Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/20/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) Wohl niemand, der die Berichte und Bilder aus dem Fußballstadion von Sheffield gesehen hat, wird die schrecklichen Ereignisse des vergangenen Wochenendes so bald vergessen können. Bei der größten Katastrophe, die sich jemals in Europa im Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung ereignete, verloren fast hundert Besucher eines Fußballspiels ihr Leben. Fast durchweg handelt es sich dabei um junge Menschen aus Liverpool, die ihrem Verein zu diesem Pokalspiel nach Sheffield gefolgt waren. Angesichts der schrecklichen Vorfälle bleibt nur Entsetzen, Betroffenheit und Trauer. Bei allem Entsetzen und aller Betroffenheit darf nicht übersehen werden, welches Maß an spontaner Hilfsbereitschaft unmittelbar nach der Katastrophe bei vielen Zuschauern deutlich wurde. Dennoch sollten die politisch Verantwortlichen in ganz Europa die schrecklichen Ereignisse zum Anlaß nehmen, alle Möglichkeiten zu prüfen, durch die einer Wiederholung ähnlicher Vorfälle vorgebeugt werden kann. Angesichts der Millionen von Fußballfreunden, die wöchentlich in die Stadien Europas und der Welt strömen, sehe ich hier eine besondere Verantwortung der Politik. Vier Jahre nach den Schreckensereignissen im Brüsseler Heysel-Stadion hat uns die Katastrophe von Sheffield hieran besonders nachdrücklich erinnert. Ich habe bereits telegrafisch dem Sprecher des Unterhauses und der Bevölkerung des Vereinigten Königreiches unsere tief empfundene Anteilnahme übermittelt. Unser besonderes Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Opfer von Sheffield. Den Verletzten wünschen wir baldige Genesung. Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Vor Eintritt in die Tagesordnung der 137. Sitzung des Deutschen Bundestages möchte ich folgende Amtliche Mitteilung verlesen: Frau Kollegin Garbe feierte am 24. März ihren 60. Geburtstag. Herr Kollege Koschnick feierte am 2. April seinen 60. Geburtstag, und Herr Kollege Urbaniak feierte am 9. April seinen 60. Geburtstag. Ich spreche der Kollegin und den Kollegen die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aus. ({1}) Die frühere Kollegin Frau Krieger hat am 4. April 1989 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als ihr Nachfolger hat Abgeordneter Such am selben Tag die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen. ({2}) Auf Wunsch der Fraktion der CDU/CSU soll ein Wechsel in der Zusammensetzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vorgenommen werden. Als Mitglied sollen Abgeordneter Dr. Wulff und als Stellvertreter Abgeordneter Schmitz ({3}) in die Parlamentarische Versammlung des Europarats gewählt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind Abgeordneter Dr. Wulff als Mitglied und Abgeordneter Schmitz ({4}) als Stellvertreter in die Parlamentarische Versammlung des Europarats gewählt. Einer Bitte des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit folgend wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung auf Drucksache 11/4124 nachträglich dem soeben genannten Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Aktuelle Stunde: Zur gegenwärtigen Lage der deutsch-polnischen Beziehungen ({5}) 2. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf 3. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zu Jungsten Äußerungen der Gewerkschaften IG Metall, IG Medien sowie Handel, Banken und Versicherungen zur Kriegsdienstverweigerung und Bundeswehr Präsidentin Dr. Süssmuth 4. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - Drucksache 11/4268 Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 11 der Tagesordnung ohne Debatte vorzusehen und Punkt 16 der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie mit den Änderungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Der nächste Punkt betrifft Verfahrensanträge des Abgeordneten Wüppesahl. Meine Damen und Herren, bevor ich den ersten Punkt der heutigen Tagesordnung aufrufe, teile ich mit, daß Herr Kollege Wüppesahl in insgesamt sechs Schreiben vom 19. April 1989 verschiedene Anträge zum Ablauf der heutigen Plenarsitzung gestellt hat. Verfahrensmäßig beabsichtige ich diese Anträge wie folgt zu behandeln: Die in vier Schreiben gestellten Anträge zur Verlängerung der interfraktionell vereinbarten Redezeit von fünf Minuten um einen Beitrag für den Abgeordneten Wüppesahl werden jeweils zu Beginn des betreffenden Tagesordnungspunktes, und zwar vor Abstimmung über den interfraktionellen Redezeitvorschlag aufgerufen. Im einzelnen handelt es sich um die Tagesordnungspunkte 7, 12, 14 und 15. Alle diese Tagesordnungspunkte werden erst nach der Mittagspause behandelt. Den in einem weiteren Schreiben gestellten Antrag, die Tagesordnung nach Tagesordnungspunkt 3 um die Abstimmung über die Einbringung einer Kleinen Anfrage zu erweitern, verstehe ich als Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung. Eine vom Abgeordneten Wüppesahl vorgelegte Kleine Anfrage trägt, worauf er bereits mit Schreiben vom 30. März 1989 hingewiesen wurde, nicht - wie erforderlich - die Unterschrift von mindestens 26 Abgeordneten, sondern allein seine eigene Unterschrift. Eine Weiterleitung an die Bundesregierung kommt deshalb nur bei einer Abweichung von der Geschäftsordnung in Betracht. Dieser Antrag ist zulässig, und ich beabsichtige, jetzt über ihn abstimmen zu lassen. Dagegen steht ein weiterer Antrag, die heutige Tagesordnung um einen von Herrn Kollegen Wüppesahl bereits am 28. Februar 1989 vorgelegten Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung zu ergänzen, nicht im Einklang mit der Geschäftsordnung. Ein Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung setzt voraus, daß die Vorlage, die zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, selbst zulässig ist. Das ist bei dem von Herrn Kollegen Wüppesahl vorgelegten Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung, wie ich ihm schon am 21. März 1989 geschrieben habe, nicht der Fall, da auch dieser Antrag nicht von mindestens 26 Abgeordneten unterschrieben ist. Aus diesem Grunde werde ich zu diesem Antrag nicht das Wort erteilen. Behandelt werden kann deshalb nur der Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung, mit dem erreicht werden soll, daß eine Kleine Anfrage zum Thema „Zweck der unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt ({6}) " auch ohne die notwendige Zahl von mindestens 26 Unterschriften an die Bundesregierung zur Beantwortung weitergeleitet wird. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Wüppesahl. Fünf Minuten.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Guten Morgen, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen. Ich habe gestern vor 18 Uhr entsprechend der Regelung nach § 20 unserer Geschäftsordnung einen Änderungsantrag zur Tagesordnung gestellt. Ich beabsichtige, eine Kleine Anfrage von der Regierung behandeln zu lassen, die sich mit dem von der Präsidentin eben zitierten Rubrum befaßt, im besonderen der Tatsache, daß die Einrichtung dieser sogenannten Gewaltkommission eine Konzession zwischen den Koalitionsfraktionen an dem schwächsten Partner dieser Koalition gewesen war. Ziel war im wesentlichen, daß die Ergebnisse der Beratungen dieser Gewaltkommission als Grundlage für die Sicherheitsgesetze - Artikelgesetze; es gibt da Normenwerke von insgesamt 20, 25 Einzelwerken - benutzt wird, um die Entscheidung herbeizuführen, in welcher Weise man über bestimmte Probleme in diesen Gesetzeswerken entscheiden will. Dazu ist ein Kanon von über 25 Fragen von mir entwickelt worden, die alle für sich wichtig sind, um mir Informationen zu beschaffen. Es geht mir um mein Informationsrecht als Abgeordneter im Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir heute über den § 126 unserer Geschäftsordnung - das ist der einzige Hebel und im Grunde auch der Büchsenöffner für den Antrag, der seitens der Präsidentin als unzulässig deklariert worden ist - eine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen, damit der Bundestag in Abweichung von der Regelung nach § 104 der Geschäftsordnung, wonach Kleine Anfragen nur von einer Fraktion oder mindestens 26 Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen eingebracht werden kann, beschließt, daß diese Kleine Anfrage - also als Abweichung im Einzelfall, genau wie es im § 126 GO BT steht - von der Bundesregierung beantwortet werden kann, und somit die Präsidentin diesen Vorgang in den Geschäftsgang eingibt. Ich würde mich freuen, wenn mir entweder von der präsidierenden Kollegin, Frau Professor Dr. Süssmuth, oder von einer Person aus Ihren Reihen, insbesondere den alterfahrenen Geschäftsführern oder Geschäftsführerinnen, erklärt werden kann, weshalb mein Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung nicht ebenfalls über den Hebel des § 126, nämlich über eine Abweichung im Einzelfall mit Zweidrittelmehrheit, heute hier behandelt werden kann. ({0}) Das, denke ich, ist ein logischer Bruch, Herr Bötsch, der in der zweiten Version, also der Nichtbehandlung meiner Geschäftsordnungsänderungsanträge - auch dort gibt es als Quorum 26 Unterschriften bzw. eine Fraktion - praktisch einen Verstoß gegen die eigenen Geschäftsordnungsregelungen ausmacht. Ich möchte hiermit gleichzeitig diesen Antrag eingebracht haben, weil ich die Formalia, nämlich bis 18 Uhr des Vortages diese Änderung der GeschäftsWüppesahl ordnung zur Tagesordnung eingebracht zu haben, ebenfalls eingehalten habe. Ich befürchte, daß hier seitens der Beratung für das Präsidium ein eklatanter Fehler gemacht wurde, als empfohlen wurde, daß dieser Antrag als unzulässig deklariert wird. Er ist genauso zulässig oder unzulässig wie der über die Kleine Anfrage. Die Voraussetzungen sind in keiner Weise anders. Ich kann selbstverständlich Änderungsanträge zur Geschäftsordnung dann einbringen, wenn Sie mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschließen, daß auch diese Geschäftsordnungsanträge in Abweichung von der Bestimmung der Geschäftsordnung - in diesem Einzelfall ohne 26 Unterschriften und ohne das Votum einer Fraktion - auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ich bitte also um Abstimmung zu beiden Anträgen und natürlich um wohlwollende Handzeichen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für Änderungen oder Abweichungen von der Geschäftsordnung muß man schon gewichtige Anlässe haben. Aber der Kollege Wüppesahl will aber etwas ganz anderes: Er will nicht die Geschäftsordnung geändert haben, sondern er möchte, daß wir ihm die Mühe abnehmen, die 26 Unterschriften im Hause zusammenzuholen, die er für seine Kleine Anfrage braucht. ({0}) Dafür wollen wir keine Änderung der Geschäftsordnung. Meine Damen und Herren, ich sage zugleich im Namen der Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, die mich darum gebeten haben: Wir können einem solchen Antrag nicht zustimmen. Ich bitte, ihn abzulehnen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir kommen damit zur Abstimmung. Ich frage: Wer stimmt für eine Abweichung von der Geschäftsordnung? - Das sind zwei Personen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag abgelehnt. ({0}) - Ihr Antrag, die Kleine Anfrage auf die Tagesordnung zu bringen. ({1}) - Das werde ich Ihnen erläutern: Der Antrag ist nicht geschäftsordnungsgemäß, und ich mache dies hier nicht zu einer weiteren Debatte. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klein ({2}), Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Dr. Pick, Schmidt ({3}), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Harmonisierung des Asylverfahrens mit dem Auslief erungsverf ahren - Drucksache 11/741 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarates - Drucksache 11/4182 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Apothekerordnung - Drucksache 11/4231 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({5}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes - Drucksache 11/4015 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen ohne Debatte an die in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem soll die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 3 d) zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost ({7}) - Drucksache 11/2854 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen ({8}) - Drucksache 11/4316 Berichterstatter: Abgeordnete Börnsen ({9}) Funke Präsidentin Dr. Süssmuth b) Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/4365 Berichterstatter: Abgeordnete Deres Walther Frau Vennegerts ({11}) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4371 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Pfeffermann.

Gerhard O. Pfeffermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001702, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung beschließen wir die Diskussion um das Poststrukturgesetz. ({0}) Das möchte ich zunächst zum Anlaß nehmen, mich für die aufgeschlossene Atmosphäre und die sachliche Arbeit in den Ausschüssen, besonders im federführenden Ausschuß, herzlich zu bedanken. Die Arbeit dort stand naturgemäß im völligen Gegensatz zum öffentlichen Feldgeschrei; das will ich dabei gern einräumen. Aber diese Sachlichkeit, die übrigens auch für eine Vielzahl von Gesprächen mit Verbänden und Gewerkschaften - ({1}) - Sie meinen, er sei zu sachlich gewesen?! ({2}) Herr Kollege, der Hinweis, daß dort sachlich gearbeitet worden ist, galt ja nicht Ihnen. Denn die GRÜNEN haben sich ja dadurch ausgezeichnet, daß sie an den Beratungen so gut wie überhaupt nicht teilgenommen haben ({3}) und auch keinerlei Sachvorschlag zur Sache selbst gemacht haben. ({4}) Also, Sie können mit diesem Hinweis auf die Sachlichkeit wirklich nicht gemeint gewesen sein. Und Sie stellen auch jetzt wieder unter Beweis, daß von Ihnen in dieser Frage nichts zu erwarten ist. ({5}) Meine Damen und Herren, diese Sachlichkeit gilt eben auch für die Vielzahl von Gesprächen mit Verbänden und Gewerkschaften. Als Hintergrund wird sie wahrscheinlich die Tatsache haben, daß - mit Ausnahme der Fraktion DIE GRÜNEN; das habe ich soeben schon dargestellt - alle um die Notwendigkeit dieser Reform gewußt haben. Das wird ja auch durch den Reformansatz unterstrichen, den die SPD mit ihrem Gesetzentwurf in den 70er Jahren einbrachte, ein Gesetzentwurf, der dann scheiterte, der aber immerhin die Notwendigkeit deutlich machte. Also, nicht um das Ob, sondern um das Wie ging der Streit, um das Wie rankten die Überlegungen, weil es hierfür natürlich sehr unterschiedliche, nicht zuletzt politisch geprägte Zielvorstellungen gab. Dabei waren die Wertungen der Parteien in den Beratungen häufiger näher beieinander, als es öffentlich deutlich geworden ist und wahrscheinlich auch heute wieder öffentlich deutlich werden wird. Immerhin erklärte die SPD noch am 23. Februar 1989 zum Verhandlungsstand, daß erhebliche Verbesserungen in ihrem Sinne erreicht worden seien. Wörtlich hieß es in einer Erklärung der SPD-Bundestagsfraktion: Wenn sich diese Tendenz bei den am 8. März beginnenden Beratungen im Postausschuß bestätigt und fortsetzt, kann damit ein Weg hin zu einem anderen Stimmverhalten der SPD-Bundestagsfraktion bei der Schlußabstimmung geöffnet werden. Über den Ablauf der Verhandlungen und die Inhalte sprach ich schon. Wir hätten also anderes erwarten dürfen als die jetzt angekündigte namentliche Abstimmung. Wenn nicht alles täuscht, wird in der heutigen Debatte von diesem zwischenzeitlichen Erkenntnisstand der SPD nicht allzuviel übrigbleiben. ({6}) Oder soll ich sagen: Es darf nicht allzuviel von dem eigentlichen Erkenntnisstand der SPD deutlich werden? ({7}) Gewissermaßen Glotz für die Intellektuellen und die Wirtschaft und die heutigen Redner für draußen, damit ein Popanz aufgebaut wird, der in der Sache so eigentlich gar nicht vorhanden ist. ({8}) Ich habe den Eindruck, die SPD wurde zurückgepfiffen; das scheint wohl die Ausgangslage der heutigen Diskussion zu sein. Leider war die öffentliche Diskussion über dieses Gesetz von Anfang an von Schlagworten geprägt, die weder der Zielvorgabe der Bundesregierung noch der der Koalitionsfraktionen entsprachen, noch der eigentlichen Aufgabe gerecht wurden. Die Post wird weder privatisiert noch zerschlagen. Ihr hohes Leistungsniveau soll nicht reduziert, sondern unter den Bedingungen der modernen Informatik ausgebaut und für die Bürger in Stadt und Land gesichert werden. Das ist die Aufgabe. Nicht wir haben einen Wettbewerb für die Dienste der Deutschen Bundespost erfunden, sondern die Deutsche Bundespost ist dem Wettbewerb im Postbereich, in den Postbankdiensten und in den Bereichen der Telekommunikation ausgesetzt. Wer das verschleiert, tut der Bundespost einen Bärendienst. Nur durch die Neustrukturierung wird die Post in diesem Wettbewerb bestehen können. Die Reform der seit mehr als sechs Jahrzehnten unverändert gebliebenen Struktur des Post- und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik ist u. a. auf Grund der gewandelten Technologien und Kundenbedürfnisse, wegen der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes 1992 und wegen des über die nationalen Grenzen rasant hinwegwachsenden Telekommunikationsmarktes notwendig geworden. Zweck dieser Maßnahme ist, die Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Lage zu versetzen, künftig flexibler am Markt und in den Wettbewerbsbereichen der Telekom, z. B. Endgeräten, Datendiensten, Mobil- und Satellitenfunk, den Postdiensten, wie z. B. Paketdienst, Päckchendienst, und der Postbank, z. B. Postgiro, Postsparkasse, Sortendienst, mit privaten Anbietern konkurrieren zu können. Dabei werden die Kundenbeziehungen künftig privatrechtlicher Art sein. Manchen Gruppen - auch mancher Partei - geht die Reform nicht weit genug. ({9}) - Herr Funke, ich habe es gehört. - Diesem müssen wir entgegenhalten, daß es für die Reform einen gesetzlichen Rahmen gab, nämlich das Grundgesetz. Die Reform wäre zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn wir diese Rahmenbedingung nicht beachtet hätten. Deswegen waren alle Ansätze falsch, z. B. das Fernmeldewesen aus der Deutschen Bundespost auszugliedern und losgelöst selbständig zu organisieren, wie das übrigens auch von Teilen der SPD manchmal angeregt wurde. Deshalb war auch jeder Vergleich mit dem Ausland wenig hilfreich. Wir mußten angesichts der Rechtslage unseren eigenen Weg in der Bundesrepublik gehen. ({10}) Andere Gruppen, wie z. B. die Deutsche Postgewerkschaft, wären für die Reform zu gewinnen gewesen, wenn wir die Deutsche Bundespost in einen Konzern umgewandelt hätten, mit einem einheitlichen Vorstand an der Spitze und natürlich paritätischer Mitbestimmung in den Aufsichtsräten. ({11}) - Herr Kollege, Sie hätten wirklich die Beratungen im Ausschuß nutzen sollen, um Ihre geistreichen Bernerkungen unterzubringen, möglicherweise sogar noch mit Inhalt zu versehen. ({12}) - So wie heute morgen hier. - Dann allerdings hätten wir die Post tatsächlich privatisieren müssen, meine Damen und Herren. Als Großkonzern wäre sie keinesfalls handlungsfähiger gewesen, der Entbeamtung wäre Tür und Tor geöffnet - sicherlich für manchen ein erstrebenswertes Ziel; für uns nicht. Die Deutsche Bundespost ist weiterhin ein öffentliches Unternehmen im Sondervermögen des Bundes. ({13}) Mit der neuen Struktur stellen wir sicher, daß die Deutsche Bundespost in der Wettbewerbssituation eines einheitlichen europäischen Marktes in der Zukunft bestehen kann. Dazu wurden hoheitliche und betriebliche Aufgaben getrennt. Die hoheitlichen Aufgaben werden in Zukunft vom Ministerium wahrgenommen. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, dann für Post- und Telekommunikation, trägt darüber hinaus für die Deutsche Bundespost insgesamt die politische Verantwortung. Die unternehmerischen und betrieblichen Aufgaben werde in drei Teilbereichen organisiert: Die Deutsche Bundespost Postdienst, die Deutsche Bundespost Postbank und die Deutsche Bundespost Telekom. Diese drei Teilbereiche erhalten eigene Vorstände und Aufsichtsräte, d. h. ein eigenverantwortliches Management im Stil moderner Wirtschaftsunternehmen. Wo gab es denn seither in den westlichen Industriestaaten noch einen Betrieb von mehr als 500 000 Mitarbeitern mit einem so breit angelegten Dienstangebot, wie das bei der Deutschen Bundespost der Fall ist, der sich auf der einen Seite tagtäglich im Wettbewerb bewähren soll und auf der anderen Seite so hierarchisch gegliedert ist, wie das bei der Deutschen Bundespost der Fall ist, so daß letztendlich die Verantwortung für jeden einzelnen Bereich, ja, fast für jede einzelne organisatorische Maßnahme bei einer Person, nämlich dem Minister, lag? Die Notwendigkeit des Wettbewerbs wurde in der öffentlichen Diskussion oft bezweifelt. Das ist teilweise verständlich. Im Rahmen des seitherigen Fernmeldemonopols schien alles gut zu laufen. Die Deutsche Bundespost hat ein leistungsfähiges Angebot von Post- und Fernmeldediensten bereitgestellt. Aber in der Zwischenzeit ist aus den seither getrennten Märkten des Fernmeldewesens, der Datenverarbeitung und der Bürokommunikation ein einheitlicher, komplexer Markt geworden. Diese Entwicklung wird durch den raschen technologischen Fortschritt gefördert. Dieser Markt, von dem Kenner sagen, daß er im Jahr 2000 ca. 7 % des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland ausmacht, ist mit den gewachsenen Strukturen der Deutschen Bundespost nicht erfolgreich zu bearbeiten. Der Verkäufermarkt der Deutschen Bundespost, der bis vor wenigen Jahren sogar nur ein Verteilermarkt war, hat sich in einen Käufermarkt geändert, auf dem dem einzelnen Kunden differenzierte Angebote gemacht werden müssen. Deshalb war es notwendig, der Post einen Rahmen zu geben, der ihr Flexibilität, Marktnähe und Innovationsfähigkeit erlaubt. Das heißt, die Deutsche Bundespost muß sich dem Wettbewerb stellen können. Dabei ist der Wettbewerb kein Ziel, sondern nach aller Erfahrung, die wir mit der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland gewonnen haben, das geeignete Mittel, die Lebensverhältnisse der Bürger zu fördern und den hohen wirtschaftlichen Standard in der Bundesrepublik Deutschland zu bewahren und auszubauen, und dies, meine Damen und Herren, zu marktgerechten Preisen, damit das Ganze für den Bürger nicht nur interessant, sondern auch erschwinglich ist. Ich sagte eben bewußt: Soziale Marktwirtschaft. Das heißt, daß wir in der Lage sein wollen, auszugleichen, wo der Markt gelegentlich nicht funktioniert oder dies nur zu Bedingungen geschieht, die wir z. B. aus strukturellen Erwägungen nicht akzeptieren können. Deswegen haben wir der Deutschen Bundespost die Daseinsvorsorge als Orientierung mit vorgegeben. Die Dienste der Deutschen Bundespost werden auch künftig der Daseinsvorsorge dienen. Das heißt, auch nach der Neustrukturierung wird die Deutsche Bundespost alle ihre bisherigen Dienstleistungen anbieten. Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung, die erstmals im Gesetz verankert sind - in § 4 - , zwingen zu Infrastrukturdiensten, die eine flächendeckende Versorgung für alle Bürger zu gleichen Bedingungen sicherstellen. Damit soll z. B. verhindert werden, daß es zu neuen, zusätzlichen Verzerrungen zwischen Ballungsgebieten und ländlichem Raum kommt. Neben den Wettbewerbsdiensten wird es bei der Deutschen Bundespost auch die Pflichtdienste geben. Angesichts der Ausgangslage und denkbarer tatsächlicher Entwicklungen kann dabei nicht ausgeschlossen werden, daß Pflichtdienste mit Verlusten abschließen. Für ihren finanziellen Ausgleich ist hinreichend Vorsorge getroffen worden, indem erstens die wirtschaftliche Einheit der drei Unternehmensbereiche nicht nur durch das Direktorium dokumentiert wird, sondern auch - das ist gegen erheblichen Widerstand durchgesetzt worden - eine Quersubventionierung zwischen den drei Unternehmensbereichen dann vorgenommen wird, wenn einer der drei Unternehmensbereiche defizitär ist, und indem zweitens die Telekom die Monopolbereiche Sprache und Netz behält. Das heißt, nicht nur der heutige Telefondienst, sondern auch die neuen Dienste, bei denen aus der Sicht der Nutzer die Sprachübertragung den Hauptzweck darstellt und die ohne die unveränderte, zeitgleiche Übertragung der Sprache nicht sinnvoll erbracht werden können, bleiben im Monopolbereich der Post. Das garantiert der Deutschen Bundespost Einnahmen, die mehr als 90 % ihrer heutigen Einnahmen im Fernmeldebereich ausmachen. Zusammen mit den Einnahmen aus dem Betrieb des Netzes ist damit die wirtschaftliche Zukunft der Deutschen Bundespost gesichert. In der Diskussion um den Gesetzentwurf ist immer wieder eingewandt worden, daß das Gesetzeswerk eigentlich nur das Fernmeldewesen neu ordne und dabei der Gelben Post zuwenig Aufmerksamkeit zugewandt werde. Richtig ist an diesem Einwand sicher, daß die Entwicklung im Telekommunikationsbereich eine Anpassung der Post an diesen Markt unausweichlich und damit zwingend gemacht hat. Richtig ist aber auch, daß die Bundesregierung und die Koalition zu keinem Zeitpunkt die sogenannte Gelbe Post außer acht gelassen haben. Wir haben eben nicht, wie ich vorhin schon darstellte, nur das Fernmeldewesen neu organisiert, sondern wir haben darauf bestanden, daß der Telekommunikationsbereich, die Gelbe Post und das Postbankwesen unter dem Direktorium im gemeinsamen Sondervermögen als wirtschaftliches Ganzes erhalten bleiben, daß die Einheit bewahrt bleibt. Der Gelbe-Post-Bereich wird genauso neu durchstrukturiert, wie dies im Telekommunikationsbereich der Fall ist. Er erhält den gleichen Aufbau, die gleiche Selbständigkeit, die gleiche Handlungsfähigkeit. Kundenbeziehungen und innere Struktur sind trotz unterschiedlicher Märkte unmittelbar miteinander vergleichbar. Die Sonderlösungen, die für das Personal möglich werden, gelten für alle drei Unternehmensbereiche. Im übrigen bleibt - das sei an dieser Stelle erwähnt; mein Kollege Bühler, denke ich, wird das noch vertiefen - die Einheit des Sozialwesens in den drei Teilbereichen der Deutschen Bundespost gewahrt, indem dieser Bereich dem Direktorium unmittelbar unterstellt wird. Wirtschaftlich erfährt das Postwesen erhebliche Verbesserungen. Durch die Umgestaltung der Ablieferung führt das beim Postwesen zu einer Entlastung von 1,5 Milliarden DM im Jahr. ({14}) Die Bundesregierung hat zugesagt, daß der Postbereich mit 80 % Eigenkapital ausgestattet wird, d. h. die Gelbe Post erbringt in Zukunft einen wesentlich geringeren Kapitaldienst als heute und erfährt auch dadurch eine Entlastung. Damit es völlig klar ist: Während die SPD unter Finanzminister Matthöfer die Post zusätzlich durch die Erhöhung der Abgabe von 62/3 auf 10 % belastet hat, verabschieden wir heute ein Gesetz, mit dem die Gelbe Post systematisch von dieser Abgabe völlig befreit wird. ({15}) Mit dem größeren Handlungsspielraum, den die Post im Personalbereich erhält, wird sie in der Lage sein, den Kundenwünschen vor Ort deutlicher zu entsprechen, als das heute der Fall ist. Im Zusammenhang mit der Postbank muß klargestellt werden, daß die Postbankdienste auch in Zukunft über die Schalter der Deutschen Bundespost abgewickelt werden. Das Ziel des Poststrukturgesetzes ist nicht, eine neue Bank außerhalb der Post zu schaffen, sondern durch ein neues Management die Leistungen der Postbankdienste zu verbessern, um den Kundenkreis nicht nur zu halten, sondern ihn auszubauen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutsche Bundespost bleibt mit ihren drei Teilunternehmen auch künftig ein öffentliches Unternehmen und, was in diesem Zusammenhang wesentlicher ist, eine Bundesverwaltung. Insofern stellte sich weder die Frage einer qualifizierten Mitbestimmung, noch konnte die 76er Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes Anwendung finden. Das bedeutet aber auch, daß das Bundespersonalvertretungsgesetz bei der Deutschen Bundespost weiterhin seine volle Gültigkeit hat. Jedem der einzelnen Teilbereiche wird danach ein Hauptpersonalrat zugeordnet werden. Eine zusätzliche Mitwirkung des Personals erfolgt über die Drittelparität in den Aufsichtsräten. Ich räume gerne ein, daß für manchen Funktionär die Einflußnahme auf das Gesamtunternehmen der Deutschen Bundespost jetzt erschwert ist. Es kann aber auch überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß das Personal, auf seinen jeweiligen Unternehmensbereich bezogen, eine verbesserte Mitwirkungsmöglichkeit hat. Abschließend bleibt festzuhalten, daß die Zielvorstellungen zur Neustrukturierung der Deutschen Bundespost mit dem vorliegenden Gesetz erreicht werden: Erstens. Die Marktöffnung wird den Anforderungen einer modernen Industrie- und Kommunikationsgesellschaft gerecht. Zweitens. Die Deutsche Bundespost erhält den notwendigen Handlungsspielraum, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Drittens. Daseinsvorsorge und flächendeckende Infrastruktur werden gewährleistet. Viertens. Durch die Aufrechterhaltung der Einheit des Unternehmens bleiben die einzelnen Unternehmensbereiche der Deutschen Bundespost auch für die Zukunft wirtschaftlich gesichert. Fünftens. Die Deutsche Bundespost erhält eine moderne Struktur, mit der sie sich am Markt behaupten und damit ihre Arbeitsplätze auf Dauer sichern wird. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen.

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Sie begannen, Herr Pfeffermann, wußte ich, daß ich meine Rede heute richtig angelegt habe; denn Sie haben uns offensichtlich nicht zugetraut, einen solchen Sachverhalt, einen solchen Verlauf der politischen Diskussion auch der vergangenen Wochen differenziert beurteilen und das hier zum Ausdruck bringen zu können. Genau das werde ich tun. Es wäre wirklich müßig gewesen, auch unsererseits jetzt darauf hinzuweisen, daß es auch in den Fraktionen der Bundesregierung, in der CDU, in der CSU und in der FDP, sehr unterschiedliche Bewertungen dieses Gesetzes gibt. Ich glaube, solche unterschiedlichen Einschätzungen sind doch selbstverständlich; das gehört geradezu zur demokratischen Selbstverständlichkeit. Wie wäre es denn, wenn hier ein geschlossener Block wäre? Dann sollte man auch nicht den Eindruck machen, als wäre das der Fall. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, bevor ich auf das Gesetz inhaltlich eingehe, einige Worte zu der Frage sagen, inwieweit eine Neustrukturierung dieser Deutschen Bundespost überhaupt erforderlich ist; denn diese Frage wird immer wieder an uns gestellt, natürlich auch an uns als Opposition, weil wir die Notwendigkeit einer Neustrukturierung bejahen. Lassen Sie mich dies zumindest ganz kurz noch einmal begründen. Dem staatlichen Monopol des Fernmeldewesens, welches sich über Jahrzehnte entwickelt hat, steht seit geraumer Zeit der ausschließlich privatrechtlich organisierte Bereich der Datenverarbeitung gegenüber. Durch die Anwendung der Mikroelektronik wachsen staatlicher Monopolbereich und privat betriebene Datenverarbeitung zusammen. Ohne Regulierung, ohne Anpassung der Struktur ist der Monopolbereich gefährdet, also konkret: das Fernmeldewesen, das wirtschaftliche Rückgrat der Deutschen Bundespost. Besonders deutlich wird dies z. B. am ISDN, dem integrierten, digitalisierten Diensteangebot der Zukunft: Sprachdienst, Daten- und Textaustausch werden integriert angeboten, ohne Unterscheidungsmerkmale. Ein nicht weiterentwickeltes Sprachmonopol würde faktisch auslaufen. Dies ist ein zentraler Beweggrund. Ein zweiter ist die Notwendigkeit, die Bundespost von der heutigen Verwaltungsstruktur her zu einem effizienteren, mehr markt- und kundenorientierten Unternehmen weiterzuentwickeln. Diese Notwendigkeit zu verschweigen hieße, Initiativen der Vergangenheit zu leugnen. Erlauben Sie mir zwei Zitate. Das erste: Diese Bundespost muß sich endlich den längst veränderten Bedingungen einer Umwelt anpassen, und meiner Auffassung nach hätte dieser Schritt schon vorher getan werden müssen; wenn er vorher getan worden wäre, wäre manches ein bißchen leichter, als es in der Gegenwart der Fall ist. Die Post alter Art ... wird und kann den Aufgaben, denen sie in der Gegenwart, mehr noch, vor denen sie in der Zukunft steht, in ihrer derzeitigen Struktur nicht optimal gerecht werden. Ein zweites Zitat aus derselben Rede: Die Deutsche Bundespost wird ihre Aufgaben besser erfüllen können, wenn sie künftig weniger Staat, weniger Amt, weniger politischer Einflußnahme unterliegt, dafür aber mehr Wirtschaft, mehr Kundennähe pflegt und vor allem auch in einem angemessenen Rahmen die Bedingungen des Personals, die sie suchen und nötig haben, erfüllen kann. Jetzt weist das Zitat lebhaften Beifall aus. ({0}) Diese Zitate, meine Damen und Herren - es gäbe noch mehr - , stammen aus einer Rede des Postministers Georg Leber vom 20. Oktober 1970. Wenn, wie ich meine, damals zu Recht erkannt wurde, daß eine Neustrukturierung erforderlich ist, und wenn eine technische Entwicklung als wesentlicher, existentieller Faktor hinzukommt, dann wird sich niemand der Notwendigkeit einer Neustrukturierung, wenn er ehrlich ist, verschließen können. ({1}) Wenn ich jedoch die Stationen der Meinungsfindung dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren, zurückverfolge - erlauben Sie mir zu früher Stunde, das ein bißchen ironisierend zu tun - , dann ist festzustellen, daß 1987 die Regierungskommission Börnsen ({2}) Fernmeldewesen mit der Bauempfehlung für ein hochmodernes Telekom-Containerschiff - leider mit dem Motor einer Dampfbarkasse - ausgerüstet wurde. Außerdem war die Flagge der Gelben Post ersatzlos gestrichen worden. Alles war grau in grau. Die Referentenentwürfe des Postministeriums rüsteten das Projekt zwar mit dem tragenden Längsspantensystem des Netzmonopols aus, trieben jedoch die stellungbeziehenden Ministerien in sämtliche zur Verfügung stehende Rettungsboote - sinnbildlich natürlich nur -, weil der Entwurf auch handwerklich unzureichend war. Außerdem warf die mangelnde Unterteilung in wasserdichte Bereiche erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Kentersicherheit auf. Wider Erwarten fand am 11. Mai 1988 der Stapellauf statt. Es gelang allerdings nur mit Mühe, das Projekt trotz Gegenwindes des Bundesrates an die Ausrüstungspier zu verholen. Erst im Februar, also nur acht Wochen vor der Probefahrt am heutigen Tag, begann innerhalb der Bundesregierung die Einsicht zu wachsen, daß die Bauvorschriften nur mit moderner Antriebsanlage auf der Grundlage eines breiteren Konsenses von Verbrauchern, Beschäftigten, Opposition und Bundesregierung zu erfüllen seien. Meine Damen und Herren, der Dampfbarkassenmotor dieser Regierung allein reicht halt nicht mehr aus. ({3}) Aber mit dem notwendigen Ernst: Ich erkenne die Bereitschaft Ihrerseits an, Herr Minister, Möglichkeiten für eine breiteren Konsens gesucht zu haben, und stelle fest, daß die Gespräche zwischen Ihnen und der Postgewerkschaft einerseits und mir andererseits zu substantiellen Verbesserungen des Gesetzentwurfs geführt haben. Unsere Forderung nach Streichung der Einvernehmensregelungen mit dem Bundesfinanzminister ist uneingeschränkt erfüllt worden. Ein Infrastrukturrat ist mit Beschlußrechten ausgestattet worden, die allerdings der Weiterentwicklung bedürfen. ({4}) - Warte es einmal ab; dazu gehört noch ein bißchen mehr. Ein Hauptpersonalrat beim Direktorium ist eingerichtet worden, allerdings nur für das Sozialwesen. Das ist für uns ungenügend. Die Gesamtbewertung, Herr Kollege Bühler, des Gesetzes - da sind Schwerpunkte; das will ich nicht verkennen - macht deutlich, daß unsere zentralen Einwände nicht ausgeräumt sind. Die Einheit der Bundespost wird nicht gewahrt. Damit verbunden, ja gewollt, werden die Mitbestimmungs- und die Mitwirkungsrechte der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft unzumutbar eingeschränkt. ({5}) Aber lassen Sie mich auch dies sagen, meine Damen und Herren: Ich verhehle nicht, enttäuscht darüber zu sein, daß Punkte, die ehemals von zentraler Bedeutung waren, nun, da sie durchgesetzt worden sind, als fast nebensächlich abgehakt werden; so die Aufhebung dieser eben genannten Einvernehmensregelungen mit dem Finanzminister. Was wäre denn auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vom Mai 1988 zu erwarten gewesen? Eine unternehmerisch orientierte Deutsche Bundespost, die sich vom Finanzminister die Genehmigung für die Veränderung der Personalstruktur holen muß? Ein zukunftsorientiertes Technologieunternehmen Telekom, ({6}) das mit dem Finanzminister über die Einstellung zusätzlicher Informatiker feilschen muß, und ein für die Kommunikationsinfrastruktur verantwortliches Unternehmen, das mit dem Finanzminister aushandeln muß, wie hoch denn wohl die Investitionen sein dürfen, und das angesichts eines aus rein fiskalischen, aber nicht aus politischen Motiven handelnden Finanzministers? Seine morgige Ablösung ist ja schließlich keine Garantie für Besserung. ({7}) Eine solche Einbindung in politische Abhängigkeiten wäre geradezu eine Pervertierung des Gedankens einer sich im Wettbewerb befindlichen Deutschen Bundespost gewesen, und das stand im Gesetzentwurf Ihrer Bundesregierung drin. ({8}) - Die Rede dauert 20 Minuten, Herr Pfeffermann; warten Sie einmal ab. Wir werden zum Schluß auch die Gesamtbewertung vornehmen. Helmuth Becker, unser ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundespostministerium, ({9}) sagte zu dieser Entwicklung: Wenn wir dies 1970 in unserer Regierungszeit hätten durchsetzen können, hätte auf dem Münsterplatz eine Jubelkundgebung stattgefunden. Meine Damen und Herren, die SPD hat diesen Punkt in der Opposition durchsetzen können. ({10}) - Herr Pfeffermann, ich verstehe Ihre gewisse Aufregung. ({11}) Ich möchte mir einmal verkneifen, darauf einzugehen, worauf dies zurückzuführen wäre. Aber darüber können wir uns ja vielleicht im Anschluß noch einmal unterhalten. ({12}) Die Aussage ist so absolut korrekt. Ich sage dies auch, meine Damen und Herren, weil ich vor eineinhalb Jahren in meinem ersten Beitrag hier im Parlament das Thema in den Mittelpunkt meiner Rede gestellt habe. Damals war der Wahrnehmungsgrad gering, weil wohl niemand an die Umsetzbarkeit dieser Forderung glaubte. Gerade deswegen ist es für mich Börnsen ({13}) eine Frage der Glaubwürdigkeit, die Wertigkeit der Aufgabe der Einvernehmensregelungen auch heute wie vor anderthalb Jahren zu beurteilen. Es ist ein zentraler Punkt in der Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundespost. ({14}) Wenn ich die Wettbewerbsfähigkeit anspreche: Eine Stärkung der wirtschaftspolitischen Standortbestimmung der Deutschen Bundespost ist ja schließlich kein Selbstzweck. Das hat doch wohl direkte Auswirkungen auf die Fähigkeit der Deutschen Bundespost, ihrem Infrastrukturauftrag gerecht zu werden, ihre Aufgabe der Daseinsvorsorge zu erfüllen und die flächendeckende Versorgung aller Bürger mit Dienstleistungen zu gewährleisten und damit auch die Arbeitsplatzrisiken zu mindern. ({15}) Ähnliches gilt für die Einrichtung eines Infrastrukturrats. Dieser wird mit Beratungs- und Beschlußrechten ausgestattet. Was bedeutet das für uns? Wir haben der Bundesregierung vorgeworfen, eine Entwicklung einzuleiten, die zu einer Vernachlässigung der traditionellen gelben Postdienste, zu einem Arbeitsplatzverlust erheblichen Ausmaßes, und zu einer Gefährdung der Flächenversorgung führen würde. Es verbleiben im Gesetzentwurf Paragraphen, die Anlaß zu berechtigten Befürchtungen geben, so in der Frage des asymmetrischen Wettbewerbs bei den Pflichtdiensten. Durch den Infrastrukturrat, der mit je elf Vertretern des Bundestags und des Bundesrats besetzt sein wird, ohne Vertreter der Beschäftigten, was wir korrigieren werden, ({16}) ist hier ein politischer Riegel eingeschoben, und es wird an unserer Kontrollfähigkeit liegen, die genannten Risiken weitgehend zu mindern. ({17}) - Ich hätte mich bei Ihrer Rede auch gern ein bißchen engagiert, Herr Pfeffermann. Das war leider nicht möglich. Das wird den Bundespostminister nicht von seiner Verantwortung für die Versorgung der Fläche und anderes mehr entbinden, aber die Ausgestaltung dieser Einflußnahme durch den Infrastrukturrat wird unter Beweis stellen, ob - und hoffentlich: daß - Parlament und Bundesrat eine Ausgleichsfunktion zum Erhalt einer Bürgerpost gewährleisten. Dies sind wesentliche Veränderungen und Fortschritte. Ich stelle das ausdrücklich fest. ({18}) - Immer dann, wenn Sie das sagen, komme ich zu dem richtigen Passus meiner Rede, Herr Pfeffermann, die nämlich, wie ich eingangs sagte, differenziert ist. Das ist manchmal von Vorteil. Das enthebt uns nicht einer Gesamtbewertung des Gesetzentwurfs und damit zweier für uns Sozialdemokraten entscheidender Fragestellungen: Warum wird willkürlich die Einheit des Unternehmens Deutsche Bundespost zu einer politischen Frage degradiert? Warum werden Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten auf dem ideologischen Altar parteipolitischer Kurzsichtigkeit aufgegeben? ({19}) Meine Kollegen werden in den nachfolgenden Beiträgen noch auf finanzielle Auswirkungen eingehen, die z. B. auch die Aushöhlung des Netzmonopols betreffen, auf die Rosinenpickerei bei den Pflichtdiensten, also auf weitere Defizite, die das Gesetz aufweist. Ich stelle hier fest: Am Beispiel der Dreiteilung der Deutschen Bundespost, auf die ich mich konzentrieren möchte, zeigt sich deutlich, daß es der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen weniger um sachgerechte Lösungen für eine moderne, zeitgemäße Organisationsform der Deutschen Bundespost geht als vielmehr darum, die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Beschäftigten, ihrer Personalvertretungen und der Deutschen Postgewerkschaft zu zersplittern und damit zu schwächen. Denn welchen Sinn macht eine solche Dreiteilung, die entgegen der angeblichen Zielsetzung dieser Bundesregierung, mehr Flexibilität und schnellere Entscheidungsabläufe für die Deutsche Bundespost zu schaffen, zu mehr Bürokratie und umständlicheren Abstimmungsverfahren führt? Hierzu nur drei kurze Beispiele. Zum Wirtschaftsplan: Waren bisher Postminister, Finanzminister und Verwaltungsrat beteiligt, so muß der Wirtschaftsplan künftig vom Vorstand, vom Aufsichtsrat, vom Direktorium, vom Postminister und auch vom Infrastrukturrat beschlossen bzw. beraten werden. Das ist natürlich eine wesentliche Entbürokratisierung! Zum Personalrat: Statt eines Hauptpersonalrats als zentralen Ansprechpartners, wie er heute bei der Bundespost existiert, wird es künftig sechs Hauptpersonalräte geben - ist ja toll! - , drei bei den Unternehmen, einen beim Minister, einen beim Direktorium für Sozialangelegenheiten und einen weiteren für die im Sozialbereich Beschäftigten. Da blickt ja kein Mensch mehr durch. Hinzu kommt, daß es künftig bei jeder Oberpostdirektion zwei örtliche und zwei Bezirkspersonalvertretungen geben wird. Das ist überzeugend! Und schließlich zur Verwaltung: Auch die Zahl der Referate, die beim Bundespostminister und bei den Generaldirektionen angesiedelt sein werden, wird sich gegenüber dem jetzigen Zustand deutlich erhöhen. Das allein wäre ein Thema, auf das man längere Zeit eingehen könnte. Ich habe diese Zeit leider nicht, eindeutig nicht. Die Dreiteilung macht aber auch unter betrieblichen Aspekten keinen Sinn. Die Aufteilung der Deutschen Bundespost erschwert die Nutzung von Verbundléistungen, die zwischen Post- und Telekommunikationsdiensten bestehen. Statt diese Leistungsbe10058 Börnsen ({20}) reiche zu trennen, sollten die Verbundeffekte in Zukunft verstärkt zur Geltung gebracht werden, um den Kunden ein gemeinsames, zusammengefaßtes Dienstleistungsangebot zu ermöglichen. Hinzu kommt - das ist mir besonders wichtig -, daß auch die beschäftigungspolitischen Auswirkungen, die auf Grund der vorhersehbaren Substitutionsvorgänge zwischen Post- und Telekommunikationsdiensten entstehen können, unter sozialpolitischen Gesichtspunkten in einem Unternehmen wesentlich problemloser zu bewältigen wären. Die Teilung des Unternehmens macht also weder unter betriebswirtschaftlichen noch unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten irgendeinen Sinn. Sie soll offensichtlich ausschließlich dazu dienen, die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, die bisher zentral zusammengefaßt waren, zu zersplittern und damit zu schwächen, auch wenn dies zu mehr Bürokratie und größerer Unbeweglichkeit führt; das nimmt man aus ideologischen Motiven in Kauf. Wir halten demgegenüber einen gesamtverantwortlichen Vorstand, der nicht in die Einzelentscheidungen der Unternehmen hineinregieren soll, der aber eine Gesamtverantwortung für die Deutsche Bundespost und koordinierende unternehmerische Funktionen wahrnehmen soll, für sachgerechter und eindeutiger. Dies würde einen Hauptpersonalrat und einen Aufsichtsrat bewirken, würde die auseinanderstrebende Struktur, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist, vermeiden, würde organisatorisch klarer sein, würde schnellere Entscheidungsabläufe ermöglichen. Mit anderen Worten: Die Bürokratie würde zurückgedrängt werden, die unternehmerische Zielsetzung würde deutlicher im Vordergrund stehen. Bei der Gesamtbetrachtung des Gesetzes muß ebenfalls die Konzeption der Bundesregierung zur Neuordnung der Telekommunikation berücksichtigt werden, und diese Konzeption gibt zusätzlichen Anlaß zu Mißtrauen. So hinsichtlich des Netzmonopols, das dort in einer anderen Weise definiert wird, als es im Gesetz beschrieben ist. Schließlich wäre auch zu der Frage des Beförderungsvorbehaltes im gelben. Postwesen etwas zu sagen. Ich kann auf diese Punkte leider nicht näher eingehen. Aber diese und andere Formulierungen in der Konzeption der Bundesregierung geben Anlaß zu der Annahme, das die Bundesregierung zu einem späteren Zeitpunkt wesentliche Einschnitte beabsichtigt - wenn sie dann noch im Amt ist. Das darf nicht geschehen. ({21}) Ich habe auf die Defizite des Gesetzes aus unserer Sicht hingewiesen. Die SPD-Fraktion hat für die heutige Debatte einen Entschließungsantrag vorgelegt, der ausweist, welche Kritik wir am Gesetzentwurf üben, welche grundsätzliche Haltung wir zur notwendigen Neustrukturierung der Bundespost selber einnehmen und welchen Handlungsbedarf wir für die Zukunft sehen. Dies sind, meine Damen und Herren, gleichzeitig unsere Grundsätze für Maßnahmen einer künftigen sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, um die Einheit der Deutschen Bundespost wieder herzustellen, die Beteiligungsrechte des Personals zu sichern und die Deutsche Bundespost unter Berücksichtigung ihres sozialstaatlichen und gemeinwirtschaftlichen Auftrages zu befähigen, am Wettbewerb in der Telekommunikation, im Brief- und Paketdienst und bei den Bankdiensten teilzunehmen. Dies vorausgeschickt, sage ich aber auch: Die Bundespost als größter Arbeitgeber Europas, als ein Auftraggeber mit zentraler Bedeutung für die Fernmeldeindustrie in der Bundesrepublik, als größter Investor auf dem Gebiet künftiger Kommunikationsfelder, und mehr noch: die Deutsche Bundespost zu Beginn ihrer Rollenfindung im Wettbewerb braucht nach Jahren kontroverser politischer Diskussion eine Phase der Stabilisierung. Erforderlich ist auch die Beurteilung der tatsächlichen Entwicklung der neustrukturierten Bundespost, sowohl hinsichtlich der Verselbständigung der einzelnen Unternehmensbereiche wie auch hinsichtlich der Stellung der Bundespost innerhalb des Wettbewerbs. Ich schließe nicht aus, daß sich politischer Handlungsbedarf über die heute möglichen Kenntnisse hinaus aufdrängt. Um so mehr ist es notwendig, eine Korrektur des Gesetzes mit der notwendigen Gründlichkeit vorzubereiten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen und eine aktuelle Bewertung zum Anlaß nehmen, auf die künftige Entwicklung der vor uns liegenden Monate hinzuweisen. Die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung zum 1. April dieses Jahres bei der Deutschen Bundespost wirft bereits neue Fragen auf. Die Arbeitszeitverkürzung ist sehr differenziert vorgenommen worden, wunderlicherweise teilweise durch Reduzierung von Zeitansätzen wieder ausgeglichen worden. Mit anderen Worten, dieselben Tätigkeiten sind in kürzerer Arbeitszeit zu leisten. Ich frage, ob das vielleicht als Handlungsanleitung für die zu bestellenden Vorstände zu verstehen ist. Wir werden deshalb die Umsetzung und die Auswirkungen des Gesetzes zur Neustrukturierung der Bundespost sehr sorgfältig kontrollieren und kritisch begleiten. Wir werden prüfen, ob die Vorstände ausschließlich betriebswirtschaftliche Kriterien berücksichtigen oder die Interessen der Kunden und der Beschäftigten gleichgewichtig wahrzunehmen bereit sind. Wir werden kritisch bewerten, ob die Dienstleistungen gerade der Gelben Post auch künftig für alle Bürger zur Verfügung stehen und die Angebote der Telekom auch in der Fläche uneingeschränkt und gleichgewichtig genutzt werden können. Der vorliegende Gesetzentwurf wird diesen und vielen anderen Fragen nicht gerecht. Die SPD wird ihn deswegen in zweiter und dritter Lesung ablehnen. Wir beantragen namentliche Abstimmung. Ich danke Ihnen. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Der Abgeordnete Wüppesahl hat erneut das Wort zur Geschäftsordnung zur laufenden Debatte erbeten. Ich erteile ihm das Wort.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke schön, Frau Präsidentin. Ich beziehe mich auf die §§ 25 und 126 der Geschäftsordnung. § 25 Abs. 2 lautet: Der Bundestag kann auf Antrag einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages die Beratung vertagen oder die Aussprache schließen. Der Antrag auf Schluß der Aussprache geht bei der Abstimmung dem Antrag auf Vertagung vor. Ein Antrag auf Schluß der Aussprache darf erst zur Abstimmung gestellt werden, wenn jede Fraktion mindestens einmal zu Wort gekommen ist. Ich stelle zunächst folgenden Geschäftsordnungsantrag. Ich bitte, daß eine Zweidrittelmehrheit nach § 126 der Geschäftsordnung beschließt, daß in diesem Einzelfall abweichend von der Regelung in § 25 Abs. 2 auch ein einzelner Abgeordneter den Antrag auf Schluß der Aussprache und ersatzweise auf Vertagung der Debatte stellen darf. ({0}) Falls dieser erste Geschäftsordnungsantrag eine Zweidrittelmehrheit bekommen hat - diese Zweidrittelmehrheit ist ja vorhanden, wie ein Blick in den Saal zeigt -, ({1}) stelle ich den zweiten Geschäftsordnungsantrag, daß Schluß der Aussprache und ersatzweise Vertagung der Debatte beschlossen wird, und zwar aus folgenden Gründen. Zu dieser sogenannten Poststrukturreform hat keine gesellschaftliche Diskussion in dem notwendigen Maß stattgefunden. Sie wurde zwar von der Deutschen Postgewerkschaft maßgeblich betrieben, aber von der CDU/CSU abgeblockt. Es fand auch viel zu viel Mauschelei statt: im Ausschuß und außerhalb des Parlaments in kleinen Gruppen. ({2}) Die Entscheidung, die heute herbeigeführt werden soll, ist nicht im Parlament gefallen, sondern in der Industrie. Auch deshalb fordere ich eine Vertagung der Debatte, damit sachgerecht diskutiert werden kann. Mit dieser Postreform wird der Einstieg in die Privatisierung vorgenommen. Die Frage der Privatisierung gehört im Parlament ausgiebig diskutiert und beraten. ({3}) Auch deshalb, weil die Datenschutzregelungen völlig ungeschützt sind, fordere ich Schluß der Aussprache heute und eine erneute Debatte, natürlich auch in den Ausschüssen des Bundestages. ({4}) Ein weiteres Begründungselement ist der Zugriff der Geheimdienste auf die Telekommunikationsdienste. ({5}) Auch dieser Gesichtspunkt, Herr Kollege, muß ausführlich diskutiert und beraten werden. ({6}) Abschließend: Sie haben in absehbarer Zeit ohnehin nicht mehr die Mehrheit im Parlament. Daher halte ich es für völlig verfehlt, daß wir jetzt ein solches Gesetz beschließen, dessen wesentliche Grundzüge in zwei Jahren korrigiert werden müssen. ({7}) Ich bitte um Zustimmung zu beiden Geschäftsordnungsanträgen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? ({0}) Ich stelle den Antrag zur Abstimmung. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Zwei. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Funke. ({1}) Herr Abgeordneter Funke, wegen Ihrer Verletzung darf ich vielleicht noch sagen, daß wir auch dort vorn ein Mikrofon installieren können, damit Sie nicht so lange stehen müssen.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich möchte es erst einmal so versuchen, und dann können wir weitersehen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem humoristischen Beitrag des Kollegen Wüppesahl wollen wir zur Sache zurückkehren. ({0}) Das vorliegende Gesetz zur Neustrukturierung der Deutschen Bundespost, das wir heute in der zweiten und dritten Lesung beraten und das wir im gesellschaftlichen Raum sowie hier im Parlament und im Ausschuß intensiv beraten haben, gehört, glaube ich, zu den wichtigsten Reformvorhaben der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode. Der Bundeskanzler hat mehrfach darauf hingewiesen, daß bei der Post Maßnahmen zu einer verbesserten Marktöffnung ergriffen werden müssen, um dem Strukturwandel der Wirtschaft, der Technologie und des Kommunikationswesens gerecht zu werden. Zu Recht wird die Deutsche Bundespost in der Öffentlichkeit, in der Publizistik, als „gelber Riese" bezeichnet. Schließlich ist sie mit 550 000 Mitarbeitern und einem Investitionsvolumen von jährlich fast 21 Milliarden DM das größte europäische Dienstleistungsunternehmen. Die Deutsche Bundespost operiert insbesondere im Telekommunikationsbereich in einem dynamisch wachsenden Markt; hierauf hat der Kollege Pfeffermann vorhin bereits hingewiesen. Ein so bedeutendes Unternehmen braucht moderne Unternehmensstrukturen und kann auf Dauer nicht als Behörde geführt werden. Schließlich wollen wir, daß es bei dem „gelben Riesen" bleibt und daß die Post nicht, wie es in der „Zeit" so schön hieß, zu einem lahmen Riesen denaturiert. Eine Neustrukturierung ist, wie ich meine, ein ganz normales Verfahren. Auch vergleichbare große Wirtschaftsunternehmen denken in bestimmten Zeitabständen über ihre Organisationsform nach, um Organisation und Management an die neu gewachsenen Betriebsstrukturen anzupassen. Besonders im Bereich der Telekommunikation muß sich die Post dem Markt und damit auch dem Wettbewerb stellen. Hervorragende Dienstleistungsangebote der Post sind für die gesamte Wirtschaft von eminenter Bedeutung. Preiswerte und gute Telekommunikation spielt für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle. Ausgehend von diesen Überlegungen, hat die Bundesregierung bereits in der letzten Legislaturperiode eine Kommission unter Leitung von Professor Dr. Witte berufen, die Vorschläge zur Neustrukturierung des Telekommunikationswesens erarbeiten sollte. Nach sehr gründlichen und guten Beratungen hat diese Kommission, die ja immerhin aus hervorragenden Sachkennern aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft und auch aus der Politik - Herr Glotz war ja mit dabei - bestand, ihre Arbeit abgeschlossen. Für die von der Witte-Kommission vorgelegten Vorschläge möchte ich mich an dieser Stelle auch im Namen meiner Fraktion noch einmal sehr bedanken. ({1}) Ich bin sicher, daß viele Vorschläge der Kommission, auch solche der Kommissionsmitglieder, die eine Minderheitenmeinung vertreten haben, die oft aus politischen Gründen in das vorliegende Gesetzeswerk nicht mit hat eingehen können, in Zukunft wieder aufgegriffen werden und bei der Fortentwicklung der Telekommunikation eine bedeutende Rolle spielen werden. Nach Vorliegen der Arbeit der Witte-Kommission hat sich die Bundesregierung zügig an die Arbeit gemacht und hat Bundesrat und Bundestag den vorliegenden Gesetzentwurf zugeleitet. Herr Kollege Wüppesahl, das vorliegende Gesetz ist ohne jeglichen Zeitdruck gründlich beraten worden. Die erfolgte Anhörung der Sachverständigen ist gründlich ausgewertet worden. Im Gegensatz zu manch anderem Gesetz - das will ich auch einmal ganz deutlich sagen - ist dieses Gesetz in diesem Hause so beraten worden, wie es zumindest meinem parlamentarischen Selbstverständnis entspricht und wie es die interessierte Öffentlichkeit bei einem solch wichtigen Gesetz erwarten konnte. ({2}) - Das ist richtig. Auch der Kollege Briefs hat sicherlich zur Sachdienlichkeit der Beratungen beigetragen, indem er nicht dabei war. Daß wir so sachlich beraten konnten, ist aber auch - das will ich ganz klar sagen - ein Verdienst des Ausschußvorsitzenden Peter Paterna, ({3}) dem ich für seine faire und sachliche Leitung sehr danken möchte, die er praktiziert hat, obwohl wir in der Sache notwendigerweise häufig Differenzen hatten. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern des Bundespostministeriums sowie den Mitarbeitern des Ausschußbüros, die die zahlreichen Änderungen auf Grund der Beratungen, die ja nun wirklich gründlich gewesen sind, zügig und oft unter zeitlicher Anspannung umgesetzt haben. Über dieses Poststrukturgesetz ist nicht nur im parlamentarischen Bereich intensiv diskutiert worden, sondern dieses Gesetzesvorhaben stand auch im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung. Das kann auch nicht anders sein, das ist auch nicht verwunderlich. Schließlich sind von diesem Poststrukturgesetz wirtschaftliche, industriepolitische, personalpolitische Interessen im erheblichen Umfang betroffen. Während ein Großteil der Verbände der Wirtschaft bis heute kritisch anmerkt, daß sich die Deutsche Bundespost dem Wettbewerb zuwenig öffne, haben die Gewerkschaften grundlegende Kritik geäußert und das gesamte Vorhaben der Neustrukturierung der Post abgelehnt. Die Gewerkschaften haben in ihren Kampagnen auch nicht davor zurückgeschreckt, Politiker der Koalitionsfraktionen zu diffamieren und ihnen zu unterstellen, ({4}) daß das Postwesen zerschlagen werden soll - so formulieren sie - zum Nachteil der Bürger und der Postbediensteten. ({5}) An einer konstruktiven Mitarbeit haben es die Gewerkschaften fehlen lassen. ({6}) Sie haben die Politik des Alles oder Nichts für richtig gehalten. ({7}) - Das ist auch in Ihrer eigenen Partei kritisiert worden. Wir wollen doch nicht so tun, als ob wir alle im Elfenbeinturm säßen. Sie haben doch auch selbst versucht, Ihre Postgewerkschaft dazu zu bringen, hier konstruktiv mitzuarbeiten. Statt dessen haben Sie diese Betonpolitik der Gewerkschaften mitgemacht - das halte ich für außerordentlich bedenklich -, obFunke wohl, wie ich genau weiß, auch Sie - wenigstens einige von Ihnen - Interesse an einer Neustrukturierung der Deutschen Bundespost haben. ({8}) Dieses Gesetzesvorhaben ist gerade deswegen auf den Weg gebracht worden, um die Deutsche Bundespost für die Zukunft zu rüsten, neue Strukturen zu schaffen, um sie für einen internationalen Wettbewerb zu wappnen, der so oder so kommen wird, nämlich spätestens mit dem Gemeinsamen Markt. Wir haben uns ja hier auch gemeinsam mit dem Grünbuch der EG beschäftigt. Nur gut ausgestattete und mit modernster Technologie arbeitende Unternehmen der Deutschen Bundespost werden in der Lage sein, gesicherte Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Dieses Poststrukturgesetz wird die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sicherer machen, weil die Zukunftsaufgaben rechtzeitig angepackt wurden. Um in Ihrer Sprache zu bleiben, Herr Kollege Börnsen: Es ist wenigstens versucht worden, das Schiff der Zukunft zu gestalten. Eine so modernisierte Post dient dem Bürger nicht nur in den Ballungszentren, sondern auch in der Fläche. ({9}) Die Unternehmen werden flächendeckende Angebote nicht nur aufrechterhalten, sondern auch verbessern. Gerade der Telekommunikationsbereich wird dazu führen, die wirtschaftlichen Nachteile in der Fläche auszugleichen oder zumindest zu mildern; denn es wird eine Reihe von Diensten geben, die nicht mehr darauf angewiesen sind, unbedingt in den Zentren der Städte zu arbeiten, sondern die auch an die Peripherie, sogar in die Fläche gehen, weil sie die gleichen Dienstleistungen auch in der Fläche erbringen können, und zwar billiger als im Zentrum der Stadt. ({10}) Mehr Angebote, mehr Wettbewerb werden dadurch den grundgesetzlichen Infrastrukturauftrag, den die Deutsche Bundespost sehr ernst nimmt, besser verwirklichen. Wir werden mit diesem Gesetz nicht die Bürgerpost, wie von den Gewerkschaften behauptet, zerschlagen, sondern für Bürger und Unternehmen und damit auch für die Arbeitnehmer in diesem Land eine bessere postalische Versorgung sicherstellen. Meine Fraktion begrüßt dieses Gesetz, auch wenn wir wissen, daß in einzelnen Positionen Kompromisse geschlossen werden mußten, die dazu geführt haben, daß nicht alle - lassen Sie es mich mal so ausdrükken - liberalen Blütenträume aufgegangen sind. ({11}) - Zum Beispiel mehr Wettbewerb. ({12}) - Ich komme gleich zu dem Netz. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Trennung der Betriebsfunktionen von politischen und hoheitlichen Aufgaben wird von uns sehr begrüßt. Wir halten auch die Trennung der Deutschen Bundespost in die drei Teilbereiche Postdienst, Postbank und Telekom für richtig. Wir halten es für richtig, daß die unterschiedlichen Dienste der Deutschen Bundespost auch von unterschiedlichen Unternehmen angeboten werden. Heute haben die Angebote im Bereich der gelben Post und der Telekommunikationsleistung überhaupt nichts mehr miteinander zu tun. Das Gleiche gilt auch für den gesamten Bankbereich. Da ist es eine gute unternehmerische Regel - insoweit hat auch Daimler-Benz ein gewisses Organigramm mit vorgegeben -, ({0}) daß unterschiedliche Unternehmensaufgaben auch in unterschiedlichen Unternehmen angesiedelt werden. Unterschiedliche Dienste benötigen unterschiedlich qualifizierte Mitarbeiter, unterschiedliche Motivation und auch unterschiedliche Finanzierung. Ein Unternehmen Telekom wird im Nicht-Sprachbereich weitestgehend dem Wettbewerb ausgesetzt sein, dagegen wird sich das Unternehmen Postdienst weiterhin überwiegend im Monopolbereich bewegen. Diese unterschiedlichen Positionen erfordern unterschiedliche Unternehmensstrategien. Auch die Postbank ist vielfach intensivem Wettbewerb der öffentlichen und privaten Banken ausgesetzt. Sie wird sich jedoch mit ihren überkommenen Diensten dann erfolgreich am Markt bewegen, wenn sie, was bereits begonnen wurde, sich mehr denn je den modernen Technologien zuwendet und diese auch anwendet. Auch wenn die Postbank nicht als Vollbank tätig sein kann und nach unserem politischen Willen auch nicht sein soll, wird sie mit ihrem spezialisierten Angebot im Giro- und Sparbereich erfolgreich am Markt operieren können. In den parlamentarischen Beratungen und auch in der Öffentlichkeit ist öfters darüber diskutiert worden, ob die getrennten Unternehmen jedes für sich erfolgreich am Markt tätig sein können, sich am Markt behaupten können. Ich bin auf diesem Gebiet sehr optimistisch und glaube, daß eine Quersubventionierung, wie sie insbesondere von Ihrer Partei immer wieder gefordert worden ist und wie sie als Ausnahmefall nach wie vor auch nach dem Poststrukturgesetz möglich sein soll, nicht erforderlich sein wird. Mit Wegfall der Postabgabe an den Bundesfinanzminister wird insbesondere das Unternehmen Postdienst von großen Belastungen befreit und eine der Hauptursachen für die bisherigen Verluste in diesem Bereich wegfal10062 len. Als Politiker müssen wir jedoch darauf achten, daß das Unternehmen Postdienst nicht mit politischen Lasten beladen wird, die zu Verlusten bei diesem Unternehmen führen werden. Eine der Aufgaben dieser Poststruktur ist, daß diese Unternehmen wie richtige Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Da darf man es nicht bei der Einsetzung eines Vorstandes oder eines Aufsichtsrates belassen. Das wäre unter Umständen nur ein Austausch von Personen. Es muß vielmehr insgesamt zu einer wirtschaftlichen Führung dieser Unternehmen kommen. Sonst hilft uns diese Organisationsstruktur überhaupt nicht. Diesen Wirtschaftsunternehmen dann aber auch noch politische Lasten aufzudrücken, die an und für sich im ordentlichen Haushalt des Bundes anzusiedeln wären, würde dem Sinn dieses Poststrukturgesetzes widersprechen. Dies wäre dann in der Tat Rosinenpickerei zugunsten der privaten Wettbewerber, die wir nicht wollen. Aber ich gehe davon aus, daß auch die Kollegen dieses Hauses dies nicht wollen. Ich hoffe jedoch, daß sie sich auch dann daran erinnern, wenn das nächste Mal der Ruf ertönt, die Deutsche Bundespost mit politischen Lasten zu beladen. Die Wettbewerbssituation der drei Unternehmensbereiche Postdienst, Postbank und Telekom ist in meinen Augen gut. Schließlich verfügt die Deutsche Bundespost über gut geschulte Mitarbeiter und einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorsprung durch ihre technischen Einrichtungen, die viele Milliarden DM wert sind. Last but not least werden die drei Unternehmen mit einer hervorragenden Eigenkapitalquote ausgestattet werden, die sich auch im Vergleich zur konkurrierenden Industrie durchaus sehen lassen kann. Hinzu kommen die Verbundvorteile, die auch künftig erhalten bleiben und die von der Post unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten soweit wie möglich genutzt werden sollen. Meine Damen und Herren, bei der zukünftigen Arbeit der Unternehmen wird es sehr darauf ankommen, die gefundenen Unternehmensstrukturen richtig zu nutzen, um nicht Gefahr zu laufen, daß durch die Vielzahl der Gremien Leerlauf oder Reibungsverluste entstehen. Ich kann mich da durchaus dem anschließen, was der Kollege Börnsen gesagt hat. Mit anderen Worten: Es wird darauf ankommen, daß die handelnden Personen bereit sind, die Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten und nicht als Behörden zu führen. ({1}) Nur dann können diese Unternehmen auch erfolgreich arbeiten. Sollte sich in Zukunft herausstellen, daß diese gefundenen Strukturen umständlich oder gar hinderlich sind, werden wir nicht zögern, entsprechende Novellierungsanträge zu stellen. Ich glaube jedoch, daß dies nicht nötig sein wird, weil sich die handelnden Personen ihrer Verantwortung bewußt sind und auch die Gewerkschaften im Interesse der Arbeitnehmer in Zukunft wieder konstruktiv zum Wohle der Unternehmen und der Mitarbeiter mitwirken werden; denn diese Politik des Alles oder Nichts kann auch die Postgewerkschaft auf Dauer nicht durchhalten. Der Infrastrukturrat, also eines der Gremien, die angesprochen worden sind, der während der Beratungen auf Wunsch des Bundesrates in das Gesetzeswerk aufgenommen worden ist, entspricht nicht unseren originären Wünschen, wobei ich, wenn ich „unseren" sage, die CSU nicht mit einschließen kann. Andererseits kann er auch zur Beschleunigung von Vorhaben des Bundesministers für Post und Telekommunikation beitragen, weil umständliche Mitwirkungsrechte des Bundesrates auf diese Weise nicht notwendig sind. Die drei Unternehmensbereiche der Deutschen Bundespost werden auch deswegen wirtschaftlich wirksamer agieren können, weil die ursprüngliche Regelung des Einvernehmens mit dem Bundesminister der Finanzen in eine Benehmensregelung umgewandelt worden ist. Darüber hinaus fallen die Regelungen über das Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister bei den beiden Rechtsverordnungen zum Dienstrecht fort. Hierdurch sind die Unternehmensleitungen in ihren Entscheidungen erheblich freier geworden. Die Regelung über das Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern im dienstrechtlichen Bereich bleibt zwar bestehen. Wir hoffen jedoch auf eine liberale und wirtschaftlich einsichtige Handhabung durch den Bundesminister des Innern. ({2}) - Die Kabinettsumbildung wird sicherlich mit dazu beitragen. ({3}) Die Telekommunikation hat im Mittelpunkt der Reformüberlegungen gestanden. Das ist bei der zukünftigen Bedeutung der Telekommunikation für die gesamte Volkswirtschaft der Bundesrepublik kein Wunder. Der Kollege Pfeffermann hat hierauf schon besonders hingewiesen. Schließlich bedeutet heute Telekommunikation nicht mehr Omas Dampftelefon, also Kommunikation im Sprachbereich, sondern ist Austausch von Daten und stellt einen wesentlichen Teil der Bürokommunikation und zunehmend auch der industriellen Fertigung dar. Es ist gelungen, den gesamten Nicht-Sprachbereich der Telekommunikationsdienste dem Wettbewerb auszusetzen. Endgeräte einschließlich des Telefonhauptanschlusses werden am 30. Juni voll dem Wettbewerb ausgesetzt. Im Netzbereich verbleibt es entgegen den Vorstellungen der Wirtschaft und entgegen den Vorstellungen eines Teils der Regierungskoalition beim Monopol der Deutschen Bundespost mit zwei, wenn auch sehr wichtigen Ausnahmen, nämlich im Bereich der Satelliten- und der Mobilfunkkommunikation. Damit ist zumindest unsere Forderung, auch den Bereich der Netze schrittweise zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, wenigstens zum Teil - ich will auch sagen: in einem wichtigen Teil - verwirklicht worden. Hier wird es Randwettbewerb geben, der insbesondere im Hinblick auf den technischen Fortschritt interessanter sein wird, als mancher Skeptiker es heute prophezeit. Deutscher Bundestag - i 1. Wahlperiode Funke Das setzt jedoch voraus, daß der Postminister von seinen Ermessensspielräumen, die ihm das Gesetz einräumt, auch Gebrauch macht. ({4}) - Ich glaube nicht, daß sich Herr Schwarz-Schilling als Sandmännchen eignet, Herr Paterna. ({5}) Ich habe bereits einleitend darauf hingewiesen, daß die rasche technische Entwicklung manche Regulierung, die heute noch im Poststrukturgesetz eingebracht ist, bald überholen wird. Das wird inbesondere dann gegeben sein, wenn das ISDN-System flächendeckend zur Verfügung steht. Gerade im Bereich der Telekommunikation ist vieles in der Entwicklung. Wir sind sicher, daß wir in der nächsten Legislaturperiode das Fernmeldeanlagengesetz wegen der technischen Entwicklung novellieren müssen. Meine Damen und Herren, mit dem Poststrukturgesetz haben wir auch ein Anliegen verwirklicht, dem die FDP große Bedeutung zumißt. Erstmals ist es gelungen, eine bereichsspezifische Regelung beim Datenschutz für einen wichtigen Bereich der Volkswirtschaft gesetzlich zu verankern. Die Regelungen im Poststrukturgesetz für die privaten Unternehmen in den Wettbewerbsbereichen der Telekommunikation bedürfen noch der näheren Ausgestaltung durch Rechtsverordnung. Wir werden vor allem in der nächsten Legislaturperiode darauf achten, daß hier angemessene datenschutzflankierende Regelungen durch die Bundesregierung getroffen werden. Wir gehen davon aus, daß die gesetzliche Regelung im Poststrukturgesetz ein wichtiger Einstieg ist, um vergleichbare Regelungen für andere Bereiche folgen zu lassen. Lassen Sie mich abschließend sagen, daß dieses Gesetz die Deutsche Bundespost modernisiert, neue und richtige Strukturen setzt und den modernen Erfordernissen der deutschen Wirtschaft insgesamt gerecht wird. Ich möchte an dieser Stelle dem Bundespostminister, Herrn Dr. Schwarz-Schilling, dafür danken, daß er mit großer Beharrlichkeit an seinen Zielen festgehalten hat und sich nicht von Angriffen hat beeindrukken lassen, die bis zu persönlichen Verunglimpfungen gingen. ({6}) Es wird viel darauf ankommen, wie dieses Gesetz in Zukunft umgesetzt wird, welche Personen mit welchen Intentionen die Unternehmen leiten und kontrollieren. Ich bin optimistisch für die Unternehmen und für ihre Mitarbeiter, wenn weltoffene, wettbewerbspolitisch orientierte und für technische Innovationen offene Frauen und Männer diese Unternehmen leiten. Das Gesetz gibt hierzu entsprechende Möglichkeiten. Es wird auf die politischen Kräfte ankommen, auch auf uns hier im Bundestag, daß die Freiheiten, die dieses Poststrukturgesetz für mehr Wettbewerb gibt, auch genutzt werden. In diesem Sinne ist dieses Gesetz gut und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratung über die sogenannte Postreform im Bundestagsausschuß für das Post- und Fernmeldewesen war eine Farce. Die Entscheidungen waren längst gefallen, die Koalition hat lediglich exekutiert. Wir lehnen diese sogenannte Reform, die in Wirklichkeit eine Zerschlagung der Bundespost ist, ab: Wir lehnen sie ab als unbegründet, wir lehnen sie ab als schädlich. Deshalb haben wir uns bei den Beratungen auf die angemessene Form beschränkt, nämlich die der fundamentalen Opposition - das an Ihre Adresse, Herr Pfeffermann. Die Koalition hat durchgezogen. Argumente spielten seit der Vorlage des Berichts der Fernmeldekommission keine Rolle. Im übrigen, wenn Sie, die Koalitionsparteien, beginnen, der Bevölkerung und insbesondere den kleinen Leuten das Fell über die Ohren zu ziehen, um den Reichen und Superreichen in dieser Gesellschaft wie bei der Steuer- und Gesundheitsreform und demnächst wohl auch bei der Rentenreform Vorteile zukommen zu lassen, dann machen Sie das gefälligst ohne uns. ({0}) - Herr Bötsch, lassen Sie Ihren Unsinn! - Wir werden in der Zukunft dafür sorgen - wenn wir in den nächsten Jahren irgendwie einmal Einfluß auf die bundespolitische Situation haben können - , daß wesentliche Teile dieser Postreform rückgängig gemacht werden. Das sagen wir Ihnen hiermit klipp und klar zu. ({1}) Praktizierte, konsequente Opposition im Parlament und außerhalb des Parlaments war in dieser Situation angesagt und ist auch in der Zukunft angesagt. ({2}) Herr Pfeffermann, damit für die Zukunft dokumentiert ist, wer für die Zerschlagung gestimmt hat und wer dagegen ist, haben wir als erste Partei beantragt, daß namentliche Abstimmung stattfindet. Wir erleben hier heute leider den letzten Akt des Trauerspiels, das Sie von der Koalition Postreform nennen. Diese Postreform - ich habe es eben schon gesagt - ist keine Reform, sondern eine Zerschlagung der Bundespost, des am besten wirtschaftenden öffentlichen Unternehmens. Sie werfen der Wirtschaft die Post zum Fraß vor, jener Wirtschaft, deren Problem im Kern nicht Armut, sondern ein schier überquellender und aus allen Poren der Betriebe dringender Reichtum ist. Damit für diesen Reichtum der Wirtschaft neue profitable Anlagemöglichkeiten geschaffen werden, dafür soll, in Ihrer Sprache: dereguliert werden, im Klartext: die Post zerschlagen werden. Damit wird die Tür aufgestoßen für weitere Privatisierungsmaßnahmen. Das ist in der Tat das Ziel, das dahintersteht, das Sie im Hinterkopf haben, auch wenn Sie, zumindest die meisten von Ihnen, sich heute hüten, das allzu laut zu sagen. Die Postreform ist daher auch nicht das Ergebnis - was auch immer das ist - postpolitischer Überlegungen. Es geht nicht um bessere Versorgung der Bevölkerung mit Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, es geht im Kern um Wirtschaftspolitik. Es geht um das Dogma der Marktwirtschaft. Sie opfern die Deutsche Bundespost Ihrem dogmatischen Wirtschaftsverständnis. Es geht um Umsatz, es geht um Profite, es geht um neue Märkte, es geht um Wirtschaftswachstum und nicht zuletzt um Rationalisierung zu Lasten der Beschäftigten bei der Bundespost und in anderen Wirtschaftsunternehmen. So können Sie bisher auch keine wirklichen, durch die Erfahrung gestützten Gründe vorbringen, die für die Zerschlagung der Bundespost sprechen würden, außer vagen Hinweisen auf die Märkte der Zukunft, auf die Entwicklung der Zukunft. Sie vergessen z. B., daß die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 15 Jahren mit der Bundespost, wie wir sie traditionell seit Jahrzehnten haben, buchstäblich Exportweltmeister geworden ist. Das spricht doch Ihrer Argumentation, diesen ganz vagen, unfundierten, auch durch keinerlei zahlenmäßige Daten belegten Argumentationen entgegen. Bezahlen - das ist das Schlimme zusätzlich daran - sollen Ihre - in Anführungszeichen - „Reform" die kleinen Leute. Da kommt Ihnen zustatten, daß Sie mit Gebührenerhöhungen für Briefe und Paketdienste sowie für Ortsgespräche ({3}) - Herr Pfeffermann, lassen Sie es; es hat doch keinen Sinn - der ganz großen Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik in die Taschen greifen können. Das können Sie über diese Politik. Sie müssen es nicht so auffällig machen wie bei der Steuerreform. Sie können das hier viel eleganter machen; denn auf Post- und Telekommunikationsdienstleistungen sind eben alle angewiesen. ({4}) Deshalb gehört der Bereich der Deutschen Bundespost - deshalb hat er eine erhebliche Bedeutung - zur unerläßlichen Daseinsvorsorge des Gemeinwesens für seine Bürger und Bürgerinnen. Sie aber opfern diese Bundespost, die diese Daseinsvorsorge garantieren soll, privaten Profit- und Wachstumsinteressen. Das ist der Kern Ihrer sogenannten Postreform! Einseitiger, blinder in bezug auf soziale Bedürfnisse geht es wirklich nicht mehr. Warum schlagen Sie nicht eine direkte, bar zu erbringende Bürgerumlage zur Stützung der Unternehmen vor, damit diese ihre Betriebe mit neuen Kommunikationstechniken noch moderner machen können, jener Unternehmen mit ihren vagabundierenden Kapitalien und ihrem sonstigen Reichtum, der - und das ist doch der riesige gesellschaftliche Widerspruch - immer mehr Druck statt Erleichterung schafft: Druck für die Beschäftigten, für die Sozialversicherungen, für die Gemeinden und sonstigen Staatsbereiche, für die Umwelt und nunmehr - dank Ihrer Postzerschlagung - auch für die Postkundinnen und Postkunden sowie die Beschäftigten bei der Bundespost? Es muß klar gesagt werden: An der Zerschlagung der Bundespost kann auch niemand ein Interesse haben, der sich ernsthaft für eine Verbesserung der Umweltbedingungen einsetzt. Die Zerschlagung der Bundespost findet statt, damit reiche und superreiche Konzerne noch mehr Profite durch Kapitalanlagen in den Wachstumsmärkten der Telekommunikation und durch Rationalisierung mit Informations- und Kommunikationstechnologien auf dem Rücken der Beschäftigten machen können. Diese neue Wachstumspolitik kann nicht im Interesse der Umwelt und der Verbesserung der Umweltbedingungen sein. Ihre Postreform ist ein Wachstumsprojekt, allerdings ein Projekt des Profit- und Wirtschaftswachstums ohne eine Zunahme der Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Mit der Postreform wird zusätzlich noch erheblich dazu beigetragen, daß Arbeitsplätze in Anwendungsbereichen und bei der Bundespost zerstört werden. ({5}) Insbesondere bringt dieses Wachstumsprojekt aber auch noch mehr Umweltzerstörung mit sich. Herr Pfeffermann, da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie wollen den Reichtum der Wirtschaft nunmehr auch durch die Zerschlagung der Bundespost wachsen lassen. Wenn es dadurch neue Wachstumsschübe gibt, bedeutet das allerdings: noch mehr Vergiftung der Flüsse, noch mehr Vergiftung des Bodens, noch mehr Vergiftung der Luft und noch mehr sonstige Umweltschäden. Mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere mit dem riesigen ISDN-Projekt, das in der Bundespost durchgeführt werden soll, das allein ca. 300 Milliarden DM Investitionen - großenteils aus den Haushalten der Deutschen Bundespost - erforderlich machen wird, schaffen Sie neue Stufen der durchorganisierten, durchrationalisierten, durchcomputerisierten Gesellschaft, in der mit atemberaubendem Tempo produziert und verbraucht werden muß - und das ist in der Tendenz umweltschädlich. Schon wegen dieser neuen Wachstumsschübe ist auch Ihre Postpolitik unökologisch. Sie nützt der Umwelt nicht, sie schadet ihr. Wenn Sie diese Wachstumspolitik allerdings nicht erreichen - darauf deutet auch einiges hin, was im Zusammenhang mit der Überproduktion, den Überkapazitäten, dem überflüssigen Reichtum der Wirtschaft auf den Märkten sichtbar wird - , dann eignen sich wiederum Ihre Informations- und Kommunikationstechnologien - in dem Zusammenhang hat die Postreform dann auch ihren Stellenwert - hervorragend, um den Prozeß der Informatisierung weiter zu beschleunigen und um damit das Wachstum - statt draußen auf den Märkten - drinnen aus den Betrieben, d. h. aus den Beschäftigten, herauszupressen: durch Abbau von Arbeitsplätzen, durch mehr Leistungsdruck, durch mehr Kontrolle. Was immer Sie tun, es nutzt also den Reichen und Mächtigen. Was immer Sie tun, es beeinträchtigt die Lebensinteressen der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen in der Gesellschaft und in den Betrieben. Ihre sogenannte Postreform soll Tür und Tor für noch mehr Rationalisierungsdruck in der Bundespost bzw. in den drei Teilunternehmen der Bundespost öffnen. Zudem werden sich diese Teilunternehmen elegant privatisieren lassen, wie bereits in anderen Ländern geschehen. Das, denke ich, ist der Kern dieses Projektes. Darauf wollen Sie hinaus. Sie behaupten, den Wettbewerb zu fördern. Was aber heißt das in der Praxis? Sie öffnen die Zukunftsmärkte der Telekommunikation einer Handvoll großer internationaler Konzerne und Kapitalkonsortien. Diese investieren Milliarden in hochkapitalintensive Projekte der neuen Technologien, Milliarden, die von der großen Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen dann über entsprechend höhere Gebühren wieder hereingeholt werden müssen. Das Zukunftsprojekt, das Sie verfolgen, ist insbesondere das der weiteren Informatisierung der Gesellschaft. Bereits heute ist ca. ein Viertel aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik von Informations-und Kommunikationstechnologien erfaßt. Computertechnik und Telekommunikation wachsen mehr und mehr zusammen. Heute sehen wir bei den Folgen allerdings erst die Spitze eines Eisberges. Mit der zerschlagenen Bundespost, deren rein betriebswirtschaftlich, d. h. auf Profitjägerei ausgerichteten Teilunternehmen, insbesondere mit dem riesigen ISDNProjekt der Bundespost wächst zugleich die Gefahr des weiteren Arbeitsplatzabbaus, der Entwertung beruflicher Qualifikationen für viele Beschäftigte, der Schaffung kleiner privilegierter Eliten in den Betrieben, Stammbelegschaften, bestimmter Schlüsselgruppen, der weiteren Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben, der allgegenwärtigen Kontrolle und Überwachung von Leistung und Verhalten von Menschen im Betrieb und in der Gesellschaft. Interessiert im wirtschaftlichen Sinne des Wortes sind die Unternehmen. Sie können - das sind die Vorteile; sie sind unbestreitbar - die Produktivität weiter hochboxen, Prozesse in den Betrieben beschleunigen, Durchlaufzeiten abbauen usw. usf., mit einem Wort: in noch kürzerer Zeit noch mehr produzieren, und das angesichts der Überproduktion und der Überkapazitäten und der bereits heute zerstörerischen Umweltbelastungen. Interesse hat aber auch die Wirtschaft vor allem an der Verbesserung der Planung und Organisation in den Betrieben mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Aber was heißt das für die Menschen in den Betrieben und für die Bürgerinnen und Bürger in der Gesellschaft? Für sie heißt das, schneller hin- und hergeschoben zu werden, flexibel in die Armut gehen zu müssen, für Frauen insbesondere weitere zusätzliche Belastungen, z. B. wenn die computergesteuerte Rund-um-die-Uhr-Produktion, die Sonn- und Feiertagsarbeit noch mehr ausgedehnt wird als heute. Alle diese Gesichtspunkte haben bei den Beratungen über die Postreform keine Rolle gespielt. ({6}) Die Koalition hat durchgezogen, unsozial gegen die Mehrzahl der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, wie bei der Steuerreform, wie bei der Gesundheitsreform. Nach unserer Auffassung ist das ein durch und durch unsoziales Vorgehen. Sie, die Damen und Herren der Koalition, haben damit gegen Ihre Pflicht gegenüber der Bevölkerung und gegenüber den bei der Bundespost Beschäftigten verstoßen. Sie fleddern, nein, keine Leiche, sondern ein gut funktionierendes Unternehmen, das bisher jedes Jahr erhebliche Überschüsse erwirtschaftet hat. Was Sie mit der Postreform machen, ist der Beginn des Ausverkaufs dieses wichtigen Teils des Vermögens der Gesellschaft, des Staates, der Bevölkerung. Sie geben den Reichen und Superreichen und schämen sich nicht, das auch noch von den Bürgerinnen und Bürgern und gerade den sozial Schwachen finanzieren zu lassen. ({7}) Sie verstoßen damit gegen Ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es ist gut, daß sich Ihre Regierungszeit allmählich dem Ende zuneigt. ({8}) - In der Tat. - Ich hatte es eben schon gesagt: Sollte es in absehbarer Zeit bundespolitisch Veränderungen geben, dann werden wir darauf achten und dafür sorgen, daß die wesentlichen Teile, z. B. die Aufgabe der Gemeinwohlbindung, die Zerschlagung der Bundespost, wieder aufgehoben werden. Alle anderen Dinge kommen später. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat Herr Abgeordneter Linsmeier.

