Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Folketing des Königreichs Dänemark, Herr Erik NinnHansen, mit einer Delegation des dänischen Parlaments Platz genommen.
({0})
Ich möchte Sie im Namen des Deutschen Bundestages ganz herzlich bei uns willkommen heißen. Wir wissen, daß wir enge nachbarschaftliche Beziehungen pflegen. Viele kennen Sie, Herr Präsident, aus Ihrer Zeit als Verteidigungs-, Finanz- und Justizminister. Wir freuen uns auch, daß Sie Berlin und den Reichstag besuchen. Sie sind uns herzlich willkommen.
({1})
Der Kollege Hoss feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm die Glückwünsche des Hauses aus.
({2}) Nun zum Amtlichen:
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zum Konjunkturgutachten der Wirtschaftsinstitute ({3})
2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser ({4}), Breuer, Kossendey, Dr. Uelhoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ronneburger, Dr. Hoyer, Nolting, Beckmann, Dr. Feldmann, Frau Seiler-Albring und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aussetzung der Verlängerung des Grundwehrdienstes - Drucksache 11/4436 3. Aktuelle Stunde: Die Haltung der Bundesregierung zu der sich bietenden Chance der Deeskalation, die mit der Unterbrechung des Hungerstreiks von Karl-Heinz Dellwo und Christa Eckes gegeben ist ({5})
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Brauer, Dr. Daniels ({6}), Frau Flinner, Dr. Knabe, Kreuzeder, Stratmann, Frau Garbe, Frau Teubner, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Stillegung und sicherer Einschluß des THTR 300 - Drucksache 11/4418 -5. Beratung des Antrags des Abgeordneten Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen - Drucksache 11/4419 -6. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Untersagung des Fusionsantrages Daimler-Benz /MesserschmittBölkow-Blohm ({7}) durch das Bundeskartellamt
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 18 abzusetzen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Die für heute vorgesehene Aktuelle Stunde findet nicht statt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur künftigen Regierungsarbeit
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4422, 11/4424, 11/4428 und 11/4429 vor. Über zwei dieser Entschließungsanträge werden ab 16 Uhr namentliche Abstimmungen stattfinden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung sechs Stunden vorgesehen. Eine Mittagspause ist von 13 bis 14 Uhr angesetzt. - Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Woche habe ich das Bundeskabinett umgebildet.
({0})
Wir haben wichtige Sachentscheidungen getroffen. Mit dieser Regierungserklärung werde ich erläutern, welches Arbeitsprogramm wir uns bis zur Bundestagswahl 1990 vorgenommen haben und was unsere Perspektiven für die 90er Jahre sind.
Die Wahlen dieses Jahres haben in bedrückendem Ausmaß Parteien am rechten und linken Rand gestärkt.
({1})
Dies muß für die demokratischen Parteien Anlaß sein, sich selbstkritisch zu fragen, ob sie etwas übersehen, falsch eingeschätzt oder vernachlässigt haben. Wir in der Koalition müssen darüber nachdenken,
({2})
ob wir uns zu stark auf den sachlichen Fortgang unserer Arbeit konzentriert haben
({3})
und uns zuwenig Zeit genommen haben, sie den Bürgern zu erläutern und zu begründen.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt steht viel auf dem Spiel;
({5})
denn Freiheit, Wohlstand und sozialer Ausgleich haben keine Zukunft, wenn Radikale das Sagen haben.
({6})
Radikale wollen den Austritt aus der NATO. Sie wollen den Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft. Sie kämpfen gegen die Soziale Marktwirtschaft. Sie haben ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat, und nicht wenige von ihnen sympathisieren offen mit den terroristischen Gewalttätern in der Bundesrepublik Deutschland.
({7})
Mich macht die Lage in Berlin besorgt. Dort hat ein Wortführer der Senatskoalition den Besuch des amerikanischen Präsidenten für unerwünscht erklärt.
({8})
Meine Damen und Herren, das ist ein Alarmsignal für Berlin. Es wäre verhängnisvoll, wenn dies Politik für die Bundesrepublik Deutschland würde.
({9})
Wir begrüßen den amerikanischen Präsidenten, Präsident Bush, als Freund der Deutschen. Er ist uns herzlich willkommen.
({10})
Ich sage gerade auch an die Adresse der Sozialdemokraten: Mit radikalen Gruppierungen von links oder rechts darf es für Demokraten keine Zusammenarbeit geben.
({11})
Meine Damen und Herren, bei allen Fehlern, die uns unterlaufen sein mögen: Die Bürger wissen, daß wir in den Existenzfragen unseres Volkes verläßlich sind.
({12})
Prinzipientreue schließt nicht aus, daß wir dort Korrekturen vornehmen, wo sie sich als notwendig erweisen. Aber entscheidend ist, daß wir - die Koalition - in diesen Jahren die Fundamente unseres Gemeinwesens neu gesichert haben, daß wir den Berg von Problemen abgetragen haben, den wir bei unserem Amtsantritt 1982 vorfanden.
({13})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, für die 90er Jahre stehen wir vor drei großen Herausforderungen:
Erstens. Wir erleben einen atemberaubenden Aufstieg neuer Wirtschaftszentren. Ich nenne die neue Freihandelszone USA/Kanada, und ich nenne die Entwicklung im ostasiatisch-pazifischen Raum. Schon dies allein macht einen engen Zusammenschluß der Staaten Europas dringender denn je. Unsere Antwort auf diese Herausforderung ist der große gemeinsame Binnenmarkt 1992. Schon jetzt erweist sich dieser Binnenmarkt als das größte Konjunkturprogramm seit der Währungsreform 1948.
({14})
Wir sind Zeugen beim Aufbruch Europas in eine neue Epoche, und wir müssen bereit sein, diesen Aufbruch maßgeblich mitzugestalten. Europa - ganz Europa! - steht ein umfassender Wandel bevor, eine tiefgreifende Veränderung in Wirtschaft und Gesellschaft. Kulturell tun sich neue Horizonte auf. Zum erstenmal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnet sich die Chance ab, daß es uns gelingt, aus dem Schatten des Ost-West-Konflikts herauszutreten.
Was sich auf unserem alten Kontinent entwickelt, schlägt Menschen weltweit in den Bann. Soziale Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, findet heute selbst in den sozialistisch-kommunistischen Staaten wachsende Zustimmung. Die freiheitlichen Ideen von Ludwig Erhard verdrängen mehr und mehr die alte Ideologie von Karl Marx.
({15})
Bei unseren Nachbarn im Osten und Südosten bricht sich der Wille nach Menschenrechten, nach mehr Freiheit Bahn. Meine Damen und Herren, welches Volk könnte an diesem Fortschritt stärkeres Interesse haben als das unsere?
Das Zerbröckeln jahrzehntelanger Verkrustungen in Europa schafft neue Hoffnung für die Einheit unseres Vaterlandes.
Ich beklage, daß Teile der Opposition den jetzt bestehenden Zustand festschreiben möchten und sich in Wahrheit längst von der Präambel unseres Grundgesetzes verabschiedet haben.
({16})
Spätere Generationen werden dies unbegreiflich finden. Ich sage für mich, ich sage für die Bundesregierung und die Koalition: Unser Ziel bleibt ein freies und geeintes Deutschland in einem freien und geeinten Europa.
({17})
Zweitens. Globale Umweltgefährdungen, wie z. B. die weltweiten Klimaveränderungen, rühren an den Lebensnerv aller Völker. Wir brauchen deshalb eine weltumspannende Umweltpartnerschaft.
Globale Gefährdungen erfordern die ökologische Pionierleistung einer jeden großen Industrienation. Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu dieser Verantwortung. Deshalb haben wir auch im Innern dem Umweltschutz hohe Priorität eingeräumt.
({18})
- Meine Damen und Herren, wer wie Sie in vielen Jahren eigener Regierungsverantwortung nahezu nichts getan hat, dem bleibt nur das Lachen übrig.
({19})
Die 80er Jahre waren die Phase des umweltpolitischen Aufbruchs in Europa mit uns, der Bundesrepublik Deutschland, als treibender Kraft.
({20})
Die 90er Jahre sollen und müssen das Jahrzehnt eines weltweiten ökologischen Aufbruchs werden. Dazu gehört auch eine neue Solidarität zwischen den armen und den reichen Ländern.
Drittens. In einer Zeit raschen gesellschaftlichen und technologischen Wandels wissen viele Menschen nicht mehr, woran sie sich halten sollen. Gewohnte Wertmaßstäbe und traditionelle Bindungen werden in Frage gestellt. Diese Unsicherheit gefährdet die innere Balance unserer freiheitlichen Gesellschaft. Um so mehr sind heute Heimat und Geborgenheit gefragt.
Deshalb müssen wir alles tun, um die Institutionen zu stärken, die Halt geben; an erser Stelle die Familie. Sie bleibt der wichtigste Ort für die persönliche Entwicklung und für die Vermittlung von Werten und Tugenden.
({21})
Auch der Staat muß verläßlich sein, vor allem wenn es um die friedensstiftende Funktion des Rechts geht.
Wer diesen drei grundlegenden Herausforderungen gerecht werden will, muß Mut zu Entscheidungen haben.
({22})
Ich weiß, daß Wandel auch unterschwellige Ängste erzeugt. Diese Ängste verstärken den Wunsch, nach Möglichkeit alles so zu lassen, wie es ist. Zugleich, meine Damen und Herren, nutzen diese Ängste den radikalen politischen Kräften von links und rechts, jenen politischen Scharlatanen, die mit scheinbar einfachen Antworten eine Welt ohne Probleme verheißen.
Wir müssen unseren Bürgern klar sagen: Vordergründige Patentrezepte bringen uns nicht weiter. Wir müssen jetzt rechtzeitig Vorsorge für Entwicklungen treffen, die sich schon heute deutlich abzeichnen, deren Auswirkungen jedoch noch in der Ferne liegen. Eine solche Politik setzt die Bereitschaft und die Fähigkeit voraus, um der Zukunft willen notfalls auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
({23})
In der Krise von 1981/82 war für jedermann offensichtlich, daß es so nicht weitergehen konnte, wenn nicht das Ganze aufs Spiel gesetzt werden sollte.
Heute geht es den meisten insgesamt besser als je zuvor.
({24})
Gerade deshalb ist es für viele sehr viel schwieriger geworden, ihre persönliche Alltagserfahrung mit der Notwendigkeit von Reformen in Übereinstimmung zu bringen, Reformen, die weit in die Zukunft reichen.
({25})
Wohlstand und soziale Leistungen sind jedoch nicht automatisch garantiert. Wir können Arbeitsplätze, wir können Einkommen und eine intakte Umwelt nur sichern, wenn wir diesen Herausforderungen bereits heute offensiv begegnen. Stillstand bedeutet gerade in dieser Zeit Rückschritt, und zwar auf Kosten der Generationen unserer Kinder und Enkel.
Meine Damen und Herren, weil unsere Politik über den Tag hinaus angelegt ist, haben wir die großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode in Angriff genommen, und wir haben sie weitgehend abgeschlossen. Ich weiß, daß auf diesem Feld noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muß. Aber es ist meine feste Überzeugung, daß diese Reformen die Grundlagen für eine gute, für eine sichere Zukunft unseres Landes schaffen.
({26})
Mit der Steuerreform 1990 setzen wir ein Steuersystem durch, daß Leistung honoriert, mittelstandsfreundlich ist und gleichzeitig alle Arbeitnehmer nachhaltig entlastet.
({27})
Insgesamt 4,5 Millionen Erwerbstätige werden dann überhaupt keine Lohn- oder Einkommensteuer mehr zahlen.
({28})
Mit der Gesundheitsreform haben wir verhindert, daß die Krankenversicherung unbezahlbar wird. Damit sichern wir die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems.
({29})
Mit der Rentenreform tragen wir dem tiefgreifenden Umbruch im Altersaufbau unserer Bevölkerung beizeiten Rechnung. Die Renten sind jetzt wieder langfristig sicher.
({30})
Es ist gut - ich will das noch einmal ausdrücklich betonen - daß auch Sie, die sozialdemokratische Fraktion und Partei, an diesem Werk mitarbeiten.
({31})
Mit der Postreform sorgen wir für eine moderne Infrastruktur auf dem Zukunftsmarkt „Telekommunikation". Nur so können wir im Wettbewerb mit anderen Industrienationen bestehen und auch in Zukunft die Arbeitsplätze bei der Post sichern.
({32})
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, „Die Schöpfung bewahren - die Zukunft gewinnen", unter diesem Leitgedanken steht unser Arbeitsprogramm für diese Legislaturperiode. Heute können wir feststellen, daß wesentliche Teile dieses umfangreichen Programms angepackt wurden und bewältigt sind.
({33})
Im Blick auf das nächste Jahrzehnt werden wir die bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch anstehenden Aufgaben konzentriert und konsequent angehen. Ich nenne einige Schwerpunkte.
Konsequenter Umweltschutz gehört zu einer wertorientierten Politik. Wer für den umfassenden Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Würde eintritt, dem kann die uns anvertraute Schöpfung nicht gleichgültig sein.
({34})
Wir wollen den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung aufnehmen.
({35})
Ich hoffe, daß die Gespräche der Fraktionsvorsitzenden darüber zu einem Erfolg führen.
Ich bejahe ebenso die Novellierung des Naturschutzgesetzes.
({36})
Aber dazu, meine Damen und Herren, ist es notwendig - das entspricht unserer Verfassungsordnung -, daß wir die sehr schwierigen Fragen der Finanzierung mit den Bundesländern klären.
({37})
Wir wollen den Ordnungsrahmen unserer Sozialen Marktwirtschaft noch stärker um die ökologische Dimension erweitern.
({38})
Ein breites Spektrum marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente steht hierfür bereit. Eines davon nutzen wir, indem wir die Kfz-Steuer künftig nicht nach dem Hubraum, sondern nach dem Schadstoffausstoß festlegen wollen.
({39})
Auch bei diesem Thema brauchen wir die Zustimmung der Bundesländer, und wir werden diese Gespräche zügig führen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus haben wir für diese Legislaturperiode ein klares umweltpolitisches Sachprogramm.
Erstens. Wir werden die zivilrechtliche Verantwortung der Verursacher von Umweltschäden neu regeln und die Überprüfung gefährlicher Stoffe forcieren.
Zweitens. Noch in dieser Legislaturperiode werden wir für Kraftfahrzeuge unter zwei Litern Hubraum die gleiche steuerliche Förderung des Drei-Wege-Katalysators einführen, wie sie bisher für Kraftfahrzeuge über zwei Litern Hubraum galt. Ferner soll die Nachrüstung von Altfahrzeugen mit Katalysator durch einen einmaligen Zuschuß weiter gefördert werden.
({40})
Drittens. Noch in dieser Legislaturperiode wollen wir in der EG durchsetzen, daß bei Neuzulassungen von Benzin-Pkw der geregelte Drei-Wege-Katalysator vorgeschrieben wird.
({41})
Bereits jetzt haben mehr als 60 % der Neuwagen bei uns einen geregelten Drei-Wege-Katalysator. Zum 1. Oktober 1991 müssen es 100 % sein. Notfalls werden wir dazu nationale Regelungen erlassen.
({42})
Bei Neuzulassungen von Diesel-Pkw sollen die strengeren amerikanischen Grenzwerte in der EG verpflichtend werden.
({43})
Viertens. Auf dem bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in Paris werde ich meine Initiative vom letzten Weltwirtschaftsgipfel in Toronto fortführen, das Thema Umweltschutz mit Schuldenfragen zu verknüpfen. Ein erstes praktisches Beispiel war unser Schuldenerlaß für Kenia. Wir haben ihn davon abhängig gemacht, daß freiwerdende Mittel möglichst für konkrete Umweltmaßnahmen eingesetzt werden.
Fünftens. Die Bundesregierung wird ihre Zustimmung zu internationalen Krediten nur geben, wenn die jeweiligen Projekte auch unter Umweltaspekten verantwortet werden können; dies gilt insbesondere für Energieprojekte im Bereich tropischer Regenwälder.
({44})
Die Ankündigung Brasiliens, neue Maßnahmen zum Schutz des Regenwaldes einzuleiten, finde ich ermutigend. Ich hoffe, daß der Ankündigung die Taten folgen.
({45})
Meine Damen und Herren, heute reden viele über Umweltschutz.
({46})
- Ja, das ist der Unterschied: Sie lachen, und wir tun etwas. ({47})
Deshalb will ich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf ein wichtiges Thema hinweisen: Nur mit modernster Spitzentechnologie läßt sich die Umwelt besser schützen. Wer gegen technischen Fortschritt ist, kann
die Schöpfung nicht bewahren. Das haben Sie von der Opposition bis zum heutigen Tag nicht verstanden.
({48})
Der Schutz unserer Umwelt ist besonders bei der Energieversorgung wichtig. Gerade hier muß das ökologisch Gebotene mit dem ökonomisch Richtigen in Einklang gebracht werden. Ich weiß, daß viele bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie ihre Sorgen und ihre Zweifel haben. Deshalb will ich hier noch einmal unterstreichen, was Politik der Bundesregierung ist: Wir gehen von dem Grundsatz aus, daß die Sicherheit Vorrang vor allen anderen - insbesondere wirtschaftlichen - Überlegungen hat.
Aber, meine Damen und Herren, wir wissen auch: Wir bleiben auf Kernenergie angewiesen, wenn wir unsere Umwelt schützen wollen.
({49})
Wer beispielsweise an die Veränderung des Weltklimas denkt, kann doch nicht für den Ausstieg aus der Kernenergie plädieren, solange kein anderer umweltfreundlicher Energieträger gefunden ist.
({50})
Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie
({51})
gehört, daß der Entsorgungsnachweis gerichtsfest erbracht werden muß. Deshalb hat die Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt 1979 mit Ihrer Zustimmung, mit unserer Zustimmung und mit der Zustimmung aller Bundesländer ein integriertes Entsorgungskonzept beschlossen, an dem die von mir geführte Bundesregierung festhält.
Aus der Energiewirtschaft sind jetzt Möglichkeiten für eine deutsch-französische Zusammenarbeit bei der Wiederaufarbeitung vorgeschlagen worden. Ich habe, wie Sie wissen, vor wenigen Tagen mit Staatspräsident Mitterand die notwendigen Gespräche vereinbart. Dabei müssen Fragen der Sicherheit, der technologischen Entwicklung und der Industriepolitik sowie rechtliche und europapolitische Probleme sehr rasch, aber auch sehr sorgfältig untersucht werden.
Unsere beiden Regierungen werden vor allem zu klären haben, inwieweit die Zusammenarbeit bei der Energiepolitik insgesamt verstärkt werden kann. Das gilt insbesondere auch für die Wiederaufarbeitung. Auf dieser Grundlage werden wir gemeinsam mit den beteiligten Bundesländern die notwendigen Entscheidungen treffen. Ich sage hier klar und deutlich: Mir kommt es dabei besonders auf das Einvernehmen mit dem Freistaat Bayern an.
({52})
Denn Bayern hat beträchtliche Lasten für die Bundesrepublik Deutschland übernommen.
({53})
Meine Damen und Herren, die Kernenergie schafft zudem die Voraussetzung dafür, daß die heimische Kohle auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag für unsere Energieversorgung leisten kann. Wer diesen
Zusammenhang ignoriert - das sollten Sie auch im Ruhrgebiet und an der Saar sagen -, stellt die Existenzgrundlage des deutschen Bergbaus in Frage.
({54})
Die Bundesregierung wird sehr bald ein Konzept zur längerfristigen Sicherung der Verstromung deutscher Steinkohle nach Auslaufen des Jahrhundertvertrags vorlegen. Wir stehen in Gesprächen mit allen Beteiligten. Wir suchen hierfür das Einvernehmen mit den Bundesländern. Wir sprechen mit den beteiligten Unternehmen der Kohle und mit der Elektrizitätswirtschaft, mit den Bergbauländern, mit den revierfernen Ländern und nicht zuletzt mit der zuständigen Gewerkschaft. Alle müssen zur Lösung dieses Problems ihren Beitrag einbringen. Der laufende Vertrag muß dabei auf eine finanziell tragfähige Grundlage gestellt werden. Das bedeutet auch, daß die Verstromungsmenge nicht ausgeweitet werden kann.
({55})
Wir müssen bei der Kohle tragfähige Lösungen finden. Denn es geht um das Schicksal vieler Menschen an Rhein und Ruhr und an der Saar. Gerade die Bergleute und ihre Familien haben nach dem Krieg in bitterer Not viel für den Aufbau unserer Bundesrepublik Deutschland geleistet. Sie haben in ihrer jetzigen Lage einen besonderen Anspruch auf unsere Solidarität.
({56})
Die Bergleute wissen sehr genau: Nur derjenige kann soziale Sicherheit gewährleisten, der erfolgreich für Wachstum, Beschäftigung und Preisstabilität sorgt. Dies war, ist und bleibt der Kern der Sozialen Marktwirtschaft.
({57})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war die Koalition der Mitte, die den zu Beginn der 80er Jahre unaufhaltsam scheinenden Niedergang in immer größere Massenarbeitslosigkeit und internationale Zweitklassigkeit gestoppt hat.
({58})
- Meine Damen und Herren, daß Sie sich bei diesem Thema überhaupt rühren angesichts des Erbes, das Sie hinterlassen haben, ist schon erstaunlich.
({59})
Wir haben jetzt - das ist der Rückblick auf sieben Jahre - die längste und zugleich stabilste wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in der Nachkriegszeit zu verzeichnen.
({60})
Dadurch haben wir mehr als 1 Million neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
({61})
Schnell steigende Beschäftigung und die zunehmende Zahl offener Stellen führen dazu, daß die
Mehrheit der Arbeitslosen heute eine bessere Chance hat, bald wieder einen Arbeitsplatz zu finden.
({62})
Trotz dieser Erfolge übersehen wir nicht die Probleme derjenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Dies ist auch nach meiner Überzeugung der eigentliche Kern des Problems Arbeitslosigkeit. Solidarität und ökonomische Vernunft gebieten es, unseren Anstrengungen auf die Langzeitarbeitslosigkeit zu konzentrieren. Wir wollen dabei nach dem Grundsatz handeln, den Menschen zu Arbeit zu verhelfen, statt Ihnen nur den Lebensunterhalt zu sichern. Das heißt konkret:
Erstens. Wir werden die Bundesanstalt für Arbeit durch zusätzliche Mittel in die Lage versetzen, mit Lohnkostenzuschüssen in Höhe von 1,5 Milliarden DM
({63})
bis einschließlich 1991 Arbeitgebern die Einstellung von Langzeitarbeitslosen zu erleichtern.
({64})
Ich appelliere an die Wirtschaft, an die Unternehmer und an die Gewerkschaften, alles zu tun, daß diese Chance auch wahrgenommen wird.
Zweitens. Die Bundesregierung stellt im gleichen Zeitraum zusätzlich 250 Millionen DM bereit, um für Langzeitarbeitslose in besonders schwieriger Lage eine gezielte Betreuung und Unterstützung zu ermöglichen.
({65})
Drittens. Wir werden zusammen mit Ländern und Gemeinden, mit den Kirchen und den gesellschaftlichen Gruppen kurzfristig ein weitergehendes Konzept zusätzlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit entwickeln.
({66})
Viertens. Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat zusätzliche Dauerarbeitsplätze geschaffen. Bei verantwortlicher Handhabung wird es auch künftig zur Entlastung von Arbeitslosigkeit beitragen. Deshalb wird es verlängert.
({67})
Fünftens. Wir müssen erreichen, daß der internationale Rückstand der Bundesrepublik Deutschland beim Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen möglichst bald abgebaut wird.
({68})
Vor allem berufstätige Frauen müssen mehr als bisher die Möglichkeit erhalten, Teilzeitarbeit zu wählen, wenn sie dies wünschen.
({69})
Das gilt für die Wirtschaft insgesamt, das sage ich
selbstkritisch auch im Hinblick auf Bund, Länder und
Gemeinden. Auch der öffentliche Dienst muß hier einen größeren Beitrag leisten.
({70})
In erster Linie sind aber über bloße Bereitschaftserklärungen hinaus Gewerkschaften und Unternehmer gefordert. Die Bundesregierung hält entsprechende konkrete Maßnahmen für erforderlich, etwa im Rahmen von Manteltarifverträgen. Sollten hier dennoch keine erkennbaren Fortschritte erzielt werden, haben wir zu prüfen, ob die Rechtslage der Teilzeitarbeitsuchenden verbessert werden muß.
Sechstens. Meine Damen und Herren, wir müssen endlich zu aussagefähigeren Zahlen über das tatsächliche Angebot an offenen Stellen kommen.
({71})
Sollten die jetzt laufenden Bemühungen der Wirtschaftsverbände und der Bundesanstalt für Arbeit in naher Zukunft nicht zu befriedigenden Ergebnissen kommen, wird die Bundesregierung selbst geeignete Schritte prüfen, um die Lücke zwischen Statistik und Realität endlich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
({72})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich bei diesem Punkt aufregen. Ihre Freunde in den Niederlanden waren durchaus bereit, mit der dortigen Koalition zu einer vernünftigen Abmachung zu kommen. Wenn Sie zu solchem Tun fähig wären, wären wir viel weiter, auch in dieser Frage.
({73})
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, nur wenn unsere Wirtschaft auch international mithalten kann, sind die Arbeitsplätze in unserem Land auf Dauer sicher. Der internationale Wettbewerb verschärft sich, und viele der Länder, mit denen wir konkurrieren, haben daraus Konsequenzen gezogen. Wenn wir als führendes Exportland bestehen wollen, müssen wir uns auf diese Entwicklung einstellen.
Dazu gehört als erstes - und das bleibt ein Gütesiegel dieser Regierungskoalition -, daß wir an der Solidität der Staatsfinanzen festhalten.
({74})
Dazu gehört des weiteren, daß wir die große Steuerreform durchgesetzt haben - mit ihrer Entlastung von rund 50 Milliarden DM in drei Stufen. Allein mit der dritten Stufe zum 1. Januar 1990 geben wir dem Steuerzahler rund 20 Milliarden DM zurück. Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, in einer schnelllebigen Zeit darauf hinzuweisen, daß die meisten Kritiker aus der Politik und vor allem aus der Wirtschaft, die uns geraten hatten, die dritte Stufe der Steuerreform bereits zum 1. Januar 1989 in Kraft zu setzen, jetzt sehr glücklich darüber sind, daß wir an dem Zeitpunkt 1. Januar 1990 festgehalten haben.
({75})
Die Bundesregierung wird, wie ich schon angekündigt habe, eine Kommission einsetzen, um Vorschläge für die nach 1990 fällige Reform der Unternehmensbesteuerung zu erarbeiten. Auf dieser Grundlage werden dann die notwendigen Entscheidungen so rechtzeitig getroffen, daß die deutsche Wirtschaft ihre Planungen für den Europäischen Binnenmarkt 1992 auf eine zuverlässige Grundlage stellen kann.
Richtig ist auch, meine Damen und Herren - und das sage ich ebenso offen -, daß die Erfahrungen der letzten Monate einige Korrekturen notwendig machen.
({76})
Die kleine Kapitalertragsteuer, die sogenannte Quellensteuer, wird ab 1. Juli 1989 aufgehoben.
({77})
Wir werden uns in der Europäischen Gemeinschaft um eine für alle Partner tragfähige Regelung der Besteuerung von Kapitalerträgen bemühen, die den Zielen des europäischen Binnenmarktes entspricht.
({78})
Insbesondere im Interesse des Mittelstandes - auch das gehört zu diesen Korrekturen ({79})
wollen wir bei der Versteuerung von sogenannten Veräußerungsgewinnen nach § 34 Einkommensteuergesetz eine Korrektur vornehmen.
({80})
Meine Damen und Herren, entsprechend meiner Ankündigung in der Regierungserklärung vom März 1987 werden wir noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem wir die Anreize zur Gründung von Stiftungen verstärken wollen.
({81})
Wir wollen das Engagement der Bürger und der Wirtschaft für Wissenschaft, für Kunst und Kultur, aber auch für die sozialen Belange, ermutigen.
({82})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir brauchen eine Kultur des Helfens und der Nachbarschaft, den Geist freiheitlichen und sozialen Bürgersinns. Auch für jedes einzelne Unternehmen eröffnet sich hier ein zusätzliches Feld sinnvoller sozialer Tätigkeit zur Förderung des Gemeinwohls. Diese Aufgabe ist nur in enger Zusammenarbeit mit Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Initiativen zu leisten. Ohne ihren hervorragenden und dankenswerten Einsatz ginge unserem Land viel an Menschlichkeit verloren.
Das Füreinander-Einstehen der Generationen, die Partnerschaft zwischen Mann und Frau und nicht zuletzt Liebe und gegenseitiger Respekt zwischen Eltern und Kindern: dies alles kann unsere Gesellschaft nur prägen, wenn es sich zuvor in der Familie bewährt
hat. Gerade auch in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen gewinnt die Familie als Quelle von menschlicher Wärme und Geborgenheit weiter an Bedeutung.
({83})
Sie bedeutet für viele Verläßlichkeit in einer Zeit schnellen Wandels.
Es bleibt unsere vornehmste Pflicht, die Familie zu stärken. Wir haben hier eine grundlegende Neuorientierung erreicht. Dies ist bereits Hunderttausenden von Familien zugute gekommen. Ab 1990 werden den Familien jährlich insgesamt rund 18 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen als vor dem Jahre 1985.
({84})
Mit Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub und mit der Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht haben wir neue Wege beschritten, und an diesem Kurs halten wir fest.
Deshalb werden wir das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub zunächst auf 15, dann auf 18 Monate verlängern,
({85})
das Kindergeld für das zweite Kind erhöhen und Erleichterungen bei Familien- und Pflegehilfen schaffen. Allein im Rahmen der Gesundheitsreform - auch dies verdient hervorgehoben zu werden - sind jährlich schon über 5 Milliarden DM für die häusliche Pflege von schwer pflegebedürftigen Personen vorgesehen.
({86})
In der Lebenssituation von Frauen und Müttern hat sich im letzten Jahrzehnt Entscheidendes gewandelt.
({87})
Frauen wollen frei zwischen Familie und Beruf entscheiden und immer häufiger beides miteinander verbinden können.
({88})
Ihre Berufstätigkeit verstehen sie dabei nicht als Absage an Familie und Kinder, sondern sie versuchen im Alltag, oft unter großen persönlichen Opfern, beidem gerecht zu werden.
({89})
Davor habe ich großen Respekt. Staat und Gesellschaft müssen alles tun, um ihnen in dieser Lage zu helfen.
({90})
Unsere Anerkennung, aber auch unsere politischen Anstrengungen gelten selbstverständlich genauso den Frauen, die sich auf Grund ihrer persönlichen Entscheidung vor allem der Familie und der Erziehung ihrer Kinder widmen.
({91})
Ich wende mich dagegen, daß der Einsatz und das Engagement der Hausfrau und Mutter geringer gewertet wird als Erwerbsarbeit.
({92})
Deshalb bleibt die Verbesserung des Familienlastenausgleichs auf der Tagesordnung. Für mich ist dies ein Herzstück unserer Politik.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch wieder mehr darüber reden, wie unersetzlich die Erziehungsleistung der Mütter für unsere Gesellschaft ist.
({93})
Wenn wir in diesen Wochen das 40jährige Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland feiern, dann sollten wir uns bei dieser Gelegenheit besonders an jene Frauen erinnern, die damals unter den allerschwierigsten Bedingungen für ihre Kinder, für ihre Familie gesorgt haben. Sie haben unsere Republik mit aufgebaut, und dafür schulden wir Ihnen Dank.
({94})
Unser Land soll ein familien- und vor allem ein kinderfreundliches Land sein.
({95})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie lärmen. Sie sind nicht einmal in der Lage, Respekt und Achtung entgegenzubringen.
({96})
Unser Auftrag zugunsten einer kinderfreundlichen Gesellschaft ist längst noch nicht erfüllt.
({97})
Kinder bedeuten Leben, Wärme, Fröhlichkeit und letztlich Zukunft. Sie brauchen in besonderem Maße Schutz, Hilfe und Zuwendung.
({98})
Dies - meine Damen und Herren, Sie sollten das wenigstens ertragen und anhören ({99})
gilt vor allem für die schwächste Form menschlichen Lebens: für das ungeborene Kind.
({100})
Ungeborenes Leben ist ohne Einschränkung menschliches Leben, und daran darf kein Zweifel aufkommen. Es liegt mir sehr daran - bei allen Schwierigkeiten in der Koalition - , daß das zugesagte Beratungsgesetz zustande kommt.
({101})
Zu einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht gehört auch das gute Miteinander mit unseren ausländischen Mitbürgern.
({102})
Ich wende mich gegen jede Form von Ausländerfeindlichkeit.
({103})
Wir verdanken unseren ausländischen Mitbürgern viel.
Aber wir können nicht alle Ausländer aufnehmen, die noch zu uns kommen wollen.
({104})
- Wenn Sie schon das als eine Einschränkung empfinden, dann frage ich mich, wo Sie die Grenze ziehen wollen. Wir sind kein Einwanderungsland, und wir können es auch nicht werden!
({105})
Deshalb wird die Bundesregierung dem weiteren Zuzug von Ausländern Grenzen setzen.
({106})
Die Integration jener aber, die seit langem bei uns leben, wollen wir fördern.
In Abstimmung mit den Bundesländern wollen wir dem Deutschen Bundestag noch in dieser Legislaturperiode ein neues Ausländergesetz vorlegen. Es soll u. a. folgende Schwerpunkte enthalten.
({107})
- Der Kollege Bötsch ist ein Christlich-Sozialer, der etwas von Humanität und Menschlichkeit versteht, was Sie offenbar nicht wahrhaben wollen.
({108})
Der Aufenthaltsstatus von Ausländern, die seit langer Zeit bei uns leben, wird verbessert. Es soll grundsätzlich weiterhin möglich bleiben, daß Ehegatten und Kinder nachziehen.
({109})
Die Einbürgerung soll erleichtert werden; eine automatische Einbürgerung wird es jedoch ebensowenig geben wie ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländer.
({110})
Es sollen auch die Möglichkeiten erweitert werden, ausländische Schwerkriminelle auszuweisen.
({111})
Ein besonderes Thema ist der Mißbrauch des Grundrechts auf Asyl. Unsere Verfassung will aus gutem Grund - das ist ein Stück der politischen Kultur
unseres Landes, erwachsen aus der bitteren Erfahrung dieses Jahrhunderts -, daß wir politisch, rassisch oder religiös Verfolgten Asyl gewähren. Hieran wollen und werden wir auch in Zukunft nichts ändern.
({112})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, es gibt unendlich viel Armut in der Welt, und wir können den vielen Millionen von Menschen, die in großer Not leben, nicht dadurch helfen, daß wir sie bei uns aufnehmen.
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Wir müssen versuchen, ihnen im Rahmen des uns Möglichen zu Hause, in ihrer Heimat, zu helfen.
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Hier bei uns müssen wir zu schnelleren Entscheidungen kommen, damit Asylbewerber, die keinen Anspruch auf Asyl haben, auch wirklich wieder in ihre Heimat zurückkehren.
({115})
Im übrigen ist dies überhaupt kein Problem der Bundesrepublik Deutschland allein. In einem Europa der offenen Grenzen müssen wir auch Asylpraxis und Asylrecht harmonisieren. Wenn Sie heute die Aussagen des stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, des Ministerpräsidenten von Spanien, Felipe Gonzalez, zu diesem Thema hören, wenn Sie die Äußerungen der französischen Regierung hören, dann wissen Sie, daß dort ein dringender Regelungsbedarf gesehen wird. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin wird dieses Thema auf dem nächsten EG-Gipfel im Sommer in Madrid beraten werden. Ich hoffe, daß es zu einer abschließenden Entscheidung auf dem EG-Gipfel in Paris im Dezember kommen wird.
Wir müssen und wollen - und zwar auch um der Öffnung in Europa willen - in der Gemeinschaft einheitliche Maßstäbe finden. Dies ist auch ein Akt der Humanität, weil es der Rechtssicherheit für die Betroffenen dient.
Meine Damen und Herren, es gilt, unseren demokratischen Rechtsstaat zu pflegen und zu stärken. Denn das Recht schützt die Schwachen. Der Begriff „Recht" ist heute für viele schon fast gleichbedeutend nur mit ihren subjektiven Ansprüchen. Eine solche Haltung muß auf die Dauer zur Erosion unseres Rechtsstaats führen.
({116})
Denn Recht ist nicht nur Anspruch, Recht ist auch Verpflichtung, Herr Schily. Das Bewußtsein dafür zu schärfen, ist nicht nur Aufgabe des Staates, sondern aller verantwortlichen Kräfte in unserer Gesellschaft.
({117})
Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir allen entschlossen entgegentreten, die sich rechtswidrig eine Sonderstellung anmaßen. Wer - wie in der Hamburger Hafenstraße - rechtsfreie Räume entstehen läßt und duldet, wer die Polizei daran hindert,
Straftaten zu verfolgen, macht sich zum Komplizen des Rechtsbruchs.
({118})
Angesichts dieser Erfahrungen will ich hier für die Bundesregierung unsere besondere Sympathie für unsere Polizeibeamten bekunden.
({119})
Wir stehen zu ihnen und unterstützen sie bei ihrem Auftrag. Sie leisten ihren Beitrag zum inneren Frieden unseres Landes.
({120})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im Kampf gegen den Terrorismus darf es keine Kompromisse geben. Die Terroristen müssen wissen: Unser freiheitlicher Rechtsstaat ist nicht erpreßbar.
({121})
Angesichts mancher Diskussion in den letzten Wochen will ich noch einmal für die Bundesregierung sagen: Mit terroristischen Gewalttätern darf nicht in einer Weise verhandelt werden, als stünden sich hier Tarifpartner gegenüber.
({122})
Diese Straftäter haben schwerste Kapitalverbrechen begangen. Sie müssen, wie andere Kriminelle auch, dafür die Konsequenzen tragen.
({123})
Herr Abgeordneter Vogel
({124})
- ich finde es ganz gut, daß Sie sich melden, Herr Vogel -,
({125})
wir waren mit vielen anderen hier im Saal in einer schwierigen und schlimmen Zeit beisammen. Wir haben damals ungeachtet unserer politischen Herkunft gemeinsam versucht, das Richtige für den Rechtsstaat zu tun.
({126})
Gerade in Erinnerung an diese Tage und Nächte sage ich mit Bedacht: Unsere besondere Sympathie gilt den Opfern und ihren Angehörigen und nicht den Tätern und ihren Helfershelfern.
({127})
- Daß Sie an dieser Stelle dazwischenrufen, wundert mich nicht, Herr Schily.
Terrorismus, organisiertes Verbrechen und Rauschgiftkriminalität sind zu einer neuen Herausforderung geworden, einer Herausforderung, die die nationalen Polizeidienststellen meiner Überzeugung nach auf
Dauer mit den bisherigen Mitteln nicht mehr werden bewältigen können. Wenn wir den Weg nach Europa gehen und wenn wir die Grenzen öffnen, dann ist es notwendig, daß wir - ähnlich wie die Amerikaner mit dem FBI - zu einer europäischen Polizei kommen.
({128})
Meine Damen und Herren, dies ist für mich im übrigen ein gutes Beispiel dafür, daß es beim europäischen Binnenmarkt eben um mehr geht als um wirtschaftliche Fragen. Unsere Bürger erwarten zu Recht, daß wir auch überzeugende europäische Lösungen für andere Probleme finden, die sie bewegen. Dazu gehören neben der inneren Sicherheit auch der Umweltschutz und die Sozialpolitik. Wir wollen in der EG Ergebnisse erreichen, mit denen es uns gelingt, die gemeinsamen sozialen Standards auf unser Niveau heranzuführen, und nicht umgekehrt.
({129})
Es wird also nach dem Willen der Bundesregierung kein Sozialdumping geben.
({130})
Es ist im übrigen, meine Damen und Herren, ebenso erstaunlich wie gelegentlich amüsant, daß die notorischen Kritiker unserer Sozialpolitik hier in der Bundesrepublik auf der Ebene EG-Europas das hier Erreichte als einfach beispielhaft loben.
({131})
Meine Damen und Herren, wenn wir über die EG sprechen, will ich auch ein kurzes Wort zum Thema Landwirtschaft sagen, denn ich weiß, daß sich unsere Bauern Sorgen um ihre Zukunft machen. Ich will hier noch einmal als Politik der Bundesregierung unterstreichen, daß wir auch in Zukunft den bäuerlichen Familienbetrieb brauchen und daß wir dafür gerade in dieser Legislaturperiode wichtige Entscheidungen getroffen haben.
({132})
Die Entwicklung des ländlichen Raumes hängt vor allem davon ab, daß es für unsere Bäuerinnen und Bauern eine verläßliche Zukunftsperspektive gibt. Das gilt vor allem für junge Bauern, die vor der Entscheidung stehen, ob sie den elterlichen Hof übernehmen.
Was die aktuellen Fragen betrifft, so gilt: Die Bundesregierung steht zu den Beschlüssen des Europäischen Rats vom Februar 1988, der unter meinem Vorsitz tagte und ganz wesentlich zur Sanierung der Märkte und zur Entlastung des EG-Haushalts beitrug.
({133})
Gegen weitergehende Preissenkungen setzen wir uns
mit Nachdruck zur Wehr. Wir - vor allem der Kollege
Kiechle - haben dies in der vergangenen Woche mit
Erfolg getan. An dieser Linie werden wir auch künftig festhalten.
({134})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In knapp zwei Monaten, am 18. Juni 1989, findet die dritte Direktwahl zum Europäischen Parlament statt.
({135})
Diese Wahl muß zu einem klaren und überzeugenden Bekenntnis zu Europa werden, zu einem Bekenntnis zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts und zur Europäischen Union.
({136})
Wir in der Regierungskoalition sind uns bewußt, daß viele der genannten innen- und gesellschaftspolitischen Aufgaben nur noch durch internationale Zusammenarbeit zu lösen sind. Diese Erfahrung spiegelt sich nicht nur in der Politik der westlichen Regierungen wider, sondern auch mehr und mehr in der Politik der Warschauer-Pakt-Staaten. Generalsekretär Gorbatschow hat in den vier Jahren seiner bisherigen Amtszeit eine umfassende Reformpolitik eingeleitet, die inzwischen die meisten Bereiche in Staat, Partei und Gesellschaft und auch die Außen- und Sicherheitspolitik erfaßt hat. Wenn die Reformen erfolgreich sein sollen, muß sich die Sowjetunion öffnen. Das bedingt internationale Zusammenarbeit, die politische Regelung von Konflikten und den Abbau von erdrükkenden Lasten, die sich aus Rüstungswettlauf, militärischen Interventionen und ideologischem Kampf ergeben.
Ich weiß - und ich betone dies - : Manches von dem, was ich erwähnte, ist erst angekündigt, anderes gerade erst eingeleitet und vieles noch nicht vollendet. Doch die sowjetische Politik ist kompromißfähiger, offener für Dialog und Zusammenarbeit geworden,
({137})
wobei ich immer davon ausgehe, daß wir allen Grund haben, von den Taten und nicht von den Worten auszugehen.
({138})
Aber aus dem, was wir jetzt alle sehen, ergeben sich Chancen und Perspektiven für die zukünftige Gestaltung der West-Ost-Beziehungen.
({139})
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, jede Chance zu nutzen, die zu mehr Verständigung und Zusammenarbeit führt und damit den Frieden in Europa stabilisiert und die Sicherheit gewährleistet.
Meine Damen und Herren, es ist nicht der Westen, der über Erfolg oder Mißerfolg der Reformpolitik in der Sowjetunion oder anderswo entscheidet, aber wir können gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, diese
Entwicklung durch eine zukunftsgewandte Politik des Gesprächs und der Zusammenarbeit zu fördern.
({140})
Wir sind dazu entschlossen.
({141})
Auf diesem Weg fällt der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion eine wichtige Rolle zu. Wenn Generalsekretär Gorbatschow in sieben Wochen die Bundesrepublik besuchen wird, werden wir ein gemeinsames Dokument unterzeichnen. Es wird die Perspektiven aufzeigen, wie wir unsere beiderseitigen Beziehungen langfristig gestalten und wie wir zukünftig gemeinsam mit unseren Partnern den Frieden und die Sicherheit in Europa gestalten wollen.
Darüber hinaus werden wir u. a. konkrete Abkommen über Jugendaustausch, Austausch von Kulturinstituten, über Förderung von Investitionen, über Aus- und Fortbildung unterzeichnen. Jeder sieht: In die deutschsowjetischen Beziehungen ist Bewegung gekommen.
Bei vielen Gesprächen in diesen Tagen habe ich mich daran erinnert, meine Damen und Herren von der SPD, wie noch vor wenigen Jahren drüben, noch im anderen Plenarsaal, Redner der SPD der Union die „Friedensfähigkeit" abgesprochen haben. Das gehört zu den großen Diffamierungskampagnen in der Geschichte Ihrer Partei.
({142})
Meine Damen und Herren, Sie haben im Jahre 1983 Kriegsangst geschürt, Sie haben mit billigsten Mitteln die Menschen verunsichert, Sie haben eine „neue Eiszeit" prophezeit. Alles, was Sie sagten, war falsch, war frei erfunden.
({143})
Es ist wichtig, Ihnen deutlich zu sagen, daß Sie das Klima auf diesem Felde damals weitgehend zerstört haben.
({144})
Gerade in der Amtszeit dieser Bundesregierung entwickeln sich die Beziehungen zu unseren Nachbarn in Mittel- und Südosteuropa ganz besonders günstig. Von vielen wird unser Verhältnis zu Ungarn als beispielhaft betrachtet.
({145})
Wir versuchen, jetzt auch gegenüber Polen ein Verhältnis guter Nachbarschaft zu entwickeln. Ungarn und Polen stehen gemeinsam mit der Sowjetunion an der Spitze der Reformbewegung innerhalb des Warschauer Paktes. Ich habe immer wieder gesagt und wiederhole es, daß es eine enge Wechselwirkung zwischen der inneren Reformpolitik und den Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit gibt.
({146})
Je umfassender, je tiefgreifender die Reformen, desto
größer und weitreichender sind die Chancen für eine
Verbesserung der Beziehungen zwischen West und Ost.
Verständigung und Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen zu schaffen, dies ist ein großes Vermächtnis auch von Konrad Adenauer. Es ist für die Zukunft ganz Europas von Bedeutung, wenn wir dies erreichen.
Die Vorbereitungen für meinen Besuch in Polen sind umfassend und intensiv - und nicht immer leicht. Aber es zeichnen sich Ergebnisse ab, für die wir uns seit Jahrzehnten eingesetzt haben.
({147})
Ich hoffe deshalb, daß ich in naher Zukunft nach Polen reisen kann.
Wir sollten die Reformkräfte in allen WarschauerPakt-Staaten unterstützen. Bei unseren europäischen und amerikanischen Freunden setzen wir uns mit großem Nachdruck dafür ein, daß auch sie diese Politik mit Sympathie mittragen, und wir haben manches gemeinsame Vorgehen verabreden können.
Meine Damen und Herren, auch in der DDR werden die Forderungen nach Veränderungen immer drängender erhoben. Die DDR-Führung reagiert hierauf teils mit Repression, teils mit abgestandenen Parolen. Der Ausreisedruck, die jüngsten schweren Zwischenfälle an der Sektorengrenze in Berlin, das Vorgehen gegen Demonstranten, die sich schwieriger gestaltende Lage der Kirchen, das alles ist letztlich Ausdruck der inneren Schwäche der DDR.
Die Führung der DDR muß sich an dem messen lassen, was wir gemeinsam in der KSZE und auf deren Folgekonferenzen festgeschrieben haben.
Wir haben die Beziehungen zur DDR auf vielen Gebieten verbessert. Dabei stehen für uns die Menschen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Viele Millionen unserer Landsleute aus der DDR konnten im Rahmen des Besuchsverkehrs bisher zu uns kommen; die Zahlen für dieses Jahr entwickeln sich noch günstiger. Damit konnten wir - bei allen Gegensätzen und bei allen Rückschlägen - viel für den Zusammenhalt der Deutschen und die Einheit der Nation tun.
({148})
Zur deutschen Wirklichkeit von heute gehört auch, daß in den letzten Jahren eine immer größere Zahl von Aussiedlern zu uns kommt, die Deutsche sind. Viele von ihnen haben Schlimmes erdulden müssen, nur weil sie Deutsche sind. Ihnen gebührt unsere besondere Solidarität; das muß immer wieder deutlich gemacht werden.
({149})
Wir wollen ihnen auch in Zukunft zu einer raschen und wirksamen Eingliederung verhelfen. Bund, Länder und Gemeinden sind zu gemeinsamen Anstrengungen aufgefordert.
Die hohen Zahlen der letzten Jahre erfordern jedoch dringend sozialpolitische Entscheidungen. Dabei muß der Grundsatz gelten: Aussiedler sollen nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als
beispielsweise einheimische Arbeitnehmer oder Rentner. Dies gilt auch - das ist ein besonderer Punkt des Ärgernisses in vielen Gemeinden - für die Versorgung mit Wohnraum.
Wir werden schon in nächster Zeit einen Gesetzentwurf mit den Schwerpunkten Eingliederung, Arbeitsförderung und Entschädigungsrecht einbringen. Fragen der Fremdrenten werden im Rahmen des Rentenreformgesetzes geregelt werden.
Die Bundesregierung wird darüber hinaus alles in ihren Kräften Stehende tun, um die Lebensverhältnisse unserer Landsleute zu verbessern, damit sie sich dort zu Hause fühlen können, wo sie jetzt leben. Das ist unser erstes und wichtigstes Ziel.
({150})
Wir wollen ihnen ihre kulturellen Rechte sichern. Mit Ungarn haben wir 1987 eine vorbildliche Abmachung geschlossen, mit der Sowjetunion und Polen stehen wir in Verhandlungen, die erfolgversprechend aussehen. Ich verfolge mit Sympathie die Diskussion in der Sowjetunion, den Deutschen dort mehr Autonomie zu gewähren.
({151})
Den Gedankenaustausch zu diesem Thema, den ich in Moskau mit Generalsekretär Gorbatschow begonnen habe, will ich hier in Bonn fortsetzen.
({152})
Meine Damen und Herren, auch die Diskussion zu diesem Thema in der Sowjetunion zeigt, wieviel dort in Bewegung gekommen ist. Aber es gibt auch Unsicherheit, ob die von Generalsekretär Gorbatschow eingleitete Reformpolitik andauern, ob sie erfolgreich sein wird. Niemand von uns kann heute diese Frage abschließend beantworten.
Wer von uns ist nicht von den jüngsten Bildern aus Georgien bedrückt, von solchen aus Armenien und Aserbeidschan? Sie beweisen, daß sich auch die jetzige Führung der Sowjetunion der Panzer und der Soldaten bedient, um Konflikte - hier im Inneren des Landes - beizulegen. Wer kann deshalb auf dem Weg, den wir vor uns sehen, Rückschläge ausschließen?
Solange überlegene Militärpotentiale im Warschauer Pakt und solange sicherheitspolitische Risiken fortbestehen, können wir im Westen und in Europa insbesondere nicht unsere eigene Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft einseitig reduzieren oder gar vernachlässigen.
({153})
Es bleibt dabei, daß Dialog und Zusammenarbeit mit dem Osten auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit auch zukünftig die gemeinsame Strategie der westlichen Allianz bleiben muß.
Wir lassen auch nicht zu, daß zwischen gesicherter Verteidigungsfähigkeit und Fortschritten in Abrüstung und Rüstungskontrolle ein Widerspruch konstruiert wird, um diesen doppelten Ansatz unserer Sicherheitspolitik in der einen oder anderen Richtung zu amputieren.
In diesem Sinne wird die Allianz ihre gemeinsame Politik auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel am 30. Mai in Brüssel erneut bekräftigen. Wir werden uns dabei auch von der Erfahrung aus vier Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte leiten lassen, daß die Freundschaft, daß die enge und vertrauensvolle Partnerschaft mit den drei Westalliierten, mit den USA, mit Frankreich und Großbritannien, für die nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland von existentieller Bedeutung waren, sind und bleiben.
({154})
Wir haben unsere Position für die Beratungen im Bündnis und für die Gespräche im Vorfeld der Entscheidung formuliert:
Erstens. Die Bundesregierung bekennt sich zu der Feststellung des Bündnisses, daß es - soweit voraussehbar - keine Alternative für das Konzept der Kriegsverhinderung durch Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Zusammensetzung angemessener und wirksamer nuklearer und konventioneller Streitkräfte gibt. Bei den nuklearen Streitkräften sind unter den gegebenen Umständen land-, see- und luftgestützte Systeme auch in Europa notwendig.
Zweitens. Die Entwicklung eines Nachfolgesystems für die Kurzstreckenrakete Lance ist eine nationale amerikanische Entscheidung.
Drittens. Das Bündnis erteilt im Rahmen des Gesamtkonzepts für Rüstungskontrolle und Abrüstung einen Auftrag für die baldige Aufnahme von Verhandlungen über die nuklearen Kurzstreckenraketen mit dem vom Bündnis 1987 in Reykjavik und 1988 in Brüssel formulierten Ziel gleicher Obergrenzen auf einem niedrigeren Niveau.
({155})
Viertens. Auch für die nukleare Artilleriemunition wird ein Verhandlungsauftrag mit dem Ziel gleicher Obergrenzen auf einem drastisch verringerten Niveau in das Gesamtkonzept aufgenommen.
Fünftens. Im Jahre 1992 wird im Lichte der politischen und sicherheitspolitischen Entwicklung insbesondere unter Berücksichtigung der Ergebnisse aller Abrüstungsverhandlungen vom Bündnis entschieden, ob für 1996 die Einführung eines Lance-Nachfolgesystems in das Bündnis und demzufolge Produktion und Stationierung erforderlich ist oder nicht.
Dafür ist ausschlaggebend und entscheidend - ich will dies jetzt unterstreichen - , ob es gelingt, höhere Sicherheit auf einem niedrigeren Niveau der nuklearen und konventionellen Streitkräfte insgesamt zu schaffen, verbindliche Vereinbarungen mit dem Warschauer Pakt über die Beseitigung der Fähigkeit zu Überraschungsangriffen und zu raumgreifend angelegten Offensiven zu schließen und ein gewachsenes Maß an gegenseitigem Vertrauen auf Grund von erhöhter Transparenz und Berechenbarkeit des militärischen Verhaltens durch entsprechende Vereinbarungen zu schaffen.
Diese Position haben der Bundesaußenminister und der Verteidigungsminister Anfang dieser Woche unseren Partnern in Washington erläutert. Wir haben mit unseren amerikanischen Freunden vereinbart, daß
wir unsere Gespräche bis zum Gipfel intensiv fortsetzen. Wir tun dies auch mit allen anderen Partnern. Ich selbst werde am Sonntag mit Frau Premierministerin Thatcher sprechen,
({156})
am Dienstag mit dem italienischen Ministerpräsidenten de Mita und am Mittwoch mit meinem holländischen Kollegen. - Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihre Heiterkeit nicht. Ich begrüße Margaret Thatcher mit großer Freude in der Bundesrepublik.
({157})
Es ist unsere feste Absicht, in allen Fragen der Verteidigungspolitik, der Abrüstung und Rüstungskontrolle ein Einvernehmen auf dem NATO-Gipfel zu erreichen. Wir haben ein elementares Interesse, den Zusammenhalt und die Handlungsfähigkeit der Atlantischen Allianz auch zukünftig zu gewährleisten.
({158})
Das war immer unsere Politik, und das wird sie auch bleiben.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat im Jahre 1983 mehr als jeder andere in der NATO bewiesen, wie ernst es uns ist mit der Festigung und Stabilisierung der NATO. Wir brauchen von niemandem Nachhilfeunterricht in unserer Bereitschaft, für die NATO-Gemeinschaft einzutreten.
({159})
Unser Bündnis hat seine Bereitschaft zur Abrüstung immer wieder bewiesen. So hat es in den letzten Jahren einseitig 2 400 nukleare Sprengköpfe in Europa abgebaut. Die Bundesregierung hat sich dafür entschieden, auf die 72 Pershing I a zu verzichten.
Präsident Bush hat angekündigt, bis Ende 1990 alle chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland vorzeitig und ebenfalls einseitig abzuziehen. Wir hätten uns gewünscht, daß auch die Sowjetunion endlich diesen Schritten folgt
({160})
und vor allem ihre vierzehnfache Überlegenheit im nuklearen Kurzstreckenbereich drastisch reduziert, zumal sie im strategischen Nuklearbereich über weit mehr als 10 000 Sprengköpfe verfügt.
({161})
Die Bundesregierung - ich will das noch einmal ins Gedächtnis rufen, weil es einige vergessen haben - hat bereits im Rahmen der INF-Verhandlungen auch Verhandlungen über nukleare Kurzstreckensysteme mit dem Ziel gefordert, die bestehenden Ungleichgewichte durch drastische Reduzierungen abzubauen und gleiche Obergrenzen zu vereinbaren.
({162})
Ich habe das in mehreren Briefen an den damaligen Präsidenten Reagan seit 1986 immer wieder eingefordert, und das findet ja auch seinen Niederschlag im NATO-Kommuniqué vom 12. Juni 1987 in Reykjavik
({163}) und vom März 1988 in Brüssel.
Jeder muß und wird verstehen, daß gerade die Bundesregierung - und ich denke, auch der Deutsche Bundestag - diese Position einnimmt. Die Bundesrepublik Deutschland ist angesichts der Reichweite der Kurzstreckensysteme stärker berührt als alle anderen Partner im Bündnis. Von daher ist es für mich selbstverständlich, daß unsere Freunde für unsere Interessen das gleiche Verständnis haben, wie wir es bei vielen Gelegenheiten ebenso selbstverständlich für sie bewiesen haben.
({164})
Der Erfolg unserer Abrüstungsanstrengungen hängt davon ab, daß wir gemeinsam im Bündnis unsere Sicherheit glaubwürdig gewährleisten können. Das ist der friedenssichernde Auftrag unserer Bundeswehr.
Wegen der geburtenschwachen Jahrgänge hat der Deutsche Bundestag im April 1986 auf Vorschlag der Bundesregierung die Verlängerung des Grundwehrdienstes von 15 auf 18 Monate ab Juni 1989 beschlossen. Um mehr Wehrgerechtigkeit durchzusetzen, haben wir daneben die Tauglichkeitsprüfungen besser gestaltet und Einberufungshindernisse reduziert.
Inzwischen wissen wir, daß seitdem deutlich mehr Wehrpflichtige eingezogen werden können.
({165})
Angesichts dieser Entwicklung ist es gerade unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit sinnvoll, die für den 1. Juni 1989 beschlossene Wehrdienstverlängerung bis 1992 zu verschieben.
({166})
Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Aber wir wollen jungen Leuten nicht mehr Opfer abverlangen, als jetzt wirklich nötig sind.
({167})
Die Bundeswehr wird deshalb nicht weniger Soldaten haben. Wir stehen zu unserer Zusage über die Friedensstärke der Bundeswehr. Wir werden ihre moderne Ausbildung und Ausrüstung weiterhin gewährleisten.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien bekennen sich zur Bundeswehr und zu unseren Soldaten.
({168})
Unsere Soldaten leisten einen Ehrendienst für den Frieden. Sie sind die Garanten unserer Freiheit.
({169})
Ich wende mich deshalb mit Nachdruck gegen alle Versuche, den Wehrdienst gegenüber dem Zivildienst moralisch herabzusetzen.
({170})
Ich weise auch hier im Deutschen Bundestag noch einmal mit aller Schärfe die jüngsten Aufrufe zur massenhaften Wehrdienstverweigerung aus dem Gewerkschaftsbereich zurück.
({171})
Ich fordere die Führung des DGB und auch weite Teile der SPD auf,
({172})
sich eindeutig von diesem schlimmen Versuch zu distanzieren, ein individuelles Grundrecht für eine politische Kampagne gegen unsere Soldaten zu mißbrauchen.
({173})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalition der Mitte befindet sich nun im siebten Jahr ihrer Regierungsverantwortung.
({174})
Die wichtigsten Vorkehrungen zur Sicherung der Zukunft sind getroffen.
({175})
Deshalb wird der politische Gestaltungsspielraum wieder größer. Wir werden ihn nutzen: mit einer neuen formierten Regierungsmannschaft,
({176})
mit einem klar umrissenen Arbeitsprogramm für den Rest der Legislaturperiode und mit der notwendigen politischen Perspektive für die 90er Jahre.
({177})
Die Koalition der Mitte hat in diesen knapp sieben Jahren unser Land aus der Krise herausgeführt.
({178})
Aus wirtschaftlichem Niedergang, aus der Gefahr von Zweitklassigkeit wurde Wiederaufstieg. Wir haben der Wirtschaft das Vertrauen zurückgegeben, und sie antwortet darauf mit umfangreichen Investitionen.
({179})
Die Bürger unseres Landes wissen, daß sich persönliche Leistung wieder auszahlt.
({180})
Umweltschutz und Wohlstand, Spitzentechnologie und Wettbewerbsfähigkeit, ein hoher Ausbildungsstand und das umfassende Netz sozialer Sicherungen - dies alles können wir auf Dauer nur mit einer leistungsfähigen Wirtschaft erhalten.
({181})
Wenn wir wollen, daß unser Land auch morgen Spitze ist,
({182})
müssen wir heute die Weichen richtig stellen. Fleiß und Energie der Bürger, Kreativität und Freiheitswillen braucht unser Land auch in Zukunft. Wenn wir uns für morgen unseren Spitzenplatz erhalten wollen, dann müssen wir uns heute anstrengen. Der Weg wird nicht leicht sein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mit einem persönlichen Wort schließen, auch mit Blick auf den 40. Geburtstag unserer Bundesrepublik Deutschland. Ich war 19 Jahre alt, als im Mai 1949 Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rats zur Schlußabstimmung über das Grundgesetz aufrief. Wie für viele war dies für mich ein unvergeßlicher Augenblick. Ich saß am Radio und spürte wie viele der Generation: Dies wird unsere Republik.
In wenigen Tagen werden wir den 40. Geburtstag unserer Verfassung begehen. Für uns gilt heute wie damals: Unser Vaterland verdient jeden Einsatz.
({183})
Ich füge hinzu: Wir werden den Radikalen von links und rechts nicht unsere Republik überlassen.
({184})
Gefordert sind Entschlossenheit und Geschlossenheit.
Die Bundesregierung kennt ihre Pflicht.
({185})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Danke schön. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die Sie, Herr Bundeskanzler, soeben vorgetragen haben,
({0})
diese breite und an manchen Stellen etwas pathetische Regierungserklärung, kann den Eindruck nicht verwischen, den Sie der deutschen Öffentlichkeit schon seit Wochen vermitteln. Und dieser Eindruck lautet: Sie sind auf der Flucht - auf der Flucht vor den Wählerinnen und Wählern,
({1})
die Ihnen von Mal zu Mal schwerere Niederlagen beibringen. Sie räumen auf dieser Flucht Positionen, die Sie immer wieder als völlig unverzichtbar bezeichnet haben.
Es ist kein geordneter Rückzug. Es ist, um mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu sprechen - und das kann ich nicht alle Tage - , eine Politik der manifesten Panik, die Sie hier präsentieren.
({2})
Auch nach dieser Erklärung herrscht der Eindruck vor: Sie setzen ja gar nicht mehr auf Sieg. Sie hoffen - Herr Klein hat das schon mitgeteilt - auf maßvollere Niederlagen in der Zukunft.
({3})
So bescheiden ist ein Kanzler geworden, der noch vor einem Vierteljahr davon sprach, seine Regierung sei die erfolgreichste im freien Europa.
({4})
- Sehen Sie, meine Damen und Herren, da ist Ihnen der Bundeskanzler voraus: Sie glauben das noch; der Bundeskanzler glaubt es schon gar nicht mehr.
({5})
Die manifeste Panik ist denn auch überall zu spüren. Das beginnt schon mit der Reihenfolge Ihrer sogenannten Befreiungsschläge. Überall - nicht nur in unserem Land - verständigt man sich zunächst über Inhalte der Politik und sucht dann die Männer und Frauen, die diese Inhalte am glaubwürdigsten verkörpern und sie am besten zu verwirklichen vermögen. Bei Ihnen war das umgekehrt: Sie haben erst die uns altvertrauten Personen hier auf dieser Bank hin- und hergeschoben, und dann haben Sie nach Inhalten gesucht. Nicht aus Überlegung haben Sie die Reihenfolge umgekehrt, sondern weil Sie keine Luft mehr hatten, weil Sie um Ihr eigenes politisches Überleben fürchteten.
({6})
Danach sieht das Ergebnis Ihrer Kabinettsumbildung auch aus. In der Ihnen eigenen, außerordentlich zurückhaltenden, nuancierten Ausdrucksweise haben Sie die Kabinettsumbildung als die bedeutsamste in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet.
({7})
Herr Bundeskanzler, das war sie mit Sicherheit nicht.
({8})
Aber es war die unprofessionellste Kabinettsumbildung seit 1949,
({9})
und es war die Kabinettsumbildung, die am längsten gedauert hat.
„Über Kabinettsumbildungen redet man nicht, man macht sie" hat Herr Lambsdorff gesagt, und wo er recht hat, hat er gelegentlich auch jetzt noch recht.
({10})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben genau das Gegenteil getan. Es wurde vier Wochen lang geredet, und dann gebar der kreißende Berg eine Maus oder eigentlich nur ein Mäuslein.
Gewiß, Herr Kollege Waigel ist jetzt Mitglied Ihres Kabinetts. Aber als Landesgruppenvorsitzender und als Landesvorsitzender der CSU war er doch schon bisher für die Misere Ihrer Koalition an vorderster Stelle mitverantwortlich.
({11})
Und was der Bundesfinanzminister Waigel jetzt korrigieren will, etwa die Quellensteuer, das hat doch der Landesgruppenvorsitzende Waigel hier mit betrieben und mit beschlossen und genauso beklatscht, wie Sie jetzt das Gegenteil beklatschen müssen.
({12})
Da hat Herr Geißler, Herr Bundeskanzler, ganz anders reagiert. Herr Geißler ist zwar ebenso mitverantwortlich, aber er hat sich schlicht geweigert, sein Schicksal mit dem Ihren noch zusätzlich zu verketten. Er leidet schon genug darunter, daß er unter Ihnen Generalsekretär ist, und denkt darüber nach, wie man das ändern kann.
({13})
Ihre Einladung, in Ihr Kabinett einzutreten, hat Ihr Generalsekretär nicht als Ehre, sondern als einen Anschlag auf sein politisches Urteilsvermögen und auf seine politische Reputation empfunden.
({14})
Diejenigen, die sich in Ihrer Umgebung genauer auskennen, sagen: Der Mann will sich sein Pulver für den Tag danach trockenhalten.
Sonst haben wir es, mit Ausnahme von Frau Hasselfeldt, die wir erst kennenlernen müssen und bei der die Qualifikation - das würde ich bei einem Mann genauso sagen; damit da kein Mißverständnis entsteht - für die Bewältigung des besonders schwierigen Wohnungsproblems nicht ohne weiteres ersichtlich ist, mit alten Bekannten zu tun.
Herr Zimmermann ist selbst nach Meinung seiner Parteifreunde als Innenminister gescheitert. In letzter Zeit hat er außer durch stramme rechte Parolen nur noch als Urlauber und als Großwildjäger von sich reden gemacht.
({15})
Alles sprach dafür, ihn endgültig und vollständig für diese ehrenvollen Beschäftigungen freizustellen. Es ist Ihr Geheimnis, Herr Bundeskanzler, was Herrn Zimmermann nun ausgerechnet für das Verkehrsministerium prädestiniert. Arme Deutsche Bundesbahn, kann ich da nur sagen.
({16})
Auch bei Herrn Stoltenberg, dessen jahrzehntelanges Engagement ich durchaus respektiere, wäre ein ehrlicher Abschied am Platze gewesen. Die Bundeswehr, die sich in einer Umbruchsituation größten Ausmaßes befindet, hätte eine frische Kraft benötigt, die ihr eine verläßliche Orientierung gibt und ihr zu einem neuen Selbstverständnis verhilft. Das wollen
nämlich auch wir aus unserer Verantwortung heraus.
({17})
Die Bundeswehr hätte eine Kraft verdient, die in der Lage ist, mit der Hinterlassenschaft des Herrn Wörner - um die handelt es sich nämlich im Grunde; wenn das Wort von der Erblast je eine Berechtigung gehabt hat, dann gilt es für die Hinterlassenschaft von Herrn Wörner - fertigzuwerden.
({18})
Statt dessen setzen Sie einen Kollegen dorthin, der seine politische Zukunft hinter sich und sein politisches Gewicht weitgehend eingebüßt hat. Das kann nicht gutgehen.
({19})
Das Lob, das Sie Herrn Stoltenberg im voraus gespendet haben, wird ihn dabei wahrscheinlich nicht ermutigen. Mit fast den gleichen Worten haben Sie vor elf Monaten Herrn Scholz gelobt. Von Ihnen, Herr Bundeskanzler, gelobt zu werden ist mittlerweile außerordentlich gefährlich, vor allen Dingen wenn es sich um einen Minister handelt.
({20})
Bleibt noch Herr Kollege Klein. Er bringt die Zahl der Bundesminister, die am Tag Ihres Amtsantritts, Herr Bundeskanzler, 16 betrug, auf nunmehr 19. Dieses Anschwellen Ihres Kabinetts - mit den Staatssekretären zählt es jetzt 75 Mitglieder, bei Ihrem Amtsantritt waren es 61; das ist ein Zuwachs um 14 - ist ein Beweis mehr dafür, daß Masse nicht auch Qualität bedeutet.
({21})
Herr Klein ist übrigens in der Geschichte der Bundesrepublik - ein ähnlicher Vorstoß von Konrad Adenauer scheiterte damals am Widerstand in Ihren eigenen Reihen - der erste Sprecher der Regierung, der ihr gleichzeitig als Minister angehört. Diese Verknüpfung wirft eine Problematik eigener Art auf, die nicht nur von uns als ungut und mißdeutbar empfunden wird. Wir werden sie rückgängig machen, sobald wir dazu in der Lage sind.
({22})
Im übrigen habe ich Herrn Klein keine Ratschläge zu geben. Das versteht er selber: Es liegt doch nicht an der Verpackung; Herr Ost ist doch nicht an der Verpackung gescheitert. Die Ware ist faul; Sie können sie noch so schön einwickeln!
({23})
In München hatten Sie zu meiner Zeit etwas zu verkaufen. Ich habe ja gehört, wie Sie als erstes sagten: Es geht tadellos weiter, auch wenn der Bundeskanzler die Europawahlen verliert. - Stellen Sie sich einmal vor, lieber Herr Klein, Sie hätten damals bei mir in München erklärt: Das wird auch dann eine Bombengeschichte, wenn die Bauten bis zur Olympiade gar nicht fertig sind. ({24}) Das ist alles fabelhaft. Also: Er ist Realist.
({25})
Ich sagte, Herr Bundeskanzler, Sie sind auf der Flucht. Jeder weiß auch, vor wem Sie fliehen. Wohin Sie allerdings flüchten wollen,
({26})
das ist auch nach Ihrer Regierungserklärung nicht klar erkennbar. - Nun strapazieren Sie sich nicht so! Es kommen noch ganz andere Dinge. Ich sage Ihnen, Sie werden bei dem, was nachher kommt, stehend schreien.
({27})
Sie sollten sich steigern können; nicht alles immer gleich am Anfang verpulvern. Das hat der Bundeskanzler auch gelernt.
Zunächst einmal, Herr Bundeskanzler, tun Sie weiterhin so, als ob Ihre bisherige Politik in allen wesentlichen Punkten erfolgreich gewesen sei. Die Darstellung dieser Erfolge hat auch in Ihrer heutigen Erklärung breiten Raum eingenommen. Dabei schwang stets der Vorwurf mit, die Wählerinnen und Wähler seien nicht imstande, die großartigen Erfolge dieser Regierung zu erkennen, der Vorwurf an die Wählerinnen und Wähler, die zuschauen, sie verstünden das nicht, was Sie gemacht haben. Doch, Herr Bundeskanzler, lassen Sie sich sagen: Nicht die Wähler täuschen sich - Sie täuschen sich, und das verstellt Ihnen den Blick für eine klare Analyse der Situation.
({28})
Die Wähler laufen Ihnen doch nicht aus Bosheit oder Dummheit weg. Darunter sind doch viele Männer und Frauen, die Ihrer Partei und Ihnen in der Vergangenheit mehr als einmal, ja über viele Jahre hin ihre Stimme gegeben haben. Sie wenden sich ab, weil sie Ihnen nicht mehr zutrauen, und zwar wesentlich auch Ihnen in Person, daß Sie die großen Herausforderungen unserer Zeit erkennen und darauf überzeugende Antworten zu geben vermögen. Sie wenden sich ab, weil nicht wenige zu Recht über schlimmes soziales Unrecht empört sind und ihre Deklassierung fürchten. Daher kommen radikale Stimmen nach rechts.
({29})
Sie wenden sich ab - auch das muß in einem freien Parlament gesagt werden dürfen - , weil sie die Art und Weise, in der Sie agieren und Ihre Politik vertreten, nicht länger akzeptieren wollen,
({30})
weil sie immer wieder - das schließt nun nicht nur Sie ein - von der Bürgerferne des Bonner Politikbetriebes und auch von Zeichen der Arroganz der Macht abgestoßen werden.
({31})
- Jawohl, Herr Kollege! - Viele Bürgerinnen und Bürger, viele Wählerinnen und Wähler wenden sich ab, weil sie das selbstgefällige Gerede von der geistigmoralischen Erneuerung oder gar von der christlichen Grundhaltung, die in dieser Politik zum Ausdruck komme, einfach nicht mehr hören und nicht mehr ertragen können.
({32})
Die Wählerinnen und Wähler sehen aber auch, daß Sie als Ihre Erfolge Entwicklungen in Anspruch nehmen, die auf ganz anderen Ursachen beruhen, etwa die günstige Konjunkturentwicklung. Könnten wir uns nicht darüber verständigen, daß sie in erster Linie auf dem Fleiß und dem Können unserer Arbeitnehmerschaft, unserer Techniker, Ingenieure und Kaufleute, der Handwerker,
({33})
der kleinen und mittleren Unternehmen und - ich sage es ausdrücklich - vieler Männer und Frauen in den Leitungen der großen Unternehmen beruht? Sie beruht aber auch auf dem Engagement, der Vernunft und dem Verantwortungsbewußtsein unserer Gewerkschaften.
({34})
Es war entlarvend, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Gewerkschaften nur im Zusammenhang mit einem ungerechtfertigten und empörenden Angriff, nicht aber im Zusammenhang mit ihren großen Leistungen genannt haben.
Der bis vor kurzem anhaltende Ölpreisrückgang, der unserer Volkswirtschaft seit 1982 rund 100 Milliarden DM erspart hat, während wir es - Herr Lambsdorff war übrigens dabei - in unserer Regierung in vergleichbarer Zeit mit einem rapiden Ölpreisanstieg zu tun hatten, ist doch ebensowenig Ihr Verdienst wie das weltwirtschaftlich übrigens höchst bedenkliche Leistungsbilanzdefizit der USA, das wesentlich zu den Exporterfolgen unserer Wirtschaft beigetragen hat. Sie schmücken sich mit fremden Federn, Herr Bundeskanzler.
({35})
Dies tun Sie übrigens auch auf dem Feld der Außen-
und der Sicherheitspolitik. Denn die Entkrampfung des Verhältnisses zwischen den Weltmächten, ihre wachsende Kooperationsbereitschaft und die Fortschritte im Abrüstungsprozeß - das sind doch vor allem Früchte der Reformpolitik und des Umbaus in der Sowjetunion sowie der einseitigen Abrüstungsmaßnahmen Gorbatschows zum Abbau sowjetischer Überlegenheiten,
({36})
aber auch des wachsenden Verständnisses für diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten.
({37})
Und wenn Konzepte hierfür Impulse gegeben haben, dann sind das die von uns entwickelten Konzepte einer neuen Ostpolitik
({38})
und des in Helsinki eingeleiteten Weges zu einer europäischen Friedensordnung. - Beides Konzepte, die mit den Liberalen, aber gegen Sie und Ihren erbitterten Widerstand durchgesetzt worden sind. Wie Sie heute vom Prozeß hin zu einer Einigung Europas im europäischen Friedensprozeß reden können, ohne daran zu erinnern, daß Sie Helsinki abgelehnt haben, daß es diesen Prozeß gegen Sie gegeben hat, kennzeichnet Sie einmal mehr.
({39})
- Mein Gott, Ihre Schreiereien sind für die Menschen draußen so langweilig, weil sie deren Sinn überhaupt nicht erkennen können.
({40})
- Ich muß sagen, da bekomme ich Sehnsucht nach Herrn Seiters. Er hat noch ein Mindestmaß an Ordnung in diesem Verein gehalten; der Herr Nachfolger übt noch.
({41})
Auf die von Ihnen auch so gepriesenen Reformen komme ich noch zu sprechen. Auch zu Ihren sonstigen Ausführungen, etwa über Familienpolitik, Umweltpolitik, wird von uns in der Debatte das Erforderliche noch bemerkt werden.
Zu Ihrem umweltpolitischen Ankündigungskatalog, Herr Bundeskanzler, paßt es im übrigen wie die Faust aufs Auge, daß Sie das, was Sie jetzt konkret tun könnten und was konkret geschehen müßte, nämlich die Novellierung des Naturschutzgesetzes, mit fadenscheinigen Gründen erst einmal wieder verschieben und vertagen: Dichtung und Wahrheit!
({42})
Wir Sozialdemokraten kritisieren nicht, daß Sie Ihre Politik ändern, daß Sie, wenn auch verdeckt und unter allerlei Ausflüchten, Fehler und Irrtümer eingestehen. Ich sehe auch, daß Sie sich da und dort - widerwillig genug - unseren Positionen nähern, daß Sie jetzt genau das tun, was Sie über Monate und Jahre hin abgelehnt, bekämpft und verteufelt haben. Es ist ja immer dasselbe: Wir entwickeln ein Konzept, Sie bekämpfen es und verdächtigen uns. Dann streiten Sie untereinander, und schließlich versuchen Sie, die wesentlichen Elemente des Konzepts zu übernehmen und als
Ihre Politik auszugeben. Es ist immer wieder dasselbe.
({43})
Nur, die Zeiträume, in denen Sie das tun, werden immer kürzer. Bei der Ostpolitik hat es noch über ein Jahrzehnt gedauert; bei der Wehrdienstzeit waren es immerhin noch Jahre; bei der Quellensteuer waren es jetzt nur noch Monate. Ich schlage vor, Sie übernehmen unsere Positionen immer am gleichen Tage. Dann ersparen Sie sich den ganzen Ärger, dann sind Sie allerdings auch überflüssig.
({44})
Ich sage Ihnen voraus, Herr Bundeskanzler: Das wird Ihnen gar nichts helfen. Warum sollen sich die Leute für die halbherzige Nachahmung, für die Kopie, nein, für den puren Opportunismus entscheiden? Sie werden das Original bevorzugen, und sie tun es ja auch jetzt schon.
({45})
Sehen wir uns die wichtigsten Beispiele einmal etwas näher an. Da ist zunächst einmal die Verlängerung des Wehr- und Zivildienstes: Richtig wäre es, diese Verlängerung einfach zurückzunehmen, wie wir das fordern. Dazu reicht Ihre Kraft nicht. Sie wollen die Verlängerung statt dessen wieder einmal hinausschieben. Das ist zwar immerhin besser als gar nichts, läßt aber die Sache weiterhin in der Schwebe. Außerdem, Herr Bundeskanzler: Wo bleiben eigentlich die Entschuldigungen, die in diesem Zusammenhang ein Gebot des politischen Anstands wären?
({46})
Wo, Herr Bundeskanzler, bleibt die Entschuldigung bei den hunderttausend jungen Männern, deren Lebensplanung Sie durch den Zickzackkurs in geradezu schikanöser Weise durcheinandergebracht haben?
({47})
Wo bleibt Ihre Entschuldigung bei den Verantwortlichen der Bundeswehr, denen Sie zu Unrecht vorgeworfen haben, sie hätten falsche Zahlen vorgelegt? Nein, Herr Bundeskanzler, nicht die Zahlen der Bundeswehr waren falsch. Ihre politischen Schlußfolgerungen waren falsch. Dafür sind Sie und nicht die Generäle verantwortlich.
({48})
Entschuldigen - wenn ich mir diesen Rat zu geben erlauben darf - sollten Sie sich auch bei Ihren Parteifreunden, die auf Ihr Geheiß hin noch im Februar und März die Notwendigkeit der Verlängerung in ihren Wahlkreisen vertreten haben und jetzt das Gegenteil mit derselben Überzeugungskraft vertreten sollen,
({49})
so, als ob sie Marionetten wären oder, wie Herr Kollege Biehle das formuliert hat, als ob sie populistische
Schlafmützen seien. Das sind sie ja auch. Herr Biehle hat ja recht.
Übrigens sollte die FDP, sehr geehrter Graf, in dieser Frage etwas leiser auftreten. Sie haben diesen Unsinn nämlich mitgemacht. Ohne Ihre Zustimmung hätte es die Verlängerung überhaupt nicht gegeben.
({50})
Ich verstehe ja, daß Sie bei jedem Schwenk auf der besseren Seite stehen wollen. Aber das ist gegenüber der Union - wenn ich mir das zu sagen erlauben darf - verdammt unfair. Aber das macht untereinander aus.
({51})
Zweitens, die sogenannte Modernisierung. Auch hier reicht Ihre Kraft nicht zu einer vollen Korrektur, zu einem klaren Nein. Zwar treten Sie jetzt erfreulicherweise - das unterstreiche ich - , so wie wir das schon lange gefordert haben, dafür ein, daß auch über den Abbau nuklearer Kurzstreckensysteme verhandelt werden soll. Das ist gut, und das hat unsere volle Unterstützung. Wenn insbesondere Herr Kollege Genscher diesen Standpunkt mit Nachdruck vertritt, dann kann er sich dabei auch auf uns berufen. Wenn dann aber wieder Rückzüge von Ihnen eingeleitet werden, dann können Sie sich nicht auf uns berufen.
({52})
Um die Entscheidung über die Produktion und die Stationierung neuer, weiterreichender und noch tödlicherer Atomraketen geht es bei der beschönigend auch von Ihnen heute wieder so genannten Modernisierung. Das Wort Modernisierung ist ein Täuschungswort.
({53})
Diese Entscheidung wollen Sie offenhalten. Darüber soll erst nach der Bundestagswahl befunden werden.
Auch von einer dritten Null-Lösung, für die alle Gründe der Vernunft sprechen und die - das sage ich Ihnen voraus - die Sowjetunion früher oder später vorschlagen wird, ist keine Rede. Das ist halbherzig, und das wird dazu führen, daß Sie am Ende einmal mehr zwischen allen Stühlen sitzen. Oder meinen Sie wirklich, unser Volk würde eine neue Aufrüstung, die Aufstellung neuer gefährlicher und weiterreichender Raketen akzeptieren? Sie wissen doch genausogut wie ich, daß unser Volk in seiner erdrückenden Mehrheit das mit aller Entschiedenheit ablehnt,
({54})
gerade auch nach dem, was in diesen Tagen über die letzte Wintex-Übung bekanntgeworden ist und gestern unter Vorsitz der Präsidentin im Gemeinsamen Ausschuß zu einer sehr ernsthaften und konstruktiven Aussprache geführt hat. Es war eine Aussprache über ein Horrorszenario, bei dem schon am sechsten oder siebten Tag der Übung durch den Einsatz von mindestens dreißig Atomsprengkörpern, jeder mit der mehrfachen Zerstörungskraft der Hiroschima-Bombe, alles
vernichtet wird, was geschützt werden soll. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß auch Sie, Herr Bundeskanzler, hier eingegriffen - wenn auch zu einem relativ späten Zeitpunkt - und zu erkennen gegeben haben, daß das Wahnsinn, aber nicht eine Übung sinnvoller Verfahrensweisen ist.
({55})
Ich bitte Sie deshalb: Schaffen Sie auch in den anderen Punkten Klarheit. Klarheit hilft auch dem Bündnis. Zwielicht, Unklarheit und Doppeldeutigkeiten belasten das Bündnis.
Drittens: die Quellensteuer. Ich kann Ihnen nicht helfen: Es ist geradewegs ein Stück aus dem Tollhaus, was Sie mit dieser Quellensteuer veranstaltet haben.
({56})
Niemand kann sich erinnern, auch Herr Waigel nicht, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik schon jemals ein solches steuerpolitisches Fiasko gegeben hätte. Der Herr Kollege Apel ist einmal vom Pferd getreten worden. Im Vergleich dazu sind Sie von einem Elefanten niedergewalzt worden.
({57})
Dieses Fiasko ist und bleibt für immer mit dem Namen des Herrn Kollegen Stoltenberg verbunden. Wir können nur hoffen, Herr Stoltenberg, daß Sie in Ihrem neuen Ressort in den nächsten Monaten nicht ein ähnliches Fiasko zu verantworten haben.
Auch hier sind Entschuldigungen fällig - Sie suchen doch nach einem neuen Umgang mit dem Bürger - , und zwar vor allem gegenüber den kleinen Sparern. Sie haben sie mit einem Verfahren, das in seiner bürokratischen Schwerfälligkeit jeder Beschreibung spottet, geradezu in die Verzweiflung getrieben. Ich schließe nicht aus, daß mancher auch deswegen in seiner Wut und Empörung seine Stimme - ich hoffe, nur einmal - am rechten Rand des politischen Spektrums abgegeben und den rechtsextremen Parteien gegeben hat. Aber entschuldigen Sie sich bitte auch bei den Banken und Sparkassen, denen Sie eine sinnlose Formblatt- und Abrechnungswirtschaft aufgebürdet haben. Aber auch hier ist nicht zu erkennen, daß Sie außer durch die Räumung einer Front, die unhaltbar geworden ist - das verstehen Sie, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, jedenfalls in den Sachfragen; ob Sie es auch in den personellen Fragen verstehen, bleibt noch offen - , wirklich aus den Fehlern lernen. Zwar nehmen Sie die Quellensteuer zurück, aber die Steuerpflicht für die Zinserträge der normalen Sparer bleibt; sie wird nicht beseitigt.
({58})
Was geschieht jetzt eigentlich mit den Zinseinkünften der Großanleger in Millionenhöhe, deren Hinterziehung Sie einerseits beklagt, andererseits aber für die Vergangenheit damit belohnt haben, daß Sie die Hinterzieher nicht nur straffrei stellen, sondern ihnen auch noch die hinterzogenen Steuerbeträge belassen.
Das ist ein Skandal im Skandal, den man immer wieder anprangern muß.
({59})
Warum raffen Sie sich eigentlich nicht endlich auf, entsprechend unserem Vorschlag den Sparerfreibetrag zu verzehnfachen und damit die normalen Zinserträge ganz von der Steuer freizustellen? Dann hätten die normalen Sparerinnen und Sparer endgültig Ruhe in dieser Frage. Dies hier ist eine Scheinlösung.
({60})
Herr Abgeordneter Dr. Vogel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich bitte um Verständnis. Der Herr Bundeskanzler hat seine Regierungserklärung im Zusammenhang vorgetragen. Ich möchte das auch tun.
({0})
- Ich muß sagen, womit Sie neuerdings zufriedenzustellen sind, das ist so bescheiden, daß es über Ihren gegenwärtigen Zustand deutlich Aufschluß gibt.
