen. Wir müssen nicht zuletzt die Rahmendaten für die Energie im EG-Binnenmarkt berücksichtigen. Mit den Ressorts und den Bergbauländern sind die Gespräche aufgenommen. Sie werden weiter mit den Bundesländern, mit den Bergbauunternehmen und der IGBE geführt werden, die sich im übrigen manchmal staatspolitischer verhält als manche Parteisprecher. Auch das ist eine interessante Erfahrung bei dieser Debatte. Deshalb müssen alle Beteiligte Beiträge leisten. Nicht nur die Bundesregierung, nicht nur die Kohle und die Elektrizitätswirtschaft, auch die Bergbauländer und die revierfernen Länder müssen ihren Beitrag einbringen. Diese Verhandlungen sind nicht so einfach, wie sie hier dargestellt werden. Bei jeder Veränderung wird selbstverständlich den regional- und sozialpolitischen Notwendigkeiten wie bisher Rechnung getragen. Es ist einfach falsch, daß durch die Klage irgendein Arbeitsplatz im Ruhrgebiet oder im Saarland gefördert werde. Es ist eine verhandlungstaktische Entscheidung, über die wir reden, aber keine strukturelle Entscheidung über die Kohle. Man beginnt eine wichtige Verhandlungsrunde nicht mit einer Klage. Eine Klage gegen die Beihilfeentscheidung der Kommission zum jetzigen Zeitpunkt würde uns dazu zwingen, die für ein langfristiges Konzept notwendigen politischen Verhandlungsspielräume aufzugeben ({17}) oder durch starre Rechtspositionen zu ersetzen. Außerdem würden wir das Verhandlungsklima erschweren. Ich bin gern bereit, gemeinsam mit Herrn Lafontaine und Herrn Rau Verhandlungen mit der Kommission in Brüssel zu führen. Ich lade Sie dazu ein. Nur das bringt uns weiter. Aber hier im Deutschen Bundestag so zu tun, als könnten wir eine langfristige Kohle-, Energie- und Strukturpolitik gegen die Kommission durchsetzen, ist Illusion und zeigt den Menschen nicht die Wahrheit. ({18}) Die Kommission hat die Verstromungshilfe für 1987 und 1988 nicht verboten, sondern erlaubt. Sie hat dies mit der Auflage verbunden, daß die Bundesregierung für den Bergbau ein Konzept über die Verringerung der Hilfen - nicht der Abschaffung - vorlegt. Das erfordert andere Finanzierungsinstrumente als bisher; denn auch in Ihrer Fraktion sind die Kollegen aus revierfernen Ländern immer weniger bereit, dazu beizutragen. ({19}) Kurzum: Wer klagt, kann nicht mehr verhandeln, aber wer verhandelt, kann notfalls immer noch klagen. ({20})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlands, Lafontaine. Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Beschluß zur Kohlerunde 1987 beim Bundeskanzler heißt es wörtlich - ich habe Veranlassung, ihn in Erinnerung zu rufen -: Alle Beteiligten sind der Auffassung, daß eine sozialverträgliche Abwicklung der Anpassungsmaßnahmen - also minus 10 Millionen bis 15 Millionen Jahrestonnen nur bei vollem Erhalt der Absatzposition der heimischen Steinkohle in der Verstromung möglich sein wird. Die Beteiligten setzen sich für eine Regelung nach 1995 ein, die an das geltende Vertragswerk anknüpft. Wenn Sie zu dieser Vereinbarung stehen würden, könnte ich mich wieder hinsetzen und hätte mir die Fahrt nach Bonn sparen können. ({1}) Das Problem ist - vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, meine Damen und Herren -, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung von dieser Vereinbarung bereits abgerückt ist. ({2}) Er sagte nämlich: Der laufende Vertrag muß dabei auf eine finanziell tragfähige Grundlage gestellt werden. Dies bedeutet auch, daß die Verstromungsmenge nicht ausgeweitet werden kann. Der Jahrhundertvertrag aber, meine Damen und Herren - dies müssen Sie endlich einmal lernen - sieht für das letzte Jahrfünft eine Ausweitung der Verstromungsmenge vor. ({3}) Wer also zum Jahrhundertvertrag steht, muß auch zu dieser Bestimmung des Jahrhundertvertrags stehen und nicht im Nachhinein versuchen, der Kohle die Grundlage in der Verstromung zu entziehen. ({4}) Würden Sie zu der 87er Vereinbarung stehen, dann wäre erreicht, was die Energiewirtschaft unbedingt braucht: Investitionssicherheit. Bei allem, was wir in der letzten Zeit an Hin und Her erlebt haben, auch wenn es um die Setzung der Rahmendaten für die Wirtschaft ging, Quellensteuer, Ladenschluß, Wehrdienst, Wackersdorf, was immer Sie wollen, ({5}) im Bergbau können Sie sich dieses Hin und Her nicht erlauben. Der Bergbau braucht langfristige Investitionssicherheit. ({6}) Herr Bundeswirtschaftsminister, die Kumpel an Rhein und Ruhr und die Bergleute an der Saar sehen in der Entscheidung der Kommission vom 30. März gegen die deutsche Kohleverstromung das Ergebnis eines abgestimmten Spiels zwischen Ihrem Hause und Ihrem Amtsvorgänger, dem jetzigen EG-Kommissar Herrn Bangemann. Dies ist nicht von ungefähr so, dies ist vielseitig belegbar. Es müßte doch aufgefallen sein, daß sich die Kommission in erster Linie der deutschen Kohlesubventionen angenommen hat - ein ganz und gar merkwürdiges Vorgehen - , und es müßte erst recht aufgefallen sein, daß über die Riesensubventionen bei den Entscheidungen der Kommission hinsichtlich der Preisbildung auf dem Energiemarkt überhaupt kein Wort verloren wurde. So geht dies auf Dauer nicht weiter. ({7}) Deshalb, Herr Haussmann, mußte die Ihnen sicherlich nicht fernstehende „Frankfurter Allgemeine Zeitung" ja schreiben: Es klingt fast paradox, wenn der Bundeswirtschaftsminister, in dessen Ressort die Energiepolitik fällt, die Brüsseler Kritik an den deutschen Kohlesubventionen freudig begrüßt. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, die Position der deutschen Steinkohle gegenüber Brüssel zu vertreten, anstatt diese Entscheidung freudig zu begrüßen. ({8}) Bei dem Hin und Her der Argumentation lese ich Ihnen vor, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU Ihnen geschrieben hat, vielleicht ist das Ihrer Fraktion noch nicht bekannt: Falls diese Entscheidung Bestandskraft erhielte, - so Herr Dregger an Sie, Herr Haussmann könnte das in der Kohlerunde 1987 vereinbarte Anpassungsprogramm für den deutschen Steinkohlebergbau nicht mehr ordentlich durchgeführt werden. - Genau darum geht es. Das in der Regierungserklärung vom 27. April 1989 von Herrn Bundeskanzler Dr. Kohl angekündigte Konzept zur längerfristigen Sicherung Ministerpräsident Lafontaine ({9}) der Verstromung deutscher Steinkohle über das Auslaufen des Jahrhundertvertrages hinaus wäre völlig blockiert. - So immer noch Herr Dregger. Nach meiner Überzeugung muß die Bundesregierung alles daransetzen, um diese Zwangslage zu verhindern. Daher ist es notwendig, gegen die Entscheidung der Kommission Klage zu erheben. Ich bin hier in der Lage, Herrn Dregger gegen die falsche Entscheidung der Bundesregierung in Schutz nehmen zu müssen und seine Argumente aufzugreifen. ({10}) Im übrigen wäre es wirklich ratsam, wenn Sie in Ihrem Hause einmal sicherstellen würden, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß in der zuständigen Abteilung nicht allein Primärenergieträger eine Lobby haben, die eben nicht Steinkohle heißen. Das ist nämlich das Problem. ({11}) Ich will Ihnen einen Vermerk aus Ihrem Hause vortragen, der wirklich rührend ist, aus dem dies eindeutig hervorgeht. In diesem Vermerk steht: Der Europäische Gerichtshof folgt unserer Rechtsauffassung. ({12}) Das wäre eine Möglichkeit. Wenn wir klagen, dann wären die Verstromungshilfen zwar als Hilfen an die Elektrizitätswirtschaft zu werten, entsprechend dem EWG-Vertrag. Offen ist aber, ob dies von der Kommission dann hingenommen würde. Und dann sorgt sich Ihr Mitarbeiter: Ihre Wettbewerbsrelevanz im Hinblick auf französische Stromexportproblematik würde möglicherweise sehr kritisch gesehen und könnte zur Untersagung führen. Meine Damen und Herren, wann nehmen wir endlich zur Kenntnis, daß der französische Strom in ungleich höherem Maße subventioniert wird als der deutsche Strom? ({13}) Dies, meine Damen und Herren, ist das Problem. Ich will Ihnen gern die Zahlen nennen. Der Verlustvortrag der EDF beträgt 235 Milliarden DM. Ziehen Sie dies mal hoch, und dann rechnen Sie hinzu die Subventionen, die Bonifikationen aus dem Staatshaushalt, und dann rechnen Sie noch die verdeckten Subventionen aus der Force de Frappe hinzu. Dann wird Ihnen vielleicht irgendwann einmal ein Licht aufgehen, daß das Märchen von der billigen Kernenergie längst ein Märchen ist, spätestens dann, wenn Sie einmal die Kosten angeben müssen, die Sie aufwenden müssen, um den radioaktiven Abfall zu beseitigen. ({14}) Dies, meine Damen und Herren, zeigt auch das Problem, das Ihrer falschen, fehlerhaften Energiepolitik zugrunde liegt. Der Bundeskanzler hat in seinem Beitrag hier vor dem Bundestag in seiner Regierungserklärung noch einmal gesagt: Die Kernenergie schafft die Voraussetzung dafür, daß die heimische Kohle auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag für unsere Energieversorgung leisten kann. Wer diesen Zusammenhang ignoriert, stellt die Existenzgrundlage des deutschen Bergbaus in Frage. Hier ist so viel von Konsens die Rede. Meine Damen und Herren, nehmen Sie endlich einmal den Energiekonsens des Jahres 1977 zur Kenntnis. Ich lese ihn vor: Die deutsche Stein- und Braunkohle ist vorrangig zu nutzen. Nur diese beiden Energieträger stehen aus eigener Förderung in ausreichender Menge zur Verfügung. Die Kernenergie ist in dem zur Sicherung der Stromversorgung unerläßlichen Ausmaß unter Beachtung des Vorrangs der Sicherheit der Bevölkerung auszubauen. Dies war der Konsens, zu dem wir immer gestanden haben. Aber seit dem Jahre 1985 - und nehmen Sie dies endlich einmal zur Kenntnis - haben wir nicht mehr den Kohlevorrang, sondern haben wir in immer weiterem Ausmaß einen Kernenergievorrang. Hier ist faktisch der Konsens gebrochen worden. ({15}) Wenn Sie wirklich eine Konzeption wollen, Herr Bundeswirtschaftsminister - ich lade Sie gerne dazu ein, ihn zu finden - , ({16}) dann kehren Sie zu dem 87er Kompromiß zurück. Es ist auf Dauer den Bergbauländern und Bergbauunternehmen nicht mehr zumutbar, daß in immer kürzeren Fristen das Wort gebrochen wird und daß im Bergbau von einer langfristigen Investitionssicherheit für die Planung absolut nicht mehr gesprochen werden kann. ({17}) Meine Damen und Herren, die Kumpels können das auf eine ganz einfache Formel bringen: Es ist eine Tatsache, daß alle Strombedarfsrechnungen in den 70er und 80er Jahren falsch waren. Daher haben wir gewaltige Überkapazitäten. Die politische Entscheidung, die zu treffen ist, ist die: Wer trägt die Lasten der Fehlplanung? Meine Antwort ist ganz einfach: Es können nicht immer nur Bergwerke geschlossen werden, es müssen auch einmal Kernkraftwerke stillgelegt werden. ({18})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst drücke ich meine Freude darüber aus, daß im Gegensatz zu Debatten dieser Art, die wir in der Vergangenheit geführt haben, diesmal die saarländische Landesregierung vertreten ist. Nur, Ihre Interpretation des Jahrhundertvertrages und der Steigerungsmengen im dritten Jahrfünft ist schlichtweg falsch. Die Formulierungen des Vertrages sehen keine Steigerungen dieser Mengen in der Endphase vor. Im übrigen lesen Sie bitte, Herr Lafontaine, diese Broschüre „Steinkohle 87/88" durch. Dann werden Sie feststellen, daß noch nie so viel Steinkohle ({0}) - deutsche Steinkohle - verstromt worden ist, wie zum jetzigen Zeitpunkt. Insofern gehen Ihre Vorwürfe ins Leere. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will mich mit einem Satz auch noch an Herrn Bundesminister Haussmann wenden. Hier ist die „Saarbrücker Zeitung" von heute. Dort ist die Überschrift „5 000 Bergleute gingen wieder auf die Straße". Daneben ist ein Bild von Ihnen, Herr Haussmann. Sie sind sehr gut getroffen. Aber unten drunter steht: „Eier und Tomaten warfen aufgebrachte Bergleute in Saarbrücken gegen Bundeswirtschaftsminister Haussmann ... " Ich möchte Sie, Herr Haussmann, ausdrücklich in Schutz nehmen vor den unqualifizierten Aussagen des Herrn Lafontaine und anderer gestern im Saarländischen Landtag. Ich weiß um Ihre Lauterkeit in den kohlepolitischen Fragen aus langjähriger Zusammenarbeit im Wirtschaufsausschuß. ({2}) Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man die Kumpels, die Bergleute, und die Unternehmen ein paar Tage vor dem 9. Mai, vor dem Auslaufen der Klagefrist, in Ihr Haus bestellt und ihnen gesagt hätte: soundso ist die Lage, wir klagen aus dem Grunde nicht, weil das Prozeßrisiko soundso ist, dann hätten diese Leute - die Bergleute sind nämlich sehr vernünftige Leute ({3}) das auch verstanden, und wir hätten nicht denjenigen, die aus ganz simplen Wahlkampfgründen die Emotionen schüren wollen, derart Munition geliefert. ({4}) Meine Damen und Herren, diese Dinge muß ich Ihnen schon sagen. Es gibt ja gute Argumente, warum man so zu verfahren gedenkt und nicht anders. Wenn wir sagen, das sei demagogische Hetze, handelten wir uns den Vorwurf ein, wir würden die Bergleute entmündigen - so heute auch in der Zeitung zu lesen. Mir liegt überhaupt nichts daran, die Bergleute zu entmündigen. Ich habe viel zuviel Respekt vor diesem Berufsstand, nicht zuletzt weil viele aus meiner Familie diesem Berufsstand angehört haben. Aber hier wird mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und Polemik gearbeitet, bei Dingen, die man leider wegen der Kompliziertheit der Materie nicht in drei Sätzen darstellen kann. Ich nenne beispielsweise den Beitrag von Sittner gestern im saarländischen Fernsehen, der wiederum davon gesprochen hat, jetzt könnten die Invesititonsplanungen nicht richtig durchgeführt werden, die in der Kohlerunde 1987 verabredet worden seien. Er hat aber vergessen, zu sagen, daß das, was Saarberg investiert, cash aus der Bundeskasse fließt, 117,5 Millionen DM. Das wird verschwiegen. Auch das zähle ich zu dieser Polemik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Wir haben hier eben noch einmal die bekannten Argumente gehört: Landwirtschaft wird subventioniert, Airbus wird subventioniert. Dann kam der populistische Satz von Ihnen: Bevor eine Grube geschlossen werde, müsse ein Kernkraftwerk geschlossen werden. Das bringt Beifall, ganz selbstverständlich. ({6}) Nur bringt uns das überhaupt keinen Schritt weiter. Kein Wort über die Kosten, kein Wort über die Einbrüche der Kohle im Wärmemarkt usw., nur die sattsam bekannten Vorwürfe, die EDF werde in diesem Ausmaß subventioniert. Den Beweis müssen Sie noch erbringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Energiepolitik bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist erst von dem Zeitpunkt an in die Schieflage geraten, als Sie mit Ihrem missionarischen Eifer versucht haben, uns alle von Ihren energiepolitischen Beglükkungsszenarien zu überzeugen, Szenarien, die u. a. darauf hinauslaufen - man höre und staune - , daß die Stadtwerke Saarbrücken Importkohle einsetzen wollen. Das ist die Wahrheit. ({7}) Wie geht es denn jetzt weiter? Ich verlasse mich auf das, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 27. April gesagt hat. Das hat er auch in der Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag präzisiert. Er hat ausgeführt, daß die Bergleute Solidarität verdienen. Er hat beispielsweise auch ausgeführt, daß der Hüttenvertrag bis 1997 verlängert worden ist. Das ist ein Erfolg von Verhandlungen. Wir müssen im Verhandlungswege die Dinge jetzt optimal regeln. Er hat wörtlich gesagt: Warum jetzt das große Schwert ziehen? - Der Bundeskanzler ist also bemüht, alle Beteiligten in dieser schwierigen Frage zu einem Konsens zu führen. Und zu den Beteiligten gehört auch Ihre Regierung, Herr Lafontaine. Ich bitte Sie ganz herzlich, Ihre Verantwortung hier wahrzunehmen. Ich bedanke mich. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wohl kaum ein politisches Feld, auf dem so viel mit Halbwahrheiten, Doppelzüngigkeiten, Heuchelei und ähnlichem gearbeitet worden ist wie das Feld der deutschen Kohlepolitik. Das jüngste Beispiel dafür ist eine Meldung aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute, wonach der Bundeskanzler gestern mit der IG Bergbau telefoniert und ihr seine Vorstellungen für die zukünftige Energiepolitik erläutert haben soll. Das Problem dabei ist, daß dieses Telefonat bei der IG Bergbau nicht angekommen ist. Dort weiß niemand etwas davon. Mit wem der Bundeskanzler telefoniert haben mag, sei dahingestellt. ({0}) Das ist nur ein Beispiel. Die energiepolitischen Aktivitäten und Diskussionsbeiträge aus der Bundesregierung und aus den Regierungsfraktionen ergeben ein völlig konfuses Bild. Die einen von Ihnen versuchen, bei Grubenfahrten und in Sonntagsreden die Bergleute bei der Stange zu halten. Die anderen, Haussmann in Bonn, Bangemann in Brüssel, ziehen im Hintergrund die Fäden und bereiten den Garaus für die deutsche Kohle vor. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind auf diesem Feld an Doppelzüngigkeit kaum noch zu überbieten. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Die Katze aus dem Sack ließ der heutige Bundesfinanzminister Dr. Waigel in einem am 6. Dezember 1988 an den Bundeskanzler geschriebenen Brief - ich zitiere - : Spätestens wenn die Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten Rau und Lafontaine und mit den EVU stocken bzw. bis März keine konkreten und annehmbaren Ergebnisse zeigen, muß deren Verantwortung für das Scheitern der Kohlepolitik offen gebrandmarkt und die Frage nach dem Kohlemengengerüst neu gestellt und rasch entschieden werden. Die Regieanweisung ist völlig klar: Scheinverhandlungen mit den Bergbauländern führen, danach die Verhandlungen platzen lassen, den Schwarzen Peter den Bergbauländern in die Schuhe schieben und anschließend um so besser die eigene Absicht durchsetzen, nämlich eine weitere dramatische Verringerung der Kohlemenge. ({1}) Dieses Drehbuch ist feige und hinterhältig zugleich. Es ist feige, weil die Bundesregierung nicht den Mut hat, zu sagen, was sie selbst will und was sie für richtig hält. Es ist hinterhältig, weil sie gerade diejenigen an den Pranger stellen will, die in der Vergangenheit und bis heute für die deutschen Kohleinteressen gekämpft haben. Sie müssen folgende Frage beantworten: Gilt für Sie noch die zentrale Begründung für den Jahrhundertvertrag, daß nämlich der garantierte Einsatz der deutschen Steinkohle eine Versicherung gegen eventuelle Energieknappheit und andere Risiken auf dem Weltmarkt ist? Gilt das noch, oder gilt für Sie vor dem Hintergrund des Binnenmarktes, daß der deutschen Kohle keine nationale, sondern nur noch regionale und sozialpolitische Bedeutung zukommt? Diese Frage haben Sie bis heute nicht beantwortet. ({2}) Die einen von Ihnen reden so, die anderen reden anders. Die Schlußfolgerung aus der jeweiligen Einschätzung ist natürlich eine völlig andere. Staatssekretär Riedl hat mir gestern auf eine entsprechende Frage in der Fragestunde mitgeteilt, daß weitere Mengenanpassungen, auf gut deutsch: weitere drastische Kürzungen der deutschen Kohleförderung, selbstverständlich regional- und sozialpolitisch vertretbar abgewickelt werden. Ich frage Sie: Wo haben Sie ein Konzept für Ersatzarbeitsplätze, was die regionalen Auswirkungen anbelangt? Wir verlieren im Saarland infolge der Kohlerunde 1987 4 000 Bergarbeiterarbeitsplätze. Es gibt überhaupt nicht den Ansatz eines Ersatzkonzeptes auf seiten der Bundesregierung. ({3}) - Sie zeigen jetzt genau in die falsche Richtung; denn wenn Sie mit mir der Meinung sind, daß die deutsche Kohleförderung ein nationales, ein Bundesinteresse ist, können Sie nicht die Finger heben und auf die Seite der Bundesländer zeigen. Da müssen Sie auf sich selbst zeigen und sich fragen, welche Ersatzarbeitsplätze Sie schaffen wollen. ({4}) Sie haben des weiteren gesagt, es solle sozial vertretbar abgewickelt werden. Wir waren vor wenigen Wochen in einer der größeren Gruben des Saarlandes, in der Grube Ensdorf. Das Durchschnittsalter der Bergleute in der Grube Ensdorf beträgt 31 Jahre. Was wollen Sie denn angesichts dessen noch sozialpolitisch vertretbar abwickeln? Wollen Sie die mit 32 Jahren frühpensionieren? Sie haben nicht den Ansatz einer Konzeption, weder im regional- noch im sozialpolitischen Bereich, um mit den von Ihnen verursachten Problemen einigermaßen angemessen fertig werden zu können. ({5}) Die entscheidende Frage, die Sie beantworten müssen, ist, ob eines der größten Industrieländer der Welt ganz überwiegend auf die breite Nutzung der heimischen Energievorräte verzichten kann. Das Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Brüsseler Beschlüssen ist ein weiterer Meilenstein in Richtung auf eine dramatische Reduzierung der Kohleförderung. Es geht im Kern darum, dem Drängen der französischen Staatsregierung nachzugeben, den deutschen Markt für den französischen Atomstrom breit zu öffnen. Dann ist es in der Tat bemerkenswert zu wissen, daß das staatliche Monopolunternehmen Electricité de France bis zum heutigen Tage einen Schuldenballast von 240 Milliarden Franc mit sich herumschleppt; das sind, über den Daumen, mehr als 70 Milliarden DM. Es ist klar, was es unter Wettbewerbsgesichtspunkten heißt, wenn eine in giganti10596 schen Maßen hoch subventionierte Atomenergie auf den deutschen Markt zu Dumpingpreisen strömen soll und wir dafür den Preis in Form eines weiteren Verzichts auf bundesdeutsche Steinkohleförderung zahlen sollen. Wer vertritt denn eigentlich in Brüssel deutsche Interessen? Ich frage als Saarländer: Wer vertritt in dieser Bundesregierung saarländische Interessen? Umweltminister Töpfer, für den die zukünftige Aufgabe, im Saarland Ministerpräsident werden zu sollen, wohl eher zum Alptraum geworden ist, ist das ja wohl nicht. Wer ist es denn eigentlich noch? Wer vertritt von dieser Mannschaft in Brüssel deutsche Interessen? Wer vertritt in dieser Mannschaft saarländische Interessen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schreiner, auch Ihr Engagement kann mich nicht veranlassen, von der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung abzuweichen. Ihre fünf Minuten Redezeit sind zu Ende. Ich kann es nicht ändern.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, es wäre noch vieles zu sagen, aber wir lassen es einmal dabei. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre mir diese Debatte seit einer Stunde an. ({0}) Ich höre von der Opposition nichts anderes als Verdächtigungen, Beschimpfungen, Unterstellungen. Wie ein Wasserfall hat Herr Schreiner von „Feigheit", „heuchlerisch", „hinterhältig" gesprochen. Ich frage, ob einem Bergmann - auch nur einem Bergmann - mit solchen Reden geholfen ist. ({1}) Ich frage mich, ob mit Vorwürfen dieser Art ohne Alternative - auch Herr Lafontaine ohne Alternative!, bei Licht betrachtet ohne Alternative! - auch nur eine Tonne Kohle mehr gefördert wird. Worum streiten wir uns? Wir streiten uns - das scheint der Mittelpunkt des Streites zu sein - : Verhandeln mit der EG und klagen und in welcher Reihenfolge. Darum geht der ganze Streit, ob man erst verhandelt und dann klagt oder gleichzeitig verhandelt und klagt. ({2}) Darum geht's. Um es einmal festzuhalten: Darum geht der Streit. Das ist ein Streit über Instrumente. Das ist kein Streit über Ziele. ({3}) Es steht ja gar nicht unter Datenschutz: Ich beispielsweise war der Meinung, man sollte verhandeln und gleichzeitig klagen. ({4}) Aber das ist doch lediglich eine taktische Differenz. Man kann die Frage auch anders beantworten. Es gibt gute Gründe dafür und dagegen. Diesen taktischen Streit jetzt zum Testfall der Glaubwürdigkeit zu machen, das halte ich in der Tat für eine Unterminierung unserer Verhandlungsposition. ({5}) Herr Kollege Lafontaine, Sie haben unserer Verhandlung schwer geschadet. Wenn Sie sagen, es sei ein abgekartetes Spiel mit der Kommission, dann haben Sie die deutsche Position, die Verhandlungsposition für die Kumpel, hier vor dem Deutschen Bundestag schwer unterminiert. ({6}) Meine Damen und Herren, laßt doch Tatsachen sprechen. Es gab keine Bundesregierung - Herr Lafontaine, gehen Sie an dieses Pult, und beweisen Sie das Gegenteil - , die der Kohle mehr geholfen hat als die jetzt amtierende Bundesregierung. ({7}) Sagen Sie mir, Herr Lafontaine: Wann hat eine Bundesregierung mehr Geld für die Kohle investiert, im übrigen auch für Begleitprogramme, für Umstrukturierung an Rhein und Ruhr, für das Aachener Regionalprogramm? Auch Sie, Herr Lafontaine, profitieren von dem, was Bonn für die Bergbauländer tut, auch für das Saarland, im übrigen keineswegs unter dem allgemeinen Beifall. 10 Milliarden DM 1988 für die Kohle! Und da stellen Sie sich hierhin und sagen, wir würden nichts tun als nur Worte reden. Mehr als jede andere Regierung haben wir für die Kohle getan. Ich will keinen Zweifel daran lassen: Der Jahrhundertvertrag gilt. Er gilt leider nicht 100 Jahre, sondern nur bis 1995. Eine Anschlußregelung muß her, und zwar jetzt. Damit stimmen wir überein. Nicht erst nach Wahlen, jetzt muß die Anschlußregelung gefunden werden. Wenn man sie gefunden hat, kann man auch im Konsens verhandeln, wie man sich den neuen Mengen nähert. Wenn man früher beginnt, hat man eine längere Wegstrecke, kann die Landung sanfter sein. Wenn man später beginnt, ist sie abrupter. Das ist Gegenstand einvernehmlicher Regelung. Sie muß gefunden werden. Der Jahrhundertvertrag gilt, dazu stehen wir. Den werde ich immer verteidigen. Ich bestätige ausdrücklich die Zusagen der letzten Kohlerunde. Dazu werde ich stehen. Aber es geht doch jetzt auch darum, wie es nach 1995 weitergeht. ({8}) Dazu müssen wir jetzt die Lösung finden. Das ist aber leichter gesagt als gemacht. Deshalb wäre eine gemeinsame Anstrengung das beste. Diese gemeinsame Anstrengung ist nicht möglich, ({9}) indem man aus der Kernenergie aussteigt. Es ist schon sehr makaber, daß Sie, Herr Lafontaine, den Ausstieg verkünden und hier den Konsens aus dem Jahre 1977 beschwören. Ich dachte, ich höre nicht mehr richtig. Wie können Sie den Konsens beschwöBundesminister Dr. Blüm ren, wenn Sie doch aussteigen wollen! Sie haben doch den Konsens verlassen. ({10}) Wer aussteigt, kann sich doch nicht darüber beschweren, daß der Zurückbleibende nicht mitzieht. Ich appelliere ausdrücklich noch einmal, eine Anstrengung für einen solchen Konsens zu unternehmen. Ich bin nämlich sicher, daß die deutsche Kohle, wenn sie alleingelassen wird - auch von der Kernenergie alleingelassen - , nicht überlebt. Wer aus der Kernenergie aussteigt - auch das gehört zu den unbequemen Wahrheiten - , der versetzt der deutschen Kohle auch den Todesstoß. ({11}) Wer aus der Kernenergie aussteigt, läßt die Kumpel im Stich; denn die Kohle allein wird dem billigeren französischen Atomstrom nicht gewachsen sein. ({12}) Sie würde nur in einer Mischkalkulation überleben. ({13}) Wenn es so ist, kann es doch nur europäisch gelöst werden, dann kann es doch nur eine europäische Energiepolitik geben. Wenn es eine europäische Kernenergiepolitik geben wird, dann muß es auch eine europäische Kohlepolitik geben. ({14}) Dann kann es nicht so sein, daß wir sozusagen die Kernenergie europäisieren und die Kohle nationalisieren. Das ergibt kein Konzept. Deshalb ermuntere ich uns, diese Anstrengung zu unternehmen, in der die Kohle ihren Platz hat. Wenn Sie das allein wirtschaftlich betrachten, dann müssen Sie die Importkohle hereinlassen. ({15}) In der Tat ist es so - den Stachel will ich schon noch einmal ins Fleisch drücken - , daß einige sozialdemokratische Städte nach Importkohle Ausschau gehalten haben. Das halte ich für einen Verrat an der deutschen Kohle und an den Kumpels, ({16}) hier große Reden zu halten, wenn es aber ums Geld geht, die Kumpel im Stich zu lassen. ({17}) Ich glaube, daß ein Dauerstreit über diese Frage Dauerangst erzeugt. Wir stehen aber in der Verantwortung für die Kumpel und wegen ihrer Sorge um den Arbeitsplatz. Wir haben in der Rentenpolitik eine Einigung geschafft, vielleicht gelingt uns das auch in der Energiepolitik. Dabei kommen wir aber nicht mit einer Veranstaltung weiter, wie sie heute nachmittag gelaufen ist, in der sich die Opposition darauf konzentrierte, Vorwürfe zu erheben, was bis zu Beleidigungen ging. Herr Kollege Einert, unsere Ernsthaftigkeit zu bezweifeln, halte ich, gelinde gesagt, um es kurz zu machen - Sie haben es mit sanfter Stimme vorgetragen, Sie bekommen es mit schriller zurück - , für eine Unverschämtheit. ({18}) Unsere Ernsthaftigkeit zu bezweifeln und zu sagen, wir nähmen die Sorgen der Bergleute nicht ernst, halte ich für eine Unverschämtheit. So kommen wir nicht weiter. Damit kann man Wahlkämpfe gewinnen, aber nicht den Bergleuten helfen. Ich ermahne alle Beteiligten, eine große Anstrengung zu unternehmen, um den alten energiepolitischen Konsens wiederherzustellen. Energiepolitik machen wir nämlich nicht für eine Legislaturperiode, sondern sie muß ins nächste Jahrtausend hinüberführen. ({19})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich dem Ministerpräsidenten des Saarlandes zu einer kurzen Erwiderung das Wort gebe - er hat darum gebeten - , mache ich das Haus darauf aufmerksam, daß die für den Bundesrat und die Bundesregierung in einer Aktuellen Stunde vorgesehenen Zeiten überschritten sind und sich daher theoretisch die Debatte verlängert. Bitte beachten Sie das Wort „theoretisch". Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort. Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern noch einmal dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung antworten. Ich hatte ja schon einmal in Sachen Kohle die Gelegenheit, ihn anzusprechen. Ich hatte damals vor der Bundestagswahl 1987 die falsche Politik der Bundesregierung kritisiert. Als ich seinerzeit gesagt habe, der Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers Bangemann würde ein Zechensterben bedeuten, haben Sie - ich habe Sie damals hier gestellt - und andere gesagt, ich würde lügen und sollte die Bergleute nicht verunsichern. Wer damals gelogen hat, ist mittlerweile erwiesen. Wir verlangen, daß Sie den Bergleuten die Wahrheit sagen. Die Tatsache, daß die Bergleute auf die Straße gehen, entspringt mit der Erfahrung der letzten Jahre; denn sie wurden zu oft hingehalten mit Versprechungen, die dann nicht erfüllt worden sind. ({1}) Sie haben gesagt, hier sei kein Konzept erkennbar. Ich habe ein Konzept genannt. Sie haben sich darauf eingelassen. Sie haben gesagt, Sie als Bundesarbeitsminister stehen zu der 87er Vereinbarung. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß die gesamte Bundesregierung nicht mehr zu der 87er Vereinbarung steht. ({2}) Das ist schlicht und einfach eine Tatsache, Herr Bundesarbeitsminister. Wenn Sie in der Lage wären, diese Position im Kabinett durchzusetzen, dann hätten wir ja einen tragfähigen Weg gefunden, um uns zu einigen. Ministerpräsident Lafontaine ({3}) Ich stelle noch einmal fest: Nicht nur die Äußerungen des Hauses Haussmann, sondern auch die damaligen Äußerungen des damaligen Kanzleramtsministers Schäuble zielen auf eine weitere Kürzung des Mengengerüsts. Um nichts anderes geht es. Wer dies hier in Abrede stellt, ist ein Lügner, meine Damen und Herren, um dies einmal in aller Klarheit zu sagen. Wenn Sie hier sagen, Sie wollten das Mengengerüst nicht kürzen, dann werden Sie das alles ja demnächst noch einlösen müssen. Dann werden Sie demnächst mit ganz roten Ohren vor den Bergleuten stehen. Nun sage ich Ihnen noch etwas. Das ist ja das Allerschönste, sehr verehrter Herr Blüm. Sie sagen, weil ich das Zusammenwirken von Herrn Bangemann und Herrn Haussmann hier angesprochen habe, hätte ich der Verhandlungsposition der Bundesregierung schwer geschadet. ({4}) Ich will Ihnen einmal sagen: Welch ein Trauerspiel ist es, das wir hier erlebt haben, daß Sie Ihre Aufgabe, die nationale Energiepolitik bei der Brüsseler Kommission zu vertreten, an die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes und an die Bergbauunternehmen delegieren wollen. ({5}) Es ist doch einfach lachhaft, was Sie hier veranstalten. Deswegen sage ich Ihnen: Nicht derjenige, der das Bubenspiel aufdeckt, ist derjenige, der die Position gefährdet, sondern diejenigen, die seit Jahren systematisch versuchen, die Grundlagen des Jahrhundertvertrages zu zerstören, sind die wahren Feinde der Bergleute. Deshalb müssen wir hier in aller Klarheit feststellen: Wer entgegen früheren Vereinbarungen immer wieder gegen die Interessen der Bergleute arbeitet, ist nun einmal das Bundeswirtschaftsministerium. Ich nehme gerne zur Kenntnis, daß Sie dies ändern wollen. Aber tun Sie nicht so, als ob die Empörung der Bergleute auf irgendwelchen demagogischen Bemühungen beruhe. ({6}) Die Empörung der Bergleute ist schlicht und einfach darauf zurückzuführen, daß sie von Ihnen zu lange an der Nase herumgeführt worden sind. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich mache es ganz kurz, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Haus wird es Ihnen zu danken wissen.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Der Herr Ministerpräsident hat gesagt, er habe ein Bubenstück aufgedeckt. Das ist eine Behauptung ohne Beweise. Wo haben Sie ein Bubenstück aufgedeckt? Welchen Beweis können Sie liefern für das, was Sie behauptet haben, nämlich es gebe ein abgekartetes Spiel zwischen Bonn und Brüssel? Das halte ich für eine Behauptung, die unsere Verhandlungsposition schwer schädigt. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein altes Sprichwort sagt: Wer schreit, hat unrecht. Herr Ministerpräsident Lafontaine, nur mit Brüllen allein werden Sie die Probleme nicht bewältigen. ({0}) Gestern waren es Buh-Rufe und „Judas"-Rufe, die unserem Bundeswirtschaftsminister hier zu Unrecht entgegenschallten. Heute setzen Sie dieses Spiel hier in der Debatte im Deutschen Bundestag fort. Mit Schreien, mit Diffamieren, mit Demonstrieren werden die Probleme bestimmt nicht gelöst. Ich möchte meinem Kollegen Laermann beipflichten, der gesagt hat: Hier gilt es, zusammenzustehen und nicht gegeneinander zu arbeiten und das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen, um aus dieser Situation das Beste zu machen. Mich wundert nur eines: Als wir am 8. Dezember letzten Jahres die Erhöhung des Kohlepfennigs beschlossen - weil die Bundesregierung so viel Verständnis für die Kohlewirtschaft und für die Kumpels hat - , glänzten Sie, Herr Lafontaine, und Sie, Herr Minister Einert, durch Abwesenheit. Gestern waren die Demonstrationen; heute wollen Sie sich mit den Leuten opportunistisch solidarisieren. Dann gehen Sie hierhin und schreien herum. Das ist übler Stil. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine nur, die Aufregung in der SPD über die Kohlepolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen ist vor dem Hintergrund der Leistungen, die wir in jedem Jahr für die deutsche Steinkohle erbringen, vollkommen unverständlich. Allein 1988 hat der Bund rund 3 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt für die deutsche Steinkohle bereitgestellt. Die Stromverbraucher haben mit dem Kohlepfennig 4,7 Milliarden DM aufgebracht. Allein das revierferne Bayern, aus dem ich ja komme, hat von 1975 bis 1987 fast 2,3 Milliarden DM mehr bezahlt, als durch Ausgleichszahlungen zurückgeflossen sind. ({2}) Die Behauptung, diese Bundesregierung habe den deutschen Steinkohlebergbau im Stich gelassen, stimmt doch einfach nicht. Wir haben in den letzten Jahren dafür Sorge getragen, daß die notwendigen Mittel für die deutsche Steinkohle bereitgestellt werden, und wir haben die notwendigen Anpassungskonzepte beim Personal - wie beim Kapazitätsabbau sozial und regional erträglich gestaltet. Andere Branchen, wie zum Beispiel die Bauwirtschaft oder die Fertigungsindustrie, mußten ähnliche AnpassungsproHinsken zesse durchlaufen. Mittel in dieser Größenordnung wurden dort nicht zur Verfügung gestellt. Deshalb ist es, meine Damen und Herren von der Opposition, unverantwortlich von Ihnen, wenn Sie jetzt erklären, die Koalition ließe den Bergbau im Stich. Das stimmt einfach nicht! Es ist genau umgekehrt: Die SPD hat mit ihrem Konzept des Ausstiegs aus der Kernenergie einen Eckpfeiler und die Arbeitsplätze im deutschen Steinkohlebergbau ins Wanken gebracht. Sie würde, falls ihre Vorstellungen umgesetzt würden, auch in anderen Branchen Arbeitsplätze gefährden; denn ein Verzicht auf Kernenergie bedeutet neben höheren Verbraucherpreisen auch den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen. Dies wird vor allen Dingen an den Brennstoffkosten bei einem Kohle- bzw. einem Kernkraftwerk deutlich. Bei einem Kernkraftwerk liegen sie bei rund 3 Pfennig pro Kilowattstunde und bei einem Kohlekraftwerk auf der Basis deutscher Steinkohle ohne Subventionen bei etwa 9 Pfennig. Dieser Preis konnte mit dem Kohlepfennig auf etwa 6 Pfennig heruntergeschleust werden. Eine optimale Lösung für die Kohle ist so, wie Sie es vorgeschlagen haben, nicht zu erreichen. Jeder muß wissen: Ohne Kernenergie ist die Steinkohle am Ende, und Sie von der SPD würden somit zum Totengräber der Steinkohle und der Arbeitsplätze in der kerntechnischen Industrie und darüber hinaus. ({3}) Sie können zwar die Grundlastkapazitäten der deutschen Kernkraftwerke entweder durch Kernenergiestrom aus Frankreich - worauf die Franzosen sehnsüchtig warten, was aber selbst Sie, Herr Lafontaine, nicht möchten - oder durch Öl, Gas oder Importkohle ersetzen, was aber wiederum automatisch zum Beispiel einen Anstieg des Kohlendioxidausstoßes zur Folge hätte. Rationellerer Energieeinsatz und Einsparung reichen allein noch nicht aus, um die deutschen Kernkraftwerke in der Grundlast in zehn Jahren zu ersetzen, wie das Kernenergie-Abwicklungsgesetz der SPD dies vorsieht. Es kann niemand ernsthaft annehmen, daß in der Kernenergie eine Europäisierung erfolgt und in der Kohlepolitik an einem nationalen Konzept mit hohen Subventionen festgehalten werden kann. Diese Illusion der SPD wird ganz schnell wie eine Seifenblase zerplatzen. Sie machen den Bergleuten etwas vor, wenn Sie ihnen erklären, wir könnten ohne den Einsatz der Kernenergie eine nationale Kohlepolitik aufrechterhalten. ({4}) Wer langfristig die Verstromung deutscher Steinkohle sichern will, muß unsere Energiepolitik, ob er will oder nicht, in ein europäisches Energiekonzept einbinden. In einem solchen Konzept -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, langsam zum Schluß zu kommen; sonst überschreiten Sie zu deutlich Ihre Zeit.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In einem solchen Konzept besteht immer noch ausreichend Raum für nationale Komponenten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem folgenden Abschlußsatz meine Rede beenden! Ich meine, daß dem Bundeskanzler beizupflichten ist, genauso, wie es Bundeswirtschaftsminister Haussmann vorhin schon verdeutlicht hat: Gerade in der momentanen Situation zu verhandeln, um gute Ergebnisse zu erzielen, ist allemal besser als eine Anfechtungsklage mit unsicherem Ausgang. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Gegen Ende der heutigen Aktuellen Stunde ist es vielleicht gut, einen Moment zu resümieren. Ich stelle erstens fest: Leider hat die Bundesregierung die Chance dieser Aktuellen Stunde nicht genutzt, um Klarheit für einen wichtigen, unverzichtbaren Baustein einer künftigen Energiepolitik zu schaffen, um Klarheit über ihre gegenwärtige und künftige Kohlepolitik zu schaffen. ({0}) Diese Chance hat die Bundesregierung vertan. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Der Herr Kollege Haussmann stellt sich hier hin und sagt: Der Verzicht auf die Klage ist nachgerade Voraussetzung dafür, den Verhandlungsspielraum zu optimieren. ({1}) Der Kollege Gerstein sagt: Ich bedauere den Klageverzicht. Eigentlich wäre die Klage im Interesse der deutschen Energieversorgung, des deutschen Steinkohlenbergbaus notwendig. Der Herr Kollege Blüm - wie immer quick auf allen Seiten - sagt, beides sei richtig gewesen, sofort zu klagen und gleichzeitig zu verhandeln. Ich sage, meine Damen und Herren: Ihr Fraktionsvorsitzender Dr. Dregger - wo er recht hat, hat er recht - hat an den Minister Haussmann geschrieben ({2}) - ich zitiere eine andere Stelle, die der Ministerpräsident des Saarlandes nicht vorgetragen hat - : Nach meiner Überzeugung muß die Bundesregierung alles daransetzen, diese Zwangslage zu verhindern. Und jetzt, lieber Kollege Gerstein - ich vermute, von Ihnen stammt der Entwurf dieses Schreibens - : ({3}) Daher ist es notwendig, gegen die Entscheidung der Kommission Klage zu erheben. Nur dann - so der Kollege Dregger 10600 Schäfer ({4}) kann ausreichender politischer Verhandlungsspielraum für die Bundesregierung in dieser Frage gesichert werden. Sie sind nicht einmal in der Lage, in der Frage: Klage, ja oder nein, Einigkeit in Ihren eigenen Reihen herbeizuführen. ({5}) Das ganze Elend der Energiepolitik ist, daß es bei Ihnen ein ständiges Hü und Hott als einziges verbindendes Element Ihrer Energiepolitik gibt. ({6}) Zwei Beispiele! In der Kohlerunde im Dezember 1987 - Herr Haussmann, Herr Blüm, und Sie wissen es am besten, Herr Gerstein, deswegen war Ihre Rede auch die klügste von allen heute, was die Koalitionsfraktionen und die Regierung angeht ({7}) ist von allen Beteiligten festgehalten worden: Der Jahrhundertvertrag muß in den Mengen bis 1995 eingehalten werden, und es muß rechtzeitig auf der Grundlage des Jahrhundertvertrags eine Anschlußregelung getroffen werden. Dies war die Voraussetzung dafür, daß man sich bei der deutschen Steinkohle auf eine Abschmelzungsmenge von 10 bis 15 Millionen t eingelassen hat und daß die deutschen Bergbauarbeiter hier einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Zwei Jahre später gilt dieses Wort von Ihnen nicht mehr. Da können Sie soviel hampeln, wie Sie wollen, Herr Blüm. Das führt dazu, daß Ihre Politik und Ihre Person Glaubwürdigkeit verlieren muß, wenn heute nicht mehr gilt, was im Dezember 1987 einvernehmliche Entscheidungsgrundlage war. ({8}) Warum hat keiner von Ihnen heute gesagt: Gut, wir werden noch vor der Sommerpause hier eine Rechtsverordnung nach dem Dritten Verstromungsgesetz einbringen, und der Kohlepfennig wird auf 8,5 % angehoben. ({9}) Das wäre Klarheit bis 1995, was den Jahrhundertvertrag angeht. Das wäre eine eindeutige Entscheidungssituation. Statt dessen haben ganz besonders Sie, Herr Haussmann, aber auch die anderen in der Koalition von Entscheidungssicherheit und Planungsnotwendigkeit gesprochen. Aber: In keinem einzigen Punkt waren Sie konkret. Sie eiern, Sie tricksen, Sie täuschen. Da, wo Klarheit notwendig wäre, sind Sie zu einer gemeinsamen energiepolitischen Linie unfähig. ({10}) Meine Damen und Herren, es ist behauptet worden, Sozialdemokraten hätten keine Konzeption. ({11}) Ich zitiere jetzt die Beschlußfassung der sozialistischen Fraktion, weil natürlich auch sozialdemokratische Politik eine europäische Energie- und Umweltpolitik sein muß. Ich zitiere die Beschlußfassung der sozialistischen Fraktion, mit großer Mehrheit beschlossen - Sie nehmen es nur nicht zur Kenntnis - : Elemente sozialdemokratischer europäischer Energiepolitik sind erstens: rationelle Energieverwendung, rationelle Energienutzung, zweitens: Sicherung nationaler und EG-weiter Kohle. - Übrigens, das steht in Übereinstimmung mit entsprechenden Empfehlungen der EG-Kommission. Die EG-Kommission sieht eine Ausweitung der EG-Kohle vor. ({12}) - Ich will nur die Konzeption sagen, weil Sie sie beklagen, nicht zur Kenntnis genommen haben, nicht lesen, nicht lesen wollen. Drittens: Tatsächliche Förderung erneuerbarer, unerschöpflicher Energiequellen. Da muß man Geld in die Hand nehmen. Nur ein Bruchteil dessen, was wir für die Kernenergiesubventionen ausgegeben haben, würde uns für die Zukunft unabhängiger machen. Schließlich, viertens: Wir wollen aus der Kernenergie heraus. Da beißt keine Maus einen Faden ab, daß wir Sozialdemokraten die auf Dauer nicht verantwortbare Kernenergienutzung beenden wollen, zunächst in der Bundesrepublik, und dann wollen wir auch europaweit diese Politik durchsetzen. ({13}) Ich sehe europäische Energie- und Umweltpolitik nicht so, daß die EG diktiert und wir nachvollziehen. Wir müssen unsere Vorstellungen in die europäische Energiepolitik einbringen und dafür dann auch für Mehrheiten sorgen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben Ihre Zeit auch deutlich überschritten.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin gleich fertig. Wer vorher schon kapituliert, wer sich nicht einmal darauf verständigen kann, ob man klagen soll oder nicht, darf sich nicht wundern, wenn er nicht nur bei den Bergleuten, sondern darüber hinaus jede politische Glaubwürdigkeit, jeden politischen Kredit, wenn es darum geht, Zukunftsvorsorge zu betreiben, verloren hat und weiter verliert. Wenn Ihre Politik nicht gegen unser nationales Interesse wäre, könnte man zu Ihnen nur sagen: Machen Sie ruhig weiter so, Blüm und Haussmann und die anderen Männer. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage an Herrn Lafontaine. Vorher möchte ich Ihnen zustimmen, wenn Sie auf die Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung hingewiesen haben. Ich möchte ein Zitat von einem, der es weiß, vortragen. Herr von BennigsenStratmann Foerder schrieb am 14. Oktober an Kanzler Kohl diesen Brief, in dem er eine Revision des Mengengerüsts des Jahrhundertvertrags ab 1991 fordert - ich zitiere - : Die schlimme Mengenperspektive nach 1995, die Gefahr der Mengenrevision schon ab 1991 erfordern gerade auch im Interesse des Bergbaus frühzeitig lieber revidierte, dafür langfristig realistische und verläßliche Planzahlen ({0}). Soweit das Zitat, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Herr Lafontaine, Sie haben heute zum zweitenmal den Kompromiß von 1977 zitiert. Das haben Sie vor etwa einem Jahr in der Kohledebatte schon einmal getan. Dort ist die Rede von einer Kohlevorrangpolitik; die Restbedarfsdeckung soll durch die Atomenergie erfolgen. Ich frage mich: Warum machen Sie das? Ich wäre Ihnen für eine Antwort dankbar. Wenn Sie es nur tun, um zu zeigen, daß 1977 keine Kohlevorratspolitik, sondern eine Atomenergievorratspolitik betrieben wurde, und zwar auch in der sozialliberalen Ära, stimme ich Ihnen voll zu. Vor einem Jahr haben Sie gleichzeitig gesagt, daß Sie den Rekurs auf diesen Kompromiß von 1977 fordern. Das Bundestagsprotokoll weist das aus. Ich frage Sie, ob Sie das auch heute noch meinen oder ob wir gemeinsam ein Bündnis von Antiatombewegung und Umweltschutzbewegung eingehen können. Das bedeutet auch: CO2-Reduktion, Anschlußregelung beim Jahrhundertvertrag von 1995 bis 2010, jedenfalls über das Jahr 2000 hinaus. Das bedeutet nach unserer Version ferner den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Das muß natürlich auch europäisch geschehen; hier besteht völliger Konsens, Herr Schäfer. Es geht auch um einen europäischen, um einen EG-weiten Ausstieg aus der Atomenergie. Ziel ist allerdings auch die nach 1995 geplante sozialverträgliche Rückführung des heimischen Kohleeinsatzes und des Kohleeinsatzes insgesamt. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sprung. ({0})