Josef Linsmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001350, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben eben noch eine Zusammenfassung dessen gehört, was uns der Kollege Briefs bei der Schlußberatung des Gesetzes im Ausschuß über mehrere Tage hinweg Gott sei Dank nicht gesagt hat, weil er nicht da war. ({0}) - Es hat auch keinen Sinn, darauf weiter einzugehen. Ich habe schon am Beginn dieser Debatte in der ersten Lesung gesagt: Ich versuche immer, jeden Kollegen und jeden Beitrag hier ernst zu nehmen, aber es fällt bei dem einen oder anderen Kollegen - Herr Briefs, Sie gehören leider dazu - wirklich nachhaltig schwer. ({1}) Bevor ich zum eigentlichen Teil meiner Rede komme, möchte ich bewußt, auch als Berichterstatter, dem Minister, den Mitarbeitern im Ministerium, aber auch dem Ausschußbüro und den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute, sorgfältige, zuverlässige und dazu auch noch immer schnelle Arbeit, die sie geleistet haben, um uns eine vernünftige und sachgerechte Beratung dieses Gesetzes zu ermöglichen, ganz herzlich danken. ({2}) Meine Damen und Herren, mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages für das Poststrukturgesetz auf der Grundlage der Beschlußempfehlung des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen gewinnt eines der unabweisbar notwendigen großen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode Gestalt. Im Interesse des Unternehmens wünsche ich, daß diese Gestalt anhält. Wenn der Kollege Börnsen vorher einerseits von einer Phase der Stabilität und Stabilisierung der Deutschen Bundespost nach einer jahrelangen Diskussion gesprochen hat und anschließend - es war nicht ganz deutlich, aber so muß man es wohl bewerten - einen Änderungsvorbehalt erwähnt, dann werden Sie sich entscheiden müssen. Nach 25 Jahren Diskussion um die Postreform ({3}) - doch, doch; da wart ihr ganz wesentlich beteiligt, das hast du vorher selber zitiert - ist es, glaube ich, richtig, die jetzt vorgegebene Struktur, die genügend Beweglichkeit aufweist, mit Leben zu erfüllen und dieses Leben - hier stimme ich voll dem zu, was der Kollege Funke zu der Aufgabe der künftigen Vorstände und leitenden Mitarbeiter gesagt hat - entstehen und sich entwickeln zu lassen. Es wäre für die Post mit Sicherheit das Allerschädlichste, wenn man innerhalb von kurzer Zeit eine neue Diskussion über eine weitere Postreform vom Zaun brechen würde. Meine Damen und Herren, jede große Reform verlangt natürlich auch ein Abschiednehmen von vertrauten, von liebgewonnenen Verhaltensweisen, von vielen Dingen, die sich so eingespielt haben. Jede Reform verlangt auch einen Aufbruch zu Neuem. Von daher geht von jedem Reformvorhaben auch eine Verunsicherung aus. Es ist immer eine Versuchung für die jeweilige Opposition und die Gewerkschaften, in dieser Situation nicht nur berechtigte Bedenken vorzutragen, sondern diese Verunsicherung auch für parteiund für verbandstaktische Zwecke zu nutzen. Ich möchte hier ausdrücklich festhalten, daß - von einigen unrühmlichen Ausnahmen abgesehen - bei der Postreform von allen Seiten der Versuch unternommen wurde, während der Diskussion um dieses Gesetzesvorhaben im Gespräch zu bleiben, dem anderen zuzuhören, seine Argumente zu gewichten und gelegentlich auch, wie Sie und wie wir es getan haben, einen Antrag im Ausschuß zurückzunehmen, den man vorher vorgelegt hatte. Ich habe das für eine erfreuliche und gute Situation gehalten. Ich glaube, daß das dem Parlament mehr nützt als vieles, was sonst darüber gesprochen wird, wenn man so arbeitet. ({4}) Wir haben das versucht. Ich glaube, es ist dem Ergebnis des Gesetzes zugute gekommen. Wir haben auch versucht, mit den Gewerkschaften eine kritisch-konstruktive Zusammenarbeit zu pflegen. Spätestens mit dem Gespräch der Deutschen Postgewerkschaft beim Bundeskanzler ist das auch öffentlich deutlich geworden. Die CDU/CSU hat bei den Überlegungen zur Poststrukturreform nie aus dem Auge verloren, die Einheit der Deutschen Bundespost zu wahren, ihre Infrastrukturverpflichtungen zu festigen, die Mitwirkungsrechte der Belegschaft zu sichern und gleichzeitig den Unternehmensbereichen künftig mehr Entfaltungsmöglichkeiten und finanzielle Unabhängigkeit zu geben. Die schon heute große Bedeutung der Deutschen Bundespost als Anbieter der Infrastruktur für die Abwicklung moderner Sprach- und Datenübertragung wird sich in den nächsten zehn Jahren rasant beschleunigen. Der heute bei 2 % des Bruttosozialprodukts liegende Anteil der Telekommunikation wird sich je nach Schätzung auf 6 % bis 7 % erhöhen. Sollte die Deutsche Bundespost, das heute schon größte Unternehmen und der größte Monopolist, diese Entwicklung allein verkraften, so müßte ihr Umsatz in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren auf mehr als das Dreifache des heutigen Umsatzes wachsen. Von daher stellt sich zwingend die Frage einer neuen Führungsstruktur und ebenso zwingend die Frage, wie ein solches Mammutunternehmen als Monopolist mit unserem Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft und zu einer freiheitlichen Weltwirtschaftsordnung noch zu vereinbaren wäre. Ohne die Sicherung und den Ausbau des freien Welthandels wäre die Sicherung des Wohlstands und der Arbeitsplätze unseres rohstoffarmen und exportabhängigen Landes nicht möglich. In den letzten zehn Jahren haben alle wesentlichen westlichen Industrieländer eine Neuordnung der Post und Telekommunikation vollzogen. Die Europäische Gemeinschaft drängt ebenfalls auf eine Neuordnung und Öffnung des Telekommunikationsmarktes hin zu mehr Wettbewerb und damit zu mehr Leistungsfähigkeit und Flexibilität, zu stärker kostenorientierten Benutzerbedingungen und zu einer größeren Vielfalt des Angebots. Manche Länder, z. B. Großbritannien, sind dabei den Weg der Privatisierung gegangen. Dieser Weg ist nicht unser Weg in der Bundesrepublik. Dennoch, die Postreform öffnet den Wettbewerb bei den Diensten und den Endgeräten. Sie hält aber grundsätzlich am Monopol bei den Netzen fest. Wir können das mit dem Straßennetz vergleichen. Die Infrastruktur gehört in die öffentliche Hand. Der Verkehr selbst aber, Fahrzeugangebot wie Transportleistung, hier also: die Dienstleistungen der Telekommunikation und die Endgeräte, müssen im WettbeLinsmeier werb stehen. Wie im Verkehr die öffentliche Hand am Wettbewerb teilnimmt und Grundbedürfnisse sichert, so ist dies auch im Bereich der Post und Telekommunikation künftig notwendig. Dementsprechend wird die Deutsche Bundespost künftig im Bereich der Dienste und Endgeräte am Wettbewerb teilnehmen können und müssen. Ein weiteres gemeinsames Anliegen insbesondere der CSU und der Bayerischen Staatsregierung war, die Daseinsvorsorge und die Gemeinwohlverpflichtung der Deutschen Bundespost erstmals im Gesetz verankert zu sehen. Damit wird eine gleichwertige flächendeckende Versorgung aller Bürger mit Infrastrukturdiensten zu gleichen Bedingungen gesichert. Hier handelt es sich um eine politische Aufgabe, welche die Mitwirkung und Mitverantwortung von Bundestag und Bundesrat verlangt. Dem Bundespostminister wird deshalb ein Strukturrat mit beschließender Kompetenz aus je elf Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates zur Seite gestellt. Auch wenn wir uns noch weitergehende Kompetenzen des Strukturrates gewünscht hätten, ({5}) gehen wir davon aus, daß mit der Einrichtung des Strukturrates der politischen Mitwirkung von Bund und Ländern ausreichend Rechnung getragen wird und die notwendigen Freiräume der Deutschen Bundespost trotzdem erhalten bleiben - auch das ist natürlich ein Kompromiß. Meine Damen und Herren, bei einer abschließenden Bewertung vieler Kompromisse, die in diesem Gesetz gefunden wurden und an denen viele mitgewirkt haben, kommen wir zu dem Ergebnis, daß kein Bürger Angst zu haben braucht, auf Grund der Postreform bisherige Standards zu verlieren oder bisherige Standards unerschwinglich teuer angeboten zu erhalten. Das bisherige Leistungsangebot bleibt auch auf dem flachen Land erhalten. Es wird keinen Rückzug aus der Fläche geben. Es wird andererseits aber auch keine Rosinenpickerei zugelassen. Wir haben durch viele Versuche und viele Vorschläge einen goldenen Mittelweg gefunden. ({6}) Ich gehe davon aus, daß dieses Gesetz für die Deutsche Bundespost, für die deutsche Wirtschaft, für die Mitarbeiter und für die Bürger im Land eine Chance ist, sich auch in diesem schwierigen Bereich der Telekommunikation und auf dem schwierigen Weg eines sich öffnenden Marktes zu bewähren, Vorteile nutzen zu können und insgesamt auch einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen daraus zu ziehen. Ich bedanke mich sehr. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die post- und fernmeldepolitischen Entscheidungs- und Entwicklungslinien der SPD sind im Gegensatz zu denen der Koalition - von den GRÜNEN einmal ganz zu schweigen - klar und eindeutig und dennoch differenziert und bis in die Einzelheiten gehend. Sie werden dies auch in Zukunft sein. Für uns galten und gelten die Grundlagen sozialdemokratischer Post- und Fernmeldepolitik, wie wir sie vor der letzten Bundestagswahl beschlossen haben. Für uns galt und gilt weiterhin der Initiativantrag, wie ihn unser letzter Bundesparteitag in Kenntnis des Gesetzentwurfes beschlossen hat. Heute legen wir einen Entschließungsantrag vor, der wesentliche Elemente dieser Eckpfeiler enthält, der Richtschnur für uns, für die verbleibende Oppositionsarbeit bis zum Ende der Legislaturperiode und für die angestrebte Regierungsverantwortung nach 1990 sein wird. So wichtig, meine Damen und Herren, es für Beschäftigte und Kunden, für Hersteller und Anwender gewesen wäre, durch das heute zu beschließende Gesetzeswerk längerfristig tragfähige organisatorische Strukturen und ordnungspolitische Rahmenbedingungen und damit Planungssicherheit und Entwicklungsperspektiven zu bekommen, so unabweisbar ist es für mich, zu erklären, daß wir so schnell wie möglich wesentliche Strukturänderungen durchsetzen sollten, so bald es dafür entsprechende parlamentarische Mehrheiten gibt. Wenn es jetzt zu dem wünschenswerten, notwendigen, auch durchaus möglichen breiten gesellschaftlichen Konsens über diese Reform nicht gekommen ist, dann tragen dafür allein die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP und an der Spitze der Postminister Schwarz-Schilling die politische Verantwortung. ({0}) Der Bundeskanzler hat immer wieder betont, diese sogenannte Postreform sei eines der wichtigsten Vorhaben seiner Regierung in dieser Legislaturperiode. Die SPD hat in der öffentlichen Debatte und in den Ausschußberatungen des Bundestages nicht nur Alternativkonzepte vorgelegt, sondern auch eine Fülle von Kompromißvorschlägen angeboten. Leider hat die CDU/CSU-Fraktion - von der FDP will ich in diesem Zusammenhang einmal nicht reden - nicht die Kraft gehabt, sich gegen die wirtschaftspolitische Ideologie ihres kleineren Partners und gegen die ordnungspolitischen Vorstellungen Schwarz-Schillings durchzusetzen. Die jetzige Koalition muß es deshalb politisch verantworten, wenn die vom Kollegen Börnsen an sich als notwendig reklamierte längerfristige Ruhephase und Stabilität nicht eintreten können, daß es vielmehr wesentlicher Korrekturen bedarf. Kollege Pfeffermann, wenn Sie Ablenkungsmanöver fahren und meinen, an unsere Adresse gerichtet, man solle öffentlich nicht zu viel des Erkenntnisstandes preisgeben und nicht Legenden bilden, dann will ich Sie einmal daran erinnern, daß doch u. a. Sie oder auch der Kollege Linsmeier es waren, die ein gestärktes Direktorium im Sinne eines Konzernvorstandes gewollt haben. ({1}) Da hätten wir uns ja ein Stück weit entgegenkommen können. ({2}) Darf ich einmal daran erinnern, Kollege Linsmeier, daß die Bayerische Staatsregierung und die CSU es waren, die ein uneingeschränktes Netzmonopol haben behalten wollen, also keine Ausnahmen im Satelliten- und im Mobilfunkbereich wollten. ({3}) Darf ich einmal an Ihre Sozialausschüsse erinnern, denen Sie ja selber angehören, Kollege Pfeffermann, die vor einer Konfrontationsstrategie gewarnt haben, wie der Minister sie über lange Zeit gegenüber der DPG gefahren hat, und die vor einem Abbau von Arbeitnehmerrechten gewarnt haben. Erinnern Sie sich doch bitte daran, daß auch unionsgeführte Flächenländer vor der Gefährdung der Eigenwirtschaftlichkeit, vor der Gefährdung der Investitionskraft des öffentlichen Unternehmens und damit verbunden vor der Gefährdung des Infrastrukturauftrages, der Dienstleistungsqualität und von Arbeitsplätzen insbesondere in ländlichen Räumen gewarnt haben. Das sind doch nicht alles sozialdemokratische Schreckgespenster oder Ausfluß von Strategien der Gewerkschaften, die nur an die Interessen ihrer Mitglieder denken, wie Sie ihnen gelegentlich vorwerfen, sondern hier gibt es sehr viel weitergehende Bedenklichkeiten und auch konstruktive Vorschläge, denen Sie dann aber letztlich allen nicht gefolgt sind. Selbst in der FDP gab es ja eine Reihe von Ansätzen zu Gemeinsamkeiten. Sie waren ja für einen verbesserten Datenschutz, und Sie waren dagegen, daß hier G-10-Maßnahmen ausgeweitet und ganz kurz vor Toresschluß noch in das Gesetz hineingemauschelt wurden. Warum ist es dann nicht möglich, solche Gemeinsamkeiten auch zu längerfristig tragfähigen Strukturen zusammenzufassen? Wir sind dazu bereit gewesen, Sie nicht. Sie wissen auch, daß es aus dem Kreis der Fachleute, die ja ein besseres Gesetz hätten machen können, wenn man sie gelassen hätte, Warnungen gegeben hat, daß die Oberpostdirektionen in diese Dreiteilungsstruktur überhaupt nicht hineinpassen, daß die Trennung der Unternehmensbereiche Gefahren mit sich bringt und daß die asymmetrische Regulierung privater Konkurrenten gefährlich ist. Es gab also - ich wiederhole das - genügend Ansätze für einen tragfähigen Konsens. Aber, Kollege Pfeffermann und Kollege Linsmeier, es genügt nicht, sich auf unendlich vielen Podiumsdiskussionen intelligent miteinander zu unterhalten, gelegentlich zu streiten und auch viele Gemeinsamkeiten zu haben, aber dann, wenn man nach Bonn zurückkommt, wieder als Schaf mit hängenden Ohren hinter dem Leithammel herzutrotten und sein Selbstbewußtsein an der Garderobe abzugeben. So kommt man eben nicht weiter. ({4}) Meine Damen und Herren, neben diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung die auch schon vom Kollegen Börnsen erwähnte sogenannte Konzeption zur Neuordnung des Telekommunikationsmarktes vorgelegt. Das Parlament hat darüber nicht zu beschließen. Aber die SPD ist auch nicht bereit, wesentliche Tendenzen dieser Konzeption widerspruchslos zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind nicht bereit, die jetzt noch vorgesehenen Monopole der Deutschen Bundespost im Netz-, Telefon- und Briefdienst in Frage stellen zu lassen, wie diese Konzeption es tut. Wir sind nicht bereit, die durch das Poststrukturgesetz ohnehin gefährdete Eigenwirtschaftlichkeit der DBP weiter auszuhöhlen, private Konkurrenten gegenüber der DBP noch stärker zu begünstigen, wie die Konzeption es will, und die Erfüllung des Infrastrukturauftrages und des Sozialstaatsgebotes weiter zu erschweren. Für die Haltung der SPD ist auch in Zukunft maßgebend und Bestandteil unserer Konzeption: der gemeinwirtschaftliche Auftrag, der Infrastrukturauftrag, d. h. die Sicherstellung der Versorgung aller Bürger mit Dienstleistungen des Post- und Fernmeldewesens, die langfristige Gewährleistung der Eigenwirtschaftlichkeit und der Investitionskraft der Deutschen Bundespost unabhängig vom Bundeshaushalt, die Einheit der Deutschen Bundespost, der Verbund des Post-und Fernmeldewesens und das Instrument der Mischkalkulation, das Festhalten am Beförderungsvorbehalt im Briefdienst, die uneingeschränkte Netzträgerschaft im Fernmeldewesen einschließlich der Vermittlungsfunktionen im Netz, das umfassende Telefondienstmonopol, die Verhinderung unfairen Wettbewerbs durch Rosinenpickerei von privaten Konkurrenten zu Lasten der DBP bei Pflichtleistungen, die Durchsetzung von Offensivstrategien in den Wettbewerbsbereichen, die Verbesserung und Verstärkung der Forschungskapazitäten der Deutschen Bundespost, die demokratisch legitimierte Kontrolle der Kommunikationspolitik, die Sicherung und Stärkung der Arbeitnehmerrechte, der Schutz des grundgesetzlich garantierten Post- und Fernmeldegeheimnisses, die Gewährleistung des Grundrechts der Kunden und der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung durch Schutz der personenbezogenen Daten, ein verbesserter Verbraucherschutz durch kundenfreundlichere Benutzungsregelungen und nicht zuletzt die Innovations- und Leistungsfähigkeit der fernmeldetechnischen Industrie mit ihren Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, und privatkunden- und mittelstandsfreundliche Kommunikationsdienste auf der Basis herstellerunabhängiger Standards. Meine Damen und Herren, wenn etwa der Kollege Linsmeier darauf sagen würde „Ja, was trägst du denn diesen langen Katalog vor; da sind wir uns doch in vielen Punkten einig" , dann würde ich davor warnen, von der Verwendung der gleichen Begriffe vorschnell auf Gemeinsamkeiten zu schließen. Sie haben beispielsweise vom Infrastrukturauftrag geredet; der Vergleich mit dem Verkehrswesen ist außerordentlich lehrreich und zugleich gefährlich. Der Infrastrukturauftrag besteht nicht nur darin, daß man Schienenwege oder Straßen hat oder Strippen zieht, sondern auch darin, daß auf diesen Verkehrswegen Dienstleistungen angeboten werden, die bezahlbar sind. Es nützt dem Bürger nichts, wenn vor seinem Haus eine Straße vorbeiführt, auf der am Wochenende und dann, wenn er es braucht, keine Verkehrsdienstleistungen mehr erbracht werden. Es genügt nicht, wenn es noch Bahnhöfe gibt, die zu Geisterbahnhöfen geworden sind. Genau diese Entwicklung, wie wir sie im de-regulierten Verkehrsmarkt erleben müssen, insbesondere mit den nachteiligen Auswirkungen in der Fläche, wollen wir in der Telekommunikation nicht. ({5}) Nachdem ich Ihnen schon eigentlich nicht mehr auf die Abschlußberatungen dieses Gesetzes, sondern bereits in die Zukunft gerichtet die wichtigsten Eckpfeiler unserer Zukunftskonzeption hier vorgetragen habe, muß ich mich noch ein bißchen mit den Winkelzügen und Widersprüchen des Postministers beschäftigen. ({6}) Schwarz-Schilling sagte am 15. September 1986, bezogen auf die DPG-Aktion „Sichert die Post, rettet das Fernmeldewesen", in Coburg: „Ich sage aber noch einmal ganz deutlich, daß aus meiner Sicht eine Trennung des Post- und Fernmeldewesens nicht in Frage kommt." So das wörtliche Zitat. Herr Kollege Pfeffermann hat an alle Personalräte einen ähnlichen Brief geschrieben. Ich habe ihn auch noch einmal nachgelesen. ({7}) - Dann will ich ihn zitieren. Da heißt es nämlich: „Dies ist eines der vielen klaren Zeichen dafür, daß P und F nicht getrennt, sondern weiter integriert werden sollen." - Nun schauen Sie sich einmal Ihren Gesetzentwurf an, was davon wahr ist! ({8}) Dann hat Herr Kollege Pfeffermann mit einem verräterischen Satz geschlossen. Er hat, nachdem er von Verunsicherung und Verunglimpfung geschrieben hat, erklärt - wörtliches Zitat - : „Man sollte mit den Gefühlen der Gewerkschafter behutsamer umgehen, denn sonst läuft man Gefahr, jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren, wie Beispiele der jüngsten Zeit zeigen. " ({9}) Diesen Text kann ich unbesehen unterschreiben. Nur, lieber Kollege Pfeffermann: Der Adressat war der falsche. Sie hätten sich einmal an die eigene Nase und an die des Postministers fassen müssen. Dann hätte das alles seine Richtigkeit gehabt. ({10}) Man braucht nicht nur in die Vergangenheit zu sehen, sondern kann sich auch die Gegenwart anschauen, um einiges an widersprüchlichen Argumentations- und Handlungslinien des Postministers festzustellen. Ich will das nicht in Gänze tun, sondern nur ein paar Dinge herausgreifen. Herr Präsident, darf ich einmal fragen, wie das mit der Technik der Uhr ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Uhr läuft ordentlich. Es stehen Ihnen noch 7,5 Minuten zur Verfügung.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hatte eben schon einmal nur noch vier Minuten. Das wechselt so ein bißchen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das kann eigentlich nicht sein. - Lassen Sie sich in Ihren Ausführungen durch die Uhr nicht stören.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Der Kollege Schwarz-Schilling redet einerseits vom flexibleren Personaleinsatz, andererseits hält er an seiner Verbeamtungspolitik unvermindert fest. Ich kann darin keine klare Linie sehen. Einerseits redet er ständig von den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und dem Funktionsvorbehalt, andererseits besetzt er genau die Positionen, bei denen der Funktionsvorbehalt nach seiner Beamtenphilosophie am ehesten angebracht wäre, mit außertariflichen Kräften. Einerseits propagiert er Entscheidungsfreiräume für die Unternehmensvorstände; macht man dann verfassungsrechtliche Bedenken geltend, gibt es plötzlich überhaupt nichts, was der Minister nicht auch in Zukunft kontrollieren und mit entscheiden könnte. Es wird also je nachdem argumentiert, wie man es gerade brauchen kann. Einerseits bildet er die Unternehmensstrukturen mit Vorständen und Aufsichtsräten privatwirtschaftlichen Aktiengesellschaften nach, andererseits verweigert er der Gewerkschaft entsprechende Beteiligungsrechte mit dem Hinweis, die paritätische Mitbestimmung sei in öffentlichen Unternehmen nicht möglich. Das ist so eine Art gesetzgeberische Rosinenpickerei nach parteipolitischer Opportunität, je nachdem, wie es einem in den Kram paßt: mal so viel Privatwirtschaft wie möglich, mal so viel öffentlicher Dienst wie am besten handhabbar. Einerseits fordert er mehr Eigenverantwortung und dezentrale Entscheidungen, andererseits gibt es aus seiner Regierungszeit eine unendliche Fülle von Beispielen dafür, daß er den Zentralismus geradezu auf die Spitze getrieben hat. Einerseits weiß er, daß die Oberpostdirektionen zu einem Fremdkörper im Dreiteilungskonzept werden, andererseits gibt er Bestandsgarantien, um seine Mehrheiten im Bundesrat nicht zu gefährden. Das geht dann wohl so nach der Methode von Scheibner: Das macht ja nichts, das merkt ja keiner. Wenn die DPG und die SPD dann pflichtgemäß darauf hinweisen - im übrigen in Übereinstimmung mit sämtlichen Oberpostdirektionspräsidenten -, dann ist das eine „Verunsicherungskampagne" und eine „Verleumdungskampagne". Einerseits redet er gern und häufig von Kostenbewußtsein, andererseits produziert er bei der Aufteilung im Ministerium und in Generaldirektionen erst einmal 600 neue Stellen und Beförderungsposten und treibt bürokratische Strukturen auf die Spitze. Herr Kollege Funke, von der schönen neuen Organisationswelt ist bisher nur eines sicher: neue und größere Wasserköpfe in Bonn. Das ist das, Kollege Pfeffermann, was von Ihren angeblich so modernen Struk10070 turen wirklich Realität wird. Alles andere bleibt dann allenfalls noch das Prinzip Hoffnung. Einerseits läßt sich der Postminister vom Kanzler gern mit dem Hinweis auf seine unternehmerische Vergangenheit schmücken, andererseits verhält er sich gegenüber den Beschäftigen so provozierend obrigkeitlich, wie dies kein Privatunternehmer tun würde, der weiß, welchen Anteil motiviertes Personal am Geschäftserfolg hat. Seine Führungsqualitäten bestanden darin, Linientreue, Disziplinierung und Maulkorberlasse zu praktizieren. Das ging so weit, daß sich einmal ein Postler in Baden-Württemberg dazu verstieg - in seiner Eigenschaft als Kommunalpolitiker -, einen Leserbrief zu schreiben - ich glaube, es war im Schwarzwälder Boten - in dem er sagte: Gut, daß der Minister nicht in ein Sägewerk eingeheiratet hat, denn sonst hätte er die Kabel immer noch an Telegraphenmasten aufgehängt. ({0}) Das hat dann dazu geführt, daß in Bonn der Knüppel des Disziplinarrechts herausgeholt wurde. Das sind offenbar die Führungsmethoden, diese moderne, schöne und neue Führung, die wir da in Fortsetzung der alten erwarten müssen. Einerseits will er die Unternehmen wettbewerbsfähiger machen, andererseits ist er schon in vorhandenen Wettbewerbsbereichen - wie etwa dem Paketdienst - jahrelang untätig gewesen. Es wäre doch gut, Herr Minister, Sie würden uns einmal erzählen, wieviel Stunden von den 79 Monaten Ihrer Regierungszeit Sie darauf verwandt haben, über den Paketdienst nachzudenken, statt auf der Cebit jedem neumodischen technischen Schnick- Schnack hinterherzulaufen. ({1}) Da hätten Sie eine Aufgabe gehabt, aber da fand nichts statt. Oder wie stellen Sie sich Offensivkonzepte in der Zukunft vor, wenn Sie den Postbankdiensten verweigern, in Anzeigen auf die schlichte Tatsache hinzuweisen, daß die Postschalter auch am Sonnabend geöffnet sind? Wenn das schon aggressive Werbung ist, dann gute Nacht, neue Unternehmen. ({2}) Wenn Sie sich so Wettbewerbsverhalten vorstellen, dann muß ich wirklich sagen: Mir graust vor dem Wirtschaftsergebnis. Gestatten Sie mir, einen letzten Widerspruch anzuführen. Sie reden immer von Randbereichen und sagen, es ist ja gar nicht schädlich, wenn der Mobilfunk aus der Netzträgerschaft herausgenommen wird. Andererseits ist er dann wieder bei anderem Publikum, auf anderen Vortragsreisen der Wachstumsmarkt der 90er Jahre. Auch das kriege ich nicht auf eine Reihe. - Ich könnte viele weitere Beispiele nennen. Meine Damen und Herren, diese Reform, diese sogenannte Reform - ich setze das immer in Anführungsstriche, denn Reform ist für mich an sich positiv besetzt -, ist nicht etwas, was nur wenige Fachleute und die zuständige Gewerkschaft angeht. Sie geht alle an; mehr noch als die Steuerreform, denn es zahlen nicht alle Steuern, aber es sind alle Kunden von Informations- und Kommunikationsdiensten. Das gilt für Hersteller und Anwender sowie für Privatkunden und Mittelständler. Es geht um die Versorgungsqualität mit I- und K-Diensten. Daran hängt zum Beispiel auch die Standortqualität der Kommunen, speziell in ländlichen Räumen und die Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb. Das ist also nicht nur etwas für Feinschmecker, für Fachleute oder für direkt, unmittelbar Betroffene wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Deutschen Bundespost, es geht auch nicht nur darum, wie ein x-beliebiges Wirtschafts- und Konsumgut am besten produziert wird, sondern es geht darum, das Nervensystem einer Informationsgesellschaft - von der man sich zunehmend angewöhnt hat zu reden, zu gestalten und auch mit der Gestaltungskraft des Staates die Chancen und Risiken dieses Nervensystems zu steuern. Diese Reform - das wird, so glaube ich, auch manchmal falsch gesehen - ist nicht einfach so ein Hobby des Postministers, der sich für die Geschichtsschreibung ein Denkmal setzen will, sondern diese sogenannte Refom paßt genau in die Regierungslinie, so wie die Rentenreform angedacht war, so wie die Gesundheitsreform und die Steuerreform durchgeführt worden sind, nach dem Motto: Umverteilung von unten nach oben, Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. Ich meine, wir haben allen Anlaß, auf diese Beschlußfassung nicht besonders stolz zu sein und uns vorzunehmen, das, was in den letzten Monaten versäumt worden ist, besser zu machen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bühler ({0}).

Klaus Bühler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000297, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist der zweite Versuch, das Post- und Fernmeldewesen in der Bundesrepublik Deutschland ({0}) neu zu regeln und auf die Bewältigung der Zukunftsaufgaben einzustellen. Der erste Versuch dieser Art wurde von der Regierung Willy Brandt unter dem damaligen Fachminister Georg Leber gestartet. Allerdings fehlte es damals am notwendigen politischen Durchsetzungsvermögen. Herr Kollege Paterna, Sie haben jetzt von einer sogenannten Reform gesprochen. Da muß man Ihnen ins Stammbuch schreiben: In der Regierungszeit der SPD gab es überhaupt keine Reform. Damals war nämlich nicht die Kraft vorhanden, die eigenen Ideen durchzusetzen. ({1}) Wenn Sie heute mit uns darüber reden, ob unsere Kraft ausgereicht hat, liberale Einwendungen zurückzuweisen, muß man daran erinnern, daß damals nicht Bühler ({2}) die Kraft vorhanden war, überhaupt eine Reform durchzuführen. ({3}) Damit zeichnet sich das anders ab. ({4}) - Herr Kollege Briefs, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich so wie im Ausschuß verhalten würden, nämlich durch Abwesenheit glänzen. ({5}) Dann wären Ihre Beiträge so sachlich, wie sie es in der Vergangenheit waren. ({6}) Es war schon damals - das muß man sagen - die richtige Erkenntnis vorhanden, daß die Post reformbedürftig war, um den Herausforderungen gerecht zu werden, die vor allem durch den rasenden technologischen Entwicklungsschub notwendig geworden sind. Daher haben die Bundesregierung und Minister Schwarz-Schilling schon kurz nach der Regierungsübernahme eine Kommission berufen, die den Auftrag hatte, Reformvorschläge zu unterbreiten. Im September 1987 wurde der Bericht dieser Kommission der Öffentlichkeit vorgestellt. Was wir hier und heute in zweiter und dritter Lesung diskutieren, unterscheidet sich in ganz wesentlichen Punkten von den Inhalten, die dieser Entwurf damals dargestellt hat. Wir, die Mitglieder der Arbeitsgruppe Post der CDU/CSU-Fraktion, haben genau das wahrgemacht, was wir zu Beginn unserer parlamentarischen Arbeit in diesem Zusammenhang erklärt haben, nämlich auf der Grundlage dieses Kommissionsberichts ({7}) einen Entwurf zu formulieren, in dem auch unsere ureigenen politischen Vorstellungen von dieser Postreform Eingang finden sollten. Sehr hilfreich waren uns dabei auch die vielen Verhandlungen mit den die Postler vertretenden Organisationen und Verbänden. Ich verhehle nicht, daß es dabei mitunter zu kritisch-kontroversen Diskussionen kam. Auch die vielen Vor-Ort-Besuche bei der Post in den Wahlkreisen und über die Wahlkreise hinaus waren und sind nützliche Erfahrungswerte, die bei der Formulierung der Änderung und der Ergänzung dieser heute zu verabschiedenden Gesetzesvorlage bereichernd und hilfreich waren. Lassen Sie mich einige Punkte aufzählen, die in den parlamentarischen Beratungen entgegen den Festlegungen der Kommissionsvorlage eine wesentliche Änderung, und zwar im Sinn einer Verbesserung, erfahren haben. Die jetzt gefundene unbefristete Möglichkeit einer Quersubventionierung zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen war für uns eine unabdingbare Forderung. Sie wurde ins Gesetz geschrieben. Damit ist einer ganz wichtigen Frage der Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Unternehmens Deutsche Bundespost, vor allem der gelben Post, Rechnung getragen. ({8}) Gleichzeitig läßt sich an dieser Quersubventionierung oder Querfinanzierung die Einheitlichkeit des gesamten Postwesens für die Zukunft wieder einmal klar erkennen. Für mich sind diese Quersubventionierung und Querfinanzierung ein Indikator für die weitere Einheitlichkeit. Ebenso verweise ich auf die von uns initiierte Einrichtung des Direktoriums. Es wurde davon schon gesprochen. Auch das ist eine neue Einrichtung, die die Kommissionsvorlage nicht vorsah. Diese Institution soll als Bindeglied zwischen den einzelnen Bereichen wirken und insbesondere für die wirtschaftliche Nutzung der Verbundvorteile auch in Zukunft Sorge tragen. Auch dieses Direktorium ist für mich ein nicht unerheblicher Beweis für das Fortbestehen der Einheitlichkeit des gesamten Unternehmens. Zu nennen ist auch der diesem Direktorium zugeordnete Hauptpersonalrat. Doch von den sozialen Ergänzungen und Erweiterungen wird noch an anderer Stelle die Rede sein. Von großer Bedeutung ist auch die auf unser Betreiben zustande gekommene Änderung der Einvernehmensregelung in eine Benehmensregelung im Verhältnis zum Bundesminister der Finanzen; denn damit wird die Post von einer immer als lästig empfundenen Fessel befreit, und ihr gesamter unternehmerischer Handlungsspielraum wird wesentlich erweitert. Wenn vorhin die Befürchtung geäußert wurde, es werde mehr Bürokratie und weniger Flexibilität geben, sage ich: Gerade durch diese Regelung konnte weniger Bürokratie und mehr Flexibilität, konnte mehr Spielraum für das Unternehmen erreicht werden. ({9}) Meine Damen und Herren, neu und sinnvoll ist auch die Schaffung eines Infrastrukturrates. Damit wird einmal mehr garantiert, daß auch in Zukunft die Postkunden mit einer gleichwertigen Bedienung und einem gleichrangigen Dienstleistungsangebot durch die Post rechnen können, ganz gleich, ob in den Ballungsräumen oder auf dem flachen Land. Gleichzeitig ermöglicht die personelle Zusammensetzung dieses Infrastrukturrates die Mitwirkung und die Mitverantwortung des Bundestages und der Bundesländer im Sinne einer optimalen postalischen Versorgung der Bürger. Notwendig, ja, geradezu überfällig waren Ergänzungen, bei denen es um die berechtigten Interessen der Mitarbeiter der verschiedenen Unternehmensbereiche bzw. ihrer Personalvertretungen ging. Nach der ersten Lektüre des Kommissionsberichts wurde deutlich: Die Einheitlichkeit des Sozialwesens war in dieser Vorlage nicht gegeben. Mit der schon erwähn10072 Bühler ({10}) ten Einrichtung eines Hauptpersonalrates beim Direktorium wurde dieser eklatante Mangel behoben. Zusammen mit dem Sozialamt Post, SAP, stellt dieser Personalrat eine gleichmäßige und einheitliche Entwicklung des Sozialwesens für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesamtunternehmens sicher. Ebenso haben wir dafür Sorge getragen, daß auch nach dieser Reform die Möglichkeit einer Tarifgemeinschaft für alle drei Dienste gegeben ist und erhalten bleibt. Die Bestellung eines Vorstandsmitgliedes für die Arbeitsbereiche „Personal" und „Bildung und Sozialwesen" macht deutlich, welch hohen Stellenwert für uns die sozialen Belange der Mitarbeiter haben. ({11}) Auch mit der Erweiterung der Gruppenrechte in den Aufsichtsgremien konnte eine Stärkung der Mitsprache- bzw. Mitbestimmungsrechte zugunsten der Beschäftigten erzielt werden. Hier geht es - die Insider wissen es - um die vereinfachte Möglichkeit der Einberufung von Sitzungen der Aufsichtsräte oder des Aufsichtsrates gerade durch die Gruppe der Arbeitnehmervertreter. Ganz im Interesse der Beschäftigten ist meines Erachtens auch die Regelung, die die Personalvertretung in den Aufsichtsgremien der drei Unternehmensbereiche betrifft. Daß nun die Mehrzahl der vom Personal vorzuschlagenden Aufsichtsratsmitglieder Beschäftigte des jeweiligen Unternehmens zu sein haben, stellt eine weitere Stärkung der Mitwirkungsrechte der Mitarbeiter dar. Mit dem Wegfall der ursprünglich vorgesehenen Dreifachbenennung für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat konnte zudem sichergestellt werden, daß nur solche Frauen und Männer vom Minister berufen werden können, die das Vertrauen des Personals uneingeschränkt besitzen. Abschließend möchte ich feststellen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir für unsere Post und für ihre Unternehmensbereiche die Signale auf grün und - wenn ich das Bild des Kollegen Börnsen aufnehmen darf - auf volle Fahrt voraus gestellt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Post haben in der Vergangenheit unter einengenden Rahmenbedingungen ihre Qualifikation stets unter Beweis gestellt. Jetzt, nachdem die Rahmenbedingungen durch die Reform verbessert und der modernen Entwicklung angepaßt sind, hat unsere Post die Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewältigung der nicht einfachen Aufgaben der Zukunft, nämlich: optimaler Service für alle Bürger durch die Post und sichere Arbeitsplätze für alle Beschäftigten bei der Post. Auf das soziale Umfeld dieser Arbeitsplätze werden wir stets unser Augenmerk richten. Ich begrüße diesen gelungenen Entwurf, seine Inhalte, seine Zielrichtungen, und stimme ihm zu, auch wenn ich, Herr Minister - Sie gestatten mir, das zu sagen -, ganz persönlich eine Neustrukturierung des Unternehmens in zwei Bereiche auch durchaus für sinnvoll und vertretbar gehalten hätte. Herzlichen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Such.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn ich, meine Herren von der CDU/CSU, während der Beratungen nicht im Ausschuß war, nehme ich mir doch das Recht heraus, zu diesem Gesetzentwurf etwas zu sagen. ({0}) Ich glaube, daß man auch nachlesen kann, welche Ungeheuerlichkeiten in diesem Gesetzentwurf stehen. Ich befasse mich mit einem in das Paket des Poststrukturgesetzes eher versteckt eingebrachten Aspekt, nämlich der geplanten Erweiterung von Überwachungsmöglichkeiten im Fernmeldeverkehr für die Zwecke des Strafverfahrens und der Nachrichtendienste. Das ist etwas, worüber bisher noch nicht diskutiert worden ist. Bemerkenswert - das möchte ich vorausschikken - ist zunächst das handstreichartige Verfahren, mit dem die Regierungskoalition diese Änderung mit ihren noch unabsehbaren Auswirkungen für die Bürger- und Bürgerinnenfreiheiten durchzusetzen versuchte. ({1}) - Auch das ist nachzuvollziehen. - Nachdem über das Gesetzesvorhaben parlamentarisch und in der Öffentlichkeit - wie auch heute hier - unter ganz anderen Gesichtspunkten diskutiert worden war, überbrachte ein reitender Bote - ich glaube, daran kann man schon erkennen, daß Sie selbst kein Vertrauen mehr in Ihre moderne Telekommunikation haben - aus dem Postministerium im Auftrag des Staatssekretärs am Vorabend der abschließenden Innenausschußsitzung am 8 März 1989 entsprechende Ergänzungsanträge der Koalitionsparteien für den nächsten Tag. ({2}) Zwar wurde das Überrumpelungsmanöver - so muß man es wohl bezeichnen - erkannt, jedoch auf einer extra anberaumten Sitzung am Folgetag mit den üblichen Mehrheiten durchgestimmt. Durchgreifende Einwände etwa der Humanistischen Union ({3}) oder der Konferenz der Datenschutzbeauftragten - wenn Ihnen das vielleicht ein Begriff ist; aber vermutlich werden Sie die auch nicht kennen - blieben unbeachtet. Sie müssen jedoch heute bei der Abstimmung von Ihnen allen mit erwogen werden. Worum geht es in der Sache? ({4}) - Ich sage es Ihnen jetzt. - Während Polizei und Nachrichtendienste in der Vergangenheit strafprozessual und präventiv neben dem Briefverkehr nur Telefongespräche und Fernschreiben kontrollieren und auswerten durften, sollen diese Befugnisse nach dem Entwurf zukünftig auf den gesamten Fernmeldeverkehr sowohl der Post als auch privater Anbieter erstreckt werden, ({5}) also z. B. auf Btx, TEMEX, Telefax, Dateldienste wie Satelliten und mobile Funkrufdienste, Autotelefon usw. ({6}) - Sie reden immer von Terroristen, als wäre unser Land von Terroristen übersät. Danach steht zu befürchten, daß in Zukunft auch Abrechnungs-, Nutzungs- und Verbindungsdaten sowie gespeicherte Inhaltsdaten, etwa bei Btx und Mailboxen, kontrolliert werden dürfen und sollen. Damit würde zumindest für den Bereich der Strafprozeßordnung insoweit auch eine rückwirkende Kontrolle ermöglicht. ({7}) Auch muß man befürchten, daß private Betreiber angehalten werden, für Überwachungszwecke mehr Daten zu erheben und zu speichern, als für ihre betrieblichen Zwecke notwendig und zulässig ist. ({8}) - Lesen Sie den Gesetzentwurf. ({9}) Dieses Vorhaben, Herr Kollege, von Orwellschen Dimensionen erfolgt in einer Zeit, wo allein die Anzahl der reinen Telefonüberwachungen nach der Strafprozeßordnung zwischen 1979 und 1987 um 400 % gestiegen ist und die Union seit langem eine zusätzliche Befugniserweiterung fordert; das, obwohl der Katalog der Anlaßdelikte in § 100 a der Strafprozeßordnung heute bereits über 80 Tatbestände umfaßt, ({10}) so daß der Hamburger Datenschutzbeauftragte kürzlich eine erhebliche Reduzierung gefordert hat. Nach den Vorstellungen des Bundesministers der Justiz steht im Entwurf einer StPO-Novelle jedoch genau das Gegenteil, nämlich Schwächung des Richtervorbehalts, wobei man zum Richtervorbehalt sagen muß, daß er heute in der Praxis nicht immer korrekt eingehalten wird; Nutzung der Überwachungserkenntnisse vermehrt auch für präventive Zwecke. Diese Dinge muß man im Zusammenhang betrachten, um die gesamte Brisanz zu erkennen, was Sie alle, meine Damen und Herren, mit der heutigen Abstimmung auch in der absehbaren Weiterentwicklung verantworten müssen. Die privaten Anbieter - das wird sicherlich die privaten Anbieter, d. h. die einzelnen Unternehmen, besonders interessieren - sollen künftig außerdem verpflichtet werden, ihre an Überwachungsmaßnahmen beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei Bußgeldandrohungen einer Sicherheitsüberprüfung zuzuführen, obwohl die für deren Durchführung erforderliche Gesetzesgrundlage bekanntlich weiterhin fehlt und auch in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Such, mit Rücksicht darauf, daß Sie heute zum erstenmal hier reden, bin ich schon großzügig. Aber ich wäre wirklich dankbar, wenn es nur noch ein Satz wäre.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch einen Satz, dann bin ich fertig. Das ist alles auch nur das I-Tüpfelchen auf der mit diesem Vorhaben verbundenen Aushöhlung rechtsstaatlicher Freiheitsgarantien. ({0}) Wie nicht anders zu erwarten, wird dieser Anschlag auf die Bürgerinnen- und Bürgerrechte einmal mehr mit den probaten Worthülsen „Terrorismusbekämpfung " und „organisierte Kriminalität" gerechtfertigt. Mein letzter Satz: Demgegenüber plädieren die GRÜNEN mit den Datenschutzbeauftragten dafür, dem drohenden Terror eines organisierten Stücks zusätzlichen Überwachungsstaates eine Absage zu erteilen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich hatte die Absicht, nunmehr dem Abgeordneten Wüppesahl das Wort zu erteilen. Die Absicht war, ihm zehn Minuten, entsprechend den Vorstellungen von Präsidium und Ältestenrat, zuzugestehen. ({0}) Der Abgeordnete Wüppesahl konnte sich mit diesem meinem Vorschlag offensichtlich nicht einverstanden erklären und hat sich deswegen zur Geschäftsordnung gemeldet. Ich wäre dankbar, wenn sich die Geschäftsordnungsdebatte nicht allzu lange hinziehen würde. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sie wissen ganz genau, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß ich diese Geschäftsordnungsbeiträge nicht zum Selbstzweck mache, ({0}) sondern ich bitte, das immer im Zusammenhang mit der Organstreitklage zu sehen. Der Antrag auf Vertagung und Schluß der Debatte ist nicht durchgekommen, Herr Carstensen aus Nordstrand, Schleswig-Holstein. Deshalb sehe ich die Notwendigkeit, daß Sie meine qualitativ guten Ausführungen zu der Sachdebatte ebenfalls zu Ohren bekommen können. Mein Antrag zur Geschäftsordnung lautet, daß ich 15 Minuten Redezeit haben möchte. ({1}) Die Begründung ist folgende. Sie wissen, daß das Prinzip des Minderheitenrechtes ein besonderes Recht im Parlament ist. Ich würde gern 15 Minuten zur Sache reden können, nicht nur aus dem eben schon genannten Grund, sondern weil ich in der mißlichen Situation bin, daß die Verkündung in Karlsruhe vom 9. Mai 1989 auf den 13. Juni 1989 verschoben wurde und sich jetzt die Kolleginnen und Kollegen im Präsidium des Deutschen Bundestages über die Osterpause praktisch die Vorgabe einer linearen Kürzung meiner Redekontingente zueigen gemacht haben, was u. a. darauf hinausläuft, daß ich nicht fünf Minuten pro Stunde bekomme - sonst hätte ich jetzt fünfzehn Minuten angeboten bekommen - , sondern in diesem Fall - ab Drei-Stunden-Debatten -, nur zehn Minuten. Ich denke, inzwischen geht es hier - das wurde auch in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe deutlich - , wenn ich reden möchte, wenn es um mein Redekontingent geht, zu, wie auf einem orientalischen Basar. ({2}) Meine Redewünsche sind, wie Sie wissen, bisher sehr sparsam gewesen. Eine Ausnahme wird diese Sitzungswoche sein, und zwar auf Grund der Tatsache, daß sich das Präsidium eine solche Vorgabe zu eigen gemacht hat, wie ich sie eben beschrieben habe, nämlich eine lineare Kürzung meiner Redekontingente um fast 50 Prozent. Ich denke, daß diese Vorgehensweise mir gegenüber auch gar keinen Bezug mehr zur Realität hat. Hier wird im Umgang mit meinen sparsam angemeldeten Redewünschen pro Sitzungswoche ein Feindbild aufgebaut, so daß wirklich die Frage aufgeworfen wird: Warum? ({3}) - Sie haben recht, ich rede zum drittenmal zur Geschäftsordnung. Ich befürchte, ich werde heute noch viermal oder siebenmal zur Geschäftsordnung reden. Ich teile Ihnen mit: Das alles wäre überflüssig, wenn man hier nicht um zwei oder drei Minuten feilschen müßte. ({4}) - Ich erpresse doch niemanden, Herr Carstensen ({5}). Ich werde ständig erpreßt. Was meinen Sie, welch einen Ritt es für mich bedeutet, wenn ich jedesmal zur Geschäftsordnung reden und hier um zwei oder fünf Minuten kämpfen muß. ({6}) Vor allen Dingen: Die fünf Minuten, die ich jetzt „verrede", sind praktisch die fünf Minuten, die ich zusätzlich zur Sachaussprache erbeten habe. Das ist doch eine Absurdität. So wird das heute bei jedem Tagesordnungspunkt laufen. Jedenfalls melde ich mich jedesmal zur Geschäftsordnung, wenn ich nicht fünf Minuten bekomme und nur drei Minuten erhalte oder ähnliches passieren wird. Ich denke, Sie haben auch das Problem heraufbeschworen, daß die politische Diskussion über solche Fragen, die wir hier im Parlament intern selbst regeln und entscheiden müßten, nicht stattgefunden hat. Die Mehrheit hier im Hause hat die Entscheidung über die sechs Anträge, die ich in Karlsruhe eingereicht habe, ausdrücklich nach Karlsruhe delegiert. ({7}) Weil Sie sich dieses politische Armutszeugnis ausgestellt haben, sehe ich mich nach der Entscheidung des Präsidiums in der Osterpause wirklich gezwungen - denn ich muß das nicht nur bis zum 9. Mai aushalten, sondern bis zum 13. Juni; das sind noch vier weitere Sitzungswochen -, in dieser Sitzungswoche das erste Mal so massiv aufzutreten. ({8}) Ich werde in jeder Sitzungswoche bis zum 13. Juni die Geschäftsordnung benutzen. Sie verweisen mich ständig darauf, was die Geschäftsordnung vorsieht, und strangulieren damit meine Rechte als Abgeordneter. Ich sage Ihnen jetzt: ich werde diese Geschäftsordnungsdebatten auf der Grundlage der von Ihnen beschlossenen Geschäftsordnung, die in wesentlichen Zügen verfassungswidrig ist - aber ich darf mit ihrer Logik arbeiten - , notfalls ständig durchführen. ({9}) Ich bin am Ende meines Geschäftsordnungsbeitrages und bitte abschließend, meinem Wunsch zuzustimmen, 15 Minuten zur Sache reden zu dürfen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, der Antrag des Abgeordneten Wüppesahl, ihm eine Redezeit von 15 Minuten zu gewähren, liegt Ihnen vor. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Danke schön. Herr Abgeordneter Wüppesahl, Sie haben das Wort zur Sache. Sie haben zehn Minuten Redezeit.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine Damen und Herren! Ich habe bereits einige Ausführungen im Rahmen der Begründung meines Antrages auf Schluß der Aussprache und Vertagung der Debatte gemacht, die indizierten, wohin die Reise geht, wenn ich mich zur Sache äußere. ({0}) - Das werde ich jetzt auch tun. Die Gesellschaft der Bundesrepublik befindet sich seit einigen Jahren in einer Phase tiefer sozialer und wirtschaftlicher Umwälzungen. Einerseits sind diese Umwälzungen durch das Verschwinden traditioneller Industrien wie Kohle, Stahl, Schiffbau, andererseits durch ein Erstarken von Industrien der High-TechWüppesahl Produktion gekennzeichnet, wozu auch die Produktion von Endgeräten der Telekommunikation gehört. Die bundesdeutsche Industrie befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Strukturwandel, oder - anders gesagt - auf dem Gebiet der traditionellen Industrie ist kein nennenswerter Gewinn mehr zu realisieren, wohl aber auf dem Gebiet der High-Tech-Produktion und der Telekommunikation. Da ist es doch nur logisch - logisch im Sinne einer Bundesregierung, die sich dem Diktat privatwirtschaftlicher Interessen unterworfen hat - , die ertragsversprechenden Felder einigen wenigen Großkonzernen zur Plünderung bereitzustellen. Wie ertragreich der schnellebige Markt der Telekommunikation ist, weist die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 11/2855 aus. Demzufolge erwirtschaftet die Deutsche Bundespost heute zirka 90 % ihres Jahresumsatzes im Fernmeldewesen mit all seinen verschiedenen Diensten. Das waren z. B. 1986 ca. 30 Milliarden DM, ein fetter Brocken, bei dem man sich leicht vorstellen kann, daß auch andere an ihm teilhaben wollen, allerdings nicht an den zur Funktion der Telekommunikation erforderlichen Infrastrukturkosten. Die Bereitstellung des Kommunikationsnetzes bleibt das Monopol der Deutschen Bundespost Telekom, da das Kommunikationsnetz, gemessen am finanziellen Aufwand und der Möglichkeit rascher Innovation, für die Privatwirtschaft einerseits uninteressant ist, andererseits aber für den Absatz von Endgeräten unbedingt notwendig ist. Die Telekommunikation ist das Feld, auf dem nun die Privatwirtschaft ernten soll, was vorher von der gesamten Bevölkerung durch Entrichtung von Gebühren eingebracht worden ist. Daß dies auch in Zukunft bleibt, dafür sorgt schon die Bundesregierung. Ich zitiere nochmals aus der Bundestagsdrucksache 11/2855, Seite 5: Mit den Erträgen aus dem Telefondienst soll der Deutschen Bundespost die finanzielle Ertragskraft vor allem zum flächendeckenden Ausbau und zur innovativen Weiterentwicklung der Fernmeldenetze sowie zum Ausgleich der für die Erfüllung der Infrastrukturauflagen notwendigen Mehraufwendungen bzw. der hierdurch möglichen Ertragseinbußen erhalten bleiben. Zum Verständnis: Nicht der Telefondienst wird zum Wettbewerb freigegeben - der bleibt als Monopol bei Telekom - , sondern der Fernmeldedienst. Mit anderen Worten, die erwirtschafteten Erträge - erwirtschaftet durch die Telefongebühren der Bevölkerung - können dazu genutzt werden, der Industrie die zur Kapitalverwertung notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Aber nicht nur das. Von der Deutschen Bundespost, Telekom, wird verlangt, daß sie sich im Wettbewerb mit der Industrie als leistungsfähig und wirtschaftlich erweist. Das aber bedeutet, daß die Preisgestaltung im Wettbewerbsbereich von Telekom dem Kampf um Marktanteile unterliegt. Was liegt da näher, als zu erwartende Verluste mit Einnahmen aus dem Telefondienst zu begleichen. Der Gesetzentwurf, den ich bereits zweimal zitiert habe, sieht diese Möglichkeit auch ausdrücklich vor. Ich zitiere nochmals daraus: Die Unternehmen sollen für die einzelnen Dienste in der Regel jeweils die vollen Kosten und einen angemessenen Gewinn erwirtschaften. Ein Ausgleich zwischen den Diensten eines Unternehmens ist zulässig. Das ist § 29 Abs. 2 des Entwurfs des Poststrukturgesetzes. Da aber der Telefondienst weiterhin das Monopol von Telekom bleibt und somit eine wettbewerbsorientierte Preispolitik in diesem Sektor wegfällt, liegt es nahe, im wettbewerblichen Bereich entstehende Verluste durch Erhöhung der Telefongebühren oder Verschlechterung des Dienstleistungsangebotes für private Kunden auszugleichen. Betrachten Sie hierzu auch die Entwicklung im Rundfunkbereich mit den Privatsendern. Auch dort haben wir es mit zunehmenden Gebührenkosten bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu tun oder eben einer Reduktion des Dienstleistungsangebotes. Wir haben das als Konsequenz auf allen Sektoren, wo die von dieser Bundesregierung betriebene Privatisierungs- und Deregulierungspolitik ihre Spuren hinterläßt. Die Errichtung einer wettbewerbsfähigen Telekom beeinflußt auch die Beschäftigungspolitk. Ich zitiere nochmals aus der Bundestagsdrucksache 11/2855, Seite 7: Die Neustrukturierung der Deutschen Bundespost zielt darauf ab, die Hoheits- und Unternehmensaufgaben zu trennen sowie eine marktnahe und leistungsfähige Unternehmensorganisation zu verwirklichen. Dies beeinflußt auch entscheidend den personellen Sektor bei der Deutschen Bundespost. Weiter wird zwar auf eine Absatz- und Kundenorientierung sowie auf ein Kostenbewußtsein hingewiesen. Wie aber der Einfluß wirklich aussehen kann, zeigt u. a. das britische Beispiel. Nach einer Studie des Oldenburger Professors für empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie Dr. Klaus Schüler, die von der Deutschen Postgewerkschaft in Auftrag gegeben wurde, sind in Großbritannien in den Jahren zwischen 1980 und 1987, also innerhalb von nur sieben Jahren, 30 000 Arbeitsplätze - das sind 12 % gemessen am Stand von 1980 - vernichtet worden. Die Rationalisierungsintensität der High-Tech-Industrie - High-Tech stellt High-Tech her - wird dafür sorgen, daß bei Telekom aus betriebswirtschaftlichen Gründen Arbeitsplätze vernichtet werden. Wir haben ferner die Tatsache festzustellen, daß zur Zeit unsere Bevölkerung, jedenfalls die große Masse der Bevölkerung, in praktisch allen wesentlichen Lebensfeldern mit zusätzlichen Kosten konfrontiert wird, ob das im öffentlichen Personennahverkehr ist, also bei der Bahn und auch in anderen Bereichen, ob das bei der Bundespost ist, ob das die Folgen aus dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz betrifft, in Kürze wird es bei der Rentenreform ähnlich passieren. Wüpesahl Jeder spürt z. B. tagtäglich - hier wahrscheinlich weniger, weil die meisten kostenlos fahren dürfen, ({1}) weil in der Regel die Fraktionskasse für die Abgeordnetenpost das Porto bezahlt und anderes mehr -, ({2}) aber draußen in der Bevölkerung spürt es tatsächlich jeder: zusätzliche Kosten, wohin man sieht. Die Post wird in sehr kurzer Zeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzeswerkes eine ähnliche Konsequenz für unsere Bevölkerung nach sich ziehen. Meine Damen und Herren, die geringe Redezeit, die mir von Ihnen bedauerlicherweise zugestanden worden, ist erlaubt es nicht, weiter auf die vielfältigen Probleme der geplanten Poststrukturreform einzugehen. Dennoch sollte deutlich geworden sein, daß die Bundesregierung wieder einmal, muß ich hier sagen, dazu bereit ist, privatwirtschaftliche Förderungspolitik auf Kosten der Bevölkerung zu betreiben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Hörster.