({1})
Warum verzehnfachen Sie nicht die Sparerfreibeträge, und warum haben Sie nicht die Kraft, die hohen Kapitalerträge durch ein Mitteilungsverfahren zu erfassen - wie z. B. in den USA und in mehreren EG- Ländern - , um ihre Besteuerung sicherzustellen?
({2})
Nur so schaffen Sie Steuergerechtigkeit. Es darf doch nicht wahr sein, daß der Bezieher von Zinseinkommen in Millionenhöhe besser dasteht als jeder normale Arbeitnehmer, der sein Einkommen auf Heller und Pfennig versteuern muß; denn er bekommt das Geld erst gar nicht, bevor es versteuert wurde.
({3})
Lieber Graf, auch hier empfiehlt sich übrigens für die FDP wieder starke Zurückhaltung. Auch diesen Unsinn haben Sie mitbeschlossen. Sie haben sogar noch vor wenigen Tagen verkündet - aber die Zeiten für Wechsel werden bei Ihnen auch immer knapper - , es werde keine Abschaffung oder Aussetzung der Quellensteuer geben, mit Ihnen sei die Quellensteuer nicht zu kassieren. - Heute soll es aber doch geschehen.
In bezug auf die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ist die Richtung, in der Sie sich absetzen wollen, noch nicht ganz klar. Mit Rücksicht auf die CSU wird noch Nebel geworfen. Aber es ist jetzt schon klar, daß Sie sich absetzen werden und daß die Wiederaufarbeitungsanlage nicht zu Ende gebaut wird. Wenn selbst ein so erfahrener Exponent der Stromwirtschaft wie Herr von Bennigsen-Foerder, der ja bei aller Skepsis gegenüber der Kernkraft weiß Gott kein
Kernkraftgegner ist, die Anlage für überflüssig hält und die Milliarden für ihre Fertigstellung als sinnlos verschwendet erklärt, dann ist das Todesurteil über die Anlage gesprochen, ganz gleich, welche Briefe Sie und Herr Streibl in den nächsten Tagen noch wechseln werden, die dann von Herrn Teltschik in den Reißwolf gegeben werden.
({4})
Immerhin warnt ja inzwischen sogar Herr Streibl den Bundeskanzler, er könne nicht auch diese Frage aussitzen. Deshalb ist es nicht voreilig, wenn ich sage: Das Beispiel Wackersdorf zeigt, daß sich auch in unserem Staat - und das ist ermutigend für die Menschen - die Politik auf Dauer nicht über den hunderttausendfachen oder millionenfachen Widerspruch aus unserem Volk hinwegsetzen kann, daß sich die Politik ihm fügen muß.
({5})
Das ist bei allem, was auf diesem Feld noch zu tun bleibt - und die Auseinandersetzung mit der Atomkraft wird nicht einfacher, wenn sie auf der Ebene einer deutsch-französischen Kooperation und auf der europäischen Ebene geführt werden muß -, ein Anlaß für alle Demokratinnen und Demokraten, Mut zu schöpfen.
Gerne richte ich in diesem Zusammenhang von dieser Stelle aus einen herzlichen Gruß an unseren Freund, den Landrat Hans Schuierer, der durch sein beharrliches Engagement zum Symbol des Widerstandes gegen die Wiederaufbereitungsanlage geworden ist.
({6})
Auch hier wären vielfache Entschuldigungen am Platze. Bei Landrat Schuierer und den vielen, die man wegen ihres Widerstandes diffamiert hat. Aber, Herr Bundeskanzler - und Sie haben lobende Worte für die Polizeibeamten gefunden, denen ich mich gerne anschließe - , Sie - und auch die Bayerische Staatsregierung - hätten allen Anlaß, sich bei den Polizeibeamten zu entschuldigen, die sich in der Oberpfalz jetzt laut fragen werden, warum sie eigentlich immer wieder in diese Einsätze geschickt worden sind.
({7})
- An der Stelle klatscht sogar der freundliche Zwischenrufer.
Ich würde auch Entschuldigungen anregen, bei den örtlichen CSU-Politikern, die man jahrelang angehalten hat, das Projekt, zum Teil gegen ihre eigene Überzeugung, zu vertreten.
({8})
- Kümmern Sie sich um Ihre Leute. Dann sind Sie voll ausgelastet, Herr Bundesfinanzminister. Machen Sie erst einmal Ihre Schularbeiten.
({9})
- Ich freue mich, daß Sie jetzt auch sozialdemokratische Mehrheiten in Gemeinderäten so ernst nehmen. Davon werden Sie noch viel mehr bekommen, um sie ernst zu nehmen.
({10})
- Von Ihnen vielleicht? ({11})
- Schaut: Der CSU-Landesvorsitzende ist froh, daß er die Zuwendung von fünf sozialdemokratischen Gemeinderäten hat. Wieviel muß er sonst entbehren?
({12})
- Ich hatte eigentlich den Eindruck, die Präsidentin hätte mir das Wort erteilt. Aber vielleicht ist das die Form, in der der Bundesfinanzminister seine Erklärungen äußert.
({13})
Nun zum Problem der Wohnungsnot. Diese haben Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, noch bis Ende vergangenen Jahres hartnäckig in Abrede gestellt. Sie haben unsere Warnungen vor der Wohnungsnot, insbesondere die des Kollegen Jahn als des Präsidenten des Deutschen Mieterbundes, als Panikmache abgetan.
({14})
Heute klang das anders. Ich kann nur hoffen, daß Ihren Worten Taten folgen. Wenn etwas die Aussiedlerproblematik verschärft und emotionalisiert hat, wenn etwas den rechtsextremen Parteien Proteststimmen zugetrieben hat, dann sind es der Wohnungsmangel und die Entwicklung der Mietpreise, und zwar nicht nur in Berlin.
({15})
Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer umfassenden Förderung des Wohnungsbaus, und zwar für alle, nicht nur für Aussiedler. Es bedarf aber auch
- sonst sind das wieder Halbheiten - gesetzlicher Regelungen, die der Aushöhlung des Mieterschutzes und dem Mietwucher wieder einen wirksamen Riegel vorschieben.
Die Situation der Hochschulen ist ein weiteres Beispiel. Auch sie ist von Ihrer Regierung erst zur Kenntnis genommen worden, als sich die Studenten unüberhörbar zu Wort gemeldet haben. Die gleichen Studenten und Studentinnen werden sehr sorgfältig registriert haben, daß Sie heute zur Lage an den Hochschulen nicht ein einziges Wort gefunden haben.
({16})
Herr Bundeskanzler, ich habe mich zunächst einmal mit dem auseinandergesetzt, was Sie ändern wollen. Nicht weniger wichtig ist die Auseinandersetzung mit
dem, was Sie nicht ändern wollen, worüber Sie geschwiegen oder was Sie nur am Rande erwähnt haben.
({17})
Sie haben vor allem geschwiegen von denen, die in unserer Gesellschaft im Schatten leben, die an dem gewachsenen Wohlstand nicht teilhaben, die zu Opfern der Zweidrittelgesellschaft geworden sind und von denen einer aus Ihren Reihen, dem wir auch da Respekt entgegenbringen, wo er uns kritisiert - ich meine Kurt Biedenkopf - nüchtern feststellt: Das knappe Drittel der Bevölkerung, in dem sich Arme, Alte, Kinderreiche, Arbeitslose, Behinderte und andere versammeln, die ihre Interessen nicht in organisierter Form wahrnehmen können, bleibt hinter der Entwicklung zurück.
({18})
Daß dieses Drittel zurückbleibt, daß die allgemeine Arbeitslosigkeit, insbesondere aber die Langzeitarbeitslosigkeit im neunten Jahre andauert, daß wir bis heute keinen Weg gefunden haben, um diesen gesellschaftlichen Skandal gemeinsam zu überwinden, das ist ein Vorwurf, der uns alle in diesem Hause trifft, vor allem aber Sie als die Regierenden. Denn Sie müßten vorangehen und dürfen nicht darauf warten, bis Sie auf diesem Felde getrieben und gezwungen werden. Das, was Sie heute hinsichtlich der Langzeitarbeitslosen ankündigen, das haben wir doch schon seit Jahren immer und immer wieder mit den Kirchen zusammen gefordert.
({19})
Was ist das für ein Schlag für die politische Kultur, daß zutiefst berechtigte Forderungen der sozialen Gerechtigkeit und der Nächstenliebe immer erst erfüllt werden, wenn Wahlniederlagen Sie endlich dazu zwingen!
({20})
Was Sie jetzt ankündigen, bleibt hinter unseren Forderungen zurück. Einmal mehr gilt für Ihr Agieren: zuwenig und zu spät, und das eben auch nur unter äußerstem Druck.
Außerdem darf es ja wohl nicht wahr sein, daß Sie ausgerechnet die Verlängerung des sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes, gegen das alle, die etwas davon verstehen, Sturm laufen, als Maßnahme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit verkaufen wollen. Das darf doch nicht wahr sein!
({21})
Auf dem Hintergrund der günstigen Konjunktur wiegt der biedenkopfsche Vorwurf übrigens schwerer, nicht leichter. Wenn Ihre ständige Berufung auf die christlichen Wurzeln Ihrer Politik noch einen Pfifferling wert ist, dann dürften Sie allein dieser Menschen, dieses Drittels unserer Gesellschaft, wegen keine ruhige Stunde haben, Herr Bundeskanzler.
({22})
Geschwiegen haben Sie aber auch von dem sozialen Unrecht, für das Sie allein verantwortlich sind. Ich meine das aufreizende Unrecht im Rahmen der von Ihnen heute wieder gepriesenen sogenannten Steuer- und Gesundheitsreform.
Bei der sogenannten Gesundheitsreform haben Sie die Anbieter und vor allem die Pharmaindustrie geschont,
({23})
ihr ja noch nicht einmal die von Ihnen angekündigten 1,3 Milliarden DM abgenommen und den Kranken in Gestalt vielfacher Selbstbeteiligungen einen zweiten Beitrag auferlegt, den die Arbeitnehmer ganz allein, ohne Beteiligung der Arbeitgeber, aufzubringen haben. Darüber können Sie, Herr Blüm, mit dem Gerede von der einen Flasche Piccolo, auf die es zu verzichten gelte, nicht hinwegtäuschen. Das heißt, dem Schaden noch den Spott und dem Unrecht noch den Hohn hinzuzufügen.
({24})
Bei der sogenannten Steuerreform ist und bleibt es ein Skandal, daß Sie im voraus die Verbrauchsteuern um 10 Milliarden DM erhöht haben, um die gleichen 10 Milliarden DM, die Sie am 1. Januar nächsten Jahres denen mit Jahreseinkommen von 100 000 DM und mehr durch Senkung der Einkommensteuer zukommen lassen wollen. Dies ist die deutlichste und klarste Umverteilung, die man sich überhaupt denken kann.
({25})
Um dem Skandal noch die Provokation hinzuzufügen, soll den Beziehern hoher und höchster Einkommen künftig zudem ein weiterer Steuerbetrag bis zu 6 360 DM jährlich erlassen werden, wenn sie sich unter bestimmten Voraussetzungen eine Haushaltshilfe leisten und dafür 12 000 DM zuzüglich Sozialversicherung und Lohnsteuer aufwenden, während das Kindergeld für die Erstkinder auf unzureichend niedrigem Niveau bleibt und der Normalverdiener noch nicht einmal die Kindergartenbeiträge von der Steuer absetzen kann.
({26})
Solche Regelungen meine ich, wenn ich von Arroganz der Macht rede.
Auch heute beschränken wir uns nicht auf Kritik. Wir sagen auch, was wir anders und besser machen wollen, und werden das im einzelnen noch erläutern. Ich beschränke mich deshalb auf die konzentrierte Beschreibung der zwölf wichtigsten Elemente unseres Alternativkonzeptes. Sie lauten:
Erstens weiterer Abbau der wechselseitigen Feindbilder im Ost-West-Verhältnis, friedlicher Wettbewerb und Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme, Sicherung der individuellen und der sozialen Menschenrechte.
({27})
Zweitens Entmilitarisierung der Beziehungen zwischen den Bündnissen, Dynamisierung des Abrü10312
stungsprozesses bis hin zu einem Zustand, der bei drastisch reduziertem Gesamtniveau volle Verteidigungsfähigkeit mit der endgültigen Unfähigkeit zum raumgreifenden Angriff auf beiden Seiten verbindet.
({28})
Keine neuen Atomraketen, keine Verlängerung der Wehrpflicht, Umstrukturierung der Bundeswehr unter Anpassung der Präsenzstärke an die wirkliche, nämlich verminderte Bedrohungslage, Einstellung der Tiefflüge.
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Drittens Umlenkung der Ressourcen, die weltweit noch immer für unmäßige Rüstungen verschwendet werden, auf die Bewältigung der Herausforderungen, die die Menschheit insgesamt bedrohen und die Gefahren unserer Tage darstellen, insbesondere auf die Abwendung der Klimakatastrophe und die Überwindung des sich verschärfenden Nord-Süd-Gefälles.
Viertens Überwindung der Teilung Europas und damit auch der deutschen Teilung und der Teilung Berlins durch eine europäische Friedensordnung, die den Grenzen das Trennende nimmt und die Menschenrechte sichert. Das, Herr Bundeskanzler, ist nicht nur im Einklang mit der Verfassung, das ist der Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes.
({30})
Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union als Teilbereich des gemeinsamen europäischen Hauses.
Fünftens humane, ökologische und ökonomische Optimierung unseres Sozialprodukts und zu diesem Zweck auch unserer technologischen Entwicklung und unserer Produktionsverfahren, Hilfe für die mittleren und die kleineren Unternehmen, fortschreitende Demokratisierung auch in diesem Bereich, breite Bürgerbeteiligung, auch vor wissenschaftlich-technologischen Entscheidungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.
({31})
Es darf uns nicht ein zweites Mal passieren - das gilt auch für alle hier in diesem Hause -, daß die Weichen für Entwicklungen bereits gestellt sind, die die Menschheit insgesamt betreffen, bevor die Politik das überhaupt wahrnimmt.
. ({32})
Der Fehler, der auch uns in der Frage der Kernenergie unterlaufen ist, darf uns beispielsweise in der Frage der Gentechnologie nicht ein zweites Mal unterlaufen. Ich fordere gerade deswegen zur Zusammenarbeit auf.
({33})
Sechstens zügiger Übergang zu einer sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft, sofortiger Baustopp für die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, endgültiger Verzicht auf Kalkar und auf HammUentrop. Offenbar sind Sie ja jetzt auch so weit.
({34})
Erhaltung der nationalen Kohlebasis, konsequente Absenkung des Energieverbrauchs, vor allem durch sparsamen Umgang mit der Energie und durch Steigerung des Wirkungsgrades, Förderung alternativer Energien, Lösung der Entsorgungsfrage ohne Wiederaufarbeitung.
({35})
Siebtens ökologische Weiterentwicklung unseres Steuersystems, Gewinnung zusätzlicher öffentlicher Mittel insbesondere durch Korrektur der ungerechten Steuergeschenke an die Bezieher hoher und höchster Einkommen, sofortigen Stopp der Wiederaufbereitungsanlage und sofortige Beendigung unserer Beteiligung am Bau des Jäger 90.
Achtens Konzentration unseres nationalen Potentials auf die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, die Überwindung der Wohnungsnot, die Beseitigung sozialen Unrechts und konkrete Hilfen für die Schwächeren, die nicht nur von der Regierung, sondern - das sage ich ganz deutlich - auch von vielen von uns, denen es gutgeht, allzuoft übersehen und am Wege liegengelassen werden.
({36})
Neuntens Sicherung und Weiterentwicklung unserer Sozialsysteme, einheitliches Kindergeld für alle Kinder in Höhe von mindestens 200 DM, unter Beseitigung aller verwirrenden und ungerechten einkommensbezogenen Kinderregelungen, die gegenwärtig existieren,
({37})
und unter Reform des Ehegattensplittings zugunsten der Familien mit Kindern.
({38})
Zehntens quantitative und qualitative Steigerung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen und Demokratisierung ihrer Selbstverwaltung.
({39})
Der Abbau der Demokratisierung hat die Lage der Hochschulen nicht einfacher, sondern, wie sich jetzt fast täglich zeigt, schwieriger gemacht.
Elftens Eingliederung der Ausländer, der anerkannten Asylbewerber und der Aussiedler durch eine Politik der sozialen Integration. Keine Änderung des Grundgesetzes.
({40})
Kommunales Wahlrecht für Ausländer, wie es viele von der Union im Europäischen Parlament mit Ihrer Zustimmung gefordert haben. Eintreten für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Deutschstämmigen in ihren Heimatländern, Heimführung abgelehnter Asylbewerber, denen - dieser Zusatz muß erwähnt werden - in ihren Herkunftsländern keine Gefahren drohen. Weil das klar ausgesprochen werDr. Vogel
den soll, sage ich: Ich kann nicht erkennen, daß einem Polen oder einer Polin im Heimatland heute Gefahren oder Verfolgung drohen, wie das vielleicht vor zehn oder 15 Jahren der Fall gewesen sein mag.
({41})
Zwölftens konsequente Gleichstellung von Männern und Frauen, vor allem auch durch konsequente und verstärkte Frauenförderung.
({42})
Auf der Grundlage dieser Konzeption sind wir jederzeit zur Übernahme der Regierungsverantwortung in der Bundesrepublik bereit.
({43})
- Was Sie alles erst schreien könnten, wenn Sie in der Opposition wären. Da könnten Sie sich mal richtig ausleben.
({44})
Es ist eine Gesamtkonzeption, deren Elemente nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern in unseren programmatischen Vorstellungen wurzeln. Als gegenwärtig einzige politische Partei in der Bundesrepublik verfügen wir in dem Entwurf unseres neuen Grundsatzprogramms über eine Analyse sowie über Perspektiven und Orientierungen, die bis ins zweite Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts reichen. Ich fordere alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, zu einem Wettbewerb um den zukunftsträchtigsten und realistischsten Entwurf für die nächste Generation heraus.
({45})
Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen - und zwar nicht erst im Augenblick des Regierungswechsels, sondern schon als Opposition ({46})
durch Kritik, durch die Vorlage von Alternativen, aber auch durch die Mitwirkung an Konzepten, die über die Grenzen von Koalition und Opposition hinweg gemeinsam erarbeitet werden - und dies aus grundsätzlichen und nicht aus taktischen Erwägungen heraus.
Auch in der Opposition wollen wir Sozialdemokraten nicht, daß alles schlecht und schlechter wird, damit wir daraus parteipolitische Vorteile ziehen können. Das war Ihre Philosophie, die Philosophie von Sonthofen. Unsere ist das nicht.
({47})
Daran halten wir auch in Zeiten fest, in denen sich Ihre Schwierigkeiten von Tag zu Tag vermehren und in denen sich Ihr Abstieg beschleunigt. Denn auch in diesen Zeiten wollen wir, soweit das in unseren Kräften steht, verhindern, daß Ihr Niedergang Schaden für unser Volk mit sich bringt.
({48})
Darum haben wir an der Reform der Alterssicherungssysteme mitgewirkt,
({49})
obwohl es leichter gewesen wäre, uns auf Kritik zu beschränken und uns von Mitverantwortung freizuhalten. Das wäre taktisch leichter gewesen. Denjenigen - das muß ich auch in bezug auf Ihre Bemerkung sagen, Frau Kollegin Unruh - , die als Rentner oder als Beitragzahler betroffen sind, dienen unsere Mitwirkung und das, was wir an Korrekturen erreicht haben, besser als ein Kritisieren ohne Verantwortung aus einer Seitenposition heraus.
({50})
Daß sich der Entwurf zur Rentenreform unter den Kriterien sozialer Gerechtigkeit deutlich von Ihrer sogenannten Gesundheitsreform unterscheidet und daß die Rentner und die Beitragzahler mit größerer Stabilität und Sicherheit rechnen können, ist eine Folge unserer Mitwirkung. Wenn Sie uns das nicht glauben wollen, dann vergleichen Sie bitte die Begutachtung durch die Sachverständigen bei der Anhörung zur Rentenreform, die einen positiven Grundton aufweist, mit den vernichtenden Äußerungen bei der Anhörung zur sogenannten Gesundheitsreform. Daran wird der ganze Unterschied deutlich.
Ich sehe weitere Felder, auf denen eine solche Zusammenarbeit selbst in der gegenwärtigen Phase im Interesse unseres Volkes läge und deshalb versucht werden sollte. Das gilt etwa für das Gebiet des Ausländerrechts sowie hinsichtlich der Situation der Aussiedler und der Asylbewerber. Mein Vorschlag für ein Allparteiengespräch - ich betone: Allparteiengespräch; alle, die im Bundestag vertreten sind - liegt Ihnen seit mehreren Wochen vor. Ich wiederhole ihn.
Was über die neuen Vorstellungen der Koalitionsarbeitsgruppe zum Ausländerrecht bekanntgeworden ist, bedeutet einen gewissen Fortschritt gegenüber den inakzeptablen und allseits abgelehnten Positionen des Herrn Zimmermann. Da stimme ich insbesondere der Bewertung der FDP zu.
Daß mit uns keine Grundgesetzänderung zu machen ist, habe ich schon gesagt. Ich höre zu meiner Freude: mit der FDP auch nicht.
Sie haben sich übrigens in jüngster Zeit und auch hier wieder gegen Ausländerfeindlichkeit ausgesprochen
({51})
und damit wohl auch die Konsequenz aus dem Echo gezogen, das der beschämende Wahlkampf Ihrer Partei in Frankfurt selbst in Ihren eigenen Reihen ausgelöst hat.
({52})
Mit Respekt zitiere ich die Äußerungen des Vorsitzenden der Jungen Union in Ihrem eigenen Landesverband, in Rheinland-Pfalz, der gesagt hat, er schäme sich als Mitglied der Union für Flugblätter, Äußerungen und Texte, die in diesem Zusammenhang von der Union in Frankfurt verbreitet worden
sind. Es liegt jetzt an Ihnen die Initiative zu ergreif en.
Ähnliches gilt für die Erarbeitung eines Entsorgungskonzepts für atomare Abfälle. Wir haben seinerzeit - und wir bestreiten das nicht - dem Bau und der Inbetriebnahme von Kernkraftwerken zugestimmt. Deshalb wissen wir uns auch in der Pflicht, an einer Lösung des Entsorgungsproblems, die auf Wiederaufarbeitung verzichtet, mitzuwirken. Wir sind dazu bereit.
Im Zusammenhang damit könnten - ich drücke mich so vorsichtig wie realistisch aus - auch Sondierungen darüber sinnvoll sein, ob ein neuer energiepolitischer Konsens wenigstens in Teilbereichen - in der vollen Breite wird es nicht möglich sein, fürchte ich - möglich ist.
Schließlich sollten wir sehr bald auch über die Probleme miteinander sprechen, die mit dem Hungerstreik von Strafgefangenen zusammenhängen. Wenn es ein Thema gibt, bei dem die Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten, daß die Verantwortlichen einen gemeinsamen Weg finden, um Gefahren im Rahmen des geltenden Rechts abzuwenden, dann ist es dieses Thema.
({53})
Der Vorschlag, der sich - und das vermisse ich immer bei Ihren polemischen Äußerungen in diesem Zusammenhang - zu Recht mit dem Namen des Staatssekretärs in Ihrem Bundesjustizministerium verbindet, bietet dazu einen Ansatz. Das ist kein Kniefall, wie Sie leider in demagogischer Weise behauptet haben. Wenn Sie das meinen, dann sagen Sie, daß der Vorwurf des Kniefalls dem Bundesjustizminister und seinem Staatssekretär gilt, und dann werfen Sie keine Nebel! Aber ich hoffe noch, daß Sie das nicht gemeint haben. Das ist kein Kniefall, sondern ein Versuch, der Vernunft Geltung zu verschaffen, Gefahren zu vermindern und Leben zu retten, und zwar vor allem auch das Leben Unbeteiligter. Diese Gefahrendimension haben doch die Verantwortlichen vor Augen.
({54})
Helmut Schmidt und Willy Brandt haben in vergleichbaren Fällen zu Beratungen eingeladen. Sie sollten es ebenfalls tun.
Wenn Sie - wer wüßte das besser als die, die damals immer wieder an einem Tisch saßen - von den Opfern der Gewalttaten und ihren Angehörigen gesprochen und gesagt haben, daß sie stets im Blick behalten werden müssen, dann stimme ich zu. Aber dann bitte ich, in diesem Zusammenhang gerade auch das zu bedenken, was die Witwe und die Geschwister eines der Ermordeten, nämlich die Witwe und die Geschwister des ermordeten Ministerialdirektors von Braunmühl, zu dieser Debatte beitragen.
({55})
Ich möchte hier an dieser Stelle diesen Gedanken meinen Respekt bekunden.
Sie haben noch andere Themen in einer Weise angesprochen, von denen zwei eine Antwort erfordern. Das ist einmal das Thema Europa. Dazu stelle ich fest - das ist eine historische Wahrheit - : Wir haben uns
schon für die Vereinigten Staaten von Europa eingesetzt, als Ihre politischen Vorfahren noch in sehr engen nationalstaatlichen Vorstellungen befangen waren.
({56})
Der Vorwurf des Internationalismus stammte ja doch wohl nicht von den Sozialdemokraten frührer Generationen.
({57})
Wir sind ohne Einschränkung für die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union. - Herr Bundeskanzler, wenn Sie schon einen originellen Zwischenruf machen, lassen Sie mich doch teilhaben, damit ich auch etwas höre!
(
Soweit kommt es noch!)
Anders als diejenigen, die ständig über angebliche Standortnachteile der Bundesrepublik jammern, fürchten wir auch nicht den fairen Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes. Aber diese Europäische Union muß eine Union der sozialen Gerechtigkeit, der gemeinsamen Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen und des friedlichen Einflusses auf die Entwicklung unseres Kontinents und der Welt sein. Und eben die, die soziale Gerechtigkeit, zu schaffen, das trauen wir Ihnen trotz all Ihrer schönen Reden nicht zu. Wer die soziale Gerechtigkeit auf der nationalen Ebene so mit Füßen getreten hat wie Sie,
({0})
von dem kann man nicht erwarten, daß er auf europäischer Ebene der große Vorkämpfer der sozialen Gerechtigkeit ist.
({1})
Notwendig ist deshalb, daß diejenigen Europas Einigung gestalten, die etwas von sozialer Gerechtigkeit verstehen, daß die Sozialdemokraten der EG-Mitgliedstaaten, die Sie ja zu Recht ständig rühmen, so stark wie möglich in das neue Europäische Parlament einziehen, und dafür werden wir bis zum 18. Juni mit Gerd Walter an der Spitze mit aller Kraft eintreten und mit aller Kraft kämpfen.
({2})
Das andere Thema, das Sie - allerdings nur undeutlich und ohne Nennung klarer Adressen - behandelt haben, ist das Anwachsen rechtsradikaler Parteien, nämlich der sogenannten Republikaner und der NPD. Herr Bundeskanzler, wir stimmen zu: Dieses Anwachsen ist besorgniserregend. Wir werden alles tun, um diejenigen für die Demokratie zurückzugewinnen, die den Verführern an der Spitze dieser Parteien auf den Leim gegangen sind. Wir wissen, da drücken sich bei vielen auch Protest und Angst aus, Protest gegen bedrückende Lebensumstände und gegen manche Erscheinung des politischen Betriebs, Angst vor der Deklassierung und der Überfremdung und Verdrängung zumal. Diesen Menschen gegenüber müssen wir Verständnis und Geduld zeigen. Wir müssen sie zu überzeugen versuchen, und es wäre
gut, wenn es einen friedlichen Wettbewerb um die Rückgewinnung dieser Menschen unter den hier vorhandenen Parteien und Fraktionen gäbe.
({3})
Keine Geduld hingegen, sondern schärfste Auseinandersetzung ist mit den Anführern und Verführern geboten. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Beseitigung der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau fordert, weil der Besuch von Hunderttausenden den Bürgerinnen und Bürgern von Dachau nicht mehr zuzumuten sei und es genüge, wenn dort neben der Kirche eine Gedenktafel stehe, wer wörtlich oder sinngemäß mit Parolen wie „Ausländer raus" oder „Die Ausländer sind unser Unglück" agitiert, der appelliert - um ein Wort Kurt Schumachers aus dem Jahre 1932, gesprochen im Reichstag, aufzugreifen - genauso an den inneren Schweinehund wie diejenigen, die vor zwei Generationen mit den Parolen „Juden raus" und „Die Juden sind unser Unglück" hetzten und damit die ersten Meter auf dem Wege zum Holocaust zurücklegten.
({4})
Da hilft es nicht, wenn sich diese Verführer als Wölfe im Schafspelz geben und auf ihre früheren Lebensstationen auch in der jüngsten Zeit verweisen.
Wir haben gehört, daß Sie das heute ähnlich sehen, daß Sie keinesfalls mit der NPD oder den sogenannten Republikanern zusammenarbeiten wollen.
({5})
- Ach, haben Sie doch Geduld!
({6})
Das ist gut, aber um uns vollständig zu überzeugen, Herr Bundeskanzler, müssen Sie diejenigen in Ihren eigenen Reihen zum Schweigen bringen,
({7})
die - und nun kommen lauter wörtliche Zitate - sagen, die sogenannten Republikaner hätten in ihrem Programm nichts Neues erfunden, sondern das meiste bei Ihnen abgeschrieben - ein Wort, Kollege Dregger, das aus Ihrem Munde zu hören ich sehr bedauert habe -,
({8})
oder die sagen, die sogenannten Republikaner seien zumindest grundsätzlich koalitionsfähig; Herr Lummer hat ja auf Ihrem Parteitag diesen Gedankengang neuerdings entwickelt, und zu meinem Erstaunen hat sich nach der Rückkehr von den Agrarpreisverhandlungen auch Herr Kiechle an dieser Diskussion beteiligt.
({9})
Sie werden auch die zum Schweigen bringen müssen, die selber von einer „durchraßten Gesellschaft"
- ich meine Herrn Stoiber - oder einem „Bevölkerungsgulasch" - ich meine den europäischen Parlamentsabgeordneten Herrn Alber - sprechen und auf diese Weise diesen Parteien den Boden bereitet haben.
Es spricht auch Bände, daß sich in Frankfurt am Main - Herr Bundeskanzler, ich würde an diesem Punkt wirklich zuhören - der Vorsitzende der NPD bei der örtlichen CDU für den dortigen Wahlkampfstil
- wörtlich - „bedankt" hat, weil er - wieder wörtlich - einen „Seriositätsbonus" für die NPD beinhalte und deren Wahlkampfparolen dadurch glaubwürdiger geworden seien.
Herr Bundeskanzler, wir glauben Ihnen das, was sie hier gesagt haben, als Ihre Absicht und Ihren guten Willen. Aber die Verwirklichung dessen, was Sie sagen, wird an Hand solcher Ereignise von uns weiter sorgfältig verfolgt werden.
({10})
- Herr Bötsch, es genügt das, was einige aus Ihren Reihen gesagt haben. Das genügt, und das deckt sich damit.
Außerdem sollten Sie noch einmal überdenken, ob Sie DIE GRÜNEN und die sogenannten Republikaner sowie die NPD einander wirklich so gleichstellen wollen, wie Sie das getan haben.
({11})
Wenn das Ihre Absicht ist, dann sagen Sie es mit voller Nennung der Adresse. Sie wissen doch selbst und haben das in den Jahren der parlamentarischen Arbeit gelernt - bei allem, was an Widersprüchlichem, an Gegensätzen und Trennungen vorhanden ist, auch mit uns - , daß das in dieser undifferenzierten Weise keineswegs den Tatsachen entspricht. Sonst würde doch nicht beispielsweise auch die Präsidentin angekündigt haben, daß im nächsten Bundestag selbstverständlich - was wir schon immer fordern - den GRÜNEN ein Vizepräsident eingeräumt werden soll.
({12})
Wenn die „Bild"-Zeitung mit solchen Klischees arbeitet, dann verwundert das nicht. Ein Bundeskanzler sollte sich selbst in der Lage, in der Sie sich befinden, für derartige undifferenzierte Vereinfachungen zu schade sein.
({13})
Mitleid ist in der Politik eine Kategorie, die nur selten praktiziert wird. Sie haben anderen, zumal Menschen, die Sie für Ihre Gegner hielten, die Ihnen im Wege standen oder deren Sie sich entledigen wollten, Mitleid nur selten zuteil werden lassen. Allerdings könnte ich Ihre Enttäuschung darüber verstehen und auch Ihre Bitterkeit darüber nachempfinden, daß jetzt auch in Ihren Reihen viele mit dem Finger auf Sie zei10316
gen und Sie allein für Dinge und Entscheidungen verantwortlich machen, denen die Betreffenden seinerzeit mit Begeisterung zugestimmt, ja, die sie selber initiiert und erst beim Bundeskanzler durchgedrückt haben. Aber das entschuldigt Sie nicht.
Außerdem, Herr Bundeskanzler - auch das muß hier ausgesprochen werden - : Sie sind nicht mehr ein Teil der Lösung der Probleme, Sie sind ein Teil des Problems und wahrscheinlich ein Kernelement des Problems, das es zu lösen gilt.
({14})
Wir kennen unsere Verantwortung. Wir wissen, unsere Republik, unser Volk, gibt sich nicht mit opportunistischen Korrekturen einer gescheiterten Politik zufrieden. Unser Volk will keine Regierung, die ihre Agonie mit lähmender Hektik hinauszuzögern versucht. Unser Volk will eine neue Politik und eine andere Regierung.
({15})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Dregger, warten Sie bitte einen Moment! - Meine Damen und Herren, ich finde das nicht sehr schön. Vielleicht warten wir einen Moment bis Ruhe hergestellt ist, damit der nächste Redner sprechen kann.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich schneller hinauszubegeben, wenn Sie nicht im Saal bleiben wollen, und hier nicht Unterhaltungen zu pflegen. Bitte, Herr Dr. Dregger, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Kollege Vogel, war so, wie Sie sind:
({0})
selbstgefällig - davon sprachen Sie - , selbstgerecht, in weiten Passagen anmaßend - ich denke an Ihre europapolitischen Ausführungen - und vor allem ohne den menschlichen Respekt,
({1})
den sich auch politische Gegner in diesem Hause entgegenbringen sollten.
({2})
Meine Damen und Herren, das hat uns nicht beeindruckt. Ein Oppositionsführer sollte mehr können, als Schmähreden auf die Regierung zu halten.
({3})
Er sollte in der Lage sein, intelligent und konstruktiv Alternativen zur Regierungspolitik zu entwickeln.
({4})
- Nein! Er hat zwölf Überschriften hintereinandergefügt, ohne eine einzige Überschrift näher darzulegen und zu begründen. Das waren keine Alternativen, meine Damen und Herren.
({5})
Noch eines, Herr Kollege Vogel: Sie waren einmal Regierungsmitglied. Wer einmal Regierungsmitglied war, sollte nie die Fehlleistungen vergessen, für die er, seine damalige Regierung und seine Partei verantwortlich sind.
({6})
Ich wundere mich, daß Sie so wenig von dem Argument Gebrauch machen, das wir in der Opposition immer verwandt haben. Wir haben in den 13 Jahren unserer Opposition immer auf die 20 Jahre glanzvoller CDU/CSU-Politik - in der Regel mit der FDP - hingewiesen, in der Deutschland aus den Trümmern des Krieges nach oben in die Spitze der Weltrangliste vorgerückt ist.
({7})
Sie reden nie von Ihrer Regierungszeit. Warum nicht?
- Offenbar schämen Sie sich Ihrer Regierungszeit.
({8})
Am liebsten würden Sie ein Redeverbot verhängen, und Sie nehmen es uns übel, wenn wir diese Fehlleistungen in Erinnerung rufen. Ich muß Ihnen den Spiegel vorhalten, und zwar nicht nur Ihrer Worte, die flüchtig sind, sondern auch Ihrer Taten, als Sie in der Regierungsverantwortung standen.
({9})
Meine Damen und Herren von der SPD, 1969 übernahmen Sie ein glänzendes Erbe. Ich brauche nur den damaligen Oppositionsführer Rainer Barzel mit zwei Sätzen zu zitieren.
({10})
Er sagte damals ohne Ihren Widerspruch: Sie
- gemeint war Herr Brandt treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation.
In der Tat, so war es 1969, bevor Sie die Regierung übernahmen.
({11})
- Reden Sie nur von der Weltwirtschaft! Auch heute sind wir in der Weltwirtschaft und müssen uns in ihr bewähren!
Als Sie, meine Damen und Herren, 1982 nach 13 Jahren das Steuer des Staates wieder an uns abgeben mußten, hatte sich die Lage unseres Landes grundlegend verändert, und zwar grundlegend verschlechtert.
({12})
Aus Vollbeschäftigung war Massenarbeitslosigkeit geworden,
({13})
aus weitreichender Schuldenfreiheit ein hoch verschuldeter Staat, dessen Zinslast heute noch unsere Handlungsfähigkeit einschränkt.
({14})
Es ist doch gewiß bemerkenswert, daß die jetzige Nettoneuverschuldung im wesentlichen zur Abdeckung der Zinslast für Ihre Altschulden in Anspruch genommen wird.
({15})
1982, als Sie mit Ihrem Regierungslatein am Ende waren, schien auch unser Land am Ende zu sein. Man sprach im Ausland schon von der „deutschen Krankheit" . Man glaubte, die Deutschen gehörten nicht mehr zur ersten Garnitur der Industrienationen.
Der wirtschaftliche Abstieg unter Ihrer Verantwortung hatte schwerwiegende soziale Folgen. Die Verbraucherpreise stiegen damals im Jahresdurchschnitt um 5,3 %, mehr als jemals zuvor und mehr als jemals danach. Das blieb Ihrer Regierungszeit vorbehalten.
Die Reallöhne der Arbeitnehmer und Rentner gingen zurück. Jetzt steigen sie wieder wie in der Zeit, bevor Sie die Regierungsverantwortung übernahmen.
({16})
Es ist wahr: Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sind nicht nur die Partei der Geldentwertung und der Massenarbeitslosigkeit, Sie sind auch die Partei der sinkenden Reallöhne für Lohnempfänger und auch für Rentner.
({17})
Aber nicht nur das, Frau Matthäus-Maier - damals waren Sie noch nicht dabei - : Die SPD ist auch die Partei der massiven Steuererhöhungen. Sozialdemokraten haben in ihrer kurzen Regierungszeit von 1969 bis 1982 die Umsatzsteuer gleich dreimal erhöht, nämlich 1978, 1979 und 1981. Sozialdemokraten haben die Mineralölsteuer dreimal erhöht, nämlich 1972, 1973 und 1981. Am liebsten-würden Sie sie jetzt noch einmal ganz kräftig erhöhen. Das haben Sie doch auch angekündigt.
({18})
Sozialdemokraten haben die Heizölsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und die Schaumweinsteuer je einmal erhöht, nämlich 1972, 1981 und 1982. Sozialdemokraten haben die Tabaksteuer dreimal erhöht, nämlich 1972, 1977 und 1982. Sozialdemokraten haben die Branntweinsteuer gleich fünfmal erhöht, nämlich 1972, 1976, 1977, 1981 und 1982. Sie haben dem kleinen Mann nicht sein Schnäpschen gegönnt. Das ist die innere Einstellung der Sozialdemokraten.
({19})
Sie erwarben sich in Ihrer Regierungszeit eben auch dieses Markenzeichen: Sie sind die Partei der massiven Steuererhöhungen.
({20})
Seit 1976 brachte jeder Ihrer Haushalte Einsparungen zu Lasten der sozial Schwachen, gekoppelt mit Strohfeuermilliarden für Investitionsprogramme, die ihre Wirkung nicht erzielten, sondern nur die Schulden erhöhten.
Wie katastrophal Sie selbst die Lage beurteilt haben, wurde durch die Spargesetze vom 12. November 1981 deutlich, mit denen Sie dem kleinen Mann die Rechnung präsentierten. Über dreißigmal haben Sie damals zugegriffen, über dreißigmal haben Sie abkassiert, über dreißigmal haben Sie umverteilt.
({21})
Und wo? Sie haben gekürzt, gestrichen, verteuert bei der Krankenversicherung, bei der Rentenversicherung, beim Mutterschaftsgeld, beim Wohngeld, beim Schlechtwettergeld.
({22})
Diese hektischen Reparaturversuche kurz vor dem Ende Ihrer Regierungszeit machen mehr als alles andere das völlige Scheitern sozialdemokratischer Regierungspolitik deutlich.
({23})
Da das so ist, reden Sie nie über Ihre eigene Regierungszeit. Die Ergebnisse waren zu miserabel. Ich kann das ja verstehen.
({24})
Nach alldem ist es schon eine Frechheit, daß ausgerechnet die SPD sich jetzt in ihrer Propaganda als Anwalt der Armen und Entrechteten aufzuspielen versucht. Wer heute den sozialen Robin Hood spielen will, sollte nicht gestern im Steuer- und Sozialbereich die kleinen Leute so ausgenommen haben, wie Sie es in Ihrer Regierungsverantwortung getan haben.
({25}) Diese sozialdemokratische Panikpolitik
({26})
- das ist alles wahr; Sie können nichts bestreiten! - sollte nach Vorstellung der SPD mit dem Haushaltsentwurf 1983 und seinen Begleitgesetzen fortgesetzt werden. Es war gut für unsere Mitbürger und gut für
Deutschland, daß Sie im Oktober 1982 aus der Regierungsverantwortung abgelöst wurden.
({27})
Seit 1982 können wir mit der FDP wieder eine Politik der Stabilität, der Solidität, des Wirtschaftswachstums und der steigenden Realeinkommen für die breiten Schichten unseres Volkes verwirklichen.
Dabei haben wir nicht nur, Herr Kollege Vogel, die Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft, die wir ja vorangetrieben haben, und der weltwirtschaftlichen Entwicklung genutzt. Wir haben uns nicht nur in einem Geleitzug des Aufstiegs aufwärts bewegt.
Wir sind seit 1986 die größte Exportnation der Erde, was wir vorher nicht gewesen sind. Wir sind seitdem auch Weltmeister in der Geldwertstabilität. Die Franzosen bezeichnen heute die D-Mark als die „force de frappe" der Deutschen. Deswegen werden wir zusammen mit der Bundesbank das Notwendige tun, um Auftriebstendenzen in Grenzen zu halten.
({28})
Ich weiß, ich weiß, das hören Sie nicht gern, und Sie hatten das offenbar auch nicht erwartet.
({29})
Seit Verlust Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie mit Hilfe Ihnen genehmer Medien - leider nicht ohne Erfolg - versucht, ein Schweigegebot über Ihre Fehlleistungen zu verhängen. Wir durchbrechen dieses Schweigegebot, und wir durchbrechen es auch, wenn es um die Darstellung unserer großen Erfolge in den letzten sechseinhalb Jahren geht.
({30})
Sechseinhalb Jahre Bundeskanzler Helmut Kohl!
({31})
Wir haben in dieser kurzen Zeit nicht nur wirtschaftlich und sozial einen internationalen Status erreicht, um den uns die Welt beneidet. Fahren Sie doch ins Ausland - was Sie alle tun - und fragen Sie dort, wie die uns beurteilen.
({32})
Wir haben vier große Reformen angepackt, die seit langem überfällig waren und die anzupacken Sie nicht die Kraft hatten.
({33})
Es sind: die große Steuerreform,
({34}) die Gesundheitsstrukturreform,
({35})
die Rentenreform und die Postreform.
({36})
Ich frage jetzt die Opposition konkret: Was davon wollen Sie rückgängig machen?
({37})
Wollen Sie, daß die 500 000 Kleinverdiener, die dank unserer Steuerreform keine Lohn- und Einkommensteuer mehr zu zahlen brauchen, in Zukunft ihr Geld wieder beim Finanzamt abliefern sollen? Wollen Sie das?
({38})
Wollen Sie den durchgehenden Lohn- und Einkommensteuertarif rückgängig machen,
({39})
der zu einer Dauerentlastung unserer mittleren Leistungselite vom gut verdienenden Facharbeiter bis zum mittelständischen Unternehmer führt? Wollen Sie das rückgängig machen?
({40})
Wollen Sie das Ergebnis unserer Gesundheitsstrukturreform, nämlich Beitragssenkung und Beitragsstabilität und ambulante Hilfe für Schwerstpflegebedürftige bei sich zu Hause, rückgängig machen?
({41})
- Wir natürlich nicht. Denn das ist ja unsere Leistung.
({42})
Wollen Sie den nun in das achte Jahr gehenden Aufschwung unserer wirtschaftlichen Leistungskraft stoppen? Wollen Sie den Anstieg der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen um real 12 % seit 1982 kassieren, wie Sie es früher gemacht haben?
({43})
Wollen Sie über 1 Million oder - wie die angesehene „Wirtschaftswoche" unter Bezugnahme auf die Volkszählung schreibt - 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze, die während unserer Regierungsverantwortung entstanden sind, gefährden?
Wollen Sie unsere zusätzlichen jährlichen Leistungen an die Familien in Höhe von jetzt rund 16,5 Milliarden DM und, wie der Bundeskanzler heute morgen erklärt hat, ab 1990 von 18 Milliarden DM rückgängig machen?
({44})
Wollen Sie rückgängig machen, daß Europa an Dynamik gewonnen hat und den Durchbruch zum größten Markt der Erde vollzieht?
Wollen Sie rückgängig machen, daß mehr Deutsche als jemals zuvor aus den beiden Staaten in Deutschland einander begegnet sind?
Wollen Sie die von uns herbeigeführte Verminderung der Bleiemissionen von jährlich 2 000 t rückgängig machen? Wollen Sie also die Ausrüstung der Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren rückgängig machen?
Meine Damen und Herren der Opposition, keine unserer Leistungen und Erfolge werden Sie rückgängig machen können und in Wahrheit rückgängig machen wollen. Was Sie an Kritik äußern, ist nichts anderes als verzweifelte Pflichtübung und billige Effekthascherei. Meine Damen und Herren, daran kommen Sie nicht vorbei.
({45})
Ich könnte unsere Erfolgsbilanz fortsetzen. Ich will darauf verzichten und zugleich bekennen, daß es unter unserer Verantwortung Einzelentscheidungen gegeben hat, die sich inzwischen als falsch herausgestellt haben.
({46})
- Ihnen passiert so etwas nicht. Sie machen nichts falsch; ich weiß das. Herrn Kollegen Vogel wäre das bestimmt nicht passiert; der macht keine Fehler,
({47}) zumindest räumt er sie nicht ein.
Nun wäre die Selbstkorrektur für Sie, meine Damen und Herren der SPD, in den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung auch schwieriger gewesen, weil Einzelkorrekturen nicht gereicht hätten, weil Sie das Steuer insgesamt hätten herumwerfen müssen, wie wir als Ihre Nachfolger es dann getan haben.
({48})
Das brauchen wir jetzt nicht, denn unsere Politik ist richtig und außerordentlich erfolgreich.
({49}) Aber Einzelkorrekturen sind notwendig.
Das gilt zunächst - ich wiederhole, was der Bundeskanzler gesagt hat - für die Wehrpflichtdauer. Die Bundeswehr ist eine Bündnisarmee. Wir haben Verständnis, daß unsere Alliierten darauf achten, daß wir einen angemessenen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit in der Allianz leisten.
({50})
Zugesagt haben wir aber nicht die Dauer der Wehrpflicht, sondern eine bestimmte Truppenpräsenz.
({51})
Nachdem sich herausgestellt hat, daß wir diese Truppenstärke in den nächsten Jahren auch ohne Wehrpflichtverlängerung zustande bringen können, setzen wir die Wehrpflichtverlängerung selbstverständlich aus.
Meine Damen und Herren, es sind unsere Söhne, es sind die Söhne unseres Volkes, die in der Bundeswehr dienen. Wir fordern von unseren Söhnen, was für die Sicherheit unseres Landes notwendig ist, aber keinen Tag mehr.
({52})
- Ich weiß nicht, ob Ihre Söhne auch in der Bundeswehr dienen.
({53})
Wir korrigieren uns auch bei der Zinssteuer, einer Vorerhebungssteuer, die ja leider als Quellensteuer bezeichnet wurde und daher für die meisten unserer Mitbürger nicht begreifbar war. Es handelt sich um eine Vorerhebungssteuer, nicht um eine zusätzliche Steuer. Deswegen, Herr Kollege Vogel, kann auch nichts zurückgezahlt werden, denn die Steuerpflicht bestand vorher, und sie besteht auch in Zukunft, weil Zinseinkommen steuerpflichtig sind.
({54})
Aber das Wort „Quellensteuer" zeigt, daß Fehler in der Semantik häufig größere Wirkungen haben, als sich sogenannte Fachleute selber eingestehen. Daß eine Zinssteuer von 10 %, die voll auf die Lohn- und Einkommensteuer anrechenbar ist, derartige Kapitalverlagerungen ins Ausland bewirken würde, haben wir, habe jedenfalls ich nicht erwartet.
({55})
Die Harmonisierung im europäischen Bereich läßt auf sich warten. Es ist daher vernünftig, die sogenannte Quellensteuer abzuschaffen und bis zu einer europäischen Lösung, von der niemand weiß, wann und wie sie kommt, den alten Zustand wiederherzustellen.
Schließlich überarbeiten wir das Fremdrentengesetz und das Sozialabkommen, das Bundeskanzler Helmut Schmidt 1975 mit der Volksrepublik Polen abgeschlossen hat und das zu Auswüchsen in einzelnen Fällen geführt hat, die wohl auch Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht wollte, aber bewirkt hat.
Wir wollen, daß diejenigen, die als Deutsche zu uns kommen, als unsere Mitbürger gleiche Rechte und gleiche Pflichten wie wir haben. Wir vergessen auch nicht, daß sie bei dem jüngeren Durchschnittsalter der Aussiedler im Vergleich zur Wohnbevölkerung hier keine zusätzliche Belastung, sondern eine Entlastung unserer Rentenversicherung bedeuten.
Wie dem auch sei: Wir wollen vermeiden, daß auch nur der Anschein erweckt wird, als ob wir für irgend jemanden eine Vorzugsbehandlung haben wollten. Diejenigen, die als Deutsche zu uns kommen - die Aussiedler kommen als Deutsche zu uns - , haben eine solche Vorzugsbehandlung auch nie erwartet.
({56})
Sie sind glücklich, daß sie nach jahrzehntelanger nationaler Unterdrückung unter kommunistischer Herrschaft jetzt als Deutsche mit Deutschen hier bei uns
frei leben können. Wir sollten sie herzlich empfangen.
({57})
Meine Damen und Herren, Wehrpflichtdauer, Quellensteuer, Fremdrentengesetz, das sind die großen Korrekturen, die wir in der Mitte der Legislaturperiode vornehmen. Es treten weitere von geringerer Bedeutung hinzu.
Parlamentarier und auch Regierungsmitglieder sind keine Götter; wir alle sind irrende Menschen. Wer handelt, macht Fehler. Wer sich selbst korrigiert, bleibt regierungsfähig. Wer an seinen alten Fehlern festhält, ist regierungsunfähig. Das war Ihre Lage am Ende Ihrer Regierungsperiode.
({58})
Ich frage die SPD: Was haben Sie eigentlich getan, um wenigstens in der Zeit der Opposition aus Ihren Fehlern in Ihrer Regierungszeit zu lernen? Wo sind Ihre Korrekturen? Alles, was Sie von sich geben, erweckt den Eindruck: Sie waren nicht nur sehr teure Studenten - Franz Josef Strauß hat Helmut Schmidt einmal als den teuersten Studenten der Volkswirtschaft in Deutschland bezeichnet -, Sie und Ihre Oppositionsklasse - Herr Kollege Vogel, Sie werden manchmal als Oberlehrer bezeichnet - haben auch nichts dazugelernt. Sie müssen noch sehr lange lernen, ehe Sie wieder regierungsfähig werden.
({59})
Meine Damen und Herren, das zeigt Ihre Oppositionspolitik. Sie müssen erst noch Opposition lernen. Dafür einige Beispiele:
Am 10. September 1987 behauptete der Kollege Vogel allen Ernstes, daß „die breiten Schichten geschröpft" würden. Er sah in der angeblich ungerechten Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen ein „soziales Ärgernis". Tatsache ist, Herr Kollege Vogel: Die Realeinkommen der Arbeitnehmer sanken in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit.
({60})
Die Realeinkommen der Arbeitnehmer sind nicht wie in SPD-Zeiten gesunken; sie stiegen 1988 um etwa 3,5 bis 4,5 %. Zuvor von 1985 bis 1987 war es ein Realzuwachs von 8,5 %.
Zweite Fehlprognose Vogels: Kollege Vogel sprach am 10. September 1987 von einer „Massenarbeitslosigkeit, die von neuem steigt" . Tatsache ist: Allein von November 1987 bis November 1988 sind 170 000 Arbeitsplätze hinzugekommen. Über eine Million zusätzliche Arbeitsplätze sind seit 1983 entstanden. Das ist mehr, als von der SPD in ihrer Regierungsverantwortung abgebaut wurden; das waren nämlich 820 000.
Die „Wirtschaftswoche" spricht davon, daß die Zahl der Erwerbstätigen im ersten Quartal 1989 mit über 27 Millionen auf dem höchsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland liegt. Darauf sind
wir stolz, meine Damen und Herren. Das ist eine große Leistung.
({61})
Zwei wichtige Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung hervorgehoben: ein Programm zur Eingliederung der Dauerarbeitslosen und die Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen. Das letzte hat nicht nur Bedeutung für den Arbeitsmarkt, sondern es ist auch ein Weg, um Frauen zu ermöglichen, gleichzeitig für ihre Kinder da zu sein und an der beruflichen Arbeit weiterhin teilnehmen zu können. Deswegen muß alles mögliche geschehen, um Teilzeitarbeit in Deutschland zu vermehren.
({62})
Ein letztes Mal Herr Kollege Vogel mit einer Falschmeldung. Am 7. September 1988 behauptete er - ich zitiere ihn - : „Länder und Gemeinden zahlen die Zeche für die Steuerreform." Tatsache ist: Obgleich 1988 die zweite Stufe der Steuerreform in Kraft getreten ist, verzeichneten die Kommunen im ersten Halbjahr 1988 eine Zunahme der Steuereinnahmen von 8,9 %,
({63})
bei der Gewerbesteuer sogar um mehr als 11 %.
({64})
- Sie haben im Hinblick auf die Gemeindefinanzen durch die Steuerreform doch eine Katastrophe vorausgesagt!
({65})
- Ich lege gerade dar - Herr Vogel, Sie werden mich nicht daran hindern, das darlegen zu können -, daß diese Prognose absolut falsch war.
({66})
Sie wissen eben nicht, daß Steuersenkungen im Rahmen einer aktiven Wirtschaftspolitik auch zu höheren Steuereinnahmen führen können, und das ist bei den Gemeindesteuern in diesen Jahren der Fall gewesen.
({67})
Es ist doch so: Das Haushaltsdefizit der Gemeinden lag 1988 bei 2 Milliarden DM. 1981 hatte es noch 10 Milliarden DM betragen. Und die kommunalen Spitzenverbände sagen für dieses Jahr insgesamt einen Überschuß in den Gemeindefinanzen voraus.
Meine Damen und Herren, alle diese Fehlbeurteilungen der SPD machen klar: Wer die Wirklichkeit nicht beurteilen kann, ist unfähig, die Zukunft dieses Landes zu gestalten.
({68})
Herr Vogel, durch Ihr Bündnis mit den GRÜNEN und Alternativen wird es gewiß nicht besser, wie Berlin zeigt.
({69})
Ein Wort zu Berlin. Die Nettoneuverschuldung im Berliner Haushalt soll in diesem Jahr gegenüber dem Haushalt, den die Regierung Diepgen vorgelegt hat, um 80 % auf 1,4 Milliarden DM erhöht werden. Eine vergleichbare hohe Verschuldung hat es in der Geschichte Berlins, der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer noch nicht gegeben. Wofür dieses Schuldengeld ausgegeben werden soll, ist typisch: natürlich für eine Personalvermehrung im öffentlichen Dienst mit 2 250 Neueinstellungen. Was das wohl für Leute sind, die da neu eingestellt werden sollen, ist eine Frage, die man vielleicht einmal stellen kann.
Die Erbärmlichkeit der rot-grünen Politik in Berlin wird schließlich auch durch die beabsichtigte Schließung der Akademie der Wissenschaften deutlich. Diese Institution wird beseitigt, weil sie - ich zitiere - „eine elitäre Einrichtung" des früheren Berliner Senats sei, so der heutige Regierende Bürgermeister Momper. Dabei ist nicht die Akademie als solche, sondern ihre Selbständigkeit den Rot-Grünen ein Dorn im Auge. Die Aufgaben der Akademie sollen nämlich in Einrichtungen verlagert werden, die der politischen Kontrolle leichter zugänglich sind. Wann in der Geschichte des demokratischen Deutschlands hat es das jemals gegeben,
({70})
daß eine Wissenschaftseinrichtung, eine Forschungsförderungseinrichtung aus politischen Gründen geschlossen werden soll? Das ist wirklich das erstemal; schlimm.
({71})
Aber nicht nur Finanzen und Freiheit der Wissenschaft sind bei Sozialdemokraten in schlechten Händen. Auch bei der inneren Sicherheit, dem Schutz des Bürgers vor Gewalt, ist unser Land mit Sozialdemokraten schlecht beraten. In Hamburgs Hafenstraße und Düsseldorfs Kiefernstraße sieht die SPD tatenlos zu, wie der Rechtsstaat verhöhnt wird. Wenn, meine Damen und Herren, das gewalttätige Tollhaus Hafenstraße in Hamburg den Steuerzahler bereits rund 15 Millionen DM gekostet hat, so wirft das nicht nur ein bezeichnendes Licht auf den Umgang der SPD mit dem Geld der Steuerzahler. Was wirkt zerstörerischer - das ist das Entscheidende für den Rechtsfrieden - als die Erfahrung der Menschen, daß Gewalt und Rechtsbruch nicht nur toleriert, sondern vom demokratischen Rechtsstaat sogar noch subventioniert wird?
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Wir, die CDU/CSU, wünschen, daß SPD-geführte Landesregierungen gegen linke Gewalttäter mit derselben Unnachsichtigkeit vorgehen, wie wir es auch gegenüber rechten Gewalttätern für unabdingbar halten!
Meine Damen und Herren, was für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gilt, gilt auch für unsere AuBen- und Sicherheitspolitik: Sie ist erfolgreich.
Wir haben die Europapolitik unter deutscher Präsidentschaft vorangebracht. Der gemeinsame Binnenmarkt 1992 hat die Gemeinschaft mit neuem Leben und neuen Hoffnungen erfüllt. Niemand im Ausland bestreitet, daß das der persönliche Erfolg des deutschen Bundeskanzlers gewesen ist.
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Wir haben durch Verläßlichkeit sowohl in der Nachrüstungsfrage 1982/83 als auch in der Abrüstungspolitik neues Vertrauen gewonnen - in Ost und West. Das ist ein Fundus, mit dem es uns gelingen wird, den Konflikt durchzustehen, den es in der Allianz in der Frage von Rüstung und Abrüstung im atomaren Kurzstreckenbereich zur Zeit gibt.
Unsere Interessen stimmen zur Zeit nicht in jeder Hinsicht mit den Vorstellungen unseres Hauptverbündeten überein.
({74})
Wenn wir diesen für unsere deutsche Position, die wir formuliert haben, gewinnen können, dann nur mit Hilfe des großen Vertrauensvorrats, den wir, die Koalition, der Außenminister und insbesondere Bundeskanzler Helmut Kohl, in den hinter uns liegenden Jahren erarbeitet haben.
({75})
Meine Damen und Herren, wer die Weltmacht USA als unbedingten Gegner ansieht, wie die GRÜNEN es tun, oder wer mit einem solchen Gegner unseres Hauptverbündeten ein Regierungsbündnis abschließt wie die SPD - zunächst in Hessen, jetzt in Berlin, und wenn das Wahlergebnis es möglich machen würde, auch in der Bundesrepublik Deutschland - , wer zu einer solchen Politik fähig und bereit ist, ist unfähig, die deutschen Interessen wahrzunehmen. Das ist unmöglich!
({76})
Wenn in Berlin eine der Hauptfiguren des SPD/AL-
gestützten Senats den Präsidenten der USA, ohne die es ein freies Berlin gar nicht gäbe, als in Berlin unerwünscht bezeichnet, dann benimmt sich dieser Koalitionspartner der SPD nicht nur wie ein Rüpel, der alle Gepflogenheiten der internationalen Politik, insbesondere Staatsoberhäuptern gegegnüber, verletzt, sondern er ist zugleich ein politischer Irrläufer, der Berlin und Deutschland schadet, meine Damen und Herren, und mit solchen Leuten koaliert man nicht!
({77})
Wir erwarten für Ende Mai - der Bundeskanzler berichtete es schon - den Besuch des amerikanischen Präsidenten Bush, dem wir seit langem durch Freundschaft verbunden sind. Im Juni kommt der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow nach Bonn. Daß beide Besuche so kurz aufeinander folgen, zeigt, welches Ansehen der Bundeskanzler, die Bundesregierung hier und in der Welt besitzen.
({78})
Ich habe an den Gesprächen des Bundeskanzlers in Moskau vom 24. bis 27. Oktober 1988 teilnehmen können.
({79})
Es waren gute Gespräche, die wir im Geist der Zusammenarbeit fortsetzen wollen. Wir sind fest entschlossen, auch in unseren Beziehungen zur Sowjetunion keine Chance ungenutzt zu lassen, die dem Frieden in Europa sowie den deutschen und den europäischen Interessen dient.
Mit zusätzlichem politischen und ökonomischen Gewicht wächst auch unser Land in die Verantwortung für die Dritte Welt stärker hinein. Es gibt heute Probleme, die kein Staat mehr allein lösen kann, die aber Überlebensfragen der Menschheit sind. Dazu gehören die Abwehr der Gefährdung der Ozonschicht und die Einstellung des Raubbaus an den tropischen Regenwäldern. Der Bundeskanzler hat heute morgen dazu Stellung genommen. Wir begrüßen es, daß er gerade diese Frage zu seinem besonderen Anliegen gemacht hat.
({80})
Meine Damen und Herren, wir arbeiten in der Koalition von FDP, CSU und CDU gut und vertrauensvoll zusammen.
({81})
Die deutsche Position für die Verhandlungen in der Allianz zum Gesamtkonzept, zur Abrüstungsinitiative, zur Stationierungsentscheidung sind von CDU, CSU und FDP gemeinsam erarbeitet worden. Alle Koalitionspartner tragen dieses Konzept ohne jeden Vorbehalt in gleicher Weise. Ich sage das, damit niemand auf die Idee kommt, er könne die deutsche Position dadurch schwächen, daß er unseren Regierungs- und Koalitionskonsens auflöst. Unsere deutsche Position ist ein Vorschlag an unsere Verbündeten, ein Vorschlag, kein Ultimatum. Unser Ziel ist es, zu einer gemeinsamen Position in der Allianz zu kommen, der alle 16 Allianzpartner zustimmen können.
Ich bitte unsere Verbündeten heute auch von dieser Stelle aus, sich in die unvergleichbare Lage unseres Volkes hineinzuversetzen, das als einziges in Europa geteilt ist und durch dessen Mitte die Militärgrenze von Ost und West verläuft. Unser Volk ist von allen Gefährdungen und Belastungen im geteilten Europa am meisten betroffen. Wir sind daher in besonderer Weise daran interessiert, die seit 1945 erstarrte Kriegsordnung im Konsens mit unseren Nachbarn und mit beiden Weltmächten schrittweise in eine Friedensordnung zu verwandeln, die auf den Menschenrechten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruht.
Der Bundeskanzler hat seine Regierungsmannschaft umgegliedert.
({82})
Es sind gute und wohlüberlegte Entscheidungen, die wir voll mittragen. - Wenn Sie nur solche Leute hätten, wie wir sie in der Regierung besitzen!
({83})
Was ist denn bei Ihnen? Gähnende Leere!
({84})
Daß der Vorsitzende der CSU, Theo Waigel, ein herausgehobenes Regierungsamt übernommen hat, zeigt, daß beide Unionsparteien fest entschlossen sind, ihr gemeinsames Programm zum Erfolg zu bringen und gemeinsam um den Sieg in Deutschland zu kämpfen.
({85})
Wir haben nicht seit 1982 den Schutt Ihrer Regierungszeit weggeräumt,
({86})
wir haben nicht die ungeheuren Reformanstrengungen in den vier großen Reformwerken erfolgreich verwirklicht,
({87})
wir haben nicht unser Land in Ost und West, in Nord und Süd zu neuem Ansehen gebracht, um es 1990 einer rot-grünen Koalition zu überlassen.
({88})
Das wäre wirklich das Letzte. Deswegen können Sie sich fest darauf verlassen, daß wir um den Sieg kämpfen werden, weil Deutschland diesen Sieg braucht.
({89})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, die von Ihnen benannte Rednerin, Frau Kollegin Vollmer, hat Verständnis dafür gezeigt, daß ich jetzt spreche. Sie wird noch vor der Mittagspause reden können.
Meine Damen und Herren, bevor ich zu den schwerwiegenden
({0})
außenpolitischen Fragen Stellung nehme, möchte ich mich, Herr Kollege, zwar nicht für Ihren Zwischenruf, wohl aber für die Unterstützung bedanken,
({1})
die Herr Kollege Vogel der Hochschulpolitik meines Freundes Jürgen Möllemann zuteil werden ließ.
({2})
Ich gehe davon aus, daß nunmehr alle sozialdemokratisch geführten Länder diese Politik unterstützen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, unsere Aussprache findet in einer Zeit statt, in der Europa in Bewegung geraten ist,
({4})
und es zeigt sich: Europa ist zwar getrennt, aber Europa ist unteilbar. Der kategorische Imperativ der europäischen Demokratien lautet, erstens den Einigungsprozeß in der Europäischen Gemeinschaft entschlossen fortzusetzen, zweitens die Trennung des ganzen Europa durch Zusammenarbeit, durch Verwirklichung der Menschenrechte, durch vertraglich vereinbarte Abrüstung und durch Vertrauensbildung zu überwinden und drittens niemals zu vergessen, daß beides nur möglich ist auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit in einem handlungsfähigen westlichen Bündnis.
Eine europäische Friedensordnung, in der Grenzen ihren trennenden Charakter verlieren, in der die Völker ohne Furcht voreinander leben, in der sie über ihre eigene Staats- und Gesellschaftsordnung entscheiden können, ist nicht länger nur eine Vision. Die Chancen ihrer Verwirklichung sind gewachsen. Es geht darum, die kooperativen Elemente des Zusammenlebens auszubauen und zu verstärken. Unaufhaltsam und unübersehbar ist der Gezeitenwechsel in der europäischen internationalen Politik. Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Es ist die Idee der Entfeindung der internationalen Beziehungen.
({5})
Es ist die Idee der Entmilitarisierung der West-OstBeziehungen.
({6})
Es ist die Idee der Entideologisierung der West-OstBeziehungen. Es ist die Idee von Dialog und Zusammenarbeit, die Idee vom Aufbau neuer Strukturen des Friedens.
({7})
Das sind die Themen, um die es auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz des westlichen Bündnisses gehen muß.
({8})
Die Kernfrage für den Westen lautet, ob er in der Demokratisierung und Reform der sozialistischen Staaten eine Gefahr sieht oder eine Chance erkennt und diese Chance zu nutzen bereit ist.
({9})
Die Antwort kann nur lauten: Das ist eine historische Chance. Wir dürfen sie nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Nicht distanziert und passiv abzuwarten, sondern gestaltend Einfluß nehmen, das ist unsere Verantwortung. Das Kernelement der künftigen Struktur - ({10})
- Frau Kollegin, wenn Sie sich wie ich zur NATO bekennen, wäre das bei Ihnen wirklich ein großer Fortschritt!
({11})
Ein Kernelement der künftigen Struktur Europas ist die Europäische Gemeinschaft. Sie gibt ein Beispiel schon verwirklichter europäischer Friedensordnung mit dem Herzstück der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Nur mit einer dynamischen Europäischen Gemeinschaft kann eine neue und dauerhafte Friedensordnung in ganz Europa entstehen. Jetzt zeigt sich ja die zunehmende Anziehungskraft. Es zeigt sich die Attraktivität, die Faszination, die unser freiheitliches gesellschaftlich erfolgreiches Modell entfaltet. Wir haben wahrlich keinen Anlaß zu Kleinmut oder Sorge, wohl aber zu Zuversicht und Aktivität.
({12})
Aber nur mit einem handlungsfähigen westlichen Bündnis werden wir ohne Risiken die neuen Chancen im West-Ost-Verhältnis nutzen können.
Wer wollte bestreiten, daß die Wahlen in der Sowjetunion gezeigt haben, wie stark der Gedanke der Demokratisierung im Denken und Wollen der Menschen in der Sowjetunion ist!
({13})
Meine Damen und Herren, das war nicht nur eine Absage an die Reformgegner in der Sowjetunion, das war auch eine Absage an diejenigen im Westen, die meinten, Perestroika sei nur eine Spielwiese für Intellektuelle.
({14})
Nein, meine Damen und Herren, überall in der Welt wollen die Menschen Freiheit; sie machen von den geringsten Möglichkeiten der Freiheit Gebrauch.
({15})
Freiheit muß niemand lernen - das ist die Erkenntnis.
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Dieser Reformprozeß in der Sowjetunion ist Ausdruck europäischer Besinnung. Realistische Perspektiven für eine grundlegend neue Gestaltung der Beziehungen der Staaten zueinander und für eine europäische Friedensordnung, so wie das vom HarmelBericht des Bündnisses gefordert wurde, werden sichtbar.
Der Vertrag über die nuklearen Mittelstreckenraketen hat gezeigt, daß Abrüstung möglich und daß sie nachprüfbar ist und daß sie mehr Sicherheit schafft. Die Wiener Verhandlungen über die konventionelle
Stabilität können gefördert werden durch eine neue Anstrengung bei den Genfer Verhandlungen über das weltweite Verbot der chemischen Waffen. Die Zeit ist reif dafür. Abrüstung darf keine Waffenkategorie aussparen. Das Gesamtkonzept, das im Mai in Brüssel verabschiedet werden soll, heißt: Konzept für Rüstungskontrolle und Abrüstung und nicht: für Rüstung.
({17})
Warum also, meine Damen und Herren, sollte es die schon 1987 und 1988 erhobene Verhandlungsforderung aussparen?
Ich denke, wir haben in Europa und auf dieser Welt vieles zu fürchten; aber was wir ganz gewiß nicht zu fürchten haben, sind Verhandlungen und auch nicht eine verhandlungsbereite Sowjetunion.
({18})
Wer Abrüstung will, muß über Abrüstung verhandeln. Abrüstung erhält man nicht gegen die andere Seite, sondern nur in Verhandlungen mit ihr. Realistische Abrüstungspolitik verlangt, daß Abrüstungsschritte durch Verhandlungen und durch Verträge unumkehrbar gemacht werden,
({19})
damit es nicht zu einem Rückfall in einen neuen Rüstungswettlauf kommt.
({20})
Die Bundesrepublik Deutschland leistet einen bedeutsamen Beitrag für die gemeinsame westliche Sicherheit; für die konventionelle Verteidigung leistet sie den bedeutsamsten Beitrag. Wir sind es den Bürgern unseres Landes und wir sind es den Soldaten unserer Bundeswehr, die ihren Friedens- und Freiheitsdienst leisten, schuldig, daß wir jede, aber auch jede Möglichkeit, durch Abrüstung zu mehr Sicherheit zu kommen, auch tatsächlich nutzen.
({21})
Unser westliches Bündnis hat das große Ziel der Kriegsverhinderung. Das ist der Inhalt unserer gemeinsamen Strategie. Wir bekennen uns zu der Feststellung des Bündnisses, daß es, soweit voraussehbar, keine Alternative für das Konzept der Kriegsverhinderung durch Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Zusammensetzung angemessener und wirksamer nuklearer und konventioneller Streitkräfte gibt. Bei den nuklearen Streitkräften sind unter den gegebenen Umständen land-, see- und luftgestützte Systeme auch in Europa notwendig. Aber wir wissen auch, daß die Bedeutung nuklearer Waffen für die Abschreckung vom Kriege um so geringer ist, je kürzer ihre Reichweite ist.
({22})
Es ist eine unabdingbare Doktrin unseres Bündnisses, daß nukleare Waffen dem politischen Ziel der Kriegsverhinderung dienen.
({23})
Jedes andere Verständnis würde uns hinführen in ein Kriegsführungsszenario, das das Ende des ganzen Europas bedeuten würde.
({24})
Deshalb ist es notwendig, ein zusätzliches kooperatives Sicherheitsnetz zu schaffen, das die Verhinderung eines konventionellen und eines nuklearen Krieges noch sicherer macht. Wir wollen auch keinen sogenannten begrenzten Nuklearkrieg. Auch in diesem Sinne darf es keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben, weder im Bündnis noch in Europa.
Der Kern der Sicherheitsprobleme in Europa ist und bleibt die konventionelle Überlegenheit des Ostens. Diesen Zustand durch konventionelle Stabilität mit weniger Waffen und durch die Beseitigung der Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur raumgreifenden Offensive zu ersetzen, das ist das Ziel der Wiener Verhandlungen. Deshalb ist es so wichtig, daß für die Bundesregierung bei der Frage, ob sie ein Nachfolgesystem für die Kurzstreckenrakete Lance in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre für notwendig hält oder nicht, entscheidend ist, daß wir Vereinbarungen dieses Inhalts erreichen und daß wir die anderen Ziele erreichen, die in der Regierungserklärung genannt sind. Niemand kann heute hinreichend verläßlich voraussagen, wie die politische und die sicherheitspolitische Lage 1992 sein werden. Deshalb kann auch heute nicht entschieden werden, ob ein solches Nachfolgesystem 1992 für 1996 beschlossen werden muß oder nicht.
Die Bundesrepublik Deutschland leistet mit ihrer Wehrpflichtarmee, der Bundeswehr, aber auch mit der Akzeptanz unserer Sicherheitspolitik durch die Bevölkerung einen unverzichtbaren Beitrag für die Sicherheit aller Bündnispartner. Meine Damen und Herren, darauf gründet sich unser Anspruch auf ein gewichtiges Wort, auch wenn es um Entscheidungen des Bündnisses über Verteidigung und über Rüstungskontrolle und Abrüstung geht.
({25})
Unser Bündnis freiheitlicher Demokratien ist in der Lage, in gleichzeitigem Respekt Verständigung über alle Fragen zu erreichen. Es ist keine Schwäche, wenn sich demokratische Staaten durch Diskussionen um einen gemeinsamen Weg bemühen.
Wir haben - der Bundeskanzler hat das hier unterstrichen - keinen Nachholbedarf für einen Beweis unserer Entschlossenheit, das für die gemeinsame Sicherheit Notwendige zu tun. Wir haben dafür 1979 und 1983 bedeutsame Entscheidungen getroffen. Aber wir erwarten auch, daß alle Partner an unserer Seite stehen, wenn wir durch Verhandlungen die östliche Überlegenheit bei den Kurzstreckenraketen beseitigen wollen.
({26})
Wir erwarten auch Verständnis, wenn wir uns die Entscheidung darüber nicht leichtmachen, ob die Aufstellung neuer nuklearer Kurzstreckenraketen notwendig ist oder nicht.
Nirgends ist die Überlegenheit des Ostens so groß wie bei den Kurzstreckenraketen. Es liegt daher im elementaren Sicherheitsinteresse des Westens, am Verhandlungstisch durch die Erreichung gleicher Obergrenzen, wie schon in Reykjavik gefordert, diese Überlegenheit abzubauen.
({27})
Die Bundesrepublik Deutschland teilt alle - ich stelle fest: teilt alle - Risiken der gegenwärtigen Sicherheitslage mit den anderen Bündnispartnern. Aber die Bedrohung durch die sowjetischen Kurzstreckenraketen betrifft besonders uns; die meisten anderen Partner erreicht sie nicht.
({28})
Meine Damen und Herren, die sowjetische Überlegenheit bei diesen Raketen durch Verhandlungen zu beseitigen, ist deshalb nicht nur verständlich; es entspricht auch der Grundphilosophie unseres Bündnisses, durch die Beseitigung von Überlegenheiten mehr Stabilität zu schaffen. Auf unserer Seite geht es bei der Entscheidung über neue nukleare Kurzstreckenraketen um Waffensysteme, die das polnische und das tschechische Volk erreichen können, die im Zweiten Weltkrieg so unendliches Leid ertragen mußten. Es geht um nukleare Kurzstreckensysteme, die den anderen Teil unseres Vaterlandes erreichen können.
Wenn wir also zur Entscheidung darüber berufen sind, dann werden wir nicht vergessen - ich sage das hier in meiner ganz persönlichen Verantwortung - : Die Mitglieder der Bundesregierung leisten den Eid, ihre Kräfte dem Wohl des deutschen Volkes zu widmen. Die Verpflichtung aus diesem Eid endet nicht an der Grenze mitten durch Deutschland.
({29})
Die damit begründete nationale Verantwortung schließt meine Heimat, schließt die Stadt, in der ich geboren bin, und schließt die Menschen, die in der DDR leben, nicht aus, nein, diese Verantwortung schließt diese Menschen ein.
({30})
Wie ernst wir es mit der deutschen Nation meinen, das erweist sich nicht in Sonntagsreden, es erweist sich in dem täglichen Bemühen, Frieden und Stabilität und Menschenrechte in Europa zu stärken, in dem Bemühen um Zusammenarbeit und Abrüstung. Das Friedensangebot unseres Grundgesetzes gilt gegenüber allen europäischen Völkern. Wir haben den Beweis erbracht, daß wir mit Entschlossenheit das für die Bewahrung der Freiheit und Sicherheit Erforderliche tun, aber wir werden mit der gleichen Entschlossenheit jede mögliche Chance für Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung nutzen.
Ich appelliere an unsere amerikanischen Freunde, denen wir so unendlich viel verdanken, deren Luftbrücke für Berlin unvergessen ist und deren Beitrag für die europäische Sicherheit unverzichbar ist: Sie müssen keine Sorge haben wegen neuer Nachdenklichkeit bei uns. Sie müßten nur vor neuer Unbedenklichkeit bei uns Angst haben.
({31})
Bedenklichkeit und Nachdenklichkeit bei der Entscheidung über neue atomare Waffen ist Ausdruck von Verantwortung; sie ist alles andere als ein Zeichen von Schwäche, und sie sollte auch nicht als solche kritisiert werden. Sie ehrt die Bürger unseres Landes, sie ehrt alle, die zu politischer Verantwortung berufen sind.
Wir Deutschen - das sagen wir allen unseren Freunden - suchen unsere Zukunft nicht im Alleingang. Mit der Entscheidung für die Demokratie und mit der Entscheidung für das westliche Bündnis und für die Europäische Gemeinschaft haben wir unwiderruflich unseren Standpunkt bezogen. Wir wissen ganz genau: Der Versuch, uns aus dieser Gemeinschaft zu lösen, der Versuch, das deutsche Schicksal aus seiner gesamteuropäischen Einbettung zu lösen, es zu enteuropäisieren, widerspräche dem europäischen Friedensauftrag unserer Verfassung. Das würde uns in West und Ost in die Isolierung führen.
Wir haben durch unsere Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien verantwortlichen Gebrauch von der am 8. Mai 1945 wiedergewonnenen Freiheit gemacht. Wir sind damit die tiefgreifendste Verbindung eingegangen, die Staaten eingehen können, die Verbindung der Grundwerte.
Aber wir Deutschen haben auch Nachbarn, die dieser Gemeinschaft westlicher Demokratien nicht angehören, die aber Schreckliches im Zweiten Weltkrieg erlitten haben, Nachbarn, die auch Frieden wollen. Wir Deutschen können und wollen nicht vergessen, was dem polnischen Volk geschah, und auch nicht die Leiden und Opfer der Völker der Sowjetunion. Die leidvollen Erfahrungen dieses Jahrhunderts lassen diese Völker aufmerksam und wachsam auf uns blikken. Wenn es wahr ist, daß West und Ost eine Brücke des Vertrauens brauchen, dann müssen wir Deutschen den Hauptpfeiler dieser Brücke des Vertrauens bauen.
({32})
Es ist keine Anmaßung und es ist keine Überheblichkeit, sondern es ist eine tief begründete Einsicht in unsere geschichtliche Aufgabe, wenn wir Deutschen eine besondere Verantwortung für die Vertrauensbildung zwischen West und Ost spüren und wenn wir danach handeln.
Meine Damen und Herren, es hat ganz andere Ziele deutscher Politik in diesem Jahrhundert gegeben als das Bemühen um gute Nachbarschaft mit allen Europäern. Europa hat heute nach zwei mörderischen Weltkriegen, nach Jahrzehnten der Konfrontation zwischen West und Ost die historische Chance, sich eine dauerhafte, gesamteuropäische Friedensordnung zu geben. Dabei haben wir als Deutsche einen besonderen Auftrag. 1945 hat der französische Diplomat und Dichter Paul Claudel geschrieben: Deutschland ist nicht dazu da, die Völker zu spalten, sondern dazu all die unterschiedlichen Nationen, die es umge10326
ben, spüren zu lassen, daß sie ohneeinander nicht leben können.
Dieser Friedensverantwortung werden wir gerecht werden.
({33})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich es richtig gehört habe, hat der Außenminister heute endlich den Dank an die Friedensbewegung - allerdings ohne sie zu nennen - ausgesprochen.
({0})
Er hat endlich seine These aufgegeben, nukleare Waffen seien ausschließlich politische Waffen.
Ansonsten aber, wenn man in diese Debatte geht und die Reden von Herrn Kohl und Herrn Dregger hört - Herr Dregger, ich meine, Deutschland hat für dieses Jahrhundert wirklich genug gesiegt; es reicht - , dann muß man an Franz Josef Strauß erinnert sein. Franz Josef Strauß ist tot. Das und nicht das Figurenschieben auf dem Schachbrett des Kabinetts war die wirklich bedeutendste Regierungsumbildung der Nachkriegszeit, weil dieses Ereignis das Koordinatensystem der Nachkriegsgesellschaft nachhaltiger verändert hat und noch verändern wird, als es die jetzige Verpflichtung der CSU auf dieses letzte Regierungsaufgebot, auf dieses sinkende Schiff konservativer Mehrheiten tun wird.
Franz Josef Strauß wollte sein Schicksal nie mit dem dieser Regierung verbinden, und er wußte wohl, warum. Er wußte, daß er außerhalb dieses Kabinetts mächtiger war, so wie es jetzt Heiner Geißler weiß, der ebenfalls partout nicht in die Regierung eintreten mag. Es ist kein gutes Zeichen für die Leuchtkraft einer Regierung, wenn die stärksten Persönlichkeiten außerhalb des Machtpools Regierung agieren. Es ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß sich die politischen Planungsstäbe nicht länger auf Gedeih und Verderb mit dieser Regierungsmannschaft verbinden wollen und daß sie bereits weiter sehen.
Der Kanzler versucht, dieses auch ihm deutlich anzumerkende Gefühl, daß sich neben ihm andere, wichtigere Machtzentren auftun, durch Bärbeißigkeit, durch bockiges „das packen wir schon" , durch die Vergatterung auf die personalpolitischen Loyalitäten und durch die bekannte Versicherung, er sei allzeit bereit, seine Pflicht zu tun, zu überdecken. Glauben tut ihm aber niemand mehr.
({1})
Diese Regierung ist schon so gut wie abgewählt. Die CDU bereitet sich auf ein Überleben nach der Ära Kohl vor, auf ein Überleben in der Opposition.
({2})
Die großen, die gewaltigen Reformwerke dieser Regierung - die Steuerreform, die Gesundheitsreform,
die Privatisierung, die Expansionspolitik durch Umverteilung aus dem sozialen Bereich - waren als Meilensteine geplant und sind als Stolpersteine geendet.
({3})
Von der Steuerreform wird die Lächerlichkeit der Debatte um das Flugbenzin im Gedächtnis bleiben. Von der Quellensteuer wird man in einem Jahr glauben, sie sei die Besteuerung der letzten sauberen Trinkwasserquellen der Republik gewesen. Von der Gesundheitsreform wird der demütigende Kampf der Kassenpatienten um das Brillengestell und um den Zahnersatz in Erinnerung bleiben.
Zu den mächtigsten Ratgebern dieser Regierung werden mehr und mehr die Demoskopen, die mit den monatlichen Umfragen der Regierung vorgeben, an welchem Punkt sie diesmal rückwärts über den Zaun muß. Guter Rat scheint da teuer zu sein. Ein neuer Verkäufer der schlechten Ware wird gesucht, ein pfiffiger und charmanter Kerl mit guten Pressekontakten. Wer aber eine schlechte, eine nicht schlüssige Politik verkaufen muß, kann zwar einigen Glanz als billiger Jakob entfalten; er wird jedoch das Vertrauen der Menschen in die Politik dieser Regierung nicht wesentlich heben können.
({4})
Ein anderer Rat, vorzüglich von der „FAZ" geleistet, lautet: Bloß nicht weich werden, Herr Kanzler! Augen zu und durch! Wer schlechte Entscheidungen später korrigiert - sei es die Entscheidung über Wackersdorf, Hamm-Uentrop oder Kalkar, sei es die zurückgenommene Verlängerung des Wehrdienstes -, der zeige Führungsschwäche, und das dürfe nicht sein.
Diesen Rat geben wir ausdrücklich der Regierung nicht. Wir finden es nämlich in Ordnung, unsinnige und falsche Entscheidungen zu korrigieren. Über diese Korrekturbereitschaft müßte auch keine Regierung stürzen; im Gegenteil, man könnte es loben und begrüßen, wenn irgendwo eine Linie in dieser Korrektur deutlich würde, wenn sie einen Ansatz politischer Logik verspräche.
Was aber den Eindruck dieser Regierung so erbarmungswürdig, so rührend hilflos macht, ist, daß es diesen Ariadne-Faden, mit dem wir durch das Labyrinth ihrer Entscheidung gelangen könnten, offensichtlich gar nicht gibt.
Das ist sogar für die Opposition schlecht. An einem echten Gegner kann man sich nämlich abarbeiten und abkämpfen. Bei einer Regierung, die mit jeder neuen Reparatur nur eine andere Blöße, eine neue Blöße offenlegt, ist man ja geradezu entwaffnet, kräftig polemisch zuzulangen, sozusagen aus Fairneß vor dem geschwächten Gegner. Und das verführt gelegentlich zu Leichtsinn.
Deswegen wenden wir uns nun dem Kern der Verunsicherung dieser Regierung zu. Sie sieht deswegen so alt aus, weil etwas Neues kommt. Spätestens mit den Wahlentscheidungen in Berlin und Frankfurt und mit großer Gewißheit mit der Wahlentscheidung am 18. Juni wird deutlich: Es gibt bereits jetzt andere
Mehrheiten in dieser Republik als die, die sich derzeit in der Regierung darstellen.
({5})
Franz Josef Strauß hatte noch einmal, zum letztenmal, mit gewaltigen Kraftakten das Magnetfeld hergestellt, um das sich ein mehrheitsfähiges konservatives Lager gruppieren konnte. Er war der Agitator, mit dem die alte, die überholte Rechts-Links-Polarisierung der Gesellschaft noch ein letztesmal funktionieren konnte, die sich mit der Idee der sogenannten geistig-moralischen Wende des Jahres 1983 zum letztenmal die Hegemonie in diesem Land eroberte. Aber das ideologische Gebäude, das CDU-Mehrheiten in der Vergangenheit immer sicher garantiert hat - mit seinen Säulen Antikommunismus, Sicherheitsstaat, Leistungsgesellschaft, Wertegemeinschaft des Westens, Wirtschaftsexpansion und patriarchalische Familienstruktur - , bekommt überall Risse und Sprünge. Geißler hat das gemerkt, Biedenkopf hat das gemerkt, Späth hat das gemerkt, Rita Süssmuth hat das gemerkt - nur der Kanzler offensichtlich noch nicht. Der meint immer noch, mit dem Schreckensgebilde rot-grüne Koalition die Leute ängstigen zu können, was längst nicht mehr der Fall ist.