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Schluß noch einmal eine Stimme aus einem revierfernen Land. Aber zuvor zu Ihnen, Herr Schäfer. Erstens. Es ist hier doch sehr deutlich klargestellt worden, daß geklagt wird. ({0}) - Von seiten der Bergbauunternehmen. Es ist deutlich gemacht worden, daß sie dabei von der Bundesregierung unterstützt werden. Ich meine, dies ist der intelligentere Weg. Zweitens. Sie behaupten, daß in der Kohlerunde vom Dezember 1987 getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten worden seien. Dies sind Unterstellungen. Den Beweis dafür sind Sie schuldig geblieben. Der Jahrhundertvertrag gilt und wird weiter gelten. Meine Damen und Herren, die Feststellung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 27. April, daß die Kernenergie die Voraussetzungen dafür schafft, daß die heimische Kohle auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten kann, gilt nicht erst seit heute. Sie gilt auch, wenn der saarländische Ministerpräsident anderer Meinung ist. Sie galt bereits 1980, als das Dritte Verstromungsgesetz verabschiedet wurde. Auch damals, als Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Regierungsverantwortung hatten, war die Grundlage des Jahrhundertvertrags die gemeinsame Nutzung von Kohle und Kernenergie. Durch den Einsatz von Kernenergie glaubte man auch 1980 die höheren Kosten für die Verstromung deutscher Steinkohle auffangen und die heimische Kohleproduktion sichern zu können. Es kann deshalb nicht oft genug wiederholt werden: Wer den Ausstieg aus der Kernenergie heute oder in zehn Jahren fordert, der kündigt den energiepolitischen Konsens auf. Wer diesen Konsens aufkündigt, der gefährdet die Energiepolitik und gefährdet die deutsche Kohle als heimischen Energieträger. Ich wiederhole es - jetzt hören Sie es zum drittenmal - , er wird zum Totengräber des deutschen Kohlebergbaus. ({1}) Meine Damen und Herren, warum wird denn die Kernenergie zur Energieerzeugung eingesetzt, warum sind insbesondere die revierfernen Länder, also die Nicht-Kohle-Länder, wie Niedersachsen und Bayern, diesen Weg gegangen? Die Bedeutung der Stromkosten als Standortfaktor ist hinlänglich bekannt. Die Nicht-Kohle-Länder haben den Weg der Kernenergie gewählt, weil sie sahen, daß höhere Energiekosten ihre wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigten und damit Arbeitsplätze gefährdet bzw. keine neuen Arbeitsplätze geschaffen würden. Sie haben gleichwohl dem Verstromungsgesetz und damit dem Jahrhundertvertrag zugestimmt, aus Solidarität mit den Revierländern. Sie haben erhebliche Nettobeträge - Herr Hinsken hat eine Zahl für Bayern genannt - gezahlt, und Sie tun es noch, in diesem Jahr mehr als in allen Jahren zuvor. Sie tun es - auch Niedersachsen - , um weiterhin den Einsatz heimischer Steinkohle in der Stromerzeugung zu ermöglichen. Sehen Sie sich die Zahlen an; sie sind, meine ich, eindrucksvoll hoch. Jetzt ist allerdings ein Punkt erreicht, wo sich die Frage stellt, ob die Grundlagen noch tragen, auf denen der Jahrhundertvertrag steht. Erstens. Der Konsens in der Energiepolitik ist verlorengegangen. Zweitens. Der Stromverbrauch ist in den letzten Jahren erheblich geringer gestiegen als erwartet. Drittens. Es stellt sich massiv das CO2-Problem. Wir wissen es alle. Diese Entwicklung zwingt zu neuen Überlegungen. Der Bundeskanzler hat angekündigt, daß die Bundesregierung schon sehr bald ein Konzept für eine längerfristige Sicherung der Verstromung deutscher Steinkohle nach Auslaufen des Jahrhundertvertrages, also nach 1995, vorlegen wird. Alle Beteiligten werden dazu ihren Beitrag leisten müssen, auch die revierfernen Länder. ({2}) - Natürlich auch Herr Lafontaine, auch das Saarland, auch Nordrhein-Westfalen. Die revierfernen Länder haben für die Zukunft eine gerechtere Lastenverteilung eingefordert. Sie verweisen auf den Beschluß der Wirtschaftsministerkonferenz vom Oktober 1987, in dem es wörtlich heißt - Herr Ministerpräsident, auch den sollten Sie in Ihre Überlegungen und Argumentation mit einbeziehen - : Die Wirtschaftsministerkonferenz hält es für erforderlich, bereits für die Laufzeit des geltenden Verstromungsvertrages die Belastung durch den Kohlepfennig zügig auf ein wirtschaftlich und politisch erträgliches Maß zurückzuführen und zur Sicherung des deutschen Steinkohlebergbaus des Mengengerüst des Verstromungsvertrages so weit wie möglich zu erhalten. In jedem Falle - so heißt es sind regionale Benachteiligungen der revierfernen Länder abzubauen. Meine Damen und Herren, die revierfernen Länder haben dafür inzwischen konstruktive Vorschläge unterbreitet, die nicht das letzte Wort sein müssen. Sie halten zwar eine Revision des Jahrhundertvertrages für unumgänglich, sind aber für eine Fortsetzung über das Jahr 1995, selbst über das Jahr 2000 hinaus. Ebenso klar ist es für sie, daß, wenn sich eine Anpassung der Mengen als unausweichlich erweisen sollte, sie sozialverträglich zu gestalten ist. Es ist das gute Recht der revierfernen Länder, daß sie ihre eigenen Interessen genauso in die Diskussion um die Erhaltung der deutschen Kohle einbringen wie die Revierländer. Ihre Forderungen sind vernünftig und konstruktiv; sie bleiben mit den Revierländern solidarisch. Sie können aber ebenso auch erwarten, daß die Revierländer diese Solidarität erwidern. Die Europäisierung auch der Energiepolitik, die sich abzeichnet, wenn das nationale durch ein europäisches Entsorgungskonzept ersetzt werden sollte - Stichwort Wackersdorf -, zwingt beide, so meine ich, Revierländer wie revierferne Länder, sogar zu verstärktem solidarischem Verhalten, wenn sie ihre jeweiligen Interessen auch im europäischen Rahmen optimal vertreten wollen. Ich gehe davon aus, daß beide dieses Ziel haben. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun sind wir am Ende dieser reichlich verlängerten Aktuellen Stunde. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Lippelt nach § 32 unserer Geschäftsordnung in Übereinstimmung mit einem Beschluß des Ältestenrates das Wort. Herr Dr. Lippelt, Sie haben das Wort.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nach diesem erregten Schlagabtausch um einen Moment Nachdenken und Gemeinsamkeit bitten. Ich habe die deprimierende Veranlassung, hier zwei Fälle von Ausländerfeindlichkeit zur Sprache zu bringen, die sich hier im Bundestag zugetragen haben und die unseren Fraktionskollegen German Meneses Vogl betroffen haben. In der gestrigen Aktuellen Stunde kommentierte der Abgeordnete Straßmeir die Aussage meines Kollegen Meneses Vogl, er sei Berliner, mit dem Zuruf: „Hört man nicht! " Leider kein Einzelfall. Am 20. April dieses Jahres, in der Debatte um die Asylpolitik, kommentierte der Abgeordnete Fellner die Kritik meines Kollegen an dem Parlamentarischen Staatssekretär Spranger mit den Worten: „Dieses Urteil ist gerade dir erlaubt! So weit sind wir schon! " Beide Zurufe sind im Stenographischen Protokoll festgehalten und nachlesbar. Die Duz-Form, die Herr Fellner in seinem Zuruf meinte benutzen zu müssen, ist nicht nur eine bloße Unhöflichkeit. Sie ist Ausdruck einer in der Bundesrepublik weit verbreiteten Arroganz, die glaubt, ein als Ausländer Identifizierbarer verdiene nicht einmal den minimalen Respekt, für den die Anrede in der dritten Person Plural steht. Für den Abgeordneten Straßmeir entscheidet der Akzent darüber, ob er einer Meinung die Gnade seines Zuhörens schenkt. Beiden gemeinsam ist die Auffassung, daß einem Ausländer ein Urteil über deutsche Politik jedenfalls nicht zusteht und daß ihm gegenüber auch noch nationalistische Stammtischgesten angebracht sind. Wir weisen hier nicht kleinlich auf nebensächliche Äußerungen hin, sondern auf Redensarten, die in diesem Hause ironisch-polemisch gemeint sein mögen, in Wirklichkeit aber eingeschliffene Verhaltensweisen zum Ausdruck bringen, denen gerade der Bundestag bewußt entgegentreten muß. ({0}) Es gibt unleugbar eine schlimme Zunahme von Ausländerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Die Politik hat zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Sie kann dieser Ausländerfeindlichkeit entgegentreten, oder sie kann sich ihr anpassen, sie sogar befördern mit dem billigen Kalkül auf mehr rechtsnationale Wählerstimmen. Die Abgeordneten Straßmeir und Fellner haben sich offensichtlich für den zweiten Weg entschieden. Der Kollege Meneses Vogl ist als Abgeordneter privilegiert. Er kann sich wehren, wir können vor ihn treten. Viele ausländische Mitbürger draußen können das eben leider nicht. Dr. Lippelt ({1}) Eine öffentliche Entschuldigung der beiden Kollegen wäre angebracht. Sie wäre nicht nur eine Frage des politischen Verstandes, sondern auch eine des elementarsten menschlichen Anstandes. Sollten die Kollegen dazu nicht willens oder in der Lage sein, fordere ich den Bundestag dazu auf, in seiner Gesamtheit ihr Verhalten zu mißbilligen. Das muß nicht per Antrag geschehen, das geht auch per Akklamation. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir auf den Tagesordnungspunkt 6 c zurück, Sammelübersicht 111. Zunächst einmal habe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntzugeben. Es handelte sich um den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4504, Buchstabe a sowie um den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4514. Beide Änderungsanträge beziehen sich auf die Sammelübersicht 111. Abgegebene Stimmen: 400. Mit Ja haben gestimmt 175, mit Nein haben gestimmt 224; eine Enthaltung ist zu verzeichnen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 398; davon ja: 173 nein: 224 enthalten: 1 Ja SPD Andres Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt Brück Buschfort Frau Conrad Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Diller Dreßler Dr. Ehmke ({3}) Dr. Emmerlich Esters Ewen Frau Faße Fischer ({4}) Frau Fuchs ({5}) Frau Fuchs ({6}) Dr. Gautier Gilges Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({7}) Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Heistermann Heyenn Hiller ({8}) Horn Huonker Ibrügger Jahn ({9}) Jaunich Dr. Jens Jung ({10}) Jungmann ({11}) Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Lohmann ({12}) Lutz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({13}) Meyer Müller ({14}) Müller ({15}) Müller ({16}) Müntefering Nagel Nehm Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Opel Pauli Dr. Penner Peter ({17}) Dr. Pick Porzner Purps Reimann Frau Renger Rixe Roth Schäfer ({18}) Schanz Scherrer Schluckebier Frau Schmidt ({19}) Schmidt ({20}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schulte ({21}) Schütz Seidenthal Frau Seuster Sieler ({22}) Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling Stiegler Stobbe Dr. Struck Frau Terborg Toetemeyer Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vosen Waltemathe Wartenberg ({23}) Weiermann Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({24}) Wischnewski Dr. de With Zeitler Zumkley DIE GRÜNEN Frau Beck-Oberdorf Frau Beer Brauer Dr. Daniels ({25}) Frau Eid Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Häfner Frau Hillerich Hoss Kleinert ({26}) Dr. Knabe Dr. Lippelt ({27}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Schily Frau Schmidt ({28}) Frau Schoppe Such Frau Teubner Frau Dr. Vollmer Volmer Weiss ({29}) Frau Wilms-Kegel Frau Wollny Fraktionslos Wüppesahl Nein CDU/CSU Austermann Bauer Bayha Dr. Becker ({30}) Frau Berger ({31}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen ({32}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Breuer Carstens ({33}) Carstensen ({34}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels ({35}) Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Dr. Dollinger Ehrbar Eigen Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fellner Fischer ({36}) Dr. Friedrich Funk ({37}) Ganz ({38}) Frau Geiger Geis Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({39}) Glos Vizepräsident Cronenberg Dr. Götz Gröbl Dr. Grünewald Günther Dr. Häfele Frau Hasselfeldt Hauser ({40}) Hauser ({41}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({42}) Dr. Hornhues Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger Dr. Jahn ({43}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({44}) Jung ({45}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Klein ({46}) Dr. Köhler ({47}) Kolb Kossendey Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({48}) Lamers Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Frau Limbach Link ({49}) Link ({50}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold ({51}) Louven Lowack Lummer Maaß Magin Dr. Mahlo Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Nelle Dr. Neuling Neumann ({52}) Dr. Olderog Oswald Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Repnik Frau Rönsch ({53}) Frau Roitzsch ({54}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({55}) Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({56}) Sauer ({57}) Sauter ({58}) Scharrenbroich Schemken Scheu Schmidbauer Schmitz ({59}) Dr. Schneider ({60}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({61}) Schulhoff Dr. Schulte ({62}) Schulze ({63}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Spilker Spranger Dr. Stark ({64}) Dr. Stoltenberg Straßmeir Strube Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Frau Verhülsdonk Vogel ({65}) Vogt ({66}) Dr. Voigt ({67}) Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. von Wartenberg Weirich Weiß ({68}) Werner ({69}) Frau Will-Feld Wilz Wimmer ({70}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Zeitlmann Zink FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({71}) Eimer ({72}) Engelhard Frau Folz-Steinacker Funke Gattermann Gries Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe Dr. Hoyer Kleinert ({73}) Kohn Lüder Mischnick Neuhausen Nolting Richter Rind Ronneburger Schäfer ({74}) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Dr. Thomae Timm Frau Walz Dr. Weng ({75}) Wolfgramm ({76}) Frau Würfel Zywietz Enthalten SPD Niggemeier Damit sind diese Anträge abgelehnt. Wir kommen nunmehr, meine Damen und Herren, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die Ihnen auf Drucksache 11/4386 vorliegt. Die Fraktion der SPD hat hierzu getrennte Abstimmung verlangt. ({77}) Ich lasse jetzt zunächst einmal über die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 11/4386, Buchstabe a abstimmen. Ich mache darauf aufmerksam, daß Buchstabe a der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses mit dem Buchstaben b des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN, über den wir noch nicht abgestimmt haben, inhaltsgleich ist. Eine besondere Abstimmung über Buchstabe b des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN entfällt deswegen logischerweise. Wer für Buchstabe a der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses stimmt, also für das, was Ihnen auf der Drucksache 11/4386 vorliegt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Keine. Damit ist dieser Teil einstimmig angenommen. Wer stimmt für den Buchstaben B der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/4368? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Buchstabe B mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden. Nun kommen wir zu einer Reihe von Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften über die Abtretung von Beamtenbezügen zum Heimstättenbau - Drucksache 11/3256 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({78}) - Drucksache 11/4443

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Müntefering Dr.-Ing. Kansy ({0}) Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Wenn ich es richtig einschätze, sind diese Vorschriften bei mehrheitlicher Zustimmung und bei einigen Gegenstimmen aus der Fraktion der GRÜNEN angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten Beratung und zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf insgesamt zuzustimmen wünscht, den bitte ich aufzustehen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der BundesApothekerordnung - Drucksache 11/4231 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) - Drucksache 11/4459 Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich ({2}) Wir kommen zur Einzelberatung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen worden. Wir treten in die dritte Beratungen ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf insgesamt zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 112 zu Petitionen - Drucksache 11/4431 - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 113 zu Petitionen - Drucksache 11/4432 Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/4431 und 11/4432 ab; das sind die Sammelübersichten 112 und 113. Wer stimmt den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 9: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. April 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Simbabwe zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, vom Vermögen und von den Gewinnen aus der Veräußerung von Vermögen - Drucksache 11/3645 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5}) - Drucksache 11/4411 Berichterstatter: Abgeordneter Poß ({6}) Hierzu hat sich die Abgeordnete Frau Eid gemeldet, um eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Fraktion ist grundsätzlich gegen solche Verträge zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Im Falle Simbabwes möchte ich für mich und einige andere Kollegen und Kolleginnen erklären, daß wir diesem Antrag zustimmen werden, und zwar aus außenpolitischen Erwägungen. Simbabwe und andere Frontstaaten sind wirtschaftlich abhängig von Südafrika. Deswegen stellen wir unsere Bedenken in diesem Punkt hintan und stimmen aus außenpolitischen Überlegungen diesem Antrag zu. Denn es muß alles getan werden, damit die Frontstaaten wirtschaftlich unabhängig werden von Südafrika. Danke schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksachen 11/3645 und 11/4411. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. - Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Wer dem Gesetz insgesamt zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen aus Vizepräsident Cronenberg der Fraktion DIE GRÜNEN ist das Gesetz angenommen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen zu dem heute mittag aufgesetzten Tagesordnungspunkt: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Parlamentswahlen in Panama - Drucksache 11/4527 Dazu möchte Herr Abgeordneter Volmer eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Oberste Wahlausschuß hat mit der Einstellung der Auszählung und der Nichtigkeitserklärung der Wahlen in Panama heute morgen das einzig Richtige getan. Er hat Unregelmäßigkeiten und Betrügereien anerkannt und gleichzeitig vermeiden wollen, daß eine Eskalation zwischen Regierungslager und Opposition eintritt, die den Vereinigten Staaten einen Vorwand für ein militärisches Eingreifen bieten könnte. Der Antrag, den die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD ohne Abspracheversuche mit den GRÜNEN kurzfristig ins Plenum eingebracht haben und ohne Debatte abstimmen wollen, wird der komplizierten Situation in Panama nicht gerecht. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Er reflektiert genausowenig wie die bisher vorliegenden Stellungnahmen aus diesen Fraktionen auf das Zentralproblem Panamas: die Anwesenheit des strategischen Südkommandos der USA. Alle innenpolitischen Auseinandersetzungen in Panama hängen letztlich mit den Versuchen der USA zusammen, den Carter-Torrijos-Verträgen, die einen Übergang der Kanalzone in panamesische Hand vorsehen, zum Trotz ihre globalstrategisch und für die Kontrolle Lateinamerikas wichtige militärische Position in Panama zu halten. Diesem Ziel dienten ihre jahrelangen Destabilisierungsversuche, sei es durch Angriffe auf den tatsächlich fragwürdigen General Noriega, sei es durch Aufbau und Förderung des „Bürgerkreuzzugs" gegen die nationalistische Regierung. Bei den Wahlen ist betrogen worden. Das ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, daß die politischen Kräfte, die durch den Betrug begünstigt wurden, sich zu Recht den aggressiven Bestrebungen der USA nach Wiedergewinnung völliger Kontrolle über die panamesische Innenpolitik wiedersetzt haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Was Sie hier leisten, ist ein reiner Debattenbeitrag und keine Erklärung zur Abstimmung. Ich bitte Sie also, sich nur zu diesem Thema zu äußern.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In Ordnung, Frau Präsidentin. Ich bin ohnedies beim letzten Satz. Weil wir meinen, daß dieser Antrag der Sache nicht gerecht wird, können wir ihm nicht zustimmen. Wir bitten statt dessen die Bundesregierung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Vereinigten Staaten davon abzuhalten, in Panama einzumarschieren. Danke. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Erklärungen werden nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 11/2547. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung von den GRÜNEN und sonst Ablehnung von den GRÜNEN von den anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Maaß, Engelsberger, Gerstein, Dr. Götz, Hauser ({0}), Linsmeier, Magin, Dr. Neuling, Dr. Rüttgers, Seesing, Dr. Voigt ({1}), Austermann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Neuhausen, Dr. Thomae, Timm und der Fraktion der FDP Bilanz und Zukunftsperspektiven der Forschungspolitik - Drucksachen 11/1630, 11/2683 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Vosen, Roth, Dreßler, Seidenthal, Bernrath, Bulmahn, Catenhusen, Fischer ({2}), Ganseforth, Grunenberg, Lohmann ({3}), Nagel, Vahlberg, Andres, Egert, Haack ({4}), Hasenfratz, Heyenn, Ibrügger, Kirschner, Peter ({5}), Reimann, Schreiner, Steinhauer, Urbaniak, Weiler, von der Wiesche, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens - Drucksachen 11/2601, 11/3780 - c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Beendigung des Forschungsprojekts Eurobrüter ({6}) - Drucksache 11/4179 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({7}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung; Bericht über die Umsetzung des Berichts der Bundesregierung über „Status und Perspektiven der Großforschungseinrichtungen" - Drucksachen 10/6225, 11/3725 Berichterstatter: Abgeordnete Maaß Fischer ({9}) Dr.-Ing. Laermann Dr. Briefs Vizepräsidentin Renger e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein mehrjähriges Forschungs- und Entwicklungsprogramm ({11}) für Nahrungsmittelwissenschaft und -technologie „FLAIR" ({12}) Nahrungsmittelbezogene agrarindustrielle Forschung - Drucksachen 11/2899, Nr. 3.30, 11/3994 - Berichterstatter: Abgeordnete Seesing Frau Ganseforth f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung 1988 - Drucksachen 11/2049, 11/4112 Berichterstatter: Abgeordnete Maaß Vosen Dr.-Ing. Laermann Dr. Briefs Zu dem Tagesordnungspunkt 11 b liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4516 und zu dem Tagesordnungspunkt 11 f ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4511 vor. Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer. Bitte, Herr Kollege.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt jemandem, der hier längere Zeit in der Aktuellen Stunde zugehört hat, eigentlich sehr schwer, den Bogen zu einer Reihe von Vorlagen aus dem Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik zu spannen. ({0}) Ich möchte deshalb am Anfang dieser Debatte an uns alle den Appell richten, daß wir versuchen, in der richtigen Lautstärke miteinander umzugehen und uns in der Diskussion sachlich und vernünftig zu begegnen. ({1}) Darin schließe ich alle ein. Meine Damen und Herren, Forschungs- und Technologiepolitik hat heute längst den Elfenbeinturm der wissenschaftlichen oder der wirtschaftlichen Auseinandersetzung verlassen und ist Bestandteil der öffentlichen Diskussion geworden. Alle Bürger interessiert, welche konkreten Problemlösungsbeiträge Forschungs- und Technologiepolitik - also auch staatliches Handeln, aber dieses nicht allein - leisten kann. Es geht aber auch um wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, und das besonders in einer Zeit, wo wir uns anschicken, uns auf den europäischen gemeinsamen Binnenmarkt vorzubereiten. ({2}) Wir haben es mit Schlüsseltechnologien zu tun, deren strukturelle Innovationsfähigkeit in immer stärkerem Maße hervortritt. Kaum ein Unternehmen, das an seine Zukunft denkt, kann es sich heute noch leisten, sich nicht eine entsprechende Kompetenz im Bereich der Hochtechnologie anzueignen. Forschung und Technologie gewinnen aber auch innerhalb der internationalen Kooperation zusätzlich an Bedeutung. Viele Forschungsprojekte, mit denen wir uns auch in Zukunft - zum Teil haben wir das schon getan - noch sehr detailliert auseinandersetzen müssen, sind heute schon fast Bestandteil außenpolitischer Überlegungen. Nach diesen Vorbemerkungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir heute nicht zuletzt deshalb, weil an erster Stelle die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Neuorientierung der Forschungspolitik zu behandeln wäre, die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung in ihrem Handeln diesen Ansprüchen gerecht wird. Um das Ergebnis unserer Prüfung und Diskussion vorwegzunehmen - es wird Sie nicht wundern - : Wir sind der Meinung, daß sie gerade unter der Verantwortung unseres Forschungsministers Dr. Riesenhuber diesen Weg seit 1982 konsequent beschritten hat. ({3}) Wir unterstützen ihn bei dieser Arbeit. ({4}) Meine Damen und Herren, wir wollen ohne Rücksicht auf irgendwelche ordnungspolitischen Diskussionen - die mögen akademischen Zirkeln vorbehalten bleiben - unseren Beitrag dazu leisten, daß der Staat hier seine subsidiäre Aufgabe wahrnehmen kann, daß er dort Anschub gibt, wo es nötig ist, wo die Marktkräfte nicht ausreichen, daß er Risiken mindern hilft, daß er aber auch dort, wo manche Entwicklung wegen des erheblichen Kapitalrisikos überhaupt nicht angegangen würde - ich denke an den so wichtigen Bereich der ökologischen Forschung, der Umwelttechniken, die es zu entwickeln gilt - , ebenfalls Hilfestellung leistet und daß er in der Zukunftsdiskussion Stellung bezieht, um die Zukunft unserer Gesellschaft, die in immer stärkerem Maße von diesen Themen aus unserem Bereich bestimmt wird, mitzugestalten. Es wird niemanden überraschen, wenn man hier an vorderer Stelle die Diskussion um die friedliche Nutzung der Kernenergie, um die Gentechnik, um die Bedrohung der Erdatmosphäre, um die konventionelle Entsorgung in unserer Gesellschaft und um die Altlastenproblematik anführt. Immer wieder stellt sich bei dieser Diskussion die Frage nach der ethischen Rechtfertigung jedweder Aktivität im Bereich von Forschung und Wissenschaft. Ich hatte Gelegenheit, für unsere Fraktion zu Beginn dieser Woche auf dem Deutschen Ingenieurtag des VDI in Aachen teilzunehmen. Durch alle Re10608 den ohne Rücksicht auf politische Orientierung oder Zugehörigkeit zu irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe zog sich die von einer sehr hohen Verantwortung getragenen Leitlinie, daß der Mensch immer wieder die Frage zu beantworten hat, ob er alles das tun darf, was er kann, was ihm die Technik, was ihm die Wissenschaft an Möglichkeiten bietet. Wir werden uns an einem anderen Punkt und in einem anderen Zusammenhang - es war ursprünglich sogar für diese Debatte heute geplant - im Plenum mit einer Aktivität beschäftigen, mit der wir uns schon lange Jahre auseinandersetzen. Ich will deswegen ganz kurz die Bemühungen zur Technikfolgenabschätzung, zur Politikberatung ansprechen. Wir sind darauf gespannt, was uns die Enquete-Kommission an Handlungsmöglichkeiten an die Hand gibt. Wir sind an einer pragmatischen und sehr effizienten Lösung interessiert. Ich kann mir an dieser Stelle einen Hinweis auf die Absicht des neuen Berliner rot-grünen Senats, die Akademie der Wissenschaften aufzulösen, nicht verkneifen. Das Gesetz - wir haben es gestern gehört, als wir mit dem Forschungsausschuß in Berlin waren - wird dem Abgeordnetenhaus bald zugeleitet werden. Wir halten die Schließung für einen verhängnisvollen Fehler. Der Kollege Rüttgers wird das gerne bestätigen. Wir hätten sehr großen Wert darauf gelegt, gemeinsam mit den hochkompetenten Experten, die dort angesiedelt sind, das an Politikberatung bereitzustellen, was wir für unsere Entscheidungen nun wirklich dringend benötigen. ({5}) Die Bundesregierung trägt - so sagte ich bereits - nach unserer Auffassung den Fragen, die in den einzelnen Anträgen und übrigens auch in einem Änderungsantrag, den die SPD-Fraktion vorgelegt hat, zum Ausdruck kommen, Rechnung. Ich habe deshalb wenig Verständnis dafür, daß, nachdem wir uns im Ausschuß schon lange damit auseinandergesetzt haben, die SPD-Fraktion mit einem Änderungsantrag versucht, Themen erneut in die Beratung einzuführen, über die wir eigentlich schon votiert hatten, denn dies ist ein Änderungsantrag zu einer bereits vom Forschungsausschuß vorgelegten Beschlußempfehlung. Ich bin überzeugt, daß wir alles das, was Sie aufgeschrieben haben und bei dem wir uns im übrigen in vieler Hinsicht gar nicht so weit voneinander wegbewegt haben und wir einen Konsens attestieren können, bei der Kürze der Zeit hier auch gar nicht hätten einführen können. Es sind aber auch manche Einzelpunkte enthalten - einige meiner Kollegen werden sich dazu noch detaillierter äußern - , denen wir in dieser Form einfach nicht zustimmen können. Zu dieser behutsamen Umorientierung, meine Damen und Herren von der Opposition, gehört aber auch, daß man respektieren muß, daß die Bundesregierung in der Kontinuität ihrer Vorgänger steht. Gestatten Sie mir schlicht den Hinweis: Dazu gehört auch, daß wir mit den Projekten, die Sie uns im Bereich der Kernenergie hinterlassen haben, verantwortlich umgehen müssen, nämlich den Projekten des Brennstoffkreislaufs; spektakulärstes Projekt ist die Wiederaufarbeitungsanlage, die „unvollendete", hätte ich fast hinzugefügt, dem SNR 300 und dem THTR 300 in Uentrop-Schmehausen. Sie dürfen es sich jetzt nicht so einfach machen, daß Sie Ihre politische Vaterschaft schlicht verleugnen und wenn es ans Alimentezahlen geht, dann nicht zu Ihrer Verantwortung stehen. ({6}) - Ich zahle ungern anderer Leute Alimente. Dafür bin ich dann schon selbst verantwortlich. Meine Damen und Herren, sind die Schwerpunkte, die die Bundesregierung gesetzt hat, richtig gesetzt? Wir meinen: ja. Erster Punkt. Noch nie ist die Grundlagenforschung so gut ausgestattet worden. 38 % des gesamten BMFT-Haushalts von rund 7,5 Milliarden DM werden in die Grundlagenforschung gesteckt. Ich glaube, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden können - ich denke an so manches Großgerät -, kann man trotzdem das Fazit ziehen: Dies ist eine wirklich respektable Leistung, die Anerkennung finden sollte. Zweitens. In der Vorsorgeforschung ist das gleiche zu verzeichnen. Auch hier sind behutsam und vorsichtig, aber trotzdem in wesentlichen Bereichen erheblich mehr Mittel für die ökologische Forschung, für die Umwelttechnik, für das Schwerpunktprogramm „Forschung und Technologie im Dienste der Gesundheit" aufgewandt worden. Hier geht es darum, das dringend notwendige Orientierungswissen bereitzustellen, damit man überhaupt einmal auf Grund einer gesicherten Datenbasis entscheiden kann. ({7}) - Liebe Kollegin Bulmahn, ich bitte herzlich um Verständnis - Sie wissen, ich kneife nicht vor Fragen -, wenn ich jetzt keine Fragen beantworten möchte. Wir sind mit der Zeit sehr, sehr knapp. Im Ausschuß haben wir ja Zeit. Drittens. Schlüsseltechnologien: Die Informationstechnik und ihre ganzen verwandten Gebiete. Ich denke an die Fertigungstechnik, die Lasertechnik, die Materialforschung, die Biotechnologie. Die Gentechnik wird uns ja noch in anderem Zusammenhang intensiv beschäftigen, wenn es an die parlamentarische Beratung des neuen Gentechnikgesetzes geht. Dies alles sind, wie wir meinen, Schlüsseltechnologien, die weit über ihren eigenen Bereich hinausgehen. Ebenso wollen wir uns viertens mit der Frage der Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen auseinandersetzen, und wir begrüßen durchaus, daß die Bundesregierung jetzt den Versuch unternimmt, hierzu ein neues Konzept vorzulegen. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß es die Forschungspolitiker der Union sehr gern gesehen hätten, wenn weiterhin das Personalkostenzuschußprogramm und auch das Zuwachsförderungsprogramm - das letztere im BMFT- Haushalt, das andere beim BMWi angesiedelt - fortgeführt worden wäre. ({8}) Aber wir stellen auch fest, daß durch die Steuerreform gerade für kleine und mittlere Unternehmen, die ja in erster Linie - zu 90 % - einkommensteuerpflichtige Unternehmen sind, wesentliche Entlastungen realisiert werden konnten, die eine Verbesserung des Ertrages dergestalt bewirken, daß aus eigener Kraft vermehrt in Forschung und Technologie investiert werden kann. Meine Damen und Herren, ich will im Interesse meiner Kollegen meine Redezeit nicht völlig ausschöpfen, die ursprünglich angemeldet war. Ich bitte Sie ganz einfach darum, daß wir trotz unterschiedlicher Standpunkte - und da wollen wir uns streiten, und ich bitte um Streit - fair miteinander umgehen, rational diskutieren, daß wir Technik als Chance begreifen, nicht das Risiko überbetonen, es aber auch nicht gering schätzen und mit Behutsamkeit und Besonnenheit an die Arbeit gehen. Ausstieg und Flucht in eine Idylle in quasi paradiesische Zustände gibt es in einer Industriegesellschaft nicht, wo hart Geld verdient werden muß, wo die Schlote rauchen müssen, wenn Arbeit angeboten und die Arbeitslosigkeit verringert werden soll. Wir müssen uns zusammenfinden und, zwar mit Besonnenheit und Behutsamkeit, aber auch durchaus mit einer gewissen Bereitschaft zum Risiko, an die Arbeit gehen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch im siebten Jahr der christlich-liberalen Bundesregierung ist der Bundesforschungsminister ein überzeugendes Konzept für die Forschungspolitik schuldig geblieben. Forschungspolitik besteht seit 1982 nur noch, ich sage durchaus, aus intelligenten Reden. Kraftvolles politisches Handeln nach einem überzeugenden Konzept zum Nutzen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft ist ausgeblieben. Als Ergebnis ist festzustellen: Die Bundesrepublik Deutschland fällt als Forschungs- und Technologieland zurück. Diese für unser Land unerfreuliche Feststellung ist im finanziellen und im programmatischen Bereich vielfach zu belegen. „Die sieben Todsünden" und unverständlichen Minuspositionen des Bundesforschungsministers sind die folgenden: Erstens. Der Forschungshaushalt sinkt gegenüber dem Vorjahr ab. Dies war seit Bestehen des Forschungsetats noch niemals der Fall, wenn man von der 83er Reduktion wegen der 82er Vorfinanzierung des Schnellen Brüters einmal absieht. Die Steigerungsrate ist jetzt minus 1,1 %, also eine Fallrate. Die 166 Millionen DM, die der Bundesfinanzminister dem Bundesforschungsminister durch einseitige Verfügung nach der Kabinetts-, der Haushaltsausschuß- und der Plenarentscheidung Anfang des Jahres gestrichen hat, gefährden Forschungs- und Technologieförderung in allen wichtigen Bereichen. Es ist dem Bundesforschungsminister im Kabinett bisher nicht gelungen, die Bedeutung einer starken und wachsenden zukunftsorientierten Forschung und Technologie in der Bundesrepublik Deutschland herauszustellen. Es ist richtig, daß die Investitionen von heute die Arbeitsplätze von morgen sind. Die Forschungsanstrengungen von heute sind aber auch die Investitionen von morgen, so daß die haushaltsrechtliche Argumentationsweise politisch kurzsichtig ist und zu einem gefährlichen Kahlschlag führt. Der Vorwurf muß wiederholt werden, daß die Bundesregierung auch die Zukunftschancen durch ihr unsolides Finanzgebaren verschlechtert. Zweitens. Von 1982 bis 1989 stieg der Forschungsetat insgesamt von 6,6 Milliarden DM auf 7,4 Milliarden DM, also um 12 %, während der Bundeshaushalt in diesem Zeitraum um 14 % anstieg, also mehr. Diese unterdurchschnittliche Wertschätzung des Forschungsetats unter Bundeskanzler Kohl ist um so dramatischer, wenn man den Vergleichszeitraum sieben Jahre vor der „Wende" dagegensetzt. Von 1975 bis 1982, also unter der sozialdemokratischen Verantwortung, stieg der Forschungsetat insgesamt von 4,1 Milliarden DM auf 6,6 Milliarden DM, ({0}) also um 61 %, während der Bundeshaushalt damals um 54 % anstieg. Das war also eine überproportionale Steigerung. Nunmehr sinkt der Anteil der gesamten FuE-Aufwendungen des Staates im letzten Jahr um real 2,3 %. Und die neuerlichen Kürzungen lassen erwarten, daß auch der Gesamtanteil der FuE-Aufwendungen in der Bundesrepublik Deutschland gemessen am Bruttosozialprodukt auf 2,7 °A. zurückfallen wird. Das ist eine unverantwortliche Preisgabe unserer mühsam errungenen Position im Weltmaßstab. Drittens. Das Informationstechnik-Programm ist seit über einem halben Jahr überfällig. Das erste Programm 1984 bis 1988 war bereits durch den dauernden Zielkonflikt zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Forschungsministerium gekennzeichnet. Entsprechend groß war die Schelte von Graf Lambsdorff bei der Förderung des 4-Mbit-Projektes bei Siemens und Philips. Die soziale Dimension der Informationstechnologieentwicklung war nicht Bestandteil des Programms - eine staatspolitische Fehlleistung ersten Ranges. Das Forschungsministerium weiß seit 1984, daß das IT-Programm 1988 auslaufen würde. Dennoch gibt es bis heute kein Anschlußprogramm. Der neue Entwurf Informationstechnologie 2000 hängt aus den gleichen Gründen, die schon das Dilemma des ersten Programms ausgemacht haben. Auf der einen Seite will die FDP nicht. Auf der anderen Seite sind es die Arbeitnehmer und ihre Organisationen leid, sich zum Gegenstand einer den Dienst am Menschen ständig im Munde führenden Politik der Bundesregierung machen zu lassen, ohne daß diese Regierung auf ihre, der Gewerkschaften, berechtigten Forderungen eingeht. Diese von der SPD formulierten bzw. unterstützten Forderungen lauten - hören Sie sich das gut an - : Programmdiskussion mit den Gewerkschaften, den übrigen gesellschaftlichen Gruppen und den Sozialwissenschaftlern, Bewertung des bisherigen Programms, Einbindung des Programms in die europäische Dimension, Einbindung des Programms in die sozialdatenschutz-, umweltschutz- und verbraucherschutzrechtlichen Regelungen und Einbindung des Programms in bestehende Qualifizierungs-, Bildungs- und Weiterbildungsstrategien und die Gesundheitsversorgung. Nur so könnte auf diesem Sektor wirklich Politik gemacht werden. Zeit dazu war wirklich genug vorhanden. Die SPD teilt im übrigen die Auffassung der JESSI- Planungsgruppe. Es kann nicht darum gehen, die Weltmarktstellung Japans oder der USA zu gefährden. Wohl geht es darum, daß Europa nicht in die vollständige Abhängigkeit von diesen Chip-Produzenten gerät. Die SPD teilt auch die Auffassung der Planungsgruppe über den erforderlichen Kosten- und Zeitaufwand. Hierbei sieht die SPD, daß ein staatliches Engagement bei diesem schwierigen und großen Vorhaben erforderlich ist. Sie hält eine staatliche Forschungs- und Entwicklungsförderung auf diesem Gebiet für geboten. Die Bundesregierung sollte die einseitige Ausrichtung des Forschungsetats auf Kernenergie und Raumfahrt deutlich zugunsten der Schlüsseltechnologie Informationstechnik ändern. Sie hat, wie gesagt, hier schon zu lange gezögert. Viertens. Das Energieforschungsprogramm ist das katastrophalste Beispiel der Konzeptionslosigkeit. Es gibt seit drei Jahren kein geltendes Programm mehr. Gerade auf diesem Gebiet wäre ein politisches Konzept der Bundesregierung dringender als auf jedem anderen Gebiet. Das haben wir ja gerade während der vorangegangenen Aktuellen Stunde erfahren. Der Bundesforschungsminister hat weiterhin auf Kernenergie gesetzt. Weder beim Brüter noch beim Hochtemperaturreaktor, weder bei der Wiederaufbereitung noch bei der Endlagerung ist irgendeine selbständige Regung der Vernunft auf seiten der Bundesregierung festzustellen. Das macht alles zuerst die Industrie. Dies ist um so unverständlicher, als selbst nach der Ansicht von Graf Lambsdorff der Brüter tot ist. Das muß selbstverständlich Auswirkungen auch auf das Wiederaufbereitungs- und auf das Endlagerkonzept haben. Daraus muß man Schlüsse ziehen! In diesem Zusammenhang begrüßen wir die späte Einsicht der Industrie, daß der Entsorgungsweg mit Wiederaufbereitung prinzipiell teurer ist als der Entsorgungsweg der direkten Endlagerung; das hat die Industrie eingesehen. Allerdings kritisieren wir, daß die Industrie trotz des Kostenvorteils der direkten Endlagerung nicht gleich auf diesen Weg einschwenkt, sondern erst einmal die französische Wiederaufbereitung vorzieht, die wegen des militärischen und zivilen Grundumsatzes sowie ihrer geringeren Sicherheitsstandards natürlich billiger als eine nationale Lösung ist. Das früher häufig vorgeschobene Argument für die nationale Wiederaufbereitung, nämlich die französische Monopolpreissituation, ist mit der Entscheidung der deutschen Industrie wohl endgültig vom Tisch. Die Wiederaufbereitung ist nicht nur teurer als die direkte Endlagerung; sie ist darüber hinaus wesentlich umweltgefährlicher, und sie ist wegen der Möglichkeit zur Weiterverbreitung von Plutonium vor allen Dingen friedensgefährdend. Auch deswegen sind wir dagegen. ({1}) Auf dem Energiesektor fehlt im übrigen eine klare Konzeption für die nichtnukleare, für die alternative und regenerative Energieforschung. Auf diesen Gebieten wird herumgewurstelt, damit werden Zukunftschancen vertan. Ich verweise auf unsere klaren Vorstellungen für dieses Gebiet, auf das Kernenergieabwicklungsgesetz, auf unsere Kohlevorrangpolitik, auf unser Energieeinsparkonzept und auf unser Konzept für Solarenergie und Wasserstoff. Fünfte Sünde: Das Weltraumprogramm ist ebenfalls schon seit zwei Jahren überfällig. Unverantwortlich ist dabei, daß die weitgehenden Sachentscheidungen im Rahmen der ESA ohne nationales Konzept getroffen wurden. Gehandelt wurde im Weltraumbereich auf den einseitigen Druck der Lobby hin. Dies ist der Grund dafür, daß der gesamte Forschungshaushalt finanziell völlig aus dem Lot gekommen ist. Ich bin gespannt, was in diesem Bereich der neue Finanzminister machen wird, der noch jüngst vom Bundeskanzler mehr Geld für den Weltraumetat gefordert hat; das ist erst wenige Wochen her. Sechste Sünde: Die kleinen und mittleren Unternehmen wurden konzeptionslos auf breiter Front mit dem vagen Hinweis auf die sogenannte Steuerreform von der weiteren Innovationsförderung ausgeschlossen. Die SPD-Opposition und alle zuständigen Wirtschaftsverbände haben dies einmütig kritisiert. Trotzdem singt der Bundesforschungsminister - auch Sie, Herr Lenzer - weiterhin das Hohelied der Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen. Offenbar hat der Bundesforschungsminister eine andere Realitätswahrnehmung als wir und als es die nackten Zahlen ausdrücken. Siebte Sünde: Die Konzeptionslosigkeit in der Forschungspolitik hat auch auf die Position der Bundesregierung im Hinblick auf eine europäische Konzeption übergegriffen. Hierbei laufen nationale, internationale und supranationale Programme nebeneinander her, wenn nicht sogar durcheinander. Das ist zu beklagen. Ich fasse zusammen: Sieben Jahre Bundesforschungsminister Riesenhuber sind sieben Jahre der Suche nach der verlorenen Konzeption, die er bisher trotz vieler Versuche nicht gefunden hat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesforschungsbericht und die Bilanz machen die Umorientierung in der Forschungspolitik deutlich, eine Umorientierung in den Förderinstrumenten und den Inhalten, auch wenn Herr Kollege Vosen versucht, das zu bestreiten. Diese Umorientierung trägt der notwendigen Kontinuität und Verläßlichkeit einer vernünftigen Forschungspolitik Rechnung. Die FDP begrüßt die stärkere Betonung der Grundlagenforschung, die Maßnahmen zur Entbürokratisierung, die Aufnahme und Verstärkung der Vorsorgeforschung, der Umweltforschung, des Themenbereichs Erforschung und Beurteilung von Technikfolgen. Wir begrüßen auch, daß eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit festzustellen ist. Essentiell wichtig ist für uns auch die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen. Gerade ihnen aber müssen nach unserer Meinung nach dem Auslaufen einiger höchst positiv zu bewertender Maßnahmen wie z. B. der Personalkostenzulage und nach dem Fortfall einiger fiskalischer Vergünstigungen im Rahmen der Steuerreform über den Rahmen dessen hinaus, was in Bericht und Bilanz aufgeführt ist, zusätzliche Unterstützungen gegeben werden. ({0}) So sollten z. B. mittelständische Unternehmen stärker als bisher die Möglichkeit erhalten, unmittelbar, also nicht als Unterauftragnehmer von wenigen Großunternehmen, in die großen Programmbereiche wie z. B. Raumfahrt und Mikroelektronik mit einbezogen werden. Information und Beratung müssen über das hinaus, was vorgesehen ist, verstärkt werden. Stärker als bisher sollten auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen am Kenntnistransfer aus den Großforschungseinrichtungen beteiligt werden. Sie sollten vor allen Dingen bei der Entwicklung von Verfahren der Qualitätssicherung und der Qualitätskontrolle unterstützt werden, was eine ganz wichtige Voraussetzung dafür ist, daß sie in die großen Programme selbständig mit einbezogen werden können. Wir sind der Auffassung, daß bei der geplanten Reform der Unternehmensbesteuerung die besondere Situation sich entwickelnder neuer Unternehmen besonders berücksichtigt werden muß. Erwähnen muß ich auch die Notwendigkeit, demotivierende steuerliche Regelungen für die Erfinder, die ein für die Volkswirtschaft wichtiges kreatives Potential darstellen, zu korrigieren. Meine Damen und Herren, ich möchte in der heutigen Forschungsdebatte die Gelegenheit nutzen, einige perspektivische Überlegungen anzustellen, die möglicherweise nicht in den Rahmen dessen fallen, was heute zur Entscheidung ansteht. In der generellen Begründung und Rechtfertigung der Forschungspolitik wird im wesentlichen auf die Notwendigkeit abgehoben, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu stärken; abgehoben wird auf Strukturprobleme und strukturelle Förderelemente. Das haben auch alle Kollegen bisher so erwähnt. Es ging da um die Wettbewerbsfähigkeit im nationalen wie im europäischen Bereich. Mir scheint, daß die Aussagen auch in den Berichten und auch in der Großen Anfrage - das liegt aber an unseren Fragen - im wesentlichen auf Naturwissenschaften und Technikwissenschaften begrenzt sind. Ich bin hingegen der Meinung, daß Forschungspolitik alle Wissenschaften umfassen muß, daß Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften eine gleichwertige inhaltliche Bedeutung haben und dementsprechend in einen Forschungsbericht der Bundesregierung einbezogen werden müßten. ({1}) Im Verhältnis der Wissenschaft zum Staat und damit auch zur Politik hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen. Die Anforderungen des Staates einerseits an Wissenschaft und Forschung, neue Erkenntnisse für politische Entscheidungen und auch für politische Machtansprüche zu liefern, andererseits die zunehmende Größe und Kostspieligkeit der Forschungsprojekte und der dazu erforderlichen Einrichtungen machen die Wissenschaft zunehmend vom Staat abhängig und verpflichten sie ihm. Inzwischen sprengen bereits die aus der Wissenschaft heraus gestellten Anforderungen an den Staat das nationale Leistungsvermögen, machen internationale Kooperation immer notwendiger und fördern damit zwangsläufig eine Verstärkung des politischen Einflusses auf die Wissenschaft. Die enormen finanziellen Aufwendungen für Forschung, für Großforschung sowohl in der Grundlagenforschung wie in der anwendungsorientierten Forschung und in den technologischen Entwicklungen, vorwiegend aus Steuergeldern aufgebracht, machen es zwingend notwendig, daß der Staat und seine Institutionen, die Parlamente vor allem, der Öffentlichkeit gegenüber diese Aufwendungen begründen und verantworten. Damit stellt sich die Frage nach der Autonomie der Wissenschaft und damit nach ihrem Ethos. Nicht mehr die selbstverwaltete Gemeinschaft allein bestimmt die Forschungsthemen, sondern die Bereitstellung finanzieller Mittel für von außen, vom Staat, von der Politik und der Gesellschaft vorgegebene Themen. Aber auch die autonome Bewertung von wissenschaftlichen Leistungen erfährt zwangsläufig Veränderungen; denn mit den gewaltigen öffentlichen Aufwendungen werden nun Entscheidungen der exekutiven Organe des Staates oder der Staaten hinsichtlich der Ziele der Wissenschafts- und Forschungsförderung, hinsichtlich der Prioritäten, der Erfolgskontrolle, der Bewertung der Ergebnisse, ihrer Verfügbarkeit und ihrer Nutzung unverzichtbar, wenn auch unter strikter Beachtung der der Forschung eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dazu hat aber die Politik noch keine adäquate Einstellung gefunden; denn während man in der Wissenschaft die Wahrheit durch Kontroversen und Kritik so lange sucht, bis eine einzige Antwort gefunden ist, wird in der Politik der Konsens durch Feilschen und Handeln angestrebt, bis ein aus mehreren Antworten bestehender Kompromiß gefunden ist. Leider sind vielfach andere, sachfremde Gründe in der Politik ausschlaggebender als die Entscheidungsfindung bei den eigentlich wissenschaftsbezogenen Fragestellungen. ({2}) Die heutige Naturwissenschaft ist in erster Linie von dem Paradigma der Industrieära geprägt. Ihr Ziel ist Voraussage und Kontrolle, ist die wissenschaftlich und praktisch orientierte Umsetzung durch Technikwissenschaften. Die Überführung naturwissenschaftlichen Erkenntniszugewinns in Technologien und weiterhin in ökonomische Nutzung ist vornehmlich orientiert an technischem Fortschritt, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Noch vor etwa zwei Jahrzehnten konnte ein bekannter Naturwissenschaftler behaupten, daß die Geisteswissenschaften im allgemeinen von den Na10612 turwissenschaften wenig Notiz nähmen und daß der Ablauf der Geschichte gerade in der heutigen Zeit in hohem Grade vom Stand der Technik bedingt sei und dieser wieder vom Stand der Naturwissenschaften. In einer breiten Öffentlichkeit, ja, auch bei der Mehrheit der politischen Repräsentanten, ist diese Vorstellung auch heute noch tief verankert. Man möge dazu nur die allgemeinen Begründungen für die staatliche Forschungs- und Technologiepolitik in den Bundesforschungsberichten der letzten Jahre nachlesen. Es sind zwei Kulturen entstanden: Naturwissenschaft und Technik auf der einen, Geisteswissenschaft und Religion auf der anderen Seite. Inzwischen ist es aber zwingend notwendig geworden, im Sinne kybernetischer Denkansätze und Überlegungen das Zusammenwirken, die Interdependenzen und synergetischen Wirkungen aller Wissenschaftsdisziplinen in der Wissenschaft selbst zu beachten, vor allem aber dieser Notwendigkeit in den Ansätzen in der Wissenschafts- und Forschungspolitik zu entsprechen. Der bedingungslose Glaube, Naturwissenschaft und Technik allein seien in der Lage, die Probleme der Menschheit zu lösen, muß gründlich und durchgreifend in Frage gestellt werden. Das Denken, die Empfindungen und das Bewußtsein der Menschen haben sich verändert. Ich sage, ein neues Zeitalter der Aufklärung veränderte die Einstellungen zur technischen Fortentwicklung. Die Naturwissenschaften haben uns zu der Erkenntnis geführt, wie etwas funktioniert, die Technikwissenschaften haben es ermöglicht, den einen oder anderen Prozeß nachzuvollziehen. Aber hat sich Wissenschaft in gleicher Weise, in der gleichen Intensität um die Beantwortung der Frage bemüht, warum diese Prozesse in den Milliarden von Jahren der Entstehung des Universums, unseres Sonnensystems und unseres Planeten so abgelaufen sind, welcher ordnende Geist, welche Kraft hier am Werke war und ist? Deshalb, so meine ich, muß auch eine zukunftsorientierte Forschungspolitik die Geisteswissenschaften, muß sie Theologie und Philosophie mit umfassen, muß sie die Herausforderung aufgreifen, die beiden Kulturen wieder zusammenzuführen. Dies ist auch im Hinblick auf die sich noch rasch entwickelnde wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit, besonders aber im Hinblick auf eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern notwendig. Dies erfordert nach meiner Meinung eine sehr viel intensivere Befassung und Auseinandersetzung mit den historischen, religiösen und kulturellen Hintergründen der Menschen in solchen Ländern, denen wir helfen wollen und denen wir helfen müssen. Nicht unsere Normen, nicht unsere Wertvorstellungen, nicht unsere Verhaltensmuster dürfen ausschlaggebend sein. Deshalb ist es so eminent wichtig, sich mit den verschiedenen Kulturen der Welt auseinanderzusetzen und dies zum Bestandteil einer Forschungspolitik zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist noch lange keine Forschungspolitik, buchhälterisch vorzurechnen, wieviel Geld wofür und für wen ausgegeben werden soll. ({3}) Der Kollege Schäfer hat vorhin gesagt: Man muß nur Geld in die Hand nehmen. - Ein solches Denken war schon einmal Anlaß für eine Reformation! Es ist unbefriedigend und unzureichend, in der politischen Auseinandersetzung um Wissenschaft und Forschung zu deklamieren, was nicht hätte finanziert werden dürfen, für welche Maßnahmen und Programme mehr öffentliche Gelder hätten ausgegeben werden sollen und ob die regionale Verteilung ausgewogen sei. ({4}) - Wer solches schon für Forschungspolitik hält, Herr Kollege Vosen, ist leider, so muß ich feststellen, ein bedauernswerter Tor. ({5}) Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir alle uns bisher nicht mehr oder weniger so verhalten? Ich denke, daß wir in einer neu zu konzipierenden Forschungspolitik davon ausgehen müssen, daß Geldverteilen keine Forschungspolitik ist. Wir müssen eine Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik konzipieren, deren Ansätze erkennen lassen, daß sie, dem Wesen von Forschung entsprechend, in die Zukunft gerichtet ist, und zwar im Sinne dessen, was Robert Jungk - ich identifiziere mich nicht mit allem, was er gesagt hat; aber dies scheint mir doch sehr wichtig zu sein - über die Forschung in der Zukunft gesagt hat: Sie will nicht mehr den Himmel stürmen, sondern die Erde bewahren. Kommende Ereignisse voraussagen oder bewirken zu können maßt sie sich nicht an, sondern bemüht sich vor allem darum, die wahrscheinlichen Folgen gegenwärtigen Denkens und Handelns kritisch abzuwägen. Nicht der Fortschritt der Wissenschaften, sondern die Wandlung der Menschen steht im Mittelpunkt ihrer Vermutungen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe Sie mit meinen Ausführungen nicht gelangweilt. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, Ihnen einige Gedanken, die mich seit langem umtreiben, vorzutragen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Laermann, ich hätte große Lust und fände es sehr spannend, wenn wir jetzt die Zeit hätten, uns mit Ihrer Rezeption insbesondere der „Two Cultures" von Snow, die Sie vorgetragen haben, auseinanderzusetzen, aber mich drängt anderes. Meine Damen und Herren, auf den ersten Blick ist der Bundesbericht Forschung 1988 ein sehr imponierendes Dokument. Er imponiert vor allem wegen der Schilderung der enormen Forschungskapazitäten, die dieses Land hat. Bei genauerem Hinsehen aber zeigt sich, daß dieser Bericht zugleich ein Dokument der politischen Versäumnisse dieser Bundesregierung und ihres zuständigen Ministers Riesenhuber ist, denn auf alle wirklich drängenden Herausforderungen unserer Zeit gibt diese Regierung einmal mehr nur rhetorische, floskelhafte Antworten. Die Forschungs- und Technologiepolitik nutzt nicht die vorhandenen imponierenden Forschungskapazitäten, die dieser Bericht darstellt. Herr Minister Riesenhuber, um unsere Kritik vorweg einmal ganz knapp zusammenzufassen - ich werde sie dann im einzelnen begründen - : Wir werfen Ihnen vor, daß Ihre Forschungspolitik völlig falschen Maximen und Leitorientierungen folgt. Wir werfen Ihnen vor: Diese Politik verschleudert staatliche Forschungsressourcen, und wir werfen Ihnen vor, daß Ihr Rechenschaftsbericht in vielen Teilen selbst gegen elementare Standards wissenschaftlicher und statistischer Seriosität verstößt. Bevor ich diese Kritik an vier Hauptmerkmalen des Forschungsberichts begründe, muß ich leider eine Vorbemerkung zur Kontrollfunktion dieses Parlaments machen. Die heutige forschungspolitische Debatte umfaßt fünf umfängliche Tagesordnungspunkte; der Forschungsbericht ist ja nur einer davon. Uns als Oppositionspartei stehen ganze 14 Minuten zur Verfügung, um uns dazu zu äußern. Sie gestatten mir, daß ich das einen Skandal nenne. ({0}) Aus Zeitgründen kann ich beispielsweise zu den wichtigen Großforschungseinrichtungen nur Stichworte nennen: Bei den Einrichtungen in Jülich und Karlsruhe ist ein radikaler Umbau überfällig. Wir benötigen diese Einrichtungen für neue Aufgaben, und zwar für Forschungsvorhaben betreffend erneuerbare Energien, zur Effizienzsteigerung in der Energienutzung, zur Technikfolgenabschätzung, für Forschung über angepaßte Energienutzung in der Dritten Welt, um nur einiges zu nennen. Meine Damen und Herren, viele hochqualifizierte Leute in Jülich oder in Karlsruhe warten sehnsüchtig auf den Startschuß einer rot-grünen Bundesregierung, damit sie endlich aus ihren forschungspolitischen Sackgassen herauskommen. ({1}) Jetzt zurück zum Forschungsbericht und dazu vier Kritikpunkte. Erster Punkt: Die Bundesregierung hat als Anspruch formuliert, daß ihre Forschungspolitik unterschiedliche Ziele gleichgewichtig verfolge. Namentlich nennt sie wissenschaftlich-kulturelle, wirtschaftliche, soziale, ökologische und friedenssichernde Ziele. Der Bundesbericht Forschung ist aber von der ersten bis zur letzten Seite durchgängig ein Dokument dafür, daß von einer Gleichgewichtigkeit dieser Forschungsziele überhaupt nicht die Rede sein kann. Diese Forschungspolitik ist vielmehr extrem ungleichgewichtig angelegt. Beispielsweise macht die ökologische Forschung gerade einmal ein Zehntel der Rüstungsforschung aus. Ein anderes Beispiel: Gemessen am Stand von 1982, addieren sich die seitherigen Minderausgaben der Bundesregierung für regenerative Energietechnologien auf 450 Millionen DM. ({2}) Herr Minister Riesenhuber, Sie wollen uns doch wohl nicht ernsthaft einreden, daß zur Sicherung der künftigen umweltverträglichen Energieversorgung kein großer Forschungs- und Entwicklungsbedarf existierte! Ein weiteres Beispiel: Die Ausgaben Ihres Hauses für Technologiefolgenabschätzung dümpeln 1989 bei 6 Millionen DM, während die teils hochriskanten biotechnologischen Forschungsvorhaben mit 240 Millionen DM auf- und davonsegeln. Weiter, Herr Riesenhuber: Sie puschen das Unsinnsprojekt der bemannten Weltraumfahrt und sind bereit, dafür in den künftigen Haushaltsjahren, wie Sie kürzlich im Ausschuß ausführten, allein ein Viertel des gesamten Forschungsetats auszugeben. Ich sage Ihnen, Herr Riesenhuber, ich habe es Ihnen mehrfach gesagt, und sowohl bundesdeutsche wie US-amerikanische Experten bestätigen diese Auffassung: Das, worauf Sie sich mit der bemannten Raumfahrt eingelassen haben, ist ein so kostenexplosives Projekt, daß uns diese nationale Großmannssucht in wenigen Jahren nicht ein Viertel, sondern wesentlich mehr von unseren Forschungsmitteln kosten wird. Dieses Geld wird uns dann an allen Ecken und Enden fehlen. ({3}) Sie, Herr Riesenhuber, befinden sich bereits heute in einer nach meiner Auffassung demokratisch nicht mehr vertretbaren Abhängigkeit von der Raumfahrtindustrie und damit von der Rüstungsindustrie. Erst vorgestern hat es ja der Daimler-Benz-Chef Reuter mit wünschenswerter Klarheit ausgesprochen und damit sogar seine Superkonzern-Absichten begründet: Die Verteidigungstechnik sei - ich zitiere - „untrennbar verbunden mit der Luft- und Raumfahrt". ({4}) Kurzum: Dieser Forschungsbericht ist ein Dokument dafür, wie unter dem rhetorischen Schutzschild der Gleichrangigkeit der Forschungsziele alle harten Zahlen das Gegenteil belegen. Wirtschaftliche und militärische Forschungsinteressen laufen den ökologischen und sozialen Forschungsnotwendigkeiten im Eiltempo davon. Hier stellt sich eine sehr interessante grundsätzliche Frage: Soll und darf denn überhaupt die Gleichrangigkeit unterschiedlichster Forschungsziele die Leitorientierung für staatliche Forschungspolitik sein? Wir befinden uns in einer Situation, in der 60 % der Forschungsausgaben dieses Landes aus der privaten Wirtschaft kommen. Das bedeutet eine ungeheure privatwirtschaftliche Entscheidungsmacht über die Technostrukturen unserer Zukunft. In dieser Situation wäre es die Aufgabe rationaler staatlicher Forschungspolitik, ökologische und soziale Forschungsvorhaben zu stärken und zu bevorzugen, um die immer neuen Risiken industrieller Technologien und Produkte einzugrenzen und zu überwinden. Nicht Gleichrangigkeit staatlicher Forschungsziele, sondern Vorrang für ökologisch-soziale Forschungsvorhaben und Technologieprojekte muß die Leitorientie10614 rung einer Forschungspolitik sein, die auf der Höhe der Zeit ist. ({5}) Das, meine Damen und Herren, führt mich zum zweiten Kritikpunkt. Statt daß die staatlichen Forschungsressourcen in diesem Sinne für die Lösung gesellschaftlicher Gefährdungslagen genutzt werden, werden sie unter der Regie des Ministers Riesenhuber immer ungenierter zugunsten privatwirtschaftlicher Vorhaben geplündert und geschröpft. Der Bundesbericht Forschung dokumentiert, wie die Politik dieser Bundesregierung ein unerträgliches Verhältnis von privatwirtschaftlicher Forschungsmacht und öffentlicher Forschungs-Ohnmacht etabliert: Allein ein Drittel der öffentlichen Forschungsmittel werden der Privatwirtschaft zusätzlich zugeschlagen. Dazu kommt, daß immer mehr Forschungsprojekte der Hochschulen oder der staatlichen Großforschung nur verlängerte Anhängsel der Industrieforschung sind. Wir möchten da nicht in dem Sinne mißverstanden werden, als hätten wir ein abgrundtiefes Mißtrauen in private und ein blindes Zutrauen in staatliche Forschungsprojekte. ({6}) - Nein, hier geht es um etwas anderes: Industrieforschung kann nur Unternehmensinteressen, nicht gesamtgesellschaftliche Interessen verfolgen; das ist ihre Aufgabe am Markt. Aufgabe des Staates aber ist es, angesichts der Forschungsmacht der Wirtschaft seine Forschungspolitik von diesem ökonomistischen Zuschnitt zu befreien. Staatliche Forschungspolitik muß, jedenfalls in ihrem Kern, auf Langfristperspektiven gesellschaftlicher Bedarfslagen und Probleme ausgerichtet sein. Kollege Lenzer, staatliche Forschungs- und Technologiepolitik hat eben nicht nur subsidiäre, sondern unter unseren heutigen gesellschaftlichen Bedingungen immer mehr originäre Aufgaben. ({7}) Der Erfolg staatlicher Forschungspolitik rechnet sich nicht in kurzfristiger Rentabilität, sondern in Sozial- und Umweltbilanzen, deren Zeitachse nach Generationen zählt. Wenn sich nun aber - das ist die Folge der Forschungspolitik dieser Bundesregierung - eine tiefe Kluft zwischen privatwirtschaftlicher und öffentlicher Forschungskapazität auftut, dann fehlt dieser Gesellschaft immer mehr die Masse für eine ausreichende Vorsorgeforschung, für eine ausreichende Komplementär- und Frühwarnforschung. Damit komme ich zum dritten Punkt unserer Kritik: Wenn es wenigstens so wäre, daß die Umschichtung von Forschungsmitteln in Richtung Wirtschaft alle innovationsfähigen Sektoren, Regionen und Unternehmensgrößen beträfe; aber davon kann keine Rede sein, auch wenn im Bericht immer wieder die Bedeutung kleiner und mittlerer Betriebe, die Bedeutung der Struktur- und Regionalpolitik betont wird. Das sind nichts als rhetorische Pflichtübungen, auch in diesem Fall. Ich verweise nur auf die verdienstvollen Berechnungen der Kollegin Bulmahn, die an Hand der Zahlen für 1987 gezeigt hat: Mehr als 40 % aller Forschungs- und Entwicklungsgelder, die die Bundesregierung an die gewerbliche Wirtschaft vergibt, werden künftig in den Kassen eines einzigen Großunternehmens klingeln: in den Kassen von Daimler-Benz/ MBB. Ich habe weitergerechnet: Sollte dieser Rüstungsdinosaurier Wirklichkeit werden, so verfügt allein dieser Einzelkonzern über einen Forschungs- und Entwicklungsetat, der doppelt so groß ist wie der aller - ich betone: aller! - Hochschulen unseres Landes. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die Mittelstandsvereinigung der Union hat Ihnen dazu fast einstimmig die Leviten gelesen. Wenn man sich bei den kleinen und mittelständischen Mitgliedern des Deutschen Industrie- und Handelstages umhört, erkennt man, daß es dort eigentlich nur einen Wunsch gibt: Dieser Forschungsminister möge möglichst bald an seinem Propeller abschwirren. ({8}) Diese Unternehmen haben ja recht damit; denn je monopolisierter die Forschungspolitik, um so öder und alternativloser die industrielle und technische Landschaft. Wir brauchen Diversifikation und Demokratisierung der Forschungspolitik, damit alle gesellschaftlichen Interessen und Innovationspotentiale auf das industrielle und technologische Fundament dieser Gesellschaft einwirken können, damit die destruktiven Potentiale - ({9}) - Das weiß ich, daß Sie von Demokratisierung von Grundlagenentscheidungen, die weit außerhalb dieses Parlaments fallen, überhaupt nichts halten. ({10}) Sie haben den alten Herr-im-Haus-Standpunkt selbst in Zukunftsfragen dieser Gesellschaft noch immer nicht überwunden. ({11}) Schließlich unser vierter Kritikpunkt: Hinsichtlich einer systematischen Risikobilanz ist der vorliegende Forschungsbericht eine einzige Katastrophe. Zwar wird an verschiedenen Stellen über Bhopal und Tschernobyl, über die Risiken der Industriegesellschaft geschwafelt. Aber viele Kolleginnen und Kollegen auch aus den Regierungsparteien scheuen sich heute nicht mehr, zusammen mit uns GRÜNEN Ökobilanzen für private Unternehmen zu fordern. Wo bleibt eine derartige Bilanz, bezogen auf die Forschungspolitik der Bundesregierung und ihre Effekte? Herr Riesenhuber, wenn ich mir nicht sicher wäre, daß Sie noch höchstens noch eineinhalb Jahre im Amt sein werden, würden wir Sie dazu auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß in künftigen Forschungsberichten ein eigenständiger Teil mit dem Thema ,, Risikopotentiale der industriellen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, forschungs- und technologiepolitische Gegenmaßnahmen der Bundesregierung" eingeführt wird. Mehr denn je gehört zu einem verantwortbaren Bundesbericht Forschung eine solche Risikobilanz: konkret, systematisch, schonungslos. Aber, meine Damen und Herren, ich sehe schon: Diese wichtige Sache werden wir selbst in die Hand nehmen müssen. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz meiner sehr beschränkten Redezeit möchte ich wenigstens kurz auf die Ausführungen meines Kollegen Vosen eingehen, der sich hier wieder als der energiepolitische Sprecher der SPD dargestellt und unseren Bundesforschungsminister mit sogenannten sieben Todsünden, die er zu konstruieren versucht hat, angegriffen hat. Er hat ihm darüber hinaus vorgeworfen, er sei ein forschungspolitisches Konzept schuldig geblieben. Herr Kollege Vosen, ich stelle fest, daß wir den erfolgreichsten Forschungsminister haben, den die Bundesrepublik Deutschland jemals gehabt hat. ({0}) Zum zweiten möchte ich sagen: Herr Vosen, wenn Sie Ihre Todsünden, die Ihre Koalition in den bekannten 13 Jahren begangen hat, beichten müßten, kämen Sie drei Tage nicht mehr aus dem Beichtstuhl heraus. Wenigstens auf eine dieser Sünden darf ich eingehen; ich bin noch nicht bei meinem Konzept. Sie haben beklagt, daß die Steigerungsrate beim Forschungshaushalt nur 12 % gegenüber 14 % beim übrigen Haushalt betrage. Herr Kollege Vosen, wenn Sie redlich gewesen wären - rechnen können Sie ja -, hätten Sie die Inflationsrate von den Steigerungsraten abgezogen. Dann hätten Sie festgestellt, daß zu Zeiten der Union und unter Minister Riesenhuber real wesentlich mehr für die Forschung herausgekommen ist als zu Ihren Zeiten. ({1}) Meine Damen und Herren, die Qualität des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland wird entscheidend von unserer technischen Leistungsfähigkeit geprägt. Sie sichert nicht nur unseren Lebensstandard, sondern gibt uns gesellschaftlich wie politisch eine tragfähige Zukunftsperspektive. Ohne den Einsatz ständig neuer, leistungsfähiger Technologien wäre es auch völlig ausgeschlossen, den heute bereits 6 Milliarden und demnächst 10 Milliarden Menschen auf der Erde eine lebenswerte Zukunft zu geben. Fast jeden Tag können wir uns im Fernsehen davon überzeugen, wieviel Hunger, Not und Elend es auf dieser Welt noch zu beseitigen gilt. Wer deshalb in dieser Situation den Weg „zurück zur Natur" beschreiten will, beweist neben seiner Ignoranz und Inkompetenz auch ein erstaunliches Maß an Provinzialität. ({2}) Dabei, Herr Wetzel, erinnert die von vielen Intellektuellen mit Inbrunst betriebene Verteufelung der modernen Industriegesellschaft in fataler Weise an den unseligen deutschen Hang zur Weltbeglückung. Nicht nur in der Kernenergie und der lange Zeit als Jobkiller verpönten Mikroelektronik, sondern jetzt auch verstärkt in der Gen- und Biotechnologie soll eine ideologisch motivierte Verweigerungspolitik den Sachverstand ersetzen. ({3}) Vor allem bei unseren europäischen Nachbarn wird der ausgeprägte neudeutsche „Öko-Chauvinismus" mit Unverständnis und Sorge quittiert. ({4}) Auch wenn unsere Wirtschaft gegenwärtig floriert und wir bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben durchaus Weltniveau erreicht haben, muß uns die Gefahr einer fortschreitenden politisch-administrativen Technikverhinderung mit Sorge erfüllen. Denn um nichts anderes geht es, wenn die deutsche Energiewirtschaft sich jetzt anschickt, aus wichtigen Bereichen unseres international als vorbildlich angesehenen Energiekonzepts auszusteigen. Da mögen die professionellen Kernkraftgegner noch so jubeln: Für das Ansehen und die Leistungsfähigkeit des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland wäre dies eine schwere Niederlage. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien müssen deshalb noch entschlossener und eindeutiger auf die verheerenden Folgen rot-grüner Technikverhinderung hinweisen. ({5}) Angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Gefahren einer Weltklimakatastrophe - diesbezüglich habe ich von der SPD in der Kohledebatte überhaupt nichts gehört ({6}) ist die von SPD und GRÜNEN geschürte Antikernkrafthysterie nicht nur provinziell, sondern auch in höchstem Maße unverantwortlich. Solange wir über keine grundlegenden neuen energiepolitischen Erkenntnisse verfügen, besteht die einzige nennenswerte Alternative zur Kernenergie und zur Wasserkraft im Verbrennen von Kohle, Öl und Gas und damit in einer noch stärkeren Produktion von CO2. ({7}) Wer in dieser Situation, Herr Wetzel, auf die Lösung durch alternative Energiequellen verweist, ohne sagen zu können, ob und gegebenenfalls wann sie einen nennenswerten Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten können, ist ein politischer Scharlatan. Aber auch wer uns das Energiesparen als wichtigste Problemlösung anpreisen will, befindet sich angesichts der weltweiten Bevölkerungsexplosion auf dem energiepolitischen Holzweg, denn so viel Energie können wir in Deutschland und anderen Industriestaaten gar nicht einsparen, wie durch den schnell wachsenden Energiehunger der Dritten Welt an Bedarf auf uns zukommt. Wäre es da nicht sinnvoller und ehrlicher, einen konstruktiven Beitrag dazu zu leisten, daß beispielsweise China und Indien ihre weitgehend noch zu entwickelnden Energiestrukturen nicht ausschließlich auf Kohle, sondern auch auf Kernenergiebasis stellen? ({8}) Und könnte hier nicht gerade die bei SPD und GRÜNEN gleichermaßen verpönte Hochtemperaturreaktortechnik einen effizienteren Beitrag liefern? ({9}) Um jedes Mißverständnis auszuschließen, weise ich noch einmal ausdrücklich darauf hin: Auch wir sind für sinnvolles Energiesparen und für den Einsatz regenerativer Energien, für deren Förderung die Bundesregierung übrigens mehr Mittel zur Verfügung stellt als alle anderen europäischen Staaten zusammen. Herr Wetzel, Sie haben das vorhin bestritten. ({10}) Aber weder durch Energiesparen noch durch regenerative Energien werden wir die in den nächsten Jahrzehnten anstehenden Energieprobleme der Menschheit lösen. ({11}) Daß man diese für die gesamte Menschheit existenzwichtigen Zusammenhänge vor allem jungen Menschen durch die Kraft der Argumente überzeugend vermitteln kann, hat Bundesminister Riesenhuber erst kürzlich auf dem Energiewendekongreß der GRÜNEN - leider ist nur noch ein GRÜNER da ({12}) in Castrop-Rauxel unter großem Beifall der GRÜNEN bewiesen. Die „Frankfurter Rundschau" hat es neidvoll eingestanden. Es wäre durchaus zu wünschen, Herr Minister Riesenhuber, daß diese in der Sache unstrittigen Argumente von der gesamten Bundesregierung in Zukunft mit mehr Geschlossenheit und Überzeugungskraft vorgetragen werden. ({13}) Aber nicht nur in der Kerntechnik, sondern auch in der Mikroelektronik, bei den Kommunikationstechniken und neuerdings verstärkt in der Bio- und Gentechnik muß der wirtschaftlichen Anwendung und Umsetzung wichtiger forschungspolitischer Erkenntnisse größeres Gewicht beigemessen werden. Ich sehe es mit großer Sorge, daß bei uns neben anderen Spitzentechnologien gegenwärtig vor allem die Umsetzung bedeutsamer gentechnischer Verfahren durch immer neue Auflagen behindert wird. Dabei handelt es sich überwiegend um Verfahren, deren Anwendung in den USA, in Japan und in den wichtigsten europäischen Konkurrenzländern häufig seit Jahren anstandslos praktiziert wird. Meine Damen und Herren, erfolgreiche Forschungs- und Technologiepolitik ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern ganz entscheidend auch der politischen Motivation, und diese Motivation kann nicht allein auf den Schultern des Forschungsministers abgeladen werden, denn hier handelt es sich im Kern um ein gesamtstaatliches Anliegen, an dessen Verwirklichung alle politischen Kräfte ein überzeugendes Interesse haben müßten. Ich komme zum Schluß. Lediglich in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt häufig die gegenteilige Forderung nach dem Schutz der Bevölkerung vor modernen Technologien die öffentliche Diskussion, und das führt zu erheblichen Irritationen, denn in Wirklichkeit geht es den rot-grünen Wortführern gar nicht um Sachauseinandersetzungen, sondern um politische Negativsymbole. Ihr Protest gegen die Kernkraft und andere Spitzentechnologien richtet sich deshalb auch gar nicht gegen die jeweils verpönte Technik oder Industrie, sondern allein gegen das verhaßte System. Wohin uns die rot-grüne Wissenschafts- und Technikverweigerung führt, hat zuletzt die geplante Auflösung der Akademie der Wissenschaften in Berlin gezeigt. Die GRÜNEN, aber auch die Mehrheit der SPD - das schreibt Kurt Reumann in der „FAZ" treffend dazu - hassen alles, was nur von fern nach Elite aussieht und verwechseln dabei nur allzuoft Elite mit Leistung. Die Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Fraunhofer-Gesellschaft, unterstützt von den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates und der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen haben gegen diesen Akt wissenschaftlicher Barbarei zu Recht ihren Protest erhoben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien müssen dafür sorgen, daß diesem in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmaligen Eklat die gebührende Antwort erteilt wird. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde diese Debatte bemerkenswert, weil - im Unterschied zur forschungs- und technologiepolitischen Diskussion noch vor wenigen Jahren - die Zwischentöne in dieser Diskussion sehr viel deutlicher erkennbar sind als bestimmte Kontroversen, die sich an bestimmten Schlagwörtern wie direkte/indirekte Förderung, statt kontra Privatinitiative entfaltet haben. Herr Wetzel, Ihren Beitrag fand ich auch bemerkenswert, und zwar vor dem Hintergrund - und da ist man dann schon Wechselbädern ausgesetzt - , daß bei den Beratungen des Bundesforschungshaushalts in unserem Ausschuß für Forschung und Technologie vor wenigen Monaten das damals anwesende Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN, der Kollege Briefs, kapitelweise die Einstellung der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland verlangt hat. Er hat z. B. einen Antrag gestellt - und auch selbst unterstützt -, daß also alle Ausgaben der Bundesregierung im Bereich der Informationstechnik ersatzlos zu streichen seien. Also, ich finde, Ihre Rede ist ein Fortschritt. Was die Ungewichtigkeit, die mangelnde Gleichgewichtigkeit der Ziele in der Forschungs- und Technologiepolitik angeht, so haben Sie, denke ich, in Ihrer Rede einen Punkt getroffen, den auch wir so sehen, daß nämlich ökologische und soziale Zielsetzungen nicht die gleiche Gewichtung wie andere Zielsetzungen der Forschungs- und Technologiepolitik bekommen, etwa die der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Aber eines möchte ich auch deutlich sagen, Herr Wetzel: Ich glaube, man darf das auch nicht umdrehen. Wir wollen eine integrierte Technologiepolitik, in der die Fragen der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit mit ökologischen und sozialen Zielsetzungen integriert werden, in der sie nicht alternativ gegeneinandergestellt werden. Vielleicht können wir darüber noch weiter diskutieren - wir haben ja bis zur nächsten Wahl noch etwas Zeit - , um auch auf diesem Wege vielleicht noch Fortschritte zu machen. Ich denke, Herr Lenzer, es war auch wichtig, daß Sie vor einigen Tagen in einem Artikel - ich glaube, es war in den „VDI-Nachrichten" - deutlich gesagt haben, daß sich Forschungs- und Technologiepolitik nicht zu abrupten Kursänderungen eignen. Also, der Begriff der „großen Wende " in der Forschungs- und Technologiepolitik ist jetzt den vorsichtigen Aussagen der Neuorientierung gewichen. Und wenn wir etwa die Bundesforschungsberichte von 1974 und 1978 mit Ihrer Rede vergleichen, dann ist es in der Tat so, daß viele gemeinsame Zielsetzungen in der Kontinuität der Forschungs- und Technologiepolitik deutlich sind. So besteht z. B. - auch heute in der Debatte - eine breite Übereinstimmung darüber, daß eine breite, Kur interdisziplinären Zusammenarbeit offene wissenschaftlich-technische Infrastruktur, in der auch Spitzenleistungen zu erzielen sind, eine wichtige Grundlage für die Zukunft unseres Landes als Kulturstaat und als Industriestaat ist. Diese Grundüberzeugung muß, glaube ich, auch mittelfristig Basis für Forschungs- und Technologiepolitik des Bundes darstellen. Auch Ulrich Beck, der in seinem Buch „Die Risikogesellschaft" die Kapazität, die Möglichkeit des Staates zur Steuerung technischer Entwicklungen bisher sehr negativ bewertet, geht doch davon aus, daß die Folgen von Wissenschaft und Technik, die durch sie erzeugten Risiken gerade wiederum auch neue Anforderungen an den Fortschritt in Wissenschaft und Technik selbst erzeugen, weil nicht nur die Reparatur dieser Risiken, sondern auch die Vermeidung solcher Risiken nur durch verstärkten Einsatz von Wissenschaft und Technik möglich ist. Wir sind uns auch nach wie vor darüber im klaren, auch wir Sozialdemokraten, daß die Forschungs- und Technologiepolitik ihren Beitrag dazu leisten muß, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt zu sichern. Denn auch wir können nicht darüber hinwegsehen, daß sich das Innovations-tempo weltweit beschleunigt. Meine Damen und Herren, es wird - und ich spreche jetzt doch über Zahlen, weil diese Zahlen, die ich jetzt anspreche, in bewundernswerter Weise wiederholt werden; ich schätze einmal, daß sie mindestens jeden zweiten Monat in Veröffentlichungen der Pressestelle des Bundesforschungsministeriums und auch in Äußerungen einiger Kollegen von der konservativliberalen Seite auftauchen - als einer der großen Erfolge der Neuorientierung Ihrer Politik immer wieder gefeiert - Herr Lenzer, auch Sie haben das in Ihrem Artikel in den „VDI-Nachrichten" gemacht -, daß die Wirtschaft ihre Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen seit der Wende so erstaunlich, so gigantisch gesteigert habe. ({0}) - Herr Probst sagt, das ist eine 'große Leistung, und hat in einer Pressemitteilung sogar hinzugefügt: Das ist auch auf eine weise Zurückhaltung des Staates zurückzuführen. ({1}) Also, eine politisch herbeigeführte Entwicklung. ({2}) - Schön, daß Sie das noch einmal bestätigen. Aber dann will ich Ihnen doch vielleicht einmal deutlich sagen: Zwischen 1981 und 1988 sind die F- und E- Ausgaben der Wirtschaft von 22 auf 39 Milliarden DM gestiegen, also um beachtliche 77 %. Nur, Herr Probst, ich meine, auch Bayern wissen, daß sich diese Entwicklung in allen Industrieländern in vergleichbarer, zum Teil sogar in noch schnellerer Weise vollzieht. Sie ist kein Ergebnis maßvoller Selbstbescheidung Ihrer Politik, sondern Ausdruck der entscheidenden Abhängigkeit der Wettbewerbsfähigkeit nationaler Volkswirtschaften von der Ausnutzung ihres Innovationspotentials, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Diese Entwicklung, Herr Probst, ist nicht neu. Wenn man die Vergleichszahlen in diesem Bereich für den Zeitraum von 1974 bis 1981 heranzieht - diese Zahl möchte ich Ihnen doch nicht vorenthalten - , dann stellt man fest, daß in diesen Jahren die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft von 10,3 Milliarden DM auf gut 22 Milliarden DM gestiegen sind. Der Zuwachs betrug über 110 %. ({3}) Also, von einer Beschleunigung des Aufwuchses der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Industrie kann keine Rede sein. Es ist eine fortgesetzte Entwicklung auf hohem Niveau während Ihrer Regierung, das ist auch notwendig, aber wenn Sie glauben, daß Sie daran irgendein Verdienst hätten, meine Damen und Herren, dann lügen Sie sich meiner Ansicht nach etwas in die Tasche. ({4}) Wenn Sie behaupten, daß Sie durch Selbstverzicht dazu beigetragen hätten, daß die Industrie mehr macht, dann kann ich Ihnen sagen, damit verschleiern Sie etwas. Das hat der Kollege Vosen angesprochen. Die Forschungsausgaben des Bundes sind nämlich in dieser Zeit - ich sage das einmal - bescheiden, wenn man dazu noch an die Gesamtausgaben des Bundes denkt. Ein entscheidender Teil dieser Wachstumsraten von kaum 12 % ist das Anwachsen militärischer Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Bunde. Denn mittlerweile sind nahezu 20 % der Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Bereich militärischer Forschung und Rüstungsforschung zu sehen. Das halten wir für eine fatale Entwicklung. Sie ist auch industriepolitisch kontraproduktiv. Bemerkenswert, meine Damen und Herren, ist aber - das müssen Sie sich auch anhören - , daß in den USA, in Frankreich und inbesondere in Japan die Regierungen in dieser Zeit, die Sie ansprechen und auf die Sie so stolz sind, die Ausgaben in diesem Bereich wesentlich stärker als bei uns gesteigert haben. Es kann keine Rede davon sein, daß unsere internationalen Wettbewerber Ihr Rezept, Herr Probst, weniger Staat und mehr Private im Bereich Forschung und Entwicklung, beherzigt hätten, sondern sie sagen, wir müssen in beiden Bereichen steigern. Es ist Ihr Versäumnis, daß Sie dies nicht geschafft haben; statt dessen wagen Sie mit ideologischen Verrenkungen die prozentual sehr mageren Zuwachsraten öffentlicher Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Bundes - ich sage das einmal - noch als Erfolg zu verkaufen. ({5}) - Es freut uns, daß Sie keine Schulden gemacht haben. Das ist auch eine interessante Feststellung, Herr Götz. Ich glaube, daß Sie in keiner öffentlichen Versammlung, die die CSU in Bayern abhält, das zu sagen wagen. An diesen Bewertungsunterschieden, meine Damen und Herren, wird aber auch eines deutlich: Sie können sich in der Bewertung der Forschungs- und Technologiepolitik - das sage ich vornehmlich an die Adresse der Union - nicht aus einem ordnungspolitischen Wirrwarr und Durcheinander lösen. Denn aus neoliberaler Sicht ist ja eigentlich Forschungs- und Technologiepolitik grundsätzlich bedenklich. Es ist sogar eigentlich ein Erfolg, wenn man die Ausgaben des Staates in diesem Bereich abbaut. Also, weniger staatliche Technologiepolitik ist im Sinne der Neoliberalen eigentlich ein Fortschritt. ({6}) Deshalb wird ja auch die Forschungs- und Technologiepolitik programmatisch von Ihnen im Bereich der Wirtschaft immer auf Rahmensetzung, Lückenbüßen und Subsidiarität begrenzt und darauf eingeschworen. Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, wird aber gerade auch von den CDU/CSU-geführten Bundesländern Technologiepolitik - ich denke zu Recht - als Innovations-, als Struktur- und Industriepolitik in einem Gesamtkonzept betrieben. Das tut manchem der Neoliberalen eigentlich in seiner Seele weh, obwohl er weiß, daß die Welt offensichtlich so ist, daß man diese Sündenfälle ständig begehen muß. Nur, das Bedenkliche ist eigentlich, daß Sie, Herr Minister Riesenhuber, in einem Gespräch mit der „Wirtschaftswoche" vom 14. Februar 1986, als Sie auf das Projekt Megabitchip, also auf die Chipentwicklung, angesprochen wurden, ganz kühn behauptet haben: Ich betreibe keine Strukturpolitik. Donnerwetter, habe ich gesagt und habe ich mir gedacht, als ich das gelesen habe. Hat der Minister das ernst gemeint? Das muß man eigentlich unterstellen. Wenn er es ernst gemeint hat, dann ist es vielleicht darauf zurückzuführen, daß er sich, obwohl er in manchen Bereichen in der Praxis, denke ich, eine andere Politik machen muß, in einer Art neoliberalem Gebetsritual bewegt, weil er offensichtlich durch den Einfluß liberaler Wirtschaftsminister, um es einmal deutlich zu sagen, industriepolitisch kastriert worden ist. ({7}) Denn, meine Damen und Herren, es würde uns und vor allem auch die Kollegin Frau Bulmahn brennend interessieren, was Sie eigentlich zur Abwehr dieser Konzernbildung unter dem Stichwort Daimler-MBBAEG konkret getan haben, wo Sie eigentlich Ihre Bedenken eingebracht haben. Uns ist davon nicht bekannt. Oder war das für Sie wirklich kein Problem? Das kann ja sein. Interessanterweise brauchte es offensichtlich erst die Monopolkommission, die darauf hingewiesen hat, daß die Fusion von MBB, Daimler und AEG gerade aus forschungs- und technologiepolitischen Gründen bedenklich ist, weil damit, was der Kollege Wetzel richtig ausgeführt hat, 40 % der wirtschaftsbezogenen F- und E-Ausgaben an einen einzigen Konzern gehen; das bedeutet eine neue Abhängigkeit staatlicher Technologieförderung von einem Großkonzern. Sie können sich vorstellen, daß dieses Nicht-ineinander-Passen von neoliberalem Anspruch und gezwungenermaßen doch praktizierter Industriepolitik für Sozialdemokraten ganz reizvoll ist. Man könnte das auf den zweiten Hauptpunkt Ihrer Leistungsbilanz erweitern: die deutliche Steigerung der Ausgaben für die Grundlagenforschung. Wir begrüßen diesen Trend grundsätzlich. Sie können auch in Zukunft davon ausgehen: Wenn es um die Steigerung der Mittel für die Max-Planck-Gesellschaft und um steigende Mittel für die Hochschulforschung geht, setzen sich Sozialdemokraten zusammen mit Ihnen für diesen Zuwachs ein. Das Problem ist, daß der Zuwachs, den Sie in diesem Bereich grundlagenorientierter Forschung feiern, natürlich zum Teil Probleme aufwirft, weil Grundlagenforschung allein dadurch definiert wird, daß es um Projekte geht, die zwar mit eindeutigen industriepoliCatenhusen tischen Interessen verknüpft sind, die aber erst mittel- und langfristig realisiert werden können. Ich denke einmal an die Fusionsforschung. Sie ist noch sehr im Grundlagenforschungsbereich, aber sie wird eigentlich nicht deshalb betrieben, weil die Grundlagenforschung so interessant ist, sondern weil die Idee eines Fusionsreaktors nach wie vor im Grunde genommen im spekulativen Hintergrund dieser auch sehr grundlagenorientierten Forschung steht. Für uns ist in dieser Debatte aber viel wichtiger, daß die vielgepriesene Neuorientierung der Forschungs- und Technologiepolitik in ihrer praktischen Durchführung nach wie vor weitgehend verdrängt, wie tiefgreifend sich die gesellschaftlichen Anforderungen an den Umgang der Politik in Wissenschaft und Technik verändert und ausgeweitet haben. Denn die Auffassung, daß quasi naturwüchsig bei Stimulierung und Vorantreiben von Wissenschaft und Technik gesellschaftlicher Fortschritt, etwa ein Mehr an Ökologie und Humanität entstehe, ist in unserer Gesellschaft längst zerbrochen und auch nicht dadurch zu retten, daß man nun etwa den Informationstechniken die Eigenschaft zuspricht, quasi im Gleichlauf eine ökologische und humane Industriegesellschaft der Zukunft zu schaffen. ({8}) - Wenn ich das so verstehen soll, Herr Grünbeck, daß Sie wirklich selber davon überzeugt sind, man brauche nur möglichst schnell und möglichst rasch die neuen Technologien zu fördern, und der gesellschaftliche Wohlstand würde automatisch vermehrt, dann muß ich sagen: Das erstaunt mich aber sehr. ({9}) - Gut. Das ist geklärt. ({10}) Von dieser Position sind auch wir Sozialdemokraten abgerückt. Ich glaube, die nachdenklichen Töne von Herrn Laermann haben klar gemacht, daß diese Diskussion auch in anderen Fraktionen deutlich erkennbar wird. ({11}) In dieser Situation müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß wir in einer Wissenschaftsgesellschaft leben, in der sich unser Wissen alle fünfeinhalb Jahre verdoppelt. Wir wissen auch, daß die Bedeutung von Wissenschaft und Technik als Produktivkraft unserer Industriegesellschaft immer mehr zunimmt. Nur, das Problem ist: Wenn wir Technologieförderung betreiben, beschleunigen wir dadurch automatisch das Tempo und die Breite der Auswirkungen, die durch die Anwendung neuer Technologien auf Industriestrukturen und ökonomische und soziale Strukturen unserer Gesellschaft ausgehen. Wir haben das Instrumentarium der Technologiepolitik seit den 70er Jahren zur Beantwortung solcher Fragen nicht weiterentwickelt. ({12}) Das ist unser Problem, Herr Riesenhuber, vor dem auch Sie nach wie vor stehen. Es kommt, meine ich, ein Problem dazu, daß ein steigender Bedarf an einem neuen Verständnis von Forschungs- und Technologiepolitik auch deshalb besteht, weil eben das immer schnellere Tempo der Erzeugung von Wissen und technischen Optionen nicht mehr automatisch auch Kennzeichen eines Bedeutungszuwachses unseres Selbstverständnisses als Kulturnation darstellt. Denn gerade die großen wissenschaftlichen Durchbrüche haben viele in ihrer Überzeugung bestärkt, daß unsere Chance, gesellschaftliche Folgen von Wissenschaft und Technik rechtzeitig zu bedenken und ökologische, soziale und ethische Maßstäbe für den Umgang mit Technik zu entwickeln, eher geringer geworden sind und daß auch in Ihrer Regierungszeit keine neuen Zielvorstellungen und keine neuen Instrumente gegen die Schere entwickelt worden sind, die sich hier geöffnet hat und weiter auftut: immer stärkere Beschleunigung von Technik und immer geringere Möglichkeiten, Folgen zu bedenken und steuernd einzugreifen. Ich sage Ihnen: Das wird sich auf Dauer zu einem Legitimationsdefizit unserer Politik ausweiten. Denn wir sind z. B. von der Verfassung gehalten, auch die Grundrechte und die Grundwerte unserer Verfassung gegen ihre Gefährdung durch neue Technologien zu schützen. ({13}) Auf diese Fragen, meine Damen und Herren, in Sachen Behandlung von Forschungs- und Technologiepolitik ist unsere parlamentarische Struktur nicht vorbereitet, die Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung aber auch nicht. Deshalb müssen wir meiner Meinung nach deutlich sagen: Diese Defizite sind nicht behoben. Herr Minister Riesenhuber, nach sieben Jahren Ihrer Amtszeit sehen wir keine konkreten Konturen praktischer Politik, Technologiepolitik wirklich als Gesellschaftspolitik betreiben zu wollen, verbunden mit dem Anspruch auf Technikgestaltung. Es macht uns schon lange ein intellektuelles Vergnügen, mit Ihnen, Herr Minister, den Diskurs über solche Fragen zu führen. Das macht ein ausgesprochenes intellektuelles Vergnügen. Die Stichworte dieser Debatte sind Ihnen wohlvertraut. Sie sind ja ein aufgeklärter Konservativer, ({14}) dessen Hauptproblem aber ist, daß seine Teilnahme an diesem Diskurs für seine politischen Entscheidungen im Ministerium weitgehend folgenlos bleiben. Ich will Ihnen zwei kleine Beispiele vortragen. Sie haben am Anfang Ihrer Amtszeit sehr mutig und sehr energisch, wie ich finde, die Idee aufgebracht, in den staatlichen Großforschungseinrichtungen eine Art Frühwarnsystem zu schaffen, um schneller als bisher bewertend und regulierend auf Entwicklungen in Wissenschaft und Technik reagieren zu können. Ihre Idee eines Frühwarnsystems hat sich seither nicht konkret umsetzen lassen. Im Bericht 1987/88 steht lapidar: Hier oder da ist eine Arbeitsgruppe beauftragt worden, sich Gedanken zu machen. Manche haben ein Firmenschild bekommen. Aber ein Strukturnetz, daß wir aus dem Bereich der Großforschungseinrichtungen frühzeitig darauf hingewiesen werden, wo wir auf Entwicklungen in Wissenschaft und Technik bewertend oder regulierend reagieren sollten, gibt es bisher nicht. Das ist ein Fehlschlag nach sieben Jahren. Sie waren uns schon bei Ihrer Ernennung zum Minister als Vorkämpfer für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag bekannt. In diesem Bereich, denke ich, gibt es unter den Forschungs- und Technologiepolitikern dieses Hauses nach wie vor eine große Übereinstimmung in der Zielsetzung. Ihr Haus hat eine Menge von TA-Studien in Auftrag gegeben. Aber eines fällt auf: Überall dort, wo Entscheidungen über kontroverse Großprojekte anstanden oder anstehen, haben Sie entgegen Ihrer Ankündigung keine TA-Prozesse organisiert. Ich nenne das Weltraumprogramm. Ich nenne die Fusionsforschung. Ich nenne Transrapid. Ich nenne die Hyperschalltechnologie. Wo sind da die TA-Prozesse? Studien im Einzelfall mag es geben, nicht aber Prozesse, aus denen man erkennen kann, daß Sie mit einer neuen Qualität Entscheidungen über Großprojekte vorbereiten, etwa wie es in Amerika geschieht. Dort gibt es zu all diesen Fragen längst Studien des OTA, wo ein öffentlicher Diskurs stattfindet, in den sich Kritiker einbringen können. So etwas gibt es bei uns nicht. Man hat manchmal den Eindruck, daß es in solchen Fragen für den Minister das einfachste ist, sich die Vorgaben in der Weise machen zu lassen, daß die Beteiligten aus Wissenschaft, Industrie und Forschungsbürokratie auskungeln, wo es langgehen soll, so daß der Minister am Schluß, nachdem er sich aus diesem Dickicht von Konflikten herausgehalten hat, verkünden kann, wie das Ergebnis dieser Aushandlungsprozesse aussieht. Hier, meine Damen und Herren, ist darauf hinzuweisen, daß noch nicht einmal ein Programm „Wirkungsforschung in der Informationstechnik" zustande kam, obwohl der Kongreß „Zukunft der Informationstechnik" im Jahre 1984 Anlaß gegeben hätte, in diesem Bereich etwas zu tun. ({15}) Dieser Kongreß war folgenlos. - Ich habe gehört, ich hätte drei Minuten mehr.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben jetzt 18 Minuten geredet.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann komme ich zum Schluß. Wir Sozialdemokraten wollen weg von der Debatte um mehr oder weniger Staat in der Technologiepolitik. Wir wollen die Frage nach der richtigen Politik des Staates beantworten. Wir meinen, meine Damen und Herren, daß wir in dieser Debatte die Fragen einer Politik der industriellen Innovation und ihrer Gestaltung in der Form miteinander verbinden, daß wir neue Anforderungen an politische Instrumente zur Kontrolle von Technik entwickeln. Lassen Sie mich noch eines sagen. Wir können die Politik des Bundesforschungsministeriums sehr kritisieren. Aber wir müssen auch sehen, daß die parlamentarischen Strukturen, um mit dem Prinzip der Technikgestaltung ernstzumachen, nicht vorhanden sind. Die Technikfolgenabschätzung kann zwar die Voraussetzungen dafür verbessern, aber wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, ob wir als Parlament uns ein größeres Recht zur Entscheidung über Schwerpunkte staatlicher Technologiepolitik sichern sollten. ({0}) Vielleicht können wir einmal gemeinsam darüber nachdenken, ob etwa ein Forschungsförderungsgesetz die Rechte des Parlaments zur Mitwirkung bei der Entscheidung über Schwerpunktprogramme der Forschungsförderung institutionell festschreiben sollte. Denn es ist für den Bürger nicht verständlich, daß wir die letzten sind, die dann, wenn ein Kabinett über ein Forschungsprogramm entschieden hat, damit offiziell befaßt werden, ({1}) während vorher alle Interessenten, alle Lobbyisten in den Prozeß der Formulierung des Programms eingeschaltet worden sind; bei Ihnen, Herr Minister, leider von Anfang an die Gewerkschaften in der Regel nicht. Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie, Herr Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich bedanke mich für die sehr anregende Diskussion, in der wir an einigen Punkten massive Dissense haben. Ich möchte einmal mit einigen Punkten von Herrn Catenhusen beginnen. Die Frage, was seit 1982 an Neuorientierung gelaufen sei, die Frage, was dies ordnungspolitisch bedeute, ist natürlich diskutiert, und hier habe ich meine Position mehrfach vorgetragen. Der Grundsatz ist der: Wir haben zu klären, wo der Staat aus seiner Verantwortung zu handeln hat - hier sind die Bereiche zu verstärken -, und wir haben zu klären, wo er nur subsidiär zu helfen hat. Ich zeige das jetzt einmal nur beim Geld; es gibt noch ganz andere Maßnahmen struktureller Art, die sich im Haushalt nicht niederschlagen. Der Staat trägt - ich kann es kurz machen; hier gibt es Konsens - Verantwortung für Grundlagenforschung. Die stetige Steigerung der Förderung der Grundlagenforschung - nicht nur die Steigerung der Beträge - , das Aufgreifen neuer Themen, neuer Strukturen, das Zentrum für Künstliche Intelligenz, die Gentechnologiezentren, die neuen Bereiche - dies ist ein Beispiel dafür, daß der Staat seine Verantwortung wahrnimmt, daß sich Wissenschaft in Freiheit und Dynamik entwickeln kann und Durchbrüche zu Neuem möglich sind. Hier gab es weit überproportionale Wachstumsraten in jedem der Jahre. Das zweite. Es ist zu einem anderen Bereich, ich sage ausdrücklich: staatlicher Verantwortung gesprochen worden. Umwelt ist nur insofern und dann Produkt des Marktes, wenn der Staat Rahmenbedingungen setzt, die die Wirtschaft entsprechend zur Gestaltung auffordern. Aber diese Rahmenbedingungen rational zu setzen ist eine Frage von ökologischer Wirkungsforschung auf der einen Seite, der Entwicklung von Umwelttechniken auf der anderen Seite. Beides zusammen gibt die Grundlage, nach Stand der Technik und Stand der möglichen Bedrohung Gesetze zu erlassen. Wenn gesagt wird, Herr Wetzel, daß es in diesem Bereich eine Fehlsteuerung, ein Ungleichgewicht des Haushalts gebe, dann kann ich Ihnen nur eines sagen: Wir haben in jedem der vergangenen Jahre im Bereich der staatlichen Verantwortung Wachstumsraten von einem Mehrfachen des Gesamthaushalts gehabt. Dies ist auch richtig. Ich kann Ihnen die Gesamtsumme nennen, und ich kann Ihnen Einzelbereiche nennen. ({0}) - Dabei bin ich gleich. Jetzt bin ich bei Umweltforschung. Ich rede gleich auch zum anderen. - Um nur einen Bereich vom ganz anderen Ende zu nehmen: Innerhalb der Umweltforschung, bei Klimaforschung haben wir die Aufwendungen innerhalb von sechs Jahren versechsfacht; ich habe es mehrfach erwähnt. Es ist eine Steigerung um mehr als 500 %. ({1}) Wir haben in unserem Haushalt für Vorsorgeforschung inzwischen 1 Milliarde DM im Jahr. Das betrifft vor allem die Bereiche Gesundheit, Umwelt und Klima, wo staatliche Verantwortung besteht. Wir haben dies überproportional gesteigert, weil hier die Verantwortung des Staates liegt, und auch dies ist ordnungspolitisch richtig. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Bulmahn?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Wenn es auf die Zeit nicht angerechnet wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sicher nicht.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Verehrte Frau Kollegin.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Riesenhuber, betrachten Sie es als Fortschritt, wenn der Anteil der Vorsorgeforschung, d. h. erneuerbare Energie, HdA, Gesundheit, Umwelt, am Bundeshaushalt im Jahr 1982 10,77 % betrug, im Jahr 1987 dagegen 10,48 %? Das ist ein Sinken und keine Steigerung. Bei der Gesundheitsforschung gibt es das gleiche Bild. Können Sie es als Steigerung bezeichnen, wenn im Jahr 1982 der Anteil der Gesundheitsforschung am Bundeshaushalt 3,08 %, im Jahr 1987 3,06 % betrug?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Verehrte Frau Kollegin, es ist mir leider schon öfter passiert, daß es für mich schwer war, Ihre Zahlen nachzuvollziehen. Ich darf jetzt einmal in der Aggregation, die ich gerade vorgetragen habe, die absoluten Summen nennen. Wir waren für Vorsorgeforschung, also Ökologie, Umwelttechnik, Umweltforschung einschließlich Klimaforschung und Gesundheit etc. im Jahr 1982 bei 616 Millionen DM; wir liegen inzwischen bei 1 Milliarde DM. Das ist ein Zuwachs von etwas über 50 %, ein Zuwachs, der gegenüber dem Haushaltszuwachs, der bei knapp 20 % liegt - ich komme gleich auf die Punkte dazu -, weit überproportional ist. Ich kann jetzt nicht beurteilen, wo Sie abgegrenzt oder anders aggregiert haben. Aber diese Zahlen haben wir häufig vorgetragen und auch im Ausschuß diskutiert, und ich kann Ihre Zahlen hier nicht einordnen. Meine Zahlen sind jedenfalls in der Sache richtig. ({0}) Wenn Sie die Prozentrechnungen auf den Bundeshaushalt oder auf den Forschungshaushalt machen, kann hier nichts anderes herauskommen, weil auch der Bundeshaushalt und der Forschungshaushalt jedenfalls um weniger als 50 % gestiegen sind. Wenn also dieser Bereich um 50 % gestiegen ist, kann der Anteil nur gewachsen sein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wetzel?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Frau Präsidentin, mit großem Vergnügen, wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich glaube, ich kann dieses Problem aufklären. Würden Sie mir zustimmen, daß die Berechnungen der Kollegin Bulmahn insofern zutreffend sind, als darin Klimaforschung nicht vorkam, während Sie in Ihren Berechnungen die Klimaforschung einbezogen haben, die damals überhaupt noch keine Rolle spielte, weil wir von dieser Problematik viel zuwenig wußten? Es ist ja so, daß diese Klimaforschung jetzt neu hinzugetreten ist und daß Ihre Bezugsgröße die Klimaforschung einschloß.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Verehrter Herr Kollege Wetzel, ob man von der Frage des Klimas etwas gemerkt hat oder nicht, war in der Tat bei den Parteien verschieden gewesen. Es gibt Leute, die haben es damals noch nicht gemerkt; das räume ich ein. In meiner Fraktion war es so, daß wir 1979 den Professor Hohn in der Fraktion zu einem wissenschaftlichen Vortrag über die Frage CO2-Effekt, Treibhauseffekt, Gefährdung unseres Klimas hatten. Wir haben die Themen früher aufgefaßt als andere. Das ist das eine. Das Thema war da. Daß es die damalige Regierung nicht als Problem erkannt hat, können Sie nicht mir zuschreiben. Aber in dem Moment, wo es kam, habe ich es hochgezogen. Jetzt komme ich zu dem fiskalischen Punkt. Der fiskalische Punkt ist der: Bei der Klimaforschung kommen Sie, selbst wenn Sie eine weite Abgrenzung nehmen - einschließlich der Fragen der Atmosphärenchemie - in dem Haushalt von 1989 auf ungefähr 70 Millionen Mark. Diese 70 Millionen, bezogen auf eine Milliarde, reduzieren den Zuwachs von rund 400 Millionen auf ungefähr 330 Millionen DM. Das ist der Unterschied. Selbst dann haben wir noch einen Zuwachs des Haushalts für diesen Bereich von 45 %, mehr als das Doppelte des Bundeshaushalts, mehr als das Doppelte des Forschungshaushalts. Der Anteil ist gestiegen. Ich halte es für richtig. Ich halte es für die Verantwortung des Staates und habe die Politik so angelegt in Übereinstimmung mit den Koalitionsfraktionen, die sie definiert haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, es wird Ihnen sicher ein Vergnügen machen, wenn Sie auch noch eine Frage von Frau Ganseforth beantworten?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