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens haben sich der federführende Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse mit einer Reihe von Fragen befaßt, die über den Bereich der Organisation und den Bereich des Wettbewerbs hinausgehen. In diesen Fragen sind einige sehr positive Entscheidungen getroffen worden, die nach meinem Dafürhalten auch dargstellt werden müssen, weil es wenig bringt, Herr Kollege Paterna, Nachhutgefechte über Dinge zu führen, über die die Beratungen längst hinweggegangen sind. Ich meine auch, daß es wenig bringt, mit Befürchtungen und Vermutungen für die Zukunft zu agitieren. Ich meine, es wäre sachlich nützlicher, bei der Umsetzung dieses Gesetzentwurfes in die Praxis darauf zu achten, daß das, was Ziel und Zweck des Gesetzes ist, auch erreicht werden kann. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie z. B. darauf eingegangen wären, daß der Bereich der besoldungsrechtlichen Regelungen überdacht worden ist und daß eine mehr am Wettbewerb orientierte Vergütung auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespost ermöglicht worden ist. ({0}) Wenn auch eingewendet werden könnte, daß gerade im Wettbewerb eine noch größere besoldungsrechtliche Beweglichkeit erforderlich wäre, so ist doch auf diesem Gebiet - das können Sie nicht leugnen - ein wichtiger, grundsätzlicher Durchbruch erzielt worden. ({1}) So können künftig aus technischen, betrieblichen und organisatorischen Gründen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit oder zur Verbesserung des Dienstleistungsangebots Obergrenzen für Beförderungsämter deutlich überschritten werden. Besonders wichtig ist nach meinem Dafürhalten auch, daß es künftig möglich ist, Zulagen zur Abgeltung von Leistungen, die über die regelmäßigen Anforderungen hinausgehen, den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewähren, deren Arbeit die durchschnittlichen Leistungen deutlich übersteigt. Ein besonderer Verhandlungserfolg ist es, meine ich, auch, daß das früher in diesem Bereich ausschließlich aus fiskalischen Gründen geforderte Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen entfallen ist. ({2}) Zwar ist das Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern zur Wahrung der grundsätzlichen Einheit des Besoldungsrechtes weiterhin verankert, aber ich gehe hier im Einvernehmen mit dem Kollegen Funke davon aus, daß diese Einvernehmensregelung nicht restriktiv gehandhabt wird, sondern daß diese Einvernehmensregelung nur in der Weise praktiziert wird, daß wirklich nur dann, wenn grundsätzliche Fragen des Besoldungs- und des Vergütungsrechtes anstehen, dieses Einvernehmen versagt werden kann. Eine im Wettbewerb stehende Post muß im Interesse ihrer Kunden im Personal- und Besoldungsbereich beweglicher und freier sein als die sonstige öffentliche Verwaltung. Die praktischen Erfahrungen, meine ich, werden zeigen, ob die besoldungsrechtlichen Sonderregelungen des Poststrukturgesetzes nicht auch Beispiel für andere Bereiche sein können, in denen öffentliche und wirtschaftliche Aufgaben miteinander verflochten sind. Bei der Diskussion um das Poststrukturgesetz hat - das möchte ich auch einmal anmerken - insbesondere die Deutsche Postgewerkschaft immer wieder behauptet, dieses Gesetz bringe Nachteile für die Mitarbeiter der Deutschen Bundespost. Sie hat dabei nichts unterlassen, was dazu diente, große Verunsicherung zu erzeugen. ({3}) Dabei wurde geflissentlich verschwiegen, daß die bisherigen Organisations- und Rationalisierungsmaßnahmen unter der Geltung des bisherigen Rechts getroffen wurden. Für die Bediensteten der Deutschen Bundespost ist es meines Erachtens wichtig, zu wissen, daß die besoldungsrechtlichen Regelungen des Poststrukturgesetzes es künftig besser als bisher ermöglichen, überdurchschnittliche Leistungen auch überdurchschnittlich zu vergüten. Dies ist eine ganz erhebliche Besserstellung gegenüber dem bisherigen Recht und ein Erfolg des Bundespostministers und dieser Regierungskoalition. Auch der Datenschutz hat bei der Beratung des Regierungsentwurfs eine wichtige Rolle gespielt. Ganz im Gegenstaz zu dem, was Herr Such soeben gesagt hat, ist es bei den notwendigen Anpassungen auch im G-10-Bereich und auch im Bereich des § 100 a und des § 100b der Strafprozeßordnung keineswegs darum gegangen, die bisherige Rechtslage und die bisherige Zielsetzung dieser Bestimmungen zu änHörster dern. Die Änderungen haben sich vielmehr ausschließlich darauf bezogen, die Möglichkeiten, die in diesem Bereich im Interesse der inneren Sicherheit erforderlich sind, den neuen technischen Entwicklungen anzupassen. Da es schlechterdings nicht möglich ist, alle Entwicklungen im Bereich der Telekommunikationsleistungen katalogweise aufzuführen, war es notwendig, die Gesetzesformulierungen so zu fassen, daß Telekommunikationsleistungen von diesen Regelungen künftig insgesamt erfaßt werden. Das als einen „Anschlag auf Freiheitsrechte" zu bezeichnen, ist schlicht abwegig und macht deutlich, daß man sich mit der Materie im Kern nicht befaßt hat. ({4}) - Herr Briefs, ich freue mich, Sie hier zu sehen. Ich bin aber sehr dankbar dafür, daß Sie die Beratungen zum Poststrukturgesetz, als es darauf ankam, nicht verzögert haben. Wer die Beratungen zum Datenschutzbereich verfolgt hat, konnte doch feststellen, daß der Datenschutz in den Ausschußberatungen eine ganz wichtige Rolle gespielt hat. Obwohl in der Zielsetzung, einen möglichst umfassenden Datenschutz zu gewährleisten, kein Dissens bestand - ich nehme an, da sind wir uns einig - , war es doch notwendig, den Datenschutz, insbesondere in § 26 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, durch einige Präzisierungen sicherer zu machen. Die wichtigste ist wohl, daß die Bundesregierung nach dem Wortlaut des § 26 in der Ausschußfassung verpflichtet ist, durch Rechtsverordnung Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten der am Post- und Fernmeldeverkehr Beteiligten zu erlassen. Der Rahmen, innerhalb dessen sich diese Vorschriften halten müssen, ist ebenfalls im Gesetzestext abgesteckt: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu wahren. Insbesondere sind die Erhebung und Verarbeitung von Daten auf den Zweck des Betriebs der Unternehmen Bundespost unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen zu beschränken. Dies gilt - und das ist besonders wichtig - auch für private Erbringer von Telekommunikationsleistungen. Gerade in den Bereichen, in denen Private als Wettbewerber der Bundespost Telekommunikationsleistungen erbringen, war es wichtig, die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses auch für private Anbieter im Gesetz zu verankern und darüber hinaus besondere datenschutzrechtliche Bestimmungen zu schaffen. Über die allgemeinen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes hinaus wird im Fernmeldeanlagengesetz festgeschrieben, daß private Anbieter das Fernmeldegeheimnis und den Datenschutz ebenso zu wahren haben wie die Bundespost Telekom auch. Den Anregungen des Bundesdatenschutzbeauftragten wurde insoweit weitestgehend Rechnung getragen. Zum erstenmal wurde für einen einzelnen Wirtschaftszweig - darauf möchte ich hinweisen - , nämlich den der privaten Telekommunikationsdienstleistungen, eine bereichsspezifische Datenschutzregelung vorgeschrieben. Auch insoweit bringt das Poststrukturgesetz eine wichtige Neuerung. ({5}) - Das zeigt, wie offen wir in der Diskussion sind, wie verhandlungsfähig wir sind und wie wenig wir, anders als Sie, auf ideologische Positionen festgeschrieben sind, die nur den Blick vernebeln und die Argumentation einschränken. ({6}) Mir ist im Verlauf dieser Debatte aufgefallen, daß die staatstragenden Bedenken unter verfassungsrechtlichen Aspekten, Herr Kollege Paterna - Art. 20 Abs. 3 und Art. 87 des Grundgesetzes - hier nicht mehr vorgetragen worden sind. ({7}) Offenbar ist man doch im Rahmen der Beratungen zu dem Ergebnis gekommen, daß die Drohung mit verfassungsgerichtlichen Überprüfungen, die ja zu dem gesamten Szenario gehörte, das aufgebaut wurde, um die Postreform weitestgehend zu verhindern, ({8}) wohl wenig effektiv ist und daß das, was der Herr Bundespostminister und die Bundesregierung im Gesetzentwurf vorgelegt haben, doch verfassungskonform ist. Im übrigen hat die Anhörung im Post- und Fernmeldeausschuß ja auch ergeben, daß verfassungsrechtliche Bedenken in einer einigermaßen seriösen Weise kaum vorgetragen worden sind. Das Poststrukturgesetz, das heute verabschiedet wird, ist ein gutes und, wie ich meine, dynamisches, in die Zukunft angelegtes Gesetz. Wir werden dieses Gesetz als Parlament begleiten; es wird auch vom Poststrukturrat begleitet werden, zu dem der Rechtsausschuß, Herr Kollege Linsmeier, eine etwas differenzierte Betrachtungsweise an den Tag gelegt hat, weil es dem Rechtsausschuß immer noch nicht so ganz in den Kopf will, daß neben dem Parlament und dem Bundesrat auch noch eine dritte, in der Verfassung nicht vorgesehene Organisationsform Kontrolle ausüben soll. Dennoch ist er im Wege des Kompromisses zustande gekommen und wird sicherlich auch akzeptiert. ({9}) Ich denke, daß wir mit diesem Gesetz die Weichen dafür stellen, daß das große Unternehmen Bundespost mit mehr als 550 000 Mitarbeitern reformiert werden kann, daß es für die Zukunft zugerüstet werden kann und daß der Bestand dieses Unternehmens gesichert wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ordnungspolitisch sollen bessere Rahmenbedingungen zu mehr Wettbewerb auf den Märkten der Telekommunikation führen. Die hoheitlichen und betrieblichen Aufgaben der Post werden in diesem Zusammenhang getrennt. Mit der Bildung von drei Unternehmen soll die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Sparten der Bundespost gestärkt werden. Für das Personal allerdings soll praktisch alles beim alten bleiben. Die Mitarbeiter sollen im Wettbewerb mit privaten Unternehmen, die aufgabengerechte moderne Personal- und Führungsstrukturen haben, unter dienstrechtlichen Strukturen des vergangenen Jahrhunderts bessere Leistungen erbringen. Das wird nicht gelingen, weil die überkommenen beamtenrechtlichen Regelungen dafür ungeeignet sind. Auf eine knappe Formel gebracht heißt dies Wettbewerb im Leistungsangebot, Unbeweglichkeit und obrigkeitliche Strukturen im Personalbereich. Die im Poststrukturgesetz vorgesehenen Regelungen bringen entgegen aller Ankündigung kein in die Zukunft weisendes flexibles, an einheitlichen Grundsätzen orientiertes Personalrecht. Die bereits gestiegenen, künftig weiter steigenden Anforderungen an die Mitarbeiter wurden dabei nicht berücksichtigt. ({0}) Flexibilität ist einseitig an Arbeitgeberinteressen ausgerichtet, ohne daß zeitgerechte gewerkschaftliche und personalrätliche Beteiligungsrechte vorgesehen oder gesichert worden sind. Das kann, meine ich, auf Dauer nicht gutgehen. In diese Betrachtung gehört auch der Verzicht auf die Beteiligung des Deutschen Gewerkschaftsbundes - § 94 des Bundesbeamtengesetzes - bei der Entscheidungsvorbereitung - ich weiß, es hat einen Rechtsstreit gegeben - , und dies, obwohl doch in unserer Zeit, im Jahre 1989, eine auch auf diese Weise dokumentierte Bereitschaft zu vertrauensvoller Zusammenarbeit hätte selbstverständlich sein sollen. Aber Zusammenarbeit ist der CDU abhanden gekommen, ebenso die Bürgernähe. Wer wundert sich da noch über das verheerende Bild, das die Union inzwischen in der Öffentlichkeit abgibt? Die Wahlergebnisse der Koalition insgesamt sind - darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen - auch darin begründet, daß sie beim Bürger nicht mehr ankommt, weil sie den Bürger nicht mehr sieht. ({1}) Einige Beispiele zeigen die Einseitigkeit der im Gesetzentwurf enthaltenen personellen Regelungen auf. Weil der bisherige Regelungsrahmen der Arbeitszeitverordnung angeblich zu wenig flexibel ist, soll deren Schutzcharakter spürbar eingeschränkt werden. Das notwendige und richtige Überschreiten von Stellenobergrenzen zielt auf die Beteiligung des Personals an Rationalisierungsmaßnahmen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn diese Überschreitungen aber nicht auf Dauer angelegt sind, werden sie unwirksam bleiben. Die vorgesehene Leistungszulage ist eine Kann-Regelung ohne Rechtsanspruch. Zeitgerechter wäre eine anforderungs- und funktionsgerechte Bezahlung nach der gemessenen Wertigkeit der Tätigkeit gewesen. Damit würde dann auch Willkür in der Anwendung dieser Regelung ausgeschlossen. Die Ermächtigung, Postlaufbahnen zu bilden, ist anachronistisch, weil es dafür praktisch keine Spielräume geben wird. Damit wird dem Personal Sand in die Augen gestreut. Das hängt letztlich damit zusammen, daß sich der Bundesminister des Innern mit Hinweis auf die Einheit des öffentlichen Dienstes weigert, einmal darzustellen, was Kernbestand des öffentlichen Dienstrechtes ist, der überall gleichermaßen angewendet werden muß, so daß die verschiedenen Sparten des öffentlichen Dienstes, beispielsweise auch die Post, um diesen Kernbestand herum Sonderregelungen verabreden können, ohne diese Grundsätze, die natürlich verfassungsrechtlich gesichert sind, zu berühren. Statt Zementierung der überholten knöchernen beamtenrechtlichen Strukturen wäre es notwendig und richtig gewesen, es wäre auch nach der Trennung von Hoheit und Betrieb logisch gewesen, bei den Unternehmen künftig ausschließlich Tarifpersonal zu beschäftigen. ({2}) Damit hätten Sie, Herr Minister, Flexibilität gewonnen. Die personellen Strukturen - Bezahlung, Bewertung, Bemessung - hätten sich ebenfalls im Wettbewerb formen und über unserer Wirtschaftsordnung entsprechende Verhandlungen mit der Postgewerkschaft verbindlich fixieren lassen. Das größte Handicap liegt für die Unternehmen aber in den nach wie vor im Gesetz enthaltenen Einvernehmensregelungen, die alle wesentlichen Entscheidungen beim Innenminister belassen, also bei einem Ressort, das keinerlei Mitverantwortung für diese riesigen, künftig in weiten Bereichen im Wettbewerb stehenden Betriebe hat. ({3}) Gerade in diesem Hinweis wird die übermäßige Bürokratisierung der Entscheidungsabläufe - künftig wird es sechs Entscheidungsebenen geben - deutlich. Die bewußte, vorgesehene Zersplitterung der Personalvertretungen wird die Wirkungen dieser Bürokratisierung noch verschärfen. Sie sind nämlich nicht nur unsozial und unzeitgemäß, sie erschweren auch die Vertrauensbildung und die Kalkulierbarkeit unternehmerischer und gewerkschaftlicher Zusammenarbeit in der Entscheidungsvorbereitung. ({4}) Eben wurde von Vorrednern die hervorragende Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter gelobt. Hätte, so frage ich, diese Ihre Erfahrung - sonst hätten Sie nicht loben können, Herr Funke beispielsweise -, hätte diese Einschätzung nicht mehr Vertrauen in das Personal und seine Vertretungen, ob in Personalräten oder Gewerkschaften, gerechtfertigt? Statt dessen wird künftig Mißtrauen herrschen und Leerlauf die Führung und Zusammenarbeit bei der Post belasten. Alles in allem - und hier zitiere ich Professor Wagner - : Das Gesetz enthält keine wirksamen Leistungsanreize. Es enthält dagegen eine Reihe von Faktoren, die den persönlichen Handlungsspielraum einengen. Es begünstigt Verhaltensweisen, die mehr auf formalistische und routinemäßige Erledigung der Aufgaben ausgerichtet sind. Für Originalität und Innovationsbereitschaft vermittelt es kaum Impulse. Sie sagen, Sie hätten gern mehr Flexibilität eingeführt. Ich glaube das auch. Vor dem Hintergrund der Schwächung der sozialen Beteiligungsstrukturen allerdings ist diese erklärte Absicht nicht unbedingt glaubwürdig geworden. Von daher bleibt es bei der Forderung nach einer grundsätzlichen Reform des öffentlichen Dienstrechts, ({5}) um auch die großen Dienstleistungsunternehmen anpassungsbereit zu machen und das Personal in Rechtsverhältnisse zu bringen, die unserer Zeit entsprechen. ({6}) Langfristig lassen sich daher nach den gegenwärtigen Erkenntnissen folgende Entwicklungen erwarten: Wettbewerb und technische Entwicklung werden höhere Anforderungen an das Personal stellen. Mit einer weitgehenden Umstrukturierung des Anforderungsbildes muß gerechnet werden. Der zunehmende Bedarf an hochqualifizierten Kräften für den operativen Bereich und für die Führung erfordert neue Aus-und Fortbildungskonzepte. Das sind, meine ich, die wesentlichen Punkte. Die nach wie vor anzuwendenden überholten beamtenrechtlichen Vorschriften geben aber keinen Spielraum für das Gestalten den Zielen der Postreform entsprechender qualitativer Personalstrukturen und der bei der Post ja sehr teuren Personalwirtschaft. Auch in dieser Hinsicht werden Sie, Herr Minister, vor der Quadratur des Kreises stehen. Danke schön. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt also dabei: Ihre Postreform ist ein Trauerspiel. Sie, die Koalitionsparteien, haben Ihre Pflicht gegenüber den wirtschaftlich Mächtigen getan, mit dürftigen Argumenten, teilweise geradezu lapidar, an vielen Punkten verräterisch. Der unsoziale Grundcharakter Ihrer Politik schlägt bei der Postreform ebenso wie bei der Steuer-, Gesundheits- und demnächst wohl auch Rentenreform voll durch. Nochmals: Unsere Zukunftsaufgabe wird es sein, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und diese sogenannte Reform erneut zu reformieren, damit für die ganz große Mehrheit der Menschen in dieser Gesellschaft bei der Versorgung mit Post- und Telekommunikationsdienstleistungen vernünftige und dem heutigen Entwicklungsstand angemessene, menschliche Lebensbedingungen entstehen. ({0}) - Herr Bernrath, manchmal wäre es besser, Sie würden in einigen Dingen nicht so deutlich sagen, was Sie meinen, sagen zu müssen. ({1}) - Und sehr zu Recht. Sie sollten öfters auf Ihre Frau hören. ({2}) Ihre Postreform ist unter allen Aspekten zu kritisieren. Sie schafft nicht weniger, sondern mehr Bürokratie: drei Aufsichtsräte, das Ministerium, das Direktorium, der Poststrukturrat, der Kompetenzwirrwarr im Bereich des Sozialen. Ist das denn nun wirklich eine moderne Unternehmensorganisation? Wo bleibt übrigens das Parlament in diesem ganzen Sums? Ich denke, Sie schaffen lediglich einen weiteren hochprofitablen und hochexpansiven Markt für Unternehmensberater - das nur nebenbei. Die Quersubventionierung ist zwar formell zulässig, aber sie wird praktisch politisch durch Ihre sogenannte Reform unmöglich gemacht. Warum? Überlegen Sie einmal: Wenn meinetwegen im Jahre 1991 die Graue Post, also der Telekommunikationsbereich, mit 2 Milliarden DM Überschüssen dasteht und die Gelbe Post 600 Millionen DM Defizit hat, dann wird doch sofort das Gezetere in der Öffentlichkeit beginnen. Wenn die Jahresabschlüsse im zweiten Quartal vorgelegt werden, dann meldet sich der Bund der Steuerzahler - in Wirklichkeit der Bund der Nichtsteuerzahler - und wird sagen: Um Gottes willen, steckt das ja nicht in die Gelbe Post, das gehört uns. Dann meldet sich der Verband der Postbenutzer, im wesentlichen ein Industrieverein, und wird sagen: Das müßt ihr uns in Form von Gebührensenkungen zurückgeben oder in neue technische Dienstleistungen usw. stecken. Das ist die Art von Politik, die Sie mit dieser Reform in die Wege leiten. Das kann doch nicht sozial sein. Diese Politik ist - das ist der dritte Punkt, den ich noch anmerken will - unsolidarisch. Sie begünstigen nicht nur die Reichen und Superreichen und belasten die sozial Schwachen, Sie öffnen insbesondere auch die Tür für die weitere Vernachlässigung des flachen Landes. Ihre Postreform ist deshalb überflüssig und schädlich. Was wir brauchen, ist nicht eine Verbetriebswirtschaftlichung der Post, sondern Demokratisierung. Für uns als GRÜNE heißt das: radikale Transparentmachung postpolitischer Entscheidungen ({3}) und Budgetrecht des Parlaments. Die heutige Regelung ist ja ein Überbleibsel - das ist ganz interessant - aus der Zeit des Kaiserreichs. Das stammt aus der Zeit des Kaiserreichs. Nach einer kurzen Periode in der Weimarer Republik haben es die reaktionären Kreise in der Weimarer Republik damals geschafft, dem Parlament das Budgetrecht wieder zu entziehen und auf den Vorgänger des heutigen Postverwaltungsrates zu übertragen. Das ist der Kern, das muß umgekehrt werden. ({4}) - Komm, komm. Wir brauchen einen Parlamentsvorbehalt bei Investitionen über neue Technologien und insbesondere über Informations- und Kommunikationstechnologien. Wir brauchen einen Bürgerdialog vor der Einführung neuer Technologien. Wir brauchen eine umfassende Mitbestimmung der Beschäftigten in der Bundespost bei der Anwendung und der Entwicklung neuer Technologien und bei anderen Fragen. Wir brauchen eine wirkliche Bürgerrepräsentanz in den Gremien der Deutschen Bundespost. Wir brauchen einen radikalen Ausbau des Datenschutzes und die Beseitigung der Zugriffsrechte der Geheimdienste. Wir brauchen insbesondere die Wiederherstellung der Gemeinwohlbindung. In diese Richtung werden unsere Vorstellungen für die weitere politische Diskussion im Bereich der Bundespost gehen. ({5}) Wir werden uns bemühen, in der Zukunft Bedingungen zu schaffen, die das zu realisieren erlauben. Danke schön. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Rudi Walther.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, am Schluß dieser Debatte gehört es sich, einen Gruß und einen Dank denjenigen zu sagen, über deren Schicksal mit diesem Gesetzentwurf mitentschieden wird, ({0}) nämlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Bundespost, die bis zum heutigen Tage durch Hingabe, Fleiß und Intelligenz mit dafür gesorgt haben, daß das Unternehmen Deutsche Bundespost im internationalen Maßstab ein sehr leistungsfähiges Unternehmen ist. ({1}) Konzeptionelle Kritik haben meine Freunde schon vorhin vorgetragen. ({2}) Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wenn Sie den Weg einer Marktöffnung mit unternehmerischer Konzeption für die Bundespost gewählt haben, dann hätte dieser Weg auch konsequent zu Ende gegangen werden müssen. ({3}) Das heißt, es hätte sichergestellt werden müssen, daß dem Unternehmen Deutsche Bundespost nicht andere Lasten auferlegt werden als den Mitbewerbern im Wettbewerb. ({4}) Der Kollege Funke hat ja schon vorhin einen Teil - jedenfalls mit meiner Zustimmung - angesprochen: Was wird denn eigentlich, wenn durch politische Entscheidungen den Unternehmen Lasten auferlegt werden, die andere nicht haben? Wer kommt denn eigentlich dafür auf? Darauf gibt dieser Gesetzentwurf überhaupt keine Antwort. Es fehlen übrigens auch Regelungen zum Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen der Postunternehmen gegenüber nicht dem Gemeinwohl verpflichteten Mitbewerbern. Der Gesetzentwurf, Herr Minister, enthält hierzu kein geeignetes Instrumentarium. Die durch die Möglichkeit des Finanzausgleichs in einer finanziellen Wechselbeziehung stehenden Postunternehmen müssen also, wenn sie nicht in ihren jeweiligen Bereichen Schwierigkeiten haben wollen, die erwähnten Lasten aus den Monopolerträgen und damit letztlich über Gebührenerhöhungen finanzieren. Das wird jedoch nur begrenzt möglich sein, Herr Minister; denn schon jetzt sind, wie Sie wissen, einige Gebühren im internationalen Bereich, insbesondere im Monopolbereich nicht gerade die niedrigsten, und dies, auf den Vorwurf des möglichen Monopolmißbrauchs eingehend - ich gucke jetzt wieder den Kollegen Funke an - , setzt der Gebührenpolitik ja enge Grenzen. Der Unternehmensteil Postdienst wird unter diesen Bedingungen trotz der vorgesehenen hundertprozentigen Eigenkapitalausstattung noch auf absehbare Zeit auf einen Finanzausgleich zu Lasten des Unternehmensteils Telekom angewiesen sein. Dennoch - so sage ich - sieht das Konzept einen gewinnträchtigen Betrieb jedes einzelnen Unternehmens vor. Ja sogar jeder einzelne Dienst innerhalb der Unternehmen soll, von Ihnen gesetzlich vorgegeben, mit Gewinn abschließen. ({5}) Es gibt also eine Selbstbindung bis hin zum Verbot der Mischkalkulation, die sich kein anderes Unternehmen auferlegen würde, meine Damen und Herren. ({6}) Um den Zwischenruf des Kollegen Paterna aufzugreifen: Würde das Gesetz schon jetzt so gelten, könnten Sie, Herr Minister, Ihre Breitbandverkabelung abschreiben. ({7}) Ich komme auf die gesetzliche Verpflichtung zur wirtschaftlichen Betriebsführung der einzelnen Unternehmen zurück. Was geschieht, wenn also ein Postunternehmen beispielsweise wegen betriebsfremder oder anderer Lasten auf Dauer nicht wirtschaftlich arbeiten kann und höhere Entgelte wegen der Wettbewerbssituation oder wegen der behaupteten Gefahr eines Monopolmißbrauchs nicht durchsetzbar sind und das Instrumentarium des Finanzausgleichs zwischen den Unternehmen nicht mehr funktioniert? Darauf geben Sie bislang keine Antwort. Ich vermute - ich sage das auch als ländlicher Abgeordneter - , daß das zu Leistungseinschränkungen, Rationalisierungsdruck, Abbau und Einschränkung von Diensten bis hin zur Schließung von Poststellen auf dem Lande führen wird. ({8}) Diese Gefahr ist überhaupt nicht abzuwenden. Es wird insbesondere den ländlichen Bereich treffen, wie auch schon in der Vergangenheit alle Konzentrationsund Rationalisierungsbestrebungen zu Lasten des flachen Landes und der Fläche gegangen sind. ({9}) Um eine solche Gefahr abzuwenden, wäre es notwendig gewesen, das Direktorium und seine Stellung zu stärken. Genau diesen Weg gehen Sie aber nicht. Herr Minister, Sie wissen doch genauso wie wir alle, daß dieses Direktorium nichts anderes als ein besseres Frühstücksdirektorium ohne eigene Entscheidungsgewalt und Entscheidungskraft sein wird. Wir haben Ihnen ja gesagt, wir wären gesprächsbereit gewesen, wenn Sie die Stellung des Direktoriums im Sinne der Einheit des Betriebs gestärkt und aufrecht erhalten hätten. Nun sage ich Ihnen einmal als Haushaltspolitiker - als solcher rede ich ja hier - : Eine weitere erhebliche Benachteiligung wird mit der neuen Ablieferungsregelung für die Übergangszeit bis 1996 festgeschrieben. Während ab 1996 eine Ablieferung berechnet wird, wie sie anfallen würde, wenn die Postunternehmen auch steuerlich wie selbständige Unternehmen behandelt würden, werden die Unternehmen gerade in der schwierigen Anfangs- und Übergangszeit mit zunächst unverändert hohen Ablieferungspflichten belastet, wie sie kein anderer Mitbewerber hat. ({10}) Diese auf Betreiben des ausschließlich fiskalpolitisch, d. h. wenig politisch, denkenden Finanzministers aufgenommene Regelung sichert zwar für eine Übergangszeit die Einnahmen des Bundes aus der Ablieferung; sie schmälert aber - das ist nun, Herr Kollege Pfeffermann, eine schwere Sünde gegen den Geist Ihres eigenen Gesetzes - die Marktchancen des Postunternehmens entscheidend. ({11}) Hier werden dem Postunternehmen zu Beginn der Reform massive Zahlungsverpflichtungen auferlegt, die die Mitbewerber nicht haben. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, Herr Kollege Funke, daß die wettbewerbsorientierte Grundphilosophie dieses Reformwerks nicht durchgehalten wird. Bestehende Wettbewerbsnachteile werden aus rein fiskalpolitischen Gründen zunächst beibehalten. So müssen z. B. nach wie vor die umsatzsteuerpflichtigen Postkunden auf den Vorsteuerabzug verzichten, und die Postunternehmen, jedenfalls so weit sie im Monopol sind, können ihrerseits keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Hier liegt weiterhin ein entscheidender Wettbewerbsnachteil für Telekom in den Marktbereichen, für die die Telekom zuständig ist. Soll also Telekom am Markt bestehen, müssen die hohen Ablieferungsverpflichtungen der ersten Jahre und die Belastungen aus dem anhaltenden Finanzausgleich für die Gelbe Post wiederum aus dem Monopolbereich finanziert werden. Sie wissen alle - Kollege Börnsen und Kollege Paterna haben es dargestellt -, dieses Gesetz schwächt den Monopolbereich entscheidend durch Satelliten und durch Mobilfunkverkehre, und durch den Zwang, Mietleitungen an private Mitbewerber zu vermieten. Wir wissen alle, daß der Monopolbereich, aus dem aber, Herr Minister, alle die Belastungen, über die ich gesprochen habe, finanziert werden sollen, entscheidend geschwächt wird. Ich sage Ihnen, diese Rechnung geht nicht auf, es sei denn, zwei mal zwei wären fünf. Meine Damen und Herren, das heißt also, der Monopolbereich, der bei der Post verbleibt, soll alle diese Belastungen bis 1996 aus seinen Gebühren bezahlen. Da liegt es auf der Hand: Der Finanzausgleich kann und wird nicht funktionieren, was all die Schwierigkeiten zur Folge hat, auf die ich hier hingewiesen habe. Wir hatten ja im Haushaltsausschuß beantragt - sicherlich auch in Ihrem Sinne, Herr Kollege Schwarz-Schilling - , daß wir diese Übergangszeit streichen und die Postunternehmen so behandeln wie jeden anderen Mitbewerber am Markt. Ihre Koalition, die dieses Gesetz will, hat interessanterweise ausgerechnet diesen von Ihnen eigentlich zu begrüßenden Vorschlag abgelehnt - für mich, Kollege Schwarz-Schilling, völlig unverständlich, denn eine solche Regelung hätte das Postunternehmen auf einen Schlag jährlich um 1,1 Milliarden DM entlastet. Sie hätte insbesondere das Defizit im gelben Bereich erheblich vermindert. Sie hätten, Herr Kollege Schwarz-Schilling, sehr viel fröhlicher in die Zukunft blicken können, als Sie dies jetzt tun können. Anders ausgedrückt: Sie hatten an dieser Stelle schlicht Angst vor der eigenen Courage. Meine sehr verehrten Damen und Herren, letzte Bemerkung: Der Einzelplan 13 wird in Zukunft sehr viel umfangreicher sein als bisher. Wir hatten im Haushaltsausschuß beantragt, auch an dieser Stelle eine strenge Abgrenzung zwischen Hoheit und Unternehmen durchzuführen. Interessanterweise hat Ihre Koalitionsmehrheit dies im Haushaltsausschuß aus mir unverständlichen Gründen abgelehnt. Aber ich gebe Ihnen einen guten Rat. Ich kann ja nur aus Zeitungen lesen, was Sie im Einzelplan 13 und im Postministerium vorhaben. Ich kann Ihnen nur sagen: Fünf Abteilungen für 450 Leute gibt es in keinem anderen Ministerium. Ich kann Ihnen nur raten: Blähen Sie den Personalkörper und die Zahl der höher dotierten Stellen in Ihrem Ministerium nicht deshalb auf, weil Sie diejenigen, über die wir reden, in den Postunternehmen nicht unterbringen können. Ich denke schon, daß Sie auch an dieser Stelle die Philosophie Ihres Gesetzes sauber realisieren können, ohne daß man Ihnen parteipolitische Mißwirtschaft vorwerfen kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten lehnen nicht nur aus den Gründen, die meine Vorredner aus meiner Fraktion hier genannt haben, diesen Gesetzentwurf ab, sondern auch aus Gründen der Haushalts-, Steuer- und Wettbewerbspolitik. Vielen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. ({0})

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Minister:in)

Politiker ID: 11002128

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Monaten intensiver Beratung steht heute die zweite und dritte Lesung des Poststrukturgesetzes an. Ich meine, es ist in der Geschichte der Post - ich spreche mit Absicht nicht nur von der Bundespost - ein denkwürdiger Tag, ein Tag, der für die künftige Struktur des Post- und Fernmeldewesens die entscheidende Weichenstellung bringt. Die Deutsche Bundespost als öffentliches Unternehmen - ich sage das mit ganz besonderer Betonung - bleibt erhalten, so wie es im Grundgesetz festgelegt ist. Aber wir ändern die Organisationsformen und die bisherige ordnungspolitische Konzeption in einer Weise, daß wir die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte bestehen können. Wir schaffen Strukturen, mit denen wir am Markt bestehen können. Deshalb ist dies ein Tag, meine Damen und Herren, der eine wichtige Weichenstellung für das Post- und Fernmeldewesen der Bundesrepublik Deutschland bringt. Kommunikation und Informationsübermittlung waren schon immer prägende Elemente historischer Epochen. Mit der Erfindung der Elektrizität und der drahtgebundenen wie drahtlosen Informationsübertragung Ende des vorigen Jahrhunderts - das bedeutet, daß die Völker in Sekundenschnelle miteinander kommunizieren und sich verbinden können - begann ein neues Zeitalter. ({0}) Der Wandel der weltweiten Herausforderungen, der damit eingeleitet wurde, wird heute zu einem Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ist daher die Telekommunikation weltweit zu einem der wichtigsten Faktoren im Wachstum der Volkswirtschaften geworden. Meine Damen und Herren, das hat man schon relativ früh erkannt. Ich darf an die Diskussion in den 60er Jahren und die Empfehlungen der seinerzeit eingerichteten Sachverständigenkommission erinnern, die bereits damals zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Organisationsform der Deutschen Bundespost für eine bestmögliche Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben für die Zukunft nicht geeignet ist. Schon damals wurde eine Unterscheidung zwischen politischer und unternehmensbezogener Ebene empfohlen. Ich darf heute daran erinnern, daß im Anschluß an die Kommissionsempfehlungen der Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost über zwei Legislaturperioden - von 1971 bis zum Jahre 1976 während der Kanzlerschaften von Willy Brand und Helmut Schmidt - im Deutschen Bundestag behandelt worden ist. Der Gesetzentwurf scheiterte schließlich insbesondere daran, daß es keinen Konsens in der damaligen Koalition - insbesondere auch mit den Gewerkschaften - gegeben hat und aus diesem Grunde alles im Sande verlaufen ist. Ich bedauere es, daß die Bemühungen der damaligen Bundesregierungen keinen Erfolg hatten, denn wir hätten dann schon jetzt eine gefestigtere Grundlage und könnten uns auf die Marktveränderungen und die technischen Innovationen der letzten Jahre konzentrieren und die Organisation jeweils moderat anpassen, sowie das in anderen Ländern längst der Fall ist. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die Grundstrukturen auf allen Gebieten auf einmal zu erneuern und den Umstrukturierungsprozeß, so mühsam er auch ist, praktisch überall gleichzeitig in Gang setzen zu müssen. Die Bundesregierung hatte bereits im Jahre 1985 eine Kommission eingesetzt - die Regierungskommission Fernmeldewesen unter Leitung von Professor Witte -, um diese Reform sehr sachkundig und intensiv vorzubereiten. Wir haben dann in den Regierungserklärungen betont, daß die Postreform eine der wesentlichen Reformen in dieser Legislaturperiode ist. Sie wissen, daß dieses ein sehr intensiv beratener Gesetzentwurf ist. Wir haben ihn als Kabinettsentwurf praktisch heute vor einem Jahr eingebracht. Wir haben im parlamentarischen Raum ausgiebig darüber gesprochen. Wer hier sagt, es würde durchgepeitscht, der war wahrscheinlich selber nirgendwo dabei. Das ist ja auch bei Herrn Dr. Briefs der Fall. ({1}) Nun, meine Damen und Herren, wir haben die Notwendigkeit der Reform - das ist ja das Erfreuliche - eigentlich von allen Seiten bestätigt bekommen. Ich nenne die Argumente, und wer über die Zukunft hier nachdenkt, kommt sehr schnell auf die einzelnen Argumente. Die Informations- und Kommunikationstechniken, die heute zusammenwachsen, von der Übertragungstechnik, der Computertechnik bis zur Bürokommunikation, ergeben völlig neue Strukturen und stellen heute eine der wichtigsten Wachstumsbereiche der fortgeschrittenen Industrienationen dar. Sie sind eine der Lokomotiven der Volkswirtschaft geworden. Der Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft ist für jeden, der objektiv in die Welt hineinschaut, eine Realität. Weltweite Arbeitsteilung zwischen den Volkswirtschaften ist heute bereits gang und gäbe. Es kommt darauf an, ob wir diese neuen Bereiche in Europa soweit entwickeln, daß wir mit den USA und Japan mithalten können. Dafür ist es schon sehr spät, um das hier einmal klar zu sagen. Wir haben im übrigen ab 1992 den europäischen gemeinsamen Markt, den Binnenmarkt. Wir müssen daher die Strukturen darauf abstellen, daß auch die nationalen Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland in diesem Wettbewerb gegeben sind. Wir brauchen daher eine Neuabgrenzung von Monopol- und Wettbewerbsbereichen. Auf Grund der technologischen Entwicklung ist das unabdingbar. Wer bei diesen technologischen Prozessen glaubt, wir könnten nach einem Fernmeldeanlagengesetz, was im Anfang dieses Jahrhunderts nur auf das Telefon abgestellt war, die Probleme von heute und morgen lösen, der ist wirklich romantisch und naiv. Die ZuBundesminister Dr. Schwarz-Schilling kunftssicherung der Deutschen Bundespost und ihrer Arbeitsplätze hängt von dieser Entwicklung ab. Gleiche Entwicklungschancen für das Postwesen und für das Fernmeldewesen sind ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, der diese Reform bedingt. Die kundennahe Weiterentwicklung des Leistungsangebots im Post- und Fernmeldewesen ist erforderlich, um die Bedürfnisse der Kunden nach heutigen Gesichtspunkten, nach einer sehr differenzierten Art der Nachfrage, der wir heute gegenüberstehen, zu erfüllen. Wer auch morgen mithalten und Wohlstand und Beschäftigung sichern will, der muß heute handeln. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Organisationsformen sind um so überlebensfähiger, je besser es ihnen gelingt, sich auf die veränderten Parameter ihrer Umwelt einzustellen. Zögert man diesen Anpassungsprozeß künstlich hinaus, um überkommene Strukturen aus tagespolitischen Gründen zu erhalten, muß die nötige Korrektur nach einiger Zeit um so deutlicher ausfallen. Das trifft auch auf das weite Feld der Deutschen Bundespost zu. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland genug Branchen, wo wir uns die Frage stellen müssen, ob wir überall rechtzeitig Strukturen verändert haben, um zu Resultaten, die ich eben genannt habe, zu kommen. ({2}) In der Kommunikationstechnologie ist seit etwa 20 Jahren ein weltweiter Veränderungsprozeß festzustellen, dessen Geschwindigkeit sich durch das Innovationstempo immer weiter vergrößert. Neue Kooperationsachsen, vor allem zwischen den Vereinigten Staaten und dem Fernen Osten, zeichnen sich ab, die dem Gesetz der ökonomischen Stärke folgen und politische Kräfteverschiebungen globalen Ausmaßes nach sich ziehen können. Unser dicht besiedeltes und ressourcenarmes Land ist auf hochwertige Technik zwingend angewiesen. Andere Länder mögen von ihren Bodenschätzen, den Reizen ihrer Landschaft oder der Schwerstarbeit ihrer Bevölkerung leben. Unser Land ist auf wissenschaftlich-technische Kreativität und internationale Konkurrenzfähigkeit angewiesen. ({3}) Europa '92 ist keine ferne Zukunft, sondern die Realität von morgen. Den europäischen Unternehmen bleibt nur noch sehr wenig Zeit, um sich auf diese größte und einschneidenste Veränderung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände vorzubereiten. Im Spannungsfeld des großen Kräftedreiecks Nordamerika, Japan und Europa ist diese Bildung des Binnenmarkts die einzige Chance, für Europa eine eigenständige gewichtige Position zu halten und eine Größe des Markts zu haben, daß wir in dieser weltweiten Situation überhaupt rentabel produzieren können. Dabei spielt die Telekommunikation eine entscheidende Rolle. Unsere europäischen Nachbarn haben das Gebot der Stunde erkannt. Die Neuordnung des Post- und Fernmeldewesens um uns herum ist voll im Gang und weithin bereits abgeschlossen. Die Reform des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost gehört zu den notwendigen Reformen dieser Legislaturperiode. Hier besteht ja eigentlich kein Dissenz. Aber wie bei den anderen Reformen - ich denke an die Gesundheitsreform - ist folgendes Verhalten sehr beliebt; ich will es an einem Bild verdeutlichen: Ein Arzt, der bei der Diagnose die Notwendigkeit einer Operation feststellt, ist sich mit seinen Kollegen einig, wenn sie unter sich sind. Aber wenn er es dann, wenn der Patient erscheint, nicht übers Herz bringt, die Operation vorzunehmen, hat er seinen Beruf verfehlt. Die Politiker, die das nur in Gesprächen unter vier Augen zugeben, aber dann zurückschrecken, das Notwendige zu tun, haben ebenfalls ihren Beruf verfehlt, auch wenn sie glauben, sich opportunistisch in der Menge baden zu können. ({4}) Deswegen sind wir nicht den Weg des politischen Opportunismus, sondern den Weg gegangen, den uns die Verantwortung hier gebietet. ({5}) Ich möchte zu den wesentlichen Eckpunkten der Reform kommen. Es sind neun Punkte, die ich nenne. Der erste ist die Trennung der politischen von den unternehmerischen Aufgaben. Hier sind wir in Konsens mit der SPD, obwohl sie die Folgerungen daraus nicht ziehen will. ({6}) Der Gesetzentwurf aus den 70er Jahren und das EGGrünbuch haben uns schon darauf hingewiesen. Wir sind mit der Einrichtung von drei Unternehmen weitergegangen. Es sind nämlich dort, wo die unternehmerischen Aufgaben wahrgenommen werden, klare Verantwortungszuordnungen erforderlich, weil Sie ansonsten erstens keine guten Leute bekommen und zweitens unternehmerisch keine guten Resultate erzielen können. Aus diesem Grunde ist die Einrichtung der drei Unternehmen ein dringendes Erfordernis im Sinne der Effizienz der Leistungen, die von der Bundespost auch in Zukunft erbracht werden sollen. Ich sage hier ganz deutlich, daß wir gerade dadurch, daß wir auch im Postbereich in gleicher Weise unternehmenspolitisch neu strukturieren, einen anderen Weg als andere große Länder, die mit uns im Wettbewerb stehen, gehen. Ich denke an Amerika und vor allem an Japan, wo man nur die Telekommunikation abgekoppelt hat und wo dadurch die Post nicht die Chance erhalten hat, in diesen modernen Prozeß einbezogen zu werden. Sie wird damit weiter - sozusagen unter ferner liefen - der Administration eines Ministeriums überlassen. Mir scheint, daß in unserer ganzen Diskussion die Chancen für die Postdienste noch gar nicht voll erkannt worden sind; sie werden sich wohl erst in einigen Jahren deutlich zeigen. Als dritten Punkt nenne ich die Einheit der Deutschen Bundespost. Wir haben sie gesichert, indem wir den Finanzausgleich ermöglicht haben. Die finanziellen Ungleichgewichte zwischen den Unternehmen können nach wie vor ausgeglichen werden. Bei den Beratungen im Rechtsausschuß haben wir festgestellt, daß der Gesetzentwurf in vollem Umfange den verfassungsrechtlichen Bedingungen gerecht wird. ({7}) Wir haben den Verbund von Dienstleistungen zwischen diesen drei Unternehmen nach wie vor als unternehmerische Konzeption erhalten, und die Unternehmensführungen wären ja geradezu bescheuert, wenn sie die bestehenden Möglichkeiten eines solchen Verbunds nicht nutzen würden. Die Neuregelungen der Finanzbeziehungen zum Bund sind der vierte Punkt. Ich bin optimistisch und erwarte, daß wir etwa bis Mitte der 90er Jahre auch und gerade den Bereich der Postdienste aus den roten Zahlen herausgebracht haben werden. ({8}) Dafür liegen eindeutige Berechnungen vor; die kennen Sie vom Ausschuß her, und die haben Hand und Fuß. ({9}) Gerade dem Finanzminister Stoltenberg, ({10}) der es als erster Finanzminister fertiggebracht hat, einer Ablieferungssenkung in den nächsten Jahren zuzustimmen, möchte ich meinen ganz herzlichen Dank sagen. ({11}) Herr Walther, es nützt ja nichts, daß Sie im Haushaltsausschuß dann Anträge stellen, wenn Sie nicht regieren. Bisher haben alle sozialdemokratischen Finanzminister die Ablieferungen der Bundespost erhöht. ({12}) Der heutige Finanzminister Stoltenberg hat zum erstenmal eine gravierende Veränderung zugunsten der Bundespost ermöglicht, ({13}) und ich möchte ihm dafür danken. ({14}) Es hat keinen Zweck, daß wir hier jetzt über Verkabelungsmöglichkeiten heute oder morgen sprechen. Selbstverständlich ist das Gesetz so angelegt, daß entsprechende Finanzierungen auch aus anderen Diensten, gerade wenn es sich um Infrastruktur handelt, ermöglicht werden können. Wenn ich hier gerade das Argument „Das können Sie sowieso abschreiben" gehört habe, sage ich Ihnen: Lesen Sie einmal das, was wir in Kürze über das erste Quartal veröffentlichen werden. Die Zuwachsrate, die wir gerade bei der Verkabelung haben, sprengt alle Maßstäbe, die wir aus anderen Bereichen kennen. Sogar beim Telefon gab es in früherer Zeit nicht solche Zuwachsraten. Die SPD müßte sich auf diesem Gebiet in ihren eigenen Parteitagsbeschlüssen einmal à jour bringen. Meine Damen und Herren, nach Ihrer heutigen Beschlußlage werden Sie ja, wenn Sie regieren, die Verkabelung sofort wieder beenden! Ich würde Ihnen raten, das ein bißchen up to date zu bringen. ({15}) Wir haben fünftens personal- und dienstrechtlich konsequent gehandelt. Herr Bernrath, ich bin traurig darüber, daß Sie gerade vom Innenausschuß her das nicht etwas positiver beleuchtet haben. Ich bin davon überzeugt, daß unsere Maßnahmen einmal ein Datum sein werden, an dem man in Zukunft viele Notwendigkeiten einer Reform des öffentlichen Dienstrechts messen wird. Allerdings waren wir nicht der Auffassung, daß wir die gefundenen Lösungen nun in eine Reform des gesamten öffentlichen Dienstrechts umsetzen sollten. Wir haben uns vielmehr sorgsam unterhalb dieser Schwelle gehalten, indem wir nur das gemacht haben, was nach heutigem Beamtenrecht bereits möglich ist. Sechster Punkt: Einführung von Wettbewerb bei allen Diensten des Post- und Fernmeldewesens mit Ausnahme des Telefondienstes und des Briefdienstes. Siebter Punkt: Wir haben die Eröffnung des Wettbewerbs bei allen Telekommunikationsendgeräten. Achtens. Wir haben die volle Aufrechterhaltung des Netz-, Telefon- und Briefdienstmonopols vorgesehen. Herr Kollege Paterna, Sie wissen genau, daß das eine der entscheidenden Voraussetzungen für die künftige Finanzkraft der Unternehmen ist und daß wir das gesetzlich verankert haben. ({16}) Neuntens: Einführung der Pflichtleistungen für die Deutsche Bundespost. Wie gesagt, hier wird ein eigener Weg beschritten, indem wir entgegen allen anderen Konzeptionen, die wir sonst in der Welt vorgefunden haben, neben das Wettbewerbsprinzip das Prinzip der Erhaltung und Weiterentwicklung der Infrastruktur mit entsprechenden Konsequenzen in der Konzeption des gesamten Gesetzentwurfs gestellt haben. Ich glaube, daß das einer der wesentlichen Punkte gerade des deutschen Weges in dieser Frage ist. Damit werden auch die historischen Belange, die sich aus der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ergeben, voll berücksichtigt. Gerade die Länderinteressen sind in dieser Frage, so glaube ich, weitgehend berücksichtigt worden. Ich danke den Ländern dafür, daß sie bei den Verhandlungen über diesen Punkt - zumindest was die Mehrheit der Länder angeht - eine Konsensfähigkeit gezeigt haben. Gerade durch die Bildung des Infrastrukturrates haben wir die berechtigten Interessen der Länder in diesem Bereich gewahrt. Ich möchte auch hier noch einmal unterstreichen, daß das Dienstleistungsangebot der Deutschen Bundespost bis zur endgültigen Festlegung der Pflichtleistungen nach den bisherigen Grundsätzen weiter aufrechterhalten werden wird. Das ist auch in der zur Abstimmung gestellten Vorlage des Poststrukturgesetzes festgeschrieben worden. Ich möchte auch sagen, daß in der letzten Gesprächsrunde beim Kanzler ein wichtiges Entgegenkommen, insbesondere mit Blick auf das Personal, gezeigt worden ist und auch Forderungen der Postgewerkschaft erfüllt worden sind. Sie sind nicht im ganzen Umfang erfüllt worden, aber die Gewerkschaftsvertreter haben in ihren eigenen Einlassungen immerhin zum Ausdruck gebracht - das muß man einmal klar sagen -, daß mit diesem Angebot Bewegung in die Sache gebracht worden sei, daß konstruktive Schritte erfolgt seien und daß auf diese Weise ein wesentlicher Punkt im Sinne der Deutschen Postgewerkschaft und der anderen Gewerkschaften erfüllt worden sei. Aber wie sehen dann ihre angekündigten Bemühungen zur Verbesserung des Gesetzentwurfes aus? Es werden weiterhin Aufrufe gemacht, als hätten diese Gespräche überhaupt nicht stattgefunden. Die Slogans lauten etwa „Der Ausverkauf muß verhindert werden" , „Die Zerschlagung ist da", „Für ein Appel und ein Ei wird privatisiert" . Nicht die Mitglieder sind auf dieses Gleis gegangen, sondern die zentrale Gewerkschaftsführung hat diese Slogans noch nach diesem Gespräch, als wenn nichts gewesen wäre, an ihre Mitglieder ausgegeben. Dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die entsprechende Bewußtseinslage von vorgestern ist. ({17}) Ich bedaure auch, daß die SPD, die durchaus in der Lage war, diese Dinge klar zu sehen und der gegenüber sehr viel Gesprächsbereitschaft zu konstruktiven Lösungen gezeigt worden ist - sie ist auch in den Ausschußberatungen deutlich zum Ausdruck gekommen -, letztlich nicht den Mut gehabt hat, nunmehr über ihren eigenen Schatten zu springen und der konstruktiven Beratung auch im Plenum Ausdruck zu verleihen. Das entspricht nicht der Gesprächsgrundlage. Ich möchte ganz klar sagen: Ich bin sehr enttäuscht von der sozialdemokratischen Fraktion. ({18}) Ich habe all das, was ich in Gesprächen angekündigt habe, eingehalten. Die Sozialdemokratische Partei hat von mir im Ausschuß sogar mehr an Zugeständnissen bekommen, als vorher vereinbart worden ist. Und jetzt können Sie sich noch nicht einmal dazu bereiterklären zu sagen, daß Sie diesem Gesetz zustimmen oder sich wenigstens der Stimme enthalten. Die Gewerkschaften haben Sie natürlich in einen entsprechenden Zwang gebracht. Sie müssen sich sehr vorsehen, daß sie auf Grund dieses Zwanges nicht dazu kommen, auf jede Modernität in diesem Lande zu verzichten. ({19}) Ich fürchte auch, daß Ihnen dieser Wettlauf um die Gunst der Deutschen Postgewerkschaft nicht viel helfen wird; denn Sie haben ja schon gesehen: In diesem Wettlauf sind Ihnen DIE GRÜNEN vollständig überlegen. Der Dr. Briefs hat alle Gesichtspunkte der Gewerkschaft nahtlos übernommen, bis zu den Propagandaslogans, die wir gehört haben. ({20}) Wenn Sie einmal, wie Sie sagen, Mehrheitsmöglichkeiten in diesem Hause haben, ({21}) dann werden wir wohl erleben können, daß ein Herr Dr. Briefs die größere Zustimmung der Gewerkschaft finden wird. Vielleicht kommt er später als Postminister in Frage, „was besonders große Perspektiven bringen wird". ({22}) Das wird natürlich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost bei entsprechenden Auseinandersetzungen ein besonderes Vergnügen sein, wenn die große Kompetenz von Dr. Briefs dann in entsprechender Weise umgesetzt wird. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einen kleinen Tip geben: Werden Sie Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft! Vielleicht bringen Sie es zum stellvertretenden Vorsitzenden, und dann sind Sie vielleicht auch geeignet, Postminister zu werden. ({23})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie unterbreche. Aber ich möchte das Haus bitten, auch die letzten Minuten noch so ruhig zu sein, daß diejenigen, die zuhören wollen, auch in der Lage sind, den Minister zu verstehen. Dies ist ein ernst gemeinter Appell und gilt insbesondere für diejenigen, die unter der Tribüne sicher wichtige Gespräche führen, die aber auch draußen geführt werden können. Herr Minister, versuchen Sie es noch einmal.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Minister:in)