Der Grund ist nämlich einfach: Die Menschen wollen wirklich etwas Neues. Die alten Ängste binden nicht mehr. Den alten Heilslehren Ihrer Zeit laufen die Gläubigen weg.
Mit ihrem lautstarken Unwillen regieren die Menschen ja schon heute am Kabinettstisch mit.
Vor der Opposition steht damit eine ganz andere Aufgabe, als sich nur mit einer Regierungsmacht auseinanderzusetzen. Unsere Aufgabe - die ist durchaus schwer - ist, aus dem, was sich zunächst nur als Verlust der Glaubwürdigkeit und als Anforderung, sich den wirklich zentralen Fragen der Zeit zuzuwenden, ausdrückt, eine neue gesellschaftliche Mehrheit zu machen, die Vertrauen in ihre eigene Kraft hat.
Deshalb ist die heutige Situation ähnlich der im Jahre 1969. Es geht um eine neue gesellschaftliche Mehrheit, die dann auch eine andere Regierung trägt. Es geht um so etwas wie einen großen politischen Wurf, nicht nur um Krisenmanagement, sondern um die utopische Qualität einer neuen Politik. Diese neue Politik kann nur eine rot-grüne Politik sein, und das ist mehr, viel mehr als nur eine rot-grüne Regierung. RotGrün ist rechnerisch möglich, aber die Parteien sind noch nicht soweit.
An dieser Stelle ist, glaube ich, ein Wort an die Sozialdemokraten fällig. Herr Vogel, ich weiß nicht, ob Sie ganz gut beraten waren, auf die Krise dieser Regierung zu antworten, indem Sie einerseits gesagt haben, sie betreibe Themenklau bei den Sozialdemokraten, und die Lage andererseits als eine Art nationalen Notstand dargestellt haben. Das ist es, meine ich, gerade nicht. Es ist nichts anderes als ein Durchgangsstadium zu etwas Neuem.
Ich finde, Sie sollten auch nicht so ein sorgenvolles Gesicht machen, wenn Sie an rot-grüne Bündnisse
denken, für die Sie dann die Sicherheitsgarantien und die Verantwortung übernehmen würden.
({6})
Ein rot-grünes Bündnis ist nämlich etwas ganz anderes als eine Ihnen vom Schicksal und von den Wählern auferlegte Fron.
({7})
Es ist nicht das Ersetzen der christdemokratischen Würgerei durch die rot-grüne Stoppelei, nein, es ist eine durchaus faszinierende Perspektive.
({8})
Viele Leute in diesem Land würden tief aufatmen, wenn es endlich so weit wäre. Und jeder weiß, daß es in etlichen Redaktionsstuben schon ein neues Gesellschaftsspiel gibt, nämlich dafür Köpfe zusammenzupuzzeln. Dieses Gesellschaftsspiel hat eine utopische Qualität. Es besagt nämlich: Die Politik wird wieder spannend.
Den Spaß daran werden wir noch brauchen; denn natürlich ist ein solches Bündnis einem ungeheuren Druck ausgesetzt, einem Druck z. B. von seiten der Amerikaner - man kann das jetzt an Herrn Genscher sehen - , weswegen sie auch vorbeugend einen ihrer härtesten Strategen als Botschafter nach Bonn geschickt haben; einem Druck aber auch von seiten der Wirtschaft, obwohl es an diesem Punkt ja bereits ein ahnungsvolles, vorausschauendes Zeichen der undogmatischen Weitsicht der Konzernherren gibt - sie haben, eine solche Mehrheit schon vorausahnend, ganz offen mit dem Scheitern des Projekts Wackersdorf gerechnet und sich darauf eingerichtet -;
({9})
einem Druck auch von seiten der NATO-Strategen, die sich für die Tiefflüge und die Manöver dann ein anderes Terrain suchen müssen und auch mit einer deutlichen Reduzierung der Bundeswehr rechnen müssen. Das alles werden große Probleme werden, aber wir werden sie lösen können, wenn wir uns auf die wirklich zentralen Aufgaben einer solchen anderen gesellschaftlichen Mehrheit konzentrieren. Davon will ich jetzt die wichtigsten aufzählen.
Erstens. Es ist überfällig, daß es von uns eine qualifizierte Antwort auf die Entwicklung in der Sowjetunion und in den osteuropäischen Staaten gibt.
({10})
Nur eine rot-grüne gesellschaftliche Mehrheit kann angemessen und weitsichtig auf das antworten, was es an faszinierenden Entwicklungen im Bereich des Warschauer Pakts gibt. Der 25. April war bereits ein historischer Tag. Mit dem Rückzug der Truppen aus Ungarn hat Gorbatschow seinen Worten Taten folgen lassen. 500 000 Mann - die gesamte Stärke der Bundeswehr - wird er in den nächsten Jahren von fremden Territorien abziehen. Das sind vertrauenschaffende Maßnahmen, die niemand mehr in Frage stellen kann.
Unsere Aufgabe wird es sein, darauf mit einem Paket von Vorschlägen zu antworten, die gleichzeitig uns helfen und die Erfolgsaussichten des Gorbatschow-Kurses und der Demokratisierung in Polen und anderswo verbessern. Es kann uns doch nicht gleichgültig sein, ob die Falken im Kreml durch die Anti-Reaktion der NATO Aufwind bekommen. Es wird keine Modernisierung der Lance-Raketen geben, nicht 1990, nicht 1992, nicht 1996.
({11})
Es muß eine Einstellung der Tiefflüge geben. Manöver und Zivilschutzübungen, die nach den Gesetzen der alten Weltordnung geplant sind, sind „out of time". Es gibt eine dringende Notwendigkeit von wirtschaftlichen Kooperationen zur ökologischen Gestaltung des europäischen Hauses.
Kernpunkt des Ganzen sollte ein System von Friedensverträgen sein, die den Polen eine Sicherheit ihrer Grenzen geben, der DDR eine definitive Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit gewähren und revanchistischen und rechtsradikalen Bestrebungen hier bei uns eine definitive Absage erteilen,
({12})
indem sie endlich, 44 Jahre nach Beendigung des Krieges, das Ergebnis dieses Krieges festschreiben
({13})
und so zur Chance einer neuen Durchlässigkeit der Systeme führen. In Abwandlung eines dieser unvergleichlichen Kanzlerworte muß hier die Parole heißen: Machen wir die Realität endlich zur Wirklichkeit!
Ein solches Friedensvertragssystem muß auch endlich die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter
({14})
in Polen und in der Sowjetunion angehen. Das ist eine weit bessere finanzielle Hilfe als zweifelhafte Kreditabkommen.
Zweitens. Eine rot-grüne Mehrheit muß die gigantische soziale Umverteilung, die diese Regierung vorgenommen hat, rückgängig machen.
({15})
Die Menschen verstehen nämlich etwas vom Prinzip der Gerechtigkeit, das keine Regierung ungestraft außer acht lassen darf. Gerechtigkeit in der Sozialpolitik ist etwas anderes als das Wachsen der Sozialbürokratie und das Modell eines zugleich autoritären und umfassend den Bürger versorgenden und verwaltenden Staates, woran die letzten Jahre der sozialliberalen Koalition gekrankt haben. Das Prinzip der Gerechtigkeit heißt, daß nicht zuerst an den Alten, den Behinderten, den kleinen Renten, den NS-Opfern, den alleinerziehenden Müttern und Vätern, den Auszubildenden, den Arbeitslosen und an der Zukunft unserer Kinder gespart werden darf. Es wird ein sozialökologisches Investitionsprogramm gegen die Arbeitslosigkeit geben müssen, und wir werden ein Energiespargesetz haben sowie ein Naturschutzgesetz,
({16})
konsequenter als das, was Herr Töpfer jetzt scheibchenweise aufgegeben hat. Wer so baden geht, Herr Töpfer, der nimmt besser außer der Badehose auch noch gleich seinen Hut.
({17})
Sagen Sie nicht, das sei ein Opfer für die Bauern; die fürchten nämlich die EG und nicht länger die Naturschützer.
({18})
Eine rot-grüne Mehrheit in der Bevölkerung ist auch deswegen ein so spannendes Bündnis, weil es zum erstenmal einen echten Kompromiß zwischen der klassischen sozialen Bewegung, der Arbeiterbewegung, und den neuen sozialen Bewegungen, der Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegung, versuchen müßte.
Das wird Reibungspunkte geben, z. B. wenn es um die schmerzliche Entscheidung zwischen ökologisch sinnvoller Produktion und Arbeitsplatzerhalt geht. Aber dieser Schmerz lohnt sich.
({19})
Ich halte nichts davon, diesem Schmerz mit dem allzu wendigen Oskar Lafontaine dadurch auszuweichen, daß die Tradition der Arbeiterbewegung allzu leicht weggekickt wird und man sich ein neues Zentrum sucht: die technische Intelligenz des Mittelstandsbourgeois.
Drittens. Eine rot-grüne gesellschaftliche Mehrheit wird ihre schwerste Belastungsprobe im Bereich des Inneren bestehen müssen. Die größte Zumutung wird darin bestehen, daß wir den Menschen mehr Freiheiten zumuten und damit manches traditionelle Sicherheitsbedürfnis eben nicht befriedigen. Das ist das Risiko und die Chance radikaldemokratischer Politik, daß sie den Menschen mehr Konflikte zumutet, z. B. im Umgang mit den Ausländern.
Einer der größten Fortschritte in dieser Republik war der, daß wir längst eine multikulturelle Gesellschaft waren und so gelebt haben, bevor wir anfingen, darüber zu reden.
({20})
Eine der erfreulichsten Kulturrevolutionen, die bei uns stattgefunden haben, ist die, daß die Frauen unaufhaltsam in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens ihren Platz in der ersten Reihe behaupten.
({21})
Das stellt den Männern gewaltige Emanzipationsaufgaben mit ungeheuren Entfaltungsmöglichkeiten. Auch die Politik wird anders, wenn Sie, meine Herren, in der einen Hand das Staubtuch und in der anderen das Mikrophon halten.
({22})
Wir werden auch ein paar alte Gespenster austreiben müssen, z. B. den Geist von Herrn Zimmermann.
Der grübelt zwar jetzt in seinem neuen Amt wahrscheinlich über Präventivhaft für Geisterfahrer, aber symbolisch war es doch, daß seine Artikelgesetze am Anfang der Regierungsumbildung standen.
Symbolisch war auch der liberale Offenbarungseid der Freien Demokraten bei dem Vermummungsverbot und bei der Kronzeugenregelung.
({23})
Ohne Not und wider besseres Wissen haben Sie von der FDP eines der wertvollsten Prinzipien liberaler Rechtsstaatlichkeit über Bord geworfen, daß nämlich im Rechtsstaat nicht die Gesinnung, sondern die kriminelle Tat bestraft wird. Dieses Opfer wird sich, glaube ich, für die FDP sehr schlecht auszahlen. Wofür, frage ich Sie, braucht man Liberale, wenn Sie im Bereich der Innenpolitik - ausgerechnet da - zu Kreuze kriechen?
({24})
Ich weiß wohl, daß hier eine Güterabwägung zwischen den Erfolgen von Herrn Genscher in der Außenpolitik durch Fortsetzung der sozialliberalen Linie - den Mut erkennen wir durchaus an - und der Null-Option von Herrn Engelhard im juristischen Bereich stattgefunden hat. Aber ich fürchte, dieser Kuhhandel wird Sie teuer zu stehen kommen. Er mißachtet nämlich, daß es auf Dauer keine liberale Außenpolitik geben kann, wenn dafür Liberalität im Innern geopfert wird.
({25})
Ein einziges Mal in diesen Tagen hätte ich gern einmal rot-grüne Regierung gespielt,
({26})
nämlich im Umgang mit dem Hungerstreik der RAF.
({27})
Hätte es in dieser Zeit eine rot-grüne Regierung gegeben, so hätten wir nicht noch einmal dieses Affentheater von Druck und Gegendruck, von Handlungsunfähigkeit und Bewegungslosigkeit durchgemacht. Ich verspreche Ihnen, wir hätten die Gefangenen mit humanen Haftbedingungen geradezu „malträtiert" und eine großzügige, menschliche und politische Regelung gefunden, die klug und deeskalierend gewesen wäre. Wir müssen doch nicht ohne Not immer und immer wieder die alten Fehler begehen.
({28})
Meine Schlußbemerkung lautet: Es wird wahrscheinlich spannend in dieser Republik.
({29})
Die jetzige Regierung hat ihre Mehrheit bereits verloren. Wir haben unsere Mehrheit und das Vertrauen darauf, daß wir kluge und überlebenstüchtige Politik machen, noch nicht gewonnen. Aber es wird diese neuen rot-grünen gesellschaftlichen Mehrheiten geben. Irgendwann muß das ökologische Zeitalter ja einmal beginnen. Warum sollte dies nicht schon ganz bald der Fall sein? Das Überschießende, das Visionäre
bei dieser Perspektive wird, glaube ich, nicht aus den roten, sondern aus den grünen Elementen kommen.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manche Menschen werden durch Schaden klug. Sie, Herr Bundeskanzler, erwecken heute in mir den Eindruck, als ob Sie durch Schaden schlau werden wollten. Das aber wird den Widerspruch nicht aufheben, der zwischen der Wirklichkeit unserer Lage und der Realität Ihrer Regierungspolitik besteht.
({0})
Nachdem die von Willy Brandt eingeleitete Ost- und Entspannungspolitik, die die Unionsparteien verbiestert bekämpft haben, durch Michail Grobatschow einen neuen Schub bekommen hat, besteht die Möglichkeit, von Gewaltverzicht zur gemeinsamen Sicherheit, von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zur Gesellschaftsreform, von den humanitären Fragen zur Verwirklichung der Menschenrechte, kurz: von der Helsinki-Schlußakte zu einer neuen europäischen Friedensordnung zu kommen.
({1})
Das erfordert vom Westen mutige, vorwärtsweisende Antworten auf Gorbatschows Angebote und von der Bundesrepublik entsprechende Initiativen. Darin sind wir uns mit dem Außenminister einig, dem ich für seine heutige Rede ausdrücklich danken möchte.
({2})
Das Bedrückende, Herr Bundeskanzler, an der Situation ist, daß diese Bundesregierung, statt Europa Schrittmacherdienste zu leisten, seit Jahren in einem Koalitionshickhack über alle diese Fragen verwickelt ist. In diesem Dauerstreit hat der Außenminister zwar - übrigens nicht zuletzt dank der besonnenen Unterstützung durch uns Sozialdemokraten - Boden gewonnen. So kommen wir im Verhältnis zu Polen, zu Ungarn, zur Sowjetunion langsam, aber sicher voran.
Herr Bundeskanzler, Ihre heutige Regierung zeigt aber auch, daß Sie selbst dort, wo Sie sich bewegen, meist in Halbheiten steckenbleiben. Ich fange mit der in der Koalition und im Bündnis nach wie vor umstrittenen Frage der Produktion neuer amerikanischer Nuklearraketen und ihrer Stationierung auf deutschem Boden an. Sie haben über Ihr dauerndes taktisches Gerangel inzwischen offenbar die Grundfrage vergessen, um die es geht, die Frage nämlich, ob die geltende NATO-Strategie der flexiblen Antwort, die gegenüber einem unterstellten überlegenen konventionellen Angriff des Warschauer Pakts einen nuklearen Erstschlag des Westens vorsieht, den westeuropäischen, insbesondere den deutschen Sicherheitsinteressen noch gerecht wird. Die Antwort darauf muß lauten: Nein. Diese Strategie - der Außenminister hat es ja gesagt -, die aus atomaren Abschreckungswaffen Kriegsführungswaffen gemacht hat, würde im Ernstfall gerade das zerstören, was geschützt werden
Dr. Ehmke ({3})
soll. Den erneuten Beweis dafür hat gerade die WINTEX-Übung 1989 erbracht, die ja auch Ihnen, Herr Bundeskanzler, ganz offenbar Sorgen bereitet hat und noch bereitet. Wir Sozialdemokraten werden darauf in den Ausschüssen und im Plenum noch zurückkommen.
Daher fordern wir Sozialdemokraten seit langem zunächst einmal eine Überprüfung der Bedrohungsanalyse. Die NATO-Annahmen über einen sowjetischen großen Überraschungsangriff auf Westeuropa werden immer irrealer.
({4})
Wir fordern sodann - und wir sind mit dieser Forderung, wie gerade die einseitigen Maßnahmen des Warschauer Paktes zeigen, vor allem bei Michail Gorbatschow auf Gehör gestoßen - den Abbau von Asymmetrien in Rüstung und Streitkräften sowie deren Reduzierung, Umstrukturierung und Redislozierung. In Wien haben die Verhandlungen darüber begonnen. Ihr Ziel muß die Herstellung einer sicherheitspolitischen Stabilität sein, in der die Streitkräfte beider Seiten zwar zur Verteidigung ausreichend, aber zum Angriff nicht mehr fähig sind.
({5})
Herr Bundeskanzler, selbst nach geltender NATO- Doktrin entfiele dann die Notwendigkeit einer den nuklearen Ersteinsatz der NATO umfassenden Strategie der flexiblen Antwort. Diese Strategie verdient ihren Namen allerdings ohnehin nicht; denn sie ist keineswegs flexibel. Sie führt, wie eine Übung nach der anderen zeigt, zu einem schnellen, zu einem frühen nuklearen Ersteinsatz des Westens.
Bei einem solchen Ersteinsatz würde es sich keineswegs, wie oft behauptet wurde, um einen Warnschuß handeln, sondern um die Auslösung eines Nuklearkrieges, den die Großmächte - was ich aus ihrer Sicht durchaus verständlich finde - dann auf Europa zu beschränken suchen würden.
({6})
Auch das hat die diesjährige WINTEX-Übung noch einmal gezeigt.
Wir Sozialdemokraten fordern daher weiter, daß in dem von Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow ins Auge gefaßten Prozeß des Abbaus von Atomwaffen, parallel zur Entwicklung einer Strategie der gemeinsamen Sicherheit, Atomwaffen aus ihrer Kriegsführungsrolle in Europa herausgenommen,
({7})
auf ihre politische Abschreckungsfunktion zurückgeführt und in dieser Funktion schrittweise abgebaut werden.
({8})
Der Abbau taktischer Nuklearwaffen muß im Zusammenhang mit der Herstellung konventioneller Angriffsunfähigkeit gesehen werden. Aber das eine darf nicht auf das andere warten, zumal im Bereich der Atomartillerie einseitige Maßnahmen des Westens und im Bereich atomarer Kurzstreckenraketen einseitige Maßnahmen des Warschauer Paktes als geboten erscheinen.
({9})
Über beide Fragen kann getrennt verhandelt werden, sie müssen aber im Zusammenhang gesehen und beurteilt werden.
Betrachtet man den vom Bundeskanzler heute vorgetragenen Koalitionskompromiß im Lichte dieser grundsätzlichen Fragestellung, so ergibt sich folgendes: Die Regierungskoalition fordert ebenfalls Verhandlungen, was wir begrüßen. Wir hätten uns allerdings, Herr Waigel, eine weniger kompromißhafte Formulierung gewünscht. Wir wollen diese Verhandlungen unverzüglich, ohne weiteres Herumtaktieren.
({10})
Wir werden die Bundesregierung also insoweit nicht nur unterstützen, sondern sie auch zu Klarheit und Entschiedenheit ermutigen.
Ich verspreche Ihnen: Wir werden unsererseits auch alles tun, um allen Verbündeten klarzumachen, was sie in diesem Volk anrichten würden, wenn sich die NATO den Verhandlungen, zu denen sich die Sowjets bereit erklärt haben, verweigern würde.
({11})
Was das Ziel der notwendigen Verhandlungen betrifft, ist Ihr Kompromiß ebenfalls nicht eindeutig. Nach dem, was ich zum Grundsätzlichen ausgeführt habe, müssen wir die vollständige Beseitigung taktischer Nuklearwaffen beider Seiten in Europa anstreben. Es würde uns nicht helfen, uns nur auf ein bißchen nukleare Kriegführung zu beschränken. Die Beschränkung auf Obergrenzen, die unter den heutigen Stärken liegen, könnte ein Zwischenschritt zu einer dritten Null-Lösung sein. Die Erfahrungen der INF- Verhandlungen zeigen allerdings, Herr Bundeskanzler, daß Verifikationsgesichtspunkte eindeutig für eine direkte Null-Lösung sprechen;
({12})
denn eine direkte Null-Lösung ist wesentlich einfacher zu verifizieren als die Einhaltung von Obergrenzen.
Da sich die Sowjets auch zu einer dritten NullLösung bereit erklärt haben, muß das parallel zu den Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa am Verhandlungstisch getestet werden. Die Union und die Koalition dürfen in dieser Frage nicht weiter herumtaktieren.
Auch die Frage neuer nuklearer Kurzstreckenraketen mit europäischen Reichweiten - darum geht es nämlich wirklich - haben Sie nur taktisch behandelt. Sie erklären die Entwicklung solcher Waffen zu einer nationalen amerikanischen Angelegenheit und versuchen, die Entscheidung über Produktion und Stationierung auf unserem Boden bis hinter die Bundestagswahl zu schieben. Nicht Einsicht, sondern lediglich Angst vor dem Wähler hat insoweit das Verhalten der Union bestimmt.
({13})
Dr. Ehmke ({14})
Wir Sozialdemokraten halten diese Aufrüstungspläne und das Gerangel um sie schon darum für unverantwortlich, weil sie den Prozeß der Entspannung, der Abrüstung und des Ausgleichs zwischen den Pakten belasten müßten, ja gefährden können. Außerdem hat die Erfahrung doch zur Genüge gezeigt - man braucht sich die ebenso „gleichgewichtigen" wie wahnwitzigen Overkill-Kapazitäten beider Seiten ja nur noch einmal ins Gedächtnis zu rufen - , daß wir Sicherheit nur durch mehr Abrüstung und nicht durch einen weiteren Rüstungswettlauf mit immer neuen Waffensystemen erreichen können.
({15})
Eine klare Position in diesen Fragen, Herr Bundeskanzler, ist zum einen wegen des Bündnisses erforderlich. Die jetzigen Schwierigkeiten mit Washington, Herr Bundeskanzler, sind doch auch eine Folge Ihres jahrelangen Herumtaktierens.
({16})
Es reicht nicht aus, sich des Vertrauens der amerikanischen Freunde zu berühmen. Man muß es auch immer wieder herstellen.
Klarheit ist auch wegen der weiteren Akzeptanz des Bündnisses und der Bundeswehr in unserem Volk erforderlich. Wie sehr die Unklarheiten über Sicherheitspolitik, Bündnisstrategie und Auftrag der Streitkräfte die Bundeswehr belasten müssen, liegt auf der Hand. Das hat sich ja gerade wieder gezeigt, wenn Zivilstellen einfach nicht mehr das mitspielen, was als Übungsszenarium vorgegeben wird, weil sie das für selbstmörderisch halten. Herr Bundeskanzler, wo sollen denn da Vertrauen und Konsens herkommen?
({17})
Ich sage für uns Sozialdemokraten: Wir brauchen das Bündnis und wir brauchen die Bundeswehr weiterhin. Wer den insoweit bestehenden Konsens zerredet, schadet beiden.
({18})
Beiden schadet aber auch, wer in überholten Vorstellungen, ja Schablonen verharrt, statt das Bündnis in Politik, Strategie und Doktrin, in der Struktur seiner Streitkräfte und in der Art seiner Bewaffnung so fortzuentwickeln, daß es den neuen Wirklichkeiten gerecht wird und neue Glaubwürdigkeit und neue Zustimmung bei unseren Bürgern und Bürgerinnen gewinnen kann.
Das ist übrigens auch für das Selbstverständnis und das Selbstbewußtsein der Bürger in Uniform entscheidend, die in der Bundeswehr Dienst tun. Denn wer dient schon gern, wenn er nicht weiß, wozu.
({19})
Immer wieder sagen uns z. B. Jugendoffiziere, daß mit dem, was insoweit von der Hardthöhe kommt, junge Wehrpflichtige nicht mehr zu motivieren sind. Das als Schlappheit oder gar Neutralismus abzutun, zeigt nur, daß man die Probleme der Bundeswehr und der Menschen in der Bundeswehr nicht ernst nimmt.
({20})
Überhaupt - das gilt auch für die sozialen und familiären Fragen - wäre es gut, wenn wir auch in der Sicherheitspolitik uns etwas mehr um die Menschen und nicht immer nur um neue, immer perfektere und immer teurere Waffensysteme sorgen würden.
({21})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein. - Wenn ich von diesem Sich-Kümmern und Sich-Sorgen spreche, meine ich sowohl die Menschen in der Bundeswehr wie die Menschen, die unter Tiefflug und Manövergrößenwahn leiden.
({0})
Herr Bundeskanzler, Sie haben die objektiv schwierige Lage der Bundeswehr dadurch verschärft, daß Sie lauter Fehlentscheidungen in bezug auf die Bundeswehr getroffen haben, angefangen mit den Personalentscheidungen. Es war falsch, Wörner nach der Kießling-Affäre zu halten. Es war falsch, Scholz 'raufzuschicken. Und es ist auch falsch, Herrn Stoltenberg nun deren Erbe antreten zu lassen.
({1})
- Dazu komme ich gleich. Keine Sorge!
Ich sage: Sie werden auch das Auseinanderlaufen von Personal-, Rüstungs- und Finanzplanung bei der Bundeswehr nicht mit Durchhalteparolen aufhalten können. Sie müssen sich an die Umstrukturierung der Bundeswehr machen, statt sie aufzuschieben.
({2})
Zu dem Thema, das die FDP anschneidet: „Wehrdienstverweigerer und Aufruf der Gewerkschaften", muß ich folgendes sagen: Das Übelste, was wir im Bereich der Bundeswehr und der Glaubwürdigkeit von Politik erlebt haben, war jene Mischung von Opportunismus und Dilettantismus, mit der Sie die Fragen des Wehrdienstes und des Ersatzdienstes behandelt haben.
({3})
Ich sage der FDP dazu: Die Rolle, die Graf Lambsdorff dabei gespielt hat, hat mich davon überzeugt, daß er der Aufgabe eines FDP-Vorsitzenden nicht gewachsen ist.
({4})
Ich sage Ihnen: Sie werden Ihre Pleite bei der Verlängerung des Wehrdienstes nicht durch die Parole „Aussetzen statt Aussitzen" ändern können.
({5})
- Ich komme ja dazu. Ein Informationsminister sollte größere Gelassenheit an den Tag legen, Johnny Klein.
Dr. Ehmke ({6})
Ich sage der FDP dazu noch einmal: Sie glauben doch nicht, daß Sie von diesem für mich wirklich üblen Versagen gegenüber den Wehrdienstpflichtigen durch mutwillige Angriffe auf die Gewerkschaften
({7})
oder dadurch ablenken können, daß Sie nun Leute angreifen, die den Wehrdienst aus ihrer pazifistischen Gesinnung heraus, die ich nicht teile, überhaupt verweigern.
({8})
Das ist ein übles Ablenkungsmanöver der FDP, die damit von ihren eigenen Fehlern ablenken will.
({9})
Das Ganze kann man sehr einfach zusammenfassen: Auch in diesem Bereich, in dem Bereich von Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Bundeswehr, braucht und will unser Volk eine neue Politik und eine andere Regierung.
({10})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Beratungen bis 14 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem verbliebenen Rest der Opposition möchte ich sagen, wobei ich Verständnis dafür habe: um 14 Uhr kann man noch nicht vollständig da sein
({0})
- das läßt sich schon sehen, und hier rücken noch einige nach -, es sind nicht die Schlechtesten von der SPD, die hier sitzen.
({1})
Heute vormittag hat Herr Vogel - auch Sie werden das wahrscheinlich noch tun - Korrekturen kritisiert. Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, wer seine ganze Politik über Bord geworfen hat, der sollte nicht über Korrekturen bei anderen sprechen oder richten.
({2})
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben doch 1982 und danach abgeräumt; Sie haben doch alles über Bord geworfen: die ganze Sicherheitspolitik, Energiepolitik und Finanzpolitik.
({3})
Die meisten von Ihnen können ihrem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt ja gar nicht mehr in die
Augen sehen. In welch diametralem Gegensatz steht
das zu dem, was Sie unter ihm mitverantwortet haben.
({4})
Ich hätte dem Herrn Kollegen Vogel ganz gerne etwas gesagt:
({5})
Das Problem der Gruppierungen ganz rechts und ganz links erstreckt sich bei der SPD auf beide Bereiche. Bei der SPD ist es nicht nur die mangelnde Abgrenzung nach ganz links, die für die Demokratie und für den Staat mehr als problematisch ist, sondern die SPD verliert auch nach ganz rechts. Man sollte sich einmal die Leserbriefe der IG-Metall-Zeitschrift durchlesen und analysieren, was gerade aus dem Arbeitnehmerbereich, der bisher SPD gewählt hat, an Reaktionen da ist. Das hat mit Zweidrittelgesellschaft doch überhaupt nichts zu tun - einem der Schlagworte, mit denen die Opposition heute Stimmung machen möchte.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bitte dafür um Verständnis. Auch Kollege Vogel hat das nicht getan, obwohl er länger gesprochen hat.
({0})
- Ich respektiere das, Herr Vogel; aber dann müssen das Ihre Stellvertreter auch respektieren.
({1})
Zu Wackersdorf. Herr Kollege Vogel, waren Sie eigentlich von 1976 bis 1979 nicht Mitglied der damaligen Bundesregierung? Haben Sie damals das Entsorgungskonzept, auch die Wiederaufarbeitungsanlage, mitgetragen? Haben Sie eigentlich gegen das remonstriert, was der damalige Bundeskanzler mit den anderen Ressortministern abgesprochen hatte?
({2})
Dabei hat natürlich eine Wiederaufarbeitung in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle gespielt. Dafür gab es vier Standorte. Nur, aus allen haben Sie sich verabschiedet.
({3})
- Nein, nein; das ist nicht wahr. Zu einem entscheidenden Zeitpunkt war auch Niedersachsen bereit, Verantwortung zu übernehmen.
({4})
- Herr Kollege Vogel, machen Sie doch bitte eines: Stellen Sie sich doch in Niedersachsen mit der ganzen SPD hin, und kämpfen Sie dort für die Entsorgung. Haben Sie das bisher getan? Hat das bisher der Herr Schröder getan? Mir jedenfalls ist davon nichts bekannt.
({5})
Nein, Sie polemisieren hier, fordern Mitverantwortung und versagen sie vor Ort. Das ist ein schäbiges Doppelspiel in der Politik, das wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({6})
Es ist auch kein guter Umgang, wie Sie mit sozialdemokratischen Kommunalpolitikern in Wackersdorf und in Schwandorf umgehen. Ich finde es schon unglaublich, wenn die Kollegen von Ihnen eine andere Meinung zur Kernenergie oder zur Wiederaufarbeitung vertreten, daß sie dann von Ihnen in dieser Form abgebürstet und apostrophiert werden.
({7})
Ich habe Respekt vor den Sozialdemokraten, die zu dem, was die sozialdemokratische Partei vor 10 oder vor 15 Jahren beschlossen hat, stehen.
({8})
Auf eines, Frau Kollegin Vollmer, von Ihnen wollte ich eingehen. Sie haben sich große Sorgen um Franz Josef Strauß gemacht
({9})
und Deutungen angestellt, warum er wohl nicht in eine Regierung eingetreten ist. Ich kann Ihnen nur sagen: 1966, in einer sehr schwierigen Situation, war Franz Josef Strauß bereit, Verantwortung zu übernehmen. 1982 hätte man ihm, wäre er in die Bundesregierung eingetreten, den Vorwurf gemacht, daß wenige Wochen danach eine Landtagswahl stattfindet. Er hat sich für das entschieden, wo er vorher angetreten war, Verantwortung übernommen hatte und damals auch in Bayern alle erwarteten, daß er diese Position und diese Aufgabe fortsetzt. Und: Er hat sich 1983 und 1987 beide Male sehr eingehend überlegt, ob er die Verantwortung in Bonn übernehmen sollte oder der Verantwortung in München mit bundesweiter Ausstrahlung und Einwirkungsmöglichkeit treu bleiben sollte, und er hat sich dafür entschieden.
({10})
Aber es gab nicht die Absage an die Verantwortung. Eines jedoch, Frau Kollegin Vollmer, hat er mit Sicherheit getan: in jedem Wahlkampf leidenschaftlich dafür gekämpft, daß Sie und Ihre Freunde von links die Mehrheit nicht bekommen haben.
({11})
Ein Wort noch zu dem, was Kollege Ehmke vor der Mittagspause gesagt hat. Er fordert sofortige Verhandlungen. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht halt nur mit den Bündnispartnern,
({12})
und mit den Bündnispartnern kann man nur dann sprechen und etwas von ihnen erwarten und verlangen, wenn man dort nicht jeden politischen Kredit verloren hat, wie es bei Ehmke und auch bei Ihnen, Herr Vogel, und der SPD der Fall ist.
({13})
Wenn Sie dann noch meinen, dort mit Ihrem neuen
rot-grünen Bündnis mit den Antworten, die Sie in Berlin gegenüber dem höchsten Repräsentanten unseres wichtigsten Bündnispartners gegeben haben, Aspekte gewinnen zu können, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie dort nicht ernst genommen werden. Drohungen helfen hier nicht; hier helfen nur Gespräche, und hier hilft Vertrauen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Bundestagswahlkampf 1983 und die innenpolitische Diskussion über den Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses stellte die SPD damals unter das Motto „im deutschen Interesse". Heute fordert der damalige Kanzlerkandidat der SPD eine dritte Null-Lösung im Rahmen der Ost-West-Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle, ohne den Verlauf der Abrüstungsgespräche überhaupt voraussehen zu können. Damit begibt man sich doch in eine Zwangsjacke und in eine Abhängigkeit von der Sowjetunion, ohne zu wissen, was in den nächsten Jahren oder im nächsten Jahrzehnt passieren wird.
({14})
- Nein. Ich spreche zu Ihnen. - Die SPD verkennt das gewaltige Übergewicht der konventionellen Streitkräfte des Warschauer Pakts, sie unterschätzt die Invasionsfähigkeit des Ostens, sie übersieht die friedenssichernde Funktion der Abschreckungsstrategie. Sie verfolgt damit eine Politik, die den deutschen Sicherheitsinteressen diametral entgegensteht. Die Schaffung unterschiedlicher Zonen, sei es im konventionellen oder im nuklearen Bereich, innerhalb der NATO kann nicht im deutschen Interesse liegen. Ziel der Verteidigungsanstrengungen des westlichen Bündnisses muß es sein, gleiche Sicherheit für die Bürger in Ottawa und Washington, in Rom und Bonn, in Kopenhagen und London zu schaffen.
Niemand kann das erdrückende Übergewicht des Warschauer Paktes im Bereich der konventionellen Streitkräfte leugnen.
({15})
Die einzige Sicherheitsgarantie gegen dieses Übergewicht, über dessen Abbau nunmehr verhandelt wird, bildet ein Mindestmaß an nuklearer Abschreckung. Wer für Westeuropa den einseitigen Verzicht auf diese existentielle Sicherheitsgarantie verlangt
({16})
- Sie z. B. - , stellt die politische Geschäftsgrundlage der NATO in Frage.
({17})
Wer heute von vornherein sagt, es wird nie zu einer Nachrüstung kommen, und nicht weiß, was aus 1 400 Raketen auf der anderen Seite wird, der leistet vor, ohne daß er weiß, wie sich die Dinge entwickeln, und handelt im Bereich unserer Sicherheitspolitik verantwortungslos.
({18})
Deshalb kommt eine Denuklearisierung Europas für uns nicht in Frage. Sie hilft uns nicht weiter, sie sichert den Frieden nicht. Da es keine erfolgverspre10334
chende Alternative zum Harmel-Bericht, also zur Verbindung von glaubwürdiger Abschreckung und realisitischer Entspannungspolitik, gibt, liegt es im deutschen Interesse, wenn zwischen Ost und West Verhandlungen über Kurzstreckenraketen mit dem Ziel gleicher Obergrenzen geführt werden.
({19})
Und hier müssen auch unsere Bündnispartner verstehen - was ja in der NATO auch schon diskutiert, beschlossen wurde - , daß diese Waffensysteme nur in Mitteleuropa stationiert sind und wir von ihnen in besonderer Weise betroffen und natürlich auch bedroht sind.
Für die konkrete Frage der Lance-Nachfolge bedeutet dies: Wichtigstes Ziel der Abrüstungsverhandlungen zwischen Osten und Westen muß es sein, das gravierende Übergewicht des Ostens im Bereich der konventionellen Streitkräfte abzubauen. Insbesondere auf der Grundlage der Ergebnisse der Wiener Verhandlungen wird die NATO im Jahre 1992 über die Produktion und die Stationierung des LanceNachfolgesystems entscheiden. Wie bei Pershing II und Cruise Missiles ist es ausschließlich Sache der Vereinigten Staaten, Entscheidungen über die Entwicklung und Erprobung eines solchen Systems zu treffen, wie auch die Sowjetunion ihre Kurzstreckenwaffen modernisiert hat. Doch nur auf der Grundlage einer entsprechenden rechtzeitigen Entscheidung der Vereinigten Staaten kann das Bündnis im Jahre 1992 über eine Produktion und Stationierung befinden. Wer - wie die Opposition im Deutschen Bundestag - den Schlüssel ausschließlich in der Raketenfrage sucht, der geht am Kern der Ost-West-Probleme vorbei. Der Schlüssel dieser Probleme liegt in den tiefersitzenden ideologischen Spannungen, wie sie sich konkret in der Teilung Deutschlands manifestieren.
({20})
Meine Damen und Herren, ich will auch noch zu einem anderen Punkt Stellung nehmen, auf den der Bundeskanzler eingegangen ist und der eine ganz besondere Herausforderung des freiheitlichen Rechtsstaates bedeutet. In gleicher Weise wie in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sich das politische Koordinatensystem der SPD im Bereich der inneren Sicherheit verschoben. Bezüglich der in den Hungerstreik getretenen RAF-Häftlinge werden Gespräche mit dem Ziel von Hafterleichterung, Zusammenlegungen und des Entgegenkommens bei Sonderwünschen der Inhaftierten und der Vermittlung zwischen Staat und Verurteilten verlangt. Während Herr Farthmann nach einigen Tagen gemerkt hat, was es bedeutet, wenn man der RAF die Möglichkeit gibt, den Rechtsstaat vorzuführen, indem er vor den verheerenden Wirkungen solcher - ich zitiere wörtlich - „Tarifverhandlungen mit den Terroristen" warnt, setzt der SPD-Ministerpräsident von Kiel, Herr Engholm, eben diese „Tarifverhandlungen" fort
({21})
und diskutieren die GRÜNEN, der Wunschkoalitionspartner der SPD, über ein Positionspapier zur Unterstützung aller Forderungen der „kämpfenden Gefangenen". Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Momper, hat dem freiheitlichen Rechtsstaat mit dieser Initiative einen schlimmen Bärendienst erwiesen.
({22})
Der Kollege Vogel fordert eine parteiübergreifende Beratung, wie Helmut Schmidt das in vergleichbaren Fällen getan hat. Herr Vogel, Helmut Schmidt hat damals den Krisenstab zur Rettung des Lebens von Hanns-Martin Schleyer eingesetzt und nicht zur Einräumung von Sonderrechten an Verbrecher. Das ist der große Unterschied.
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Wir lehnen eine Sonderbehandlung von RAF-Häftlingen und Privilegien für sie ab, zumal diese Häftlinge keinen Anlaß haben, sich über die Haftbedingungen zu beschweren.
({24})
Ich wiederhole das, was der Bundeskanzler gesagt hat: Unser Mitgefühl gilt nach wie vor und zuerst den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Wer redet noch über die?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition, die Regierung hat gerade mit der Verabschiedung des Artikelgesetzes zur inneren Sicherheit auf einem wichtigen Gebiet deutscher Politik ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
({26})
Sie wird dies auch bei der Lösung der vor uns liegenden Probleme im Ausländer- und Asylrecht, in der Energiepolitik, bei der Quellensteuer und bei der weiteren Umsetzung des Solidarvertrags für die deutsche Landwirtschaft tun. Die Christlich-Soziale Union wird hierzu ihren Beitrag leisten. Wir sind und bleiben ein verläßlicher Partner dieser Koalition.
Die Korrekturen bei der Quellensteuer - auf die ich anschließend noch eingehen werde - und bei der Wehrdienstverlängerung werden nun von der SPD als mangelnde Zuverlässigkeit der Bonner Koalition gewertet. Herr Kollege Vogel, auf die SPD und ihre grünen Koalitionspartner ist immer Verlaß, leider aber nur Verlaß auf ihre Unzuverlässigkeit. In Washington bekräftigt Herr Vogel die Übereinstimmung der SPD mit dem westlichen Bündnis, und in Bonn verlangt er einen Alleingang der deutschen Regierung in der Frage der Modernisierung. In Washington demonstriert Herr Vogel freundschaftliche Beziehungen zum neuen US-Präsidenten Bush, in Berlin erklären seine Zukunftspartner für eine Bonner Koalition Herrn Bush zur Persona non grata. Im Berliner Wahlkampf lehnt Herr Momper jegliche Koalition mit den GRÜNEN ab, um wenige Stunden nach Vorliegen der Wahlergebnisse eine Kehrtwendung um 180° vorzunehmen. In diesem Wählerbetrug manifestiert sich
({27})
die ganze politische Unzuverlässigkeit der SPD.
({28})
Das gleiche zeigt sich in der Energiepolitik und zeigt sich in Sachen Wackersdorf. Mit dem Projekt in Wackersdorf hat die Bayerische Staatsregierung ihre Bereitschaft erklärt, einen Beitrag zu dem unter einem SPD-Kanzler erarbeiteten und von allen Bundesländern mitgetragenen Entsorgungskonzept zu leisten. Die Initiative der VEBA, die weder mit der Bundesregierung noch mit der Bayerischen Staatsregierung abgestimmt war, die abgebrannten Kernelemente künftig ausschließlich in der französischen Anlage aufzuarbeiten,
({29})
bedarf sorgfältiger und rascher Prüfung. Die Bundesregierung wird bei den deutsch-französischen Gesprächen alle Aspekte prüfen. Ferner müssen Gespräche mit den an der DWK beteiligten Energieversorgungsunternehmen geführt werden. Auf dieser Grundlage wird das Bonner Kabinett eine Entscheidung treffen, die deutschen Interessen Rechnung trägt. Diese Entscheidung muß und wird baldmöglichst fallen.
Bei der VEBA-Initiative gilt es neben den wirtschaftlichen Vorteilen auch die Risiken zu bedenken, die sich aus einer Abhängigkeit unseres Entsorgungskonzepts vom Ausland,
({30})
aus der Preisgabe einer Hochtechnologie und dem Problem der Mitsprache bei der Festlegung internationaler Sicherheits- und Umweltstandards für Entsorgungsanlagen ergeben.
({31})
Daß darüber die SPD überhaupt nicht mehr nachdenkt, daß das alles für sie kein Thema mehr ist, das beweist, wie sehr sie sich aus der nationalen Verantwortung für Energie bereits abgemeldet hat.
({32})
Im Bundestag und in den Landtagen wettern Sie gegen einen unverantwortlichen Mülltourismus. Bei der Entsorgung der Kernkraftwerke sind Sie offensichtlich bereit,
({33})
einen solchen grenzüberschreitenden Tourismus hinzunehmen.
({34})
Von einigen Entwicklungsländern verlangen Sie - zu Recht - den Verzicht auf die Abholzung tropischer Regenwälder wegen deren Auswirkungen auf das Klima. Im Inland fordern Sie demgegenüber die Ersetzung der Kernenergie durch Kohle, obwohl der SPD und den GRÜNEN selbstverständlich die Auswirkungen der Verstromung fossiler Energieträger auf Klima und Umwelt bekannt sind.
({35})
- Ich trage hier Gesamtverantwortung.
({36})
Lieber Herr Vogel, Sie können Ihren Leuten vorschreiben, was sie sagen sollen oder nicht sagen sollen,
({37})
aber Sie werden mir nicht vorschreiben, was ich hier als Abgeordneter und als Bundesminister sage.
({38})
Eines ist jedenfalls sicher: Aus den einstigen Vorreitern im Kampf gegen das Waldsterben sind mittlerweile Kämpfer für ein Programm zur Beschleunigung des CO2-Effektes geworden.
({39})
Das ist Ihr Beitrag zum internationalen und globalen Umweltschutz!
Meine Damen und Herren, Verläßlichkeit im grundsätzlichen Kurs zahlt sich aus, auch wenn viele Bürger über die Notwendigkeit und die positiven Folgewirkungen unserer großen politischen Reformvorhaben bei der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der Lohn- und Einkommensteuer sowie der Organisationsstruktur der Deutschen Bundespost noch verunsichert sind.
({40})
Wir haben sowohl im März 1983 als auch im Januar 1987 ein eindeutiges Votum der Wähler erhalten. Wir haben bei den großen Reformvorhaben auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen. Die konkreten Auswirkungen, z. B. die bereits eingetretene Stabilität der Beitragssätze in der Krankenversicherung, verdeutlichen die Richtigkeit unserer Entscheidungen.
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Auch der wirtschaftspolitische Kurs stimmt. Das hat sich gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gezeigt. Mit dem Regierungswechsel vom Herbst 1982 wurde Abschied genommen von der Flut staatlicher Sonderprogramme, von der ausufernden Neuverschuldung, von der Ausweitung der Staatsquote, von den Versuchen - ({42})
- Da sagt jemand: „Da lachen ja die Hühner." Er hat ja selber gelacht. Ich muß ehrlich sagen: Ein Haufen Hühner kann finanzpolitisch nicht so viel Unsinn produzieren wie der Haufen, der im Moment über das lacht, was ich sage.
({43})
Denn Sie werden doch nicht bestreiten, daß der Anteil
der Nettokreditaufnahme am Bruttosozialprodukt
unter unserer Regierung entscheidend zurückgegangen ist.
({44})
Da kann man doch nicht sagen: „Da lachen ja die Hühner." Dann müssen Sie den Vorwurf schon an sich selber richten. Ich weiß nicht, mit welcher Tierwelt Sie sich hier identifizieren wollen. - Es ist uns jedenfalls gelungen, von den roten in die schwarzen Zahlen zu gelangen. Das war nur durch den Abschied der Roten von der Finanzpolitik möglich.
({45})
Die deutsche Wirtschaft befindet sich im siebten Jahr einer stetigen, auf den Kräften des Marktes beruhenden Aufwärtsbewegung. Nach den Prognosen der Konjunkturstrategen der SPD hätte mittlerweile nicht nur ein Einbruch, sondern hätten mehrere Einbrüche erfolgen müssen. Mit der Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen um eine Million konnte mittlerweile der in den letzten drei Regierungsjahren der SPD erfolgte Arbeitsplatzabbau wettgemacht werden. Trotz der geburtenstarken Jahrgänge, der verstärkten Erwerbstätigkeit der Frauen und des Zuzugs von Aussiedlern ist die Arbeitslosenquote inzwischen leicht rückläufig. Je nach Abgrenzung liegt die Quote bei 8,4 bzw. 7,5 %; nach dem Berechnungsverfahren der OECD liegt sie bei rund 6 %.
({46})
- Das hätten Sie gestern nachlesen können. Nachlesen! - In einigen Branchen und Regionen bestehen bereits erhebliche Engpässe im Facharbeiterbereich. Das Handwerk in Bayern spricht schon von einem katastrophalen Lehrlingsmangel. - Sie werden die Prognose, die die OECD amtlich herausgibt und die Sie gestern im Wirtschaftsteil der „FAZ" auf Seite 2 hätten lesen können, noch zur Kenntnis nehmen müssen, Herr Dreßler!
({47})
Das hätte ich eigentlich von jemandem, der in der SPD als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Sozialpolitik verantwortlich ist, erwartet.
Meine Damen und Herren, die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind in den vergangenen sieben Jahren um über 300 Milliarden DM gestiegen - und dies, ohne daß es zu einer Aushöhlung der Kaufkraft durch Inflation gekommen wäre.
Bei den Unternehmenserträgen hat sich eine grundlegende Wende zum Besseren vollzogen. Das war auch die Voraussetzung für die inzwischen kräftig steigenden Investitionen und für die Zunahme der Erwerbstätigenzahl. Sichere Arbeitsplätze gibt es nur in Unternehmen, die schwarze Zahlen erwirtschaften. Bei ihrer Kritik an der Entwicklung der Unternehmenserträge wären DGB und SPD gut beraten, die Zusammenhänge zwischen Verlusten und Arbeitsplatzabbau bei der Neuen Heimat und bei der Coop in Rechnung zu stellen.
({48})
- Sie, Herr Kollege Vogel, und Ihr Schatzmeister haben dies im Hinblick auf den „Vorwärts" noch vor sich.
({49})
- Ich freue mich nicht darüber, daß der „Vorwärts" stirbt. Schade um die Presselandschaft. Aber es spricht nicht für den Eigentümer, der offensichtlich durch Sie vertreten ist, daß das zustande gekommen ist.
({50})
Die Rahmenbedingungen für eine über 1990 hinausreichende Aufwärtsbewegung sind günstig. Wir haben eine ausgeprägte Investitionskonjunktur mit einer Rekordauslastung der Produktionskapazitäten. Das wird einen weiteren Beschäftigungsaufbau zur Folge haben. Nicht zuletzt dank des Binnenmarktprojekts hat die Investitionsquote den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht.
Die 1990 in Kraft tretende dritte Stufe unseres Steuerentlastungsprogramms führt sowohl zu einer weiteren Verbesserung der Angebotsbedingungen als auch zu einer Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. In diesem Zusammenhang werden wir unsere erfolgreiche Finanzpolitik fortsetzen.
({51})
- Ich bedanke mich für den Beifall.
({52})
Kontinuität in den Zielen und Konsequenz im Handeln, das sind unsere Leitlinien.
({53})
- Der Bötsch ist nicht mehr, was er war. Der ist mehr geworden. Dazu sollten wir ihm herzlich gratulieren.
({54})
- Herr Vogel, warten wir mal ab. Sie sind als Unterbezirksvorsitzender in München schon mit noch kleinerer Mehrheit gewählt worden.
({55})
Und ich muß dem hochverehrten Publikum mitteilen, daß er damals von einem gewissen Rudolf Schöfberger verjagt worden ist.
({56})
- Herr Kollege Huonker - ich habe es nicht richtig verstanden -, aber wenn Sie gesagt haben sollten, das sei das Beste in meiner Rede gewesen,
({57})
dann weiß ich nicht, ob Sie sich damit noch länger in der Fraktion sehen lassen können;
({58})
denn eines weiß ich: daß der Kollege Vogel das nicht übermäßig lustig findet.
({59})
- Man muß auch Finanz- und Steuerpolitik manchmal mit anderen Dingen garnieren.
Aber jetzt wieder zurück zur Ausgabendisziplin: Die ist nämlich notwendig, um den Staatsanteil und die Steuerbelastung zu senken. Ausgabendisziplin bedeutet die Verwirklichung ordnungspolitischer Grundsätze. Sie ist das klare Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit und zum schöpferischen Wettbewerb. Je stärker wir den Einfluß des Staates zurückdrängen,
({60})
um so mehr Spielraum schaffen wir für unternehmerische Initiative, für Schaffenskraft und den Leistungswillen unserer Mitbürger.
Wir werden klare finanzpolitische Prioritäten setzen. Ein ausgeglichener Staatshaushalt ist wünschenswert, aber kein absolutes Ziel. Wir müssen durch Sparsamkeit den Anstieg der Schulden und der Zinsausgaben begrenzen, weil wir sonst Schritt für Schritt finanzpolitischen Handlungsspielraum preisgeben würden. Die Zinsausgaben im Bundeshaushalt betragen heute schon rund 32 Milliarden DM. Über 20 Milliarden DM hiervon sind auf Kreditaufnahmen in der Zeit unter SPD-Finanzministern zurückzuführen. Wir müssen zumindest erreichen, daß der Anteil der Zinsausgaben an den gesamten Bundesausgaben nicht mehr zunimmt.
Darf ich vielleicht die Geschäftsführer bitten? Da leuchtet „eine Minute" auf, und damit werde ich nicht fertig.
Der Anteil des Finanzierungsdefizits aller öffentlichen Haushalte am Bruttosozialprodukt wird in diesem Jahr auf unter 2 % zurückgehen, nachdem es 1988 noch 2,5 % waren. Obwohl wir damit den niedrigsten Stand seit Anfang der siebziger Jahre erreichen, bleibt die Wachstumsdynamik ungebrochen. Nicht kreditfinanzierte Staatsnachfrage, sondern wachstumswirksame Reformen und verläßliche Haushaltspolitik erweisen sich als die wirkliche Grundlage wirtschaftlicher Expansion.
({61})
Im nächsten Jahr werden Steuerentlastungen von nahezu 20 Milliarden DM wirksam. Im Zusammenhang mit dieser umfassenden Steuersenkung wird auch der Kreditfinanzierungsbedarf der öffentlichen Haushalte für 1990 wieder zunehmen. Aber wirksame Steuerentlastungen sind die Grundlage für verstärktes Wachstum und damit auch für die dauerhafte Finanzierung der öffentlichen Aufgaben.
Wenn wir Steuern senken, investieren wir in die wirtschaftliche Kraft unseres Landes. Steuersenkungen rechtfertigen deshalb einen vorübergehenden Anstieg staatlicher Kreditaufnahme.
({62})
Der vereinbarte Verzicht auf die Quellensteuer wird uns zunächst Einnahmeausfälle bringen. Aber zugleich können wir bei wesentlich verbesserter Wachstumsdynamik mit erheblichen Steuermehreinnahmen rechnen, so daß die Nettokreditaufnahme nicht höher ausfallen wird. Darüber hinaus erreichen wir eine wesentliche Verbesserung der Kapitalmarktbedingungen und schaffen günstigere Voraussetzungen für niedrigere Zinsen und zusätzliches Wachstum und damit auch für die Haushaltsfinanzierung.
Wir beseitigen eine umstrittene Regelung, die vielen die Sicht auf die entscheidenden Vorteile der Steuerreform 1990 verstellt hat. Natürlich lassen sich solche Wirkungen nicht exakt in Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts quantifizieren. Aber wir werden die gesamtwirtschaftlichen Ziele der Steuerreform 1990 durch den Verzicht auf die Quellensteuer nach meiner Überzeugung besser erreichen.
({63})
Wir haben uns den Entschluß, die kleine Kapitalertragsteuer wieder abzuschaffen, nicht leicht gemacht. Die Unsicherheit bei den Bürgern und die Belastungen der Kapitalmärkte waren sehr stark geworden. Vor allem diejenigen Bürger, die schon bisher ihre Zinseinkommen ordnungsgemäß versteuert haben oder die nach geltendem Gesetz überhaupt nicht der Steuerpflicht unterliegen, haben mit Unverständnis und deutlicher Kritik auf die neuen bürokratischen Verfahren reagiert.
Besonders das sogenannte Nichtveranlagungsverfahren hat erhebliche Kritik ausgelöst.
({64})
Viele Sparer mit kleinen Guthaben schrecken vor dem bürokratischen Aufwand für eine Freistellung zurück und werden so durch die kleine Kapitalertragsteuer belastet, obwohl sie eigentlich gar nicht steuerpflichtig sind.
({65})
Das Nichtveranlagungsverfahren hat einen zu großen bürokratischen Aufwand bei Banken und bei der Finanzverwaltung verursacht,
({66})
ohne daß die Kleinsparer insgesamt wirksam von der Steuer freigestellt wurden. - Meine Damen und Herren, wenn ich hier vortrage, wo wir etwas korrigieren, das wir beschlossen haben, dann sollte es in einer Demokratie doch möglich sein, das zur Kenntnis zu nehmen. Sie können das ja kritisieren. Wenn Sie das begrüßen, wie Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, es
getan haben, dann sollten Sie das doch gelassen und dankbar zur Kenntnis nehmen und mich das hier auch ganz offen sagen lassen.
Es ist doch keine Schande, wenn man in einem solchen Zusammenhang auch einmal einen Fehler einräumt.
({67})
Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht nur die kleine Kapitalertragsteuer aufheben, sondern zugleich den Sparerfreibetrag verdoppeln.
({68}) - Wir würden lieber mehr tun,
({69})
aber das verursacht Kosten, die wir natürlich in der Finanzplanung genau überlegen müssen. Ich meine, die Verdoppelung - erstmals wieder eine Erhöhung seit 1975 - ist schon eine beachtliche Angelegenheit, mit der man sich sehen lassen kann.
({70})
Dadurch erreichen wir eine weitgehende steuerliche Freistellung kleiner Guthaben. Durch die Verdoppelung der Sparerfreibeträge werden bei einer Verzinsung von 5 % Geldvermögen von 14 000 DM bei Ledigen bzw. 28 000 DM bei Ehepaaren steuerlich nicht mehr belastet.
Die Aufhebung der kleinen Kapitalertragsteuer war auch notwendig, um erheblichen Kapitalverlagerungen ins Ausland entgegenzuwirken. Die Deutsche Bundesbank hat auf die Belastungen des deutschen Kapitalmarktes durch die kleine Kapitalertragsteuer hingewiesen.
Wenn wir jetzt auf diese kleine Kapitalertragsteuer verzichten, stärken wir den Kurs der Deutschen Mark an den internationalen Devisenmärkten. Ein fester DM-Kurs trägt nicht nur zur Stabilisierung des deutschen Zinsniveaus bei, sondern ist zugleich für den weiteren Abbau der internationalen Handels- und Leistungsbilanzungleichgewichte notwendig.
Wir werden so schnell wie möglich über die Einzelheiten bei der Abschaffung der kleinen Kapitalertragsteuer entscheiden. Niemand soll zu Unrecht Steuern zahlen. Bereits erhobene Kapitalertragsteuer auf Zinserträge wird mit der Einkommensteuer verrechnet oder zurückgezahlt. Erstattet wird auch die auf Kapitalerträge bei Lebensversicherungen erhobene kleine Kapitalertragsteuer.
Nach wie vor bleiben Kapitalerträge einschließlich der Zinserträge steuerpflichtig. Ich bin davon überzeugt, durch die Diskussion in den zurückliegenden Monaten ist auch das Bewußtsein der Bürger über diese Steuerpflicht gewachsen. Wir werden die Informations- und die Aufklärungstätigkeit in dem Bereich unverändert fortsetzen.
({71})
Bestehen bleibt auch die Steueramnestie. Wer seine Kapitalerträge nachgemeldet hat, muß auf diese Amnestie vertrauen können.
Wir werden nach den jetzt getroffenen Entscheidungen mit unseren Partnern in den anderen Mitgliedstaaten über die künftige steuerliche Behandlung von Kapitalerträgen in der Europäischen Gemeinschaft beraten. Bis jetzt gibt es innerhalb der Gemeinschaft keine Festlegung auf bestimmte Regelungen. Eine EG-Regelung für die Kapitalertragsbesteuerung ist auch keine rechtliche Vorbedingung für die Aufhebung der noch bestehenden Kapitalverkehrsbeschränkungen. Die Vorschläge der Kommission zur Einführung einer einheitlichen europäischen Kapitalertragsteuer sind in einer Reihe von Ländern, insbesondere in Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden und auch Dänemark, auf grundsätzliche Ablehnung gestoßen. Eine Annahme des Kommissionsvorschlages, die einstimmig erfolgen müßte, ist gegenwärtig nicht in Sicht. Es heißt in Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie über die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs: „Der Rat befindet über diese Vorschläge ...". Wir werden uns jetzt gemeinsam mit unseren Partnern in den anderen EG-Staaten um eine für alle Länder tragfähige Lösung bemühen.
Allerdings - das will ich hier in aller Klarheit feststellen - kommt für uns ein Kontrollmitteilungsverfahren nicht in Frage. Wir werden das Bankgeheimnis und das Vertrauensverhältnis zwischen den Banken und ihren Kunden schützen.
({72})
Ein Kontrollmitteilungsverfahren würde darüber hinaus noch erheblich mehr bürokratischen Aufwand erfordern als die vielfach kritisierte Quellensteuer.
Auch das von der SPD neuerdings vorgeschlagene Stichprobenverfahren ist für uns keine Lösung. Es würde das Vertrauensverhältnis zwischen Sparern und Banken erschüttern und so in noch erheblich größerem Umfang Sparkapital ins Ausland treiben.
({73})
Wir beraten zur Zeit auch über eine Modifizierung der im Steuerreformgesetz 1990 getroffenen Neuregelung für die Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 34 des Einkommensteuergesetzes. Um dem Mittelstand die im Zusammenhang mit dem EG- Binnenmarkt notwendigen Strukturveränderungen zu erleichtern, werden wir den Höchstbetrag für die ermäßigte Besteuerung betrieblicher Veräußerungsgewinne großzügiger bemessen als bisher vorgesehen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Steuerpolitik steht auch in den kommenden Jahren vor der Aufgabe, anhaltendes Wirtschaftswachstum in den 90er Jahren zu sichern und die Basis für zusätzliche Beschäftigung noch zu verbreitern. Um dies zu erreichen, werden wir in der nächsten Wahlperiode vor allem die Steuerentlastung der Unternehmen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen fortsetzen. Weitere Steuerentlastungen sind vor allem notwendig, damit die Bundesrepublik als Standort für Investitionen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleibt. Gerade im Zusammenhang mit der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraums bis zum Ende des Jahres 1992 müssen wir uns auf zunehmende Konkurrenz einstellen.
In vielen Industrieländern sind inzwischen die Steuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer spürbar gesenkt worden. Im internationalen Vergleich - das müssen wir registrieren - gehört die Bundesrepublik trotz der bereits verwirklichten erheblichen Entlastungen zu den Ländern, in denen die Steuerbelastung der Unternehmen mit am höchsten ist.
Wir werden sorgfältig über die notwendigen Schritte beraten. Entscheidend ist eine spürbare Nettoentlastung unternehmerischer Erträge, damit sich Investitionen in unserem Land lohnen und damit zusätzliche Arbeitsplätze vor allem in den Wachstumsbereichen geschaffen werden können.
Parallel zur Reform der Unternehmensbesteuerung werden wir uns auch mit der weiteren Entlastung des Existenzminimums und einer noch besseren Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen für Kinder befassen.
Wir haben in der Finanz- und Steuerpolitik in den letzten Jahren hervorragende Ergebnisse erzielt.
({74})
Wenn wir jetzt in ganz bestimmten eingegrenzten Bereichen bestimmte Korrekturen vollziehen, hat das nichts mit einer Kursänderung zu tun.
({75})
Wir wollen vielmehr das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen dauerhaft festigen, notwendige Reformen vorbereiten und so eine wichtige Voraussetzung für lang anhaltendes Wachstum sichern.
({76})
Meine Damen und Herren, ich bin mir dessen bewußt, daß ich mit dem Amt des Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland keine leichte Aufgabe übernommen habe. Es waren Persönlichkeiten aus allen Parteien, die sich in den letzten 40 Jahren der Verantwortung für den Staatshaushalt und für den sorgsamen Umgang mit den öffentlichen Mitteln gestellt haben. Unvergessen bei uns allen ist Fritz Schäffer, der mit acht Jahren am längsten das Amt des Finanzministers bekleidet hat. Von ihm haben wir gelernt, was Verpflichtung und Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bedeuten. Er hat eine Tradition deutscher Finanzminister begründet, die nicht auf Popularität oder Augenblickseffekte bedacht war.
Die Amtszeit meines unmittelbaren Vorgängers, unseres Kollegen und neuen Verteidigungsministers Gerhard Stoltenberg, war nur eineinhalb Jahre kürzer als die Amtszeit von Fritz Schäffer.
({77})
Er hat in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation Ende des Jahres 1982 die dringend notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen eingleitet und in den darauffolgenden Jahren konsequent vorangebracht.
({78})
Er hat entscheidenden Anteil an der umfassendsten
Steuerentlastung, die jemals in der Bundesrepublik
Deutschland verwirklicht worden ist. Wir haben allen
Anlaß, ihm für diese großartige Leistung herzlich zu danken.
({79})
Franz Josef Strauß hat zwischen 1966 und 1969 vor allem das Bewußtsein für die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der Finanzpolitik gestärkt. Zugleich war er - das gerät bisweilen in Vergessenheit - der letzte Finanzminister, dem es gelungen ist, ein erhebliches Finanzierungsdefizit im Bundeshaushalt in einen Überschuß zu verwandeln.
Die Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht nicht aus, um alle 13 Vorgänger im Amt des Bundesfinanzministers im einzelnen zu würdigen. Franz Etzel, Heinz Starke, Rolf Dahlgrün und Kurt Schmükker haben bis 1969 die von Fritz Schäffer begründete Tradition fortgesetzt. Auch die von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands benannten Finanzminister Alex Möller, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Hans Apel, Hans Matthöfer und Manfred Lahnstein haben sich bei allen Unterschieden in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bewertungen und Zielen bemüht, ihrer besonderen Verantwortung für unser Gemeinwesen gerecht zu werden.
Die Aufgabe des Bundesfinanzministers ist für mich eine besondere Verpflichtung. Ich werde mich mit vollem Einsatz und der ganzen Schaffenskraft der neuen Aufgabe stellen. Ich hoffe, Sie werden mich dabei ungeachtet der in einer parlamentarischen Demokratie notwendigen Meinungsunterschiede unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({80})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie von der Regierung haben so toll geklatscht. Ich muß Ihnen sagen: Zur Finanzpolitik habe ich hier nicht viel gehört. Ich bin schon eine ganze Weile Mitglied dieses Bundestages. Aber einen Bundesfinanzminister, der weniger als die Hälfte seiner Jungfernrede als Finanzminister auf die Finanzpolitik verwendet, habe ich noch nie erlebt. Ich habe das Gefühl, Herr Waigel, Finanzpolitik machen Sie nur im Nebenberuf. Ich hoffe, Sie haben von der CSU eine Nebentätigkeitsgenehmigung.
({0})
Meine Damen und Herren, vor der Osterpause wurde uns ein großer Befreiungsschlag angekündigt. Ich muß sagen: Auch im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik ist dieser vom Bundeskanzler angekündigte Befreiungsschlag ausgeblieben. Die Entlassung von Herrn Stoltenberg als Finanzminister ist nur das offene Eingeständnis, daß die Regierungskoalition mit ihrer Finanz- und Steuerpolitik auf Grund gelaufen ist.
({1})
Herr Stoltenberg, mit Respekt denke ich an manche Rededuelle zurück, die Hans Apel als finanzpolitischer Sprecher der SPD und Sie sich hier im Deutschen Bundestag in den letzten sechseinhalb Jahren geliefert haben. Für mich persönlich darf ich sagen, daß bei aller Auseinandersetzung in der Sache der persönliche Umgang zwischen uns immer fair geblieben ist. Ich freue mich darüber und hoffe, daß das auch bei dem neuen Finanzminister Waigel so bleiben wird.
Wenn ich Ihnen, Herr Stoltenberg, für Ihr neues Amt noch etwas mitgeben darf: Tun Sie dort das, was Sie als Bundesfinanzminister leider nicht geleistet haben: Geben Sie endlich den Jäger 90 auf. Diese Entscheidung ist längst überfällig.
({2})
Die Berufung von Theodor Waigel ist kein Neuanfang in der Finanzpolitik. Herr Waigel, Sie waren an allen Entscheidungen der Regierungskoalition als CSU-Landesgruppenchef maßgeblich beteiligt und sind daher auch für die Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung in der Finanzpolitik mit verantwortlich: Flugbenzinskandal, ungerechte Steuerreform, Quellensteuer. Für all dies steht der Name Theodor Waigel ebenso wie der Name von Gerhard Stoltenberg.
({3})
Ihr Zickzackkurs ist atemberaubend: rein in den Flugbenzinskandal, halb wieder raus; rein in die Quellensteuer, nach vier Monaten wieder raus; rein in eine schärfere Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei Betriebsaufgabe, dann wieder raus aus dem Ganzen. Die Abstände zwischen dem Hin und dem Her werden immer kürzer. Das kann doch nicht so weitergehen, Herr Waigel. Wir alle - Bürger, Wirtschaft, Finanzverwaltung - haben ein Recht darauf, daß dieses Durcheinander jetzt endlich aufhört.
({4})
Herr Waigel, Sie haben jetzt die Chance zu einer gerechteren und soliden Finanzpolitik, wenn Sie endlich einige der Vorschläge der SPD aufgreifen und sie nicht allein deswegen ablehnen, weil sie von uns kommen. Mit der Abschaffung der Quellensteuer haben Sie nach monatelangem Gezerre endlich die Forderung der SPD aufgegriffen. Das ist gut so, denn die Quellensteuer ist ein ungerechtes und bürokratisches Monstrum; sie hätte nie Gesetz werden dürfen. Wenn Sie unserem Vorschlag rechtzeitig gefolgt wären, hätten Sie den Sparern, den Kreditinstituten, der Finanzverwaltung und übrigens auch den 200 neuen Beamten im Trierer Quellensteueramt viel erspart.
({5})
Aber wie geht es jetzt weiter, Herr Waigel? Jedermann weiß, daß die Abschaffung der Quellensteuer nur der erste Schritt sein kann. Sie haben selber an diesem Pult gerade gesagt, daß es selbstverständlich bei der Steuerpflicht für Kapitaleinkünfte und Zinserträge bleibt. Im Gesetzentwurf Ihrer Regierung hieß es dazu: „Die verbesserte steuerliche Erfassung von Zinseinkünften dient nicht nur der Steuergerechtigkeit, sondern ist auch wirtschafts- und beschäftigungspolitisch geboten. " Dies war und ist richtig. Die
Quellensteuer war allerdings der falsche Weg, das durchzusetzen. Aber das ändert doch nichts daran, daß das geltende Recht durchgesetzt und den großen Steuerhinterziehern das Handwerk gelegt werden muß.
({6})
Deswegen fordere ich Sie auf, auch beim zweiten Schritt den SPD-Vorschlag aufzugreifen, und der heißt: Verzehnfachung der Sparerfreibeträge auf 3 000 DM bei Ledigen bzw. 6 000 DM bei Verheirateten. Dadurch werden Millionen Normalsparer aus der Steuerpflicht und damit auch aus dem Zwielicht der Illegalität befreit.
({7})
Die von Ihnen ins Auge gefaßte Verdoppelung des Sparerfreibetrags ist geradezu kläglich.
({8})
Hinzukommen muß ein unbürokratisches und bürgerfreundliches - das geht nämlich! - Mitteilungsverfahren: einmal im Jahr, aber nicht - wie jetzt bei Ihrer Quellensteuer - unter Umständen Monat für Monat mit der Mitteilung der Banken, daß 11 Pfennig Quellensteuer einbehalten worden sind, und das Ganze mit einer 1-DM-Briefmarke auf dem Briefumschlag, nein, einmal im Jahr mit großzügiger Bagatellgrenze und mit Stichproben.
Leider haben Sie, Herr Waigel, zu der Alternative hier heute nichts gesagt,
({9})
aber spätestens bis zur Vorlage Ihres Gesetzentwurfs muß Ihre Alternative auf dem Tisch liegen. Das „Handelsblatt' - und ähnlich andere Zeitungen - hat gestern festgestellt: „Die Abschaffung der Quellensteuer beim gleichzeitigen Verzicht auf eine Kontrolle bedeutet die faktische Freistellung der Zinserträge von jeder Steuerpflicht."
({10})
Das „Handelsblatt" hat recht. Wenn Sie nichts tun, wenn Sie insbesondere nicht den Bankenerlaß aus der Abgabenordnung herausnehmen, dann ist das politische Beihilfe zur Steuerhinterziehung im großen Stil.
({11})
Deswegen fordere ich Sie auf, unseren Vorschlag aufzugreifen, der darauf hinausläuft: Die Millionen Normalsparer müssen von der Steuer befreit werden, die Besitzer von Millionenvermögen aber müssen endlich nach Recht und Gesetz Steuern zahlen.
({12})
Und weil wir schon dabei sind, können Sie auch gleich die nächste Forderung der SPD realisieren, nämlich das vollständige Rückgängigmachen des Flugbenzinskandals. Sogenannte Lufttaxis, mit denen man mal eben am Wochenende von München nach Sylt und zurück fliegen kann,
({13})
- Sie können auch Frankfurt nehmen, wenn es Ihnen besser gefällt, Herr Glos - zahlen in Zukunft keine Mineralölsteuer mehr.
({14})
Das normale Taxi aber, das mit vier Rädern, mit dem z. B. die Rentnerin ins Krankenhaus fahren muß, muß seit dem 1. Januar 1989 eine deutlich höhere Mineralölsteuer oder Kraftfahrzeugsteuer zahlen,
({15})
und die Rentnerin muß den höheren Fahrpreis wegen Ihrer ungerechten Gesundheitsreform im Normalfall selber zahlen.
({16})
Hier geht es nicht um Milliarden, aber ich glaube, diese Kombination von Steuerfreiheit für Privatflieger und Steuererhöhung für die Taxifahrt der Rentnerin zum Krankenhaus zeigt deutlich den Unterschied zwischen uns. Auch wir sagen: Es muß gespart werden. Aber wir sagen: Starke Schultern müssen beim Sparen mehr tragen. Sie sehen es umgekehrt. Für diese Tatsache, die ich geschildert habe, gibt es, wie man es auch dreht und wendet, nur ein Wort: Unter dem Deckmantel der Konsolidierung wird Umverteilung von unten nach oben betrieben, und das lehnen wir ab.
({17})
Auch in der Familienpolitik können Sie einen fertigen Vorschlag der SPD aufgreifen. Wir fordern: Das Kindergeld muß auf mindestens 200 DM pro Kind und Monat - vom ersten Kind an - angehoben werden. Mit den Kinderfreibeträgen und einer Reform des Ehegattensplittings ist das ohne eine Mark Neuverschuldung zu bezahlen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen es - ich spreche hier bevorzugt Herrn Dregger an, weil wir uns seit Jahren darüber unterhalten, Herr Dregger - : Der höchste Splittingvorteil eines Ehepaares wird im Jahre 1990 22 842 DM netto betragen, ohne daß in dieser Familie ein Kind vorhanden sein muß. Demgegenüber ergibt das Kindergeld für das erste Kind über einen Zeitraum von 18 Jahren hinweg 10 800 DM. Dieser Unterschied ist grotesk: 10 800 DM für ein Kind über 18 Jahre im Gegensatz zu 22 842 DM in einem Jahr für ein Ehepaar ohne Kind, und das Jahr für Jahr.
Selbst wenn Sie den Vorteil der Kinderfreibeträge hinzufügen, dann liegt die Summe nach 18 Jahren für den normalen Bürger immer noch unter dem sogenannten maximalen Splittingvorteil. Auch nach den jüngsten Koalitionsbeschlüssen zum Kindergeld gehen 1990 von den insgesamt 12 Millionen Kindern fast 10 Millionen Kinder völlig leer aus.
Meine Damen und Herren, ich weiß, unser Vorschlag - mindestens 200 DM vom ersten Kind an, ohne Einkommensgrenzen, für jedes Kind, finanziert durch eine Reform des Splitting - findet bis weit hinein in Ihre Reihen Sympathie. Denn es gibt auch in Ihren Reihen Kolleginnen und Kollegen, die schmerzhaft spüren, daß unter dieser Regierungskoalition die Familienpolitik zur Restgröße verkommen ist.
({18})
Ein weiterer Vorschlag: In der Steuerpolitik muß in Zukunft die Umwelt stärker als bisher berücksichtigt werden. Bisher bin ich gewohnt, daß Sie dann immer anfangen zu schreien - so wie gerade. Das hilft aber nichts. In den letzten Wochen ändern sich die Töne. Da steht z. B. im umweltpolitischen Diskussionsentwurf für den CDU-Parteitag:
Anreize für umweltgerechtes Verhalten in Produktion und Konsum können auch durch eine ökologisch geleitete Umgestaltung des Steuersystems ausgelöst werden.
Ich kann jedes Wort davon unterschreiben. Vor drei Monaten klang es aber noch anders.
Bitte beachten Sie: Zu dieser ökologischen Weiterentwicklung des Steuersystems in der Praxis gehört dann z. B. die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer und ihre Umlegung auf die Mineralölsteuer.
({19})
Das ist nicht zwingend, aber es ist gut, und es ist besser als Ihr Vorschlag. Die von Ihnen geplante Umstellung von der Hubraumbesteuerung auf die Abgasbesteuerung wäre ökologisch sicher ein Fortschritt, aber wäre enorm bürokratisch. Viel ökologischer ist es, den Katalysator europaweit oder auch bei uns alleine sofort einzuführen und mit der Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer einen unmittelbaren Anreiz zum Energiesparen zu geben.
({20})
Auch zum Bundeshaushalt haben wir klare Forderungen an den neuen Finanzminister. Jede Mark für den Schnellen Brüter, für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und für den Jäger 90 ist eine Mark zuviel, meine Damen und Herren. Befreien Sie sich und uns von diesen Milliardeninvestitionen!
({21})
Dies ist nicht nur umwelt- und verteidigungspolitisch geboten, sondern dies ist auch finanzpolitisch notwendig. Wenn Sie sich nämlich außerdem ernsthaft an den Abbau von Subventionen machen, den Sie seit Jahren versprochen, aber nicht betrieben haben, dann stehen auch die notwendigen Finanzmittel für die dringend erforderlichen Zukunftsinvestitionen, z. B. beim sozialen Wohnungsbau oder im Umweltschutz, zur Verfügung.
({22})
Dies müssen Sie auch deshalb tun, Herr Waigel, um die Neuverschuldung 1990 in den Griff zu bekommen. Diese Regierungskoalition hat unter Ihrer Mitverantwortung in den sieben Jahren seit der Wende so hohe Haushaltsdefizite gemacht wie keine Bundesregierung vor ihr. Trotz günstiger weltwirtschaftlicher Entwicklung, trotz Bundesbankgewinnen in Höhe von 65 Milliarden DM ist die Verschuldung des Bundes
von 1983 bis 1989 um 190 Milliarden DM zusätzlich angestiegen, meine Damen und Herren, und sie soll nach dem Finanzplan der Bundesregierung 1990 um eine weitere Neuverschuldung von 36 Milliarden DM ansteigen.
({23})
Allein in diesem Jahr - darüber sollte sich niemand in diesem Hause freuen können - zahlen wir 32 Milliarden DM für Zinsen.
({24})
- Ich weiß, daß Sie das immer dazwischenrufen. Sie wissen, daß wir die Entwicklung anders sehen. Aber müßten wir nicht, selbst wenn Sie recht haben sollten
- was ich nicht meine - , in einer Situation, in der die Zinsausgaben den drittgrößten Brocken im Bundeshaushalt darstellen, dafür sorgen, daß Sie im Jahre 1990 nicht eine Neuverschuldung ins Auge fassen, die 36 Milliarden DM betragen soll? Warum soll die Neuverschuldung so hoch ausfallen? Weil Sie Ihre Steuersenkung 1990 auf Pump betreiben; der Finanzminister hat es gerade noch einmal gesagt.
({25})
Das Geld, das wir für Zinsen ausgeben, steht uns für gestaltende Politik, für Zukunftsinvestitionen nicht mehr zur Verfügung.
({26})
Wenn die Neuverschuldung des Bundes 1990 nach Ihrer Finanzplanung bei einem Wachstum des Bruttosozialprodukts um 3 % schon so hoch sein soll, dann frage ich mich: Woher soll das Geld eigentlich kommen, wenn bei einem konjunkturellen Einbruch, der nie ausgeschlossen werden kann, durch eine höhere Nettokreditaufnahme gegengesteuert werden muß, meine Damen und Herren? Das ist mir schleierhaft, und deswegen unsere Aufforderung an Sie.
({27})
Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch; greifen Sie sie auf. Auch für die Finanzpolitik gilt: Unser Volk will eine neue Politik und eine andere Regierung. - Ich danke Ihnen.
({28})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es immer ganz amüsant zu hören, was unser Volk denn eigentlich will. Sie wissen es schon: Das Volk will eine neue Regierung. Daß Sie eine neue Regierung wollen, verstehe ich - das ist auch Ihre Aufgabe - , ob aber unser Volk das will, lassen Sie uns doch erst abwarten.
Meine Damen und Herren, kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, daß Regierung und Koalition nach zwei für uns gewiß nicht beglückenden Wahlen in zeitweilige Irritationen und in ein Stimmungstief
geraten sind. Aber, Herr Vogel, ich frage Sie: Waren das eigentlich alles Erfolge der SPD? Die Wahlergebnisse der Herren Momper und Hauff hätten früher zu Rücktrittsforderungen Ihrer Partei an die beiden Herren gereicht.
({0})
In Wahrheit sind es Erfolge ganz anderer Gruppen und keine Erfolge der Sozialdemokraten.
({1})
Die Zeit reicht zwar - wie immer - leider nicht aus, aber ich will doch einige Anmerkungen zu dem machen, was Frau Vollmer hier heute morgen gesagt hat.
Erstens. Auf das Koalitionsangebot an die SPD, Herr Vogel, das Frau Vollmer Ihnen gemacht hat, müssen Sie antworten. Aber ich habe noch keine Partei erlebt, Frau Vollmer, die unter Inkaufnahme wirklich rücksichtsloser Wählertäuschung - denken Sie an Ihre Wahlaussagen 1987 - gewissermaßen im Hechtsprung unter gleichzeitiger Rolle rückwärts aus der fundamentalen Verweigerung an die Macht drängen will.
({2})
Zweitens. Es hieß, die Regierung habe die Mehrheit verloren. Warten wir es doch ab. 18 Monate vor Bundestagswahlen ist das gar nicht so außergewöhnlich.
Drittens. Immer wieder kamen bei Ihnen die Worte neu, spannend, utopisch, Konflikte wagen, riskieren. Wäre die Bundesrepublik das Land der sozialen Mißstände, das Sie schildern: Kein Mensch fiele auf diese Parole herein, er hätte anderes zu tun. Unsere Erfolge sind Ihr Nährboden. Wir Liberale haben ein offenes Ohr für Neues. Aber wir haben auch nicht vergessen, wohin Utopien unser Land schon einmal geführt haben. Politik ist kein Glasperlenspiel.
({3})
Viertens. Sie täuschen sich und andere, wenn Sie die Einbindung jeder Regierung in Verfassung, Föderalismus, EG-Verträge, internationale Abkommen einfach wie Luft behandeln. Sie hätten mit einer rot-grünen Bundesregierung an den Haftbedingungen der Häftlinge überhaupt nichts ändern können, weil Sie nicht zuständig wären. Das Tagewerk des Regierens sieht anders aus als grüne Parteitage.
({4})
Das Bohren dicker Bretter ist das Geschäft. Das wissen alle diejenigen ganz genau, die schon einmal regiert haben. Man kann ja alle diese Zwänge abwerfen wollen. Aber das erinnert dann an den Fabelspruch, wonach der Ochse das Joch abwirft und fröhlich ins Schlachthaus trottet.
Fünftens - das ist der entscheidende Punkt, Frau Vollmer - : Grüne Politik erkennt parlamentarisch gefundene Mehrheitsentscheidungen nicht als verbindlich an. Damit verneinen Sie die friedensstiftende
Grundregel der Demokratie und der demokratischen Auseinandersetzung. Das ist der Punkt.
({5})
Das, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, müssen alle wissen, die mit GRÜNEN und Alternativen paktieren. Hier sind Liberale unerbittlich.
Wir korrigieren in diesen Tagen, was korrigiert werden muß. Eine Regierung muß Flexibilität beweisen, wenn nur die Grundsätze ihrer Politik, die entscheidenden Wegmarken dadurch nicht verletzt oder versetzt werden. Sie können sicher sein: Das wird nicht geschehen.
Die Freien Demokraten werden in dieser Koalition und in dieser Regierung ihren Aufgaben und ihren Zielen treu bleiben, eine Politik zu betreiben, die dem Bürger mehr Freiheiten gibt, die den Wohlstand mehrt, die unser Land nach innen und nach außen sicherer macht und die jeden angemessenen Schritt tut, um den Frieden in Deutschland und in der Welt zu wahren.
({6})
Die Kabinettsumbildung, die der Bundeskanzler vorgenommen hat, findet unsere Billigung. Richtig bleibt trotzdem: Personeller Wandel kann nur ein erster Schritt sein, kann nur die Voraussetzung dafür sein, unsere Arbeit stärker zu akzentuieren und sie effizienter zu machen.
Meine Damen und Herren, seit 1982, seit sieben Jahren hat diese Koalition eine Menge dessen, was wir uns damals vorgenommen haben, erreicht und verwirklicht. Ich zähle nur die Stichworte auf - einiges ist in dieser Debatte schon gesagt worden -: sieben Jahre wirtschaftliche Aufwärtsbewegung, Preisstabilitätsrekorde, Haushaltspolitik in Ordnung gebracht, Rentenversicherung reformiert, Steuersenkungen wie nie zuvor ermöglicht, die sozialen Leistungen nach und nach wieder verbessert,
({7})
die notwendige Gesundheitsreform gegen viele Widerstände durchgesetzt, kräftige Steigerung der realen Einkommen wie in keiner Zeit zuvor. Viele Fortschritte hat der Umweltschutz in unserem Land gemacht. Den Bürgern geht es ein großes Stück besser.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Penner?
Herr Präsident, wenn mir das nicht angerechnet wird, gerne.
Bitte sehr.
Graf Lambsdorff, Sie haben von sieben Jahren Aufwärtsentwicklung in der Wirtschaft gesprochen. Sagen Sie einmal: Was war denn vorher?
Was vorher war, vor 1982, Herr Penner, waren Wachstumsverluste der deutschen Volkswirtschaft. Erinnern Sie sich nicht mehr: 1980 und 1981 gab es die berühmten Minuszuwachsraten.
({0})
Die Wirtschaftspolitik war schließlich so gegen die Wand gefahren, daß wir mit Ihnen Schluß machen mußten. Das war das Ergebnis.
({1})
Die Erfolge dieser Koalition sind für jeden, der sehen will, unübersehbar. Die dritte Stufe der Steuerreform am 1. Januar 1990 wird ein übriges tun. Die Menschen werden es merken, und sie werden sich darüber freuen.
Wir lassen es dabei im übrigen nicht bewenden. Die Kommission zur Vorbereitung der Unternehmenssteuerreform nimmt ihre Arbeit jetzt auf. Nach Auffassung der FDP brauchen wir aus Gründen des internationalen Wettbewerbs und der Sicherheit unserer Arbeitsplätze eine weitere steuerliche Entlastung unserer Unternehmen. Diese Senkung unternehmensspezifischer Steuern sollte nicht durch Steuererhöhungen an anderer Stelle kompensiert werden.