In der Tat, ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Ganseforth, bitte.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wie erklären Sie es sich denn, nachdem Sie schon so lange über die Klimaproblematik Bescheid wußten, daß sich in der Enquete-Kommission bei den Anhörungen herausgestellt hat, daß vor allen Dingen in Europa und ganz besonders in der Bundesrepublik ein unheimlicher Forschungsbedarf und eine Forschungslücke sind, die Sie ja nun glücklicherweise durch das Ozonforschungsprogramm, das Sie auflegen, schließen werden, die aber in der Vergangenheit aufgelaufen sind? ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Verehrte Frau Kollegin, wir können Geld schnell vermehren, wir können aber nicht wissenschaftliche Gemeinschaften aus dem Boden stampfen oder verordnen. Ich finde es eine phantastische Leistung, daß die deutsche Klimaforschung in den letzten Jahren ihre Kapazität so dramatisch ausgebaut hat. Wenn Sie den europäischen Vergleich heranziehen, dann muß ich Ihnen eines sagen. Es ist vorhin auch gesagt worden, Umweltforschung sei hier in einem unvernünftigen Zusammenhang - ({0}) - Nein, nein, Sie sprachen von Europa. Aber ich bin gern bereit, auch die Diskussion über einen Vergleich mit den USA zu führen. ({1}) - Ich bin auch gerne dazu bereit; aber darf ich erst Europa aufgreifen?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Minister, Sie haben alle Möglichkeiten, auf Fragen zu antworten.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Frau Präsidentin, ich bedanke mich. - Ich darf es erstens auf der Seite Europa hier nur sehr kurz sagen. Wenn hier kritisiert wird, daß wir in diesen Bereichen zuwenig ausgeben, dann muß man sich darüber klar sein, daß wir in diesen Bereichen - und jetzt ziehe ich mal Gesundheitsforschung ab, weil wir jetzt über Ökologie und die verwandten Gebiete sprechen - eine Spitzenstellung in Europa haben. Wir liegen in dem Bereich Umweltforschung, Umwelttechnik, Ökologie, Klimaforschung ungefähr beim Vierbis Fünffachen gegenüber Frankreich, ungefähr beim Vier- bis Fünffachen, vielleicht beim Sechsfachen gegenüber Großbritannien, und zwar deshalb, weil wir hier in einer besonderen Weise eine herausragende Aufgabe des Staates sehen. Im übrigen stimme ich Ihnen zu - die EnqueteKommission hat recht - : Wir haben hier außerordentliche Defizite. Wir sind in den letzten Jahren dabei, diese durch Entwicklung von Geräten, durch Einsatz von Instrumenten aus der Weltraumforschung bis hin zu unserem großen Schiff „Polarstern" aufzuarbeiten. Wir sind auch dabei, diese Fragen aufzuarbeiten, was die Nordhalbkugel betrifft, wo bis jetzt auch Forschungen der Vereinigten Staaten nur begrenzt vorhanden sind. Vizepräsidentin. Renger: Herr Minister, ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen: Jetzt haben Sie noch 9 Minuten reguläre Zeit.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Donnerwetter. Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was sich daraus zeigt, ist also, daß wir hier ordnungspolitisch durchaus konsistent arbeiten. Bereiche, wo der Staat aus seiner Verantwortung gestalten muß, auch finanziell, bei großem Respekt vor der Freiheit derer, die die Arbeit zu machen haben, haben wir mit wachsenden Beträgen und mit Nachdruck unterstützt. Bereiche hingegen, wo der Staat von sich aus nur subsidiär zu arbeiten hat, haben wir zurückgefahren. Hier ist einiges Kritische über die Förderung der Wirtschaft gesagt worden. Herr Wetzel sagte: immer mehr für privatwirtschaftliche Forschung. Also, Herr Wetzel, hier wollen wir differenzieren. Ich nehme hinzu, daß mir Herr Vosen vorgeworfen hat, daß wir zuwenig täten, um die mittelständischen Unternehmen zu fördern. ({0}) Beides wollen wir jetzt angehen: Erstens: Privatwirtschaftliche Förderung. Ich habe in den vergangenen Jahren - dies habe ich mehrfach wiederholt - die Förderung der Wirtschaft in einem Bereich zurückgefahren, nämlich bei großen Unternehmen, nicht weil ich etwas gegen große Unternehmen hätte, sondern weil ich der Überzeugung bin, daß sie in aller Regel aus eigener Kraft das Wesentliche leisten können. Daß es auch hier Punkte gibt, wo man anstoßen muß - Beispiele sind genannt worden -, kann ich hier nicht ausdifferenzieren. Aber wir haben die Förderung von marktorientierter Forschung und Entwicklung in mittelständischen Unternehmen in einer Zeit gesteigert, wo wir sie bei Großunternehmen halbiert haben. In dieser Zeit haben wir es also bei kleinen und mittleren Unternehmen anders gemacht: Wir haben erstens die Struktur und zweitens die Beträge geändert. Lieber Herr Vosen, Ihre DebattenfühBundesminister Dr. Riesenhuber rung irritiert mich dadurch - ich will es positiv formulieren - , daß sie immer wieder ganz verblüffende Aspekte eröffnet. Wir haben nämlich schon mehrfach darüber gesprochen, daß in den Jahren seit 1982 die Ansätze für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen im Forschungshaushalt gestiegen sind. Ihre Kurve läuft falsch. ({1}) Die Ansätze sind von 300 auf 500 Millionen DM gestiegen, und Sie sagen, daß die Kurve jetzt abstürzt. ({2}) - Sofort, liebe Frau Kollegin. Was passiert ist, ist: Wir haben die Förderung in einer engen Abgrenzung von 300 auf 500 Millionen DM erhöht, nachzulesen in den Haushalten, in einer weiteren Abgrenzung von 340 Millionen DM - dann kommen noch Mittel für Infrastrukturmaßnahmen hinzu - auf etwa 560 Millionen DM. Das ist eine weit überproportionale Steigerung, die wir wollen. Das erfolgt nicht in der Weise, daß wir Projekte einzeln ausdifferenzieren, sondern in der Weise, daß wir Anstöße für einen breiten Schub von Technologien geben, den ich für richtig halte. ({3}) - Ich bitte um Vergebung. Liebe Kollegen, ich würde das hier gern noch aufnehmen. Aber im Respekt vor dem Fluß der Debatte ist das schwierig. Ich debattiere hier gern mit Ihnen. Von mir aus gerne, Frau Bulmahn. Ich plaudere mit Ihnen immer mit Vergnügen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es wäre schon schön, wenn Sie die fünf Minuten, die Sie noch haben, Herr Minister, vielleicht doch darauf verwendeten, Ihre Rede zu Ende zu bringen.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Einverstanden. ({0}) - Jetzt laßt mich die Sache doch zu Ende bringen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir haben heute mindestens bis 11 Uhr zu tagen. Ich bitte, diese eine Debatte doch nicht so zu verlängern.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Die Abgrenzung nach Betriebsgrößen war 1982 genauso wie 1989. Die Perspektive für die nächsten Jahre ist, daß wir dieses Niveau halten werden. Die Struktur hat sich so geändert, daß wir von der Fraunhofer-Gesellschaft bis zu dem Zugriff auf Datenbanken, dem Anschieben von Techniken über die CIM- und CAD/CAM-Zentren Informationen gegeben haben und durch indirekte Programme den breiten Anschub. ({0}) - Ich muß Ihnen eines sagen: Ein großes Unternehmen bekommt heute für jede Mark für Forschung für marktorientierte Technik im Durchschnitt etwa 4 Pfennig, ein kleines oder mittleres Unternehmen etwa 9 bis 10 Pfennig. Das ist die Relation - ich halte sie für richtig - , eine weit überproportionale Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen. Hier ist davon gesprochen worden, ob unsere Forschungspolitik erfolgreich war. Schauen Sie sich doch die Landschaft an! Wie hat sie sich denn entwickelt? Die Dynamik der mittelständischen Unternehmen, der Zuwachs der mittelständischen Unternehmen an Arbeitsplätzen, das Vordringen des Maschinenbaus, der mittelständisch ist, die Rückkehr des Werkzeugmaschinenbaus mit großem Erfolg auf die Weltmärkte - das war doch in den letzten Jahren entgegen allen Prognosen zu verzeichnen. Schauen Sie, wie unsere Wirtschaft im dritten Jahr nacheinander mit einem wachsenden Anteil hochtechnologischer Waren Weltmeister auf dem Weltmarkt ist! Herr Catenhusen hat gesagt, das sei nicht die Schuld der Bundesregierung. Ich sage gar nicht, daß das alles Schuld der Bundesregierung sei. Aber wenn man über Proportionen spricht, dann muß man feststellen, daß sie so sind. Die Wirtschaft hat, was ich begrüße, ihren Anteil so gesteigert, wie Sie es geschildert haben, der Bund seinen Anteil in derselben Zeit um ungefähr 35 bis 38 %. Das Defizit liegt darin, daß die Länder ihre Ausgaben in der gleichen Zeit nur um etwa 19 % erhöht haben. Schauen Sie sich einmal die Entwicklung in den verschiedenen Bundesländern an! Es ist nicht meines Amtes, hier Länderschelte zu betreiben. Sie werden feststellen, daß einige Länder unter und andere über diesem niedrigen Durchschnittswert liegen. Was hier über die Zustände an den deutschen Universitäten gesagt worden ist, gehört ebenfalls in diese Schublade. Es ist mir eigentlich leid, all diese Zahlen zum siebentenmal zu erläutern. Daß der Haushalt vom letzten Jahr auf dieses Jahr nicht stark wächst, ist klar. Er wächst aber immerhin um 1,1 %. ({1}) Daß der Haushalt - das ist allerdings ernster - von 1982 bis 1989 unterproportional gewachsen sei, stimmt nicht. Das haben wir in der Haushaltsdebatte diskutiert. Zu diesem falschen Ergebnis kommt man nur dann, wenn man die 600 Millionen DM hinzuzählt, die wir für Ihre Schulden beim Brüter und beim Hochtemperaturreaktor 1982 drauflegen mußten. Das sind unsere zusätzlichen Leistungen, die Sie zum Zuwachs noch eigentlich hinzuaddieren müßten. In beiden Fällen, beim Bundeshaushalt insgesamt und beim Forschungshaushalt, beträgt der Zuwachs von 1982 auf 1989 zwischen 18 und 18,5 %. Ich möchte gern noch einen Punkt aufgreifen, der mir sehr am Herzen liegt. Ich halte die nachdenklichen Überlegungen des Kollegen Karl-Hans Laer10624 mann zu den Geisteswissenschaften für sehr wichtig und hilfreich. Es ist nur die Außenhaut der Dinge, daß wir in dieser Zeit die Aufwendungen für die Geistes- und Sozialwissenschaften verdoppelt, also weit überproportional erhöht haben. Dies halte ich für richtig. Ein Zweites ist, daß wir in einer umfassenden Weise das Gespräch führen. Dies tun wir. Ich rede nicht von der Neuordnung des Wissenschaftszentrums Berlin auf neue Themen hin, das seine Dynamik neu gewonnen hat. Ich rede nicht vom Paradigmenwechsel der Sozialwissenschaften, die sich immer konkreter Problemen der Gesellschaft und des technischen Wandels zuwenden. Ich will hier nur ein Beispiel anführen, weil die ethische Verantwortung der Politik angesprochen worden ist. Der Staat ist nicht Ursprung der Ethik, er ist nicht Quelle der Moral, aber er hat die Pflicht, wenn Neues entsteht, rechtzeitig die richtigen Fragen zu stellen. Ich darf es an einem Beispiel zeigen: Die Frage des verantwortlichen Umgangs mit menschlichem Erbgut war 1982 nirgends ein Thema, nicht bei den Kirchen, nicht bei den wissenschaftlichen Organisationen, auch nicht im Parlament. Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich die Partner am Tisch hatte, die Theologen und die Philosophen, die Sozialethiker und die Geisteswissenschaftler, aber auch die Biologen, die Mediziner und die übrigen Naturwissenschaftler. Wir haben darüber diskutiert. Wir haben veröffentlicht, was dabei entstand. Mit der Arbeit der EnqueteKommission des Bundestages, mit den Gesprächen der Kirchen, weiter mit den Bischofskonferenzen und Kirchentagen, mit den Bund-Länder-Arbeitsgruppen, aber auch in den Hochschulen selbst: Das ist das umfassende Gespräch, das wir brauchen, damit die Wirklichkeit als Ganzes anschaulich und als Ganzes gestaltbar wird. ({2}) Dies könnte man genauso am Beispiel des Umgangs mit den Informationstechniken diskutieren. ({3}) - Die Zeitpläne liegen vor. Wir haben die entschiedene Absicht, es in dieser Legislaturperiode zum Gesetz zu bringen. ({4}) Daß wir abgewartet haben, bis die Enquete-Kommission ihren Bericht vorgelegt hatte, daß wir die Grundsatzentscheidungen, die im Frühjahr 1986 im Technologiekabinett gefallen waren, zurückgestellt haben, bis der Bericht des Parlaments vorlag, geschah aus angemessenem Respekt vor dem Parlament. Auf dieser Grundlage müssen wir arbeiten. ({5}) Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen, meine lieben Kollegen. Mir scheint wirklich entscheidend zu sein, daß wir die umfassende Sicht aufs Ganze, das Gespräch zwischen Geistes- und Naturwissenschaften angesichts einer komplexen Welt mit großer Stärke zusammenführen. Ich glaube, die wesentliche Aufgabe ist, eine sehr komplexe Welt so zu bewältigen, daß der Blick aufs Ganze möglich wird und aus dem Blick aufs Ganze die Entscheidungen im einzelnen richtig werden. Hierzu gehört allerdings noch eines. Herr Vosen sprach von Todsünden. Ich freue mich, daß die Diskussion der Kirchenväter in dieses Parlament Einzug hält. Sie sprachen von sieben Todsünden. Es gibt bei den Kirchenvätern - lesen Sie es einmal bei Thomas in der „Summa" nach - eine sehr eingängige Diskussion in einer alten Tradition über eine Todsünde, die verlorengegangen ist. Die Todsünde der Acedia wurde nicht mehr diskutiert, die schwarze Schwermut, die Miesepetrigkeit, das Verzagen vor einem Problem. Gefährlich ist es, wenn Todsünden als Sünden nicht mehr erkannt werden. Was hier entstanden ist - das scheint mir der wesentliche Erfolg der letzten Jahre zu sein - , ist, daß Mut und Zuversicht für neue Aufgaben, die Bereitschaft, Probleme mit Vernunft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß anzugehen, gewachsen ist, ({6}) in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und für die Zukunft unseres Landes in Europa. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Timm.