Politiker ID: 11002128

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reform des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost ist eine Reform mit Augenmaß. Sie ist auf die Situation in unserem Land zugeschnitten, sie bewahrt zu Bewahrendes, und sie verändert zu Veränderndes. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß wir am Netz- und Telefondienstmonopol festhalten. Dies gilt für die meisten Länder, in denen es bisher Ref or-men im Telekommunikationsdienst gegeben hat, nicht mehr. Wir haben eine sinnvolle Neuordnung von Monopol und Wettbewerb für unsere Zukunft. Jeder weiß, daß die Bundesregierung während der gesamten Beratungszeit zum Dialog bereit war und versucht hat, mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen Kompromisse einzugehen, ohne die Zielsetzung aus den Augen zu verlieren. Die Anbindung des einheitlich zu führenden Sozialbereichs an das künftige Direktorium, die Konzeption des Infrastrukturrats mit Beschluß- und Stellungnahmerechten, die Stärkung der Eigenständigkeit der drei Unternehmen durch eine Minderung der Einwirkungsmöglichkei10086 ten anderer Ressorts und der Bereich der Rückgriffshaftung der Beschäftigten sind belegbare Beweise für die Kompromißbereitschaft und die Konsensfähigkeit im politischen Raum. Ich gehe davon aus, daß wir in den genannten Feldern auch mit der Zustimmung der SPD rechnen können. Herzlich bedanken möchte ich mich für die konstruktiven Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, für die Aufgeschlossenheit und objektive Betrachtungsweise. Gerade in den Ausschußberatungen der letzten Wochen und hier vor allem im federführenden Postausschuß ist deutlich geworden, daß neben den Koalitionsparteien auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die Reform der Deutschen Bundespost für dringend notwendig hält. In der ersten Lesung war noch die Rede davon, daß dieser Gesetzentwurf von Ideologien geprägt sei. Ich meine, daß gerade die Diskussion in den Ausschußberatungen gezeigt hat, daß dies mehrheitlich - da schließe ich die SPD in den Ausschußberatungen ein - heute nicht mehr so gesehen wird. Es ist nur schade, daß das auch in Ihren öffentlichen Kundgebungen nicht deutlich wird. Wir haben ein ausgewogenes Konzept gefunden, das den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein wird, Eigenständiges im Konzept, das auf die Situation der Bundesrepublik Deutschland zugeschnitten ist. Die Bedeutung der Reform für die deutsche Volkswirtschaft und die Bedeutung der Reform für die Beschäftigten der Post werden von der Öffentlichkeit in denkbar weitem Umfang respektiert. Ich möchte auch all denen danken, beginnend bei der Regierungskommission und bei den vielen Experten, bei den Verbänden und bei den Beratern, die sich konstruktiv an dieser Erstellung des Gesetzgebungswerkes beteiligt haben. Selbstverständlich denke ich auch hier an die Fraktionen, die auch entscheidende Verbesserungen herbeigeführt haben. Ich stehe nicht an, als Minister für das Post- und Fernmeldewesen zu sagen, daß der Gesetzentwurf, wie er in das Parlament hineingegeben wurde, nicht verschlechtert wieder herausgekommen ist. Das entspricht nicht nur meiner Sicht. Das gilt auch für alle Kompromisse, die wir eingegangen sind. Per Saldo möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf ist durch die Beratungen verbessert worden. Ich danke den Koalitionsfraktionen und den Bundesländern für dieses Ergebnis. ({0}) Ich möchte den Mitarbeitern, dem Ausschußsekretariat und vor allen Dingen auch den Mitarbeitern im Ministerium danken, die manchmal in Tag- und Nachtarbeit in einer Weise an diesem Gesetzentwurf mitgewirkt haben, daß man kaum glauben konnte, mit welchem Elan dieser Gesetzentwurf möglich wurde. Meine Damen und Herren, mancher im Ministerium hat schon zum drittenmal Gesetzentwürfe konzipiert. Das Erfolgserlebnis, daß es diesmal Wirklichkeit wird, ist eine neue Situation. ({1}) Meine Damen und Herren, die nächsten Jahre werden zeigen, daß wir diesen entscheidenden Schritt gerade noch rechtzeitig vor den umwälzenden Änderungen im Rahmen der EG getan haben. Ich wünsche mir, daß sehr bald nicht nur bei den Experten, bei den Fraktionen, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit, bei den Mitarbeitern der Deutschen Bundespost, bei den vielen Frauen und Männern, die ihr Bestes zu geben gewillt sind, beim Kunden, bei der Wirtschaft deutlich wird, daß dieser Gesetzentwurf eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft unseres Landes ist. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Bevor wir in das Abstimmungsverfahren eintreten, möchte ich Sie über die Geschäftslage informieren. Wir befinden uns erst in der zweiten Lesung. Dann folgt eine namentliche Abstimmung. Wenn diese namentliche Abstimmung abgeschlossen ist, wird - bevor ausgezählt ist - der nächste Tagesordnungspunkt, der vermutlich mit einer kontroversen Abstimmung endet, aufgerufen. Der Ältestenrat tagt um 13.30 Uhr, und die Mittagspause wird verlängert. Wir werden um 14.30 Uhr - statt 14 Uhr - wieder beginnen. Meine Damen und Herren, nun kommen wir zur Abstimmung. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Poststrukturgesetzes. Der Ausschuß empfiehlt, unter Kenntnisnahme der Unterrichtung durch die Bundesregierung den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD und die Fraktion DIE GRÜNEN verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Ich frage, ob sich noch jemand im Saal befindet, der nicht abgestimmt hat. - Halt, die Abstimmung kann noch nicht geschlossen werden! - So, nun schließe ich die Abstimmung *) und bitte Sie eindringlich, im Interesse einer schnellen Abwicklung Platz zu nehmen, damit wir über den Entschließungsantrag der SPD abstimmen können. Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4371 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - *) Ergebnis Seite 10089 B Vizepräsident Cronenberg Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Mißbilligung von Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Carl-Dieter Spranger, gegenüber Vertretern der Kirchen und Wohlfahrtsverbände in der Asyldiskussion - Drucksache 11/4204 Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Stunde Beratungszeit vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen. Zunächst einmal hat der Abgeordnete Bernrath das Wort.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger, hat sich über die katholische Kirche aufgeregt. Äußerungen zu Ausländerfragen, insbesondere zur Asylpolitik der Bundesregierung, aus dem Bereich der katholischen Kirche gaben ihm Anlaß zu einem geharnischten Brief an die deutschen Bischöfe. Wenn ich mich selber hier recht erinnere, ist das wohl erst- und einmalig, daß ausgerechnet ein CSU-Staatssekretär gegenüber den katholischen Bischöfen solche Töne anschlägt. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich unterbreche. Meine Damen und Herren, ich habe ja viel Verständnis, daß Sie Gespräche führen wollen und vielleicht auch müssen; aber das muß nicht hier im Plenarsaal stattfinden. Ich bitte Sie, dann den Saal zu verlassen. - Versuchen Sie, Herr Abgeordneter Bernrath, nun weiterzumachen.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme ganz gut zurecht. Wir sind das gewöhnt, daß wir uns immer ein bißchen unterhalten. Wenn es noch eines Beweises für die Hilflosigkeit der Bundesregierung auch in dieser Hinsicht bedurft hätte, ist er mit diesem Brief, der jede Contenance vermissen läßt, geliefert worden. Was war Anlaß für diesen bevormundenden, die Kirche warnenden Brief? Auf einer asylpolitischen Tagung von Vertretern der Kirche, der Wohlfahrtsverbände und von den Kirchen nahestehenden Politikern sind die vom BMI meist in eindeutiger Absicht veröffentlichten Asylzahlen einer näheren Betrachtung unterzogen worden. Dazu heißt es im ersten Abschnitt des Sprangerschen Briefes vom 7. März, daß es sich bei den Kritikern um Persönlichkeiten gehandelt habe, die „Kraft eines selbst erhobenen Anspruchs ein unredliches Verwirrspiel mit Zahlen und Fakten betreiben". Ihre angeblich so verwerflichen Betrachtungen werden dann aber nicht sachlich reflektiert, sondern der Öffentlichkeit als „aufgetischt" in Erinnerung gerufen. Herr Spranger kennt ganz offensichtlich immer noch nicht die Ursachen für die leider um sich greifende Abneigung gegen Asylsuchende in der Bürgerschaft. Wer auch nur ein wenig Kontakt zu unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern hat, weiß, daß sie sich in weit überwiegender Zahl eben nicht gegen das Verfassungsgebot des Art. 16 wenden, nämlich politisch, religiös, rassisch Verfolgten Asyl zu gewähren, für die meisten unserer Mitmenschen stehen vielmehr praktische Fragen der Würde der Menschen, die sich mit ihren Hoffnungen bereits in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, im Vordergrund. Dabei ist beispielsweise die Frage der nach Meinung von Herrn Spranger selbsternannten Verteidiger der Humanität, wann Asylsuchende eine, wenn auch beschränkte Arbeitserlaubnis bekommen werden, für die meisten Deutschen von vorrangiger Bedeutung. Das hat viel mit ihrem täglichen Zusammenleben mit Asylbewerbern zu tun, die den untätigen, eintönigen, reglementierten Alltag als eine große Last empfinden. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich bei möglicher Beschäftigung der Asylbewerber um Erwerbsarbeit oder gemeinnützige Arbeit handelt. Asylbewerber lediglich auf gemeinnützige Arbeit zu verweisen - daran könnte nach Meinung von Herrn Staatssekretär Spranger gedacht werden - hat doch für die von ihm gewünschte Vermeidung von Anreizeffekten für neue Wirtschaftsflüchtlinge nicht die geringste Bedeutung. Arbeitserlaubnis kann im übrigen nur darum gelegentlich ärgerliche Wirkung haben, weil die immer noch viel zu lange Verfahrensdauer bis zur Entscheidung über einen Asylantrag zu erheblicher Fluktuation und damit zu unüberwindlichen Schwierigkeiten in den Gemeinden führt und eine Lebensplanung der Asylsuchenden immer noch nicht möglich macht. Das, was Sie, Herr Kollege Spranger, Alimentierung der Asylbewerber nennen und für ausreichend halten, nämlich Bereitstellen von Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung, ist vielleicht sogar in der oft zurecht beklagten Häufigkeit und Dauer nichts anderes als das Ergebnis der zu schwachen Besetzung der Anerkennungsstellen und der Verwaltungsgerichte, also der langen Anerkennungsverfahren. In dieser langen Verfahrensdauer liegt sicherlich auch der Grund dafür, daß - meist junge - Menschen über Jahre und Jahre in Gemeinschaftsunterkünften - tatsächlich in Lagern, wie die Bischöfe es sagen - leben müssen, insbesondere dann, wenn die sattsam bekannte Unbeweglichkeit der Bundesregierung die Zahl der nicht entschiedenen Asylanträge immer weiter anschwellen läßt. Die Kirchen würden ihren Auftrag verfehlen, wenn sie nicht auf die für die meisten betroffenen Menschen katastrophalen sozialen, psychischen, oft auch physischen Folgen hinweisen würden. ({0}) Insofern mischen Sie sich, Herr Spranger, in eine ureigene kirchliche Angelegenheit ein, wenn Sie sozusagen selbst den Bischof spielen wollen und sich mit einem Hirtenbrief an die Bischöfe wenden, um sie auf den Pfad der Tugend - Ihrer Tugend - zurückzubringen. Im Zugang der zu lange wartenden Asylbewerber zum Arbeitsmarkt sieht Herr Spranger schon Gefahr für unser bisher stabiles politisches und soziales System, nicht ahnend, daß es die hemmungslose, wahltaktisch angelegte Polemik der Union gegen alle Ausländer seit Anfang dieses Jahres ist, die unser politisches und soziales System erschüttern könnte. Die Menschen - nicht nur die Ausländer - sind darob verwirrt, oft auch beschämt. Wie, fragen sie sich, kann eine christlich-konservative Partei so entgleisen? Und warum, frage ich, dürfen Zahlen des Bundesministers des Innern eigentlich nicht in Zweifel gezogen werden? Immer hat jede Statistik ihre Besonderheiten und ist um so undurchsichtiger, je weniger deutlich gemacht wird, wann sie auf welcher Basis mit welchen Bezugswerten erstellt wurde. Und wenn unter den vorhandenen Auflistungen immer die für die Asylbewerber ungünstigste, aber für die Asylpolitik der Bundesregierung günstigere - nämlich Polemik erleichternde - Entwicklung in den Veröffentlichungen des BMI dargestellt wird, sind Mißtrauen und Fragen nach der politischen Absicht solcher Veröffentlichungen angebracht. Wir begegnen ihnen jedenfalls Woche für Woche in unseren - und Sie zweifellos auch in Ihren - Veranstaltungen. Insofern wurde eine Zunahme des Rechtsradikalismus, wie wir ihn jetzt erleben, in der Tat herbeigerechnet. Die daraus resultierenden Wahlergebnisse in Berlin und Frankfurt brauchen wir Ihnen nicht in Erinnerung zu rufen; Sie kennen sie. Vielleicht werfen Sie aber einmal einen Blick auf das Ergebnis der letzten „Spiegel"-Umfrage zur Ausländer- und Asylpolitik. Wir stehen, wenn die Bundesregierung nicht bald handelt, vor einer breiten Ablehnung der Aufnahme Asylsuchender, also in vielen Teilen der Welt brutal verfolgter, gefolterter, verzweifelter Menschen. Wenn Sie in dem von Ihnen vermuteten - zweifellos auch häufig genug belegten - Mißbrauch des Asylrechts Gefahren für unsere politische Ordnung sehen, dann müssen Sie endlich handeln, vor allen Dingen dann, wenn Sie das Asylproblem als ein in erster Linie europäisches Problem ansehen. Wir haben Ihnen immer wieder gesagt, daß das angebliche Sonderproblem der Polen und Jugoslawen, die mehr als die Hälfte der Asylbewerber stellen, keine Rechtfertigung dafür hergibt, diese Asylbewerber nach einer Ablehnung ihres Antrags nicht abzuschieben, in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Diesen Zuwanderern kann die Rückkehr inzwischen zugemutet werden. Die Innenministerkonferenz der Länder hat Sie dazu noch in der vergangenen Woche aufgefordert. Insofern, meine ich, trägt die lange Verfahrensdauer bis zur Anerkennung oder Ablehnung - darin haben die Bischöfe recht - zur Aushöhlung des Asylrechts durch administrative Maßnahmen bei. Dies liegt - ich sage es noch einmal - an den zu geringen Personalbeständen bei den Anerkennungsbehörden, aber auch am Fehlen geeigneter verwaltungsgerichtlicher Regelungen für die Gerichte. Die Folge ist z. B., daß wir - trotz der höchsten Richterdichte der Bundesrepublik in Europa - die längsten Verfahren bis zur Rechtskraft asylrechtlicher Entscheidungen haben. Auch in dieser Hinsicht gibt es genügend Anregungen unsererseits. Außerdem sind Ihnen in der kürzlich erfolgten Anhörung des Innenausschusses zur Asylpolitik zahlreiche Ratschläge erteilt worden, beispielsweise der, durch Einzelrichter erstinstanzlich zu rechtskräftigen Entscheidungen in kürzester Frist zu kommen, ohne auf die grundgesetzlich geforderte Instanzenüberprüfung und damit auf die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in Einzelfällen, in typischen Einzelfällen verzichten zu müssen. Sie können sich, wenn man den Brief liest, Herr Spranger, offensichtlich nicht vorstellen, daß auch außerhalb der Bundesregierung Verantwortung für das Gemeinwohl empfunden wird. Wie anders sollten wir Ihre Frage an die Adressaten Ihres Briefes verstehen, was die Kirche und ihre Verbände, die nach Ihrer Auffassung keine aktuelle Verantwortung für das Gemeinwohl tragen, berechtigt, gegen Sie zu polemisieren? Daraus läßt sich eindeutig schließen, daß Sie ein demokratisches Miteinander, eine Beteiligung und Mitverantwortung auch aus der verfassungsrechtlich gebotenen Subsidiarität, die die Kirchen ja beispielsweise in diesen Fällen wahrnehmen, ablehnen. Anders kann der unglaubliche Vorwurf, es handle sich bei diesen Leuten und Verbänden um Panikmacher, nicht erklärt werden. Im Ergebnis: Wer nicht Ihrer Meinung ist, Ihre Statistiken also anzweifelt, sich besorgt um die Grundsätze von Humanität und Solidarität bemüht, handelt verantwortungslos und betreibt das Geschäft derjenigen, die alles andere als das Gemeinwohl oder das Wohl der Bundesrepublik Deutschland im Auge haben. Die SPD hat in diesen Tagen erneut ein Argumentationspapier zur Ausländer-, Aussiedler- und Asylpolitik veröffentlicht. ({1}) - Haben Sie es schon gelesen, Herr Gerster? ({2}) - Das ist ja erstaunlich. Dann sind Sie voll informiert. ({3}) Sie können sich da ein Beispiel für Ihre Regelungen suchen, die Sie nun schon seit langer Zeit ankündigen. - Im asylpolitischen Teil heißt es, daß wir dringend eine Verkürzung der Verwaltungsverfahren fordern. Darüber hinaus müssen unsere Anstrengungen verstärkt werden, die Lebensbedingungen der Menschen in den Herkunftsländern der Asylsuchenden zu verbessern. Wir treten in dieser Stellungnahme auch für eine koordinierte europäische Flüchtlingspolitik ein. Dafür sehen wir in der Genfer Flüchtlingskonvention eine gute und tragfähige Grundlage. Alle europäischen Länder haben diese Konvention ratifiziert. In ihrem Rahmen müssen Aufnahme, Verteilung und Anerkennung der Flüchtlinge und ihre soziale Sicherung EG-weit vereinbart werden. - Zu dem sogeBernrath nannten Sonderproblem Polen und Jugoslawen habe ich mich eben schon klar genug geäußert. Im übrigen: Wie ungerecht die Vorwürfe in Ihrem Brief an das Kommissariat der deutschen Bischöfe sind, mag folgendes Zitat aus der Stellungnahme dieses Kommissariats in der Anhörung des Innenausschusses am 20. Februar d. J. deutlich. Dort heißt es zum Grundsätzlichen der Asylpolitik: Auch im Flüchtlingsrecht ist die Menschenwürde höchster Wert. Außerhalb des Bereichs politischer Rechte und Pflichten sollten politische Flüchtlinge für die Zeit ihrer Gefährdung rechtlich Deutschen möglichst gleichgestellt sein. Zum Verfahren heißt es: Die Anfechtungspraxis -- das kommt zur Verfahrensdauer ja noch hinzu des Bundesbeauftragten bei Anerkennungen trägt wesentlich zu den über Jahre gehenden Asylverfahren bei. Ob demgegenüber die Einheitlichkeit der Rechtsprechung höher zu bewerten ist, erscheint erwägenswert. Diese Haltung ist verantwortungsbewußt. Sie hilft uns weiter; sie berechtigt uns nicht, die Bischöfe anzuklagen. Sie dagegen, meine ich, mischen sich ein, statt pflichtgemäß zu Ihrer Verantwortung zu stehen und beispielsweise die Anerkennungsverfahren flottzumachen. Diese Stellungnahme weist klar und eindeutig auch auf die Handlungspflicht der Bundesregierung hin. Darum mißbilligen wir die unsachlichen, unzutreffenden Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Herrn Spranger, mit denen er Vertretern der Kirchen und Wohlfahrtsverbänden vorwirft, bei der Behandlung von Asylfragen verantwortungslos zu handeln und das Geschäft derjenigen zu betreiben, die alles andere als das Wohl der Bundesrepublik Deutschland und des deutschen Volkes im Auge haben. Wir bitten Sie, unserer Mißbilligung beizutreten und unseren Antrag anzunehmen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Spranger das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 419 ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 230, mit Nein 188 Abgeordnete gestimmt. Es gab 1 Enthaltung. 15 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Keine war ungültig. Mit Ja haben 12 gestimmt, mit Nein 3. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 418 und 15 Berliner Abgeordnete; davon ja: 229 und 12 Berliner Abgeordnete nein: 188 und 3 Berliner Abgeordnete enthalten: 1 Ja CDU/CSU Bauer Bayha Dr. Becker ({0}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Börnsen ({1}) Dr. Bötsch Bohl Borchert Breuer Bühler ({2}) Carstens ({3}) Carstensen ({4}) Dr. Czaja Dr. Daniels ({5}) Daweke Frau Dempwolf Deres Dr. Dollinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Eylmann Dr. Faltlhauser Dr. Fell Fischer ({6}) Francke ({7}) Dr. Friedmann Dr. Friedrich Fuchtel Funk ({8}) Ganz ({9}) Frau Geiger Geis Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({10}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Gröbl Dr. Grünewald Günther Dr. Häfele Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({13}) Dr. Hornhues Dr. Hüsch Graf Huyn Jäger Dr. Jahn ({14}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({15}) Kalb Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Klein ({16}) Dr. Köhler ({17}) Kolb Kossendey Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({18}) Lamers Dr. Lammert Dr. Laufs Link ({19}) Link ({20}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold ({21}) Louven Lowack Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Möller Dr. Müller Müller ({22}) Müller ({23}) Nelle Neumann ({24}) Niegel Dr. Olderog Oswald Frau Pack Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({25}) Frau Roitzsch ({26}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({27}) Rühe Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({28}) Sauer ({29}) Sauter ({30}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken Scheu Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({31}) Schulhoff Dr. Schulte ({32}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seiters Spilker Dr. Sprung Vizepräsident Cronenberg Dr. Stark ({33}) Dr. Stercken Strube Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Uelhoff Uldall Dr. Unland Vogel ({34}) Vogt ({35}) Dr. Voigt ({36}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß ({37}) Werner ({38}) Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({39}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Frau Berger ({40}) Buschbom Feilcke Kalisch Kittelmann Lummer Dr. Neuling Dr. Pfennig Schulze ({41}) Straßmeir FDP Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({42}) Engelhard Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gallus Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer Kleinert ({43}) Dr. Graf Lambsdorff Neuhausen Nolting Richter Ronneburger Schäfer ({44}) Frau Seiler-Albring Dr. Solms Dr. Thomae Timm Frau Walz Dr. Weng ({45}) Frau Würfel Berliner Abgeordnete Hoppe Lüder Nein SPD Frau Adler Dr. Ahrens Andres Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({46}) Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Frau Blunck Börnsen ({47}) Brandt Brück Büchler ({48}) Büchner ({49}) Dr. von Büllow Buschfort Catenhusen Frau Conrad Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Diller Dreßler Duve Dr. Ehmke ({50}) Dr. Emmerlich Erler Esters Frau Faße Fischer ({51}) Frau Fuchs ({52}) Frau Fuchs ({53}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Dr. Glotz Frau Dr. Götte Graf Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({54}) Haar Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Hiller ({55}) Horn Huonker Jahn ({56}) Jaunich Dr. Jens Jung ({57}) Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski Klose Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({58}) Lutz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({59}) Müller ({60}) Müller ({61}) Müller ({62}) Müntefering Nagel Nehm Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Dr. Osswald Paterna Dr. Penner Peter ({63}) Pfuhl Dr. Pick Porzner Purps Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rixe Schäfer ({64}) Schanz Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Frau Schmidt ({65}) Schmidt ({66}) Dr. Schöfberger Schreiner Schütz Frau Seuster Sieler ({67}) Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling Stahl ({68}) Steiner Frau Steinhauer Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Voigt ({69}) Waltemathe Walther Frau Dr. Wegner Weiermann Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({70}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({71}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zander Zeitler Zumkley Berliner Abgeordneter Wartenberg ({72}) DIE GRÜNEN Frau Beer Brauer Eich Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Frau Hillerich Hoss Dr. Knabe Kreuzeder Dr. Lippelt ({73}) Frau Nickels Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Schily Frau Schmidt ({74}) Frau Schoppe Stratmann Frau Teubner Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Volmer Weiss ({75}) Frau Wilms-Kegel Berliner Abgeordnete Frau Frieß Meneses Vogl Fraktionslos Wüppesahl Enthalten DIE GRÜNEN Frau Unruh Damit ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern folgendes klarstellen. Am 14. Januar 1989 veröffentlichten die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" und danach andere Publikationen Äußerungen einzelner Vertreter karitativer, kirchlicher und politischer Organisationen, die mit falschen und entstellenden Behauptungen heftige Vorwürfe gegen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung, insbesondere des Bundesinnenministers, erhoben. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die Ausgabe der FAZ vom 14. Januar 1989 und auf die Monatszeitschrift „Soziale Ordnung" Nr. 2 dieses Jahres. In Abstimmung mit Bundesinnenminister Dr. Zimmermann bin ich am 7. März 1989 mit einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber den Vorsitzenden der vorgenannten Organisationen diesen unzutreffenden Behauptungen im einzelnen entgegengetreten und habe insbesondere den Vorwurf zurückgewiesen, die Politik der Bundesregierung sei ausländerfeindlich. Ich habe es für richtig gehalten, meine Stellungnahme auch an den Leiter des katholischen Büros in Bonn, Herrn Prälat Bocklet, und den Bevollmächtigten des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Militärbischof Binder, zuzuleiten, um damit einen Hinweis zu geben, von wem und wofür die Kirchen und ihre Autorität in Anspruch genommen werden. Die Kirchen haben mir signalisiert, daß sie mein Anliegen wohl verstanden haben. So teilte mir Herr Prälat Bocklet in einem Schreiben vom 21. März 1989 u. a. mit - ich zitiere mit seiner Erlaubnis - : Ich bedaure, daß die Medien in unglücklicher Art Namen genannt und Zusammenhänge hergestellt haben, welche in Ihrem Brief so nicht oder überhaupt nicht stehen. Die Kirchen wissen auch, wie sehr ich die aufopferungsvolle Arbeit schätze, die viele Menschen in kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen zum Wohle der Allgemeinheit und gerade auch bei der Betreuung von ausländischen Flüchtlingen verrichten. Wie mehrfach auch öffentlich von mir und anderen bereits betont wurde, enthielt meine Stellungnahme vom 7. März deshalb keinerlei Angriffe gegen die Kirchen und die vorgenannten Organisationen. Solche Angriffe lagen mir fern. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mißbilligungsantrag der SPDFraktion entbehrt jeder Grundlage. ({0}) Wie wir soeben gehört haben, hat Staatssekretär Spranger weder die Kirchen noch ihre berufenen Vertreter angegriffen, wie jedermann auch in der öffentlichen Stellungnahme vom 7. März 1989 nachlesen kann. Nichts läge ihm auch ferner.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Laufs, wie vereinbart sich mit dieser Ihrer Feststellung, die wir auch von Herrn Spranger gehört haben, die Tatsache, daß Herr Spranger die Bevollmächtigten der beiden großen Kirchen nicht etwa so angeschrieben hat, daß er ihnen etwas zur Kenntnis gebracht hat, sondern sie mit einem persönlichen Brief ohne Hinweis auf andere Empfänger angeschrieben und ihnen die ganzen Vorhaltungen somit auch selbst gemacht hat?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich habe hier die Kopie des Originalbriefes. Ich sehe hier neben der Unterschrift „Carl-Dieter Spranger" : Gleichlautende Schreiben gingen an den Bevollmächtigten des Rates usw. usw. Sie waren offensichtlich zur Kenntnisnahme und zur Information weitergeleitet worden. ({0}) Carl-Dieter Spranger hat in seiner Stellungnahme falsche und entstellende Behauptungen korrigiert, die Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Arbeitnehmerorganisationen auf einer Veranstaltung in Köln aufstellten. Diese Äußerungen sind Teil einer Kampagne, mit der durch irreführende Behauptungen, Verdrehungen und Verunglimpfungen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung und insbesondere des Bundesinnenministers Dr. Zimmermann diskreditiert werden soll. ({1}) Es ist auch kaum zu fassen, Herr Kollege Bernrath, daß Sie trotz der Richtigstellungen des Staatssekretärs Spranger und des Bundesinnenministers diese Zahlen auch in dieser Debatte wieder in Zweifel ziehen. Die vom Bundesministerium des Innern veröffentlichten Zahlen über Asylbewerber sind in jeder Beziehung korrekt. Im Jahre 1988 haben 103 076 Ausländer Asyl beantragt. Das ist das höchste Ergebnis seit 1980. Frei erfunden ist die Behauptung, von diesen rund 103 000 Asylbewerbern seien mehr als 40 000 Familienangehörige, die selber keinen Asylantrag gestellt hätten. Richtig ist vielmehr, daß alle 103 076 Ausländer, die die Asylstatistik für das Jahr 1988 ausweist, einen eigenen Asylantrag gestellt haben. Diejenigen Ausländer, die als Familienangehörige eines Asylbewerbers keinen Asylantrag gestellt haben, erscheinen, obwohl sie eine erhebliche Gruppe darstellen, bislang in keiner Statistik. Richtig ist auch die Darstellung des Bundesministers des Innern, daß mehr als 90 % der Asylbewerber das Asylrecht mißbrauchen. ({2}) Tatsächlich betrug die Anerkennungsquote im Jahre 1988 nur 8,6 %. Als besonders gravierend empfinde ich, daß diese Aktion im Namen einer höheren Moral geführt wird, die die Betreffenden unter Ausnutzung ihrer Nähe zu den Kirchen oder kirchennahen Organisationen eigenmächtig für sich reklamieren. Die ganze Fragwürdigkeit dieser Vorgehensweise wird vollends deutlich, wenn die Akteure, wie es jetzt geschehen ist, auf die von ihnen provozierte Reaktion der verantwortlichen Politiker außerordentlich empfindlich reagieren und dabei, wie es jetzt die SPD in ihrem Antrag versucht, so tun, als hätte Staatssekretär Spranger die Kirchen angegriffen. Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Sie machen sich völlig unnötige Sorgen, wenn Sie glauben, sich vor die Kirchen stellen zu müssen. Die Kirchen bedürfen dieses Schutzes nicht. Sie wissen genau, daß die Bundesregierung das segensreiche Wirken der Kirchen gerade in der Betreuungsarbeit für ausländische Flüchtlinge zur Unterstützung der staatlichen und kommunalen Stellen für unverzichtbar hält. ({3}) Carl-Dieter Spranger hat soeben zum wiederholten Male die Mißverständnisse ausgeräumt, die durch verzerrende öffentliche Darstellungen entstanden sind. Diese Klarstellung liegt seit Wochen vor. Sie wurde von den Bischöfen nicht nur positiv aufgenommen, sondern ausdrücklich akzeptiert. Auch die Opposition hätte sich entsprechend informieren können. Es ist eine Frage des kollegialen Umgangs miteinander. ({4}) Herr Kollege Bernrath, ich bin wirklich sehr enttäuscht, daß auch Sie völlig unbeweglich Ihre Unterstellungen hier wiederholt haben. ({5}) Aber die SPD sucht offenbar Anlässe, um ihre polemischen Kampagnen gegen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung fortzusetzen. Es ist sehr ärgerlich - und gerade dagegen wehren sich Kollege Spranger und wir in der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich - , daß die Diskussion von moralischen Schuldzuweisungen an die Bundesregierung beherrscht wird und der Sinn für die Realitäten immer mehr verlorengeht. ({6}) In einer Lage, die von lebhaften gesinnungsethischen Wunschvorstellungen gekennzeichnet ist, bedarf es der Klarheit über die Wirklichkeit. ({7}) Die Forderung der Opposition z. B., alle Asylbewerber in normalen Wohnungen unterzubringen, ihnen Arbeitserlaubnis und volle Sozialhilfe zu gewähren, ist gewiß Ausdruck humanitärer Gesinnung. Wer Verantwortung trägt, kann jedoch nicht übersehen, daß sich mit mehreren hunderttausend zusätzlich zu uns kommenden Menschen nicht in gleichem Maße die Türen unserer Häuser öffnen, weder die der Wohnbevölkerung noch die der kirchlichen Organisationen oder Wohlfahrtsverbände, um diesen Menschen Obdach zu geben. Überfüllte Wohnheime, Sammelunterkünfte, überbelegte Hotels und Behelfswohnungen in Containerbauweise sind die in dieser Situation unvermeidbaren Notbehelfe in der Wirklichkeit, für die wir Politiker obendrein geschmäht werden. Es ist wahr, daß unsere Humanität und Solidarität heute in besonderem Maße gefordert sind. ({8}) Es ist aber ebenso wahr, daß wir das Leid und die Armut in der Welt und die verweigerten Menschenrechte in vielen Ländern nicht mit einer großzügigen Asyl- und Ausländerpolitik in unserem Lande hier heilen können. Dies hat auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken festgestellt, wenn es im Juli 1988 erklärt, daß es der Bundesrepublik als Nichteinwanderungsland möglich sein müsse, den Zuzug von Ausländern aus Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft sozial verantwortlich zu steuern und damit auch wirksam zu begrenzen. Die Aufnahmefähigkeit und die soziale und kulturelle Integrationskraft der Bundesrepublik sind begrenzt. Es ist Ausdruck christlicher Verantwortung, soziale Konflikte aus Überforderung und neue Ungerechtigkeit zu vermeiden. Dazu gehört auch, den Zustrom unberechtigter Asylbewerber einzuschränken. Carl-Dieter Spranger und wir in der CDU/CSU fragen uns nach dem Sinn, wenn viele hunderttausend Asylbewerber in wenigen Jahren mit offensichtlich f al-schen Vorstellungen zu uns kommen, mit großem Aufwand an Steuergeldern und Personal ihr Asylantrag in einem langwierigen, akribischen Rechtsstaatsverfahren behandelt wird und sie nach Jahren abgeschoben werden. Mehr als 90 % der Ausländer, die Asyl beantragt haben, sind, wie ich schon sagte, im Jahre 1988 aus anderen als asylrelevanten Gründen in das Bundesgebiet eingereist. Sie, Herr Kollege Bernrath, wissen so gut wie ich, daß seit zehn Jahren alle Versuche, das Verfahren zu beschleunigen, nicht gefruchtet haben. Wir haben uns wirklich bemüht, Sie selber haben sich ja auch daran beteiligt, und Sie kennen die Gründe. Ist es vernünftig, fragen wir, für dieses Verfahren jährlich Milliarden DM auszugeben, die uns für dringende Hilfe vor Ort fehlen? Mit dem gleichen Aufwand könnten wir unvergleichlich mehr Menschen helfen, in ihrem eigenen Kultur- und Sprachraum Sicherheit und Lebensunterhalt zu finden. ({9}) Viele Menschen kommen aus Elendsregionen anderer Kontinente zu uns. Sie sind unsere Mitmenschen, denen wir hier und heute helfen müssen und helfen wollen. Als besonders bedrückend empfinden wir aber die Frage nach ihren Lebenschancen und Zukunftsperspektiven in unserer modernen Industriegesellschaft, in die sie sich sehr schwer oder gar nicht einleben können. Ist es human, wenn auf diese Weise Fürsorgefälle auf Dauer entstehen? Im vergangenen Jahr sind rund 30 000 polnische Staatsbürger als Asylbewerber zu uns gekommen. Sie können sich zu Recht weder auf unser Asylgrundrecht für politisch Verfolgte noch auf die Genfer Flüchtlingskonvention berufen. Auch die 20 000 Asylbewerber aus Jugoslawien haben eine Anerkennungsquote von nahezu null Prozent. Es gibt also den Asylmißbrauch in großem Umfang, dem wir gerade mit dem Blick auf die wirklich politisch Verfolgten wehren müssen. Das Massenproblem der unberechtigten Asylbewerber bindet in unverantwortlicher Weise Mittel und Bewegungsspielraum, um echten Flüchtlingen großzügig helfen zu können. Es ist ungerecht und scheinheilig, diesen Überlegungen und politischen Positionen mit dem Etikett „ausländerfeindlich", „rechtsradikal" , „rassistisch" oder gar „unchristlich" und als gegen die Kirche gerichtet zu versehen. ({10}) Carl-Dieter Spranger hat die Verbreitung polemischer Falschbehauptungen energisch kritisiert. Von seinen Bemerkungen zur Sache hat er nichts zurückzunehmen. Er nimmt wie wir alle in der Union für sich in Anspruch, eine Politik auf dem christlichen Verständnis vom Menschen aufzubauen. Gefragt ist allerdings eine Politik des Augenmaßes, die nicht aus der Erregung des Tages gemacht, sondern zu Ende gedacht ist. Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Meneses Vogl.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war immer einfach, die Schwächeren aus einer gesicherten Position zu erniedrigen. Es war immer Usus der Mächtigen, in Konfliktsituationen ihre Macht zu zeigen, mit Arroganz, mit einer grenzenlosen Lust an Beleidigungen und Verletzungen. In der Bundesrepublik sind die Flüchtlinge und in besonderem Maße die De-facto-Flüchtlinge das schwächste Glied unserer Gesellschaft. Aber ich will heute nicht über das erreichte Ausmaß an Ausländerfeindlichkeit in diesem Land sprechen. Dafür wird es noch genug Gelegenheit geben. Ich will darüber sprechen, daß gerade die Flüchtlinge in ihrer Einsamkeit und Hilflosigkeit auf die wohlwollende Hilfe von einzelnen Menschen, den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden angewiesen sind. Denn Flucht ist kein Schicksal und keine freiwillige Entscheidung, sondern eine Notwendigkeit, die letzte Möglichkeit zum Überleben. Wie glücklich müßten wir sein, daß es in diesem Land Menschen und Institutionen gibt, die das auch so sehen, die begriffen haben, daß menschliche Größe nicht mit Macht verwechselt werden kann, daß es Menschen gibt, die aus der Geschichte gelernt haben und die die Stärke der Demokratie in der Großzügigkeit gegenüber Andersdenkenden, Oppositionellen und Schwächeren sehen. ({0}) Der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Herr Spranger, gehört nicht zu diesen Menschen. ({1}) Für ihn sind Fluchtsuchende Scheinasylanten, GRÜNE potentielle Terroristen, grüne Bundestagsabgeordnete Feinde der Polizei. Er scheut sich nicht, das Ministerialorgan „Innere Sicherheit" als Kampfblatt gegen Bürgerrechte zu benutzen. Diesen Punkt, diese ungeheuerlichen Diffamierungen des Herrn Spranger gegen die GRÜNEN, werden wir übrigens auf der nächsten Sitzung des Innenausschusses zur Sprache bringen. Herr Spranger genießt die bedingungslose Rückendeckung seines Ministers. Herr Spranger ist einer jener Unionsvertreter, die am massivsten die Gesinnung des rechtesten Randes dieser Partei vertreten, deren Liste mit Namen wie Stoiber, Lummer, Huber und anderen fortgesetzt werden kann. ({2}) Die Tatsache, daß er jetzt die Kirche angreift, müßte uns deshalb nicht überraschen. Herr Spranger begreift die Kirche als ein weiteres Glied dieses Staates, also nicht in ihrer christlichen Definition als eine Kirche der Armen, der Hilflosen und der Ausgestoßenen. Für ihn soll die Kirche zur Vervollkommnung der Macht des Staates beitragen. ({3}) Die Kirche handelt dann verantwortungslos, wenn sie dies nicht tut. In seiner maßlosen Hetze gegen alles, was nicht seinem Deutschlandbild entspricht, maßt er sich an, die Kirche, die ihre christliche Verantwortung gegenüber der ausländischen Bevölkerung ernst nimmt, zu diskreditieren. ({4}) - Wir reden ein anderes Mal darüber. Heute ist das meine erste Rede. Ich bitte um ein bißchen Verständnis. Wenn wir heute in der Bundesrepublik eine Zunahme des Wählerpotentials neofaschistischer und rechtsextremer Parteien erfahren, deren ausschließliche inhaltliche Orientierung aus einer plumpen und dumpfen Ausländerfeindlichkeit besteht, so müssen wir feststellen, daß Politiker wie der Staatssekretär Spranger einen wichtigen Beitrag dazu geleistet haben. ({5}) Der vor einigen Tagen vom Kollegen Penner von der SPD zitierte Satz des jüdischen Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer in seiner Analyse der Sprache des Dritten Reiches erklärt die Bedeutung dieses Beitrags. Denn Klemperer schreibt - ich zitiere - : Worte können sein wie winzige Arsen-Dosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da. Durch die Sprache, durch die giftigen Stichworte, die Sie uns fast täglich liefern, ist die ausländische Bevölkerung und sind die Flüchtlinge gesellschaftlich deklassiert worden. ({6}) Sie haben den potentiellen Rassismus in diesem Land hoffähig gemacht. Sie haben deren führende Parteien und Funktionäre wählbar gemacht. Denn warum sollte man sie nicht wählen, wenn selbst Regierungsvertreter eine Sprache benutzen, die nach einer Aussonderung von Flüchtlingen ruft. Sie haben die Hoffnungen derer wieder geweckt, die immer noch oder schon wieder glauben, daß nur ein sauberes Deutschland auch ein wahres Deutschland sein kann. Die Sprache dieser Politiker ist die gleiche Sprache, die heute von den sich selbst so nennenden Republikanern in noch plumperer Art verwendet wird. ({7}) Der Ruf nach der Umwandlung dieser Worte in eine noch härtere Praxis wird lauter, und es ist nicht verwunderlich, daß die gleichen Politiker sich heute bewußt bemühen, die Ausländerfeindlichkeit der extremen Rechten zu übertreffen. Meine Damen und Herren, gestern waren es die Ausländer, und sie sind es nach wie vor. Seit dem 7. März 1989 ist es die Kirche. Morgen sind es vielleicht die Aussiedler - oder sind sie es schon? Die Eskalation der verunglimpfenden und diskriminierenden Sprache hat ein Ausmaß angenommen, das wir sehr ernst nehmen wollen. ({8}) - Haß war für mich nie ein Mittel der Auseinandersetzung. ({9}) Wir wissen aus der Geschichte, daß eine bestimmte Sprache die Einleitung gefährlicher Prozesse sein kann. Es ist daher verantwortungslos, wenn Politiker den Menschen, darunter besonders den Jugendlichen dieses Landes, auf diese Weise ein Bild vermitteln, das die Ausländer und Flüchtlinge als eine Last beschreibt, als etwas Unerwünschtes, als Menschen zweiter Klasse. Die Tatsache, daß das Gefühl sozialer Solidarität zunehmend weniger empfunden wird, kann nur eine Folge davon sein. In vielen kirchlichen Kreisen und Gemeinden, in den Wohlfahrtsverbänden dieser Republik bemühen sich diese Menschen, diese rassistischen Tendenzen zu bekämpfen. Unsere Verantwortung liegt in einer offensiven Unterstützung ihrer Arbeit. Wir sind gespannt darauf, wie die Ausländer- und Asylpolitik des neuen Duos Schäuble/Spranger aussehen wird. Steht der zukünftige Innenminister in der Tradition und Kontinuität von Herrn Zimmermann? Will er die ausländerfeindliche Politik fortsetzen? Oder will er z. B. die jüngsten Kabinettsbeschlüsse über die verschärften Visabestimmungen gegenüber Polen, den geplanten Visumzwang für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zurücknehmen? Letzteres wird mit einem Staatssekretär Spranger nicht möglich sein. ({10}) In diesem Sinne begrüßen wir den Antrag der SPD. Wir werden ihn unterstützen. Danke schön. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich schwierig, zu diesem Brief etwas zu sagen. Vielleicht klärt sich alles auf, und wir reden von ganz verschiedenen Briefen. Ich habe hier einen Brief an das Kommissariat der deutschen Bischöfe, Prälat Paul Bocklet. Da heißt es nach der Anrede „Sehr geehrter Herr Prälat Bocklet!" u. a.: Ärgerlich wird es nur, wenn Persönlichkeiten und Organisationen, die Kraft ihres Ansehens oder auch nur auf Grund eines selbst erhobenen Anspruchs in der Öffentlichkeit besonderes Vertrauen genießen, ein unredliches Verwirrspiel mit Zahlen und Fakten betreiben. So ist es in einer der vielen asylpolitischen Tagungen von Vertretern der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und ihnen nahestehenden Politiker ... geschehen... Dann donnert der Staatssekretär los von den „selbsternannten Verteidigern der Humanität", das sei alles grundlos, unverantwortlich, falsch, unredlich; er spricht von mangelnder Kenntnis der Verfassungswirklichkeit. So geht das fort. Es ist einfach ein ärgerliches Schreiben. ({0}) Es ist ganz sicherlich keine Staatsaktion. Aber, Herr Staatssekretär Spranger, man kann sich entschuldigen. Ebenso, wie man sich im Wort und in der Tonlage vergreifen kann, kann man sich hinstellen und sagen: Es tut mir leid. Daß Sie diese Kraft nicht gefunden haben, das zu sagen, das finden wir schade ({1}) - mit „wir" meine ich die FDP, meine Freunde, meine Kollegen - , zumal Sie Positionen niedermachen, die auch wir zutreffenderweise vertreten. In Ihrem Schreiben sind Behauptungen aufgestellt worden, die falsch sind, die Herr Laufs wiederholt. Ich meine die Behauptung, daß 90 % der Flüchtlinge das Asylrecht mißbrauchen. Der Staatssekretär führt selber aus, daß die meisten abgelehnten Asylbewerber aus politischen und humanitären Erwägungen nicht abgeschoben werden können, weil nämlich unser Asylrecht inzwischen eine Härte und Beschränkung erreicht hat, die bei strikter Durchführung zu Folgen führen, die die ausführenden Behörden weder verantworten wollen noch verantworten können. Das ist doch die Wahrheit. So ist es doch. Man kann ja nicht sagen: Das sind Wirtschaftsflüchtlinge. Die katholische Bischofskonferenz sagt zutreffend: Armutsflüchtlinge. Man kann doch nicht sagen: Das sind Leute, die einen Mißbrauch betreiben. ({2}) Herr Spranger hat ein unheilbar gutes Gewissen, und er ist blind für die menschliche Not, ({3}) die ein Flüchtling unabhängig davon erleidet, ob er politisch verfolgt oder ein Armutsflüchtling ist. Er ist blind dafür, daß für viele Mitbürger der humanitäre Inhalt unserer Verfassung und eine ihm verpflichtete Politik die eigentliche Anziehungskraft unseres Staates ausmacht. ({4}) Das ist es. Die Kirchen und die karitativen Organisationen tragen eine hohe Verantwortung, und sie handeln danach. Wir wünschten, daß Sie, statt einen solchen Brief zu schreiben, einmal in die Flüchtlingslager gehen, daß Sie sich einmal an Ort und Stelle informieren, wie manche Menschen dort leben müssen. Manchmal habe ich mich geschämt. Das muß ich Ihnen sagen. Wir wünschen, daß Sie begreifen, daß es nicht schäbig ist, wenn man für sich und seine Familie bessere Lebenschancen sucht. ({5}) Wir wünschen, daß Sie sich um humanitäre Aktionen des Bundes und der Länder kümmern; daß Sie vielleicht für Cap Anamur werben. Wir wünschen, daß Sie an die Mitbürger appellieren, zu einer Hilfeleistung bereit zu sein, die einem der reichsten Länder der Welt ansteht. ({6}) Wir wünschen, daß Sie Ihre Mitbürger achten und ehren, die sich täglich und tätig in christlicher und in humanitärer Verantwortung um die Menschen bemühen, die bei uns Hilfe suchen und die ihr Schicksal in unsere Hand gelegt haben. Das wünschen wir uns. ({7}) Nun bin ich nicht der Meinung, daß dieser Brief das Ansehen der Bundesregierung beschädigt, aber er beschädigt das Ansehen des Kollegen Spranger, des parlamentarischen Staatssekretärs Spranger, und es ist für uns sehr ärgerlich. Es wäre wirklich gut, Herr Kollege, wenn Sie sich aufraffen könnten, zu sagen: Es tut mir leid. Das ist das, was wir von Ihnen erwarten. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Rede des Kollegen Meneses Vogl kann ich nur sagen: Ich glaube, ein Deutscher Bundestag, eine Union, die sich eine solche Rede in relativer Ruhe anhört, braucht zum Vorwurf einer illiberalen Politik keinen Satz zu sagen. Der Vorwurf, den man uns machen könnte, kann dann eher sein, daß man sich so etwas, solche Reden, im Bundestag überhaupt gefallen läßt. ({0}) Herr Dr. Hirsch, ich bedauere, daß wir jetzt hier streiten müssen. Ich tue es auch nicht, denn wir haben stundenlang Zeit, die Differenz auszutragen, die wir hier haben. Herr Dr. Hirsch, ob Sie nun mit dem Begriff einverstanden sind, daß das Mißbrauch ist, ich kann nur sagen: Der Sachverhalt ist jedenfalls klar, nämlich daß sich zu 90 % derzeit Leute auf ein Recht berufen, das sie für sich nicht in Anspruch nehmen können. Die Motive dieser Leute, daß sie sich um ihre Familien kümmern, will niemand herabwürdigen, aber dann müssen wir unser Gesetz entsprechend anpassen. Wir dürfen nicht ein Instrument anbieten, das zur Lösung dieses Problems leider hinten und vorne nicht paßt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Fellner, der Abgeordnete Bernrath möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir ist gerade die Zeit auf die Hälfte gekürzt worden. Ich bitte doch, zumindest zwei, drei Gedanken sagen zu dürfen. Ich weiß natürlich, daß angesichts der ersten Pressemeldungen viele mit Schaum vor dem Munde sich auf dieses Thema gestürzt haben. Ich meine, wenn klar ist, daß der Kollege Spranger nichts anderes getan hat, als die Position der Bundesregierung zu den einzelnen Behauptungen darzustellen, dann sollte man auch bereit sein, sich wieder abzuregen. - Dem Kollegen Bernrath ist es dankenswerterweise ohnehin nicht übermäßig gelungen, sich hier aufzuregen. - Wenn man das nicht tut, wenn man nicht bereit ist, hier zurückzustecken, dann geht es halt letztlich nur um das Madigmachen eines Kollegen, der als Mitglied der Bundesregierung einfach seine Pflicht getan hat. Ich glaube auch, daß die Kirchen gar nicht glücklich darüber sind, daß Sie hier diese Veranstaltung inszenieren. Wenn ich die jüngsten Äußerungen verschie10096 dener Vertreter der Kirchen - und die sind Ihnen sicherlich nicht entgangen - mir anschaue, dann freue ich mich ganz besonders über die Äußerungen des Mainzer Bischofs Karl Lehmann, der - so ist es in der „Frankfurter Neuen Presse" zitiert - gesagt hat, andererseits seien Katholiken aber durch die Frage nach den Grenzen der Leistbarkeit und Aufnahmefähigkeit neu herausgefordert. Nach Ansicht Lehmanns wäre es blauäugig, so zu tun, als ob es die Probleme, die etwa ein Bürgermeister in dieser Frage hat, nicht gäbe.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Bernrath wünscht eine Zwischenfrage zu stellen. Ich rechne es Ihnen nicht an.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wird nicht angerechnet. Darum darf ich Sie unterbrechen. Der Hintergrund stimmt doch nicht, Herr Kollege Fellner. Sie haben von 8 % Anerkennung gesprochen. Soeben war von der in der jüngsten Statistik veröffentlichten Zahl von 100 000 Asylbewerbern die Rede. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß sich das, wenn die Hälfte davon aus Polen und Jugoslawien kommt, für die übrigen Asylbegehrenden in dieser Relation ganz anders darstellt? Dann sind es nämlich fast 20 %, die die Anerkennung bekommen. Damit ist eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben, daß diese Leute eben nicht aus vordergründigen Überlegungen in unser Land kommen, sondern weil sie tatsächlich verfolgt werden.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bernrath, Sie können jetzt Verrenkungen und Differenzierungen jeder Art hier versuchen. Tatsache ist, daß, letztendlich bestätigt durch die Gerichte bis zu den letzten Instanzen, leider nur weniger als 10 % der Antragsteller anerkannt werden und anerkannt werden können. Das ist der einzige Sachverhalt, der Ärger bereitet; denn es muß der Eindruck entstehen: Hier beruft sich jemand auf ein Recht, das er in Wirklichkeit nicht hat. Wir haben schon immer versucht, gemeinsam dagegen vorzugehen. Durch viele Gesetzesnovellierungen - Sie waren genauso dabei; seit ich im Bundestag bin, machen wir das - haben wir immer wieder versucht, hier klarzustellen, daß wir denen, die politisch verfolgt sind, dieses Recht geben wollen. Daran ist nie Zweifel aufgekommen. Aber wir müssen uns dagegen wehren, daß viele nur deshalb in die Bundesrepublik kommen, weil sie ein Verfahren in Anspruch nehmen können und während dessen Dauer das Recht haben, hier zu bleiben. Das ist für viele der Anreiz, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Ich komme auf die Äußerungen des Herrn Bischofs Lehmann zurück, weil ich mich dadurch als Politiker mit meinen Problemen verstanden fühle. Weniger verstanden fühle ich mich durch Äußerungen, die auch aus kirchlichen Kreisen gefallen sind, wenn z. B. im Zusammenhang mit dem Arbeitsverbot von einer menschenzerstörenden Abschreckungspolitik gesprochen wird. Da finde ich weniger Verständnis für meine Sorgen. Gerade das Thema der Arbeitserlaubnis hat uns ja in den Diskussionen sehr intensiv beschäftigt. Die größte Zahl derer, die hierher kommen, werden dazu gerade durch die Hoffnung veranlaßt, hier arbeiten zu können - man tut den Asylbewerbern kein größeres Unrecht, als wenn man sagt, sie seien Faulpelze - , und die Tatsache, daß ihnen dies erzählt werden kann. Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand gegen Geld arbeiten kann oder im gemeinnützigen Bereich Leistungen ohne entsprechende Bezahlung erbringt. Ich halte also gerade diese Entscheidung, so hart sie ist, für erforderlich, um einen Irrtum überhaupt nicht aufkommen zu lassen, nämlich die Hoffnung, daß man nach Deutschland reisen kann, um in Deutschland arbeiten zu können. Herr Kollege Bernrath, Sie haben vorhin die EMNID-Umfrage erwähnt, die im „Spiegel" gedruckt ist. Es wäre doch geboten, uns darüber zu unterhalten, daß auch in Ihrer Partei nicht viel weniger der Befragten der Ansicht sind, daß es zu viele Ausländer in Deutschland gibt. ({0}) Ich meine, liebe Freunde, es wäre ein ganz übles Spiel - wer dabei mittut, wird seiner Verantwortung für den sozialen Frieden angesichts dieser Zahlen nicht gerecht - , wenn die einen so tun, als wären sie nur dafür zuständig, daß wir alle Ausländer glücklich machen, während die anderen der deutschen Bevölkerung erklären sollen, sie solle sich darüber freuen. Das wäre eine Aufgaben- und Zuständigkeitenverteilung, die es nicht geben darf, auch nicht zwischen den Kirchen und der Politik. Wir sind alle miteinander für eine Ausländerpolitik verantwortlich, die die Ausländer, die hier sind, und die Deutschen in Deutschland in Frieden leben läßt. Wir können ein großes Feld der Zusammenarbeit mit der Kirche verstärkt pflegen. Ich möchte das zum Schluß ausdrücklich äußern. Der Gedanke der Regionalisierung der Flüchtlingspolitik gibt uns viele Felder der Zusammenarbeit. Ich bin auch bereit, mich dafür starkzumachen - ich weiß, daß auch Kollegen der Union das tun -, daß wir mehr Mittel für humanitäre Hilfe und Aktionen bereitstellen, um Flüchtlinge in den Regionen zu lassen, in denen sie ihrem Kulturkreis näher sind. Ich glaube, der deutsche Bürger würde es verstehen, wenn wir dafür mehr Geld ausgäben, damit wir nicht hier im Lande für Dinge, die der deutsche Bürger nicht mehr versteht, soviel Geld ausgeben müssen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann dort anschließen, wo Herr Dr. Hirsch die Grundlagen unserer liberalen Position dargelegt hat. Herr Spranger, in Ihrem Brief ist ja genau die falsche Tendenz enthalten, die wir beanLüder standen. Ich will versuchen, das noch einmal deutlich zu machen. Sie sagen: Es gibt Leute, die zu Unrecht durchs Asylverfahren gelaufen sind. Sie nennen sie „die Leute, die es mißbrauchen" . Sie sagen weiter: Daneben gibt es politische und humanitäre Erwägungen, sie hier zu lassen. Sie verschweigen z. B. völlig die Genfer Konvention für Flüchtlinge. ({0}) Sie sagen - und das ist das Verräterische - , daß es natürlich Leute gibt, die vor allem aus politischen oder humanitären Erwägungen im Bundesgebiet verbleiben, und fügen dann hinzu: „was freilich dem Bundesminister des Innern nicht angelastet werden kann". ({1}) Wenn die Kirchen dem Bundesinnenminister nach Ihrer Darstellung Humanität „anlasten", ({2}) dann sind Sie auf der falschen Schiene, und das ist der Punkt, den wir hier kritisieren. ({3}) Meine Damen und Herren, früher haben wir in der Schule gelernt, daß Schweigen den Philosophen auszeichnet. Es wäre gut, wenn Sie, Herr Spranger, sich an diesen Grundsatz gehalten hätten, statt zu einem Rundumschlag gegen die Kirchen auszuholen, ({4}) der der Opposition berechtigten und allzu leichten Anlaß gab, die heutige Debatte herbeizuführen. Ich habe weder in den Regierungserklärungen des Bundeskanzlers noch in unserer Koalitionsvereinbarung auch nur einen Satz gefunden, der einem Parlamentarischen Staatssekretär Veranlassung gegeben hätte, die beiden großen christlichen Kirchen und pauschal die Wohlfahrtsverbände der Bundesrepublik zu diffamieren, wie Sie es getan haben. Bei den Äußerungen, die heute Gegenstand der Debatte sind, geht es nicht um kritische Auseinandersetzungen mit politischen Positionen gesellschaftlicher Gruppen. Kritische Auseinandersetzungen sind möglich, zulässig und notwendig. Den Streit darüber können wir jederzeit führen, aber nicht mit Pauschalverdächtigungen, wie sie in den Briefen enthalten sind. Mich als Jurist hat gewundert, daß ein politischer Vertreter eines Bundesministers, noch dazu aus dem Ministerium, das zur Einhaltung des Mäßigungsgebots für Beamte in den politischen Auseinandersetzungen berufen ist, ({5}) in dieser Form und mit diesen Inhalten argumentiert. ({6}) Das berührte die Grenzen dessen, was tragbar ist. ({7}) Aber Dr. Hirsch hat zutreffend gesagt, wir sollten daraus keine Staatsaktion machen. Deswegen brauchen wir keinen Bundestagsbeschluß der Mißbilligung. Die Haltung des Hauses ist deutlich geworden. Wir Freien Demokraten werden uns der Stimme enthalten, und dies insbesondere deswegen, weil wir hoffen und erwarten, daß speziell durch den Einfluß des neuen Bundesinnenministers Schäuble derartige Ausrutscher der Vergangenheit angehören werden. ({8}) Wir wünschen, daß gerade die durch die bisherige Leitung des Hauses emotional negativ belasteten Themen „Ausländer" und „Asylbewerber" wieder den sachlichen Rang bekommen, der ihnen nach der Wertordnung des Grundgesetzes gebührt, und darauf sollten wir uns einrichten. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse nun über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4204 abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Antrag bei einigen Enthaltungen aus den Fraktionen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer Vormittagssitzung. Ich berufe die Sitzung für 14.30 Uhr wieder ein. Sie wird mit Tagesordnungspunkt 7 fortgesetzt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst einmal zur Beratung von Vorlagen, über die ohne Aussprache abgestimmt werden soll. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf sowie zur Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr ({0}) - Drucksache 11/3076 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 11/4332 Berichterstatter: Abgeordnete Geis Stiegler ({2}) Vizepräsident Westphal Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 6 sowie Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Bei 1 Enthaltung ist das Gesetz angenommen. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 8 vom 19. März 1985 zur Änderung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Drucksache 11/2674 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 11/3881 Berichterstatter: Abgeordnete Hörster Dr. de With ({4}) Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott, Ebermann und der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt - Drucksachen 11/695, 11/4031 Berichterstatter: Abgeordnete Seesing Catenhusen Frau Schmidt-Bott Im Ältestenrat ist für die Beratung je ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Der Abgeordnete Wüppesahl hat beantragt, die vereinbarte Redezeit um einen weiteren Beitrag für ihn zu erweitern. ({6}) - Wollen Sie etwas zur Geschäftsordnung sagen? Ihr Antrag liegt doch vor. ({7}) - Wir wissen, daß Sie reden möchten. Ich glaube, wir können über Ihren Antrag abstimmen. ({8}) - Wollen Sie das bei jedem Tagesordnungspunkt so weitermachen, Herr Wüppesahl? ({9}) - Es gibt auch Formen, die über das hinausgehen, was erträglich ist. Aber Sie haben das Recht, zur Geschäftsordnung zu sprechen. Bitte schön, nehmen Sie das Wort.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich teile Ihre Einschätzung, auch in bezug auf die Erträglichkeit. Aber das gilt eben beiderseits. Es ist aus meiner Sicht auch unerträglich, wie mir Redekontingente heruntergeschraubt werden. In der Tat ist es so, daß ich heute, glaube ich, das vierte Mal zur Geschäftsordnung spreche und nach Beendigung dieses Beitrages 20 Minuten verredet haben werde. Ich hatte für diesen Sitzungstag - es ist mir wichtig, auch das zu Protokoll zu geben - eine Gesamtredezeit von 15 Minuten vorgesehen, nämlich zur Postreform. Ich stelle es dem Präsidium anheim, die Vereinbarung, die über die Osterpause getroffen worden und mir diese Woche bekanntgeworden ist, wieder zu korrigieren. Die Vereinbarung besteht darin, daß mein Redekontingent linear um ungefähr 50 % reduziert worden ist. ({0}) - Das, was ich jetzt ausführe, gehört dazu, Herr Kollege. Mein Antrag, in die Debatte eingreifen zu können -- es handelt sich um eine sogenannte Kurzdebatte: viermal fünf Minuten, d. h. fünf Minuten für jede Fraktion - , ist Ihnen sicherlich verständlich. Zu diesem Thema hätte ich natürlich auch etwas zu sagen. Deshalb auch dieser Antrag, daß diese Viererrunde um einen fünften Wortbeitrag erweitert wird. Meine Redezeit sollte nach meiner Vorstellung gleichfalls fünf Minuten betragen, weil alles, was darunterliegt, in sich indiskutabel ist, es sei denn, man kann aus einer Gruppe, beispielsweise einer Fraktion, heraus auf einen Redebeitrag eines Kollegen oder einer Kollegin bauen, die beispielsweise bereits vorher mindestens fünf Minuten Grundsatzpositionen von sich gegeben haben, um dann in einem Zwei- oder Drei-Minuten-Beitrag besondere Akzente zu setzen oder auf Ausführungen der politischen Gegner, die zuvor das Wort ergriffen hatten, eingehen zu können. Ich denke in der Tat, daß wir hier in einer Situation sind, die der eines orientalischen Basars ähnlicher ist als den Gepflogenheiten, die wir in diesem Hause normalerweise erleben. Wir sind jedenfalls dann in einer ähnlichen Situation wie in einem orientalischen Basar, wenn es darum geht, ob ich nun zwei, drei, fünf oder auch manchmal mehr Minuten reden darf. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß aus meiner Sicht der - bitte verstehen Sie es nicht als massive Kritik; ich denke, das ist einfach so - mangelnde souveräne Umgang mit diesen wenigen RedeWüppesahl beiträgen, die ich pro Sitzungswoche beantragt habe ({1}) - ich würde es ja gern vermeiden -, meine Person oder das, was jetzt in dem Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe damit verbunden ist, unnötig aufwertet. Wenn ich mein Gegner wäre, würde ich sagen: Okay, dann redet er eben ein-, zwei- oder maximal dreimal - das ist ja so gewesen - pro Woche, kriegt seine fünf oder zehn Minuten, und damit hat es sich. Heute hören Sie mich allein zur Geschäftsordnung schon 20 Minuten und zur Sache auch bereits 15 Minuten. Ich möchte auch noch auf folgenden Umstand hinweisen, weil ich wirklich befürchte, daß gleich ein wahnwitziges Redekontingent von zwei oder drei Minuten herauskommt: Während der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe wurde die Vizepräsidentin Frau Annemarie Renger von dem Senat gefragt - nicht wörtlich, aber sinngemäß, auch mit diesem atmosphärischen Unterton - : Herrgott, muß das denn sein, daß sich der Bundestag dann in einer Geschäftsordnungsdebatte um ein oder zwei Minuten streitet? Frau Renger sagte, nein, man könne selbstverständlich fünf Minuten geben. Nun erfahre ich, daß während der Osterpause eine solche Abmachung getroffen wurde, die sicherlich unverbindlich ist, aber ihre informelle Wirkung auf das Präsidium und natürlich dann vor allen Dingen auf mich ausstrahlt, wonach möglicherweise wieder Zwei- oder Drei-MinutenKontingente für mich zur Verfügung gestellt werden. Das, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, halte ich in der Tat auf Dauer für unzumutbar, und angesichts der Tatsache, daß die Verkündung in Karlsruhe vom 9. Mai 1989 auf den 13. Juni 1989 verschoben worden ist, sehe ich mich auch gezwungen, in dieser Sitzungswoche genauso wie in allen darauffolgenden Sitzungswochen ganz konsequent das Verfahren anzuwenden, daß ich die sich mir bietenden Möglichkeiten aus der Geschäftsordnung so nutze, wie Sie die Möglichkeiten nutzen, um meine Arbeitsmöglichkeiten zu beschränken. Ich wünsche mir allerdings, daß möglichst - vielleicht sogar noch heute abend oder über das Wochenende - seitens des Präsidiums darüber nachgedacht wird, ob man sich nicht doch darauf verständigen kann, daß ich bei den zwei oder drei Redewünschen pro Sitzungswoche ein angemessenes Kontingent zur Verfügung gestellt bekomme. Dann können wir uns alle das ersparen, was gerade in diesem Moment wieder stattfindet. Ich bitte also - meine Redezeit ist jetzt abgelaufen - um die Zustimmung zu dem beantragten zusätzlichen Redekontingent von fünf Minuten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel zur Geschäftsordnung.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die anwesenden Abgeordneten waren bereit, Herrn Wüppesahl - wie jeder Fraktion - eine Redezeit von fünf Minuten zuzugestehen. Herr Wüppesahl hat diese Redezeit von fünf Minuten nunmehr zur Geschäftsordnungserklärung verbraucht. Deswegen beantrage ich, ihm eine zusätzliche Redezeit abzulehnen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung. Wir stimmen zunächst über den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl ab, der eine Redezeit von fünf Minuten beantragt hat. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag des Abgeordneten Wüppesahl abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die vom Ältestenrat vereinbarte Redezeit ab. Wer für diese vom Ältestenrat verabredete Redezeit - ein Beitrag von bis zu fünf Minuten je Fraktion - stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist es bei einer Gegenstimme so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt.