({2})
In der Außenpolitik, in der Europapolitik, in unseren Beziehungen zu der DDR und den Staaten Osteuropas ist es nicht anders. Wir stehen sicherer da. Wir sind gute Nachbarn nach Osten und feste Verbündete im Westen. Die Bundesrepublik ist angesehen und geachtet in der Welt. Nur die Opposition will das alles nicht sehen. Sieben Jahre permanenter Beckmesserei und Besserwisserei liegen jetzt hinter ihr. Ich frage mich: In welchem Bewußtsein befinden Sie sich eigentlich? In der Wirtschaftspolitik jedenfalls hat die SPD nichts anderes als ein trauriges Papier voller Mißtrauen gegen die Marktwirtschaft zustande gebracht,
({3})
das Sie mit ungerührtem Etikettenschwindel als marktwirtschaftliches Programm verkaufen. Aber keiner nimmt es Ihnen ab. Herr Gorbatschow versteht inzwischen von Marktwirtschaft mehr als die ganze SPD zusammen.
({4})
Sozialistische Parteien in aller Welt gehen neue Wege. Nur die deutschen Sozialdemokraten mauern. Darin sind sie unübertroffen. Sie trauen sich nicht einmal mehr, Herr Vogel, neuen politischen und gesellschaftlichen Strömungen im Osten die Hand zu bieten. Warum hat die Sozialdemokratische Partei bei der Gründung einer jugoslawischen sozialdemokratischen Partei ihre Unterstützung versagt?
({5})
Sie hängen an Ihrem sozialistischen Auslaufmodell, das längst verrostet, veraltet und obsolet geworden ist.
({6})
Aber die Koalition wird Neues wagen. Wir werden liberale, freiheitliche Ordnungsvorstellungen noch mehr verwirklichen. Die wirtschaftlichen Erfolge geben uns die materiellen Grundlagen dafür. In dieser Woche ist uns erneut bestätigt worden, daß diese Bundesregierung ihre wirtschaftspolitische Sache gut bis sehr gut macht.
({7})
Niemand darf sich deswegen beruhigt zurücklehnen. Aber Gewerkschaften und Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher können bei gleicher Anstrengung wie bisher mit Erfolg, mit Vorwärtskommen und mit Gewinn rechnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke?
Nein. Ich komme nachher noch auf den Kollegen Ehmke zu sprechen. Er hat mich ja vorhin angesprochen. Danke. Jetzt nicht.
({0})
- Außerdem hat er selber keine Zwischenfrage zugelassen; das ist richtig.
Niemand braucht sich von dem verantwortungslosen Geschwätz über eine angebliche Zweidrittelgesellschaft beeindrucken zu lassen, denn es gibt sie nicht bei uns.
({1})
Es gibt sie nur in den Gehirnen einiger hoffnungsloser Ideologen.
({2})
Natürlich bleiben Probleme. Unbeschwerte Jahre des Jubels kann niemand erwarten. Ich bestreite nicht die Preissteigerungsgefahr. Ich bestreite nicht die Arbeitslosenzahlen, die auch im Frühjahrsgutachten mehr als nur ein Wermutstropfen sind. Wir sehen das Problem der Langzeitarbeitslosen. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, hier Wandel zu schaffen. Die Regierung legt ein neues Programm für die Beschäftigung der Langzeitarbeitslosen vor. Einarbeitungszuschüsse, die auf Vorschlag meiner Fraktion degressiv gestaltet sind, werden die Aufnahme neuer Arbeitsverhältnisse erleichtern. Wir betonen: Das darf nicht durch höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge und nicht durch mehr Lohnnebenkosten finanziert werden.
({3})
Sehen Sie sich doch die tägliche Wirklichkeit unseres Arbeitsmarktes an: Die Stellenanzeigen in den Wochenendausgaben unserer Zeitungen, die Klagen gerade der kleinen und mittleren Unternehmen über mangelnde Arbeitskräfte, das Werben um Lehrlinge an jeder Baustelle und in jedem Einzelhandelsgeschäft - das alles ist doch ebenso deutsche Wirklichkeit wie die beklagenswerte Situation der Langzeitarbeitslosen.
Diese Regierung wird für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt sorgen. Sie wird den Dienstleistungsabend mit neuen Beschäftigungschancen einführen. Sie verlängert das Beschäftigungsförderungsgesetz, weil es Dauerarbeitsplätze geschaffen hat und weiter schaffen wird. Sie verstärkt die Qualifizierungsprogramme, sie wird die Teilzeitarbeit weiter fördern, vor allem im Interesse der Frauen, die Beruf und Familie miteinander verbinden.
({4})
Doch eines gehört dazu: Die Mitarbeit und Unterstützung der Tarifvertragsparteien. Der Arbeitsmarkt braucht, wenn er flexibel reagieren soll, Einstiegs- und Wiedereingliederungstarife. Die 35-Stunden-Woche für Maschinen kann sich die deutsche Volkswirtschaft nicht leisten.
({5})
Diese Koalition muß dafür sorgen, daß die Gesellschaft beweglicher wird. Wir werden das tun, weit über diese Legislaturperiode hinaus.
Mehr Selbstverwirklichung für die Frauen ist ein unabtrennbarer Bestandteil solcher Politik. Das beschränkt sich wahrhaftig, so wichtig das ist, nicht auf Teilzeitbeschäftigung. Deshalb haben wir die Erziehungszeiten im Arbeitsrecht erhöht. Deshalb sind die Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung ausgeweitet worden. Deshalb sprechen wir uns für ein Wiedereingliederungsprogramm für Frauen aus. Dazu gehört auch, daß wir jetzt steuerliche Erleichterungen für die Beschäftigung von Pflegepersonal und Haushaltshilfen einführen. Sie, meine Damen und Herren, diffamieren das als Dienstmädchenprivileg. Das klingt schon nach vorigem Jahrhundert.
({6})
In Ihren Augen leisten Frauen, die sich für Familie und Haushalt entscheiden, also Dienstmädchenarbeit. Das ist eine niederträchtige Kränkung.
({7})
Im übrigen, Frau Matthäus-Maier, die „Restgröße" Familienpolitik kostet seit 1983 18 Milliarden DM. Mit diesen Vorstellungen von Restgröße dürfen Sie niemals an die Kasse des Bundes treten.
({8})
Eine neue Konzeption der Energiepolitik ist - wir wissen das - unumgänglich. Die Kohlepolitik muß neu geordnet werden. Die Veränderungen an den Weltmärkten, die Forderung aus der Europäischen Gemeinschaft, die Kostenbelastungen von Wirtschaft und Verbrauchern machen es notwendig. Soziale wie regionale Gesichtspunkte dürfen dabei nicht außer acht gelassen werden.
Ich will keine neue Wackersdorf-Debatte beginnen. Die Kernenergiepolitik ist in Bewegung geraten. Ich sage für die Freien Demokraten: Wir kleben nicht an der Kernenergie, aber wir bleiben realistisch,
({9})
und wir denken nicht daran, uns in utopische Ausstiegsfristen wie die SPD auf ihrem Nürnberger ParDr. Graf Lambsdorff
teitag zu verirren. Wir betreiben keinen energiepolitischen Zickzackkurs je nach Tagesopportunität, nach dem heute - wegen des Treibhauseffekts - die Kohle abgeschafft werden soll und morgen die Kernenergie, wie es gerade gefällt und wie es gerade die jeweilige Aussage und Situation paßt.
Ich sage Ihnen noch einmal - Herr Vogel, Sie haben das ja auch kritisiert - , daß man zu einem so wichtigen Vorgang wie Wackersdorf nicht von heute auf morgen ja oder nein sagen kann. Wenn es keine Möglichkeit gibt, über etwas noch einmal nachzudenken, das Für und Wider abzuwägen und zu diskutieren, dann können wir in diesem Lande keine rationale Politik mehr betreiben.
({10})
Es werden immer aus der Hüfte geschossene Antworten erwartet. Kaum tritt ein Problem auf, so hat man das erste Mikrophon vor der Nase und soll quick, fix Antwort geben. Das kann nicht funktionieren. Das schadet deutscher Politik. Sie sollten damit aufhören, einen in dieser Richtung auch noch zu ermahnen.
({11})
- Vor zehn Jahren habe ich das von Herrn von Bennigsen-Foerder mit Cogema und Veba noch nicht gehört. Aber, Herr Huonker, Ihre prophetische Weitsicht mag das ja schon damals gesehen haben. Nur, Sie haben es uns damals nicht gesagt. Das ist das Traurige.
({12})
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten sagen ein klares Ja zur Förderung - ({13})
- Herr Müller, Sie waren doch Leiter des Planungsstabes. Sie waren doch dabei, als wir das alles konzipiert haben und mit Ihrer Regierung gemeinsam gemacht haben.
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Noch sieht man in der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei ein paar vertraute Gesichter aus alter Zeit; sie werden bald verschwinden, ich weiß das.
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Aber, meine Damen und Herren, Sie erinnern mich an das, was damals war.
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Die Freien Demokraten sagen ein klares Ja zur Förderung regenerativer Energien. Wir begrüßen es, daß sich das Verhältnis der für alternative Energien eingesetzten Forschungsmittel im Verhältnis zur Nuklearforschung ganz eindeutig verbessert hat. Wir sind dafür, daß erneuerbare Energien bis zur Marktreife gefördert werden. Jedes sinnvolle und vernünftige Vorhaben zur Entwicklung erneuerbarer Energien wird in der Bundesrepublik unterstützt. Es fehlt nicht an Geld, sondern es fehlt an Projekten. Projekte, Ideen, Vorschläge erzwingen Sie nicht mit Geld.
Herr Abgeordneter Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Jawohl, Herr Müller.
Bitte sehr.
Herr Graf Lambsdorff, erinnern Sie sich auch noch daran, welcher Partei der Wirtschaftsminister angehörte, der in den Jahren zwischen 1974 und 1979 immer überhöhte Energieprognosen vorgelegt hat, und welche Abteilung im Bundeskanzleramt es war, die diese überhöhten Energieprognosen immer mühsam herunterrechnen mußte?
Hochgeschätzter Herr Kollege Müller, wenn Sie es denn vergessen haben: Seit der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms - das war die erste Fortschreibung, für die ich verantwortlich war - haben wir niemals mehr eine amtliche Energieverbrauchsprognose gewagt; wir haben sie ausdrücklich herausgelassen. Lesen Sie es bitte nach! Das ist in allen Fortschreibungen so enthalten. Deswegen ist der in Ihrer Frage enthaltene Vorwurf unrichtig.
({0})
- Doch, doch.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten tragen den Vorschlag des Finanzministers zur Abschaffung der Quellensteuer mit. So wie bisher geplant, geht es wohl wirklich nicht. Doch eines ist für die Liberalen sicher: Wegen der Aufhebung der deutschen Quellensteuer wird die Liberalisierung der europäischen Kapitalmärkte nicht scheitern, denn ohne die liberalisierten Kapitalmärkte gibt es keinen Binnenmarkt.
Ich füge aber auch hinzu - der Bundeskanzler hat es heute gesagt; Frau Matthäus-Maier, da haben Sie nicht zugehört - : Es wird keine Kontrollmitteilung geben, und es bleibt beim Bankenerlaß in der Abgabenordnung. Wir warten jetzt auf eine europäische Lösung und auf einen europäischen Vorschlag zu einem Problem, dessen Existenz nicht bestritten wird: der besseren Erfassung der Besteuerung der Kapitalerträge.
Da wir gerade beim Ändern und bei besseren Einsichten sind: Die Änderung des § 34 des Einkommensteuergesetzes war mittelstandspolitisch nicht richtig. Sie hat zu einer Verkaufsflut bester deutscher Unternehmen geführt, und sie hat auch die Mitarbeiter dieser Unternehmen vielfach in Angst versetzt. Wir beseitigen diese Unsicherheit.
Meine Damen und Herren, das alles sind nicht nur ökonomische Entscheidungen. Indem wir sie treffen, stellen wir auch gesellschaftspolitische Weichen für die Zukunft. Die Kartellnovelle geht in ihrer ordnungspolitischen Bedeutung weit über wirtschaftliche Tatbestände hinaus, die Gesundheitsreform hat nicht nur Kostencharakter. Diese Gesetze bestimmen auch das Verhältnis des einzelnen zur Allgemeinheit insgesamt. Wenn wir den Wettbewerb stärken, dann beein10346
flussen wir auch die Leistungsbereitschaft und das Selbstverständnis unseres ganzen Landes. Darum werden wir uns weiter bemühen: Wir wollen den einzelnen selbstbewußter, selbständiger und unabhängiger von Staat und wirtschaftlicher Machtkonzentration machen. Das, nur nebenbei bemerkt, macht eine Entscheidung wie die über Daimler-Benz/MBB für Liberale so unerhört schwer; denn Zweckmäßigkeit ist für uns niemals das letzte Argument. Immer müssen wir vor allem den ordnungspolitischen Hintergrund sehen.
Dazu gehört auch das Stichwort „Bankenmacht" . Deswegen habe ich selber und hat die FDP seit 12 Jahren vorgeschlagen, den industriellen Beteiligungsbesitz der Banken zu begrenzen.
({1})
In der sozialliberalen Koalition hat die SPD dies verhindert.
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Jetzt fordert sie es. Mut haben Sie immer dann, wenn Sie in Wahrheit nichts zu sagen haben.
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- Natürlich haben Sie das verhindert. Ich habe es selber immer wieder vorgeschlagen.
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- Frau Matthäus-Maier, Sie müssen sich noch einmal daran erinnern, in welcher Fraktion Sie damals waren.
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Gesellschaftspolitisch richtig zu handeln ist unsere Aufgabe nicht nur auf ökonomischen Feldern. Gesellschaftspolitisch richtig ist es ganz sicher aus Sicht der Freien Demokraten, daß wir nun von W 18 auf W 15 zurückgeschraubt haben. Auch da werden einige Zeitgenossen nicht müde, uns Populismus vorzuwerfen. Ich finde es nicht sehr tadelnswert, meine Damen und Herren, etwas Populäres zu tun, wenn es dazu noch richtig ist.
({6})
Popularität aber ist nie Antrieb für die liberale Haltung in dieser Frage gewesen, in der wir immer gute Argumente hatten. Die 15monatige Wehrdienstzeit reicht voll aus, um unsere NATO-Verpflichtungen zu erfüllen. Vorleister wie Sie sind wir nicht, meine Damen und Herren. Das hat Herr Genscher heute morgen deutlich gemacht.
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Wie soll man aber den jungen Menschen klarmachen, daß es dann partout 18 Monate sein mußten?
({8})
Es geht und es ging uns um Wehrgerechtigkeit und um nichts anderes. Da Sie „Januar" rufen, empfehle ich Ihnen, sich einmal die historische Entwicklung anzusehen. Dann werden Sie feststellen, daß Ihre
Zwischenrufe unbegründet und falsch sind und von einem hohen Maß an Ignoranz zeugen.
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Das Schimpfen, das Herr Ehmke heute hier losgelassen hat, zeigt doch nur, daß dieser Erfolg der FDP ihn unangenehm überrascht hat. Sie hätten lieber auf uns herumgeklopft, wenn wir es nicht erreicht hätten. Das kann ich mir schon vorstellen.
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Wenn Sie, Herr Ehmke, mich für einen ungeeigneten FDP-Vorsitzenden halten, dann betrachten wir alle das als eine Auszeichnung. Ich hoffe, daß sich Herr Vogel dem noch anschließt; das hebt die Auszeichnung.
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Meine Damen und Herren, der Außenminister hat einen überzeugenden Bericht über seine Gespräche mit dem amerikanischen Außen- und dem Verteidigungsminister gegeben. Die FDP-Fraktion dankt ihm und Herrn Stoltenberg für ihre Bemühungen, die deutsche Position verständlich zu machen.
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Wir stehen fest im Bündnis. Wir wissen, was wir dem Bündnis verdanken. Wir verdanken ihm jetzt auch die Möglichkeit, mehr Ausgleich mit dem Osten zu suchen. Wir haben es immer so gesehen und damals noch gemeinsam gewußt, daß nur in der Verankerung im Bündnis und in der Einbindung in die Europäische Gemeinschaft der Handlungsspielraum erwächst, uns nach Osten in Offenheit zu zeigen und Freundschaft und Ausgleich mit unseren östlichen Nachbarn zu suchen.
({13})
Wir werden keinen vernünftigen Schritt unterlassen, um dabei zu weiteren Fortschritten zu kommen.
Die politischen Entwicklungen in der Sowjetunion, in Polen und in Ungarn bestätigen uns in dieser Politik. Die außenpolitische Bedeutung der Bundesrepublik hat zugenommen. Alles andere, was Herr Bahr und Herr Ehmke dazu sagen, entspricht nicht den Tatsachen; sie wissen es auch. Meine Damen und Herren, die bevorstehenden Besuche von Präsident Bush und Generalsekretär Gorbatschow werden es erneut erweisen. Wenn früher innerhalb von drei Wochen der erste Mann der Sowjetunion und der erste Mann der USA zu uns gekommen wären, hätte Helmut Schmidt versucht, im Kölner Dom ein Sonderläuten zu erreichen. Mit einem neuen Domkapitel, so wie es heute aussieht, hätte er es ja vielleicht sogar bekommen.
({14})
Außenpolitisch fragwürdig benimmt sich die SPD. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Vogel: Der Berliner SPD-Bürgermeister Momper bringt es nicht fertig, seinen Mitregenten Ströbele - denn der regiert in Wirklichkeit mit in Berlin - ({15})
Immer, wenn etwas unangenehm ist, dann kommt Herr Ströbele wie Kai aus der Kiste; wenn es wirklich darauf ankommt, wenn es ans Knallharte geht, dann ist Herr Ströbele da. Herr Momper bringt es nicht fertig, den Herrn Ströbele davon abzuhalten, den amerikanischen Präsidenten George Bush zu brüskieren und aus Berlin auszuladen. Erst ist man Gast im Weißen Haus, und zehn Tage später ist man nicht in der Lage, eine uneingeschränkte Einladung auszusprechen. Was für ein Benehmen, meine Damen und Herren!
({16})
Der Herr Ströbele wird auch noch stolz darauf sein. So hat noch kein Berliner vor ihm einen amerikanischen Präsidenten behandelt. So beschädigt man ein Bündnis, so entfremdet man die Stadt den Amerikanern. Und die SPD macht mit, oder sie sieht tatenlos zu. Wo sind die Tage geblieben, als ein sozialdemokratischer Bürgermeister zusammen mit John F. Kennedy auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses stand, als ein amerikanischer Präsident sagen konnte: „Ich bin ein Berliner. " Soll Herr Bush das nach diesen Äußerungen auch noch sagen können?
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Wir werden, meine Damen und Herren, Polen helfen, aus seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszukommen; darüber gibt es ja wohl Einigkeit in diesem Haus. Gerade im Jahre 1989 mit seinen unheilvollen Jubiläen besteht aller Anlaß, ein Land zu unterstützen, das sich auf einen neuen und gewiß noch unsicheren Weg der gesellschaftlichen Auflokkerung begibt. Die polnische Schuldenregelung muß im Pariser Club noch einmal in Angriff genommen werden. Wir sind froh, daß auch die USA und Frankreich Entgegenkommen zeigen. Polen darf sich freilich nicht länger der Einsicht verschließen, daß auch ein Schuldner an Schuldenregulierung mitwirken muß. Frau Kollegin Vollmer, glauben Sie wirklich, die polnische Solidarność und die polnischen Arbeitnehmer strebten im Augenblick nach „sozio-ökologischer Erneuerung für Polen" , die Sie ihnen hier angeboten haben?
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Die rufen nach ganz etwas anderem. Die rufen nach Marktwirtschaft; die haben mich eingeladen, um ihnen marktwirtschaftliche Ratschläge zu geben, und ich fahre am 1. Mai für ein paar Tage da hin.
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Dann sprechen Sie hier über die Entschädigung für Zwangsarbeiter und sagen, das sei ein wichtiges Thema. Aber, meine Damen und Herren, das Kreditprogrammen gegenüberzustellen, zeugt von totalem Mangel an Kenntnissen a) über die Größenordnung und b) über die Bedeutung solcher Finanztransaktionen. Die brauchen neue Kredite. Wenn Sie da hingehen und sagen: Wir geben individuelle Entschädigung an Menschen - bei denen ich meine, man sollte etwas für sie tun - , hilft das der polnischen Wirtschaft, hilft das dem Aufbau dieses Landes leider überhaupt nicht. Stellen Sie das nicht gegeneinander! Es hat nichts miteinander zu tun.
Meine Damen und Herren, diese Regierung und diese Koalition haben noch eine Menge vor; eine Fülle innen- und außenpolitischer Arbeit wartet auf uns. In der Ausländergesetzgebung haben wir uns auf eine Lösung in rechtsstaatlichem und liberalem Geiste einigen können. Es wäre schön, wenn der Freistaat Bayern da nicht neue alte Hindernisse in den Weg legte.
({20})
Im Asylrecht geht es nicht um Gesetzes- oder gar Grundgesetzänderungen, sondern um Beschleunigung der Verfahren und die Abschiebung rechtskräftig abgelehnter Bewerber. Ich bin Herrn Vogel für die Bemerkung dankbar, daß es in Osteuropa heute Länder gibt - Gott sei Dank gibt es die -, in die man solche Menschen getrost nach Hause schicken kann.
Wir werden neue Initiativen im Umweltschutz ergreifen. Die FDP hält an ihrem Verlangen fest, Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, und sie ist zu Gesprächen mit allen Fraktionen bereit.
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Wir müssen die neuen umweltpolitischen Freiräume in Europa, etwa beim Auto, jetzt nutzen, um weiter voranzukommen. Denn, meine Damen und Herren, daß wirksamer Umweltschutz nur grenzüberschreitend und nur grenzübergreifend funktionieren kann, das wissen inzwischen fast alle. Nur die GRÜNEN haben in ihrer bornierten EG-Feindschaft immer noch nicht begriffen, daß es ohne die Gemeinschaft keinen ausreichenden Umweltschutz geben kann.
Umweltschutz und Naturschutz gehören zusammen. Die Koalition wird sich bemühen, und die FDP legt Wert darauf, einen neuen Anlauf zu nehmen, um das Naturschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
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Aber ich sage auch: Es ist unfair, die Schwierigkeiten einer sogenannten Agrarlobby in die Schuhe schieben zu wollen. Ich bin nun wahrlich ein kritischer Begleiter nationaler und europäischer Agrarpolitik. Aber in diesem Falle ist es unfair, denn in Wahrheit fehlt es an einer notwendigen Finanzierungsregelung. Daß die Entschädigungsfrage bei den hier vorgesehenen und notwendigen Eingriffen geklärt werden muß, halten wir allerdings für richtig.
Wir brauchen aber ein Naturschutzgesetz. Wir brauchen es, um die Zukunft des Landes zu sichern. Deshalb werden wir noch einmal versuchen, die Bundesländer zu bewegen - so steht es nämlich in unserer Verfassung - , hier ihren Pflichten zu genügen und die finanziellen Lasten zu übernehmen. Da liegt der Punkt und nirgendwo anders.
Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat Wege gewiesen, die Bundesrepublik Deutschland mit einer Politik des Maßes und der Mitte auf die Erfordernisse der 90er Jahre vorzubereiten. Unser Land, unsere Bundesrepublik Deutschland, zieht in diesem Jahr Zwischenbilanz. In 40 Jahren haben Liberale, Christdemokraten und Sozialdemokraten aus Niederlagen und Trümmern ein
demokratisches Gemeinwesen geschaffen, das den Respekt der Völker der Welt erfährt, ungeahnte wirtschaftliche Leistungskraft zeigt und ein hohes Maß sozialer Gerechtigkeit erreicht hat. Vor allem aber eins: Noch nie in unserer Geschichte haben die Deutschen ein solches Ausmaß rechtsstaatlich geschützter individueller Freiheit erlebt.
Wir Liberale wissen auch um Fehler und Defizite. Wir bejahen den demokratischen Meinungsstreit. Hüten wir uns aber davor, meine Damen und Herren, den Streit so weit zu treiben, das linke und rechte Radikale davon profitieren! Ständige Wachsamkeit - das ist der Preis der Freiheit. Deswegen sagt die FDP der großen gutwilligen Mehrheit in unserem Lande: Bleibt wachsam, verteidigt eure Freiheit; denn ohne sie ist alles vergebens!
Ich bedanke mich.
({23})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Trenz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme noch einmal zur Innenpolitik zurück und will mich nicht lange bei dem neuesten Versuch von Herrn Kohl aufhalten, seinen längst überfälligen Rücktritt auf dem Wege personalpolitischer Kosmetik auszusitzen. Die Mehrheit in der Bundesrepublik will einen anderen Kanzler - auch wenn Ihnen das nicht paßt, Herr Graf Lambsdorff - und eine andere Regierung, und beides wird sie auch bekommen.
Bis dahin wird der Innenminister also Schäuble heißen. Eine neue Qualität von Politik oder gar eine Verbesserung gegenüber dem Status quo bedeutet das nicht. Herr Schäuble mag gefälliger auftreten als sein Fraktionskollege Zimmermann. Er mag sich bei Herrenabenden des Osnabrücker Clubs gar zu der Feststellung durchringen, daß dem demographischen Schrumpfungsprozeß der Deutschen nur durch verstärkten Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern zu begegnen sei. De facto aber ist von Schäuble überhaupt nichts anderes zu erwarten als die sattsam bekannte Strategie der Union, die ihre Stimmenverluste am rechten Rand des politischen Spektrums durch fremdenfeindliche Kraftmeierei auszugleichen versucht.
({0})
Nicht erst seitdem Republikaner, DVU und NPD mit „Ausländer raus! "-Parolen auf Stimmenfang gehen, wird in der Bundesrepublik offen rassistische Politik betrieben. Das ideologische Unterfutter liefern seit Jahren vor allem CDU und CSU. Seit Jahren benutzen sie Immigrantinnen und Flüchtlinge als Sündenböcke für die Konsequenzen ihrer politischen Mißwirtschaft: für Massenerwerbslosigkeit, Wohnungsnot, Demokratie- und Sozialabbau.
Auch der neue Innenminister will das Grundrecht auf Asyl einschränken, indem er Art. 16 mit einem sogenannten Regelungsvorbehalt versieht.
Auch er will Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren einer Aufenthaltserlaubnis und der Visumspflicht unterwerfen.
Auch er wird behaupten, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland - so wie es in den „Eckwerten" zur Neuregelung des Ausländergesetzes steht.
Auch er hält es mit dem diffusen Deutschtum und dem Anachronismus einer angeblichen „nationalen Homogenität" : Wer am gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik gleichberechtigt teilhaben will, soll sich einbürgern lassen müssen.
Die Frage, wie das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen aussehen könnte und sollte, ist nicht seine Sache. Aber es ist unsere! Die multikulturelle Gesellschaft beschäftigt nicht nur uns GRÜNE, sondern alle demokratisch denkenden Menschen, die in diesem Lande leben - und das ganz unabhängig davon, welchen Paß sie in der Tasche tragen.
Deutschland war immer ein Einwanderungsland, meine Damen und Herren, und auch die Bundesrepublik ist es. Daß sie es war, zeigt die deutsche Geschichte: die des 18. und 19. Jahrhunderts, die der Hugenotten, Holländer und italienischen Immigrantinnen zum Beispiel. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem die 5,5 Millionen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und rund 1,5 Millionen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs. Auch die Millionen Vertriebenen stehen dafür, die nach Kriegsende kamen.
Danach, ab 1955, kamen vor allem die Arbeitsimmigranten und Arbeitsimmigrantinnen, die die deutsche Wirtschaft angeworben hat. Seit dem Anwerbestopp von 1973 findet Zuwanderung vor allem im Rahmen des Familiennachzugs statt. Die Flüchtlinge bilden die mit Abstand kleinste Gruppe der Zuwanderer. Dafür sorgt die seit Anfang der 80er Jahre kontinuierlich betriebene Aushöhlung des Asylrechts. In jüngster Zeit bilden Aussiedlerinnen und Aussiedler die größte Gruppe unter den Einwanderern. Allein für die Jahre 1988 und 1989 wird mit der Immigration von über einer halben Million Menschen gerechnet.
Finden Sie es, meine Damen und Herren von der Union, nicht selbst absurd, wenn angesichts dieser Tatsachen aus Ihren Reihen noch immer mit großer Ignoranz und Hartnäckigkeit behauptet wird, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland?
({1})
Wie können Sie, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, allen Ernstes in Ihrer Fraktionsvorlage vom Juni 1988 behaupten, die Bundesrepublik sei seit dem Anwerbestopp von 1973 kein Einwanderungsland mehr?
Meine Damen und Herren, mit Geschichtsklitterung und Realitätsverdrehung können wir die heutigen Probleme nicht lösen. Noch weniger können wir so eine gesellschaftliche Entwicklung unterstützen, die das Attribut „lebendige Demokratie " verdient. Einwanderung hat stattgefunden und findet weiter statt, schon allein deshalb, weil sich diese Regierung nicht darum bemüht, Fluchtursachen zu beseitigen. Im Gegenteil: Wo es etwas zu verdienen gibt, sei es mit Waffenhandel für Kriegsgebiete oder durch MiliFrau Trenz
tärhilfe an Folterstaaten: Die Bundesrepublik ist dabei.
Daß Menschen nicht aus freiem Willen hierher kommen, sondern auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder Folter kommen müssen, das ist das Problem, aber nicht die Einwanderung als solche. Nicht nur wirtschaftlicher Wohlstand, sondern auch kulturelle Entwicklung ist nur möglich, wo Unterschiedliches zusammentrifft und Anregung und Auseinandersetzung stattfinden können.
({2})
Das gilt für den Pizzabäcker an der Ecke genauso wie für die italienischen Baumeister, ohne die es die Theatinerkirche in München nicht gäbe. Goethes „Westöstlicher Diwan" ist ohne den Einfuß des persischen Dichters Hafis undenkbar. Und Rosa Luxemburg, die polnischer Abstammung war, verdanken wir die Erkenntnis, daß Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden ist. Für uns gilt das nach wie vor.
({3})
Nur auf der Grundlage gleicher Rechte für die deutsche und ausländische Bevölkerung ist demokratisches Zusammenleben möglich. Gleichberechtigung ist die Grundlage jeder ernstzunehmenden Auseinandersetzung über die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen und Ideen, die in unserer Gesellschaft existieren. Gleiche Rechte sind die Basis der multikulturellen Gesellschaft, die wir wollen.
Unsere Gesetzentwürfe dazu werden Ihnen demnächst vorliegen. Aber jenseits dieser Gesetze sind noch immer viele Fragen offen, wie wir diese multikulturelle Gesellschaft konkret gestalten wollen. Darüber, meine Damen und Herren von der SPD, müssen wir reden. Das ist eine der wichtigsten Bedingungen dafür, daß wir den Rechtsextremismus und die Fremdenfeindlichkeit wirksam bekämpfen können.
({4})
Es ermöglicht uns zugleich, die Bereicherungen zu erfahren, die das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen mit sich bringt.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche für die SPD zur Innenpolitik. Wir haben aufmerksam registriert, daß sich bei der CDU/CSU in der Ausländerpolitik Fortschritte abzeichnen. Wir nehmen diese Äußerungen ernst, aber wir können natürlich auch nicht umhin, wahrzunehmen, daß es von München aus Störfeuer gegen diese Fortschritte gibt.
({0})
Unsere Vorstellungen für Ausländerpolitik sind klar.
({1})
Erstens. Eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus soll stufenweise erfolgen und nach achtjährigem Aufenthalt in ein Niederlassungsrecht münden, das eine grundsätzliche Gleichstellung in Rechten und Pflichten mit einem Deutschen bewirkt. Zweitens. Ehegatten erhalten ein eigenes Aufenthaltsrecht. Die Wartefrist von einem Jahr für den nachziehenden Ehegatten sollte entfallen. Drittens. Der Nachzug von Kindern von Ausländern soll bis zum 18. Lebensjahr möglich werden.
({2})
Viertens. Kindern von Ausländern soll eine Rückkehroption eingeräumt werden. Fünftens. Ausländer, die länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben, sollen unter bestimmten Voraussetzungen in die Bundesrepublik zurückkehren dürfen. Die Tatbestände der Ausweisung werden klarer geregelt. Die Einbürgerung soll erleichtert werden. Notfalls soll das auch dann geschehen, wenn dadurch Doppelstaatsangehörigkeit bewirkt wird.
Und noch eines: Wir halten am kommunalen Wahlrecht für alle Ausländer fest.
({3})
An die Adresse der CSU gerichtet sage ich: Sie werden Ihren Widerstand selbst gegen das kommunale Wahlrecht für EG-Ausländer nicht mehr lange durchhalten können; dafür stehen die europapolitischen Signale in eine andere Richtung.
({4})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, beim Asyl- und Flüchtlingsrecht appellieren wir dringend an den neuen Bundesinnenminister, mit dafür zu sorgen, daß sich die Bundesregierung nicht aus ihrer Mitverantwortung für die Weltflüchtlingsproblematik löst.
({5})
Das wird aber schwierig, wenn sich die Union an der Frage einer Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes verhakt, die mit uns ja nicht zu machen ist.
Es kann gar keine Rede davon sein, daß die Bundesrepublik mit Asylbewerbern besonders belastet sei. Es ist nichts anderes als eine selbstentlarvende Phrase - wir haben das heute ähnlich wieder vom Bundeskanzler gehört -, wir Deutschen könnten nicht allein das Elend der gesamten Welt schultern. Andere Staaten - dazu zählen die ärmeren und ärmsten der Welt - sind wesentlich mehr belastet und gehen wesentlich anständiger mit diesen Problemen und den betroffenen Menschen um.
({6})
Ein Volk von über 61 Millionen Einwohnern, wie wir es sind, wird doch wohl in der Lage sein,
({7})
ein paar hunderttausend Menschen mit Kindern und
Ehegatten human zu empfangen und unterzubringen,
Menschen, die ihre Heimat aus Not und nicht etwa aus Lust und Laune verlassen haben.
({8})
Wir wissen, daß es Probleme und auch schwierige Probleme gibt. In den EG-Staaten gibt es beispielsweise keine einheitliche Flüchtlingspolitik, die um so wichtiger wird, je näher Europa zusammenrückt. Deshalb denken wir verstärkt auch an die Notwendigkeit eines europäischen Flüchtlingsamts. Es muß sich aber auch etwas im Bereich der sozialen Begleitmaßnahmen für die Flüchtlinge und Asylbewerber tun. Dabei denke ich besonders an die Lockerung des Arbeitsverbots.
({9})
Besonders traurig ist die Situation der sogenannten De-facto-Flüchtlinge. Wenn von uns weiterhin trotz des von vornherein absehbaren längeren Aufenthalts dieser Personengruppe eine Politik der Abgrenzung, der Abwehr und der Abschottung betrieben wird, müssen wir uns nicht wundern, wenn der innere Friede dadurch aufs schwerste gefährdet wird, indem nämlich die eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aufgebracht wird, angestachelt von Angst, Neid, Haß und Unkenntnis.
({10})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung selbst rechnet damit, daß allein in diesem Jahr weitere 300 000 Aussiedler zuziehen werden. Weitere, möglicherweise Millionen, werden in den nächsten Jahren folgen. Und es hat überhaupt keinen Zweck, diese Zahlen zu verschweigen. Das ist übrigens deren gutes, teils verfassungsmäßig verbrieftes Recht, aber auch Ergebnis der nicht nur von dieser Regierung zu verantwortenden Politik.
Wichtig bleibt eines: Der Bund darf nicht Einladungen aussprechen und zusehen, wie Länder und Gemeinden mit den Folgen derselben zu kämpfen haben.
({11})
Noch wichtiger ist: Soziale Hilfen darf es nicht nur für die Neuankömmlinge geben, so berechtigt sie auch sein mögen und sind. Andere Benachteiligte bei uns dürfen nicht zusätzlich Nachteile dadurch erleiden, besonders beim Wohnen und Mieten, daß auf den Vorrang von Aussiedlerinteressen verwiesen wird.
Andererseits macht es wenig Sinn, ja es schadet der Integration, wenn Mittel zur Sprachförderung, zur beruflichen Fortbildung der Aussiedler gekürzt werden und damit die Einfügung vieler Aussiedler in die neue Umgebung erschwert wird.
({12})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung eine Politik betreiben wird, die es Deutschen, Deutschstämmigen oder Volksdeutschen ermöglichen könnte, bei verbesserten, besonders auch bei verbesserten kulturellen Lebensbedingungen in ihrer alten Heimat zu bleiben, wird dies auch von den Sozialdemokraten unterstützt.
({13})
Für uns war es immer selbstverständlich, daß nicht alle Deutschen auf deutschem Staatsgebiet würden leben müssen, falls sie dies nicht wollten. Da unterscheiden wir uns nicht von anderen. Wir wären also nicht böse, wenn diese Menschen aus freien Stücken unter veränderten und verbesserten Lebensverhältnissen in ihren angestammten Ländern bleiben wollten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, im Bereich der inneren Sicherheit müßte es für den neuen Bundesinnenminister verhältnismäßig einfach sein, die Innenpolitik von dem Geruch der Europafeindlichkeit zu befreien. Natürlich hat der Wegfall der Grenzkontrollen, übrigens derzeit nicht einmal so ganz sicher, Auswirkungen auf die Verbrechensbekämpfung. Durch das Aneinanderrücken der EG- Staaten, durch das Niedrigerhalten von Grenzen wird Europa und insonderheit die Bundesrepublik jedoch nicht zum Freiland für Verbrechen, wie manchmal in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird. Es müssen und werden andere Strukturen der Verbrechensbekämpfung gefunden werden, die sich effizient in die europäische Einigungspolitik einfügen und dabei soziale Belange, besonders des Bundesgrenzschutzes und des Zolls, mitbedenken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, von grundlegender Bedeutung ist eine Entwicklung hin zur Privatisierung der inneren Sicherheit. Man kann es nur mit Sorge registrieren, aber es ist so: Über 100 000 Menschen sind bereits außerhalb der Polizei und des öffentlichen Dienstes beruflich mit Angelegenheiten der inneren Sicherheit befaßt. Das ist mehr als nur eine statistische Größe; es geht der Sache nach auch um das, was man gemeinhin als Gewaltmonopol des Staates bezeichnet.
Das hat gewiß Ursachen, und die einen werden die Ursachen in der Hafenstraße sehen, und die anderen werden sie mit Begriffen wie Wackersdorf verbinden. Ich bin der Meinung, daß diese wechselseitigen Schuldzuweisungen uns auf keinen Fall in diesem speziellen Feld weiterbringen. Ich glaube, daß die Zurückhaltung, die Resignation, das Müde-Werden der Polizisten insgesamt andere Ursachen hat. Es beruht u. a. auch darauf, daß das Berufsbild des Sozialingenieurs, das viele Polizisten vor Augen haben, derzeit einfach nicht verwirklicht werden kann. Warum nicht? Weil die Arbeitszeit voll für Verbrechensbekämpfung aufgewandt werden muß, nicht aber für Verbrechensverhinderung verwandt werden kann. Es muß etwas geschehen, weil uns sonst ein Kernbereich des Staatlichen wegrutscht und sich zum Recht des Stärkeren auswächst.
Noch eines: Polizeibeamte besonders können auf Dauer nicht damit leben, daß ihr dienstliches Handeln deshalb zunehmend unter dem Damoklesschwert drohender Rechtswidrigkeit steht, weil sich im Datenschutz überhaupt nichts tut.
({14})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abschließend noch ein Thema, das ein besonderes Gewicht hat. Ich meine die Sicherung der Beamtenversorgung. Ich erinnere daran, daß es Bundesinnenminister Dr. Zimmermann war, der im Anschluß an die Übereinkunft in der Rentenpolitik uns, auch die SPD, zum Gespräch eingeladen hatte mit dem Ziel, die sich daraus für die Beamtenversorgung ergebenden Folgen festzulegen. Das ist nach grundsätzlichen und längeren Beratungen über einen Entschließungsantrag dann auch geschehen. Der auch von Dr. Zimmermann mit formulierte Vorschlag muß jetzt durchgesetzt werden.
({15})
Um es noch einmal für uns hier im Deutschen Bundestag zu betonen: Die sozialdemokratische Opposition ist wegen der grundlegenden Bedeutung bereit, bei der Sicherung der Altersversorgung Verantwortung zu übernehmen. Teillösungen nur bei der Rentenversicherung lehnen wir allerdings ebenso entschieden ab wie Scheinlösungen, die Sanierungen nur vortäuschen.
({16})
Sie werden eine Teilzustimmung, etwa für die Renten, durch die SPD nicht bekommen können.
({17})
Gerade weil wir den Beamten reinen Wein einschenken müssen und gerade weil wir den Beamten die Aussicht auf eine sichere Altersversorgung auch künftig schuldig sind, müssen wir etwas tun. Mit uns geht also nur beides oder keines.
({18})
Mit anderen Worten: Soweit es uns Sozialdemokraten betrifft, halte ich fest,
({19})
es gibt für uns nur eine Zustimmung, wenn beides sachlich stimmt und die Verabschiedung der Gesetze für beide Bereiche, Renten wie Beamtenversorgung, zeitgleich stattfindet.
({20})
Herr Abgeordneter Penner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Bitte sehr.
Herr Kollege Penner, wollen Sie denn bitte Ihre sibyllinischen Bemerkungen etwas verdeutlichen und uns verraten, ob Sie den mindesten Anlaß haben, daran zu zweifeln, daß wir die gemeinsam genau im einzelnen besprochene, beschlossene und verkündete gemeinsame Formel für die Reform der Rentenversicherung ebenso wie die Auswirkungen auf die Beamtenversorgung in irgendeiner Weise
einhalten? Auf wen prügeln Sie denn hier ein? Sagen Sie mal, auf wen prügeln Sie denn hier ein?
Verehrter Herr Kollege Hirsch, Sie geben mir Veranlassung, auf einen Sachverhalt hinzuweisen, den Sie wahrscheinlich nicht kennen. Ich habe im März zweimal den bisherigen Bundesinnenminister angeschrieben mit dem Ziel, daß er die Arbeitsgruppe einberufen solle, um eine Konkretisierung der festgelegten Daten zu erreichen. Antwort gleich Null. Ich habe den neuen Bundesinnenminister mit Schreiben vom Montag an diese beiden Schreiben erinnert. Antwort gleich Null.
({0})
- Habe ich das Wort, Herr Präsident? Verehrter Herr Hirsch, es war festgelegt, daß wir das Gesetzgebungsverfahren auch deshalb durch die Parlamentarier schon im Entstehungsbereich würden begleiten müssen, um das zeitliche Ziel nicht zu verfehlen. Das, was sich an Zurückhaltung und an Untätigkeit bei Herrn Zimmermann gezeigt hat, veranlaßt mich dazu, Anmerkungen zu machen. Ich hoffe, daß die Anmerkungen nicht dadurch bestätigt werden, daß wir später einen gemeinsam begonnenen Weg nicht zu Ende führen können.
({1})
Dem Minister gelten gute Wünsche auch der Opposition und von mir persönlich. Wir verbinden sie mit der Hoffnung auf eine bessere Politik. Das neue Amt des Bundesinnenministers ist natürlich befristet; das weiß auch er. Die Opposition wird sich nicht für den neuen Minister um Fristverlängerung bemühen, aber wir sagen Fairneß zu, auch weil es die Voraussetzung für politischen Dialog unter Demokraten überhaupt ist. Im übrigen gilt unsere Überzeugung: Wir brauchen eine neue Politik, und, damit verbunden, wir brauchen eine neue Regierung.
Schönen Dank für die Geduld.
({2})
Bitte sehr, Frau Abgeordnete Traupe, zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich für die SPD-Fraktion zur Geschäftsordnung gemeldet, weil wir mit großer Verwunderung zur Kenntnis nehmen, daß angesichts so aktueller und wichtiger Fragen wie der Fragen der Innenpolitik und der Fragen der Umweltpolitik die Minister nicht anwesend sind.
({0})
Sie haben es auch im Gegensatz zum deutschen Bundeskanzler, was wir akzeptiert haben, nicht mal nötig gehabt, sich zu entschuldigen. Wir erwarten, daß beide hier ihre Verantwortung wahrnehmen und herkommen.
({1})
Wir rufen sie herbei.
({2})
Zur Geschäftsordnung, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf darauf hinweisen, daß Herr Minister Schäuble heute weit über vier Stunden hier war und gerade zu einer ganz wichtigen Besprechung abgerufen ist und gleich wiederkommen wird.
({0})
Ich vertrete ihn während dieser kurzen Zeit. Ich finde es nicht sehr gut, daß Sie diese paar Minuten hier in Anspruch nehmen.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Vogel, selbst wenn er nicht zur Geschäftsordnung sprechen würde: Ein Bundesminister hat nach dem Grundgesetz immer das Recht, das Wort zu nehmen.
({0})
- Ja, auch da. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es ihm auch da möglich ist. Das wäre mal ein interessanter Auftrag für eine Promotion.
({1})
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Bohl.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Traupe, ich glaube, es ist eine alte Erfahrung, daß im Laufe einer Debatte,
({0})
die sich über sechs Stunden hinzieht, sowohl hier im Hause als auch in den Fraktionsräumen durchaus parallel noch Besprechungen und dergleichen mehr stattfinden.
({1})
Das ist doch gar kein Punkt, über den man sich groß aufregen müßte.
Es war bisher eigentlich immer üblich, daß, wenn ein solcher Wunsch besteht,
({2})
daß ein Minister bei einem Punkt, der nun in einer Generaldebatte aufgegriffen wird,
({3})
man, verehrte, liebe Frau Traupe, einem das mitteilt und daß dann auch die Möglichkeit besteht, einen Bundesminister selbstverständlich noch herbeizuholen.
({4})
Es ist doch auch für uns völlig überraschend, was Sie jetzt hier tun, zumal der Herr Bundesinnenminister durch Herrn Staatssekretär Waffenschmidt hier vertreten ist,
({5}) daß Sie mit diesem Begehren kommen.
Hätten Sie uns das bei der Wortmeldung des Kollegen Penner mitgeteilt, hätten wir uns selbstverständlich bemüht.
({6})
Nachdem Sie hier diese Bitte äußern, wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß Herr Bundesminister Schäuble umgehend geholt wird.
({7})
- Eben haben Sie noch Herrn Schäuble erbeten, jetzt erbitten Sie Töpfer. Sie müssen sich erstmal einigen, was Sie wollen.
({8})
Ich sehe übrigens gerade, daß auch Herr Staatssekretär Grüner anwesend ist. Also ist auch der Bundesumweltminister vertreten.
Frau Traupe, wir stehen jetzt vor folgender Situation: Wenn Sie jetzt abstimmen lassen wollen - ich unterstelle, daß Sie im Moment eine schwache Mehrheit für einen solchen Antrag hätten -,
({9})
dann müßten wir die Sitzung unterbrechen, bis der Bundesminister geholt worden ist.
({10})
Die andere Möglichkeit besteht darin, daß wir in der Debatte fortfahren
({11})
und wir Ihnen zusagen, daß sich der Herr Bundesminister in einer Frist von zehn Minuten - ich weiß nicht, wie lange der Herr Bundesminister mit seinem Auto hierher braucht - hier befinden wird.
({12})
Der Unterschied besteht im wesentlichen darin, daß wir entweder zehn Minuten unterbrechen und dann Herrn Schäuble hier haben
({13})
oder zehn Minuten fortfahren und dann ebenfalls Herrn Schäuble hier haben. Angesichts dieser Sachlage kann ich gar nicht verstehen, warum Sie diesen Antrag unbedingt stellen wollen.
({14})
Sollten Sie, verehrte Frau Kollegin Traupe, darauf bestehen, diesen Antrag zu stellen, wird Ihnen doch klar sein, daß wir - diese Möglichkeit haben wir jederzeit -({15})
damit den Antrag auf Feststellung der Beschlußfähigkeit verbinden. Dann müßten wir zum Hammelsprung kommen.
({16})
Wenn dann der Hammelsprung durchgeführt wird - ({17})
Herr Abgeordneter Bohl, kommen Sie bitte zum Schluß!
({0})
- - werden wir nach Ablauf von zehn Minuten oder einer Viertelstunde, die ein solcher Hammelsprung dauert, das überraschende Ergebnis haben, daß Herr Bundesminister Schäuble dann hier ist. Deswegen kann ich gar nicht verstehen, weshalb dieser Antrag gestellt wird.
({0})
Herr Abgeordneter Bohl, ich habe alles verstanden.
({0})
Herr Präsident, ich wollte nur rein vorsorglich den Antrag nach unserer Geschäftsordnung stellen, mit der Abstimmung, die von Frau Traupe gewünscht worden ist, gleichzeitig die Feststellung der Beschlußfähigkeit zu verbinden. Das hat geschäftsordnungsmäßige Folgen, die dem Herrn Präsidenten, nachdem wir schon mehrfach geübt haben, hinreichend bekannt sind. Ich sehe dem Ergebnis mit Gelassenheit entgegen.
({0})
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Vogel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier nicht um eine Geschäftsordnungsfrage. Wir haben gehört, daß eine große Kabinettsumbildung stattgefunden hat. Wir haben gehört, daß ein neuer Aufbruch stattfindet. Dann ist es eine Selbstverständlichkeit, daß der neue Innenminister, der seit drei oder vier Tagen im Amt ist, an der Debatte teilnimmt.
({0})
Es ist eine Mißachtung des Parlaments, wenn es als Gnade hingestellt wird, daß die Herren Minister an einer solchen Aussprache teilnehmen.
({1})
Es ist peinlich, wie der Herr Kollege Bohl mit der Androhung von Geschäftsordnungstricks und durch Ausnutzung der Redezeit diesen Sachverhalt zu verwirren trachtet.
({2})
Herr Präsident, die SPD-Fraktion ist damit einverstanden, daß die Abstimmung über diese Selbstverständlichkeit für zehn Minuten ausgesetzt wird. Wenn bis dahin die beiden Minister anwesend sind, ist der Respekt vor dem Parlament wiederhergestellt. Anderenfalls bitte ich, nach zehn Minuten abstimmen zu lassen.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist jetzt der Antrag auf Unterbrechung der Sitzung gestellt. Herr Abgeordneter Dr. Vogel hat die Erklärung abgegeben, daß die antragsteilende Fraktion den Antrag auf Herbeirufung eines Ministers oder mehrerer Minister für zehn Minuten zurückstellt. Wenn die Bundesminister innerhalb dieser Zeit eingetroffen sind, erklärt die Fraktion der SPD diesen Antrag für erledigt. Habe ich das so richtig verstanden?
({0})
Das ist ein Antrag auf Unterbrechung. Kann die Mitteilung gemacht werden, daß der Minister innerhalb von zehn Minuten hier ist?
Ja.
Der Innenminister ist in zehn Minuten da.
Wie steht es mit dem anderen Minister? - Er ist dann auch da. In zehn Minuten sind also beide Minister da.
Sollen wir jetzt so lange unterbrechen, oder begnügen Sie sich damit, daß Sie die Gewißheit bekommen haben, daß Ihr Petitum erfüllt ist? Einverstanden? - Sie ziehen den Antrag zurück. Wenn die Minister da sind, werde ich durch Kopfnicken ein Zeichen geben. Dann ist alles wieder in Ordnung.
Nun hat das Wort der Herr Bundesminister der Verteidigung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außenpolitik und Sicherheitspolitik sind aus verständlichen Gründen zentrale Themen dieser Debatten geworden. Ich möchte zur sicherheitspolitischen Lage einige Anmerkungen machen.
({0})
Nach Einschätzung der Bundesregierung gehören zu ihr fortbestehende ideologische Gegensätze zwischen West und Ost - bei allen bemerkenswerten Veränderungen, die wir vor allem in der Sowjetunion erkennen. Es gehört zu ihr eine anhaltende militärische Überlegenheit der Sowjetunion und des Warschauer Pakts.
Zu ihr gehört auch unsere Bereitschaft, neue Chancen für positive Veränderungen, vor allem für kontrollierte Abrüstung, verantwortungsbewußt zu nutzen und aktiv mitzugestalten.
Wir können das aber nur, wenn bestimmte Grundsätze klar sind. Für uns bleibt das tragende Fundament unserer Sicherheit in diesem Zusammenhang das Bündnis der westlichen Demokratien. Dieses Bündnis ist auch in Zukunft unentbehrlich. Nur an der Seite der westlichen Demokratien und dabei besonders auch im Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika können wir unsere Sicherheitsinteressen wahren.
Die Grundlagen dieses Bündnisses sind - das wird heute leider oft vergessen - nicht allein militärpolitisch. Sie liegen in gemeinsamen Grundwerten. Zu ihnen gehören Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, freiheitliche und soziale Wirtschaftsverfassungen. Es ist notwendig, das in einer Zeit . zu betonen, in der mutige Menschen in Osteuropa für Menschenrechte und Freiheiten kämpfen und manche bei uns den Wert dieser zentralen Errungenschaften geringschätzen.
({1})
Mit dieser Bündnispolitik grenzen wir uns auch deutlich von den Befürwortern eines Sonderweges in der Opposition ab. Sosehr Politik immer wieder nach alternativen Wegen suchen muß - in der Frage der Westbindung gibt es keine prinzipielle Alternative. Daran dürfen wir weder im Westen noch im Osten Zweifel aufkommen lassen. Jedes andere Experiment könnte uns zum Spielball fremder Interessen machen, die keineswegs mit unseren übereinstimmen.
({2})
- Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege Vogel, wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken würden und ein Mindestmaß an parlamentarischer Ordnung bewahrten.
Meine Damen und Herren, es ist daher unsere feste Absicht, diese ideelle und konkrete Verbundenheit weiter zu stärken und das Prinzip der ungeteilten Sicherheit der gesamten Allianz durch die Integration der militärischen Verteidigung zu verwirklichen. Wir wollen Chancen für Rüstungskontrolle und Entspannung im Ost-West-Verhältnis nutzen, aber das setzt weiterhin das Festhalten an der militärischen Verteidigungsfähigkeit und an der Abschreckung voraus, nicht als Selbstzweck, nicht aus Sturheit, nicht aus Phantasielosigkeit, sondern weil wir sichere Fundamente für den politischen Dialog und den sicherheitspolitischen Fortschritt zwischen West und Ost brauchen.
Dies bleiben auch unverzichtbare Voraussetzungen, wenn unsere Außen- und Sicherheitspolitik glaubwürdig auf Rüstungskontrolle und Entspannung ausgerichtet werden soll.
({3})
Herr Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Ich möchte Ihnen gerne ein bißchen mehr Ruhe verschaffen.
Ich würde das begrüßen. Ich bedanke mich!
Zwar ist im allgemeinen Ruhe, aber in einer Ecke beschäftigen sich einige Kollegen so mit sich selbst, daß ich sie bitten muß, ihre Unterhaltung nach draußen zu verlegen. Ich meine dort hinten die rechteste Ecke des Saales. Es ist bis hierher zu hören, worüber Sie sich unterhalten, und das muß ja nicht sein.
Im übrigen, Herr Minister, kann ich mitteilen, daß - dem Wunsch der SPD-Fraktion entsprechend - die beiden Herren Minister, um die es ging, inzwischen eingetroffen sind. Ich nehme an, daß deswegen der Geschäftsordnungsantrag als erledigt betrachtet werden kann.
({0}) Fahren Sie bitte fort.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung bleiben unverzichtbar. Sie sind gleichsam unsere Versicherung gegen nicht unvorstellbare Rückfälle der anderen Seite in machtpolitische Verhaltensweisen.
Meine Damen und Herren, zu dieser Strategie gehört auch: Nuklearwaffen dienen ausschließlich dem politischen Ziel der Kriegsverhinderung. Krieg ist als Mittel zur Konfliktlösung unvorstellbar geworden. Das gilt nun für den nuklearen Krieg genauso wie für den konventionellen Krieg. Beides ist von entscheidender Bedeutung: Die Unvorstellbarkeit des Krieges und die Bereitschaft, Sicherheit zu schaffen, die wirklich dieses Ziel gewährleistet.
Der Bundeskanzler hat daran erinnert, daß die NATO seit 1980 über 2 400 Nuklearwaffen einseitig, d. h. ohne entsprechende Gegenleistung der Sowjetunion, aus Europa abgezogen hat. Es kann vor allem im Bereich der sogenannten nuklearen Artillerie zu weiteren erheblichen, gegebenenfalls auch einseitigen Reduzierungen kommen. Aber es ist nun höchste Zeit, daß die Sowjetunion auch diesem Beispiel folgt, gerade weil sie auf dem Sektor der Kurzstreckenraketen fortgesetzt modernisiert und hier nach eigenen Angaben eine Überlegenheit von 16 : 1 - von 16 : 1! - hat. Es ist kein guter Diskussionsstand, wenn viele im
Westen, auch bei uns, ausschließlich die Problematik landgestützter Nuklearraketen des Bündnisses behandeln und dazu schweigen, daß die Sowjetunion ihre erdrückende Überlegenheit in diesem Bereich unverändert verstärkt.
({0})
Dieser Zustand kann nicht unseren Interessen dienen!
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es nach Ihnen ginge, reduzierten wir im Westen noch erheblich weiter, ohne dafür vom Warschauer Pakt die erforderlichen größeren Abrüstungsschritte gesichert zu erhalten. Ich glaube, das ist eine Rüstungskontrollkonzeption, die weder der Stabilität noch unserer Sicherheit in Europa dient.
Wir alle verfolgen mit großer Aufmerksamkeit und mit Hoffnungen die beginnenden politischen und ökonomischen Reformen in der Sowjetunion und in anderen Ländern des Ostblocks. Man muß sie freilich deutlich auf dem Hintergrund einer dramatischen Wirtschaftskrise verstehen, die in immer krasseren Formulierungen jetzt auch von vielen Persönlichkeiten dort beschrieben wird.
Um so bemerkenswerter ist es, einmal einen Blick auf die Verteidigungsaufwendungen zu richten. 1988 betrugen sie im atlantischen Bündnis im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt, also zur volkswirtschaftlichen Kraft und Leistung, zwischen 2,1 % in Kanada und 6,1 % in den USA. Die Zahl für die Bundesrepublik beträgt, wie Sie wissen, 3 %. Nach den Schätzungen der besten westlichen Experten betragen die entsprechenden Aufwendungen in der Sowjetunion zwischen 15 und 20 % der dortigen volkswirtschaftlichen Gesamtleistung.
Es gibt schon einsehbare Gründe für die Sowjetunion, sich in dieser schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise zu entlasten. Das ist ein entscheidender Grund, weshalb heute die Chancen für wirkliche Abrüstung besser sind als in früheren Zeiten.
Aber Hoffnungen, die wir haben, Initiativen, die wir mit unseren Verbündeten einleiten, sind noch keine Realitäten. Das wichtigste Ziel der Abrüstungsverhandlungen, jetzt vor allem der konventionellen Verhandlungen in Wien, muß der dauerhafte, überprüfbare Abbau der großen Überlegenheit, der Offensivfähigkeit des Warschauer Paktes in Europa sein.
Heute noch beraten wir in erster Lesung kurz Anträge zur Änderung der Wehrpflicht. Weil der Fraktionsvorsitzende der SPD das Thema hier angesprochen hat, will ich folgendes betonen: Natürlich müssen die Prognosen über die künftige Zahl der Wehrpflichtigen immer wieder fortgeschrieben werden. Das gilt z. B. in nächster Zeit besonders im Hinblick auf die sehr stark steigenden Zahlen der deutschen Aussiedler, die zu uns kommen; Herr Kollege Penner ist soeben in anderem Zusammenhang auf dieses Thema eingegangen. Es kann sein - nach den Erfahrungen des ersten Quartals - , daß es erheblich mehr als die 300 000 werden, die zunächst geschätzt wurden.
Ich will aus gegebener Veranlassung, nach einigen irreführenden Presseberichten und auch nach Ihren
Ausführungen, Herr Kollege Vogel, hier unterstreichen und betonen: Es gibt überhaupt keinen Grund, in diesem Zusammenhang die sorgfältige, gewissenhafte Arbeit der Beteiligten im Bundesministerium der Verteidigung, insbesondere auch der militärischen Führung, zu kritisieren oder zu beanstanden.
({1})
Nein, ich sage das ausdrücklich im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler, damit das vollkommen klar ist. Ich habe mich in den ersten Tagen mit dieser Situation besonders vertraut gemacht. Ich sage hier ausdrücklich, daß ich das ebenfalls für den Bundeskanzler erkläre.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Bitte schön, Herr Gerster.
Herr Minister Stoltenberg, ist Ihnen bekannt, ob der Militärische Führungsrat der Bundeswehr mit der entsprechenden Passage in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers von heute vormittag einverstanden ist, also damit, wie es der Kanzler heute vormittag formuliert hat?
Da ich seit heute morgen 9 Uhr in diesem Hause bin, habe ich den Generalinspekteur noch nicht gesehen; ich werde ihn heute abend sehen. Insofern brauche ich eine solche Frage hier jetzt nicht hypothetisch zu beantworten.
Meine Damen und Herren, ich will fortfahren und Ihnen sagen: Wir haben bei Ihnen, Herr Vogel, manche Selbstgerechtigkeit gehört, auch in der Bewertung früherer und jetziger Kollegen. Ich weise Ihre Polemik gegen meinen Freund und Vorvorgänger Manfred Wörner ausdrücklich zurück. Manfred Wörner hat sich in fünfeinhalb Jahren beachtliche Verdienste um die Bundeswehr und um das Bündnis erworben.
({0})
Bei allen schwerwiegenden Problemen, vor denen wir stehen, die mir jetzt besonders gestellt sind, ist die Bundeswehr eine moderne, leistungsfähige Streitkraft, die ihren Auftrag für Frieden und Freiheit vorbildlich wahrnimmt. Auftrag und Mittel der Bundeswehr müssen in Übereinstimmung sein. Das gilt für die Zukunft in besonderer Weise.
Den vielfältigen Problemen auch im Alltag der Soldaten will ich mich besonders zuwenden. Dabei geht es um die Stärkung der Attraktivität - wir waren uns gestern im Ausschuß im Grundsatz einig, auch im Hinblick auf die drastischen demographischen Veränderungen - , es geht aber auch um die Anerkennung der Leistung der Soldaten. Man kann fehlende Anerkennung für den Auftrag und die Erfordernisse der
Soldaten nicht durch das Versprechen höherer sozialer Leistungen ersetzen; beides ist notwendig.
({1})
Für mich - da Sie mich heute angesprochen haben, Herr Vogel, will ich Ihnen das sagen - ist das, was ich übernommen haben, eine große und ehrenvolle Aufgabe, auch in der Tradition bedeutender Vorgänger.
Zum Schluß lassen Sie mich, Herr Präsident, folgendes sagen: Zu meinen ersten Aufgaben als neuer Verteidigungsminister gehört es selbstverständlich, sorgfältig zu prüfen, wo neue Entwicklungen neue Entscheidungen notwendig machen. In diese Prüfung will ich auch die langfristigen Zielsetzungen einbeziehen. Bekenntnisse zur Bundeswehr sind gut, aber sie bleiben leere Formeln, wenn nicht bei uns Politikern die Bereitschaft vorhanden ist, die Voraussetzungen auch für ihre unverzichtbaren Übungen, für notwendige Infrastrukturentscheidungen und für alle Bereiche ihres Dienstes zu gewährleisten. Bei dieser großen Aufgabe bitte ich Sie über die Grenzen der Parteien hinweg um Ihr aktives Engagement.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu der vorhergehenden Geschäftsordnungsdebatte machen. Herr Umweltminister Töpfer, ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß Sie - ganz im Gegensatz zu Ihrem Naturell - in diesen Tagen das Licht der Öffentlichkeit scheuen und deswegen erst herbeigerufen werden mußten.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Natur befindet sich - wie auch der Bundesumweltminister kürzlich festgestellt hat - in einem desolaten Zustand. Zu Recht hält deshalb die Mehrheit der Menschen nach der Bewahrung des Friedens und der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit den Umweltschutz für die wichtigste politische Gestaltungsaufgabe. Viele Menschen in unserem Lande reagieren mit Betroffenheit, mit Ohnmacht, mit Wut und Hilflosigkeit, wenn sie immer wieder feststellen müssen, wie beschränkt unsere bisherigen Anstrengungen im Grunde waren, um die drohenden Gefahren für Natur und Umwelt abzuwenden. Ökologisch leben wir seit langem über unsere Verhältnisse. Wir zehren von der Substanz. Jede Sekunde gehen weltweit etwa 3 000 m2 Wald verloren. Jeden Tag verbrennen wir so viele fossile Brennstoffe, wie erst in einem Menschenleben wieder nachwachsen.
({1})
Jeden Tag werden mindestens zehn Tier- und Pflanzenarten ausgerottet. Jede Sekunde werden 1 000 t Treibgase in die Atmosphäre geblasen, die das Ozonloch vergrößern und unser Klima zerstören. Bis zum Jahr 2000 werden wir allein in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 200 000 m3 radioaktiven
Abfall haben. Wir leben, meine Damen und Herren
- das ist die bittere, das ist die nüchterne Wahrheit auf Kosten der nach uns kommenden Generationen.
({2})
Während die Naturzerstörung und der Verbrauch unwiederbringlicher Rohstoffe in rasendem Tempo weitergehen, präsentieren Sie uns eine Umweltpolitik, der jede Stetigkeit und Gestaltungskraft fehlt. Was gestern noch hochgelobt wurde, wird heute kassiert.
({3})
Mit großspurigen Ankündigungen versuchen Sie, Stimmung zu machen. Später blasen Sie kleinlaut zum Rückzug. Das jüngste Beispiel für Ihr umweltpolitisches Stop-and-go ist die Reform des Naturschutzgesetzes. Während nach der umweltpolitischen Grundsatzdebatte des Kabinetts am 15. Februar noch von einem fertiggestellten Gesetzentwurf mit wesentlichen Verbesserungen für den Naturschutz die Rede war, haben jetzt die bekanntlich renommierten Umweltpolitiker Waigel, Lambsdorff und Kohl beschlossen, das Projekt einfach fallenzulassen.
({4})
Daran ändern auch die Lippenbekenntnisse des Herrn Bundeskanzler nichts.
({5})
Daran ändert auch Ihre zuvor getroffene Feststellung nichts, Herr Kollege Lambsdorff, Sie würden sich darum bemühen, das Naturschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
({6})
Meine Damen und Herren, im übrigen gilt in diesem Hause bislang der Grundsatz, daß die Verursacher für Umweltschäden auch für deren Kosten aufzukommen haben
({7})
und daß dafür nur in Ausnahmefällen Entschädigungen gezahlt werden. Bei einer bestimmten Berufsgruppe, bei den Landwirten nämlich, wollen Sie eine pauschale Ausnahme davon machen und pauschal alle Landwirte für umwelt- und naturgerechtes Produzieren entschädigen, und dies noch zu Lasten der Länder. Mit dieser Umweltpolitik werden Sie Ihren eigenen Prinzipien nicht gerecht.
({8})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lambsdorff?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr Lambsdorff!
Vielen Dank. - Herr Kollege Schäfer, würden Sie uns bitte wissen lassen - ob und in welchem Umfang Entschädigung notDr. Graf Lambsdorff
wendig ist, darüber kann ja gestritten werden -, ob Sie einen Finanzierungsvorschlag für das Naturschutzgesetz haben und, wenn ja, wie Sie uns empfehlen, ihn durchzusetzen.
Herr Kollege Lambsdorff, ich kann es Ihnen nicht verübeln, daß Sie in diesem Bereich kein Fachpolitiker sind. Wir haben bei der Beratung des Wasserhaushaltsgesetzes, in dessen § 19 Sie bereits die Entschädigungspflicht der Länder für Landwirte festgeschrieben haben,
({0})
die in Wasserschutzzonen Nutzungseinschränkungen unterliegen, unsere Position deutlich gemacht. Das müßte dann aus dem allgemeinen Haushalt finanziert werden. Die Landwirte, die sich ökologisch verträglich verhalten, sollen eine direkte Einkommensübertragung, eine Art ökologisches Landschaftspflegegeld aus dem allgemeinen Haushalt erhalten. Das ist die Position, die eindeutig feststeht; aber bitte keine allgemeine Entschädigung für die selbstverständliche Erfüllung der Pflicht, sich umweltschonend zu verhalten.
({1})
Herr Abgeordneter, Herr Lambsdorff hat sich zu einer zweiten Zwischenfrage gemeldet. Ich muß Sie allerdings darauf aufmerksam machen: Es wird alles angerechnet. Wir sind weit über die Zeit.
Dann bitte ich um Verständnis. Wenn die Zwischenfragen angerechnet werden, kann ich auf keine Zwischenfrage mehr eingehen, zumal ich bislang überhaupt einer der wenigen Redner bin, die heute auf Zwischenfragen eingegangen sind. Ich bitte sehr um Verständnis.
Der Verzicht auf eine wirkliche Reform des Naturschutzrechtes ist die endgültige Bankrotterklärung Ihrer Umweltpolitik.
({0})
Es verwundert daher nicht, daß die Naturschutzverbände von der Bundesregierung als dem „Totengräber der Natur" sprechen.
Weil Sie das Vertrauen der Bürger verloren haben, fehlt Ihnen Selbstvertrauen. Weil Sie kein Selbstvertrauen mehr besitzen, handeln Sie panikartig. Auf der Strecke bleibt Ihre Glaubwürdigkeit, auf der Strecke bleibt eine stetige, planvolle und berechenbare Umweltpolitik. Das ist die bittere Bilanz Ihrer Umweltpolitik.
({1})
Sie, Herr Minister Töpfer, haben vor fast genau einem Jahr vor dem deutschen Naturschutztag zu Recht gesagt - ich zitiere - : „Die zaghaften Ansätze und Bemühungen in den letzten Jahren versprechen noch keinen Erfolg. Der Naturschutz muß heraus aus der Defensive; er muß in die Offensive!"
Ich frage Sie, Herr Minister: Ist das nur Ihr dummes Geschwätz von gestern, oder stehen Sie auch heute
noch zu Ihrem Wort? Wenn Sie dazu stehen, dann gehen Sie an dieses Pult und sagen: Noch in dieser Legislaturperiode werden wir ein Bundesnaturschutzgesetz durchsetzen, das den Namen des Naturschutzes auch verdient.
({2})
Diese Entscheidung, das atemberaubende Hin und Her in Sachen Naturschutz zeigen einen Grundzug Ihrer Politik: Opportunismus. Weil Sie wissen, daß Naturschutz Konflikte mit Bauern und Jägern bringt, und weil Sie Angst haben, die könnten vielleicht die rechtsextremen Republikaner wählen, verzichten Sie heute auf eine Reform, die Sie gestern noch zum Schwerpunkt Ihrer Umweltpolitik gemacht haben. Diese Art von Umweltpolitik ist fatal. Diese Schaukelpolitik stärkt diejenigen, die Sie politisch zu bekämpfen vorgeben.
Am Sonntag versprechen Sie in Ihren Leitlinien zur Umweltpolitik - ich zitiere - , „den Entfaltungsraum der Natur überall zu verbessern und zu erweitern. Schmetterlinge, Wildbienen, Heidekraut und Orchideen, Frösche und Störche sollen in Kraut- und Strauchfluren, nährstoffarmen Trockenrasen und Feuchtwiesen wieder Lebensräume finden können." So schreiben Sie sonntags in Ihren Leitlinien für eine Umweltpolitik. Werktags sagen Sie dann: Tut uns leid, es war nicht so gemeint.
Hier wird deutlich, was wir in der Umweltpolitik von Ihnen zu erwarten haben:
({3})
Symbolik statt Politik, Wettbewerb „Ökologisches Dorf" statt Schutzrechte für Natur und Umwelt, Programme und Ankündigungen statt Taten, Reklame statt Politik.
({4})
Dabei ist vielen Menschen, auch in der Wirtschaft, klar: Wir müssen entschieden mehr für den Umweltschutz tun. Die Bereitschaft dazu ist bei den Menschen vorhanden. Aber Bürger und Industrie brauchen verläßliche Rahmendaten. Sie wollen ehrlich wissen, was auf sie zukommt. Für eine ehrliche Umweltpolitik fehlt Ihnen nicht das Wissen, sondern der Mut und die Gestaltungskraft.
({5})
Wie lange soll es noch dauern, bis Sie zu Wackersdorf mit einer Zunge sprechen und aufhören, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen? Die Energiewirtschaft hat Wackersdorf den Todesstoß versetzt,
({6})
was doch auch Sie wissen. Ein schnelles Ende wäre in Wackersdorf, in Kalkar und beim Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop gegenüber allen Beteiligten billiger und ehrlicher als ein langes Siechtum. Warum greifen Sie nicht unser Angebot zu einem nationalen Konsens in der Entsorgungsfrage auf der Grundlage der direkten Endlagerung auf?
({7})
Schäfer ({8})
Das ist etwas, was Ihnen Ihre Verantwortung eigentlich gebieten müßte.
({9})
Statt dessen eiern Sie in einer der wichtigsten Fragen der Energiepolitik hin und her.
({10})
Wenn Sie, Herr Bundesumweltminister Töpfer, und auch der Bundeskanzler heute erklärt haben, die obligatorische Einführung der US-Grenzwerte für Pkw in der Bundesrepublik sei nun auch Ihr Programm, haben Sie dafür unsere Unterstützung. Schließlich haben wir das lang genug gefordert.
Nur, wir haben noch nicht vergessen, welche Kapriolen Sie, Herr Umweltminister Töpfer, geschlagen haben, als Sie uns den miserablen EG-Kompromiß vom November 1988 als einen bedeutsamen Fortschritt in der Umweltpolitik, was die Einführung der Grenzwerte für Pkw angeht, angekündigt haben.
Wir brauchen im übrigen ebenso radikale Maßnahmen, die technisch möglich sind, gegen die zunehmende Verpestung durch die Lkw. Dazu haben Sie leider nichts gesagt; auch der Bundeskanzler hat dazu in seiner Regierungserklärung nichts gesagt.
Für Ihre Umwelt- und Energiepolitik gilt das gleiche wie für Ihre Gesamtpolitik: Mit Ihrer Regierungserklärung kündigen Sie Schönheitsreparaturen an einem Gebäude an, das einsturzgefährdet ist. Zu einer wirklichen Neuorientierung fehlt Ihnen die Kraft. Wo eine nationale und EG-weite gemeinsame Kraftanstrengung zur Rettung der Umwelt mit konkreten Zielvorgaben und Maßnahmen erforderlich wäre, knicken Sie schon bei einer halbherzigen Reform des Naturschutzrechts vor der Lobby der Großbauern und Jäger ein.
({11})
Wundern Sie sich eigentlich noch, daß Sie jede Glaubwürdigkeit bei den Menschen verlieren, die sich für Umwelt- und Naturschutz engagieren, bei jenen Menschen, denen bewußt ist, daß die Lösung der Umweltprobleme von epochaler Bedeutung ist?
Was hier heute vorgestellt wurde, ist kein Neuanfang, auch nicht in der Umweltpolitik und der Energiepolitik. Es ist das „Weiter so! " des Ankündigens, des Verwässerns und des Verschiebens buchstäblich lebensnotwendiger Entscheidungen auf den SanktNimmerleins-Tag.
Ich nenne Ihnen kurz zehn Punkte,
({12})
wo wir gemeinsam die dringend erforderliche ökologische Erneuerung einleiten könnten;
({13})
zehn Punkte, wo Sie unsere Unterstützung hätten;
zehn Punkte, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden könnten; zehn Punkte, die der notleidenden Natur helfen würden, die Umwelt und Arbeit verbinden würden, die die ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft mit der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen verknüpfen würden.
({14})
Wir brauchen eine Initiative zur Abwendung der Klimakatastrophe.
Wir brauchen eine neue Energiepolitik mit Verzicht auf Wackersdorf, Kalkar und Hamm-Uentrop als sofortigen Einstieg in eine sichere Energieversorgung ohne Atomkraft.
({15})
Wir brauchen eine ökologische Umgestaltung des Steuersystems, aufkommensneutral und mit sozialem Ausgleich.
Wir brauchen die Bekämpfung des Waldsterbens durch eine Luftschadstoffabgabe und die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung.
Wir brauchen die dringend notwendige Reform des Energiewirtschaftsgesetzes.
Wir brauchen die Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel im Grundgesetz ohne Wenn und Aber, ohne Abwägungsklausel und ohne Gesetzesvorbehalt.
Wir brauchen eine Initiative zur Rettung der Nord- und Ostsee und zur Sicherung des Grundwassers.
Wir brauchen ein bundesweites Altlastensanierungsprogramm.
Wir brauchen ein wirkliches Naturschutzgesetz inklusive Verbandsklage.
Und wir brauchen ein wirksames Umwelthaftungsrecht.
Der Herr Bundeskanzler hat oft beklagt, seine angeblich so gute Politik werde schlecht verkauft. Was die Umweltpolitik angeht, so ist es eher umgekehrt. Hier ist ein Minimum an Leistung mit einem Maximum an öffentlicher Darstellung verbunden worden. Aber, meine Damen und Herren, der Rhein wird nicht dadurch sauber, daß ein gut verpackter Minister darin herumplanscht.
({16})
Meine Damen und Herren, Sie haben richtig erkannt, daß Ihnen die Wähler auch wegen Ihrer halbherzigen Umweltpolitik davonlaufen, aber Sie haben nicht die Kraft und den Mut, diese Politik zu ändern. Das hat die Kabinettsumbildung, das hat die Regierungserklärung heute erneut bewiesen. Sie, Herr Töpfer, rufen daher - es ist fast ein Hilferuf - auch nach der Kabinettsumbildung nach einem ökologischen Veto-Recht für Sie bei Kabinettsentscheidungen. Es gibt kein klareres öffentliches Eingeständnis dafür, daß der Umweltschutz in dieser Regierung ein Schattendasein führt. Sie, Herr Töpfer, sind der öffentliche Kronzeuge dafür.
({17})
Schäfer ({18})
Meine Damen und Herren, auch für die Umwelt- und die Energiepolitik gilt: Unser Volk will eine neue Politik und eine andere Regierung.
({19})
Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erbeten.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß wir die vom Ältestenrat vereinbarte Redezeit überschritten haben. - Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzler war gerade auch in ihrem umweltpolitischen Teil überzeugend.
({0})
Wer es noch nicht gewußt hat, weiß es jetzt nach der Rede des Abgeordneten Schäfer an dieser Stelle, meine Damen und Herren.
({1})
Es ist völlig richtig - ich nehme das auf, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat - : Die SPD hat lange genug die Einführung der US-Grenzwerte bei Autos gefordert. In der Tat, sie hat es gefordert. Als sie in der Verantwortung war, hat sie es nämlich nicht gemacht. Wir haben es jetzt getan.
({2})
Wir betreiben eine Umweltpolitik mit Konzept und Konsequenz. Ich werde Ihnen das an zwei Beispielen belegen. Herr Abgeordneter Schäfer.
Erstens. Wir sind in einer internationalen Umweltpartnerschaft. Wir haben das aufgegriffen. Vor 14 Tagen waren vier Umweltminister aus dem Ostblock hier bei uns zu Gast. Sie sind mit der klaren Überzeugung weggefahren: Es lohnt sich, mit der Bundesrepublik Deutschland in einer Umweltpartnerschaft verbunden zu sein, weil es nirgendwo anders als in dieser Republik bessere Umwelttechnologien und eine überzeugendere Umweltpolitik gibt.
({3})
Wir brauchen eine internationale Umweltpartnerschaft, weil weltweit Risiken für unsere Umwelt bestehen.
Zweitens. Wir haben in dieser Legislaturperiode eine neue Sicherheitskultur für die Industriegesellschaft geschaffen. Wir haben das nicht angekündigt, sondern wir haben ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Wir werden abwarten, Herr Abgeordneter Schäfer, was die Opposition bei der Beratung der Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, des Chemikaliengesetzes und des Abwasserabgabengesetzes
({4})
in den Ausschüssen dazu beiträgt, um dieser Sicherheitskultur in der Industriegesellschaft wirklich Rechnung zu tragen. Wir freuen uns sehr darauf.
Unsere Philosophie ist ganz eindeutig: Die Sicherheit der Industriegesellschaft beginnt bei der Produktion. Sie setzt sich fort über die Produkte und endet bei den Abfällen. Diese Zusammenfassung bedeutet endlich einmal das Herausschreiten aus dem sektoralen Umweltschutz hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung. Ich hoffe, daß uns die Opposition darin auch folgt und nicht ihrem sektoralen Denken verhaftet bleibt.
({5})
Meine Damen und Herren, ich sage drittens und letztens: Wir haben - im Gegensatz zu Ihnen - klar und deutlich erkannt, daß wir einen ökologischen Generationenvertrag brauchen.
({6})
Herr Abgeordneter Schäfer, in diesen Rahmen fügt sich das Bundesnaturschutzgesetz ein.
({7})
- Wir verabschieden das Naturschutzgesetz in dieser Legislaturperiode. - Nur eines, meine Damen und Herren, machen wir nicht: Wir machen keine Mogelpackung, wie Sie es einmal in bezug auf das Wasserhaushaltsgesetz vorhatten, als Sie § 19 Abs. 4 alternativlos abgelehnt haben.
({8})
Heute sagen Sie, dies sei Ihre Konzeption.
({9})
Dann fragen Sie-bitte einmal nach, wie der § 19 Abs. 4 etwa in Nordrhein-Westfalen vollzogen wird, damit Sie wissen, wie die Situation dort aussieht.
Meine Damen und Herren, das mag in der Tat unsere Naturschutzpolitik von der der SPD unterscheiden. Wir wollen Naturschutz mit den Landwirten und nicht gegen die Landwirte machen. Dafür brauchen wir einen vernünftigen Ausgleich.
({10})
Herr Abgeordneter Schäfer, das Bundesnaturschutzgesetz wäre schon längstens auch auf Ihrem Tisch, wenn wir uns die Sache so leicht gemacht hätten, hineinzuschreiben: Das Nähere regeln die Länder in ihren Gesetzen. Weil wir das nicht wollen, weil wir uns diese Aufgabe schwerer machen, ist dies eine weiß Gott herausfordernde Arbeit.
({11})
Zusammengefaßt: Internationale Sicherheitspartnerschaft und Umweltpartnerschaft sowie ein ökologischer Generationenvertrag, meine Damen und Herren, dies sind unsere Antworten. Ich glaube, wir werden noch viele Gelegenheiten haben, Ihnen zu belegen, daß wir eine Umweltpolitik von glaubwürdiger Konsequenz machen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({12})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der Aufgabe, die großen Probleme der Zukunft zu lösen.
({0})
Dies betrifft insbesondere die Frage der Energieversorgung. Wir müssen heute eingestehen, daß wir in der Vergangenheit einen Irrweg beschritten haben, der der Menschheit und der Umwelt einen großen und irreparablen Schaden zugefügt hat. Ich sage dies bewußt in diesen Tagen, drei Jahre nach Tschernobyl, um zu zeigen, daß wir lernfähig sind.
Die Atomenergie ist nicht zu verantworten; wir brauchen eine radikale Kehrtwendung. Wir werden den Weg der effizienten, sparsamen und ressourcenschonenden Energieverwendung beschreiten und werden unverzüglich alle Maßnahmen ergreifen, die zu einer sozialverträglichen, dezentralen und umweltverträglichen Energiestruktur beitragen.
({1})
Es ist mir ein besonderes Anliegen, diese Erkenntnis der deutschen Bevölkerung gerade heute, drei Jahre nach Tschernobyl, mitzuteilen.
Meine Damen und Herren, ich habe mir erlaubt, eine Erklärung zu imitieren, wie man sie von einem verantwortlichen Regierungschef erwartet haben könnte.
({2})
Leider hat Herr Kohl heute so nicht gesprochen.
({3})
Im Gegenteil: In diesen Tagen müssen wir erleben, wie der bisherige Katastrophenweg auch für die Zukunft festgeklopft werden soll, nur jetzt nicht mehr national, sondern europäisch.
Die Energiewirtschaft ist dabei, gemeinsam mit Frankreich die Weichen für ein atomares Europa der Zukunft zu stellen.
({4})
Daß dabei einige Züge verschoben und auf ein anderes Gleis gestellt werden, ergibt sich aus der Natur der Sache. In diesem Zusammenhang wird Wackersdorf nicht mehr gebraucht; es gibt ausreichende Kapazitäten in Le Hague. Daß sich die Wirtschaft von diesem ungeliebten Kind trennt, ist nach ihren Vorstellungen nur vernünftig.
Die Regierung sollte deshalb schnellstens ihren Eiertanz um dieses längst schon nicht mehr goldene Kalb aufgeben. Sie, meine Damen und Herren, können dazu beitragen, indem Sie unseren Antrag auf Aufhebung des Sofortvollzuges zustimmen; denn jede Mark, die noch für Wackersdorf ausgegeben wird, ist zum Fenster hinausgeworfen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will mich nicht an der Spekulation darüber beteiligen, was uns von dieser Regierung in einigen Wochen an Details präsentiert wird. Tatsache ist, daß einerseits die Atomindustrie in der Bundesrepublik, aber auch in Frankreich, den Gürtel enger schnallen muß, weil enorme Überkapazitäten bestehen und weil sich zumindest in der Bundesrepublik atomare Projekte nicht mehr durchsetzen lassen.
Tatsache ist andererseits, daß die Atomindustrie und die EVU versuchen, sich durch die deutsch-französische Zusammenarbeit ihre Pfründe zu sichern. Im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt, auf dieses Europa der Konzerne, werden jetzt auch im Energiesektor die Karten neu gemischt. Deutschen und Franzosen geht es darum, sich in gemeinsamer Aktion den Energiekuchen aufzuteilen, sei es auf dem Gebiet der Stromerzeugung, sei es der Export von Nukleartechnologien in Drittländer.
Was zur Zeit hinter den Kulissen ausgehandelt wird, bedeutet nichts anderes als den Versuch, ein atomares Europa, ein Europa der Energieverschwendung, ein Europa der zentralen monopolistischen Energieversorgung unter der Dominanz Frankreichs und Deutschlands festzuschreiben.
({6})
VEBA, COGEMA, Siemens, Framatome usw. haben durch ihre beabsichtigte und beschlossene Zusammenarbeit die wesentlichen Bausteine gesetzt. Der Politik bleibt es jetzt überlassen, daraus für die Öffentlichkeit ein Gesamtkonzept zu zimmern.
Aber man darf vermuten, daß es angesichts der beabsichtigten militärischen Zusammenarbeit BRD/ Frankreich in diesem Zusammenhang auch um eine nukleare Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet geht.
({7})
Dieses Spiel ist, entblättert von aller Verbalakrobatik der Regierung, durchschaubar. Es zeugt von Scheinheiligkeit, wenn hier von verantwortungsvoller Politik gesprochen wird. Durch die zur Schau gestellte Nachdenklichkeit der Regierung zu den anstehenden Lösungen so schwieriger Aufgaben wie einer gerechten Lastenverteilung - Wiederaufarbeitung dort, Endlager und Brennelementfertigung hier oder auch nicht - soll die Bevölkerung für den neuen europäischen Konsens peu à peu weichgekocht werden.
({8})
Es scheint, wenn man manche Äußerungen von seiten der SPD in den letzten Tagen anschaut, daß es dort eine gewisse Bereitschaft gibt, sich auf dieses zwielichtige Manöver einzulassen.
({9})
- Überlegt euch besser, was ihr sagt, dann kommt solcher Verdacht nicht auf.
Es ist gleich, meine Damen und Herren, ob eine WAA in La Hague oder in Wackersdorf steht: La Hague ist von Köln nicht weiter entfernt als Wackersdorf von Flensburg. Wenn die Menschen in diesem Land
eines begriffen haben, dann, daß radioaktive Verseuchung keine Grenzen kennt.
Natürlich sind wir froh, wenn Wackersdorf aufgegeben wird. Aber ich möchte Sie vor dem Trugschluß warnen, daß damit auch der Widerstand zusammenbrechen würde. Im Gegenteil, dann können wir unsere Kräfte auf die geplanten Endlager, auf die Atommülltransporte und auf die einzelnen Anlagen konzentrieren, um den sofortigen Ausstieg voranzutreiben.