Jürgen Timm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002329, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forschung in der Bundesrepublik Deutschland steht unter zwei großen Verantwortungen. Ich möchte sie ohne Wertung der Rangfolge als zwei Blöcke nebeneinanderstellen. Einmal müssen Forschung und Technologie der Situation der Bundesrepublik als zwar hochindustrialisiertem und hochtechnologisiertem, aber rohstoffarmen Land gerecht werden und helfen, die Möglichkeiten unserer Volkswirtschaft im weltweiten Konkurrenzkampf zu erhalten. Zum anderen müssen Forschung und Technologie der Gesamtverantwortung gerecht werden, die Lebenssituation auf unserer Erde für die nachfolgenden Generationen zu sichern und zu verbessern. Über den moralischen und ethischen Aspekt hat vorhin der Kollege Professor Laermann schon sehr eindringlich etwas gesagt, so daß ich nicht noch weiter darauf eingehen muß. Wenn wir diese Grundprinzipien nicht beachten, werden wir mit der Forschung, so wie heute darüber diskutiert worden ist, nie ins reine kommen. Ich möchte jetzt ein paar Bemerkungen zu den Großforschungseinrichtungen machen. Die Großforschungseinrichtungen, die staatlich getragen werden, bilden einen wesentlichen Teil der Forschung in der Bundesrepublik. Sie sind seit 1982 in der Diskussion. Es geht um ihre zukünftigen Aufgaben. Sie sind in einer Phase der Umorientierung, bei der die Stärkung der Grundlagenforschung, der Umweltforschung und der Informationsforschung deutlich geworden ist, auch ein wesentlicher Anteil der Vorsorgeforschung. Herr Kollege Wetzel, eine Umstrukturierung kann man nicht dadurch einleiten, daß man zunächst einTimm mal Anträge stellt, die Mittel dafür zu streichen. Das ist jedenfalls für mich kein praktikabler Weg, um Umstrukturierungen in den Großforschungseinrichtungen vorzunehmen. Die Umstrukturierungen sind zum großen Teil zu Lasten der Energieforschung gegangen. Das ist ja auch logisch, wenn man bedenkt, daß die Energieforschung ({0}) im wesentlichen im Schwerpunkt in den 50er und 60er Jahren zur Einrichtung von Großforschungseinrichtungen geführt hat. Die institutionellen Forschungsvorhaben in der Kernkraft sind mittlerweile ausgelaufen, so daß eine Umwidmung von Mitteln erforderlich war. Auch die staatlichen Langzeitprogramme z. B. für die Meeresforschung, die Polarforschung, die Weltraumforschung, die Fusionsforschung und die Vorsorgeforschung, z. B. die Umweltforschung, die Klimaforschung und die Gesundheitsforschung sowie die Technikfolgenabschätzung finden in unseren Großforschungseinrichtungen ihren Rückhalt. Es ist keineswegs so, daß die Weltraumforschung nun eine nationale Großmannssucht sei, wie Sie das hier heute genannt haben. Wir stehen in diesen Forschungen nun wirklich im europäischen Rahmen; und da verändern sich die Maßstäbe schon ganz erheblich. ({1}) Man kann höchstens dafür oder dagegen sein, aber ich meine nicht, daß man das ausschließlich auf nationale Belange verkürzen sollte. ({2}) - Gut, das ist Ihre persönliche Einstellung, meine ist es nicht. Es ist aber unser erklärtes Ziel - da unterscheiden wir uns doch ganz grundsätzlich von der Opposition - , daß Großforschungseinrichtungen Freiräume haben müssen, wie auch andere Forschungseinrichtungen Freiräume haben müssen ({3}) in der inhaltlich-thematischen Entscheidung, wie sie arbeiten wollen und können, ohne daß sie durch staatliche Vorgaben eingeengt werden. Das haben wir mit den Umstrukturierungsmaßnahmen seit 1982 auch weitgehend erreicht. Wir haben mehr Flexibilität in den Großforschungseinrichtungen. Daß sie noch weiterentwickelt werden muß, ist eine Aufgabe, die wir in der Zukunft leisten müssen. Letztendlich bedeutet eine solche Maßnahme ja auch, daß man das Sachgebiet dessen, über das man verhandeln oder das man bearbeiten will, verkürzt oder anders aufbaut. Es liegt ja auch daran, daß man die Mittel effizienter zum Einsatz bringen kann. Dazu gehört u. a. auch, daß bürokratische Hemmnisse abgebaut werden müssen und daß in der Personalwirtschaft flexibler gehandelt werden muß, z. B. durch Zurverfügungstellung von sogenannten Leerstellen, die auch Mitarbeitern aus der freien Wirtschaft zugänglich sind, um einen mindestens befristeten Einstieg in Forschung und in Nutzung der Ergebnisse aus der Forschung zu erreichen. Das schafft einerseits Anreize dafür, daß es auch Verbundprojekte zwischen Wirtschaft und Forschung gibt, und zwar in erkennbar zukunftsträchtigen Gebieten - ich nenne nur Informationstechnik, Biotechnologie, Materialforschung und alle diese Dinge - und gibt andererseits Anreize für Existenzgründungen. Die größere Flexibilität in der Arbeit der Großforschungseinrichtungen, die selbstverantwortlich zu nutzenden Freiräume stellen diese Einrichtungen natürlich auch vor eine Verantwortung im Sinne einer Technikfolgenabschätzung. Das ist hier ja schon eingehend diskutiert worden. Ich bin der Auffassung, daß diese Technikfolgenabschätzung u. a. auch eine Bringpflicht dieser Einrichtungen ist und nicht nur eine Forderung an den Staat zu sein hat. Denn wenn wir schon über Moral und Ethik sprechen, dann muß man natürlich auch erkennen und erklären, daß das nicht nur für die Politik gelten kann. Vielmehr muß es für alle diejenigen gelten, die Forschung und Entwicklung betreiben. ({4}) Wir sind also für mehr Selbständigkeit in der Forschung, also auch für mehr Verantwortung in der Forschung. Man kann vielleicht sagen: Je mehr Selbständigkeit, desto mehr Verantwortung muß in der Folgeabschätzung gegeben sein, wenn man sich um bestimmte neue Bereiche bemüht. Hier liegt übrigens auch ein Ansatzpunkt für das in Zukunft einzusetzende Verfahren einer Technikfolgenabschätzung. Gerade die großen Projekte in der Grundlagenforschung erfordern in ihrer Entstehung schon eine durchgreifende und neutrale Beurteilung, und zwar nicht nur durch interne Begutachtung, sondern eben auch durch international anerkannte Experten aus dem Ausland. Wir stehen zu einer solchen Verbindung, weil diese internationale Beteiligung auch ein wesentlicher Teil ist, der zeigt, wie man miteinander menschlich-ethisch umgeht, wenn man die Probleme, die unseren Erdball allemal betreffen, gemeinsam lösen will oder muß. Ich halte das also für einen Bestandteil eines neuen geistigen Empfindens und Umgangs unter verantwortlichen Menschen zur Verbesserung der Situation unseres Erdballs im allgemeinen. Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, wir haben noch ein ernsthaftes Problem, das ich hier nur in einem Stichwort ansprechen möchte. Das ist das Jährlichkeitsprinzip unseres Haushaltes. Hier müssen wir hartnäckig daran arbeiten, daß wir eine Lösung, ein System finden, das die Möglichkeiten schafft, daß Forschung nicht nach dem Kalenderblatt abgeschlossen werden muß, sondern nach dem Ziel und nach dem Ergebnis eingestuft wird. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, daß die Mittel dafür auch vorhabenspezifisch übertragbar sind, sei es auch nur durch Rücklagen. ({5}) Ich glaube, daß unsere Forschungseinrichtungen auf dem richtigen Wege sind, daß der eingeschlagene Weg richtig ist und daß wir vielleicht sagen können: Der Status ist gut, aber die Perspektiven sind besser. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Maaß.

Erich Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf ganz kurz auf das Thema „Arbeit und Technik" , sprich: das frühere Programm „Humanisierung der Arbeit" eingehen, weil ich davon ausgehe, daß mein Kollege Seidenthal näher darauf eingehen wird. Lassen Sie mich sodann kurz Stellung zu Widersprüchlichkeiten nehmen, die in dieser Debatte zutage getreten sind. Das Programm „Humanisierung der Arbeit" bedurfte einer Generalüberholung. Wir haben das gewagt. Wir haben das - trotz heftiger Anfeindungen von seiten der SPD und des Deutschen Gewerkschaftsbundes - in der Öffentlichkeit auch deutlich gesagt. Wir mußten hier einfach feststellen, daß dieses Programm in der Vergangenheit regelrecht zu einem Selbstbedienungsladen der Tarifvertragsparteien geworden ist, ({0}) verbrämt mit einem sozialen Mäntelchen. Wir haben in diesem Programm jetzt folgendes sichergestellt: Erstens. Der clevere Unternehmer soll durch Inanspruchnahme dieses Programms nicht in die Lage versetzt werden, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zweitens. Es gilt zu verhindern, daß auch der clevere Unternehmer durch Inanspruchnahme des Programms rationalisiert, daß ganze Heerscharen gewerkschaftlicher Vertrauensleute über dieses Programm geschult und ausgebildet werden und daß Bundesbehörden durch Bundesprogramme finanziert werden. Es ist sicherzustellen, daß eine wissenschaftliche Begleitforschung, die hier in breitem Umfang betrieben worden ist, letzten Endes auch zum Nutzen der Arbeitnehmer umgesetzt wird. Es ist das erklärte Ziel der Union: Wir wollen Bewährtes fortführen. - Sie haben heute ja auch einen Antrag vorgelegt, in dem Sie die Fortführung im Rahmen von 100 Millionen DM begrüßen. - Daran sehen Sie, daß wir diesem Programm große Bedeutung beimessen. Aber wir wollen, daß hier neue Aspekte mit eingebracht werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf einige Punkte zu sprechen kommen, die vorhin in der Debatte eine Rolle gespielt haben. Ich wehre mich einfach dagegen, daß Forschungspolitik einfach von der Kameralistik her betrieben wird, wenn wir versuchen, Prozentzahlen hochzurechnen, und glaub en, hier sei Effizienz auf der Strecke geblieben. Meine Damen und Herren, was ist denn wirklich passiert? Ich möchte hier einmal die Unterschiede herausstellen. Herr Vosen beklagte, daß wir Defizite bei der Informationstechnik haben. In Ihrer Regierungszeit haben wir drei DV-Programme gemacht. Sie haben 3,7 Milliarden DM gekostet. Das Ergebnis war, daß die gesamte Branche auf der Nase lag. Was machen wir denn? Wir sorgen dafür - trotz kritischer Betrachtung des Vier-Mega-Chip-Projekts - , daß ein großes Engagement der Wirtschaft vorhanden ist und daß der Staat nur geringe Impulse gibt. Das ist der Unterschied. Zu Ihrer Zeit hat man nach Mitteln und Möglichkeiten gesucht, wie man staatliche Subventionstöpfe aufnehmen konnte. Heute engagiert sich die Wirtschaft wieder selbst. Ein zweites. Ich höre noch Ihre kritischen Stimmen. Sie haben Anfang der 80er Jahre gesagt: Um Gottes Willen! „Made in Germany" , alles ist im Eimer, alles ist kaputt. Hören Sie heute noch etwas davon? ({1}) Wir haben gegengesteuert. Unser heutiger Außenhandelsüberschuß ist ein deutlicher Beleg dafür, wie gut, wie exzellent wir gearbeitet haben. ({2}) Wenn ich das dauernde Gerede über die kleinen und mittelständischen Unternehmen höre : Der einzige Minister, der wirklich noch einen dicken Brocken in seiner Ressortzuständigkeit hat, ist Heinz Riesenhuber, der Forschungsminister. In seinem Haushalt sind 500 Millionen DM für kleine und mittelständische Unternehmen eingesetzt. Er nimmt die Herausforderung an, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Sie müssen sich da einmal einen anderen Prügelknaben suchen. Da stimmt doch die Optik nicht. Liebe Freunde, wenn ich dann dieses Moll-Theater von Ihnen höre, wie miserabel, wie schlecht diese Forschungspolitik sei, dann wundere ich mich, welche Achtung uns wegen der bei uns betriebenen exzellenten Spitzenforschung weltweit entgegengebracht wird. Das paßt doch genau in den Kontext hinein. Die Sozialdemokraten hier im Hause jammern und beklagen die „miserable Sozialpolitik" der Bundesregierung. Und die gleichen Sozialisten marschieren in Europa umher und sagen: Wir wollen den sozialen Standard der Bundesrepublik Deutschland erreichen! ({4}) Dasselbe gilt für die Umweltpolitik. Sie sind doch widersprüchlich in allen Ihren Aussagen, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich jetzt noch auf einen anderen Punkt eingehen. Sie beginnen doch hier deutlich, geistige Wegbereitung für Ausstiegsszenarien zu betreiben. ({5}) Ich habe mit großer Sorge die Aktuelle Stunde über die Kohle miterlebt. Meine lieben Freunde! Wir waren immer stolz darauf, daß wir in gewissen Positionen Grundkonsens gehabt haben. Aber Sie sind hier fahnenflüchtig geworden, Sie haben diesen Grundkonsens verlassen. Sie sagen, Sie wollten aus der Kernenergie aussteigen. Der eine sagt: Wir wollen sofort aussteigen. Der nächste sagt: Wir wollen in hundert Jahren aussteigen. Da kann sich der Bürger also aussuchen, wann wir aussteigen wollen. ({6}) Sie sagen nicht, was das bedeuten würde. Sie fordern sogar noch viel mehr: Wir wollen in die Verbrennung fossiler Brennstoffe einsteigen. Sie sagen das, obwohl Sie genau wissen, daß das CO 2-Problem dringend einer Regelung bedarf. Genau kontraproduktive Politik wollen Sie machen! Meine lieben Freunde, ich darf Ihnen noch eines sagen, was mich in dieser Woche furchtbar gefuchst hat: Stichwort „regenerative Energien", das Sie ja ständig im Munde haben. Wir haben es doch getan, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({7}) Wir haben doch die Programme aufgelegt, liebe Freunde. ({8}) Wo sind denn die regenerativen Pilotprogramme? In CDU-regierten Bundesländern! Ich hätte Herrn Lafontaine gern gefragt. ({9}) - Ja, selbstverständlich! Liebe Frau Kollegin Bulmahn! Ich darf hier einmal eine Zeitung zitieren. Das ist ja nun weiß Gott nicht die Hofberichterstattung der Union. Meine lieben Freunde! Wo sind die meisten Blockaden bei den regenerativen Energien, beim Einsatz der Windenergie? In dem von Ihrer SPD regierten Bundesland Nordrhein-Westfalen unter der Regie Ihres Johannes Rau! Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Hier klaffen doch verbale Akrobatik, die Sie bringen, und Wirklichkeit meilenweit auseinander! Lassen Sie mich dann auf einen weiteren Punkt eingehen, zu dem ich auch noch einige Sätze sagen muß. ({10}) Herr Wetzel sagt hier - und das bleibt unwidersprochen - , daß die Wissenschaftler in den Großforschungseinrichtungen still in ihren Ecken sitzen und darauf warten, wann denn nun die Bundesrepublik rot-grün regiert wird. Ich war gestern nachmittag mit meinen Freunden von der CDU bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da hätten Sie einmal hören sollen, welche Kritik angebracht worden ist. Man hat klipp und klar und deutlich und einfach darauf hingewiesen, welche Wissenschaftsfeindlichkeit bei Ihren Kollegen der Radikalen und der SPD besteht. ({12}) Was ist das denn für eine Forschungspolitik in Berlin, wenn die Senatorin von der SPD sagt: Ich bin gegen die Schließung der Akademie der Wissenschaften; aber nun muß ich Amtsvollzug machen, trete neben mich und vollziehe die Sache. Das ist doch der glatte Hohn, den Sie hier an den Tag legen! ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Maaß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Erich Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bitte um Verständnis: Ich habe jetzt noch eine Minute. Ich möchte das im Kontext zu Ende führen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage mich: Was sagt denn Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender zum Stichwort „Akademie der Wissenschaft"? Sie wollen doch eine Politisierung der Wissenschaft betreiben. Wenn wir hier in diese Richtung marschieren sollen wie Sie es in Berlin vormachen, dann muß ich Ihnen deutlich sagen: Das ist die Sackgasse, in die wir nicht hineingehen wollen! Das ist genau der umgekehrte Weg, den wir begehen. Wir wollen die Wissenschaft wieder stärken und fördern und sie nicht in einer Form kaputtmachen, wie sie in Berlin dabei sind, es zu tun. ({1}) Meine Damen und Herren! Ich wiederhole jetzt nicht die Ausführungen über die Leitlinien der Forschungspolitik von Christian Lenzer, die voll übereinstimmen. Aber mir war es wichtig, hier diese Widersprüche in Ihrer Politik vorzutragen, weil die Öffentlichkeit diese Widersprüche einmal kennenlernen muß. - Herzlichen Dank! ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Seidenthal.

Bodo Seidenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Maaß, durch Wiederholung Ihrer unberechtigten Kritik wird es auch nicht besser. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten einmal aus der „Frankfurter Rundschau" vom 13. November zitieren: Gefragt waren in dem H-Programm immer Phantasie, Wollen, Geld, gegenseitiges Aushaltenkönnen und ein tiefer Respekt vor den Menschen im Arbeitsprozeß und ihrer Würde. Dies alles kümmert diejenigen, die jetzt in Bonn mit ihrer Macht die Rotstiftaktionen und die Verstümmelung des Programmes durchgesetzt haben, nicht. Welch eine politische Arroganz gegenüber den Menschen, die der technische Wandel direkt trifft! Herr Maaß, das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Auf dem Gebiet der Humanisierung des Arbeitslebens kann man dem Bundesforschungsminister einen Vorwurf nicht machen, nämlich den, daß er hier keine Konzeption hätte. Dies ist allerdings nicht im geringsten, Herr Probst, als Lob für den Minister zu verste10628 hen, sondern die von Ihnen hier verfolgte Konzeption stellt sich als Bremsen und Einschränken heraus. ({0}) Damit diese Konzeption, die aus der Antwort auf die Große Anfrage deutlich wird, in diesem Hause nicht noch unterstützt wird, haben wir den Entschließungsantrag zu dieser Debatte eingebracht, mit dem wir die Kernforderungen eines Programms zur Humanisierung der Arbeit, wie wir Sozialdemokraten es verstehen, noch einmal klar gegen Ihre Konzeption des Bremsens und Einschränkens gestellt haben. Im Juni 1985 hatte im Deutschen Bundestag zwischen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion Einvernehmen über diese Grundsätze bestanden. Sie haben sie später aufgegeben. Ich vermute, die Arbeitgeberseite ist Ihnen doch zu massiv auf den Leib gerückt. Für uns Sozialdemokraten ist menschengerechte Arbeit erst dann verwirklicht - Herr Lenzer, das sollte auch Sie interessieren - , wenn die Unversehrtheit der Person gewährleistet ist und die Entfaltung der Persönlichkeit im Arbeitsprozeß gefördert wird. ({1}) - Vielen Dank. Das Programm „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens", das 1974 von der sozialliberalen Koalition begonnen wurde, ist eine wichtige Plattform, auf der sich Wissenschaft, Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie ihre Organisationen und der Staat gemeinsam um menschengerechte Lösungen für eine möglichst konfliktfreie Einführung neuer Techniken bemühen, ohne die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bereich traditioneller Techniken zu vernachlässigen. ({2}) - Ach, Herr Probst, Sie wissen doch, daß es anders ist. Dieser immer wieder neu herzustellende Grundkonsens liegt im Interesse aller Beteiligten: der Arbeitnehmer an der Erhaltung ihrer Gesundheit und der Verbesserung ihrer Qualifikation, der Betriebe an motivierten und leistungsfähigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur flexiblen Bewältigung der steigenden Marktanforderungen, der Sozialversicherung an der Eindämmung steigender Kosten durch Unfälle, berufs- und arbeitsbedingte Krankheiten und der Volkswirtschaft an der Erhaltung und Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit. Einen hervorragenden Beitrag zu diesen Zielen hat das Programm „Forschung zur Harmonisierung des Arbeitslebens", das - wie schon erwähnt - wir Sozialdemokraten ins Leben gerufen haben, geleistet. Es muß deshalb weiterhin Bestand haben; denn die Probleme nehmen nicht ab, sondern zu. Die gesellschaftlichen Kosten der nicht menschengerecht gestalteten Arbeit sind nach wie vor unvertretbar hoch. 1987 betrugen die Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung 13,2 Milliarden DM; schätzungsweise 37 Milliarden DM kommen an volkswirtschaftlichen Folgekosten noch hinzu. Diese Kosten belasten die Betroffenen, die außer den individuellen Folgen auch Einkommenseinbußen erleiden, die Unternehmen, die Versichertengemeinschaft und die Steuerzahler. Angesichts dieser Situation muß der Staat tätig werden. Wir Sozialdemokraten haben dies veranlaßt. Praktisch genau vor 15 Jahren haben wir das Humanisierungsprogramm begonnen. Seither sind zahlreiche positive Ergebnisse erzielt worden, so u. a. in den Bereichen des Schutzes der Gesundheit durch Abwehr und Abbau von Belastungen, durch die Entwicklung lärmarmer Geräte und Maschinen, durch technische Hilfen zur Entlastung von körperlich schwerer Arbeit. Mit der Förderung der Entwicklung und des Einsatzes von Industrierobotern gelang es, nicht nur den technologischen Rückstand gegenüber dem Ausland zu verringern, sondern auch hohe einseitige Arbeitsbelastungen abzubauen. ({3}) Im Humanisierungsprogramm wurden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei Branchenprojekten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen berücksichtigt. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unserer Fraktion ist vor dem Hintergrund der Erfolge unseres Programmes völlig unbefriedigend. Ich sagte schon, daß der Forschungsminister seine Rolle für das neue Programm als eine Konzeption des Bremsens und Einschränkens angelegt hat. Obwohl die Bundesregierung in ihrer Antwort an vielen Stellen wortreich die Notwendigkeit einer dauerhaften Humanisierungspolitik angesichts der großen Zahl der Arbeitsunfälle, der berufs- und arbeitsbedingten Erkrankungen und der Herausforderungen durch neue Techniken betont, weigert sie sich beharrlich, politische und programmatische Konsequenzen aus diesen Einsichten zu ziehen. Die Folge davon sind massive Kürzungen des Haushaltsansatzes für das HdA-Programm und restriktive bürokratische Auflagen für die weitere Programmdurchführung. Diese Kürzungen und administrativen Gängelungen werden von der Bundesregierung als hilfreich für die weitere Programmentwicklung bezeichnet und sollen unverändert auch für das neue Programm übernommen werden. Herr Minister, warum belasten Sie Ihr neues Programm „Arbeit und Technik" eigentlich mit den inhaltlichen, finanziellen und administrativen Restriktionen, die Sie für das alte HdA-Programm vorgesehen haben? Angesichts der nach wie vor bestehenden riesigen Kosten einer nicht human gestalteten Arbeit wäre es doch angebracht, die Forschungsanstrengungen zu erhöhen und auch bei den sich neu erschließenden Feldern von Arbeitsbelastungen neue Programmteile ins Leben zu rufen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Arbeit mit sinkenden Finanzierungszahlen zu bewältigen ist. Auch die Fördervorhaben sind unter Ihrer Regierung erheblich gesunken. Das bedeutet für mich, daß die Beiträge zu Problemlösungen von seiten der Bundesregierung in diesem Sektor sinken statt steigen. Wenn ich die neuesten Finanzansätze sehe, wollen Sie ja gegenüber den jetzt geplanten 99 Millionen DM um weitere 5 Millionen DM heruntergehen. Herr Minister, ich frage Sie noch einmal, ob Sie mit diesen weiteren Finanzierungseinschnitten auch zur Finanzierung Ihrer Großprojekte im Weltraum beitragen wollen. Ich fordere die Bundesregierung auf, insbesondere den Bundesforschungsminister, die restriktive Politik auf dem Sektor „Humanisierung des Arbeitslebens" im Interesse der arbeitenden Menschen in unserem Lande zu ändern und im Konsens mit allen Beteiligten eine zukunftsorientierte Konzeption vorzulegen. Lassen Sie mich mit einigen Fragen schließen, Herr Minister: Erstens. Warum ändern Sie eigentlich den Namen des Programms in „Arbeit und Technik"? ({4}) - Herr Probst, steht der Mensch in Ihrer Politik nicht mehr an erster Stelle, sondern die Technik? ({5}) Zweitens. Warum nehmen Sie nicht selbst Stellung zum Programm „Arbeit und Technik", Herr Minister? Warum lassen Sie jede Gelegenheit aus, z. B. den kürzlich durchgeführten RKW-Kongreß, um zu diesem Thema Ihre Politik darzustellen? Drittens. Wann wird denn das Programm „Arbeit und Technik", das Herr Maaß noch einmal angepriesen hat, endlich der Öffentlichkeit vorgestellt? Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde mich freuen und mir wünschen, wenn die CDU/CSU-Fraktion im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag auf die Position der Gemeinsamkeit beim Humanisierungsprogramm vom Juni 1985 zurückkehren könnte. Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Voigt ({0}).

Dr. Hans Peter Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002387, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich versuche, ein Resümee aus dieser Debatte zu ziehen und zu eruieren, welche wichtige Ausstrahlung von dieser Debatte ausgeht, möchte ich auf das zurückkommen, was uns Herr Laermann in einer sehr nachdenklichen Art vorgetragen hat und was von Herrn Catenhusen und auch von Herrn Minister Riesenhuber aufgenommen wurde. Ich möchte, abweichend von dem Konzept, das ich mir ursprünglich vorgenommen hatte, aus einem Problembereich, der mich besonders beschäftigt, nämlich der Medizinforschung, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, und aus dem Bereich der biologischen Forschung ein Beispiel nennen, weil ich glaube, daß wir sehr, sehr schnell an die Grenzen stoßen, die Sie, Herr Laermann, aufgezeigt haben, wo wir Antworten finden müssen, wo wir die Begleitung der Geisteswissenschaften brauchen, wo wir mit den ethischen Fragen sehr akut konfrontiert sein werden. Der Arzt der Vergangenheit hat, an Symptomen orientiert, bildbeschreibungsähnlich versucht, die Diagnose zu stellen. Die heutige Diagnosestellung führt sehr tief in biologische Zusammenhänge hinein. Wir können sehr früh sehr detaillierte Befunde erheben, die sich schließlich zu einer Diagnose erweiteren. Wir sind im Grunde genommen heute an einem Punkt, wo es nicht mehr ein Kunstfehler ist, wenn ein Arzt nicht alle technischen Hilfsmittel ausnutzt, sondern wo es unter Umständen ein Kunstfehler sein kann, alle technischen Hilfsmittel zu nutzen und sie anzuwenden. Ich glaube, hier in dieser Frage brauchen wir die begleitende Forschung der Sozial- und Erziehungswissenschaften, wir brauchen die begleitende Forschung derjenigen, die sich mit der Medizinethik beschäftigen, um uns hier Handlungsanweisungen zu geben. Ich bejahe, daß wir weiterhin in der Diagnose Fortschritte machen müssen, ich bejahe, daß wir den Arzt brauchen, der das anwendet. Ich bin aber der Meinung, daß die Wege von dem einen zum anderen und dann die Wege vom Arzt zum Patienten dringend der Forschung bedürfen, die sich mit der Beziehung zwischen diesen drei Beinen, Forschung, Anwender - Arzt - und Patient beschäftigt, und daß wir hier einen Nachholbedarf haben, der zwar andeutungsweise von uns immer gesehen wurde, der aber in dieser Konsequenz, weil es sich im Augenblick hier sehr akut zeigt, nicht immer bedacht worden ist. Daher bin ich eigentlich sehr dankbar, daß wir dieses Gespräch eingeleitet haben, und wir sollten es weiterhin auch zwischen den Fraktionen aktivieren, damit wir vielleicht dann zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Ich bedanke mich. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 11 a - das war die Große Anfrage - gibt es keine Abstimmung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den zu Tagesordnungspunkt 11 b vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4516. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11c. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11 d. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/3725 ab. Das ist der Bericht der Bundesregierung über „Status und Perspektiven der Großforschungseinrichtungen". Wer Vizepräsident Westphal stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Tagesordnungspunkt 11 e! Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/3994: Vorschlag der EG-Kommission für ein mehrjähriges Forschungsprogramm für Nahrungsmittelwissenschaft und -technologie. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung von den anderen Fraktionen angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11 f, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4511. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/4112 ab. Das bezieht sich also auf den Bundesbericht Forschung 1988. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({0}) zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Geseztes zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch ({1}) - Drucksachen 11/1167, 11/3862 Berichterstatter: Abgeordnete Schemken Kastning Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4506 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kastning.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lange, sehr lange hat es gedauert, bis der im Zusammenhang mit der 8. AFG-Novelle im November 1987 eingebrachte Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zum Programm für die „Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher" nun wieder das Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit erblickt hat. Aber diese lange Zeit des Verborgenseins hat sich, denke ich, gelohnt. Nach Überwindung von Skepsis bei nicht unmittelbar Beteiligten und nach der Ausräumung von Mißverständnissen in den Reihen der Koalition ist es sogar gelungen, den Antrag zu ergänzen, weitere Akzente zu setzen und als gemeinsame Entschließung von SPD, CDU/CSU und FDP nun hier zur Beschlußfassung vorzulegen. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich mit den bisherigen Erfahrungen dieses Programms sehr intensiv auseinandergesetzt und die wesentlichsten Schlußfolgerungen in die Beschlußempfehlung aufgenommen. Ich möchte aber - ich sehe, Herr Lammert ist da - dem Minister für Bildung und Wissenschaft empfehlen, zusätzlich die Protokolle und Arbeitsunterlagen des Bildungsausschusses sorgfältig auszuwerten, weil darin noch manche weitere beachtenswerte Anregung enthalten ist. Meine Damen und Herren, dieses Programm wird von uns nach wie vor als unverzichtbar angesehen in dem Bemühen, benachteiligte Jugendliche anständig auszubilden, statt sie durch Nichtstun auszugrenzen. ({0}) Alle Prognosen deuten darauf hin - und regional inzwischen verschiedentlich Arbeitsmarktergebnisse - , daß es auf dem Ausbildungsstellenmarkt Mitte der 90er Jahre zu einer spürbaren Entlastung kommen wird. Diesem quantitativen Aspekt stehen aber unter qualitativen Gesichtspunkten - ich zitiere - „steigende Anforderungen an die Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz der Erwerbstätigen gegenüber, die aus der Technikentwicklung und den Produktions- und Tätigkeitsstrukturen hergeleitet werden", wie es Dr. Kloas vom Bundesinstitut für Berufsbildung erst jüngst dargelegt hat. Unter anderem dieses hat uns bewogen, unsere Auffassung von der künftigen Notwendigkeit des Programms in seiner Gesamtheit und besonders auch in dem Teil der außerbetrieblichen Vollausbildung zu bekräftigen. Wir plädieren gemeinsam mit Nachdruck dafür, den grundsätzlichen Charakter des Programms beizubehalten und es zugleich den vielfältigen künftigen Bedürfnissen entsprechend auszugestalten und weiterzuentwickeln. Es sind in den außerbetrieblichen Maßnahmen z. B. das andere Lernklima, die Solidarität in der Lerngruppe, die ganzheitliche Betrachtung des Auszubildenden, die Lernunterstützung bei theoretischen Ausbildungsteilen und vieles andere mehr, bis hin zu Unterstützung bei privaten Problemen, die zur Lernmotivation und Stärkung der Persönlichkeit der Jugendlichen führen. Es läßt sich sogar eine Identifikation mit dem Beruf feststellen, obwohl viele Teilnehmer an den Maßnahmen zuvor nicht ausbildungsbereit waren oder den jeweiligen Ausbildungsberuf gar nicht gewählt hatten. Der Erfolg der Ausbildung im Benachteiligtenprogramm, meine Damen und Herren, sollte uns zudem Anlaß sein, der Absicht des Bildungsministers entgegenzutreten, Ausbildungsgänge - offenbar in größerem Stil - künftig unter dem Niveau anerkannter Ausbildungsberufe für benachteiligte Jugendliche zu schaffen. ({1}) Es sollten meines Erachtens alle denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft werden, junge Menschen zum Abschluß einer anerkannten Berufsausbildung zu bringen, so auch im gewerblich-technischen Bereich, auch in Berufen mit einem relativ hohen Technologieanteil. Versuche deuten darauf hin - davon haben wir uns im Ausschuß überzeugen können - , daß ein Teil der Jugendlichen bei entsprechender Förderung über sozialpädagogische Berufsausbildung den gestellten Anforderungen durchaus gerecht werden kann. Ein, so sage ich einmal, normaler Ausbildungsbetrieb wäre hierbei allerdings in der Regel etwas überfordert. ({2}) Deshalb müssen, denken wir, eine angemessene finanzielle Förderung sowie eine ausreichende Personal- und Sachausstattung von Projekten auch nach Übernahme des Benachteiligtenprogramms ins AFG - gegebenenfalls wieder direkt aus Bundesmitteln - sichergestellt werden. Meine Damen und Herren, leider ist ein noch größeres Problem als der übrige Bereich für die Absolventen des Benachteiligtenprogramms die sogenannte zweite Schwelle, d. h. der Übergang in das Berufsleben nach der Ausbildung. Arbeitslosigkeit oder berufsfremde Beschäftigung bedeutet für diese Menschen oft einen nicht wieder zu reparierenden Motivationsknick. Darum haben wir hierzu auch einige Anregungen in die Entschließung aufgenommen. Besondere Schwierigkeiten haben ausländische Jugendliche und junge Frauen nach Abschluß ihrer Ausbildung in außerbetrieblichen Maßnahmen. Es ist deshalb an der Zeit, das Benachteiligtenprogramm so flexibel zu handhaben, daß es besser auf künftige Berufschancen ausgerichtet ist. Meines Erachtens können junge Frauen überhaupt nur mit Erfolg etwa für eine gewerblich-technische Ausbildung gewonnen werden, wenn in der jeweiligen Region auch Beschäftigungschancen in dem Beruf, für den sie ausgebildet worden sind, eröffnet werden. Meine Damen und Herren, bei aller Befriedigung über unsere gemeinsame Haltung zum Benachteiligtenprogramm darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß es durch die letzte Novellierung des AFG Erschwernisse für die Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen geben wird bzw. schon jetzt gibt. Die Einschränkungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tangieren in vielen Fällen Ausbildungsmaßnahmen negativ. Die Streichung der Berufsbildungshilfe für zu Hause wohnende Jugendliche kann dazu führen, daß benachteiligte Jugendliche, insbesondere Mädchen aus sozial schwachen Familien, überhaupt keine Berufsausbildung mehr absolvieren. ({3}) Wer die Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher unter sich wandelnden Bedingungen ernst nimmt, muß - das möchte ich abschließend zu unserer Entschließung bemerken - konsequenterweise die von uns unter Ziffer 12 der Beschlußempfehlung genannten Arbeitsmöglichkeiten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft sicherstellen. Ich hoffe sehr, Herr Staatssekretär - bestellen Sie das auch Ihrem Minister - , daß die wachsende Bedeutung der Bildungspolitik, bei der wir uns im Grundsatz darüber einig sind, daß sie an Bedeutung gewinnen wird, und daß die damit einhergehende stärkere Belastung Ihres Hauses nicht zu Einschränkungen personeller oder sächlicher Art für den hier angesprochenen Bereich führt. ({4}) Wir sollten nicht die Gelder abziehen und dort einsetzen, wo andere Schwerpunkte setzen. Ich sage noch einmal: Wir unterstützen Ihre Bemühungen gegenüber dem Finanzminister, den Bildungsetat für das nächste Jahr spürbar aufzustocken. Nun noch eine Bemerkung zu dem heute vorgelegten Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Verehrte Kollegin Frau Hillerich, Sie wissen, daß wir im Ausschuß viele Punkte einvernehmlich diskutiert haben und viele Anregungen von Ihnen in die Beschlußempfehlung aufgenommen haben. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie heute gewissermaßen öffentlich noch einmal dokumentieren wollen, daß Sie weitergehende Forderungen haben. Ich denke, das ist auch der Grund für Ihren Antrag. Es kann nicht sein, daß wir heute hier in zweiter Lesung Änderungen vornehmen, über die wir uns im Ausschuß ausführlich unterhalten haben. Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir als Sozialdemokraten unterstützen würden; das haben wir auch im Ausschuß gesagt. Aber uns kommt es darauf an, daß wir eine breite Mehrheit hier im Hause finden und der im Ausschuß gefundene Konsens hier trägt, um gegenüber allen Verantwortlichen und Betroffenen deutlich zu machen, daß dieses Programm weitergeführt und weiterentwickelt werden muß. Wir möchten diesen Konsens heute nicht durch Änderungen wieder in Frage stellen. Daß wir auch als SPD immer noch wünschen, daß die Förderung im Rahmen des Benachteiligtenprogramms auf der Grundlage eines Rechtsanspruchs im AFG verankert wird, will ich hier noch einmal unterstreichen. Nur, ich denke, das können wir nicht mit der Entschließung regeln, sondern dazu bedarf es einer Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes. Ich bitte hier um eine breite Zustimmung zur Beschlußempfehlung des Ausschusses, und ich bitte um Verständnis, daß sich die SPD-Fraktion bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der GRÜNEN der Stimme enthält. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab ist sicher festzustellen, daß wir auf dem Ausbildungsstellenmarkt verstärkt und fortgesetzt eine Entspannung erleben. 1988 konnte die beste Bilanz vorgelegt werden, die überhaupt eine Bundesregierung jemals vorgelegt hat. Über 50 000 Ausbildungsplätze konnten nicht besetzt werden. 13 000 Jugendliche blieben auf der Suche nach einem richtigen Ausbildungsplatz übrig. Das waren aber schon weitere 10 000 weniger als 1987. Daran wird deutlich, daß sich der Trend ins Positive verkehrt, nachdem Wirtschaft, Handwerk, die Kaufmannschaft, die mittelständischen Bereiche auch unter Hilfe von Arbeitgeberschaft und Arbeitnehmerschaft vier, ja, fünf Jahre lang einen Kraftakt vollzogen hatten, der sich als wirklich beispielhaft in der Bundesrepublik sehen lassen kann und der zu jährlich 150 000 neuen Ausbildungsplätzen führte. Dafür danke ich noch einmal ausdrücklich allen, die mitgewirkt haben. Das betraf 150 000 Einzelschicksale von Jugendlichen. ({0}) 1989 wird es dazu kommen, daß eine große Zahl von Ausbildungsplätzen unbesetzt bleibt. Dieser Vorgang macht sich insbesondere im Handwerk und im Baugewerbe bemerkbar. Zunehmend werden gerade Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt durch die gute Konjunktur weitere gute Chancen vermittelt. Auch die Vermittlung innerhalb der arbeitslosen Jugendlichen verläuft positiv. Das liegt sicher auch an einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung. ({1}) - Ich weiß, das hören Sie nicht gerne. Aber das muß man doch sagen. ({2}) Sie beklagen auf der anderen Seite, daß wir zu sehr auf Wirtschaft setzen und zuwenig im Umverteilungsprozeß tun. Weil wir das tun, hat das natürlich Wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das hohe soziale Gut Arbeitsplatz mehrt sich. Das können Sie nicht mehr bestreiten. Das ist ein Erfolg. Diejenigen Arbeitsamtsbezirke, in denen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, nehmen ab. Natürlich gibt es nach wie vor regionale Ungleichgewichte; sie sind berufsspezifisch, aber regionaler Natur. Hier müssen wir uns dieser Aufgabe stellen und widmen. Deshalb bin ich dankbar, daß wir über die Fraktionsgrenzen hinweg zwischen SPD, FDP und CDU/ CSU zu einer solchen gemeinsamen Erklärung gekommen sind. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich im übrigen gründlichst mit dieser Frage beschäftigt und auch die Träger angehört. Das war der ausdrückliche Wunsch, auch Ihr Wunsch, Frau Hillerich. Im übrigen haben wir Teile Ihres Begehrens in diesen Antrag einfließen lassen, so daß sich Zusätzliches erübrigt. Wir können deshalb Ihrem Begehren nicht zustimmen. Die Erfahrungen der Träger, die wir in unsere Beratungen und Überlegungen einbringen durften, haben sich in der gemeinsamen Erklärung niedergeschlagen. Herr Kastning hat soeben darauf hingewiesen. Besondere Punkte sind herauszustellen. Der erste ist die Bedeutung wichtiger Zielgruppen, damit hier nicht alles über alles geschieht, sondern wir dort ansetzen, wo es notwendig ist. Weiter geht es um die Förderung junger Frauen. Mittelfristig liegt uns insbesondere an der Integration junger Aussiedler. Das ist ein ganz wichtiges Thema, damit diese jungen Menschen schon recht bald über sinnvolle Arbeit integriert werden. Zurück zu den Frauen: Nicht nur diese überbetrieblichen Einwirkungen bewirken Gutes. Ich fordere von dieser Stelle aus die Arbeitsverwaltung ausdrücklich auf, jetzt frühzeitiger in den Schulen zu beginnen, damit der richtige Berufsweg rechtzeitig geplant werden kann. Das gilt besonders für Mädchen. Viele können nicht in drei Stunden beim Arbeitsamt beraten werden. ({3}) Sie haben einen längeren Prozeß auch zur Hinführung zur Arbeitswelt verdient. ({4}) Die bewährte konzeptionelle Struktur der Förderung wollen wir aufrechterhalten. Da habe ich keine Bedenken, Herr Kastning. Im Gegenteil. Ich meine, die Achte Novelle, die diese Maßnahme in die Palette des Angebots der Bundesanstalt für Arbeit einband, war der richtige Weg. Im übrigen haben wir dies abgesichert. Ich komme gleich noch auf das zu sprechen, was die Bundesregierung zusätzlich auch in barer Münze getan hat. Eine wichtige Rolle spielen auch die Vorschläge zur Qualitätsverbesserung in der Förderung, was den Rahmen der Technologie angeht. Weil wir in der Abfolge des technologischen Fortschritts immer kürzere Zeiträume erleben, sind wir gehalten, diese Ausbildungsstätten mit entsprechenden Einrichtungen zu versehen. Deshalb: Schönen Dank auch an den Minister bzw. an das Ministerium für das, was in diesem Jahr mehr für Ausstattung verfügbar ist. Wir haben zwar weitere Wünsche, aber das läßt sich nicht alles auf einmal realisieren. Wir sind auf dem richtigen Weg. Das Aufstokken für die Reinvestitionen ist sicherlich ein wichtiger Einstieg in die Problemlösung. Die Zusammenarbeit sollte auch mit der Berufsschule verbessert werden. Das ist wichtig. Denn wir wollen nicht vom dualen System abweichen, im Gegenteil. Wir sollten in der Gewöhnung an den richtigen Ausbildungsgang diese Jugendlichen recht bald in Betriebe überführen, damit sie nach einer Ausbildung ausschließlich in einer überbetrieblichen Einrichtung nicht ins kalte Wasser springen müssen. Ich halte das für einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt. ({5}) Der Betrieb, der seinen Auszubildenden im Betrieb hat, ist sicherlich nicht so schnell gewillt, sich nach der Ausbildung von diesem tüchtigen jungen Menschen zu trennen. ({6}) Auch das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. - Herr Kuhlwein, es ist von uns ganz bewußt gewollt gewesen, daß über den Bedarf ausgebildet wurde. ({7}) Das wird sich in Zukunft so nicht wiederholen, weil Ausbildungsstellen teilweise schon nicht mehr besetzt werden können, der Bedarf an Facharbeitern gar nicht befriedigt werden kann. Deshalb ist der Übergang sehr wichtig. Wir sind der Meinung, daß es auch weiterhin notwendig ist, das flächendeckende Förderungsangebot insbesondere im ländlichen Raum vorzuhalten. Letztlich sollte auch die Bundesregierung in der Mitverantwortung eingebunden bleiben. Das haben wir schon während der Beratung zur 8. Novelle bewußt festgelegt. Im übrigen hat diese Einbindung gesetzliche Qualität. Sie ist im AFG. Herr Kastning, es ist nicht so, daß diese Maßnahme losgelöst ist. ({8}) Wir haben ausdrücklich beschlossen - es ist auch in die Berichte eingegangen - , daß die damals verfügbare Summe nicht beschnitten wird und daß das Benachteiligtenprogramm im AFG in der Bewertung ausdrücklich Priorität erhält. ({9}) Das haben wir festgelegt. Wir sind dankbar, daß auch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und auch das Arbeitsministerium in die Mitverantwortung eingebunden sind. Ich sehe die beiden Staatssekretäre, junge, sicherlich hoffnungsfrohe Leute - ich stelle das einmal fest; denn man darf auch einmal ein bißchen menschlich miteinander umgehen -: Norbert Lammert und Horst Seehofer. Ich will hoffen, daß das in den Ministerien in guten Händen ist. Auch das Ministerium für Jugend, Familie und Frauen ist eingebunden. Ich sage das ausdrücklich. Es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Problem der Jugendlichen, an das wir herangehen müssen. Ich will noch einmal die Gruppen nennen. 11,7 % der deutschen Schüler erreichen den Hauptschulabschluß nicht. Das ist ein gravierender Vorgang. Das müßte sich die Pädagogik ins Klassenbuch schreiben. ({10}) Das passiert in einem Land, das darauf angewiesen ist, technisches Know-how zu verkaufen. ({11}) Innovationen kommen aus dem Kopf, nicht aus der Maschine. - „Die Pädagogik" habe ich gesagt. ({12}) - Früher waren 42 Schüler in einer Klasse. Heute haben wir 32. Geändert hat sich nichts. Ich sage das nur einmal. Ich will dem einzelnen Lehrer nichts nachsagen. Im Gegenteil, die Pädagogik muß sich fragen lassen, was zu tun ist. Das ist keine Kritik, sondern eine Erkenntnis. ({13}) Von den ausländischen Kindern bei uns erreichen 28,2 % den Hauptschulabschluß nicht. Hier ist ein weiterer Schwerpunkt zu setzen. Ich setze den Schwerpunkt auch bei den Behinderten. Ich sage das ausdrücklich. Wir stellen trotz der Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt mehr und mehr fest, daß Behinderte nicht in dem Maße Eingang in den Integrationsprozeß zum Arbeitsplatz hin finden. Das möchte ich anmahnen. Erfreulich ist die Summe, die uns zur Verfügung steht. 1980 waren das nur 8 Millionen DM. 1982 stieg die Summe auf 69 Millionen DM. Mittlerweile liegen wir bei 462,5 Millionen DM. ({14}) An dieser Steigerung ist die jetzige Bundesregierung nicht gerade unschuldig. Im Gegenteil, sie hat diesen Problemkreis der Jugendlichen erkannt und ihn entsprechend bewertet. 462,5 Millionen DM bedeuten schon eine gehörige Förderung. Wir wollen die Bundesregierung darin bestärken, daß sie diese Aufgabe in Zukunft in ähnlicher Höhe bedient. ({15}) Bei der Verteilung auf die Regionen ist natürlich die Bundesanstalt für Arbeit gefragt. Auch hier sollten Schwerpunkte gesetzt werden. Wo die Not am größten, ist die Hilfe sicherlich am wichtigsten. Wir sollten frühzeitig in die Betriebe überleiten. Ich hatte soeben schon darauf hingewiesen. Das macht diese Maßnahme möglich. Wir schaffen damit wieder Freiplätze. Flexibilität ist alles, gerade in unserer nachindustriellen Gesellschaft.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, bitte achten Sie einmal auf die Uhr.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. - Ich darf hoffen, daß wir in gemeinsamem Tun den Jugendlichen helfen, die auf unsere Beachtung bzw. auf unseren Zuspruch warten. Der Zuspruch ist nicht nur durch Reden realisiert. Vielmehr packen wir durch eine solche Maßnahme entscheidend praktisch an. Ich will hoffen, daß damit auch ein Stück Lebensperspektive eröffnet wird. Schönen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.