Marie Luise Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002013, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Freisetzungsversuche mit genmanipulierten Organismen laufen seit 1983. Illegal wurden damals in den USA Rhizobien freigesetzt. Illegal wurden in den letzten Jahren rekombinante Impfstoffe ausgebracht. Ich erinnere an die Tests mit TollwutLebendimpfstoffen in Argentinien. In Europa läuft seit 1988 im Auftrag der belgischen Firma PGS das weltweit umfangreichste Freisetzungsprogramm mit genmanipulierten Pflanzen. Gesetzeslücken in europäischen Ländern wie Spanien werden dabei skrupellos ausgenutzt. Manipulierte Viren, Bakterien, auch Pflanzen kennen keine Grenzen, meine Damen und Herren. Wir halten diese unkalkulierbaren Eingriffe in die Evolution im Interesse eines kalkulierten Profits für abenteuerlich und unverantwortbar. Meine Damen und Herren, wir haben im August 1987 den Antrag eingebracht, ein sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt auszurufen. Sie wissen, daß die GRÜNEN für ein generelles Verbot der Freisetzung sind. Dennoch wollten wir die Chance nutzen, den verschiedenen Kräften im Parlament entgegenzukommen. Die Enquete-Kommission Gentechnik hatte sich nach eingehenden Beratungen auf das Votum verständigt, für die Freisetzung genmanipulierter Mikroorganismen zumindest ein fünfjähriges Moratorium zu empfehlen. Inzwischen haben sich zumindest die Regierungsfraktionen im Ausschuß für Forschung und Technologie auf Druck der Industrie und interessierter Wissenschaftler weit von dieser Position entfernt. Kaum wird der erste Antrag auf Freisetzung gestellt - wie derzeit vom Max-Planck-Institut in Köln - , ist die Forderung nach einem Moratorium hinfällig. Auch die SPD hat ihre Forderung nach einem Moratorium aufgeweicht. Es soll nur noch für nicht rückholbare Organismen gelten. Nur - jetzt werde ich vielleicht etwas platt, aber um so anschaulicher - , die genmanipulierte Kuh kann der Mensch abends in den Frau Schmidt ({0}) Stall zurückholen. Aber wer holt ihre Ausscheidungen, z. B. Speichel, Kot, Schweißtropfen und auch Urin zurück? Gerade deshalb ist unser Antrag um so notwendiger. Die Schere zwischen der rasanten Fortentwicklung der Gentechnologie und dem öffentlichen Diskurs über Gefahren und Risiken derselben klafft immer weiter auseinander. Dieser Diskurs aber muß geführt werden, bevor Fakten geschaffen werden, denn Evolution ist nicht mehr umkehrbar. Zwischen Bundesgesundheitsamt und Umweltbundesamt gibt es zur Zeit ein heftiges Gerangel, unter welchen Auflagen die Kölner Petunienschöpfungen auf das Feld ausgebracht werden dürfen. Bis Mitte Mai wird grünes Licht für diese Lokomotive der Freisetzung erwartet. Von seiten des zuständigen Ministeriums wurde schon im August 1988 das Vorhaben als guter Einstieg in die Freisetzungsthematik angesehen, weil es nach vorläufiger Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit für Mensch und Umwelt keine gravierenden Probleme aufwerfe. Vorläufig angeblich kaum Probleme? Ja, und was kommt dann? Wie lange gilt dieses „vorläufig"? Im übrigen, meine Damen und Herren, vorläufig werden die Einschätzungen über die Auswirkungen von Eingriffen in die Evolution immer bleiben, denn die Evolution läßt sich nicht am Reißbrett vorherplanen. Selbstverständlich sind wir nicht der Meinung, daß die Freisetzung genmanipulierter Organismen in die Umwelt jederzeit und allerorten Monsterbildungen heraufbeschwört. Die wesentlichen Risiken der Freisetzung sind die permanenten biologischen Belastungen ohnehin schon geschädigter Öko-Systeme. Bei den Atomkraftwerken ist die Hauptgefahr auch nicht der Super-GAU, sondern der Normalbetrieb, die permanente Freisetzung radioaktiver Strahlung und die tägliche Produktion von Atommüll. Auch die chronische Vergiftung aller Lebenselemente mit den Produkten der Chemisierung der letzten Jahrzehnte mit PCB, mit DDT, mit Dioxinen bedroht uns alle. Die in genmanipulierten Organismen liegenden Gefahren sind momentan für alle unabsehbar. Mit der Freisetzung genmanipulierter Organismen wird das Verschleppen von Genen in evolutiv neue Zusammenhänge eingeleitet. Das Wissen über mitgeschleppte Genabschnitte, über die vernetzte Wirkung neu eingefügter Gene tendiert gegenwärtig noch gegen Null. Eventuelle Folgen sind bisher unabsehbar und unkalkulierbar. Werden Negativwirkungen nach Jahren oder Jahrzehnten sichtbar, wie z. B. beim DDT, für dessen Entdeckung in den 40er Jahren noch der Nobelpreis vergeben wurde, dann ist es zu spät. Einmal freigesetzte Organismen können nicht mehr zurückgerufen werden. Wir wollen keine „Vergenung" aller Lebensbereiche. Wir wollen keine Technologie, die unsere Umwelt funktional aufmöbelt und maßschneidert. Damit ginge endgültig verloren, was Natur bislang widerspiegelt, den Kontrapunkt zur Zweckrationalität. Diesen Verlust wollen wir verhindern. Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich Sie bitten, nicht den ablehnenden Voten der Fachausschüsse zu folgen, sondern unseren Antrag auf ein sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt zu unterstützen und diesbezüglich die weiteren, im Antrag formulierten Forderungen an die Bundesregierung mitzutragen. Vielen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Seesing. ({0}) - Sie folgen bitte den Entscheidungen des Präsidenten. ({1}) - Ja, er richtet sich nach der Geschäftsordnung. Wir haben einen Beschluß dieses Hauses, daß wir jetzt das, was der Ältestenrat vereinbart hat, abwickeln. Vielen Dank. Wiedersehen! Bitte schön, Herr Seesing hat das Wort. ({2}) - Ich habe die Geschäftsordnung gelesen. Ich habe hier eine Entscheidung getroffen. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich das, was Sie tun, zusammen mit dem Präsidium des Deutschen Bundestages dem Gericht in Karlsruhe zur Kenntnis geben werde. ({3}) Herr Seesing, bitte schön.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Forschung und Technologie wird in wenigen Wochen dem Bundestag den Abschlußbericht über die Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" mit einer Vielzahl von Empfehlungen in Richtung auf ein Handeln der Bundesregierung und der Bundesländer vorlegen. Dabei wird auch die Freisetzungsproblematik behandelt werden. Es geht nämlich um die Auswirkungen der Anwendung gentechnisch veränderter Organismen in Landwirtschaft und Umwelt. Der Antrag der GRÜNEN zielt darauf, europaweit zumindest für kürzere Zeit ein vollständiges Verbot der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen zu erreichen. Ich halte diesen Antrag für einen Hilfsantrag der Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN. Denn sie haben genügend oft deutlich gemacht, daß sie in ihrer überwiegenden Mehrheit jede Anwendung der Gentechnologie ablehnen. ({0}) Ich gehe davon aus, daß die Gentechnologie trotz dieser Haltung und trotz mancher Widerstände in bestimmten Kreisen unserer Medien und, dadurch bedingt, auch in unserer Bevölkerung erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Nach Vorstellungen von CDU und CSU sollte jede Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen einem Anmelde- oder/und Genehmigungsverfahren unterworfen werden. Damit ist für jeden einzelnen Eingriff eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen. Ich gehe aber davon aus, daß dabei die unterschiedliche Qualität der einzelnen Organismen zu berücksichtigen ist. Ich spreche mich auch für ein grundsätzliches Verbot der Freisetzung von Viren aus. Aber Ausnahmen muß es geben. Wie wollten wir denn sonst noch Impfstoffe entwickeln und Impfungen durchführen? Ein Moratorium für die gezielte Freisetzung von Mikroorganismen, in die mit gentechnischen Verfahren fremde Gene eingefügt wurden, ist sogar gegen die erwünschte Sicherheit für unsere Bevölkerung. Denn wenn wir nicht durch eine intensive Sicherheitsforschung das Verhalten von Bakterien, Hefen und Pilzen erkunden, können wir über ein Bedrohungsoder Nicht-Bedrohungspotential nichts aussagen. Deswegen wollen wir, daß diese Arbeiten auch weiter vorangetrieben werden. Nach unseren Vorstellungen bedürfen die Erzeugung und die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen der Sicherheitsüberprüfung und der Zustimmung der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, der ZKBS. Aber Prüfung und Genehmigung des einzelnen Projektes können natürlich nicht eine Lebensaufgabe für eine Gruppe von Beamten werden. ({1}) Ich höre von 60 Freilandversuchen in Frankreich. Ich höre von einem gentechnisch hergestellten Tollwutimpfstoff, der in Belgien und Frankreich angewandt wird, wobei nur Eiweißstoffe, aber nicht das Erbmaterial an sich betroffen sein soll. Ich höre, daß es im US-Bundesstaat Louisiana eine 700 km2 große Freisetzungsfläche von insektenresistenter Baumwolle gibt. Auch bei Weinreben soll es bereits Freisetzungen geben. Es scheint, daß bereits rund ein Drittel der Zuckerrübenanbaufläche in Belgien mit transgenen Pflanzen besetzt sind. Und bei uns wird die Frage der Freisetzung von 50 000 Petunien zu einem Problem hochstilisiert, als wenn der Antragsteller einen Atomversuch durchführen wollte. Aber im Ernst, meine Damen und Herren, wir haben als Gesetzgeber die Voraussetzungen zu schaffen, daß Freisetzungen stattfinden können, aber auch Regelungen dafür, wie sie stattfinden sollen. Es wird immer Fälle geben, daß eine Freisetzung ausgeschlossen werden muß. Ich spreche mich dafür aus, daß durch Einteilung der Freisetzung in Risikoklassen Differenzierungsmöglichkeiten in den Genehmigungsvoraussetzungen und für das Genehmigungsverfahren geschaffen werden. Das wird auch die Entscheidung erleichtern, ob im Einzelfall ein Anmeldeverfahren genügt oder ob ein förmliches Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Klarheit wird das Gentechnikgesetz schaffen, das in diesen Tagen auf den Weg gebracht wird. Herzlichen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gezielte Freisetzung genetisch veränderter Lebewesen in die Umwelt stellt an uns in besonderer Weise die Frage, wie wir unserer Verantwortung zum Schutz von Leben, von Mensch und Umwelt gerecht werden wollen. Mit den Freisetzungsexperimenten verlassen nämlich die Wissenschaftler ihre Forschungslabors und arbeiten im Freiland. Das kann bedeuten, daß die Folgen ihrer Experimente nicht rückholbar in die Natur, in den Evolutionsprozeß eingehen können. Ich denke, daß gerade für unseren Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen, die in die Umwelt freigesetzt werden sollen, insbesondere das Prinzip gelten muß, das Hans Jonas formuliert hat, der uns gemahnt hat, Maßstäbe der Zurückhaltung im Umgang mit der Gentechnik zu entwickeln. Nun müssen wir dieses Prinzip der Zurückhaltung auch gegenüber den Risiken der Gentechnologie bei solchen Freisetzungsexperimenten differenziert und sehr deutlich durchbuchstabieren. Ich persönlich fühle mich sehr unwohl in dieser Debatte. Frau Schmidt, wir haben gestern im Forschungsausschuß Ihren Antrag auf ein grundsätzliches Verbot von Freisetzungsexperimenten vorgelegt bekommen. Heute haben Sie einen taktischen Antrag auf ein befristetes Moratorium vorgelegt. Ich sehe das nicht so sehr als ein Angebot an uns, sondern es ist vielleicht eine Widerspiegelung der Tatsache, daß es auch innerhalb der GRÜNEN sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Sie wissen, daß etwa Ihr Parteifreund Benny Härlin - auch wenn Sie das nicht gerne hören wollen - im Europäischen Parlament einen Antrag auf ein Moratorium für fünf Jahre vorgelegt hat. Sie sollten sich vielleicht in Ihren eigenen Reihen einmal verständigen, mit welcher Schlachtordnung Sie in diese Auseinandersetzung gehen. Ich meine, meine Damen und Herren, wir müssen eine Frage grundsätzlich klären: Sind Freisetzungsexperimente generell gefährlich, oder ist es so, daß Freisetzungsexperimente im Einzelfall gefährlich, aber im Einzelfall auch ungefährlich sein können? Für mich und die sozialdemokratische Fraktion war es schon sehr wichtig, daß beispielsweise der Ökologe, Professor Sukopp aus Berlin, der wiederholt von Ihrer und auch von meiner Fraktion als Sachverständiger zu Sachverständigenanhörungen geladen worden war, bei der Entscheidung über das Petunienexperiment in Köln offensichtlich auch die Meinung vertreten hat, daß die ökologischen Risiken eines solchen Experimentes nicht vorhanden sind, so daß auch er der Durchführung eines solchen Experimentes zustimmen kann. Es gibt Freisetzungsexperimente, die gefährlich sind, weil ihre Folgen nicht kontrollierbar sind und weil solche Experimente in der Umwelt nicht abgebrochen, nicht gestoppt werden können. Das Petunienexperiment in Köln ist ein Beispiel dafür, daß es auch Experimente gibt, die abbrechbar sind, weil die Petunien Vegetationsperioden, vor allem unseren Winter, nicht überstehen, infolge der Kli10102 maänderungen nicht überdauern und weil auf Grund dieser Tatsache eine unkontrollierte Vermehrung dieser Pflanze in der Umwelt ausgeschlossen werden kann. Aus solchen Gründen plädieren wir für die Position, die wir seit einigen Jahren vertreten haben. Deshalb ist Ihre Behauptung, Frau Schmidt, die SPD hätte ihre Meinung geändert, einfach in Unkenntnis der Tatsachen aufgestellt worden. Wir haben in der Enquete-Kommission für ein differenziertes Vorgehen plädiert, das folgendermaßen aussieht - das möchte ich zum Schluß noch einmal deutlich sagen - : Wir möchten eine grundsätzliche, rechtsverbindliche, für jedermann verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung vor einer Entscheidung über die Zulassung eines Experimentes der Freisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen in die Umwelt. Wir wollen überall dort, wo wir keine Methoden haben, den Verlauf eines solchen Experiments zu kontrollieren, wo wir wissen, daß auf Grund biologischer Zusammenhänge ein Gentransfer unkontrolliert zustande kommen kann, und wo wir wissen, daß solche Eingriffe irreversibel sind, nicht stoppbar sind, ein Moratorium, ein befristetes Verbot. Wir fordern die Wissenschaft auf, die Grundlagen dafür zu schaffen, die uns eine Risikoabschätzung überhaupt ermöglichen. Wir haben seit 1987 ein Risikoforschungsprogramm der Bundesregierung. Ich hoffe, daß dieses mit dazu beitragen kann, daß wir in einigen Jahren wissen, auf was wir uns einlassen, wenn wir über solche Freisetzungsexperimente entscheiden. Meine Damen und Herren, wir schließen uns dem Votum des federführenden Ausschusses an und freuen uns auf die Debatte, in der in den nächsten Wochen hier im Plenum die verschiedenen Fraktionen an Hand von eigenen Anträgen darstellen werden, wie sie künftig hier und in der EG mit Freisetzungsexperimenten umgehen wollen. Unsere Antwort lautet nicht einfach pauschal nein; denn wenn etwas im Einzelfall gefährlich, im Einzelfall aber auch ungefährlich sein kann, müssen wir eine Prüfung im Einzelfall vornehmen. Dann helfen keine pauschalen Verbote weiter. Danke. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sprache ist ja manchmal oder sogar häufig verräterisch. Frau Kollegin Schmidt sprach hier von „Illegalität", wenn ich richtig mitgeschrieben habe. Sie sprach von „manipulierten Viren", sie sprach vom „Druck der Industrie", vom „Profitinteresse", von einer „Chemisierung der Welt". ({0}) Sie hat Parallelen zur Kernenergie hergestellt, sie sprach von einer „Vergenung aller Lebensbereiche". Ich muß Ihnen sagen: Das, was hier stattfindet, ist nicht der Versuch, einen Diskurs mit der Öffentlichkeit zu führen, sondern der Versuch, diese Öffentlichkeit - zusammen mit bestimmten Teilen der veröffentlichten Meinung - zu manipulieren und systematisch irrezuführen. ({1}) Wir weisen diesen Versuch mit Entschiedenheit zurück. - Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie müssen mir erstens zubilligen, daß ich hier das sage, was ich sagen will. ({2}) Und Sie müssen mir zweitens zubilligen, daß ich das in der Weise tue, wie ich das für richtig halte. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übrigen muß ich hier doch deutlich sagen: Ich kann den Ausführungen der Frau Kollegin Schmidt nur mit einer gewissen zynischen Ironie folgen. Denn die Fraktion DIE GRÜNEN hat die Beratungen und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Gentechnologie" der 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages pauschal abgelehnt; sie hat ein Alternativ-Votum vorgelegt. ({4}) Und hier treten Sie auf und berufen sich auf die Empfehlungen der Enquete-Kommission! So viel zum Thema Glaubwürdigkeit der GRÜNEN-Fraktion. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber zur Sache selbst deutlich sagen, daß die FDP von Anbeginn dieser Diskussion an eine differenzierte Betrachtungsweise in dieser außerordentlich schwierigen Frage der Freisetzung gentechnologisch veränderter Organismen an den Tag gelegt hat. Wir haben ja schon in der Enquete-Kommission selbst sehr präzise zwischen der Freisetzung gentechnologisch veränderter Viren - die wir ablehnen - und der Freisetzung gentechnologisch veränderter Mikroorganismen unterschieden, für die nach Vorhandensein entsprechender Ergebnisse der Sicherheitsforschung eine unterschiedliche Bewertung vorzunehmen ist, und zwar nach dem jeweiligen tatsächlichen Gefährdungspotential, das von diesen Mikroorganismen ausgehen kann. Wir haben weiter zwischen der Freisetzung gentechnologisch veränderter Pflanzen - mit den besonderen Problemen der Umweltverträglichkeit und der Toxizität - und schließlich der Freisetzung gentechnologisch veränderter Tiere unterschieden, mit den Auswirkungen insbesondere im ökologischen und evolutionsbiologischen Bereich. Bei dieser differenzierten Betrachtungsweise, die der Sache angemessen ist, bleibt die Fraktion der Freien Demokratischen Partei auch heute. Der Antrag der GRÜNEN, ein sofortiges Moratorium für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zu verlangen, ist übrigens auch schon deshalb abzulehnen, weil er neben dieser mangelnden Differenzierung die Sicherheitsforschung in dieKohn sem Bereich, die eine zentrale Rolle spielt, im Grunde generell unmöglich machen würde. Nach dem Hearing, das wir im Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie Anfang März zu diesen Fragen durchgeführt haben, bleibt festzuhalten, daß ein solches globales Moratorium, wie es hier von Ihnen gefordert wird, nach Meinung fast aller Sachverständiger ein ungeeigneter Weg ist, um mit der Gentechnologie verantwortlich umzugehen. Wir sind mitten in den Beratungen, einen Referentenentwurf der Bundesregierung zur Gentechnologie vorzulegen. Ich hoffe, daß es gelingen wird, die parlamentarische Beratung über diese Themen noch vor der Sommerpause aufzunehmen. Dort werden wir dann - genauso wie es mein verehrter Kollege Seesing hier getan hat - die Voraussetzungen, differenziert nach dem tatsächlichen Gefährdungspotential einzelner Mikroorganismen, sehr präzise beschreiben und daraufhin unsere entsprechenden Konsequenzen ziehen. ({5}) Der, dem daran gelegen ist, der Sicherheit von Mensch und Umwelt mit Priorität Rechnung zu tragen, muß deshalb die globale Ablehnung gentechnologischer Forschung durch die Fraktion DIE GRÜNEN grundsätzlich zurückweisen, was wir hiermit tun. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bereits im Laufe der bisherigen parlamentarischen Beratungen des Antrags der GRÜNEN hinreichend dargelegt, daß sie sich der Problematik von Freisetzungen genetisch veränderter Organismen bewußt ist. Ich will die wesentlichen Gründe, die gegen ein Moratorium der Freisetzung genetisch veränderter Organismen sprechen, in fünf Punkten zusammenfassen. Erstens. Die Bundesregierung hat über die Freisetzung von Pflanzen zunächst eine eingehende Diskussion mit Fachkreisen und der beteiligten Öffentlichkeit geführt. Sie hat anschließend einen umfangreichen Fragenkatalog im „Bundesanzeiger" veröffentlicht, nach dem gearbeitet werden muß. Zweitens. Bei der Erarbeitung des Enquete-Berichts wurde ein fünfjähriges Moratorium nur für die Freisetzung von Mikroorganismen, also Bakterien, Viren, und für Methoden der Gentechnik im engeren Sinne gefordert. Der Antrag der GRÜNEN geht weit über die Forderungen des Enquete-Berichtes hinaus und zielt auf ein Moratorium der Freisetzung für alle Organismen, auch wenn kein Sicherheitsrisiko besteht. Drittens. Weltweit und im Rahmen der EG würde ein totales Moratorium der Freisetzung nicht durchsetzbar sein, da zahlreiche Freisetzungen bereits erfolgt sind, in Europa beispielsweise 29, in den USA 17, in Neuseeland 1 - Stand: Frühjahr 1988. Hierin sind eine Reihe von Freisetzungen von gentechnisch veränderten Mikroorganismen nicht enthalten. Es ist davon auszugehen, daß sich die Zahl der Freisetzungen mittlerweile insgesamt mindestens verdoppelt hat. Wir müssen unbedingt anstreben, daß sich der hohe deutsche Sicherheitsstandard europäisch und international durchsetzt. Zu diesem Zweck bemüht sich die Bundesregierung, die in der Beratung stehenden EGRichtlinien im Umweltrat nach ihren Vorstellungen mitzugestalten. Dies ist insofern bereits von Erfolg gekrönt, als z. B. Genehmigungsverfahren mit Risikoabwägungen und Versagensmöglichkeiten der zuständigen Behörden durchgesetzt werden konnten. Der Haltung der Bundesregierung entsprechen auch die Ergebnisse des von der EG mitfinanzierten und von der Regenbogenfraktion im Europäischen Parlament veranstalteten Kongresses über die Beurteilung absichtlicher Freisetzung genetisch veränderter Organismen. Dort wurden restriktivere Vorschriften zur Freisetzung, nicht aber wie im vorliegenden Antrag ein Verbot ausgesprochen. Viertens. Auch die zur Zeit geltenden Gen-Richtlinien lassen unter bestimmten Bedingungen in Einzelfällen Ausnahmen vom Freisetzungsverbot zu, sofern es keine ernstzunehmenden biologischen Sicherheitsrisiken gibt. Der erste Antrag liegt für genetisch veränderte Petunien, also für höhere Pflanzen vor. Nach der Zentralen Kommission, die keine Einwände erhoben hat, wird die Entscheidung in Kürze vom Bundesgesundheitsamt im Einvernehmen ({0}) mit der Biologischen Bundesanstalt entsprechend den Gen-Richtlinien ergehen. Dabei hat das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über das vorgesehene Verfahren hinaus zusätzlich das Umweltbundesamt eingeschaltet. Fünftens und letztens. Die Bundesregierung stützt ihre Haltung auch auf die Meinung der Experten, die erklären, daß auch ohne allgemeingültige Kriterien Gefahren und Risiken für Mensch und Umwelt im Einzelfall einer Freisetzung sehr wohl abzuschätzen sind. Auf der Basis dieser dargelegten Gründe lehnt die Bundesregierung ein Moratorium ab. Sie bereitet zur Zeit den Referentenentwurf für ein Gentechnikgesetz vor, in dem unter Beachtung des vorbeugenden Gesundheits- und Umweltschutzes differenzierte Regelungen für die Freisetzung vorgeschlagen werden, die sich am Risikopotential orientieren. Die Bundesregierung begrüßt es, daß sich die Fachausschüsse in ihren Beratungen mehrheitlich gegen ein Moratorium und damit gegen den vorliegenden Antrag der GRÜNEN ausgesprochen haben, und bittet Sie, sich ebenfalls gegen den Antrag und für die Haltung der Bundesregierung zu entscheiden. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die beschlossene Redezeit ist beendet. Nachdem der Beschluß über die Redezeit, den wir vorhin gefaßt haben, ausgeführt ist, gebe ich dem Abgeordneten Wüppesahl auf seine Forderung hin noch einmal das Vizepräsident Westphal Wort zur Geschäftsordnung. Er will zu einer anderen Geschäftsregelungsordnung sprechen. ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine Damen und Herren! Ich gebe eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ab, weil ich gegen diesen Antrag stimmen werde.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Augenblick, Herr Abgeordneter, Sie haben sich nicht zu § 31 der Geschäftsordnung gemeldet.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich brauche das auch nicht anzumelden; ich brauche nur einen Geschäftsordnungsantrag anzumelden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie irren, Herr Wüppesahl. Wozu wollen Sie sprechen?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Erklärung zur Abstimmung. ({0}) Der § 31 soll dem Redner die Möglichkeit geben, sein Abstimmungsverhalten kurz und knapp darzustellen. Das möchte ich tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Augenblick. In Abwandlung dessen, was Sie vorhin bei mir beantragt haben, wollen Sie jetzt gemäß § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung abgeben. Bitte schön, das dürfen Sie. Dazu haben Sie das Wort.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich möchte allerdings auch einen GO-Antrag stellen. - Weil es auf Grund der politischen Grundlinie, die ich vertrete, sicherlich überrascht, daß ich gegen diesen Antrag stimmen werde, möchte ich diese Erklärung kurz zu Gehör bringen. Lernfähigkeit ist auch für Politiker nützlich. Vor allem so gravierende politische Fehlentscheidungen wie z. B. die Genehmigung der Atomindustrie oder die Sondermüllbehandlung zeigen uns an den unbewältigten Altlasten eine große Herausforderung an die politische Lernfähigkeit für zukünftige Entscheidungen. Hier geht es um eine solche Entscheidung für die Zukunft. Der Übergang der genetischen Manipulation lebender Systeme vom wertneutralen Laborstadium in die industrielle Anwendung markiert die historische Schnittstelle, an der die politische Entscheidung sinnvollen Nutzen oder elementare neue ökologische Gefahren heraufbeschwört. ({0}) Aus der Geschichte der Atomindustrie haben wir gelernt, daß nicht das Argument des industriellen Profits eine politische Entscheidung beeinflussen darf. Vielmehr sollten wir nach unserem Verfassungsauftrag immer von den schlimmsten Negativerwartungen einer gentechnischen Industrie ausgehen. ({1}) - Herr Tietjen, ich kann das auch zu Protokoll geben. ({2}) Der Terminus technicus wird „worst case" -Analyse genannt. ({3}) Solange diese nicht hinreichend durchdacht und politisch ausdiskutiert ist, kann das heute zur Debatte stehende Moratorium der GRÜNEN nur als aufgeweichte und angepaßte, den ehemaligen fundamentalen ökologischen Essentials kontraproduktive Teillösung angesehen und abgelehnt werden. Die einzige politisch verantwortbare Entscheidung kann jetzt nur lauten: vollständiges Moratorium für jedwede gentechnologische industrielle Anwendung bis zur Vorlage und Entscheidung über eine noch ausstehende „worst case" -Analyse. Meine Damen und Herren, deshalb werde ich gegen diesen Antrag der GRÜNEN stimmen. Mir ist es leider nicht möglich, im Bereich eines solchen Initiativantrags mit Änderungsanträgen zu operieren. ({4}) Sonst hätte ich das in eine solche Form gegossen. Ich möchte gleichzeitig das, was ich eigentlich beantragt hatte, nämlich einen Geschäftsordnungsantrag, einbringen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie können hier nur eine Sache behandeln. Sie können hier nicht mit uns umgehen, wie Sie möchten, ({0}) sondern Sie müssen mit uns umgehen, wie wir alle möchten. Ich bitte Sie, nachdem Sie Ihr Abstimmungsverhalten nach § 31 begründet haben, das Rednerpult zu verlassen. Ich komme zur Abstimmung.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich möchte jetzt eine namentliche Abstimmung beantragen, Herr Präsident. Das muß mir möglich sein, Herr Präsident. ({0}) Da fünf vom Hundert im Saal hier gerade zwei Abgeordnete sind, reicht es, wenn Frau Nickels oder Frau Schmidt mit mir zusammen für namentliche Abstimmung stimmt. ({1}) Dann muß eine solche durchgeführt werden. ({2}) Das steht im § 52 unserer Geschäftsordnung. Diesen Antrag bringe ich ein, Herr Präsident, und bitte, ihn zur Abstimmung zu stellen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich habe ihn verstanden. Meine Damen und Herren, unsere Geschäftsordnung sieht vor, daß für die Beantragung von namentlichen Abstimmungen ein bestimmtes Quorum erforderlich ist. Das sind entweder 25 Abgeordnete oder eine Fraktion. ({0}) - Augenblick mal! Ich bin gerne bereit, das auch durch eine Abstimmung zu klären. Können wir das machen? ({1}) Ich stehe allerdings vor der Situation, daß man in einer Erklärung zur Abstimmung keine Anträge mehr stellen kann. ({2}) Ich möchte dieser Regel unserer Geschäftsordnung folgen und von daher feststellen, daß es einen solchen Antrag hier zur Zeit nicht geben kann. Kann ich feststellen, daß die von mir vorgesehene Vorgehensweise der Geschäftsordnung entspricht und Ihre Zustimmung hat? ({3}) Dann komme ich jetzt, nachdem der Abgeordnete Wüppesahl sein Abstimmungsverhalten entsprechend der Geschäftsordnung erklärt hat, zu der Abstimmung. Ich lasse abstimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 11/4031. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/695 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlußempfehlung gegen zwei Stimmen angenommen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Beurteilung des strafrechtlichen Sanktionensystems - Drucksachen 10/5828, 11/2597 Berichterstatter: Abgeordnete Seesing Dr. de With Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Art des Strafens widerspiegelt im Grunde die humanitäre Haltung des Staates zu seinen Bürgern. In einer Demokratie zeigt sich in den Strafen darüber hinaus, welche Meßlatte die Mehrheit an die Art der Durchsetzung elementarer Beschlüsse setzt und setzen muß. Eine Meßlatte als Spiegel staatlichen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses bei der Durchsetzung der Mehrheitsmeinung gegenüber dem einzelnen. Die Art des Strafensystems ist damit nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der Rechtskultur eines Volkes. Sie muß für uns, die wir von der Würde des Menschen als unantastbarem Grundrecht ausgehen, als wesentlicher Bestandteil der Kultur überhaupt gesehen werden. - Und von daher hätte ich mir eine größere Präsenz des Hauses gewünscht. ({0}) Die bahnbrechende Bamberger Halsgerichtsordnung - als Bamberger darf ich das sagen - des Johann von Schwarzenberg 1507 und das erste Reichsstrafgesetzbuch, die peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532, lebten nahezu von einer Fülle peinlicher Leibes- und grausamer verzögerter Todesstrafenarten. Erst seitdem Ende des 18. Jahrhunderts in den beiden Amsterdamer Zuchthäusern Freiheitsstrafe bewußt zur Resozialisierung eingesetzt wurde, begann das moderne Strafensystem. Aber noch das reformerische bayerische Strafgesetzbuch des Anselm von Feuerbach aus dem Jahre 1813, das jede qualifizierte Todesstrafe und alle peinlichen Leibesstrafen abschaffte und bis dahin nicht gekannte Abstufungen der Strafübel einführte, kannte noch immer die Todesstrafe in elf Deliktsarten und sogar - man höre und staune - die Kettenstrafe. Wenn wir heute im Erwachsenenstrafrecht - und ich bitte einmal die Aufzählung zu beachten - die lebenslange Freiheitsstrafe, die zeitige Freiheitsstrafe, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Geldstrafe mit Tagessatzsystem, die Ersatzfreiheitsstrafe, das Absehen von Strafe, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, die Einstellung des Verfahrens mit Bußgeldverhängung, eine ganze Reihe von Maßregeln der Besserung und Sicherung kennen und dazu noch die Möglichkeit des Verfalls rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile und die Einziehung des durch die Tat - wie es heißt - Hervorgebrachten oder zu ihrer Begehung oder Verbreitung Gebrauchten, dann muß die Palette unseres Sanktionensystems schon heute als vielfach abgestuft und breit gefächert angesehen werden. Und doch, es hat sich eine Reihe von Defiziten ergeben, die zu einer breiteren Ausgestaltung ebenso wie zu einer Verfeinerung unseres Sanktionensystems führen müssen. Trotz des reformierten Strafvollzuges ist die Rückfallquote bei der Strafverbüßung noch immer zu hoch - und ich sage sogar: erschreckend zu hoch. Sie muß weiter eingedämmt und durch andere Maßnahmen, wo immer möglich, ersetzt werden. ({1}) Obwohl im Rahmen unserer Geldstrafenregelung durch Maßnahmen der Länder die Möglichkeit besteht, daß bei Nichtzahlung und Unmöglichkeit der Eintreibung zur Vermeidung der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe nachträglich - eben erst nachträglich - gemeinnützige Arbeit angeordnet werden kann, kann das erkennende Gericht diese gemeinnützige Arbeit zur Vermeidung von Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe bisher nicht anordnen. Die Praxis hat ergeben, daß die Einziehungs- und Verfallbestimmungen bei Wirtschaftsverbrechen ebenso wie im Bereich des Betäubungsmittelrechts nicht greifen. Ich nenne nur das Stichwort „Geldwaschanlage" und all das, was Sie beinahe tagtäglich von Milliarden- und Millionengewinnen in den Zeitungen lesen können. Wir Sozialdemokraten begrüßen es deshalb sehr, daß sich der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bei Enthaltung der GRÜNEN einstimmig dazu bekannte, die Bundesregierung aufzufordern, in diesem Bereich für Abhilfe zu sorgen. Ich begrüße auch, daß der Bundesminister der Justiz dem Kabinett hierzu bereits Bericht erstattet hat. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, erstens bei den Ländern darauf hinzuwirken, daß diese beschleunigt die notwendigen Einrichtungen für einen offenen Strafvollzug schaffen, um so die Freiheitsstrafe weiter eindämmen zu helfen, zweitens mit den Ländern abzuklären, daß alsbald auch das erkennende Gericht eine gemeinnützige Arbeit als selbständige Sanktion zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe verhängen kann, drittens im Benehmen mit den Psychiatrie-Referenten der Länder ein Konzept zur Novellierung der Vorschriften über die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zu erarbeiten und viertens alsbald Vorschläge zur wirksameren Abschöpfung rechtswidrig erlangter Gewinne, vor allem im Bereich der Betäubungsmittel- und der Wirtschaftskriminalität, vorzulegen. Die Bundesregierung erhält auch einen Prüfauftrag zur Einführung der Einheitsstrafe auch im Erwachsenenstrafrecht, wie wir sie mit Erfolg im Jugendstrafrecht schon lange kennen. Durch die Einführung einer solchen Einheitsstrafe auch im Erwachsenenstrafrecht würden viele Rechtsmittelgründe und damit Verzögerungen bis zur rechtskräftigen Aburteilung wegfallen. Wir Sozialdemokraten hätten uns durchaus eine größere Palette von Änderungen im Strafensystem gewünscht. So hatten wir, wie bekannt, eine wirkliche Reform bei der Strafaussetzung zur Bewährung vorgeschlagen. Die Mehrheit des Hauses konnte sich leider nur zu geringfügigen Verbesserungen durchringen. Aber - ich sage das sehr dezidiert - wir dürfen nicht vergessen: Dem Gesetzgeber steht es gut an, wenn Änderungen im Strafgesetzbuch von einem breiten Konsens getragen werden. Würden die oben aufgeführten Forderungen an die Bundesregierung Wirklichkeit, würde ein Großteil der Forderungen erfüllt, die eine sozialdemokratische Bund-Länder-Konferenz schon 1984 aufgestellt und die wir als SPD-Bundestagsfraktion bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode im Parlament eingebracht hatten. ({2}) - Das kommt noch, Frau Nickels. Wir betrachten deshalb die heute zur Verabschiedung stehende Entschließung mit Genugtuung. Wenn die GRÜNEN darüber hinaus noch fordern, daß die Verbüßungsdauer der Freiheitsstrafe in der Regel 15 Jahre nicht übersteigen dürfe, also damit die lebenslange Freiheitsstrafe praktisch abgeschafft wird, und die Bagatelldelikte im Bereich der gewaltlosen Eigentums- und Vermögensdelikte ({3}) - ja, ich komme noch darauf zu sprechen - durch Herausnahme aus dem Strafgesetzbuch bzw. durch Herabsetzung des Strafrahmens entkriminalisiert werden sollen, so können wir diesem Begehren - jedenfalls zur Zeit - nicht zustimmen. Frau Nickels, wir befinden uns noch immer in der Phase der Erprobung der Vorschrift, die seit Ende 1981 zwingend vorschreibt, daß bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 15 Jahren von Amts wegen geprüft werden muß, ob der Strafrest nicht zur Bewährung auszusetzen ist. ({4}) Wir halten deshalb den Einstieg in die generelle Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe zumindest für verfrüht. Das ist der Grund, warum wir uns bei Ihrem Antrag im Rechtsausschuß enthalten haben. Mit der Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen bei geringer Schuld liegt bereits, wie wir meinen, ein wirksames Instrument zur Entkriminalisierung von kleinen Ladendiebstählen und entsprechenden Delikten vor. Das alles - das sei eingeräumt - schließt nicht aus, daß in der weiteren Zukunft auch hier Überprüfungen nötig werden. Das heißt wahrlich nicht, daß wir uns nur von Zeit zu Zeit im Bereich des Sanktionensystems neuen Gedanken öffnen dürften. Die Überprüfung ist - wenn das nicht zu abgedroschen klingt - in der Tat eine immerwährende Aufgabe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Eberhard Schmidt hat seine bekannte Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege 1947 mit folgendem Epigramm überschrieben: Die wenigen, die was davon erkannt, die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauern offenbarten, hat man von je gekreuzigt und verbannt. Wenn es eine Lehre aus der deutschen Rechtsgeschichte zu ziehen gibt, dann die, daß die Aufklärung gerade in diesem empfindlichen und - ich füge hinzu - unpopulären Bereich nur dann Mehrheitsmeinung wird, wenn die Verantwortlichen bereit sind, um mehr Menschlichkeit willen Unpopularität in Kauf zu nehmen. - Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir dürfen davon ausgehen, daß sich das bestehende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung bewährt hat. Dennoch muß man sich immer wieder fragen, ob es neue Voraussetzungen oder auch neue Gedanken gibt, die das Sanktionensystem in Frage stellen und neue Entwicklungen erforderlich machen. Die wichtigste Frage ist für mich immer die Frage nach dem Sinn der Strafe und dem Zweck des Strafrechts. Wenn heute in Teilen des politischen Spektrums laut über eine Änderung oder gar eine Einstellung des Strafvollzugs nachgedacht wird, so geschieht das wohl meist von der Ansicht her, daß die Gesellschaft nicht das Recht habe, die durch diese Gesellschaft irregeleiteten Menschen - das müßte man in Anführungszeichen sagen - z. B. einzusperren. Ich habe eine andere Auffassung dazu. Es gibt vielerlei Gründe, warum Menschen straffällig werden. Sie liegen oft im einzelnen Menschen begründet; sie liegen oft auch im Umfeld des Straftäters. Sie können aber auch in der Änderung, sprich: Aufweichung von ethischen und rechtlichen Grundsätzen begründet sein. Das Reden etwa von „Gewalt gegen Sachen", von „Keine Gewalt gegen Menschen" oder von anderen zurechtgefeilten Phrasen zeigt solche Aufweichungen auf. Auch der schon einmal von den Landesministern geforderte Verzicht auf Verfolgung von Ladendiebstählen bis zu Werten von 100 DM kann ja wohl nicht zu einer Rechtsverbesserung beitragen. Ich wage auch zu bezweifeln, daß der labile Täter durch solche Verschonung auf den rechten Weg gebracht wird. Ob nun das Strafensystem den möglichen Täter von Straftaten abhält, ist natürlich ebenfalls zweifelhaft. ({0}) Erst die Tatsache, daß ein Täter mit seiner Verfolgung und Überführung rechnen muß, kann eine abschrekkende Leistung des Sanktionensystems darstellen. Mich würde allerdings sehr interessieren, ob es neue Erkenntnisse der Wissenschaft zur Generalprävention der Strafe gibt. Strafen haben aber nach meiner Auffassung nicht nur die Aufgabe der Abschreckung. Wichtiger wäre hier die tagtägliche Verkündigung eines Wertesystems, das vielen Menschen abhanden gekommen ist und das auch wir, wenn ich meine Beobachtungen zusammenfassen darf, oft auch aus parteipolitischen oder ideologischen Gründen in Frage stellen. Einmal lehnen wir es ab, einmal stimmen wir ihm zu, je nachdem, welchen politischen Erfolg wir uns davon versprechen. Ich stelle solche Tendenzen auch bei mir fest, was natürlich nicht gut ist. Ich will versuchen, das wieder zu ändern. Strafen haben aber auch den Inhalt, eine Schuld wieder abzutragen, die Schuld einer Tat, durch die der Täter einzelne Menschen, eine Familie, vielleicht auch die ganze menschliche Gesellschaft getroffen hat. Ich möchte davor warnen, diesen Inhalt der Strafe als gering anzusehen. Schließlich sollte für manche Täter, vielleicht sogar für viele, die Strafe ein Weg, eine Hilfe sein, neue Ansätze für ein Leben ohne Straftaten zu finden. Damit bin ich weit davon entfernt, in eine Resozialisierungseuphorie zu fallen. Es kommt halt auf die Form der Strafe und die Qualität des Strafvollzugs an. Wir haben uns zu Recht daran gewöhnt, meine Damen und Herren, daß es unterschiedliche Strafen für unterschiedliche Vergehen und Verbrechen gibt. Wir haben uns aber, glaube ich, immer noch nicht daran gewöhnt, daß z. B. eine Autofahrt auf einer Landstraße mit Tempo 150 statt der höchstens erlaubten 100 km in der Stunde zum Mord wird, wenn der Fahrer einen anderen Menschen dabei tötet. Ich glaube, wir müssen auch anerkennen, daß viele Vergehen und Verbrechen nicht von einäugigen, unrasierten Gammlern, sondern von vorzüglich gekleideten Damen und Herren der sogenannten Gesellschaft begangen werden. ({1}) Es ist durchaus zu erwägen, mit welchen Strafen man solchen Tätern begegnen soll. Ich könnte mir denken, daß z. B. viele Umweltstörer und Umweltzerstörer in ihrem Handeln vorsichtiger werden, wenn sie statt einer geringen Ordnungsstrafe plötzlich vor der Gefahr stehen, in einer Justizvollzugsanstalt einsitzen zu müssen. Ich sage es also nochmals: Wir brauchen die volle Breite des Sanktionensystems. Wir wollen es, wenn nötig, mit den Ländern gemeinsam sehr vorsichtig weiterentwickeln. Deswegen unterstützen CDU und CSU auch den Beschlußvorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Präsident Westphal! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über den Bericht zur Beurteilung des strafrechtlichen Sanktionensystems. Der Ausdruck ist ja häufig gefallen. Aber worüber reden wir denn eigentlich wirklich? Über ein abstraktes System? Tatsächlich - ich habe mal die Zahlen herausgesucht - reden wir über die 700 000 Männer und Frauen, die jedes Jahr in der Bundesrepublik strafrechtlich verurteilt werden, und über die 120 000 von den 700 000, die mit Gefängnisstrafen belegt werden, glücklicherweise oft in Verbindung mit Bewährung. Es geht also nicht nur um ein abstraktes System und auch nicht um die „nur" 50 000 Personen, die in den 169 Gefängnissen am Stichtag ihre Strafe verbüßen, sondern auch um die fast 90 000 Gefangenen, die jedes Jahr in die Gefängnisse aufgenommen bzw. mit einer noch schlechteren Chance aus ihnen herausgelassen werden, und es geht nicht zuletzt um eine Vielzahl von Angehörigen, denen oft zusätzlich die materielle Grundlage für eine gesicherte Lebensführung entzogen wird. Diese Seite der Medaille darf man nicht vergessen. ({0}) - Das stimmt; das ist auch wahr. An dieser Realität geht die Beschlußempfehlung des Ausschusses völlig vorbei, auch an dem Gedanken der Wiedergutmachung, die Täter bei vielen Bagatelldelikten leisten könnten, wenn sie nicht eingesperrt würden. Selbstverständlich sind auch die GRÜNEN für eine Einschränkung der Vorschriften über die Unterbringung in psychiatrischen Anstalten und Entziehungsanstalten, ebenso für Vorschläge zur wirksamen Abschöpfung rechtswidrig erlangter Gewinne, besonders auch im Umweltstrafrecht. Deswegen haben wir im Ausschuß auch vier der vorgeschlagenen Punkte zugestimmt. Aber schon bei Punkt 5, nämlich der Forderung, daß die Länder beschleunigt notwendige Einrichtungen für den offenen Vollzug schaffen - Herr de With, damit gehe ich auf ein Argument von Ihnen ein - , zeigt sich das schüchterne Herumdoktern an äußeren Symptomen, ohne auf den Kern einzugehen. Die Länder sind nach § 201 Strafvollzugsgesetz schon seit mehr als zehn Jahren gehalten, Einrichtungen für den offenen Vollzug bereitzustellen. Das war eine Übergangsvorschrift. Heute, zwölf Jahre später, ist ihr immer noch nicht Rechnung getragen worden. ({1}) - Das wissen wir. Es geht doch nicht, daß wir in den Bericht schreiben, hier müßte weiterhin darauf „hingewirkt" werden, sondern man muß sich einen sanften Zwang überlegen. Da ist der Bundesgesetzgeber, den wir darstellen, gefordert. Dann muß man entweder das Strafvollzugsgesetz so ändern, daß die Ausnahmevorschrift in § 201 endlich wegfällt und der offene Vollzug nun die wirkliche Regelvollzugsform wird, wie in § 10 vorgesehen, oder auch, wie damals im Regierungsentwurf vorgesehen, aus § 10 statt einer Kann- eine Muß-Vorschrift wird. Sonst ist es das Papier nicht wert, auf dem Sie das geschrieben haben, Herr de With. ({2}) - Wir sind hier nicht der Bundesrat, wir sind der Bundestag. Wenn wir das wollen, dann schreiben wir es bitte schön hinein. Da kann man sich nicht herausmogeln, sonst ist es das Papier nicht wert, auf dem es steht. Es tut mir leid, es ist aber einfach so. ({3}) - Das ist aber wenigstens ehrlich. Entweder will ich es, oder ich will es nicht. Dann muß der Bundesrat sich dazu äußern, Aber eine verschwiemelte Übergangsvorschrift über zehn Jahre nützt den Gefangenen nichts. Das ist unehrlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Nickels, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie mir die Zeit nicht anrechnen.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Nickels, sind Sie bereit, unseren guten Willen in Ihrem Sinne zur Kenntnis zu nehmen, aber auch zu bedenken, daß es keine einzige Bundesjustizvollzugsanstalt gibt, sondern nur Justizvollzugsanstalten der Länder und deswegen die Länder über den Bundesrat jedes Gesetz in dieser Hinsicht torpedieren können, weswegen wir gehalten sind, Überzeugungsarbeit zu leisten, freilich mit sanftem Druck, was wir aber tun?

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr de With, das weiß ich. Nur: Ich finde, nach so vielen Jahren müssen wir uns hier eindeutig erklären. Dann ist es Aufgabe der Länder, zu sagen, ob ihnen Geld mehr wert ist als die Menschen, die davon betroffen werden. Das finde ich richtig. Ich möchte einen zweiten Punkt erwähnen, der auch ganz wichtig ist. Herr Seesing, Sie haben gesagt: Strafe muß den Täter von seiner Tat abschrecken. Es wäre schön, wenn es so wäre. Wenn es wirklich so wäre, könnte man sich darüber unterhalten, ob man die Leute wirklich so lange einsperrt. Es ist aber bewiesen, daß meistens das Gegenteil richtig ist. Herr Seesing, das ist keine Erfindung von uns, sondern das steht im Bericht der Regierung. Die Regierung schreibt in dem Bericht, über den wir diskutiert haben, „daß weder gesicherte Erkenntnisse über die generalpräventive Wirkung" - also die abschrekkende Wirkung - „der Strafe noch über die soziale Eingliederung Straffälliger vorliegen". Solche Aussagen der Regierung zwingen förmlich dazu, einen Prüfungsauftrag zu erteilen. Aber dem haben Sie nicht zugestimmt. ({0}) - Herr Präsident, ich kann mich nicht konzentrieren, wenn immer dazwischengeredet wird. Dann müssen Sie mir noch ein paar Minuten hinzugeben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Nickels, ich gebe Ihnen ja ein paar Sekunden mehr. Aber meine Ohren sind nicht so schnell wie Ihr Mund. ({0}) Insofern müßten Sie eigentlich in fünf Minuten viel mehr unterbringen als wir alle. Aber bitte, fahren Sie fort. Ich gebe Ihnen ein bißchen mehr Zeit.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr de With, Sie haben ja auch gesagt, daß Sie vielfältige weitere Maßnahmen richtig finden. Aber Sie haben sich zu allen Punkten enthalten. Wir haben im Rechtsausschuß unsere Vorschläge nicht als Gesetzentwürfe eingebracht, sondern wir haben Prüfungsaufträge angeregt. Es erscheint mit wirklich völlig unlogisch: Wenn schon die Regierung im Bericht schreibt, die abschreckende Wirkung sei völlig ungesichert, warum wollen Sie dann nicht prüfen? Das ist eine komische vornehme Enthaltung. Das verstehe ich nicht. Das finde ich auch nicht richtig. Wir haben auch angeregt, daß man die Vorschriften über die Strafaussetzung zur Bewährung, wie Sie es früher schon vorgeschlagen haben, erweitert. Das stimmt mit Ihren früheren Vorschlägen überein. Sie haben dem nicht zugestimmt. Das waren alles Überprüfungsgeschichten. Wir haben auch angeregt, zu überprüfen, ob man die Bagatelldelikte - und hier sind keine schweren Einbrüche gemeint - aus dem Bereich der gewaltlosen Eigentums- und Vermögensdelikte entkriminalisieren könnte, indem man sie z. B. in den Ordnungswidrigkeitsbereich hineinnimmt. Das hätte den Vorteil, daß die Leute eben nicht eingesperrt würden, sondern weiterarbeiten könnten und Wiedergutmachung leisten könnten. Das ist doch prüfungswürdig. Ich verstehe auch nicht, daß in Anbetracht der Tatsache, daß das Strafgesetzbuch schon 120 Jahre alt und im Kern nicht verändert worden ist, die Gelegenheit nicht ergriffen wurde, nicht am Rande, sondern wirklich im Kern Prüfungsaufträge zu erteilen. Das gilt auch für die lebenslange Freiheitsstrafe. Früher war der Gnadenerweis die einzige Möglichkeit, vorzeitig aus dem Gefängnis zu kommen, wenn keine Wiederholungsgefahr bestand. Das ist 1982 geändert worden. Man hat gedacht, durch eine Regelüberprüfung würden vielleicht mehr Leute, die nicht mehr gefährlich sind, herauskommen, weil ja das Strafrecht nicht sühnen soll, sondern resozialisieren soll. ({0}) - Ja, die Resozialisierung ist aber der Hauptzweck des Strafvollzugs. Das Urteil trägt der Schwere der Tat Rechnung. Der Strafvollzug soll aber resozialisieren. Sonst könnten Sie auch gleich das Zuchthaus wieder einführen. Herr de With, wir haben ja schon fast acht Jahre diese Regelung; 1982 ist sie eingeführt worden. Die Richter und auch die statistischen Zahlen sagen uns, daß die Praxis eher schlechter geworden ist als unter der damaligen Gnadenmöglichkeit, die ja die alleinige Möglichkeit war. ({1}) - Ja, aber es hat nicht dazu geführt, daß erheblich weniger Verurteilte eine lebenslange Freiheitsstrafe abbüßen müssen. Das ist nicht eingetreten. Das Problem liegt z. B. - wenn sie Richter fragen - in den vielen Fällen, wo Affekttaten passiert sind, die als Mord geahndet werden müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, können Sie einmal zwischendurch einen Punkt machen?

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich bin jetzt fertig. - In diesen Fällen greifen die Richter, weil sie die Leute nicht lebenslang einsperren wollen, zu der Krücke, verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen. Da sind die Praktiker viel einsichtsfähiger als Sie. Wir hätten hier die Chance gehabt, wirklich zu prüfen. Auch zu diesem Problembereich haben wir weitergehende Vorschläge gemacht, die von Ihnen aber aus für mich unerfindlichen Gründen nicht angenommen worden sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, ich bin nun wirklich langmütig und großzügig gewesen. Es tut mir leid.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich wollte noch einen Punkt sagen, der wichtig ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ja, das mag sein.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie, Herr de With, haben gesagt, daß man Mehrheiten haben muß. Ich sage Ihnen: Sie wissen, daß die Republikaner neuerdings überall unsichtbar mit am Verhandlungstisch sitzen. ({0}) - Doch, ich glaube wohl. In so einem unpopulären Bereich wie dem Strafvollzug habe ich jetzt wahnsinnige Angst - wenn es nur um Mehrheiten geht, in der Zeit, wo hier eine rechte Strömung mit dabei ist - um die Leute, die im Gefängnis sind, und um die ganzen Leute, um die es hier geht. Davor möchte ich warnen. Danke schön. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Irmer, Sie machen es mir nicht so schwer, was die Länge der Redezeit betrifft?

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gar nicht den Versuch machen, an Schnellsprechen meine Vorrednerin zu übertreffen. Das würde mir wahrscheinlich sowieso nicht gelingen. Deshalb verfalle ich jetzt in einen ganz normalen Sprechton. ({0}) Wir haben es, meine Damen und Herren, bei der Frage des Strafrechts ja mit dem Problem zu tun, wie der Staat und wie die Gesellschaft auf abweichendes Verhalten einzelner Bürger reagieren. Diese Frage zu stellen ist eine dauernde Aufgabe jedes Staates. Es ist deshalb bedauerlich, daß wir hier nur eine halbe Stunde Zeit für die Debatte haben, aber wir werden das Thema auf der Tagesordnung erneut vorfinden. Eigentlich müßte es ein Dauerbrenner sein. Es fängt doch an mit der Frage: Reagiert man überhaupt mit dem Strafrecht? Es gibt ja einen weit verbreiteten Irrglauben, daß man durch die Einführung von Straftatbeständen oder auch durch die Verschärfung bestehender Strafdrohungen gesellschaftliche Probleme lösen könne. ({1}) Das klassische Beispiel ist der § 218 des Strafgesetzbuches. Auch wir betrachten es natürlich als einen unerträglichen Zustand, daß Jahr für Jahr in der Bundesrepublik Deutschland, einer Wohlstandsgesellschaft, Hunderttausende von ungeborenen Kindern abgetrieben werden. Nur sagen wir: Die Verschärfung der Strafbestimmung ist völlig ungeeignet, dieses Problem zu lösen. Zweitens. Wenn wir die Entscheidung getroffen haben, überhaupt mit dem Strafrecht zu reagieren, muß die Frage gestellt werden: Wie reagiert man? Sind die Sanktionen, die das Strafrecht anbietet, angemessen und wirksam? Davon handelt im engeren Sinne der Bericht, der uns heute vorliegt. Ich möchte mich zu den Einzelheiten nicht äußern. Ich möchte nur den Punkt „Abschöpfung der Gewinne" aufgreifen. Hierzu steht in der Beschlußemp10110 fehlung, daß das insbesondere bei Drogenkriminalität und Wirtschaftskriminalität geschehen solle. Ich füge für das Protokoll ausdrücklich hinzu, daß ich unter dem Stichwort „Wirtschaftskriminalität" im Hinblick auf unsere Debatte über Rabta vor einigen Wochen ganz ausdrücklich auch die Waffenhändler verstanden haben möchte. Insbesondere ihnen wird man nur dann beikommen können, wenn man das System der Abschöpfung, und zwar der Bruttogewinne, einführt. ({2}) Selbst die Androhung von Haftstrafen könnte hier unter Umständen ins Leere gehen. Wir kennen aus der Kaiserzeit den Sitzredakteur. Wie sich manche Gesellschaften Frühstücksdirektoren halten, so würden sie sich vielleicht auch einen Sitzdirektor halten, der dann halt gegen ein entsprechend hohes Honorar die Strafe absitzt. Das wird diese Damen und Herren nicht beeindrucken. Es kommt also darauf an, neben dieser Androhung von Haftstrafen und anderen Kriminalstrafen auch die Abschöpfung der Bruttogewinne völlig konsequent einzuführen und durchzuhalten. ({3}) Ich kann hier nur stichwortartig einige Gesichtspunkte zur Sprache bringen. Das Problem, wie auf abweichendes Verhalten reagiert wird, betrifft natürlich auch den Strafvollzug. Ich möchte hierzu aus aktuellem Anlaß etwas sagen. Selbstverständlich darf sich der Staat nicht erpressen lassen. Es ist aber eine ganz andere Frage, ob der Staat zuhört und möglicherweise reagiert, wenn Menschen, die sich im Strafvollzug befinden, sich über die Verhältnisse, unter denen sie leben, beklagen und beschweren. Sie wissen alle, daß ich hier von den RAF-Terroristen rede, die selbstverständlich die volle Härte des Strafrechts treffen muß, insbesondere angesichts der Taten, wo auch - das sage ich - der Sühnegedanke für das Rechtsempfinden der meisten unserer Mitbürger eine große Rolle spielt, wo aber nicht vergessen werden darf, daß es sich auch bei diesen noch um Menschen handelt, die Anspruch darauf haben, menschlich behandelt zu werden, ({4}) - es sind Menschen - und die Anspruch darauf haben, auch Wünsche und Bitten vortragen zu können. Es steht dem Staat nicht schlecht an, hierauf nicht nur mit Ablehnung zu reagieren. Die Antwort auf die Frage, wie auf abweichendes Verhalten, auf Straftaten, reagiert werden soll, ändert sich im Lauf der Geschichte. Sie hängt davon ab, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse und die allgemeinen Rechtsauffassungen sind. Auch die objektiven Bedingungen können sich ändern. Ich persönlich habe schwere Zweifel, ob es auf die Dauer gelingen kann, beispielsweise dem immensen Drogenproblem durch Mittel der Polizei und des Strafrechts allein zu begegnen. ({5}) - Der Beifall kommt leider von der falschen Seite. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren. - Ich möchte nur, daß wir darüber einmal nachdenken. Ich hatte jetzt ein Gespräch mit dem Außenminister von Peru und habe mir schildern lassen, wie es in diesen südamerikanischen Ländern zugeht. Die Frage ist - wir werden uns mit ihr beschäftigen müssen -, ob nicht auf Dauer das Drogenproblem nur durch den wirtschaftlichen Hebel in den Griff genommen werden kann. ({6}) Der wirtschaftliche Hebel besteht natürlich auch darin, daß man den Schwarzmarkt ausdünnt. ({7}) Das Beispiel der Prohibition in den Vereinigten Staaten sollte hier gründlich studiert werden. Ich schließe mit dem Satz - ich habe das schon vorhin gesagt - : Dieses Thema muß ein Dauerbrenner sein. Wir müssen uns immer wieder damit beschäftigen. Die Vorschläge in der Beschlußempfehlung sind nur vorläufig. Wir finden sie trotzdem gut und stimmen ihnen zu. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl. ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Es geht um die Beurteilung des strafrechtlichen Sanktionensystems. Auch wenn sich mein Vorredner gegen meinen qualifizierenden Beifall zu einer seiner Äußerungen zumindest gewehrt hat, hat er, denke ich, ganz treffend formuliert: Es geht darum, wie die Gesellschaft auf abweichendes Verhalten reagiert, und zwar in einem Bereich, in dem der stärkste Sanktionsgrad zur Verfügung steht, den sich die Gesellschaft geschaffen hat, nämlich das Strafrecht. Man muß sich einmal die kriminologischen Studien und die Erkenntnisse, die es auf diesem Gebiet gibt, ansehen. Dabei rede ich weniger, wie meine Vorrednerin Frau Nickels, über die Gesichtspunkte, die uns veranlassen müssen, in bestimmten Bereichen an Entkriminalisierung und an ähnliche Zurücknahmen dieses Sanktionensystems zu denken, sondern gewissermaßen als kritischer Polizist ({0}) spreche ich heute verstärkt über die Gesichtspunkte, unter denen Verhalten stärker geahndet gehört. Schauen wir uns also an, wie dieses strafrechtliche Sanktionensystem aussieht, das im wesentlichen - auch wenn vorhin die Ausflucht kam, daß der Strafvollzug wesentlich von den Ländern gestaltet wird Wüppesahl hier im Bundestag die Rahmenbedingungen erhält, unter denen Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz im klassischen Sinne arbeiten sollen; schauen wir uns an, wie es tatsächlich wirkt und wen es trifft. Ich bin der Auffassung: Es hat fast vollständig versagt. Nehmen wir die großen Bereiche: Sie wissen, daß im Bereich der Wirtschaftskriminalität der volkswirtschaftliche Schaden auf eine Summe zwischen 120 und 180 Milliarden DM jährlich geschätzt wird. Sie wissen auch, wie wenig in diesem Bereich getan wird. Nehmen wir nur Hamburg und Schleswig-Holstein. Ich bin in die Landeskriminalämter hineingegangen; das Hamburger kenne ich ja sowieso recht gut. ({1}) - Herr Tietjen, ich denke, die Kollegen in Hamburg freuen sich auch, wenn ich 1991 wieder da bin. In Schleswig-Holstein, in Kiel, sind acht Beamte mit Wirtschaftskriminalität befaßt, und dann sind noch ein paar auf die vier Direktionen in Schleswig-Holstein verteilt. Gleichzeitig hat so ein Bundesland vier Hundertschaften; das sind, wenn die Ist-Stärke erreicht ist, über 400 Beamte. Ungefähr das gleiche gilt für Hamburg. Daran sehen wir, wie falsch die Schwerpunkte im strafrechtlichen Sanktionensystem der Bundesrepublik Deutschland gesetzt sind. Wir können weitere Problemfelder durchgehen, etwa die Umweltkriminalität. Auch dort werden die Schäden auf mehrere 10 Milliarden DM pro Jahr taxiert. Wir alle oder doch die meisten wissen, daß die Umweltkriminalität fließend in die Wirtschaftskriminalität übergeht. Ich vermisse in einem solchen Bericht z. B. die Diskussion der Frage, auf welche institutionelle Weise diese Kriminalitätsformen am sinnvollsten bekämpft werden können. Soll das wirklich nur von der Polizei gemacht werden, oder ist es nicht vielleicht sinnvoller, so etwas beispielsweise an einer Universität anzusiedeln, wo die Naturwissenschaftler ohnehin vorhanden sind? Denn wenn Sie Umweltkriminalität bekämpfen wollen, brauchen Sie neben ein paar guten Buchhaltern und EDV-Experten vor allem Biologen und Chemiker ({2}) - und natürlich am Ende der Kette Richter, Herr Todenhöfer. Von daher stellt sich die Frage: Wo siedeln wir es an? Wir können Polizeibeamte nicht in einem halben oder einem Jahr in Schnellehrgängen bis zu der Kompetenz ausbilden, die die Schwere der vorliegenden Fälle vonnöten macht, also bis dahin, daß sie die Umwelt- und die Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen wirklich in der Lage sind. Man könnte sich also sehr wohl überlegen, so etwas woanders anzusiedeln und dort hoheitliche Funktionen zu verankern, wie wir es ja auch aus anderen Bereichen kennen. Dieses Modell, das ich jetzt grob dargestellt habe, kennen wir z. B. bereits von der Fahndung bei der Bundespost, und wir kennen es von der Steuerfahndung bei den Finanzämtern. Dort sind die Experten, und dort wurden die hoheitlichen Kompetenzen angesiedelt, nicht bei der Polizei, wo man erst mit großer Mühsal die Beamten weiter hätte ausbilden müssen. Solche Gesichtspunkte gehen, wie gesagt, in diesem Bericht, der uns heute vom Rechtsausschuß vorgelegt wird, fast völlig verloren. Ich denke, der Vorredner hat vollkommen unrecht, wenn er ein Plädoyer für die Abschöpfung von Gewinnen hält und dann an das denkt, was wir morgen bei den Artikelgesetzen schon mit diskutieren werden. Nach der Neufassung des § 48 a wird das, was gegenüber der Öffentlichkeit immer behauptet wird, bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität nicht erreicht werden können, nämlich leichtere Ermittlungsansätze für die Polizei, damit sie pragmatisch bestimmte Personen abfangen kann. Das geht ganz einfach nicht, denn nach den Vorstellungen des Justizministeriums, die der Unschuldsvermutung noch einigermaßen Rechnung tragen, soll erst mit der Verurteilung entschieden werden, in welcher Form sanktioniert wird, ob mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Verfall oder Vermögenseinzug.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Gleichzeitig wird trotzdem mit einer solchen Vorgehensweise dieses Prinzip der Unschuldsvermutung natürlich sehr stark angegriffen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Stimmen gegen diese Beschlußempfehlung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz. ({0})

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung in ihrem Bericht zum Ausdruck gebracht, daß sich das Rechtsfolgensystem unseres Strafrechts weitgehend bewährt hat. Das schließt nicht aus, daß auf Grund neuerer Erkenntnisse in einigen - allerdings, wie ich meine, nur in wenigen - Bereichen eine Fortentwicklung des bestehenden Rechts in Erwägung zu ziehen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz einiges zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses sagen. Soweit der Rechtsausschuß den Wunsch geäußert hat, die Bundesregierung möge den Dialog mit den Ländern zur Frage der sogenannten Einheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht fortsetzen, werden wir dem gerne Rechnung tragen. Ich habe viel Sympathie für das Anliegen des Rechtsausschusses, den Gerichten die Möglichkeit zu eröffnen, einen Angeklagten statt zu einer Freiheitsoder Geldstrafe zur Leistung gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen, sofern er damit sein Einverständnis erklärt hat. ({0}) Die positiven Erfahrungen, die zwischenzeitlich mit diesem Instrument im Ausland gemacht worden sind, legen es nahe, es auch in unser Rechtsfolgensystem zu übernehmen. Allerdings - so wird man hinzusetzen müssen - setzt das voraus, daß es tatsächlich gelingt, die entsprechenden Arbeiten und die Voraussetzungen zu schaffen, damit eine solche Unternehmung nicht auf Kosten der um reguläre Arbeit bemühten Arbeitslosen geht. Soweit der Rechtsausschuß die Novellierung der Vorschriften über die Unterbringung psychisch kranker oder rauschmittelabhängiger Rechtsbrecher in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Erziehungsanstalt fordert, greift er damit ein Anliegen auf, das bereits seit geraumer Zeit vom Bundesministerium der Justiz zusammen mit dem Ausschuß der Psychiatrie-Referenten der Länder verfolgt wird. Wegen der Vielschichtigkeit dieses Problems wird jedoch mit dem Abschluß dieser Arbeit in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu rechnen sein. Dasselbe gilt für die von uns ins Auge gefaßte und betriebene große und ganz umfassende Reform der Vorschriften über Verfall und Einziehung, mit der in wirksamerer Weise als bisher die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Gewinne, nicht zuletzt in den Bereichen der Wirtschafts- oder Drogenkriminalität, ermöglicht werden soll. Ich sagte: die große und umfassende Reform nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Aber ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg wird noch in dieser Legislaturperiode stattfinden. Den Landesjustizverwaltungen und den am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligenden Stellen habe ich Anfang März dieses Jahres den Referentenentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes übersandt, mit dem die Voraussetzungen für einen sofortigen Zugriff auf die wirtschaftlichen Grundlagen des organisierten Drogenhandels geschaffen werden sollen. Der Entwurf will den Gerichten die Möglichkeit eröffnen, in schweren Fällen der Betäubungsmittelkriminalität neben einer Freiheitsstrafe auf Zahlung eines Geldbetrages zu erkennen. Die Höhe dieses Geldbetrages, auch natürlich im Zusammenspiel mit der Freiheitsstrafe, muß zwar schuldangemessen sein, findet aber im übrigen seine Grenze nur im Wert des vorhandenen Vermögens. In dem Zusammenhang ist es dann wichtig - das ist hier in der Debatte bereits angesprochen worden - wenn ich recht gehört habe - : Wir werden in der Strafprozeßordnung eine neue Vorschrift vorsehen, welche die Sicherstellung der entsprechenden Vermögenswerte schon im Ermittlungsverfahren erlaubt, um hier sicherzustellen, daß der Zugriff nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich erfolgen kann. Meine Damen und Herren, ich bin schließlich gern bereit, den Landesjustizverwaltungen den Wunsch des Deutschen Bundestages zu übermitteln, beschleunigt die für einen offenen Strafvollzug notwendigen Einrichtungen zu schaffen. Ich habe allerdings im übrigen den Eindruck, daß die Länder ernsthaft bemüht sind, im Rahmen des ihnen Möglichen entsprechende Maßnahmen zu treffen. Insgesamt darf ich abschließend sagen, daß ich den Anliegen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und damit dieses Hohen Hauses gern entgegenkomme und wir diesen Anliegen mit großer Aufgeschlossenheit gegenüberstehen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/2597. Wer für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen, gegen eine Stimme und bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches - Eindämmung der Spielhallenflut und sonstiger städtebaulich nicht vertretbarer Nutzungen - Drucksache 11/3952 -Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) - Drucksache 11/4244 Berichterstatter: Abgeordnete Dörflinger, Reschke ({1}) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Verhülsdonk, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Hornhues, Sauer ({3}), Dr. Langner, Frau Dempwolf, Ruf, Fuchtel, Pesch, Frau Dr. Hellwig, Dr. Grünewald, Marschewski, Kroll-Schlüter, Frau Limbach, Funk ({4}), Schulze ({5}), Müller ({6}), Müller ({7}), Graf von Waldburg-Zeil, Neumann ({8}), Frau Dr. Wisniewski, Dr. Möller, Dr. Schroeder ({9}), von Schmude, Schwarz, Hinsken, Hauser ({10}), Dr. Friedrich und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Lüder, Dr. Hitschler, Dr. Solms, Dr. Feldmann und der Fraktion der FDP Verhinderung von negativen städtebaulichen Auswirkungen von Spielhallen und Änderung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Geldspielgeräten - Drucksache 11/3999, 11/4244 - Berichterstatter: Abgeordnete Dörflinger, Reschke c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Westphal, Amling, Dr. Ahrens, Antretter, Bachmaier, Frau Blunck, Dr. Böhme ({12}), Frau Becker-Inglau, Börnsen ({13}), Catenhusen, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Frau Faße, Frau Fuchs ({14}), Großmann, Gansel, Graf, Gilges, Frau Dr. Götte, Hasenfratz, Hiller ({15}), Haar, Heyenn, Heistermann, Frau Vizepräsident Westphal Hämmerle, Dr. Holtz, Jahn ({16}), Jaunich, Dr. Jens, Jungmann, Kastning, Kirschner, Kretkowski, Kuhlwein, Koschnick, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Klein ({17}), Lohmann ({18}), Dr. Mertens ({19}), Frau Matthäus-Maier, Frau Dr. Martiny, Müller ({20}), Müller ({21}), Müller ({22}), Müntefering, Menzel, Nagel, Dr. Nöbel, Niggemeier, Ooestergetelo, Dr. Pick, Poß, Purps, Peter ({23}), Pfuhl, Reuter, Reschke, Rixe, Roth, Seidenthal, Frau Seuster, Frau Simonis, Singer, Dr. Spöri, Schäfer ({24}), Dr. Schmude, Frau Schmidt ({25}), Schmidt ({26}), Schmidt ({27}), Schanz, Schröer ({28}), Schütz, Schluckebier, Stahl ({29}), Stiegler, Frau Terborg, Toetemeyer, Urbaniak, Vosen, Weiermann, Frau Weiler, Frau Weyel, Weisskirchen ({30}), Wiefelspütz, von der Wiesche, Dr. de With, Wittich, Frau Wieczorek-Zeul, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Eindämmung der Spielhallenflut - Drucksachen 11/586, 11/4217 - Berichterstatter: Abgeordneter Grünbeck d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({31}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen die Spielhallenflut - Drucksachen 11/1679, 11/4218 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen ({32}) Zu Tagesordnungspunkt 9 c liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4372 vor. Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Verhülsdonk.