({10})
Wir werden gemeinsam mit unseren Freunden im europäischen Ausland einem europäischen Atomprogramm einen grenzüberschreitenden Widerstand entgegensetzen.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Eindruck von der Regierungserklärung war: Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern etwas vormachen, den Eindruck eines neuen Anfangs erwecken. An keinem anderen Punkt Ihrer Politik wird die Unaufrichtigkeit dieses Vorhabens so deutlich wie an Ihrem unsäglichen sogenannten Gesundheits-Reformgesetz.
({0})
Neuer Anfang? Nein. Weitermachen wie bisher, weiter den Patienten in die Tasche greifen, ihnen die Leistungen kürzen, weiter abkassieren.
({1})
Mit Überheblichkeit haben Sie am 25. November 1988 den SPD-Gesetzentwurf für eine Strukturreform im Gesundheitswesen niedergestimmt. Ein umfassendes, sozial gerechtes Konzept. Und ob Herr Dregger das nun glaubt oder nicht: Das ist die Grundlage, mit der die SPD Ihr CDU/CSU- und FDP-Abkassierungsmodell nach der Bundestagswahl 1990 ablösen wird, meine Damen und Herren.
({2})
Jetzt haben Sie natürlich begriffen, daß Sie einer Fehlspekulation erlegen sind, als Sie annahmen, alles sei schnell vergessen, wäre das Monstrum Gesundheitsreform erst einmal in Kraft.
({3})
Nein! Seit dem 1. Januar werden die Versicherten und Patienten tagtäglich mit den sozialpolitischen Gemeinheiten Ihrer sogenannten Gesundheitsreform handfest konfrontiert.
({4})
Die Betroffenen wehren sich, und sie tun es zu Recht!
Und was tut Herr Blüm? Kein Gedanke an Gesetzeskorrekturen. Nein, er übt sich in Bürgerbeschimpfung!
({5})
Die Leute gingen ihm in ihrer Wehleidigkeit auf den Keks, hat er gesagt.
({6})
Das muß man sich einmal vorstellen: Fast 14 Milliarden DM in der Gesundheitsreform abkassieren, und wenn die Leute sich wehren, gehen sie dem Arbeitsminister auf den Keks. Herr Blüm, haben Sie es denn eigentlich noch immer nicht gemerkt: Den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes gehen Sie mit Ihrer unsozialen Politik auf den Keks. So sieht die Wirklichkeit aus!
({7})
Und, meine Damen und Herren, diese Gesundheitsreform ist ja nicht nur unsozial, sondern sie ist auch handwerklich miserabel! Beinahe täglich entdecken die Krankenkassen neue Fehler und neue Unklarheiten.
({8})
Der verantwortliche Minister reagiert darauf mit immer neuen Interpretationshinweisen. Herr Blüm beginnt meist mit den Worten: „Ich" - der Arbeitsminister - „halte es für sozial vertretbar ...". Und dann folgen Erläuterung und Begründung, wie man das Gesetz am zweckmäßigsten am beschlossenen Text vorbei anwendet, um das Ergebnis zu vermeiden, das Herr Blüm ursprünglich erreichen wollte, das ihm aber heute unangenehm ist. Auch das muß man sich vorstellen: Der Arbeitsminister empfiehlt den Gesetzesbruch als Notwehr gegen den von ihm durchgesetzten Unsinn. Wirklich toll!
({9})
Da kann man nur sagen: Hier zeigt sich wahre Regierungskunst. Jeder Landrat, der so vorgehen würde, wie Sie es tun, Herr Blüm, würde ohne Zögern und zu Recht seines Postens enthoben.
Die SPD wird keine Ruhe geben. Zur Gesundheitsreform verspreche ich Ihnen in diesem Hause noch eine Reihe „anregender Stunden" .
Einfälle haben Sie nur dann, wenn es um die Arbeitsmarktstatistik und ihre Verfälschung geht. Rund 160 000 Arbeitslose sind schon aus der Statistik wegmanipuliert; die Zahl offener Stellen wird stehend freihändig immer höher „geschätzt" . Wäre die Koalition den SPD-Vorschlägen, unseren zahlreichen Anträgen, unseren vielfältigen Initiativen gefolgt, dann hätten wir erstens weniger Arbeitslose und könnte sich die Regierung zweitens jeden Manipulationsversuch an der Statistik sparen, meine Damen und Herren.
({10})
Dabei ist die Langzeitarbeitslosigkeit ein immer größeres Problem. Die Zahl derjenigen, die vier Jahre und länger arbeitslos gemeldet sind, ist binnen Jahresfrist um 23 % gestiegen.
({11})
Ihre Politik zum Arbeitsförderungsgesetz, Herr Kolb,
({12})
erhält vernichtende Kritiken. Anläßlich der Anhörung zur Änderung der Arbeitslosenhilfe bewertete ein von der CDU/CSU-Fraktion benannter Sachverständiger den Regierungsgesetzentwurf mit folgender Feststellung, meine Damen und Herren - ich zitiere - :
. . . ich bin als Jurist tief gekränkt über diese gesetzliche Bestimmung. Ich habe noch nie eine gesetzliche Bestimmung im Entwurf gesehen, die so miserabel formuliert war wie diese Bestimmung, und in der Begründung auch so miserabel formuliert war, wie es hier geschehen ist.
Jetzt werden Sie, Herr Blüm, durch den Bundeskanzler korrigiert, der dem Drängen der Kirchen, dem Drängen der Gewerkschaften und dem Drängen der SPD endlich nachgibt und Sie zwingt, ein Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufzulegen. Sie, Herr Blüm, haben direkte, aktive Beschäftigungsförderung immer als sozialistisches Teufelswerk bekämpft. Jetzt müssen Sie das, was notwendig ist, tun, und man wird Sie vernünftigerweise zwingen, es schnell zu tun.
({13})
Die Alternative der SPD heißt: Neue soziale und ökologische Aufgabenfelder müssen besetzt werden.
({14})
Dabei wird die Eingliederung Langzeitarbeitsloser gelingen. Notwendig ist ein Programm des Bundes, der Länder und Gemeinden als Beitrag zur Modernisierung der sozialen Infrastruktur und zum ökologischen Umbau insbesondere in Regionen mit Beschäftigungsproblemen. Nicht zu vergessen, meine Damen und Herren: Es muß endlich Schluß sein, daß aus Beitragsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit die Eingliederung der Aussiedler bezahlt wird.
({15})
1989 werden den Beitragszahlern auf diesem Weg mehr als drei Milliarden Deutsche Mark aus der Tasche gezogen, meine Damen und Herren.
({16})
Von Korrekturen einer verfehlten Politik ist im Verantwortungsbereich des erfolglosen Ministers Blüm nichts zu hören. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz, das seit dem 1. Mai 1985 in Kraft ist
({17})
und Ende 1989 ausläuft, soll verlängert werden, und das, obwohl die Auswirkungen dieses Gesetzes zeigen, daß seit seinem Inkrafttreten nicht nur befristete Arbeitsverhältnisse, sondern insgesamt Teilzeitarbeit
auch in Form ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse zugenommen haben. Da erstaunt es niemanden, daß diese Bundesregierung die Verabschiedung der Teilzeitrichtlinie und der Richtlinie zur Zeit- und Leiharbeit der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, die auf der Linie der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion liegt, in keiner Weise forciert.
Quintessenz: Warum soll man in Europa für den Fortschritt eintreten, wenn man zu Hause den Rückschritt ins Gesetzblatt schreibt? Die soziale Gestaltung des Binnenmarkts, Herr Kolb, ist für Sie und Ihre Koalition ein ungeordnetes Thema.
Eine Umfrage der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ergab, daß fast die Hälfte aller Einstellungen, knapp 50 % , befristet vorgenommen wurden. Das heißt, den Normalfall eines auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnisses will diese Regierung mit der Verlängerung des sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes zum Ausnahmefall machen, mit allen negativen Folgerungen für die Familien.
({18})
Damit komme ich zur Verantwortung der Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Sie erregte vorgestern wieder einmal Aufsehen, weniger als Botschafterin für Problemlösungen. Statt Konzepte vorzulegen, wie dem Pflegenotstand in den Krankenhäusern begegnet werden kann, beschimpfte sie die unter Dauerstreß Schwerstarbeit leistenden Schwestern und Pflegekräfte.
({19})
Sie sagte: Wenn weitere Pflegekräfte hinzukommen, stehen sie in der Küche und schwatzen. Meine Damen und Herren, es ist unglaublich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Minister des Kabinetts Kohl ganze Berufsgruppen niedermachen.
({20})
Frau Lehr, wir fordern Sie auf, Ihre Äußerung hier im Parlament zurückzunehmen.
({21})
Wie sieht es in der Familienpolitik aus? Hier kann ich mich - leider - kurzfassen. Die Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft hat den familienpolitischen Koalitionsdonner vom März mit „viel Lärm um fast nichts" umschrieben und kommentierte die Familienpolitik der Bundesregierung am 14. März dieses Jahres mit folgenden Worten: Die Bilanz der vergangenen sechs Jahre ist für die Familien enttäuschend und für die Regierung beschämend. - Diese Bilanz, meine Damen und Herren, wird auch dann nicht schöner, wenn man die geplante mickrige Verbesserung bei Kinder- und Erziehungsgeld, die noch dazu mit der Einführung eines Dienstmädchenprivilegs für Höchstverdiener garniert wurde, hinzurechnet.
Stichwort Jugendpolitik, Frau Lehr: Nicht ein Wort dazu in der Regierungserklärung!
({22})
Das bedeutet ja wohl - das wollen wir einmal festhalten - die klammheimliche Verabschiedung von der großartig angekündigten Reform der Jugendhilfe. Das ist mehr als peinlich Frau Lehr, mehr als peinlich.
({23})
Diese angeblich erfolgreichste Bundesregierung, meine Damen und Herren, katapultierte in den letzten Monaten ihre Träger, die CDU in Berlin und in Hessen, auf die Oppositionsbänke, katapultierte die CSU in den Umfragen auf einen sensationellen Tiefpunkt und katapultierte die FDP aus Parlamenten. Also wurden folgerichtig die sogenannten erfolgreichsten Minister versetzt, umgesetzt oder entlassen. Ihre Gesetzentwürfe, die noch vor wenigen Wochen von der Mehrheit beklatscht, gefeiert und als die Lösungsmodelle schlechthin bezeichnet wurden, wandern einfach in den Papierkorb. „Was schert uns unser Geschwätz von gestern" heißt die Parole.
Einige konnten trotzdem auf ihren Ministersesseln sitzenbleiben. Dazu gehört, wie wir wissen, der amtierende Sozialminister Blüm. Ich frage mich: Warum?
({24})
Weil es Minister Blüm gelungen ist, die sogenannte Gesundheitsreform durch die Gremien zu peitschen? Weil Minister Blüm die Abgeordneten der CDU/CSUFDP-Koalition genötigt hat, schlampigste Gesetzestexte zu beschließen? Vielleicht weil Minister Blüm einen Staatssekretär in der vorigen Woche - übrigens am Tag vor dessen Entlassung - veranlaßte, das Parlament zu täuschen - so geschehen am 19. April auf meine Frage, ob das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz verlängert werde -? Oder ging es einfach nur darum, meine Damen und Herren, der CDU in Nordrhein-Westfalen die Blamage zu ersparen?
({25})
Ich glaube, man muß nicht CDU-Funktionär sein, um sich auszumalen, zu welcher Krise sich das Siechtum der CDU in Nordrhein-Westfalen ausgewachsen hätte, wenn das eigentliche Vorhaben, Herrn Blüm bei der Kabinettsumbildung zu demontieren, weiterverfolgt worden wäre.
({26})
An Ihrer verzweifelten Lage wird sich dennoch nichts ändern. Nur 28 % der Wähler in Nordrhein-Westfalen würden sich nach einer Infas-Umfrage für Norbert Blüm als Ministerpräsidenten entscheiden.
({27})
Das bedeutet im Klartext: Nicht einmal die CDU-Anhänger werden ihn wählen!
({28})
Das ist auch kein Wunder; denn die Fehlschläge, die
Herr Blüm in Bonn zu verantworten hat, sind einfach
ungeheuerlich. Auch deshalb will unser Volk eine neue Politik und eine andere Regierung.
Danke schön.
({29})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dreßler hat sich hier über die Gesundheitsreform und ihre Auswirkungen beklagt.
({0})
Verschiedene Redner haben heute den Korrekturbedarf, den die Regierung realisiert hat, kritisiert.
({1})
Aus gutem Grund - weil richtig und erfolgreich - gibt es keine Korrekturen im Bereich der Gesundheitsreform. Ich möchte das kurz begründen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Beitrag des Kollegen Dreßler beweist: Es gibt in diesem Zusammenhang Aufklärungsbedarf, aber keinen Korrekturbedarf.
({2})
Herr Kollege Dr. Vogel hat heute morgen erklärt - da ich weiß, daß Sie sich immer bemühen, der Wahrheit nahezukommen,
({3})
möchte ich hier Nachhilfeunterricht geben - , von der Pharmaindustrie werde kein Beitrag geleistet. Ich möchte darauf hinweisen, daß schon zehn Wirkstoffe für Festbeträge vorgesehen sind, die, den Wettbewerb der Pharmaindustrie anregend, innerhalb kürzester Zeit zu Ersparnissen - d. h. das ist ein Beitrag der Pharmaindustrie - von 600 Millionen DM geführt haben. Darüber sollten Sie sich gemeinsam mit uns freuen. Darf ich Sie darüber informieren, Herr Kollege Dreßler, daß die Betriebskrankenkassen im ersten Quartal dieses Jahres, als es noch keinen „BlümBauch" gab, 3 % weniger Ausgaben hatten
({4})
und daß in verschiedenen Ländern die AOKs 3,3 % weniger Ausgaben hatten?
({5})
Davon profitiert kein Anbieter. Im Gegenteil, die Anbieter beschweren sich, sie bekämen weniger. Sie haben keinen Grund, sich zu beschweren, aber sie kriegen in der Tat weniger.
Ich will Ihnen sagen, wer von dieser Gesundheitsreform, die Sie landauf, landab so schlecht machen - wohlwissend, daß sie notwendig und richtig war -, profitiert.
({6})
Cronenberg ({7})
Es gibt nur zwei Gruppierungen, die profitieren, nämlich die zu Pflegenden in Höhe von 6 Milliarden DM und die Beitragszahler, sonst niemand.
({8})
Sie sollten sich darüber freuen, daß die Beitragszahler entlastet werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch ein paar Bemerkungen zur Arbeitslosigkeit: Niemand bestreitet das Problem. Aber Sie sollten sich gemeinsam mit uns darüber freuen, daß wir seit 1982 1 Million mehr Beschäftigte haben. Freuen Sie sich gemeinsam mit uns und den mehr Beschäftigten.
({9})
Es sind noch nie so viele Menschen im Lande beschäftigt gewesen wie zur Zeit.
({10})
Statt dieses Land herunterzureden und nur herumzumeckern, sollten Sie lieber unsere Bemühungen unterstützen. Wir geben Ihnen Gelegenheit, mitzuhelfen,
({11})
die Lohnkostenzuschüsse von 1,5 Milliarden DM - degressiv - und von 250 Millionen DM für Problemgruppen so einzusetzen, daß Sie sich dann noch mit mehr Menschen freuen können, daß sie wieder einen Arbeitsplatz bekommen. Und wir werden dafür Sorge tragen, daß das ohne Steigerung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge geschieht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine richtige Analyse ist Voraussetzung für die richtige Therapie.
({12})
Dazu gehört eine realistische Einschätzung unserer Lage. Wir leben in einem Land, in dem es sehr, sehr vielen Menschen sehr, sehr gut geht, in einem Land, in dem es aber auch Probleme gibt.
({13})
Aber wir alle sind gemeinsam in der Lage, diese Probleme zu lösen. Man sollte die Regierung bei aller Kritik im Detail dabei unterstützen und die richtigen Ansätze positiv bewerten.
Es ist die freiheitlichste Republik, die es je auf deutschem Boden gegeben hat, unsere gemeinsame Republik. Ich sage noch einmal: Reden Sie dieses Land nicht kaputt. Meckern Sie nicht nur,
({14})
sondern treten Sie mit uns in fairen Wettbewerb über die besseren Ideen ein.
({15})
Wir Liberalen haben diesen Wettbewerb nicht zu scheuen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Eich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine zwei Tage ist es her, da hat in Europa ein weiterer einseitiger Abrüstungsschritt begonnen. Sowjetische Truppen, 10 000 Mann, 200 Geschütze und 350 Panzer werden in zwei Schritten bis 1990 aus Ungarn abgezogen. Dies ist Bestandteil eines Konzeptes, das nicht nur Abzug, sondern die Auflösung einer 500 000 Mann starken Truppe in den nächsten Jahren beinhaltet.
Gegenüber den einschneidenden Veränderungen der sowjetischen Militär- und Sicherheitspolitik hat sich im westlichen Militärapparat und in den NATO- Regierungen kaum etwas geändert - außer der Rhetorik. In den Rüstungskontrollverhandlungen spielt die NATO auf Zeit. Keine einzige Aufrüstungsmaßnahme ist seit dem Mittelstreckenvertrag gestoppt worden, kein einziger Truppenverband abgebaut.
({0})
Ganz im Gegenteil: Zum Besuch des Generalsekretärs Gorbatschow präsentiert sich die Bundeswehr mit 520 000 Mann, d. h. mit 25 000 Soldaten mehr, als es die normale Friedensstärke erfordert. Während in den sowjetischen Bürokratien geplant und gegrübelt wird, wie man für 500 000 Menschen jetzt vernünftige Arbeit und neue Wohnungen finden kann - kurz: wie Rüstungskonversionsplanung stattfindet - , befaßt sich die bundesdeutsche Militärbürokratie, für die diese Regierung die Verantwortung trägt, mit Notprogrammen, um ihre neu erstarkte Armee überhaupt unterbringen zu können. Auffälliger kann man die gegensätzliche Entwicklung in Europa nicht beschreiben.
Die in diesem Monaten anstehenden Entscheidungen der NATO leiten eine als bloße Modernisierung getarnte neue Aufrüstungsrunde der luft-, see- und landgestützten Atomwaffen in Europa ein. Dies ist fürwahr die destruktivste aller möglichen Antworten auf die Signale einseitiger Abrüstungsschritte Gorbatschows; denn dessen Politik wird auf Dauer in der Gesellschaft nur mehrheitsfähig bleiben können und damit auch fortsetzbar sein, wenn die NATO-Staaten die sowjetischen Schritte positiv beantworten.
({1})
Was tut diese Regierung?
({2})
Sie faßt einen Kabinettsbeschluß, der darauf hinausläuft, in einer Debatte über gleiche Obergrenzen im Bereich der Kurzstreckenraketen in der NATO Abrüstung zu zerreden, anstatt hier für eine Null-Lösung einzutreten.
({3})
Sie spielen auf Zeit, während die Aufrüstung läuft. Sie hoffen noch, die Menschen zu verunsichern, die Gorbatschow zur Unterstützung seiner Politik braucht, indem Sie ihnen öffentlich vorführen, daß auch Abrüstung im Osten zu verstärkter Aufrüstung im Westen führt.
Der Kollege Vogel ist für einen nationalen Konsens in der Raketenfrage und erklärt sich auch mit dem
sogenannten Zwischenschritt, wie ihn jetzt die Bundesregierung vorschlägt, einverstanden. Damit unterstützt die SPD die Nebelwerfertaktik dieser Regierung,
({4})
als wenn die Modernisierung nicht bereits sowohl in Washington als auch in Bonn beschlossen wäre, als wenn nicht im Kommuniqué der nuklearen Planungsgruppe noch einmal die Entschlossenheit bekundet worden wäre, dafür zu sorgen, daß die NATO vielfältige überlebensfähige und operativ-flexible nukleare Streitkräfte über das ganze Spektrum hinweg besitzen würde.
Diese Regierung hat in der nuklearen Planungsgruppe einem Kommuniqué zugestimmt, das die von ihr propagierten fünf Punkte gar nicht enthält. Diese Punkte werden heute hier bekräftigt. Das ist Theaterdonner im schlechtesten Sinne.
Regierung und auch SPD-Opposition beteiligen sich an einer weiteren Verschleierungsaktion. Indem die öffentliche Diskussion allein auf die Lance-Nachfolge im Kurzstreckenbereich gelenkt wird, kann man die für die NATO-Kriegsplanung viel wichtigeren neuen Atomgranaten und nuklearfähigen Flugzeuge - ich will hier nur die F 15 E nennen - sowie deren Ausrüstung mit luftgestützten Abstandswaffen in den Hintergrund treten lassen. Letztere übernehmen die Zerstörungsaufgabe, die bisher noch die Pershing II abgedeckt haben.
In der ganzen Welt wird 1989 über Abrüstung nachgedacht; Sie rüsten auf, obwohl Sie wissen, daß die Bundesrepublik sehr dicht besiedelt und mit hochtechnisierter Infrastruktur vollgestopft ist, die kriegsuntauglich ist. Atomkraftwerke, Nuklearfabriken, chemische Werke, Tanklager, Erdgas- und Erdölleitungen sind Elemente einer Industriegesellschaft, für die jeder Krieg den atomaren, chemischen oder nur konventionellen Holocaust bedeutet.
Eine Politik für den Frieden muß anders aussehen. Eine Friedenspolitik, für deren Durchsetzung wir um neue politische Mehrheiten in diesem Lande und auch in diesem Hause kämpfen, darf sich nicht in einzelnen Antwortmaßnahmen erschöpfen; sie muß eine Folge von deutlich bedrohungsmindernden Abrüstungsschritten beinhalten.
Unsere Antwort auf Gorbatschows ersten Schritt der Abrüstung muß lauten: Verzicht auf die Modernisierung der Nuklearwaffen der NATO in und für Europa. Das kann nur durch ein Veto der Bundesrepublik gegen alle NATO-Beschlüsse, die die sogenannte Modernisierung beinhalten, erfolgen, wie dies auch die Friedensbewegung fordert. Unsere Antwort muß ferner lauten: Abzug und Verschrottung der nuklearfähigen Artillerie, Reduzierung der Wehrdienstzeit auf 12 Monate und damit Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr - hierzu haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht - , einschneidende Kürzungen des Rüstungshaushalts, Verzicht auf den Bau des Jäger 90 und weitere Abrüstungsmaßnahmen sowie die generelle Reduzierung der von der Warschauer Vertragsorganisation als überlegen und besonders offensivfähig wahrgenommenen Jagdbomber.
Die Menschen in diesem Land wollen Abrüstung. Vor diesem Hintergrund fordern wir zusammen mit der Friedensbewegung - seit heute leider ohne Unterstützung der SPD - diese Regierung auf, den sogenannten Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der Nuklearwaffen der NATO zu widersprechen und es nicht nur bei dem Vermerk einer Fußnote zu belassen. Die Friedensbewegung fordert von Ihnen: Legen Sie ein Veto ein, ein Veto gegen die neue atomare Aufrüstung.
({5})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zur Abstimmung auf der Grundlage des § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat ihre Überlegungen und Vorstellungen zur künftigen Regierungsarbeit in ihrem Entschließungsantrag Drucksache 11/4444 zusammengefaßt. Wir wollen dem Hause die Möglichkeit geben, dazu die Meinung in einer namentlichen Abstimmung zu sagen, die wir hiermit beantragen.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch eine Bemerkung zu den Anträgen der Fraktion DIE GRÜNEN machen. Die darin enthaltenen Vorschläge sind zum Teil dicht bei dem, was unsere Vorstellungen sind; zum Teil stehen sie aber auch damit nicht in Übereinstimmung. Wir werden uns zu diesen Anträgen der Stimme enthalten. Wir werden allerdings zu dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/4429, der den Grundwehrdienst und Zivildienst auf zwölf Monate verkürzen will, ablehnen, weil er mit unseren Vorstellungen überhaupt nicht zu vereinbaren ist.
({0})
Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion auf Drucksache 11/4444 in namentlicher Abstimmung.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN sowie zu dem zwischenzeitlich eingebrachten Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, die ich in der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung aufrufe.
Zuerst kommen wir also zur Abstimmung über die Drucksache 11/4422, Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, betreffend Neuregelung der Einreise von Polinnen und Polen. Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4422 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehr10366
Vizepräsident Westphal
heit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt.
({0})
- Ich darf um ein bißchen mehr Ruhe bitten, auch unter der Empore.
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4423. Es geht um die Entscheidung des Bundeskartellamts in der Frage Daimler Benz/MBB. Zu diesem Antrag hat die Fraktion DIE GRÜNEN gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung verlangt.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich gern sagen, daß ich die namentlichen Abstimmungen nacheinander abwickeln werde. Wir können, glaube ich, die Beratungen fortsetzen, so daß die Kollegen
- bitte - im Saal bleiben.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/4423.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen. * )
Es wäre gut, wenn wir die Beratungen mit etwas mehr Aufmerksamkeit Ihrerseits fortsetzen könnten. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4424. Hierbei geht es um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt auch zu diesem Antrag namentliche Abstimmung.
Ich mache bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß in Kürze eine weitere namentliche Abstimmung folgen wird.
Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. * * )
Ich gehe davon aus, daß wir die Beratungen fortsetzen können. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird nachher bekanntgegeben.
Wir kommen jetzt zu einer nicht namentlichen Abstimmung. Ich bitte, sich auf die Plätze zu begeben. Dann ist leichter zu übersehen, wie die Abstimmungsverhältnisse sind.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4428. Es handelt sich um eine Entschließung zum Thema Abschaffung der Quellensteuer. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser
*) Ergebnis Seite 10372A **) Ergebnis Seite 10373 C
Entschließungsantrag durch die Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wir kommen nun zu der beantragten namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4444. Die namentliche Abstimmung ist eröffnet.
Kann ich die namentliche Abstimmung schließen, oder gibt es noch jemanden, der an der Abstimmung teilnehmen will? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Kollegen, die noch im Saal sind, ihre Plätze einzunehmen, weil wir noch eine Reihe von Abstimmungen zu vollziehen haben. *)
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse werden später mitgeteilt.
Jetzt komme ich zu der noch offengebliebenen Abstimmung über den Entschließungsantrag der. Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4429. Es handelt sich um eine Entschließung, die sich mit der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes beschäftigt. Wer für diese Entschließung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist von der Mehrheit abgelehnt worden, und zwar sowohl mit den Stimmen der Regierungsfraktionen als auch mit denen der SPD.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte 4 bis 17 der Tagesordnung auf:
4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Gesundheitsgefährdung durch Kosmetika - Verbot von Natriumlaurylsulfat in Zahncremes und Deklarationspflicht für alle Inhaltsstoffe von Kosmetika
- Drucksachen 11/871, 11/2978 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Würfel
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Atomexporte
- Drucksachen 11/1169, 11/3001 Berichterstatter:
Abgeordneter Börnsen ({3})
6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Kennzeichnung von Milch, Milchprodukten
und Säuglingsnahrung mit Werten radioakti-
*) Ergebnis Seite 10375 A
Vizepräsident Westphal
ver Belastung und Ausweitung des Meßstellennetzes
- Drucksachen 11/486, 11/3925 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedrich Müller ({5})
Frau Dr. Segall
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Massendemonstrationen in den baltischen Staaten
- Drucksachen 11/2729, 11/4004 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Hoffmann ({7})
Duve Irmer Schily
8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Menschenrechten in der Sowjetunion
- Drucksachen 11/255, 11/4005 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Hoffmann ({9})
Duve Irmer Schily
9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zur Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Errichtung einer europäischen Stiftung für Osteuropa-Forschung
- Drucksachen 10/6274, 11/883 Nr. 9, 11/4029 Berichterstatter:
Abgeordnete Lowack Voigt ({11})
Irmer
Dr. Lippelt ({12})
10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({13}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes
„Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
- Wirtschaftsjahr 1986 -- Drucksachen 11/1508, 11/4157 Berichterstatter: Abgeordneter Jungmann
11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({14}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Düsseldorf gem. § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksachen 11/3797, 11/4162 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Struck Roth ({15})
Frau Vennegerts
12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
a) Vorschlag für eine Verordnung ({17}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({18}) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide
b) Vorschlag für eine Verordnung ({19}) des Rates mit Grundregeln für die Prämie zur Verwendung von Getreide als Futtermittel im Wirtschaftsjahr 1989/90
- Drucksachen 11/3882 Nr. 3.5, 11/4167 Berichterstatter: Abgeordneter Michels
13. Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({20})
Übersicht 11 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 11/4207 Berichterstatter: Abgeordneter Helmrich
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das LINGUA-Programm zur Förderung der fremdsprachlichen Ausbildung in der Europäischen Gemeinschaft
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Förderung des Fremdsprachenunterrichts in der Europäischen Gemeinschaft als Bestandteil des LINGUA-Programms
- Drucksachen 11/4019 Nr. 2.43, 11/4240 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Pack Weisskirchen ({22}) Frau Hillerich
Vizepräsident Westphal
15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Änderung von Anhang A der Richtlinie 85/397/EWG bezüglich des Gefrierpunktes der Milch
- Drucksachen 11/3927 Nr. 3.9, 11/4243 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Walz
16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter
- Drucksachen 11/2724 Nr. 1, 11/2766, 11/4346 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Abelein Stiegler
17. a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 107 zu Petitionen
- Drucksache 11/4382 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 108 zu Petitionen
- Drucksache 11/4383 Zunächst zu Tagesordnungspunkt 4: Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit? Es geht um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend die Gesundheitsgefährdung durch Kosmetika. Ich bitte um das Handzeichen. ({27})
- Ja, wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2978? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen und der Fraktion der SPD angenommen.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5. Es geht um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/3001. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1169 abzulehnen. Es geht um den Stopp der Atomexporte. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Regierungskoalition angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6. Es geht um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/3925. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/486 abzulehnen. Es geht um die Kennzeichnung von Milchprodukten. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7. Es geht um die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4004 betreffend die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Massendemonstrationen in den baltischen Staaten. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4005? Es geht um die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Menschenrechten in der Sowjetunion. Wer stimmt dafür? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4029? Es geht um die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Errichtung einer europäischen Stiftung für OsteuropaForschung. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 10. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/4157? Es geht um den Antrag des Bundesministers für Wirtschaft zur Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes". Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme dieser Beschlußempfehlung.
Nun kommt der Tagesordnungspunkt 11. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks auf Drucksache 11/4162? Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 12. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/4167? Es geht um Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft zur Getreideproduktion. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch das ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 13. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/4207? Es handelt sich um die Übersicht 11
Vizepräsident Westphal
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 14. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/4240? Es handelt sich um Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der fremdsprachlichen Ausbildung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 15. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/4243? Es geht um die Vorlage der Europäischen Gemeinschaft zum Gefrierpunkt der Milch.
({28})
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen worden. - Ich dachte, das wäre etwas Physikalisches; aber das muß sich wohl auch durch Abstimmung machen lassen.
Tagesordnungspunkt 16. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/4346? Es geht um die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft über Einpersonengesellschaften. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.
Jetzt kommt der Tagesordnungspunkt 17. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/4382 und 11/4383? Das sind die Sammelübersichten 107 und 108. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN sind auch diese Beschlußempfehlungen angenommen.
Nun muß ich mitteilen, daß der Tagesordnungspunkt 18 abgesetzt worden ist.
Deshalb rufe ich nun den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Europäischen Übereinkommen vom 16. Mai 1972 über Staatenimmunität
- Drucksache 11/4307 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache 11/985 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({29})
Petitionsausschuß
Rechtsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Bezuschussung von bundesdeutschem Managementpersonal in der Dritten Welt aus der Entwicklungshilfe
- Drucksache 11/1667 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({30})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Steuerrechtliche Behandlung von Entschädigungszahlungen für HIV-infizierte Hämophile
- Drucksache 11/4140 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({31})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Toetemeyer, Westphal, Dr. Ehmke ({32}), Bahr, Bindig, Brück, Duve, Gansel, Dr. Glotz, Großmann, Dr. Hauchler, Dr. Holtz, Koschnick, Luuk, Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Renger, Schanz, Dr. Scheer, Schluckebier, Dr. Soell, Stobbe, Dr. Timm, Verheugen, Voigt ({33}), Wieczorek-Zeul, Wischnewski, Würtz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Mitbestimmung im Deutschen Entwicklungsdienst
- Drucksache 11/4170 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP
Änderung des Berichtszeitraums für die Halbjahresberichte der Bundesregierung über die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft, des Europarates und der Westeuropäischen Union
- Drucksache 11/4241 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({34}) Ausschuß für Wirtschaft
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster ({35}), Horn, Erler, Frau Fuchs ({36}), Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Leidinger, Opel, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Westphal
Auszahlung der Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz an wehrübende Reservisten
- Drucksache 11/3712 -Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hoss, Frau Schoppe, Frau Unruh, Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Anrechnung nicht durchsetzbarer Unterhaltsansprüche auf die Arbeitslosenhilfe
- Drucksache 11/4180 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({37}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 und den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Horn, Fuchs ({38}), Gerster ({39}), Heistermann, Dr. Holtz, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Gilges, Dr. Götte, Jaunich, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schmidt ({40}), Schmidt ({41}), Traupe, Voigt ({42}), Wiefelspütz, Walther, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Verlängerung von Grundwehrdienst und Zivildienst und zur Neuregelung der Dauer des Zivildienstes
- Drucksache 11/4379 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß ({43})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
ZP2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser ({44}), Breuer, Kossendey, Dr. Uelhoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ronneburger, Dr. Hoyer, Nolting, Beckmann, Dr. Feldmann, Frau Seiler-Albring und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aussetzung der Verlängerung des Grundwehrdienstes
- Drucksache 11/4436 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({45})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerster ({46}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition will die Wehrdienstverlängerung aussetzen. Dies hat nicht nur sprachlich eine besondere Nähe zu dem Wort Aussitzen, der Kohlschen Version der Problemlösung.
({0})
- Die Koalition, verehrter Herr Kollege Nolting, auch die FDP als Teil dieser Koalition, hätte sich selbst und einer ganzen Generation junger Männer einen guten Dienst erwiesen, wenn sie unseren Antrag vom Dezember letzten Jahres angenomen hätte.
({1})
Wir haben damals genau dies vorgeschlagen, allerdings als dauerhafte Lösung, weil wir für klare Lösungen sind und nicht für Verschiebungen, die möglicherweise mit dem Gesichtspunkt vorgenommen werden, daß man dann, wenn drei Jahre später wieder eine Entscheidung ansteht, diese Folgeentscheidung gar nicht mehr zu verantworten hat.
Sie haben mit dem Zickzackkurs in der Frage der Wehrdienstdauer allen Beteiligten eine Menge zugemutet. Sie haben zunächst einmal Ihren eigenen Abgeordneten eine Menge zugemutet. Heute morgen ist bereits von unserem Fraktionsvorsitzenden Dr. Vogel der Kollege Biehle genannt worden,
({2})
der in einer besonderen Weise für die Glaubwürdigkeit der Koalition herhalten mußte: einmal für W 18, und dann mußte er als Ausschußvorsitzender exekutieren: W 15! Kommando zurück! Das, was ich vor wenigen Wochen gesagt habe, gilt nicht mehr. Das, was ich davor kritisch in die eigenen Reihen gesagt habe, war offenbar von vornherein richtig.
Sie haben auch den Militärs eine Menge zugemutet, denn diese Militärs werden jetzt wohl beauftragt werden - anders geht es ja gar nicht - , die entsprechenden Umsetzungen und auch die militärpolitischen Begründungen für W 15 vorzunehmen, warum dies offenbar jetzt alles geht.
Schließlich hat die FDP uns allen eine Menge zugemutet, denn Sie hat es mitgetragen und dabei immer halblaut gesagt: Eigentlich wollen wir ja gar nicht.
({3})
Jetzt meint sie, verehrter Herr Kollege Nolting, sie könne sich diesen Erfolg aufs Panier schreiben. Sie hätten damals unserem Antrag zustimmen können; das wäre eine klare Linie gewesen.
Meine Damen und Herren, es ging eine ganze Weile um die Frage: Sind das neue Zahlen oder sind das alte Zahlen, neu bewertet, wie das Herr Geißler in seiner Formulierkunst dann schließlich beschrieben hat? Der Bundeskanzler hätte heute in seiner Regierungserklärung die Größe besitzen sollen, eindeutig zu sagen: Das sind und waren alte Zahlen. Wir haben sie tatsächlich - das ist ja erlaubt - neu bewertet: Aber genau dieses hat er nicht gesagt. Wenn Sie in der Regierungserklärung nachlesen oder wenn Sie genau zugehört haben, dann hat er wörtlich gesagt:
Gerster ({4})
Inzwischen wissen wir, daß seitdem deutlich mehr Wehrpflichtige eingezogen werden können.
Das konnte Herr Kohl, wenn er es denn wollte, schon sehr viel früher wissen und zur Kenntnis nehmen. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß der Generalinspekteur, daß die militärische Führung über diese heutige Formulierung aus der Regierungserklärung bestürzt ist.
({5})
Ich frage Sie: Was wollen Sie eigentlich denen, mit denen Sie auf der Hardthöhe pfleglich umgehen müssen, in dieser sensiblen Frage, die die Bevölkerung vermutlich noch mehr interessiert als z. B. die Frage der Modernisierung, und anderen Fragen, die objektiv weiß Gott wichtig genug sind, noch zumuten?
Meine Damen und Herren, nur wenige Worte zu den Zahlen, die seit Monaten bekannt sind, die auch bekannt waren, als wir unseren ersten Antrag Ende 1988 eingebracht haben. Wir haben in diesem Jahr 390 000 ledige Wehrdienstfähige, die sofort einberufen werden können - ohne jede Einschränkung. Wir haben 75 000 Verheiratete ohne Kinder, die mit Einschränkung, zumindest theoretisch, auch eingezogen werden könnten. Wir wollen das nicht. Sie stünden aber, wenn wir die gesetzliche Lage streng berücksichtigen, zur Verfügung.
Wir haben darüber hinaus, über diese rund 465 000 Wehrdienstfähigen, die in diesem Jahr zur Einberufung theoretisch und tatsächlich anstehen, 300 000 zurückgestellte. Wenn Sie jetzt bitte addieren, dann kommen Sie auf weit über 700 000 Wehrdienstfähige. Und was braucht die Bundeswehr in diesem Jahr tatsächlich an Grundwehrdienstleistenden? Es sind exakt 205 000 junge Männer, die die Bundeswehr braucht - gegenüber weit über 700 000, die zur Verfügung stehen.
Diese Zahlen sind uns offiziell im Verteidigungsausschuß vor Monaten vorgelegt worden. Sie standen allen, die sich darum kümmern wollten, zur Verfügung.
({6})
- Allen Beteiligten.
Deswegen sagen wir - und deswegen sagten wir auch schon damals - : Wir können sogar, wenn wir die alte Bundeswehrstruktur fortschreiben, bis weit in die 90er Jahre, bis zum Ende der 90er Jahre die Präsenzstärke der Bundeswehr aufrechterhalten, wenn wir es wollen. Wir sagen statt dessen: Wir wollen das nicht unbedingt. W 15 ist eine Obergrenze, aber keine starre Zahl. Wir können uns vorstellen, daß wir im Zuge einer Strukturreform der Bundeswehr, die in Verhandlungen zur konventionellen Abrüstung in Ost und West eingebettet sein muß, eine Wehrdienstdauer haben, die sogar deutlich unter 15 Monaten liegt, und eine Präsenzstärke bekommen, die deutlich unter 495 000 oder 456 000 liegt.
Wir befinden uns im Einklang mit wichtigen Planern und Wissenschaftlern. Ich erinnere z. B. an den früheren Generalinspekteur Altenburg, der die Zahl 400 000 als eine mögliche Zahl der Präsenz für die
90er Jahre genannt hat. Wir befinden uns auch im Einklang mit vielen anderen, die an einer neuen Wehrstruktur interessiert und zu einer entsprechenden Reform bereit sind.
Daß das Bedarf an Verhandlungen mit den Alliierten produziert, ist unbestritten. Aber wir wissen ja auch aus Washington, daß die neue Regierung, die sehr viel pragmatischer an diese Fragen herangeht, sich auch aus innenpolitischen Gründen wohl sehr bald mit der Frage beschäftigen wird, ob rund 300 000 US-Soldaten in Europa tatsächlich eine dogmatische Zahl sind, ein operatives Minimum, oder ob sie nicht ein Nachkriegszustand sind, den wir, wenn wir das auf dem Verhandlungswege erreichen können, eben auch überwinden müssen.
Herr Minister Stoltenberg, wir haben wie viele Beobachter und auch wie die Truppe - ich habe das vor wenigen Tagen in einer vielleicht sehr polemischen Form gesagt; das will ich nicht bestreiten, aber in der Sache bin ich der festen Überzeugung - natürlich sehr kritisch Ihre Neuberufung als Minister beobachtet. Aber auf der anderen Seite sagen wir Ihnen auch: Sie haben eine echte Chance des Neubeginns. Wenn Sie den Auftrag des Kanzlers haben, die Bundeswehr aus den Schlagzeilen zu bringen, und wenn Sie sich, um das zu erreichen, unseren Vorstellungen dort, wo sie tatsächlich auf Konsens angelegt sind - und das gilt für unsere Vorstellungen - , annähern, dann, meine ich, ist manches möglich, was bisher aus dogmatischen Gründen offenbar nicht möglich war.
Wir haben auch mit Aufmerksamkeit gehört, daß Sie von der Orientierungskrise sprachen, in der sich die Bundeswehr befinde. Noch vor wenigen Monaten wurde geleugnet, daß es eine solche Krise überhaupt gebe. Im Gegenteil, es wurde behauptet, wir redeten sie herbei.
Wir schlagen des weiteren vor - wir haben den Gesetzentwurf so formuliert - , nicht nur die alte Wehrdienstdauer von 15 Monaten wiederherzustellen, sondern darüber hinaus auch die überlange Dauer des Zivildienstes auf 18 Monate zu korrigieren. Wir halten das für gerechtfertigt, wenn wir die tatsächliche Belastung der Bundeswehrreservisten zugrunde legen und nicht eine projizierte Belastung für die 90er Jahre bereits als Tatsache annehmen, die in der „Konzeption Reservisten" kaum durchzusetzen sein wird. Deswegen meinen wir, Z 18, also eine Zivildienstdauer von 18 Monaten, ist vernünftig und auch zustimmungsfähig.
Wenn Sie damit nicht einverstanden sein können, aber mit der Wiederherstellung des alten Zustandes, sind wir unsererseits durchaus einverstanden, wenn wir über die einzelnen Passagen unseres Gesetzentwurfes getrennt abstimmen.
Meine Damen und Herren, wir beantragen heute die Abstimmung in der Sache und auf Dauer. Wir wollen das Ja zur Landesverteidigung dadurch wieder erleichtern, daß wir den jungen Menschen deutlich machen, daß Landesverteidigung mit weniger Aufwand und zeitgemäßen Mitteln möglich ist. Wir wollen nicht Bedrohungsängste konservieren, um einen überzogenen Aufwand einschließlich Wehrdienstdauer zu rechtfertigen. Wir fordern Sie auf, die Kor10372
Gerster ({7})
rektur nicht nur halbherzig, sondern auf Dauer vorzunehmen.
W 15 - Wehrdienst 15 Monate - und Z 18 - Zivildienst 18 Monate ({8})
schaffen Rechtssicherheit für die Lebensplanung unserer Jugend und passen in die politische Landschaft. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
({9})
Bevor ich das Wort weiter gebe, möchte ich Sie über das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungen unterrichten.
Zunächst haben wir über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4423 abgestimmt. Es sind 415 Stimmen abgegeben worden. Es war keine ungültig. Mit Ja haben 36 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 226. 153 haben sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 415; davon
ja: 36
nein: 226
enthalten: 153
Ja
SPD
Conradi
DIE GRÜNEN
Frau Beer Brauer
Dr. Daniels ({0}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Frau Hillerich
Hoss
Kleinert ({1})
Dr. Knabe Kreuzeder
Dr. Lippelt ({2}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling
Schily
Frau Schmidt ({3}) Frau Schoppe
Stratmann Such
Frau Trenz Frau Unruh
Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Volmer
Weiss ({4}) Wetzel
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Frau Berger ({5}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blüm
Böhm ({6}) Börnsen ({7}) Dr. Bötsch
Bohlsen
Borchert
Breuer
Bühler ({8}) Carstens ({9}) Carstensen ({10}) Dr. Czaja
Dr. Daniels ({11}) Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({12})
Dr. Friedmann
Fuchtel
Ganz ({13})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({14})
Glos
Dr. Göhner
Gröbl
Dr. Grünewald Günther
Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt Hauser ({15}) Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({16}) Dr. Hornhues
Graf Huyn
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({17})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({18})
Jung ({19})
Kalb
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle
Klein ({20})
Dr. Köhler ({21}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kunz ({22})
Dr. Lammert
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link ({23})
Link ({24}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold ({25}) Lowack
Lummer Maaß
Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({26})
Müller ({27}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Petersen Pfeffermann Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Repnik
Frau Roitzsch ({28}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({29})
Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({30})
Sauer ({31})
Sauter ({32})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({33})
Schemken Scheu
Schmitz ({34})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({35}) Schulhoff
Dr. Schulte
({36}) Schulze ({37})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seesing
Seiters
Dr. Sprung
Dr. Stark ({38})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Straßmeir Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({39})
Vogt ({40})
Dr. Voigt ({41})
Dr. Vondran
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({42}) Werner ({43})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({44}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zierer
Zink
Vizepräsident Westphal SPD
Nagel
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann
Bredehorn
Cronenberg ({45}) Eimer ({46})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus Gries Grünbeck
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Hoppe
Irmer
Kleinert ({47})
Kohn
Dr. Graf Lambsdorff
Lüder Neuhausen
Nolting
Richter
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Thomae
Timm Frau Walz
Dr. Weng ({48}) Wolfgramm ({49}) Frau Würfel
Enthalten
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Becker ({50})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Frau Blunck
Dr. Böhme ({51}) Börnsen ({52}) Brandt
Brück Büchler ({53})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort
Catenhusen
Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller Dreßler
Duve Egert Dr. Ehmke ({54})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({55})
Frau Fuchs ({56})
Frau Fuchs ({57})
Frau Ganseforth
Gansel
Gerster ({58})
Frau Dr. Götte
Grunenberg
Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({59})
Horn
Huonker
Jahn ({60})
Dr. Jens
Jung ({61}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Kolbow
Koltzsch Kretkowski
Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Lohmann ({62})
Lutz
Frau Luuk
Dr. Mertens ({63}) Müller ({64})
Müller ({65})
Müller ({66}) Müntefering
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Paterna Pauli
Dr. Penner Peter ({67})
Pfuhl
Dr. Pick Porzner Purps
Reimann Frau Renger
Rixe
Roth
Schäfer ({68}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({69})
Frau Schmidt ({70}) Schmidt ({71})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schütz Seidenthal
Frau Seuster
Sielaff
Sieler ({72})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({73})
Steiner
Frau Steinhauer
Dr. Struck
Frau Terborg
Frau Dr. Timm
Toetemeyer
Urbaniak
Verheugen
Voigt ({74})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({75})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({76}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({77})
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Nun zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4424.409 Stimmen wurden abgegeben. Keine davon war ungültig. 34 Kolleginnen und Kollegen haben mit Ja gestimmt, mit Nein 226. Es hat 149 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 410; davon
ja: 34
nein: 226
enthalten: 150
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Dr. Daniels ({78}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Frieß
Frau Garbe
Frau Hillerich Hoss
Kleinert ({79})
Dr. Knabe
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({80})
Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Frau Schmidt ({81}) Frau Schoppe
Stratmann
Frau Unruh
Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Volmer
Weiss ({82}) Wetzel
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Frau Berger ({83}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blüm
Böhm ({84}) Börnsen ({85}) Dr. Bötsch
Bohlsen
Borchert
Breuer
Bühler ({86}) Carstens ({87}) Carstensen ({88}) Dr. Czaja
Dr. Daniels ({89}) Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({90}) Dr. Friedmann
Vizepräsident Westphal
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({91})
Frau Geiger Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({92})
Glos
Dr. Göhner Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Hauser ({93}) Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({94}) Dr. Hornhues
Graf Huyn Dr. Hüsch Jäger
Dr. Jahn ({95})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({96})
Jung ({97})
Kalb
Dr. Kappes Frau Karwatzki
Klein ({98})
Dr. Köhler ({99}) Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kunz ({100})
Dr. Lammert Lattmann
Dr. Laufs Lenzer
Frau Limbach
Link ({101})
Link ({102}) Linsmeier Lintner
Dr. Lippold ({103}) Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Dr. Mahlo Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller Müller ({104})
Müller ({105}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Petersen Pfeffermann Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe Repnik
Frau Roitzsch ({106}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({107})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({108})
Sauer ({109})
Sauter ({110})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({111})
Schemken
Scheu Schmidbauer
Schmitz ({112})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({113}) Schulhoff
Dr. Schulte
({114}) Schulze ({115})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seesing Seiters Spilker Dr. Sprung
Dr. Stark ({116})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({117})
Vogt ({118})
Dr. Voigt ({119})
Dr. Vondran
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({120}) Werner ({121})
Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer ({122})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach
Dr. Wulff
Zierer Zink
SPD Nagel
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann
Bredehorn
Cronenberg ({123}) Eimer ({124})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Dr. Hirsch Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({125}) Kohn
Dr. Graf Lambsdorff Lüder
Neuhausen Nolting
Richter
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({126}) Wolfgramm ({127}) Frau Würfel
Enthalten
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bahr
Becker ({128})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Frau Blunck
Dr. Böhme ({129}) Börnsen ({130}) Brandt
Brück
Büchler ({131}) Dr. von Billow Frau Bulmahn Buschfort
Catenhusen
Frau Conrad Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Duve
Egert
Dr. Ehmke ({132}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({133})
Frau Fuchs ({134}) Frau Fuchs ({135}) Frau Ganseforth Gansel
Gerster ({136}) Frau Dr. Götte
Grunenberg
Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({137})
Horn
Huonker
Jahn ({138})
Dr. Jens
Jung ({139}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Koltzsch Kretkowski Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Lohmann ({140})
Lutz
Frau Luuk
Dr. Mertens ({141}) Müller ({142}) Müller ({143}) Müller ({144}) Müntefering
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({145})
Pfuhl
Dr. Pick Porzner Purps
Reimann Frau Renger
Rixe
Roth
Schäfer ({146}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({147})
Frau Schmidt ({148}) Schmidt ({149})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiner Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Sielaff
Sieler ({150})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({151})
Steiner
Frau Steinhauer
Vizepräsident Westphal
Dr. Struck
Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({152}) Waltemathe Wartenberg ({153}) Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler
Weisskirchen ({154}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({155})
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
Dieser Antrag ist dadurch abgelehnt.
Schließlich komme ich zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4444. 419 Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Keine Stimme war ungültig. Mit Ja haben 156 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 230. Es hat 33 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 418; davon
ja: 156
nein: 229
enthalten: 33
Ja
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bahr
Becker ({156}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({157}) Börnsen ({158}) Brandt
Brück
Büchler ({159})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort
Catenhusen
Frau Conrad
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Diller
Duve
Egert
Dr. Ehmke ({160}) Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({161}) Frau Fuchs ({162}) Frau Fuchs ({163}) Frau Ganseforth Gansel
Gerster ({164}) Gilges
Frau Dr. Götte
Grunenberg Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({165})
Horn
Huonker
Jahn ({166})
Dr. Jens
Jung ({167}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger
Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart
Lohmann ({168}) Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Dr. Mertens ({169}) Müller ({170}) Müller ({171}) Müller ({172}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({173}) Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Purps
Reimann
Frau Renger Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({174}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({175})
Frau Schmidt ({176}) Schmidt ({177})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Sieler ({178})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Steiner
Frau Steinhauer
Dr. Struck Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({179})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({180})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({181}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({182})
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
Nein
CDU/CSU
Bauer
Bayha
Frau Berger ({183}) Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blüm
Böhm ({184}) Börnsen ({185}) Dr. Bötsch
Bohlsen Borchert Breuer Bühler ({186})
Carstens ({187})
Carstensen ({188})
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({189})
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({190})
Dr. Friedmann
Fuchtel
Funk ({191})
Ganz ({192})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({193})
Glos
Dr. Göhner
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt
Hauser ({194})
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({195})
Dr. Hornhues
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jahn ({196})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({197})
Jung ({198})
Kalb
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Klein ({199})
Dr. Köhler ({200})
Kolb
Kossendey
Kraus Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kunz ({201})
Dr. Lammert
Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Frau Limbach
Link ({202})
Link ({203})
Vizepräsident Westphal Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold ({204}) Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Müller ({205})
Niegel
Dr. Olderog
Oswald Pesch Petersen
Pfeffermann
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe Repnik
Frau Roitzsch ({206}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({207})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({208})
Sauter ({209})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({210})
Schemken
Scheu Schmidbauer
Schmitz ({211})
von Schmude
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({212}) Schulhoff
Dr. Schulte
({213}) Schulze ({214})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seesing Seiters Spilker Dr. Sprung
Dr. Stark ({215})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({216})
Vogt ({217})
Dr. Voigt ({218})
Dr. Vondran
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({219})
Werner ({220})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({221})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({222}) Eimer ({223})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich
Dr. Hirsch Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({224})
Kohn
Dr. Graf Lambsdorff
Lüder
Neuhausen Nolting
Richter
Ronneburger
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({225}) Wolfgramm ({226}) Frau Würfel
DIE GRÜNEN
Frau Beer Brauer
Frau Frieß
Stratmann
Enthalten
SPD
Stahl ({227}) DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({228}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner
Frau Garbe
Häfner
Hoss
Kleinert ({229})
Dr. Knabe Kreuzeder
Dr. Lippelt ({230}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rock
Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling
Schily
Frau Schmidt ({231}) Frau Schoppe
Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Volmer
Weiss ({232}) Wetzel
Dieser Antrag ist somit abgelehnt.
Ich kann in der Worterteilung zu unserem gegenwärtigen Tagesordnungspunkt fortfahren. Das Wort hat der Abgeordnete Hauser ({233}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gerster, bei dieser Debatte und auch bei dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf, der die Rücknahme auf 15 Monate zum Ziel hat, geht es nicht um Freude oder Schadenfreude, sondern darum, daß die jungen Leute, die zur Wehrpflicht heranstehen, sich darauf verlassen können, daß sie künftig nur 15 Monate zu dienen haben.
({0})
Deshalb sollten wir die Zahlen politisch bewerten und uns nicht in Zahlenspielereien ergehen, so schön es mitunter wäre.
Tatsache ist aber, daß wir, lieber Herr Kollege Gerster, sehen müssen: Hier hat ein Stück weit wieder die Wehrgerechtigkeit gesiegt. Diesem Sieg sollten wir alle Beifall zollen.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Bitte.
Bitte schön, Herr Kühbacher.
Herr Kollege Hauser, ich will meinen Dank für Ihre ehrliche Erklärung mit einer Frage verbinden. Wenn die Wehrpflichtigen sich auf etwas verlassen können sollen, meinen Sie dann nicht auch, daß die Bundeswehr, die ja eine Wehrpflichtarmee ist, auch ihre Heeresstruktur und ihre Reservistenkonzeption auf Grund feststehender Daten klären muß und daß sie das bei einer hinausgeschobenen Situation nur mit „Sowohl, als auch" planen kann? Sind Sie der Meinung, daß diese drei Jahre verläßliche Grunddaten darstellen?
Lieber Kollege, Sie wissen, daß wir die Demographie fortschreiben und daß sich die Jahrgangsstärken von Jahr zu Jahr ändern können.
({0})
Hauser ({1})
- Aber Sie wissen doch, schon durch den Zuzug von Spätaussiedlern ändert sich die Jahrgangsstärke.
({2})
Wenn Sie sich die Statistiken angucken, sehen Sie das.
Ich will Ihnen sagen: Natürlich basieren eine Bundeswehrplanung und auch eine Strukturreform immer nur auf dem, was heute demographisch einigermaßen voraussehbar ist.
Wie gesagt, die Wehrgerechtigkeit hat gesiegt. Wir können und werden - der Herr Bundeskanzler hat es heute morgen in seiner Regierungserklärung gesagt - den jungen Wehrpflichtigen nicht mehr Opfer abverlangen, als unbedingt nötig ist. Uns wurde der Vorwurf gemacht, die älteren Wehrpflichtigen, die in der Bugwelle stehen, würden immer älter und müßten nicht dienen, wogegen die jüngeren Wehrpflichtigen 18 Monate dienen müßten. Das ist nun nicht mehr der Fall. Ich freue mich also persönlich darüber, daß die Wehrgerechtigkeit gesiegt hat.
Die Präsenzstärke unserer Armee bleibt erhalten. Es gibt also keine einseitigen Vorleistungen für Abrüstungsverhandlungen. Für unsere Verbündeten in der NATO ist klar: Die Bundesrepublik hält an ihrem operativen Minimum von 456 000 Soldaten fest.
({3})
Ob wir die mit 15 oder mit 18 Monaten Wehrdienstdauer erreichen, ist eine ausschließlich nationale, deutsche Entscheidung. Wir bleiben also ein verläßlicher Partner in der Allianz.
({4})
Wenn wir mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf bei 15 Monaten bleiben, sollen die Wehrpflichtigen wissen, daß wir die Einberufungspraxis weiter flexibel handhaben werden. Die Lebensplanung wird also weitgehend berücksichtigt werden.
Der 1. Juni wird Einberufungstermin bleiben. Das ist für die Abiturienten wichtig, die die Absicht haben, danach ihr Hochschulstudium aufzunehmen.
Auch werden wir an unserer Absicht festhalten, die materielle Lage der Wehrdienstleistenden zu verbessern. Das heißt im einzelnen: eine Erhöhung des Entlassungsgeldes nach Dienstende von derzeit 1 110 DM auf 2 500 DM zum 1. Juni und eine Wehrsolderhöhung von durchschnittlich 2 DM täglich ab 1. Juni. Ebenso werden wir ab 1. Juni an dienstfreien Tagen ein Verpflegungsgeld auszahlen.
Meine Damen und Herren, mit diesen spürbar verbesserten Leistungen wollen wir den Wehrdienst ein klein wenig mehr honorieren. Dabei ist mir klar, daß dieser Dienst für Frieden und Freiheit einen sehr hohen Wert darstellt, den man mit Geld allein nicht aufwiegen kann.
({5})
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen: Ich glaube, wir sollten mit unserer Bundeswehr wieder etwas natürlicher und selbstverständlicher umgehen.
({6})
Wenn ich „natürlich" und „selbstverständlich" sage, dann meine ich, gerade vor dem Hintergrund vermeintlich nachlassender Bedrohung hat die Bundeswehr erst recht ihre Daseinsberechtigung. Nicht in erster Linie wegen der Bedrohung aus dem Osten, sondern weil die Bundesrepublik Deutschland ein souveräner und demokratischer Staat ist, der seine Werte schützen will, haben wir die Bundeswehr als Verteidigungsarmee.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Antrag der SPD kurz noch folgendes sagen. Wenn Sie die 15 Monate über 1992 hinaus festgeschrieben wissen wollen, dann will ich Ihnen sagen: Ich meine, daß wir dieses Datum - 1. Juni 1992 - im Lichte der Wiener Abrüstungsverhandlungen sehen müssen. Wenn wir bis dahin konkrete Erfolge mit beiderseitig kontrollierter Abrüstung haben, dann heißt das für uns, daß die Stärke der Bundeswehr dann auch kein Tabu-Thema mehr sein kann.
({7})
Aber erst dann kann tatsächlich geklärt werden, ob wir W 15 beibehalten oder nicht.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.
Ein Gesetzenwurf jagt den anderen: Verlängerung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes, Aussetzung der Verlängerung bis 1992, aber immer: längerer Zivildienst. Wie wäre es denn einmal mit der Einhaltung von Art. 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes? Dort heißt es: „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. " - Und wie wäre es mit einer adäquaten Antwort auf die Wiener Verhandlungen, die sich den Abbau von Truppenstärken auf beiden Seiten zum Ziel gesetzt haben, damit endlich ein Dialog daraus wird?
Auf Grund der politischen Lage ist eine Reduzierung der sogenannten Friedensstärke der Bundeswehr schon längst überfällig. Daher fordern die GRÜNEN eine Verkürzung auf zwölf Monate Grundwehrdienst und zwölf Monate Zivildienst. Die Bereitstellung einer stillen Reserve von fast 700 000 Wehrpflichtigen wegen zukünftiger Personalprobleme zeigt doch, daß der Grundwehrdienst auf zwölf Monate verkürzt werden kann. Der Dienst der Zivildienstleistenden hat sich dermaßen belastend entwickelt, daß er nicht nur die Dienstbelastungen der Grundwehrdienstleistenden übersteigt, sondern auch deren durchschnittliche Reservedienste aufwiegt.
Die Aktivitäten der Bundesregierung können nur als Aufrüstung verstanden werden, auch wenn Sie jetzt bis 1992 warten wollen. Es sind aber deutliche Signale gefragt. Herr Kohl hat sich heute morgen in der Regierungserklärung darüber beschwert, daß der Wehrdienst gegenüber dem Zivildienst moralisch herabgesetzt werde. Dazu ein Zitat aus der Urteilsbegründung eines US-Bundesrichters:
Ist es möglich, daß diejenigen von uns, die zum Töten bestimmte Waffen bauen,
- ich füge hinzu: und diejenigen, die lernen sollen, sie zu benutzen an einem edleren Bestreben mitwirken als diejenigen, die durch ihre Handlungen versuchen, zu Mäßigung und Ausgleich als andere Methode, internationale Konflikte zu lösen, zu mahnen? Warum sind wir so gebannt von einer Gewalt, deren Enormität wir gar nicht mehr fassen können? Was ist so heilig an einer Bombe, so romantisch an einer Rakete? Warum verdammen und hängen wir einzelne Mörder, während wir die Tugenden von Kriegstreibern preisen?
Ist etwa der Plan, daß die Bundeswehr in Zukunft alle drei Strophen des Deutschlandliedes singen soll, wie es die Nazis noch heute tun, moralisch und historisch gerechtfertigt?
Eine Republik, die nachweislich militärisch nicht zu verteidigen ist, braucht nicht mehr Soldaten und Waffen, sondern gar keine. Um das zu erhalten, was verteidigt werden soll, müssen Möglichkeiten der nichtmilitärischen Verteidigung erkannt und von unten aufgebaut werden. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam hat in einer Demokratie überhaupt nichts zu suchen. Militärische Verteidigung abbauen und soziale Verteidigung aufbauen, das ist realistisch und vernünftig. Wir haben nur die Alternative der Selbstvernichtung. Daher: Reduzierung der Grundwehrdienstzeit auf 12 Monate und 12 Monate Zivildienst als ersten Schritt in diese Richtung.
Was wir brauchen, ist Kriegsdienstverweigerung auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Totalverweigerer sind deshalb keine Drückeberger, weil sie sich gegen die Militarisierung des Zivildienstes wenden, sondern ernsthafte Kriegsdienstverweigerer; davon brauchen wir mehr! Beenden Sie die Kriminalisierung von Pazifisten! Bieten Sie den Deserteuren und Totalverweigerern einen entmilitarisierten Zivildienst an, der den Namen „selbstbestimmter Friedensdienst" verdient! Eine Demokratie wirft ihre Pazifisten nicht ins Gefängnis!
Unsere Forderung nach 12 Monaten Grundwehrdienst und 12 Monaten Zivildienst als selbstbestimmtem Friedensdienst gibt Ihnen die Möglichkeit, einen Schritt in Richtung Abrüstung zu tun.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser Hetzrede, die ich auch als eine Verhöhnung der Soldaten der Bundeswehr empfinde
({0})
und die mich noch nicht einmal intellektuell fasziniert, möchte ich gerne auf das eigentliche Thema zurückkommen, nämlich auf die Anträge, die hier vorliegen.
({1})
Die Argumentation der Freien Demokraten in der Frage der Verschiebung der Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate ist eindeutig, konstant und konsequent.
({2})
Zu unserer großen Freude ist sie nunmehr auch erfolgreich.
Seit Herbst 1988 haben wir verläßliche Zahlen, die uns die Hardthöhe damals geliefert hat. Ich füge hinzu: Ich kann mich über die Zusammenarbeit mit den zuständigen Soldaten auf der Hardthöhe in dieser Frage nicht beschweren.
({3})
Wir haben konkrete, korrekte Zahlen geliefert bekommen. Wir haben sie politisch anders gewertet, als sich einige der Soldaten, die dort Verantwortung tragen, gewünscht haben. Es ist aber unsere Aufgabe, diese Zahlen politisch zu werten. Der Primat der Politik muß dann auch entsprechend respektiert werden. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das auch geschieht.
Auf Grund dieser Zahlen ist uns klar, daß gegenüber dem Beschluß des Deutschen Bundestages von 1986 bzw. der Kabinettsvorlage von 1984 etwa 100 000 potentielle Wehrpflichtige mehr zur Verfügung stehen, als damals angenommen. Das versetzt uns nunmehr in die Lage, die Wehrdienstverlängerung zu verschieben.
({4})
Ich habe am 3. Dezember letzten Jahres nach Absprache mit meinem Partei- und mit meinem Fraktionsvorsitzenden die Forderung in der Öffentlichkeit erhoben, auf Grund der neuen Entwicklung die Entscheidung über das Inkrafttreten der Verlängerung des Grundwehrdienstes zu überprüfen und den sich ergebenden Spielraum zu einer Verschiebung der Verlängerung zu nutzen.
Das Präsidium meiner Partei hat sich am 5. Dezember dieser Forderung angeschlossen. Es ist uns leider nicht gelungen, Herr Kollege Kühbacher, diese Forderung sofort in der Koalition durchzusetzen. Das war - ich bekenne das ganz offen - teilweise ganz schön bitter. Wir waren uns aber sicher, daß sich letztendlich die besseren Argumente durchsetzen würden.
Ich bin dankbar, daß sich die Kollegen von der CDU/CSU nunmehr entschlossen haben, der Verschiebung der Verlängerung um drei Jahre zuzustimmen. Das ist ein Erfolg, über den ich mich riesig freue, ein Erfolg, der die Handlungsfähigkeit dieser Koalition bekräftigt.
({5})
Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn wir eine einmal getroffene Entscheidung überprüfen und an geänderte Entscheidungsgrundlagen anpassen. Im Gegenteil: Es wäre unverantwortlich, es nicht zu tun. Darum sind wir Liberalen in dieser Frage sehr hart geblieben, auch nach dem Rückschlag, den wir im Januar haben hinnehmen müssen.
Meine Damen und Herren, die FDP steht ohne Wenn und Aber zur Landesverteidigung, zum Bündnis und zur Wehrpflicht.
({6})
Das heißt, wir stehen auch zu den Lasten, die damit einhergehen. Ich halte draußen häufig genug meinen Kopf dafür hin, ob es um Tiefflug geht oder um Lasten, die mit Manövern einhergehen. Das sind Themen, bei denen es alles andere als populär ist, wenn man dem Bürger erklären muß, warum eine Armee üben muß und warum im Zusammenhang mit Landesverteidigung persönliche Opfer erforderlich sind.
({7})
Die Bürger unseres Landes sind doch durchaus bereit, die Lasten der Landesverteidigung zu tragen, vorausgesetzt, sie werden gut begründet und glaubwürdig stets auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert. Deswegen nehmen wir es den Sozialdemokraten und den Grünen auch nicht ab, wenn sie in dieser Frage oder überhaupt im Zusammenhang mit Fragen der Landesverteidigung versuchen, sich gegenseitig mit populistischen Forderungen zu überbieten.
({8})
An die Adresse der FDP ist im Zusammenhang mit
W 15 der Vorwurf des Populismus nun allerdings totaler Unsinn. Eine politische Forderung ist schließlich nicht deshalb falsch, weil sie zufällig einmal populär ist. Es ist in Fragen der Landesverteidigung leider selten genug der Fall, daß etwas populär ist.
({9})
Wir haben W 15 aus ganz grundsätzlichen Überlegungen gefordert, Überlegungen, die aus liberalen Prinzipien abgeleitet sind. Die mit Landesverteidigung verbundenen Lasten, auch Wehrpflicht, sind ein erheblicher Eingriff in individuelle Lebensplanung, ja, sogar in individuelle Freiheitsrechte; für Wehrpflicht gilt dies allemal. Die Dauer der Wehrpflicht muß daher stets und immer wieder überprüft werden und auf das erforderliche Maß reduziert bleiben. Wenn man die Präsenzstärke der Bundeswehr auch mit einer geringeren Wehrdienstdauer gewährleisten kann, dann muß man dies tun; das sind wir denjenigen schuldig, denen wir dieses Opfer abverlangen.
({10})
Warum deshalb nicht auf die Forderungen der SPD eingehen? Nun, die Länge des Wehrdienstes ist keine Frage der Beliebigkeit. Sie muß sich aus den unabweisbaren Erfordernissen der Landesverteidigung legitimieren und deshalb darauf beschränkt bleiben. Bundeswehr, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft unserer Soldaten sind nach wie vor ein starkes Argument im Bündnis.
Aber auch mit unserer konstanten Wehrpflicht von 15 Monaten brauchen wir uns im Bündnis nicht zu verstecken. Unsere amerikanischen Freunde im Kongreß würden es nicht einmal im Traum wagen, über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nachzudenken. Überschätzen wir nicht die Signale, die nach außen gegangen sind; wichtiger sind mir in dieser Frage die Signale nach innen, die Signale der Sensibilität an die eigene Bevölkerung, daß wir stets bereit sind, die Lasten, die mit Landesverteidigung verbunden sind und zu denen wir stehen, auf das Maß zu
reduzieren und zu beschränken, das die Aufgabe gebietet.
Ich bedanke mich.
({11})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD sowie den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 und Zusatztagesordnungspunkt 4 auf:
21. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial
- Drucksache 11/3990 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atommüllendlager „Schacht Konrad" in Salzgitter-Bleckenstedt
- Drucksache 11/2002 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Leukämiemorbidität in der Umgebung des AKW Würgassen
- Drucksache 11/2353 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Unterrichtung der Bevölkerung über die im Hanauer ALKEM-Bunker gelagerten Spaltstoffe
- Drucksache 11/1682 -
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen
- Drucksache 11/1632 10380
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brauer, Dr. Daniels ({1}), Frau Flinner, Dr. Knabe, Kreuzeder, Stratmann, Frau Garbe, Frau Teubner, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sofortige Stillegung und sicherer Einschluß des THTR 300
- Drucksache 11/4418 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Interfraktionell sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vereinbart worden. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Harries.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern debattierte der Umweltausschuß über das von der SPD-Fraktion eingebrachte Kernenergie-Abwicklungsgesetz. Mit sicherer Mehrheit wurde der Gesetzentwurf von uns zur Ablehnung vorgeschlagen. Gestärkt waren wir durch die Stimmen der Abgeordneten der GRÜNEN, die natürlich aus einem ganz anderen Motiv gehandelt haben, weil sie wiederum für den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie eingetreten sind.
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Dabei hat die dieser Ausschußberatung voraufgegangene Anhörung von Sachverständigen, von Verbandsvertretern, von Wissenschaftlern, auch von jenen, die der Kernenergie ablehnend bis kritisch gegenüberstehen, ganz eindeutig ergeben, daß ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie absolut unrealistisch ist.
Der Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß sich permanent mit Anträgen der GRÜNEN, so auch heute wieder, befassen, die auf der gleichen unrealistischen Linie liegen. Dazu gehören die drei Anträge, die wir jetzt zu besprechen haben. Der erste Antrag der GRÜNEN hat ein Katastrophenszenario zum Inhalt, indem auf vermehrte Leukämiefälle im Umfeld von Würgassen hingewiesen wird. Der zweite Antrag soll dadurch Ängste wecken, daß auf die geheimnisvollen und gefährlichen Atombunker in Hanau hingewiesen wird. Mit dem dritten Antrag schließlich soll das Entsorgungskonzept für „Konrad" verzögert und verhindert werden, um über diesen Umweg vermeintlich geschickt zu präsentieren und zu beweisen, die Entsorgung für die Kernenergie sei nicht möglich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hier wieder vorgeführte Geschäft mit der Angst halte ich gegenüber unserer Bevölkerung für unverantwortlich. Ich halte es auch für völlig unerträglich und für nicht zu akzeptieren, daß die GRÜNEN durch Anträge mit gleicher Zielrichtung immer wieder - auch vor der Öffentlichkeit - den Eindruck erwecken, als würden Moral und Verantwortungsgefühl bei diesem zugegebenermaßen sehr schwierigen Punkt nur von ihnen in Anspruch genommen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Moral und Verantwortungsgefühl nehmen auch wir für unseren Standpunkt in Anspruch.
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Meine Damen und Herren, auch wir wägen ab: Risiken, mögliche Schäden, aber auch Folgen, wenn man sich anders entscheiden sollte. Wir sind überhaupt keine Atomfetischisten
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oder blinde Anhänger der Kernenergie. Aber gerade die von mir soeben dargestellte Abwägung des Für und Wider zeigt, daß es auch beachtliche Argumente - auf die Sie endlich einmal eingehen sollten - dafür gibt, daß man - um einige aufzuzählen - wegen des Jahrhundertvertrages Kohle und Kernenergie hier sehr maßvoll reagieren muß, um nicht die Grundlage für unsere Kohle - auch aus sozialen Gründen - leichtfertig in Gefahr zu bringen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben auch international und europaweit eine Verpflichtung. Wir können hier nicht den Standpunkt der Bundesrepublik isoliert, ohne Nachbarn, ohne Schwellenländer und ohne Entwicklungsländer, sehen und so tun, als ginge uns das Energieproblem, das weltweit besteht, überhaupt nichts an.
Meine Damen und Herren, ein Antrag bezieht sich auf den Bunker in Hanau, der als besonders gefährlich und mit Massenvernichtungsmitteln aufgefüllt hingestellt wird. Der 2. Untersuchungsausschuß, meine Damen und Herren, ist vor einigen Monaten mit Vertretern aller Fraktionen in Hanau gewesen. Wenn jeder, der dabei war, hier ehrlich wäre, dann müßte übereinstimmend festgestellt werden,
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daß im Grunde, verehrter Herr Kollege Reuter, jeder von uns über die korrekte Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen und über das, was uns dort präsentiert worden ist, überrascht war.
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- Es war überhaupt kein Eindruck - weder bei Ihnen noch bei den anderen - , daß hier diese gefährlichen Stoffe lagern
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und die Zugänglichkeit oder die „physical protection"
nicht gegeben ist, wie sie durch internationale VerHarries
träge auch für uns verpflichtend besteht und eingehalten wird.
Meine Damen und Herren, Angst wird durch Ihren Antrag geschürt, in dem Sie auf die angeblich überhöhte Zahl der Leukämiefälle in Würgassen hinweisen, und zwar unter Bezug auf die gutachtliche Stellungnahme eines sich hier zum Fachmann aufspielenden Mannes.
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Meine Damen und Herren, ich darf hier auf zwei wissenschaftliche Aussagen hinweisen, nämlich des Bundesgesundheitsamtes und des Professors Michaelis, der eindeutig sagt, daß die hier präsentierten Zahlen keineswegs notwendigerweise oder auch nur von der Wahrscheinlichkeit her auf den Betrieb des Kernkraftwerks Würgassen zurückzuführen sind.
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Schließlich: Der in Ihrem Antrag erhobenen Forderung, das Verfahren hinsichtlich des „Schachtes Konrad" sofort zu stoppen, meine Damen und Herren, kann überhaupt nicht entsprochen werden. Wir sind hier in einer ausgesprochen sorgfältigen Vorbereitung, die nicht überschnell, die nicht leichtfertig in die Wege geleitet worden ist, die sich im Grunde über Jahre hingezogen hat. Erste Pläne, die man erstellt hat, hat man überarbeitet. Wir sind jetzt so weit, daß wir im Frühsommer dieses Jahres die öffentliche Anhörung durchführen können und daß alle Aussicht besteht, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die zuständige Behörde, nämlich das Land Niedersachsen, im Juni nächsten Jahres über den Antrag der PTB - wie ich meine, positiv - entscheiden wird. Meine Damen und Herren, es besteht überhaupt keine Veranlassung, das laufende Planfeststellungsverfahren abzubrechen. Denn die Wissenschaftler, die Behörden und die Stellen, die bei der Aufstellung der Plane einbezogen worden sind, haben hier im Grunde positive Feststellungen für „Konrad" getroffen. Das Ja zu „Konrad", das ich hier mit wenigen Worten erläutert habe, fügt sich lückenlos in das immer noch gültige, in Arbeit und in Vorbereitung befindliche Entsorgungskonzept der Bundesregierung ein. Hier ist freimütig zu bekennen, meine Damen und Herren, daß bedauerlicherweise eine Verzögerung eingetreten ist.
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Das gilt für alle Bereiche. Es gilt für Wackersdorf, für Gorleben und für „Konrad" . Aber wir bewegen uns immer noch auf der Grundlage des damals von Ihnen angeregten und von uns mitgetragenen Entsorgungskonzepts aus dem Jahre 1979, mit dem wir auf der Grundlage bestehender Gesetze - Atomgesetz, Planfeststellungsverfahren - immer noch konsequent arbeiten.
Meine Damen und Herren, das Zwischenlager in Gorleben ist fertiggestellt. Die Aufbewahrungsgenehmigung ist erteilt. Über die Anordnung der sofortigen Vollziehung wird in Kürze entschieden.
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Das Zwischenlager Ahaus ist baurechtlich genehmigt. Klagen sind zugegebenermaßen anhängig und verzögern die Benutzung dieses Zwischenlagers.
Über Wackersdorf haben wir vor einigen Tagen ausführlich geredet. Ich habe meine Meinung zu der neuen Situation, von der VEBA eingeleitet, zum Ausdruck gebracht.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte gern eine Zwischenfrage.
Frau Wollny, bitte.
Herr Harries, haben Sie schon gehört, daß das Gericht in Lüneburg heute entschieden hat, daß kein Grund besteht, die sofortige Vollziehbarkeit durchzuführen? Es kann nach wie vor nicht eingelagert werden.
Nein, das habe ich nicht gehört. Ich bedanke mich für diese Information.
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Wir werden gemeinsam über die Rechtslage nachzudenken haben und dann die erforderlichen Schritte einleiten.
Meine Damen und Herren, zu Wackersdorf nur einen Satz. Wackersdorf - ich habe das hier vor einigen Tagen gesagt - eröffnet natürlich eine europäische Dimension, über die die eingesetzte Regierungskommission aus Vertretern Frankreichs und der Bundesrepublik zu verhandeln hat. Es kann dabei aber überhaupt nicht in Frage kommen, daß diese europäische Dimension dazu führt, daß Entscheidungen, die zu erwarten sind und die anstehen, zu Lasten nur eines Landes erfolgen. Von daher, meine ich, ist es schon ein Stück Brunnenvergiftung, wenn jetzt der Eindruck erweckt wird, daß Gorleben als in Aussicht genommenes Endlager selbstverständlich auch für französische abgebrannte Brennstoffe in Frage kommt. Meine Damen und Herren, hier tritt genau das ein, was ich vor wenigen Tagen aus Anlaß der Wackersdorf-Debatte hier gesagt habe, daß, nachdem der erste Damm vermeintlich gebrochen ist, mit großer Macht und Anstrengung die nächsten Dämme angegangen werden.
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Meine Damen und Herren, ich darf abschließend nochmals sagen: Dem Entsorgungsbericht der Bundesregierung stimmen wir zu. Aber wir bedauern ausdrücklich die Verzögerungen, die eintreten, insbesondere für „Konrad". Aber wir gehen von diesem Weg nicht ab.
Wir begrüßen schließlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial. Hier werden wir zusammen mit allen anderen EG-Nationen die Ratifizierung in Wien vornehmen. Materiell bedeutet dieser Gesetzentwurf, der auf einer internationalen Anre10382
gung beruht, keine neuen Aussagen und Verpflichtungen für uns. Wir gehen nach diesem Gesetzentwurf die Verpflichtungen ein, die wir mit Erfolg und in internationaler Solidarität im Grunde schon einhalten.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Harries, Sie hätten hier die Gelegenheit gehabt, ganz eindeutig zu sagen: Wir nehmen das nicht, was aus Frankreich kommt.
({0}) Diese Gelegenheit hätten Sie gehabt.
Wir sollten uns eigentlich mit dem Entsorgungsbericht befassen. Das ist die Kernvorlage bei diesem Tagesordnungspunkt. Als vor gut einem Jahr die Bundesregierung diesen Bericht zur Entsorgung der Kernkraftwerke vorgelegt hat, hätte sie zwar schon damals einige euphorisch und optimistisch darin enthaltene Annahmen zur Entsorgungsmöglichkeit herausnehmen können. Daß aber Teile des Konzepts durch die Wirklichkeit in Wackersdorf so ausgehebelt würden, hätte sich selbst diese Bundesregierung nicht vorstellen können. Die Verhandlungen des VEBA-Vorsitzenden von Bennigsen-Foerder mit der COGEMA, eine gemeinsame Wiederaufbereitungsanlage in Hague zu betreiben, läßt nicht nur den Plan, eine Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zu bauen, obsolet erscheinen, sondern ändert auch im ganzen die Entsorgungssituation in unserem Land. Ich will nicht mehr im Detail darauf eingehen, ob es einen Weiterbau gibt oder nicht. Nach meiner Meinung ist Wakkersdorf tot. Niemand von uns glaubt doch im Ernst daran, daß die sogenannte Zwei-Säulen-Theorie - eine Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und eine in La Hague - die Chance einer Realisierung hat. Durch La Hague wird Wackersdorf ausgehebelt. Wir können nicht annehmen, daß gleichzeitig an beiden Standorten kostengünstig gearbeitet werden kann. Aus ökonomischen Gründen ist das nicht durchzuhalten. Die Wiederaufarbeitungsanlage in Wakkersdorf ist tot.
Die Konsequenz dieses Aus für Wackersdorf gilt auch - das haben wir jetzt gesehen - für den Hochtemperaturreaktor im Hamm-Uentrop. Mit dem Bundesforschungsminister ist die Landesregierung Nordrhein-Westfalens schon jetzt der Auffassung, daß der THTR 300 auf Grund der nicht überwindbaren Schwierigkeiten, insbesondere wegen der Betriebsunzuverlässigkeit, stillgelegt werden muß. Diesen Zeitpunkt halten Land und Bund jetzt für gekommen. Nordrhein-Westfalen gibt aus Gründen der Schadensbegrenzung der sofortigen Stillegung den Vorzug. Ich habe diesem Vorgang nichts hinzuzusetzen. Er ist richtig entschieden, wie über Wackersdorf noch richtig zu entscheiden sein wird.
Die Stillegungsanträge müssen schleunigst gestellt werden. Wir Sozialdemokraten begrüßen diese Entwicklung nachhaltig. Wir fürchten aber, daß mit dem
Stopp der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf der Einstieg von einem nationalen integrierten Entsorgungskonzept mit Wiederaufarbeitung zu einem gleichen integrierten Konzept internationaler Art begonnen werden soll. Der uns vorliegende Entsorgungsbericht der Bundesregierung geht noch davon aus - ich zitiere wörtlich -, „daß sich die Bundesrepublik Deutschland von der Auslandsentsorgung zum frühesten möglichen Zeitpunkt unabhängig macht" . Dieses Konzept wird offensichtlich aufgegeben. Es deutet sich - wenn ich die Agenturmeldungen von vorgestern richtig gelesen habe - eine ganz andere Zwei-Säulen-Theorie an, die auf unseren entschiedenen Widerstand stößt. Herr Harries, nach Angaben vom Kollegen Grünbeck soll die neu eingerichtete deutsch-französische Arbeitsgruppe unter Monsieur Fauroux und Herrn Töpfer auch klären, ob im Salzstock Gorleben ein gemeinsames deutsch-französisches Nuklearlager eingerichtet werden kann, ob also in Gorleben auch von Anfang an französische Abfälle entsorgt werden können. Die Internationalisierung sähe dann so aus: Die Franzosen betreiben die Wiederaufbereitung, und wir nehmen ihren JahrtausendNuklearabfall. - Das kann man mit uns nicht machen.
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Wir sind verpflichtet, unsere Nuklearabfälle zurückzunehmen, aber wir sind nicht verpflichtet und wir werden es auf keinen Fall zulassen, daß wir zu einem internationalen Nuklearmülltourismus kommen. Wir wollen nicht einmal zu einem binationalen Mülltourismus dieser Art kommen. Wir Sozialdemokraten werden deshalb in keiner Weise zulassen, daß fremder Nuklearmüll, egal aus welchem Land, bei uns endgelagert wird.
Die Gefahren der Plutoniumwirtschaft, gegen die wir Sozialdemokraten gerade eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben haben, werden nicht dadurch anders, daß es sich um französisches Plutonium handelt, das wir verwenden und dessen Produkte wir endlagern. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir müssen aufpassen, daß die Internationalisierung der Atomfrage oder auch nur die EG-Lösung bei der Nutzung der Kernenergie unsere nationalen Kontrollrechte und parlamentarischen Gegenrechte nicht aushöhlt. Das können wir nicht zulassen. Wir wissen auch, daß sich bei einer eventuellen Schließung unserer Kernkraftwerke das Problem bei Abnahme von französischem Atomstrom nur verlagert. Auch das sind ernsthafte Probleme, die wir diskutieren müssen.
Meine Damen und Herren, nach wie vor wollen wir Sozialdemokraten den Weg der direkten Endlagerung beschreiten. Wir lehnen - ich habe das schon gesagt - die Internationalisierung der Entsorgungskonzeption mit Wiederaufarbeitung ab. Wir wollen die direkte Endlagerung, weil bei der direkten Endlagerung weniger atomarer Abfall anfällt als bei der Wiederaufarbeitung, weil direkte Endlagerung wesentlich weniger Proliferationsrisiken hat und weil sie niedrige Strahlenbelastungen und niedrige Kosten nach sich zieht. Das haben wir schon 1984 im Rahmen der Systemstudie „Andere Entsorgungstechniken" des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität
Köln gesagt bekommen, in der festgestellt wird, daß die Kosten für den Entsorgungsweg mit Wiederaufarbeitung zu 43 % höher liegen als die der direkten Endlagerung. Diese Studie hat ebenfalls belegt, daß bei der Wiederaufbereitung höhere Strahlenbelastungen auftreten als bei der direkten Endlagerung.
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Nach der aktuellen Diskussion zu Wackersdorf und La Hague stehen wir heute bei der Beratung des Entsorgungsberichts, der hier vorliegt, historisch noch einmal an der Wegkreuzung zur direkten Endlagerung. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns diesen Weg beschreiten, ohne daß wir La Hague dazwischenschalten. Lassen Sie uns die Abfallstoffe direkt bei uns endlagern.
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Wenn wir das tun, haben wir immer noch genug große, lange noch nicht beherrschte Probleme.
({4}) - Lassen Sie mich dazu etwas sagen.
Ich rede jetzt zu unseren Endlagern: Die Bundesregierung spricht in dem Entsorgungsbericht davon, daß das Erkundungsprogramm für den Salzstock Gorleben erwarten lasse - auch wieder wörtliches Zitat -, „daß dort ein Endlager für radioaktive Abfälle am Anfang des nächsten Jahrtausends für den nationalen Bedarf zur Verfügung stehen wird". Das ist immer noch eine ungebrochene Erwartung. Die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge gehen für den Bau, aber auch für den Betrieb von Kernkraftwerken von der Voraussetzung aus, daß Fortschritte bei der Verwirklichung des integrierten Entsorgungskonzepts gemacht werden. Daran, ob Fortschritte gemacht werden, müssen wir die Wirklichkeit messen.