Imma Hillerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000902, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Zeitpunkt dieser Debatte finde ich außerordentlich günstig, weil gerade jetzt ein deutliches Plädoyer für die Verbesserung des Benachteiligtenprogramms wichtig ist, da laut darüber nachgedacht worden ist und nach wie vor nachgedacht wird, wie man junge Menschen, die intensiver Förderung bedürfen, billiger abspeisen kann. Die Anhörung mit den Trägern des Benachteiligtenprogramms hat gezeigt, daß der Ansatz der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung richtig und unverzichtbar ist. Sie hat auch gezeigt, daß für seine Verwirklichung noch sehr viel mehr getan werden kann und muß. Deswegen ist die Beschlußempfehlung, die viele der Anregungen zur Weiterentwicklung des Benachteiligtenprogramms aufgenommen hat, auch als eine Kritik und als Absage an Konzepte zu verstehen, den Jugendlichen, die auf Grund ihrer persönlichen Voraussetzungen von den derzeitigen, vielfach steigenden Standards beruflicher Ausbildung im dualen System überfordert sind, eine schlechtere oder billigere Ausbildung unterhalb des Facharbeiteroder Gesellenniveaus verpassen zu wollen. ({0}) Solange dieses Niveau mehr denn je die Eintrittskarte ins Beschäftigungssystem ist, sei es auch nur für einen unsicheren Stehplatz, so lange ist es unverantwortlich, gerade für diejenigen Deregulierungen zu entwikkeln, die besonders dringend darauf angewiesen sind, ein Stück persönliche und gesellschaftlich anerkannte Stabilität zu entwickeln, denn das ist Ziel dieses Programms. Das ist auch mit einem qualifizierten Ausbildungsabschluß verbunden, und gerade der darf diesen Jugendlichen nicht vorenthalten bleiben. Ich würde mir wünschen, wenn Herr Möllemann dies deutlich zur Kenntnis nehmen würde. Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses. Am Zustandekommen - das hat Herr Kastning schon gesagt - war als Berichterstatterin auch ich beteiligt. Im Bericht des Ausschusses steht auch etwas über die Beurteilung, die meine Fraktion der Beschlußempfehlung gibt. Da steht nämlich, daß wir den Entschließungsantrag für „das Beste, was an konzeptioneller, qualitativer und finanzieller Absicherung und Weiterentwicklung des in das AFG übernommenen Benachteiligtenprogramms möglich sei", halten. Das ist durchaus eine positive Würdigung. ({1}) Wir haben uns im Ausschuß dennoch enthalten, weil - auch das steht im Bericht - unserer Auffassung nach - es ist nicht nur unsere - der Rechtsanspruch auf Förderung nach wie vor fehlt und wir andererseits ein Gesamtprogramm zur Berufsbildungsförderung für alle Jugendlichen für nötig halten. Das kommt in dem GRÜNEN-Änderungsantrag zum Ausdruck. Daraus möchte ich die wichtigsten Punkte kurz aufführen. Wir meinen, daß dieses Programm in das umbenannt werden sollte, was es ist, nämlich ein „Programm zur Sicherung der Berufsbildung", mit dem Ziel der Stabilisierung der Persönlichkeit der betreffenden Jugendlichen. Auch das ist in der Anhörung von den Trägern immer betont worden. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind eine sozialpädagogische Unterstützung und Begleitung der Beruf sausbildung. Der zweite Grund für die Umbenennung ist nicht weniger wichtig. Wir wollen, daß der Stigmatisierungseffekt durch das Etikett „Benachteiligte " vermieden wird, und zwar um sowohl die Erreichung des genannten Ziels der Stabilisierung der Persönlichkeit nicht zu behindern als auch die Arbeitsmarktchancen der Jugendlichen zu verbessern. Der zweite Punkt unseres Änderungsantrags ist schon angesprochen worden. Wir wollen die Förderung als Rechtsanspruch für alle Jugendlichen verankern, die an der ersten Schwelle scheitern. Der Rechtsanspruch ist auch eine Forderung der Träger gewesen. Er ist für ihre pädagogisch notwendige Planungssicherheit nötig, damit ihre Arbeit nicht durch Haushaltslagen gefährdet wird, die politisch ganz anders motiviert sind. Wir haben da mit der 9. AFG- Novelle ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht. Der Rechtsanspruch entspricht auch der übereinstimmenden Einsicht, daß es weiterhin Jugendliche geben wird, die diese Förderung benötigen. Was die Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs betrifft, denke ich, braucht ein Ausufern überhaupt nicht befürchtet zu werden, weil das Programm flexibel handhabbar ist. Dritter wichtiger Punkt in unserem Änderungsantrag: Wir meinen, daß die Zielgruppe dahin gehend bestimmt und erweitert werden muß, daß jegliches Scheitern an der ersten Schwelle aufgefangen wird. Das heißt, wir wollen die Zielgruppe nicht durch Gruppenmerkmale bestimmen, die die Benachteiligung auf Grund der Herkunft erfassen sollen, weil wir meinen, daß das ein Einsortieren in Schubladen und letztlich, wenn auch ungewollt, wieder Stigmatisierungen befördert. Wir wollen, daß jegliches Scheitern an der ersten Schwelle aufgefangen werden soll. Es kann den Grund haben, daß Ausbildungsplätze in Defizitregionen fehlen. Das kann auch den Grund haben, daß Vorstellungsgespräche nur als Überforderung erfahren werden. Es kann den Grund haben, daß Sprachkenntnisse fehlen. Da sind dann selbstverständlich auch Jugendliche aus Aussiedlerfamilien und Ausländerfamilien eingeschlossen. Zum Scheitern an der ersten Schwelle gehört unseres Erachtens aber auch der Abbruch der Ausbildung. Deswegen meinen wir, daß die Jugendlichen, die ihre Ausbildung abbrechen, in den Kreis der Förderberechtigten aufgenommen werden müssen. Das ist auch nur logisch, weil das Programm andererseits ja helfen soll, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Vierter Punkt. Wir halten es für ein Gebot der Gerechtigkeit, daß die Jugendlichen, die mit diesem Programm eine Berufsausbildung erhalten, den Jugendlichen in der normalen Ausbildung gleichgestellt werden hinsichtlich ihrer Ausbildungsvergütung und auch hinsichtlich ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten und Rechte in der Auszubildendenvertretung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, Sie werden die anderen darauf hinweisen müssen, daß sie die restlichen Punkte lesen müssen; denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Imma Hillerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000902, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einen Satz noch, bitte. Nun zum letzten Punkt, weil er auch Bestandteil der Beschlußempfehlung ist. Wir halten es für nötig, daß die Berufsbildung dieser Jugendlichen gesichert wird vor dem Qualifikationsverlust und der persönlichen Destabilisierung an der zweiten Schwelle, die dann auftritt, wenn die Jugendlichen keinen Arbeitsplatz erhalten. Deswegen meinen wir, daß berufliche Ersterfahrung nach der Ausbildung verbindlich gemacht werden muß, ob durch persönliche Nachbetreuung oder durch Ersterfahrungsfirmen. Auch dies ist eine Forderung der Träger. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es außerordentlich erfreulich, festzustellen, daß die Empfehlungen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Programm zur Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher - ich lese das jetzt bewußt so vor, weil ich auch wie Frau Hillerich denke, diese Abkürzung „Benachteiligtenprogramm" hat etwas sprachlich Unangenehmes an sich - von einer großen Gemeinsamkeit getragen werden. Sie sind ja auch gemeinsam erarbeitet worden, sie sind gemeinsam diskutiert worden, und sie sind in einem Erfahrungsaustausch mit den Trägern der Maßnahmen besprochen worden. Ich glaube, es ist auch ein Wert an sich, daß man in bezug auf ganz bestimmte Themen den Mut hat, differierende Vorstellungen und Forderungen einmal zurückzustellen, um sich auf einen Kernbereich der Gemeinsamkeit zu konzentrieren, besonders dann, wenn es sich wie in diesem Fall eben doch zum großen Teil um im bedauerlichen Sinne dieses Wortes benachteiligte junge Menschen handelt. Meine Damen und Herren, meine ebenso knappe Redezeit läßt es nicht zu, alles zu wiederholen, was die Kollegen Kastning und vor allen Dingen Schemken, natürlich mit unterschiedlichen Akzentuierungen, schon dargestellt haben. Eine Beschäftigung mit den 13 Einzelpunkten in Form eines zusammenfassenden Zitats hätte vor allen Dingen auch die Gefahr des Mißverständnisses in sich, zu dem Verkürzungen immer führen, man wolle sich von dem einen oder anderen etwas distanzieren. Das kann aber nicht der Sinn der Angelegenheit sein. Meine Damen und Herren, Kernpunkt ist, daß sich dieses Programm in den Jahren des Ausbildungsmangels bewährt hat. Es ist darauf hingewiesen worden, daß auch in den Zeiten, in denen sich der Ausbildungsplatzmangel in einen Bewerbermangel umgekehrt hat, ja jetzt schon sehr deutlich - vor allen Dingen im Handwerk - die Maßnahmen des Benachteiligtenprogramms zur Integration benachteiligter junger Menschen unverzichtbar bleiben. Ich würde allerdings davor warnen, lieber Ernst Kastning und liebe Frau Hillerich, weiterführende Überlegungen in bezug auf junge Menschen, die Schwierigkeiten haben, ins Berufsleben einzutreten, so mit einer gewissen Denkblockade zu begegnen, wie ich das leider hier eben feststellen mußte. ({0}) Ein offener kritischer Gedankenaustausch ist sicherlich notwendig; aber ich meine, es gibt hier viel Diskussionsbedarf. ({1}) Meine Damen und Herren, ich sagte schon, Hintergrund der heutigen Empfehlungen ist der Erfahrungsaustausch mit Trägern von Maßnahmen im Rahmen dieses Programms. Ich will hier wiederholen, weil mir das wichtig ist, was ich im Ausschuß als meinen Eindruck gesagt habe: Diese Anhörung unterschied sich von den oft ja in Ritualen steckenbleibenden Anhörungen des Pingpongs von politischen oder verbandspolitischen Standpunkten durch große plastische Nähe an die Realitäten der Arbeit. Ich möchte dafür auch den Trägern danken. Dies ist überhaupt - ich wiederhole das - der Ort und die Gelegenheit, einmal allen Beteiligten für ihre konzeptionelle Phantasie, aber auch für die alltäglich-werktägliche Arbeit in den vielen Einrichtungen zu danken. ({2}) Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum Schluß. Ich möchte sagen, daß für mich, wie ich das zu Anfang betont habe, in der Gemeinsamkeit eines Konsenses, der nicht zu Profillosigkeit führt und unsere Konturen durchaus bestehen läßt, ein wichtiger Wert gerade für die jungen Leute liegt; denn dadurch kann hier doch mit einer gewissen Stabilität gerechnet werden. Die Enquete-Kommission „Bildung 2000" hatte gerade in der letzten sitzungsfreien Woche Gelegenheit, im ländlichen Raum, in Rothenburg an der Wümme in Niedersachsen, eine solche Einrichtung zu betrachten, die von der dortigen Kreishandwerkerschaft, der Arbeitsverwaltung, kommunalen Gremien, Stadt und Kreis getragen wird. Auch hier zeigt es sich, wie notwendig es ist, auf diesem Gebiet so gut zusammenzuarbeiten wie die Verantwortlichen vor Ort. Wenn wir das auch in der Politik schaffen, ist es mir um das Benachteiligtenprogramm nicht bange. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Herr Dr. Lammert. Das ist zwar keine Jungfernrede, aber in dieser Funktion die erste.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001274

So ist es. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem mich gerade einige Kollegen in der Debatte in meiner neuen Rolle besonders freundlich und wohlwollend angesprochen haben, benutze ich gerne die Gelegenheit, meinerseits die Freude darüber deutlich zu machen, daß der erste Auftritt an diesem Pult in dieser Eigenschaft zu einem Gegenstand erfolgen kann, der ganz offensichtlich nicht streitig ist, sondern von einem breiten Konsens aller politischen Gruppierungen hier im Hause getragen ist. ({0}) Ich würde das gerne, wenn ich das darf, als gutes Omen für unsere gemeinsame Arbeit in den nächsten Monaten betrachten. ({1}) - Vielleicht kriegen wir das ja jetzt, Herr Kollege Daweke. Insofern ist der Beitrag vielleicht doch nicht so überflüssig, wie wir zunächst geglaubt hatten. Ich bin wie der Kollege Neuhausen der Meinung, daß es notwendig und gut ist, daß es tatsächlich über den üblichen und auch notwendigen parlamentarischen Streit hinaus Dinge gibt, bei denen man sich auf gemeinsame Positionen verständigt und die man sich auch gemeinsam umzusetzen bemüht. Ich freue mich, daß das ganz offensichtlich gerade in einem Bereich der Fall ist, wo es um die Wahrnehmung von Bildungschancen junger Leute geht, die mehr Schwierigkeiten haben als die meisten anderen, zu einem qualifizierten Bildungsabschluß und einer entsprechenden Berufsausbildung zu kommen. Ich bin, Herr Kollege Kastning, auch ausdrücklich mit Ihnen einer Meinung, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen - wie Sie das formuliert haben - , um zu einem qualifizierten Berufsabschluß zu kommen. Aber Sie stimmen mir sicherlich auch zu, daß, wenn diese traditionellen Möglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft sind, das Nachdenken nicht eingestellt werden darf, ob nicht noch Wege möglich, vielleicht auch notwendig sind, die über das hinausgehen, was wir herkömmlicherweise bisher in diesem Bereich getan haben. ({2}) - Ich habe mich hoffentlich eindeutig ausgedrückt. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die Empfehlung des Ausschusses, wie sie in dieser Entschließung zum Ausdruck kommt, und wird sich um eine zügige Realisierung der darin enthaltenen Forderungen bemühen. Dies wird uns um so leichter fallen, je ernster alle Beteiligten auch die in der Ziffer 12 zum Ausdruck gekommene Empfehlung nehmen, daß dies nur dann geht, wenn bei den konzeptionellen Fragen und ihrer Umsetzung auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung des entsprechenden Haushaltstitels oder der Haushaltstitel gewährleistet bleibt. Ich kann Ihnen sagen: Bei uns denkt niemand daran, notwendige zusätzliche Anstrengungen in anderen Bereichen zu Lasten von Maßnahmen in diesem Bereich vorzunehmen. Insofern wünsche ich mir, daß insbesondere die Empfehlung in der Ziffer 12 auch zu einer Bereinigung von Streitfragen zwischen dem Finanzministerium und unserem Hause bei diesen Haushaltstiteln beitragen könnte. Ich bin im übrigen zuversichtlich, daß das, wenn es nicht so wäre, spätestens von den Kollegen im Haushaltsausschuß auf der Basis dieser heute beschlossenen Empfehlung in unserem hier heute gemeinsam artikulierten Sinne repariert würde. Danke schön. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4506. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/3862. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1167 als gemeinsame Entschließung von CDU/CSU, SPD und FDP zum Benachteiligtenprogramm in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dreßler, Heyenn, Andres, Egert, Dr. Haack, Hasenfratz, Kirschner, Peter ({0}), Reimann, Schanz, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Frau Weiler, von der Wiesche, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten ({1}) - Drucksache 11/956 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Mit dem heute zur ersten Beratung anstehenden Entwurf eines Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes greift die SPD ein Thema erneut auf, das dringend geregelt werden muß. Es geht schlicht und einfach darum, die längst überholte Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Kündigungsrecht zu beseitigen. In der letzten Legislaturperiode wurde von uns ein Bleichlautender Gesetzentwurf eingebracht und von der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen werden wohl nicht bestreiten können, daß der unterschiedliche Kündigungsschutz für Arbeiter und Angestellte durch Verfassungsgerichtsbeschluß vom 16. November 1982 für grundgesetzwidrig erklärt wurde. Seitdem gibt es einen Zustand unerträglicher Rechtsunsicherheit. Das Bundesarbeitsgericht hat schließlich im Jahre 1985 verschiedene anhängige Verfahren ausgesetzt und ebenfalls auf die dringend erforderliche gesetzliche Regelung hingewiesen. Es ist schon bezeichnend: Wenn es um die Abschaffung oder um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten geht, ist die Koaliton sehr flott. Ich verweise beispielhaft nur auf die Einschränkung des Kündigungsschutzes nach dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz, auf die Verschlechterungen des Arbeitsförderungsgesetzes insgesamt und speziell auf die Änderung des § 116 AFG. Schließlich ist ein Beispiel für die Verschlechterung arbeitsrechtlicher Bestimmungen auch die bevorstehende Verabschiedung des sogenannten Dienstleistungsabends. Wenn es aber um die Verbesserung von Arbeitnehmerrechten oder, wie hier, um die Vereinheitlichung des Kündigungsrechts für Arbeiter und Angestellte geht, dann sind die Konservativen nicht in der Lage, in sage und schreibe sechseinhalb Jahren die notwendigen gesetzlichen Folgerungen aus einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu ziehen. Seit dem im Jahre 1986 abgelehnten SPD-Gesetzentwurf hat die Bundesregierung auf Anfrage verschiedentlich erklärt, es komme ein Vorschlag; nur wann, das hat sie nie klar beantwortet. Auch über das Wie gibt es nur nebulöse Vorstellungen. Wir geben Ihnen mit unserem Gesetzentwurf nunmehr erneut Gelegenheit, endlich mit der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten im Arbeitsrecht, hier speziell im Kündigungsrecht, Schluß zu machen. ({0}) Können Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, mir eigentlich einmal erklären, womit eigentlich die unterschiedlichen Kündigungsfristen nämlich für Arbeiter 14 Tage und für Angestellte sechs Wochen zum Quartalsende, noch zu begründen sind? Mobilität und betriebliche Bindung - das waren einmal die Gründe dafür - können doch einen solchen Unterschied heute wirklich nicht mehr rechtfertigen. Diese sind doch auf Grund der technischen Entwicklung für Arbeiter und Angestellte gleich. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht festgestellt, daß es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, wenn man bei der Berechnung von Kündigungsfristen bei Angestellten die Beschäftigungszeit ab dem 25. Lebensjahr berücksichtigt, bei Arbeitern jedoch Beschäftigungszeiten vor dem 35. Lebensjahr unberücksichtigt läßt. Sagen Sie mir bitte nicht, daß Verfassungsgericht habe zu den eigentlichen Kündigungsfristen noch keine Entscheidung getroffen. Wenn schon eine Unterscheidung bei der Berechnung längerer Kündigungsfristen verfassungswidrig ist, dann kann wohl eine Unterscheidung bei den Kündigungsfristen erst recht nicht erlaubt sein. ({1}) Ich habe bei der Beratung im Jahre 1986 zum Ausdruck gebracht, daß die Unterscheidung bei den Kündigungsfristen letzte Reste einer Klassengesellschaft unter Arbeitnehmern sei. Heute kann ich das erneut nur wiederholen. In eine berufsständisch gegliederte Gesellschaft mögen ja solche Unterscheidungen passen, zu einer modernen Industriegesellschaft paßt das keineswegs mehr. Auf Anfragen hat die Bundesregierung im Jahre 1987 angekündigt, sie wolle in dieser Legislaturperiode einen ersten Schritt zur Angleichung der für Arbeiter und Angestellte geltenden, bisher unterschiedlichen Regelung tun. Diese Antwort kann man nur als hinhaltend bezeichnen. Bis heute liegt jedenfalls dem Bundestag von den Koalitionsparteien und auch von der Bundesregierung kein entsprechender Gesetzentwurf vor. Ganz so freiwillig scheint die Bundesregierung die Antwort seinerzeit ohnehin nicht gegeben zu haben; denn das Bundesverfassungsgericht sitzt dem Bonner Arbeitsministerium im Nacken. Wie man hört, soll es im Bundesarbeitsministerium einen Brief aus Karlsruhe geben, der zum Inhalt hat, daß es die Richter für einen Zustand unerträglicher Rechtssicherheit halten, daß das Kündigungsrecht noch immer nicht geändert worden ist. In dem Brief soll es dann weiter heißen, auf eine Neuregelung durch die Gesetzgebung könne man auf unabsehbare Zeit nicht warten. Ich meine, mit der Ausrede, daß eine solche Materie wegen ihrer Schwierigkeit nicht in einem schnellen Verfahren geregelt werden könne, kann die Bundesregierung nicht kommen. Sechseinhalb Jahre sind wohl keine kurze Zeit. Mehr Gerechtigkeit darf schließlich nicht im Schneckentempo gefahren werden. Wir halten die Angleichung und rechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, hier im Kündigungsrecht, für einen wichtigen Schritt zur Weiterentwicklung des Arbeitsrechtes, um ein einheitliches Arbeitsrecht für alle Arbeitnehmer zu erhalten. ({2}) Beweisen Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, daß es Ihnen mit der Fortentwicklung des Arbeitsrechts und mit der Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer ernst ist und daß Sie nicht nur schnell im Verschlechtern der Arbeitnehmerrechte sind. Sie haben Gelegenheit, unseren Gesetzentwurf bei den Beratungen zu unterstützen. Ich fordere Sie dazu auf. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kündigungsfristen des Arbeitsrechts waren schon wiederholt Gegenstand der Diskussion im Bundestag. Die unterschiedlichen Regelungen für Arbeiter und Angestellte sind auf Grund der Entwicklungen in der Arbeitswelt für qualifizierte Arbeiter in der Tat nicht mehr befriedigend. ({0}) Bei näherem Hinsehen sieht man jedoch, daß die Problemlösung schwieriger ist, als es auf den ersten Blick erscheint. ({1}) Beim Kündigungsschutz geht es schon allein um ca. 21,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und - dies betone ich - auch um knapp über zwei Millionen Arbeitslose. Normalerweise dramatisieren Sie an dieser Stelle immer das Arbeitslosenproblem und weisen uns darauf hin, daß es zu viele Langzeitarbeitslose gibt. Heute habe ich von Ihnen, Frau Steinhauer, darüber kein Wort gehört. ({2}) - Ich werde Ihnen schon erklären, wie die Zusammenhänge aussehen. ({3}) Mit Ihrem Gesetzesvorschlag denken Sie nur an die Arbeitbesitzenden. Für den Arbeitslosen erhöhen Sie dadurch die Hürden. ({4}) Mit diesem Interessenkonflikt sezten Sie sich offensichtlich - das beweisen Ihre Zwischenrufe - nicht genügend auseinander. ({5}) Meine Damen und Herren, die Fragen sind doch nicht neu. ({6}) Wenn es so einfach gewesen wäre, dann hätten Sie es doch in Ihrer Regierungszeit ganz lässig erledigen können. ({7}) Damals sind Sie bereits vor Flugblattaktionen der DAG in die Knie gegangen. Anschließend haben Sie fünf Jahre keinen einzigen Buchstaben im Gesetz bewegt. Jetzt machen Sie sich die Sache ganz einfach: Sie gehen hin und handeln nach dem Prinzip „Kaviar für alle". ({8}) Ohne Zweifel wollen alle Kaviar. ({9}) - Herr Kollege Andres, seien Sie vorsichtig, sonst zitiere ich einmal die FAZ vom 7. Dezember 1988. ({10}) Man darf doch nicht nur an die denken, die bereits am Tisch sitzen. Das ist nämlich in der Konsequenz der Inhalt Ihres Gesetzentwurfes, und zwar aus folgenden Gründen: Bei der Weiterentwicklung des Kündigungsschutzes kommt es nicht nur an auf erstens die Sicherstellung weitgehender Selbstverantwortung der Tarifvertragsparteien, zweitens die Vermeidung von Schlechterstellungen derzeitiger Besitzstände, drittens das verfassungsrechtliche und sozialpolitische Gebot einer möglichst weitgehenden Gleichbehandlung, das meines Erachtens auch im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsgebot zu sehen ist, sondern viertens auch darauf, keine neuen Einstellungshindernisse entstehen zu lassen. Wie geht nun die SPD die Probleme an? Hier kann man auf das zurückschauen, was in den 70er Jahren geleistet wurde. In den 70er Jahren war das Problem ja auch schon bekannt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage zuzulassen.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kühbacher, bitte.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchtel, da Sie auf dem draußen laufenden Fernsehbild als Mitglied der SPD ausgewiesen werden, ({0}) möchte ich Sie fragen, wie Sie dazu kommen, meinen Kollegen Andres hier mit einer Drohung zu konfrontieren, Sie würden aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Dezember 1988 zitieren. Da ich den Artikel nicht kenne, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das jetzt sofort machen würden.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie darauf Wert legen, werde ich das gerne tun. Es handelt sich um einen Artikel unter dem Begriff „Fundsachen". Es ist eine Antwort des niedersächsischen Spitzenkandidaten der SDP Gerhard Schröder, an den Bundestagsabgeordneten Andres. Da Sie Wert darauf gelegt haben, darf ich zitieren: Lieber Gerd, ich habe den Brief erhalten. Ich bin der Auffassung, daß der Brief ergibt, daß Deine Dreistigkeit sich umgekehrt proportional zu Deiner Intelligenz verhält. Mit freundlichen Grüßen, Gerhard Schröder. ({0}) Meine Damen und Herren, Sie haben Wert darauf gelegt, daß ich Ihnen das zitiere. ({1}) - Daß er seine Dreistigkeit in gleicher Weise hier an meiner Person fortsetzt. ({2}) Meine Damen und Herren, zurück zur Sache. In den 70er Jahren kam die SPD nicht weiter. Es gab damals den Kommissionsentwurf eines Arbeitsgesetzbuchs, in dem auch Eingriffe in die Besitzstände der Angestellten vorgesehen waren. Das Ergebnis Ihrer weiteren Arbeit: völliger Lösungsverzicht. Heute heißt die SPD-Richtlinie, wie übrigens auch in anderen sozialpolitischen Fragen: everybody's darling durch Maximalforderungen. Sie tun aber mit dieser Haltung ganz gewiß denjenigen keinen Gefallen, denen Sie ansonsten immer Ihre besondere Unterstützung zusichern, den Arbeitslosen nämlich. Man muß den Zeitpunkt der Weiterentwicklung des Kündigungsrechtes gerade in der jetzigen Zeit ganz sicher unter den aktuellen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes sehen. ({3}) Hier muß Solidarität vor Gruppeninteressen gelten. Vor der Tür stehen nicht Facharbeiter - das will ich Ihnen jetzt noch weiter begründen -, denn die werden gesucht. Es warten die Arbeitskräfte ohne Berufsausbildung vor der Tür. Im Jahre 1988 waren dies 51 % der Arbeitslosen, und bei den Langzeitarbeitslosen waren es sogar 57 %. Für diese Gruppe zeigte es sich nicht nur in der Vergangenheit als Nachteil, daß durch die überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen in den unteren Lohngruppen die sogenannten einfachen Arbeiten ziemlich teuer geworden sind. Wenn Sie da durch die rigorose Anhebung der Kündigungsfristen noch eines draufsetzen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn auch zusätzliche Programme für Langzeitarbeitslose keine Wirkung zeigen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Fuchtel, sind Sie noch einmal bereit, eine Zwischenfrage von Frau Steinhauer zuzulassen?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir einmal erklären, was eine leichtere Kündigung mit einem Arbeitslosen zu tun hat? Ist es nicht vielmehr so, daß eine leichtere Kündigung mehr Arbeitslosigkeit schafft?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Kollegin, Sie unterschätzen eben die Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit, Arbeit und den Kündigungsvorschriften. Wir sind der Auffassung, daß man Langzeitarbeitslosigkeit nicht allein durch zusätzliche Programme beseitigen kann und daß man in der jetzigen Phase auf keinen Fall hergehen und Einstellungen durch eine Erhöhung der Kündigungsschutzzeiten behindern sollte. ({0}) - Ich merke, daß Sie hier noch einigen Informationsbedarf haben, um diese Zusammenhänge endlich zu begreifen. Wir bemühen uns schon sechseinhalb Jahre vergeblich darum, Ihnen das beizubringen. Ich darf zusammenfassen. Ihr Entwurf ist in der aktuellen Arbeitsmarktsituation ganz sicher ein absolut falsches Signal. Die - das bestreite ich überhaupt nicht - zweifellos vorhandenen Aufgaben müssen mit mehr Behutsamkeit angegangen werden. ({1}) - Moment. - Nach einer alten Fallschirmspringerregel soll man zunächst einmal dort landen, wo Platz ist. Den Platz hat das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Entscheidungen verdeutlicht. ({2}) Nach Art. 3 Grundgesetz ist das unterschiedliche Einstiegsalter bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten von Arbeitern und Angestellten verfassungswidrig. ({3}) Genau dazu - jetzt hören Sie einmal genau zu, denn dies geht über den Kenntnisstand, den die Frau Steinhauer vorgetragen hat, hinaus - hat die Bundesregierung in den letzten Tagen eine gesetzliche Regelung beschlossen. Künftig werden bei der Berechnung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Beschäftigungsdauer für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen die Zeiten ab Vollendung des 25. Lebensjahres berücksichtigt. Das ist also eine Angleichung auf dem höheren Niveau der Angestellten. Ich weiß, daß Ihnen das nicht weit genug geht, aber das ist der erste Schritt seit 1969, und das ist hundert Prozent mehr, als die SPD in 13jähriger Regierungszeit bewegt hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es gibt noch einmal den Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Abgeordneten Schreiner.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Schreiner.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber die Uhr hier läuft weiter, Herr Präsident, wie ich feststelle.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe sie zwischendurch abgestellt.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchtel, nachdem Sie jetzt mehrfach erklärt haben, daß es Zusammenhänge zwischen der Lockerung von Arbeitnehmerschutzrechten und der Arbeitslosigkeit gebe, will ich Sie fragen, wie Sie die gegenwärtige Situation, die sich dadurch kennzeichnen läßt, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren ja nun mehrfach und massiv negativ in Arbeitnehmerschutzrechte eingegriffen hat, die Massenarbeitslosigkeit aber relativ stabil geblieben ist, begründen und aus welcher Begründung Sie Ihre Hoffnung schöpfen, daß sich durch die von Ihnen angedeutete Vision, die Arbeitnehmer für vogelfrei zu erklären, das Problem der Massenarbeitslosigkeit lösen läßt?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schreiner, erstens habe ich in diesem Zusammenhang nicht von Lockerung gesprochen. ({0}) - Ich lasse mir nicht gern das Wort im Munde umdrehen. Zweitens wären, auch wenn man andere Regelungen zugrunde legte, die Arbeitslosenzahlen sicher weiter so gestiegen, wie es der Fall war, als Sie in der Regierung waren. ({1}) Meine Damen und Herren, weiterer Regelungsbedarf besteht. Das ist unstreitig. Es ist damit aber nicht so dramatisch eilig, weil die Sicherung der Arbeitnehmer über die gesetzlich festgelegten Mindestkündigungszeiten hinaus noch durch das Kündigungsschutzgesetz und durch vorgenommene oder auf jeden Fall mögliche Tarifregelungen ergänzt wird. Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, daß man weitere Schritte auch nicht so isoliert sehen sollte. Die Einordnung der Arbeitnehmer in zwei Gruppen ist mit einer Menge von Fragen im Betriebsverfassungsgesetz, aber auch in anderen Bereichen, beispielsweise im Sozialversicherungsrecht, verzahnt. ({2}) Wir meinen, daß man dies mit einer wohldurchdachten Konzeption und eigentlich auch zu Beginn einer Legislaturperiode angehen sollte. Unter diesen Umständen ist es ein guter Weg, zunächst die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über den Handlungsspielraum abzuwarten, was die Grundkündigungszeiten und verlängerte Kündigungszeiten betrifft. ({3}) Auf dieser Basis muß dann gesetzgeberisch weitergearbeitet werden. Diesen Weg beschreitet die Bundesregierung. Wir werden sie darin unterstützen. - Soweit ich mich erinnere, lieber Herr Kollege Heyenn, haben wir beide den gleichen beruflichen Status. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Heyenn, ich habe - es ist schon eine Weile her, aber ich sage es jetzt am Ende der Rede - von hier oben einen Zwischenruf gehört, der unseren sprachlichen Umgang miteinander betrifft: „So ein Quatsch! " Einen solchen Ausdruck sollte man hier nicht noch einmal verwenden. ({0}) - Dann müssen Sie das, Herr Kollege Schreiner, an anderer Stelle tun, aber bitte nicht in diesem Saal. Ich finde, wir sollten noch ein wenig auf Sprachkultur achten. Jetzt hat Herr Abgeordneter Hoss das Wort.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon verwundert, daß der Kollege Fuchtel von der CDU als Sozialpolitiker in solch einer Weise knallhart die Positionen des Arbeitgeberlagers vertritt ({0}) und im Grund noch nicht einmal das tut, was andere Kollegen von dieser Fraktion tun, nämlich auch im Sinne der Arbeitnehmer zu denken. ({1}) Die Sachlage, um die es geht, ist eigentlich so einfach, daß man sich wundert, wieso die Bundesregierung noch nicht den Weg gefunden hat, sich mit dieser Frage positiv auseinanderzusetzen. Es geht doch um das Problem der Aufhebung bestehender Unterschiede, nämlich darum, bei den generellen Mindestkündigungsfristen den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben. Sie liegen nach der derzeitigen gesetzlichen Grundlage für Arbeiter bei 14 Tagen und für Angestellte bei 6 Wochen. Wenn der Kollege Fuchtel das damit vergleicht, daß nicht jeder Kaviar essen kann, dann finde ich das eigentlich als den Gipfel eines Vergleichs, weil es hier doch darum geht, sich darüber zu unterhalten: Ist es heute noch gerechtfertigt, einen solchen Unterschied zu machen, ({2}) daß die Arbeiter 14 Tage und die Angestellten 6 Wochen Kündigungsfrist haben? Da muß doch schon der gesunde Menschenverstand sagen, daß hier etwas nicht stimmt. Auf der anderen Seite stimmt doch auch etwas nicht, wenn die Beschäftigungsdauer in einem Betrieb auf die Länge der Kündigungsfrist bei Angestellten und Arbeitern einen unterschiedlichen Einfluß hat: Bei Angestellten wird das schon vom 25. Lebensjahr an berechnet, und wenn jemand Arbeiter ist, wird es erst vom 35. Lebensjahr an gerechnet. Und wenn hier die Frage gestellt wird, ob das in unserem Zeitalter, kurz vor dem Auslaufen des 20. Jahrhunderts, in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft nicht verändert werden sollte, dann sagt Herr Fuchtel dazu: Es kann nicht jeder Kaviar haben. Herr Fuchtel, überlegen Sie sich einmal Ihren Vergleich! Die Verschiedenartigkeit der Entwicklung von Arbeitern und Angestellten hatte sicher am Anfang der Industriegesellschaft oder bis zur Beendigung des Krieges oder auch in den ersten Nachkriegsjahren noch ihre Berechtigung. Der Arbeiter war der Malocher, der harte Arbeit leisten und in Schichten arbeiten mußte, während der Angestellte mit Stehkragen am Schreibpult unter besseren Arbeitsbedingungen beschäftigt war. Er hatte auch in der Hierarchie des Betriebes eine andere Position. Heute steht der Computer in der Werkhalle. An den Maschinen sind Computersysteme installiert. Es gibt CNC-Maschinen. Heute haben bei den Angestellten im Büro fließbandartige Tätigkeiten Einzug gehalten. Die Angestelltentätigkeiten werden maschinisiert, sie werden vereinfacht. Die Positionen haben sich also angeglichen, und die arbeitsrechtliche Realität stellt sich auch schon darauf ein: Das Bundesurlaubsgesetz und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz machen schon keinen Unterschied mehr zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern formulieren die Bedingungen für beide gleich. Warum soll man jetzt diesem Vorschlag der SPD, den wir GRÜNE voll akzeptieren und unterstützen, nicht nachkommen? Auch im tarifrechtlichen Bereich werden ja doch die Fragen schon so angegangen, daß man heute viele Tarifverträge abschließt, in denen die Arbeiter und Angestellten eben nicht mehr unterschiedlich behandelt werden. Es geht also im Grunde um die Frage: Warum tun Sie das eigentlich? Herr Fuchtel, ich hatte hier eine Begründung - Sie haben sie schon vorweggenommen - : weil Sie mit Ihrer Position eindeutig nur von den Arbeitgebern ausgehen, weil es genau in Ihre Position der Deregulierung von Arbeitsverhältnissen hineinpaßt, weil Sie die Schutzrechte, die die Arbeiter heute haben, zugunsten der Verfügungsgewalt der Unternehmer über die Arbeitnehmer abbauen wollen, damit sie sie schneller auf den Arbeitsmarkt zurückschmeißen können. Sie haben es ganz deutlich ausgedrückt: Sie wollen nicht, daß die Arbeiter längere Kündigungszeiten haben. Sie haben sich doch schon Instrumente geschaffen; Herr Becker, Sie wissen es doch ganz genau: Es gibt die Probezeit. Wenn jemand eingestellt wird, kann man ihn im ersten halben Jahr im Grunde von einer Woche auf die andere wieder entlassen, wenn es nicht klappt. Durch das Beschäftigungsförderungsgesetz haben Sie sich ein Instrument geschaffen, befristete Arbeitsverträge abzuschließen, die bis zu zwei Jahren gehen. Jetzt wollen Sie auch dieses Instrument noch nicht aus der Hand geben; das heißt, Sie laufen eindeutig in die Linie der Unternehmer. Sie beklagen die Langzeitarbeitslosigkeit, und Sie sagen lauthals, daß Sie da auch etwas machen wollen. Aber das Signal in Richtung Unternehmer, die Kündigungsbedingungen der Arbeiter denen der Angestellten anzugleichen, wäre für die Langzeitarbeitslosen ein günstiges Signal, weil es dazu führen würde, den Unternehmern zu zeigen, daß Sie sich als Koalition für die Interessen derjenigen einsetzen, die der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind, das auch denen zu zeigen, die jetzt noch in Arbeit sind, und denen die heute Langzeitarbeitslose sind, besonders ältere Arbeitnehmer. Eigentlich hat es keinen Wert, Ihnen anheimzustellen, daß Sie sich das noch einmal überlegen, weil Sie hier ganz eindeutig Ihre Position dargestellt haben. Wir werden jedenfalls in den Beratungen versuchen, auf diese Punkte noch deutlicher aufmerksam zu machen. Denn letzten Endes kommt eine Änderung nur, wenn die Leute, die dort oben als Zuschauer sitzen, sich darüber Gedanken machen, ihr Wahlverhalten ändern und sich überlegen, ob man Sie, Herr Fuchtel, mit Ihrer Partei weiterhin wählen kann. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Getreu dem Motto „The same procedure as last year" legt die SPD einen inhaltsgleichen Gesetzentwurf wie in der vergangenen Legislaturperiode vor; die Frau Kollegin Steinhauer hat auch schon darauf hingewiesen. ({0}) Aber auch als Reprise wird es nicht besser. Zur Zeitersparnis könnte man eigentlich auf die Plenar- und Ausschußberatungen im Jahre 1986 verweisen. Fast habe ich den Eindruck, als solle das Arbeitsverhältnis zu einem kaum auflösbaren Ehebund umgestaltet werden, wobei Scheidungen wohl nur durch eine Seite möglich sein sollen. Eine solche Politik, eine sehr weitgehende Rechtsprechung in diesem Bereich, scheint zwar die zu schützen, die in Arbeit sind, schafft aber - darüber muß man sich im klaren sein - neue und zusätzliche Barrieren für all diejenigen, die Arbeit suchen; Kollege Fuchtel hat hier völlig zu Recht darauf hingewiesen. Wer kleine und mittlere Unternehmen mit immer neuen arbeits- oder sozialrechtlichen Anforderungen überzieht, der darf sich nicht wundern, wenn diese für die Beschäftigungsentwicklung maßgeblichen Unternehmen vor der Einstellung von Arbeitskräften zurückschrecken, wenn sie nicht ganz unumgänglich ist, und statt dessen mit Zustimmung des Betriebsrates Überstunden fahren. Hier kennen wir Ihre Position, daß Sie auch nicht besonders gerne Überstunden haben. Aber Sie treiben sich selbst dadurch in die Überstundenpolitik hinein. ({1}) Wenn Sie dieses Ergebnis nicht wollen, kann ich Sie nur auffordern, Ihren Gesetzentwurf weitgehend zurückzuziehen und den von uns vorgesehenen Verlängerungen im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes zuzustimmen. ({2}) - Es kann ja jeder einmal gescheiter werden, Herr Kollege Andres. Es ist richtig, daß das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Änderung der unterschiedlichen Berechnung der Beschäftigungsdauer bei Angestellten und Arbeitern für die verlängerte Kündigungsfrist aufgetragen hat. Die Bundesregierung hat zu dieser Problematik den gesetzgebenden Körperschaften in diesen Tagen einen Gesetzentwurf zugeleitet, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nachkommt, Frau Kollegin Steinhauer; das ist geschehen. ({3}) - Sie haben wieder nicht zugehört; aber Sie können das in meiner Rede gegebenenfalls nachlesen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr, Herr Kollege.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, nachdem Sie soeben noch einmal die Vorzüge des Beschäftigungsförderungsgesetzes und damit der Möglichkeit, verstärkt Zeitverträge einzusetzen, gelobt haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß für einen Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin die Aussicht, auf längere Zeit beschäftigt zu sein, ein humaner Wert ist, weil er bzw. sie damit sein bzw. ihr Leben und das Leben der Familie einigermaßen planen kann. Oder sind Sie mit mir der Auffassung, daß das, was Sie soeben propagiert haben, nämlich die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zunehmend von noch vorhandenen Schutzrechten zu entkleiden, dazu führt, daß das Problem der sogenannten Rotationsarbeitslosigkeit - Menschen sind für eine gewisse Weile beschäftigt, sind für eine Anschlußdauer arbeitslos, danach, wenn sie viel Glück haben, wieder beschäftigt - zu einer Situation führt, die mit einem humanen Arbeitsverständnis überhaupt nichts zu tun hat?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schreiner, ich bin nicht Ihrer Auffassung. Ich bin der Meinung, es gibt unterschiedliche Bedürfnisse, und es gibt unterschiedliche Situationen, in denen das Beschäftigungsförderungsgesetz durchaus berechtigt angewandt wird. Deshalb wollten wir das Beschäftigungsförderungsgesetz auch verlängern. Aus diesem Grund haben wir auch für eine Verlängerung votiert. ({0}) Die von Ihnen geforderte generelle Vereinheitlichung aller Kündigungsfristen ist jedoch Gegenstand eines weiteren Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen Ausgang wegen der möglichen Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete abgewartet werden sollte. Wir müssen selbstverständlich abwarten, bis das Gericht gesprochen hat. Dann werden wir uns danach richten. So wird es getan. Natürlich sehen auch wir, daß die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen auch zu Veränderungen in der Struktur der Arbeitnehmerschaft führen. Das ist ein Kapitel, das einige Gewerkschaften in zunehmendem Maße beschäftigt. Ob allerdings im Zeitalter der größeren Flexibilisierung und größerer Differenzierung Einheitsregelungen, wie Sie sie vorschlagen, der geeignete Weg sind, muß gefragt werden. Das berührt genau die Frage, die Sie gerade gestellt haben, Herr Kollege Schreiner. Die SPD ist gegen eine Flexibilisierung, und die SPD ist gegen eine größere Differenzierung in diesen Bereichen. Deshalb will sie die Zusammenhänge einfach nicht erkennen. Es muß ebenso gefragt werden, ob wirklich jeweils das höchste Niveau Maßstab der Anpassung sein soll. Wenn man eine Spanne zwischen 14 Tagen und sechs Wochen hat, wird man kaum die sechs Wochen abstufen, sondern man wird die 14 Tage aufstufen. So einfach ist das. Kein Mensch wird sich abstufen lassen. Aus diesem Grund werden wir den Gerichtsspruch abwarten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heinrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD nicht generell gegen eine Flexibilisierung ist, sondern nur insoweit, als Arbeitnehmer zum beliebigen Spielball von Arbeitgeberinteressen gemacht werden?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schreiner, ich muß mich wundern. Sie kommen doch aus einer Region, in der Sie immer die hohe Arbeitslosigkeit beklagen. Sie sollten eigentlich über jede Möglichkeit froh sein, die von seiten der Arbeitgeber geboten wird, daß Beschäftigung stattfinden kann. Deshalb verstehe ich einfach nicht, wie Sie sich hier in dieser Art und Weise zu einer Frage aufschwingen. ({0}) Auf jeden Fall ist ein dauerndes Drehen an der Schraube arbeits- und sozialrechtlicher Reglementierung kein Beitrag für mehr Beschäftigung, sondern eher ein Beitrag zur Erprobung der Belastungsfähigkeit der Wirtschaft und damit gegen mehr Beschäftigung. Herzlichen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hasenfratz.

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Ihren Ausführungen, Herr Fuchtel: Sie haben gesagt, diese Kündigungsfristen seien beschäftigungshemmend. ({0}) Sie haben ja schon ein Beispiel geliefert durch das Beschäftigungsförderungsgesetz, durch die Veränderung des Schwerbehindertengesetzes, das Jugendarbeitsschutzgesetz. Ich frage Sie an dieser Stelle: Wo hat diese Veränderung zu mehr Arbeitsplätzen geführt? Damit können Sie überhaupt nicht aufwarten. Herr Heinrich, aus Ihren Ausführungen muß ich entnehmen, daß es Ihnen am liebsten wäre, sämtliche Kündigungsschutzrechte für Arbeitnehmer generell abzuschaffen. ({1}) Es ist kaum zu glauben, im November 1982 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die jetzigen Regelungen über die Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten, die in § 622 Abs. 2 BGB geregelt werden, verfassungswidrig sind und damit den Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen überhören diese Aufforderung aber bis zum heutigen Tage. ({2}) Ihre lange Leitung ist wirklich bewundernswert. Sie steht ganz im Gegensatz zu den Aussprüchen Ihres Arbeitsministers, der hier immer tönt: Wir reden nicht, wir handeln. Meine Damen und Herren, als wir in der vergangenen Legislaturperiode genau diese Gesetzesinitiative zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten eingebracht hatten, fiel dem Kollegen Louven in seiner Rede am 21. Februar 1986 nicht viel anderes ein, als darauf hinzuweisen, daß die derzeitigen gesetzlichen Unterschiede für Arbeiter und Angestellte nicht mehr der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte entsprechen würden. Mit fadenscheinigen Begründungen haben Sie aber dennoch unseren Gesetzentwurf abgelehnt. Begründet wurde die Ablehnung damit, daß sie nicht in einem so schnellen Verfahren durch den Gesetzgeber geregelt werden könne, weil die Materie so komplex sei. Dazu seien vielmehr umfassende Beratungen nötig. Zur Klarstellung: Es geht um einen einzigen Paragraphen im Bürgerlichen Gesetzbuch und die sich daraus ergebenden drei weiteren Änderungen im Schwerbehindertengesetz, im Seemannsgesetz und im Heimarbeitsgesetz. Über die Sorgfalt, daß die Regierungskoalition nichts unter Zeitdruck entscheiden will, kann ich wirklich nur staunen. Sie haben - beispiellos in der Parlamentsgeschichte - die 307 Paragraphen des sogenannten Gesundheitsreformgesetzes mit weiteren 77 Artikeln durch dieses Parlament und seine Ausschüsse gepeitscht, ohne daß die Bedenken von der Opposition oder der Sachverständigen zur Kenntnis genommen wurden. ({3}) Daraus kann ich nur schließen, daß es nicht der Beratungsbedarf war, der Sie in der letzten Legislaturperiode zur Ablehnung trieb. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Zeit ist überreif. Es ist mehr als zeitgemäß, die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte zu vereinheitlichen. Beratungen hat es in Wirklichkeit auch längst gegeben. Die Fragen der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte sind in der Arbeitsgesetzbuchkommission Mitte der 70er Jahre sehr sorgfältig erörtert worden. Diese Kommission, in der Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und unabhängige Wissenschaftler vertreten waren, hat sich eindeutig für eine einheitliche Lösung für Arbeiter und Angestellte ausgesprochen. An diese Lösung knüpft unser Gesetzentwurf an. Sie scheinen außerdem völlig zu vergessen, daß die soziale Wirklichkeit in den Betrieben längst anders aussieht: Unterscheidungen zwischen Angestellten und Arbeitern gibt es dort kaum noch. Diese Veränderungen spiegeln sich auch in vielen Tarifverträgen wider. So ist in einem Tarifvertrag der Metallindustrie für das Tarifgebiet Nord-Württemberg/Nord-Baden ein Lohn- und Gehaltsrahmentarif abgeschlossen worden, der gemeinsam für Arbeiter und Angestellte gilt. Für die rund 700 000 Beschäftigten in der chemischen Industrie ist im letzten Jahr der gemeinsame Entgelttarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in Kraft getreten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fuchtel?

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie mir einmal sagen, warum die Tarifparteien nicht in gleicher Weise auch die Frage der Kündigungsfristen tarifvertraglich weiter betrieben haben?

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Fuchtel, das Bundesverfassungsgericht hat Sie, den Gesetzgeber, aufgefordert, endlich zu handeln, und die Tarifvertragsparteien können nicht Reparaturwerkstatt für Ihr Versagen sein. ({0}) An die Stelle der bislang getrennten Lohn- und Gehaltstarife trat ein einheitliches System von 13 Einkommensgruppen für Arbeiter und Angestellte. Die Festlegung der Einkommen ausschließlich nach Qualifikations- und Anforderungsprofil hat über die Chemie hinaus eine langfristige gesellschaftspolitische Bedeutung. Dadurch wird verhindert, daß ein Facharbeiter oder ein Handwerker für die gleiche Arbeit einige Hunderter im Monat weniger bekommt als der Kollege „Technischer Angestellter". In dem Betrieb, in dem ich Betriebsratsvorsitzender bin, gibt es eine Betriebsvereinbarung über Kündigungsschutz und einheitliche Kündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse von Arbeitern und Angestellten. Wenn Sie also Beratungshilfe brauchen, gebe ich Ihnen diese Vereinbarung gerne als Musterbeispiel. ({1}) Was war also der wahre Grund für Ihre Ablehnung, meine Damen und Herren von der Koalition? Warum mißachten Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? In welchem Jahrhundert leben wir denn, daß Sie weiterhin Wert darauf zu legen scheinen, eine Trennlinie zwischen Arbeitern und Angestellten zu ziehen? Es genügt ein einziger Blick auf die von Ihnen durchgesetzten Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz: Sie wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben spalten. Sie wollen verhindern, daß gemeinsame Interessen auch gemeinsam vertreten werden. Sie wollen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu einer beliebig manipulierbaren Masse machen nach dem Motto: Heuern und feuern. Und Sie hoffen darauf, daß die Kollegen in den Betrieben das nicht merken. Diese Rechnung kann und wird nicht aufgehen. Sie sagen, Sie erwarten sich Aufschluß von einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Liegt diese dann vor, so werden Sie sich, wie ich Sie kenne, förmlich in eine eigene Gesetzesinitiative hineinstürzen. Was, bitte, erwarten Sie eigentlich für eine Entscheidung? Ich habe eher das Gefühl, es kommt Ihnen schon ganz gelegen, daß Sie glauben, sich auch weiterhin mit dem Argument aus der Affäre ziehen zu können, die Karlsruher Richter hätten ja noch nicht entschieden. Erstaunt über Ihre Haltung sind wir allerdings alle nicht. Sie haben sich mit Ihrem Beschäftigungsförderungsgesetz ja schon längst von dem Thema Kündigungsfristen verabschiedet; von solchen Fristen ist hier gar nicht mehr die Rede. Nennen Sie mir bitte auch nur einen einzigen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Bemessung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten! Abgesehen von den unterschiedlichen Kündigungsfristen gibt es im Arbeitsvertragsrecht so gut wie keine nennenswerten Unterschiede mehr zwischen Arbeitern und Angestellten. Wir fordern Sie daher auf, die historisch überholte Festlegung der Kündigungsfristen endlich zu ändern. Für alle Arbeitsverhältnisse sollen die ordentlichen Kündigungen mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende möglich sein. Wie bisher soll durch Tarifvertrag eine kürzere Kündigungsfrist festgelegt werden können. Für die Arbeitsvertragsparteien bleibt die Möglichkeit bestehen, einzelvertraglich eine kürzere Kündigungsfrist, die allerdings einen Monat nicht unterschreiten darf, zu vereinbaren. Damit fordern wir nichts anderes als ein einheitliches Arbeitsrecht für Arbeiter und Angestellte. Sie haben vorhin, Herr Fuchtel, in Ihrer Zwischenfrage noch einmal gefragt, warum das nicht den Tarifvertragsparteien überlassen wird. ({2}) Als die Gewerkschaften 1984 für die Einführung der 35-Stunden-Woche gestreikt haben, haben Sie die Gewerkschaften beschimpft, an der Spitze der Bundeskanzler Kohl. ({3}) Er hat es „dumm, absurd und töricht" genannt. Und heute verweisen Sie wieder auf die Tarifvertragsparteien; sie sollen den Umstand, daß Sie nicht gehandelt haben, wieder reparieren. ({4}) Ich fordere Sie deshalb auf: Geben Sie diesem Gesetzentwurf endlich Ihre Zustimmung! Machen Sie Schluß mit Ihrer Hinhaltetaktik! Nehmen Sie die Verfassungsgerichtsurteile ernst, und zwar nicht nur dann, wenn sie in Ihre politische Linie passen! Danke schön. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Weng, im Interesse der Gleichbehandlung muß ich meine pädagogischen Bemühungen auch Ihrem Sprachgebrauch zuwenden. Sie haben Kenntnis von dem genommen, was ich vorhin dem Kollegen hier drüben gesagt habe. ({0}) - Denkt ihr, daß ich mich dazu verführen lasse? ({1}) Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit, Herr Seehofer. ({2})

Horst Seehofer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch amEnde dieser Debatte bleibt nur die Feststellung, daß sich die SPD das Geschäft wieder einmal sehr einfach macht. ({0}) Sie greifen Vorschläge auf, die Sie während Ihrer Regierungszeit nicht aufgegriffen haben, zu denen Sie sich während Ihrer Regierungszeit nicht bekannt haben und die Sie damals auch nicht als Gesetzentwurf eingebracht haben. ({1}) Es ist schon bemerkenswert, daß Sie den jetzigen Entwurf im wesentlichen auf die bereits im Jahre 1977 gemachten Vorschläge der Arbeitsgesetzbuchkommission beziehen, wobei hier noch einmal deutlich festzustellen ist, daß die Arbeitsgesetzbuchkommission einen mittleren Weg, einen ausgewogenen Kompromiß zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Wirtschaft angestrebt hatte, während Sie von der SPD einfach die Kündigungsfristen der Arbeiter auf das für Angestellte geltende Niveau anheben wollen. Gleichzeitig verlängern Sie, um auch für die Angestellten etwas scheinbar sozialpolitisch Gutes zu tun, deren Kündigungsfristen zum Teil noch über das geltende Recht hinaus. Über die Folgen, die sich aus diesen Vorschlägen für die Arbeitnehmer ergeben, die nicht im Erwerbsprozeß stehen, sondern noch einen Arbeitsplatz suchen, kümmern Sie sich nicht weiter. ({2}) Ich möchte aus der Sicht der Bundesregierung zu zwei Punkten Ihres Gesetzentwurfs Stellung nehmen, einmal zur Berechnung der Beschäftigungsdauer. Hier, Herr Kollege Hasenfratz, reden wir nicht; hier haben wir gehandelt. Die Bundesregierung hat nämlich gestern einen Gesetzentwurf beschlossen, dessen Ziel es ist, die bisher unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten im Bereich der Kündigungsfristen in einem wichtigen Punkt zu beseitigen. Parl. Staatssekretär Seehof er Sie wissen, daß sich nach dem geltenden Recht die Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit verlängern. Bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit werden bei Angestellten alle Zeiten berücksichtigt, die nach der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen. Bei Arbeitern werden demgegenüber erst Zeiten nach der Vollendung des 35. Lebensjahres angerechnet. ({3}) Künftig, Frau Steinhauer, sollen nach diesem Gesetzentwurf, der gestern von der Bundesregierung beschlossen wurde, auch bei Arbeitern die Zeiten berücksichtigt werden, die nach der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen. Hiermit kommt, wie dies heute bereits mehrfach ausgeführt wurde, die Bundesregierung einem Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nach, das die für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Berechnungsdauer - und nicht die Kündigungsfristen, Frau Kollegin - für verfassungswidrig erklärt hat. ({4}) Dieser Punkt des Verfassungsgerichts ist erfüllt. Zweitens zur unterschiedlichen Dauer der Kündigungsfristen: Weiterhin gelten für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Regelungen für die Grundkündigungsfristen und für die Dauer der entsprechend der Beschäftigungszeit verlängerten Kündigungsfristen. ({5}) - Lieber Herr Kollege von der Wiesche, warten Sie ab. Ihnen ist bekannt, daß auch hierzu dem Bundesverfassungsgericht mehrere Vorlagebeschlüsse von Gerichten zur Entscheidung vorliegen. Frau Steinhauer, erlauben Sie mir die Bemerkung: Das Bundesarbeitsgericht hat die Verfahren, die dort anhängig waren, ausgesetzt, um die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, und nicht, um die Entscheidung des Gesetzgebers abzuwarten. ({6}) Wir wollen - das unterstreichen die Ausführungen der Kollegen von CDU/CSU und FDP - die Wertung des Bundesverfassungsgerichts und damit die Klärung des verfassungsrechtlichen Handlungsspielraums für den Gesetzgeber zunächst abwarten. Nur dann, glauben wir, kann die notwendige Akzeptanz bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern erreicht werden. Die SPD hatte ja diesen Gesetzentwurf schon einmal am Ende der vergangenen Legislaturperiode eingebracht. ({7}) Damals hatten wir darauf hingewiesen, daß die Vereinheitlichung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte ebenso wie die Beseitigung sonstiger noch bestehender arbeitsrechtlicher Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten eine Aufgabe ist, der wir uns ohne Zweifel stellen müssen. Die herkömmliche Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten, die einerseits auf die körperlichhandwerkliche Tätigkeit und andererseits auf die mehr geistige Tätigkeit abstellt, mit teilweise immer noch unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen ist sicherlich - dies ist die Auffassung der Bundesregierung - weitgehend überholt. Aber so einfach, wie Sie es sich, meine Damen und Herren von der SPD, gemacht haben, geht es eben nicht. Ich möchte das nur durch folgende Hinweise verdeutlichen. Wir brauchen erstens eine Gesamtlösung, die auch die sonstigen noch bestehenden arbeitsrechtlichen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten berücksichtigt, z. B. im Lohnfortzahlungsrecht, bei Krankheit und Urlaub. Wir brauchen zweitens eine abgewogene Regelung. Mit dem von Ihnen vorgeschlagenen sofort einsetzenden langen Grundkündigungsfristen werden die für viele Betriebe notwendigen Anpassungen an technische und konjunkturelle Entwicklungen erschwert. Ich unterstreiche ausdrücklich das, was die Sprecher der Koalitionsfraktionen gesagt haben. Wir müssen auch diejenigen sehen, die außerhalb des Erwerbsprozesses stehen. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß ein zu starker Ausbau des Kündigungsschutzes erneut zu Einstellungssperren führen kann. In unserer immer noch schwierigen Arbeitsmarktsituation hat jede gesetzliche Regelung auch an diejenigen zu denken, die einen Arbeitsplatz suchen. ({8}) Was für Arbeitsplatzbesitzer als zusätzlicher Schutz gedacht ist, kann sich für viele Arbeitssuchende als Einstellungssperre erweisen. Wir dürfen die Trennung zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsplatzsuchenden nicht verfestigen. Wir sind der Oberzeugung, daß Ihr Gesetzentwurf genau in diese Richtung wirken würde. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben dies im Unterschied zu Ihnen erkannt. Sie haben zwar in vielen Tarifbereichen die Kündigungsfristen für Arbeiter an die für Angestellte geltenden Fristen herangeführt, aber entsprechend den betrieblichen Notwendigkeiten überwiegend auf eine völlige Anpassung verzichtet. Zwar sollte sich der Gesetzgeber hier nicht völlig aus seiner Verantwortung zurückziehen. Andererseits ist dies doch ein Bereich, in dem es den Tarifvertragsparteien ermöglicht werden sollte - hier unterstreiche ich die Ausführungen des Kollegen Fuchtel -, nach eigenverantwortlichen Lösungen zu suchen. Die Tarifvertragsparteien können das Umfeld eines bestimmten Wirtschaftszweigs weit besser als der Gesetzgeber mit globalen Lösungen berücksichtigen. Jedenfalls sollte jede gesetzliche Regelung in größerem Umfang, als Sie es vorschlagen, Öffnungsklauseln für tarifvertragliche Regelungen enthalten. Auch hier danken wir für die Unterstützung durch den Kollegen Heinrich. Lassen Sie mich, da wir im Grund eine Debatte aus der letzten Wahlperiode wiederholen, in aller Kürze Pari. Staatssekretär Seehofer zusammenfassen: Es geht bei einer künftigen gesetzlichen Regelung darum, zwischen den Schutzbedürfnissen des einzelnen Arbeitnehmers und den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers abzuwägen, zumal im Zusammenhang mit den künftigen Anforderungen eines europäischen Binnenmarkts. Zugleich ist darauf zu achten, daß nicht als unerwünschte Nebenwirkung die Arbeitgeber bei der Einstellung von Arbeitskräften zu größerer Zurückhaltung veranlaßt werden. Hierzu möchten wir den verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum kennen. Deshalb bleibt die Bundesregierung bei ihrer Position. Sobald das Bundesverfassungsgericht diesen Rahmen abgesteckt hat, wird die Bundesregierung einen sozial ausgewogenen Gesetzesvorschlag machen. Vielen Dank. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/956 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Andere Vorschläge gibt es nicht. Die Überweisung ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14a und 14 b auf: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 25. November 1986 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale Maastricht - Drucksache 11/3814 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0}) - Drucksache 11/4173 Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann ({1}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu den Unterrichtungen durch das Europäische Parlament Entschließung zum Luftfrachtverkehr in der Gemeinschaft Entschließung zur Zukunft von EUROCONTROL im Rahmen der Flugsicherung im westeuropäischen Luftraum Entschließung zur potentiellen Kapazität der Flughäfen in der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf die Herausforderung von 1992, zur Überlastung der Flughäfen und zu den Problemen der Luftverkehrssicherheit Entschließung zur Liberalisierung des Luftverkehrs, zur Vollendung des Binnenmarktes und zu den Folgen für die Sicherheit im Flugverkehr - Drucksachen 11/1958, 11/2731, 11/2732, 11/2733, 11/4249 Berichterstatter: Abgeordnete Ibrügger Tillmann Im Ältestenrat wurde für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tillmann.