Roswitha Verhülsdonk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Anfang der 80er Jahre stellt die wachsende Zahl der Spielhallen in den Städten und Gemeinden unseres Landes ein unübersehbares Problem dar, und zwar sowohl aus städtebaulicher als auch aus gesellschaftspolitischer Sicht. Unsere Kommunalpolitiker sehen sich immer stärker mit den Auswirkungen dieses Spielhallenbooms konfrontiert, ob es sich um die Qualitäts- und Imageverluste von ganzen Stadtteilen oder um die sozialen Folgen des sogenannten pathologischen Vielspiels handelt. Die Gefährdungen vorwiegend junger Erwachsener durch den erleichterten Zugang zum Glücksspiel sind nicht nur ein Thema der Sozialämter. Besorgte Eltern, Wohlfahrtsverbände und nicht zuletzt die Kirchen rufen immer lauter nach dem Gesetzgeber. Es wird wohl heute keiner mehr bestreiten, daß die offensichtlichen Fehlentwicklungen der letzten Jahre politisches Handeln notwendig machen. Dies war vor mehr als einem Jahr noch nicht so eindeutig für uns, als wir, die CDU/CSU-Fraktion, eine Arbeitsgruppe einrichteten, die Vorschläge erarbeiten sollte, wie man den Auswüchsen auf diesem Gebiet wirksam begegnen kann. Ich sage „Auswüchse", denn es kann sich nicht darum handeln, einen Gewerbezweig zu vernichten. Hier unterscheiden wir uns vom Grundsatz her ganz deutlich von den Initiativen, die andere Fraktionen ergriffen haben. Diese würden, wenn sie Realität würden, einen gesamten Wirtschaftszweig ruinieren und damit auch den dort Beschäftigten die Arbeitsplätze nehmen. Das wollen wir nicht. Es muß uns also darum gehen, die Bevölkerung, vor allem junge Menschen und auch solche, die nicht die Kraft haben, den vom Geldspiel ausgehenden Anreizen zu widerstehen, vor sozial nicht vertretbaren Praktiken zu schützen. ({0}) Das wie auch die Schaffung einer klaren Rechtslage dient letztlich auch der Branche selbst, denn es schützt sie vor einer emotionsgeladenen Diskussion und auch vor einer unterschiedlichen Rechtsentwicklung im Bundesgebiet. Übermäßige Spielanreize, die labile Spieler gefährden können, zu vermindern, das war ja auch mit ein Grund dafür, daß der Gesetzgeber bereits 1985 die Spielverordnung geändert hat. Damals ging es vorrangig darum, eine hohe Konzentration von Geldspielgeräten auf kleinem, manchmal kleinstem Raum zu verhindern und durch die Einführung von Obergrenzen bei Sonder- und Risikospielen sowie durch die Begrenzung des Geldeinsatzes die Gewinnchance und das Verlustrisiko für die Spieler in Grenzen zu halten. Das erste Anliegen - zu viele Geräte auf knappem Raum - ist erreicht worden, wie sich jetzt abzeichnet, ({1}) oder mit dem Ablauf der Übergangsfrist wird es sukzessive immer mehr erreicht. Da sind wir auf dem Wege. Andere Erfahrungen mit der Spielverordnung sind jedoch nicht so positiv. Ich meine hier insbesondere die Beschaffenheit neuerer Geldspielgeräte und die Möglichkeiten, die sie eröffnen. Dazu wird aber mein Kollege Börnsen noch deutlicher etwas sagen. Wir von der CDU/CSU sprechen uns jetzt - im Gegensatz zur SPD und den GRÜNEN - nicht für sofortige Änderungen im Gewerberecht aus. Wir sind vielmehr der Meinung, daß es im eigenen Interesse der Branche liegt, daß die Betreiber von Spielhallen sowie die Hersteller von Geldspielgeräten offensichtliche Fehlentwicklungen durch selbstbeschränkende Maßnahmen korrigieren. Es ist ja auch schon einiges geschehen, es sind ja schon einige Dinge passiert. Darüber werden Sie auch noch mehr hören. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, mit der Branche unter anderem über eine Reduzierung von Sonderspielen weiter zu verhandeln und dem Deutschen Bundestag im Herbst dieses Jahres über das Ergebnis zu berichten. Vom Verhalten der Spiel10114 hallenbetreiber und der Hersteller von Geldspielgeräten wird es also letztlich abhängen, ob weitergehende gesetzliche Maßnahmen erforderlich werden oder nicht. Wir werden die Entwicklung in der nächsten Zeit daher sehr genau im Auge behalten. Meine Damen und Herren, Einigkeit besteht zwischen allen Fraktionen, daß dort, wo der Bund Einfluß nehmen kann, z. B. auf dem Gelände der Deutschen Bundesbahn, keine problematischen Vergnügungsstätten mehr eingerichtet werden sollen ({2}) und bestehende Vergnügungsstätten abgebaut werden, sobald bestehende Verträge es zulassen. Wir appellieren in diesem Zusammenhang aber auch an die Gemeinden, die bereits geltenden rechtlichen Bestimmungen auszunutzen und die Einhaltung von Vorschriften, z. B. im Bereich des Jugendschutzes, streng zu überwachen. Meine Damen und Herren, der Antrag von CDU/CSU und FDP sieht weiterhin eine Änderung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Geldspielgeräten vor, die zukünftig mit manipulationssicheren Zählwerken ausgestattet werden sollen. Für Altgeräte wird der sogenannte Vervielfältiger auf 2,5 Punkte - von jetzt 1,5 Punkten - angehoben werden. Diese Maßnahme halten wir schon aus Gründen der Steuergerechtigkeit für zwingend. In diesem Zusammenhang gibt es ja auch ein Urteil des Bundesfinanzhofs. Wichtiger Schwerpunkt des Antrages ist schließlich eine Verbesserung der planungsrechtlichen Instrumente für die Gemeinden im Hinblick auf die Verhinderung von nachteiligen städtebaulichen Auswirkungen von Vergnügungsstätten. Mit der Änderung der Baunutzungsverordnung wird den Kommunen nun ein Instrument an die Hand gegeben, das ihnen hilft, städtebauliche Fehlentwicklungen zu verhindern. Auf diesen Punkt wird mein Kollege Dörflinger näher eingehen. Schließlich hat die Beschäftigung mit dem Thema Spielhallen offenkundig werden lassen, daß z. B. das Problem des pathologischen Vielspiels noch nicht hinreichend erforscht ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Roswitha Verhülsdonk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Diese Lücken müssen auch im Sinne der Versachlichung der Diskussion baldmöglichst geschlossen werden. Ich möchte am Ende all meinen Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Antrag mitgearbeitet haben und die sich über ein Jahr kundig gemacht haben, herzlich danken. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reschke.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das hört sich ja nach fast zweijähriger Diskussion im Deutschen Bundestag wunderbar an. Ich muß sagen, die Lernfähigkeit ist nicht groß. ({0}) - Aber selbstverständlich. Die werte Kollegin kennt noch nicht einmal ihren eigenen Antrag. Sie schlägt vor, daß im Herbst die Spielhallenindustrie und die Bundesregierung berichten. In II 6 steht, daß binnen drei Jahren über die Auswirkungen der Spielverordnung von 1985 zu berichten ist. ({1}) Fest steht, nach mehr als zweijähriger Debatte, auch in den Gemeinden, ist das einzige, was bisher herausgekommen ist, um dem Boom bei den Spielhallen ein klein wenig die Spitze zu nehmen, eine Erhöhung der Vergnügungssteuer auf Initiative einiger Bundesländer. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen waren bisher nicht in der Lage, den ungebrochenen Expansionsdrang der Spielhallen einzuschränken. Sie waren auch nicht in der Lage, seit der Änderung der Spielverordnung 1985 durch eine Eilnovelle dem Boom irgend etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil, seit der Spielverordnung haben wir festzustellen, daß die Zahl der Anträge auf neue Spielhallen sprunghaft gestiegen ist. Dabei ist die Zahl der Spielautomaten, insbesondere die Zahl der Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten, überproportional gestiegen. Das muß doch irgendwo einen Grund haben. Die Steigerungsrate liegt übrigens jährlich bei fast 28 %. Die Zahl der Automatenbetriebe, also der Spielhallen, lag 1976 bei knapp 1 400. Sie schnellte bis 1986 auf 4 000 hoch und dürfte sich heute nach meiner Schätzung auf um 5 000 eingependelt haben. Sie wird sich nach meinen Erkenntnissen Anfang der 90er Jahre noch dramatisch erhöhen. Dies zeigt auch die Zahl der verkauften Spielgeräte. Lag sie 1985 bei der Änderung der Spielverordnung noch bei 80 000 im Jahr - Spielgeräte zur Erneuerung -, so lag sie 1987 und 1988 bei 105 000 bzw. 110 000 im Jahr. Man sieht den Erneuerungsbedarf, aber nicht nur durch Ablauf des Wirtschaftsgutes, sondern auf Grund der gestiegenen Zahl der Spielhallen. ({2}) Diese Entwicklung hatte für die Spielhallenbetreiber enorme Umsatzsteigerungen zur Folge. Heute kann von einem jährlichen Gesamtkasseninhalt von mindestens 3 Milliarden DM ausgegangen werden. Die Geldspielautomaten machen übrigens etwa die Hälfte davon aus, also einen Umsatz von 1,3 Milliarden DM bis 1,5 Milliarden DM. Die gesamte Branche - einschließlich da, wo der Graf Lambsdorff im Aufsichtsrat sitzt -, also Automatenhersteller und -großhandel, setzt 4,5 Milliarden DM um. Die Gewinnmöglichkeiten scheinen für die Betreiber von Spielhallen aber im Einzelfall sicherlich noch sehr viel höher zu sein. So gab ein Spielhallenbetreiber bei einem nach Versagen einer Genehmigung geführten Amtshaftungsprozeß seinen entgangenen Jahresgewinn mit durchschnittlich über 200 000 DM an. Auf die Gründe dazu will ich gleich kommen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höffkes?

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber bitte schön, wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Peter Wilhelm Höffkes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000916, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Reschke, wären Sie so freundlich, auch die parallele Entwicklung der staatlichen Kasinos aufzuzeigen, wo das Glücksspiel genauso gepflegt wird wie in den privaten Spielhallen? Wären Sie geneigt, einmal aufzuzeigen, wie sich diese Entwicklung in Ihrem von der SPD geführten Bundesland Nordrhein-Westfalen vollzogen hat? ({0})

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wäre dazu gerne bereit, wenn Sie dazu bereit sind, hier die gleichen Besteuerungsund Abschöpfungsinstrumente wie bei den staatlichen Spielkasinos gelten zu lassen, nämlich bis zu 80 %. Dann wäre ich dafür. ({0}) In vielen Städten sind schon schwere städtebauliche Schäden entstanden. Ich will nur auf die Verödung von Einkaufsstraßen hinweisen, aber auch auf die vielen Situationen in den Nebenzentren, wo schon Billigmeilen entstanden sind. ({1}) Die Ursachen des dramatischen Anstiegs der Spielhallen in unseren Städten liegen allein in den mangelnden baurechtlichen Möglichkeiten, Spielhallen auszuschließen, in den Wettbewerbsverzerrungen durch steuerliche Bevorteilung der Spielhallenbetreiber, in der gewerberechtlichen Auslegung der Zulassung einer übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs und in der Spielverordnung in der Fassung der Änderung von 1985, die es Spielhallenbetreibern ermöglicht, noch bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts hinein auf 4,5 m2 drei Geldspielgeräte zuzulassen. Die Spielverordnung, die 1985 erlassen wurde, sollte dazu dienen, den Spieltrieb einzudämmen. Was ist herausgekommen? - Das muß man sich einmal vor Augen führen: Jeder weiß, daß die neue Spielverordnung nur noch auf 15 qm ein Geldspielgerät zuläßt, maximal zehn Automaten in der Halle. Die alte Verordnung sah vor, daß je Halle drei Geldspielgeräte zulässig waren. Da fragt sich jeder: Woher kommt eigentlich der Boom? Da muß man einmal in eine Spielhalle hineingehen, gucken, wie sie aussehen und fragen, wie die Vorschrift übergangen worden ist. Das sieht in der Praxis folgendermaßen aus: Ladenlokal, 60 qm in zehn Zellen a 4,5 qm aufgeteilt, davor ein Aufsichtsraum. Jeder weiß genau: auf 60 qm 30 Geldspielgeräte. Wer diese Entwicklung beobachtet hat, wird feststellen: Hier geht es nicht um die Gaststätten, sondern hier geht es ganz allein um die extensive Ausnutzung des Spieltriebs über Spielhallen, und die wollen wir - das sagen wir ganz deutlich - in vieler Art ein- I schränken. Seit dem 1. Januar 1986 sind Spielhallen dieser Art nicht mehr zulässig. Aber da beginnt das Problem: Die Übergangsfrist bis 1992 bzw. 1996 zeigt hier ihre Wirkung; denn zwei Drittel dieser Spielgeräte dürfen noch bis 1992 hängen, der Rest muß bis 1996 abgebaut sein. Diese Übergangsfristen haben die eigentliche Expansionskraft und die Ertragskraft der Spielhallen erbracht, weil alle Betreiber Spielhallen nach neuem Typ aufgebaut haben und die alten entsprechend der Spielverordnung von 1985 beibehalten haben. Wenn früher auf 60 qm 30 Geldspielgeräte standen und heute auf 150 qm nur noch zehn Geldspielgeräte zulässig sind, kann sich jeder genau ausrechnen, wo der tatsächliche Expansionsdrang jetzt bis 1992 - der ersten Frist der Reduzierung - und dann von 1992 bis 1995 - der Zeit des Abbaus der Spielhallen alten Typs - liegen wird. Wenn Sie heute keine einschneidenden Maßnahmen beschließen, werden wir noch erleben, daß wir eine zweite Welle von Neugründungen nach der vornehmen Zurückhaltung der Spielhallenbetriebe in 1988/89 bekommen werden. Wenn das Baugesetzbuch nicht geändert wird, wird ein Boom von neuen Spielhallen wieder einsetzen, der sich gewaschen hat. Als Hauptursache der übermäßigen Expansion und des übermäßigen Bestandes in unseren Städten und Gemeinden hält die SPD-Bundestagsfraktion diese Übergangsfristen in der Spielverordnung. Wir schlagen vor, diese unangemessenen Fristen - die übrigens noch nicht einmal die Kraftwerksindustrie bei ihren Milliardeninvestitionen zur Entschwefelung bekommen hat - unverzüglich zu streichen und die Spielhallen alten Typs endgültig 1992 auslaufen zu lassen. Dies allein genügt allerdings nicht, um Spielhallen zu verhindern oder eventuell hier und da einige abzubauen. Die zweite Ursache der Expansionskraft und des Expansionsdranges sind die steuerlichen Instrumentarien. Ich will darüber nicht urteilen und sage: Da, wo gesetzliche Spielräume ausgenutzt werden können und ausgenutzt werden, hat der Gesetzgeber darauf zu achten, daß erkannte Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. Ich darf in diesem Zusammenhang den Bundesrat zitieren, der auf Grund eines einstimmigen Beschlusses der Länderfinanzminister im Juli 1988 festgestellt hat: Die zunehmende Ansiedlung der Spielhallen in innerstädtischen Geschäftsbereichen und Fußgängerzonen und damit verbunden die Verdrängung angestammter Geschäfte läßt vermuten, daß der Betrieb der Spielhallen weit einträglicher ist, als dies nach den bisherigen steuerlichen Erkenntnissen angenommen wurde. Was steckt hinter diesem Satz? - Die schlichte und einfache Erfahrung und Wahrheit, daß es heute hochtechnologische Automaten gibt, die mit dem Wettbewerbsvorteil versehen sind, daß der Einwurf - also der Umsatz dieser Geräte - noch per Hand gezählt wird. Verzählen ist hier übrigens ausgeschlossen, allerdings sieht die CDU auch hier Anreize zum „Schwarzgeldinkasso". Dies gestatten wir noch nicht einmal Taxifahrern bei der Bemessung und Festlegung des Umsatzes oder irgendeinem Tante-Emma-Laden. Die dritte Ursache: Die städtebaulich nicht vertretbaren Nutzungen können mit dem derzeit vorhandenen rechtlichen Instrumentarium - also den Möglichkeiten des Baugesetzbuches - nicht wirksam verhindert werden. Das Baugesetzbuch sieht zwar den einfachen Bebauungsplan vor, Kollege Dörflinger, aber eine Stadt mit 400 000 bis 600 000 Einwohnern muß zur Abwehr von unerwünschten Vergnügungsbetrieben derzeit mindestens 50 bis 60 Bebauungspläne bearbeiten, eine Zumutung vom Gesetzgeber her, die unerträglich ist. Auf die sich daraus ergebende Regelungslücke sollten wir achten. Eine weitere Regelungslücke im Baurecht ergibt sich daraus, daß die Baunutzungsverordnung nur in durch Bebauungsplan festgelegten Gebieten gilt. Sie gilt nicht in den überwiegend unbeplanten Innenbereichen unserer Städte, die den größten Teil unseres Siedlungsraumes ausmachen. Deswegen sagen wir, genau wie der Bundesrat: Die Novelle zur Baunutzungsverordnung allein reicht nicht aus; das Baugesetzbuch muß geändert werden. Nach mehr als eineinhalbjähriger Beratung in den Fachausschüssen legen die Koalitionsfraktionen dem Deutschen Bundestag jetzt ein Kompromißpapier vor, nach meiner Auffassung - so kann man es auch in vielen Passagen nachlesen - wohlabgestimmt mit der Spielhallenindustrie, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Jeder fragt sich natürlich: Warum mußte so ein Papier, das dem Bundestag heute vorliegt, eigentlich in einem Koalitionsausschuß beraten werden, fernab von den Experten der Fachausschüsse? Ich kann dies nicht anders werten. Ich will nur sagen: Zur Verhinderung von negativen städtebaulichen Auswirkungen weist der Antrag der CDU/CSU wenig aus. In ihrem Antrag wollen CDU/CSU und FDP davon ablenken, daß für die Spielhallenflut in Wahrheit die Spielverordnung und nicht etwa die Risikoleiter am Automaten oder die Münzspeicherung verantwortlich ist, wie Sie es meinen, Kollegin Verhülsdonk. Die Koalition will von besonderer steuerlicher Ertragsfähigkeit - Schwarzgeldinkasso haben Sie es genannt - bei Spielhallenbetreibern in vielen Bereichen ablenken. Anstatt sofort, wie Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben, den Multiplikator zur Umsatzsteuerbemessung zu erhöhen - die Bundesregierung mußte in der Antwort auf eine Anfrage selbst zugeben, daß der Multiplikator hinsichtlich des in den Geldspielautomaten verbliebenen Geldes nicht 1,5 sein dürfte, sondern daß 3,1 angemessen wären - , gehen Sie dazu über, wieder Übergangsfristen zu suchen. In Fachkreisen spricht man ja schon davon, daß die CDU/CSU, einschließlich FDP, dabei ist, Schwarzgeldinkasso durch entsprechende Ausgestaltung der Übergangsfristen - die haben Sie in Ihrem Antrag vorgesehen - zu ermöglichen. Der CDU/CSU ist auch nicht aufgefallen, daß Städte und Gemeinden wegen der besonderen Rechtsunsicherheit vor Ort schon Millionen an Schadensersatz an Spielhallenbetreiber haben zahlen müssen. Bei den Bemühungen, städtebauliche Nachteile durch Spielhallen zu verhindern, sind Entschädigungszahlungen von einigen hunderttausend Mark wegen einer versagten Genehmigung oder eines verlorenen Prozesses keine Seltenheit. All diese Probleme löst der Antrag der Koalitionsfraktionen nicht. Wir haben deshalb einen Änderungsantrag vorgelegt, weil Sie unsere Vorschläge in den Ausschüssen abgewiesen haben. Unsere Ziele lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen, die dann instrumentalisiert werden: Erstens. Es muß den Kommunen ein wirksames Instrument zur Steuerung und zur Begrenzung der Spielhallenflut an die Hand gegeben werden. ({2}) Zweitens. Wettbewerbsverzerrungen müssen abgebaut werden. Wir sind der Meinung: Es ist dringend notwendig, das Baugesetzbuch nicht nur im Zusammenhang mit Ausschließungsmöglichkeiten über Bebauungspläne, sondern auch im Zusammenhang mit unbeplanten Ortsteilen so zu ändern, daß die Gemeinden die tatsächliche Entscheidung vor Ort haben. Wir stimmen der Empfehlung des Bundesrates zu. Wir treten dafür ein, daß die Übergangsfristen in der Spielverordnung - natürlich unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes - auf 1992 begrenzt werden. Wir fordern sofort die korrekte umsatzsteuerliche Erfassung bei der Neuanschaffung von Geldspielgeräten durch Einbau von Zählgeräten. Bei Altgeräten stellen wir die Nachrüstung frei. Bei nicht nachgerüsteten Altgeräten allerdings muß der Multiplikator entsprechend den Empfehlungen der Gerichte, des Bundesrechnungshofes und den Erkenntnissen der Bundesregierung sofort erhöht werden. Die SPD-Bundestagsfraktion tritt dafür ein, einen wirksamen Mieterschutz für Geschäftsraummieter durchzusetzen. ({3}) Wir freuen uns, daß CDU/CSU und FDP unsere Vorschläge zur Frage des pathologischen Glücksspiels und zur Frage der Umfeldkriminalität deckungsgleich übernommen haben. Auch Bundesländer, so füge ich hinzu, können in der Frage des Gaststättengesetzes und der Frage einer einheitlichen Vergnügungssteuer noch einiges tun. Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns geht es nicht um ein Verbot von Spielhallen. Uns geht es um die Verhinderung der Verdrängung von Stadtstrukturen und um die Verhinderung einer übermäßigen Ausnutzung der Gewerbefreiheit. Vor allen Dingen aber geht es uns um Rechtssicherheit. Uns geht es darum, daß die Entscheidungen, wo, wie und wann eine Spielhalle errichtet wird, im Abwägungsprozeß der Gemeinden, in der Planung vor Ort stattfinden. Wir wollen die ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile über das Steuerrecht und die Gewerbeordnung abbauen. Es liegt daher an Ihnen, unseren Änderungsvorschlägen zuzustimmen. Ansonsten, sagen wir Sozialdemokraten voraus, werden die Instrumentalisierungen - die lammfromm sind - , die Sie vorgenommen haben, nicht genügen, um Anfang der 90er Jahre einen weiteren Spielhallenboom zu verhindern. Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Reschke, wir werden auch der Neufassung Ihres Antrags, wie er sich heute als Änderungsantrag stellt, nicht zustimmen können. Wir haben uns sehr sorgfältig überlegt, was notwendig ist, was machbar ist und was im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung vertretbar, zulässig und geboten ist. Meine Damen und Herren, wenn man die Überschriften der Anträge und die emotionalen Stichworte liest, die diese Debatte prägen, dann kann man fast zu dem Eindruck kommen, wir führten hier eine Sachdebatte im Wattenmeer. Insbesondere die Sozialdemokraten, aber zum Teil auch unser Koalitionspartner kann gar nicht oft genug den Dammbau gegen die Spielhallenflut fordern. ({0}) Deichgraf werde hart, und die Republik wird moralisch: Das scheint die Quintessenz der Debatte zu sein. Insbesondere Kommunen und Kommunalpolitiker befassen sich mit zunehmender Intensität mit dem Thema Spielhallen. Dabei weiß doch jeder, der sich sachkundig gemacht hat, daß Spielhallen nicht die Lasterhöhlen unserer Kommunen sind, sondern schlicht normale Bestandteile städtischen Lebens.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal, Herr Kollege Lüder?

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Westphal, gerne.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lüder, können Sie sich nicht vorstellen, daß es auch ein Mittelstandsproblem ist, daß kleine Ladenbesitzer durch mehr Miete zahlende Spielhallenbesitzer verdrängt werden, und daß das nicht nur ein moralisches Thema, sondern ein wirtschaftspolitisch sehr im Sinne Ihrer Partei liegendes Thema ist?

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Westphal, gerade weil ich mir dies nicht vorstellen konnte, bin ich diesen Überlegungen und Angaben nachgegangen und habe festgestellt, daß, glaube ich, ungefähr zehnmal so viele Einzelhandelsbetriebe aufgegeben haben, wie Spielhallen überhaupt vorhanden sind. Also ist die Kausalität hier falsch. Das ist einer der Gründe, warum wir hier einen Forschungsauftrag vorsehen wollen. ({0}) - Sie müssen Zahlen nicht glauben, Sie sollten aber mit Zahlen rechnen, dann machen wir bessere Politik. ({1}) Meine Damen und Herren, die Anhörung im Wirtschaftsausschuß - sie hat zu einem sehr umfangreichen Papier geführt - zur Spielhallenproblematik und deren Auswertung gab uns einen wesentlichen Beitrag zur Sachlichkeit und Aufrichtigkeit in der Diskussion um die Spielhallen. Sachlichkeit gebietet, die stadtplanerischen Fragen des Städtebaurechts von der individuellen, durch die eigenen Moralmaßstäbe geprägten Beurteilung des Automatenspiels zu trennen. Wer, wie ich, Spielhallen fast nur von außen kennt, muß doch akzeptieren, daß diese Geschäfte überall ihre mündigen Kunden finden. Darüber kann auch die Polemik nicht hinwegtäuschen, wenn mancher glaubt, eine ganze Branche rechtlich „verpflichten" zu können, Spielhallen nicht mit „phantasievollen Namen" wie „Spielcenter" oder „Freizeitcenter" bezeichnen zu dürfen. Diese Verbotsüberlegungen kamen ja einmal aus einem Hause dieser Bundesregierung. Wir haben auch zur Kenntnis zu nehmen, daß es hier nicht um ein Jugendschutzproblem gehen kann. In Spielhallen gibt es keinen Alkohol. In Spielhallen dürfen nur Erwachsene hinein. Jugendschutz und Alkoholverbot kombiniert - bei welcher Vergnügungsstätte in unserer Republik gibt es das schon? In der gesamten langen Debatte, in der Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuß, in den parlamentarischen Erörterungen, in den schriftlichen Stellungnahmen - nirgendwo wird der Vorwurf substantiiert erhoben, daß Spielhallen und Spielhallenbetreiber nennenswerte Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz begingen. ({2}) Hier geht es um Erwachsenenschutz, ({3}) und Erwachsenenschutz kennt unsere Republik eigentlich nur im seltenen Ausnahmefall des Betreuungsbedarfs. ({4}) Die Koalitionsfraktionen haben die Punkte, bei denen insbesondere im Interesse unserer Städte, im städtebaulichen Interesse unserer Kommunen Einschränkungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Stadtstruktur notwendig sind, aufgegriffen. Wir haben, um eine Einigung zu erreichen, auch weiteren Einschränkungen der Spielmöglichkeiten zugestimmt. Der Kompromiß, der heute vorgelegt wird, ist für Liberale tragbar. Deswegen stimmen wir zu. Aber ich meine, daß wir Politiker gerade in dieser Frage auch einmal ein Wort zur Aufrichtigkeit sagen sollten. Aufrichtigkeit gebietet, Spielhallen und Spielbanken nicht mit zweierlei moralischem Maß zu werten. ({5}) - Nun seien Sie ganz vorsichtig und fahren Sie vielleicht einmal mit Herrn Kollegen Reschke mit der Straßenbahn zur Hohensyburg und gucken sich an, was dort geschieht. ({6}) - Dann fahren Sie mit dem Auto. Ich bezahle Ihnen notfalls die Taxe, damit Sie sich das einmal angucken können. ({7}) Gucken Sie sich einmal an, was dort in einer staatlich konzessionierten Spielhalle mit einarmigen Banditen los ist. Von mittags - in Berlin von morgens 11 Uhr - angefangen werden dort Umsätze getätigt - in einer einzigen Stätte -, die größer sind als die aus allen Spielgeräten Nordrhein-Westfalens zusammengenommen. Das sind doch die Fakten. Auch daran, Herr Kollege Westphal, mögen Sie vielleicht nicht glauben. Aber an dieser Zahl kommen Sie nicht vorbei. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gern.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In diesem Falle glaube ich Ihnen, Herr Lüder. Bloß bin ich nicht dafür, daß die existieren. Ich bin mit Ihnen Kritiker dieser Sache. Das heißt, ich bleibe auf einem moralisch gleichen Podest.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe bisher nur noch keine Landesregierung, auch keine sozialdemokratische Landesregierung gesehen, die eine staatliche Spielbank eingeschränkt oder geschlossen hätte. Meine Damen und Herren, Aufrichtigkeit in der Auseinandersetzung gebietet nach meiner Auffassung, daß wir auch sehen, daß Spielkasinos Tag für Tag von mittags bis in den späten Abend hinein offen sind, daß hier mit viel größerem Anreiz, mit viel größerem Einsatz, mit viel leichteren Möglichkeiten, mit viel weniger Kontrolle, als wir sie von den Privaten verlangen, die Spielleidenschaft ausgetobt werden kann, und das zum Vorteil der Kassierer im Land und in den Kommunen. ({0}) Z. B. kann man in Berlin zu einem einarmigen Banditen kommen, der Markstücke schluckt. Es gibt noch nicht einmal eine Ausweiskontrolle. Man muß nur ein Schild passieren, auf dem steht, man darf nur hinein, wenn man 21 ist. Dann kann man hinein. Drinnen leuchtet eine Schrift auf, daß man für einen Einsatz von 1 DM 70 000 DM gewinnen kann. Wenn sich der Einsatz pro Minute um 1 DM erhöht, wenn man dort nach zehn Minuten feststellt: das sind schon 10 DM mehr, dann soll man mir bei den 20- oder 30-PfennigGeräten nicht mit Spielsucht oder Spielleidenschaft kommen. Man muß einfach sehen, daß der Staat hier nicht Vormund sein kann. Meine Damen und Herren, wir müssen auch bedenken, daß die Regelung, die wir heute verabschieden, auf dem aufbaut, was früher schon in Kraft gesetzt ist. Das, was der Kollege Reschke gesagt hat, ist hier nicht so ganz zutreffend. Das, was an rechtlicher Regelung in Kraft gesetzt ist, wird erst Wirkungen entfalten. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir heute neue Regelungen beschließen. Wir werden zu beachten haben, daß die bereits heute gültige Spielverordnung ab 1990 die Zahl der Geldautomaten wesentlich einschränken wird. Immerhin wird damit gerechnet, daß 1990 etwa 20 000 und 1995 noch einmal 20 000 Spielgeräte abgebaut werden müssen. Für meine Stadt Berlin ist berechnet worden, daß mehr als 40 % aller Geldspielautomaten schon nach der heute geltenden Regelung in den nächsten Jahren verschwinden müssen. Das geht auf Grund dessen, was in Kraft gesetzt ist. Dann sollte man nicht danach schreien, daß noch mehr getan werden muß. Dann sollte man nicht kritisieren, was bisher schon eingebracht worden ist. Auch gilt es zu sehen, daß das Städtebaurecht Beschränkungen erlaubt, die längst nicht überall angewandt und praktiziert werden. Es muß doch gefragt werden, woran es liegt, daß in einigen Städten die städtebaurechtlichen Instrumente, insbesondere das Mittel des Textbebauungsplanes, angewandt werden, während es in anderen Städten nicht geschieht. Hier haben wir auch Untätigkeit von Kommunen festzustellen. Wir brauchen doch nicht wegen der Untätigkeit einiger Kommunen darauf drängen, daß wir mehr tun müssen, als wir hier als Koalition vorgesehen haben. Meine Damen und Herren, es geht hier um gut 20 Millionen Menschen, die - viele selten, manche häufig - in ihrer Freizeit an und mit Automaten spielen, um 20 Millionen Mitbürger. Es geht auch um 55 000 Arbeitsplätze. Auch das müssen wir sehen, wenn wir dieses Thema seriös angehen. Man muß kein Spieler sein, doch wer spielen will, muß das auch können. Ein Liberaler läßt nicht zu, daß der Staat Vormund der Bürger wird. Freiheitliche Politik heißt für mich, daß sich auch der entfalten darf, dessen Geschäftstätigkeit mir nicht liegt, ja, auch der, dessen Kunde ich nicht sein möchte. Wir schreiben nicht vor, was geschehen soll. Wir wollen Freiräume, damit geschehen darf, was andere möchten. Dabei müssen wir auf die Einhaltung unserer Steuergesetze achten. Hier haben wir notwendigerweise Korrekturen vorgenommen. Wir wollen stadtplanerische Grundsätze berücksichtigen. Das wird hier umgesetzt. Dabei werden wir darauf achten, daß Marktmöglichkeiten nicht mißbraucht werden. Auch dem tragen wir hier Rechnung. Diesen drei Gesichtspunkten trägt der Koalitionsantrag Rechnung. Aber weiter gehen wir nicht. Wollten wir Vormund der Spieler sein, würden wir politisch zu Falschspielern. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Im Gemeinschaftskundeunterricht bespricht man ja auch das parlamentarische System der Bundesrepublik und ist natürlich regelmäßig genötigt, zu erklären, was denn eigentlich Lobbyismus heißt. ({0}) Der Femdwörter-Duden definiert Lobbyismus als „Versuch, Gepflogenheit, Zustand der Beeinflussung von Abgeordneten durch Interessen({1})" - so weit, so theoretisch. Ein hervorragend anschauliches Beispiel für Lobbyismus haben uns die Vertreter der Spielgeräteindustrie in den fast zwei Jahren geboten, in denen das Thema Spielhallenflut die Gremien dieses Hauses beschäftigt. ({2}) Man bedenke oder vergleiche, daß Kleinigkeiten wie die Steuerreform oder gar die Gesundheitsreform dagegen in atemberaubend kurzer Zeit, manchmal wenigen Wochen, abgefertigt wurden. Nun denn, der Eiertanz ist zu Ende, ein Eiertanz vor allen Dingen derer, die so gern der absolut ungezügelten Entfaltung der freien Marktwirtschaft das Wort reden - die FDP ist da ja wirklich unschlagbar -, und derer, die sich zumindest zuweilen noch genötigt sehen, den Sorgen ihrer Bürgermeisterbasis ein Ohr zu leihen. ({3}) Dieser Eiertanz, dieser Kampf der Interessen hat die Beratungen in Sachen Spielhallen doch beträchtlich in die Länge gezogen. Das war eine unvergleichliche Chance für die Lobbyisten in Gestalt der Vertreter der Münzautomatenverbände, sich immer wieder in die Meinungsbildung der Abgeordneten einzuschalten - und das mit einer Penetranz, die im Laufe dieser zwei Jahre nicht an Überzeugungskraft gewonnen hat, jedenfalls mir gegenüber nicht, sondern eher lästig geworden ist. ({4}) Einen Gipfel der - nach den eigenen Worten dieser Industrie - „öffentlichen Meinungspflege" stellt eine Tonkassette dar, die allen Abgeordneten zugeschickt worden ist: Eine kleine Geschichte der Münzautomaten. ({5}) - Ich lasse Sie gerne mal mithören, Herr Hitschler. Sie enthält u. a. folgende Beschreibung der heutigen Spielhallenlandschaft - ich zitiere einmal ein bißchen aus dieser Kassette - : Wer will, kann Spielhallen in zwei Kategorien einteilen. Da gibt es jene zu Recht als Spielhöllen bezeichneten Etablissements, die meist schon von außen durch zugeklebte Fensterscheiben auffallen. Im Inneren drängen sich auf engstem Raum die Spieler um die zahlreichen Groschengräber, die gleich im Dreierverbund in kleinsten Kabinen aufgehängt sind. Beißender Tabakqualm und ein diffuses Licht, das kaum zur Erhellung beiträgt, verdunkeln den Blick auf schmutzige Böden und Wände. Der Neuling schaut hier unwillkürlich nach, ob die Brieftasche noch am angestammten Platz ist. Weiter im Zitat: Von solchen Spelunken heben sich wohltuend die übrigen Spielhallen ab. ({6}) - Herr Kansy nickt. Hier wird nach einer anderen Konzeption gearbeitet. Aus Lautsprechern ertönt leise Musik. In den großen hellen Räumen wurde ein Teppichboden ausgelegt, die Decken sind abgehängt, ({7}) über Spiegel kann die Aufsicht ihre Kundschaft beobachten, überall sind Pflanzen und Glaswände aufgestellt, die den großen Raum in viele Zonen teilen. Alkohol gibt es nicht, dafür aber wird Kaffee gratis angeboten. Das könnte man hier auch mal einführen. ({8}) Das ist eine, wie ich denke, reichlich plumpe Schwarzweißmalerei bzw. besser gesagt: Schönfärberei. Denn natürlich soll diese Art der Beschreibung darauf hinauslaufen, mit der Spielhallenindustrie nur die letztgenannten „Etablissements" in Verbindung zu bringen, die sozusagen den bewährten deutschen Tugenden von Sauberkeit und Ordnung in vorzüglichster Weise entsprechen. Das finde ich aber genauso scheinheilig wie den Versuch - und da stimme ich dem Kollegen Lüder zu - , aus der Spielhallendiskussion den ganzen Bereich der Profite auszugrenzen, die der Staat mit Veranstaltungen wie Lotto, Toto, Klassen-Lotterie oder Rubbelspaß seinen Bürgerinnen und Bürgern aus den Taschen lockt. Jede Art von Scheinheiligkeit ist hier fehl am Platz und dies um so mehr, als trotz der langjährigen Diskussion sich immer noch kaum jemand die Mühe macht, den eigentlichen Ursachen des Spielhallenbooms auf den Grund zu gehen. Wir sind nach den langen Debatten im Ausschuß und auch nach der umfangreichen Expertenanhörung nach wie vor der Ansicht: Erstens. Der Spielhallenboom ist nicht der Auslöser, sondern eine Folge der innerstädtischen Strukturveränderungen, vor allem der Verdrängung des traditionellen Einzelhandels. Man muß etwas gegen die Konzentration des Einzelhandels tun, wenn man dieses Problem bekämpfen will. Zweitens. Wer das Verdienen am Glücksspiel für verwerflich hält, sollte dann auch ehrlicherweise auf Lotteriesteuer- und Spielbankabgaben verzichten. Drittens. Wer hingegen - auch diese Meinung hört man zuweilen - ganze Stadtteile oder sogar das gesamte Stadtgebiet zur spielhallenfreien Zone erklären möchte, sollte sich einmal überlegen, ob ihn vielleicht nicht so sehr diese Vergnügungsstätten selbst stören als vielmehr deren Publikum. Das ist nämlich oft ein Publikum, das nicht zu der kaufkräftigen Gesellschaft gehört, die man so gerne in den revitalisierten, urbanen Innenstädten hätte. Stadtplanung darf nicht zur Ausgrenzung unerwünschter Bevölkerungsgruppen mißbraucht werden. Viertens. Wer den Jugendschutz durch Spielautomaten gefährdet sieht, sollte sich wirklich in erster Linie um den wesentlich höheren Anteil an unkontrollierten Spielgeräten in Gaststätten kümmern. Schließlich: Wem es ernst ist mit der Sorge um die menschlichen, finanziellen und sozialen Konsequenzen des pathologischen Spielverhaltens, der sollte vor allem einmal danach fragen, warum Spielhallen in unserer Gesellschaft für einige Menschen oft zur einzigen und letzten Chance geworden sind, wenigstens ab und zu einmal ein minimales Erfolgserlebnis zu haben. Will sagen: Wer über Arbeitslosigkeit nicht reden will, sollte über sogenannte Spielsucht lieber schweigen. ({9}) Zu der Beschlußempfehlung und dem Änderungsantrag möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Bei der Abstimmung über die Beschlußempfehlung enthalten wir uns. Sie geht uns einfach nicht weit genug. Unseres Erachtens ist sie ziemlich elegant und schlau formuliert, weil Sie im Grunde nur wiedergeben: Es gibt Besorgnisse, es gibt eine Tendenz. Das kann man wirklich nicht leugnen. Insofern sagen wir: Was Sie daraus für Konsequenzen ziehen, geht auf keinen Fall weit genug. Aus dem SPD-Änderungsantrag möchten wir gerne einen Punkt herausnehmen und über ihn getrennt abstimmen, und zwar den Punkt, in dem es darum geht, daß auf Bundesebene unseres Erachtens zu weit gehende Regelungen planungsrechtlicher Art geschaffen werden sollen. Wir denken, daß die Diskussion in den Gemeinden selber geführt werden muß, ob man bestimmte Vergnügungsstätten, die ja nicht nur Spielhallen, sondern auch andere Arten von Vergnügungsstätten betreffen, aus einem bestimmten Stadtgebiet herausnehmen will. Über Punkt II 2 möchten wir getrennt abstimmen, weil wir ihn ablehnen. Dem Rest des Antrages können wir uns anschließen. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Teubner, in dem Punkt des fehlenden Kaffees würde ich Ihnen gerne zustimmen; aber in einigen anderen Punkten unterscheiden wir uns doch voneinander. Herrn Kollegen Lüders würde ich gerne sagen: Wir haben nicht nur eine ordnungsrechtliche Verantwortung, sondern wir haben auch eine sozialpolitische Verantwortung. Für mich sind 20 000 Spielabhängige 20 000 zu viel. Für die Spielhallenbetreiber ist es fünf Minuten vor zwölf. Wenn die Branche nicht umgehend Selbstbeschränkungen praktiziert, wird der Staat zum Schutz seiner Bürger sein Instrumentarium weiter verschärfen müssen. Die Massierung von Daddelhallen von Flensburg bis Passau ist eine Sache, die die Bürger auf die Barrikaden bringt. Eltern sehen das Zocken als gefährliche Freizeitverlockung. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Erzieher warnen vor einer Verarmung von Gespräch, Gestaltungsvielfalt und Geselligkeit durch die moderne Spieltechnologie. In Vorbereitung dieser Sitzung bin ich in mindestens 50 Spielhallen gewesen und kenne mich inzwischen darin langsam aus. Kommunalpolitiker befürchten mit Recht einen Qualitätsverlust ihrer Gemeinde. Spielhallen, deren Boom - nach Angaben des Ifo-Instituts - seit 20 Jahren erstmalig gebrochen worden ist, werden oft mit Lärm und Last in Verbindung gebracht, weniger mit Vergnügen und Freizeitfreude. Die Hinweise der Experten, daß wir zur Zeit im Jahr 600 Millionen DM an Therapiekosten für Spielabhängige aufbringen müßten, müssen wir als ernste Mahnung nehmen. Die Sogwirkung von Automaten ist wirklich vorhanden. Wir müssen sehen, daß diese Sogwirkung dazu beiträgt, daß es Spieler gibt, die das Fummeln am Automaten bereits als eine Art von Droge empfinden. Es gilt zu lenken, wo Spielhallen beginnen, das Stadtbild zu beherrschen. Es gilt, den Maßnahmenkatalog, den wir von der Koaliton gemeinsam vorgelegt haben, Punkt für Punkt in allen sieben Punkten durchzuführen und mit Punkt 8 - da irrt sich Herr Kollege Reschke - der Berichtspflicht noch in diesem Jahr dazu beizutragen, daß Verbindlichkeit und Konkretisierung durchgesetzt werden. Die Kontrollfunktion des Parlaments kann und wird hier auch einsetzen. Die Koalition bleibt mit ihrem Antrag in der Wirtschaftsordnung und in der Rechtsordnung unseres Landes. Es gibt mit uns, Herr Kollege Reschke, keine Verbotsstrategie. Denn wer wie Sie den Nutzungsausschluß fordert, radiert damit in letzter Konsequenz das Automatenspiel aus. Wer den Nutzungsausschluß will, verketzert in der Konsequenz Vergnügungsstätten, wo allein 20 Millionen Erwachsene im Jahr Reiz und Spannung, Ablenkung und Abwechslung suchen. Wer den Nutzungsausschluß will, will dem mündigen Bürger unseres Landes die Freizeit verordnen. Mit uns geht das nicht. Wir wollen auch die Freiheit in der Freizeit garantiert wissen. Verbote verlagern nur das Spiel in Hinterstuben und in den Untergrund. Das kann niemand wollen. Deshalb war bereits im Konzept der Spielverordnung 1985 die Zielrichtung, Fehlentwicklungen zu unterbinden, die Gewerbefreiheit aber zu garantieren. 22 000 Automaten werden in den nächsten Jahren abgebaut werden. 1 000 Spielhallen werden endgülBörnsen ({0}) tig vom Markt genommen. Das bedeutet, daß damit auch wirklich ein Erfolg mit der Spielverordnung von 1985 erzielt werden wird. Von den neuen Anträgen entfallen alleine 50 % auf Nordrhein-Westfalen. Man muß dabei sehen, daß es eine ganze Reihe von Kommunen und von Ländern gibt, die eine ganz andere Anwendung der bisher bestehenden möglichen Gesetze praktizieren. Wie kommt es denn, daß in München auf eine Spielhalle 32 000 Einwohner fallen, in Oberhausen 834? Warum hat Stuttgart 45 Spielhallen, aber Duisburg mit gleicher Größe 200? Warum hat Baden-Württemberg ein Verhältnis von 15 700 Bürgern pro Halle und Schleswig-Holstein von 2 002? Hier haben auch die Kommunen eine Verantwortung. Für die unterschiedliche Bewilligungspraxis ist Bonn nun wirklich nicht zuständig. Auch Sperrzeitenregelungen und Stellplätze sind eine Sache in der Kompetenz der Länder. Auch sie haben hier Verantwortung zu tragen. Wir erwarten neben den steuerlichen und neben den baurechtlichen Maßnahmen, die jetzt in unserem Antrag durchgesetzt werden sollen, von der Branche die strikte Einhaltung der Gewinnspielobergrenzen, eine deutliche Reduzierung der Risikotasten und des Münzspeichers, die Unterbindung des Spielens an mehr als zwei Geräten, den Stundentakt bei Dauerspielen und einen Rückbau der aggressiven Werbung. Ich glaube, das ist einhaltbar, wenn man dieses Spiel auch in Zukunft sichern will. Die Branche hat dafür Möglichkeiten. Mit einem Umsatz von 4,3 Milliarden DM im Jahre 1987 und mit 80 400 neuen Geräten hat man wirklich eine Voraussetzung, um dann auch diesen Bindungen zu entsprechen. Ich glaube sehr wohl, daß es möglich ist, im Freizeitbereich so vorzugehen, daß wir alle dazu beitragen, daß wir zu einer neuen Freizeitkultur kommen, in der nicht das perfektionistische Gewinnspiel im Mittelpunkt steht, sondern andere wichtige Freizeitmaßnahmen. Sie können, wenn sie Kommunikation und Kreativität ansprechen, eine Hilfe sein, sich in der Zeit zurechtzufinden, in der man nicht arbeitet. Sie können zum Ausgleich, zur Muße und zur wirklichen Lebensfreude beitragen. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Herr Kollege Reschke hat wieder das Wort. ({0})

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe sehr genau zugehört und habe versucht, herauszufiltern, wo und wie die CDU/CSU, die ja auch eine starke kommunalpolitische Vereinigung hat wie wir, eigentlich den Gemeinden vor Ort helfen will oder wo sie den Gemeinden vor Ort Hilfestellung leisten will. Erstens. Sie handeln entgegen den Empfehlungen des Bundesrates, der auch ein bißchen Ahnung von Gemeindepolitik vor Ort hat, und widersetzen sich den Empfehlungen des Deutschen Städtetages, das Baugesetzbuch, insbesondere den § 9 des Baugesetzbuches, zu ändern - nach unserer Auffassung sollte auch der § 34 geändert werden -, um in den unbeplanten Innenbereichen rechtswirksam und auch mit Rechtssicherheit die Grundlage für Änderungen in der Baunutzungsverordnung zu geben. Zweitens. Sie gehen an das ganz, ganz dicke und große Problem nicht heran, nämlich an die Spielverordnung, wo die tatsächliche Zunahme der Anzahl der Geldspielgeräte und die tatsächliche Zunahme der Anzahl der Spielhallen zu suchen ist. Die Spielhallenindustrie hat sich unmittelbar nach Erlaß der Spielverordnung von 1985 daran gesetzt, anstatt auf 4,5 qm drei Geräte oder auf 60 qm 30 Geräte in Zukunft auf 150 qm zehn Geräte anzubieten. Es gibt zwei markante Punkte, auf die Sie hier keine Antwort geben. Erstens: Am 31. Dezember 1991 müssen Tausende von Spielhallen alten Typs schließen. Ich frage: Wo ist Ihre Antwort? Daß die Spielhallenindustrie die Geräte dann woanders hinhängen will, ist doch wohl jedem klar. Wir müssen insofern Vorsorge betreiben, als wir den Anstieg der Zahl der Spielhallen im Zeitraum zwischen 1985 und 1991 durch Ausdünnung der Zahl der Spielhallen alten Typs bremsen. Zur Zeit werden Spielhallen neuen Typs mit einer Fläche von 150 qm und mehr gebaut, auch im Hinblick auf die Auslauffrist 1995. Insofern sagen wir ganz deutlich: Machen Sie endgültig Schluß mit diesen unangemessenen Übergangsfristen - ich habe es eben schon gesagt - , die noch nicht einmal die Kraftwerksindustrie im Zusammenhang mit der Entschwefelung zugestanden bekam. Über 10 Jahre Übergangsfrist bei einer neuen Verordnung - das ist in vielen Bereichen doch wohl mehr als unanständig. Bei allem Vertrauensschutz, den der Gesetzgeber leisten muß, sagen wir auch - wir würden sie am liebsten schon morgen kappen, um Ruhe an der Front zu haben - : 1991/92 lassen wir sie auslaufen. Aber dann muß Schluß mit dem Theater der Neugründungen von Spielhallen sein. Ein zweiter Punkt betrifft die pflaumenweiche Formulierung im Bereich des Schwarzgeldinkassos. Ich zitiere wieder den Antrag der CDU/CSU; „Schwarzgeldinkasso" ist nicht mein Wort. Ich will niemandem etwas Falsches unterstellen. Deswegen spreche ich von einer Wettbewerbsverzerrung. Warum Sie, obwohl der Bundesgerichtshof, eine staatliche Prüfungsstelle, festgestellt hat, daß nur die Hälfte des Umsatzes steuerlich erfaßt wird, nach Ihrem Antrag Übergangsfristen gewähren wollen, leuchtet keinem vor Ort mehr ein. Das ist ein weiterer großer Fehler, den Sie machen. Es gibt keine politische Alternative, als erstens den Anstieg der Zahl der Spielhallen zu stoppen und zweitens die Verslumung, die mittlerweile in vielen Straßenzügen und in vielen Stadtteilen festzustellen ist, abzubauen. Wir müssen nicht nur den Boom bei der Errichtung neuer Spielhallen stoppen, sondern wir müssen auch den Gemeinden die Instrumente an die 10122 Deutscher Bundestag - l 1. Wahlperiode Reschke Hand geben, gegebenenfalls einige Spielhallen zu schließen, weil unerwünschte städtebauliche Entwicklungen große Schäden vor Ort verursachen, bis hin zu Sanierungsinvestitionen. Alle diese Probleme lösen die Vorschläge der Koalitionsfraktionen nicht. Insofern bitte ich recht herzlich, den Empfehlungen des Bundesrats und unseren Empfehlungen, die noch maßvoll sind, in Ergänzung zu dem zuzustimmen, was wir schon in den Fachausschüssen vorgeschlagen haben. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dörflinger.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Reschke, wir haben die anderthalb Jahre, die zwischen der Vorlage des ersten Antrags und der heutigen Debatte liegen, natürlich nicht zu Rubbelspielen benutzt, sondern wir haben diese anderthalb Jahre benutzt, um uns selber problembewußter zu machen und zu sehen, daß wir damit auch auf das zu reagieren haben, was aus der Bürgerschaft, aus unseren kommunalen Vertretungen an Besorgnissen kommt. ({0}) Herr Kollege Lüder, ich kann es mir nicht ganz verkneifen: Vielleicht hängt die mangelnde Sensibilität unseres Koalitionspartners auch mit der Stärke oder dem Nichtvorhandensein mancher Ratsfraktion zusammen. Meine Damen und Herren, wir haben aber auch gesehen, daß wir es mit einer differenzierten Situation und auch mit differenzierten Ursachen zu tun haben. Es ist ja interessant, daß sich der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG in einer komischen Kumpanei mit der Automatenindustrie befunden hat, was diese Probleme angeht. ({1}) Mit derselben Differenziertheit sollten wir auch die Frage beantworten: Was können wir tun, was können wir nicht tun? Wir können bestimmt nicht verbieten, wir können ein Gewerbe nicht erdrosseln, wir können das Städtebaurecht - das ist mein Thema - nicht zum Instrument des wirtschaftlichen Wettbewerbs oder der wirtschaftlichen Lenkung machen. Das verbietet auch das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1987. Baurechtliche Maßnahmen sind möglich, baurechtliche Maßnahmen sind notwendig, wenn es um die Lösung städtebaulicher Probleme geht - wir haben eben darüber diskutiert -, bei negativen Einflüssen auf die Wohnnutzung oder auf sensible Nutzungen wie beispielsweise beim Schutz sozialer Einrichtungen, beispielsweise von Schulen, wenn es um die Gefahren für die Attraktivität und das Niveau bestimmter Innenstadtbereiche geht, wenn es um die Verdrängung von Einzelhandelsgeschäften aus angestammten Quartieren geht. Nur, meine Damen und Herren, mit diesen Problemen und Problemstellungen haben wir uns anläßlich der Beratung des Baugesetzbuches ja bereits befaßt: durch die Konzentration dieses Gesetzes auf den Innenbereich, durch die Ergänzung des Instrumentariums - etwa durch die Aufwertung des einfachen Bebauungsplanes - und durch das Ausdehnen des Instrumentariums der Veränderungssperre auch bei Nutzungsänderungen. Herr Kollege Reschke, zugegeben, das erfordert Verwaltungskapazität. Aber wer ordnen will, der muß sich halt auch dieser Mühe unterziehen. Sie verschweigen, daß Sie als Alternative ein Instrument vorschlagen, das eben auch den Bebauungsplan erfordert. Meine Damen und Herren, die Union und die Koalition schlagen vor, dieses bereits geschaffene baurechtliche Instrumentarium durch eine Ergänzung der Baunutzungsverordnung zu komplettieren, die nach den Zusagen des BMBau noch in diesem Jahr wirksam werden soll. Meine Damen und Herren, was wollen wir? Wir wollen den Ausschluß. Wir wollen nicht, daß Spielhallen und Vergnügungsstätten in vorwiegend von „Wohnen" geprägten Gebieten entstehen. Da soll von vornherein ein Ablehnungsgrund bestehen. Wir wollen eine flexible Reaktion in Gebieten, die gemischt strukturiert sind, wobei zu beachten ist, daß sich unsere Möglichkeiten durch den Gesichtspunkt des § 15 der Baunutzungsverordnung verstärken, der dort, wo eine Häufung und damit eine zu starke Konzentration bestimmter Einrichtungen droht, den Gemeinden auf Grund dieses Tatbestandes die Möglichkeit gibt, abzulehnen. Meine Damen und Herren, wichtig ist dabei, daß mit dem Inkrafttreten der Novelle zur Baunutzungsverordnung die neu geplanten Vorschriften über die durchgreifende Wirkung des § 34 Abs. 2 des Baugesetzbuches eben auch im nicht überplanten Innenbereich gelten und dadurch dort die Aufstellung eines Bebauungsplanes eben nicht mehr erforderlich wird. Ich habe bereits gesagt: Es hat bei mir gewisse Sympathien für das gegeben, was der Bundesrat und die sozialdemokratische Fraktion in Ergänzung des § 9 vorschlagen. Ich gebe zu, die FDP hat diese Sympathie gebremst, aber noch stärker ist diese Sympathie durch das gebremst worden, was durch rot-grüne Mesalliancen in einigen Städten in der Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist und was natürlich auch die Gefahr beinhaltet, ({2}) daß man dieses Instrument mißbräuchlich einsetzen könnte. Denn was heute Vergnügungsstätten sind, das könnte in den Augen der Ideologen morgen auch etwas anderes sein. ({3}) Das hat meine persönliche Sympathie für diesen Vorschlag wesentlich gebremst. Ich fasse zusammen: Wir bieten ein baurechtliches Instrumentarium an, von dem wir glauben, daß es den Gemeinden Hilfestellungen gibt. Es liegt jetzt an den Gemeinden, das, was wir vorgeben, konkret umzusetzen, um damit - und das betone ich noch einmal Dörflinger sensibel und wirklichkeitsnah auf ein tatsächlich vorhandenes Problem zu reagieren. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele von Ihnen wissen, habe ich vier Jahre Kommunalpolitik - im Kreistag und in der Stadtverwaltung - in meinem heimischen Schleswig-Holstein gemacht. Bereits dort wurde ich mit diesem Problem konfrontiert; und nicht nur da, bei dieser Tätigkeit, sondern auch bedingt durch meinen beruflichen Hintergrund. Von daher möchte ich einige Ausführungen zu dieser Problematik und zu dem, was uns die Bundesregierung jetzt vorschlägt, machen. Die erhebliche Ausdehnung der Spielhallen, die sich in den letzten zehn Jahren vollzogen hat, bringt eine Menge - zum Teil neuer - Probleme mit sich, die es anzupacken gilt. In den vergangenen Jahren sind die Spielhallen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie siedeln sich in erster Linie in den Innenstadtbereichen an, wo sie sich einen entsprechenden Publikumszustrom erhoffen. Je nach der Anzahl der Spielhallen verändert sich das Stadtbild. Kleinere Geschäfte werden verdrängt. Aus ehemaligen Geschäftsstraßen kann ein Viertel werden, das einem Vergnügungsviertel ähnelt, weil Spielhallen bekanntermaßen auch andere Unternehmen der Freizeitbranche, so auch Gaststätten, Kinos etc. anziehen und so die Struktur des gesamten Viertels ändern können. - Damit möchte ich keine Gegenrede zu dem sehr liberalen Ansatz gemacht haben, der von der GRÜNEN-Vertreterin hier vertreten worden ist. - Dennoch, dadurch werden auch die Bewohner - jedenfalls ein bestimmter Teil - quasi vertrieben. Die Städte sehen diese Entwicklung mit Besorgnis, können aber eigentlich gegen die Errichtung einer Spielhalle nichts tun, wenn die Vorschriften der Gewerbeordnung und die allgemeinen Ordnungsvorschriften von den Betreibern eingehalten werden. Städtebaulich ist ein Eingreifen nicht oder kaum möglich, wenn die Betriebe dem Bebauungsplan bzw. dem Bauordnungsrecht entsprechen. Viele - besonders kleine - Gemeinden mußten daher die Spielhallen hinnehmen, obwohl sie eigentlich die Vertreibung aus ihren meist historisch gewachsenen Stadtkernen gern verhindern würden. Daher ist es zu begrüßen, daß die Baunutzungsverordnung und das Baugesetzbuch so geändert werden, daß es den Gemeinden erleichtert wird, unerwünschte Spielhallen im Einzelfall, wenn schon nicht im Weg der Konzessionsversagung, so doch auf dem Weg des Baurechts, zu untersagen. Verstehen Sie das ruhig als ein gewisses Lob. Die Bebauungsplanverfahren sind zum Teil sehr kompliziert und langwierig. Sie können auch nicht immer allein verwirklicht werden, da andere Gebietskörperschaften oder Aufsichtsbehörden Mitwirkungsrechte haben. Die Baunutzungsverordnung ist nicht überall anwendbar. Eine andere baurechtliche Eingriffsmöglichkeit muß daher geschaffen werden. Mir ist die Problematik, die sich wegen der herrschenden Gewerbefreiheit und der Anpassung, für die vor allem Herr Lüder für die Maklerpartei in diesem Hohen Haus eine Lanze gebrochen hat, an die steigenden Freizeitbedürfnisse der Spielenden ergibt, durchaus bewußt. Andererseits kommen auch Gesichtspunkte des Jugendschutzes und der Verfolgung der sogenannten Spielsucht - ob es wirklich eine Sucht ist, ist sicher strittig - zum Tragen. Attraktivere und am besten preiswerte oder kostenlose Freizeitaktivitäten sollten angeboten werden, die die Kommunikationsarmut, die eh schon herrscht, nicht zusätzlich einschränken. Aber auch der enorme wirtschaftliche Faktor darf nicht übersehen werden. Das macht Initiativen zur Eindämmung der Spielhallenflut so schwierig. Da die Spielhallen immer attraktiver werden und große Besuchersteigerungsraten zu verzeichnen haben, nehmen sie auch immer mehr Geld ein, das dem Fiskus einen nicht unerheblichen Geldsegen beschert, wenngleich er noch viel zu wenig über den Faktor Steuer hereinholt. Warum also die Spielhallen einschränken, wo der Staat daran doch so viel verdienen kann? Daß die Automaten den Spielern nicht zu Gewinn verhelfen, ist bekannt. Der Automat gewinnt immer - computergesteuert - . Die Gewinnsummen, die zum Anreiz ausgeschüttet werden - was auch die Spielsucht fördert - , sind programmiert und nicht durch Spielkunst beeinflußbar. Die Alternative - das ist mein Schlußsatz - : Neben Änderungen der allgemeinen ordnungspolitischen Regelungen oder der Gewerbeordnung und den baurechtlichen Vorschriften kommt also eine steuerrechtliche Andersbehandlung in Betracht, die das Ausweiten der Spielhallen für die Betreiber unattraktiv machen würden. In diesem Sinn würde ich mich freuen, wenn die uns jetzt zur Beschlußfassung vorliegende Vorlage ergänzt werden könnte, wozu mir zur Zeit, wie Sie wissen, keine Möglichkeit gegeben ist. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Wartenberg.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Anträge, die wir heute behandeln, haben das gleiche Ziel, nämlich die Eindämmung der sogenannten Spielhallenflut, genauer die Vermeidung von Massierungen in bestimmten Regionen. Ich habe den Eindruck, daß in der öffentlichen und der politischen Diskussion sowohl berechtigte Besorgnisse, aber auch überzogene emotionale Kritik vorgetragen werden, der man zum Teil - das wurde heute schon getan - doppelte Moral vorwerfen kann. Sie wissen, es gibt Kommunalvertreter, die die sozialen Folgen übersteigerten Spielens in Spielhallen vehement beklagen, sich aber andererseits um die Ansiedlung einer Spielbank bemühen, in deren Automatensälen man bei den sogenannten Einarmigen Banditen unvergleichlich höhere Einsätze riskieren und Verluste erleiden kann. Es kommt auf den Anreiz an, nicht auf die Abgabe selbst. Ich will einige negative Entwicklungen seit Anfang der 80er Jahre überhaupt nicht negieren. Aber eine sachliche Betrachtung des Themas ist unumgänglich, um der komplexen Materie im Baurecht, im Steuerrecht und im Gewerberecht Rechnung zu tragen. Insoweit sehe ich Handlungsbedarf des Gesetz- und des Verordnungsgebers. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren bereits einiges getan. Der Bundesminister für Wirtschaft hat 1985 mit einer Änderung der Spielverordnung reagiert - Frau Verhülsdonk hat darauf hingewiesen -, und zwar mit dem Ergebnis, daß am 1. Januar 1991, also in eindreiviertel Jahren, ein Drittel der Geldspielgeräte abgebaut werden muß und daß bis zum 1. Januar 1996 diese Betriebe voll dem neuen Recht angepaßt werden müssen. Hierdurch dürften sich nach unseren Schätzungen die Zahl der Geldspielgeräte in Spielhallen um 30 bis 40 To und die der Spielhallenstandorte um etwa 1 000 verringern. Dennoch hat sich die Zahl der Spielhallen seit 1985 noch erhöht, im letzten Jahr allerdings mit deutlich reduzierten Zuwächsen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Bitte sehr.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, die Quelle Ihrer Zahlen würde ich gern einmal nachlesen. Wie kommen Sie zu der Behauptung, daß die Zahl der Geldspielgeräte in den letzten fünf Jahren abgenommen hat?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Das habe ich nicht gesagt.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gesagt: Die Zahl der Geldspielgeräte in Spielhallen ist um ein Drittel reduziert worden. Das stimmt nicht!