Sind Fortschritte bei der Exploration von direkten Endlagergebieten gemacht worden? Wir wissen, daß es nach über 30 Jahren ziviler Nutzung der Kernenergie in keinem Land der Erde ein Endlager für den hochaktiven Atommüll oder eine andere Form der sicheren endgültigen Entsorgung des Atommülls gibt. Die USA haben gerade ihre Versuche, in Salzlager zu gehen, endgültig aufgegeben. Die „Frankfurter Rundschau" schreibt: „Salt is out" in den USA. In den USA will man oberhalb von Grundwasserhorizonten in Yucca Mountain, Nevada, weitermachen. Schweden hat ein Lager in Granit, das man, wie mir mein Kollege aus Niedersachsen, Uwe Bartels, berichtet hat, nur im Regenzeug betreten kann. England und Frankreich haben noch keine konkreten Endlagerstandorte. Wie steht es bei uns mit Gorleben, und wie sieht es mit dem Schacht „Konrad" aus?
Die bisherige Erkundung des für den wärmeentwickelnden Atommüll als Endlager vorgesehenen Salzstocks in Gorleben hat bisher eigentlich nur enttäuschende Ergebnisse gebracht. Je näher und intensiver der Salzstock untersucht wurde, desto mehr schmolzen anfangs angenommene Sicherheitsbarrieren dahin.
Nachdem sich die Niedersächsische Landesregierung aus eher politischen Gründen 1975 gegen die
von der Bundesregierung für eine Untersuchung vorgesehenen Salzstöcke Wahn, Lichtenhorst und Weesen-Lutterloh und für Gorleben entschieden hatte, fiel ein geologisches Sicherheitskriterium nach dem anderen aus. Von vier blieb im wesentlichen noch eines übrig. Vor allem ist die Barriere Deckgebirge gefallen. Es ist absolut unstreitig, daß das Deck-und Nebengebirge des Salzstockes in Gorleben ein riesiges Grundwasserreservoir enthält. Auf Grund der internen Zerklüftung steht es nicht mehr als geologische Barriere da. Es ist noch ein unverletzter Salzstock vorhanden, der jetzt untersucht wird. Reicht das aus?
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Es gibt in der internationalen Wissenschaft erhebliche Bedenken gegen Salzlager. Ich will nur einige nennen. Salze sind die wasserlöslichsten Gesteine der Erdkruste. Salzlösungen sind sehr aggressiv und zerstören die technischen Barrieren der radioaktiven Abfälle schnell. Steinsalz hat hohe thermische Ausdehnungskoeffizienten. Bei Einlagerung von wärmeproduzierenden Abfällen kann es schnell zu Riß- und Spaltenbildung mit der Folge des Grundwasserzutrittes kommen. Die Konvergenz des Salzes birgt Probleme für die Stabilität des Bergwerkes - neben der Gefahr des Grundwasserzutritts.
Die Folgerung - Herr Baum, Sie fragten danach - kann nur sein, daß wir andere Standorte, vor allem auch in anderen Medien, prüfen. Wir Sozialdemokraten fordern dies seit Jahren. Aus politischen Gründen wird für uns die Akzeptanz für einen Endlagerstandort auch nur dann ausreichend sein, wenn der am wenigsten belastende Entsorgungsweg gewählt wird, wenn Alternativen abgewogen werden können - und wir können Alternativen nur abwägen, wenn wir auch andere untersuchen - und wenn für die Bürger die Nutzung der Kernenergie und der Zufluß zum Endlager in einem überschaubaren Zeitraum beendet sind. Endlagerdiskussion und Ausstiegsdiskussion, meine Damen und Herren, sind eng miteinander verkoppelt.
Für den Schacht „Konrad" gelten zwar nicht so sehr die geologischen Bedenken, die ich aufgeführt habe, wohl aber die politischen. Solange der Schacht „Konrad" etwa Abfälle aus der Wiederaufarbeitung Wakkersdorf zu einem erheblichen Teil aufnehmen soll - man sagt mir, im Antrag sei von 40 % die Rede - ist die Akzeptanz vor Ort nicht gegeben. Mein Kollege Wilhelm Schmidt wird sich damit befassen.
Festzuhalten gilt, daß die eher euphorische und optimistische Grundhaltung des Entsorgungsberichts und die knappe Zeitdimension, die auch Herr Harries gerade wieder angesprochen hat und von der auch der Bericht ausgeht, zeigen, daß dieser Bericht an der Wirklichkeit vorbeigeht.
Wir haben zur Zeit - das ist die Folgerung - keine schlüssige Entsorgungskonzeption.
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Dies wird auch bei der Konzeption der Zwischenlager als Sicherstellungslager nach dem neuen Atomgesetz deutlich. Es gibt auch für diese Lager keine gültige Genehmigung.
Wir brauchen deshalb endlich ein schlüssiges und akzeptiertes Entsorgungskonzept. Gesundbeterei und Versteckspiel im Entsorgungsbericht helfen überhaupt nichts. Die Gerichte werden das sowieso merken.
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- Das gilt für alle; das ist wahr.
Herr Kollege, Sie nehmen Ihrem Kollegen die Zeit weg.
Ja, ich weiß das. Ich sage noch, was wir fordern.
Wir Sozialdemokraten sind bereit, auf nationaler Ebene unseren Beitrag zu leisten und uns an einen Tisch zu setzen. Uns ist klar: Wir müssen entsorgen. Deswegen laßt uns uns zusammensetzen, und laßt uns auch alternative Endlager suchen. Das ist das, was wir wollen. Das Prinzip der direkten Endlagerung, das wir vorschlagen, muß sich endlich durchsetzen. Wir sind hier beim Entsorgungsbericht noch einmal am Scheideweg. Laßt uns den richtigen Weg gehen. Gehen wir den Weg der direkten Endlagerung. An dieser Stelle machen wir mit.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Debatten - mit Verlaub - hier x-mal geführt. Wir haben in der letzten Woche über Wackersdorf debattiert. Wir haben oft über die Kernenergie und über Entsorgung gesprochen. Es ist
- manchmal habe ich wirklich das Gefühl - ein Ritual, daß wir unter uns - wir sind ja unter uns - die bekannten Argumente austauschen. Ich will das ebenfalls in aller Kürze hier tun, aber wirklich nur in aller Kürze.
Ich vermisse kein schlüssiges Entsorgungskonzept. Ich stelle zwar fest, Herr Kollege Schütz, daß es bei der Entsorgung Rückschläge gegeben hat. Aber das Konzept, das wir 1979 aufgestellt haben, ist da, und auch die Umsetzung wird versucht. Es handelt sich ja um Versuche in Gorleben; wir sind nicht der Meinung, daß nun schon alles sicher sei.
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- Ja, gut; aber wenn Sie hier jetzt schon einen Zwischenruf machen, muß ich Ihnen sagen: Sie sitzen lächelnd da, sagen, Sie wollten die Atomenergie nicht,
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und vergessen, daß Sie, wenn Sie morgen regieren müßten, was ich nicht wünsche, die Entsorgungsfrage zu lösen hätten.
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Sie leben in diesem Land; wir haben Brennelemente, die Sie entsorgen müssen. Das heißt, diese Aufgabe müssen Sie wahrnehmen. Sie können nicht so tun, als ginge Sie das nichts an.
Der Kollege von den Sozialdemokraten hat eben gesagt - ich begrüße das -, daß er mitwirken will. Das bedeutet natürlich, daß er auch vor Ort für Akzeptanz eintreten muß.
Der Entsorgungsbericht wird von uns begrüßt. Meine Partei hat in einem Punkte eine etwas andere Meinung. Das betrifft die direkte Endlagerung. Wir wollen geprüft wissen, ob eine direkte Endlagerung unter Sicherheits- und Kostengesichtspunkten möglich ist. Ich sage dazu, daß diese Prüfung heute nicht abgeschlossen werden kann, daß es dazu ein Pilotprojekt gibt und daß wir, anders als Sie, die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen haben. Aber wir halten diese Option für wichtig und gehen nicht so weit, Herr Töpfer, wie die Entscheidung der Regierung von 1985. Wir werden sehen, was sich in Gorleben ergibt.
Ich kann, um jetzt noch ganz deutlich zu Ihrem Antrag, Herr Daniels, Stellung zu nehmen, überhaupt nicht verstehen, daß Sie das Planfeststellungsverfahren für „Konrad" aussetzen wollen. Sie verschließen also die Augen nicht nur vor der Entsorgung der Brennelemente, sondern Sie verschließen die Augen auch vor der Entsorgung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle.
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Das ist verantwortungslos. Sie müssen doch diese Abfälle, die unweigerlich anfallen und die wir zum größten Teil überhaupt nicht vermeiden können, verantwortungsvoll entsorgen. Deshalb ist das Planfeststellungsverfahren für „Konrad" wichtig. Wir unterstützen es und lehnen Ihren Antrag ab.
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Wir haben hier heute noch einmal über Wackersdorf diskutiert. Meine Partei hat dazu deutlich gesagt, wir wollen Verhandlungen mit Frankreich führen. Wir unterstützen die Bundesregierung und wollen ausloten, welche Möglichkeiten der energiepolitischen Zusammenarbeit und möglicherweise auch der Arbeitsteilung sich hier ergeben. Wir haben dazu Bedingungen formuliert, die ja hier schon ausgetauscht worden sind.
Ich stelle die Frage, ob wir, wenn es zu einer Zusammenarbeit mit COGEMA kommt, nicht dafür sorgen müssen, daß uns das technologische Know-how nicht verlorengeht. Man sollte überlegen, ob wir nicht an dieser Technologie in einer anderen Weise, als dies in Wackersdorf vorgesehen war, weiterarbeiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ja. Die Zeit ist allerdings knapp. Bitte!
Herr Baum, nachdem wir versucht haben, von der Bundesregierung die Auskunft zu bekommen, was unter einem
Dr. Daniels ({0})
Zwei-Säulen-Konzept zu verstehen ist, möchte ich Sie bitten, das zu erklären.
Ich habe das Wort nicht geprägt. Wenn ich das richtig sehe, und wenn die Wiederaufarbeitung gemeint war, dann muß ich sagen, daß man nur an einer Stelle wiederaufarbeiten kann, wie die Dinge heute liegen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Dieser Meinung ist wohl auch die Firma. Aber warten wir doch einmal ab, was in den nächsten Wochen geschieht.
Wir werden, was die Entsorgung und auch andere Fragen angeht, das Atomgesetz novellieren müssen. In einem ersten Schritt tun wir das jetzt schon, in einem zweiten Schritt werden wir das bei nächster Gelegenheit tun müssen.
Ich meine, daß der Gesetzentwurf über den Schutz von Kernmaterial, der die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich, insbesondere bei grenzüberschreitenden Transporten, verbessern soll, begrüßt werden kann und muß. Er reiht sich in das inzwischen schon recht umfangreiche Paket internationaler Regelungen und Vereinbarungen ein. Hier wirkt ja der Tschernobyl-Schock nach, und ich kann die Bundesregierung nur ermutigen, die Zusammenarbeit zu verstärken. Bei allem Wunsch, die Kernenergie zu einer Übergangsenergie werden zu lassen, macht mir weniger die Situation im eigenen Land, sondern vielmehr die internationale Lage Sorge, insbesondere auch der Umgang im militärischen Bereich. Deshalb, meine ich, sollten wir alles tun, um im internationalen Bereich unseren Einfluß geltend zu machen.
Ich habe mich über die Frage der Leukämiemorbidität in der Umgebung des Kernkraftwerks Würgassen orientiert. Alles, was ich dazu erfahren habe, was ich aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Stellungnahmen der Bundesregierung habe entnehmen können, rechtfertigt Ihre Befürchtungen nicht. Deshalb können wir Ihnen hier nicht folgen.
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- Ich habe mir die Gutachten angesehen, Frau Kollegin.
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Ich kann nicht mehr tun. Ich muß mich hier auf Fachleute verlassen, und ich vertraue ihnen, daß das so ist.
Meine Damen und Herren, es wird also weiterhin notwendig sein, das Entsorgungskonzept zu verfolgen, wer auch immer regiert. Ich wünsche mir, daß wir wirklich wieder zu einer engeren Zusammenarbeit bei der Entsorgungsvorsorge kommen. Überhaupt, Herr Kollege Schütz, sollten wir das in Sachen Energiepolitik anstreben, denn wir haben es mit neuen Fragen zu tun, die sich aus dem europäischen Binnenmarkt ergeben. Wir haben gemeinsam - ich sage das als Nordrhein-Westfale - ein Interesse an der Kohle. Wir wollen die Kohleverstromung und die Kohle als Energiequelle nicht ganz aufgeben; wir werden ihren Einsatz allerdings reduzieren müssen. Die Frage ist doch, ob man nicht eines Tages wieder zu einer Gemeinsamkeit zurückkommt; diese Gemeinsamkeit war ja 1979 einmal ein Ausgangspunkt.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Wollny.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Entsorgung der bundesdeutschen Atomkraftwerke gibt es nicht. Das kann man so feststellen. Sie existiert auch nicht dadurch, daß die Bundesregierung in ihrem Entsorgungsbericht auf 60 Seiten ihre Wünsche und vagen Hoffnungen vorträgt. Allein der Begriff „Entsorgung" unterstellt, daß wir uns der Sorge um die täglich anfallenden Atommüllberge entledigen könnten. Dies ist ein Irrtum. Der Sorgenberg wächst täglich, und eine Lösung ist nicht in Sicht.
Bis zum Jahr 2000 werden 200 000 m3 schwach- und mittelaktive Abfälle und 10 000 t abgebrannter Brennelemente angefallen sein.
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- Natürlich.
Allein diese Zahlen belegen die Dramatik des Problems. Es geht hier nicht um die Beseitigung von Kompost, sondern um strahlendes Material. Ich möchte Ihnen jetzt wirklich einmal die Zahlen sagen.
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- Okay. Ich weiß es. Trotzdem, Herr Baum, hat man nicht den Eindruck.
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Es handelt sich um strahlendes Material, das für Zehntausende von Jahren - hören Sie sich ruhig einmal die Zahlen an - sicher von der Biosphäre abgeschlossen werden muß. Sie stellen sich hier mit einer Lässigkeit hin und maßen sich an, dafür die Verantwortung übernehmen zu können.
Die Atomtechnik ist genau 50 Jahre alt. Über die letzten 2000 Jahre unserer Geschichte liegen uns nur bruchstückhaft Kenntnisse vor. Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. Ein AKW liefert maximal 30 Jahre Strom.
Fällt Ihnen angesichts dessen nicht endlich etwas auf? Ist es nicht vernünftig, die Atommüllproduktion sofort einzustellen
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und aus der Energieversorgung über Kernenergie unverzüglich auszusteigen? Oder sind wir vielleicht Spinner oder Feiglinge, weil wir nicht bereit sind, in Ihrer staatsmännischen Manier, wie es Herr Harries von uns verlangt, dieses unlösbare Problem zu überspielen?
Was steckt denn hinter den von Ihnen und früher auch von der SPD vorgetragenen Konzepten? - War10386
teschleifen, Verschiebebahnhöfe, die Sie als gesicherte Entsorgung bezeichnen.
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- Okay, weg von meinem Zettel. Was machen wir? Unser Vorschlag ist, mit der Atommüllproduktion aufzuhören, damit wir eine endliche Menge haben, die man überschauen kann.
({5}) Wir haben Platz genug,
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wenn wir diesen Müll in die abgeschalteten Atomkraftwerke packen.
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Dort kann er verhältnismäßig sicher aufgehoben werden.
Ich habe nichts gegen Ihre direkte Endlagerung. Aber sehen Sie sich doch einmal an, was in der Betriebsbeschreibung für die Konditionierungsanlage steht, die in Gorleben geplant ist. Darin heißt es, die abgebrannten Brennelemente sollen in kleine Teile zerlegt werden, damit man Platz spart.
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- Von wegen in der Hälfte. Es sollen die unterschiedlichsten Konzepte ausprobiert werden, um Platz und Gewicht zu sparen, weil diese Riesencontainer, in denen abgebrannte Brennelemente im ganzen untergebracht werden sollen, viel zu schwer sind, um sie z. B. in den Salzstock zu transportieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hillerich?
Von Kollegen immer.
Liebe Lilo Wollny, könntest du die Frage beantworten, ob es bisher ein sicheres Endlagerkonzept gibt, nachdem die Sozialdemokratische Partei das jetzt als die Lösung des Problems feiert?
Ich muß die SPD etwas in Schutz nehmen. Ich glaube, auch Herr Schütz hat eben gesagt, daß es bisher nirgendwo auf der Welt ein sicheres Endlager gibt. Herr Schütz - das steht hier auf meinem Zettel - hat auf das WIPP-Projekt in den USA hingewiesen, wo man sagt: Salt is out. Das ist eine Ohrfeige für die Deutschen, die nur auf das Salz als Endlagermedium gesetzt haben. Die Bundesregierung hat es immer noch nicht kapiert.
Es wird vorgegaukelt, daß ein Endlager untersucht wird. Tatsächlich geht es nur darum, eine Möglichkeit zu haben, die Atomkraftwerke weiter zu betreiben und so zu tun, als gäbe es Fortschritte. Nur deshalb wird in Gorleben weitergearbeitet, obgleich eigentlich jeder Mensch weiß, daß es längst schon ein verlorenes Kind ist.
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Die Befürchtung ist, daß Sie letzten Endes auf jeden Fall einlagern, gleichgültig, ob das Endlager etwas taugt oder nicht.
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- Wir wollen Zeit gewinnen. ({2})
Wir wollen Zeit genug gewinnen. Hören wir auf mit der Atommüllproduktion! Nehmen wir allen Sachverstand zusammen, nehmen wir das Geld, das heute ausgegeben wird, um in Gorleben oder sonstwo sinnlose Proben zu machen,
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nehmen wir alles das, um in Ruhe zu forschen, bis wir irgendwo ein wirklich sicheres Endlager finden. Dann sind wir dabei. Wir sind doch keine Idioten - sage ich jetzt einmal ganz salopp -, daß wir nicht wüßten, daß der Atommüll, der leider leichtsinnigerweise bis zum heutigen Tage erzeugt worden ist, irgendwo untergebracht werden muß. Nur, solange wir von Tag zu Tag neuen produzieren, wollen wir dieses Spielchen einfach nicht mitspielen.
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Ich verstehe nicht, daß Sie das nicht begreifen. Sie müssen sich doch überlegen: Wenn heute abend in den Atomkraftwerken der Schichtwechsel erfolgt, gibt es neue Atommüllberge. Dann ziehen die Mitarbeiter ihre Schuhe und Anzüge aus. So geht es Tag für Tag. Damit muß Schluß gemacht werden. Das geht nur, wenn man mit diesem Teufelszeug aufhört, wenn man damit aufhört, weiterhin Atomkraftwerke zu betreiben.
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Das große Problem bei uns ist, meine Herrschaften, daß bei uns im Gegensatz zu allen anderen in Frage kommenden Ländern der Welt Standorte benannt werden, und diese müssen dann unter allen Umständen geeignet sein.
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1977 hat die Bundesregierung - sie wurde, wie man sagen muß, von der SPD geführt - gesagt: Man weiß schon heute, daß das Endlager in Gorleben zur Aufnahme von hochradioaktivem Müll geeignet ist.
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- Ich gebe es Ihnen schriftlich. Sie haben gesagt: Sollte es sich als ungeeignet erweisen, muß es eben entsprechend konditioniert werden. So haben Sie es wörtlich gesagt. Man weiß bis heute nicht, was Sie konditionieren wollen, das Endlager oder den Atommüll. Das steht nicht dabei, das ist undurchsichtig. Genau das macht die Leute so böse: Sie bieten keine
Alternativen. Sie sagen: Hier ist es, und hier bleibt es!
Solange Sie nicht mehrere Standorte alternativ untersuchen, werden Sie nirgendwo Zustimmung finden.
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- Selbstverständlich. Das haben wir schon immer gesagt. Wir haben immer gesagt: Wir müssen so lange suchen, bis wir die beste der schlechten Lösungen gefunden haben. Dort hinein muß das Zeug. Voraussetzung dafür ist: Schluß mit der weiteren Produktion. Ich sage es Ihnen: Sie kapieren es eines Tages auch.
Herr Töpfer, als Bürgerin von Gorleben frage ich Sie jetzt: Was ist an diesen Gerüchten, daß in Gorleben französischer Atommüll eingelagert wird?
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Stellen Sie sich hier hin, und sagen Sie klipp und klar: Unter keinen Umständen, niemals, kommt französischer Atommüll nach Gorleben. Das kann man von Ihnen erwarten. Hören Sie auf mit diesem Eiertanz! Die Leute wollen wissen, woran sie sind.
Danke schön.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Friedrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wiederaufarbeitung ist Teil des Entsorgungskonzepts,
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der umstrittenste Teil, Herr Kollege Schäfer. Deshalb will ich mich bei meinen Ausführungen auf dieses Thema konzentrieren.
Zunächst aber möchte ich in einem Punkt 1 festhalten - Herr Schütz hat es nicht ausdrücklich gesagt, aber wohl gemeint - : Es geht nicht nur um die Entsorgung des Atommülls dieser Bundesregierung,
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sondern es geht auch um die Beseitigung strahlender Ergebnisse sozialdemokratischer Energiepolitik. Das haben Sie insofern verstanden, und Sie sind auch bereit, die logische Konsequenz zu ziehen, daß sich die SPD wenigstens zu einem Entsorgungskonzept bekennen muß.
({2})
Sie haben gesagt, Herr Schütz, Sie sind, wie schon in den letzten Monaten und Jahren, für die direkte Endlagerung. Jetzt fehlt zu Ihrer Glaubwürdigkeit nur noch eines. Sie können natürlich nicht allgemein im Nebel stochern und sagen: irgendwo in anderen Medien; darüber muß man reden. Sie sind erst glaubwürdig, wenn Sie sagen, wo das geschehen soll.
({3})
Ich verlange von Ihnen keine Aussage darüber, wo
endgültig gelagert werden kann. Ich möchte von Ihnen aber bezeichnet haben, wo man in der Bundesrepublik Deutschland konkret Untersuchungen durchführen soll.
({4})
Das halten Sie innerparteilich nicht aus - das wissen Sie -, und deshalb reden Sie viel, aber nie konkret zu dieser Frage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Schäfer.
Herr Kollege Friedrich, Sie wissen wie wir, daß der Standort Gorleben nicht von der damaligen sozialliberalen Koalition ausersehen war. Es waren drei andere Standorte genannt. Herr Albrecht hat dann Gorleben genannt.
Aber jetzt meine Frage: Würden Sie es als sinnvoll ansehen, und würden Sie dabei mitmachen können, daß man neben Gorleben, wo die Eignung weiter untersucht werden soll, parallel andere Standorte in anderen geologischen Formationen untersucht und - wenn Sie zustimmen - daß dies dann Aufgabe auch der beteiligten Landesregierungen wäre?
Herr Kollege Schäfer, ich persönlich wäre dazu unter einer Voraussetzung bereit: daß der Vorschlag, wo die zweite Untersuchung stattfindet, von der SPD kommt. Alles andere ist nicht akzeptabel.
({0})
Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren und noch einmal auf die Wackersdorf-Debatte von letzter Woche zurückblicken. Meine Damen und Herren, die Medien beschäftigen sich ja immer überwiegend kritisch mit der Regierung, und deshalb hat die Opposition in Sachen Logik einen gewissen Rabatt. Den nehmen Sie zur Zeit sehr, sehr in Anspruch.
({1})
Ich freue mich, daß der Kollege Schütz heute das Verwirrspiel der letzten Woche nicht fortgeführt hat. Da hat hier der Herr Schöfberger, Regionalfürst der SPD aus Bayern, eine Rede gehalten, bei der man den Eindruck hatte,
({2})
sozialdemokratische Energiepolitiker würden jetzt plötzlich entdecken, daß es auch eine Kostenrechnung gibt. Es war ja wirklich erstaunlich, was der Herr Schöfberger hier von sich gegeben hat. Meine Damen und Herren, diesen energiepolitischen Schleuderkurs sollten Sie nicht fortsetzen! Lesen Sie sich die Rede von Herrn Schöfberger ruhig noch einmal durch. Sie sollten hier zugeben, daß der Herr Schöfberger - jetzt drücke ich mich bayerisch aus - auf eine etwas hinterfotzige Art versucht hat, uns mit den angeblich eigenen Argumenten aufs Kreuz zu legen. Das ist
ihm rhetorisch mißlungen, und es ist ihm sachlich mißlungen, weil er von dem Thema keine Ahnung hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Friedrich, ich mache auch bei Ihnen noch einmal einen Versuch: Könnten Sie einmal erläutern, was dieses Zwei-Säulen-Konzept der Bundesregierung bedeuten soll?
Herr Kollege Daniels, das habe ich nicht formuliert, und da der Minister heute noch spricht, würde ich das gerne ihm überlassen.
({0})
Ich warte da also auf die Vorschläge meines Ministers, und dann werde ich mich dazu äußern. Diese Formulierung stammt nicht von mir.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, es geht wirklich nicht so, daß Sie hier Zwiesprache halten und daß der Redner kaum zu Wort kommt. Ich bitte um ein bißchen mehr Zurückhaltung.
Wir halten am Konzept der Wiederaufarbeitung fest, nicht im Sinne eines Glaubensbekenntnisses, aber aus sachlichen Gründen, die ich hier kurz wiederholen will: Wir möchten möglichst wenig langlebige Radionukleide in einem Endlager verbuddeln, weil wir der Überzeugung sind, Herr Kollege Schäfer, daß wir, wenn wir mit unserer Generation den Nutzen der Kernenergie in Anspruch nehmen, auch, soweit möglich, die Lasten tragen müssen. Je mehr Sie an strahlender Materie verbuddeln, desto mehr an Problemen überlassen Sie Ihren Kindern und Enkeln.
({0})
- Lassen Sie mich doch ab und zu ein paar zusammenhängende Sätze sagen!
Sie sollten bei der Debatte so ehrlich sein, einzuräumen, daß Sie immer mit einem verbalen Trick arbeiten. Sie sagen nämlich immer: Die Wiederaufarbeitung führt zu mehr radioaktivem Abfall. Das ist nur insofern richtig, als die Abfallmenge größer wird, weil z. B. Handschuhe hinzukommen. Sie sollten einmal ehrlich zugeben, daß der wirklich gefährliche strahlende Inhalt weniger wird. Diesen Trick von Ihnen lese ich in jeder Lokalzeitung meines Wahlkreises. Das ist von der Argumentation her - ich darf es noch einmal sagen - unredlich.
({1})
Sie sollten auch folgendes nicht mehr machen - ich will einmal ein paar Dinge abräumen, damit wir uns
über solche falschen Dinge nicht mehr unterhalten müssen - : Sie sollten keine Presseerklärungen wie in der letzten Woche - 19. April 1989 - abgeben, in denen Sie vor dem Einstieg in die Plutoniumwirtschaft warnen.
({2})
- Doch, ich habe die Presseerklärung dort unten liegen.
({3})
- Ich habe mich ausdrücklich erkundigt - Herr Kollege Stahl weiß das kraft früherer Regierungsverantwortung genau - : Die ersten Transporte zur Wiederaufarbeitung in England und in Frankreich sind in den Jahren 1972/73 abgegangen.
({4})
- Ich habe mich gestern telefonisch erkundigt. - Die Zusammenarbeit wurde in den Jahren 1978/79 intensiviert.
({5})
Es wird laufend wiederaufgearbeitet. Das Plutonium kommt zu uns zurück, und es wird in deutschen Kernkraftwerken verbrannt.
Deshalb kann es nie um die Frage - Sie haben das neulich völlig richtig gesagt, Herr Daniels - des Einstiegs in die Plutoniumwirtschaft gehen, sondern es geht, wenn überhaupt, um den Ausstieg. - Der Kollege Stahl nickt. Sie sollten sich wirklich von diesem Kollegen etwas sagen lassen, wenn Sie solche Presseerklärungen formulieren.
({6})
Jetzt komme ich zur europäischen Zusammenarbeit: Die europäische Zusammenarbeit bei der Entsorgung machen wir u. a., aber nur sehr nachgeordnet, von Preisen abhängig. Sehr viel wichtiger ist erstens Entsorgungssicherheit für lange Zeit, zweitens Strahlenschutz auf technisch hohem Niveau und drittens echte industrielle Arbeitsteilung - echte Arbeitsteilung! Die Abgabe von Hochtechnologie nach Frankreich und dafür die Übernahme von französischem Atommüll ist keine echte industrielle Arbeitsteilung.
Ich habe zwar nicht mehr mit den bayerischen Ministerien darüber geredet, aber ich kann Ihnen garantieren: In Wackersdorf werden bayerische Behörden ein europäisches Atommüllager nicht genehmigen.
Wir sollten darauf achten, daß wir nicht jede Hochtechnologie, auch wenn sie in unserer Bevölkerung umstritten ist, ins Ausland verlagern. Da gibt es sehr vieles: Da gibt es die Gentechnologie, da gibt es die einzelnen Teile der atomaren Versorgung und Entsorgung. Ich halte es nicht für vertretbar, wenn sich SPD-Kollegen hinstellen und den Ingenieuren und Technikern der Anlagenbauer sagen, sie sollten lieber Windmühlenflügel bauen, sie sollten lieber Wärmedämmaterial verkaufen. - Lesen Sie einmal nach, was der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag
gesagt hat. - Das sind die Empfehlungen und die Alternativen der SPD.
({7})
So können Sie mit diesen Menschen nicht umgehen. Ich fordere Sie auf, einmal mit mir zum Betriebsrat der KWU in meinem Wahlkreis zu gehen. Das sollten Sie denen einmal ins Gesicht sagen; soviel Mut sollten Sie haben.
Ich persönlich bin der festen Überzeugung: Wenn Sie aus der Atomenergie insgesamt aussteigen - das wollen Sie ja; das akzeptiere ich als Ihre Meinung -, werden wir in Deutschland nicht bei den Windmühlen landen, und wir werden in absehbarer Zeit auch nicht bei der Solarenergie landen, sondern beim französischen Atomstrom.
({8})
Wenn wir überhaupt noch ein paar Windmühlen mehr aufbauen - ich habe nichts dagegen -, dann werden das nicht die Ingenieure der hiesigen Anlagenbauer machen, sondern das ist viel billiger aus Korea und ähnlichen Ländern mit niedrigen Löhnen zu beziehen.
Meine Damen und Herren, der Herr BennigsenFoerder von der VEBA hat uns in einem „Spiegel"-Artikel wissen lassen, er wolle einen Beitrag dazu leisten, politische Spannungen zu verringern und den energiepolitischen Konsens zwischen Kernenergie und Kohle wiederherzustellen. So etwas Naives habe ich von einem Industriemanager bisher noch nicht gehört.
Die Wiederaufarbeitung kann schon aus technischen Gründen nicht der eigentliche Stein des Anstoßes sein; das wissen Sie ganz genau. Die Wiederaufarbeitung ist umstritten, weil es sich hier um eine im Prinzip neue Anlage - sieht man von Karlsruhe ab - handelt und Sie die Angst vor neuen Anlagen viel besser schüren können als die Angst vor bestehenden Anlagen. Bei den bestehenden kann man nämlich nachmessen und fragen: Wo sind denn die Strahlenopfer, die angeblich in Wackersdorf drohen? Solche Strahlenopfer müßten Sie irgendwann auch in der Umgebung. von Karlsruhe belegen können.
({9})
Frau Kollegin, ich darf Ihnen eines sagen - Sie haben es heute ja auch weitgehend bei Ihren Debattenbeiträgen deutlich gemacht: Der Vertreter der VEBA hat völlig übersehen, daß der einzige Unterschied bei den Protestierenden zwischen Wackersdorf und der Anlage in La Hague die Fahrtkosten sind. Das ist das einzige, was sich ändert. Es ist naiv, zu glauben, man bekommt Akzeptanz für eine Wiederaufarbeitung in Frankreich. Wir alle - das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin - wissen doch, mit wieviel besseren Argumenten man die Wiederaufarbeitung in La Hague in Frage stellen kann als die in Wackersdorf.
Ich bedanke mich.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich der Aufgabe unterzogen, hier heute einige Anmerkungen aus der Situation von vor Ort zu machen, denn, wie Sie wissen, liegt Schacht Konrad in Salzgitter, in meinem Wahlkreis.
Ich will gleich zu Anfang darauf hinweisen, daß es nicht darum geht, den Antrag der GRÜNEN zu diesem Punkt in Bausch und Bogen abzulehnen, weil wir an der Stelle durchaus manche der darin enthaltenen Sorgen teilen. Ein Abbruch des Verfahrens, wie er dort gefordert ist, geht aber beileibe nicht, wenn man die Sache ernsthaft angeht.
({0})
Dennoch ist es so - das lassen Sie mich mit allem Ernst sagen, meine Damen und Herren - , daß auch wir, zumindest aus der Sicht Salzgitters, den Umweltminister ernsthaft um eine Prüfung bitten, ob er denn nicht seine Behörden um eine Aussetzung des Verfahrens angehen sollte, d. h. um eine vorübergehende Unterbrechung. Dies gäbe allen die Möglichkeit, etwas mehr als bisher aus dem zu lernen, was bisher auch an zusätzlichen Erkenntnissen in den vergangenen Monaten auf die Tische der verschiedenen Häuser gelangt ist. Sie würden damit auch ein wenig Lernfähigkeit unterstreichen, die ich Ihnen an mancher Stelle nun leider doch nicht zusprechen kann - jedenfalls nicht auf der Seite der CDU/CSU und der FDP, die nach Art von Gebetsmühlen, nicht Windmühlen, hier doch immer wieder das gleiche von sich geben.
({1})
Ich will auch darauf hinweisen, daß dieser Aussetzungsantrag, den wir hier allerdings nicht offiziell einbringen, sondern zunächst einmal nur im weiteren Verfahren in den Ausschüssen mitberaten möchten, ein offizieller Antrag des Rates der Stadt Salzgitter ist. Das heißt also: Die kommunalpolitischen Entscheidungsträger haben sich bereits in dieser Form geäußert, und zwar schon im Januar 1988 unter dem Eindruck der damals zusätzlich entstandenen Erkenntnisse.
Wir haben vor Ort, wie natürlich auch hier im Hause - das wollen wir niemandem absprechen - , die Sicherheitskriterien als das oberste Gebot bei der Behandlung des Themas gesehen. Dabei haben wir es uns auch als Stadt Salzgitter nicht leicht gemacht. Wir haben Gegengutachten in Auftrag gegeben, die mit mehreren hunderttausend DM enorme Kosten verursacht haben. Damit sollte auch die Ernsthaftigkeit der Bemühungen um eine Aufklärung der Hintergründe unterstrichen werden.
Wir sind nach allem, was wir jetzt wissen, zutiefst verunsichert in der Frage, wie die Konditionierung und wie eine unabhängige Produktkontrolle funktionieren kann. Ich erinnere dabei auch an das, was im 2. Untersuchungsausschuß dieses Hauses zur Aufklärung des Atomskandals gerade auf diesen Feldern beraten wird. Das hängt, Herr Töpfer, zwar nicht direkt mit dieser Materie zusammen. Es kann und sollte aber zumindest Überlegungen freien Raum geben, ob
Schmidt ({2})
denn nicht indirekt eine Verbindung hergestellt werden müßte.
Das gleiche gilt auch für die Transportfragen. Sie sind zwar nicht Teil des atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens, wir, vor Ort, und auch die SPD hier im Hause legen aber schon Wert darauf, daß diese Fragen ganz in den Vordergrund der Entwicklungen, Untersuchungen und Entscheidungen gerückt werden und daß sie nicht leichtfertig an die Seite gestellt werden dürfen.
Dies hat nicht zuletzt auch der Transnuklear-Skandal gezeigt. Ich bin schon gespannt, wie Sie beispielsweise auch in diesem Zusammenhang Gutachten, wie sie die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands in Auftrag gegeben haben, bewerten und wie Sie mit ihnen umgehen. Dazu kommen eine ganze Reihe von Aspekten, die ich jetzt hier nicht vertiefen will. Dazu gehören aber beispielsweise auch die Fragen der Standfestigkeit und Sicherheit des Bergwerks an sich, das nach bisheriger Lesart durchaus als sehr sicher, jedenfalls im Verhältnis zu anderen Bergwerken, angesehen wurde. Diese sehr vorsichtige, relative Bewertung teile ich. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber es gibt eine ganze Reihe von kritischen Punkten, die nach unserer Auffassung im Rahmen der bisherigen Planunterlagen nur sehr unzureichend untersucht worden sind.
Ich möchte auch gern wissen - ebenso wie die vielen Menschen vor Ort in Salzgitter -, wie sich beispielsweise Ereignisse wie die Grubenexplosion in dem DDR-Kalischacht auswirken, die bei uns in Salzgitter noch erhebliche Störungen nach Art eines Erdbebens zur Folge gehabt hat. Ich will hinzufügen, daß sich die Grundwasserführung bei uns in den letzten Jahren erheblich verändert hat. Das ist im Zusammenhang mit dem Schacht Konrad unzureichend geklärt.
Wir wollen auch genauso den Zusammenhang mit Wackersdorf einbringen, der nach unserer Auffassung bisher in der Debatte durchaus unzureichend berücksichtigt worden ist. Herr Schütz hat schon darauf hingewiesen: Nach der bisherigen Planunterlage für den Schacht Konrad ist beabsichtigt, 36 % des Wiederaufarbeitungsabfalls im Schacht Konrad zu lagern. Was passiert denn eigentlich, wenn das Ganze nicht mehr in Wackersdorf, sondern in La Hague stattfindet? Gewinnt das dadurch nicht eine andere Dimension, die auch andere Sicherheitskriterien mit sich bringt, die dann auch in dem Verfahren zum Schacht Konrad mehr als bisher untersucht werden müssen?
({3})
Von daher lassen wir uns auch nicht davon abhalten, kritische Anmerkungen zu machen, die sich auch im Zusammenhang mit der Änderung ergeben sowie aus der Zahl und dem Umfang der atomaren Abfälle, die ja mit 195 000 m3 für Schacht Konrad vorgesehen sind.
Ich will noch eines hinzufügen: Warum ist bisher eigentlich nirgendwo ein Wort darüber verloren worden, wie sich die Standortentscheidung zum Strahlenschutzamt, das ja in Salzgitter aufgebaut werden soll, auf das weitere Verfahren zum Schacht Konrad auswirken kann und wird. Denn das ist ja auch eine sehr relevante Frage. Ich sage in dem Zusammenhang: Nicht nur die inhaltliche Seite, sondern auch die Verfahrensseite ist dadurch möglicherweise beeinflußt.
Ich sage letztendlich - das wiederhole ich, glaube ich, zum viertenmal im Plenum - , daß wir uns durch die Standortentscheidung für das Strahlenschutzamt die Entscheidung über Schacht Konrad vor Ort nicht abkaufen lassen, sosehr wir sie aus kommunalpolitischen und strukturpolitischen Gründen begrüßt haben.
Ich fordere Sie auf, Herr Töpfer, die hier nur skizzierbar gewesenen Kriterien erneut sehr ernsthaft zu überprüfen. Prüfen Sie, ob Sie nicht doch zu einer Aussetzung des Verfahrens und damit zu einer vorübergehenden Nichtbehandlung kommen sollten, was die Möglichkeit einschlösse, daß Sie eine Nachbesserung in allen Unterlagen in Auftrag geben könnten.
Wir vor Ort wollen uns nicht aus der Verantwortung abseilen. Wir vor Ort wollen mitdiskutieren, wir wollen zur Entscheidungsfindung beitragen. Darum sind wir nicht für den Abbruch; ich sage das deutlich. Darum werden wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen. Wir fordern Sie aber auf, die anderen Kriterien sorgfältiger als bisher zu prüfen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe doch, daß sich das Haus in einem Punkt einig ist, nämlich darin, daß wir Entsorgung und Endlager unabhängig von der Frage brauchen,
({0})
ob die einen für ein weiteres Beibehalten der Kernenergie sind oder die anderen aus der Kernenergie aussteigen wollen. Was immer geschieht, am Ende brauchen wir eine Endlagerung.
Ich gehe davon aus, daß alles das, was in der Vergangenheit auf diesem Gebiete geschehen ist, mit dem Ansatz gemacht worden ist, das Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Bevor endgültige Entscheidungen über einen Standort gefällt werden, ist dieser Standort bis zum letzten daraufhin zu prüfen, ob er geeignet ist oder nicht, ob er den Sicherheitskriterien, die wir an einen solchen Standort stellen müssen, genügt oder nicht.
Ich habe mich aus einem ganz anderen Grunde zu Wort gemeldet. Es liegt nämlich ein Antrag der GRÜNEN auf sofortige Stillegung des THTR 300 vor. Ich wende mich an die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion und an das ganze Haus mit der Feststellung, daß wir diese sofortige Stillegung für äußerst unbefriedigend und für nicht hinnehmbar halten. Wir sind der Auffassung, daß wir in diesem Fall, in dem seitens der Gutachter keine sicherheitstechnischen Bedenken vorgebracht werden, in der Tat die Möglichkeiten nutzen sollten, die Entwicklung der Hochtemperaturreaktorlinie auf der Grundlage der noch vorhandenen Brennelemente auszufahren. Leider ist
es ja so, daß die Brennelementfertigung eingestellt wurde. Ich denke, daß das notwendig ist und daß wir dafür eintreten sollten, und zwar auch im Hinblick auf die internationale Kooperation und auf das, was sich, seinerzeit auch von der nordrhein-westfälischen Landesregierung sehr begrüßt, an Zusammenarbeit in Anbetracht der Situation und der Kooperation mit der Sowjetunion und der Volksrepublik China abzeichnet. Ich würde es für törichter halten, nun aus ideologischen Gründen diese Anlage vorzeitig abzuschließen.
Wir bitten die nordrhein-westfälische Landesregierung, einem Wiederanfahren zuzustimmen, damit in der noch zur Verfügung stehenden Zeit erstens die vorhandenen Brennelemente weiter genutzt werden können und zweitens weiterhin Erfahrungen und Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu den vorhandenen Erkenntnissen und Erfahrungen durchaus noch einiges bringen können.
Hier kann es nicht um Sicherheitsaspekte und Sicherheitsprobleme gehen. Denn wir haben 15jährige Erfahrungen mit dem AVR-Versuchsreaktor in Jülich. Wir brauchen ohnedies, wenn das geordnete Stillegungsverfahren eingeleitet wird, die Betriebsmannschaft, die Entwicklungsmannschaft. Sie wird während der Betriebszeit durchaus noch zur Verfügung stehen. Wir sollten auch aus diesem Grund für ein Wiederanfahren sein, freilich - ich sage es noch einmal - unter der Bedingung, daß keine sicherheitstechnischen Aspekte dagegen sprechen.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, ehe Sie weggehen, Herr Professor?
Herr Kollege Stahl, immer.
Herr Abgeordneter Stahl, bitte.
Herr Kollege Laermann, stimmen Sie mir darin zu, daß das, was jetzt von seiten der Wirtschaft im Bereich der Kernenergie geschieht, eigentlich ein Armutszeugnis insofern ist, als die Stromwirtschaft mit einem Umsatz von 94 Milliarden DM nicht in der Lage ist, derartige Finanzierungen im Forschungsbereich selber durchzuführen, und wir als Parlament eigentlich, wenn man es richtig sieht, mehr als zum Bock gelassen werden?
Herr Kollege Stahl, ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu. Ich bin deswegen mit dem Herrn Forschungsminister Riesenhuber der Meinung, daß hier die Risikobeteiligung nicht erhöht werden soll, weder seitens des Bundes noch seitens des Landes. Aber wenn die Industrie und die EVU, die Elektrizitätswirtschaft, zu einem höheren finanziellen Engagement herangezogen werden sollen, setzt das natürlich voraus, daß sie die Gewißheit haben, daß sie diesem Engagement zufolge diese technische Entwicklung auch nutzen können. Ich möchte den sehen, den man zwingen kann, ein Haus zu bauen, ohne das er vorher weiß, daß er dieses Haus später beziehen kann. An der Stelle sind wir natürlich
politisch aufgerufen, hier für die notwendige Klarheit und Sicherheit und Verläßlichkeit politischer Positionen zu sorgen.
({0})
Da muß ich mich an Sie, verehrte Kollegen von der SPD-Fraktion, wenden und Sie fragen, ob Sie diesem Prinzip immer gefolgt sind.
({1})
- Wenn die Frau Präsidentin mir weitere Redezeit zubilligt, bin ich gerne bereit, in diesen Dialog und diese Diskussion einzutreten.
Eine Minute haben Sie noch.
Eine Minute? Danke schön. Dann möchte ich darauf noch eingehen.
Sie fragen: Was ist, wenn die Sicherheit des Hauses nicht mehr gewährleistet ist? Wenn es so ist, dann können Sie es nicht beziehen. Aber hier geht es darum, daß die Sicherheit gewährleistet und nachgewiesen ist
({0})
und daß die Sicherheit dieser Linie grundsätzlich doch nun wirklich nicht in Frage zu stellen ist.
Ich weise auch noch darauf hin, welche Bedeutung gerade diese Entwicklungslinie für Nordrhein-Westfalen, ein Kohleland, hat; deswegen ist sie von Nordrhein-Westfalen so sehr gefördert worden. Man hat die Möglichkeit gesehen, daß sich daraus eine Technik entwickeln läßt, die zur Prozeßwärme, zur Kohleveredelung, zur Kohlevergasung eingesetzt werden kann.
Wer will eigentlich das weltweite CO2-Problem lösen, wenn wir nicht andere Kohleverwendungstechniken und Kohleeinsatztechniken finden.
Die Volksrepublik China braucht jährlich 900 Millionen t Steinkohle. Sie will ihre Förderung in den nächsten Jahren auf über 1 Milliarde t erhöhen. Diese Kohle wird verbrannt. Das sind Umweltprobleme und Umweltbelastungen, die wir mitzutragen haben.
Deshalb sind wir verpflichtet, wenn wir die Möglichkeit sehen, die Techniken bereitzustellen, mit denen man diese Probleme global lösen kann.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Enormes hat sich getan in dieser Republik seit dem Tag vor drei Jahren, als das unvorstellbare und regierungsamtlich immer für unmöglich erklärte Ereignis eingetreten ist.
Dr. Daniels ({0})
Tschernobyl hat den bis dahin eh nur in Politikerköpfen existierenden sogenannten energiepolitischen Konsens endgültig als Fiktion entlarvt. Nachhaltiger denn je spricht sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung seitdem gegen die weitere Nutzung der Atomkraft aus.
Natürlich hat auch die Bundesregierung dazulernen müssen. Nahezu unbemerkt hat sie ihre Reaktorphilosophie geändert. Galt bei Ihrem Vorgänger, Plutonium-Wallmann, eine Atomkatastrophe in der Bundesrepublik noch als unmöglich, so ist diese inzwischen denkbar, dafür aber angeblich handhabbar geworden. Neudeutsch heißt das „accident management". Für ein solches Katastrophen-Management und die Public Relations sind Sie dann auch eingestellt worden, Herr Töpfer. An der Bedrohungslage durch die Atomkraft hat sich dadurch allerdings nichts geändert.
({1})
Managebar sollen also Tausende von Soforttoten, Hundertausende von Strahlenverseuchten und großflächige radioaktive Verseuchungen sein? Herr Töpfer, wie haben Sie vor, die zunehmende Kindersterblichkeit nach Tschernobyl zu managen? Statt dessen versuchen Sie, die Gefahren zu verleugnen und die Bevölkerung hinters Licht zu führen. Denn auch alle Weißwäschergutachten, die Sie nach Tschernobyl in Auftrag gegeben haben, kommen erstaunlicherweise zu demselben Urteil: An allen Atomkraftwerken in der Bundesrepublik müssen Nachrüstungen vorgenommen werden; in allen Atomkraftwerken ist das für Sie Unvorstellbare denkbar.
Anstatt nun aber der Gefahr entgegenzutreten, wird heute schon der Katastrophenfall eingeübt. Um beurteilen zu können, wie Sie sich ein Management in einer solchen Situation vorstellen, waren Ihre Vorbereitungen für einen möglichen Absturz eines Atom-Satelliten sehr hilfreich; hilfreich und notwendig - in Ihrer Logik - ist für Sie dabei die Monopolisierung aller Informationen in einem neuen Amt zur Geheimhaltung der Strahlenschutzinformationen.
({2})
Hilfreich und notwendig ist die fehlende Festsetzung und flexible Handhabung aller Grenzwerte im Strahlenschutzbereich.
Herr Töpfer, wie erklären Sie bitte jemandem, daß bei einem GAU nur eine 10-km-Zone evakuiert werden soll? Selbst dort führen - z. B. in Biblis - die Fluchtwege erst einmal zum Reaktor hin, anstatt von ihm weg. Herr Töpfer, Sie sind leider bis heute die Antwort darauf schuldig geblieben, wie Sie innerhalb von drei Stunden Hamburg evakuieren wollen.
({3})
Die Antwort kann nur heißen, Brokdorf, Brunsbüttel, Krümmel und Stade sofort abzuschalten.
({4})
- Wir reden nicht nur über Entsorgung, sondern wir reden über alle Anträge. Dabei steht die gesamte Atomproblematik im Mittelpunkt.
Wir dürfen dabei nicht nur auf die großen Katastrophen sehen, denn die nukleare Bedrohung ist eine schleichende und unsichtbare Bedrohung. Wie viele Eilstörfälle haben Sie allein in diesem Jahr dem Umweltausschuß melden müssen? Allein in den beiden Monaten Februar und März mußten wir fünf Eilmeldungen zur Kenntnis nehmen. Das sind - hochgerechnet - 30 gravierende Störungen jährlich. Diese Informationen werden erst jetzt durch die Neuregelung Ihrer Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament bekannt. Dies wurde aber auch nur auf wiederholten Druck der Öffentlichkeit eingestanden, nachdem Sie den Beinahe-GAU in Biblis ein Jahr lang verschwiegen haben. Aber auch sogenannte Normalstörfälle, also die Kategorie, unter der der Beinahe- GAU in Biblis ursprünglich eingestuft wurde, wiederholen sich über 300 mal im Jahr.
({5})
Täglich einer, Herr Töpfer.
Die Gefahrenquellen sind in der Bundesrepublik allgegenwärtig: Die alten Schrottreaktoren sind durch den Neutronenbeschuß löchrig wie Schweizer Käse. Atomkraftwerke liefern selbst im sogenannten Normalbetrieb genügend Argumente, um auszusteigen. Den Antrag auf Abschaltung von Würgassen werden Sie wahrscheinlich gleich wieder einmal ablehnen, ohne sich mit den Eltern der leukämiekranken Kinder auseinandergesetzt zu haben. 60 % mehr Fälle von Blutkrebs als im Bundesdurchschnitt werden dort verzeichnet; bei Jugendlichen ist der Wert doppelt so hoch wie im Durchschnitt.
({6})
Schon der Anfang des Brennstoffkreislaufes ist fatal, meine Damen und Herren. Die Probleme der Uranförderung im Ausland entnehmen Sie unserer neuen Großen Anfrage. Aber auch in Menzenschwand, also in der Bundesrepublik, im Schwarzwald, wird Uran gefördert. Obwohl dort die Belüftung von 1984 bis 1986 verdreifacht wurde, ergibt sich immer noch eine Radonbelastung in der Luft von 14 000 Bq/m3 oder - das verstehen Sie wahrscheinlich besser - eine jährliche Lungendosis je Bergmann von 90 rem.
Aus dem Schwarzwald kommt das strahlende Uran nach Ellweiler zur Urananreicherung. Ich zitiere das rheinland-pfälzische Umweltministerium: Am Werkzaun wurden 155 Bq/m3 Luft gemessen; das entspricht einer Strahlenbelastung von 405 Millirem. Wörtlich:
Damit steht fest, daß der Grenzwert von 30 Millirem nach § 45 der Strahlenschutzverordnung überschritten ist.
({7})
Dr. Daniels ({8})
- Ich habe von Millirem gesprochen.
({9})
- Nein, ich habe von 405 Millirem gesprochen.
Präzise gesagt heißt das, daß dieses 30-MilliremKonzept um 1 350 % überschritten wird. So können wir den Brennstoffkreislauf beliebig weitergehen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Fazit: Herr Töpfer, Sie vergiften uns vorsätzlich, langsam und schleichend.
({10})
Was kann der Bürger dagegen tun? Sich an geltendes Recht halten oder lieber die Bundesregierung und die Atomkraftbetreiber als Vorbild nehmen, die sich darum einen Dreck scheren? Die Bestechungen werden im Untersuchungsausschuß erörtert; nicht erörtert wird dort die fehlende Dauerbetriebsgenehmigung des Atomkraftwerks in Obrigheim.
({11})
Nicht erörtert wird, daß erst das höchste Gericht die erste Teilerrichtungsgenehmigung des Atomkraftwerkes Mülheim-Kärlich aufgehoben hat.
({12})
Seit 1975 wurde gegen Gesetz und Ordnung gebaut, und die Anlage wurde über Jahre betrieben. Der Prototyp des modifizierten Harrisburg-Reaktors wurde und wird nirgendwo anders in der Welt gebaut, und wir müssen ihn betreiben - dies direkt auf einer Erdbebenbruchlinie in der Nähe großer Städte. In einer 25-km-Zone wohnen hier über eine halbe Million Menschen.
Doch trotz der langjährigen Subventionierung mit über 60 Milliarden DM aus der Staatskasse geht das atomare Zeitalter seinem Ende entgegen. Die Hoffnung auf den Ausstieg nimmt immer konkretere Formen an: Nicht nur die WAA und der Schnelle Brüter sind am Ende, Mülheim-Kärlich liegt still, Biblis in den letzten Zügen, Obrigheim ist 20 Jahre alt, abgehalftert und reif für den sicheren Einschluß. Auch der THTR in Hamm wird, wenn die SPD wenigstens einmal zu ihrem Programm stehen würde, nie wieder in Betrieb gehen. Die Menschen im Ruhrgebiet können aufatmen. Zwar hat die Kilowattstunde Strom dort 1,55 DM gekostet, aber Steuergelder und Kosten spielten bei den bisherigen atomfanatischen Bundesregierungen eh keine Rolle, zumindest auf dem Gebiet der Kernenergie. Bei erneuerbaren Energien drehen sie dafür jeden Pfennig dreimal um.
({13})
Eine schwere Hypothek bedeuten die AKW auch weiterhin: Die atomkraftfixierte Energiewirtschaft blockiert die überfällige und notwendige Energiewende. Herr Riesenhuber hat sich am letzten Wochenende davon auf unserem Energiewende-Kongreß dankenswerterweise selber überzeugt. Sein Abschlußkommentar: „Mir scheint, was Sie vorschlagen, ein guter Weg zu sein. "
({14})
- Sie können sich ja informieren; Sie kennen unser Programm.
Nur, meine Damen und Herren von der Regierung: Wann setzen Sie Ihre Sprüche denn endlich einmal um? Wann kommen denn die notwendigen Energiesparprogramme? Wann kommen endlich die Markteinführungshilfen für erneuerbare Energien? Wann kommt denn endlich eine vernünftige Bundestarifordnung Elektrizität? Wann kommt die Rekommunalisierung? Die Lösungen haben wir Ihnen vorgelegt. Die zentrale monopolistische Struktur der Atomwirtschaft verhindert die Energieeinsparung und blokkiert systematisch dringend notwendige Sofortmaßnahmen zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Herr Kohl - er ist jetzt nicht da - , hierzu kam von Ihnen kein einziges Wort. Wir müssen erkennen: Die Regierung ist am Ende.
Nun noch ein sofort umsetzbarer Vorschlag für Sie, der im übrigen von vielen Ausstellungsteilnehmern am Wochenende mitgetragen wurde,
({15})
an den Wirtschaftsminister; denn von Ihnen wird zur Förderung einer vernüftigen Energiewirtschaft - was vorher immer betont wurde - ja vielleicht viel erwartet. Schon morgen könnte eine Verordnung Ihr Haus verlassen, daß Einspeisestrom bis zu 3 kW bei jedem Stromabnehmer rückwärts durch den bestehenden Zähler eingespeist werden darf.
({16})
Der Erfolg wäre : Der Sonnenstrom wird effektiv gefördert, wir reduzieren die Mittagsspitzen und alle gewinnen: Verbraucher, Umwelt, Hersteller und sogar die Energiewirtschaft.
Es ist also höchste Zeit zu handeln: entweder tun Sie es endlich, oder treten Sie am besten gleich zurück.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es nicht gerade gut, daß der Herr Minister Töpfer immer am Ende redet, denn hier ist das Parlament, und wir hätten von ihm gern schon einmal etwas gewußt, um ihm noch einmal antworten zu können.
({0})
Ich will auf die Argumente eingehen, die meine Vorredner ausgeführt haben. Zum Beispiel hat der Kollege Harries im Brustton der Freude und Überzeugung dargelegt, daß die GRÜNEN gemeinsam mit der CDU unser Kernenergie-Abwicklungsgesetz abgelehnt haben. Ich muß sagen, es ist ein Unterschied, ob
ich einen geordneten Ausstieg aus der Kernenergie ablehne oder ob es um eine vernünftige Entsorgung geht.
Wenn ich die Argumentation des Kollegen Baum Revue passieren lasse, bei der er sich auf das Konzept von 1979 beruft: Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß das damalige Konzept 1979 von der Bundesregierung noch wahrgenommen wird, denn 1984/85 hat die Bundesregierung das Konzept von 1979 verlassen,
({1})
indem sie nur noch die Wiederaufarbeitung macht und die direkte Endlagerung in eklatanter Weise vernachlässigt hat.
({2})
- Ich habe an den Anhörungen zu Gorleben in diesem Hause teilgenommen. Dort wurde uns erklärt, daß die Forschung bei der direkten Endlagerung zwölf bis 15 Jahre hinter der der Wiederaufarbeitung herhinkt,
({3})
weil die Bundesregierung nicht bereit ist, diesen Pfad zu gehen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will hier eines sehr deutlich sagen, weil von verschiedenster Seite Kritik an unserer Verantwortung aufgekommen ist. Die SPD-Bundestagsfraktion bekennt sich zu ihrer Verantwortung für das Vorhandensein von Atommüll in dieser Republik, und wir sind auch bereit, für eine vernünftige, eine nach menschlichem Ermessen - ({5})
- Geduld, Herr Kollege, Geduld; ich komme noch zu diesem Punkt. - Ich will sagen, daß wir uns für eine vernünftige Entsorgung entscheiden und auch willens und bereit sind, die Bundesregierung zu unterstützen, aber doch nicht so, daß die Bundesregierung auf ihrem eingefahrenen Weg dann einfach weiterfährt und unsere Argumente einfach in den Wind schlägt.
({6})
Meine Damen und Herren, die Entsorgung ist weltweit nicht gelöst. Es ist hier vorgetragen worden, die Bundesregierung hätte kein Konzept. Das will ich extra zurücknehmen. Ich sage, die Bundesregierung hat ein Konzept, nur funktioniert das Konzept nicht. Denn wir wissen, die Entsorgung ist weltweit nicht gelöst. Es gibt über 30 Jahre zivile Nutzung der Kernenergie, und noch in keinem Staat dieser Welt gibt es irgendwo ein gesichertes Endlager. Das Abfallvolumen wächst jährlich. Allein in der Bundesrepublik werden bis zum Jahr 2000 200 000 Kubikmeter schwachaktiver Atomabfall entsorgt werden müssen. Das entspricht einer Million 200-Liter-Fässern Atommüll.
({7})
Das geplante Endlager Konrad mit einer Kapazität
von 400 000 Kubikmeter wird dann schon zur Hälfte
verfüllt sein, falls es je in Betrieb genommen werden
kann. Bis zum Jahr 2000 werden zudem ca. 25 000 Kubikmeter mittelaktiver und 2 500 bis 3 000 Kubikmeter hochaktiver Atommüll hinzukommen. Dies alles, ohne daß für die Entsorgung bis dahin ein sicheres Endlager zur Verfügung stehen wird.
({8})
Der lebensgefährliche Atommüllberg wird sich alle 10 bis 15 Jahre verdoppeln, wenn man von der heutigen Nutzung der Kernenergie ausgeht, meine Damen und Herren. Die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle aller Gefährdungsklassen ist auf Jahrzehnte hinaus nicht gesichert. Von tatsächlichen Fortschritten einer sicheren Entsorgung kann meiner Ansicht nach keine Rede sein.
Seit Jahren treten wir bei der Entsorgung auf der Stelle. Statt realer Fortschritte tauchen immer neue Fragen und neue Probleme auf. Ohne die Auslandsentsorgung, meine Damen und Herren, hätte schon längst der akute Atommüllnotstand ausgerufen werden müssen.
({9})
Ich muß auch kritisieren, Herr Kollege Probst - Sie gehören der Regierung an -, daß Sie zu den Gesundbetern gehören, daß Sie immer so tun, als hätten Sie ein Endlager.
({10})
Ich habe hier eine Zeitung mitgebracht; sie nennt sich „aktiv" :
Kernkraft: Was ist mit der Entsorgung? Im Konrad brennt nichts an. Wenn es ums Endlager geht, ist die Bundesrepublik Spitze.
Ich war nun in Gorleben und habe mir das angesehen.
({11})
- Das sind alles Aussagen von Leuten, die bei der PTB beschäftigt sind und hier für eine Industriezeitung schreiben. Und das deckt sich nahtlos mit dem, was die Regierung immer ausführt.
({12})
Sie können der staunenden Öffentlichkeit doch nicht kundtun, sie hätten in Gorleben eine Entsorgung, ein Endlager.
({13})
Wenn ich hinkomme, dann stelle ich fest, daß dort ein Loch mit einer Tiefe von 82 Metern und ein Loch mit einer Tiefe von 40 Metern ist. - Ich habe schon Aussagen dieser Regierung zur Kenntnis genommen, die Entsorgung sei gelöst, es werde ein funktionierendes Endlager zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, seien Sie doch mit Ihrer Argumentation ehrReuter
lich, dann brauchen wir Debatten in dieser Form doch gar nicht zu führen.
({14})
Und jetzt bin ich der Meinung - das sage ich sehr deutlich, auch für die SPD-Bundestagsfraktion -, daß das dort weiter untersucht werden muß.
({15})
Ich will Ihnen einmal meine Sorge vortragen. Meine Sorge beruht darauf, daß die Bundesregierung im Prinzip zunächst hohe Anforderungen in den Raum gestellt hat, was ein Endlager alles beinhalten muß, damit die Mehrbarrierensicherung vorhanden ist. Jetzt wird untersucht. Nur, ich befürchte, daß Gorleben irgendwann Endlagerstandort bleibt, aber die Ergebnisse der Erkundung nicht positiv sind. Denn es zeigt sich ja jetzt, daß da einige Probleme auftauchen.
({16})
- Herr Kollege Baum, weil Sie ein ganz vernünftiger Mensch sind, sage ich Ihnen: Da in Gorleben bereits ein Zwischenlager gebaut ist und man jetzt eine Pilotkonditionierungsanlage bauen will, schließe ich daraus, daß das die Präjudizierung des Endlagers ist, ohne daß die Ergebnisse hier bei uns auf dem Tisch liegen.
({17})
Das ist im Grunde genommen, meine Damen und Herren, nicht in Ordnung.
({18})
Wenn Sie unsere Hilfe und unsere Unterstützung wollen, die zu geben wir auch bereit sind - ({19})
- Sie müssen erst einmal zuhören. Denn es ist immer besser, bevor man den Mund einschaltet, einmal nachzudenken, Herr Kollege Probst. - Wir sind bereit, unsere Hilfe dann anzubieten, wenn Sie Ihrerseits in der Regierung bereit sind, auch noch andere Standorte zu untersuchen.
({20})
Wir bekennen uns zu der Verantwortung, den Atommüll zu beseitigen, und wissen, daß wir dann auch Endlagerstätten brauchen.
({21})
Wir wollen aber nicht irgend etwas Hingeschustertes, wovor die Menschen Angst haben müssen.
({22})
Wir wollen noch - und Sie müssen sich dazu bekennen - an mindestens zwei weiteren Standorten untersuchen, dann auch einmal im Granit.
({23})
- Herr Kollege Dr. Friedrich, Sie sprechen immer von der Logik der Opposition!
({24})
- Das ist doch nicht die Aufgabe von uns! Fragen Sie doch einmal den Herrn Töpfer, welche Standorte!
({25})
Da kann ich mir was im Granit vorstellen. Aber wenn Sie immer unsere Logik ansprechen: Wissen Sie, was Sie vorhin gemacht haben? Sie haben hier vorhin erklärt: Ich weiß zwar nicht, was die Regierung mit ihrer Zwei-Säulen-Theorie meint,
({26})
aber da ich nun bei der CSU bin, ist das gut. Das ist Ihre Politik!
({27})
Ich bitte hier einmal den Herrn Bundesminister Töpfer: Herr Minister, sagen Sie hier einmal, was Sie unter Ihrer Zwei-Säulen-Theorie verstehen.
({28})
- Jetzt ist es wieder gut. ({29})
Herr Kollege Schmidbauer, Sie sind ein kluger Kollege. Jetzt ist gut, das er nach mir kommt. ({30})
Machen Sie einmal deutlich, was Sie darunter verstehen, ob möglicherweise das, was wir befürchten, eintritt: daß wir nachher Mengen von Atommüll aus anderen europäischen Ländern in Gorleben oder im Schacht Konrad entsorgen müssen.
({31})
Wir bekennen uns ja zur nationalen Entsorgung, aber wir brauchen vernünftige Konzepte. Das, was bisher in Gorleben zutage tritt, ist aus meiner Sicht noch nicht so, daß wir es ohne Probleme als Endlager akzeptieren können. Alternative Standorte, meine Damen und Herren, hatte ich angesprochen.
({32})
- Herr Kollege Stahl, auch Sie tragen in hohem Maße dafür Verantwortung, daß sich heute in der Republik die Müllberge bewegen. ({33})
Meine Damen und Herren, ich will gern zugestehen, daß wir Sozialdemokraten
({34})
dem Gesetzentwurf über den physischen Schutz von Kernmaterial zustimmen wollen. Nur, was mir auffällt: Ist es eigentlich gottgewollt und vernünftig, daß eine Angelegenheit, die vom 26. Oktober 1979 stammt, erst in diesem Jahr in Gesetzesform gegossen werden soll? Ich habe ausgeführt: Zum Atommüllendlager „Schacht Konrad" kann ich die Stadt und auch die vernünftige SPD dort vor Ort eigentlich nur beglückwünschen. Die haben Bedenken, die haben Probleme, die da noch eingebracht werden sollen. Meine Bitte geht nur dahin, daß man im Planfeststellungsverfahren diese Bedenken zum Donnerwetter doch ernst nehmen und die Probleme der Leute dort aufgreifen soll.
({35})
Zum ALKEM-Bunker will ich nur kurz sagen: Dieser Antrag stammt vom 20. Januar 1988. Auch das ist ein sehr alter Antrag. Ich habe großes Verständnis dafür, wenn besorgte Bürgerinnen und Bürger wissen wollen, was da gelagert wird. Herr Kollege Harries, wir waren dort. Uns wurde erklärt, da liegen 2,2 Tonnen Plutionium. Keiner von uns konnte das in dieser kurzen Zeit messen oder wiegen.
({36})
Ich bewundere immer Menschen, die in der Lage sind, bei einem ganz kurzen Besuch bei einer so komplexen Technologie wie der Kerntechnik sagen zu können: Es gibt dort keine Probleme. Ich meine schon, eine bessere, umfassendere Informationspolitik trägt zu größerer Akzeptanz bei. Sie haben viel weniger Probleme mit Ihren Bürgerinnen und Bürgern, mit Ihren Wählerinnen und Wählern, wenn Sie hier ehrlich und umfassender informieren.
({37})
- Da werden wir das anhören.
({38})
Aber trotzdem: Es wird ja überwiesen. Wir werden es in aller Ruhe beraten. Dann werden wir zu guten Ergebnissen kommen.
Ich bedanke mich für die große Aufmerksamkeit.
({39})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Vorbemerkung machen. Der Abgeordnete Daniels hat mir gerade vorgeworfen, daß ich Menschen vorsätzlich vergiften werde. Frau Präsidentin, ich darf Ihnen ehrlich sagen: Ich bin betroffen, daß in diesem Hause darauf keine Protestreaktion erfolgt. Ich möchte ganz deutlich und in aller Ruhe sagen,
({0})
daß ich so lange, Herr Abgeordneter Daniels, den Dialog mit Ihnen beenden werde, bis Sie sich für diese Sache bei mir entschuldigt haben.
({1})
Zur Frage der signifikanten Erhöhung von Leukämie habe ich dem Umweltausschuß dieses Hohen Hauses in schriftlicher Form Bericht erstattet. Ich habe deutlich gemacht, daß durch das Institut für medizinische Statistik und Dokumentation des Mainzer Klinikums - das ist, nebenbei bemerkt, die einzige Dokumentation kindlicher Tumore in der Bundesrepublik Deutschland - dieser Verdacht widerlegt worden ist, daß auch das Institut für Strahlenhygiene beim Bundesgesundheitsamt das widerlegt hat.
Zur Frage des Entsorgungsberichts, meine Damen und Herren. Wir haben wie unsere Vorgänger in der Regierung diesen Entsorgungsbericht vorgelegt. Wir haben darin ein Entsorgungskonzept verfolgt. Dieses Entsorgungskonzept ist in sich geschlossen.
({2})
Das wird es wohl sein müssen; denn es ist einmal gemeinsam von allen vorgelegt worden. Man kann sich darüber unterhalten, wie weit es realisiert ist. Aber es ist ein in sich geschlossenes Konzept. Der Abgeordnete Schütz hat uns heute in einem beachtlich sachlichen Beitrag ein anderes geschlossenes Entsorgungskonzept vorgetragen.
({3})
- Ich komme darauf. Ich habe gerade begonnen zu reden, Herr Abgeordneter Schäfer. - Über dieses Konzept wollen wir uns unterhalten.
Eines ist interessant. Im Mittelpunkt der Diskussion steht der Vorschlag von Herrn von Bennigsen-Foerder. Dieser Vorschlag von Herrn von Bennigsen-Foerder ist ein Vorschlag, der das Konzept, das im Entsorgungsbericht steht, aus der Sicht der Opposition ausschließlich verschlimmert. Denn es bleibt ein Wiederaufarbeitungskonzept,
({4}) sogar internationalisiert.
({5})
Ich hätte eigentlich erwartet, daß der erste, der gegen das Konzept von von Bennigsen-Foerder aufsteht, die SPD wäre. Das Gegenteil ist eingetreten.
({6})
Es ist begrüßt worden. Es ist sogar deutlich gesagt worden, daß die, die das nicht gleich akzeptieren, die Betonköpfe der Kernenergie darstellen.
({7})
Das ist mir bis zuletzt nicht klar gewesen. Aber ich nehme das zur Kenntnis.
({8})
An diese Situation hätte ich viele andere Dinge anknüpfen können.
({9}) Wir gehen diesen Weg nicht.
({10})
Wir sind der Meinung, daß wir das in einem sehr, sehr verantwortlichen Abwägungs- und Diskussionsprozeß im internationalen Bereich zu überprüfen haben. Aber wenn ich mir betrachte, was wir gegenwärtig in diesem Hohen Hause von der Sozialdemokratischen Partei hören, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß das einzige Internationale, was Sie noch trägt, die Sozialistische Internationale ist.
({11}) Alles andere ist nur noch national.
Wenn wir darüber diskutieren, ob wir das mit Frankreich zusammen tun sollten, und wenn wir über zwei Säulen sprechen, dann sprechen wir über zwei Säulen in der energiepolitischen Zusammenarbeit mit Frankreich. Ich muß ganz ehrlich sagen: Den Beitrag, den ich gestern vom Abgeordneten Stahl im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages gehört habe, war eigentlich deckungsgleich mit dem, was ich für notwendig erachte, um mit Frankreich in eine energiepolitische Diskussion über die folgende Frage einzutreten: Was bauen wir auf der einen Seite und was bauen wir auf der anderen Seite energiepolitisch auf, so daß damit die bestmögliche Nutzung von Kapazitäten und die möglichst geringe Belastung der Umwelt verbunden ist?
({12})
Daher frage ich: Wer kann denn das anders verstehen? Ich greife das auf, was der Abgeordnete Graf Lambsdorff heute morgen gesagt hat: Sind wir denn in dieser Republik so weit, daß dann, wenn jemand einen Vertrag auf den Tisch legt, morgen gesagt werden muß, was an diesem ganzen Prozeß dran ist und was nicht dran ist? Wo kommen wir denn hin, wenn wir nicht durchprüfen können, was diese Angelegenheit darstellt und was nicht. Das ist unsere Position.
({13})
- Wenn wir wirklich seit März informiert sind, Herr Abgeordneter Schäfer, bin ich sogar der Überzeugung, daß für einen so weitreichenden Auftrag der Abstimmung von souverän entwickelten Volkswirtschaften hinsichtlich ihrer Energieversorgung wirklich ein paar Minuten länger nachgedacht werden muß, bevor man eine schnelle Antwort darauf gibt. Hier geht es nicht um etwas, was morgen wieder geändert werden kann, sondern das hat auf Dauer Bestand.
({14})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wollte gerade auf Sie eingehen, Herr Schütz, Aber bitte!
Herr Schütz.
Herr Bundesminister, ich habe das nationale Entsorgungskonzept angesprochen und habe gegeißelt, daß es bei uns internationale Entsorgung geben wird auf Grund der Arbeitsgruppe, der Sie angehören, nämlich daß möglicherweise französischer Atommüll bei uns endgelagert wird. Können Sie das klar ausschließen?
Ich kann Ihnen ganz deutlich sagen, Herr Abgeordneter, daß diese Endlagerung gerade deswegen von uns als eine nationale Aufgabe der Regierung betrieben wird, damit wir genau das ausschließen können. Deswegen haben wir es eben nicht privat organisiert, sondern wir haben es staatlich organisiert, damit wir dies ausschließen können.
({0})
Das ist der Punkt, den Sie herausarbeiten sollten, nicht das andere, wir hätten auf diesem Gebiet eine Privatisierung vorgenommen.
({1})
Nun komme ich zu dem, was Sie vorgetragen haben, Herr Schütz, weil ich meine, daß es not tut, das hier in diesem Hohen Hause zu erörtern. Sie sagen - das wollen auch wir wirklich ernsthaft -: Wir wollen zum energiepolitischen Konsens zurück.
({2})
Denn was soll es, meine Damen und Herren, daß wir uns mit Frankreich zu einer gemeinsamen Konzeption durchringen, wenn wir zu Hause den energiepolitischen Konsens nicht bekommen können? Also ist doch das eine mit dem anderen logisch verbunden. In Frankreich regiert ja nicht irgendeine rechtskonservative Partei, sondern in Frankreich regiert die Sozialistische Partei Frankreichs, mit der wir uns dort unterhalten. Das ist doch ein Partner, der für jeden, der in der Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernimmt, auch Gesprächspartner sein soll.
({3})
- Es tut mir leid, daß ich eben dieses Wortspiel gebraucht habe.
Nun gehe ich von dem Konsens aus. Sie erklären für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, daß Sie
die direkte Endlagerung als sinnvoll ansehen. Sie sagen dazu: Dafür ist es erforderlich, daß wir an verschiedenen Standorten prüfen und dann zu dem Ergebnis kommen, welcher der beste ist. Wenn wir uns jetzt einmal auf dieses Szenario einstellen, dann bedeutet das, daß Ihr Endlager, optimistisch geschätzt, im Jahre 2010 fertig sein könnte.
({4})
- Ich sage mal: ganz optimistisch geschätzt. Ihre Position ist, daß Sie bis 1996 aussteigen wollen. Ich bleibe mal dabei; das steht im Abwicklungsgesetz.
({5})
Bis dahin wird eine Abfallmenge zwischen 6 000 und 7 000 Tonnen vorhanden sein. Die sind da. Sie haben also, optimistisch geschätzt, im Jahre 2010 die Endlagerung, und Sie haben, wenn Sie ausgestiegen sein werden, 6 500 Tonnen Brennelemente. Wo, Herr Schütz, gehen Sie damit dann hin?
({6})
- Gut, in Zwischenlager. Dann wären wir doch - wir wollen ja den Konsens - zunächst einmal einig darin, daß wir sagen: Sie und wir brauchen auf jeden Fall Brennelementzwischenlager.
({7})
Dann lassen Sie uns bitte einmal unstrittig festhalten, daß wir in Gorleben und Ahaus ein Brennelementzwischenlager machen.
({8})
- Ich will ja nur versuchen, in einer Diskussion innerhalb einer Debatte herauszuarbeiten, was dort stimmt und was nicht stimmt.
Sie, Herr Schütz, sagen, es sei unverantwortlich von dieser Bundesregierung, daß sie sich nur mit Salz abgebe.
({9})
- Ich habe Ihnen schon im Ausschuß gesagt, aber ich nehme die Gelegenheit hier in der Öffentlichkeit gern noch einmal wahr: Auch hier denken wir nun wirklich nicht national, sondern international. Es kann doch nicht richtig sein, daß diese kleine Bundesrepublik Deutschland mit ihren gegebenen geologischen Strukturen auf einmal auf die Idee kommt: Und jede der geologischen Strukturen, die denkbar sein könnte, müssen wir bei uns und nur bei uns allein untersuchen. Was wir tun, ist, einen internationalen Verbund zu machen: Die Schweizer z. B. haben Kernkraftwerke. Die Schweizer brauchen Endlager. Die Schweizer untersuchen nicht in Salz, weil sie gar keine Salzformationen haben, sondern die untersuchen in Granit.
({10})
Und wir sitzen bei den Schweizern mit am Tisch und
lassen uns über das informieren, was Granit bringt.
Die Belgier untersuchen Ton, weil sie Tonschichten haben. Und wir sitzen bei den Belgiern mit am Tisch und fragen: Was bringt denn die Untersuchung von Ton?
({11})
Und so sitzen wir mit den Amerikanern und anderen genauso zusammen, bis hin zu unseren Nachbarn im Osten.
({12})
Also, meine Damen und Herren, auch hier sehe ich zunächst einmal eine Chance. Gehen Sie doch nicht wieder zurück, wenn wir sie bis dahin gemeinsam wahrgenommen haben,
({13})
sondern bleiben Sie mal da und sagen Sie: Okay, wollen wir uns mal zusammensetzen und prüfen, ob wir nicht wirklich international die Erfahrungen gesammelt haben, die uns zu diesem oder jenem Ergebnis kommen lassen.
Lassen Sie mich noch ein Drittes sagen, weil ich auch auf den Beitrag von Herrn Schmidt gern eingehen möchte. Zunächst einmal müssen Sie sich da ein bißchen einig werden. Da kritisiert mich der Herr Abgeordnete Reuter, daß ich immer noch nicht wisse, wohin denn eigentlich mit dem Abfall. Und Sie sagen: Aber bitte, warte noch ein bißchen mit dem Genehmigungsverfahren. - Und wenn wir ein bißchen warten, dann kommt der Abgeordnete Reuter in zwei Jahren wieder und sagt: Es ist unglaublich, der Umweltminister hat immer noch nicht entschieden, wo das hingeht. ({14})
- Ich sagte ja: Auch da bitte ich, gemeinsamer Meinung zu sein.
Dann sehen Sie bitte genauso ein, daß ich mit großer Genauigkeit zugehört habe, Herr Schütz, daß Sie gesagt haben: Gegen Salzgitter gibt es politische Bedenken. - Sie haben gesagt: Geologische Bedenken gibt es nicht. - Wenn das so ist, bleiben wir mal dabei. Wir haben das Genehmigungsverfahren für Salzgitter, wie Sie wissen, eigentlich schon 1988 abschließen sollen. Wir gehen davon aus, daß es mindestens 1993 wird, bis es dazu kommt. Also, Moratorium, Verzögerung, genaues Hinblicken hat es ja nun wohl gegeben.
Aber wenn es darum geht, die Sorgen der Menschen vor Ort bis hin zu den Sorgen bezüglich der Transporte ernst zu nehmen, gehen Sie, bitte, davon aus: Wir werden uns davor nicht drücken, sondern wir werden wie bisher jede Frage ernsthaft aufgreifen. Meine Damen und Herren, Konsens ja, aber dann bitte auch einforderbarer Konsens, wenn es vor Ort konkret wird. Ich habe mich dort zu bedanken, wo das mitgetragen wird. Ich sage extra: in Salzgitter. Und ich sage noch einmal, daß Bundesamt und Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe keine wie auch immer geartete Koppelangelegenheit gewesen sind. Aber ich bleibe dabei: Wir müssen entscheiBundesminister Dr. Töpfer
den, sonst werden wir den Aufgaben, die vor uns stehen, nicht gerecht.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({15})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung.
Herr Bundesminister, ich will mich auf das beziehen, was ich in meiner Rede ausgeführt habe. Ich hatte ein Beispiel gebracht, das sich auf die Anlage in Ellweiler bezieht, und festgestellt, daß die Werte nach § 45 der Strahlenschutzverordnung enorm überschritten werden, und zwar präzise um 1 350 %, und daß es eine Fülle weiterer solcher Beispiele gibt, wo die Strahlenbelastung eindeutig so groß ist, daß damit auch eine Gefährdung für die Bevölkerung verbunden ist. In der Konsequenz habe ich, da Sie dafür verantwortlich sind, gesagt, daß das vorsätzlich - so habe ich gesagt - zu einer langsam schleichenden Vergiftung führt.
({0})
- Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist derjenige, der für die Sicherheit im Bereich der Atomenergie der oberste Aufseher ist.
({1})
- Nein, es gibt die Bundesanweisung; das wissen Sie genauso gut wie ich.
({2})
Das heißt, der Reaktorsicherheitsminister hat dafür zu sorgen, daß solche Dinge nicht passieren.
Wenn ich dies gesagt habe und das als solches jetzt nicht gelten lasse, dann möchte ich damit zum Ausdruck bringen, daß dieses derzeit zugelassen wird und daß der Herr Bundesumweltminister in diesem Sinne dafür zu sorgen hat, daß es abgestellt wird. Insoweit nehme ich das „vorsätzlich" zurück;
({3})
aber ich bestehe nach wie vor auf der Aussage, daß das hier von der Bundesregierung, sprich: vom Bundesumweltminister, zugelassen wird. Es gibt eine Fülle von anderen Beispielen, die das erläutern. - Soweit meine Erklärung.
({4})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 21 a bis 21 c sowie zu 21 e und zum Zusatztagesordnungspunkt 4 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1682 zu Tagesordnungspunkt 21 d. Es handelt sich um die Unterrichtung der Bevölkerung über die im Hanauer ALKEM-Bunker gelagerten Spaltstoffe. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen ({0})
- Drucksache 11/4085 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1})
- Drucksache 11/4390 Berichterstatter:
Abgeordnete Menzel Pesch
({2})
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema, das wir zu dieser Stunde hier noch kurz zu beraten haben, hat viel mit dem sozialen Wohnungsbau zu tun. Es wäre schöner gewesen, wir müßten an dieser Stelle nicht über die Fehlsubventionierung und deren Abbau, sondern könnten über ein neues Programm zur Stärkung des sozialen Mietwohnungsbaus sprechen. Denn zur Bekämpfung der Wohnungsknappheit und der Wohnungsnot, die sich an manchen Stellen, in vielen Städten und Gemeinden in unserer Republik, wieder breitgemacht hat, wäre der Bau zusätzlicher Wohnungen dringend erforderlich.
({0})
Aber heute abend steht die Diskussion über dieses Gesetz zum Abbau der Fehlsubventionierung an. Es war bisher immer so, daß es in der Bundesrepublik mehr bezugsberechtigte Mieter für Sozialwohnungen als Sozialwohnungen gegeben hat. Es war aber auch immer so, daß es in Sozialwohnungen Mieter gegeben hat, deren Einkommen nicht mehr in den Grenzen lag, wie sie nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz vorgegeben sind.
Klar war immer bei uns, daß auch die Mieter, die in Sozialwohnungen wohnen, deren Einkommen aber längst nicht mehr innerhalb der Einkommensgrenzen liegen, trotzdem wohnberechtigt bleiben. Keiner, der jemals in eine Sozialwohnung berechtigt eingezogen ist, soll aus der Wohnung heraus, wenn sein Einkommen die Grenzen überschreitet. Klar war aber auch, daß jemand, der berechtigt in eine Wohnung einzieht,
der anschließend aber deutlich mehr verdient und dessen Einkommen die Einkommensgrenzen überschreitet, dann keinen Anspruch auf die volle Subvention mehr hat.
Weil das so ist, haben wir im Deutschen Bundestag 1981 gemeinsam dieses Gesetz beschlossen, das im Kern bedeutet, daß jemand, der mit seinem Einkommen die Einkommensgrenzen um mindestens 20 % überschreitet, dann zusätzlich eine Abgabe in Höhe von 0,50 DM je Quadratmeter und Monat bezahlt. Wenn er die Grenze um mehr als 35 % überschreitet, bezahlt er 1,25 DM, und wenn er die Grenze um mehr als 50 % überschreitet, bezahlt er 2,00 DM je Quadratmeter und Monat zusätzlich.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das heute: Ein Zwei-Personen-Haushalt, der die Einkommensgrenze um 20 % überschreitet, d. h. der mehr als 38 160 DM im Jahr verdient, fällt mit 0,50 DM pro Quadratmeter und Monat unter die Fehlsubventionsabgabe. Wenn er die Grenze um 50 % überschreitet, nämlich mehr verdient als 47 700 DM, muß er 2,00 DM pro Quadratmeter und Monat zusätzlich bezahlen.
Ein anderes Beispiel: Eine junge Familie mit einem Kind darf 57 800 DM verdienen, ehe sie unter die Einkommensgrenze des Fehlsubventions-Abgabegesetzes fällt, und sie darf 72 300 DM verdienen, ehe sie nach Überschreitung der Grenze um 50 % 2,00 DM pro Quadratmeter und Monat zusätzlich bezahlen muß. Das sind Größenordnungen, denken wir, die sich sehen lassen können.
Dieses Gesetz war aber immer umstritten, weil ein Teil der davon Betroffenen in Zweifel gezogen hat, ob eine Berechtigung besteht, ein solches Gesetz zu beschließen. Das ist beklagt worden. Nun hat am 8. Juni 1988 das Bundesverfassungsgericht entschieden: Diese Abgabe ist zulässig. Es handelt sich um eine zulässige Abschöpfung im Sinne des Gemeinwohls, weil - so sagt das oberste Gericht - die Mittel, die da eingenommen werden, zur Verfügung stehen - und nach dem Gesetz auch zur Verfügung stehen müssen - für den Neubau und den Erhalt von Sozialwohnungen im Interesse der jungen Familien, der Kinderreichen, der Alleinerziehenden, all derer, die dringend Wohnungen brauchen.
Insofern kann sich der Deutsche Bundestag vom Gericht bestätigt fühlen. Wir Sozialdemokraten fühlen uns aber darüber hinaus an einer ganz bestimmten Stelle, in einem bestimmten Detail noch in besonderer Weise bestätigt. Es gab einen Streit zwischen der Koalition und uns darüber, ob diese Abgabe nur in Städten mit 300 000 und mehr Einwohnern und den unmittelbar angrenzenden Wirtschaftsräumen oder in allen Gemeinden grundsätzlich erhoben werden darf.