Ferdinand Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002326, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verkehrspolitiker dieses Hohen Hauses werden hoffentlich nicht im ersten Sommerstau dieses Jahres stecken und sich noch relativ rechtzeitig einfinden. „Das große Chaos kommt noch" hat nämlich die FAZ am 6. Mai in ihrem Wirtschaftsteil geleitartikelt. In der Tat könnte uns ein heißer Sommer im europäischen Luftverkehr bevorstehen. Auch die „Wirtschaftswoche" hat am 5. Mai als Aufmacher die „Exorbitante Zunahme des Flugverkehrs insbesondere in Europa" gebracht. Der rasanten Entwicklung des Luftverkehrs in Europa konnte die Luftverkehrsinfrastruktur leider nicht rechtzeitig angepaßt werden. Das gilt insbesondere für den Bereich der europäischen Flugsicherung. Dabei hatte alles so weitsichtig begonnen, meine Damen und Herren. Schon am 18. Dezember 1961 legte Bundeskanzler Erhard dem Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf zum Übereinkommen über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt, EUROCONTROL, vor. Zunächst kamen sechs Staaten überein, ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Luftfahrt enger zu gestalten und insbesondere die Luftverkehrsdienste im oberen Luftraum gemeinsam zu organisieren. Wäre diese Gemeinsamkeit europäische Realität geworden, wir würden diese Debatte heute nicht zu führen brauchen. Leider aber hat - Herr Kollege Ibrügger, Sie wissen es, wir haben es im Deutschen Bundestag mehrfach über die Fraktionsgrenzen hinweg beklagt - kleinkariertes nationales Souveränitätsdenken EUROCONTROL weitgehend verkümmern lassen. ({0}) Gemeinsame Aktivitäten europäischer und Abgeordneter nationaler Parlamente haben daran nichts ändern können, daß EUROCONTROL zunehmend zu einer Fakturierungs- und Beitreibungsmaschinerie für Flugverkehrskontrollgebühren degeneriert ist. Es ist ein im Grunde unglaublicher Anachronismus. Im Vorfeld des europäischen Binnenmarktes versucht man in 42 Kontrollzentren mit 22 verschiedenen, nicht miteinander verbundenen, also nicht kompatiblen Systemen den explosionsartig wachsenden Luftverkehr in Europa zu steuern. Wahrlich eine europäische Kleinstaaterei in der Luft! Dagegen bewältigen in den USA ganze 20 Kontrollzentralen mit einem einheitlichen Betriebssystem den gesamten Luftverkehr. Wenn in Europa nicht sehr bald etwas geschieht, können die Prognosen über eine Verdoppelung des Luftverkehrs bis zum Jahre 2000 getrost beiseite gelegt werden. Allerdings, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir in der Bundesrepublik Deutschland zunächst einmal selbst unsere Hausaufgaben zu machen. Nach den Erfahrungen von fast 20 Jahren EUROCONTROL können wir auf die europäische Lösung nicht warten. Die Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses weist dazu den Weg. Bis zum 31. Mai 1989 soll ein Gesetzentwurf im Parlament erarbeitet werden - ich weise ausdrücklich auf 1989 hin -, der eine neue Organisationsform der Flugsicherungsdienste vorsieht. Der Haushaltsausschuß hat die Bundesregierung aufgefordert, bis zu diesem Datum ebenfalls entsprechende Vorschläge zu machen. Die Bundesanstalt für Flugsicherung ist heute in Gefahr, personell wie technisch mehr und mehr in Rückstand zu geraten. Das ist nicht den Mitarbeitern der BFS vorzuhalten, sondern es liegt am System. Wie auch bei anderen Einrichtungen der Hochtechnologie mit einem außergewöhnlichen Anspruch an Flexibilität und Leistungsfähigkeit ist die Form der staatlichen Organisation für die Flugsicherungsdienste nicht mehr geeignet. Das unflexible öffentliche Dienstrecht und das öffentliche Beschaffungswesen mit ihrer politischen, rechtlichen und praktischen Starre - z. B. das Haushaltsrecht - verhindern effiziente Erbringung einer perfekten Dienstleistung, und das nicht nur im Bereich der Flugsicherung. Das bedeutet aber, daß eine Reform der Struktur der Flugsicherung möglichst noch in diesem Jahr realisiert werden muß. Meine Fraktion spricht sich dabei folgerichtig und eindeutig für eine Umwandlung der BFS in eine unternehmerische Organisation mit voller Eigenwirtschaftlichkeit aus. Nur eine solche „Deutsche Agentur für Flugsicherung" als Gesellschaft privaten Rechts im öffentlichen Eigentum kann die steigenden Anforderungen an ein funktionsfähiges Flugsicherungssystem der Zukunft erfüllen. ({1}) Dieses Unternehmen hat dann die Möglichkeit, seine Mitarbeiter auch leistungsgerecht zu bezahlen und mit attraktiveren Beschäftigungsbedingungen den für die Beseitigung der personellen Engpässe notwendigen Nachwuchs anzuwerben. Ich betone allerdings, daß wir für die Übergangszeit erwarten, daß insbesondere die Fluglotsen das Menschenmögliche tun, um den Luftverkehr zügig abzuwickeln, ({2}) und nicht versuchen, das Parlament vielleicht durch die eine oder andere Maßnahme bei dem Gesetzgebungsverfahren unter Druck zu setzen. Im übrigen stehe ich nicht an, mich ausdrücklich für die gute Arbeit unserer Bediensteten bei der Bundesanstalt für Flugsicherung in der Vergangenheit zu bedanken. Die Strukturreform bei uns darf allerdings nicht die notwendige große europäische Lösung blockieren. Im Gegenteil soll sie ein Konstruktionselement eines neuen, möglichst einheitlichen, wenigstens aber miteinander verbundenen europäischen Flugverkehrskontrolldienstes sein. Diese zukünftige europäische Lösung darf sich auch nicht auf die Europäische Gemeinschaft beschränken, da die notwendigen Maßnahmen großflächig angegangen werden müssen. Es ist im übrigen unsere Ansicht, daß eine Wiederbelebung und Stärkung der Organisation EUROCONTROL ein erfolgversprechender Weg sein kann. Die wachsende Mitgliederzahl bei EUROCONTROL ist zu begrüßen. Es wäre zu wünschen, daß die noch abseits stehenden europäischen Staaten bald hinzukommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihren Einfluß verstärkt geltend zu machen, um diese Staaten für die Mitgliedschaft zu gewinnen. ({3}) - Aber die anwesenden Beamten werden das weitergeben. Der Beschluß der Verkehrsminister der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz vom 20. Oktober 1988 in Frankfurt zur Errichtung und Betreibung einer einheitlichen europäischen Verkehrsfluß-Steuerungszentrale war nicht nur dringend geboten, sondern ist auch ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Organisation EUROCONTROL. EUROCONTROL sollte im übrigen auch noch stärker als ein Instrument gemeinsamer Planung und Systementwicklung für die europäische Flugsicherung eingesetzt werden. ({4}) Am Rande sei angemerkt - Herr Kollege Ibrügger, Sie haben das mehrfach auch im Verkehrsausschuß schon gefordert - daß, sollte, wie es den Anschein hat und von uns gefordert wird, EUROCONTROL doch noch eine bedeutende europäische Institution werden, auch einmal über eine parlamentarische Kontrolle eines solchen Großapparates nachgedacht werden muß. ({5}) Warum nicht, meine Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eine „parlamentarische Versammlung" der Organisation EUROCONTROL? Die parlamentarische Kontrolle eines solchen Apparates scheint mir dringend notwendig zu sein. Hinweisen möchte ich noch auf die Notwendigkeit einer möglichst effizienten Zusammenarbeit zwischen ziviler und militärischer Flugsicherung, auch bei der neuen Form der Organisation unserer Flugsicherung. Ich möchte dieses Thema jetzt nicht vertiefen; wir haben damit unsere leidvollen Erfahrungen gemacht. Aber wir werden uns damit noch intensiv beschäftigen und beschäftigen müssen. Im übrigen verweise ich noch auf andere, von mir nicht erwähnte Aspekte und Problemlösungsvorschläge, die in der Entschließung auf Drucksache 11/4249 angesprochen werden. Sie werden von meinen Kollegen sicherlich noch erwähnt werden. Meine Damen und Herren, es ist jetzt hohe Zeit zum Handeln. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wir bieten der Regierung unsere parlamentarische, wir bieten ihr jede Hilfe an, das Tempo zu erhöhen. Notfalls, sollte dies nicht ausreichen, aber muß das Parlament das Tempo dann eben selbst bestimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ibrügger.

Lothar Ibrügger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000989, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesminister für Verkehr ist seit 21 Tagen im Amt. Normalerweise gibt man einem Minister 100 Tage Schonfrist. Diese Schonfrist geben wir Bundesminister Dr. Zimmermann nicht, ({0}) einmal, weil er schon seit Jahren Ministertätigkeiten ausübt, im übrigen, weil er aus Bayern stammt ({1}) und einen CSU-Vorsitzenden hatte, der ebenso Luftsport- wie auch luftfahrtbegeistert gewesen ist. Das heißt, ich gehe bei Dr. Zimmermann davon aus, daß er um die Dinge der Luftfahrt weiß. Dazu gehört, daß er auch Antrittsbesuche vornimmt. Einen Antrittsbesuch hätte ich ihm nun ganz besonders gewünscht, nämlich in der Kabine eines zum Start vorbereiteten Flugzeuges in Frankfurt, wo dann der Lautsprecher ertönt, man hat den Sicherheitsgurt angelegt, und dann meldet sich - Sie wissen schon, meine Damen und Herren - der Kapitän: Wir haben Verspätung. Jahr für Jahr und Tag für Tag die gleiche Meldung in den Flugzeugen! Was vergeuden wir an Geld, an Zeit und wie verpesten wir im übrigen noch die Umwelt durch unzureichende Verfahren im Luftraum! Es gibt Schätzungen: 950 Millionen DM im westeuropäischen Luftraum verpulvert wegen unzureichender Flugsicherungsverfahren, wegen des Flickenteppichs der Flugsicherung in Europa. 100 000 DM pro Stunde! Da sage ich allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident: Es ist ein Unding, daß der verantwortliche Minister durch Abwesenheit glänzt und man noch nicht einmal gesagt bekommt, warum er heute abend nicht an dieser Debatte teilnehmen kann. 100 000 DM pro Stunde werden verpulvert. Jahr für Jahr und Tag für Tag haben wir es mit Flugwegverlängerungen zu tun, die enorm dazu beitragen, Kosten zu steigern, also die Unwirtschaftlichkeit zu erhöhen. Im Durchschnitt 10 % aller Flüge im westeuropäischen Luftraum werden durch die Aufsplitterung in militärische und zivile Lufträume verlängert. Wir leben nicht am Vorabend eines Krieges in Europa, meine Damen und Herren. Deswegen ist es nicht weiter einzusehen, daß sich verantwortliche Minister und das Bundeskabinett nicht zu der Entscheidung durchringen, jetzt auch die Gliederung des Luftraums für eine effiziente und wirtschaftliche Durchführung des Luftverkehrs erneut in Angriff zu nehmen. Der Flug von Brüssel nach Zürich wird heute durch die starre Aufgliederung der Lufträume um 45 % des eigentlichen Flugweges verlängert. Das kann nicht mehr hingenommen werden. Jahr für Jahr und Tag für Tag haben wir es gemeinsam mit einem immer unerträglicher werdenden Geschehen zu tun, mit immer mehr Druck auf die Mitarbeiter in der Flugsicherung, in der gesamten Luftfahrt. Ich würde es gerne sehen, wenn der Bundesminister für Verkehr bei seinem Antrittsbesuch in der Kabine die Mitarbeiterinnen und die Mitarbeiter in der Kabine und im Cockpit, die Mitarbeiter in der Flugsicherung, die Techniker an den Computern, all die Mitarbeiter, auf die der Ärger ausgeschüttet wird, wenn sie sagen müssen, daß wiederum ein oder zwei Stunden Verspätung hinzunehmen sind, wirklich erlebte und dieses Erleben in seine Entscheidung die er als verantwortlicher Minister zu treffen hat, umsetzen würde. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlament dürfen es uns in einer so entscheidenden Frage nicht bieten lassen, daß der Minister durch den Kollegen Schulte vertreten wird. Ich bin zwar dem Kollegen Schulte sehr dankbar, aber ich muß im Blick auf die Geschäftsordnung der Bundesregierung und auf die Ressortverantwortung des Ministers fordern, daß er bei der Debatte über eine so bedeutende Frage der Verkehrspolitik anwesend ist. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sekunde um Sekunde wird in der Bundesrepublik Deutschland über die Gewährleistung der Sicherheit entschieden, ja, in Sekundenbruchteilen. ({3}) Lockerbie und Remscheid sind nur zu gut in bedrükkender Erinnerung. Wir sind vor kurzem haarscharf, um Haaresbreite, an einem Unfall vorbeigekommen, weil ein Pilot bei Kollisionsgefahr dank seiner Fähigkeiten innerhalb kürzester Zeit eine Maschine der British Airways über Marl hat abdrehen lassen können. Wie sich jetzt herausstellt, befanden sich beide Maschinen legal in einem Luftraum. Hier hat sich ein Mangel in der Luftraumgliederung herausgestellt. Nur dank der Beherztheit und Besonnenheit des Piloten hat ein schlimmes Desaster über Marl - noch dazu mit chemischer Industrie - verhindert werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte vom Personal gesprochen. Ich muß in dieser Runde auch sagen dürfen, daß ich aus der Luftraumnutzungszentrale folgende Zitate höre: Im Winter hatten wir saisonalen Stoßbetrieb, jetzt hat sich die Luftraumnutzungszentrale zu einem Hexenkessel mit Telefonterror und Dauerstreß entwickelt - mit der Folge, daß kein Mensch mehr bereit ist, in dieser Luftraumnutzungszentrale mit diesen Verkehrsmengen fertig zu werden, und daß keiner mehr motiviert diesen Dienst leisten kann. Weiter höre ich, daß in Frankfurt 43 Lotsenstellen nicht besetzt sind, daß 9 % bei den Technikern und 50 % bei den Flugplandatenbearbeitern fehlen. Dann darf sich niemand wundern, wenn Verspätungen auftreten. Aber wir müssen hier doch ganz offen und wahrhaftig die Gründe nennen, die mit zu diesen Verspätungen führen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir als Parlament und die Bundesregierung, der Bundesminister Dr. Zimmermann in ganz besonderer Weise, gefordert, Entscheidungen zu treffen. Sie müssen einen sicheren, effizienten und wirtschaftlichen Luftverkehr für die Zukunft gewährleisten. Im Sinne unserer Entschließung, die wir einmütig gefaßt haben, haben wir den 31. Mai 1989 - Kollege Tillmann, das bestätige ich ausdrücklich - herausgestellt. Wir sehen da auch eine Bringschuld der Bundesregierung und des verantwortlichen Ministers, trotz des Wechsels im Amte des Bundesverkehrsministers, nicht weiter etwas zu versäumen, was notwendig ist, um dieses skandalöse Geschehen und die Verspätungen im Luftverkehr aufheben zu helfen. Dies können wir nach aller Erkenntnis jetzt nur durch die Gesetzgebung und durch entsprechende Entscheidungen der Bundesregierung. Wir fordern diese Entscheidungen von der Bundesregierung. Es darf nicht länger angehen, daß im Administrationsgestrüpp und bei unterschiedlichen Zuständigkeiten jedes Ressort auf seine Zuständigkeiten beharrt und die Verbesserung der Luftfahrt als Ganzes in der Bundesrepublik Deutschland nicht erreicht werden kann. Jeder Tag, der zugewartet wird, verschärft das Geschehen. Vor allem belastet er mehr und mehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei hoher Leistungsbereitschaft und Motivation an dem verzweifeln, was in Zukunft noch auf sie zukommen soll. Wenn die Luftfahrt in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa nicht zum Erliegen kommen soll, muß jetzt gehandelt werden. Durch die Entschließung, die wir heute abend verabschieden wollen, wird ein Weg aufgezeichnet. Wir haben die Möglichkeiten, wir haben die Fähigkeiten, die Veränderung auch zu bewirken. Aber es gehört der politische Wille dazu, diese Entscheidung auch herbeizuführen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es macht ein besonderes Vergnügen, aber auch Schwierigkeiten, über eine Problemlage zu reden, in der wir so viel Konsens haben. Ich will hier deshalb nur noch einmal unterstreichen, wo wir uns aus unserer Sicht auch wirklich einig sind und wo Handlungsbedarf ist. Auch mir wäre es sehr viel lieber gewesen - das schmälert nicht meine Sympathie für den Parlamentarischen Staatssekretär - , wenn der neue Minister in einem wichtigen Feld der Verkehrspolitik der Bundesrepublik die Gelegenheit genutzt hätte, hier mal für eine Stunde dabei zu sein. Aber das ist seine Sache. Er muß dann aber auch damit rechnen, daß der Umgang der Parlamentarier mit ihm in der gleichen Weise erfolgt, wie er glaubt mit uns umgehen zu können. Ich glaube, die Lage, die hier von den Kollegen Tillmann und Ibrügger geschildert worden ist, ist klar. Die Lage im Luftraum und in der Luftfahrt und all derjenigen, die davon betroffen sind, ist in hohem Maße ernst. Die Analysen, die dazu angestellt worden sind, sind unbestritten, auch unbestreitbar. In der Zwischenzeit liegt - und das ist ein erfreulicher parlamentarischer Vorgang - eine realistische, sehr detaillierte Konzeption vor - Herr Ibrügger hat davon gesprochen - , die wir im Verkehrsausschuß zwischen den Fraktionen erarbeitet haben. Jetzt kommt es darauf an, daß wir von unserem Recht, aber auch von unserer Pflicht Gebrauch machen, umzusetzen, jetzt zu handeln. Ich glaube, die Zeit, wo man redet, wo man Alternativen prüft, ist vorbei. ({0}) Ich will den Bericht des Bundesministers an die Regierung und für die Ausschüsse durchaus lobend erwähnen. Auch für die Punkte, wo ich nicht seiner Meinung bin, gilt: Das ist eine sorgfältige Arbeit, das ist schon alles in Ordnung. Aber jeder von uns - das ist ja nicht mehr ein Privileg der Reichen oder der Begünstigten - weiß, wie sehr der Luftverkehr im argen liegt und von welchen Nöten er betroffen ist. Wenn man sieht, daß allein die Lufthansa jährlich 10 000 Stunden umsonst in der Luft herumkurvt, daß das allein etwa 100 Millionen DM in einem Jahr kostet - das ist etwa die Größenordnung ihres Gewinns -, dann muß auch für jeden Laien erkennbar sein, daß das so nicht geht. Man sollte auch einmal bedenken, daß dabei auch die Umwelt in erheblicher Weise durch völlig überflüssige Kerosinbelastung beeinträchtigt wird und daß die Gefahr von Unfällen natürlich erheblich zunimmt, wenn die Warteschleifenzieherei immer enger und immer häufiger wird. Das ist sicherlich unbestreitbar. Das alles sind Gründe, auf diesem Gebiet zu handeln. Wir haben uns des öfteren Gedanken darüber gemacht, was man dagegen tun kann. Man kann den Luftverkehr nicht verbieten, man kann ihn auch nicht grenzenlos machen. Wir müssen uns bemühen, Verkehrsströme zu verlagern, durch Verbesserung des Schienennetzes etwa, durch das europäische Schnellverkehrsnetz. ({1}) Wir FDP-Leute glauben sogar, daß man über Transrapid einiges verbessern kann. Aber das ist kein Allheilmittel. Das sind notwendige Maßnahmen. Wir müssen uns hier - das ist der Gegenstand unserer Debatte - um den Luftverkehr kümmern. Das schließt die bessere Nutzung des Luftraums, die bessere Einteilung, ein. Das schließt die bessere Führung des Luftverkehrs ein. Das schließt aber auch Bodenmaßnahmen ein. Das schließt z. B. die Frage ein, wie wir mit dem Problem fertig werden, daß die Kapazitäten unserer Flughäfen zu eng geworden sind. Es wäre unehrlich, das in diesem Zusammenhang nicht auch zu erwähnen. Meine Damen und Herren, Kernstück unseres gemeinsamen Entschließungsantrages ist die Neuorganisation der Flugsicherung, das Herauslösen eines Leistungsträgers, eines Serviceunternehmens für die Luftfahrt, aus dem starren Korsett des öffentlichen Dienstrechts und des öffentlichen Haushaltsrechts 10650 darüber sind wir uns einig; ich freue mich darüber sehr - , weil wir erkannt haben, daß mit dem öffentlichen Dienstrecht, mit dem Laufbahnrecht, mit dem Beamtenrecht, die notwendige Leistungsbereitschaft nicht zu wecken ist und die notwendige Leistung der Mitarbeiter nicht zu erbringen ist. Das gleiche gilt auf dem Sektor der Investitionen. Mit dem öffentlichen Haushaltsrecht ist das alles lieb und schön. Damit kann man vielleicht eine Verwaltung einigermaßen aufrechterhalten, aber natürlich nicht einen Wirtschaftsfaktor regeln, wie ihn der Luftverkehr heute darstellt. Das sind die zwei Schwerpunkte: heraus aus der Enge des öffentlichen Dienst- und Haushaltsrechts und eine Neuorganisation in einer privatrechtlichen Form. Nur so kommen wir, glaube ich, an die Wurzel des Übels und machen nicht nur kosmetische Übungen oder gar verbale Dinge. ({2}) Das scheint mir das Wichtigste zu sein. Das wird auch einen Beitrag dazu leisten, daß wir die vorhandenen Mitarbeiter motivieren und leistungsgerecht bezahlen können. Es gibt uns die Chance, den notwendigen Nachwuchs anzuwerben, der sonst nicht mehr zu bekommen ist. Ich komme gerade aus einem Gespräch mit Vertretern eines Verbandes, der einen Teil der Flugsicherung, nämlich den technischen Teil, vertritt. Dabei spürt man natürlich, daß man keinen Diplomingenieur und auch keinen graduierten Ingenieur bekommt, wenn man ihn schlechter als einen herausgehobenen Postboten bezahlt. Das geht eben nicht. Dann kann ich auch nicht mehr Leistung verlangen. Hierbei muß man offen sein, dabei muß man einfach flexibler in seiner Finanz- und Organisationsstruktur werden. Das gleiche gilt für den Haushalt. Hier sind ja erhebliche Investitionen zu tätigen. Was uns den Mut macht, eine neue Organisationsform anzustreben, ist nicht zuletzt die Tatsache, daß von den drei Komponenten des Luftverkehrs am Boden die Airports und in der Luft die Airlines privatrechtlich organisiert sind - wenn immer sie auch in Bundeseigentum oder Ländereigentum stehen - und dazwischen der Staat mit seiner Flugsicherung wirklich nur noch auf Krücken steht und nicht mithalten kann. Die einen wollen verdienen, die anderen verdienen. Alle arbeiten nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, hocheffizient, vielleicht ein bißchen zu teuer bezahlt. Nur wir stehen als Staat mit unserer Flugsicherung dazwischen und behindern deren wirtschaftliche Effektivität. Das heißt, wir müssen das ändern. Wir können froh sein, daß die beiden anderen Säulen, die schon privatrechtlich organisiert sind, bereit sind, auch das Kostenrisiko zu übernehmen, wie immer das in Etappen geschehen mag. Sie sind ja bereit, über Gebühren dann das Notwendige zu zahlen, damit das Ganze kostendeckend sein kann, ({3}) wenn dafür die entsprechende Leistung gebracht wird. Wir werden sie natürlich auch beim Wort nehmen, wenn wir diese Deutsche Agentur für Flugsicherung einrichten können. Alle Einwände, die vorgebracht werden, halte ich für vordergründig. Ich halte sie zum Teil auch für oberflächlich oder für Scheinargumente, um jede Veränderung abzuwehren. Das gilt etwa für das Argument: Der Staat hat dann nichts mehr zu sagen. Ferdi Tillmann hat ganz deutlich gesagt: im Bundeseigentum. Das muß nicht immer so bleiben. Ich bin der Meinung, man kann auch darüber nachdenken: Schritt für Schritt. Aber jetzt machen wir erst einmal den ersten Schritt, unter Umständen Airports oder Airlines mit ihrem Kapital zu beteiligen. Denn sie haben ein vitales Interesse daran, daß die Flugsicherung funktioniert. Sie wollen bezahlen. Sollen sie bezahlen! Dann sollen sie auch durchaus mitbestimmen. Das heißt aber nicht, daß der Staat seine hoheitliche Aufgabe im Bereich der Flugsicherung nicht mehr erfüllen könnte. Dieses Gerede, daß das alles nur durch Beamte gemacht werden könnte, wenn es um hoheitliche Aufgaben geht, das gehört nun wirklich schon hinter das erste Semester Jura. Das gibt es schon seit Ewigkeiten. Das hat im übrigen eine deutsche Tradition. So kurz kann das Gedächtnis ja auch nicht sein: Jetzt wird die DARA gegründet. Man kann also - aber von den dafür Zuständigen sitzt jetzt natürlich auch keiner auf der Regierungsbank - den noch viel hoheitlicheren Luftraum und die Raumfahrt so organisieren, daß es ein eingetragener Verein wird. Es wird ein Gesetz gemacht, daß die DARA natürlich hoheitliche Aufgaben wahrnehmen kann. Und für die Flugsicherung, die ein reines Serviceunternehmen ist, soll das nicht gelten? Nun, da müssen sich diejenigen, die solche Gründe einwenden, fragen lassen, wie ernst sie sich selber noch nehmen. Sie können jedenfalls nicht erwarten, daß wir sie ernst nehmen. Es gibt viele Gründe, daß wir jetzt tätig werden. Nach meiner Erinnerung hat Ferdi Tillmann die Zahlen auch schon genannt. Es ist geradezu grotesk - wir haben das Gegenteil in Amerika erlebt - , daß wir in diesem Flickenteppich Europa mehr als 40 Kontrollstellen mit mehr als 22 Systemen haben, die zum Teil untereinander nicht kompatibel sind. Das riesengroße Amerika hat ein System und strebt 20 Kontrollstellen an. Nur, da läuft der Verkehr. Da kann man nicht immer sagen, der Luftraum sei dort größer. Natürlich ist das Land ein bißchen größer. Aber es liegt auch an der Verwaltung und an der Ordnung dieses Luftraumes. Insofern ist doch das richtig, was die Experten sagen. Ich habe eingangs gesagt, daß es bei uns nicht nur um die Größe des Luftraumes geht, sondern tatsächlich darum geht, daß er schlecht verwaltet worden ist oder bis zur Stunde schlecht verwaltet wird. Hier müssen wir etwas ändern. Ich freue mich jedenfalls sehr, daß es gelungen ist, in langen, ausgiebigen, sehr sachlichen Debatten die Kollegen von der SPD, von der CDU und der FDP alle unter einen Hut zu bringen, so daß wir heute in der Lage sind, einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorzubringen. Ich bitte unseren Freund, den Parlamentarischen Staatssekretär, das sehr ernst zu nehmen und dann auch als Götterbote tätig zu sein und zu berichten, daß das auch ernst gemeint ist, daß das ein politisches Faktum ist, das Wirkung zeigen muß. Das ist jedenfalls das, was ich davon erwarte. Das ist hier nicht nur eine freundliche Übung, die in die Archive des Bundestages eingeht. Hier ist ein geschlossener politiGries scher Wille derjenigen, die sich kraft ihres Mandats als Parlamentarier mit Verkehrspolitik beschäftigen. Ich bitte, das so auch dem Minister deutlich zu machen. Ich würde ihm nämlich, wenn er hier wäre, gern sagen, daß hier eine Chance für sein neues Betätigungsfeld ist, daß er sich an die Spitze der Bewegung setzt, ({4}) daß er, aufbauend auf unserem gemeinsamen Willen, möglichst schnell, möglichst bis zum 31. Mai - da bekommt er sicher noch eine Toleranzgrenze -, den Gesetzentwurf vorlegt. Wenn nicht, Herr Staatssekretär, sagen Sie ihm: Morgen früh sitzen die Kollegen Ibrügger, Tillmann und Gries zusammen und werden mit Hilfe Ihres Hauses den Gesetzentwurf selber machen. Aber der Minister hat Zeit bis morgen früh um 9 Uhr, sich dazu zu äußern. ({5}) Ich bin jedenfalls der Meinung, er muß und wir müssen gemeinsam unverzüglich und entschlossen handeln. Wir sollten auch den Mut dazu haben. Ich bin überzeugt und schließe mit demselben, was Ferdi Tillmann gesagt hat: Wir haben eine Verantwortung auch als Parlamentarier. Wenn die Regierung das nicht tut, dann werden wir von unserer Verantwortung den notwendigen Gebrauch machen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu EUROCONTROL - das will ich gleich vorweg sagen - werden wir zustimmen. Auch wir sind der Ansicht, daß sich internationale Kooperation bei der Kontrolle des oberen Luftraums bewährt hat. Anlaß zu dieser Debatte gab aber nicht Maastricht. Anlaß waren die regelmäßig zu den Urlaubszeiten auftretenden Verspätungen im Flugverkehr und die Verspätungen, die tagtäglich vorkommen, vor allem an den verkehrsreichsten Flughäfen München, Frankfurt und Düsseldorf. Da ist es dann auch gleich aus mit dem schönen Konsens, Herr Kollege Gries. Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD haben aus den diesbezüglichen Unterrichtungen des Europaparlaments eine Beschlußempfehlung gebastelt, der wir schon in der Beratung des Verkehrsausschusses nicht zustimmen konnten. Die Gründe, aus denen wir da nicht zugestimmt haben, gelten auch für unsere Beratungen heute. Nehmen wir zunächst den Vorschlag, die Flugsicherung privatwirtschaftlich zu organisieren. Wir GRÜNEN hängen nicht am Beamtenrecht, weiß Gott nicht, aber Aufgaben der Flugsicherung sind tatsächlich hoheitliche Aufgaben. Sie sind mit denen der Verkehrspolizei vergleichbar. Man stelle sich einmal vor, die Lkw-Lobby wäre mit der Leistungsfähigkeit der Überwachung von Gefahrguttransporten unzufrieden und würde Kontrollinstanzen in Eigenregie fordern - vom Zoll gar nicht zu reden. Ich möchte Ihnen von hier aus keine Anregungen für weitere Untaten geben, aber vielleicht liegen entsprechende Anträge schon irgendwo vor. ({0}) Die Integration der militärischen Flugsicherung wird durch eine privatrechtliche Organisationsform eher verhindert. Dies ist aber lediglich das kleinere Übel gegenüber dem Sobernheimer Konzept; das wurde auch einmal diskutiert. Das hätte die Dominanz der Militärs im Luftraum bedeutet. Das ist uns noch einmal erspart geblieben. Die Flugsicherung gehört in eine Hand, und zwar in die zivile. Der Luftraum über der Bundesrepublik ist überlastet, keine Frage. In diesem Punkt sind wir einer Meinung. Nur: Sie müssen diesen Umstand endlich als eine natürliche Grenze begreifen, nicht als ein Problemchen, das man durch irgendwelche FlickwerkMaßnahmen lösen könnte. Denn die Expertenanhörung im Oktober 1988 hat völlig klar ergeben: Technische und organisatorische Verbesserungen in den Flugsicherungszentralen einerseits und Modernisierung der Navigationseinrichtungen in allen Flugzeugen andererseits können höchstens eine Kapazitätserhöhung von 20 bis 30 % bringen. Höchstens! Es wird aber mit einer Verdoppelung des Flugverkehrsaufkommens bis zum Jahre 2000 gerechnet. Die ist nicht zu verkraften und nicht realistisch. Aber was machen Sie? Sie nehmen diesen Trend wie so viele einfach hin, Sie laufen ihm hinterher, Sie versuchen mit völlig ungeeigneten Mitteln, den prognostizierten Zuwächsen sozusagen einen zweiten Himmel zu eröffnen. Schließlich sollen z. B. die ca. 500 Airbusse, die im Augenblick in den Auftragsbüchern stehen, nachher nicht in den Hangars herumstehen, sondern irgendwann auch einmal in die Luft gehen. ({1}) Schließlich tobt zwischen dem europäischen Airbus und den amerikanischen Zivilflugzeugherstellern ein erbitterter Kampf um Marktanteile. Weltweit gibt es derzeit etwa 7 200 Maschinen; im Jahre 2005 sollen es etwa 11 800 Maschinen sein, die sich dann an dem einen Himmel bewegen sollen. Da ist es überhaupt kein Wunder, daß sich in dieser Regierung und den sie stützenden Fraktionen niemand findet, der sich ernsthaft um Konzepte zur Vermeidung des Flugverkehrs, um Konzepte zum Umsteigen auf die Bahn kümmert. ({2}) Sie sprechen in Ihrer Beschlußempfehlung zwar von den Vorteilen eines integrierten Verkehrsnetzes, die deshalb nicht zur Geltung kommen, weil es an der Einbindung der Flughäfen in das Schienennetz der Deutschen Bundesbahn mangele. Das stimmt schon. Wenn Sie aber von einem integrierten Verkehrsnetz reden und ich mir Ihre Verkehrspolitik ansehe, muß ich sagen: Sie gebrauchen nichts als Fremdworte! Allein in der Bundesrepublik hat die Zahl der zivilen Inlandsflüge von 280 000 im Jahr 1970 auf mehr als 650 000 im vergangenen Jahr zugenommen. Ein Ende dieser gewollten Steigerungsraten - ich habe eben dafür ein paar Gründe genannt - ist nicht absehbar. Aus unserer Sicht - ich will das wirklich betonen - geht es nicht darum, dieses hochgerechnete Mehraufkommen zu bewältigen, sondern darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß unnötiger Flugverkehr vermieden wird; denn die ökologischen Folgen des Flugverkehrs sind immens. Auf der Erde werden die Flughafenanlieger und -anliegerinnen von immer mehr Lärm, von immer mehr Abgas- und Treibstoffemissionen gepeinigt, und über den Wolken brodelt eine Giftküche von Kohlenwasserstoffen, Kohlenmonoxid, Stickoxiden, Kohlendioxid und Ruß. In der üblichen Reiseflughöhe von etwa 10 km sind die Schadstoffpartikel der Abgase zudem extrem langlebig. Hier greifen sie den empfindlichen Ozongürtel der Stratosphäre an, der die Erde vor der UV-Strahlung schützt. Das alles haben wir ja schon einmal gehört. Ich nenne nur das Stichwort Enquete-Kommission Klimaschutz usw. Das betrifft aber die Umweltpolitiker, und die hören heute nicht zu. Die sogenannten Wasserdampfinjektionen erzeugen ferner langlebige künstliche Wolken, die einen zusätzlichen Beitrag zur Erwärmung der Erdatmosphäre leisten. Das alles, meine Damen und Herren, interessiert Sie aber offensichtlich überhaupt nicht. Ihnen geht es nicht um eine Verminderung dieser Schäden, sondern um Kapazitätsausweitungen für den Luftverkehr. In der Beschlußempfehlung steht ganz klar, was Sie machen wollen: „Im Flughafenbereich müssen die vorgesehenen Ausbaumaßnahmen zügig realisiert werden, Nachtstart- und -landeverbote sind zu lockern, die weniger belasteten Flughäfen müssen mehr als bisher in Anspruch genommen werden. ... bestehende Luftstraßen ({3}) erweitert oder parallele Luftstraßen eingerichtet werden." - Wenn Sie noch einen zweiten Himmel einziehen könnten, dann würden Sie das auch noch machen. ({4}) Eine solche Empfehlung für die Verkehrspolitik zeigt, daß alles Bedauern Ihrer sogenannten Umweltpolitiker über unsere vergiftete Umwelt, alles Reden vom Ozonloch, alles Reden von der Klimakatastrophe nichts ist als die Heuchelei von Wachstumsfetischisten, nichts ist als Krokodilstränen von Politikern, denen endgültig das Vertrauen entzogen gehört. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Jung ({0}).

Michael Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute nicht nur über EUROCONTROL, sondern auch über verschiedene Berichte des Europäischen Parlaments im Bereich des Luftverkehrs, der Flughäfen und auch der Flugsicherung. Ich möchte am Anfang sagen, daß eigentlich in kaum einem anderen Feld der Politik europäisches Handeln notwendiger und mehr gefordert ist als gerade hier im Bereich der Flugsicherung, daß aber bedauerlicherweise die Umsetzung vieler Resolutionen, die es hier auf EG-Ebene gibt, bis heute noch nicht ausreichend erfolgt ist. ({0}) Meine Damen und Herren, eingangs einige Anmerkungen zu meiner Vorrednerin, der Frau Kollegin Teubner. Sie sagen, eine Verdoppelung des Luftverkehrsaufkommens sei unrealistisch. Nehmen wir die Zahlen zur Kenntnis: Die jährlichen Steigerungsraten im Luftverkehr lagen seit 1986 zwischen 8 und 15 % Bis zum Jahre 2000 wird eine Verdoppelung prognostiziert. Wir haben ab 1993 den europäischen Binnenmarkt mit 320 Millionen Einwohnern. In diesem Zusammenhang wird es neue Wachstumsimpulse geben. Wir haben aber bereits heute Kapazitätsprobleme auf dem Boden, aber auch in der Luft. ({1}) - Ich sage auch dazu gleich etwas. Haben Sie noch etwas Geduld. Mit 48 Millionen Flugreisen erreichte die Bundesrepublik bereits im Jahre 1988 fast die Vorausschätzung für das Jahr 1995 im Bundesverkehrswegeplan. Die Startverzögerungen - auch das ist heute schon gesagt worden - stiegen dabei allein bei der Deutschen Lufthansa innerhalb eines Jahres um weit über 100 %. Umweltbelastende und unwirtschaftliche Warteschleifen über Frankfurt, München und Düsseldorf kamen hinzu. Im Vergleich zu 1980 nähern sich die Wartezeiten für Passagiere bei Verspätungen von über 15 Minuten in Europa fast der Verdoppelung. Und jetzt sagen Sie, wir sollten uns an den Bedürfnissen orientieren. Ich sage Ihnen: Es kann doch nicht Aufgabe der Politik sein, planwirtschaftliche Daten zu setzen, wer fliegt oder wer nicht fliegt. Ich sage Ihnen auch: Das ist ein Wachstum in diesem Bereich; das betrifft nicht nur die Zahl der Geschäftsreisen, sondern das betrifft auch viele, die jetzt dieser Debatte zuhören und die mit dem Flugzeug unterwegs sind, z. B. in den Urlaub oder woanders hin. Die Zahl der Privatreisenden nimmt zu. Die Politik hat die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß diese Bedürfnisse befriedigt werden können, und zwar natürlich möglichst umweltschonend. Sie haben ferner gesagt, es komme darauf an, unnötigen Flugverkehr zu vermeiden. Aber wer entscheidet, welcher Flugverkehr unnötig ist? Sind wir Politiker diejenigen, die sagen: Das eine - die Geschäftsreise dorthin - ist wichtig, und das andere - die Fahrt in den Urlaub mit dem Flugzeug - ist unwichtig? Nein, unsere Aufgabe ist es, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß die Bedürfnisse dann auch befriedigt werden können. Natürlich werden dabei vielfältige Fragen aufgeworfen, Fragen nach der Sicherheit, nach Umweltbeeinträchtigungen, nach Wirtschaftlichkeit. Aber dann stellt sich die Frage: Was können wir hier tun? Ich will dazu einiges aufzählen. Wir brauchen ein besseres Betriebskonzept für die Luftfahrt im Bundesgebiet. Jung ({2}) Wir müssen uns dabei vorrangig an folgenden Zielsetzungen orientieren: Einführung kurzer Flugwege und optimaler Flugprofile zur weitestgehenden Durchlässigkeit des gesamten deutschen Luftraumes und zur besseren wirtschaftlichen Nutzung und zur Erhöhung der Flugsicherheit. Wir brauchen weitere Ausbaumaßnahmen auch im Flughafenbereich. Ich nenne als Beispiel Frankfurt, wo ja in den nächsten Jahren ein Programm mit Milliardenaufwand realisiert werden soll, um Kapazitätsengpässe zu beseitigen. Wir müssen auch dafür sorgen, daß bisher wenig belastete Flughäfen mehr in Anspruch genommen werden. ({3}) Ich denke dabei an Köln/Bonn. Auch dies ist eine Aufgabe der Politik, durch Koordination dafür zu sorgen. Wir brauchen natürlich auch - Frau Kollegin Teubner, damit komme ich auf Sie zurück - eine bessere Anbindung der Flughäfen durch die Bundesbahn. Wenn wir ein integriertes Verkehrsnetz wünschen, dann müssen wir auch dafür sorgen, daß die Anbindung aller deutschen Flughäfen mit dem ICE geschieht. In der Vergangenheit sind hier bei der Planung Fehler gemacht worden, und die Auswirkungen sind noch heute sichtbar. Dies ist überhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite aber verhindern gerade die GRÜNEN mit ihrem Widerstand zum Beispiel gegen die Schnellbahn Rhein-Ruhr/Rhein-Main, daß sinnvolle Ergänzungen im Schienenbereich geschaffen werden können. ({4}) Das geht eben nicht: den innerdeutschen Flugverkehr verbieten, wie Sie es wollen, und gleichzeitig Alternativen bei der Bundesbahn nicht ermöglichen. Das paßt nicht zusammen, meine Damen und Herren! ({5}) - Das mag jeder für sich selbst beurteilen. Zum Bereich der Flugsicherung! Hier bedarf es europäischer Lösungen. Diese europäischen Lösungen brauchen aber nationale Vorarbeiten. Herr Kollege Tillmann hat - wie auch die nachfolgenden Redner - am Anfang bereits darauf hingewiesen. Das ist im übrigen die Stunde des Parlaments und der Verkehrspolitiker gewesen, Herr Kollege Ibrügger. Da hätten wir gar nicht auf die Regierungsbank schauen müssen; denn hier hat sich die Koalition der Verkehrspolitiker über die eigentliche Koalition, die die Regierung stellt, hinaus mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß Verbesserungen geschehen. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen SPD, CDU/ CSU und FDP. Wir werden gemeinsam und mit Nachdruck, wie Kollege Gries es formuliert hat, dafür sorgen, daß das, was das Parlament als Souverän will, von der Regierung und der Bürokratie dann auch umgesetzt wird. Das ist unsere Aufgabe, und darauf werden wir achten. ({6}) Es ist notwendig, meine Damen und Herren, daß wir eine deutsche Agentur für Flugsicherung schaffen. Sie ist als Gesellschaft des privaten Rechts und kostendeckend zu organisieren. Dadurch wird es nämlich möglich, personelle Engpässe flexibler zu beseitigen und auch notwendige Investitionen ohne Rücksicht auf den Bundeshaushalt tatsächlich in die Wege zu leiten. Notwendig ist auch eine bessere Zusammenarbeit mit der militärischen Seite. Diese muß verbessert und ergänzt werden. Bis zum Erreichen dieses Zieles der privatwirtschaftlichen Organisation ist es aber auch notwendig, Zwischenschritte zu gehen. Wir brauchen hier organisatorische, personelle und finanzielle Verbesserungen. Ich appelliere auch an dieser Stelle an die Fluglotsen, in den schwierigen Monaten, die im Sommer mit einer starken Inanspruchnahme der Flughäfen und des Luftraumes noch vor uns liegen werden, durch ihren Einsatz dafür zu sorgen, daß die Verspätungen und die Beeinträchtigungen für diejenigen Bürger, die das Flugzeug benutzen, auch zumutbar bleiben. ({7}) Was wir im Bereich der Flugsicherung ebenfalls brauchen, ist die europäische Lösung. Hier bietet sich EUROCONTROL an. Weil eben der Luftraum grenzenlos ist, meine Damen und Herren, ist allerdings für die Zukunft unabdingbar, daß wir hierin auch Osteuropa einbinden. Das setzt voraus, daß dort auf die Dauer ebenfalls ein staatenübergreifendes Instrumentarium geschaffen wird. Meine Damen und Herren Kollegen! EUROCONTROL ist im Moment ja ebenfalls mit der Entwicklung und dem Betrieb einer europäischen VerkehrsflußSteuerungszentrale beauftragt. Dadurch soll sichergestellt werden, daß alle Kapazitätsreserven im Flugsicherungssystem voll ausgeschöpft werden können. Die derzeit noch vorhandenen zwölf europäischen Verkehrsfluß-Steuerungszentralen sollen in Stufen zunächst auf fünf und dann auf eine reduziert und zu einer zusammengefaßt werden. Ich meine, daß es auf Grund einer Vielzahl von Fakten, auch auf Grund der bisherigen Beiträge der Bundesrepublik in diesem Bereich unser Ziel sein muß, daß Sitz dieser Zentrale Frankfurt wird. Ich halte dies für ein ganz wichtiges Anliegen und bitte die Bundesregierung, mit dem notwendigen Nachdruck auch innerhalb der EG dafür einzutreten. ({8}) Ich sage an dieser Stelle: Im übrigen, meine Damen und Herren, es ist absolut notwendig, daß sich die Bundesrepublik stärker als bisher bemüht, daß europäische Behörden auch in unserem Land angesiedelt werden und daß nicht nur Brüssel und Luxemburg die europäischen Zentren bleiben. Auch dies ist eine wichtige Aufgabe unserer Politik. Jung ({9}) Meine Damen und Herren, ich bin sicher: Wenn wir, wie es sich in den Ausschußberatungen schon abgezeichnet hat, gemeinsam weiterhin über die Grenzen der Regierungskoalition dafür sorgen, daß diese zukunftsweisenden Maßnahmen ergriffen werden, werden wir in einigen Jahren Vollzug melden können, und die Situation, die wir heute noch beklagen, wird sich verbessert haben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kretkowski.