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege, ich habe gesagt: Bis 1996 werden 30 bis 40 % der Geldspielgeräte abgebaut werden, und die Zahl der Standorte wird sich um 1 000 verringern. Die Schätzungen dieser Zahlen bis 1996 - heute haben wir das Jahr 1989 - stelle ich Ihnen sehr gern zur Verfügung. Ich sage ja genau wie Sie, daß sich die Zahl der Spielhallen nach 1985 zunächst noch erhöht hat, im letzten Jahr allerdings mit deutlich reduzierten Zuwächsen. Dies ist auch Ausdruck der hier geführten intensiven parlamentarischen Diskussion, in der dieser Bereich unter den verschiedensten Aspekten, auch unter Berücksichtigung einer größeren Expertenanhörung, beleuchtet worden ist. Eine Koalitionsarbeitsgruppe hat mit den beteiligten Ministerien die Grundlagen für den Ihnen vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen ausgearbeitet. Dieser Antrag enthält einen ausgewogenen Lösungsansatz, nämlich: Einerseits soll die wirtschaftliche Attraktivität der Spielhallen gedämpft werden; andererseits soll deren Existenzberechtigung auf niedrigerem Level erhalten bleiben, denn auch das Spielhallengewerbe kann sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 des Grundgesetzes berufen. ({0}) Wenn sämtliche Forderungen, die gegen das Gewerbe erhoben wurden, verwirklicht würden, führte eine solche Kumulierung zum Kollaps des Gewerbes. Meine Damen und Herren, die Maßnahmen, die wir vorschlagen, wurden Ihnen zum Teil schon erläutert. Wir wollen eine zutreffende Erfassung der Umsatzsteuer erreichen. Dies entspricht dem Beschluß des Finanzausschusses. Alle neuen Spielgeräte sollen zur korrekten Erfassung der Einsätze mit möglichst manipulationssicheren Zählwerken ausgestattet werden. Für die am Markt befindlichen Geräte soll bei der Bemessungsgrundlage der sogenannte Vervielfältiger im Wege einer Billigkeitsregelung von derzeit 1,5 in angemessener Frist stufenweise auf 2,5 angehoben werden. Wir werden hierbei zu berücksichtigen haben, daß damit die Umsatzsteuerbelastung des Spielbetriebs gegenüber dem Status quo erheblich erhöht wird. Wir können dies aber nicht in einem Schritt, sondern nur innerhalb eines Übergangszeitraums und innerhalb des geltenden Rechts tun, ({1}) wobei möglichst eine EG-einheitliche Lösung angestrebt werden sollte. Dabei sollte auch klargestellt werden, ob künftig der Kasseninhalt oder die eingeworfenen Geldbeträge die Bemessungsgrundlage sein sollen. Schätzungen laufen darauf hinaus, daß durch diesen Einbau von Zählwerken jährlich etwa 300 Millionen DM mehr an Umsatzsteuer anfallen, wobei auch zu berücksichtigen ist, daß diese Maßnahme ja nicht auf Geldspielgeräte in den Spielhallen beschränkt ist, sondern z. B. auch - Sie haben darauf hingewiesen - die Gaststätten betrifft. Im Zusammenhang damit ist vorgesehen, die in der Spielverordnung vorgeschriebene Mindestrückzahlquote auf den Einsatz ohne Mehrwertsteuer zu beziehen. Dies entspricht unserem System der Umsatzbesteuerung. Als weitere finanzielle Erschwerung für die Branche wirkt sich die weitgehend erfolgte Anhebung der landesrechtlichen Vergnügungssteuersätze aus; es wird mit einer Mehrbelastung von 150 Millionen DM gerechnet. Wir wollen auch eine Änderung der Baunutzungsverordnung erreichen. Der Kollege Dörflinger hat dies zutreffend beschrieben, und Frau Verhülsdonk hat auf die Auswirkungen des Appells an die Deutsche Bundesbahn hingewiesen. Das Gewerbe soll darüber hinaus durch selbstbeschränkende Maßnahmen eigene Beiträge leisten. Zur Vermeidung gesetzlicher Maßnahmen - und das heißt, es werden gesetzliche Maßnahmen kommen, wenn nicht eine intensive Kooperation mit dem Gewerbe erreicht wird - soll zur schnelleren Wirksamkeit die Zahl der im sogenannten Sonderspiel zulässigen Höchstgewinne begrenzt werden, nachdem es in einer Selbstbeschränkungsvereinbarung des vergangenen Jahres zu einem ersten Schritt dahin gekommen ist. Zur weiteren Verringerung der von den Geräten ausgehenden Spielanreize soll der Münzspeicher deutlich eingeschränkt werden, so daß weniger Geld eingeworfen werden kann. Weiter soll das gleichzeitige Bespielen von mehr als zwei Geräten verhindert und eine Zwangspause bei ununterbrochenem Spiel nach einer Stunde eingerichtet werden. Mit einer entsprechenden Aufschrift auf den Geräten und in der Spielhalle soll auf die Gefahren des Vielspielens und auf geeignete Therapiemöglichkeiten hingewiesen werden. Außerdem sollen Werbemaßnahmen eingeschränkt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf diese vorgesehenenen Maßnahmen sofort reagiert und erste Gespräche geführt. Wir meinen, daß sich das Gewerbe - auch unter dem Eindruck der heutigen parlamentarischen Diskussion - zu Maßnahmen bereitfinden muß, die effizient sind. Wir werden dem Deutschen Bundestag im Herbst über die Ergebnisse Bericht erstatten. Die Anträge der SPD und der GRÜNEN halte ich für zu weitgehend. Ich möchte aber bewußt darauf hinweisen, daß diese Anträge doch einige Gemeinsamkeiten mit den von den Koalitionsfraktionen und auch von der Bundesregierung unterstützten Zielsetzungen beinhalten. Insoweit darf ich vorschlagen, entsprechend den Voten des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 11/4217 und 11/4218 sowie des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf der Drucksache 11/4244 den Antrag der Koalitionsfraktionen anzunehmen und die übrigen Anträge abzulehnen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Baugesetzbuches - Eindämmung der Spielhallenflut und sonstiger städtebaulich nicht vertretbarer Nutzungen - . Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4244 unter I die Ablehnung des Gesetzentwurfs des Bundesrates. Nach einer ständigen Praxis stimmen wir über die Ursprungsvorlage ab. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften - entgegen der Ausschußempfehlung - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir stimmen jetzt über II der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksache 11/4244 - ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/3999 mit den vom Ausschuß empfohlenen Ergänzungen anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD und der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 9 c, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4372. Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt getrennte Abstimmung über II 2 des Änderungsantrages der SPD. Ich gehe davon aus, daß die Antragsteller damit einverstanden sind, daß wir jetzt so abstimmen. Ich lasse zunächst dem Wunsch der GRÜNEN entsprechend über II 2 des Änderungsantrags abstimmen. Wer stimmt II 2 zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der GRÜNEN ist II 2 abgelehnt. Wer stimmt für die noch verbleibenden Ziffern des Antrages der SPD auf Drucksache 11/4372? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch der verbleibende Teil dieses Antrags ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/4217 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/586 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/4218 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1679 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD und Zustimmung der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen, d. h. der Antrag ist abgelehnt. - Das ist wirklich eine furchtbare Formulierung, weil das für den Zuhörer kaum verständlich ist. Aber das ist nun einmal so. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 10 auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 103 zu Petitionen - Drucksache 11/4137 ({1}) - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 104 zu Petitionen - Drucksache 11/4138 - c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 105 zu Petitionen - Drucksache 11/4139 Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4366, 11/4367 und 11/4387 vor. Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgeschlagen Vizepräsidentin Renger worden. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfennig.

Dr. Gero Pfennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand der Sammelübersicht 103 ist die Beschlußempfehlung, die beiden in der Übersicht angeführten Petitionen als erledigt anzusehen. Diese Empfehlung betrifft zwei Petitionen, die vom üblichen abweichen, nämlich Petitionen mit Vorschlägen und Forderungen zur Ausgestaltung des Petitionsrechts und des Petitionsverfahrens. Der Ausschuß hatte sie deshalb in die Überlegungen zur Änderung seiner eigenen Verfahrensgrundsätze einbezogen. Grundlage für Überlegungen im Ausschuß war ein vom Bundestag in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses Gutachten wurde von Professor Graf Vitzthum erstellt, unter dem Titel „Petitionsrecht und Volksvertretung". Aus diesem Gutachten ergab sich, daß die Verfahrensgrundsätze zur Behandlung von Petitionen in einigen Punkten weiterentwickelt werden sollten. Der Petitionsausschuß hat unter meinem Vorsitz im letzten Jahr über die notwendigen Änderungen beraten. Dabei wurden auch die Vorschläge und Forderungen in den beiden Petitionen geprüft, ferner auch Vorschläge der interfraktionellen Initiative Parlamentsreform der Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages. Seine Beratungen zur Änderung der Verfahrensgrundsätze hat der Ausschuß am 8. März 1989 abgeschlossen und neue Grundsätze beschlossen. Damit ist nach Ansicht des Ausschusses auch das Petitionsverfahren über die in der Sammelübersicht 103 aufgeführten Petitionen beendet. Wie Sie wissen, ist Rechtsgrundlage der neuen Verfahrensgrundsätze wie bisher § 110 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, wo es in Abs. 1 heißt: Der Petitionsausschuß hat Grundsätze über die Behandlung von Bitten und Beschwerden auf zustellen und diese Grundsätze zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung im Einzelfall zu machen. Es versteht sich von selbst, daß derartige Grundsätze im Rahmen des geltenden Rechts auszufüllen sind und ihn nicht überschreiten dürfen. Veränderungen des geltenden Rechts wurden in den Beratungen nur von der Fraktion DIE GRÜNEN befürwortet; alle übrigen Fraktionen wollten die Grundsätze im bestehenden Rahmen weiterentwickeln. Deshalb konnte der Ausschuß nur einigen Forderungen der Petenten entsprechen. Ich nenne für die jetzt getroffenen Änderungen drei Beispiele. Nach alten Grundsätzen beschränkte sich die Behandlungskompetenz des Ausschusses nur auf den förmlichen öffentlichen Bereich der Bundesverwaltung. Entsprechend den Schlußfolgerungen im Gutachten hat der Petitionsausschuß bei der Formulierung seiner neuen Verfahrensgrundsätze beschlossen, daß sich die Zuständigkeit des Ausschusses grundsätzlich auf den gesamten Kompetenzbereich des Bundes erstreckt, und zwar unabhängig davon, ob Aufgaben des Bundes von Einrichtungen unmittelbarer oder mittelbarer Verwaltungen wahrgenommen werden und welche Rechtsformen die Einrichtungen haben. Das bedeutet konkret, daß der Petitionsausschuß des Bundestages zukünftig auch für Beschwerden über solche Einrichtungen des Bundes zuständig ist, die keiner Aufsicht der Bundesregierung unterliegen. Beispiel dafür ist etwa unsere eigene Bundestagsverwaltung, aber auch solche Einrichtungen wie etwa der Bundespersonalausschuß. Auch die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben des Bundes durch Private wird von der Neufassung der Grundsätze erfaßt. Beispiele hierfür sind etwa das Goethe-Institut oder die Humboldt-Stiftung als privatrechtlich organisierte Einrichtungen der auswärtigen Verwaltung. Ein weiterer Punkt von grundsätzlicher Bedeutung ist das Informationsrecht des Petitionsausschusses. Hier konnten Vorschläge berücksichtigt werden, wonach sich das Informationsrecht auf alle Bereiche der Bundesverwaltung erstreckt, egal, ob eine Bitte oder eine Beschwerde vorgebracht worden ist. Es bleibt aber auch in Zukunft ein Unterschied zwischen dem Informationsrecht des Petitionsausschusses und dem eines Untersuchungsausschusses bestehen, der ja bekanntlich Zeugen und Sachverständige im Untersuchungsverfahren zur Beweiserhebung vorladen kann, wo sie wahrheitsgemäß auszusagen haben. Der Petitionsausschuß versteht sich auch zukünftig nicht etwa als permanenter Untersuchungsausschuß, sondern er will wie bisher Anwalt des Bürgers bleiben. Der Ausschuß hat jedoch in der neuen Fassung seiner Verfahrensgrundsätze den Umfang der Informationsrechte besser als bisher beschrieben, die sich aus Art. 17 des Grundgesetzes ergeben. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß auch von der Regierungsaufsicht unabhängige Stellen die Informationen direkt an den Petitionsausschuß weiterzugeben haben. Der letzte Punkt, den ich aufgreifen möchte, ist das Thema der Einführung von Minderheitenrechten im Ausschuß. Es gab hier die Vorstellung, daß die parlamentarische Minderheit - ähnlich wie in einem Untersuchungsausschuß - eine besondere Ermittlungstätigkeit des Ausschusses beantragen könnte, d. h. den Ausschuß zur Ausübung seiner besonderen Befugnisse nach dem sogenannten Befugnisgesetz veranlassen könnte. Dieser Vorschlag wurde bereits in früheren Legislaturperioden hier diskutiert. Er ist jetzt wiederum in einem Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN enthalten, der in erster Lesung an den Rechtsausschuß überwiesen worden ist. Der Petitionsausschuß als mitberatender Ausschuß hat die Ablehnung dieses Vorschlags empfohlen. Auch in diesem Fall ist der Ausschuß seiner Überzeugung treu geblieben, daß er in kollegialer Zusammenarbeit seiner Mitglieder für den Bürger und dessen Anliegen arbeiten muß. Deshalb beruhen die Entscheidungen des Ausschusses immer auf Empfehlungen, die von je einem Mitglied aus den RegierungsDr. Pfennig fraktionen und den Oppositionsfraktionen als Berichterstattern abgegeben werden. Für die Entscheidungen des Ausschusses gibt es daher in der Regel fraktionsübergreifende Mehrheiten. Zirka 80 % der Entscheidungen des Ausschusses sind in den letzten Jahren auf diese Weise getroffen worden; über 70 % der Entscheidungen sind im Ausschuß sogar einmütig gefallen. Entsprechend einer guten Übung im Ausschuß ist nunmehr in die Verfahrensgrundsätze ausdrücklich eine Regelung aufgenommen worden, daß der Ausschuß Anträgen eines Berichterstatters zur weiteren Sachaufklärung in der Regel stattgeben soll. Damit dürfte sich meines Erachtens die alte Diskussion um die Gewährung spezieller Minderheitenrechte erledigt haben. Der Ausschuß hat die neuen Verfahrensgrundsätze einmütig - bis auf einige Vorbehalte bei der Fraktion DIE GRÜNEN - beschlossen. Er ist davon überzeugt, daß die Richtlinien sein Verfahren sinnvoll und transparent regeln und dem hohen Rang des Petitionsrechts noch besser als in der Vergangenheit gerecht werden. Der Ausschuß hat sich bei seinen Beratungen auch überlegt, welche generellen Verbesserungen auf seiten der Bundesregierung wünschenswert sind. Er ist dabei zu der Ansicht gelangt, daß die Bundesregierung bei Gesetzesinitiativen zukünftig darauf eingehen sollte, ob ihr hierzu eine vom Bundestag überwiesene Petition vorgelegen hat. Ich halte dies für einen guten Vorschlag, den die Bundesregierung ernsthaft prüfen sollte. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen eine Aussprache über zwei Petitionen aus den Jahren 1986 und 1987, die von Bürgern eingebracht worden sind. Allein der Zeitpunkt der Einbringung könnte den Eindruck erwekken, daß der Petitionsausschuß das Anliegen dieser Bürger nicht ernsthaft beraten hätte. Aber beide Petitionen sind mit Ursache dafür, daß im Petitionsausschuß über diesen Zeitpunkt hinweg eine gründliche Beratung über den Charakter, die Beurteilung des Petitionsrechts und über das Petitionsverfahren geführt worden ist, die im Ergebnis zu den soeben von dem Ausschußvorsitzenden, Herrn Dr. Pfennig, dargestellten Verfahrensgrundsätzen geführt hat. Wir müssen in der öffentlichen Aussprache einmal den Petentinnen und Petenten danken, weil es keine Selbstverständlichkeit ist, daß sich Bürger in diesem Lande darum bemühen, das Verfahren von Ausschüssen im Deutschen Bundestag sowie den Umgang mit der Ausformung von Grundrechten zu beeinflussen. Wir müssen aber sagen, daß nicht alle Forderungen dieser Bürger übernommen werden konnten. Wir müssen sagen, daß nicht alle Beurteilungen über den Charakter des Petitionsrechts, die in den Petitionen aufgeführt sind, in der identischen Sichtweise beurteilt werden können und beurteilt werden konnten. Wir müssen aber auch sagen, daß sich alle Fraktionen des Hauses mit den genannten Problemen auseinandergesetzt haben. Dafür gibt es in der Tat Belege. Es sind zwei Debatten über die Jahresberichte des Petitionsausschusses, wo die genannten Fragen ebenfalls schon beurteilt worden sind, unter anderem auch das Vitzthum-Gutachten in die Beratung einbezogen worden ist. Hier eine kritische Anmerkung in Richtung der Petenten. Die Wahrnehmung dieser Debatte durch das Komitee für Grundrechte in der Demokratie ist meines Erachtens unvollständig gewesen. ({0}) Da gab es selektive Wahrnehmungen zur Bestätigung der vorgefaßten Meinung, das Petitionsrecht werde im Parlament nicht als politisches Beteiligungsrecht verstanden. SPD und GRÜNE haben in zwei Debatten zu Jahresberichten des Petitionsausschusses genau das Gegenteil mehrfach formuliert. Mein Eindruck: Die Petitionen sind im Ausschuß und im Deutschen Bundestag offensichtlich ernsthafter diskutiert worden, als die Diskussion des Deutschen Bundestages von dem Petenten aufgenommen worden ist. Das trifft nicht für die Bremer Petition zu. Dort ist in Einschätzung der Entwicklung gesagt worden, hier habe sich bei allen Fraktionen etwas in Bewegung gesetzt, und das müsse anerkannt werden. Herzstück der Beratung waren die Beratungen über die Verfahrensgrundsätze. Dort haben wir uns praktisch mit allen Forderungen auseinandergesetzt. Es hat in der Tat wichtige Teiländerungen gegeben. Dr. Pfennig hat von der Erweiterung des Informationsrechts gesprochen. Dabei sagen wir: Aus Art. 17 des Grundgesetzes ergibt sich ein Informationsrecht sowohl bei Bitten als auch bei Beschwerden. Außerdem geht es um die Bestimmungen über die weitere Sachaufklärung und die Bestimmungen über das Minderheitenrecht der Berichterstatter. Wir meinen, daß damit die Verfolgung einer Petition, das Sich-zueigen-Machen einer Petition durch einen Berichterstatter bis hin zur weiteren Sachaufklärung zu Ende gedacht ist. Das ist einer der Bereiche, wo wir übereinstimmend zu Erweiterungen gekommen sind. Wir sind auch bei der Frage der unterschiedlichen Behandlung von Petitionen nach ihrer Art weitergekommen. Es wird zugestanden, daß es Petitionen gibt, die Bitten zur Gesetzgebung sind, wo alle Fraktionen von Anfang an die Möglichkeit der Beteiligung am Verfahren haben. Es wird aber auch zugestanden, daß das besondere Spezifikum von Massenpetitionen ist, daß Petenten den Wunsch nach öffentlicher Beratung dieser Petition als Teil der Petition durch ihre Unterschrift bekunden. Da ist man zumindest bei der Frage der Veröffentlichung des Bescheides, der Antwort an die Petenten, ein Stück weitergekommen, nicht allerdings bei der Frage der Möglichkeit einer öffentlichen Übergabe dieser Petition. Da gibt es offensichtlich Ängste, die aus vordemokratischer Zeit herrühren, aus der Zeit der Reaktion auf die Paulskirchenverfassung, als die öffentliche Übergabe von Petitionen verboten wurde. ({1}) Peter ({2}) Wir haben neue Vorschläge zur abschließenden Erledigung gemacht, wodurch das, was wir dem Petenten mitteilen wollen, deutlicher, präziser wird. Wir wollen auch die Bundesregierung zwingen, sich konkreter mit unseren Voten auseinanderzusetzen. Dabei nehmen wir, ohne daß es in den Grundsätzen steht, auch die Möglichkeit wahr und nutzen sie, wenn uns eine schriftliche Antwort der Bundesregierung nicht gefällt, die Bundesregierung zur mündlichen Erläuterung ihrer Antwort herbeizuzitieren. Das gehört nicht zu den Grundsätzen, aber da muß kritisch angemerkt werden: Es ist uns in letzter Zeit zu häufig vorgekommen, daß wir mit den Antworten der Bundesregierung speziell aus einigen Ministerien nicht einverstanden waren und deshalb von dieser Möglichkeit, uns die Antwort mündlich erläutern zu lassen, Gebrauch machen mußten. Wir mußten allerdings auch feststellen - eine Anmerkung, die sich kritisch an den Ältestenrat richtet - , daß bei der Wahrnehmung des Befugnisgesetzes der Petitionsausschuß auch in Sitzungswochen arbeiten muß, wenn es um die Wahrnehmung von Ortsterminen geht. Ich bitte die Geschäftsführer, hier Verständnis für die Anforderungen aus der Arbeit des Petitionsausschusses im Interesse der Petenten zu zeigen. ({3}) - Der Haushaltsausschuß arbeitet auch in Sitzungswochen, wenn Plenarsitzungen sind, Frau Kollegin Geschäftsführer. Wir sind der Meinung, daß beide Petitionen noch nicht endgültig abgeschlossen sind, einmal deshalb nicht, weil der Gesetzentwurf der GRÜNEN im Beratungsgang ist - die Sozialdemokraten haben ihn im Petitionsausschuß unterstützt; wir konnten keine Mehrheit kriegen -, zweitens, weil die interfraktionelle Initiative Parlamentsreform die Frage der öffentlichen Übergabe ebenfalls noch weiter verfolgt. Deshalb wird die SPD-Fraktion der Sammelübersicht mit dem Vermerk „erledigt" nicht zustimmen. Wir sind aber der Meinung, daß der Petitionsausschuß seine Beratungen über die Petitionen abgeschlossen hat. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Drei Petitionen zu den Themen „Rettet die Nordsee" , „Schutz des Wassers" und „Petitionsrecht" sind wieder einmal Anlaß für eine Debatte hier im Plenum, und zwar deswegen, weil die GRÜNEN Mehrheitsbeschlüsse des Petitionsausschusses nicht akzeptieren wollen. Wenn das so weitergeht, werden wir hier nur noch über Petitionen debattieren, die mehrheitlich im Petitionsausschuß als „erledigt" beschieden wurden. ({0}) Sie behandeln obendrein Fragen, die bereits ausführlich in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages und im Plenum beraten worden sind und zu eindeutigen Beschlüssen über die erforderlichen Maßnahmen geführt haben. Die beiden Petitionen zur Nordsee und zum Gewässerschutz möchte ich darum nochmals namens der FDP als erledigt erklären und nicht mehr weiter behandeln, obwohl oder gerade weil ich diese Umweltschutzprobleme für ausreichend beraten erachte. ({1}) - Lieber Herr Reuter, Sie sitzen mit mir im Umweltausschuß ({2}) - danke für das Kompliment -, und Sie wissen, wie ausführlich wir das beraten haben. Es darf nicht dazu kommen, daß hier ein neues Forum für die Wiederholung von bereits geführten Debatten gebildet wird. Gerade gestern wurde das wieder zum Thema Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf versucht und prompt nach Beschlüssen, die den GRÜNEN nicht paßten, zur erneuten Debatte hier im Plenum angemeldet, obwohl wir gerade auch heute noch einmal darüber diskutieren werden. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie vielmals. Sie kommen ja hinterher dran, Frau Kollegin. Es ist nicht notwendig, daß man den Redner deshalb aufhält. Sie kommen alle dran und können gebührend erwidern.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. - Nimmt man noch die Flut von Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen hinzu, mit denen man Ministerien, Verwaltung und uns bis zur Erschöpfung beschäftigen kann, merkt man die Absicht. Auf diese Weise könnte es den GRÜNEN vielleicht doch noch gelingen, die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland lahmzulegen ({0}) und damit die Demokratie ad absurdum zu führen. Man muß sich nur einmal die heutige Tagesordnung ansehen: Für wesentliche Fragen unseres freiheitlichen Rechtsstaates, wie z. B. Datenschutz, bleibt gerade eine halbe Stunde Debattenzeit. Spätestens seit den Wahlen in Hessen und Berlin muß uns allen hier im Hause klar sein, daß der parlamentarische Streit um die Formen des demokratischen Rechtsstaats keine intellektuelle Roncalli-Veranstaltung in der geistigen Zirkuskuppel ist, ({1}) sondern es dabei um die Grundlagen unseres staatlichen Gemeinwesens geht. Die Staatsverdrossenheit hat hier eine ihrer Ursachen. Die Petition des „Komitees für Grundrechte und Demokratie e. V. " und die Petition der „Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechts in der Demokratie" bringen schon in der Bezeichnung zum Ausdruck, daß es den Petenten um mehr Demokratie geht. Der Petitionsausschuß hat die Petitionen auch nur darum für erledigt erklärt, weil wir das Petitionsrecht gerade erst überarbeitet und dabei viele Anregungen, die in den Petitionen auftauchen, bereits aufgenommen haben. Die anderen, die nicht aufgenommen wurden, haben bei den Beratungen keine Mehrheit gefunden. Ich möchte mich zur Illustration einigen Punkten zuwenden, die vermeintlich mehr Demokratie versprechen, tatsächlich aber grundlegende demokratische Prinzipien in Frage stellen. Die Petenten schlagen vor, einen Petitionsvorauswahlausschuß zu bilden, der Entscheidungen über unproblematische Petitionen trifft und ausführt, und sie möchten den Petenten ein Einspruchsrecht dagegen einräumen. Das Institut des Vorauswahlausschusses kennt man aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Es hat sich in der Praxis des Verfassungsgerichts immer mehr die Übung eingestellt, Verfassungsbeschwerden schon an dieser Hürde scheitern zu lassen. Dieses Verfahren ist in der Rechtswissenschaft ausgesprochen umstritten und wird teilweise als eine unzulässige Verkürzung des Rechtsweges unter Effektivitätsgesichtspunkten beurteilt. Wenngleich man diese Kritik nicht nahtlos auf den Vorschlag der Petenten übertragen kann, so muß doch gesehen werden, daß das Ergebnis eines solchen Ausschusses faktisch eine erhebliche Verfahrensverlängerung wäre. Genau hierin liegt das undemokratische Ergebnis der Forderung. Rechtswege sind nicht Selbstzweck, sondern müssen auch unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes beurteilt werden. Verfahrensverlängerungen tragen dazu nicht bei, zumal man bedenken muß, daß der Vorauswahlausschuß in praxi wohl nur die Vorarbeiten des Ausschußdienstes übernehmen dürfte, so daß in der Sache nichts gewonnen wäre. Mehr Demokratie scheint auch die Forderung der Petenten zu versprechen, bei Massenpetitionen die Petition durch eine Abordnung selbst einzureichen. Dabei sehen selbst die Petenten die Gefahr eines etwaigen Mißbrauchs. Demokratie heißt nicht zuletzt Gleichheit in der rechtlichen Behandlung. Wo bleibt diese Gleichheit, wenn sich zwei Klassen von Petenten entwickeln würden: die einen, die es verstehen, ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam zu verkaufen, und die anderen, denen das Privileg der Massenpetition fehlt? Ich bin gegen diese Ungleichbehandlung! Eine weitere Forderung hin zu mehr Demokratie scheint darin zu liegen, dem Petitionsausschuß auch gegenüber privaten Einrichtungen ein weitergehendes Auskunftsrecht im Rahmen der Gesetze einzuräumen, und zwar über das bestehende Aktieneinsichts({2}) - Entschuldigung - Akteneinsichtsrecht bei Behörden hinaus. Das von den Petenten geforderte Auskunftsrecht soll erst am Recht auf Persönlichkeitsschutz eine Grenze finden. Aus den Untersuchungsausschüssen wissen wir, welch ein sensibler Bereich auf diesem Wege tangiert wird. Auch in der Rechtswissenschaft streitet man darüber, inwiefern einem Legislativorgan Exekutivbefugnisse zukommen dürfen. Es geht also auch um das Prinzip der Gewaltenteilung, ebenso wie bei der weiteren Forderung der Petenten, wonach sich der Petitionsausschuß auch mit schwebenden oder abgeschlossenen Gerichtsverfahren zu befassen habe. Der Gedanke der Gewaltenteilung beruht auf dem Bestreben, einerseits unerwünschte Machtkonzentration zu verhindern, die der Freiheit des Individuums abträglich ist und von uns Liberalen daher bekämpft wird, und andererseits die Teilhabe vieler an der Macht zu verwirklichen. Dabei ist der Zweck des Gewaltenteilungsgedankens heute nicht bloß die Aufteilung staatlicher Funktionen, ihrer personellen und organisatorischen Besonderheiten, sondern auch die gegenseitige Beschränkung: checks and balances. Obwohl diese Kontrollfunktion des Gewaltenteilungsprinzips gewisse Überschneidungen nötig macht, ist es doch ganz klar, daß der Aufgabenkernbereich der verschiedenen Gewalten unangetastet bleiben muß. Die Rechtsprechung ist den Gerichten zugewiesen, und sie müssen unabhängig bleiben, auch was die Sache betrifft. Wir befinden uns daher im Petitionsausschuß schon häufig genug auf einer Gratwanderung, wenn wir uns nach einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren nochmals mit einer Petition befassen: immer in der Gefahr, einerseits falsche Hoffnungen bei den Petenten zu wecken und andererseits Richter zu schelten. Und wie ist es um das Demokratieverständnis des Parlaments bestellt, das sich dieser Einflußnahme auf Gerichtsverfahren nicht enthält? Mehr Demokratie bringen solche Forderungen nicht. Sie sind im Gegenteil geeignet, demokratische Grundprinzipien zu gefährden, und werden von der FDP insoweit abgelehnt. Ich danke. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Dr. Segall, was die Erweiterung des Petitionsrechtes angeht, erzählen Sie seit 1984 immer dasselbe. Ich meine, nach dem, was Sie heute gesagt haben, hat die liberale FDP ihre Liberalität, was die Bürgerrechte im Petitionsbereich angeht, wirklich an den Nagel gehängt. ({0}) Heute mußten Sie sich von Herrn Dr. Pfennig von der CDU in den Schatten stellen lassen. Ich finde das im Interesse der Petenten sehr schade. Hier ist schon viel gesagt worden, welche Petitionen Grundlage waren, und auch viel vorgestellt worden, was alles gemacht worden ist. Ich muß sagen, diesmal sind zwei Petitionen nicht im Bermudadreieck hängengeblieben; sie sind also nicht drei Jahre irgendwo in einer Ecke verschimmelt, sondern alle Fraktionen haben daran sehr intensiv gearbeitet. Wir haben alle sehr durchdachte Papiere erstellt, uns viel Arbeit gemacht, zig Obleutegespräche, mehrere Sondersitzungen durchgeführt. Eines hatten die Petenten nämlich vergessen. Wir beide, ich als Obfrau der GRÜNEN, Frau Dr. Segall als Obfrau der FDP, hatten es ebenfalls vergessen und mußten uns, was einen wichtigen Punkt anging, von unserem Vorsitzenden Dr. Pfennig überholen lassen, nämlich auch in den Petitionsgrundsätzen eine geschlechtsneutrale Sprache zu führen und die Diskriminierung der Petentinnen aufzuheben. ({1}) Da, muß ich sagen, Herr Dr. Pfennig, haben Sie als Mann beispielhaft Pionierleistung erbracht. ({2}) Er hat uns nämlich nicht bloß daran erinnert, sondern er hat mit seinem Büro tatsächlich eine exzellente Vorlage vorgelegt, in der er tatsächlich in allen Bereichen einer Diskriminierung der Frauen in der Sprache entgegenzutreten versuchte. Allerdings ließ es sich an manchen Punkten nicht vermeiden. Dann habe ich mit Frau Kollegin Würfel in einigen Punkten die „Innen" -Regelung eingeführt; aber da war der ganze wunderbare Antrag auf einmal hinüber. Die Mehrheit der Herren im Ausschuß hat dann beschlossen, diese heiße Kartoffel jetzt besser an den Rechtsausschuß zu überweisen. In diesem Bermudadreieck - das gibt es nämlich auch -, dem Rechtsausschuß, schmoren nämlich auch drei wichtige Sachen, die den Petitionsausschuß und auch diese Petitionen betreffen. Die Fraktion der GRÜNEN hat, auf diesen Petitionen aufbauend und sie auswertend, schon im Oktober 1987 umfangreiche Änderungsvorschläge im Ausschuß, aber auch in Form von Gesetzesvorschlägen eingebracht. Das eine betrifft eine Änderung des Grundgesetzes. Wir wollen, was Frau Dr. Segall ja immer so geißelt, was ich aber immer noch richtig finde und was die CDU als Oppositionspartei 1975 auch schon einmal gefordert hat, nach wie vor die Gleichstellung der Bitten mit den Beschwerden. Das ist auch keine Diskriminierung der Beschwerden der Einzelpetenten und -petentinnen, sondern das ist endlich eine Gleichstellung der politisierten Petitionen, wenn es um Gesetzesvorschläge geht. Es geht darum, daß man endlich auch in diesem Bereich die Möglichkeiten des Befugnisgesetzes bekommt, nämlich nicht „Aktieneinsicht" , sondern Akteneinsicht und andere Möglichkeiten, bekommt. ({3}) Der zweite Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben und der mittlerweile im Bermudadreieck Rechtsausschuß schmort, betrifft eine Änderung des Befugnisgesetzes, in dem wir nach wir vor auch Minderheitenrechte verankert sehen wollen. Nachdem das im Petitionsausschuß abgelehnt worden ist, setze ich darauf, daß wir da vielleicht noch eine Debatte bekommen. Wir haben heute von einem Änderungsantrag abgesehen, weil die Anträge ja schon im Verfahren sind. Wie gesagt, in diesem Bermudadreieck liegt jetzt auch diese wunderbare Arbeit von Herrn Dr. Pfennig, completto gemacht von Frau Würfel und von mir. Als einzige Frau im Rechtsausschuß werde jedenfalls ich diese Vorlage in nächster Zeit wieder einmal herausziehen und fragen, wie das denn damit ist, damit sie da nicht wirklich noch zwei Jahre verschmort und verbrutzelt und dann gar nichts daraus wird. ({4}) Ein Punkt ist mir noch wichtig. Die wirklich durchgreifenden Maßnahmen des Petitionsausschusses, sich selbst ernst zu nehmen, die in einer Verfassungsänderung und in einer Änderung des Befugnisgesetzes bestanden hätten, sind ja nicht durchgekommen. Aber es sind sehr viele substantielle Änderungen passiert, die, wenn wir uns selber ernst nehmen, viel im Interesse der Petenten und Petentinnen bewirken können. Nächstes Jahr - das kann ich versprechen - werden wir im Jahresbericht hier Bilanz ziehen und auch den Petenten und Petentinnen Rechenschaft darüber ablegen, ob die Neuerungen in diesem Sinne wirklich etwas gebracht haben. Ich habe die Hoffnung und warte darauf und werde in diesem Sinne auch praktisch arbeiten. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Petition will die Rechte des Petitionsausschusses stärken. Das freut uns, weil wir unsere Arbeit durchaus als sinnvoll und notwendig ansehen. Ich glaube aber, die Kritik, die in dieser Petition teilweise geäußert wird, ist nicht berechtigt. Denn wir arbeiten durchaus im Sinne der Petenten für den Bürger: Was kann er gegen die Entscheidung der Bürokratie durchsetzen? Wir arbeiten als Ausschuß eines hilfsbereiten Parlaments, so wie das die Petenten fordern. Wir haben allerdings keine Rangordnung oder Gewichtung von nur persönlichen und vor allem politischen Petitionen. Letzteren gibt diese Petition den Vorrang. Ich glaube, bei unserer Arbeit darf es nicht darauf ankommen, wie viele Unterschriften unter einer Petition stehen. Jeder Berichterstatter muß jede Petition ernst nehmen. Die bereits erwähnten Änderungen der Richtlinien haben darauf hingewirkt, daß die Berichterstatter genug Rechte haben, um diesen Aufgaben nachzukommen. Vom Petitionsausschuß wird viel erwartet. Wer realistisch ist, wird erkennen, daß nicht all das, was in dieser Petition gefordert wird, zu erreichen ist, und zwar nicht, weil der Petitionsausschuß politikängstlich ist, wie es hier erwähnt wird, nicht, weil der Vorsitzende nicht der Opposition angehört, wie es in dieser Petition steht. Das ist eine Tatsache, die sich sicher einmal ändern kann. ({0}) Unserer Meinung nach ist das Petitionsrecht- hier sind die Petenten, die es ändern wollen, nicht im Recht - vor allem ein Bürgerrecht. Es ist ein Recht, um indiHaungs viduelle Probleme zu lösen. Ich glaube, Graf Vitzthum hat in dem bereits erwähnten Gutachten überzeugend ausgeführt, daß es bei aller funktionellen Nähe zu Kontrollaufgaben der Volksvertretung schwerpunktmäßig kein Instrument parlamentarischer Kontrolle ist, sondern dem Rechts- und Interessenschutz des Petenten dient. Die Petition, mit der wir uns heute beschäftigen, will eine bürgerliche Unruhe in wichtigen Sachfragen. So wird das formuliert. Sie will vor allem den politischen Charakter einer Petition. Hier wird einiges verkannt, wenn die Petenten glauben, daß wir uns nur um individuelle Probleme gekümmert haben. Wer die Tagesordnung des Petitionsausschusses studiert, sieht, daß wir Bürgerinitiativen für oder gegen den Ausbau oder Neubau von Straßen mit Ortsbesichtigung, mit Anhörung diskutieren. Wir haben Massenpetitionen zur Abrüstung, gegen Tierversuche, gegen Arbeitslosigkeit. Der Thematik des Petitionsausschusses sind keine Grenzen gesetzt, von der Vergesellschaftung der Stahlindustrie bis zum Weiterbau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Das gehört so selbstverständlich zu der Tagesordnung wie Einzelpetitionen aus allen Fachbereichen. Ich verkürze: Die Petition meint, daß es für den politisch bewußten Bürger nicht reicht, daß alle vier Jahre Wahlen sind. Die Petition meint, im Petitionsrecht müßten zusätzliche wichtige Initiativen zum Ausdruck kommen, damit politisch bewußte Bürger an der Politik partizipieren können. Ganz abgesehen von dem Mangel an Zutrauen in das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie, der in dieser Petition zum Ausdruck kommt - den ich nicht teile - , überschätzen die Petenten die Möglichkeiten des Petitionsausschusses, der ja ein Ausschuß mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie das von den Petenten kritisierte Parlament ist. Bei aller Hochachtung vor dem Petitionsausschuß und unserer friedensstiftenden Arbeit für den Bürger: Nicht das Petitionsrecht, sondern das allgemeine Wahlrecht führt zur Volkssouveränität. Ich glaube, daß sich in diesem Punkt die Verfasser der beiden erwähnten Petitionen doch täuschen. ({1}) Ein Hauptpunkt der Petitionen war das Minderheitsrecht. Darauf wurde bereits eingegangen. Der Petitionsausschuß, an den sich die Bürger nach Art. 17 des Grundgesetzes als Volksvertretung wenden, gibt dem Bürger eine Antwort, die mit Mehrheit beschlossen wurde. Auch wenn im Petitionsausschuß zumeist nicht parteipolitisch kontrovers diskutiert und abgestimmt wird, gibt es immer Minderheiten und wird sie immer geben, die weder den Beschluß noch die Begründung billigen. Ich glaube, daß wir bei den Richtlinien, die wir jetzt abgeschlossen haben, eine Möglichkeit gefunden haben, die auch der Minderheit, die auch dem Berichterstatter von Minderheiten genug Möglichkeiten gibt, um ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen und ihren politischen Absichten nachzugehen. Auch ich bin der Meinung, daß diese Petition, über die wir jetzt diskutiert haben, obwohl sie zwei Jahre und länger nicht endgültig verabschiedet wurde, für uns alle in allen Parteien ein sehr wertvolles Hilfsmittel war, um bei der Neufassung unserer Richtlinien zu überprüfen, was wir machen können und ob wir alles tun, was möglich ist. In diesem Sinne danke ich auch diesen Petenten. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst noch einmal auf die Argumente der von mir auch im Ausschuß sehr geschätzten Kollegin Dr. Segall eingehen. Nur, Frau Kollegin Dr. Segall, ich wundere mich manchmal, was Sie hier immer für Argumente ins Feld führen; denn Ihrer Logik folgend, daß wir die Petitionen hier zuviel diskutierten, müßten Sie doch auch sagen: Wenn der Haushaltsausschuß den Haushalt beraten und es dort eine Mehrheit und eine Minderheit gegeben hat, dürften wir das hier auch nicht mehr debattieren, weil dort schon eine Entscheidung getroffen ist. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen sogar der Meinung, daß wir hier im Bundestag viel zuwenig substantiell Petitionen diskutieren. ({0}) Vor allen Dingen sollte das zu einer Zeit geschehen - da werden Sie mir doch recht geben -, wo das Haus mehr gefüllt ist, wo die Andacht hier größer ist. ({1}) Da sind wir doch wieder einig. Sie wissen doch auch, Frau Kollegin Dr. Segall, daß wir von der Opposition nicht glauben, daß den Vertretern der Regierungskoalition hier seit Dezember so viel Sachverstand zugewachsen ist, daß sie heute eine andere Haltung einnehmen als im Dezember. Aber wir haben hier doch eine Chance, einmal der Öffentlichkeit deutlich zu machen, wie die Meinung zu der einen oder anderen Frage ist. ({2}) Seit Jahren fordern Wissenschaftler, Umweltverbände, die Wasserwirtschaft und die SPD die Bundesregierung auf, notwendige drastische Maßnahmen zum Schutz des Trinkwassers vor Pflanzenschutzmitteln durchzusetzen - ich nehme hier zu der Sammelpetition 104 Stellung. Professor Dr. Otmar Wassermann aus Kiel, der Bundesverband der Wasserwirtschaft und der BUND haben erst kürzlich wieder öffentlichen Alarm geschlagen. Der in der EG-Trinkwasserrichtlinie und in der Trinkwasserverordnung festgeschriebene und ab 1. Oktober 1989 geltende Grenzwert für Pestizide, 0,1 Mikrogramm pro Liter, wird in vielen Regionen dieser Bundesrepublik seit Jahren zum Teil weit überschritten. Alarmierende Meldungen über sogenannte Pflanzenschutzmittel, im Klartext: hochgiftige Substanzen, und andere schwer abbaubare chemische Stoffe aus Landwirtschaft, Industrie, aber auch aus den privaten Haushalten im Grundwasser schrecken immer wieder die Öffentlichkeit auf. Vor wenigen Jahren noch hatte die chemische Industrie vollmundig beteuert, daß die toxischen Stoffe im Boden gebunden und keinesfalls ins Grundwasser gelangen würden. Heute versucht man mit aller Macht die neuen Grenzwerte der Trinkwasserverordnung für Pflanzenschutzmittel zu verhindern, die am 1. Oktober 1989 in Kraft treten sollen. Dabei haben wir die größten Probleme, meine Damen und Herren, noch vor uns. ({3}) - Vielleicht haben Sie nicht ordentlich Ihre Unterlagen gelesen, Herr Kollege Dr. Göhner? ({4}) Gucken Sie mal rein. Der Petent verlangt mehr Gewässerschutz und verlangt, daß gewisse Stoffe verboten werden sollen, die zum Spritzen von Rasen usw. Verwendung finden. ({5}) - Ja, ein Mittel. Das ist in Ordnung. Aber wir sind der Meinung, daß das eine Mittel vielleicht schon zuviel ist. Das trennt uns. Aber ich sage Ihnen: Wir haben die großen Probleme noch vor uns; denn die jetzt im Grundwasser auftretenden Stoffe stammen zum größten Teil noch aus den 50er und 60er Jahren. Im Vergleich zu heute aber war die Produktion und der Gebrauch wassergefährdender Substanzen damals gering. Das dicke Ende, Herr Kollege Dr. Göhner, steht also noch aus. Die Bundesregierung bzw. die zuständigen Minister, Töpfer für Grundwasser, Frau Lehr für Trinkwasser und Kiechle für Pflanzenschutz, lassen es aber zu, daß ohne ausreichende Rücksicht auf die Gefährdung des Grundwassers und Trinkwassers weitere 60 000 t Pestizide jährlich auf Äcker und Gärten gespritzt werden und unser Trinkwasser verseuchen. Die von der SPD seit Jahren geforderten Verbote von schwer- und nichtabbaubaren Pflanzenschutzmitteln, verschärfte Anwendungsbeschränkungen und klare Rahmenregelungen für eine umweltverträgliche Landwirtschaft sind von dieser, ich sage mal: Regierung im Vorruhestand oder - damit ich die Vorruheständler nicht alle mit dieser Regierung in einen Topf werfe - : von diesem Kabinett des letzten Aufgebotes nicht zu erwarten. Wir stimmen deshalb dem Antrag der GRÜNEN zu, der Bundesregierung diese Petition zur Berücksichtigung zu überweisen. ({6}) Zur Sammelpetition 105, meine Damen und Herren. Eine Umweltschutzinitiative hat eine Petition mit über 85 000 Unterschriften vorgelegt, in der aus Anlaß des Robbensterbens und der Algenmassenentwicklung in Nord- und Ostsee sofortige und wirksame Gegenmaßnahmen gefordert werden. Wir haben zwar damals im Ausschuß der Erledigung der Petition zugestimmt, weil der Deutsche Bundestag, wie in der Begründung zu lesen war, am 7. Dezember 1988 in seiner 115. Sitzung der Beschlußempfehlung des Umweltausschusses zugestimmt hatte und damit alle anderen Initiativen der Fraktionen hier unter den Tisch gefallen sind, auch die Anregungen des Petenten. Wir als Gruppe der SPD im Ausschuß waren der Meinung, daß es keinen Sinn macht, hier noch einmal zu diskutieren, weil sich die Mehrheiten hier nicht ändern. Aber ich folge der Auffassung meiner Kollegin Charlotte Garbe von den GRÜNEN, die hier in diesem Haus deutlich machen will, daß es andere Auffassungen gibt, daß wir mit unserer Debatte das Bewußtsein unserer Bürger verändern können und daß wir die Sorgen der 85 000 Menschen, die unterschrieben haben, hier entsprechend ernst nehmen sollten. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst heute erschien im Bonner „General-Anzeiger" wieder eine Mitteilung, das Seehundsterben an der Nordsee gehe weiter. Hier haben wieder Wissenschaftler dazu Stellung genommen, wie es um die Nordsee bestellt ist, und zum Ausdruck gebracht, daß die Probleme noch nicht gelöst sind. Es steht außer Zweifel: Schnelles Handeln ist dringend erforderlich. Dabei wird es auch darauf ankommen, nicht bei den Nachsorge-und Reparaturarbeiten allein zu verbleiben, sondern eine vorsorgende Politik zu entwickeln. Ich kann in der gebotenen Kürze sagen, meine Damen und Herren: Der hier von Bundesumweltminister Töpfer vorgelegte 10-Punkte-Katalog zum Schutz der Nord- und der Ostsee ist aus unserer Sicht unzureichend. Die Fraktionen im Umweltausschuß des Bundestages haben sich auf der Basis der weitergehenden Vorstellungen der Fraktionen darauf verständigt, einen gemeinsamen Beschluß zu erarbeiten. Die Fraktionen haben sich leider aber nicht auf ein Umweltprogramm zur Rettung der Nordsee einigen können, das mit Elementen, die auf eine umweltverträgliche Umgestaltung der Produktionsstrukturen abzielen, deutlich über den 10-Punkte-Katalog des Umweltministers hinausgeht. Zur Beruhigung der Bevölkerung werden halbherzige und völlig unzureichende Maßnahmen beschlossen. Notwendige wirksame Schritte zur Rettung der Nordsee werden in falsch verstandenem, kurzfristigem Interesse der Industrie und der Landwirtschaft verhindert. Die Nordsee, meine Damen und Herren, stirbt einen schleichenden Tod, und wir alle sind mitverantwortlich. Wir erwarten jedenfalls, daß die Bundesregierung alles tut, um so schnell wie möglich die Belastung der Nordsee und der Ostsee durch gefährliche Chemikalien und Nährstoffe zu verhindern. Wir als SPD-Bundestagsfraktion stimmen deshalb dem Änderungsantrag der GRÜNEN zu und erwarten, daß die Bundesregierung hier mehr als seither tut. Schönen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Reuter, es ist völlig richtig: Bis zu 20 % der Wasserversorgungsanlagen in der Bundesrepublik sind von der Schließung bedroht, weil der zukünftige Grenzwert nach der Trinkwasserverordnung zum Teil erheblich überschritten wird. Schon 1985 wies der Sachverständigenrat für Umweltfragen auf das bedrohliche, in seinem ganzen Ausmaß kaum abzuschätzende Gefährdungspotential der Pestizide hin und benannte hier die Anhäufung gebundener Rückstände im Boden und die Mitschuld am Artenschwund von Tieren und Pflanzen. Im Umweltgutachten 1987 hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen eingeräumt, daß er die Umweltgefährdungen in seinem Sondergutachten zur Landwirtschaft noch weit unterschätzt hat, und er rät zu restriktiven Maßnahmen. Wir GRÜNEN sehen uns hier in unseren langjährigen Forderungen bestätigt. Wir GRÜNEN haben gefordert, daß alles getan werden muß, um eine Landwirtschaft ohne Gift zu ermöglichen. ({0}) Wir haben Umstellungsbeihilfen und die Förderung der bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft und als absolute Sofortmaßnahme das Verbot aller Pestizide verlangt, die bereits im Grundwasser gefunden wurden. Nun hat sich ein Petent mit dem Vorschlag an den Bundestag gewandt, den Einsatz von Pestiziden, speziell von Herbiziden, im Haus- und im Kleingartenbereich vorrangig zu verbieten, da es unschädliche Alternativen gibt und es somit keinen, wirklich aber auch gar keinen Grund gibt, eine Gefährdung der Umwelt und speziell des Grund- und Trinkwassers zu riskieren. Tatsache ist, daß die 15 Millionen Klein-, Haus- und Hobbygärtner und -gärtnerinnen schätzungsweise eine halbe Milliarde DM für Chemiedünger und Pestizide ausgeben. ({1}) Weiterhin macht der Petent auf das Problem mangelnder Sachkenntnis und auf die Schwierigkeit bei der Beschaffung der notwendigsten Informationen hierzu aufmerksam. Da wird auf Verpackungstexten zwar aufgefordert, dieses oder jenes Merkblatt der Biologischen Bundesanstalt zu beachten; doch es liegt der Giftschachtel nicht bei. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der BUND hat im letzten Jahr die Aktion „Pestizidfreie Regale" durchgeführt, um zu prüfen, wie es um die Einhaltung des Pflanzenschutzgesetzes beim Verkehr mit Pestizidkleinpackungen bestellt ist. Gefordert ist u. a.: keine Selbstbedienung; Sachkunde der Verkäufer und Verkäuferinnen, um die Beratung von Kunden zu gewährleisten. Hier nun ein paar erschreckende Ergebnisse der Aktion: In 143 von 195 getesteten Geschäften bekamen die BUND-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen ein Bekämpfungsmittel gegen den Maulwurf ausgehändigt oder sogar empfohlen, obwohl der Maulwurf unter Artenschutz steht. In acht von zehn z. B. in Mannheim untersuchten Geschäften wurde den BUND-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen die tödliche Begasung empfohlen. Nur zwei Verkäuferinnen informierten über den notwendigen Arten- und Atemschutz. Nur in zehn von 267 Geschäften konnte das Merkblatt 18/1 der Biologischen Bundesanstalt, auf dessen Beachtung in den Packungstexten der meisten Pestizide hingewiesen wird, eingesehen werden. In 231 der getesteten Geschäfte konstatierten die BUNDMitarbeiter und -Mitarbeiterinnen fehlende grobe Kenntnisse der Verkäufer und Verkäuferinnen über den Inhalt der amtlichen Schrift. In 151 von 167 Fällen war die Bienenschutzverordnung, auf deren Beachtung bei allen als bienengefährlich deklarierten Mittel verwiesen wird, weder im Geschäft einsehbar noch vorhanden. Meine sehr verehrten Herren und Damen, die Petition als erledigt zu betrachten hieße, die Gefährdung der Umwelt und der Trinkwasserversorgung durch Pestizide nicht ernstzunehmen, liebe Frau Kollegin Segall. ({2}) Es hieße, die Forderung des Sachverständigenrates für Umweltfragen fahrlässig in den Wind zu schlagen, liebe Frau Kollegin Segall, ({3}) und es hieße, den Petenten mit seinen berechtigten Sorgen für die Umwelt und mit seinen Überlegenswerten Vorschlägen nicht ernstzunehmen, liebe Frau Kollegin Segall. ({4}) Der Petent steht mit seiner Anregung übrigens nicht alleine da. Im März 1989 startete der BUND seine Aktion „Pestizidfreie Gärten". Die Petition abzulehnen hieße, die Forderungen des BUND abzulehnen. Soweit mir aber bekannt ist, sind auch einige CDUMitglieder Mitglied im BUND. Bitte denken Sie bei der Abstimmung daran. Die Sammelpetition „Rettet die Nordsee", um die es jetzt geht, haben, wie der Kollege Reuter schon sagte, 85 000 Menschen unterschrieben. Gemessen an der Post, die ich seit dem letzten Sommer, der durch Algenteppich und Robbensterben geprägt war, bekommen habe, müssen es weit mehr als diese 85 000 Petenten in der Bundesrepublik Deutschland sein, die sofortige und weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Nordsee fordern. Der blanke Hans hat Atemnot. Das heißt, der Zustand der Nordsee hat sich weiter verschlechtert. Zeitlich begrenzte Badeverbote in der Nordsee sind wegen des Auftretens von Salmonellen und anderer Krankheitskeime nicht auszuschließen. Der nächste Algenteppich kommt bestimmt. Anzeichen dafür gibt es schon wieder. Die Bundesregierung hat verstärkte Maßnahmen zum Schutz von Nordsee und Ostsee vorgesehen. Nur, das sind größtenteils Maßnahmen, die Versäumnisse der politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren nur allzusehr offenlegen, wie z. B. die Verwaltungsvorschriften in Umsetzung des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes, von denen nun endlich einige gestern im Kabinett beraten wurden. Meine Herren und Damen, bei den Zusammenkünften der Nordseeanlieger müssen sich die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland immer wieder vorhalten lassen, daß Rhein und Elbe die schmutzigsten Nordseezuflüsse sind. Schauen Sie sich das Sündenregister der Direkteinleiter in den Rhein doch einmal an, liebe Kollegen und Kolleginnen! Das ist exakt in der April-Ausgabe der Zeitschrift „Natur" angeführt. Die drei großen, Bayer, BASF und Hoechst, liefern die mit Abstand schlimmsten CSB-Werte, also was den chemischen Sauerstoffbedarf anbelangt. Der Rhein ist nach wie vor ein Industrieabfluß. Als neuen Todesstoß für die Nordsee bezeichnete Greenpeace vor kurzem das weitere Verbrennen großer Mengen hochgiftiger Abfälle auf See. Da es dafür über Rotterdam keine Genehmigungen mehr geben wird, soll nunmehr der Emdener Hafen dafür präpariert werden. Ergebnis all dieses Unvermögens und all dieser Unterlassungssünden ist die Feststellung des wissenschaftlichen Symposiums zum Seehundsterben im Februar dieses Jahres in Hannover, daß das Krankheitsgeschehen so komplex ist, daß ein Vergleich mit dem Waldsterben angebracht ist. Mit anderen Worten: Es sind tiefgreifende Umorientierungen gefordert. Die Petition regt hierzu an. Kein Mensch begreift, daß man das know-how für die ausgeklügeltsten militärischen Tötungstechniken beherrscht, wofür 50 % der wissenschaftlichen Kapazitäten eingesetzt werden, daß aber keine ausgeklügelten Techniken für abfallarme Produktion und fortschrittliche verantwortbare Sondermüllkonzepte angewendet und umgesetzt werden. ({5}) Kein Mensch begreift, daß Dünnsäure immer noch verklappt wird, wo es doch längst Techniken gibt, die diese Verklappung überflüssig machen. Die Petenten fordern ein sofortiges Verbot besonders gefährlicher Stoffe, die in der Schwarzen Liste der EG-Gewässerrichtlinie aufgeführt sind, durch entsprechende nationale Maßnahmen. Das ist eine Forderung der Petenten. Warum denn nicht, meine Damen und Herren? Diese Gifte haben nichts in unserer Umwelt verloren: nicht im Wasser, nicht im Boden und in der Luft und vor allem nicht in der Muttermilch, die deutlich höher belastet ist als die Trinkmilch. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was haben Sie denn gegen die Weiterentwicklung des Vorsorgeprinzips? Was haben Sie gegen international abgestimmte Küstenstrukturpläne? - Nichts? Dann folgen Sie doch unserem Votum, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. ({6}) In dieser Petition steht keine einzige unerfüllbare Forderung. Aber die Berücksichtigung dieser Forderungen würde das längst verspielte Vertrauen in die Fähigkeit der Bundesregierung, überhaupt eine umfassende Nordseeschutzpolitik zu betreiben, möglicherweise wiederherstellen. Denken Sie bei der Abstimmung daran. Ich danke Ihnen. ({7}) - Das macht er immer so.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Göhner. Bitte sehr.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Die Sammelübersichten 104 und 105 betreffen zwei umweltpolitische Petitionen mit durchaus nachdenkenswerten und wichtigen politischen Inhalten. Wenn der Petitionsausschuß diese Petitionen gleichwohl für erledigt erklärt hat, so nicht deshalb, weil die dort angesprochenen Probleme wirklich für erledigt erklärt worden wären, sondern weil diese Themen und exakt die dortigen Forderungen Gegenstand intensivster Ausschußberatung und auch von Debatten hier gewesen sind. Es ist also keine vollständige Absage an den Inhalt. In der Sammelübersicht 104, Herr Kollege Reuter, geht es ja nicht generell um die Frage von Pflanzenschutzmitteln und Trinkwasser, sondern dort fordert der Petent ein ganz bestimmtes Verbot eines bestimmten Pflanzenschutzmittels. Er hat diese Forderung in seiner Petition am 10. August 1988 aufgestellt. Am 1. September 1988, also exakt drei Wochen später, trat die neue Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung des Bundes in Kraft. Und siehe da: In dieser Anwendungsverordnung ist dieses Mittel in Wasserschutzgebieten, in Naturschutzgebieten und in Heilquellenschutzgebieten verboten, so daß Ihre Vermutung, davon könne etwas als Restbestandteil im Trinkwasser gefunden werden, allenfalls dann Wirklichkeit werden könnte, wenn es einen Trinkwassereinzugsbereich gibt, der nicht als Wasserschutzgebiet ausgewiesen ist. So etwas gibt es leider, nämlich in Nordrhein-Westfalen, im größten Trinkwassereinzugsbereich des Bundesgebiets. ({0}) Da gibt es nur einen Ausweg: endlich ein notwendiges Wasserschutzgebiet ausweisen. ({1}) Im übrigen, Frau Nickels: Das, was die Fraktion DIE GRÜNEN in der Begründung ihres Antrags zu dieser Sammelübersicht fordert, könnte ich unterstützen. Sie fordern nämlich, die Anwendung dieses Mittels im Haus- und Kleingartenbereich zu verbieten. Ich wäre bereit, darüber nachzudenken, weil in der Tat die empfehlungsgemäße Verwendung des Mittels dieses ausschließt. Es heißt bei diesem Mittel ausdrücklich: keinesfalls auf Zierrasen verwenden. In Fettdruck befindet sich auf der Packung der Hinweis: Vorsicht bei Plattenwegen und Terrassen, die an Rasenflächen grenzen usw. Das heißt, die Verwendung des Mittels ist im Haus- und Kleingartenbereich nach dieser Anwendungsempfehlung ohnehin unzulässig. Deshalb ist die Kontroverse über dieses Mittel, meine ich, nicht ganz so, wie es hier erschien. Die zweite Petition ist vom Aktionskreis Nordsee eingebracht worden. Hier darf man sicher ausnahmsweise den Petenten nennen. Dieser Aktionskreis Nordsee - das will ich einmal generell sagen - leistet eigentlich eine sehr verdienstvolle Arbeit. Auch wenn ich mich nicht mit allen Forderungen dieses Aktionskreises identifizieren kann, sind davon wichtige Impulse für unsere Diskussion ausgegangen. Liebe Frau Garbe, wir haben nun stundenlang und mehrfach hier im Plenum noch vor wenigen Wochen Diskussionen geführt. Insofern stimme ich Frau Segall zu, daß die Wiederholung dieser Debatte im Plenum anläßlich einer Petitionsdebatte nicht besonders viel Sinn macht, wenngleich es dafür aktuellen Anlaß gibt. ({2}) Ich nenne zwei Gründe: erstens das, was Sie, Frau Kollegin Garbe, genannt haben, die gestrigen Beschlüsse im Kabinett zu den neuen Verwaltungsvorschriften. ({3}) Es ist sehr zu begrüßen - wenn es auch sehr spät geschah - , daß die Verwaltungsvorschriften für kommunale Kläranlagen insbesondere hinsichtlich der Phosphateliminierung und der Stickstoffeleminierung erneut verschärft werden. Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres waren diese Vorschriften gerade hinsichtlich der Nährstoffeinträge Phosphor und Stickstoff verschärft worden, allerdings nicht so weitgehend, wie wir das wollten. Es ist höchstbedauerlich, aber wahr, daß es erst der Katastrophe des letzten Jahres in der Nordsee bedurfte, bevor dieses weitergehende Stück möglich war. Aber dann wollen wir es auch beim Namen nennen: Es waren die kommunalen Spitzenverbände und die Länder, und zwar völlig unabhängig von der politischen Couleur, die damals gesagt haben: Noch weitergehende Maßnahmen sind von den Gemeinden nicht finanzierbar. Deshalb waren damals unsere weitergehenden Vorstellungen verhindert worden. Sind wir uns darin einig, daß es vernünftig ist, wenn das jetzt, übrigens ebenso wie die Verwaltungsvorschriften für die Industrie, gestern mit vernünftigen Beschlüssen auf den Weg gebracht worden ist? Aber der zweite Anlaß, den ich erwähnen möchte, macht mir noch viel größere Sorgen. Wir haben lange kontrovers über die Frage diskutiert, daß man dann natürlich vor allem den Kommunen mehr finanzielle Mittel geben müsse, um diese Maßnahmen, vor allem zur Sanierung kommunaler Kläranlagen, wirklich durchführen zu können. Damals waren z. B. von den Oppositionsfraktionen Anträge vorgelegt worden, diese Mittel beträchtlich zu erhöhen. ({4}) Nun haben wir das Strukturhilfegesetz des Bundes. Dieses Gesetz haben wir übereinstimmend mit allen Kräften des Hauses im Umweltausschuß in dieser Richtung beraten. Wir haben auch die Möglichkeit eröffnet, daß Investitionen des Umweltschutzes aus diesen Mitteln begünstigt werden können. Nun will ich ein Beispiel nennen, das sehr traurig ist: Nordrhein-Westfalen bekommt jedes Jahr 756 Millionen DM aus dieser Strukturhilfe. Was macht das Land in Sachen Abwasserbeseitigung? Es kürzt die Zuschüsse des Landes für Abwasserbeseitigung um ein Drittel, in Einzelfällen nach neuen Fördersätzen, die seit dem 1. Februar dieses Jahres in Kraft sind, um die Hälfte. ({5}) Deshalb kann ich nur sagen: Alle diese Vorschläge, die auch hier in der Petition vorgebracht werden, die in der Richtung vernünftig sind, sind natürlich Makulatur, wenn in den Ländern das glatte Gegenteil gemacht wird. Ich will mich nicht damit herausreden, daß in den Ländern weniger geschieht, aber ich will darauf hinweisen, daß die Vollzugskompetenzen in diesem Bereich des Gewässerschutzes ausschließlich bei den Bundesländern liegen. Wir können hier Kopfstände machen - wenn in der Praxis der Bundesländer das glatte Gegenteil geschieht und Mittel zusammengestrichen werden, dann läuft das alles leer. Deshalb möchte ich diese Debatte zum Anlaß nehmen, die im Kern durchaus vernünftigen Forderungen an diejenigen zu richten, die den Vollzug auf diesen Gebieten leisten müssen. Das sind die Bundesländer. Insbesondere Nordrhein-Westfalen tut leider das Gegenteil. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/4137 ({0}) stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 10b - Sammelübersicht 104 - , und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4366. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/4138 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Mit Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Nun kommen wir zu der Abstimmung zu Punkt 10 c, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4367. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den Vizepräsident Stücklen bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/4139 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu dem Antrag der Angeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Olms und der Fraktion DIE GRÜNEN Übernahme des Berliner Document Centers für NS-Akten durch die Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 11/1926, 11/4032 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Vollmer Neumann ({2}) Frau Hämmerle Lüder Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4373 und 11/4387 vor. Im Ältestenrat ist für diese Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Der Herr Abgeordnete Wüppesahl beantragt hingegen, die vereinbarte Redezeit um einen Beitrag für ihn zu erweitern. Wer für den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer ganzen Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich stelle fest: Sie waren der einzige, der für ihren Antrag gestimmt hat, Herr Abgeordneter Wüppesahl. Wer für die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Herr Wüppesahl, auch Sie enthalten sich? - Sie stimmen dagegen. Bei einer Gegenstimme und drei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Vorschlag des Ältestenrates angenommen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kleiner Fortschritt ist mit der heute vorliegenden Beschlußempfehlung erreicht worden, ein kleiner Fortschritt am Ende einer sehr heftigen Auseinandersetzung. Der Ausschuß hat sich darauf festgelegt, die Bundesregierung zu sofortigen Verhandlungen mit den Amerikanern aufzufordern. Die Übernahme des Document Center kann nicht erst am Ende der Verfilmung der Akten stattfinden. Der Bestand ist nämlich erheblich bedroht. Die Gefahr des Zerbröselns besteht. Konservierende Maßnahmen müssen ergriffen werden. Daher muß die Übergabe sofort geschehen. So weit, so gut und auch notwendig. Damit daraus ein Schuh wird, muß sich die Regierung, in diesem Fall das Außenministerium, umgehend daran halten. Ich wünschte mir, daß wir noch in dieser Debatte erfahren, wann die Verhandlungen abgeschlossen sein werden. Wir brauchen diese Nachricht sofort. Aber damit haben wir nur die Oberfläche des Problems gestreift, nämlich die Voraussetzungen geschaffen, daß es überhaupt noch irgendwann Akten, lesbare Akten gibt, in denen jemand forschen und suchen kann. Sonst wären sie nämlich durch Diebstahl und durch Verkauf unzugänglich geworden und durch natürlichen Verfall vernichtet worden. Das viel größere Problem ist jedoch: Wer kriegt diese Akten eigentlich zu lesen? Und das noch viel größere Problem ist: Warum hat es so lange gedauert, und warum hat so lange nur eine ganz kleine, erlesene Schar von Menschen diese Akten überhaupt sehen dürfen? Die Akten, um die es sich hier handelt, sind nämlich von einer ungeheuren Brisanz. Im Document Center lagert, von deutschem Bürokratenfleiß gesammelt, die ganze Sozialgeschichte des Dritten Reiches. Es war das Grauen vor dieser hunderttausendfachen Alltäglichkeit von im Dritten Reich engagierten Menschen, in das wir nie einen Blick tun durften. Meter-und regaleweise hätte es da etwas zu entdecken gegeben: die Ärzte, die Künstler, die Blockwarte, die Lehrer. Es ist kein normales Archiv, so normal es auch irgendwann aussehen wird. Es ist von einer grauenhaften Besonderheit. Der Staat Israel hat den Versuch unternommen, in Yad Vashem die Lebensgeschichte der Opfer des Nationalsozialismus und die Leidensgeschichte dieser Opfer zu dokumentieren und zugleich zu erforschen. Es wäre die Aufgabe der Deutschen gewesen, jenes System zu dokumentieren und zugleich zu erforschen, das diese Opfer hervorgebracht hat. ({0}) Ich glaube, wir müssen uns auch in dieser Debatte eingestehen: Zu dieser Dokumentation ist diese Nation nicht in der Lage gewesen. Damit komme ich zu dem Versuch einer Klärung der Frage, warum es um dieses Document Center jahrzehntelang so heftige politische Auseinandersetzungen gegeben hat. Ich habe lange nicht begriffen, woher diese Heftigkeit kam, zumal sie z. B. in unserem Ausschuß von dem Kollegen Hirsch so exponiert vertreten wurde. Ich habe das Motiv gesucht, das diesen Widerstand so heftig macht. Für diesen Streit gab es ja schon einmal eine Vorphase in einer ebenso heftigen Auseinandersetzung in der Sozialdemokratischen Partei, als Karl-Heinz Hansen mit dem Versuch gescheitert ist, die Öffnung dieses Archivs zu erreichen. Ich glaube, allmählich habe ich das Motiv verstanden. Es ist der Versuch einer Befriedung der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. ({1}) Es ist der Versuch, einen Neuanfang möglich zu machen, den Einbrüche aus der Vergangenheit nicht imFrau Dr. Vollmer mer wieder zerstören sollten. Es war die Sorge, daß in diesem Archiv Munition gelagert sein könnte, die jeden sozialen Zusammenhang zerstören würde, z. B. indem man bestimmte Auseinandersetzungen nachträglich durch ein plötzliches Offenlegen der Geschichte von Vätern und Großvätern beeinflussen oder entscheiden würde. Dahinter steckte also ein tiefes Mißtrauen in die Fähigkeit dieser Gesellschaft, mit dieser Munition sozialverträglich umzugehen. So hat sich im Document Center für uns, die wir viel wissen wollten und wenig erfahren haben von der Geschichte unserer Eltern und Großeltern, unserer Lehrer, Ärzte und Pfarrer, dies als eine permanente Verweigerung herausgestellt. Es kann ja sein, daß wir das gar nicht ertragen hätten, was in diesem Archiv zu finden war. Vielleicht haben wir sogar unbewußt daran mitgearbeitet, denn sonst müßte unsere Kraft ja gereicht haben, um die Öffnung dieses Archivs zu erreichen. Aber, so frage ich zurück: Mußte man sie uns deswegen wirklich vorenthalten? ({2}) War nicht unsere eigene Feigheit, das Nicht-ErtragenKönnen, schon so groß, daß wir uns diese ganze Wahrheit so hautnah nun doch nicht zumuten wollten? Heute glaube ich: Wenn man es uns überlassen hätte, damit umzugehen, hätten wir auch die Chance gehabt, großzügiger mit den geringeren Irrtümern der Generation unserer Väter und Großväter umgehen zu können, um uns dann wirklich den tatsächlich unfaßbaren Irrtümern intensiver zuwenden zu können. ({3}) Wir wären dann weniger die Jäger unserer Eltern und Großeltern gewesen, aber fundiertere Antifaschisten. Jetzt, wo die Akten vielleicht erhalten werden, gibt es eine ganz andere Schranke: das Bundesarchivgesetz. Das ist nun wirklich etwas sehr Absurdes. Die Debatte, die wir über den „Schutz der Privatheit" führen, wird ausgenutzt, um das, was im Document Center steht, zu verdecken, um uns den Blick hinein noch einmal zu versperren. Dies finde ich absurd. Aus diesem Grunde bitte ich Sie ganz dringend, diese Debatte, die wir heute führen, nicht dazu zu benutzen, uns den dringend notwendigen Blick in diese Akten noch einmal zu versperren, und deswegen bitte ich Sie auch, unserem Antrag zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.