({1})
- Damals waren sie in der Opposition, das ist richtig. Da sind sie auch bald wieder.
({2})
Aber der Streit hat sich bis in die 80er Jahre hinein
fortgesetzt. 1984/85 haben wir darüber noch einmal
gestritten; da waren Sie längst schon Regierung und sind bei den 300 000 geblieben.
Wir Sozialdemokraten haben gesagt: Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ist es nicht vernünftig, dies an diese Einwohnerzahl zu binden. Nun hat das Gericht entschieden: Die Sozialdemokraten haben recht mit ihrer Meinung, diese Fehlsubventionsabgabe soll, wenn überhaupt, in allen Städten und Gemeinden erhoben werden.
Zwei Kriterien bleiben weiterhin vorgegeben:
Erstens. Es muß ein hinreichender Abstand zwischen den Mieten im freifinanzierten Mietwohnungsbereich und dem Kostenmietenbereich bei den Sozialwohnungen bestehen. Nur wenn dieser Abstand groß genug ist, darf die Abgabe erhoben werden.
Das zweite Kriterium: Es müssen hinreichende Einnahmen entstehen. Der Anteil der Kosten, der für die Bürokratie der Erhebung dieser Abgabe entsteht, darf also längst nicht so hoch sein wie das, was an Einnahmen entsteht. Bürokratie um ihrer selbst willen wäre natürlich sinnlos.
Die Erfahrung vergangener Jahre ist, daß die Kosten im Verlauf des Einziehens dieser Abgabe bei ungefähr 10 bis 15 % liegen, so daß sich die Abgabe an vielen Stellen gelohnt hat und inzwischen viele neue Wohnungen davon gebaut worden sind.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen dann noch den Art. 2 a, der nachträglich auf Wunsch des Bundesrates in das Gesetz hineingekommen ist, erläutern, weil der, der die Feinheiten nicht kennt, nicht sofort begreifen kann, um was es geht, und vielleicht ist das auch für unsere Zuhörer interessant. Es gibt also in diesem Gesetz den neuen Art. 2 a:
Artikel 27 Unterartikel 5 § 5 Satz 2 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 ({4}) wird aufgehoben.
Das Geheimnis dieses komplizierten Satzes heißt: Das Gesetz zum Abbau der Fehlsubventionen wird nicht Ende 1994 auslaufen, sondern es wird über 1994 hinaus Bestand haben. Dies war ein Vorschlag des Bundesrats, der damit begründet worden ist, daß der Bestand an Sozialwohnungen auch nach 1994 noch gebraucht wird. Diese Einschätzung ist zutreffend. Sie rechtfertigt vielleicht die Hoffnung, daß die Koalition und die Regierung, die sonst nicht oft genug behaupten können, der soziale Wohnungsbau sei eigentlich am Ende - in der letzten Woche sind Sie ein bißchen klüger geworden - , dazugelernt und inzwischen begriffen haben, daß wir den sozialen Wohnungsbau noch lange Zeit brauchen und es vernünftig ist, wenn wir sehr bald ein neues Programm auflegen, um den dringendsten Bedarf für die untersten Einkommensgruppen zu decken.
Die Sozialdemokraten stimmen diesem Gesetz gerne zu.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Pesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorgesehene Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen, ausgelöst durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 1988, wird auch in der CDU/CSU-Fraktion als unumgänglich angesehen und von ihr getragen.
Es ist anzumerken, daß es bisher sicherlich eine Ungleichbehandlung gibt, was die Erhebung der Fehlbelegungsabgabe angeht. Bis jetzt ist diese Abgabe nur in den Gemeinden zu zahlen, die von der jeweiligen Landesregierung durch Rechtsverordnung festgelegt worden sind und auf die die Bestimmungen des bisherigen Gesetzes zutrafen bzw. zutreffen. Da aber nur Gemeinden mit mehr als 300 000 Einwohnern oder solche Gemeinden, die mit Großgemeinden einen zusammenhängenden Wirtschaftsraum bilden, einbezogen werden können, war eine Ungleichbehandlung vorprogrammiert. Dem Gleichheitsgrundsatz ist damit sicherlich nicht Genüge getan worden.
({0})
In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten: Wenn Subventionsvorteile abgebaut werden sollen, so muß dieser Abbau grundsätzlich alle erfassen, die solche Vorteile genießen. Die Anmerkung in dem Gerichtsbeschluß, nach der der erforderliche Verwaltungsaufwand nicht in einem unangemessenen Verhältnis zum erwarteten Abgabebetrag stehen darf, ist zu begrüßen.
Gegen die Gesetzesnovellierung wird gelegentlich die Argumentation vorgebracht, durch die Ausgleichszahlung würden auch Wohnungsbestände erfaßt, die bereits durch eine Zinsanhebung die Aufhebung der ursprünglichen Subventionsvorteile erfahren hätten. Hierzu ist zu bemerken, daß es in diesem Fall nur dann zu einer Ausgleichszahlung kommt, wenn es trotz dieser Zinsanhebung noch erhebliche Unterschiede zwischen der Kostenmiete und der ortsüblichen Vergleichsmiete gibt. Ferner kann lediglich der noch bestehende Unterschiedsbetrag abgeschöpft werden.
In § 6 dieses Gesetzes ist ausdrücklich vorgesehen, daß der Mietzins und die Fehlbelegungsabgabe zusammengenommen den Zahlungspflichtigen nicht stärker als der Mietzins in einer vergleichbaren frei finanzierten Wohnung in seiner Gemeinde belasten darf.
Es ist folgerichtig, daß bei vorzeitiger und vollständiger Rückzahlung der geleisteten Subventionsmittel die Nachwirkungsfrist von acht Jahren beibehalten wird.
Da die Länder nach § 16 dieses Gesetzes eigene Vorschriften erlassen können, bedeutet dies, daß der Bundesgesetzgeber das Fehlbelegungsgesetz im übrigen nicht mehr ändern kann, es sei denn, es entstünde ein neues Bedürfnis für bundesgesetzliche Regelungen. Dieser Gesetzentwurf schafft nun insoweit Klarheit, als er in Zukunft die Länder, die bisher wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Fehlbelegungsabgabe oder weil es in dem jeweiligen Land keine Stadt mit mehr als 300 000 Einwohnern
gibt, keine Abgabe erhoben haben, ermächtigt, in eigener Entscheidung die Fehlbelegungsabgabe einzuführen.
({1})
Weiter ist festzuhalten, daß diese Gesetzesänderung die Länder in Zugzwang bringt, da sie weitere landesrechtliche Vorschriften zur Folge hat. In den Ländern, in denen die Fehlbelegungsabgabe bisher nicht entrichtet werden mußte, wird es also notwendig sein, Untersuchungen über bestehende Mietzinsdifferenzen zwischen Kostenmiete und ortsüblicher Vergleichsmiete bzw. über die Höhe des entstehenden Verwaltungsaufwandes, den die Erhebung der Abgabe notwendig macht, anzustellen, ehe das jeweilige Land landesrechtliche Vorschriften erläßt. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Länder, die die Fehlbelegungsabgabe einführen wollen, hierbei eine Menge an organisatorischer Arbeit zu leisten haben.
Mit der Gesetzesnovellierung, meine Damen und Herren, ist Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes Rechnung getragen, daß der Kreis derjenigen, bei denen Subventionsvorteile abgeschöpft werden sollen, grundsätzlich alle einschließen muß, die diese Vorteile genießen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen zu.
Ich bedanke mich.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
Kolleginnen und Kollegen! Die GRÜNEN sind für den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
({0})
- Nein, wir sind flügelübergreifend dafür.
Die Gründe sind folgende. Einer der Vorwürfe, mit dessen Hilfe immer wieder versucht wurde, den sozialen Wohnungsbau in Mißkredit zu bringen, ist der Vorwurf der Fehlbelegung. Es ist den Haus- und Grundbesitzervereinen, der privaten Wohnwirtschaft und den Parteien der Regierung gelungen: Überall, wo man über Wohnungspolitik redet, wird über die vermeintlich ach so hohe Fehlbelegungsquote gesprochen, und es wird über die ach so „bösen Fehlbeleger/innen" geschimpft.
({1})
- Es gibt eine Schätzung, die liegt unter 20 %.
In Wirklichkeit handelt es sich bei den sogenannten Fehlbeleger/innen um Leute, deren Einkommen, das früher sehr niedrig war, im Laufe der Zeit gestiegen ist und die in der Lage sind, heute mehr Miete als früher zu bezahlen. Würde man diese Leute allerdings aus ihren Wohnungen heraussetzen, wären die allermeisten von ihnen nicht in der Lage, die Mieten auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt zu bezahlen.
Die wirklichen Fehlbeleger bzw. Fehlsubventionierten sitzen nicht in der sozialen Mietwohnung, sondern die sitzen in dem fehlsubventionierten Einfamilienhaus am Stadtrand oder in der innerstädtischen Eigentumswohnung, die früher eine Mietwohnung war und mit Hilfe von Steuergeldern umgewandelt worden ist.
({2})
Wir halten es trotzdem für richtig, die Fehlbelegungsabgabe zu erheben.
Diejenigen, die die Wohnungspolitik der GRÜNEN in Hessen kennen, und diejenigen, die unseren Gesetzentwurf zur Förderung gemeinschaftlichen Wohnens kennen, werden wissen, daß GRÜNE generell für einkommensabhängige Mieten im sozialen Wohnungsbau sind. Unser Gesetzentwurf, den ich gerade erwähnt habe, sieht vor, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau individuell für jeden Haushalt geregelt werden. Sie sinken, wenn das Einkommen fällt, und sie steigen, wenn das Einkommen wieder höher wird. In der Regelung über die Erhebung der Fehlbelegungsabgabe wird diese Idee im Ansatz verwirklicht.
Wir sind allerdings der Meinung, daß die Bezeichnung, die die Bundesregierung ihrem Gesetzentwurf gegeben hat - es heißt ja „Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen" -, absolut daneben liegt; denn eine Fehlsubventionierung seitens der Bundesregierung findet nicht im sozialen Mietwohnungsbau, sondern in ganz anderen Bereichen statt. Eine Fehlsubventionierung ist z. B. der sogenannte Dritte Förderungsweg, mit dessen Hilfe Wohnungen finanziert werden, deren Mieten überhaupt nicht festgelegt sind, die schon nach sieben Jahren wieder verkauft werden dürfen.
Eine Fehlsubventionierung sind auch die neuerlichen Steuergeschenke an Investoren, die die Bundesregierung angeblich zur „Ankurbelung des Wohnungsbaus" jetzt wieder verteilt, mit denen allerdings keine einzige preiswerte Wohnung gebaut werden kann.
Eine dauerhafte Fehlsubventionierung wird natürlich auch durch die steuerliche Eigentumsförderung nach § 10 e Einkommensteuergesetz verursacht. Sie kostet den Staat jedes Jahr 8,5 Milliarden DM.
Ich habe mir einmal ausgerechnet, was es einbringen würde, wenn man die Fehlbelegungsabgabe im ganzen Bundesgebiet erheben würde. Ausgegangen bin ich von 4 Millionen sozialen Mietwohnungen und einer Fehlbelegungsquote von 20 %. Da komme ich bei Verwaltungskosten von 17,5 % auf ganze 700 Millionen DM. Das klingt vielleicht sehr viel für den Laien, aber man kann von dieser Summe ganze 7 000 Wohnungen im Jahr bauen. Es fehlen aber in der Bundesrepublik Deutschland 500 000 Wohnungen. Manche reden auch schon von einer Million. Wenn ich „500 000" sage, meine ich die Wohnungen, die nötig sind, um die absoluten Notfälle sofort zu versorgen.
Würde man hingegen die steuerliche Eigentumsförderung abschaffen, hätte der Staat jedes Jahr 8,5 Milliarden Mehreinnahmen, und davon könnte man pro Jahr 85 000 Wohnungen bauen, d. h. über
zwölfmal soviel Wohnungen wie durch die zusätzlichen Einnahmen aus der Fehlbelegungsabgabe.
({3})
Das sage ich Ihnen bloß, damit Sie die Relation kapieren.
({4})
Sehr viel tun Sie also dadurch, daß Sie diese Fehlbelegungsabgabe jetzt erheben, für den Wohnungsbau nicht.
Kolleginnen und Kollegen, die Erhebung der Fehlbelegungsabgabe ist richtig. Wesentlich effektiver wären allerdings die Abschaffung der erwähnten steuerlichen Eigentumsförderung und die Verwendung der steuerlichen Mehreinnahmen, die dadurch erzielt würden, für ökologisch verträglichen, dauerhaft gebundenen sozialen Mietwohnungsbau.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der FDP sind für dieses zweite Änderungsgesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen. Ich meine, es ist erfreulich festzustellen, daß alle Fraktionen des Hauses diese Maßnahme tragen, denn es steht zweifelsfrei fest, daß es sich hier um einen Mißstand im Bereich des sozialen Wohnungsbaus handelt, um einen sozialen Mißbrauch, der hier stattfindet, der jetzt noch schärfer angegangen wird. Versuche sind ja bereits unternommen worden, aber sie waren eben nur auf die Städte mit über 300 000 Einwohnern ausgerichtet. Das jetzt generell anzugehen, scheint uns berechtigt und richtig zu sein, denn wenn so häufig über angebliche Wohnungsnot diskutiert wird - wie in letzter Zeit auch hier in diesem Hause -, muß man ja erst einmal damit anfangen, Wohnungen, die für die sozial Schwachen mit öffentlichen Mitteln, d. h. mit Steuermitteln, errichtet worden sind, auch dieser Zielgruppe zur Verfügung zu stellen.
({0})
Wenn man feststellen muß, daß 30 bis 40 % - ich will mich da gar nicht über einzelne Prozentsätze streiten, aber ich habe diese Zahlen in den Unterlagen gefunden - , daß also ein Drittel bis fast die Hälfte aller Wohnungen fehlsubventioniert sind, muß man doch wohl deutlich feststellen, daß hier Vorteile von Leuten, die gar nicht berechtigt sind, erschlichen worden sind. Vielleicht ist dieser Ausdruck ein bißchen hart, aber die Leute sind an diese Vorteile herangekommen,
({1})
nämlich an Vorteile, die auf der Zurverfügungstellung von Steuermitteln für den sozialen Wohnungsbau basieren und die ihnen nicht zustehen. Dieser Zustand muß schlichtweg beseitigt werden, und das wollen wir von der FDP.
({2})
Hier können wir auch das Gute mit dem Nützlichen verbinden, denn dann haben wir mehr Gerechtigkeit und können dazu kommen, daß die, die wirklich bedürftig sind, auch in die Wohnungen hineinkommen, die dann nicht mehr von den Falschen blockiert werden. Wir erreichen auch den guten Zweck, daß durch diese Verschärfung der Fehlbelegungsabgabe ja mehr Mittel zurückfließen und daß diese Mittel für den sozialen Wohnungsbau revolvierend zur Verfügung gestellt werden können. Das heißt, das Angebot an Wohnungen dieser Art wird erhöht, und das ist sowohl unter marktwirtschaftlichen als auch unter sozialen Gesichtspunkten am besten. Die Erhöhung des Angebots im Wohnungsbau halte ich immer noch für die solideste Sozialpolitik in diesem Bereich. Wenn über die Ausweitung der Fehlbelegungsabgabe hierzu ein Beitrag geleistet werden kann, ist das allemal richtig.
({3})
- Ja, wir sind da sehr empfindsam. Kollege Müntefering, wir haben schon in der sozialliberalen Koalition
- ich kann mich gut daran erinnern - sehr häufig über dieses Thema gesprochen, um diese Fehlbelegung zu beseitigen, aber das war damals ein sehr zähflüssiges Geschäft. Insofern bin ich heute eigentlich recht glücklich darüber, daß dies sozusagen im zweiten Nachfassen mit etwas mehr Konsequenz und mit Zustimmung aller Fraktionen endlich gelingt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
({4})
Mit Blick auf die Uhr bleibt festzustellen, daß es sich hier um eine Kann-Bestimmung handelt. Wir werden mit Aufmerksamkeit verfolgen, welche Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Das wird ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Rechtsgleichheit in der Bundesrepublik sein. Wir werden daran auch erkennen können, welchen Ländern dieser Gerechtigkeitssinn und diese soziale Optik zu eigen und welchen sie vielleicht weniger zu eigen sind; das bleibt abzuwarten. Das wird die Stunde der Wahrheit.
Es ist auch richtig, daß hier eine bisher vorhanden gewesene zeitliche Begrenzung für die Fehlbelegungsabgabe beseitigt wird; bisher galt: Ende 1994. Das fällt weg. Wenn man den Zustand gründlich beseitigen will, dann muß diese Abgabe so lange gelten, solange es Fehlbelegung gibt. Es darf keine zeitliche Begrenzung am Ende festgestellt sein.
Ich möchte hinzufügen, daß es sich bei der Fehlbelegungsabgabe nicht um eine Vertreibung aus Wohnungen handelt. Vielmehr handelt es sich darum, daß nur ein fairer, dem Marktpreis etwas näherkommender Preis von mittlerweile Besserverdienenden - jedenfalls besser verdienend als zu dem Moment, wo sie in diese Wohnungen gekommen sind; so sei besserverdienend zu verstehen - zu zahlen ist. Es geht hier aber nicht um Kündigung, sondern um eine angemessenere Bezahlung, und das halten wir für richtig.
Heute morgen - um damit zu enden - habe ich vom Oppositionsführer aufmerksam gehört, daß er
gesagt hat, die angebliche Wohnungsnot habe den Radikalen die Stimmen zugetrieben.
({5})
Das mag teilweise - auf Zielgruppen gerichtet - auch mit Wohnungsnot zu tun haben, aber das hat mehr damit zu tun, daß in der Öffentlichkeit ein ziemliches Ärgernis weit verbreitet ist, daß zu viele, die nicht mehr in diese Wohnungen hineingehören, diese noch gemietet haben. Diesen Zustand zu beseitigen - auch da könnten wir vielleicht einig sein - ist sicherlich eine Hilfe, die Demokratie zu stärken und nicht töricht und unnütz die Hasen den radikalen Gruppen in diesem Lande zuzutreiben.
Auch dies ist ein Grund, der uns von der FDP die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf erleichtert.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat zum Schluß der Parlamentarische Staatssekretär Echternach das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über das große Maß an Übereinstimmung hier im Hause. Das Problem der Fehlbelegung ist so alt wie der soziale Wohnungsbau selbst. Früher hatte man einmal erwogen, den Mietern, die die Einkommensgrenze überschreiten, die Wohnungen sogar zu kündigen. Das ist sicher keine gute Lösung; denn man würde nachbarschaftliche Beziehungen zerstören, man würde Menschen aus ihrem angestammten Wohnquartier vertreiben, und man würde mehr soziale Unverträglichkeit schaffen als beseitigen.
Insofern scheint mir die jetzt beim Fehlbelegungsgesetz geschaffene Lösung fair und vernünftig zu sein. Wenn ein Sozialmieter in seiner Wohnung schon wohnen bleiben darf, obwohl er die Einkommensgrenze inzwischen übersteigt, obwohl er auf Grund seines gestiegenen Einkommens nicht mehr zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigt ist, entspricht es einem Gebot der sozialen Gerechtigkeit, den Subventionsvorteil zugunsten derer abzuschöpfen, die wegen ihres niedrigen Einkommens auf den Bezug einer preiswerten sozialen Wohnung angewiesen sind. Wer gut verdient, braucht keine künstlich herabsubventionierte Miete mehr.
Als um so erstaunlicher empfinde ich es, daß immer noch die Mehrzahl der Bundesländer auf die Fehlbelegungsabgabe verzichtet und damit auch auf zusätzliche Einnahmen für den sozialen Wohnungsbau. Ich meine, daß die Zweckbestimmung dieses Gesetzes eigentlich eine andere Entscheidung nahelegen würde; denn in dem Gesetz ist ausdrücklich festgelegt, daß die Mittel zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau - in benachteiligten Gemeinden, für kinderreiche Familien, für Alleinerziehende mit Kin10404
dern, für Schwerbehinderte oder für ältere Mitbürger - eingesetzt werden müssen.
({0})
- Ich will die Länder gerne ausdrücklich nennen, wenn Sie es wünschen: Bisher erheben Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Bremen und neuerdings Baden-Württemberg die Abgabe; die anderen sechs Bundesländer glänzen bisher noch durch Abwesenheit.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht das, was wir hier beschlossen haben, nicht nur für verfassungsmäßig erklärt, sondern sogar ausdrücklich gemeint, daß die Fehlbelegungsabgabe durch das Gemeinwohl geboten sei, weil Subventionen schon wegen des Gleichheitsgrundsatzes nur gemeinwohlbezogen gewährt werden dürfen.
Wenn man sich einmal die Einnahmen ansieht, die die zitierten vier Länder bisher erzielen, muß man sagen: Die sind schon beachtlich. Diese vier Länder haben in den letzten Jahren Jahr für Jahr zwischen 250 und 300 Millionen DM erzielt. Bisher sind also 1,3 Milliarden DM bei diesen vier Ländern aufgelaufen. Davon konnten 20 000 neue Sozialwohnungen gebaut werden.
({1})
Nachdem jetzt auch Baden-Württemberg die Fehlbelegungsabgabe eingeführt hat, appelliere ich an die anderen Länder, dieses Instrument ebenfalls zugunsten eines stärkeren sozialen Wohnungsbaus zu nutzen.
({2})
Meine Damen und Herren, gerade angesichts der großen Zahl der deutschen Aussiedler aus Osteuropa, aber auch angesichts des gegenwärtigen Engpasses am Wohnungsmarkt sind wir alle, vor allem die Bundesländer, aber auch der Bund und die Gemeinden, zu erhöhten Anstrengungen aufgerufen. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben jetzt dazu die nötigen Beschlüsse gefaßt, haben die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessert, haben aber auch die Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt.
({3})
Aus den 450 Millionen DM des letzten Jahres sind in diesem Jahr mehr als 1 Milliarde DM geworden, und im nächsten Jahr wollen wir diese Mittel noch einmal um 200 Millionen DM aufstocken. Auch die Bundesländer, die - Herr Müntefering, Sie wissen es ja - die verfassungsrechtliche Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau tragen, sollten ihrerseits alle Einnahmemöglichkeiten, die vorhanden sind, ausschöpfen.
Es kommt hinzu, daß die Zahl der Sozialwohnungen abnehmen wird. Experten schätzen, daß wir im Jahr 2000 noch rund 1 Million Sozialwohnungen haben werden. Um so wichtiger ist, daß wir einen ausreichenden Bestand an Sozialwohnungen für diejenigen haben, die sich am Markt nicht aus eigener Kraft
versorgen können. Das Problem der Fehlbelegung werden wir also auch in den 90er Jahren haben.
Insofern begrüße ich es, daß der Bundesrat die Anregung gegeben hat, die bisher geltende Befristung des Gesetzes bis 1994 aufzuheben, und der Ausschuß dem gefolgt ist. Deshalb sollten auch die Bundesländer, die bisher deswegen die Fehlbelegungsabgabe nicht eingeführt haben, weil sie gemeint haben, wegen der Befristung lohne sich der Verwaltungsaufwand nicht, jetzt zur Kenntnis nehmen, daß dieses Bedenken mit der Beschlußfassung heute ausgeräumt ist.
Mit den Mitteln aus der Fehlbelegungsabgabe - und in Zukunft werden es noch viel höhere Einnahmen sein - kann unser jetzt von der Koalition beschlossenes Wohnungsbauförderungsprogramm des nächsten Jahres mit 1,25 Milliarden DM wirksam und wesentlich unterstützt werden.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen. Es handelt sich um die Vorlagen 11/4085 und 11/4390.
Zunächst rufe ich die Artikel 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann habe ich die seltene Gelegenheit, festzustellen, daß das Haus diesen Gesetzentwurf einstimmig angenommen hat.
Meine Damen und Herren, bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, muß ich dem Abgeordneten Stahl ({0}) wegen eines Zwischenrufs während der Rede des Abgeordneten Dr. Daniels zu Tagesordnungspunkt 21 einen Ordnungsruf erteilen.
({1})
- Dies zu sagen, werde ich mir verkneifen, Herr Abgeordneter.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungspunkt 5:
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Schmidbauer, Carstensen ({3}), Dörflinger, Eylmann, Fellner, Dr. Friedrich, Dr. Göhner, Harries, Dr. Lippold ({4}), Austermann,
Vizepräsident Cronenberg
Niegel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Kleinert ({5}), Frau Dr. Segall, Dr. Weng ({6}), Wolfgramm ({7}) und der Fraktion der FDP
Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffoxidemissionen aus Kraftfahrzeugen
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hartenstein, Bachmaier, Blunck, Conrad, Conradi, Fischer ({8}), Dr. Hauff, Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Dr. Martiny, Menzel, Müller ({9}), Reimann, Reuter, Schäfer ({10}), Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl ({11}), Waltemathe, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Abgasentgiftung der Kraftfahrzeuge
- Drucksachen 11/3598, 11/2009, 11/4402 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Hartenstein
ZP5 Beratung des Antrags des Abgeordneten
Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen
- Drucksache 11/4419 Überweisungsvorschlag:
Auschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Verkehr
({12})
Der Ältestenrat schlägt dem Haus eine Debattenzeit von einer Stunde vor. - Widerspruch gegen diesen Vorschlag erhebt sich nicht. So darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß wir heute einmal in Ruhe über den von den Koalitionsfraktionen gestellten Antrag diskutieren und abklären können, was wir erreicht haben.
Ich möchte zu Beginn dieser Debatte den Kollegen der FDP recht herzlich für die Kooperation - nicht nur in diesem Fall, aber hier besonders - danken; denn, Herr Kollege Baum, wir wußten sehr wohl, warum wir im November 1988 diesen Antrag gestellt haben.
Ich möchte mich bei dem Kollegen Straßmeir und den Kollegen seiner Arbeitsgruppe wie auch bei den übrigen Freunden der Fraktion bedanken, die das massiv unterstützt haben.
Nicht zuletzt geht der Dank an Minister Töpfer für die hervorragende Arbeit in diesen Monaten, die uns auf dem Gebiet Auto und Umwelt ein gutes Stück vorangebracht hat.
Ich habe am 9. März 1989 von dieser Stelle aus erklärt, welchen Wandel wir auf europäischer Ebene beobachten können und wie wichtig es ist, auch mit der Industrie, mit den Automobilherstellern zu reden.
Das haben Sie genutzt. Sie konnten gestern wie wir feststellen: Es lohnt sich wieder, mit dem Automobilverband zu reden. Das Gespräch mit Frau Dr. Emmerich gestern hat deutlich gemacht, daß wir das Kooperationsprinzip weiter verfolgen müssen, um gemeinsam den Stand der Technik in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich Auto und Umwelt zu realisieren.
Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in seiner Regierungserklärung die Eckwerte gesetzt. Es ist deutlich geworden, daß wir wesentlich mehr erreicht haben als das, was die Vorschläge der Opposition beinhalten. Wir müssen an diesem Projekt noch arbeiten. Wir müssen noch Feinarbeit leisten. Wir müssen noch in vielen Bereichen weiter vorangehen. Aber nach fünf Jahren können wir heute auch feststellen: Das schadstoffarme Fahrzeug kommt europaweit voran. Es ist von uns auf den Weg gebracht worden. Im nationalen Bereich sind wir wesentlich weiter, als das auch die Opposition noch in ihrem Antrag vom 6. April dieses Jahres als eigenen Vorschlag auf die Tagesordnung gesetzt hat.
({0})
- Ich komme auf den Punkt noch zurück.
Wir können feststellen, daß die EG-Kommission die Problematik früher als erwartet wieder aufgegriffen hat,
({1})
daß es nicht zu einer Klage gegen die Niederlande gekommen ist. Wir stellen dankbar fest, daß wir mit der vollen Unterstützung des Europäischen Parlaments rechnen können. Das wird dazu führen, daß sich die Emissionssituation insgesamt sehr stark verbessert. Das sind positive Zeichen. Der europäische Binnenmarkt ist also auch Triebfeder für einen einheitlichen europäischen Umweltschutz. Das ist heute um so wichtiger, als es vor kurzem noch den Anschein hatte, als ob die EG in Sachen Umweltschutz eher bremsen als beschleunigen würde.
({2})
Mit großer Befriedigung stellt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fest, daß ihre Forderungen im Zusammenhang mit dem heute zu beratenden Antrag voll umgesetzt werden. Ich darf das an einzelnen Punkten aufzeigen.
Erstens soll zum 1. Oktober 1991 der geregelte Drei-Wege-Katalysator bei neu zugelassenen Autos nach Möglichkeit in der gesamten Europäischen Gemeinschaft, auf jeden Fall aber in der Bundesrepublik Deutschland verpflichtend eingeführt werden.
Wir bemerken die Bewegung auf dem Markt. Vor wenigen Tagen hat ein Automobilhersteller erklärt, er sei der erste, der bei all seinen Modellen den geregelten Drei-Wege-Katalysator anbiete. Das mag sein; die mögen sich streiten. Er war in Wirklichkeit der dritte; zwei andere Firmen haben das vorher nicht nur erklärt, sondern auch realisiert.
Nicht umsonst haben heute über 60 % der neu zugelassenen Autos Katalysatoren. Nicht umsonst hat die Bundesrepublik Deutschland mehr Autos mit geregel10406
ten Drei-Wege-Katalysatoren auf der Straße als die übrige EG insgesamt.
Ich weiß nicht, wie die SPD mit ihrer Presseerklärung vom 6. April 1989, auf die ich noch eingehen werde, hieran noch etwas kritisieren kann. Ich denke, es ist an der Zeit, mit dem Märchen aufzuräumen, von dem der Kollege Schäfer heute mittag mit dem Hinweis darauf gesprochen hat, da gebe es nur Vorschläge, Planungen, da werde nichts realisiert. Und Minister Töpfer wird munter angegriffen. Nein, Sie sollten bekennen, daß Ihr eigener Vorschlag von vor 20 Tagen durch die Realität überholt ist. Ich komme auf all die Punkte zu sprechen.
({3})
Das gilt übrigens auch für dieses tolle Gerede über den Naturschutz und das Naturschutzgesetz. Ich bin sehr froh, wenn alle, die nach diesem Gesetz so dringlich verlangen, es nachher mit uns gemeinsam machen. Nur, meine Freunde, dann sind Sie in der Dekkung, wissen alles besser und lassen uns das allein realisieren. So war es übrigens mit dem Auto.
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Aber der Abgeordnete Brauer würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich, Herr Kollege Brauer.
Danke, Herr Schmidbauer. - Können Sie bestätigen, daß Ihr Antrag, der heute hier zur Diskussion steht, schon längst überaltert ist, weil inzwischen die Automobilindustrie und die UMK viel weiter gehende Forderungen erheben? Wir bräuchten uns heute also nicht darüber zu unterhalten.
Herr Brauer, das kann ich nicht bestätigen. Aber wenn das Ihre Bewertung ist, spricht das doch genau dafür, daß wir zum richtigen Zeitpunkt einen Antrag gebracht haben, der inzwischen selbstverständlich überholt sein muß, weil wir in der Zwischenzeit etwas getan haben.
({0})
Ich sage Ihnen auch sogleich, was wir getan haben.
({1})
- Herr Lennartz, mit Ihnen und Ihrem Antrag beschäftige ich mich gleich.
Ich komme zu zweitens: Die steuerliche Förderung des Drei-Wege-Katalysators für Kraftfahrzeuge wird realisiert. Wir treten unmittelbar in diese Phase ein, und zwar so lange, bis zum 1. Oktober 1991 die obligatorische Einführung kommt und steuerliche Anreize gegeben werden. Wenn das auch Ihr Antrag war, können auch Sie nachher hierher kommen und „Danke schön" sagen und sollten hier nicht von „heißer Luft" reden und ähnliche unsinnige Sprechblasen zum besten geben.
({2})
Ich denke, das machen wir in Übereinstimmung auch in der EG. Die EG hat entgegen ihrem Wollen nicht gegen die Niederlande geklagt. Die EG mußte damit rechnen, daß die Bundesrepublik Deutschland dies jetzt nutzt und wir diesen Weg gehen, den wir übrigens in anderen Bereichen - nämlich bei über 21 - bereits gegangen sind. Wir setzen nur konsequent unser Vorhaben weiter um und gehen diesen Weg nun bei allen Fahrzeugen unter 1,4 1 bis hin zu den höchsten Hubraumklassen.
Drittens. Wir hatten im Herbst 1983 von der Nachrüstung gesprochen. Wir haben erlebt, daß viel zu wenige davon Gebrauch gemacht haben, Altfahrzeuge nachzurüsten. Wir haben jetzt den Weg gefunden und können feststellen, daß wir die Nachrüstung von Altfahrzeugen mit Katalysatoren fördern werden, und zwar durch einen einmaligen Förderungsbeitrag, der die bisherige mehrstufige Förderung zusammenfaßt. Hier ist ein Kapital vorhanden, nämlich Millionen von Fahrzeugen, die das nutzen können. Der Staat gibt die Anreize dafür, daß jeder, der ein solches Fahrzeug fährt, umrüsten, nachrüsten kann. Ich halte das für wichtig. Ich hoffe, daß der Markt dann funktioniert. Ich sehe auch hier keinen Dissens unter denen, denen es immer um diese Sache ging und die hier gemeinsam mitgearbeitet haben.
Viertens. Die Kraftfahrzeugsteuer soll künftig bei allen Fahrzeugen nicht am Hubraum, sondern am Schadstoffausstoß orientiert sein. Das wurde sicher schon von vielen diskutiert. Wir müssen auch überlegen, ob es nicht noch einfachere Verfahren gibt, die das auf den Weg bringen, was wir wollen: Umweltfreundliches Verhalten soll sich lohnen. Wir wollen nicht mehr nach der Kubikzahl bemessen, sondern auch darüber nachdenken, wie eine künftige Entwicklung aussehen muß.
Auch hier sollten sich alle darüber einig sein, daß die Beurteilung nicht nur nach Stickoxiden erfolgen darf, sondern daß wir uns auch nach dem Parameter CO2 überlegen müssen, wie wir den Verbrauch reduzieren. Es gibt auf die Dauer keinen Sinn, nur emissionsmindernde Maßnahmen zu realisieren. Vielmehr ist mittel- und langfristig ein anderes Fahrzeug auf die Straße zu bringen,
({3})
nämlich ein Fahrzeug, das weniger verbraucht. Hier muß uns die Technik helfen. Und sie hilft uns. Deshalb lohnt sich das Gespräch. Wir wissen heute, daß es Fahrzeuge gibt, die 2 1, 3 1 verbrauchen. Das ist der künftige Weg. Um das zu initiieren und den Weg zu beginnen, gilt es, Parameter in eine solche Aufgabe neu einzuführen.
Fünftens. Bei Diesel-Pkw sollen bei Neuzulassung Partikelwerte eingeführt werden, die den amerikanischen Grenzwerten entsprechen, nämlich kleiner als 0,8 g pro Test, Herr Kollege Lennartz. Man könnte sich hier einen flotten Wert von 0,6 g pro Test vorstellen. Wir streben dies an. Minister Töpfer und ich sind hier völlig einer Meinung, daß nicht 0,8 g das Ziel ist, sondern daß wir hier auf den flotten Wert von 0,6 g pro Test kommen, d. h. daß reduziert wird und daß dieser Wert zu Beginn der 90er Jahre unterschritten wird. Der Zielwert heißt: unter 0,6 g zu Beginn der 90er Jahre.
Damit komme ich zu dem, was Sie, Herr Kollege Lennartz, gesagt haben. Am 6. April wollten Sie einen Grenzwert von 0,8 g pro Test. Da sind Sie überholt worden. Sie hätten aber bemerken können, daß Sie überholt worden sind, denn wir haben bereits im November erklärt, daß wir auch bei den Dieselfahrzeugen den Stand der Technik einhalten wollen. Wir wollen auch, daß Dieselfahrzeuge, die diese Bestimmungen erfüllen, Fahrzeugen mit Ottomotoren gleichgestellt werden. Das heißt auch, daß die bisherigen Benutzernachteile zurückgenommen werden. Das bedeutet, daß das Dieselfahrzeug im Bereich gasförmiger Schadstoffe natürlich dem Fahrzeug mit Benzinmotor auch im gasförmigen Bereich äquivalent sein muß und daß dieses Dieselfahrzeug den strengeren Partikelwert einhalten muß.
Dann kann ein solches Fahrzeug bei Smog wieder fahren, und es kann wieder in Beschaffungslisten aufgenommen werden. Das ist die Chance des Diesel, der im übrigen andere stabilisierende Elemente aufweist und vom Motor her über die gesamte Lebensdauer natürlich gasförmige Schadstoffe ausstößt. Dabei sind Dieselfahrzeuge wesentlich höher als manches andere Fahrzeug einzustufen.
({4})
- Ich sagte Ihnen: Es geht darum, bei Neuzulassungen Partikelwerte einzuführen. Ich sagte Ihnen, daß wir dies jetzt auf den Weg bringen, Herr Kollege, nicht übermorgen.
({5})
- Ich sage Ihnen doch etwas zu dem Zeitpunkt.
({6})
- Herr Kollege Lennartz, klauen Sie mir jetzt nicht die Zeit, wenn Sie hier mit Ihrer uralten Pressemitteilung vom 6. April entlarvt werden.
({7})
- Könnten Sie einmal zwei Minuten zuhören? Dann sage ich es Ihnen doch.
Herr Abgeordneter Lennartz, allen Ernstes: Auch zu so später Stunde sollten wir es nicht übertreiben.
({0})
Herr Kollege Lennartz, ich werde Ihnen das sagen. Ich werde jetzt auf den Lkw-Bereich zu sprechen kommen und werde Ihre Frage im Zusammenhang damit beantworten.
Sechstens. Wir wollen, was den Lkw-Bereich angeht, unmittelbar in die zweite Stufe einsteigen, um die gasförmigen Schadstoffe zu reduzieren, und zwar um mindestens 40 % weniger Stickstoff, Stickoxide, 65 % weniger Kohlenwasserstoffe und 65 % weniger Kohlenmonoxid. Das ist eine Mindestforderung. Wir wollen, daß die Partikelwerte für alle neuen und weiterzuentwickelnden Fahrzeuge ab September 1989 die Obergrenze von 0,7 g/kWh nicht überschreiten.
Jetzt will ich Ihnen etwas zu Ihrer Pressemitteilung sagen. Die SPD erklärte am 6. April in einer Pressemitteilung, daß auch Sie diese zweite Stufe wollen. Herr Kollege Lennartz, Sie müssen nachher einmal erklären, wie Sie die Zielvorstellung - eine zulässige Emission von 7 g/kWh - eigentlich erreichen wollen. Nachdem die SPD - nur so kann ich es interpretieren - nicht mehr weiß, wo sie nachbessern kann und endlich bemerkt, daß sie hier einmal auftreten und sagen sollte: es ist gut, was ihr gemacht habt, fordern Sie einen neuen Emissionswert, den es noch nirgends gibt, nämlich 7 g/kWh. Erklären Sie einmal, was mit diesem Emissionswert gemeint ist. Dann könnte ich meine restliche Redezeit dazu benutzen, um Ihnen etwas dazu zu sagen.
Ich empfehle Ihnen auch einmal, zu Seite 5 Ihrer Presseerklärung Stellung zu nehmen. Dort steht ein blanker Unsinn über Fahrzeuge. Dort werden Partikelwerte aufgeführt. Sie schreiben dort: Ein Dieselfahrzeug stößt 20mal so viel Rußpartikel aus wie ein Auto ohne Katalysator. - Sie führen in Ihrer Presseerklärung Verbrauchsleistungen von 10 % weniger bei Dieselfahrzeugen an. Wissen Sie, eine gute Beratung ist etwas wert. Das würde ich Ihnen hier anraten, bevor Sie uns kritisieren.
Wir wollen mittelfristig erreichen, daß wir uns in Europa, was den Bereich der Lkw angeht, an der Grundposition der Schweiz von 1991 und auch an der Grundposition orientieren, die Schweden im Hinblick auf das Jahr 1995 einzunehmen gedenkt. Somit könnten die Partikelwerte auch in diesem Bereich noch einmal um die Hälfte reduziert werden. Wir erwarten dieses Paket in nächster Zeit, und zwar national wie auch EG-weit.
Herr Minister Töpfer, es hat sich gelohnt, daß Sie in die Rußfiltertechnologie noch einmal eingestiegen sind. Auch hier werden wir den Schritt machen, daß in wenigen Monaten im kommunalen Bereich die Situation so geklärt wird, daß wir Busse und andere Fahrzeuge, die im kommunalen Bereich fahren - heute über 400 Fahrzeuge, morgen über 1 600 - , mit dem Rußfilter im Großversuch laufen lassen. Es ist der weitere Einstieg, Partikelwerte auch dort zu reduzieren. Ich finde das vernünftig. Das ist eine Technik, die wir nutzen müssen. Das bringt uns ein gutes Stück weiter.
Siebtens. Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Lkw einzuhalten und zu kontrollieren - das gilt für den Antrag der GRÜNEN in derselben Weise - , hier gibt es überhaupt keine strittigen Punkte. Wir wollen es realisieren, mit technischen Maßnahmen die Obergrenze einzuhalten und mit vernünftigen technischen Maßnahmen Obergrenzen zu limitieren. Sie schreiben über Tempomat; es gibt sicher viele intelligente Möglichkeiten, die wir hier diskutieren können.
Achtens. Wir wollen verkehrslenkende Maßnahmen besser nutzen. Wir wissen, daß die Motorisierung zunimmt. Wir wissen, daß wir den Wettlauf Straßenbau mit Motorisierung verlieren müssen. Wir brauchen Intelligenz. Ich will es im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten vereinfacht ausdrücken: Chips statt
Beton. Das ist die Frage auch im Bereich des Verkehrs. Auch dies steht im übrigen in unserem Antrag.
({0})
- Außer Sprüchen, Herr Kollege Schäfer, haben Sie es im Umweltschutz zu nichts gebracht. Dort, wo Sie Verantwortung hatten, haben Sie 13 Jahre lang nicht viel gemacht - das sage ich mit Rücksicht auf unser Verhältnis. Dort, wo Sie in der Opposition sind, haben Sie in Ihrer Fraktion schlechte Unterlagen auf den Weg gebracht.
({1})
- Das ist wie mit dem Schwimmen von Minister Töpfer. Wissen Sie: Was Sie mit anderen machen, das ist intelligent und klug und macht Ihnen Spaß, mir manchmal ja auch. Aber wenn Sie mir mit ein paar dummen Sprüchen in die Parade fahren wollen und Sie einen draufkriegen, schmeckt es Ihnen nicht. Das mag ja sein. Unser Verhältnis ist deswegen nicht getrübt, Herr Kollege Schäfer.
Neuntens. Wir brauchen eine genaue, sachliche Darstellung der Stickoxidemissionen. Wir brauchen Zahlen. Herr Minister Töpfer, auch da sind wir uns im klaren, daß die Zahlen des Bundesumweltamts überprüft werden müssen. Wir müssen wissen, wo wir in der Konzeption anpacken müssen. Wir müssen wissen: Wie hat sich der Trend der Stickoxidemissionen verändert? Auch hier schlage ich vor, daß wir das tun, was Sie auch in einem anderen Punkt vorhaben, nämlich im Bereich der Gaspendlung den Versuch abzuwarten, vernünftig darüber zu reden und nicht vorschnell nur einen großen Kohlefilter vorzuschlagen.
({2})
- Er hätte es ja nötig zuzuhören, anstatt dazwischenzureden. Hinsichtlich des Papierchens vom 6. April wäre es schon wichtig, ihm zu sagen, daß wir noch vor der Sommerpause auch hier ein weiteres Stück vorankommen.
Ich darf den letzten Satz sagen: Ich bin sehr froh, daß wir heute diese Position erreicht haben; das ist ein Verdienst dieser Fraktion und dieser Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Vorbemerkungen machen:
Erstens. Herr Kollege Schmidbauer, nachdem ich mir Ihren Antrag vom 30. November 1988 angeguckt habe, muß ich sagen, daß ich eigentlich nicht so recht verstehe, warum Sie sich im Brustton der Überzeugung darauf berufen können. Er besteht nämlich nur aus Appellen, Prüfaufträgen, Absichtserklärungen und Aufforderungen an die Bundesregierung,
({0})
sie möge sich doch bitte für dieses und jenes einsetzen.
Zweitens. Sie haben hier wörtlich gesagt, die Forderungen seien voll umgesetzt. Ich denke, dies müßten Sie nicht nur mir, sondern auch anderen Anwesenden hier im Saal näher erklären. Vielleicht wird es Herr Bundesminister Töpfer tun können. Was bis jetzt vorliegt, ist nur eine Reihe von Presseerklärungen und Verlautbarungen, die durch die Zeitungen und durch die Reden einiger Unionspolitiker geistern.
({1})
Wo es aber konkret wird, Herr Kollege Schmidbauer, da fordern Sie erneut Überprüfungen und nicht mehr.
({2})
- Ich komme schon noch zu meinen Fragen; vielleicht haben Sie noch ein paar Minuten Geduld.
Lassen Sie mich zu Ihren Ausführungen vier Feststellungen machen:
Erstens. Was vorliegt, sind Parteibeschlüsse oder, genauer gesagt, Leitlinien des CDU-Bundesvorstands. Es gibt keinen Gesetzentwurf.
({3})
- Es gibt keinen Kabinettsbeschluß. Den müßten Sie uns vorlegen.
({4})
Es gibt noch nicht einmal einen Entwurf zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung.
({5})
Ich habe nicht vernommen, daß der Bundeskanzler diesen heute morgen vorgelegt oder eventuell angekündigt hätte. Es gibt bloße Absichtserklärungen, und die verbessern die dicke Luft in Europa nicht, auch nicht die in der Bundesrepublik.
Zweiter Punkt. Mit den jetzigen, ich will sie freundlicherweise einmal „Vorschläge" nennen, wird doch die milliardenschwere Hypothek der Vergangenheit nicht getilgt.
({6})
Sie besteht weiter, und sie wird, wenn überhaupt, nur mit ungeheuren Anstrengungen und mit enormem Kostenaufwand wieder abgetragen werden können. Heute wissen wir - Sie wissen es genauso gut wie ich - , daß auch die Stickoxide nicht nur den Wald schädigen, sondern zudem den Treibhauseffekt anheizen. Das wäre zum Teil vermieden worden, wenn Sie rechtzeitig unseren Vorschlägen gefolgt wären.
({7})
- Die liegen auf dem Tisch. Ich war versucht, das gesamte Paket mitzubringen.
Drittens. Bei den jetzigen Vorschlägen, Herr Kollege Schmidbauer, stelle ich fest, daß ein riesiger BeFrau Dr. Hartenstein
reich im Grunde völlig ausgespart bleibt, nämlich der Lkw-Verkehr.
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- Doch. - Angesichts der bedenklichen Perspektive, die der europäische Binnenmarkt in diesem Punkt eröffnet, müssen die Schadstoffemissionen des Lkw-Verkehrs schleunigst auf das technisch mögliche Minimum reduziert werden; alles andere wäre unvertretbar. Ich zeige Ihnen nachher gern Ihr eigenes Papier, falls Sie sich nicht genau daran erinnern sollten.
Vierter Punkt. Auch ordnungspolitische Maßnahmen dürfen nicht tabu sein. Bereits heute sind die Umweltbelastungen aus dem Schwerlastverkehr so unerträglich geworden, daß sie nicht mehr ansteigen dürfen. Wenn aber die Prognosen des Binnenmarktes eintreffen, dann müssen wir mit einer Verdoppelung des Straßengüterverkehrs rechnen. Das wird zu heute noch unvorstellbaren Zuständen führen, übrigens nicht nur wegen der Schadstoffemissionen, die auf ca. 800 000 t Stickoxide plus 100 000 t Rußpartikel pro Jahr ansteigen werden, sondern auch wegen der Überlastung der Straßen, wegen der Lärmüberflutung und nicht zuletzt wegen der wachsenden Gefährdung von Menschenleben.
Ich halte es für fahrlässig, daß der frühere Bundesverkehrsminister Warnke der Liberalisierung des Straßengütertransports zugestimmt hat, ohne daß eine drastische Schadstoffreduzierung bei schweren Nutzfahrzeugen gewährleistet ist und ohne daß eine verbindliche Konzeption für ein leistungsfähiges europäisches Schienennetz vorliegt, ohne daß überhaupt irgendwelche, geschweige denn ausreichende Vorkehrungen getroffen wären, um die mit der Laster-invasion zu erwartenden Negativeffekte in den Griff zu bekommen. Das gleiche gilt übrigens für den Luftverkehr.
Im Grunde muß ich außerordentlich staunen, denn bei den seitherigen Debatten zum Thema Abgasentgiftung bei Kraftfahrzeugen haben die Sprecher der Koalition ständig ungeheure Mühe darauf verwandt, wortreich - wenngleich nicht sehr überzeugend - darzulegen, warum keine wirksameren Schritte pro Umwelt möglich seien, warum keine obligatorische Einführung des Katalysators möglich sei, warum keine US-Normen für Wagen aller Hubraumklassen vorgeschrieben werden, warum
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keine stärkeren steuerlichen Anreize eingeführt werden usw., vor allem warum kein nationaler Alleingang möglich sei. Der Schwarze Peter lag, laut Bundesregierung, stets in Brüssel.
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Dort hat sich inzwischen zwar nicht viel geändert, wohl aber hier.
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- Nun ja, mit Herrn Bangemann; aber Spaß beiseite.
- Wenn jetzt die Phase zäher Stagnation tatsächlich zu Ende gehen sollte, dann wäre dies ein Gewinn für die Umwelt, das möchte ich ausdrücklich betonen. Allerdings steht zu vermuten, daß nicht unbedingt höhere Einsicht oder das übermächtige ökologische Engagement der Bundesregierung,
({12})
sondern eher die heillose Zwangssituation, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der sich diese Regierung befindet, zu der Erkenntnis geführt hat, zu erkennen, daß sich auch hier etwas bewegen muß.
Gegenwärtig gleicht die Regierungszentrale so einer Art Schreinerwerkstatt. Und dort heißt es: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Es wurde schon einiges kräftig weggehobelt - wir haben heute im Laufe des Tages ja darüber gesprochen: Quellensteuer, Wehrdienstverlängerung - , aber beim Hobeln können manchmal auch einige brauchbare Späne abfallen, z. B. für den Umweltschutz. Dagegen ist nichts zu sagen, Teilreparaturen sind nicht verboten, im Gegenteil. Aber man sollte nicht so tun, als ob dies nun gleich der große Wurf wäre.
Meine Damen und Herren, was beim Thema Kraftfahrzeugabgase in der Koalition derzeit hin und her gewälzt wird, ist in der Sache längst überfällig. Viel Schaden wäre vermieden worden, wenn Sie unseren Vorschlägen gefolgt wären.
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Bereits im April 1983 - hören Sie gut zu, Sie erinnern sich vielleicht nicht daran, Herr Kollege Schmidbauer - hat die SPD-Bundestagsfraktion ihren Antrag „Notprogramm gegen das Waldsterben" eingebracht. Seither haben wir mit Dutzenden von Initiativen unablässig darauf gedrängt, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um der immer bedrohlicher werdenden Luftverschmutzung durch den motorisierten Verkehr Einhalt zu gebieten.
CDU/CSU und FDP haben alle Anträge und Gesetzentwürfe der SPD ausnahmslos abgeschmettert, und die Bundesregierung hat Anfragen ausweichend oder aber gar nicht beantwortet. Beispiel: unsere Große Anfrage „Volkswirtschaftliche Verluste durch Luftverschmutzung". Die Regierung mit Bundesumweltminister Wallmann hat sich nicht gescheut, diese Anfrage vom Mai 1985 anderthalb Jahre vor sich herzuschieben.
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Wir hatten damals einen zentralen Punkt ins Blickfeld gerückt, nämlich die ökonomischen Kosten ökologischer Zerstörungen, und davon wollten Sie nichts wissen. Erst im Wahlkampf im Januar 1987 bekamen wir dann eine reichlich dünne Antwort präsentiert, mit Erledigungsvermerk „Zu den Akten". Erledigt war damit natürlich gar nichts. Die Schäden wuchsen un-gebremst weiter: Waldschäden, Gesundheitsschäden, Gebäudeschäden, und dafür tragen Sie die Verantwortung. Auch dies muß einmal deutlich ausgesprochen werden.
Der CDU-Abgeordnete und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Siegbert Alber, hat nach den Luxemburger Beschlüssen zum schadstoffarmen
Auto, das Sie so sehr feiern, 1985 erklärt: Wenn aus dem Auspuff unserer Kraftfahrzeuge so wenig herauskäme wie aus dem EG-Umweltministerrat, dann ginge es unserem Wald besser.
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- Jawohl. - Herr Alber war vielleicht nicht der einzige in Ihren Reihen, der den regierungsamtlich verbreiteten Optimismus über den Siegeszug des schadstoffarmen Autos nicht teilte. Aber er war vermutlich der einzige, der die Wahrheit ungeschminkt auszusprechen wagte - öffentlich - , und er hat leider recht behalten.
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Frau Beate Weber. Die hat es aber sehr viel deutlicher gesagt.
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Der damalige Umweltminister Zimmermann hat sich für eine ganz andere Strategie entschieden. Er versuchte, den eklatanten Mißerfolg, den er im Reisegepäck mitbrachte, ohne Skrupel zu einem Erfolg umzumünzen. Flugs mußte der TÜV Rheinland eine Expertise anfertigen, die voraussagte, daß die NOx- Emissionen aus dem Straßenverkehr bis 1988 um 25 % und bis 1995 sogar um 57 % zurückgingen. Daraus wird nichts. Dies müssen selbst Sie heute eingestehen.
Tatsache ist, daß wir heute nicht weniger, sondern mehr Schadstoffe in der Luft haben.
({18})
- Aber ja. Das bestätigt Ihnen auch das Umweltbundesamt. Sie müssen die Untersuchung bloß lesen, bitte. - Tatsache ist auch, daß der in Sonntagsreden beschworene Druchbruch des Kat-Autos eben leider nicht stattgefunden hat. Nach dem Stand vom 1. April 1989 sind klägliche 8,6 % mit dem geregelten DreiWege-Katalysator ausgerüstet. In absoluten Zahlen sind das knapp 2,2 Millionen von 29 Millionen Pkw in unserem Land.
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- Nun mal langsam! - Tatsache ist, daß die Giftstoffkonzentrationen in der Luft unserer Städte eine Rekordmarke erreicht haben.
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Für Stuttgart meldet das Statistische Landesamt einen früher noch nie gemessenen Wert von 50 Tonnen NOx pro Quadratkilometer. Kein Wunder, daß der Stuttgarter Regierungspräsident die Innenstadt bei Smogwetterlagen für nicht entgiftete Autos rigoros sperren und auch die Lastwagen mit einem Fahrverbot belegen will.
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In unseren Wäldern sieht es auch nicht besser aus. Mittlerweile haben die Eichen mit 80 % Schadsymptomen die Tannen und Fichten beim Sterben überholt. Wir haben jetzt vier qualvolle Jahre hinter uns, in denen die Bundesregierung der staunenden Öffentlichkeit pausenlos getürkte Erfolgsmeldungen über den Vormarsch des schadstoffarmen Autos präsentiert hat. In Wahrheit hat sie einen faulen Kompromiß nach dem anderen geschlossen. Das Versagen der Politik geht voll zu Lasten der Natur und voll zu Lasten der menschlichen Gesundheit. Sie müssen erst noch unter Beweis stellen, daß Sie das vom heutigen Tage an ändern wollen.
Tempolimit, Herr Kollege Schmidbauer. Seit dem bombastischen Großversuch von 1985 hat die Bundesregierung das einzige Instrument aus der Hand gegeben, das sofort Abhilfe hätte bringen können. Dieser Großversuch hatte außer der Tatsache, daß 15 Millionen DM Steuergelder unnütz verschwendet wurden, noch eine weitere bedauerliche Konsequenz. Er wirkte als Freibrief für die Raser auf unseren Straßen. Da ihnen auf diese Weise ein gutes Gewissen verschafft wurde, gaben sie wieder Gas wie nie zuvor. Die Entscheidung gegen ein Tempolimit war eine kapitale Fehlentscheidung. Das gilt heute noch.
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- Das könnten wir ausdiskutieren, ganz gewiß. Sie müssen aber wissen - vielleicht wissen Sie es auch nicht - , daß sich auf den Autobahnen, die nicht limitiert sind, 27 % des Kraftfahrzeugverkehrs abwikkeln,
({23})
aber dort 45 % der Stickoxidemissionen ausgestoßen werden. Das ist der Punkt.
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Daß im übrigen hohe Geschwindigkeiten und Unfallzahlen korrelieren, wird niemand mehr bestreiten wollen.
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Die Bundesregierung ignoriert bis heute
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- wenn Sie Fragen stellen wollen, dann würde ich Sie bitten, ans Mikrophon zu gehen -, daß nach Schätzungen von Experten nahezu eine Million Tonnen Stickoxide weniger in die Luft entlassen worden wären, wenn bereits 1983 oder 1984 ein Tempolimit eingeführt worden wäre. Diese Maßnahme hätte nicht nur eine sofortige Wirkung gehabt, meine Damen und Herren, sondern auch den unschätzbaren Vorteil der EG-Konformität. Denn in allen anderen EG-Staaten gibt es Tempolimits.
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- Hören Sie doch zu.
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Wenn Sie unkonzentriert sind, kann ich nichts dafür. Ich habe keine Zahl genannt. Ich habe nicht von Tempo 100 geredet. Ich habe gesagt: In allen anderen EG-Staaten gibt es Tempolimits. Diese Aussage trifft zu.
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Das Auto wird vom Lieblingskind der Deutschen immer mehr zum Problemkind. Das haben auch Sie erkannt. Heute muß der motorisierte Straßenverkehr auch unter dem Gesichtspunkt der Klimabedrohung gesehen werden. Der Verkehr beansprucht ein Viertel unseres Energieverbrauchs. Der Wirkungsgrad der eingesetzten Energie ist jedoch mit 17 % extrem niedrig. Beim Verbrennungsvorgang
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- das hat auch etwas mit Tempolimit zu tun; Sie haben nur keine Geduld - wird neben Stickoxiden auch Kohlendioxid ausgestoßen. Beide verstärken den Treibhauseffekt. Allein durch das Einführen einer Geschwindigkeitsbeschränkung würden pro Jahr 26 Millionen Tonnen CO2 weniger in die Atmosphäre ausgestoßen.
({31})
- Nein, vom Umweltinstitut in Heidelberg. Ich kann sie Ihnen gerne zusenden.
Durch Nichthandeln, meine Damen und Herren, haben Sie sich hier eine schwere Erblast aufgeladen, die Jahr für Jahr drückender wird. Innerhalb der CDU ist im übrigen zum Thema Tempolimit ein sehr vielstimmiges Konzert zu hören. Der hessische Ministerpräsident Wallmann sagt - jetzt kommt die Zahl -, Tempo 100 dürfe nicht tabuisiert werden. Die badenwürttembergische CDU, der Sie angehören, Herr Schmidbauer, hat einen Beschluß zur Einführung eines gespaltenen Tempolimits gefaßt. Aber ausgerechnet der Bundesumweltminister, der solche Initiativen als willkommene Schützenhilfe aufgreifen müßte, lehnt eine Geschwindigkeitsbegrenzung ab. Das ist nicht zu verstehen. Das paßt irgendwie nicht zusammen.
Meine Damen und Herren, ich will sehr gerne glauben, daß Sie im Begriff sind, einen Schritt in die richtige Richtung zu machen.
({32})
Aber es bleibt zu hoffen, daß Sie nicht wieder nach dem ersten zaghaften halben Schrittchen auf der Stelle treten oder gar in eine üble Springprozession verfallen. Das wäre nicht das erstemal. Jetzt tut eine schleunige Realisierung ohne erneute Abstriche und ohne Verzögerungen not.
({33})
Solange Sie nicht das Gegenteil bewiesen haben, sind unsere Forderungen vom 6. April voll gültig; denn sie sind bis heute nicht realisiert.
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Die Technik ist der Politik längst um Nasenlängen voraus. Das haben Sie selbst bestätigt. Meine Empfehlung ist: Übernehmen Sie unsere Vorschläge! Dann kommen wir am allerschnellsten voran.
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Die SPD fordert seit langem die verbindliche Einführung der US-Norm für Neuwagen aller Hubraumklassen aus deutscher Produktion ab 1. Oktober 1990, verstärkte steuerliche Anreize für alle Wagen, wenn sie die US-Norm erfüllen, ein effektives Nachrüstprogramm, das die umweltbewußten Fahrer belohnt - hier kommen wir vielleicht auf die gleiche Schiene -, sowie ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen, befristet für vier Jahre, falls keine EG-einheitliche Regelung getroffen wird. - Das ist unsere Position.
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Jetzt haben Sie Ihre so sehr gewünschte Zahl. Ferner fordert die SPD eine drastische Reduzierung der Schadstoffemissionen aus Lastkraftwagen und Bussen. Wir schließen uns dabei übrigens dem Bundesrat an, der schon im November 1987 klar gesagt hat, daß er die in der EG vorgesehenen Grenzwertabsenkungen für völlig indiskutabel hält. Er weist darauf hin, daß in USA ab 1990 Reduktionen um 44 % verlangt werden und daß dies technisch keine Probleme aufwirft. Ich empfehle Ihnen, diese Bundesratsdrucksache nachzulesen.
Der Energieverbrauch der Kraftfahrzeuge muß konsequent verringert werden, um zu einer Begrenzung des Kraftstoffverbrauchs und damit der Kohlendioxidemissionen zu kommen.
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Schließlich fordert die SPD - das ist eine uralte Forderung; aber sie gehört hier dazu -, den Schwerlastverkehr auf die Schiene zu verlagern. Auf diesem Gebiet sehe ich überhaupt noch keine Ansätze in Ihrem Regierungshandeln.
Aus all dem folgt - jetzt bitte ich sehr um Ihre Aufmerksamkeit - , „daß unser gesamtes Verkehrssystem im Hinblick auf Energieeinsparung und Verminderung des Schadstoffausstoßes modernisiert werden muß". Das ist übrigens Originalton Bernd Schmidbauer MdB, Vorsitzender der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre". Wenn diese Forderung umgesetzt wird, könnte der Verkehrsbereich zum Testfall für die ökologische Erneuerung unserer Industriegesellschaft werden.
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Ich bin mir aber nicht sicher, ob das auch der neue Verkehrsminister weiß und ob er es ebenso sieht. Das muß erst abgewartet werden.
Die Bundesregierung hat im Augenblick noch keinen Grund, einige gut formulierte Leitlinien zur Senkung der Luftverschmutzung schon als Jubelereignis zu verkaufen. Gefragt sind nicht Gedanken zur Zeit, sondern konkrete Maßnahmen.
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Die für Menschen, Tiere und Pflanzen schädliche dicke Luft wird nicht durch bloße Ankündigungen sauberer, auch nicht durch punktuelle, oft genug zaghafte Reparaturmaßnahmen. Es kann nur ein übergreifendes, überzeugendes und durchschlagendes Luftreinhaltekonzept helfen, das wir seit langem fordern und für das wir die Vorschläge auf den Tisch gelegt haben.
Ich danke Ihnen.
({40})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Wir schlagen diese Schlachten schon seit langem. Es ist nur eine neue Situation entstanden. Die neue Situation ergibt sich aus der Regierungserklärung: klare Absichten in bezug auf die Reduzierung von Schadstoffen. Die Bundesregierung wird das vorlegen. Das Parlament wird die notwendigen Entscheidungen treffen. Die Koalitionsfraktionen stimmen dem zu.
Wir haben eine andere Situation in Europa. Die Europäische Kommission akzeptiert jetzt Vorschläge, die sie vor einem halben Jahr noch abgelehnt hat. Das Europäische Parlament hat sehr deutlich seinen Willen erklärt. In den anderen europäischen Staaten sind die Regierungen aufgewacht. Frau Thatcher hat das Auto als Verursacher des Treibhauseffektes entdeckt. Herr Mitterrand hat im Februar eine Regierungserklärung über Umweltschutz abgegeben. Die Italiener haben im letzten Winter eine Smog-Situation gehabt, die sie sehr nachdenklich gemacht hat.
Also, das beharrliche Bemühen auch der deutschen Regierung in Europa zahlt sich aus. Ich habe durchaus die Hoffnung, daß uns Europa künftig nicht mehr bremst, sondern daß wir gemeinsam mit den westeuropäischen Staaten Fortschritte in diesem Bereich erzielen. Wir müssen sie auch haben; denn die Situation hat sich verändert, verschlechtert. Nicht die Schadstoffe, Frau Hartenstein, an sich haben zugenommen, sondern die Rolle des Autos ist eine andere. Wir haben mehr Kraftfahrzeuge, höhere Kilometerleistungen, einen höheren Treibstoffverbrauch. Wir müssen mit einem höheren Nutzfahrzeugverkehr durch den Europäischen Binnenmarkt rechnen.
Nachdem Herr Kollege Schmidbauer und ich das gelesen hatten - und ich möchte Ihnen gerne den Dank für die Zusammenarbeit aussprechen - , haben wir reagiert. Unmittelbar, nachdem wir die neuen Zahlen gelesen hatten, haben wir diesen Antrag konzipiert. Und er hat politisch etwas bewirkt; denn das, was Sie heute auf dem Tisch haben, ist nicht zuletzt eine Folge dieser gemeinsamen Willenserklärung der Umweltpolitiker der Koalition und ihrer Kollegen.
({0})
Ich sehe hier überhaupt mal einen Punkt, wo man aus dem Parlament heraus auch die eigene Regierung beeinflussen und Dinge nach vorne bringen kann.
({1}) Das ist geschehen.
Ich möchte jetzt nicht all das wiederholen, was der Bundeskanzler gesagt hat, was Herr Schmidbauer hier zutreffend erläutert hat. Ich möchte etwas zu der Abgassteuer sagen. Ich bin mit Ihnen, Herr Schmidbauer, der Meinung: wenn Abgassteuer, dann natürlich auch auf Kohlendioxid; denn wir haben das Auto in diesem Antrag nur unter dem Gesichtspunkt der Stickoxide behandelt. Ein anderes Kapitel ist: Auto und Kohlendioxid, also: Auto und Treibhauseffekt. Die Enquete-Kommission wird sich in Kürze in einer Anhörung mit diesem Thema befassen. Wir müssen also diese Schadstoffe jetzt einbeziehen.
Allerdings frage ich mich, ob wir nicht auch einen anderen Weg überlegen, ob wir nicht alles auf die Mineralölsteuer legen sollten.
({2})
- Ich kann heute noch nicht beurteilen, was besser ist. Das gemeinsame Ziel ist ja, die Leute zu veranlassen, weniger Mineralöl zu verbrauchen.
({3})
Ob wir das mit der Abgassteuer erreichen oder auf dem anderen Wege, was übrigens ein alter, sehr alter Vorschlag der FDP ist, lasse ich jetzt mal offen.
Ich begrüße, daß auch die Automobilhersteller dazu übergehen, diesen Zielen gerecht zu werden. Es ist eben vieles möglich, was zunächst für unmöglich erklärt worden ist. Es kamen doch vor einem Jahr oder vor zwei Jahren x Leute zu uns, Herr Schmidbauer, die gesagt haben: Das geht alles nicht. - Ich erinnere mich noch an die ausländischen Anbieter, die gesagt haben: Das können wir nicht machen. - Sie können heute die ausländischen Wagen genauso ausgerüstet kaufen wie die unseren.
({4})
Wir brauchen zusätzliche Dinge: Benutzervorteile - das halte ich für ganz wichtig - , Nachrüstung der Altfahrzeuge, Geschwindigkeitskontrollen bei Lkw. Es ist aber mit diesen rechtlichen und technischen Maßnahmen an Fahrzeugen nicht getan. Notwendig ist in der Tat die Entwicklung mittelfristiger Verkehrskonzepte zur Verlagerung etwa bestimmter Gütertransporte auf die Schiene, zur Fortsetzung des Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs und zur umweltgerechten Aufgabenverteilung auf die verschiedenen Verkehrsträger. Das wollten Sie ja zum Ausdruck bringen.
Wir müssen also Verkehrs- und Umweltpolitik noch näher zusammenbringen. Das heißt, die Verkehrspolitik muß heute unter Umweltgesichtspunkten konzipiert werden. Die FDP - mein Kollege Kohn - hat ein Konzept zur künftigen Aufgabe der Bundesbahn vorgelegt. Es sind also Vorschläge auf dem Tisch, die in diese Richtung gehen und die einfach dazugehören, wenn man mit dem Thema Straßenverkehr, mit dem Thema Auto fertig werden will. Auf
unseren Straßen werden Situationen auftreten, die an die Situation heute im Flugverkehr, z. B. im Luftraum München, erinnern werden. Wir werden erhebliche Stauungen, Infarkte, auf unseren Straßen bekommen. Der Verkehr wird erheblich zunehmen. Das heißt, wir müssen verlagern.
Die Automobilhersteller sind weiter gefordert, sparsamere Autos zu entwickeln. Wir müssen Überlegungen, Herr Schmidbauer, ob wir nicht den Flottenverbrauch durch verbindliche Festlegung der Hersteller verringern.
({5})
Herr Töpfer, ich meine, man muß der Automobilindustrie hier einen weiteren Rahmen setzen; denn es geht jetzt wieder verstärkt um die Verringerung des Mineralölverbrauchs. Es ist natürlich immer wieder ein Appell an die Mitbürger, sich zu überlegen, ob sie nicht doch in dem einen oder anderen Fall auf das Auto verzichten können.
Hier sind also erhebliche Fortschritte angekündigt. Sie werden schnell umgesetzt werden. Wir werden sie, wenn es notwendig ist, eben auch national, alleine umsetzen. Wir machen also einen wichtigen Schritt nach vorne. Ich möchte Sie bitten, daß Sie diesem unserem Antrag zustimmen. Im Grunde hat die Wirklichkeit jetzt diesen Antrag eingeholt; das ist gut. Er ist weitgehend realisiert. In einigen Teilen sind wir sogar noch weiter gegangen. Wir tragen also der Situation voll Rechnung.
Frau Hartenstein, es hat jetzt keinen Sinn, die Schlachten von gestern zu schlagen. Da wäre eine Menge zu sagen, auch zum Tempolimit. Sie können eigentlich von Ihrer Position her nichts anderes tun, als heute unseren ernstgemeinten Absichtserklärungen zuzustimmen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Brauer.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Umweltministerkonferenz hat sich vor vierzehn Tagen in Düsseldorf eingehend mit der Minderung verkehrsbedingter Schadstoffemissionen beschäftigt. Sie hat im Ergebnis einstimmig festgestellt, daß - ich zitiere die ursprünglich erwarteten Reduzierungsraten der Stickoxidemissionen angesichts gestiegener Emissionen des Verkehrs nicht erreicht werden konnten,
({0})
in den Ballungsräumen vielfach Überschreitungen der Stickoxidemissonen und Belastungen mit weiteren gesundheitsschädlichen Stoffen festgestellt werden, die zum Teil über dem nach TA Luft zulässigen Niveau liegen, die in der Deklaration zum NOx-Protokoll von Sofia eingegangene Verpflichtung, die Stickoxidemissionen bis 1998 um 30 % zu senken, zumindest erreicht, möglichst übertroffen werden muß und die Einhaltung dieser Verpflichtung ohne erhebliche zusätzliche Anstrengungen nicht erfüllt werden kann.
Dieser einstimmige Beschluß der Umweltminister aller Bundesländer ist damit eine einzige Bankrotterklärung für die Luftreinhaltepolitik dieser Regierung.
({1})
Dabei haben sich in den letzten Tagen die Erkenntnisse über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Krankheiten bestätigt, wie dies Ärzte, die Elterninitiativen Pseudokrupp und die GRÜNEN seit Jahren dargestellt haben.
In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN mußte nun zugegeben werden, daß die Bundesregierung unstrittige Belege für eine deutliche Zunahme von Erkrankungen der Atemwegsorgane mit steigender Stickoxidkonzentration in der Luft hat.
({2})
Bei Schulkindern wurden z. B. Einschränkungen der Funktion der Lunge durch Stickoxidbelastungen festgestellt.
Vor zwei Tagen wurden erste Ergebnisse der Pseudokruppstudie des Landes Baden-Württemberg bekannt. Sie ergeben einen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffbelastung und Pseudokrupp, aber auch Allergien im Kindesalter. Wieder stehen Stickoxide und Ozon an erster Stelle der verursachenden Gifte.
({3})
- Nachher gerne.
({4})
- Er ist ein guter Beobachter und weiß, wie ich fahre.
({5})
Es waren die GRÜNEN, die bereits 1984 durch parlamentarische Initiativen auf die zunehmenden Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Gifte in der Luft hingewiesen haben.
({6})
Damals wurde dieses Problem zum Erschrecken der betroffenen Eltern einfach ausgesessen, oder es wurde der Rat gegeben - jetzt hören Sie einmal sehr gut zu;
({7})
so Ministerpräsident Ernst Albrecht auf den Brief einer betroffenen Mutter - , sie möge doch bitte mit ihrem Kind auf's Land ziehen.
({8})
Das ist Zynismus, schlimmster Zynismus.
Heute zeigt sich, daß unsere Forderungen nach rigoroser Schadstoffminderung im nationalen Alleingang von Anfang an berechtigt waren. Ein nationaler Alleingang sollte nicht nur bei der Einführung des Katalysators, sondern auch bei der Begrenzung der Abgase von Diesel-Pkw und Lastwagen unternommen werden.
({9})
Heute zeigen sich, wie wir vorhin gehört haben, erste zaghafte Ansätze zu einer solchen Forderung auch innerhalb der CDU. Davon ist freilich der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen noch weit, weit entfernt. Statt dessen greift dieser Antrag die Lieblingsidee von Lothar Späth auf, einen Werbefeldzug für das sogenannte umweltfreundliche Auto zu starten.
Herr Abgeordneter Brauer, der Abgeordnete Gerster möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Die kann er gerne stellen, aber ich gebe ihm das Zeichen dann, wenn es in meinen Redetext paßt. Sind Sie damit einverstanden?
Dazu stelle ich noch einmal fest: Das umweltfreundliche Auto gibt es nicht. Technische Maßnahmen am Auto zur Verminderung des Giftstoffausstoßes sind nur eine Notmaßnahme gegen Waldsterben und Gesundheitsgefahr. Wirklich umweltfreundlich ist nur das Auto, das überhaupt nicht gebaut wird, der Pkw, der deshalb nicht vom Fließband rollt, weil es attraktive Angebote im öffentlichen Personennahverkehr gibt, der Lkw, der deshalb nicht produziert wird, weil es attraktive Möglichkeiten des Güterverkehrs auf der Schiene gibt. Aber gerade davon entfernt sich die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung immer weiter. Tatsache ist, daß unvermindert Nahverkehrsstrecken der Bundesbahn stillgelegt werden. Tatsache ist, daß sich die Bundesbahn im Güterverkehr auf der Straße selbst Konkurrenz macht. Statt den Warentransport auf der Schiene auszuweiten, werden kleine Güterbahnhöfe dichtgemacht, wird der Güterverkehr auf die Straße verlagert.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, weil es in Ihrem Antrag heißt, die Bundesregierung solle einen Werbefeldzug für das sogenannte umweltfreundliche Auto durchführen und finanzieren, und die Automobilindustrie gebeten wird, sich bitte daran zu beteiligen, ist das nichts anderes als ein Antrag zur Erhöhung des Pkw-Bestands, mitfinanziert von der Bundesregierung. Solche Werbekampagnen für die ach so notleidende Autoindustrie verschärfen die ökologischen Probleme. Deshalb lehnen wir die Beschlußempfehlung des Umweltausschusses ab und weisen auf unsere zahlreichen Anträge, die wir zu diesem Thema der Luftbelastung eingebracht haben, hin.
Antje Vollmer hat heute vormittag während der Debatte zur Regierungserklärung vom visionären Element gesprochen, das von uns GRÜNEN ausgeht. Ein kleiner Teil davon wird immer dann sichtbar, wenn abgelehnte Anträge der GRÜNEN nach Jahren in den Vorschlägen etablierter Parteien wieder auftauchen.
({0})
So haben wir im Juli 1985 einen Antrag eingebracht, in dem Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten von Lastkraftwagen gefordert werden. Einer der Vorschläge war die verbindliche gesetzliche Vorschrift zum Einbau des Geschwindigkeitsreglers im Lkw. In der Debatte zu unserem Antrag bemerkte der damalige Verkehrsminister Dollinger, die Einhaltung der Geschwindigkeit hänge in erster Linie vom Verantwortungsbewußtsein des Lastkraftwagenführers ab. Da hat ihm wohl die Speditionslobby die Redevorlage geschrieben.
Ich komme zum Ende.
({1})
Dazu zitiere ich noch kurz den Beschluß aus der vorhin genannten Umweltministerkonferenz über die Lkw. Dort heißt es, daß ein Geschwindigkeitsregler vorzuschreiben ist. Hierdurch könnten wesentliche Reduzierungen im NOx-Bereich erreicht werden. Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis der Umweltminister den Verkehrsminister und die dahinterstehende Lobby der Spediteure überzeugt hat, ...
Herr Abgeordneter, Sie überschreiten Ihre Redezeit deutlich. Ich lasse die Frage auch nicht mehr zu.
... daß damit jährlich immerhin 40 000 bis 70 000 Tonnen Stickoxide und etliche tausend Tonnen krebserzeugender Rußpartikel vermieden werden können.
Jetzt will ich gern Ihre Frage beantworten, wenn es der Präsident noch erlaubt.
({0})
Aber jetzt läßt der Präsident das nicht mehr zu, denn - mit Verlaub gesagt - Ihre Zeit ist zu weit überschritten.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Tag ist durch neue Entwicklungen im Automobilbereich gekennzeichnet. In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat gerade dieser Teilbereich eine hohe Bedeutung gehabt, und es trifft sich gut, daß auch unter den Spezialisten dieses Parlaments die Frage des umweltfreundlichen oder des umweltunschädlicheren Autos eine Rolle spielt.
Lassen Sie mich zu Anfang deutlich sagen: Die Bundesregierung verfolgt ein einheitliches, ein in sich geschlossenes Konzept der Luftreinhaltepolitik und setzt dieses um.
Wir haben es in weiten Teilen bei der stationären Quellen umgesetzt, also bei unseren Kohlekraftwerken und bei vielen Feuerungsanlagen, und zwar durch eine TA Luft, die im Jahr 1986 neu gefaßt worden ist, durch die erste Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die sogenannte Kleinfeuerungsanlagenverordnung, die im letzten Jahr neu gefaßt worden ist, durch die Großfeuerungsanlagenverordnung und vieles andere mehr. Dies ist der eine Block, auf dem wir unsere Luftreinhaltepolitik aufbauen.
Der zweite Block betrifft die Verminderung der Emissionen bei den mobilen Quellen. Ich stehe nicht an, gerade den Vertretern der Koalitionsfraktionen sehr herzlich dafür zu danken, daß sie uns durch ihre Initiative unterstützt haben und daß wir bis in die internationale Diskussion hinein Hilfe gefunden haben. Wir stehen jetzt an einem Punkt, an dem wir sagen können: Wir haben das erfüllt, was wir uns zu Beginn dieser Legislaturperiode vorgenommen haben. An manchen Stellen geht das Erreichte bereits darüber hinaus. Dies ist gut und richtig so.
({0})
Ich unterstreiche sehr deutlich, daß die Aufgaben, die uns hiermit übertragen worden sind, mit aller Nachdrücklichkeit und Zügigkeit umgesetzt werden. Das betrifft insbesondere die steuerliche Förderung. In diesem Zusammenhang muß ich erwähnen, daß in dieser Beziehung mit Blick auf die Europäische Gemeinschaft immer noch ein Stück Risiko besteht. Aber auf Grund der zwischenzeitlichen Entwicklung - ich komme darauf noch zurück - wird man dieses Risiko eingehen können. Wir werden es tun.
Der dritte Block, auf dem wir unsere Luftreinhaltepolitik aufbauen, ist die internationale Abstimmung. Hierzu möchte ich zwei Teilbereiche herausarbeiten.
Im Laufe des Tages ist bereits einmal gesagt worden, der Kompromiß, den wir im November letzten Jahres in Brüssel geschlossen hätten, sei tatsächlich nur ein Hindernis für die Luftreinhaltepolitik bzw. für die Verminderung der Emissionen bei Kraftfahrzeugen gewesen.
Meine Damen und Herren, genau das Gegenteil ist der Fall gewesen. Denn europaweit sind wir dadurch vorangekommen, daß wir einen gemeinsamen Beschluß gefaßt haben. Dann erst konnte das Europäische Parlament dazu eine andere Stellungnahme abgeben. Erst danach wurde es möglich, daß uns die Kommission, wie wir hoffen, eine Bestätigung dieser Stellungnahme vorgeben wird, so daß wir wiederum einen Schritt vorankommen.
Ich wäre außerordentlich froh, wenn die Kommission alsbald für alle Autos die Werte mitträgt, die den geregelten Drei-Wege-Katalysator erforderlich machen. Daß wir nach den gegenwärtigen Informationen zum 1. Januar 1993 damit rechnen können, ist uns nicht genug. Aber wir können auf jeden Fall unser
nationales Ziel, nämlich den Termin 1. Oktober 1991, einhalten.
Frau Abgeordnete Hartenstein, Sie haben gesagt, der nationale Alleingang wäre notwendig gewesen. Lassen Sie mich bitte noch einmal unterstreichen: Die gesamte Luftreinhaltepolitik dieser Bundesregierung - ich muß sagen: auch die der Endphase der vorangegangenen Bundesregierung - war und ist ein einziger Alleingang im nationalen Rahmen.
({1})
Sie ist international harmonisierungsfähig, weder - ({2})
- Herr Abgeordneter Lennartz, es kommt immer darauf an, wen. Wer es nicht hören will, dem muß ich es nachrufen: Unsere Luftreinhaltepolitik ist ein Alleingang. Sie ist bis zur Stunde auf europäischer Ebene nicht harmonisierungsfähig. Das ist ein Faktum, das ist keine Erfindung.
({3})
Daran haben Sie am Anfang mitgewirkt. Das kann man Ihnen doch zumindest noch einmal bestätigen.
Meine Damen und Herren, wir wollen die europäische Regelung und werden weiter daran arbeiten. Wir haben durch viele persönliche Kontakte und durch viele Gespräche - auch unterstützt aus dem parlamentarischen Raum - die Chancen dafür verbessert.
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zum Diesel machen. Wir haben zu konstatieren: Die Einhaltung der Bestimmungen der Anlage 23, also der US-Grenzwerte für den Diesel, ist von der deutschen Automobilindustrie fixiert. Wenn wir hier gesagt haben, die Ausnahmeregelung bezüglich der Benutzervorteile für Diesel sollte überdacht werden, dann galt das, Frau Hartenstein, natürlich nur für Diesel, die die Werte von 0,6 Gramm in der Flotte und 0,8 Gramm im Einzelwert einhalten, nur für diese. Das heißt, da ist nicht zu fragen, wann, sondern das ist jetzt zu tun. Ich meine, wir sollten das aus der Diskussion herauslassen.
Ich unterstütze nachdrücklich, was Herr Abgeordneter Schmidbauer gesagt hat, da wir selbst an dieser Stelle weitergehen. Herr Abgeordneter Brauer, bei der Umweltministerkonferenz ist die Bundesregierung vertreten. Wenn sie einstimmig beschließt, sind wir sogar mit bei den einstimmig Beschließenden. Sie hat nämlich schon festgelegt, daß nicht ein Wert von 0,6 Gramm, sondern von 0,5 Gramm einzuhalten sein wird. Wir geben uns also mit dem, was jetzt erreicht wurde, noch nicht zufrieden.
Herr Abgeordneter Schmidbauer hat von den 90er Jahren gesprochen. Genau das ist unsere Position.
Zum Lkw, meine Damen und Herren: Es ist keine Frage, daß verkehrsverlagernde Maßnahmen an erster Stelle stehen müssen. Die Tatsache, daß wir eine Schwerverkehrsabgabe eingebaut haben, ist zumindest der Anfang dazu. Wir hoffen, daß auch unsere
europäischen Partner auf diesem Weg weiter mitgehen.
Das zweite ist die Frage: Wie können wir den Wagen selbst verbessern? Gegenwärtig - Sie wissen es - haben wir in der ersten Minderungsstufe einen Wert von 14,4 Gramm. Herr Abgeordneter Lennartz, die Frage nach den neuen Werten hat Ihnen der Abgeordnete Schmidbauer schon gestellt. Es handelt sich um 14,4 Gramm pro Kilowattstunde und nicht pro Kilometer je Stunde. Das nur zur Interpretation der Werte in Ihrer Presseerklärung; also ein Wert von 14,4 Gramm pro Kilowattstunde jetzt. Unser klares Ziel ist der Schweizer Wert von 9 Gramm pro Kilowattstunde als Testergebnis. Das gilt für die gasförmigen Stoffe. Wir gehen davon aus, daß auch dieser Wert von 9 Gramm dann verbessert werden kann, wenn wir über den Rußfilter eine entsprechende Entkoppelung im motorischen Bereich vornehmen können.
Zu den Rußpartikelwerten können wir Ihnen auch unsere Verhandlungsposition in der EG mitteilen. Wir gehen mit dem Wert von 0,35 Gramm pro Kilowattstunde in die Verhandlungen. Ich sage hier bewußt: in die Verhandlungen. Ich füge hinzu: Gerade beim Lkw muß es uns darum gehen, die europäische Lösung zu finden. Wer einmal auf der A 61 auszählt, wieviel deutsche Lkw und wieviel aus Holland und aus Belgien dort fahren, wird einsehen, daß eine Maßnahme, die nicht auf europäischer Ebene erfolgt, ein Stück an der Realität vorbeigeht.
Um es zusammenzufassen: In der zweiten Stufe wollen wir von 14,4 Gramm auf 9 Gramm bei den gasförmigen Stoffen kommen, und wir streben einen Zielwert von 0,35 Gramm pro Kilowattstunde bei den Partikeln an.
Den weltweit einmaligen Großversuch mit Rußfiltern wollen wir unterstützen, und wir tun es. Wir haben dafür 20 Millionen DM in die Hand genommen und fördern damit etwa 1 500 Busse und Lkw im innerstädtischen Verkehr, um den großen Versuch mit Rußfiltern durchzuführen. Ich bin sehr froh, daß dieser Versuch hervorragend angenommen wird, daß das Geld also abfließt und wir in klarer Form nachweisen können, daß diese Technik stimmt.
({4})
- Meine Damen und Herren, es ist immer erfreulich: In demselben Moment, da etwas positiv abgehakt werden könnte, gibt es einen hier zwar nicht zu hörenden, aber dennoch sehr auf die Wirkung hin ausgerichteten Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Lennartz. Ich freue mich, daß er auch an dieser Stelle durch den Zwischenruf bestätigt hat, daß es prima ist, daß wir mit dem Großversuch mit den Rußfiltern zeigen, daß es solche Techniken gibt, die wir dann auch einführen können.