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist alles schon x-mal gesagt, untersucht, berichtet, vorgelegt und auch beschlossen worden. ({0}) So gesehen war Anlaß dieser Beratung nicht irgendeine EG-Vorlage - Frau Kollegin Teubner, das können Sie natürlich nicht wissen, weil Sie im Verkehrsausschuß nicht, jedenfalls meistens nicht dabei sind - , ({1}) sondern Anlaß waren Diskussionen und Beratungen im Ausschuß, die sich inzwischen über mehr als zehn Jahre erstrecken. Irgendwann ist dem Ausschuß einmal der Kragen geplatzt, und er hat gesagt: Diesen Krampf von seiten der Bundesregierung machen wir nicht mehr mit. Wenn die Beamten mit einer Gesetzesinitiative nicht überkommen, dann wollen wir, der Ausschuß, das Parlament, das selbst in die Hand nehmen. Trotz allem Wenn und allem Diskutieren - das ist der Punkt - hat der Verkehrsminister die Lösung der Probleme eigentlich nur vor sich hergeschoben. Inzwischen, Kollege Walther, ist der Herr Warnke geflogen, aber um den Luftverkehr ist es nach wie vor nicht sehr viel besser gestellt, obwohl alle Betroffenen und Beteiligten in seltener Einmütigkeit seit geraumer Zeit die Regierung treiben. Von den Luftverkehrs- und Flughafengesellschaften über die Beschäftigten und deren Organisationen, die Kunden bis zu den Fraktionen hier in diesem Parlament: alle sind sich einig, daß es eigentlich fünf Minuten vor zwölf ist; denn die Lage im europäischen Luftverkehr ist katastrophal. Es ist mehrfach gesagt worden: Der deutsche Luftraum ist durch Kurzstreckenflüge, durch Überflugverkehr, durch zunehmenden Regionalverkehr, durch den Verkehr der allgemeinen Luftfahrt sowie durch ein Übermaß an militärischem Überflugverkehr überlastet. Im Zuge einer Liberalisierung in Europa ist mit einer weiteren Steigerung der Nachfrage zu rechnen. Die Flugsicherung ist weder mit ihrer technischen Ausrüstung noch mit ihrer personellen Ausstattung den Herausforderungen des zunehmenden Luftverkehrs gewachsen. Das gilt für die Bundesrepublik Deutschland wie auch für Europa. Die niedrige Produktivität der Flugsicherung führt zu höheren Kosten für die Nutzer. Dies sind Wettbewerbsnachteile für unsere Gesellschaften, bedeutet aber auch höhere Preise für unsere Kunden. ({2}) Die Kapazität der Flughäfen Frankfurt, München und Düsseldorf reicht nicht aus, um den wachsenden internationalen Luftverkehr pünktlich und zuverlässig abzuwickeln. Die Flughäfen sind mit Ausnahme von Frankfurt unzureichend in das Eisenbahnnetz eingebunden. Die Vorteile eines integrierten Verkehrsnetzes können nicht genutzt werden. So gesehen geht es nicht nur um die Verkehrssicherheit - ich will dieses Argument nicht herabsetzen - , und es geht nicht nur um den Umweltschutz, sondern es geht auch um den Industriestandort Bundesrepublik, wenn die Luftverkehrsverbindungen unzureichend sind und nicht mit den marktwirtschaftlichen Entwicklungen wachsen können. Was zu tun ist, liegt auf der Hand: Überflüssiger Verkehr muß auf die Schiene zurückgeholt bzw. darf nicht weiter in die Luft verlagert werden. ({3}) Die Flughäfen München und Düsseldorf müssen in das Intercity-Netz eingebunden werden. Die geplante TGV-Verbindung Paris-Köln muß ebenfalls an den Flughafen Köln angebunden werden. Mittelfristig ist eine Substitution von Kurzstrecken- und Zubringerverkehr durch Eisenbahnverbindungen anzustreben. Die Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf müssen in ihrer Kapazität erweitert werden, nicht mit dem Ziel: zusätzliche Mengen um jeden Preis, sondern zur Bewältigung des nicht verlagerbaren Flugverkehrs. Dazu gehört z. B. der direkte Interkontinentalverkehr, dessen sich, Frau Teubner, auch die Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion, wie ich immer feststelle, sehr häufig bedienen. Zusätzliche zivile Luftstraßen müssen in Europa und der Bundesrepublik geschaffen werden - auch zu Lasten des militärischen Luftverkehrs - , und bestehende Luftstraßen zwischen zwei Flughäfen müssen verkürzt werden, damit Zeitraum und teure Umwege entfallen können. Schließlich: In Europa muß die Schaffung eines einheitlichen Flugsicherungssystems im Vordergrund stehen. Die heutige Zersplitterung in 40 Regionalzentren und 22 unterschiedliche Systeme muß überwunden werden. Hierzu ist eine große finanzielle und organisatorische Anstrengung notwendig. Wir haben in den Vereinigten Staaten gehört, daß die Amerikaner in den nächsten Jahren 18 Milliarden DM in die Hand nehmen und investieren werden. ({4}) So gesehen sind das, was wir hier über unseren Haushalt vorhaben, eigentlich nur peanuts. Die Reform der deutschen Flugsicherung muß als ein Baustein für ein reformiertes europäisches System gesehen werden, ebenso wie für eine integrierte zivile/militärische Flugsicherung. Die für eine optimale Fortentwicklung der für das FlugsicherungssyKretkowski stem so notwendige Wechselwirkung zwischen praktischer Durchführung der Flugverkehrskontrollen einerseits und der Entwicklung der technischen Infrastruktur andererseits muß unter allen Umständen erhalten bleiben. Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung dies so sieht, muß sie daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Das heißt, die Ungerechtigkeit, daß die Flugsicherungstechniker und -ingenieure von Erschwerniszulagen und Aufwandsentschädigungen ausgeschlossen sind, muß sofort beseitigt werden. Nach allem, was man hört, plant die Bundesregierung das Gegenteil. Ich bitte Sie, Ihre Überlegungen zu überprüfen. Meine Damen und Herren, der Luftverkehr ist ein Gemeinschaftsprodukt der Luftverkehrsgesellschaften, der Flughäfen und der Flugsicherung. Alle drei Partner sind zur Zusammenarbeit bereit. Setzen Sie, meine Herren von der Bundesregierung, sich über die Bedenkenträger in Ihrer Beamtenhierarchie hinweg. Vertrauen Sie den Beamten in Ihrem Haus, die wissen, daß es zum Weiterwursteln zu spät ist. Ein letztes Wort an die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Ich bin dem Kollegen Gries sehr dankbar, daß er der Bundesregierung seinerseits heute hier Dampf gemacht hat. Wir sind uns einig im Ziel. Wir, die Sozialdemokraten, haben Ihnen die Zusammenarbeit für eine gemeinsame Gesetzesinitiative angeboten. Dieses Wort gilt. Ich füge hinzu: Es gilt bis zum 31. Mai 1989. Dann müssen die Entwürfe auf dem Tisch liegen, wenn in dieser Legislaturperiode noch etwas entschieden werden soll. Sorgen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dafür, daß unsere Gemeinsamkeit nicht an der Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung scheitert. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL - Drucksachen 11/3814 und 11/4173 -. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4249. Es handelt sich um vier Entschließungen des Europäischen Parlaments zum Luftverkehr. Wer stimmt den Beschlußempfehlungen zu? - Die GRÜNEN wollen nicht; gut. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen. Der Tagesordnungspunkt 15 wurde abgesetzt. Ich rufe Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Rock, Weiss ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Verkehr am Oberrhein - Drucksache 11/3863 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Das Haus ist einverstanden. So beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Luftraum ist überfüllt, aber deswegen geht es unten auf den Straßen noch lange nicht gemütlicher zu; die täglichen Staumeldungen belegen es: am Wochenbeginn vor allem in den Ballungsräumen, am Ferienbeginn vor allem auf den Autobahnen Richtung Süden. Wir werden es vor Pfingsten wieder erleben. Während sich Teile des Geschäfts-, Reise- und Urlaubsverkehrs in den immer enger werdenden Luftraum verlagern, werden die Fernstraßen von immer mehr Güterverkehr verstopft. Dieser Güterfernverkehr wird in Westeuropa bis zum Jahr 2000 kontinuierlich steigen. Nach der Vollendung des Binnenmarkts rechnet man mit einem Plus von 33 %, und auch künftig wird dieser Güterfernverkehr in erster Linie auf der Straße abgewickelt werden. Das sagt eine Studie des Prognos-Instituts vom letzten Herbst. Aus dieser Studie geht auch hervor, daß der größte Teil dieses Handels im Jahre 2000 zwischen fünf Staaten abgewickelt wird, und zwar: Bundesrepublik, Frankreich, Niederlande, Großbritannien und Italien. Nun halten Sie sich eine Karte von Europa vor Ihr geistiges Auge, und Sie werden unschwer erkennen, welche Bedeutung bei dieser Entwicklung der zentralen deutsch-französisch-schweizerischen Grenzregion am Oberrhein zukommt. Über den Gotthard bzw. durch den Gotthard-Tunnel fuhren 1979 21 000 Lkw, 1988 waren es 400 000 Lkw. ({0}) - Vom Oberrhein kommt man direkt zum Gotthard. Heute werden jährlich 60 Millionen Tonnen Güter über die Alpen transportiert, im Jahr 2000 rechnet man mit 100 Millionen, im Jahre 2010 mit 121 Millionen Tonnen pro Jahr. Doch auch hier - genau wie beim verstopften Luftraum - fragt keiner: Wie kann man diese Ströme bremsen, wie kann man sie verhindern? In der Wachstumsgesellschaft ist es nicht opportun, solche Fragen zu stellen. Von Jugoslawien bis zu den französischen Alpen stirbt der Bergwald, auf jeden Quadratkilometer der Schweiz fallen jährlich 20 Tonnen Stickoxide, doch den Wachstumsfetischisten ist das egal; ihnen fällt auch hier nichts anderes ein als Kapazitätsausweitungen. Wenn sich die Alpen nicht abräumen lassen - freie Sicht von Mailand bis zur Nordsee - , müssen sie eben gnadenlos durchbohrt werden, mit immer mehr, immer längeren Tunneln. Das ist keine Verkehrspolitik und schon gar nicht eine umweltbewußte Verkehrspolitik, und vor allem ist das auch keine Politik für ein Europa der Regionen. ({1}) Doch wäre es nach allen Erfahrungen auch illusorisch, zu erwarten, daß in den Machtzentralen in Bonn und in Brüssel eine Regionalpolitik entwickelt wird, die diesen Namen verdient. Das können die Betroffenen in den Regionen selbst viel besser. Wir müssen uns allerdings mit den Forderungen, die aus den Regionen an uns herangetragen werden, ernsthaft befassen. Ernsthaft heißt nicht bloß, wie man es dauernd beobachten kann, hinaus ins Land zu düsen, den Menschen dort schöne Augen und schöne Worte zu machen und dann, nach Bonn zurückgekehrt, alles bald wieder zu vergessen. Wir stellen mit unserem heutigen Antrag Ihre Ernsthaftigkeit auf die Probe. Sie werden gesehen haben, wenn Sie den Antrag gelesen haben: Er besteht fast nur aus Zitaten. Zitate aus einem Forderungskatalog, den etwa 500 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Regionalpolitiker bzw. -politikerinnen und Verbandsvertreter bzw. -vertreterinnen aus dem Elsaß, der Nordwestschweiz und Südbaden, eben aus der Oberrhein-Region, auf einem verkehrspolitischen Kongreß im September 1988 in Kehl diskutiert haben. Es sind detaillierte Forderungen, detaillierte Handlungsvorschläge für eine integrierte, grenzüberschreitende Verkehrspolitik am Oberrhein, die die Menschen in dieser europäischen Zentralregion nicht überfährt, sondern ihre alltäglichen Transportbedürfnisse zum Maßstab nimmt. Wir haben, wie gesagt, sehr viele dieser Vorschläge wörtlich aufgegriffen, und wir sind gespannt, wie Sie mit diesem Votum aus der Region, von der Basis umgehen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem Redebeitrag der Kollegin Frau Teubner waren eigentlich wenig Inhalte von diesem sehr verdienstvollen Kongreß zu erkennen, der Ihrem Antrag zugrunde liegt. ({0}) Ich habe also trotz aufmerksamen Zuhörens hier nicht sehr viel von diesen Thesen gehört ({1}) - doch! -, von denen Sie in Ihrem Antrag, den ich gelesen habe, glücklicherweise einige etwas ausführlicher gebracht haben. ({2}) An diesem Antrag kann, da er fast nur aus Zitaten von einem Kongreß besteht, der von der Landesregierung Baden-Württemberg durchgeführt wurde, glücklicherweise nicht sehr viel falsch sein. Falsch sind allerdings Ihre Folgerungen, die Sie daraus gezogen haben. ({3}) Das Ziel des Kongresses „Verkehr am Oberrhein" war, das Verkehrsgeschehen am Oberrhein zu analysieren und Handlungsbedarf sichtbar zu machen. Bei der Analyse braucht man nicht sehr intelligent zu sein, um festzustellen, daß es bei allen Verkehrsträgern erhebliche Schwachpunkte gibt, nicht nur in der Luft, sondern auch auf dem Boden. Der zunehmende Verkehr im gemeinsamen Binnenmarkt wird - und dies ist unter Verkehrspolitikern bekannt - diese Schwachpunkte verstärken. Ich bringe Ihnen ein Zitat von diesem Kongreß: Der Straßenverkehr wird auch dann, wenn die Bemühungen zur Nutzung anderer Verkehrssysteme intensiviert werden, am Oberrhein wegen der auffallenden Zunahmen des grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehrs seine wichtige Rolle behalten. Deshalb sind die Folgerungen der GRÜNEN aus der richtigen Analyse des Drei-Länder-Kongresses in bezug auf den Straßenbau in allen Punkten falsch. ({4}) Sie lehnen fast alle im Bedarfsplan des Bundes stehenden Straßen ab, so den Neubau der A 98 ({5}), den Bau der Autobahn-Querspange Rheinfelden, den Bau der zollfreien Straße LörrachWeil. ({6}) Dies, obwohl allen Verkehrspolitikern - auch den Teilnehmern des Kongresses - klar ist, daß es in Baden-Württemberg und vor allem am Oberrhein an leistungsfähigen Ost-West-Verbindungen fehlt. Der Kongreß setzt hier eine eindeutige Priorität beim „Nachholbedarf" im Straßenbau. Natürlich brauchen wir im Dreiländereck eine integrierte, grenzüberschreitende Verkehrspolitik. Insoweit nehmen die GRÜNEN eine Forderung auf, der alle kompetenten Verkehrspolitiker schon seit Jahren zustimmen. Richtig ist aber auch die These: Der spezifische Vorteil des Straßenverkehrs - auch im Rahmen einer integrierten Verkehrsplanung - liegt in der unüberbietbaren Individualität, Flexibilität und Unabhängigkeit dieses Verkehrsträgers. ({7}) - Alles Zitat des Kongresses. Außerhalb von Ballungsräumen sowie bei der Feinverteilung bleibt er auch bei der angestrebHaungs ten Stärkung des öffentlichen Personenverkehrs und des Schienen-Güterverkehrs ohne Alternative. Wer heute die Stärkung des Schienenverkehrs fordert und realistisch denkt, ist zufrieden, wenn es gelingt, die erwarteten Verkehrszuwächse - oder Teile davon - auf die Schiene zu bringen. Die Liberalisierung der Verkehrsmärkte führt zu einer Verschärfung der Konkurrenzsituation der Verkehrsträger. Darauf haben sich die Eisenbahnen einzustellen; sonst werden sie im Wettbewerb verlieren. Es reicht auch nicht, wenn die nationalen Eisenbahngesellschaften mit viel Geld auf ihrem Territorium Hochgeschwindigkeitsnetze aufbauen. Diese müssen grenzüberschreitend verknüpft werden. Dies sieht der Kongreß sehr richtig und stellt entsprechende Forderungen auf. Die Eisenbahnen haben das Wachstumspotential im grenzüberschreitenden Verkehr nicht genutzt, weil sie zu lange nur national geplant und die Marktentwicklung schlicht und einfach verschlafen haben. Die Diskussion über eine oder mehrere neuer Alpentransversalen, verbunden mit einem neuen Selbstverständnis der Bahn, eröffnet natürlich die Möglichkeit, in der Zukunft mehr Verkehr auf der Bahn abzuwickeln. Ich habe in Ihrem Beitrag, Frau Kollegin Teubner, allerdings ein Bekenntnis zur Infrastruktur der Bahn, verbunden mit einem notwendigen Tunnel durch die Alpen vermißt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Ihr Lippenbekenntnis zur Bahn in die Wirklichkeit umgesetzt werden soll, wenn Sie der Bahn keine entsprechenden Strecken und Trassen - und dazu gehören in den Alpen Tunnels - bieten wollen. Aus der Sicht der Oberrhein-Region würde ein Gotthard-Tunnel in idealer Weise dazu beitragen, die Kapazität der Bahn zu erhöhen und durch schnellere Kundenbedienung die ökologisch wünschenswerte Verlagerung der Verkehrszuwächse angesichts überfüllter Straßen und Lufträume zu beschleunigen. Abschließend noch ein Wort zum Luftverkehr und zum Euro-Airport Basel-Mulhouse-Freiburg: Hier sollte auch von uns Deutschen die Chance genutzt werden, durch Direktverbindungen mit dem Zug, durch direkte Straßenanschlüsse an das französische und deutsche Autobahnnetz und durch die Nähe zu den Rheinhäfen ein erstklassiges integriertes Transportzentrum zu schaffen. Es wäre wünschenswert, wenn möglichst viele Folgerungen aus den Kongreß-Thesen in die praktische Verkehrspolitik umgesetzt würden. Sie haben mit Ihrem Antrag dazu keinen Beitrag geliefert. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Also, liebe Fraktion der GRÜNEN, der hier vorliegende Antrag ist ja eigentlich recht kläglich. Denn er befaßt sich nur mit einem Teilbereich europäischer Verkehrspolitik und entlastet die GRÜNEN überhaupt nicht, sich mit der Problematik Europa und Verkehr konsequenter auseinanderzusetzen. Es müßte nicht nur grenzüberschreitend gedacht werden, sondern es müßte hier wirklich europäisch gedacht werden. Denn ohne eine gemeinsame Verkehrspolitik gibt es für uns keinen europäischen Binnenmarkt. In der verkehrspolitischen Diskussion - diese mag ja an Ihnen ein bißchen vorbeigegangen sein - geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Grundlage der nationalen und europäischen Verkehrskonzepte muß es sein, die einzelnen Verkehrsträger zu einem Gesamtverkehrskonzept zu verknüpfen. ({0}) Dies ist der Regierung leider noch nicht einmal auf nationaler Ebene geglückt. Ich frage mich, wie sie eigentlich Motor auf europäischer Ebene sein will. Beim Tagesordnungspunkt zuvor haben wir ja gemerkt, daß wir Parlamentarier hier eine sehr große Verantwortung haben. Ich könnte mir vorstellen, daß es uns so wie im Luftverkehr auch noch in anderen verkehrspolitischen Bereichen gehen wird. Ich kann mir leider den neuen Verkehrsminister nicht ansehen, weil er nicht da ist. ({1}) Das ist nicht gerade sehr hoffnungsvoll. Wir haben ihn noch nicht gesehen; wir haben ihn noch nicht gehört. Was ich bisher von ihm gelesen habe, war sehr kläglich und ging wenig in Richtung Veränderung der Verkehrspolitik. Ich habe da also wenig Hoffnung auf Änderung. Nötig ist eine europäische Verkehrspolitik; ich denke, das ist unumstritten. Sie muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Verkehrsträger und Verkehrsunternehmen ihre Transportaufgaben ökonomisch sinnvoll sowie menschlich und umweltgerecht leisten. Zwischen den Verkehrsträgern Schiene, Straße und Wasserstraße hat eine zweckmäßige Arbeitsteilung nach gesamtwirtschaftlich vernünftigen Kriterien zu erfolgen. Ziel muß es sein, die arteigenen Vorzüge des jeweiligen Verkehrsträgers besser zu nutzen und die einzelnen Verkehrsträger zu optimalen Transportketten zu verknüpfen. Umweltschutz und Verkehrspolitik dürfen für mich nur noch im Zusammenhang gesehen werden. Der Pkw-Bestand wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Lkw-Transporte nehmen zu. Die Prognosen liegen uns allen vor. Wir werden aus den verschiedensten Gründen kaum mehr neue Straßen haben. Aber wir werden weiterhin sterbende Wälder und verpestete Städte und Gebiete haben. Wir werden weiterhin lärmgeplagte Menschen, gestreßte Autofahrer und eine Vielzahl von Toten auf unseren Straßen haben. Wir alle haben die Verpflichtung, umgehend zu handeln. Dies heißt für uns Verkehrspolitiker in bezug auf Europa, kleinere Regionen mit einbezogen: Die Schiene muß zukünftig wieder tragende Aufgaben im Güter- und Personenverkehr übernehmen. Sie muß Partner des Verkehrssystems Straße werden. Hierzu gibt es einfach keine Alternative mehr. Schon heute ist jeder Verkehrsknotenpunkt im deutschen Autobahnnetz durch Pkw wie durch Lkw total überlastet. Eine Verkehrspolitik, die ausschließlich auf die Straße setzt, muß einfach scheitern. Das gilt national wie europäisch. Auch Europa muß noch lernen, über seine europäischen Grenzen hinweg zu denken und zu handeln. ({2}) Die europäische Verkehrspolitik muß einen Ausgleich zwischen Mobilitätsansprüchen und dem Schutz der Umwelt herbeiführen. Wir müssen die Schienenwege leistungsfähig machen. Die Bahn hat eine wachsende europäische Bedeutung. Dazu müssen wir ihr auch eine Chance geben, d. h. z. B. gerechtere Wettbewerbsbedingungen. Der kombinierte Verkehr muß ausgebaut werden. Die Verantwortung für Umwelt und Natur gebietet, die umweltfreundlichen und energiesparenden Verkehrsträger in die Lage zu versetzen, einen wesentlichen Teil des Verkehrsvolumens zu übernehmen. Über Grenzen zu denken und über Grenzen zu handeln, im großen und auch im kleinen Bereich, das ist sicherlich unser Ziel. In dem - ich bezeichne es jetzt einmal so - Sammelsurium Ihres Antrags habe ich mit etwas Mühe durchaus einige interessante Aspekte entdeckt. Das war nicht ganz einfach, weil Sie zu dem, was Sie wirklich wollen, nämlich in Richtung Modell zu denken, leider einfach alles hineingepackt haben und Ihr Hauptanliegen für meine Begriffe ziemlich zu kurz kommt. Wir werden diesen Antrag im Ausschuß nach unseren Kriterien diskutieren und bewerten. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im September des vergangenen Jahres hat in Kehl am Rhein ein Kongreß über Verkehrsprobleme am Oberrhein stattgefunden. Als Abgeordneter aus dem Main-Neckar-Dreieck, der es mit der Problematik von drei Bundesländern zu tun hat, kann ich nachfühlen, welche erheblichen Schwierigkeiten entstehen, wenn man es mit drei Staaten zu tun hat, nämlich mit Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz. ({0}) Die Probleme, die wir dort haben - das ist vorhin vom Kollegen Haungs ausgeführt worden - , werden im Zusammenhang mit der Vollendung des Binnenmarkts natürlich zunehmen. Aus diesem Grunde war dieser Kongreß eine außerordentlich verdienstvolle Veranstaltung. Die Verkehrspolitiker der Bundestagsfraktion der FDP werden gemeinsam mit unserer Landtagsfraktion, vor allem mit meinem Freund und Kollegen Kurt Vollmer, dem verkehrspolitischen Sprecher unserer Landtagsfraktion, die Ergebnisse dieses Kongresses sehr intensiv prüfen und darauf befragen, welche Konsequenzen sich hieraus für die Verkehrspolitik in Bund und Land ergeben. Ich habe soeben ganz bewußt die Fraktion der FDP im Landtag von BadenWürttemberg erwähnt, weil dieses Thema nur in gemeinsamer Arbeit von Bund und Land gelöst werden kann. ({1}) Wir lassen uns dabei von drei Maximen leiten. Erstens. Wir wollen eine Stärkung des Schienenverkehrs. Mit der Entscheidung Kohl/Mitterrand für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz und die Anbindung Paris-Ostfrankreich-Südwestdeutschland sind hier wesentliche Weichenstellungen vorgenommen worden. Zweitens. Wir wollen, daß die notwendigen Straßenausbaumaßnahmen unter strenger Berücksichtigung umweltpolitischer Kriterien erfolgen. Drittens. Wir wollen, daß eine integrierte grenzüberschreitende Planung im Interesse dieser Region stattfindet. Der Kongreß hat dazu, wie ich meine, wichtige Anhaltspunkte geliefert, mit denen wir uns dann im Verkehrsausschuß weiter auseinandersetzen wollen. Wenn man den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN genau liest, erkennt man, daß er auf vielen Seiten sehr selektive Zitate aus den Arbeitspapieren und Ergebnissen dieses Kongresses enthält. Auf Seite 4 wird quasi eine Schlußfolgerung gezogen, die sich auf den Neubau der A 98, den Bau der Autobahn-Querspange Rheinfelden und den Bau der zollfreien Straße Lörrach/Weil bezieht. Das erweckt bei dem unbefangenen Leser den Eindruck, dies seien die Ergebnisse des Kongresses. Weit gefehlt! Wenn Sie sich die Papiere des Kongresses anschauen, stellen Sie fest: Dort steht auf Seite 122 unter Bezugnahme auf die drei soeben von mir erwähnten Straßenbauprojekte: „Die grenzüberschreitende Abstimmung bei der Verwirklichung dieser Projekte sollte im Rahmen der Arbeitsgruppe ,Regionale Verkehrspolitik' intensiviert werden. " Das Verfahren, das Sie hier anwenden, meine hochverehrlichen Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN, hat einen einfachen Namen, nämlich Manipulation. ({2}) Ich glaube, das ist vom Umfang miteinander in diesem Parlament her unakzeptabel. Ich glaube vor allem, daß man mit diesem völlig unakzeptablen Verfahren der Sache, um die es geht und die eine gute Sache ist, einen Bärendienst zu erweisen versuchen wollte. Deswegen weisen wir diese Insinuation hier deutlich zurück. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Renger Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3863 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Kein Widerspruch. So beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1989 ({0}) - Drucksache 11/4350 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Ihnen zur ersten Beratung vorliegende Nachtragshaushalt 1989 ist vor allem notwendig, um die Finanzierung des vereinbarten Hochschulsonderprogramms und damit eine rasche Verbesserung der Studiensituation sicherzustellen. Insbesondere in den besonders belasteten Studiengängen wie Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau müssen die Lehr- und Forschungskapazitäten an die wesentlich größere Zahl der Studenten angepaßt werden. Das Sonderprogramm wird vom Bund und den Ländern je zur Hälfte finanziert und hat eine Laufzeit von sieben Jahren. Im Nachtragshaushalt sind dafür 150 Millionen DM eingesetzt. Wir wollen auch die Exportkontrolle durch die Bereitstellung zusätzlicher Planstellen verbessern. Damit soll insbesondere die illegale Ausfuhr von Kriegswaffen und für die Herstellung von Kriegswaffen notwendigen Anlagen und Produkten verhindert werden. Zugleich werden zusätzliche Stellen für die Eindämmung des Mißbrauchs des Asylrechts geschaffen. Insgesamt sind im Nachtragshaushalt Mehrausgaben von 222 Millionen DM vorgesehen. Durch die bis jetzt vereinbarten Maßnahmen werden sich jedoch die Gesamtausgaben und die Neuverschuldung des Bundes 1989 nicht erhöhen, ({0}) weil an anderer Stelle entsprechende Einsparungen vorgenommen werden. Allerdings zeichnet sich inzwischen zusätzlicher Handlungsbedarf ab, der bei der Einbringung des Entwurfs des Nachtragshaushalts noch nicht bekannt war. Dieser zusätzliche Handlungsbedarf wird noch im Verlauf der parlamentarischen Beratung berücksichtigt. Zum einen wird die dem Haushalt 1989 zugrunde liegende Zahl von 200 000 Aussiedlern vermutlich deutlich überschritten werden. Bis Ende April sind bereits 100 000 Aussiedler in die Bundesrepublik gekommen. Wenn der erhöhte Zustrom anhält, werden es bis zum Jahresende voraussichtlich 350 000 bis 400 000 sein. Die für die Eingliederung unserer neuen Mitbürger notwendigen Mittel müssen im Haushalt 1989 zusätzlich bereitgestellt werden. Zusätzliche Mittel werden auch für die Anlaufkosten der vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigten Initiative zur Verbesserung der Situation der Langzeitarbeitslosen benötigt. Die Bundesregierung wird rechtzeitig für die Ausschußberatungen ihre Finanzierungsvorschläge zu beiden Bereichen vorlegen. Ich bitte um Verständnis, daß dies auch in Anbetracht der neuen Zahlen und der kurzen Zeit bei der Vorlage noch nicht möglich war. Wir werden das baldmöglichst tun, damit der Haushaltsausschuß mit allen Unterlagen und entsprechenden Vorschlägen verhandeln, diskutieren und beschließen kann. Trotz der zusätzlichen Ausgabenbelastungen und trotz der vereinbarten steuerlichen Maßnahmen werden wir in diesem Jahr eine deutliche Verbesserung der Haushaltssituation des Bundes erreichen. Besonders erfreulich ist die wesentlich günstigere Entwicklung der Steuereinnahmen, wie wir sie gestern durch die neueste Steuerschätzung zur Kenntnis nehmen konnten. ({1}) Nach der jüngsten Steuerschätzung ergeben sich für den Bund in diesem Jahr Mehreinnahmen von 2,1 Milliarden DM. 1990 werden die bisherigen Erwartungen voraussichtlich um 7 Milliarden DM für den Bund und auch 7 Milliarden DM für die Länder übertroffen werden. Auf der Grundlage dauerhafter Ausgabenbegrenzung und spürbarer Steuerentlastungen haben wir in den letzten sechseinhalb Jahren beeindruckende wirtschaftliche Erfolge erreicht. ({2}) - Das wird niemand bestreiten können. Die derzeitige Preissteigerungsrate liegt weit unter dem, was Sie zu Ihrer besten Zeit überhaupt vorweisen konnten, Herr Kollege Walther. ({3}) Es ist schon eine interessante Sache, daß man uns knapp 3 % Inflation von der Seite vorhält, ({4}) die zu ihrer Zeit bei 5 %, 6 % und manchmal noch mehr Prozent gelegen hatte. ({5}) Aber über niemand ist mehr Freude als über einen reuigen Sünder, und in der Inflationspolitik und in der Stabilitätspolitik haben die Sozialisten in Europa dazugelernt; die außerhalb der Bundesrepublik mehr als die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Jetzt können wir sogar noch eine Verstärkung der Wachstumsdynamik, vor allem eine erhebliche Ausweitung privater Investitionen und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze verzeichnen. ({7}) - Nein, wir sind hier nicht in Passau, sondern wir sind im Hohen Haus, und das scheint dem Kollegen Walther im Moment nicht geläufig zu sein. Aber ich lade ihn gern einmal nach Passau ein, dann nimmt er nach langer Zeit wieder einmal an einer vernünftigen Parteiveranstaltung teil. ({8}) Seit dem Tiefpunkt der Beschäftigung sind inzwischen über 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden. Erstmals seit 1982 wird aller Voraussicht nach in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit unter die 2-Millionen-Grenze sinken. In diesem Jahr werden die Ausgaben des Bundes mit über 5 % deutlich schneller zunehmen als in den vergangenen sechs Jahren. Man muß immer wieder darauf hinweisen, worauf das zurückzuführen ist. Dieser stärkere Anstieg ist auf Sonderfaktoren zurückzuführen, insbesondere auf die Strukturhilfen für finanzschwache Länder und den erheblich erhöhten Beitrag zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, den wir bewußt nicht über Beitragserhöhungen decken wollten, wiel dies eine arbeitsplatzschädlichere Maßnahme gewesen wäre. ({9}) Im Haushaltsjahr 1990 soll der Zuwachs aber wieder deutlich zurückgeführt werden. Nur wenn wir auch in den kommenden Jahren den Ausgabenanstieg in den öffentlichen Haushalten unter dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts halten, kann zusätzlicher Spielraum für Steuerentlastungen, private Initiative und betriebliche Investitionen geschaffen werden. Nur auf der Grundlage verstärkten Wachstums können wir die uns gestellten staatlichen Aufgaben wirksam lösen. Haushalts-, finanz- und steuerpolitische Entscheidungen sind und bleiben untrennbarer Teil unserer gesamtwirtschaftlichen Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung. Solidität und Vertrauenswürdigkeit der Finanzpolitik sind entscheidende Wachstumsfaktoren. Die Rückführung der öffentlichen Kreditaufnahme entlastet die Finanzmärkte, trägt zur Zins- und Preisstabilität bei und verhindert ein immer weiteres Ansteigen der Zinsausgaben. Steuerentlastungen schaffen Raum für zusätzliches Wachstum, und genau das hat sich in den letzten sechs Jahren ganz ausdrücklich und bemerkenswert unter Beweis gestellt. ({10}) Nicht immer lassen sich alle Ziele zugleich erreichen. Wir werden auch in Zukunft einen vorübergehenden Anstieg der Neuverschuldung im Zusammenhang mit wachstumswirksamen Steuersenkungen zulassen. So wird im nächsten Jahr die Kreditaufnahme des Bundes durch die dritte Stufe der Steuerreform wieder ansteigen. Das Ziel der dauerhaften Konsolidierung der Staatsfinanzen wird dadurch nicht in Frage gestellt. Zusätzliche Wachstumsimpulse sind vielmehr die Grundvoraussetzung, um bei der Verwirklichung dieser Aufgabe noch weiter voranzukommen. Zur Konsolidierung gehört für uns auch die Senkung der Steuerquote. ({11}) Bei der Frage öffentlicher Defizite muß ein qualitativer Unterschied gemacht werden, ob sie auf Ausgabensteigerungen beruhen oder ob sie über Steuersenkungen herbeigeführt werden; ein ganz entscheidender qualitativer Unterschied. ({12}) - Steuersenkung auf Pump - was wir nicht betreiben - ist immer noch besser als Ausgabensteigerung auf Pump, wie Sie es in einer verhängnisvollen Weise bis 1982 betrieben haben. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Nachtragshaushalt reagieren wir rechtzeitig auf neue Herausforderungen und schaffen die notwendigen finanzpolitischen Grundlagen, um die aktuellen Aufgaben wirksam lösen zu können. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorlage des Nachtragshaushalts ist Symptom der politischen Gestaltungsschwäche, die ungeachtet vorhandener Verdienste, die ich gerne anerkenne, die Amtsführung des ausgeschiedenen Dr. Stoltenberg seit seinem Autoritätsverlust auch durch die Affäre Barschel bestimmt hat. Sie ist aber auch Ausdruck der Kurzsichtigkeit der Bundesregierung insgesamt, soweit sie verspätet auf die schweren Krisen an unseren Hochschulen reagieren will, und sie ist Ausdruck der technischen Hilflosigkeit, mit der sich die Bundesregierung um die Lösung des Asyl- und Ausländerproblems müht. Daß zu dem Nachtragshaushalt 1988 gleich für 1989 erneut ein Nachtragshaushalt vorgelegt werden muß, ist die Folge davon, daß der Bundesfinanzminister in den letzten Jahren auf die Haushaltsgestaltung nur noch einen passiv hinhaltenden, auf halbe Erfüllung von Forderungen gerichteten Einfluß genommen ({0}) und nicht mehr die Kraft hatte, selbst finanzwirtschaftliche Prioritäten zu setzen. 1988 versäumte er, auf die sich abzeichnende Verminderung des Bundesbankgewinns rechtzeitig zu reagieren. So sträubte er sich 1989, eine Bundesvorsorge für die prekäre Lage an den Hochschulen zu treffen. Es war - Sie werden sich erinnern - auch rechtlich zweifelhaft, daß der Bundesbildungsminister während der Beratungen zum Haushalt 1989 einen Nachtragshaushalt forderte, der jetzt vorgelegt ist. Ähnliches ist wohl für die zweite Lesung dieses Nachtragshaushaltes zu erwarten; denn der gleiche Bundesbildungsminister erhebt öffentlich und lautstark neue Forderungen, deren Inhalt er aus Papier der GRÜNEN abgeschrieben zu haben scheint. ({1}) Der Bundesfinanzminister, Herr Dr. Waigel, versäumt hier die Möglichkeit, den Bundeshaushalt 1989, der auf der Einnahmeseite durch überholte Steuerschätzungen und durch Eingriffe der Koalition unklar und unwahr geworden ist, auf ein realistisches Fundament zu stellen. Dabei bietet doch der Nachtragshaushalt Gelegenheit, die frisch geschätzten erheblichen Steuermehreinnahmen aus der guten Konjunkturentwicklung, aber auch der Erhöhung der Verbrauchsteuern ({2}) ebenso zu berücksichtigen wie die beträchtlichen Einnahmeausfälle, die sich aus der Rücknahme der kleinen Kapitalertragsteuer, also der Quellensteuer, ergeben, die übrigens bei der Schätzung bereits als geschehen unterstellt wird. Der neue Bundesfinanzminister sollte Rechtstreue auch dadurch demonstrieren, daß er dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts in dessen jüngstem Urteil zu Art. 115 folgt und angesichts des stetig wachsenden Schuldensockels im Staatshaushalt den Bundesbankgewinn in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Normallage ausschließlich zur Schuldentilgung heranzieht. Hier kann auch an eine spürbare Entschuldung der Deutschen Bundesbahn gedacht werden, wie wir es schon einmal gesagt haben. Ein Nachtragshaushalt ist aber vor allem ein geeignetes Instrument, wenn nach einer Bestandsaufnahme der bisherigen Politik bestimmte Kursberichtigungen nicht nur angekündigt, sondern auch zügig verwirklicht werden sollen. Ein Bundesfinanzminister, Herr Dr. Waigel, der seine Aufgabe politisch begreift - und dies tun Sie ja - , muß diese Gelegenheit nutzen, um politische Prioritäten zu setzen. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung einiges angekündigt. Sie haben uns gesagt, daß Sie eine geeignete Form wählen würden, um Anstrengungen zur Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit mit 1,75 Milliarden DM und im Bereich der Aussiedler und der Asylberechtigten nachzureichen. Ich appelliere an die Bundesregierung und an Sie, Herr Dr. Waigel, den Nachtragshaushaltsentwurf durch eine in der Bundeshaushaltsordnung vorgesehenen Ergänzungsvorlage auf die Höhe der rechtlichen und politischen Situation zu bringen. ({3}) Wie wird die Verlängerung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, die im Juli in Kraft treten soll, veranschlagt, wie die angekündigte Umwandlung des Arbeitslosengeldes für Aussiedler in ein Begrüßungsgeld, wie der heutigen Tagespresse zu entnehmen war? Wir hören, daß das Bundeskabinett am kommenden Mittwoch eine sozusagen informelle Ergänzung des Nachtragshaushaltes beschließen und in den Haushaltsausschuß nach Art der Bereinigungsvorlagen über die Koalitionsfraktionen einbringen will. Auch angesichts des viel größeren Volumens dieser Ergänzungen im Vergleich zum jetzigen Nachtragshaushaltsentwurf ist dieser Schleichweg verfehlt. ({4}) Nachdem die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung zum Schaden der gesamten Politik so schwer gelitten hat, ({5}) sollte nun durch eine Ergänzungsvorlage auch politisch der Neuanfang dokumentiert und wenigstens ein Restbestand von Autorität und Korrektheit demonstriert werden. ({6}) Nur dann wird man es der Regierung zutrauen, die heillose Konfusion z. B. in der Steuerpolitik zu überwinden, wo mit der einfachen Rücknahme der verfehlt angelegten Quellensteuer ein Versprechen ihrer Steuerreform vollkommen unerfüllt bleibt, ({7}) nämlich die Beseitigung von Steuersubventionen und die Herstellung von mehr Steuergerechtigkeit. Der Nachtragshaushalt ist auch eine der letzten Gelegenheiten für Ihr Ministerium, um einige schlimme Versäumnisse in Ihrer Fürsorgepflicht als Dienstherr gegenüber den Zollbeamten zu beheben. ({8}) Ich denke dabei insbesondere an die Auswirkungen von Schengen, an das Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarktes, durch das die Kontrollen an der Westgrenze abgeschafft werden. Davon sind 2 500 Beamte des Zoll- und Grenzschutzeinzeldienstes mit ihren Familien unmittelbar betroffen, Herr Dr. Waigel. Bis heute ist noch völlig unklar, wie die Zukunft dieser Beamten aussieht. Nach dem Aufbau und der beschlossenen Auflösung des Quellensteueramtes in Trier müssen sich viele Zollbeamte herumgestoßen fühlen. ({9}) Soweit ich sehe, können die meisten Stellen, die im Nachtragshaushalt gefordert werden und von denen Sie soeben gesprochen haben, mit Zollbeamten besetzt werden. Die verdienen Vorrang. Dies ist im übrigen auch ein Gebot, von dem jedem Haushälter klar sein müßte, daß es erfüllt werden muß. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Einbringung des Nachtragshaushaltes erfüllt die Bundesregierung einen verfassungsrechtlichen Auftrag. Nach Auffas10662 sung des Bundesverfassungsgerichts besteht für die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorlage eines Nachtrags zum laufenden Haushalt, wenn sich sachliche Bedürfnisse ergeben, die das Haushaltsgesetz überhaupt noch nicht bzw. nicht im erforderlichen Rahmen berücksichtigen konnte. Wenn der Kollege Esters in diesem Zusammenhang von einem Ausdruck der Kurzsichtigkeit spricht, ({0}) dann überrascht mich angesichts der prognostischen Fähigkeiten der SPD, die wir gestern im Haushaltsausschuß erfahren haben, sein Mut. ({1}) Ich will dies gern auch dem Plenum mitteilen. Wir haben gestern einen Antrag der SPD zur Lage am Arbeitsmarkt beraten. Darin heißt es: Der ohnehin nur schwache Beschäftigungsanstieg ist in den vergangenen Monaten zum Erliegen gekommen. ({2}) Mit rund 2,3 Millionen registrierten Arbeitslosen gerät die Bundesrepublik in einen Konjunkturabschwung. Seit die außenwirtschaftliche Schönwetterperiode vorbei ist, leidet der Aufschwung an Atemnot, und jetzt geht ihm die Luft aus. Diese prognostischen Fähigkeiten werden von der Realität nun wirklich widerlegt. Angesichts eines solchen Dokumentes hier von Kurzsichtigkeit zu sprechen, wenn der Bundesregierung - ({3}) - Ich habe ja Verständnis dafür, daß Sie das nicht gern hören. ({4}) - Den haben wir gestern beraten. Sie haben den Antrag im vorigen Jahr eingebracht. ({5}) Er ist etwa zur gleichen Zeit eingebracht worden, als die Bundesregierung den Haushaltsplan 1989 festgestellt hat. ({6}) - Herr Kollege Esters, angesichts der kurzen Zeit, so leid es mir tut - - Es wird mir nicht angerechnet?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, bitte, gern!

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Borchert, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieser Antrag aus den ersten Monaten des Jahres 1988 stammt, daß wesentliche konjunkturpolitische Beurteilungen damals in Übereinstimmung mit den Äußerungen des Bundesministers für Wirtschaft standen, die u. a. seinem damaligen Brief an den Bundesminister der Finanzen zu entnehmen sind, ({0}) und daß wir leider erst jetzt, ein Jahr später - daß der Antrag heute nicht mehr stimmt, weiß ich auch - , zur Beratung dieses Antrags kommen? Wir werden uns bemühen müssen, daß dies in Zukunft so nicht mehr passiert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Esters, der Antrag trägt das Datum 26. Mai 1988. Wenn dieser Antrag mit seiner Prognose so weit an der heutigen Situation vorbeigeht und wenn wir jetzt im Bundeshaushalt auf die veränderte Situation beim Zuzug von Aussiedlern reagieren, dann, meine ich, sollten Sie mit Ihren prognostischen Fähigkeiten und mit der Kritik an der Notwendigkeit eines Nachtragshaushaltes zurückhaltender sein. ({0}) - Ich würde jetzt gerne die kurze Zeit nutzen, um noch einiges vorzutragen. ({1}) - Vielen Dank, aber trotzdem. Frau Kollegin, wir haben ja sicherlich in einer Woche bei der zweiten und dritten Lesung Gelegenheit, uns erneut über die prognostischen Fähigkeiten der SPD zu unterhalten. Wir werden diese Gelegenheit dann gern wahrnehmen. Lassen Sie mich noch auf einige Punkte des Nachtragshaushaltes zu sprechen kommen. Herr Bundesminister Waigel hat darauf hingewiesen, daß uns die Entwicklung des starken Zuzugs von Aus- und Übersiedlern, deren Zahl bereits im vergangenen Jahr erheblich über den angenommenen Zahlen lag, zwingt, auch in diesem Jahr bei einem Nachtragshaushalt darüber nachzudenken, mit welchen Zahlen wir für dieses Jahr zu rechnen haben und wie wir die entsprechenden Sachtitel den erhöhten Zahlen anpassen müssen. Dies ist kein Schleichweg; wir reagieren damit vielmehr im Rahmen der Beratungen auf notwendige Veränderungen, die sich im Laufe dieses Haushaltsjahres ergeben haben. Meine Damen und Herren, wir werden beim Nachtragshaushalt ebenfalls über die Finanzierung zusätzlicher Hilfen für Langzeitarbeitslose zu entscheiden haben. In diesem Bereich zeigt sich, daß die verbesserte Situation am Arbeitsmarkt es ermöglicht, Langzeitarbeitslosen mit gezielten Maßnahmen zu helfen und die Situation der Betroffenen zu verbessern. Diese Maßnahmen lassen sich auf Grund der günstigen Bedingungen finanzieren. Insgesamt werden die mit dem Nachtragshaushalt getroffenen Maßnahmen von der CDU/CSU begrüßt. Unser Ziel bei der Beratung wird es sein, die Mehrausgaben soweit wie möglich im Haushaltsvollzug aufzufangen. Darüber hinausgehende Ausgaben dürfen auf keinen Fall zu einer Erhöhung der Neuverschuldung führen. Am Prinzip äußerster Sparsamkeit werden wir bei den Beratungen über den Nachtragshaushalt festhalten, und wir werden den eingeschlagenen Weg der Konsolidierung des Haushalts erfolgreich fortsetzen. Dies gilt auch für die Beratungen über den HaushaltsBorchert plan 1990 im Herbst. Dabei wird es unser Ziel sein, die Ausgabensteigerung auf 3 % zu begrenzen. ({2}) Damit bleibt die Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachstum auch in Zukunft erhalten. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der desolate Zustand, in dem sich die Haushaltspolitik dieser Regierung befindet, läßt sich unter anderem an dem zur Beratung anstehenden Nachtragshaushalt ablesen. ({0}) Es ist zwar schön, Herr Minister Waigel, daß Sie im Gegensatz zu Minister Zimmermann hier anwesend sind, ({1}) aber Ihre Rede konnte nicht darüber hinwegtäuschen, was tatsächlich mit diesem Nachtragshaushalt los ist. Inzwischen steht das Parlament Jahr für Jahr vor der Situation, daß der außerordentliche Haushalt noch nicht richtig verabschiedet ist, da wird von der Regierung bereits angekündigt, daß ein Nachtragshaushalt fällig ist. Siehe Ausführungen des Ministers Möllemann in der zweiten und dritten Lesung. Das ist schon Usus hier. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis. Dieser Nachtragshaushalt ist ein Sammelsurium fauler koalitionspolitischer Kompromisse. Zielsicher versteht es die Bundesregierung, auch diesmal wieder die zentralen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemfelder auszusparen, so die nach wie vor bestehende Massenarbeitslosigkeit von über zwei Millionen Menschen. Herr Kollege Borchert, da brauchen Sie sich gar nicht über den SPD-Antrag zu mokieren, der einen richtigen Ansatz zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit gegeben hat. ({2}) Hierhin gehören der Anstieg der Sozialhilfe bei Ländern und Gemeinden, die zunehmende Zerstörung der Umwelt und die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen. All das kommt in diesem Nachtragshaushalt nicht vor. Positiv ist allein das vorgesehene Hochschulsonderprogramm, wenn es auch unzureichend ist. Doch auch hier war es nicht Eigeninitiative und bessere Einsicht, welche die Regierung zu diesem Programm veranlaßt haben. Es mußte erst zu den katastrophenähnlichen Überlastungen an den Hochschulen, zu überfüllten Lehrsälen, zu dem personellen Dauernotstand und dem massiven Widerstand der Studenten kommen, bevor diese Regierung auch nur in Ansätzen zu handeln begann. Wir GRÜNEN haben schon in den Haushaltsberatungen im letzen Jahr ein sich über sechs Jahre erstreckendes Hilfsprogramm von insgesamt 3,6 Milliarden DM - das sind jährlich 300 Millionen DM für den Bund und 300 Millionen DM für die Länder - verlangt. Damals ist das von der Bundesregierung als Traumtänzerei belächelt worden. Auf der Westdeutschen Rektorenkonferenz war es Bundesminister Möllemann, der plötzlich seine eigenen Maßnahmen für unzureichend hielt und jetzt Nachbesserung verlangt. ({3}) - Wenn er recht hat, hat er recht. ({4}) Unter anderem sollen der Hochschulausbau forciert und zusätzliche Stellen für Nachwuchswissenschaftler bewilligt werden. Das zeigt die völlige Planlosigkeit und Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung auch in der Hochschulpolitik. ({5}) Meine Damen und Herren, die Hochschulkrise ist nicht vom Himmel gefallen, sondern sie hat sich seit Jahren verschärft, ohne daß von dieser Regierung ein Finger gerührt worden ist. Offensichtlich mußte es erst zu Spannungen und heftigen Protesten kommen, bevor die Regierung aus ihrem hochschulpolitischen Tiefschlaf aufgewacht ist. ({6}) Meine Damen und Herren, die politischen Prioritäten dieser Regierung werden besonders deutlich, wenn man die zusätzlichen Ausgaben und neu eingerichteten Planstellen für die Verschärfung der Exportkontrollen mit denen für die Abschreckung von Asylberechtigten vergleicht. Zur Verhinderung des Exports von biologischen und chemischen Waffen stellt die Bundesregierung im Nachtragshaushalt 8,5 Millionen DM bereit und richtet zusätzlich 82 neue Stellen ein. Gleichzeitig werden zur Abschreckung von Asylbewerbern 221 neue Planstellen und insgesamt 45 Millionen DM bereitgestellt. Statt mehr Mittel für schärfere Kontrollen illegaler Giftgas- und Rüstungsexporte - siehe MBB-Raketensysteme - bereitzustellen, geht es der Bundesregierung darum, möglichst viele Asylbewerber im Vorfeld abzuschrecken und die Grenzen dichtzumachen. Das ist noch nicht alles. Auch finanztechnisch, Herr Waigel, ist die Haushaltspolitik der Bundesregierung inzwischen zum Rasenmäher verkommen. Zur Finanzierung des Nachtragshaushaltes ist eine globale Minderausgabe von 220 Millionen DM vorgesehen. Im laufenden Haushalt sind bereits 1,36 Milliarden DM an globalen Minderausgaben veranschlagt. Wenn eine Regierung nur noch zum Instrument der globalen Minderausgabe greifen kann, ({7}) kommt dies einer haushaltspolitischen Bankrotterklärung gleich. ({8}) Selbst dort, wo sich wegen der geänderten politischen Verhältnisse Streichungen geradezu aufdrängen, z. B. bei den gesamten Ausgaben für die Wiederauf10664 bereitungsanlage in Wackersdorf, erweist sich diese Regierung als unfähig bzw. unwillig. ({9}) Eine Haushaltspolitik, die Kürzungen nur noch im Wege von globalen Minderausgaben zustande bringt, ist ein Armutszeugnis. Mit Haushaltswahrheit und -klarheit hat das übrigens gar nichts mehr zu tun. ({10}) Wegen falscher politischer Prioritätensetzung und finanzpolitischer Stümperei - auf das letztere lege ich besonderen Wert - werden wir diesen Nachtragshaushalt ablehnen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng ({0}).

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Unterschied zum herzerweichenden Wehklagen der Sprecher der Opposition, insbesondere der Vorrednerin, sind für den Nachtragshaushalt, den die Bundesregierung vorlegt, folgende Fakten festzuhalten: Erstens. Jürgen Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, hat erreicht, daß ein dringend notwendiges Hochschulsonderprogramm mit einer Laufzeit von sieben Jahren die Situation der besonders belasteten Studiengänge deutlich verbessern wird. ({0}) Natürlich wäre uns lieber gewesen, wenn die Bundesländer den Erfordernissen und ihren Verpflichtungen nachgekommen wären und auf eine erneute Mitfinanzierung hätte verzichtet werden können. Trotzdem ist das, was wir tun, notwendig und vernünftig. ({1}) Zweitens. Helmut Haussmann, Bundesminister für Wirtschaft, hat aus dem Skandal um den Bau einer Giftgasfabrik in Libyen sofort die notwendigen Konsequenzen gezogen, ({2}) nämlich eine verbesserte Kontrolle von sensiblen Exporten anzusteuern. ({3}) - Wer hier lacht, meine Damen und Herren, hat offensichtlich seine eigenen Diskussionsbeiträge in der damaligen Diskussion sehr schnell vergessen. Daß hierfür insbesondere eine bessere Ausgestaltung des Personals im Bundesamt für Wirtschaft erforderlich ist, wird derjenige leicht einsehen, der sich die dort derzeit äußerst knappe Personalsituation einmal vor Augen führt. Drittens. Die FDP wird die vom Finanzminister hier angekündigten zusätzlichen Ausgaben, den zusätzlichen Bedarf sorgfältig prüfen, insbesondere die Finanzierungsseite, über die der Finanzminister noch nichts gesagt hat; denn wir wollen die Vorbereitungen für den Haushalt 1990 natürlich nicht unnötig erschweren. Wir gehen davon aus, daß der neue Finanzminister, genau wie sein Vorgänger in den vergangenen Jahren, den Haushaltsentwurf für 1990 zu Beginn der Sommerpause im Kabinett beraten lassen wird und damit das geordnete Verfahren, an das wir uns seit 1983 gewöhnt haben, seine Fortsetzung findet. ({4}) - Das ist ein guter Zwischenruf von der SPD; ({5}) weil genau in der Endphase der sozialliberalen Koalition der zuständige Finanzminister dieses nie geschafft hat. Zum vierten, meine Damen und Herren. Der frühere Finanzminister, der für den hier vorgelegten Nachtragshaushaltsentwurf noch verantwortlich ist, ist ausdrücklich zu loben, weil er in der Vorlage die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen durch Einsparungen im laufenden Haushalt vorschlägt und nicht durch ein vermeintlich leichtes, aber politisch falsches Ausweichen auf Steuermehreinnahmen. ({6}) Ich gehe davon aus, daß die klare Linie von Gerhard Stoltenberg auch in seinem neuen Amt bleibt. Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß er als Finanzminister vertreten hat, daß der Verteidigungsetat nicht überproportional wachsen soll. Er wird es sicher in der neuen Verantwortung auf der Hardthöhe auch nicht anders sehen. Hierbei unterstützen wir ihn. ({7}) Zum fünften. Gut ist auch - meine Damen und Herren, ich rede deswegen so schnell, weil ich nur vier Minuten Zeit bekommen habe, was ein bißchen knapp ist -, ({8}) daß der neue Finanzminister Theo Waigel zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, seine Position zum Bundeshaushalt klarzulegen. Die Sachverständigen warnen ja vor inflationären Gefahren bei zu großer Haushaltsausweitung. Zu dem Beschluß der Koalitionsgruppe von höchstens 3 % Steigerung im kommenden Haushalt, der stabilitätspolitisch wohl eher die obere Grenze des Möglichen darstellt, erwarten wir gerne, Herr Waigel, noch Ihre Äußerung und Ihre Unterstützung. Ganz sicher gibt es nämlich keinen Grund, von sparsamer Haushaltsführung und dem Ziel der Schuldenreduzierung abzugehen. Hierbei werden Sie, Herr Finanzminister, von der FDP- Fraktion und insbesondere von unserer Haushaltsgruppe unterstützt werden. Vielen Dank. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den durch die Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Nachtrags- Vizepräsident Westphal haushaltsgesetzes 1989 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz ({0}) vom 24. bis 25. November 1987 in London - Drucksache 11/3847 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung und Technologie b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die weitere Entwicklung der Belastung der Gewässer durch AmmoniumStickstoff und Phosphor - Drucksache 11/4213 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4515 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Grüner.

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ihre Berichte über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz und über die weitere Entwicklung der Belastung der Gewässer durch Ammonium-Stickstoff und Phosphate hat die Bundesregierung umfassend und termingerecht vorgelegt. In diesem Bericht hat sich vor allem auch der Erfolg der von der Bundesregierung initiierten Nordseeschutz-Konferenzen niedergeschlagen. Die 2. NordseeschutzKonferenz in London 1987 hat so anspruchsvolle Beschlüsse wie die Halbierung der Schadstoff- und Nährstofffrachten bis 1995 gefaßt. ({0}) - Notwendige, aber schwer durchzusetzende Beschlüsse, und Beschlüsse, von denen wir bei Beginn dieser Nordseeschutz-Konferenz nicht erwartet haben, daß sie in dieser Form tatsächlich auch durchsetzbar sein würden. Dennoch haben uns die Algenblüten und das Seehundsterben im Jahre 1988 deutlich gemacht, wie dringend die beschleunigte Umsetzung dieser Beschlüsse ist und wie sehr insbesondere auch wir Veranlassung haben, alle Möglichkeiten der vorzeitigen Umsetzung zu nutzen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Bemerkungen von Bundesminister Töpfer heute morgen in der Pressekonferenz zu der Gefahr einer neuen Algenblüte schlicht und einfach auf der Tatsache beruhen, daß sich an der Nährstoffbelastung der Nordsee bisher noch nichts geändert hat. Es kann ja wohl auch nicht anders sein, denn das, was wir hier heute diskutieren, bezieht sich ja noch auf das Gesetzgebungsverfahren, und die Reduzierung der Nährstofffrachten muß ja erst umgesetzt werden. Ich meine also, daß man hier nicht von einer Prognose, sondern nur von einem Hinweis darauf sprechen sollte, daß sich der Zustand der Nordsee noch nicht gebessert hat und daß, wenn entsprechende klimatische Verhältnisse hinzukommen, nach den Erfahrungen des letzten Jahres - 1988 - auch mit einer solchen Entwicklung gerechnet werden muß. Wir haben gerade auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem Jahre 1988, die ja auch ein neues politisches Bewußtsein bei uns geschaffen haben und die die Durchsetzung von Maßnahmen, die vorher abgelehnt worden waren, möglich gemacht haben, dem Umweltausschuß des Deutschen Bundestages im Jahre 1988 ein 10-Punkte-Programm zum verstärkten Schutz von Nord- und Ostsee unterbreitet. ({1}) Der Präsident des Umweltbundesamtes, der von uns allen ja besonders geschätzte Herr von Lersner, hat zu diesem Programm gesagt: Das haben wir lange verlangt. Jetzt haben wir es endlich. ({2}) An erster Stelle unserer Maßnahmen steht die Verbesserung der Behandlung von kommunalen und industriellen Abwässern im Hinblick auf Nähr- und Schadstoffe. Zwar hat sich die Belastung der Gewässer durch Phosphor und Ammonium-Stickstoff in unseren Fließgewässern in den letzten Jahren bereits deutlich verringert, ({3}) z. B. bei Phosphor von 103 500 t im Jahre 1975 auf 68 100 t im Jahre 1987. ({4}) Trotzdem weise ich auf die Notwendigkeit weiterer einschneidender Maßnahmen hin. Im Hinblick auf einen wirksamen Schutz der Binnengewässer und der Nord- und Ostsee sind aber im Sinne der Vorsorge weitere erhebliche Verschärfungen der Anforderungen an die Abwassereinleitungen erforderlich. Die erste Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an kommunale Abwässer, in der erstmals Anforderungen für Ammonium-Stickstoff und Phosphor festgelegt werden, ist bereits veröffentlicht. Eine weitere Verschärfung sieht der von der Bundesregierung am 19. April verabschiedete Entwurf einer allgemeinen Rahmenverwaltungsvorschrift - u. a. für Phosphor- und Stickstoffemissionen - ab 1990 vor. Das alles kostet die Länder, die Gemeinden und die Bürger Geld. Wir rechnen etwa bei den Gemeinden und bei den kommunalen Kläranlagen mit Kosten von 15 Milliarden DM, die sich bei den Bürgern in einem statistischen Durchschnitt mit einer Erhöhung der Klärgebühren pro Kubikmeter verbrauchten Wassers zwischen 50 und 80 Pfennig im Endausbau niederschlagen können. Auch an die Industrie werden erheblich höhere Anforderungen bezüglich der Nährstoffeinleitungen gestellt werden. Sie muß mit zusätzlichen Investitionen in Höhe von ca. 6 Milliarden DM in diesem Bereich rechnen. Zu einer raschen Umsetzung dieser Maßnahmen wird auch das neue Abwasserabgabengesetz führen, das ja im Kabinett verabschiedet worden ist. Neben der ordnungsrechtlichen Festlegung von Anforderungen für Nährstoffe muß auch ein ökonomischer Anreiz geschaffen werden, wie das durch dieses ergänzte Abwasserabgabengesetz geschieht. Damit verstärken wir die marktwirtschaftlichen Anreize zur Unterstützung des Gewässerschutzes. Meine Damen und Herren, einen zweiten Schwerpunkt bildet die Begrenzung gefährlicher Stoffe im industriellen Abwasser. Der ersten der im 10-PunkteProgramm vorgesehenen vordringlichen Verwaltungsvorschriften für gewerbliches Abwasser, nämlich der für die Zellstoffindustrie, hat der Bundesrat am 10. März 1989 zugestimmt. ({5}) Das Bundeskabinett hat am 19. April fünf weiteren Vorschriften zugestimmt, die nun dem Bundesrat vorliegen. Es handelt sich um die Abwasser aus den Bereichen Lederherstellung, Metallbe- und -verarbeitung, Rauchgaswäsche, Zahnbehandlung und Sickerwasser aus Hausmülldeponien. Der Nordseeschutz darf allerdings nicht bei diesen typischen Gewässerschutzmaßnahmen haltmachen. Er muß in alle Pfade der Einträge eingebunden sein, die die Nordsee belasten. Mit der Chemikaliengesetznovelle, mit der novellierten Störfallverordnung, mit dem neuen Bundes-Immissionsschutzgesetz, mit dem Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, mit der zur Zeit in Arbeit befindlichen Technischen Anleitung Abfall haben wir hier Schritte unternommen. All das soll zu einem Netz von Sicherheitsvorschriften ausgebaut werden und zu einer neuen Sicherheitskultur unserer Industriegesellschaft beitragen. Ich verweise auf die nächste Internationale Nordseeschutzkonferenz in Den Haag. Wir werden uns dort insbesondere darum bemühen, die Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet für Öl- und Chemikalienabfälle nach MARPOL Anlagen I und II zu erreichen. ({6}) - Ja, Sie haben recht: Das wird Zeit; aber dazu brauchen wir auch andere Teilnehmer.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär!

Martin Grüner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000738

Einen letzten Satz, Herr Präsident! Die Bundesregierung jedenfalls wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, daß wir in den Punkten, in denen wir uns in der letzten Nordseeschutzkonferenz nicht haben durchsetzen können, im März 1990 in Den Haag Fortschritte erzielen werden. Herzlichen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Schriftführerin sagt, ich sei sehr großzügig gewesen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. ({0}) Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1982 habe ich immer wieder für notwendige Schutzmaßnahmen zur Rettung der Nordsee gekämpft, regelmäßig im Frühjahr auf die Algenblüte hingewiesen und im Herbst auf den weiter verschlechterten Zustand der Nordsee aufmerksam gemacht. Ich habe eigentlich keine Lust mehr, schon wieder eine Auflistung der Vielzahl unterschiedlicher Schad- und Nährstoffe vorzunehmen, die zu der immer weiter anwachsenden Verschmutzung führen. Algenteppiche und Seehundsterben sind traurige Zeugnisse genug. Nun habe ich wieder vernommen, daß es der Herr Staatssekretär als große Leistung feiert, daß bis 1995 eine Halbierung der Schadstoffe vorgenommen werden soll. Leider steht bloß nirgends, wovon die Halbierung denn stattfinden soll. Also ist dies blanke Augenwischerei. ({0}) Ich denke, das wissen die Leute allmählich auch. Ich will dem Anspruch dieser Bundesregierung, bei der Bewältigung der Umweltprobleme gewissenhaft und nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln, die leider sehr häßliche Wirklichkeit gegenüberstellen. Der Anspruch lautet: Wir, die Bundesregierung - das hat auch der Herr Staatssekretär hier wieder erklärt -, verfahren nach dem Vorsorgeprinzip. Tatsache ist: Vor Helgoland wird weiter Dünnsäure verklappt. Die Belastung der Gewässer durch Ammonium-Stickstoff nimmt laut Aussage der Bundesregierung zu. Phosphoreinträge haben sich zwar verringert, aber nicht etwa, weil die Bundesregierung hier tätig geworden ist, sondern weil der Verbraucher inzwischen phosphathaltige Waschmittel ächtet. 1986 - ich wiederhole das Datum: 1986 - , Herr Staatssekretär, haben das Umweltbundesamt und die SPD bereits die Einbeziehung von Phosphor und Stickstoff in die abgabepflichtigen Parameter des Abwasserabgabengesetzes gefordert. Gestern habe ich nun gelesen, daß auch die Bundesregierung jetzt Phosphor und Stickstoff in diese Abgabenregelung einbeziehen will - ab 1991! Hoffentlich erkennen wenigstens die Algen das Vorsorgeprinzip dieser Regierung und erblühen in diesem Jahr nicht. ({1}) Anspruch dieser Regierung ist: Es gibt keine Forderung, die über das 10-Punkte-Programm Herrn Töpfers vom Juni vergangenen Jahres hinausgeht. Wirklichkeit ist: Selbst die Anträge von der CDU/ CSU und der FDP gehen teilweise über diese 10 Punkte hinaus: Umweltverträgliche Landwirtschaft beispielsweise steht darin, Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes steht darin, Änderung des Pflanzenschutzgesetzes usw. Unsere eigenen Anträge, die der SPD, empfehle ich dem Bundesumweltminister, seinem Staatssekretär und dem gesamten Ministerium ebenfalls als lohnende Lektüre. Im Sommer 1988 wollte der Herr Bundeskanzler „noch so richtig Geld in die Hand nehmen", um die Nordsee zu retten. Mit leeren Händen steht er da. Die Rettung der Nordsee ist dieser Regierung nichts wert. Übriggeblieben ist lediglich der Schwarze Peter für die Bundesländer. Wo bleibt denn eigentlich das Bund-Länder-Programm zur Rettung der Nord- und Ostsee? ({2}) In der vorliegenden Drucksache 11/3847 wird der Eindruck erweckt, diese Bundesregierung und erst recht der Umweltminister befänden sich in Europa an der Spitze der Umweltbewegung. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Bundesregierung ist vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt worden, weil sie die Richtlinie von 1975 über die Qualitätsanforderung an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung immer noch nicht umgesetzt hat. Herr Töpfer, was sagen Sie dazu? Zehn Jahre nach der Umsetzungsfrist beginnen Sie mit den ersten Maßnahmen zur Erfüllung Ihrer Pflichten. Gleichzeitig werden Sie wegen der Eindeichungs- bzw. der Aufspülungsmaßnahmen in der Leybucht des Rysumer Nackens verklagt. Wahrlich, der Schutz von Nord- und Ostsee sowie der Umweltschutz überhaupt ist bei dieser Bundesregierung in schlechten Händen. ({3}) Ich bin fassungslos, daß wir das Seehundsterben, das Aussterben vieler Arten, die auftretende Immunschwäche nicht endlich als Menetekel begreifen und unseren leichtsinnigen, rücksichtslosen und verantwortungslosen Umgang mit der Natur endlich, endlich abstellen. Sie können den Anfang machen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Harries. ({0})

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser sehr engagierten, aber, wie ich meine, mit völlig falschen Akzenten versehenen Rede muß ich einiges wieder zurechtrücken. ({0}) Auch ich weiß, daß das Fischsterben in der Ostsee und das Robbensterben in der Nordsee keineswegs vergessen sind. Man braucht nur im Wahlkreis politische Diskussionen zu führen, dann erfährt man immer wieder, daß die erste Sorge, die einem kritisch vorgetragen wird, folgende ist: Was wird eigentlich mit der Nordsee? Was tut ihr? Wann greifen die Maßnahmen? - Das weiß ich genauso wie Sie. Auch ich weiß, daß der nächste Sommer kommt und daß wir alle zu befürchten haben, daß wieder irgendwelche Katastrophen auf uns zukommen, mit denen wir noch leben müssen. Nur, meine Damen und Herren, zur Politik gehört auch Redlichkeit, gehört auch Ehrlichkeit und gehört die Anerkennung, daß diese Vergiftung und diese Schadstoffbelastung der Ostsee und der Nordsee nicht erst seit 1982/83 erfolgt ist, sondern im Grunde die Folge einer falschen Behandlung auf vielen Ebenen ist, seit vielen Jahrzehnten erfolgt, und daß es völlig unmöglich ist, daß es keiner Regierung möglich ist, diese Vergiftung in ein oder zwei Jahren wieder zu beseitigen. Es kommt darauf an, daß wir der kritischen und ungeduldigen Bevölkerung klarmachen, daß die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen begonnen hat, daß hier zügig verfahren und auf Grund eines Maßnahmenkatalogs gearbeitet wird, den wir vor einem Dreivierteljahr im Umweltausschuß sehr ausführlich und sehr engagiert beraten haben. Im Grunde waren wir über diesen Zehn-Punkte-Katalog weitgehend einig. Wir waren uns weitgehend einig, daß gar nichts anderes erfolgen kann. ({1}) Natürlich haben Sie von der Opposition gesagt: alles viel schneller und noch mehr Geld. Wir haben damals gefragt: Wo bleibt auch da die Realität? ({2}) Der Bundesumweltminister konnte gestern - das ist bereits vorgetragen worden - in der Befragung der Bundesregierung verkünden, daß die Abwasserabgabe von 40 DM auf 60 DM erhöht wird. Zweitens greift die Strukturhilfe für die Länder, die jetzt - allerdings zusammen mit den Anschlußnehmern - in die Lage versetzt werden, die notwendigen Investitionen zum Bau einer dritten Stufe in den kommunalen Kläranlagen zu tätigen. ({3}) - Überhaupt nicht zu spät. Auch hier gibt es Ansätze, ({4}) die nicht nur in die richtige Richtung weisen, sondern es wird bereits etwas getan. Die Verklappung der Dünnsäure wird in diesem Jahr beendet, und die Verbrennung geht ebenfalls bis 1994 ihrem Ende entgegen. In diesem Zusammenhang ein Appell an Sie: Diejenigen, die das Verbrennen auf der Nordsee immer noch beklagen, sind nicht bereit, vor Ort mitzuhelfen und Verantwortung dafür mitzutragen, daß endlich die dringend erforderlichen Sondermüllverbrennungsanlagen in den Bundesländern - 12 bis 15 an der Zahl - gebaut werden. Diejenigen, die hier oft groß reden, tun vor Ort oft nur das Gegenteil. Der Herr Staatssekretär hat dargelegt, daß inzwischen eine Fülle von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen wurden, die ebenfalls bereits jetzt ihren Beitrag zum Abbau der Vergiftung der Nordsee leisten. Meine Damen und Herren, das Naturschutzgesetz muß auch nach unserer Auffassung verabschiedet werden. ({5}) Es wird einen ganz wichtigen Beitrag leisten, Schadstoffe, die auch von der Landwirtschaft kommen, zu reduzieren. Nur: Ein Naturschutzgesetz ohne die erforderliche Entschädigungsleistung, ohne die Finanzierung, hilft hier gar nichts. Wir sind gemeinsam aufgerufen, in dieser Legislaturperiode beide Erfordernisse zu erfüllen, die Unterschutzstellung und die Finanzierung. ({6}) - Herr Schäfer, vielen Dank für diese Unterstützung. Meine Damen und Herren, ich erkenne freimütig an, daß auf einem Gebiet mit Nachdruck mehr getan werden muß: Das ist die Sauberkeit in der Elbe. Das ist eine Aufgabe, die sich uns stellt. Hier sind durch Verhandlungen des Bundesumweltministers mit der DDR und der CSSR die Weichen gestellt. Wichtig und hervorzuheben ist, daß dies ohne Aufgabe nationaler Positionen - ich erinnere hier an die Elbegrenze - erfolgt und daß die DDR endlich ihre Bereitschaft erklärt, mitzumachen, Technologietransfer anzuerkennen, Gelder anzuerkennen. Auf diesem Weg muß vorangeschritten werden. Ein letztes Wort: Der bedauerliche und katastrophale Tankerunfall vor Alaska zwingt auch uns, zwingt auch die Bundesregierung, zu sagen: Welche Vorsorgemaßnahmen gibt es hier bei uns? Alles in allem: Wir sind auf dem richtigen Weg und danken für den Bericht. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich will hier nicht sagen, die Bundesregierung habe gar nichts getan, um den gefährlichen Zustand der Nordsee zu ändern. ({0}) Das Robbensterben des letzten Jahres, die Algenmassenentwicklung, die Badeverbote haben uns alle betroffen gemacht. Aber die Frage ist: Reicht denn das Abfedern und das Abmildern von Problemen, wo doch durchgreifende Maßnahmen angesagt gewesen wären, um dem Leben in der und um die Nordsee herum eine Überlebensmöglichkeit zu garantieren? Nein, es reicht nicht, Herr Kollege Harries. ({1}) Was Sie - Herr Töpfer ist nicht da - uns hier zur Umsetzung der Ministerbeschlüsse der zweiten INK berichten, bleibt nämlich dürftig. ({2}) Im Bericht führt die Bundesregierung die Novellierung des Chemikaliengesetzes auf. Tatsächlich könnte ja eine umweltgerechte Chemieproduktion eine große Entlastung für die Flüsse und Nordsee sein, aber der vom Kabinett verabschiedete Novellierungsentwurf läutet mitnichten eine umweltgerechte Chemiepolitik ein. Nach wie vor sind nur Glacéhandschuhe vorgesehen, um Umweltgifte und gesundheitsgefährdende Chemikalien aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei werden die Probleme sogar noch anwachsen; denn durch den Trick mit den Altstoffnachmeldungen wächst jetzt die Zahl der ungeprüften Altstoffe von 35 000 auf über 100 000. ({3}) Was da an Umweltgiften noch den Rhein herunterfließen wird, weil es leider immer noch fließen darf, ist erschütternd. ({4}) Nein, der Minister kann uns auf diese Art und Weise hier nicht vormachen, daß er die Nordsee damit retten kann. Die schadstoffverseuchten Fische und Robben werden dadurch nicht gesünder. Verehrte Kollegen und Kolleginnen, die Reduzierung des Gesamteintrags gefährlicher Stoffe um 50 % innerhalb von zehn Jahren ist ein harter Brocken für die chemische Industrie, aber ich weiß auch, daß die chemische Industrie klare umweltpolitische Vorgaben will. Die Benutzung von Wasser, Boden und Luft zur Deponierung unbrauchbarer Abfälle war für die chemische Industrie bislang nahezu kostenlos. Hier wären durch Fondslösungen und Steuern die Gelder zu holen, die zur Sanierung gebraucht werden. Schließlich verdient die chemische Industrie glänzend. Aber solche steuernden Vorgaben für ein umweltgerechtes Produzieren, z. B. den Ausstieg aus der Chlorchemie, müssen wir bei Ihnen vermissen. ({5}) Klare umweltpolitische Vorgaben hätte die Regierung zum Schutz unserer Gewässer auch im Zusammenhang mit der Novelle des Abwasserabgabengesetzes gehabt. Zum Beispiel hätten Sie die Direkt- und Indirekteinleiter gleichstellen können. Notwendig wäre auch eine Erhöhung der Abgaben insbesondere im Hinblick auf alte Kläranlagen gewesen, die von den verschärften Anforderungen und Verwaltungsvorschriften nicht erfaßt werden. Was die beabsichtigte Beendigung der Abfallverbrennung auf See anbetrifft - Herr Kollege Harries, hören Sie mal schön zu - , muß ich dem Minister doch noch einmal den Vorwurf der vorsätzlichen Falschargumentation machen. Der Kollege Kohn hätte in diesem Fall sogar von Manipulation gesprochen. ({6}) Seine Absicht dabei ist, die Akzeptanz für den Bau von Sondermüllverbrennungsanlagen zu fördern, aber er muß aus der UBA-Studie wissen, daß der allergrößte Teil des Giftmülls, der auf See verbrannt wird, in den geplanten Anlagen an Land gar nicht verbrannt werden kann. Das ist Fakt. Zum Thema Wattenmeer. Der Minister hat in seinem Bericht eine Reihe von Maßnahmen und Forschungsvorhaben aufgeführt. Aber was sollen wir von alldem halten? Herr Töpfer hat gerade mal wieder mit vollen Segeln gegen den Naturschutz gesteuert. ({7}) Mit der Befahrensregelung hat er doch gerade Schiffbruch erlitten. Das ist doch alles erst in der letzten Zeit passiert. Herr Staatssekretär Grüner, die Zeit, der Nordsee zu helfen, läuft davon. ({8}) Wir in der Bundesrepublik haben die größte Chemiedichte und die größte Bevölkerungsdichte; von uns und unserer Wirtschaft müssen überproportionale Anstrengungen erbracht werden. ({9}) Es darf deshalb mit Blick auf die anderen kein Ausruhen geben. Dankenswerterweise hat die SPD-Fraktion noch einmal einen Entschließungsantrag eingebracht, der Forderungen aufgreift, die wir GRÜNEN bereits in früheren Anträgen, zuletzt in unserem Notprogramm gegen das Nordseesterben, formuliert haben, ({10}) z. B. das Bund-Länder-Programm zur Modernisierung der kommunalen Kläranlagen. Wir werden diesem Antrag zustimmen. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Nordseedebatte bei Nacht darf nicht heißen: Gute Nacht, Nordsee! Danke. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Garbe, wir sollten einem Regierungsmitglied hier nicht „vorsätzliche Falschargumentation" unterstellen. ({0}) Herr Kollege Wolfgramm ist der nächste Redner.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich meine, daß die Halbierung von Schadstoff- und Nährstofffrachten im für die Verwirklichung der Nordseekonferenz-Beschlüsse vorgesehenen Zeitraum schon eine ganz ordentliche Leistung ist. Sie ist auch deswegen eine ordentliche Leistung, weil das in der vorgesehenen Zeit nicht erheblich rascher zu schaffen ist. Frau Kollegin Garbe, Sie werden ja auf die rotgrüne Regierung in Berlin Einfluß nehmen können. Sie können die Vorstellungen, die Sie hier vorgetragen haben, dort einbringen. ({0}) Ich werde das dann gerne einmal nachlesen, was die Berliner dafür tun, damit die Spree so sauber wird, wie Sie uns das hier soeben vorgestellt haben. Das ist sehr wichtig, denn die Spree verursacht einen Teil der Verschmutzung der Elbe. Und da sollten wir ja alle dafür sorgen, daß das besser wird. Das gilt übrigens auch besonders für die Sozialdemokraten. Ich lese in einer Mitteilung eines Wasserwirtschaftsverbandes in Nordrhein-Westfalen, ({1}) daß die zukünftige Förderung von Kläranlagen durch das Land Nordrhein-Westfalen zurückgeht. Es heißt dort: Insgesamt muß festgestellt werden, daß die Förderung nicht entsprechend den Anforderungen steigt, sondern kontinuierlich weiter verringert werden wird. Herr Kollege Schäfer, würden Sie so liebenswürdig sein und einmal mit Ihren Kollegen von NordrheinWestfalen sprechen? Sie sollten das tun. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn die Länder sind dabei sehr in Verzug. Sie sind auch insofern in Verzug, als sie erst 60 % der Gewässerschutzgebiete ausgewiesen haben. Das heißt: 40 % fehlen noch. Ich meine, wir können uns heute mit dem, was da erreicht worden ist, sehen lassen: Phosphatfällung, Denitrifikation, zusätzliche Schadstoffparameter für Stickstoff und Phosphor und eine erhöhte Abwasserabgabe, die wir immer gefordert haben und die die Regierung jetzt einbringt. Dabei muß ich hier allerdings auch gleich anmerken, daß ich die kontinuierliche Anhebung nach 1991 gern fortgeschrieben sehen möchte. Also, das läßt sich schon sehen. Und die Opposition hat Gelegenheit, in den von ihr regierten Ländern deutlich zu machen, daß sie die Förderung von Kläranlagen nicht etwa verringert wie in NRW, ({2}) Wolfgramm ({3}) sondern steigert. ({4}) Taten sind gefragt, nicht Anwürfe. Übrigens, für den Fall, daß das mit NRW so bleibt, fällt mir aus den „Stilblüten", erschienen im dtv, folgender Inserattext ein: „Achtung, bitte meiner Frau nichts borgen, sondern mir, da ich für nichts aufkomme." Also, teilen Sie das bitte dem Finanzminister von NRW mit. Ich möchte noch eine Anmerkung zur Frage der angrenzenden Länder machen. Die DDR, die Tschechoslowakei und die Schweiz müssen bei der nächsten Nordseekonferenz mit an den Tisch; ({5}) denn ohne die geht das nicht. Wir brauchen auch die Elbschutzkonvention, und wir brauchen natürlich auch die Bereitschaft der Schweiz, sich ebenfalls den Werten anzuschließen, die die Nordseekonferenz vorgegeben hat. Es ist ungewöhnlich, verehrte Kollegen von der SPD, daß wir hier schon einen Entschließungsantrag vor uns sehen. Ich dachte, wir wollten die Sache im Ausschuß noch beraten. ({6}) - Ja, richtig. Nur, das könnten Sie ja im Ausschuß einbringen; das ist so üblich. ({7}) Deswegen meine ich, wir sollten darüber heute nicht diskutieren. Den Inhalt jedenfalls lehnen wir so ab. Wir werden im Ausschuß Zeit haben, uns über die weitere Verbesserung zu unterhalten. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Jaunich, ich hoffe, ich habe mich verhört. Oder war das ein Zwischenruf, den wir hier nicht hören sollten? ({0}) Er konnte auch umweltbezogen verstanden werden. Aber „Brunnenvergiftung" mögen wir in jeder Hinsicht nicht. ({1}) Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/3847 und 11/4213 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4515 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie die Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 17 a. ({2}) - Der Wunsch der Fraktionen nach Überweisung geht in diesem Falle vor. ({3}) Darf ich noch einmal wissen: Wünscht die antragstellende Fraktion die Überweisung des Entschließungsantrages? - Dann folge ich dem. Ich stelle zunächst Ihr Einverständnis dazu fest, welche Ausschüsse wir für die Überweisung der vorher genannten Vorlagen auf Drucksache 11/3847 und 11/4213 bestimmt haben. - Entschuldigung, ich habe jetzt getrennt. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/3847 und 11/4213 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Wollen Sie auch dies nicht? - Doch; na sehen Sie. Das ist also damit erfolgt. Damit sind Sie einverstanden. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4515 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie die Vorlage von Tagesordnungspunkt 17 a. Die Fraktion hat die Überweisung gewünscht. Das geht nach unseren Regeln vor. Dann stelle ich das hier fest, auch wenn es nicht Ihre Zustimmung hat. Ich rufe nun die Zusatztagesordnungspunkte 7 und 8 auf: ZP7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes - Drucksache 11/4508 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({4}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO ZP8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksache 11/4509 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({5}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Aufgrund einer hier am Ort zustande gekommenen Vereinbarung zwischen den Fraktionen und dem Präsidenten wollen wir beide Zusatztagesordnungspunkte gemeinsam aufrufen. Meine Damen und Herren, es gibt einen Vorschlag, die Debatte so aufzufassen, daß es zwei Beiträge zu je fünf Minuten werden dürfen, aber nicht müssen. Habe ich Sie alle richtig verstanden? - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne nun die Aussprache. Frau Männle ist die erste Rednerin.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir halten Wort. Getreu unserem politischen Terminkalender bringen wir heute zwei Gesetzentwürfe ein, durch die die vorhandenen staatlichen Hilfen für Familien erheblich verbessert werden. Lassen Sie mich einige Worte zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes sagen. Die breite Akzeptanz des Erziehungsgeldes - 97 % der berechtigten Eltern nehmen diese familienpolitische Leistung in Anspruch - signalisiert uns sehr deutlich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Erziehungsgeld für Mütter und Väter, die sich überwiegend oder ganz der Erziehung ihrer Kinder widmen, und Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie bilden ein Kernstück unserer Familienpolitik, unserer Frauenpolitik und - dies wird in der Praxis viel zuwenig beachtet - eigentlich auch unserer Männerpolitik oder besser: unserer Politik für Väter. Umfragen bestätigen immer wieder, daß Frauen heute beides wollen, Familie und Beruf, daß sie aber im Interesse der Kinder für eine befristete Zeitspanne ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen wollen, ohne sich von ihrem erlernten Beruf für immer verabschieden zu müssen. Wahlfreiheit heißt deshalb für uns: sich entscheiden können für Familie oder Beruf, für Familie und Beruf, für Ganztagstätigkeit oder Teilzeittätigkeit. Die vorgesehene Stufenplanregelung, d. h. dreimonatige bzw. sechsmonatige Verlängerung des bisher einjährigen Erziehungsurlaubs für Eltern, deren Kinder nach dem 30. Juni 1989 bzw. nach dem 30. Juni 1990 geboren werden, bietet Frauen und Männern eine wesentliche Erleichterung für die Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben. Sie können ihre Kinder während der ersten Lebensphase, die für deren Persönlichkeitsentwicklung von entscheidender Bedeutung ist, selber betreuen. Zweifellos wäre ein dreijähriger Erziehungsurlaub wünschenswert. Daher appelliere ich an alle Bundesländer, das Vorbild Bayerns oder Baden-Württembergs nachzuahmen und das familienpolitische Leistungsangebot der Bundesregierung durch ein Landeserziehungsgeldgesetz zu ergänzen. Der bayerische Ministerrat hat mit seiner Entscheidung vom 11. April 1989, im Anschluß an das Bundeserziehungsgeld ein Landeserziehungsgeld für sechs weitere Monate zu gewähren, sein Versprechen eingelöst, auf Bonner Taten bayerische Taten folgen zu lassen. In den Ausschußberatungen des vorliegenden Entwurfs einer Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes müssen nach unserer Meinung einige Schönheitskorrekturen und Verbesserungen vorgenommen werden. Dazu zählen z. B.: die Gewährung von Erziehungsgeld für jedes Kind bei Mehrlingsgeburten; die Zahlung von Erziehungsgeld für die Kinder, die künftig während des Bezugs von Erziehungsgeld geboren werden; die Ausdehnung auf Adoptivkinder bis zum Ablauf des dritten Lebensjahrs; die Zahlung von Erziehungsgeld an Auszubildende, die ihre Ausbildung fortsetzen möchten; die Zahlung von Erziehungsgeld an Ehefrauen von NATO-Angehörigen. Auch meine ich, daß wir die bestehende Benachteiligung von Bundeswehrsoldaten abbauen sollten. Der Wunsch der Soldaten, für sich den Erziehungsurlaub in Anspruch zu nehmen, fällt gerade in eine Zeit, in der so viel von der Wiederentdeckung des Vaters, vom pädagogischen Gewicht des Mannes in der Familie und von väterlicher Mitbestimmung die Rede ist. Die neuen Väter aber lassen - vielleicht mit Ausnahme der Bundeswehrsoldaten - noch auf sich warten. ({0}) - Doch! Nur eine verschwindend kleine Minderheit von jungen Männern nimmt das Erziehungsurlaubsangebot in Anspruch. Die 1-%-Marke darf nicht zur Richtlinie, zur Obergrenze werden, Erziehungsurlaub nicht durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen in einen Frauenerziehungsurlaub umgemünzt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein eindrucksvolles Dokument sozialer Demokratie, zukunftsgestaltender Gesellschaftspolitik, ein Manifest unserer praktischen Toleranz gegenüber der Pluralität von Arbeits- sowie Lebensformen und eine wichtige Bedingung für die gesellschaftliche Anerkennung der Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Entwurf richtig gelesen und Sie richtig verstanden habe, Frau Männle, ist es ja so, daß jetzt auch Soldatenmänner den Erziehungsurlaub nehmen können. Oder? ({0}) - Ja? Hat sie das gesagt? Ich frage sie mal eben. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, eine Zwischenfrage ist von Ihnen erwünscht, Frau Männle. Bitte schön.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich darauf antworten darf, Frau Schoppe: In diesem Gesetzentwurf ist es noch nicht enthalten. ({0}) Wir meinen jedoch, daß dies in den Ausschußberatungen unbedingt aufgenommen werden sollte. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich verzichte aus Gründen der späten Abendstunde auf das Fragezeichen.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das, finde ich, ist ein sehr guter Vorschlag. Denn man kann wohl nicht davon ausgehen, daß der Verteidigungsauftrag nicht mehr erfüllt werden kann, wenn ein paar Soldatenväter ihren Erziehungsurlaub nehmen. Was mir an dem Gesetzentwurf weiter aufgefallen ist und was mir sehr am Herzen liegt, ist dies: Die Pflegekinder sind in diesem Gesetzentwurf gar nicht bedacht. Das finde ich problematisch. ({0}) - Das wird nachgereicht? Das werden wir ja dann in den Beratungen sehen. - Man kann ja nicht sagen, daß man die Zahlung von Erziehungsgeld daran kop10672 peln muß, daß es ein Sorgerecht für diese Kinder gibt; denn man weiß, daß es gerade bei den Pflegekindern mit der Sorgerechtsregelung manchmal sehr schwierig ist. Man muß doch einfach sehen, daß in den Familien, wo Pflegekinder sind, natürlich eine ständige Pflege stattfindet und daß auch da eine feste Bezugsperson ist. ({1}) Ich bin auf jeden Fall dafür, daß das hineingenommen wird. Es zeigt sich noch ein anderes Problem. Wir haben mit vielen darüber diskutiert. Was von vielen Seiten kritisiert wird, sind die 600 DM. Wenn eine Familie da ist, die Frau den Erziehungsurlaub nimmt - meistens ist es die Frau, die ihn in Anspruch nimmt - , der Mann gut verdient oder zumindest einigermaßen und die Frau die 600 DM dazubekommt, dann ist das für die Familie gut. Aber ich denke, worum wir uns hier im Bundestag kümmern müssen, sind die Familien, denen es schlecht geht. ({2}) Man kann doch nicht einfach sagen, daß, wenn eine Frau Erziehungsurlaub nimmt und die 600 DM Erziehungsgeld bekommt, sie dann noch Sozialhilfe bekommen kann. ({3}) - Das ist noch ein anderes Problem. - Selbst wenn man Erziehungsgeld und Sozialhilfe zusammenrechnet, dann muß man sagen: Wenn es sich hier um eine Alleinerziehende handelt, dann geht es dieser Frau und ihrem Kind finanziell unheimlich schlecht. Zu dieser finanziellen Ausgrenzung kommt eine kulturelle Ausgrenzung dazu. Das muß man sehen. ({4}) Wer kein Geld hat, kann seinem Kind nichts bieten. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir grob gesagt die Gesellschaft als Zweidrittelgesellschaft bezeichnen können. Ich denke, Politik, gerade Familienpolitik muß darauf ausgerichtet sein, sich um dieses eine ausgegrenzte Drittel zu kümmern. ({5}) Frau Lehr, Sie haben uns im Ausschuß und anderswo einige Buchempfehlungen gegeben, damit wir uns einlesen könnten. ({6}) Auch ich möchte so verfahren und eine Empfehlung geben. Ich gebe Ihnen die Empfehlung: Lesen Sie bitte die Untersuchung über die Situation und die schwierigen Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern aus Arbeitslosenfamilien. ({7}) Dann könnte man die Familienpolitik vielleicht so ändern, daß man sich wirklich um die kümmert, die es nötig haben. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, daß ich zur Zeit etwas irritiert bin. Da sagt diese Koalition, daß sie im Bereich des Familienlastenausgleichs etwas tun wolle. Die Opposition sagt, wir schafften das nicht. Jetzt zeigt sich: Wir schaffen es doch. Wir tun etwas Gutes. Dann wird darüber lamentiert, ({0}) daß es nicht richtig ist. Ich finde es ganz merkwürdig, wie wir über dieses Thema diskutieren. Die Aufgabe der Familienpolitik ist es, Bedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung für ein Leben mit Kindern erleichtert. - Ich stimme dieser Äußerung der Familienministerin zu. Wir haben mit der Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind diese Bedingungen verbessert. Für 1990 rechnen wir mit einem weiteren finanziellen Ausbau des Familienlastenausgleichs von 418 Millionen DM. Schon 1991 werden es 837 Millionen DM sein. ({1}) Dieser Beschluß ist das Resultat eines zähen Ringen mit unseren Finanz- und Haushaltspolitikern, Herr Kollege Jaunich. ({2}) Als Familienpolitiker bin ich froh, daß wir trotz der knappen Mittel dieses Resultat erzielen konnten. 2,3 Millionen Familien kommen in den Genuß der Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind. Das ist jedoch nur ein Zwischenschritt und muß natürlich mit den Vergünstigungen für Familien durch die Steuerreform in Zusammenhang gesehen werden. ({3}) Ab 1. Januar 1990 erhöht sich der steuerliche Kinderfreibetrag von 2 484 DM auf 3 024 DM pro Kind. ({4}) - Herr Kollege, Sie kennen das Gesamtkonzept genau. Sie wissen auch, daß es dafür einen Sockelbetrag gibt. ({5}) Ich darf daran erinnern - ({6}) - Es ist fürchterlich, hier zu reden. Jetzt sind nur so wenige da, und es herrscht eine derartige Unruhe, daß man einen vernünftigten Gedanken gar nicht zu Ende führen kann. Das ist ganz merkwürdig. ({7}) Eimer ({8}) Ich will nicht verhehlen, daß ich es bedaure, daß die grundsätzliche Überlegung einer Neuverteilung des Kindergeldes zwischen erstem, zweiten und weiteren Kindern heute wieder nicht diskutiert werden konnte. Ich meine, es wäre sinnvoller gewesen, vor allem das Kindergeld für das erste Kind in einem angemessenen Rahmen zu erhöhen. ({9}) - Sie geben also zu, daß nicht nur unsinnige Gedanken von mir kommen. ({10}) - Wir haben uns mit Ihnen da auch nicht durchsetzen können. Sitzen Sie nicht so auf dem hohen Roß! Wir hätten das in der sozialliberalen Koalition auch machen können, und es ist an Ihnen gescheitert. ({11}) Die Verlängerung des Erziehungsurlaubes und des Erziehungsgeldes ist eine weitere Verbesserung der eingangs zitierten Bedingungen für die Familie und eine konsequente Fortsetzung und Ergänzung unserer Politik für Familien und Kinder. Ich begrüße für meine Fraktion die Ausdehnung des Erziehungsgeldes daher ausdrücklich. Über die Details ist schon gesprochen worden. Die Neuregelung sieht folgende Verbesserungen vor: ab 1. Juli 1989 Verlängerung von 12 auf 15 Monate, ab 1. Juli 1990 Ausdehnung auf 18 Monate. Ich wünsche mir, daß die Väter in Zukunft stärker als heute von der Möglichkeit des Erziehungsurlaubs Gebrauch machen. ({12}) Einen Anreiz dazu sieht der Gesetzgeber zweifelsohne vor: Teilzeitbeschäftigung bis zu 19 Stunden pro Woche ist erlaubt, ohne daß die Gewährung von Erziehungsurlaub oder die Zahlung von Erziehungsgeld berührt werden. Erfreulich ist, daß wir in der Lage sind, inhaltliche Verbesserungen im Rahmen der Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vorzunehmen. Mit unserem Koalitionspartner haben wir uns schon auf eine Reihe von Verbesserungen geeinigt, die wir im Rahmen der Beratungen dieses Gesetzes im Ausschuß einbringen werden, z. B. Verbesserungen im Bereich der Mehrlingsgeburten. Ich halte das für eine vernünftige Lösung. Die Erziehung von zwei oder mehr gleichaltrigen Kindern ist in der Regel zeitaufwendiger und stellt für die Eltern eine große Belastung und Herausforderung dar. Gerade bei Mehrlingsgeburten hätte ich mir aber auch eine andere Lösung vorstellen können - vielleicht können wir das noch im Ausschuß beraten - , nämlich statt einer Verdoppelung des Geldes vielleicht auch eine Verlängerung der Zeit, in der es gezahlt wird. Wir sollten uns das vielleicht noch einmal überlegen. ({13}) Ich halte es für außerordentlich vernünftig, jungen weiblichen Auszubildenden das komplette Erziehungsgeld ohne Abzüge, d. h. ohne Anrechnung der Ausbildungsvergütung, zu gewähren, wenn sie ihre Ausbildung nicht unterbrechen. Gerade für junge Mütter, die am Anfang ihrer Lebensplanung stehen, ist es wichtig, mit guten Voraussetzungen - eine qualifizierte Ausbildung gehört unbedingt dazu - in das Erwerbsleben zu starten und keine Nachteile durch das frühe Geburtsalter zu haben. Für Adoptivkinder wollen wir ebenfalls Verbesserungen vorsehen. Ich will es sehr kurz machen, weil die Zeit davonrennt. Neben der Aufstockung des Erziehungsurlaubes und -geldes müssen wir unser politisches Engagement verstärkt auch auf die Schaffung von weiteren Hilfen lenken, Frauen und Männern die freie Entscheidung über ihren Lebensplan in jedem Lebensabschnitt zu ermöglichen. Wiedereingliederungsmaßnahmen für ehemalige Familienfrauen und Hausmänner und eine weitere Bewußtseinsstärkung für die Gleichwertigkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sind als Ergänzungsmaßnahmen der Gesetzesnovelle unbedingt notwendig. Diese Regierung und diese Koalition sind auf dem richtigen Weg. Mit weiteren Erfolgen in der Haushaltskonsolidierung und mit soliden Staatsfinanzen werden wir unsere Familienpolitik weiterhin erfolgreich ausbauen und die Familienfeindlichkeit in weiten Kreisen unserer Bevölkerung abbauen können. Ich hoffe, daß die Beratungen im Ausschuß in einer ruhigen Atmosphäre stattfinden und daß wir da zu guten Ergebnissen kommen. Vielen Dank. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, die Sie so tapfer aushalten! Es ist kein Zufall, daß die neue Kindergeldregelung heute zu nachtschlafender Zeit eingebracht wird. Was für ein Medienspektakel hätte die CDU mit diesem Gesetzentwurf gemacht, wenn sie nicht selber wüßte, daß er eine einzige Blamage ist! ({0}) Was hat dieser Bundeskanzler zu Beginn der Legislaturperiode in seiner Regierungserklärung den Familien nicht alles versprochen! An erster Stelle sollte sie stehen, die Familienpolitik. Ein Herzstück der CDU-Politik sollte sie sein. Und CDU-Generalsekretär Geißler erklärte noch am 18. Januar 1988, die Regierungskoalition habe - so wörtlich - klar entschieden, das Kindergeld noch in dieser Legislaturperiode deutlich zu erhöhen. Was ist nun herausgekommen? 30 DM mehr für eine Familie mit mehreren Kindern, und das auch erst ab 1. Juli 1990, also wenige Wochen vor der nächsten Bundestagswahl. ({1}) Von 12,5 Millionen Kindern, die zur Zeit Kindergeld beziehen, gehen 8,9 Millionen leer aus. 30 DM mehr für eine Familie mit mehreren Kindern, das gleicht noch nicht einmal die Geldentwertung aus, ge10674 schweige denn die Steigerung der Verbrauchsteuern. ({2}) Das Kindergeld für das erste Kind, das der Herr Eimer erhöhen will, ist nämlich seit 1975 unverändert bei 50 Mark geblieben. ({3}) Seit dieser Zeit beträgt aber die Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten 49,3 %. ({4}) Wir haben das Kindergeld mehrfach erhöht; das wissen Sie ganz genau. ({5}) - Mir ist das ganz wichtig. Deswegen wiederhole ich das noch einmal. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten seit 1975 beträgt 49,3 %. Das wollen Sie nun mit diesen 30 DM abgelten. Das muß man sich einmal klar machen, zumal auch die Erhöhung des Zweitkindergeldes schon seit 1979 zurückliegt und die für das Drittkindergeld schon seit 1982. 1981 hat die Bundesregierung unter Helmut Schmidt immerhin 19,1 Milliarden DM an Kindergeld ausgegeben. Heute unter Helmut Kohl, wo wir in einem so „kinderfreundlichen" Land leben und eine so „familienfreundliche" Regierung haben, sind es noch genau 12 Milliarden DM, wie uns der Staatssekretär mitgeteilt hat. Das ist die Zahl von 1988.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer?

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht beantworte ich Ihre Frage schon im nächsten Satz. - Ja, dann bitte.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, könnten Sie bitte die Zahlen, die Sie gerade genannt haben, umrechnen und sagen, wieviel das pro Kind ausmacht? Denn die Zahl der Geburten hat sich ja ungefähr halbiert.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Halbiert hat sie sich nicht, sondern die Tatsache, daß jetzt so viel weniger Kindergeld ausgegeben wird, hat ihre Ursache nicht nur darin, daß wir weniger Kinder haben, sondern auch darin, daß das Kindergeld in keinem Jahr wegen der Preissteigerungsrate erhöht wurde und daß Sie das Kindergeld für die Familien mit mittlerem Einkommen gekürzt haben. ({0}) Für die Familienpolitiker der CDU und der CSU ist dieses Ergebnis - ich kann es verstehen - äußerst peinlich. Immerhin hatten Sie mit großem Presseaufwand mehrfach verkündigt, Sie wollten das Kindergeld für das zweite Kind um 40 DM erhöhen, für das dritte und jedes weitere Kind um 60 DM. Daß sich die Familienpolitiker in dieser Fraktion so schlecht durchsetzen können, ist sicher kein Beweis dafür, daß die Familienpolitik in der CDU einen besonders hohen Stellenwert hätte. ({1}) Nach diesen Erfahrungen, Frau Männle, bin ich auch skeptisch, ob es Ihnen gelingen wird, die Verbesserungsansätze, die Sie in Ihrer Rede angedeutet haben, im Ausschuß durchzusetzen. ({2}) Bisher waren Sie nicht besonders erfolgreich. Ich wünsche Ihnen sehr, daß Sie mehr Erfolg haben. Nun zu unserer Alternative. Die SPD möchte ein einheitliches Kindergeld für jedes Kind von mindestens 200 DM. Wie wollen wir das finanzieren? Der höchst ungerechte Kinderfreibetrag bei den Steuern, der 1990 den Kleinverdienern 48 DM bringen wird, den Bessergestellten aber 134 DM, soll abgeschafft werden. ({3}) Dieses Geld wollen wir voll in die Kindergeldkasse einbringen. ({4}) Dann bleibt aber immer noch eine Finanzierungslücke - Herr Pfeifer, ich weiß es - , und die wollen wir schließen, indem wir einen Teil des sogenannten Ehegattensplittings wegnehmen. ({5}) Zur Zeit erhält nämlich ein Spitzenverdiener allein dafür, daß er verheiratet ist, den maximalen steuerlichen Splittingvorteil von rund 20 000 DM jährlich, ohne daß in dieser Ehe Kinder vorhanden sein müssen. ({6}) Diesen Vorteil der Ehegatten wollen wir beschneiden und das Geld dann voll als Kindergeld ausbezahlen. ({7}) Dann hätten wir endlich die Situation erreicht, die wir Sozialdemokraten schon immer gewollt haben, daß nämlich diesem Staat jedes Kind gleich viel wert ist. Unsere Lösung hätte außerdem den Vorteil, daß endlich einmal jede Familie klar und von Anfang an wüßte, woran sie ist. Wer kennt sich denn heute noch aus in diesem Durcheinander von Kindergeld, steuerlichem Kinderfreibetrag, Kindergeldzuschlag, wo jedesmal wieder ein anderes Amt zuständig ist oder erst im nachhinein finanziert wird? Wenn Sie unsere Regelung akzeptierten, hätten wir eine eindeutig gerechtere, unbürokratischere, klarere und vor allen Dingen familienfreundlichere Lösung gefunden. ({8}) Ich bin ganz sicher, wir werden eines Tages auch so weit kommen. Nun zum Erziehungsgeld: Wir begrüßen, daß das Erziehungsgeld für die Kinder, die später geboren werden, länger bezahlt wird. Aber wir bedauern, daß diese Lösung den jetzt schon vorhandenen Babys überhaupt nicht zugute kommt. Deren Mütter stehen immer noch vor der Frage: Was mache ich, wenn die zwölf Monate abgelaufen sind und ich die 600 DM - wenig genug - nicht mehr bekomme? Dann stehen sie nämlich vor der Situation, daß sie mit 50 DM Kindergeld weiterleben sollen oder ihre Arbeit wieder aufnehmen müssen, ohne daß es Kinderkrippen in erreichbarer Nähe gäbe. Wer also keine Oma für die Betreuung des Kindes hat - und heute stehen die Omas nicht mehr so zur Verfügung wie früher, weil sie selber berufstätig sind - , der ist übel dran in unserem Staat. Da kann von Kinderfreundlichkeit keine Rede mehr sein. ({9}) Das, was Sie jetzt beschließen und worauf Sie so stolz sind, verursacht natürlich Mehrkosten. Aber diese Mehrkosten belasten Sie im Moment überhaupt nicht, sondern diese Mehrkosten werden für die erste Stufe erst ab 1. Juli 1990 und für die zweite Stufe erst ab 1. Oktober 1991 anfallen, also in einer Zeit, in der wir hoffentlich schon eine andere Regierung haben. ({10}) Wir akzeptieren, daß es schwierig ist, einen längeren Erziehungsurlaub jetzt schon zu finanzieren, obwohl wir das gerne hätten. Aber wir hätten uns gewünscht, daß statt dessen wenigstens eine dreijährige Kündigungsschutzfrist in dieses Gesetz hineingeschrieben worden wäre, wie es sie in mehreren anderen europäischen Ländern längst gibt. Sie reden zwar immer von Kündigungsschutz, aber Tatsache ist doch, daß eine schwangere Frau, wenn sie einen befristeten Vertrag hatte - und die meisten jungen Frauen bekommen dank der CDU/CSU/FDP nur noch befristete Verträge - ({11}) - Sie haben das Gesetz geändert. Das ist eine Folge des Beschäftigungsförderungsgesetzes. ({12}) Vorher war das nicht möglich. Jetzt ist es aber im großen Umfang möglich. Sie brauchen nur mal die Augen aufzumachen, dann werden Sie erkennen, daß ein Großteil der Arbeitsverträge, gerade wenn sie mit jungen Frauen geschlossen werden, nur noch befristet vergeben werden, mit dem Erfolg, daß dann eben kein Kündigungsschutz vorhanden ist. ({13}) Auch an der Höhe dieses Festbetrages von 600 DM üben wir Kritik. Wir haben schon im Jahre 1985 einen Antrag eingebracht, um die alte Höhe von 750 DM wiederherzustellen. Wenn Sie bei diesen 600 DM im Monat bleiben, wird es auch dabei bleiben, daß auch in Zukunft nur 1 % oder knapp 2 % der Väter einen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Wir könnten von den Schweden lernen. Dort werden 90 % des Nettoeinkommens für den Vater oder die Mutter bezahlt, wenn einer von ihnen den Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt. Erst dann kann man von Wahlfreiheit reden. ({14}) Erst dann kann man davon reden, daß sich auch die Väter stärker an der Kindererziehung und den Familienaufgaben beteiligen sollten. ({15}) Es gibt eine ganze Reihe von Ungereimtheiten in diesem Entwurf. Daß z. B. schon das allergeringste Arbeitslosengeld sofort eine totale Streichung des Erziehungsgeldes bewirkt, hat doch wohl weniger mit Gerechtigkeit als mit dem verständlichen Wunsch der Regierung zu tun, die Arbeitslosenstatistik zu verbessern. ({16}) Wenn man all das bedenkt - wir werden im Ausschuß gerne mit Ihnen an weiteren Verbesserungen arbeiten - , versteht man, warum die CDU/CSU/FDP diese beiden Gesetzentwürfe gewissermaßen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu nachtschlafender Zeit hier eingebracht haben. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politik für Kinder und für Familien ist - das muß man gerade nach dem letzten Beitrag sagen - immer im Zusammenhang zu sehen und zu werten. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß seit 1985, wenn ich das Jahr 1990 mit einbeziehe, immerhin zusätzlich 18 Milliarden DM ausgegeben werden. ({0}) Wenn wir das berücksichtigen, was heute zur Beratung ansteht, dann wird der Mehrbetrag in den Jahren 1991 und 1992 20 Milliarden DM ausmachen. Dabei ist das Kindergeld mit 14 Milliarden DM, Frau Matthäus-Maier, noch gar nicht berücksichtigt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, bitte schön!

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnten Sie in wenigen Worten die 18 Milliarden DM skizzieren? Das ist solch ein großer Brocken; das dürfte Ihnen leichtfallen. Sie werden nicht einmal auf 8 Milliarden DM, geschweige denn auf 18 Milliarden DM kommen.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verweise Sie dazu auf die zugegebenermaßen uns gegenüber kritisch eingestellte Schrift von Herrn Schnabel von der Liga für das Kind, die Sie auch kennen, in der 16,6 Milliarden DM ausgerechnet werden. Wenn Sie die zusätzlichen Leistungen, die sich für das Jahr 1990 im Rahmen der Steuerreform ergeben, hinzurechnen, dann Werner ({0}) kommen Sie auf 18 Milliarden DM. Wenn Sie die jetzt vorgesehenen Maßnahmen dazunehmen, dann kommen Sie in der Tat auf an die 20 Milliarden DM, die wir im Verhältnis zu den Jahren 1984 und 1985 zulegen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön!

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie, wenn Sie den Stand der Aufwendungen im Jahre 1982 mit dem im Jahre 1990 vergleichen, keine 5 Milliarden DM insgesamt mehr für die Familien ausgeben, weil Sie z. B. beim BAföG Leistungen voll mit berücksichtigen, obwohl Sie die Zahlungen auf Darlehen umgestellt haben und es keine Zuschüsse mehr sind?

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau MatthäusMaier, ich habe mich audrücklich auf die uns gegenüber kritisch eingestellte Schrift bezogen. Darin ist diese Gegenrechnung in der Form, wie Sie sie aufgemacht haben, nicht wiedergegeben, wenn ich mich richtig entsinne. Meine Damen und Herren, wir behandeln den Familienlastenausgleich immer als ein Ganzes und haben dabei die beiden Säulen zu sehen, zum einem die steuerbezogenen indirekten Leistungen und zum anderen die direkten Transferleistungen des Kindergeldes. Wir können hier heute nicht die Frage des Familienlastenausgleichs insgesamt diskutieren. Auf die Frage, ob der Familienlastenausgleich an sich ausreicht, würde auch ich - wie viele meiner Kollegen - ein klares Nein sagen. Aber das ist nun nicht der Punkt! Der entscheidende Punkt heute abend ist, daß wir bei weitern mehr für die Familien ausgeben, als Sie es zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung getan haben. ({0}) Zweifelsohne sind die Kinderfreibeträge, die wir geschaffen haben, sinnvoll und nützlich, auch und vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem Kindergeld. Das Kindergeld, von dem ich jetzt spreche, wird, wie Sie wissen, für 13 Millionen Kinder gezahlt. Im Zusammenhang mit dem, was vorhin hier zu den Sockelbeträgen gesagt wurde, möchte ich die kritische Anmerkung machen, daß ich persönlich eine Begründung für Sockelbeträge überhaupt nur darin sehe, daß der Kinderfreibetrag in unterschiedlicher Art und Höhe genutzt werden kann. Aber wir erhöhen jetzt das Kindergeld für das zweite Kind um 30 DM. Dies sollten Sie nicht einfach herabspielen. Sie wissen ganz genau, daß wir gern mehr gewollt hätten. Aber wir müssen uns alle immer wieder der unbequemen Wahrheit fügen, daß man nicht alles zur gleichen Zeit machen kann. Deswegen lag es uns Familienpolitikern insbesondere am Herzen, sowohl die Verlängerung des Erziehungsgeldes auf der einen Seite als auch eine Erhöhung des Kindergeldes, und sei es punktuell, auf der anderen Seite, durchzuführen. Dies kommt immerhin 2,4 Millionen Familien zugute. Das sollte man nicht in den Hintergrund drängen. Frau Matthäus-Maier, man sollte dabei auch nicht vergessen, daß wir das Kindergeld für das zweite Kind erhöhen, während es während der Regierungsverantwortung der SPD abgesenkt worden ist. ({1}) - Ach, natürlich! - Zudem sollten Sie, meine Damen und Herren von der SPD, endlich darangehen, Ihren 200-DM-Pauschalvorschlag zu vergessen. Rechnen Sie neben dem Kindergeld die Möglichkeit der Inanspruchnahme durch den Kinderfreibetrag bei einer Mehrkinderfamilie etwa bei einem Steuersatz von 30 % dagegen. Dann sehen Sie allein schon vor diesem Hintergrund, daß Ihr Vorschlag eine Mehrkinderfamilie gegenüber dem benachteiligen würde, was sie nach unseren Berechnungsmodellen bekommt. Wir haben in diesem Gesetz zusätzlich eine Zahl von Klarstellungen vorgenommen, die in der Praxis meist schon entsprechend gehandhabt werden, aber jetzt festgeschrieben werden, so daß nun wirklich Klarheit darüber besteht. Es geht z. B. um die Nichtanrechnung vermögenswirksamer Leistungen an Auszubildende auf die Vergütung, die diese Auszubildenden bekommen. Das ist ja für das Kindergeld relevant. Das geschieht wohl mit Recht so. Zweifelsohne ist wichtig, daß während der Zeit der Betreuung des Kleinkindes, während einer Unterbrechung der Ausbildungszeit, die junge Mutter das Kindergeld auch bekommen soll. Darüber hat es vor Ort immer wieder Disput mit den Behörden gegeben. Es ist zweifelsohne auch richtig und doch sinnvoll, daß wir auch verschiedene andere Änderungen jetzt im Gesetz festschreiben, die gegenüber den Behörden deutlich machen, daß wir im Rahmen des Kindergeldes auch für die Pflege- und Adoptivkinder eine Gleichbehandlung sehen wollen. Ich möchte zum Schluß noch einen Punkt ein bißchen kritisch anmerken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das geht leider nicht mehr, Herr Kollege, Sie sind über die Zeit. ({0}) Einen schönen Schlußsatz noch.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann möchte ich nur noch folgendes sagen, Herr Präsident. Wir haben uns mit diesem Gesetz Mühe gegeben. Wir haben das Machbare und Finanzierbare, das zur Zeit möglich ist, damit getan. Wir reihen uns damit in eine Politik für die Familie ein, für deren Besserstellung wir angetreten sind und weiter eintreten werden. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn das Kindergeld erhöht wird. Die GRÜNEN fordern schon seit Jahren eine drastische Erhöhung des Kindergeldes, und zwar für alle Kinder. Doch wie alles, was die Bundesregierung an Gesetzentwürfen, Reformen in letzter Zeit auf den Weg gebracht hat, ist unserer Meinung nach die Änderung des Bundeskindergeldgesetzes eher der Flickschusterei zuzuordnen oder meines Erachtens auch eine Reaktion auf die dramatischen Stimmenverluste, welche die Bundesregierung und die Regierungskoalition hinnehmen mußten. Eine klare Linie von Regierungspolitik ist hier nicht erkennbar. Ich will allerdings hier nicht den Eindruck entstehen lassen, daß wir hier dafür eintreten, daß Sie diese klare Linie haben, weil die chaotischen Verhältnisse in der Regierungspolitik uns ja zugute kommen und jedem deutlich machen, daß es höchste Zeit ist, daß diese Regierung abgelöst wird. ({0}) Herr Waigel ist der irrigen Meinung, daß die Quellensteuer dem Steuerzahler den Blick auf die glorreiche Steuerreform verbaut hat. An die Adresse von Herrn Waigel ist zu sagen, daß keine soziale Gerechtigkeit zu sehen ist, wenn keine vorhanden ist. Jetzt sucht die Bundesregierung mit den 30 DM für das zweite Kind erstens eine Befriedung in den eigenen Reihen zu betreiben, damit die Sozialpolitiker in der CDU/CSU ihr Murren unter der Decke nicht einmal auch in offensives Verhalten gegen die eigene Regierung umschlagen lassen. Zweitens sollen die vielen Familien mit kleinen und mittleren Einkommen durch die Zuweisung der 30 DM vergessen, daß im Rahmen der Steuerreform die Besserverdienenden durch die Tarifentlastungen und auch durch die Anhebung der Kinderfreibeträge den weitaus größten Teil der Entlastung eingeheimst haben. ({1}) Doch da werden Sie sich irren. Denn die Bevölkerung wird das nicht mitmachen. Sie wird das nicht sehr schnell vergessen, was Sie mit der Steuerreform an Ungerechtigkeiten verbreitet haben. Sie wird Ihnen auch die Quittung zu gegebener Zeit bei den nächsten Wahlen geben. ({2}) Auch können Sie meines Erachtens durch die Anhebung des Kindergeldes nicht darüber hinwegtäuschen, daß die gesamte Konstruktion Ihres Familienlastenausgleichs vom Grundsatz her verkehrt ist. Ich denke, was wir brauchen, ist eine grundlegende Reform dieses Familienlastenausgleiches, die sich ganz konsequent auf die Betreuung von Kindern konzentriert. Ganz besonders wichtig in diesem Punkt ist, daß eine finanzielle Förderung für jedes Kind angesetzt wird, ganz egal, ob es das Kind einer Sozialempfängerin oder ob das Kind aus einer Familie mit mittlerem oder höherem Einkommen kommt. Unter dem Gesichtspunkt der Solidarität in der Gesellschaft denke ich, daß die Familien mit Spitzeneinkommen die Belastung durch die Kindererziehung durchaus aus eigener Tasche bezahlen können. ({3}) Unseres Erachtens bedeutet dies ganz konkret, daß die Kinderfreibeträge abgeschafft werden müssen und daß wir ein bedarfsgerechtes Kindergeld für alle brauchen, so wie es hier auch schon die SPD gefordert hat. Jedoch haben wir in der Ausformulierung etwas andere Vorschläge. Wir halten es für wesentlich sinnvoller, daß sich die Höhe des Kindergelds nicht an der Anzahl der Kinder, sondern an dem Alter der Kinder orientiert, weil wir denken, daß hier eine wesentlich bedarfsgerechtere Finanzierung erreicht werden kann. Wir fordern eine Kindergeldzahlung in Höhe von 210 DM bis 450 DM im Monat. Daß die vorgeschlagene Reform des Familienlastenausgleichs finanzierbar ist - was ich Ihnen gleich noch darlegen werde - , das hat uns auch der Verband der alleinstehenden Mütter und Väter in der Anhörung zu unserem Entwurf im Rahmen der Steuerreform bescheinigt. Allerdings ist es hier notwendig, und zwar dringend notwendig, daß von der Ehesubventionierung zur Kindersubventionierung übergegangen wird. Daher ist es erforderlich, daß das Ehegattensplitting abgeschafft wird und daß wir zu einer Individualbesteuerung kommen. Somit wären die Vorschläge zu einem Kinderlastenausgleich durchaus finanzierbar. Ich denke auch, daß wir dies spätestens in anderthalb Jahren durchbringen werden, wenn nämlich diese Regierung abgelöst ist. Die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, sollen ja auch erst dann zur Geltung kommen, wenn Sie schon Ihre Büros aufräumen und uns dann diese Arbeit überlassen werden. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß die Koalitionsfraktionen Gesetzentwürfe zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und des Bundeskindergeldgesetzes eingebracht haben. Damit wird es möglich, die Verlängerung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub und die Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Die Bundesregierung hat gestern Gesetzentwürfe mit gleichem Inhalt beschlossen. Mit der vorliegenden Novelle zum Bundeserziehungsgeldgesetz soll die Verlängerung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub verwirklicht werden, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 18. März 1987 angekündigt hat. Damit verbessern wir die Einkommenssituation junger Familien weiter. 97 To der Eltern, darunter leider noch viel zuwenig Väter, nehmen Erziehungsgeld in Anspruch. Diese beispiellose Akzeptanz, die das Bundeserziehungsgeldgesetz findet, hat uns darin bestärkt, auf diesem Weg weiterzugehen. Damit tun wir aber auch einen weiteren Schritt auf dem Weg zur besseren Ver10678 einbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer. Erwerbstätige Mütter, auch alleinerziehende, nehmen in kaum erwartetem Maß den Erziehungsurlaub in Anspruch. Unser Ziel bleibt es, gemeinsam mit den Ländern das Erziehungsgeld auf drei Jahre auszudehnen. Der weitere Ausbau unserer bisherigen Maßnahmen ist daher eine Aufgabe auch für die nächste Legislaturperiode. Über die Verlängerung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs hinaus wollen wir es Eltern künftig erleichtern, während des Erziehungsgeldbezugs Teilzeitarbeit zu leisten. Die Grenze für eine mit dem Bezug des Erziehungsgeldes zu vereinbarende Teilzeitarbeit soll auf 19 Stunden angehoben werden. Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen beschlossen, im Laufe der Beratungen der Gesetzentwürfe weitere Verbesserungen einzubringen. Die Bundesregierung begrüßt diesen Beschluß. Die Verlängerung des Erziehungsgeldes, die für Familien unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen den ungeminderten Betrag von 600 DM vorsieht, wirkt sich damit gezielt für die Familien mit kleinerem und mittlerem Einkommen aus. Sie kommt auch denjenigen voll zugute, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, denn Erziehungsgeld wird in der Sozialhilfe und bei anderen einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht angerechnet. Die Situation für Familien mit Kindern entscheidend zu verbessern, ist jedoch nicht ausschließlich eine Sache des Bundes - das möchte ich in aller Deutlichkeit einmal sagen - , sondern genauso eine Sache der Bundesländer, aber auch der Kommunen. Die Bundesländer, die von der CDU und der CSU regiert werden, haben dies erkannt und handeln danach. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß unionsregierte Bundesländer das Bundeserziehungsgeld durch eigene Landesregelungen ergänzen. Angesichts der künftigen Verlängerung auf 15 bzw. 18 Monate möchte ich hier alle SPD-regierten Länder nachdrücklich dazu auffordern, ihrerseits einen Beitrag durch die Schaffung von Landeserziehungsgeldern zu leisten. Jetzt noch ein Wort zu der heute eingebrachten Novelle zum Bundeskindergeldgesetz. Auch hier werden 2,4 Millionen Familien mehr Kindergeld erhalten. Zusammen mit der Verlängerung des Erziehungsgeldes erhöhen sich die Leistungen für die Familien bei voller Wirksamkeit um 2,6 Milliarden DM pro Jahr. Dieser Betrag kommt zu den jährlich 11 Milliarden DM hinzu, um die wir den Familienlastenausgleich in den vergangenen Jahren bereits verbessert haben, nämlich durch Einführung des Erziehungsgeldes, durch Einführung und Erhöhung von Kinderfreibeträgen und durch steuerliche Verbesserungen für Alleinerziehende durch Einführung des Kindergeldzuschlags, durch die Wiedereinführung des Kindergeldes für arbeitslose junge Menschen, durch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, durch die Ausweitung des Baukindergeldes und durch die Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens". Bundesregierung und Koalition setzen damit einen Weg zugunsten der Familien fort, den sie in der letzten Legislaturperiode mit der größten Verbesserung der Familienleistungen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat, begonnen haben. ({0}) Meine Damen und Herren, die Familie ist und bleibt für die Bundesrepublik Kernpunkt ihrer Politik. ({1}) Wir wollen deshalb Bedingungen erreichen, die eine Entscheidung für ein Leben mit Kindern erleichtern. Eine Familienpolitik wird den Anforderungen der Zukunft nur dann gerecht, wenn sie Rahmenbedingungen schafft, welche es der Familie als Ganzes und auch allen ihren Gliedern ermöglichen, sich nach ihren eigenen Bedürfnissen zu entfalten und den Anforderungen von außen gerecht zu werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ({0})?

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Nur noch ein Satz, dann bin ich fertig. - Die Bundesregierung wird ihre Politik für eine familienfreundliche Gesellschaft, in der Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Eltern ihren Platz haben, kontinuierlich fortsetzen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/4508 und 11/4509 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann muß ich Ihnen eine traurige Mitteilung machen: Wir müssen in ein paar Stunden schon wieder hier sein. ({0}) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. Mai 1989, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.