({5})
Meine Damen und Herren, beim Benzol haben wir unser Ziel ebenfalls fixiert, und wir sind vorangekommen. Unser Ziel ist EG-weit 1 %. Wir haben jetzt einen Wert von 5 %. Wir haben real eine Belastung von Benzin durch Benzol von 1,6 bis 3,2 %, wie jeder, der sich damit beschäftigt, weiß. Wir haben durch die Umstellung von verbleitem Benzin auf unverbleites Benzin
keine Erhöhung der Benzolemissionen bekommen. Wir wollen auf diesem Weg weiterschreiten, bis hin zu einem Benzolgehalt von 1 %.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch deutlich sagen: Wir sind der Meinung, daß die Betankungsverluste und die sonstigen Verluste zurückgeführt werden müssen. Im Gegensatz zu denen, die angemeldet haben, daß sei abgehakt, ist zu sagen, daß die Frage der Gaspendelung beim Tanken überhaupt nicht abgehakt ist. Wir sind mit der Umweltministerkonferenz, die hier so häufig erwähnt wurde, der Meinung: Dies muß weiter verfolgt werden. Die Technik muß stimmen; darum geht es. Hier werden wir, bis hin zu einem breitem Symposion, klären, ob das im internationalen Zusammenhang mit Schweden und den USA zu erreichen ist. Aber wir halten es durchaus für richtig, auch im Benzolbereich weiter voranzukommen.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist eine in sich schlüssige Konzeption zur Luftreinhaltung im stationären Bereich fast umgesetzt und im mobilen Bereich durch die heutigen Entscheidungen vorangebracht. Ich glaube, daß ist eine gute Perspektive.
Recht herzlichen Dank.
({6})
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die Ihnen auf Drucksache 11/4402 vorliegt.
({0})
Der Ausschuß empfiehlt unter I, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/3598 anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter II weiter, den Antrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 11/2009 vorliegt, abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/4419: Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen.
Der Abgeordnete Brauer hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Die TempolimitDebatte - mit Anhörung, Großversuch usw. - war damals im Bereich der Umweltpolitik angesiedelt. Diesmal geht es wieder um ein Tempolimit, jetzt im Lkw-Bereich. Dieser Antrag ist dadurch entstanden, daß im Umweltbundesamt Berlin ausgiebige Untersuchungen über die Stickoxid- und RußpartikelemissioBrauer
nen aus dem Lkw-Bereich angestellt worden sind. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist dann in die Umweltministerkonferenz eingegangen und hat in der Umweltministerkonferenz dazu geführt, daß Forderungen erhoben worden sind, die sich ungefähr mit dem decken, was wir in dem Antrag formuliert haben.
Das heißt, die ganze Diskussion zur Temporeduzierung beim Lkw, um Emissionen einzuschränken, ist auf der Schiene der Umwelt gelaufen, nicht im Verkehrsressort. Darum beantragen wir, daß das auch so bleibt und daß der Antrag zur federführenden Beratung an den Umweltausschuß überwiesen wird.
({0})
Möchte jemand gegen diesen Geschäftsordnungsantrag sprechen? - Herr Abgeordneter Bohl, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor einiger Zeit schon einmal gesagt, daß es für uns in der Geschäftsführung ganz schwer ist, zu solchen Einlassungen fundiert Stellung zu nehmen, weil der Vortrag zumindest in sich nicht unschlüssig war. Aber wir haben im Ältestenrat nach Vorbesprechungen eine andere Empfehlung erarbeitet.
({0})
Ich sehe mich, ohne mit meinen Kollegen aus dem Verkehrsressort eine Konsultation gehabt zu haben, nicht imstande, dem zuzustimmen. Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen.
({1})
Wenn es den Kollegen gelingt, morgen unsere Verkehrspolitiker noch entsprechend zu konsultieren und zu anderen Ergebnissen zu kommen, sind wir selbstverständlich gern bereit, ganz unkonventionell auch nachträglich noch Überweisungen vorzunehmen. Im Moment müssen wir das aber ablehnen. Ich bedaure das sehr.
Dann lasse ich über diesen Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Brauer, der beantragt, daß der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4419 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen wird, abstimmen. Wer diesem Antrag des Abgeordneten Brauer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion ist dieser Antrag des Abgeordneten Brauer abgelehnt.
Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP und die Fraktion der SPD beantragen Überweisung zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich muß bei dieser Geschäftslage formell darüber abstimmen lassen.
Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 24 auf:
24. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes
- Drucksache 11/1942 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1})
- Drucksachen 11/4388, 11/4409 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schoppe ({2})
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4427 und 11/4448 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Das ist die maximale Debattenzeit; sie muß also nicht unbedingt ausgeschöpft werden. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sauer ({3}). - Ich bedauere es sehr, Herr Abgeordneter, aber das Präsidium hat sich einmal darauf verständigt, daß Reden nicht mehr zu Protokoll gegeben werden sollen. Ich möchte nicht ohne weiteres gegen- eine solche Vereinbarung im Präsidium verstoßen, wenngleich ich nicht verhehle, daß ich sehr, sehr viele Sympathien für eine solche Regelung gehabt hätte. Es bleibt Ihnen nicht erspart, das Wort zu ergreifen, aber es steht Ihnen frei, Ihre Rede deutlich zu verkürzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heutigen Tag der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetzes stellen wir die Wehrdienstverweigerung wieder auf ein solides Fundament. Das Gesetz war bisher zeitlich befristet. Nachdem es sich bewährt hat - das können wir mit Genugtuung feststellen - , wird es in der Zukunft unbefristet weiter gelten.
Wir wurden auch bei dem Hearing am 8. Dezember 1988 bestärkt, dieses Gesetz, welches so viel zum inneren Frieden beigetragen hat, nun endgültig festzuschreiben. Die große Mehrheit der Verbände, der betroffenen Organisationen, wie auch der Kirchen hat bei diesem Hearing das Gesetz im Grundsatz - bei aller Kritik im Detail; darauf komme ich später noch zu sprechen - begrüßt. Dieses Gesetz hat die Erwartungen voll erfüllt.
Dieses Gesetz hat grundlegende Verbesserungen gebracht. So ist für ungediente Wehrpflichtige das umstrittene mündliche Prüfungsverfahren abge10418
Sauer ({0})
schafft worden. Hier waren bekannterweise die Hauptschüler gegenüber den Abiturienten in der Regel benachteiligt.
Zum zweiten wird jeder, der sich auf Gewissensgründe beruft, praktisch ohne jeden Verzug nun anerkannt. Dieses Verfahren dauert im Schnitt jetzt einen Monat. Vorbei - das muß man der SPD sagen, weil sie das vergessen hat - ist die Zeit der SPD-Hinterlassenschaft, wo wir einen Antragsstau von über 100 000 Antragstellern hatten und wo für Tausende von Jugendlichen eine lange Zeit der Ungewißtheit für ihre weitere Lebens- und Berufsplanung zu beklagen war. Dies war Ihre Politik, Herr Kollege Gilges.
Wir haben diesen schlimmen Zustand gerade auch mit der Schaffung neuer Zivildienstplätze geändert. Es stehen derzeit über 100 000 Zivildienstplätze zur Verfügung. Hier sollte man auch den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege danken, die diese Plätze möglich gemacht haben.
Lassen Sie mich zum Bundesverfassungsgericht kommen: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. April 1985 dem Neuordnungsgesetz ganz klar die Verfassungskonformität bescheinigt. Die verfassungsrechtliche Bestätigung wurde hier ganz klar dargelegt und ausgesprochen.
Dies gilt auch für die Dauer des Zivildienstes als Indiz für das Vorliegen einer wirklichen Gewissensentscheidung. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die Opposition wie auch ihre zum Teil sehr zweifelhaften Helfershelfer dies nun endlich einmal zur Kenntnis nehmen würden.
Mit der heutigen Verabschiedung werden wir auch drei Bereiche regeln, die einer notwendigen Klärung unterzogen werden müssen. Zum ersten werden wir der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1988 Rechnung tragen und bei Wehrdienstverweigerern, die schon den gesamten Wehrdienst abgeleistet haben, eine Verkürzung der Restdienstzeit bei der gegenwärtigen Dienstzeit von fünf Monaten auf nun drei Monate und zehn Tage vorsehen.
Zum zweiten werden wir eine gesetzliche Regelung des Einweisungsdienstes für Zivildienstleistende einführen. Wir wollen damit die bisher schon übliche Unterweisung am Arbeitsplatz noch verstärken, ihr noch eine größere Bedeutung beimessen. Für den wichtigsten Einsatzbereich der Pflege und der Betreuung ist eine Mindestdauer von vier Wochen vorgeschrieben. Hiermit soll jeder Zivildienstleistende fachlich in seinen Dienst und seine Tätigkeit durch geeignete Lehrgänge eingeführt werden. Dies war ja auch ein Kritikpunkt bei dem Hearing. Die Zivildienstleistenden werden gerade bei den pflegerischen Diensten sehr beansprucht. Sie sind sehr belastet, und zwar nicht nur fachlich, sondern auch psychisch. Es ist deshalb notwendig, eine gute Vorbereitung sicherzustellen. Ich glaube, diese Vorbereitung darf nicht wegen ungenügender oder fehlender finanzieller Mittel eingeschränkt werden. Wir bitten daher die Bundesregierung, für das Jahr 1990 in diesem Bereich weitere zusätzliche Mittel vorzusehen.
Drittens. Eine weitere Neuregelung betrifft den Datenschutz. In Zukunft werden die Unterlagen über die
Gewissensentscheidung der Verweigerer spätestens sechs Wochen nach Ableistung des Zivildienstes vernichtet.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dieser skandalösen Kampagne verschiedener Gewerkschaften zur Wehrdienstverweigerung sagen: Der Aufruf der IG Medien, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sowie der IG-Metall-Jugend zur massenhaften hundertausendfachen Wehrdienstverweigerung stellt die Gewerkschaften jenseits des Grundkonsenses der Demokraten. Ich glaube, das sollten auch Sie von der Opposition zur Kenntnis nehmen.
({1})
- Das ist kein Quatsch, Frau Schilling. - Die Verfasser dieser Kampagne können nicht für sich in Anspruch nehmen, für die Wehrdienstverweigerer zu sprechen. Hier wird vielmehr die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik attackiert.
Im Grundgesetz ist die allgemeine Wehrpflicht und das eindeutige Ja zur Landesverteidigung klar postuliert. Wer dies in Frage stellt, stellt die Verfassung in Frage. Das Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung ist ein Recht, das die persönliche Gewissensentscheidung vorsieht. Es geht von der Gewissensnot aus; den Wehrdienstverweigerern, die aus Gewissensgründen verweigern, haben die Autoren dieses Aufrufs einen Bärendienst erwiesen. Es werden hiermit die Motive der Wehrdienstverweigerer, die aus Gewissensgründen von ihrem Recht nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes Gebrauch machen, in Mißkredit gezogen. Wer die Wehrdienstverweigerung als politisches Kampfmittel nutzen will, mißbraucht die Verfassung.
Wir fordern von den betroffenen Einzelgewerkschaften, sich wieder zur Bundeswehr zu bekennen, so wie das der Deutsche Gewerkschaftsbund zuletzt im Jahre 1981 getan hat, und der Wehrdienstverweigerung als politisches Kampfmittel eine klare Absage zu erteilen. Die in der letzten Woche erfolgte Stellungnahme des DGB-Vorsitzenden Breit reicht nicht aus. Sie war äußerst lahm gehalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, bei aller Würdigung der Arbeit der Zivildienstleistenden noch einmal darauf hinzuweisen: Dieses Gesetz eröffnet keine Wahlfreiheit bezüglich Ableistung des Wehrdienstes oder des Zivildienstes. Weiterhin gilt: Der Wehrdienst ist der Regelfall, und die Ableistung des Zivildienstes kann nur von demjenigen in Anspruch genommen werden, der wirkliche Gewissensgründe für die Verweigerung hat.
({2})
Die Sicherung der freiheitlichen Staatsordnung in der Bundesrepublik ist die Grundlage für die Wahrnehmung des Rechts auf Wehrdienstverweigerung. Die Bundeswehr dient seit 33 Jahren dem Frieden. Ich habe an dieser Stelle an die Zivildienstleistenden Dank abzustatten
({3})
Sauer ({4})
- hören Sie genau zu -, die mit ihrem Sozialengagement in vielen Einrichtungen Tag für Tag ihren zum Teil schweren Dienst leisten. Ich habe aber auch im gleichen Atemzug den Soldaten zu danken, die in der Bundeswehr ihren Dienst tun und damit die Sicherheit in der Bundesrepublik gewährleisten und gleichzeitig auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung ermöglichen. Das sollten die Wehrdienstverweigerer und ihre Organisationen nie vergessen. Sie sollten auch nicht vergessen: Wehrdienst ist und bleibt Friedensdienst. Daher hat niemand das Recht, die Wehrdienstverweigerung als den einzig zulässigen Dienst am Frieden zu bezeichnen. Wir weisen diesen moralischen Hochmut auf das entschiedenste zurück.
Wir bitten Sie, unserem bewährten Gesetz zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz hat sich nicht bewährt. Darüber kann man überhaupt nicht streiten. Ich werde das gleich begründen.
Ich will anfangen mit dem, was Herr Geißler am 16. Dezember 1982 bei der Verabschiedung dieses Gesetzes gesagt hat. Er ist damals davon ausgegangen - und auch die CDU/CSU-Fraktion -, daß dieses Gesetz zur Befriedigung der Kriegsdienstverweigerer und der jungen Bürger dieses Landes beiträgt. Diese Befriedigung ist nicht erreicht worden. Im Gegenteil: Wir haben zu verzeichnen, daß es bis heute über drei wesentliche Punkte Streit gibt, und zwar nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch zwischen den Kriegsdienstverweigerungsverbänden, den jungen Menschen und der Regierungskoalition.
Bei diesem Streit geht es erstens um die Frage des Anerkennungsverfahrens. Nach wie vor gibt es für 15 bis 20 % junger Menschen eine Gewissensprüfung.
({0})
Zweitens geht es um die Dauer des Zivildienstes. Auch sie ist streitig. Sie haben im Gesetz einmal 20 Monate, einmal 24 Monate festgelegt. Ich werde darauf noch eingehen. Drittens ist die Frage der Ausgestaltung des Zivildienstes streitig.
1982 haben wir gehofft, daß Sie endlich anerkennen, daß es ein Recht nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes gibt. Das ist kein Ausnahmerecht - wie Sie auch heute wieder formuliert haben, Herr Sauer -, sondern ein Recht, das unbegrenzt ist. Es ist sogar ein Recht, das vor der Wehrpflicht im Grundgesetz verankert war. Das haben schon die Väter des Grundgesetzes auf Grund einer historischen Erfahrung in die Verfassung geschrieben, nämlich auf Grund der Erfahrung der Jahre von 1933 bis 1945, als Kriegsdienstverweigerer unabhängig davon in den KZs gelandet sind, aus welchen Motiven sie den Kriegsdienst verweigert haben. Das ist ein Grundrecht und kein Ausnahmerecht. Nehmen Sie von den Regierungsparteien endlich einmal dieses Grundrecht zur Kenntnis, das in einem der ersten zwölf Artikel verankert ist.
Aber Sie finden sich damit nicht ab. Es ist für Sie, wie wir immer wieder feststellen, nach wie vor ein Sonderrecht. Daraus resultiert auch, daß Sie seit 1982 mit Verschärfungen des Zivildienstes reagieren, daß Sie die jungen Menschen schikanieren und bei der Durchführung des Zivildienstes mit einer Bösartigkeit vorgehen, die wirklich allem Hohn spricht.
Sie sollten denjenigen jungen Menschen danken, die bei Schwerstbehinderten, bei älteren Menschen ihre Arbeit leisten.
({1})
Unser System der Betreuung älterer Menschen, die dankbar sind, daß es Zivildienstleistende gibt, würde nicht mehr funktionieren, wenn es den Zivildienst nicht gäbe,
({2})
wenn es nicht die jungen Menschen gäbe, die in der Psychiatrie, bei Schwerstbehinderten und älteren Menschen zu Haus ihren Dienst leisten würden. Das System würde nicht mehr funktionieren, wenn es das nicht gäbe.
Aber Ihr Dank ist immer nur ein scheinheiliger Dank.
({3})
- Ich unterstelle das. Er ist nicht ehrlich gemeint. Ich sage das so.
Des weiteren haben Sie seit 1982 die Durchführung des Zivildienstes zunehmend mit Bürokratismus überzogen. Ich denke nur an den Abbau der Zivildienststellen im Verwaltungsbereich. Sie haben zunehmend bürokratische Mätzchen eingeführt, um die Möglichkeit der Beschäftigung von jungen Menschen einzuschränken. Ich erinnere z. B. an die Kostenübernahme im mobilen Dienst. Heute haben die Wohlfahrtsverbände, wie sie berichten - wir werden auf die Frage noch zurückkommen - , Forderungen an die Bundesregierung, die, wenn ich richtig informiert bin, in die Hunderte von Millionen DM gehen.
Ich will etwas zur Rolle der FDP sagen. Das ist mir sehr wichtig, weil Herr Eimer ja das Wort ergreifen wird. Herr Eimer hat 1982 in seiner Rede einen Kernsatz gesagt: Wir Liberalen hätten mit einer Postkartenlösung sehr wohl leben können. - Das war der Kernsatz der Rede von Herrn Eimer von 1982 bei der zweiten und dritten Lesung und der Verabschiedung dieses Gesetzes. 1987, vor der Wahl, hat Herr Eimer dann gesagt - und Herr Bangemann und Frau AdamSchwaetzer usw. haben das auch noch erklärt -, diese Drittel-Automatik passe der FDP eigentlich nicht, und sie sei auch der Meinung, daß 19 Monate
- es ging in der FDP immer hin und her, von 19 bis 22 Monate - als Zivildienstzeit eigentlich ausreichten.
Die FDP und die Liberalen sind so verkommen
- entschuldigen Sie, Herr Eimer, daß ich das so sagen
muß - , daß Sie heute damit einverstanden sind, daß es eine Drittel-Automatik gibt, und zwar eine Dienstzeit von 24 Monaten.
({4})
- Ich habe hier keine geschriebene Rede. Sie können sehen: Es sind Stichworte. Das erst einmal dazu.
({5})
Sie stimmen heute einer Drittel-Automatik zu, die bedeutet, daß 24 Monate Zivildienstzeit möglich sind, Herr Eimer. Ich sage Ihnen nur: Das ist der Weg der FDP. Das wirkt auf junge Menschen nicht überzeugend.
({6})
Ich muß Ihnen sagen: Ich bin von Ihnen sehr enttäuscht.
Ich sage noch etwas zu der Frage, die auch von Ihnen noch einmal aufgegriffen wurde. Ich habe die Pressemitteilung zur Frage des Aufrufs zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung gelesen. Der Herr Pfeifer wird das ja nachher aufgreifen. Schlicht und einfach: Weder der Herr Pfeifer noch Sie, Herr Sauer, haben diesen berühmten sogenannten Aufruf gelesen. Zum einen ist es eine Presseerklärung, und zum anderen steht das objektiv nicht darin. Das ist am vergangenen Freitag in der Aktuellen Stunde bestritten worden. Aber Sie nehmen es schlicht und einfach nicht zur Kenntnis, weil es nicht in Ihre Agitation passen würde, wenn Sie es zur Kenntnis nähmen. Es ist kein Aufruf, sondern es wird festgestellt, daß die Kriegsdienstverweigerung auch ein politisches Instrument ist. Wenn die Mehrheit der bundesrepublikanischen Jugend den Kriegsdienst verweigert, taucht natürlich die Frage für den Staat auf, wieweit er dann noch davon ausgehen kann - das hat sinngemäß auch Geißler 1982 gesagt -, daß eine Identität der Interessen von jungen Menschen mit den Staatsinteressen vorhanden ist.
({7})
- Ich sage Ihnen dazu: Ich teile die Meinung meines Kollegen Koschnick, die er in der Aktuellen Stunde geäußert hat. Was ich für schlimm halte, ist, wie er es formuliert, dies: Wer die Beliebigkeit von Verfügung über die junge Generation so aufbaut, wie die CDU/ CSU und die FDP es machen, muß sich nicht wundern, wenn junge Menschen dagegen aufbegehren. Das ist der entscheidende Punkt. Sie haben durch die Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate und die Zurücknahme und die daran gekoppelte Zivildienstzeit die Lebensperspektive und die Lebenschance junger Menschen in die Beliebigkeit Ihrer Politik gestellt.
({8})
Das zeigt überhaupt keinen Respekt vor der Lebensplanung junger Menschen. Diese haben recht, wenn sie dagegen aufbegehren.
({9})
Ich betone für uns Sozialdemokraten noch einmal: Wir nehmen den Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes ernst. Genauso ernst nehmen wir die in der Verfassung festgeschriebene Verpflichtung zur Landesverteidigung. Wir wissen, daß das eine ein Individualrecht ist und daß das andere eine gesellschaftliche Verantwortung ist. Das kann nicht gegeneinandergesetzt werden, sondern beide Rechte müssen, miteinander konkurrierend, bestehenbleiben. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, sie gegeneinanderzusetzen, wie Sie es immer wieder in allen Debatten versuchen und auch heute nachmittag wieder versucht haben.
Wir bleiben bei den Forderungen: erstens, daß alle Gewissensprüfung abgeschafft wird; zweitens, daß die Dauer des Zivildienstes auf höchstens 18 Monate begrenzt wird; drittens, daß es keine Automatik gibt; viertens, daß es eine humane Ausgestaltung des Zivildienstes gibt; fünftens, daß die Einführungslehrgänge endlich vom Bundesministerium möglich gemacht und auch finanziert werden; sechstens, daß es eine begleitende Betreuung gibt - das ist gerade für jene Zivildienstleistenden notwendig, die für Schwerstbehinderte und in der Psychiatrie tätig sind -; siebtens, daß die Möglichkeit zu weiterer Qualifizierung, auch im beruflichen Bereich, während der Zivildienstzeit besteht; achtens, daß es einen sicheren Datenschutz geben muß; neuntens, daß es keinen zusätzlichen Zivildienst für diejenigen gibt, die nach ihrer Wehrdienstzeit oder während ihrer Reservistenzeit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wahrnehmen
({10})
- ich lege ja nur unsere Positionen dar -; zehntens, daß der Bundesbeauftragte, wie wir es auch in der Entschließung dargelegt haben, jährlich einen Bericht, ähnlich dem Bericht des Wehrbeauftragten, vorlegt, in dem auch Einzelfälle aus dem Bereich des Zivildienstes dargestellt werden.
Ich sage abschließend für meine Fraktion: Die CDU/ CSU, die Regierung und die FDP haben eine Chance verpaßt, gemeinsam mit uns ein Gesetz zu verabschieden, das den Zivildienstleistenden und den Kriegsdienstverweigerern dient. Ich glaube, es hätte dem Bundestag nach all diesen Jahren gut angestanden, wenn wir endlich zu einem Konsens gekommen wären. Sie haben diesen Konsens verhindert.
({11})
Herr Abgeordneter, ich möchte mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, daß Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft haben. Wir müssen auch daran denken, daß die Stenographen und das ganze Haus seit heute morgen in vollem Einsatz sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Argumente für oder gegen das vorliegende Gesetz sind hier schon oft durchgekaut worden. Ich will die Position der FDP deswegen nur in Stichworten zusammenfassen.
Herr Gilges, das Gesetz entspricht nicht optimalen liberalen Vorstellungen - ich kann das noch einmal bestätigen - , vor allem nicht die sogenannte DrittelEimer ({0})
lösung. Aber wir wissen, daß wir Kompromisse eingehen müssen, und dies ist ein vernünftiger Kompromiß.
Nicht die FDP, sondern Ihr Argumentationsstil, Herr Gilges, ist verkommen.
({1}) Ich halte ihn für fies.
Der erste Versuch, zusammen mit der SPD zu einem vernünftigen Gesetz zu kommen, scheiterte am Verfassungsgericht. Ein zweiter Versuch in der sozialliberalen Koalition scheiterte an den Verweigerern innerhalb der SPD. Erst in dieser Koalition ist es sehr schnell gelungen, ein Gesetz zu schaffen.
„Meine Freunde und ich wären bereit, selbst einer Verlängerung des Dienstes auf 20 Monate zuzustimmen, wenn die Gewissensüberprüfung in Wegfall käme." - Das ist geschehen. 20 Monate entsprechen genau der Drittellösung. Herr Gilges, hören Sie genau zu: Sie entsprechen genau der Drittellösung.
Weiter Herr Egon Lutz ({0}) in der gleichen Sitzung:
Wir haben den Bundesjustizminister gefragt, wie lange denn der Karlsruher Entscheidung zufolge der Zivildienst sein müsse. Der Justizminister hat geantwortet, seiner Meinung nach müsse eine zwei an der ersten Stelle stehen, mit anderen Worten: wenn der Gesetzgeber den Zivildienst auf 20, 22 oder 24 Monate festsetzte, wenn der Dienst so als lästige Alternative erschiene, dann könnte mit dem unwürdigen Theater vor den Prüfungsausschüssen Schluß gemacht werden.
Wir haben das gemacht, und wir haben uns nicht für eine Verlängerung auf 24 Monate entschieden. 24 Monate sind weit mehr als nach der Drittellösung. Der genannte Justizminister war ein gewisser Hans-Joachim Vogel. Das ist die Verkommenheit der SPD.
({1})
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz wurde auf Wunsch der FDP zeitlich befristet, damit der Bundestag gezwungen ist, sich mit ihm noch einmal auseinanderzusetzen und die Bewährung in der Praxis abzuwarten. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf sah ursprünglich nur den Wegfall dieser zeitlichen Befristung vor. Wenn der Bundestag nicht handeln würde, so würden Zustände eintreten - Rechtsunsicherheit, mündliche Gewissenserforschung -, die wir alle hier im Hause nicht wollen.
Andererseits stimmen wir der Bundesregierung auch darin zu, daß sich das Gesetz im großen und ganzen bewährt hat. Wir haben in den Ausschußberatungen eine Reihe von Veränderungen eingebracht, die das Gesetz aus liberaler Sicht wesentlich verbessern. Es sind dies im einzelnen:
Erstens. Der Datenschutz wird verbessert. Die Akten der Anerkennungsverfahren werden spätestens
nach sechs Monaten nach Ableistung des Zivildienstes bzw. nach Vollendung des 32. Lebensjahres vernichtet. Für Altakten ist eine Übergangsfrist von drei Jahren vorgesehen, damit eine ordnungsgemäße Vernichtung stattfinden kann.
({2})
Dies ist aus liberaler Sicht eine dringend notwendige Verbesserung des Datenschutzes.
Zweitens. Für Kriegsdienstverweigerer, die den vollen Grundwehrdienst abgeleistet haben, verkürzt sich die Dauer des Zivildienstes um ein Drittel. Auch dies ist ein Stück mehr Gerechtigkeit. Die bisherige Regelung war auch für mich nicht voll befriedigend. Das Verfassungsgericht hat uns dazu den notwendigen Anstoß gegeben.
Drittens. In § 25b wird festgeschrieben, daß Dienstleistende zu Beginn in Kursen in ihre Tätigkeit eingewiesen werden. Dieser Einweisungsdienst dauert bei pflegenden und betreuenden Diensten in der Regel mindestens vier Wochen. Auch dies bringt unserer Überzeugung nach eine Verbesserung, und zwar nicht nur für die Zivildienstleistenden für ihren schweren Dienst, sondern auch für diejenigen, die von ihnen gepflegt und betreut werden.
Die FDP-Fraktion wird deshalb, auch auf Grund der vorgenommenen Verbesserungen, dem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.
Durch das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung reformiert worden. Ein Grundrecht, das noch nicht einmal zum Durchbruch gekommen ist, wird reformiert, d. h. noch weitere Einschränkungen sind darunter zu verstehen. Die Abschaffung des mündlichen Prüfungsverfahrens hat zu einem Zweiklassenanerkennungsverfahren geführt. Nach wie vor wird eine Gewissensentscheidung geprüft; das ist weder möglich noch verfassungsrechtlich erlaubt. Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich die Gewissensprüfung für alle Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen.
({0})
In seiner Doktorarbeit von 1960 sagt Heiner Geißler dazu - ich zitiere -:
... muß die Gemeinschaft auf die Verteidigung verzichten, wenn sie dieser Schutzpflicht nur dadurch nachkommen kann, daß sie selbst das zu schützende Gut angreift und verletzt. Sie würde sich dadurch zu dem Unrechtsstaat machen, gegen den sie sich verteidigen will.
Das hat Heiner Geißler 1960 gemeint.
Zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes führt Heiner Geißler 1960 weiter aus - ich zitiere Da Art. 4 Abs. 3 kein Ausnahmerecht ist, bedeutet
die allgemeine Wehrpflicht für den Staatsbürger
nicht ..., daß sie für diesen zunächst einmal verbindlich ist und erst auf Antrag dann anschließend die Suspension von dieser Pflicht erfolgen kann. Die dauernde Wirkung des Art. 4 Abs. 3 bewirkt, daß sich die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung unmittelbar ... ergibt und nicht von einem Antrag der Entscheidung einer Behörde abhängig ist.
Soweit das Zitat von Heiner Geißler.
Die Zivildienstzeit wurde gegenüber dem Grundwehrdienst verlängert, was grundgesetzwidrig ist; denn in Art. 12 a Abs. 2 heißt es:
Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen.
Im Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz - das soll jetzt nicht nur bis 1990 gelten, sondern unbefristet - , wird aber festgeschrieben, daß der Zivildienst um ein Drittel länger ist als der Wehrdienst. Wir fordern, Grundwehrdienst und Zivildienst auf jeweils 12 Monate zu verkürzen. Ein Grundrecht muß aber grundsätzlich für alle und immer gelten, sonst ist es kein Grundrecht.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigung hat ja seine Geschichte: die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Deshalb ist es um so schlimmer, wenn gerade solche Erfahrungen als eine der wenigen Lehren aus dem Faschismus ignoriert werden. Die Degradierung eines Grundrechts zum Ausnahmerecht war und ist Verfassungsbruch. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung wird von der Bundesregierung zu einer Pflicht auf waffenlosen Kriegsdienst degradiert. Kriegsdienstverweigerer sind für die Zivilverteidigung eingeplant und sollen im Kriegsfall z. B. im Gesundheitsbereich oder in der Rüstungsproduktion bis hin zum „Blindgängerentschärfen" - so Heiner Geißler - die Freisetzung von Soldaten ermöglichen. Wir wollen und fordern zusammen mit der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden daher: keine Verplanung von Kriegsdienstverweigerern für Kriegszwecke. Wir wollen eine selbstbestimmte Friedensarbeit statt eines militarisierten Zivildienstes. Die Ausgestaltung des Zivildienstes zu einem wirklichen Friedensdienst wird aber so lange nicht realisierbar sein, wie der Zivildienst nur eine Ableistung der Wehrpflicht ohne eigene friedenspolitische und friedenspädagogische Zielsetzung darstellt.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch klarmachen, daß dazu ein Zivildienstbeauftragter des Deutschen Bundestages analog dem Amt und der Rechtsstellung des Wehrbeauftragten gehört.
({1})
Der Bundesbeauftragte für Zivildienst, weisungsabhängig vom Ministerium, vertritt nicht die Interessen der Zivildienstleistenden.
Weiter fordern wir: Die gesetzlich geforderte Arbeitsmarktneutralität aller Zivildiensttätigkeiten muß konsequent durchgeführt werden, damit eine schleichende Unterhöhlung des offiziellen Arbeitsmarktes ausgeschlossen wird. Das soziale Engagement von Kriegsdienstverweigerern wird dazu benutzt, Arbeitsplätze zu vernichten. Viele Dienststellen beschäftigen nur noch einige wenige qualifizierte
Kräfte und setzen ansonsten die billigen Zivildienstleistenden ein, die weder minimale Rechte noch die soziale Absicherung der sogenannten normalen Arbeitsplatzverhältnisse haben.
({2})
Selbst der Direktor des Bundesamtes für den Zivildienst, Krep, gibt zu - ich zitiere - : Wenn man die
- vorgeschriebene - Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes genau nehmen würde, müßte man den Zivildienst abschaffen. Daher fordern wir zusammen mit der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden: keine Zwangsdienste als Sockel für die Wohlstandsgesellschaft. Die ökonomische Funktion dieses Zwangsdienstes ist klar: Billige Arbeitskräfte vor allem im sozialen Bereich setzen Gelder z. B. für den Jäger 90 und für jede Menge Massenvernichtungswaffen frei.
({3})
Von daher muß die Gewissensentscheidung der Totalverweigerer endlich anerkannt werden. Politische Lösungen statt Doppelbestrafung sind gefragt. Kriegsdienstverweigerer sind nicht mehr bereit, die Verhöhnung ihrer Verweigerung hinzunehmen, das Grundrecht noch weiter aushöhlen zu lassen.
({4})
- Ich bin auch Kriegsdienstverweigerin, ja. ({5})
- Ich möchte wissen, was es da zu lachen gibt. ({6})
Dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung muß nach 40 Jahren endlich einmal zum Durchbruch verholfen werden. Mit den verschiedenen Kriegsdienstverweigererorganisationen rufen wir deshalb zu einem Aktionstag am 1. Juni auf.
({7})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Herr Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, wie Herr Kollege Sauer gesagt hat: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir den Weg fort, den wir 1984 mit Inkrafttreten der Reform des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes begonnen haben. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre, die Praxis der Gesetzesanwendung, der intensive Meinungsaustausch unter den Beteiligten, die höchstrichterliche Rechtsprechung und die Beschlußfassung des Bundesverfassungsgerichts haben eindeutig ergeben, daß es eine vernünftige Alternative zu dem 1984 beschlossenen Gesetz nicht gibt; sie wird hier heute ja auch von niemandem konkret vorgelegt. Deshalb wollen wir dem 1984 beschlossenen Gesetz als unbefristetem Gesetz für die Zukunft Geltung verschaffen.
Das Bundesverfassungsgericht, um auch das nochmals zu wiederholen, hat dieses Gesetz 1985 bestätigt. Dabei hat es festgestellt, daß sich das neue Recht in dem Rahmen hält, den die Verfassung für die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung und dem individuellen Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gesetzt hat.
Meine Damen und Herren, das Gesetz sichert dem Antragsteller ein faires Verfahren und schützt dieses Individualrecht zugleich vor mißbräuchlicher Inanspruchnahme. Deswegen möchte ich die Verabschiedung dieses Gesetzes auch zum Anlaß nehmen, wie Herr Kollege Sauer das getan hat, etwas Grundsätzliches zum Recht auf Verweigerung des Dienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen zu sagen.
Meine Damen und Herren, das in unserer Verfassung verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist in der Tat ein Grundrecht, das die hohe Achtung manifestiert, die unser Grundgesetz der persönlichen Gewissensentscheidung eines Menschen in einer fundamentalen Frage entgegenbringt. Wer dieses Recht zu einem politischen Kampfinstrument verkommen läßt, bringt damit nicht nur Mißachtung gegenüber unserer Verfassung, sondern genauso Mißachtung gegenüber einer in der Verfassung geschützten Gewissensentscheidung zum Ausdruck.
({0})
Jeder Aufruf, Herr Kollege Gilges, zu „massenhafter Kriegsdienstverweigerung" - und so stand es in der Presse ({1})
ist einmal ein Affront gegen alle diejenigen, die sich aus klaren Gewissensgründen für ihren Dienst bei der Bundeswehr entschieden haben, und er wird zum zweiten auch den Zivildienstleistenden nicht gerecht, die sich aus ganz persönlichen Gewissensgründen gegen den Dienst mit der Waffe entschieden haben.
({2})
Der Gedanke des Zivildienstes muß zwangsläufig Schaden nehmen, wenn er für Zwecke instrumentalisiert wird, die sich im Verfassungsabseits bewegen. Ich kann deswegen nur unterstützen, was Herr Kollege Sauer gesagt hat: Es wäre höchste Zeit, daß hier alle wieder zu dem demokratischen Grundkonsens zurückkehren.
Nun noch einige Bemerkungen zu dem Gesetz selber: Kernstück des geltenden Reformgesetzes ist die Abschaffung der mündlichen Gewissensprüfung für alle ungedienten Wehrpflichtigen. Herr Gilges, es ist doch nicht zu bestreiten - das ist auch im Hearing immer wieder gesagt worden -, daß durch dieses Gesetz eine befriedende Wirkung in diesem Bereich entstanden ist. Das schriftliche Verfahren vor dem Bundesamt für den Zivildienst hat sich in jeder Hinsicht bewährt.
Und das zweite: Den weiteren Markstein dieser Reform sehe ich darin, daß der Ausbau des Zivildienstes in einer Weise gelungen ist, die sicherstellt, daß alle
Kriegsdienstverweigerer nach ihrer Anerkennung auch tatsächlich unverzüglich zur Ableistung ihres Dienstes einberufen werden können.
Der größte Teil der neu anerkannten Plätze gehört zu den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände. An die Verbände der freien Wohlfahrtspflege möchte ich hier ganz bewußt ein Wort des Dankes richten, weil sie zum Gelingen der Reform in erheblichem Maße beigetragen haben. Herr Kollege Gilges, Sie sollten nicht in Zweifel ziehen, daß wir diesen Dank ernst meinen. Er kommt auch darin zum Ausdruck, daß der gegenwärtige Bundeskanzler wohl der erste Bundeskanzler gewesen ist, der eine Einrichtung des Zivildienstes offiziell besucht und den Zivildienstleistenden namens der Regierung gedankt hat.
({3})
Ich finde, das sollten Sie anerkennen und nicht in Zweifel ziehen.
Bei der Anerkennung neuer Zivildienstplätze steht für uns auch weiterhin der Bereich der unmittelbaren Hilfe für ältere, kranke und behinderte Mitbürger im Vordergrund. Deswegen ist es eine kluge und gute Entscheidung, daß der Ausschuß im Zuge der Gesetzesberatungen den praktischen Einweisungsdienst vor Ort, in den Beschäftigungsstellen als zusätzliche Maßnahme geschaffen hat.
({4})
Wir versprechen uns davon im Interesse der Menschen, denen dieser Dienst gilt, in der Tat wesentliche Verbesserungen.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, wir sind mit diesem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg.
({5})
Ich darf Sie bitten, diesem Gesetz zuzustimmen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Da eine Reihe von Kollegen in dieser Runde von dem hohen Wert der kürzeren Rede Gebrauch gemacht haben, wollte ich Ihnen ein ausgesprochenes Dankeschön sagen und Nachahmung empfehlen.
({0})
Denn wir haben noch eine Runde vor uns.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetzes. Ich rufe die Art. 1, 1 a, 1 b und 2, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
Vizepräsident Westphal
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Dann ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Einer der Kollegen von der rechten Seite der Annehmenden hat beim Aufstehen kräftig gestöhnt. Aber das hat wohl andere Gründe gehabt.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4427 ab. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/4448. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Forderungen zur Situation der Polizeien in Bund und Ländern
- Drucksachen 11/2243, 11/4056 Berichterstatter:
Abgeordnete Clemens Graf
Frau Dr. Vollmer
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4426 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen.
({2})
Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalisch.
({3})
- Augenblick, ich habe das von mir aus nicht geprüft. Ich bitte das eben zu klären. Hier wird von den Sozialdemokraten gesagt, es sei ihr Antrag. - Es ist so. Ich bitte um Entschuldigung.
({4})
Ich habe nicht darauf geachtet. Dann hätte der Abgeordnete Graf zuerst das Wort. - Herr Kalisch, Sie verzeihen mir. Sie kommen als nächster dran.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es besteht Einigkeit in diesem Hause, daß in den letzten Jahren das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit einerseits und nach
Freiheit von staatlicher Bevormundung und Einschränkung andererseits zugenommen hat. Beiden Faktoren muß die Politik in einer demokratischen Ordnung gerecht werden. Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit hat die Aufgabe, Sicherheit zu gestalten. Das hat damit zu tun, in welcher Art und Weise, wie und mit welchen Mitteln gesellschaftliche Konflikte ausgetragen und gelöst werden. Gesellschaftliche Konflikte hat es in der Vergangenheit immer gegeben. So wird es sicher auch in der Zukunft sein. Diese Tatsache aber verpflichtet uns, daß wir nichts unversucht lassen, um Konfliktursachen zu beseitigen oder aber die Mittel der friedlichen Konfliktlösung zu erhöhen.
Die Zerstörung der Umwelt, Arbeitslosigkeit, fehlende Zukunftschancen Jugendlicher, soziale Not, Unterdrückung und Ungerechtigkeit werden auch künftig zu Konflikten führen, die wir vorrangig aber nicht polizeilich, sondern gesellschaftspolitisch beantworten müssen.
({0})
Kolleginnen und Kollegen, wer das nicht erkennt oder erkennen will, wird auch künftig die Polizei überfordern.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben gerade am letzten Freitag mit Ausnahme einiger Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion einmal mehr deutlich gemacht, daß Sie dem Irrglauben unterliegen, mögliche Sicherheitsdefizite durch neue Gesetze lösen zu können.
({1})
Ich sage noch einmal sehr deutlich für die SPD-Fraktion, daß wir einen Bedarf an neuen Gesetzen nicht haben. Uns erscheint es wesentlich wichtiger und effektiver, die polizeiliche Praxis zu überprüfen und zu untersuchen, wie die vorhandenen Möglichkeiten und Kapazitäten genutzt und verbessert werden können.
({2})
Es ist richtig, daß man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann.
({3})
Genauso richtig ist meiner Auffassung nach die Feststellung, daß Polizeibeamte eine im höchsten Maße verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben. Diese verantwortungsvolle Tätigkeit läßt sich durchaus mit der Tätigkeit anderer Berufsgruppen - beispielsweise Ärzte, Rechtsanwälte und nicht zuletzt Politiker - vergleichen. Von der Aufmerksamkeit der Polizei, von der Richtigkeit ihrer Entscheidungen und ihres Handelns hängt nicht selten das Leben von Menschen ab. In der Bewertung des Polizeidienstes und in der Bezahlung drückt sich diese Verantwortung allerdings bis zum heutigen Tage nicht aus.
({4})
Aber nicht nur eine gerechte Bewertung des Polizeidienstes und eine bessere Bezahlung der Betroffenen
sind notwendig, sondern auch eine Verbesserung der beruflichen Aus- und Fortbildung. Um dem notwendigerweise konfliktreichen Umgang zwischen Polizei und Bürger gerecht zu werden, ist es notwendig, durch entsprechende psychologische Schulung, beispielsweise durch Kommunikationstraining und Antistreßtraining, zu besseren Konfliktlösungen beizutragen bzw. dafür zu sorgen, daß Konflikte gar nicht erst entstehen.
In diesem Zusammenhang ist der Hinweis nicht unerheblich, daß es auch notwendig ist, daß den Beamtinnen und Beamten des Polizeidienstes in Bund und Ländern bei der Ausführung ihres Dienstes mehr Selbständigkeit gewährt wird.
({5})
Das heißt für mich, daß sich die politische, aber auch polizeiliche Führung nicht in jedem Fall in die Dienstausübung der Beamten einmischen darf, solange sie ihren Dienst im Rahmen der Gesetze und Vorschriften ausüben.
({6})
Wir brauchen keine hörigen Polizeibeamten, Herr Kollege Gerster, sondern Beamte, die den Spielraum, den ihnen die Gesetze und die Dienstverordnungen lassen, situationsgemäß und selbstverantwortlich ausfüllen.
({7})
Vor diesem Hintergrund hat die SPD-Bundestagsfraktion den Antrag betreffend „Forderungen zur Situation der Polizei in Bund und Ländern" eingebracht. In der Sitzung des Haushaltsausschusses am 10. November 1988 sowie in der Sitzung des Innenausschusses am 25. Januar 1989 haben die Koalitionsfraktionen dem damals vorliegenden Antrag ihre Zustimmung verweigert. Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte und beschlossene Änderungsantrag beinhaltet nichts mehr als bloße Absichtserklärungen, die nichts kosten, die aber auch der betroffenen Polizei konkret nichts bringen. Das hat die SPD-Fraktion veranlaßt, einen Ergänzungsantrag einzubringen mit dem Ziel, die Bundesregierung aufzufordern, durch eine bessere Finanzausstattung der Länder dafür Sorge zu tragen, daß die Polizei leistungsgerecht bewertet werden kann.
({8})
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Aufgaben- und Personalentwicklung der Polizei machen. Es gilt festzustellen, daß sich die Aufgaben in den Jahren von 1974 bis 1986, wie Untersuchungen belegen, in allen Bereichen sowohl qualitativ als auch quantitativ erheblich gesteigert haben. Die Steigerungsraten in diesem Bereich liegen deutlich über 50 %. Sie beziehen sich auf die Tätigkeitsfelder Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrsaufgaben, Einsätze im Demonstrationsgeschehen, Objekt- und Personenschutzmaßnahmen sowie Prävention. Gegenüber dieser 50 %igen Steigerung ist die Gesamtzahl der Polizeivollzugsbeamten in
Bund und Ländern um deutlich weniger als die Hälfte angestiegen, nämlich um insgesamt 9,4 %.
({9})
Bei den Ländern ist die Gesamtzahl der Polizeivollzugsbeamten um 22,4 % und beim Bund um 3,7 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist allerdings die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten um genau 6,3 % gesunken, bedingt durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit und durch Änderungen der Urlaubsregelungen. Das bedeutet, daß der einzelne Polizeiangehörige im Jahre 1986 bei kürzerer Arbeitszeit mehr und schwierigere Aufgaben zu bewältigen hatte, als es im Jahr 1974 der Fall war. Im übrigen kann davon ausgegangen werden, daß die Anforderungen an die Polizei qualitativ und auch quantitativ weiter steigen werden, trotz rückläufiger Bevölkerungsentwicklung.
({10})
Nun könnten Sie, liebe Kolleginnen, glauben, daß es sich hier um Positionen aus einem Papier der Gewerkschaft der Polizei handle. Dieses ist aber nicht der Fall. Diese Daten stammen aus dem Bericht der Ad-hocArbeitsgruppe des Arbeitskreises 2 der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder vom 16. Juni 1988.
Kolleginnen und Kollegen, der ständig steigende Aufgabenzuwachs bei der Polizei muß zwangsläufig dazu führen, daß die Prävention durch die Polizei immer weniger stattfindet. Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot von Prävention wird ständig größer. Ein Beweis für diese Behauptung ist darin zu sehen, daß sich das Wach- und Sicherheitsgewerbe ständig ausgeweitet hat. Waren es im Jahre 1981 noch rund 1 000 Wach- und Sicherheitsunternehmen, so waren es im Jahre 1986 bereits 1 400. Hieraus darf sicherlich der Schluß gezogen werden, daß schon heute die eigentlich vom Staat zu leistende Sicherheit käuflich erworben werden muß.
Eine letzte Bemerkung: Im Januar 1984 hat die Bundesregierung einen Bericht über die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Darin hat sie u. a. die Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf Organisation und Umfang der Sicherheitskräfte untersucht und dazu ausgeführt - ich zitiere Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß bis zum Jahre 2000 auch als Folge der Bevölkerungsentwicklung mit einem Aufgabenzuwachs für die Polizei zu rechnen ist.
Ich habe dieser Aussage nichts hinzuzufügen.
Was also liegt näher, dieser Entwicklung u. a. durch personelle Verstärkung der Polizei zu begegnen? Schon jetzt ist deutlich erkennbar, daß die Personalgewinnung künftig schwerer werden wird, weil nur geburtenschwache Jahrgänge nach Arbeitsplätzen suchen werden. Vor diesem Hintergrund fordere ich
die Kolleginnen und Kollegen auf, dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen.
({11})
- Schön wäre es gewesen. Wir haben auch noch einen Ergänzungsantrag eingebracht, Herr Kollege Gerster. Das dürfte Ihnen sicherlich bekannt sein.
Sicher ist es richtig und notwendig, daß der Polizei für die geleistete Arbeit der Dank auszusprechen ist. Dies allein reicht aber nicht aus; Taten sind gefragt.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Kalisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier vorliegende Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Forderungen zur Situation der Polizeien in Bund und Ländern gibt eine gute Gelegenheit, einige mir sehr am Herzen liegende Gesichtspunkte zur Arbeit unserer Polizei vorzutragen. Diejenigen Bürger, die als Polizeibeamte mit ihrem Dienst an der Gesellschaft zum geordneten und friedlichen Zusammenleben wesentlich beitragen, benötigen dafür eine aufgabengerechte Ausbildung und beste Arbeitsbedingungen.
({0})
Daher ist es für meine Fraktion selbstverständlich, meine Damen und Herren, daß erstens die Ausbildung auf modernem und hohem Niveau fortentwikkelt werden muß, daß zweitens die zum Einsatz gelangenden Beamten bestens auf alle Eventualitäten vorbereitet werden und daß drittens der Rechtsschutz der Polizeibeamten wo erforderlich zu verbessern ist. Aber auch darüber hinaus bleibt vieles zu tun; denn nicht nur die materiellen und räumlichen Arbeits- und Verdienstbedingungen sind zu verbessern. Wir müssen darüber hinaus für unsere Polizisten ein positives Arbeitsklima erhalten, in dem sie das Gefühl haben, von unserer Gesellschaft, für die sie arbeiten, auch akzeptiert zu werden.
({1})
Mit anderen Worten: Entscheidend ist für mich, daß jeder Polizist spürt, daß seine Tätigkeit und Pflichterfüllung wichtige Faktoren für unseren Staat und damit für unsere Gesellschaft sind.
({2})
- Warten Sie ab, lieber Herr Kollege!
Hier, meine Damen und Herren, glaube ich, muß noch einiges getan werden.
({3})
Mit großer Sorge sehe ich die Haltung des rot-grünen Senats von Berlin,
({4})
die unseren Forderungen im Innenausschuß diametral entgegenläuft.
({5})
- Total entgegenläuft, lieber Herr Kollege.
Wenn es stimmt - jetzt wäre es ganz gut, wenn Sie ernst blieben -, was wir der gestrigen Presse entnehmen müssen - es ist heute nicht dementiert worden - , bahnt sich eine ungeheuerliche Entwicklung an.
({6})
- Das hat nichts mit der Springer-Zeitung zu tun.
Hier nur zwei Beispiele. In Berlin gab es eine Sondereinheit der Polizei. Diese kennen Sie sicherlich.
({7})
- Ich kann verstehen, daß Sie unruhig sind; aber hören Sie ruhig zu, auch Herr Wartenberg.
Es gab also eine Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und Training. Das war die sogenannte EBLT,
({8})
die noch vom Innensenator Kewenig ({9})
({10})
vom vorigen Senat aufgelöst worden ist. Der Meldung zufolge soll der jetzige Innensenator Pätzold ({11}) den Polizeipräsidenten von Berlin aufgefordert haben, ihm eine Liste der ehemaligen Angehörigen der EBLT zusammenzustellen, aus der auch die derzeitige Dienststelle der Beamten zu ersehen ist.
({12})
Gleich, welche Absichten der Innensenator der rotgrünen Koalition damit verfolgt - ich will mich hier an den angestellten Spekulationen, die von Gehirnwäsche und ähnlichem reden, nicht beteiligen -, bedeutet das sicher für die betroffenen Beamten eine Einschüchterung und Angst vor eventuellen Konsequenzen, und das ist der Dank für ihre Einsatzbereitschaft, meine Damen und Herren.
({13})
Das kann nicht die Politik sein, die wir in der Beschlußempfehlung festgelegt haben.
({14})
Lassen Sie mich doch noch ein Beispiel nennen; bleiben Sie ganz ruhig. Das Büro des Regierenden Bürgermeisters von Berlin im Schöneberger Rathaus wurde besetzt.
({15})
Man hat dort Akten durchstöbert, hat Telefongespräche geführt, hat sich wie zu Hause gefühlt.
({16})
Es ist bekannt, meine Damen und Herren, daß auch
eine ehemalige Terroristin mit von der Partie oder
Party war. Bei der Räumung haben die eingesetzten
Polizeibeamten ordnungsgemäß die Personalien der Besetzer festgestellt.
Der AL-Koalitionspartner im Senat hat an diesem Vorgehen der Polizei stärkste Kritik geübt. Die betroffenen Polizisten müssen sich eventuell dafür verantworten.
({17})
Das, meine Damen und Herren, sind alarmierende Tatsachen, die wir hier feststellen müssen. Wenn ein Polizist nach seinen Vorschriften gehandelt hat, dann, meine ich, darf er nicht kritisiert oder gar zur Verantwortung gezogen werden.
({18})
- Warten Sie es ab!
Aus der Sicht und dem Selbstverständnis eines Polizeibeamten heraus ist es für ihn nicht nachvollziehbar, wenn Rechtsgutverletzungen einmal verfolgt werden sollen und beim anderen Mal nicht. Der direkt davon betroffene Polizeibeamte muß Zweifel an seinem Auftrag bekommen, wenn ihm die Hände gebunden werden, dem Gesetz Gültigkeit zu verschaffen. Das schafft Unsicherheit bei der Polizei. Ein Ansehensverlust der Polizei bei der Bevölkerung ist die Folge.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Ich darf einmal sagen: Im Sinne aller Kollegen - es ist spät - verzichte ich auf jedwede Zwischenfrage.
Außerdem müssen die Polizeiführung und die eingesetzten Polizeibeamten sicher sein können, daß die zuständigen Politiker unabhängig vom Ausgang eines jeweiligen Einsatzes hinter ihnen stehen und in jedem Fall die politische Verantwortung tragen.
({0})
Der Bundeskanzler hat heute in seiner Regierungserklärung
({1})
folgendes gesagt:
({2})
Wir müssen
allen entschlossen entgegentreten, die sich rechtswidrig Sonderstellungen anmaßen. Wer wie in der Hamburger Hafenstraße rechtsfreie Räume entstehen läßt und duldet, wer die Polizei daran hindert, Straftaten zu verfolgen, macht sich zum Komplizen des Rechtsbruchs.
({3})
- Ich rede nicht für das Protokoll, lieber Herr Kollege Gilges, ich rede, weil ich möchte, daß Sie das mal in sich aufnehmen.
({4})
Unsere Polizeibeamten dürfen nicht - das ist vielleicht das Wichtigste, was ich sagen will und was der Bundeskanzler gesagt hat, und ich meine, Sie sollten da zuhören - im Stich gelassen werden. Wir stehen zu ihnen und unterstützen sie bei ihrem Auftrag. Sie leisten ihren Beitrag zum inneren Frieden unseres Landes.
({5})
Die ständige - meine Damen und Herren, Sie legen hier ein Beispiel dafür ab -negative Medienberichterstattung über Maßnahmen der Polizei in der Vergangenheit hat mit dazu geführt, daß wiederholt aus Schutzleuten „Bullen" wurden. Die ganz überwiegende Mehrheit der heute tätigen Polizeibeamten versteht ihre Aufgabe als Beruf und nicht als Job, und das weiß auch die Mehrheit unserer Bevölkerung, wenn Sie es auch anzweifeln.
({6})
Wenn wir heute von der Verbesserung der Situation der Polizei reden und diese Beschlußempfehlung verabschieden werden,
({7})
- ich bin dabei -, dann sollten wir daran denken, daß eine fortschreitende Schwächung der Polizei auch zur Schwächung unseres Gesellschaftssystems beiträgt. Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, daß immer weniger Bürger bereit sind, den Beruf des Polizeibeamten zu ergreifen, weil sie Angst haben, daß sie dadurch ins gesellschaftliche Aus geraten.
({8})
Deshalb fordere ich uns auf, in diesem Bereich mitzuarbeiten. Ohne die Politik vermag die Polizei ihr hohes Ansehen nicht zu bewahren. Wir müssen ihr dabei helfen. Der einzelne Polizeibeamte muß wieder das werden, was er von seinem Auftrag her ist, ein Schutzmann für die Bürger.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Schengener Abkommen, zur Aufhebung der Binnengrenzen sagen. Wir müssen hier besonders an die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn denken.
({9})
Die Binnenmarktverwirklichung darf nicht auf dem Rücken der Grenzschutzeinzeldienstbeamten ausgetragen werden.
({10})
Die notwendigen organisatorischen Veränderungen
müssen im Einvernehmen mit den Personalvertretun10428
gen und den betroffenen Beamten rechtzeitig besprochen werden.
({11})
Die Grenzschutzbeamten können sicher sein, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - auch der Herr Minister kann dessen sicher sein - diese Maßnahmen sehr sorgfältig beobachten wird.
Zur Akzeptanz unserer Polizisten in unserem Staat gehört auch, daß alle Regierungen in Bund und Ländern ernsthafte Möglichkeiten eröffnen, den betroffenen Beamten akzeptable Aufgaben zuzuweisen.
In diesem Sinne begrüße ich für meine Fraktion diese Beschlußempfehlung und danke namens der CDU/CSU-Fraktion dem Bundesgrenzschutz und den Polizeien in Bund und Ländern für ihre oft aufopfernde, verantwortungsbewußte und von Pflichtbewußtsein getragene Aufgabenerfüllung für unsere Bürger und für unseren Staat. Ich hoffe, daß wir in Zukunft alle auf uns zukommenden Probleme möglichst gemeinsam lösen werden.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erfreut und überrascht zugleich, heute in meiner zweiten Rede in diesem Hause einmal Übereinstimmung mit den Koalitionsfraktionen feststellen zu können.
({0})
Ebenso wie meine Fraktion haben Sie den der heutigen Beschlußvorlage zugrunde liegenden Antrag der SPD als kurzatmige Effekthascherei bezeichnet, schnell zusammengeschrieben als folgenlose rhetorische Streicheleinheit für die Teilnehmer an dem Polizistentreffen der SPD vor fast genau einem Jahr.
({1})
Wie ernst die SPD die Verfechtung der teilweise durchaus berechtigten Klagen der Polizistinnen und Polizisten über ihre Dienstsituation nimmt, zeigt jedoch die Tatsache, daß sie sich in diesem Antrag nicht den akrobatischen argumentativen Spreizschritt zu anderen tagespolitischen Forderungen bezüglich Länderfinanzausgleich, Steuerreform und Sozialhilfelasten verkneifen konnte.
({2})
Fürwahr eine gelungene Instrumentalisierung der Betroffenen, die auch in dem jetzt vorgelegten Änderungsantrag fortgeführt wird! Die GRÜNEN werden bereits aus diesem Grunde jenen Antrag ebenso wie die Beschlußempfehlung ablehnen.
({3})
Apropos Lobbyismus: Dieser Vorwurf ist aus diesem mit Interessenvertretern der Rüstungswirtschaft,
Autobahnraststätten, Chemieindustrie usw. prall gefüllten Hause in den letzten Wochen nur allzu gern gegen die GRÜNEN erhoben worden. Hier sollten sich einige Damen und Herren einmal an die eigene Nase bzw. sogar in die eigene Brieftasche fassen und ohne Aufgeregtheiten auch für sich selbst bewerten, für welche und für wessen Sache man hier in Verantwortung für Amt und Mandat getrost streiten darf und für welche nicht.
Zurück zur Sache selbst! Nach mehreren Debatten in diesem Hause zum Thema innere Sicherheit und Polizei könnten eigentlich auch die regelmäßig aufgeregtesten Zwischenrufer langsam zur Kenntnis nehmen, daß die GRÜNEN die Polizei natürlich nicht generell ablehnen.
({4})
Einige der Veränderungen, die wir allerdings für erforderlich halten, hat meine Kollegin Vollmer schon in der ersten Beratungsrunde zusammengefaßt:
({5})
bessere soziale Absicherung der Polizistinnen und Polizisten;
({6})
Reduzierung der Arbeitsbelastung durch Reduzierung der Bagatelltatbestände und der Zuständigkeiten; innere Demokratisierung bei Ausbildung, Führung und Einsatz der Polizei; Verzicht auf gefährliche Bewaffnung über das zur Notwehr erforderliche Maß hinaus; Kontrollierbarkeit z. B. durch Entmummung, die in einem anderen politischen Klima zwangsläufig von selbst kommt,
({7})
und durch Namensschilder für Polizistinnen und Polizisten -; eine dem Berufsethos von Polizisten folgende Forderung nach Offenheit und Kontrolle der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, bin ich gern bereit, auf eine Zwischenfrage zu antworten.
Um diese Zeit, würde ich sagen, kann man das wohl nicht mehr machen.
Es geht also von meiner Redezeit ab. Dann muß ich leider weitersprechen.
Dabei muß jedoch immer wieder an eines erinnert werden: Die Polizei kann die drängenden gesellschaftlichen Probleme nicht lösen und kann allenfalls in einem eng begrenzten Bereich tätig werden. Hierfür fehlt es dieser Regierungskoalition und den Verantwortlichen in den Ländern nach wie vor an einem geschlossenen Gesamtkonzept, in dessen Rahmen eine politische Bestimmung und Begrenzung der Aufgaben der Polizei zu erfolgen hat.
Statt die offensichtlich beschränkten Ressourcen angesichts eines auch durch Kriegs-, Industrie- und Umweltgefahren leider berechtigten allgemeinen Unsicherheitsgefühls in der Bevölkerung sinnvoll auf wichtige Aufgabenfelder zu konzentrieren, wie z. B. Steuer-, Wirtschafts- und Umweltkriminalität, und die Gefahrenursachen selbst zu verringern, versprechen die Verantwortlichen das Blaue vom Himmel herunter.
({0})
Sie reagieren wie Pawlowsche Hunde auf herbeiinterpretierte Änderungen der polizeilichen Kriminalstatistik
({1})
oder aktuelle Gewalttaten mit symbolischen Gesten oder mit beständigen Erhöhungen des Personalbestandes oder mit der Schaffung neuer Straftatbestände, um der Bevölkerung eine angebliche Handlungsfähigkeit der Regierung weiszumachen, die längst nicht mehr besteht.
Auch die reflexhafte Anpassung polizeilicher Ermittlungsmethoden an die sich logischerweise fortentwickelnden Kriminalitätsmethoden - z. B. durch den Einsatz von Under-Cover-Agenten - kann im Ergebnis nur dazu führen, daß der Rechtsstaat zum verbrecherartig handelnden Staat verkommen müßte.
({2})
Wir GRÜNEN werden zu diesem Problem in den nächsten Wochen den Vorschlag einer Gesamtkonzeption mit dem Versuch auch einer Standortbestimmung für die Polizei vorlegen.
({3})
Heute sehen wir uns nicht imstande, ohne diesen Zusammenhang den isolierten Beschwichtigungsformeln der vorliegenden Anträge zuzustimmen. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, daß das alles nicht ganz so dramatisch ist, wie es aus manchen Beiträgen hier klingt. Über manches würde es sich lohnen mehr zu sprechen.
Wenn Herr Kollege Graf sagt, eine Prävention durch die Polizei finde nicht mehr oder nur wenig statt, oder wenn heute in der Haushaltsdebatte Herr Penner dieses alte Bild von dem Polizeibeamten als Sozialingenieur vorträgt, dann fehlt mir etwas ein Bewußtsein dafür, wo auch die notwendigen Grenzen polizeilicher Tätigkeit liegen. Der Polizist wird ja an sich nicht als Sozialingenieur eingestellt, sondern er ist dazu da, Straftaten zu bekämpfen, Gefahren abzuwehren, aber nicht etwa wer weiß wie weit im Vorfeld in der Gesellschaft zu agieren. Wir sind im Grunde
doch sehr stolz darauf, daß die Polizei auf ihre eigentliche Aufgabe zurückgeführt worden ist.
({0})
Ich bin mit dem Kollegen Nöbel völlig einig, daß das eine wichtige Entwicklung in unserer Gesellschaft ist, die wir nicht ohne weiteres rückgängig machen sollten und auch nicht rückgängig machen müssen.
Wir werden dem Beschlußvorschlag des Innenausschusses zustimmen und damit ohne Polemik dem sachlichen Anliegen des Antrags entsprechen, nämlich Bund und Länder aufzufordern, für eine Verbesserung der Ausbildung, für ein besseres und auch psychologisches Konfliktbewältigungstraining, für bessere Unterbringung bei längeren Einsätzen, für einen besseren Rechtsschutz für die Beamten zu sorgen.
Wenn das nicht alles Worte bleiben sollen, dann brauchen wir in der Tat eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Fragen der inneren Sicherheit.
({1})
Wir haben bei entsprechenden Vorgängen immer wieder feststellen müssen, wie leicht durch politische Diskussionen die Polizeien von Bund und Ländern gegeneinander ausgespielt werden. Es gibt diese Schönheitswettbewerbe, wer besser ist. In der Folge von polizeilichen Vorgängen gibt es die politischen Oberkommissare, die hinterher genau wissen, wer was wann wie hätte tun müssen. Alles das nützt der Polizei nicht. Natürlich ist die Polizei auch nicht vor Kritik geschützt; sie darf es auch nicht sein. Es gibt auch rechtliche und tatsächliche Forderungen der Polizei, die nicht erfüllt werden können und die über das Ziel hinausschießen.
Aber entscheidend ist eigentlich, daß der Polizeibeamte weiß und sich darauf verlassen kann, daß er in seiner Berufsausübung ernst genommen wird, daß er nicht zum Spielball politischer Interessen gemacht wird und daß er nicht zum Prügelknaben für nicht ordnungsgemäß erledigte politische Fragen wird.
Darum müssen wir uns bei jedem Einsatz, für den wir Polizei anfordern oder bei jedem Gesetz durch das wir der Polizei Aufgaben übertragen, genau überlegen, was wir dem einzelnen Beamten zumuten und ob diese Zumutung auch wirklich notwendig ist.
Es kann kein Zweifel daran sein, daß die Polizei ein notwendiges Instrument des Rechtsstaats ist. Es ist darum unser ureigenstes Interesse, sie vorbildlich auszustatten und dafür zu sorgen, daß es die demokratische und die zivile Polizei bleibt, die sie in den 40 Jahren dieser Bundesrepublik geworden ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit, und das ist auch nicht ohne innere Auseinandersetzungen gegangen.
Es würde mir übrigens nicht schlecht gefallen, wenn der Bundesinnenminister aus dieser Entwicklung z. B. auch für die Uniformen des BGS dieselben
Konsequenzen zöge, wie die Länder das für ihre Polizeien seit langem getan haben.
({2})
Das wichtigste polizeiliche Problem, dem wir uns gegenübersehen, sind die Folgen aus dem Schengener Abkommen. Da ist manches noch nicht in Ordnung. Der einzelne Beamte braucht eine größere Klarheit für seine persönliche Zukunft. Es ist auch nicht damit getan, sich umzusehen und zu überlegen, was an Aufgaben man für den BGS oder sonst neu an Land ziehen könnte. Die gesamteuropäische Aufgabenbewältigung wird ohnehin nicht leicht werden.
Darum wiederhole ich die Aufforderung, die wir zu Beginn dieser Legislaturperiode mehrfach vorgetragen haben, nämlich dafür zu sorgen, daß das gemeinsame Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern aus den '70er Jahren weiterentwickelt wird, und zwar so, daß sowohl die Haushaltsgesetzgeber von Bund und Ländern als auch die Polizeien von Bund und Ländern rechtzeitig und vorher wissen, welche Aufgabe in welcher Stärke von ihnen gelöst werden soll, was also von ihnen erwartet wird.
({3})
Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Innenministerkonferenz vor 14 Tagen eine Runde der Staatssekretäre mit dieser Aufgabe betraut hat, und dafür ist es hohe Zeit gewesen.
Es ist im übrigen ein Anachronismus, daß wir uns zwar um die Harmonisierung des europäischen Rechts bemühen, daß aber die Polizeirechte der Bundesländer immer weiter auseinanderlaufen - mit verheerenden Folgen für die Zusammenarbeit der Polizeien.
({4}) Das kann so nicht gutgehen.
Nachdem es einen - allerdings nicht verabschiedeten - Musterentwurf der Innenministerkonferenz gibt, nachdem eine ganze Reihe von Ländern in eine Polizeigesetzgebung eingetreten sind, nachdem auch die FDP einen Vorschlag zur Harmonisierung des Polizeirechts gemacht hat, einen Vorschlag, der in der Polizei in weiten Teilen positiv aufgenommen worden ist, kann man nur noch einmal mit aller Entschiedenheit und Eindringlichkeit an die Innenminister von Bund und Ländern appellieren, dasselbe zu versuchen, was wir in den 70er Jahren auch über viele politische Gegensätze hinaus erreicht haben, nämlich ein einheitliches Polizeirecht für Bund und Länder zu formulieren,
({5})
und es in den Landtagen durchzusetzen. Das ist notwendig und würde der Polizei außerordentlich dienen.
Zum Schluß möchte ich noch ein Wort zur Polizeiführungsakademie in Hiltrup sagen, weil wir uns ja auch über die Ausbildung der Polizei unterhalten. Hiltrup ist für die Zusammenarbeit der Polizeien von Bund und Ländern unverzichtbar. Es wird dort eine hervorragende Arbeit geleistet. Wir sollten uns im Innenausschuß auch einmal gemeinsam - vielleicht
durch einen gemeinsamen Besuch in Hiltrup, den wir vorschlagen ({6})
über den Geist dieser Akademie, über die Mitarbeit der Länder bei ihrer sächlichen und personellen Ausstattung, über den Ausbildungsstand und über das Ausbildungsangebot, das dort der Polizei gemacht wird, vergewissern. Wenn wir Innenpolitiker gemeinsam, über die Fraktionsgrenzen hinweg, Hiltrup besuchen, geben wir damit vielleicht für die Polizei ein Signal, was wir von ihr erwarten, nämlich mehr Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit im Interesse unseres Staates.
({7})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Bundesregierung möchte ich die in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses enthaltenen Tendenzen und konkreten Forderungen zur Verbesserung der Situation der Polizei nachdrücklich unterstützen. Ich finde es gut, daß hier heute bei dieser Debatte unsere Polizeibeamten in Bund und Ländern eine breite politische Unterstützung bekommen, und ich sage auch ausdrücklich zu, die vielen Anregungen, die in dieser Debatte vorgetragen worden sind, als wichtige Anregungen aufzugreifen, wenn es darum geht, daß die Bundesregierung ihren Einsatz für die Polizeibeamten weiter intensiviert.
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- Nicht alle, aber eine ganze Reihe von ihnen sind sehr wertvoll, z. B. auch die Koordinierung der rechtlichen Vorschriften. Herr Kollege Gerster, daran kann man sicherlich weiter arbeiten.
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Die Bundesregierung hat im eigenen Zuständigkeitsbereich - für den Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt -, aber auch mit Wirkung für die Polizeien der Länder vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung der einsatzmäßigen, aber auch der dienstrechtlichen, sozialen und rechtlichen Situation der Polizei ergriffen. Ich darf wegen der Kürze der Zeit hier beispielhaft nur folgendes erwähnen: personelle und sächliche Verstärkung des BKA; Verbesserung der Einsatzstärke des BGS durch Schaffung neuer Planstellen und Beschaffung moderner Einsatzmittel; Verbesserung der Dienstunfallfürsorge beim BGS - wichtig für die Beamten - und Erhöhung der Einsatzabfindung sowie der Sätze der Nachtverpflegung bei Einsätzen. Wir haben schließlich die Situation im Bereich des mittleren Dienstes der Schutzpolizeien der Länder durch Anhebung der Stellenobergrenzen und
durch Erhöhung der Schichtdienstzulagen verbessert.
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- Kollege Gerster, der neue Minister hat sich mit viel Einsatzbereitschaft auch schon in bisherigen Funktionen für die Sicherheit in unserem Lande eingesetzt, und er wird das sicherlich auch für die Polizeien tun.
Beim Bundesgrenzschutz hat die Bundesregierung das Stellenanpassungsprogramm kontinuierlich fortgesetzt.
Diese Beispiele machen deutlich, daß sich die Bundesregierung der erheblichen Belastungen und der besonderen Anforderungen, mit denen die Polizei heute bei der Bewältigung ihrer Alltagsaufgaben zu tun hat, durchaus bewußt ist. Die Bundesregierung wird auch künftig im Rahmen ihrer Zuständigkeiten sich diesen Aufgaben zuwenden.
Ich will hier auch ausdrücklich sagen, auch nachdem Kollege Hirsch das hier noch einmal ansprach: Wir müssen uns mit den Verantwortlichen in den Ländern darum bemühen - Kollege Kalisch, Sie haben da wichtige Schwerpunkte genannt -, daß wir ein gemeinschaftliches, einheitliches Vorgehen erreichen.
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Die Innenministerkonferenz hat gerade bei den letzten Beratungen dafür wichtige Beschlüsse gefaßt. Ich will hier ausdrücklich sagen, daß wir uns, wo wir können, um diesen Konsens bemühen.
In dieser Aussprache ist mit Recht der geplante Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen und deren Verlagerung an die Außengrenzen angesprochen worden. Das macht eine Neuorganisation des Grenzschutzeinzeldienstes im Zusammenhang mit Schengen und alles, was damit zusammenhängt, notwendig.
Wir haben hier eine große Verantwortung für die Polizeibeamten und im Interesse der Bediensteten möglichst früh Kenntnis von der künftigen Verwendung der Beamten zu geben.
Ich sage hier ganz deutlich: Die Planungen zur künftigen Organisation des Grenzschutzeinzeldienstes sehen die Intensivierung der Kontrollen an den Außengrenzen einschließlich der Flug- und Seehäfen vor. Dafür besteht ein Mehrbedarf von Polizeivollzugsbeamten, der durch Verlagerung von Planstellen und Umsetzungen von den Binnen- an die Außengrenzen gewonnen wird.
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Es sprechen gute Gründe dafür, den Grenzschutzeinzeldienst nach dem Wegfall der Kontrollen zumindest vorläufig in geminderter Stärke auch noch an den Binnengrenzen zu belassen. Denn auch nach dem Kontrollabbau verbleiben dort noch eine Reihe von grenzpolizeilichen Aufgaben. Das europapolitische Ziel eines kontrollfreien Reiseverkehrs wird dadurch nicht berührt werden.
Die Innenministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung am 13./14. April 1989 ausdrücklich befürwortet, diesen Vorstellungen zu folgen.
Die organisatorischen Überlegungen sind von den Personalvertretungen begrüßt worden. Sie stimmen weitgehend mit den Forderungen der im Bundesgrenzschutz tätigen Berufsvertretungen - Gewerkschaft der Polizei, Bundesgrenzschutzverband - überein.
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Herr Staatssekretär - Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wegen der Kürze der Zeit bitte nicht. - Der Innenausschuß hat sich ausführlich, zuletzt in der Sitzung am 19. April 1989, mit ihnen befaßt.
Ich brauche nicht zu betonen, daß eine weitere Präsenz des Grenzschutzeinzeldienstes an den Binnengrenzen auch geeignet ist, personalwirtschaftliche Probleme zu lösen, zumindest zu mindern. Die bisherigen Erhebungen haben ergeben, daß sonst erforderliche Versetzungen in Einzelfällen zu sozialen Härten führen würden. Ich darf Ihnen sagen: Es ist fast unser tägliches Brot geworden, daß mit guten Gründen auch die Beamten anfragen: Was ist unser berufliches Schicksal? Diesem Ziel, hier zu helfen, dienen im übrigen auch die Bemühungen, durch Absprache mit den Ländern bei der Polizei der Länder eine heimatnahe Verwendung zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben auch heute noch einmal am Schluß dieser Debatte ein herzliches Wort des Dankes den Polizeibeamten in Bund und Ländern für ihren Dienst, den sie tun, auszusprechen.
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Ich tue das nachdrücklich für die Bundesregierung, und ich denke, dem können wir alle mit großem Nachdruck folgen. Denn hier sind Menschen, die für den Staat, für die Mitbürgerinnen und Mitbürger ihr Bestes geben und sich mit aller Kraft einsetzen.
Die Bundesregierung wird alles ihr Mögliche unternehmen, um der Verantwortung für die Polizei in Bund und Ländern gerecht zu werden. Wir werden dabei erneut auf die Verantwortlichen in den Bundesländern zugehen, um in einer guten und wichtigen Gemeinsamkeit von Bund und Ländern das Notwendige für unsere Polizeibeamten zu tun. Ich darf herzlich danken, daß die Polizeibeamten in Bund und Ländern hier heute bei der Koalition, aber auch bei der SPD, eine Unterstützung für wichtige Anliegen gewinnen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sonntag-Wolgast.
Danke, das ist ja ganz schön. Aber sicher darf man den Zeitpunkt dieser Debatte - 23 Uhr - als Solidaritätsadresse für die
zum Nachtdienst angetretenen Beamten auffassen und das entsprechend erwähnen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Realität des Polizistenalltags hat mit den gängigen Klischees heute herzlich wenig gemeinsam, weder mit dem sogenannten Bullen, der sich rabiat und verständnislos gebärdet, noch mit dem rührseligen Bild vom Freund und Helfer, der als stets lächelnde Kontaktperson die Garantie für Sicherheit in dem Dickicht der Städte verkörpert.
Nein, der Alltag, meine Damen und Herren, sieht heute anders aus. Kaum ein Berufszweig im gesamten öffentlichen Dienst hat in den vergangenen Jahren einen derartigen Schub an neuen Anforderungen erlebt. Wenn wir das wissen, dann können wir es eben nicht bei wohlklingenden Reden bewenden lassen, sondern müssen etwas für die betroffenen Beamten tun.
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Darauf zielt unser Antrag ab.
Herr Such, leider haben Sie das ganz gründlich mißverstanden.
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Schade darum, denn eigentlich hätte ich bei Ihnen gern erfahren, daß Sie aus den Problemen Ihrer ehemaligen Kollegen gelernt hätten.
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Meine Damen und Herren, wir wünschen eine bürgernahe Polizei. Das ist für mich kein Allgemeinplatz. Wir wollen Beamte und Beamtinnen, die ein waches Verständnis für demokratische Rechte haben, die das aber nicht nur haben, sondern auch zeigen können, Menschen, die sich auch öffentlicher Kritik und Kontrolle stellen.
Die Polizei will und soll sich endlich vom Negativimage mit Schutzhelm, Schlagstock und Schild befreien. Das können aber die einzelnen Beamten nicht alleine schaffen. Dabei muß ihnen die Politik helfen.
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Eines muß klar sein: Da wir uns zum staatlichen Gewaltmonopol bekennen, müssen wir die Polizisten vor der Gefahr bewahren, aus Mangel an Kenntnis, aus Unsicherheit oder in Panik oder auch aus einem falsch verstandenen Rollenbild mit diesem staatlichen Gewaltmonopol Mißbrauch zu treiben.
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Innere Sicherheit, meine Damen und Herren, ist für uns Sozialdemokraten keine Umschreibung für law and order, sondern schon ein sozialer Begriff. Deshalb sind Polizisten für uns auch nicht nur Ordnungshüter. Sie sollen sich vielmehr dafür einsetzen, daß bürgerliche Rechte bewahrt, verwirklicht und gesichert werden.
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Herr Hirsch, es ist klar: Sie können keine Volljuristen sein. Sie sind auch nicht dazu ausersehen, sich hier als Experten des Strafrechts zu gebärden.
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Sie brauchen aber sozusagen als Polster für ihren Dienst die ausgefahrenen Antennen für unsere Verfassung, für Freiheit und Liberalität, das Fingerspitzengefühl für Situationen, in denen sich etwas zuspitzt. Selbst das sture Beharren auf den geltenden Vorschriften reicht oft nicht mehr aus. Vorstellungen und Begriffe wandeln sich. Was zum Beispiel „erforderlich" ist, was man unter „Verhältnismäßigkeit der Mittel" begreift, das beurteilen wir heute vielleicht anders als noch vor ein paar Jahren.
Weil das so ist, sind die Beschlüsse des Bundestages vom vergangenen Freitag gegen unsere anhaltenden Proteste, aber eben auch nicht zu vergessen: gegen den Widerstand vieler Experten eine so verhängnisvolle Sache, nicht für unseren liberalen Rechtsstaat allein, sondern auch für die Arbeit der Polizisten; das dürfen wir nicht vergessen.
Das Vermummungsverbot z. B.: Künftig wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht, wer zu einer Demonstration vielleicht nur einen Motorradhelm oder ein breites Halstuch trägt oder einen Friesennerz oder eine Sonnenbrille, auch das kann es sein.
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Und weiter: Bei Versammlungen dürfen von nun an Teilnehmer photographiert, gefilmt und abgehört werden, wenn, wie es so schön heißt - ich zitiere das - : „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen."
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Das darf sich der Beamte auf der Zunge zergehen lassen und am Einsatzort entscheiden, was denn wohl je nach Lage der Dinge „tatsächliche" Anhaltspunkte sind und was sie sich unter „erheblichen" Gefahren zusammenreimen dürfen. Damit werden nicht nur die Beamten restlos überfordert, damit wird zugleich unsere Demokratie ein Stück beschnitten.
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Denn das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit steht damit künftig unter polizeilicher Aufsicht.
Deshalb Ihnen, den Gegenreformern aus der CDU/ CSU und leider dem größten Teil der FDP, noch einmal ins Stammbuch: Nicht neue Sicherheitsgesetze wären nötig gewesen, sondern die konsequente Anwendung der bestehenen Gesetze.
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Nicht neue Eingriffe in die Demonstrationsfreiheit, sondern eine spürbare Verbesserung für die Lage der Polizei mit dem Ziel, ihr überhaupt erst einmal die Chance zu eröffnen, ihre Aufgaben zur Wahrung der inneren Sicherheit so verantwortungsvoll und mit der
nötigen Gelassenheit ausüben zu können, wie wir es von ihr verlangen!
Frau Kollegin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tietjen zuzulassen?
Bitte schön.
Frau Kollegin, Sie sprachen gerade von der neuen Lage der Polizei und von der sozialen Frage der Polizei. Das ist auch das Thema des Antrags der SPD. Können Sie mir bestätigen, daß die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag die erste Fraktion gewesen ist, die schon im letzten Jahr und am 31. Mai dieses Jahres zum zweitenmal eine sicherheitspolitische Konferenz für Polizeibeamtinnen und -beamte in der Bundesrepublik durchführt, und können Sie mir bestätigen, daß das eine viel wertvollere Maßnahme zur Begleitung der polizeilichen Tätigkeit ist als das, was an Sicherheitsgesetzen verabschiedet worden ist?
Herr Kollege Tietjen, ich beantworte Ihre Frage mit einem Ja und sage damit, daß das gleichzeitig ein Zeichen dafür ist, welche Partei sich am ehesten für die Lösung der Probleme der Polizistinnen und Polizisten wirklich stark macht.
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Wenn wir Sozialdemokraten personelle Verstärkung und bessere Aus- und Fortbildung verlangen - das ist der zentrale Punkt des Antrages -, dann hat das nichts mit Polizeistaatlichkeit zu tun, sondern mit Liberalität.
Frau Abgeordnete, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage, wenn auch auf der anderen Seite.
Bitte schön.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß der Kollege Tietjen im Handbuch des Deutschen Bundestages als Kriminalpolizeibeamter firmiert?
Ich kenne ihn nicht nur aus dem Handbuch, sondern ich kenne ihn auch sehr gut von der Arbeit im Innenausschuß.
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Ich muß noch einmal zum zentralen Punkt unseres Antrages zurückkommen; ich will mich nicht zusätzlich bei anderen, wenn auch wichtigen Themen aufhalten. Wenn wir verlangen, daß die Länder eine bessere Finanzausstattung erhalten, um den Polizeidienst so bewerten zu können, wie es den heute geforderten Leistungen und dem Berufsprofil entspricht, dann mahnen wir damit zugleich beim Bund nachdrücklich dessen Verantwortung für die Ursachen von Gewalt und Konflikten in dieser Gesellschaft an. Und die machen vor Ländergrenzen nun einmal nicht halt.
Ich will das verdeutlichen. Polizeibeamte sind heute in erster Linie Adressat für Ärger, Unmut und Empörung angesichts politischer Entscheidungen gegen den Willen großer Gruppen in der Bevölkerung. Stichwort der aktuellsten Art: Wackersdorf. Polizisten müssen als Blitzableiter für Fehlleistungen herhalten, die eigentlich die Politiker zu verantworten haben, ob es sich dabei um teure Prestigeobjekte handelt, technische Großbauten, Kernkraftwerke oder Wiederaufarbeitungsanlagen.
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An dem Polizisten als vermutlichem Botschafter staatlicher Macht tobt sich der Unmut eben aus. Sie gelten als das Herrschaftsinstrument.
Sie müßten eigentlich Konfliktmanager sein. Dafür sind sie vielleicht gerade eben technisch ausgerüstet, aber bestimmt nicht psychologisch. Bei Demonstrationen etwa stehen sie manchmal Leuten gegenüber, die ihre Freunde und Kollegen sein könnten und mit deren politischen Zielen sie sich innerlich solidarisch erklären.
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Um mit diesem Dilemma fertig zu werden, brauchen sie Schulung und Training. Sie brauchen die Einsicht, daß jene angeblich so unbequemen Demonstranten auf der anderen Seite ein Grundrecht wahrnehmen und daß sie, die Polizisten, nicht nur zur Gefahrenabwehr herbeigeholt werden, sondern auch zur Absicherung dieses Grundrechts.
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Es gehört nun einmal zur Aufgabe der Beamten, den Weg zu einem Demonstrationsort frei zu machen, statt - wie es Unseligen Angedenkens vor fast drei Jahren bei der Demonstration am Kernkraftwerk Brokdorf geschehen ist - auf Weisung der Verantwortlichen großräumig alle Zufahrtswege kilometerweit abzusperren und damit den Demonstranten den Zugang zum Demonstrationsort zu versperren. Staatliche Behörden haben versammlungsfreundlich zu handeln, hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage in einem historisch bedeutsamen Leitsatz gesagt. Versammlungsfreundlich zu sein - so etwas wird den ausübenden Sicherheitskräften nicht in die Wiege gelegt. Sie müssen es wahrhaftig lernen.
Es gibt andere Beispiele, etwa Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr - auch sie hat ja gesellschaftliche Ursachen - , Drogenkriminalität oder überhaupt all die Folgen dessen, was wir die soziale Kälte in unserer Wohlstandsgesellschaft nennen. An der Wurzel bekämpfen können die Polizeibeamten, Herr Hirsch, diese Erscheinungen nicht; das ist schon klar. Aber ausbaden müssen sie sie schon.
Die Polizei als erster Prellbock für gesellschaftlich begründete Gewalt - von dieser Belastung können wir die Beamtinnen und Beamten durch nichts befreien. Aber wir können sie wenigstens technisch, organisatorisch und personell in die Lage versetzen, etwas entgegenzusetzen.
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Dafür brauchen sie spezielle Kenntnisse. Dafür brauchen sie auch die Möglichkeit, sich im Laufe ihres Berufslebens weiterzubilden.
Wie das bei der augenblicklich noch herrschenden Zahl an Überstunden, an Wach- und Wechselschichten funktionieren soll, darauf muß die Politik eine Antwort geben. Ich freue mich, daß dem Parlamentarischen Staatssekretär das Problem bewußt geworden ist und er es verdeutlicht hat.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und möchte noch zwei Sätze sagen. Ich weiß, daß den Polizeibeamten jetzt und in naher Zukunft noch mehr an schwierigen Aufgaben aufgebürdet wird, etwa in Fragen des Umweltschutzes oder bei der Bewachung und Kontrolle gefährlicher Güter, beim Transport radioaktiver Stoffe. Sie werden über Biochemie, Chemie, Physik Bescheid wissen müssen, über Genehmigungsbescheide und atomrechtliche Bestimmungen. Das alles macht den Beruf noch schwieriger, vielleicht aber auch interessant und spannend.
Geben wir denen, die sich dafür entscheiden, dafür bitte schön das organisatorische, das soziale und das geistige Rüstzeug!
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4426. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der GRÜNEN abgelehnt worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/4056 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2243 in der Ausschußfassung anzunehmen.
Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes
- Drucksache 11/4154 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0})
Rechtsausschuß
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt 26 zu Protokoll zu geben *).
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Das bedeutet eine Abweichung von der Geschäftsordnung. Sind Sie mit der Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist die erforderliche Mehrheit für diesen Beschluß vorhanden.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. April 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.