Bernd Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die im Document Center Berlin archivierten 27 Millionen personenbezogenen Akten aus der NS-Zeit stellen ein umfangreiches historisches Quellenmaterial dar. Lassen Sie mich dazu folgende Feststellungen treffen. Erstens. Das Document Center ist - im Gegensatz zu dem Eindruck, den Sie erweckt haben, Frau Vollmer - seit Jahren für wissenschaftliche Forschung sowie behördliche Zwecke fast uneingeschränkt zugänglich. Für Benutzer aus der Bundesrepublik Deutschland und jetzt auch Berlin ist im Prinzip das Bundesarchiv zuständig, welches bei dem Antragsverfahren mit empfehlendem Charakter beteiligt ist. Von den Vertretern aus Wissenschaft und Forschung sind, bezogen auf den Zugang zu den Personenakten des Document Centers - das hat die Anhörung bestätigt - , bisher überhaupt keine Klagen und Beschwerden erfolgt. Der Vertreter, der beim Hearing Ihnen zuzurechnen war, Herr Dr. Götz Aly, hat das bestätigt. Zweitens. Auch für die Verfolgung strafrechtlich relevanter Momente ist das Document Center von Anfang an uneingschränkt zugänglich gewesen. Nach Aussagen des jetzigen leitenden Oberstaatsanwaltes Streim bei der Anhörung des Innenausschusses sind für seine Ermittlungen die Akten nicht mehr relevant, weil sie alle durchgesehen worden sind. Drittens. Auch die im neuen Bundesarchivgesetz unter § 5 vorgesehenen Schutzfristen, bezogen auf die Persönlichkeitsrechte von natürlichen Personen, haben die wissenschaftliche Nutzung der Akten im Document Center ernsthaft nie behindert, weil die mögliche Anwendung der Fristverkürzung nicht die Ausnahme, sondern die praktizierte Regel darstellte und nach wie vor darstellt. Fazit: Die vielfach erzeugte geheimnisumwitterte Legende - die Sie auch wieder darzustellen versucht haben, Frau Vollmer - , die bisherigen Zugangsregelungen hätten das Aufdecken von Verstrickungen führender Persönlichkeiten des heutigen öffentlichen Lebens oder gar von Straftaten unmöglich gemacht, ist nachweislich falsch. Viertens. Trotz allem muß nach Auffassung der CDU/CSU die Übernahme des Document Centers durch die Bundesrepublik Deutschland möglichst bald erfolgen. Die Anhörung hat bestätigt, daß die Archivierung der Akten höchst unzulänglich und nicht fachgerecht ist. Eine Konservierung des vom Verfall bedrohten, für die historische Forschung wichtigen Aktenbestandes ist dringend erforderlich. Ebenso sind verbesserte Sicherheitsmaßnahmen nötig, so daß Diebstähle von Akten - wie in der Vergangenheit vorgekommen - verhindert werden. Fünftens. Wir sind dafür, daß die Akten des Document Centers nach Übernahme in jedem Fall in Berlin bleiben, allerdings - im Gegensatz zum jetzigen Verhandlungsstand mit den Amerikanern - eindeutig dem Bundesarchiv in Koblenz zugeordnet werden. Nun ist bekannt, daß sich seit 1967 die verschiedenen Bundesregierungen nachweisbar bemüht haben, das Archivgut in deutsche Obhut zu bekommen. Es hat Verhandlungen mit den Amerikanern gegeben. Inzwischen sind diese zu einer Übergabe bereit, allerdings erst nach einer vollständigen Mikroverfilmung aller Unterlagen. Das kann allerdings noch vier bis fünf Jahre dauern. Deshalb bitten wir die Bundesregierung, erneut in Verhandlungen einzutreten, um eine alsbaldige Übergabe des Archivs zu erreichen. Ich füge hinzu: Nach meinen Informationen sind die Neumann ({0}) Amerikaner allerdings im Augenblick nicht besonders geneigt, das zu tun. Dennoch sollte eingehend verhandelt werden. Die Forderung der GRÜNEN - Sie haben ja extra noch einen Entschließungsantrag eingebracht, Frau Vollmer - , für alle Mitglieder der NSDAP und ihrer Organisationen den personenbezogenen Datenschutz aufzuheben und deren persönliche Daten der Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglich zu machen, lehnen wir ab. Das Bundesarchivgesetz stellt mit seinen Zugangsregelungen eine ausgewogene Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Wissenschaftsfreiheit dar. Es besteht kein Anlaß, diese Regelungen im Hinblick auf die Unterlagen des Berliner Document Centers zu ergänzen. Mitglieder der NSDAP genießen prinzipiell den gleichen Persönlichkeitsschutz wie andere natürliche Personen; denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht - das besagt ja das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - kann, wie auch sonst, nicht allein nach politischer Überzeugung oder nach der moralischen Verwerflichkeit des Verhaltens abgestuft werden. Die Nachforschung und Erforschung z. B. der dienstlichen Tätigkeit eines Gauleiters wurde durch Persönlichkeits- und Datenschutzregelungen seit 1945 noch nie behindert. Aber die im Document Center gespeicherten Daten von Millionen von Menschen, die zum Teil nicht mehr leben, betreffen nicht alle Naziverbrecher, sondern vielfach Mitläufer, Mitglieder von NS-Zwangsorganisationen wie Kammern und berufständischen Verbänden. Von diesen Personen sind zum Teil höchst intime persönliche Dinge in Akten enthalten, die für die Forschung von geringem Wert und von noch viel geringerem Wert für die Öffentlichkeit sind. Wir haben überhaupt keine Veranlassung, der Vertuschung von Schuld das Wort zu reden, aber es gibt eben nicht zweierlei Recht, und deswegen lehnen wir Ihren Zusatzantrag entschieden ab. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hämmerle.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Erinnerung: Bei den Beständen des Berliner Document Centers - wir hörten das heute schon - handelt es sich nach Ansicht aller Experten um die letzte, die bedeutendste und die größte archivarische Masse aus der Zeit des Nationalsozialismus, die sich noch nicht in den Händen der Bundesrepublik Deutschland befindet, da die Amerikaner sie zur Zeit immer noch, wie wir wissen, im Besitz haben. 100 Millionen Blatt Papier zur Geschichte der NSDAP und ihrer Untergliederungen liegen in den Räumen des ehemaligen Gestapo-Abhörbunkers in BerlinZehlendorf. Diese Bestände gerieten erneut in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, daß im Laufe der Jahre Tausende von Unterlagen illegal zu Militariahändlern oder NSFans gewandert sind. Alle Parteien waren sich daher einig, daß diesen Zuständen ein Ende bereitet werden muß. Als die GRÜNEN dann einen Antrag zur Übernahme des Document Centers einbrachten, stimmten alle Parteien im Innenausschuß wie auch im Auswärtigen Ausschuß darin überein, daß die Verhandlungen mit den Amerikanern so bald wie möglich abgeschlossen werden sollten und die Bundesrepublik die Bestände übernehmen muß. Andere Fragen, wie z. B. die des personenbezogenen Datenschutzes für NS-Mitglieder und Funktionsträger, die Errichtung eines Großforschungszentrums und des wissenschaftlichen und öffentlichen Zugangs zu den Akten, ließ der Innenausschuß auf einer Anhörung am 28. November des vergangenen Jahres erörtern. Diese Anhörung - da gebe ich dem Kollegen Neumann in weiten Teilen recht - hat ergeben - auch durch die Experten, die die GRÜNEN geladen hatten - , daß der Zugang nach der jetzigen Praxis nicht erschwert worden ist. Die SPD-Fraktion befürwortet folgende Entscheidungen, die sich aus dieser Anhörung ergeben: die möglichst rasche Übergabe des Document Centers an die Bundesrepublik Deutschland unter Zusage an die Amerikaner, daß sie die Akten in unserem Besitz auch weiterhin verfilmen können. Wir befürworten ebenfalls die Übergabe des Materials an das Bundesarchiv in Koblenz, dessen fachliche Kompetenz von keiner Partei während dieser Anhörung bestritten wurde. Wir befürworten weiterhin das Verbleiben des Materials in Berlin und die Nutzung entsprechend den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes. Zum letzten Punkt hat die SPD-Fraktion im Innenausschuß allerdings einen Änderungsantrag eingebracht, eine erweiterte Forderung gestellt, die wir hier heute erneut einbringen. Sie liegt Ihnen als Änderungsantrag zur Beschlußfassung vor. Dieser Änderungsantrag begehrt, daß der Zugang zu den Materialien des Berliner Document Centers, NS-Funktionsträger bzw. andere Personen der Zeitgeschichte betreffend, durch eine in § 6 des Bundesarchivgesetzes vorzusehende Nutzungsverordnung zu erleichtern ist. Das, was im Augenblick praktiziert wird, wird - so haben wir von den Experten gehört - ordentlich und gut praktiziert, aber man muß davon ausgehen, daß es vielleicht einmal durch irgendein Belieben oder irgendeine andere Einstellung nicht mehr so liberal praktiziert werden könnte. Wir stellen diesen Änderungsantrag, die Nutzungsverordnung betreffend, weil wir genau das wollen, Frau Dr. Vollmer, was Sie auch wollen, daß die geschichtliche Erforschung und die möglicherweise noch anstehende Strafverfolgung durch gar nichts, aber auch durch gar nichts erschwert werden kann. Aus diesem Grunde, so glaube ich, ist unser Änderungsantrag durchaus dazu angetan, die bereits praktizierte liberale Nutzungsverordnung gesetzlich festzuschreiben. Die SPD hat immer betont, daß sie ganz großen Wert darauf legt, daß das Archiv politisch kontrollierbar ist und in einer transparenten Weise genutzt werden muß. Wir glauben zwar, daß die Beschlußempfehlung des Innenausschusses dies gewährleistet, denken aber, daß unser Änderungsantrag unser Anliegen noch verstärkt. Wir bitten Sie deshalb, ihm zuzustimmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder. ({0})

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielzweckwaffe, Herr Kittelmann. Aber das wissen Sie seit langem. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Dokumente der dunklen Jahre Deutschlands dürfen nicht verlorengehen. Das ist für mich eine vordringliche Forderung, die sich in Auswertung der Sachverständigenanhörung zum Berlin-Document-Center ergibt. Das Berlin-Document-Center enthält alle Namen von Mitgliedern von NS-Organisationen, mit deutscher Gründlichkeit gesammelt und archiviert. Während wir Politiker noch darüber stritten - das war ja auch Grund für den der Debatte zugrunde liegenden Antrag - , wer für das Archiv zuständig und wer zum Einblick berechtigt sein sollte, belehrten uns die Sachverständigen, daß der Zahn der Zeit ganz schlicht am Papier nagt. Wenn nicht bald etwas zur Sanierung der Dokumente geschieht, gehen sie kaputt. Wir wissen auch, daß die Fotokopierarbeiten deswegen sorgfältiger als bei Normaldokumenten üblich gemacht werden müssen. Auch wenn das vielleicht etwas mehr kostet oder etwas länger dauert: Es ist wichtig, daß die Dokumente erhalten bleiben. Deswegen müssen die Fachleute - und das sind nun einmal die Mitarbeiter des Bundesarchivs - schnell und eigenverantwortlich darangehen können, dieses Archiv zu konservieren. Wir bitten die Bundesregierung - dabei unterstreiche ich das, was Kollege Neumann gesagt hat - , mit den Alliierten, insbesondere den Amerikanern, intensiv darüber zu verhandeln, daß das Archiv zügiger als bisher geplant in deutsche Verantwortung übertragen wird. Wir bitten die Bundesregierung, dabei darauf zu drängen, daß keine bürokratischen Umwege gewählt werden, etwa durch Einschaltung des Bundesverwaltungsamtes, Außenstelle Berlin, oder ähnliches. Ich habe aus der Anhörung den Eindruck gewonnen, daß es ein umfassendes Anliegen in Ost und West ist, dieses Archiv zu sichern, und das geht nun einmal nur, wenn auch die erfahrenen Praktiker damit beauftragt werden. Das muß man in West und Ost wissen und akzeptieren. Die Übertragung auf das Bundesarchiv hat für uns auch die weitere Konsequenz, daß über die Nutzungs-und Einsichtsmöglichkeiten diejenigen wachen, die das deutsche Archivrecht anzuwenden verstehen. Frau Hämmerle, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bestätigt haben, daß die Praxis, gerade was die Forschungsarbeiten betrifft, hier keinerlei Grund zur Beanstandung gibt. Uns kam und kommt es darauf an, kein Sonderrecht für ehemalige Naionalsozialisten zu schaffen. Nicht mit der Denunziation der persönlichen Vergangenheit der einzelnen Nazis können wir die politische Auseinandersetzung mit dem NS-System der Vergangenheit oder auch den Rechtsextremisten der Gegenwart führen, sondern nur mit sachlichen Argumenten, die auch in der Gegenwart Bestand haben. ({0}) Meine Damen und Herren, wir bekämpfen Schönhuber und seine rechtsradikalen Extremisten nicht allein deswegen, weil er und seine Freunde Nazis waren, sondern weil er und seine Freunde sich zu einer Vergangenheit als SS-Schergen uneingeschränkt bekennen und vor allem, weil seine Parteipolitik den Grundsätzen des NS-Regimes zu nahe verbunden ist. Um das zu erkennen, brauchen wir weiß Gott kein Berliner Document Center. Für das Berlin-Document-Center gilt für uns unverändert, worauf ich in der ersten Lesung hingewiesen habe: Es bleibt ein unverrückbarer Grundsatz, daß Persönlichkeitsschutz, Datenschutz aus Archiven, Anwendung des Archivgesetzes Grundlage auch im Umgang mit den Unterlagen sein muß, die sich auf die NS-Zeit beziehen. Wir wollen keine Sondertatbestände haben. Das Archivgesetz ist die geeignete Grundlage für die Nutzung der Daten auch des BerlinDocument-Centers für Wissenschaft und Forschung. Hier muß in der Zukunft der Schwerpunkt der Auswertung liegen. Deswegen lehnen wir auch den heute neu gestellten Antrag der Fraktion der GRÜNEN und auch den der SPD ab. Das Bundesarchivgesetz gilt für alle und jeden. Wir wollen keine Ausnahmegesetze. Das hilft uns auch politisch nicht weiter. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Lüder, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Vollmer, bitte sehr.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lüder, Sie sind doch Jurist, und als solcher wissen Sie doch, daß es einen Unterschied zwischen einem Sondergesetz und einer Nutzungsordnung gibt. Eine solche ist Inhalt des Antrags.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir wollen keinen sondergesetzlichen Tatbestand. Wir brauchen auch keine Verordnung, weil wir für Forschungszwecke und auch für die Kriminalitätsbekämpfung hinreichend bestätigt bekommen haben, daß hier keinerlei Einschränkungen bestanden. Hier geht es um eine Verordnung zur Öffnung des Archivs für andere als Forschungszwecke und Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung. Das lehnen wir als Sondertatbestand ab. Lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir den Amerikanern auch dankbar dafür sind, daß sie - in der Vergangenheit jedenfalls - das Archiv sorgfältig bewahrt und - wie wir ebenfalls in der Anhörung feststellen konnten - die Kriminalitätsbekämpfung nie auf irgendeine Art erschwert haben. Für jeden, der einer Straftat verdächtigt worden war, konnten die Akten der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Nichts ist irgendwo verkleistert worden. Das ist wichtig. Heute geht es darum, einen eigenverantwortlichen Beitrag insbesondere von Wissenschaft und Forschung zu liefern, um die deutsche Geschichte in der dunklen Zeit der NS-Herrschaft aufzuarbeiten. Dies können wir nicht den früheren Besatzungsmächten überlassen. Deswegen wollen wir das Archiv in eigene Hände haben, in die Hände des verantwortlichen Bundesarchivs. Ich bitte um Zustimmung zur Empfehlung des Ausschusses. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Conradi das Wort gemäß § 31 der Geschäftsordnung.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine kurze Erklärung zur Abstimmung abgeben. Da ich erwarten muß, daß die Änderungsanträge der GRÜNEN und der Sozialdemokraten abgelehnt werden, werde ich der Beschlußempfehlung des Ausschusses nicht zustimmen. Ich halte es für gut, daß das Document Center in Berlin mit den NS-Akten endlich in deutsche Hände kommt. Das hat eine lange, quälende Vorgeschichte über viele Jahre. Nicht nur diese Bundesregierung, sondern auch frühere Bundesregierungen haben sich hier sehr hinhaltend, um nicht zu sagen verschleppend, verhalten. Insofern würde ich der Beschlußempfehlung des Ausschusses gern zustimmen. Was ich nicht begreifen und nicht hinnehmen will, ist die Tatsache, daß persönliche Daten der Menschen, der NS-Funktionäre, derer, welche die NSDAP unterstützt und gefördert haben - Herr Lüder - , unter die Schutzbestimmungen, die Sperrfristen des Bundesarchivgesetzes fallen sollen. Die haben Deutschland und Europa in tiefstes Unglück gestürzt. Dies jetzt unter die Schutzfristen des Archivgesetzes zu setzen, halte ich nicht für erträglich. Deswegen werde ich der Beschlußempfehlung des Ausschusses nicht zustimmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort gemäß § 29 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Geschäftsordnungsbeitrag setzt sich aus zwei Abschnitten zusammen. Der erste. Bei einem solch sensiblen Thema, das gerade mit dem Selbstverständnis in demokratischen Grundfragen einherzugehen hat, möchte ich Ihnen doch zur Kenntnis bringen: Das, was Sie vorhin beschlossen haben, nämlich einen Redebeitrag von mir zur Sache nicht zuzulassen, verstößt eindeutig gegen das Grundgesetz. Es ist nicht abstimmungsfähig, ob ich reden darf, wenn ich mich zu einem Tagesordnungspunkt melde. Es ist nur abstimmungsfähig, wie lange ich reden darf. - Da hoffe ich in der Tat, daß nach dem Karlsruher Spruch die 5-Minuten-Redezeit verankert sein wird. Meine Rechtsauffassung resultiert sowohl aus dem Wortlaut des Grundgesetzes als auch aus einem Satz in einem Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts selbst, wie auch aus dem herrschenden Kommentar von Ritzel-Bücker zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Das heißt also, der Direktor des Bundestages selbst hat formuliert, daß so etwas nicht abstimmungsfähig ist. Einige Redner und Rednerinnen haben sehr sensibel - und zum Teil auch meine Sachausführungen ersetzende Positionen formuliert. Auch durch die Erklärung zur Abstimmung meines letzten Vorredners ist vieles dessen, was ich sagen wollte, überflüssig geworden. Aber an einer solchen Stelle dermaßen unsensibel mit dem Recht eines Ihrer Kollegen aus dem Plenum umzugehen, finde ich geradezu konterkarierend für das, was Sie hier beschließen wollen. Zum zweiten Teil dieses Geschäftsordnungsantrages, auch wenn es Ihnen sehr unangenehm erscheinen mag! Ein Teil dieses Abschnittes hat sich bereits dadurch erledigt, daß Herr Schäuble hier anwesend ist. Ich möchte auf § 42 der Geschäftsordnung hinweisen, der lautet: Der Bundestag kann auf Antrag einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung beschließen. Gerade weil es solche Probleme gibt und auch in den Ausschußberatungen gegeben hat, möchte ich, daß der amtierende Bundesminister des Innern - er ist zum Teil mitverantwortlich für die bisher gelaufene Debatte - anwesend ist. Da reicht es nicht, daß Herr Staatssekretär Spranger im Raume ist. ({0}) Herr Schäuble ist jetzt hier im Raum anwesend. Von daher erledigt sich der zweite Teil dessen, was ich beantragen wollte. Ich bitte, dies mit zwei Antragsversionen abstimmen zu lassen, Herr Präsident, und zwar als erstes - wie es in der Geschäftsordnung steht: fünf vom Hundert der anwesenden Mitglieder; das sind vielleicht zehn oder 15 Personen, die dafürstimmen müßten - , daß Herr Zimmermann zu erscheinen und auch Ausführungen zu den Vorwürfen und Kritiken zu machen hat, die hier formuliert wurden. Und als Auffangantrag bitte ich gemäß § 126 der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen, wonach der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit die Abweichung im Einzelfall beschließen kann. Die Abweichung im Einzelfall bedeutet hier, daß auch ich als Einzelabgeordneter und nicht nur Sie als Fraktion die Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung beantragen kann. Ich beantrage also als Auffangposition, daß der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschließen möge, daß auch ich in dieser Situation - Einzelfall - den Antrag stellen kann, daß der Bundesminister des Innern hier zu erscheinen hat. Ich bitte um Beschlußfassung in dem von mir beantragten Sinne.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, es ist ein Antrag nach § 42 unserer Geschäftsordnung Vizepräsident Stücklen gestellt worden. Dieser Antrag ist nur dann zur Abstimmung zu stellen, wenn ihn mindestens 25 Abgeordnete unterstützen. Ich frage daher das Haus: Wer will diesen Antrag unterstützen? Ich bitte um ein Handzeichen. - Die notwendige Unterstützung ist nicht gegeben; es haben zwei Abgeordnete diesem Antrag zugestimmt. Damit ist er gegenstandslos geworden. Meine Damen und Herren, über Verfahrensweisen des Präsidiums wird nicht hier im Bundestag debattiert, sondern dafür gibt es den Ältestenrat, wo diese Fragen zu behandeln sind. Selbstverständlich wird auf Anregung des Herrn Abgeordneten Wüppesahl diese Frage, die er angeschnitten hat - ob sie zulässig war oder nicht zulässig war - im Präsidium und anschließend im Ältestenrat besprochen. Nach dieser Auslegung des Ältestenrates wird dann auch künftig verfahren werden. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/4032 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1926 in der vom Ausschuß empfohlenen Fassung anzunehmen. Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt getrennte Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Wer für den Abs. 1 der Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. - Also ist dieser Abs. 1 der Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Wir kommen nunmehr zu Abs. 2 der Beschlußempfehlung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4387 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Ich bitte um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. - Bei einer Reihe von Ja-Stimmen ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über Abs. 2 in der Ausschußfassung ab. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. - Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist dieser Abs. 2 der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen. Wer für Abs. 3 der Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/4032 einstimmig angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4373, der darauf gerichtet ist, der Beschlußempfehlung einen weiteren Absatz anzufügen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN und bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten mit Mehrheit abgelehnt. Damit ist die Beschlußempfehlung in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Schäfer ({0}) das Wort.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder hat Bundeskanzler Helmut Kohl bei einem der umstrittensten Projekte der Kernenergie, der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, buchstäblich den Teppich unter den Füßen weggezogen. ({0}) In einer der wichtigsten politischen Fragen dieser Republik ist die Bundesregierung handlungsunfähig. Das einzige, was dem Bundeskanzler Kohl dazu einfällt, ist das krampfhafte Festhalten an einem ebenso sinnlosen wie gefährlichen Projekt der Plutoniumwirtschaft. Daß ausgerechnet Teile der Energiewirtschaft mit dem Ausstieg aus Wackersdorf diese Bundesregierung zum Lackmustest zwingen, ({1}) macht die Sache besonders pikant. Dies hat sich übrigens beim Gerangel um die Finanzierung des Schnellen Brüters in Kalkar schon angedeutet. Die Veba ist mittlerweile nicht mehr allein. Das RWE, das Badenwerk und die Energieversorgung Schwaben haben sich den ökonomischen Überlegungen von Herrn Bennigsen-Foerder in bezug auf Wakkersdorf ebenfalls angeschlossen. ({2}) Sie haben sich von der Wiederaufarbeitungsanlage in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Dies begrüßen wir Sozialdemokraten ausdrücklich. ({3}) Und wenn es richtig ist, meine Damen und Herren, daß dieser Schritt den Verbrauchern jährlich zwei Milliarden DM Stromkosten spart, so zeigt dies zusätzlich an, daß diese Bundesregierung wirtschaftlich inkompetent ist. ({4}) Gegen jede ökologische und jede ökonomische Vernunft, gegen die Mehrheit der Bürger und gegen die Energiewirtschaft will der Bundeskanzler ein wahn10142 Schäfer ({5}) sinniges Projekt durchsetzen - und das mit einer auch in dieser Frage zerstrittenen Bundesregierung. ({6}) Die Energiewirtschaft hat Wackersdorf den Todesstoß versetzt. ({7}) Sie geht in einer zentralen politischen Frage auf Konfrontationskurs zur Regierung Kohl. ({8}) Damit ist das nationale integrierte Entsorgungskonzept mit Wiederaufarbeitung gestorben. ({9}) Und, meine Damen und Herren: Wer Wackersdorf aufgibt, muß auch Kalkar aufgeben. ({10}) Die SPD tritt für ein Nutzungsverbot für Plutonium ein. Wir meinen, die Nutzung von Plutonium verletzt die Grundrechte des Individuums. Deshalb hat die SPD in Karlsruhe eine Verfassungsklage gegen die Nutzung von Plutonium eingereicht. Natürlich kann die Verfassungsklage nur für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Geltung haben. ({11}) Aber für uns endet der Schutz des Individuums nicht an unserer Grenze. ({12}) Auch deshalb können wir ein Ausweichen nach La Hague nicht mittragen. ({13}) Der Verzicht auf Wiederaufarbeitung löst aber nicht das Entsorgungsproblem. Wir wollen den sichersten Weg bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle mit der direkten Endlagerung gehen. Dieser Weg ist kostengünstiger und proliferationssicher. Wir haben mit der Entscheidung, Wackersdorf aufzugeben, die Chance, den sichersten Entsorgungsweg zu gehen. Diese Chance müssen wir nutzen. Wir fordern die Energiewirtschaft und die Bundesregierung auf, mit uns den Weg der direkten Endlagerung zu gehen. ({14}) Suchen wir gemeinsam, auch in Europa, die sicherste Lösung! Verständigen wir uns aber zunächst national auf ein neues Entsorgungskonzept, versuchen wir dann aber gemeinsam, dieses Konzept auch in Europa durchzusetzen! Ein Konsens in der Entsorgungsfrage auf der Basis der direkten Endlagerung ist die Antwort auf das Ende der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Nutzen wir alle, meine Damen und Herren, auch die Bundesregierung, die Chance, die nur die Bewegung der Energiewirtschaft gibt! Steigen wir aus der Nutzung der Plutoniumwirtschaft in Wackersdorf und in Kalkar aus! Wir dürfen, meine Damen und Herren, aber nicht zulassen, daß die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zu einem 10-Milliarden-Mahnmal mangelnder Lernfähigkeit konservativer Politik wird. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das nationale Konzept einer integrierten Entsorgung aus dem Jahre 1979 ist bis heute Bestandteil der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Konzept ist zwischen der damaligen Bundesregierung und den Regierungschefs der Länder vereinbart worden. Sämtliche Parteien waren sich darin einig, daß nur die nationale Verfügbarkeit über alle Glieder der Entsorgungskette eine ausreichende Sicherheit gewährleistet, damit politische und wirtschaftliche Risiken vermieden werden. ({0}) Nur, meine Damen und Herren, diese Übereinstimmung von damals besteht in Wahrheit schon lange nicht mehr. ({1}) Wer die Ausführungen der SPD heute gehört hat und die Presseerklärung von gestern noch hinzuzieht, dem wird deutlich, daß die SPD nach wie vor kein Interesse an einem energiepolitischen Konsens zeigt. Die von der VEBA eröffnete Diskussion im Hinblick auf eine Verlagerung der Wiederaufarbeitung nach Frankreich macht deutlich, daß die SPD auch eine europäische Lösung der Wiederaufarbeitung ablehnt. Überraschenderweise hat sich die SPD auf die Seite der Industrie geschlagen, indem sie - ich zitiere Sie, Herr Lennartz, von gestern wörtlich - „die neue Beweglichkeit der Industrie begrüßt". ({2}) Der Widerspruch dieser Argumentation, etwas zu begrüßen, was man im Ergebnis ablehnt, zeigt die Irrationalität der SPD-Ausstiegsideologie. ({3}) Ich bedaure außerordentlich, daß diese wichtige Frage unter solchen Voraussetzungen diskutiert werden muß. Meine Damen und Herren, es kann nicht bestritten werden, daß alles dafür spricht, die Chance für eine neue europäische Perspektive zu nutzen und alle Möglichkeiten für bilaterale und supranationale Regelungen auszuloten. Wir brauchen mit Sicherheit eine europäische Energiepolitik, die grenzüberschreitend optimiert wird. Dies gilt allerdings für alle Bereiche der friedlichen Nutzung der Kernenergie, also auch für Versorgung und Entsorgung. ({4}) Über das integrierte Entsorgungskonzept bestand bisher ein jahrelanger energiepolitischer Konsens, auch zwischen der Bundesregierung und den EVUs. Dieser Konsens scheint vier Jahre nach dem Baubeginn in Wackersdorf einseitig von der Industrie - wohl aus betriebswirtschaftlichen Gründen - nunmehr aufgekündigt zu werden. Gegen das Nachdenken von Wirtschaftsunternehmen über Rentabilität und Kosten ist nichts einzuwenden; dies ist legitim und erforderlich. Allerdings ergeben sich Zweifel, ob wirklich finanzielle Gründe ausschlaggebend waren. Was die Wirtschaftlichkeit anlangt, so hat gestern der Sprecher des RWE ausgeführt, daß sich eine Auslagerung der Wiederaufarbeitung auf den Strompreis kaum niederschlagen würde. Hier stellt sich auch für den Verbraucher die berechtigte Frage, wo die von der VEBA angegebene Ersparnis zwischen 1,4 Milliarden und 1,9 Milliarden DM bleibt. Ich stimme dem „Handelsblatt" von gestern zu, das schreibt - ich zitiere - : „Nur Monopolisten mit Weiterwälzungsmöglichkeiten von Kosten auf Verbraucher können solche Vorteile relativieren." Wir sollten auch darüber nachdenken, daß wir schon einmal schlechte Erfahrungen mit angeblich billigen Lösungen im Bereich der Kernenergie gemacht haben. Es sei an die Konditionierung von radioaktiven Abfällen in Mol erinnert. Derartige Ereignisse dürfen sich mit Sicherheit nicht wiederholen. Sehen muß man im Bereich des fehlenden Konsenses im Energiebereich auch die Frage der deutschen Steinkohle. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich warne Neugierige. Wer schnelle Entscheidungen zu den Absichten der VEBA will, muß sich den Vorwurf der Unüberlegtheit gefallen lassen. Für die Bewertung eines außerordentlich komplexen Sachverhalts bedarf es einer Fülle zu berücksichtigender Gesichtspunkte. Hierzu gehören technologische und forschungspolitische Aspekte, Nichtverbreitungsaspekte, Energie-, Industrie- und kartellrechtliche, Entsorgungs- und umweltpolitische Aspekte. Die gesamte Diskussion sollten wir als Chance begreifen, über die Frage der Entsorgung auch Fragen anderer energiepolitischer Kooperationen, seien sie nun bilateral, europäisch oder international, einzubeziehen. Die CDU/CSU begrüßt die Erklärung unseres Bundeskanzlers und des Präsidenten Mitterrand außerordentlich. ({5}) Wir begrüßen, daß bei den deutsch-französischen Gipfelkonsultationen vereinbart worden ist, die Absichtserklärung der VEBA in den größeren Zusammenhang der Kernenergie, der Energiepolitik und der Energietechnologie zu stellen. Ebenso wie bei der Brüterentwicklung und der Kernfusion kann sich hier eine europäische Perspektive eröffnen, wie sie letztlich schon im EURATOM-Vertrag angelegt ist. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daniels ({0}). Dr. Daniels ({1}) ({2}) ({3}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung entdeckt in diesen Tagen mit Schrekken, was sie bislang nicht zur Kenntnis nehmen wollte: ({4}) daß die Industrie in ihrer Kalkulation bereits meilenweit von der WAA in Wackersdorf entfernt ist und über den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie nachdenkt. Was zur Zeit zu beobachten ist, ist der Versuch der Politik, sich ohne Gesichtsverlust dem Kurs der Industrie anzupassen. ({5}) Für uns GRÜNE wird dabei deutlich, wie sehr die Energiewirtschaft die Bundesregierung wie einen Tanzbären am Nasenring hinter sich herführt und das neue Kabinett Kohl mit verzweifelten Aktionen bemüht ist, von der eigenen Konzeptlosigkeit und Handlungsunfähigkeit abzulenken. Sie hat sich dafür aber unglückliche Partner ausgesucht: eine hemmungslos opportunistische und um ihre Existenz kämpfende FDP, gepaart mit einer zornigen CSU, die sich um die Belohnung für ihren bislang rücksichtslosen und bürgerkriegsähnlichen Einsatz ({6}) für die Wackersdorfer Anlage geprellt sieht. Wie steht es jetzt um das Entsorgungskonzept der Bundesregierung? Nichts davon ist übriggeblieben. Die tatsächliche Entsorgung der deutschen Kernkraftwerke ist ungeklärter denn je. Oder besser: Wir stehen wieder an dem Punkt des Brennstoffkreislaufes, an dem das Weiterbetreiben der Atomkraftwerke ohne sichere Endlagerung schlichtweg kriminell ist. Herr Töpfer, sagen Sie uns doch einmal, wo der täglich neu produzierte Atommüll endgelagert werden soll. Weltweit gibt es für diese Frage nach wie vor keine Lösung. Von Ihrer Konzeptionslosigkeit kann auch der Versuch nicht ablenken, der Entsorgungsproblematik einen europäischen Anstrich zu geben, wie heute beim deutsch-französischen Schmierentheater in Paris geschehen. ({7}) Gestern haben Sie uns erklärt, Sie müßten mit Mitterrand reden, weil Bennigsen-Foerder und die VEBA nicht mehr wollten. Heute erklären Sie, Sie hätten ein neues Konzept. Das neue Konzept ist aber das alte. ({8}) Wackersdorf wird weitergebaut, und La Hague wird weitergebaut. Das ist doch eine Verarschung der Be10144 Dr. Daniels ({9}) völkerung. Das ist Volksverdummung, die Sie damit betreiben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich in Ihrer Ausdrucksweise etwas zu mäßigen.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Tatsache ist, es gibt in der Bundesrepublik auf absehbare Zeit kein sicheres Endlager. Die bisherige Strategie einer sogenannten Entsorgung mit Wiederaufarbeitung diente ausschließlich dem Zeitgewinn. Denn durch eine WAA wird das zu entsorgende Atommüllvolumen um das 30fache vergrößert - die Brennelemente können aber nur einmal wiederaufgearbeitet werden -, womit im Endeffekt das Problem der Endlagerung nur um wenige Jahre verschoben wird. Dafür werden seit Jahren Milliarden aus dem Fenster geworfen, die wir dringend für eine Energie-Wende gebraucht hätten. ({0}) Bennigsen-Foerder weiß längst, daß am Ausstieg aus der Atomenergie kein Weg vorbeigeht. Ich zitiere: Unsere Energiepolitik ist nicht zu einseitig auf die Kernenergie orientiert. Wenn wir eines Tages aus der Kernenergie aussteigen müssen, könnte die Stromwirtschaft dieses Problem sicher bewältigen. Weiter sagt er: Es ist eine Frage der Politik, ob sie mit den Folgen des Ausstiegs fertig wird. Da hat er vollkommen recht. Herr Kohl wird damit nicht fertig werden. Die gesellschaftliche Mehrheit für einen Ausstieg ist da. Gemeinsam mit Ihnen, den Kollegen von der SPD, werden wir möglicherweise nach 1990 mit diesem Ausstieg anfangen. Und wir werden auch mit den Folgen fertig werden. ({1}) Wir GRÜNEN wollen auch kein Europa der Rüstungs- und Atomkonzerne. Wir halten an der Forderung nach sofortigem Baustopp in Wackersdorf und La Hague fest. Neun Jahre haben die Menschen in der Oberpfalz mit ihrem Landrat an ihrem Widerstand festgehalten. Unsere französischen Freunde haben nicht umsonst bei den letzten Wahlen auf allen Ebenen erstaunliche Erfolge erzielt, weil auch in Frankreich klar wird, daß die Atomenergie auch für Europa ein Irrweg ist. ({2}) Bei einer Anti-WAA-Demonstration am Ostermontag 1986, an der nahezu 100 000 Menschen teilnahmen, wurde am Bauzaun ein denkwürdiges Transparent angebracht. Darauf stand zu lesen: „Wenn ihr ehrlich seid, dann" -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist abgelaufen.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Ich habe nur noch einen Satz.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, ich bitte, sich genau daran zu halten. Sie kommen ja noch einmal zum Zuge. Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese Aktuelle Stunde ist kein tauglicher Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion der schwierigen Entsorgungsprobleme. Einzige Absicht der Oppositionsparteien ist es, die Regierung zu einem sofortigen Verzicht auf Wackersdorf zu bewegen, ({0}) um das rein ideologische Konzept vom Ausstieg aus der Kernenergie einen Schritt vorwärtszubringen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen dagegen bemühen sich um eine langfristig sichere und ordnungsgemäße Entsorgung. Ich darf daran erinnern, daß sich bereits die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" des Deutschen Bundestages in einer Empfehlung, der sich auch die SPD-Mitglieder dieser Kommission angeschlossen haben, für eine Wiederaufbereitungsanlage im industriellen Maßstab in der Bundesrepublik ausgesprochen hat. ({2}) Ihre Vergangenheit, Herr Schäfer, als Träger politischer Verantwortung, holt Sie und die anderen verehrten Kollegen von der SPD immer wieder ein. ({3}) Es war nun unsere gemeinsame Politik, einen vollständigen Brennstoffkreislauf in Deutschland aufzubauen, um alle technologischen Schritte wirklich selbst zu beherrschen. Auf dieser Philosophie beruht ja auch unser Entsorgungskonzept, das die Regierungschefs von Bund und Ländern unter Helmut Schmidt ({4}) im Jahre 1979 beschlossen haben. Die SPD-Länder, Herr Kollege Lennartz - das muß ich nun leider hier feststellen - haben sich einseitig aus diesem gemeinsam getragenen Entsorgungskonzept, dessen Bestandteil auch eine nationale Wiederaufbereitungsanlage ist, hinausgestohlen. Wir werden unsere Entscheidung sehr viel sorgfältiger durchdenken und diskutieren. Wiederaufbereitungsanlagen sind natürlich keine getarnten Atombomben. Es sind chemische Fabriken. Es geht an dieser Stelle im übrigen auch nicht darum, ob die Bundesrepublik in die fälschlicherweise so bezeichnete Plutoniumwirtschaft eintreten will, schon gar nicht, um etwa waffenfähiges Material zu erhalten und verwerten zu können. Es geht um sichere Entsorgung und Versorgung und sonst nichts. Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft stellt sich auf den herannahenden Binnenmarkt 1992 ein. Dies gilt ohne Einschränkung auch für die Elektrizitätswirtschaft. Der Wettbewerb in einem wirtschaftlich vereinten Europa wird härter werden. Es ist deswegen auch durchaus verständlich, daß die Unternehmen versuchen, Vorsorge für diesen Wettbewerb zu treffen und überflüssigen Kostenballast abzuwerfen. Dennoch kann die Frage der sicheren Entsorgung unserer Kernkraftwerke nicht allein unter Kostengesichtspunkten betrachtet werden. Für meine Fraktion war es immer klar, daß Sicherheit eindeutig vor Wirtschaftlichkeit gehen muß. Es stellen sich daher im Zusammenhang mit einem so weitreichenden Entsorgungsgebot, wie es den deutschen Stromversorgern aus Frankreich vorliegt, mehrere entscheidende Fragen, die sorgfältiger Prüfung bedürfen und erst nach eingehender Diskussion auch mit unseren französischen Partnern beantwortet werden können. Dazu zählen insbesondere: Erstens. Kann ein Vertrag, wie ihn die VEBA mit der französischen COGEMA abzuschließen beabsichtigt, Wackersdorf wirklich ersetzen? Zweitens. Welche Konsequenzen ergäben sich daraus für den Entsorgungsnachweis deutscher Kernkraftwerke? Drittens. Welche externen Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente wären noch in der Bundesrepublik nötig, wenn die Abfälle aus den Kompaktlagern der Kernkraftwerke umgehend nach Frankreich transportiert würden? Viertens. Wäre eine ausschließliche Auslandsentsorgung mit dem Atomgesetz und den Entsorgungsgrundsätzen vereinbar? ({5}) Fünftens. Wie würden die radioaktiven Reststoffe aus der französischen Anlage nach Deutschland verbracht? Wie würden sie hier gelagert? Könnten Mischoxidbrennelemente wie bisher noch in Deutschland gefertigt werden? Sechstens. Welche Gefahren könnten von den Transportwegen ausgehen? Siebtens. Welche Konsequenzen ergäben sich für die deutsche Kernkraftindustrie? Drohte sie nicht unter die Vormundschaft der Franzosen zu geraten, wenn wir nicht an einer Eigenständigkeit des kerntechnischen Know-hows festhielten? ({6}) Meine Damen und Herren, weder ein überstürzter Baustopp in Wackersdorf noch eine voreilige Ablehnung der deutsch-französischen Entsorgungspläne wäre gegenwärtig die richtige Lösung. Mit der gemeinsamen Erklärung vom heutigen Tage über das Ergebnis der deutsch-französischen Konsultationen werden die Kernelemente des nationalen Entsorgungskonzeptes in konstruktiver Weise in eine europäische Entsorgungskonzeption eingebettet, ({7}) die sich auf Wiederaufbereitungsanlagen in Deutschland und in Frankreich stützt. Dies ist ein begrüßenswerter Schritt in Richtung auf eine gesamteuropäische Energiepolitik. Mit den lautstarken Forderungen nach dem Verzicht auf Wackersdorf, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie wieder einmal auf den falschen Zug gesprungen. ({8}) Dies bestätigt erneut, daß in der Energiepolitik sachliche Überlegungen und besonnenes Abwägen besser am Platze sind als hektisches Infragestellen der gemeinsam vereinbarten Entsorgungspolitik. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im September 1979 haben die Ministerpräsidenten aller deutscher Bundesländer und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einstimmig ein integriertes Entsorgungskonzept für die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Über den Stand der Umsetzung dieses integrierten Entsorgungskonzeptes hat die Bundesregierung mit dem Bericht zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen am 13. Januar 1988 den Deutschen Bundestag unterrichtet. Teil dieses Entsorgungskonzeptes ist die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in der Bundesrepublik. Damit werden die Betreiber von Kernkraftwerken der gesetzlichen Verpflichtung des § 9 a des Atomgesetzes gerecht. Diese gesetzliche Bestimmung fordert die schadlose Verwertung radioaktiver Abfälle. ({0}) Zur Gewährleistung dieses Verwertungsgebotes ist der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf im Dezember 1985 begonnen worden. Dieses Konzept ist auch von der Energiewirtschaft inhaltlich voll mitgetragen worden; denn dem Betreiber kerntechnischer Anlagen und damit dem Abfallverursacher obliegt in Anwendung des Verursacherprinzips neben der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente auch die Wiederaufarbeitung mit dem Ziel der Verwertung der dabei zurückgewonnenen Kernbrennstoffe durch den Energieeinsatz im Kernkraftwerk. Die Bundesregierung ist davon unterrichtet worden, daß am 3. April dieses Jahres VEBA und das französische Staatsunternehmen COGEMA übereingekommen sind, eine verstärkte Zusammenarbeit ab 1999 insbesondere bei der Wiederaufarbeitung vertraglich abzuschließen. Die Bundesregierung hat dazu unmittelbar festgestellt: Es handelt sich um eine Absichtserklärung, in der Unternehmensziele einer Zusammenarbeit der deutschen VEBA und des französi- ) schen Partners COGEMA dargestellt sind. Eine derartige unverbindliche Absichtserklärung berührt das geltende nationale Entsorgungskonzept in der Bundesrepublik Deutschland weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht. ({1}) Dies gilt auch für die Entsorgungsnachweise der deutschen Kernkraftwerke. Im übrigen ist zu unterstreichen, daß von der Notwendigkeit der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente auch in dieser Erklärung ausgegangen wird. Die Absichtserklärung steht unter dem Vorbehalt der jeweiligen politischen Zustimmung der Regierungen in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist die erste Reaktion der Bundesregierung. Es war ganz selbstverständlich, daß der Bundeskanzler persönlich unmittelbar dazu intensive Gespräche mit der französischen Regierung angekündigt hat. Diese Gespräche mit der französischen Regierung, die vom Bundeskanzler als erforderlich bezeichnet wurden, haben gestern und heute im Rahmen der 53. deutsch-französischen Konsultationen in Paris stattgefunden. Das Ergebnis dieser Gespräche ist in einer gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammengefaßt worden. Diese Erklärung darf ich Ihnen hiermit zur Kenntnis bringen. Ich zitiere: Die beiden Regierungen haben ihr Interesse an den Kooperationsprojekten auf dem Gebiet des Kernbrennstoffkreislaufes bekundet. Nachdem die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der französischen Regierung ihren Willen bekräftigt hat, an ihrer Politik des Brennstoffkreislaufes festzuhalten, was das Bestehen von zwei Standorten von Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland einschließt, sind die beiden Regierungen übereingekommen, die Absichtserklärung zwischen VEBA und COGEMA in einen größeren Zusammenhang zu stellen, nämlich in den Zusammenhang der friedlichen Nutzung der Kernenergie: Brennstoffkreislauf ({2}), Kernkraftwerke; Energiepolitik in allen Aspekten und Möglichkeiten der Koordinierung der politischen Zielsetzungen der beiden Länder; Energietechnologien. Eine Arbeitsgruppe unter der verantwortlichen Leitung von Herrn Minister Fauroux, Minister für Industrie und Raumordnung, und Herrn Töpfer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, wird innerhalb von zwei Monaten die Absichtserklärung von VEBA und COGEMA in diesem erweiterten Zusammenhang prüfen. Dieselbe Arbeitsgruppe wird dem nächsten deutschfranzösischen Gipfel erste Überlegungen über die Zusammenarbeit auf den oben dargestellten Feldern vorlegen. Soweit diese gemeinsame Erklärung vom heutigen Tage. ({3}) Der Arbeitsgruppe gehören von deutscher Seite außerdem die Staatssekretäre des Wirtschaftsministeriums, des Forschungsministeriums und des Auswärtigen Amtes sowie ein Vertreter der bayerischen Landesregierung an. Bei den Gesprächen in Paris, meine Damen und Herren, ist sehr deutlich geworden: Unserer Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn die aktuelle Diskussion über die Wiederaufarbeitung in den größeren Zusammenhang der friedlichen Nutzung der Kernenergie insgesamt sowie der Energiepolitik und der Energietechnologie dieser beiden Länder und Europas insgesamt eingebunden wird. ({4}) Dabei erfordert verantwortliches Handeln angesichts der weitreichenden energiepolitischen, industriepolitischen und technologiepolitischen Konsequenzen, daß diese Zusammenarbeit auf zwei Säulen in Frankreich und in Deutschland aufgebaut wird, ({5}) die sich bei der Bewältigung der auftretenden Lasten wechselseitig unterstützen. ({6}) Dieses Vorgehen entspricht einer verantwortungsvollen Politik. Lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen, weil gefragt wurde, was das bedeutet. Der gesamte Rahmen energiepolitischer Zusammenarbeit ist abzustecken und auszufüllen. Er ist in eine tragfähige Konzeption energiepolitischer Zusammenarbeit einzubringen. Das beginnt bei der gemeinsamen Fortentwicklung von Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke, und das geht weiter. Denn wer Wiederaufarbeitung sagt, muß sich auch darüber klar sein, daß nicht Wiederaufarbeitung, sondern Wiederverwertung im § 9 a des Atomgesetzes steht. Das bedeutet den Bau von MOX-Brennelementen, und das geht weiter über die Frage der Zwischenlagerung und der Endlagerung schwach-, mittel- und hochradioaktiver Abfallstoffe. Das umfaßt ebenso die Position der deutschen Kohle, wie es die Entwicklung von Energietechnologien mit umfaßt. Ich würde der Opposition empfehlen, die Chance, die hier in einer gemeinsamen Entwicklungskonzeption angelegt ist, zu sehen und nicht nur die Reaktion im Negativen hier in diese Debatte mit einzubringen. ({7}) Wir wollen, meine Damen und Herren, den energiepolitischen Konsens. Aber der energiepolitische Konsens ist mehr als nur die Verlagerung einer schweren Aufgabe zu einem Nachbarn. Er umfaßt vielmehr den gesamten Rahmen, der hier abgesteckt werden muß. ({8}) Hier wurde eben von Zerstrittenheit gesprochen. Ich möchte gern anmahnen, daß man bei der SPD mit einer Stimme spricht. Uns hat im Namen der SPD-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen der Vorsitzende dieser Fraktion, Herr Farthmann, gesagt, wir sollten diese Chance ergreifen, weil es die einmalige Möglichkeit sei, zum energiepolitischen Konsens zurückzufinden. ({9}) - Lieber Herr Abgeordneter Schäfer, Sie sollten sich damit ebenfalls auseinandersetzen. ({10}) Meine Damen und Herren, die innenpolitischen Reaktionen in der Bundesrepublik Deutschland auf diese Absichtserklärung zweier Firmen vermitteln allerdings einige echte Überraschungen. So sind diejenigen, die uns im Zusammenhang mit der Konditionierung schwach- und mittelradioaktiver Abfallstoffe in Mol noch unverantwortlichen Abfalltourismus vorgeworfen haben, jetzt offenbar anderer Meinung. So sind diejenigen, die im Zusammenhang mit Cattenom vermeintliche Sicherheitsdefizite bei französischen Kernenergieanlagen vermuten, ({11}) gegenwärtig offenbar anderer Meinung. So sind diejenigen, die die Bundesregierung und andere bisher permanent dadurch diffamiert haben, daß man uns unterstellt, wegen wirtschaftlicher Vorteile Sicherheitsrisiken in Kauf zu nehmen, heute urplötzlich der Meinung, daß allein wirtschaftliche Argumente ausschlaggebend sind. Für die Bundesregierung, meine Damen und Herren, gilt dieser Weg der Politik nicht. Wir machen verantwortliche Politik, nicht indem wir auf einzelne Ergebnisse reagieren, sondern indem wir uns bemühen, einen gesamten energiepolitischen Konsens mit Frankreich und einen energiepolitischen Handlungsrahmen für die Zukunft in Europa zu schaffen. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen. ({0})

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesumweltminister, Ihre Ausführungen zwingen mich, meinen Redetext zu vergessen. Ich möchte kurz einige Ausführungen machen, die Ihre Rede betreffen. Wenn im Atomgesetz noch steht - das muß man ändern -, daß eine Wiederaufarbeitung erfolgen muß, um eine schadlose Beseitigung von Atommüll zu praktizieren, so lassen Sie sich bitte belehren, daß das unmöglich ist. Es gibt technisch keine Wiederaufbereitungsanlage, die schadlos Atommüll wiederaufbereiten könnte. ({0}) Was ist denn mit dem tritiumhaltigen Abwasser, das nach dem jetzigen Konzept in den bayerischen Boden, ins Grundwasser, gepreßt werden soll? Was ist denn mit den riesigen Mengen an radioaktiver Abluft? Es handelt sich zwar um Edelgase, die zerfallen, die aber in größten Mengen in die Atmosphäre freigesetzt werden. ({1}) Das sind doch Fakten. Ich meine, die Kosten liegen bei der Wiederaufbereitung um 43 % höher als bei der Endlagerung. Das sind Fakten, die das energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln festgeschrieben hat. Sie können das nachlesen, und zwar seit 1984. Damals wurde noch ein Dollarkurs von 2,30 DM zugrunde gelegt, den es heute gar nicht mehr gibt. Es wurden also günstige Rahmendaten angenommen. Die Industrie zieht daraus Schlüsse: Sie geht nach Frankreich. Ich würde sagen: Es sind mittlerweile Atomenergieasylanten, die uns hier verlassen und ins Nachbarland gehen, ({2}) wenn es dort wirtschaftlicher ist, wie man meint, weil eben bestehende Anlagen, hochausgelastete Anlagen, wirtschaftlicher arbeiten können. Diesen Schluß muß man doch aus dem Abwandern der Industrie ziehen. Es ist also einfach billiger, die Wiederaufbereitung mit hochausgelasteten Anlagen zu betreiben. Die Anlage in der Bundesrepublik Deutschland hat ja nur eine Kapazität von 450 Tonnen. Ein Fachmann wie Herr Häfele - er ist ja ein Fachmann; Sie akzeptieren ihn noch - sagte, auch 900 Tonnen wären für die Bundesrepublik Deutschland langfristig erforderlich. Die Anlage ist also von der Konzeption her falsch angelegt, wenn man die Wirtschaftlichkeit und die Ökonomie zugrunde legt. Ich sagte schon: Auch die Sicherheitstechnik der französischen Atomanlagen ist weitaus niedriger einzustufen als diejenige deutscher Atomanlagen. Auch das ist ein Kostenfaktor, den man sehen muß und den die Industrie mit Sicherheit auch sieht. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Wiederaufbereitungsanlage als Zwischenbehandlung anzusehen ist und nicht als Teil eines Entsorgungskonzeptes, als Zwischenbehandlung, die gefährlichere Stoffe produziert, die also damit - wenn man so will - mehr Toxizität hinterläßt, als dies ohne Anlage der Fall wäre. Mischoxid-Brennelemente sind beim Einsatz in Atomkraftwerken wesentlich teurer. Auch das ist ein weiterer Kostenfaktor, den man sehen muß. Ich meine, daß der Weg, wie Sie ihn jetzt beschreiben, Herr Töpfer, in die Irre führt. Wir werden einen Schnellen Brüter bekommen - ich prognostiziere das -, der ein Bundesbrüter werden wird, weil der Bund ihn bezahlt, nicht die Industrie. Wir werden eine Bundeswiederaufbereitungsanlage bekommen, weil sie zum Schluß der Bund bezahlt. Wir werden einen stillgelegten Bundeshochtemperaturreaktor bekommen, und wir werden einen Bundesminister für Forschung und Technologie bekommen, der, wenn er das alles bezahlen muß, ein Bundespleiteminister werden wird. Das sind die Folgen, die man sehen muß. Der Weg führt in die Irre. Ich sage als letztes: Der Brennstoffkreislauf, den Sie ansprechen, wird in einem Kreislauf enden, in dem die CDU zum Schluß im Kreis läuft. Das wird der Kreislauf sein, der dabei übrig bleibt. Das bestätigt der hessische Wirtschaftsminister Alfred Schmidt, der heute den sofortigen Verzicht auf die nukleare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf gefordert hat - am heutigen Tag, FDP-Kollege. ({3}) Herr Beckmann, nehmen Sie sich von daher wirklich einmal zu Herzen, was Ihr Kollege sagt. Bereits jetzt kann man feststellen: Die FDP, meine Damen und Herren, wartet dringend auf die CDU/CSU und ihre Einsichten zum Ausstieg aus der Kernenergie. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Aktuellen Stunde macht bereits deutlich: Wir müssen wirklich alle Konsequenzen, die sich aus der beabsichtigten Zusammenarbeit zwischen der VEBA und der COGEMA ergeben, sehr sorgfältig prüfen, und zwar ohne Hast und ohne Emotion. Ich glaube, die Gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie, wie sie als Ergebnis der deutsch-französischen Gipfelkonsultationen entstanden ist, macht auch deutlich, daß alle anstehenden Fragen vor allen Dingen im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt zu betrachten sind. Und die Verwirklichung dieses Binnenmarktes verlangt ja doch wohl eine stärkere Integration und Harmonisierung in allen energierelevanten Bereichen. Die Frage, ob die von der VEBA geplante Aufgabe der Wiederaufarbeitung in der Bundesrepublik nun diesen Anspruch wirklich erfüllt oder nicht, muß aber vor den anstehenden Entscheidungen schlüssig beantwortet werden. Ich persönlich bin der Meinung, daß eine einseitig isolierte Aufgabe der Aufarbeitung in Wackersdorf zugunsten der Konzentration und damit auch wohl zugunsten einer Monopolisierung der Entsorgung in Frankreich nicht zur Harmonisierung, sondern zur Deharmonisierung der europäischen Energiewirtschaft führen würde. Daher ist es richtig, wenn, wie das gerade auch der Bundesminister Töpfer deutlich gemacht hat, der gesamte Vorgang in einen größeren energiepolitischen Zusammenhang gestellt wird. Ich bin auch davon überzeugt, daß der einfache Verzicht auf eine eigene Wiederaufarbeitungsanlage eben doch auch die Aufgabe eines ganz wichtigen, entscheidenden Elements des deutschen Entsorgungskonzeptes bedeutet und damit auch unsere nationale Energiepolitik erheblich verändern würde. Sicher ist wohl auch, daß der deutschen Nukleartechnik durch eine einfache Aufgabe der deutschen Wiederaufarbeitung ein empfindlicher Schlag versetzt werden würde. Einige - wie soeben Herr Vosen - werden sich darüber freuen. Ich glaube aber, für die Betroffenen, für die Belegschaften, die in diesen Gebieten tätig sind, und für die Ingenieure, sieht das ganz anders aus. Die industrielle Stellung der Bundesrepublik in Europa und in der Welt würde sicher geschwächt, wenn man das so einfach machen würde. Es gibt ja auch durchaus unterschiedliche Auffassungen, insbesondere was den künftigen Strommarkt in der Europäischen Gemeinschaft angeht. Man muß auch sicherstellen, daß die beabsichtigte Zusammenarbeit nicht etwa bedeutet, daß damit eine unbegrenzte Öffnung für französischen Kernenergiestrom mit allen negativen Konsequenzen einhergehen wird. Meine Herren und Damen von der SPD, Sie bieten heute ein sehr zwielichtiges Schauspiel. ({0}) Ich möchte darauf hinweisen, daß der Herr von Bennigsen-Foerder ja glaubt, man könne durch die Aufgabe der Wiederaufarbeitung ein Stück Konsens zurückgewinnen. Sie haben in mehreren Presseerklärungen - ich weise besonders auf das Interview von Herrn Lafontaine im Deutschlandfunk hin - deutlich gemacht, daß davon überhaupt keine Rede sein kann. Denn wo soll ich einen neuen Konsens sehen, wenn Herr Lafontaine im Zusammenhang mit dem Problem, mit dem wir uns heute befassen, ganz einfach erklärt: Aber am Kernenergieabwicklungsgesetz wird festgehalten, und wenn wir die Mehrheit haben, werden wir dieses Gesetz vollziehen. Das kann doch wirklich der mögliche Konsens nicht sein. Daher, meine Damen und Herren, wird Ihr Triumphgeschrei von kurzer Dauer sein, zumal da - Herr Schmidbauer hat darauf hingewiesen - die Frage, mit der wir uns hier befassen, natürlich auch eine durchaus akute und elementare Gefährdung der deutschen Steinkohle ergeben könnte. Denn wenn das Argument, das wir bisher benutzen - daß wir für die Sicherheit unserer Energieversorgung sowohl ein nationales Entsorgungskonzept als auch eine nationale Energiereserve brauchen - , im Fall der Wiederaufarbeitung aufgehoben wird, frage ich mich, wie man dieses Argument noch verwenden kann, um z. B. deutsche Steinkohle bei der Stromversorgung einzusetzen und ihr zu helfen. ({1}) Ich erwarte, daß bei den anstehenden Entscheidungen dies alles berücksichtigt wird und daß am Standort der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf festgehalten werden kann. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daniels ({0}). ({1})

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß dieser Konsens, von dem Sie sprechen, sich in der Bevölkerung nach Tschernobyl und nach Harrisburg längst herausgebildet hat. Es gibt einen neuen Konsens in der Bevölkerung, und der verlangt einen Ausstieg aus dieser Art von Politik, Dr. Daniels ({0}) einen Ausstieg aus der Atomenergie. Dem werden wir mit zum Durchbruch verhelfen. ({1}) Ich gehe kurz auf das ein, was der Herr Umweltminister hier zu dem Stichwort „Mülltourismus" zu erläutern anfing, wobei er erklärte, daß sich die Bundesregierung gegen Mülltourismus ausspricht. Auch hier ist es wieder so, daß Sie nicht die volle Wahrheit sagen, denn Sie wissen sehr genau, daß der ganze Müll aus der Wiederaufarbeitung 1993 in die Bundesrepublik zurückgeliefert wird. Hochaktiver, mittelaktiver und schwachaktiver Müll soll in die Bundesrepublik zurückgeliefert werden. Wir wissen bis heute nicht, wohin damit. Das haben Sie bewußt verschwiegen. Daraus wird wieder deutlich, daß Sie hier eine Politik betreiben, bei der Sie bewußt die Bevölkerung an der Nase herumführen. Ich erläutere kurz, wie das in der Region gesehen wird. Ich zitiere aus einem Brief der Oberpfälzer Bürgerinitiativen an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages: Für Wackersdorf sind mehr als 4 000 Menschen - zu Unrecht - festgenommen worden, gab es - zu Unrecht mehr als 1 000 Strafprozesse. Die Bevölkerung wird überwacht, bespitzelt und kriminalisiert. Die Rechte der Bürgerinnen beschnitten. Damit muß jetzt endgültig Schluß sein! Forderungen: Wackersdorf ist nicht mehr durchsetzbar. Wir fordern die Politiker auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die Erforschung und Entwicklung alternativer Energien muß verstärkt vorangetrieben werden, der Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen werden. Was wir dann brauchen, ist ein sicheres Endlager. Das Milliardengrab in Wakkersdorf muß zugeschaufelt werden. Solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind, geht unser entschiedener Widerstand weiter. Dem werden wir uns voll und ganz anschließen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Herrn Vosen, der grundsätzlich philosphiert, oder Herrn Daniels höre, glaube ich, daß hier zum Teil die falsche Debatte geführt wird. Worum geht es in dieser Aktuellen Stunde? Es geht um einen Antrag der SPD betreffend die Haltung der Bundesregierung zur Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf vor dem Hintergrund der Vereinbarungen zwischen COGEMA und VEBA. Das ist das Thema, über das wir hier heute eigentlich debattieren müssen, wenn wir uns in einer Aktuellen Stunde damit bef assen. Wenn ich dieses wirkliche Thema zum Gegenstand meines Beitrages mache, frage ich mich: Was soll eigentlich das, was die SPD hier über Gefühle und Emotionen in die Bevölkerung hineinzutragen versucht? Wenn man einen nüchtern zu behandelnden Sachverhalt - Wiederaufarbeitung in der Bundesrepublik, also Wackersdorf, oder über die COGEMA? - zur Grundlage dieser Debatte macht, was soll dann eigentlich all das Grundsätzliche, was hier von Ihnen für und wider Kernenergie und Wiederaufarbeitung gesagt wurde? Als bayerischer Abgeordneter finde ich es schwer erträglich, wie Sie hier mit einem Thema umgehen, das für eine Region, die Oberpfalz, von so außerordentlicher Bedeutung ist. Egal, ob die betroffenen Bürger in der Oberpfalz für oder gegen die Wiederaufarbeitungsanlage sind, sie haben einen Anspruch darauf, daß sorgfältig geprüft und verhandelt wird, daß aber nicht auf Grund noch unverbindlicher Absichtserklärungen ein Wandel in der Entsorgungspolitik der Bundesrepublik in die Wege geleitet wird. ({0}) Es geht hier auch um die wirtschaftliche Entwicklung einer Region und um Arbeitsplätze in diesem arg gebeutelten Bereich der Oberpfalz. ({1}) - Selbstverständlich kenne ich die Oberpfalz. Ich komme aus Bayern. Der Kollege Schöfberger wird auch bestätigen, wo die Probleme in der Oberpfalz liegen. Da eine Antwort auf Ihre Fragestellung heute nicht möglich ist, will ich einige Punkte aufführen, die für und gegen eine Wiederaufarbeitungsanlage ins Feld geführt werden müssen, bevor man zu endgültigen Entscheidungen kommt. Herr Minister Töpfer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß in dem unverbindlichen Memorandum of Understanding eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich als notwendig bezeichnet wurde. Das heißt, es entscheiden nicht zwei Unternehmen, sondern es entscheiden die Politik und die politische Mehrheit in dieser Bundesrepublik über das Entsorgungskonzept. Der erste Bauabschnitt in Wackersdorf geht zur Zeit zu Ende. Der zweite wird frühestens im Herbst begonnen werden. Es ist also kein so großer Entscheidungsdruck vorhanden, daß wir in den nächsten zwei, drei Monaten nicht ganz intensiv prüfen könnten, welche Entscheidung richtig ist. Ich will nicht verschweigen, daß wir Freien Demokraten - übrigens ebenso wie in der Zeit der Koalition mit der SPD - kein sehr gutes Gefühl hätten, wenn die Entsorgung unserer Kernkraftwerke ausschließlich auf Verträgen mit der COGEMA beruhte. Vor Aufgabe der integrierten Entsorgung im nationalen Bereich wäre zu prüfen, ob ein Entsorgungskonzept über Cap La Hague die Entsorgung unserer Atomkraftwerke wirklich zuverlässig sicherstellt. Da geht es um die Menge, die in diesen Verträgen festgelegt wird, ebenso wie um den Plutoniumanteil und um viele andere Dinge mehr, auch um den Zeitraum, der ja in dem beabsichtigten Vertrag mit „bis 2015" beschrieben ist. Wir wissen aber nicht, ob wir dann von der Übergangsenergie „Kernenergie" schon weg sein können, ob wir also nicht auch noch nach 2015 eine Wiederaufarbeitung benötigen würden. ({2}) Ungeprüft sind kartellrechtliche Aspekte, die hier auch eine Rolle spielen könnten, und viele, viele Dinge mehr, die ich wegen der Kürze der Zeit hier jetzt nicht mehr ausführen kann. Ich bin der Meinung, daß der Kostenvorteil allein nicht Maßstab dafür sein darf, ob hier in der Bundesrepublik entsorgt wird oder ob dies über die COGEMA geschieht. Es geht um Preisdifferenzen, die möglicherweise ganz gering werden können, wenn in La Hague nachgerüstet werden muß; denn in den Verträgen sind ja Preisöffnungsklauseln vorgesehen. All das sind Dinge, die wir wirklich intensiv und gewissenhaft prüfen müssen. Wir sind dies den Bürgern unseres Landes, wir sind dies der Wirtschaft, wir sind dies aber insbesondere den betroffenen Oberpfälzern schuldig. Wir sind in dieser Frage offen. Wir tragen am Ende eine Entscheidung mit, wenn sie unter diesen vernünftigen Gesichtspunkten zustande gekommen ist. Wir freuen uns, daß die Bundesregierung in die intensiven Beratungen eingetreten ist. Ich glaube, daß wir zu dem aktuellen Thema erst kommen können, wenn wir das Ergebnis dieser Beratungen vorliegen haben. Dann wäre eine Aktuelle Stunde angebrachter als heute. Wir stellen uns der Diskussion und werden dann verantwortungsbewußt entscheiden. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist wohl klar: Der Herr Bennigsen-Foerder hat der Koalition schon einen großen Wackerstein in den Brotkasten gelegt. Da nützt das ganze Rumknappern nichts. Es erinnert fast an die Dramatik der griechischen Antike: Munter, wie Sie sind, haben Sie sich über die hunderttausend protestierenden Oberpfälzer, die Bürgerinitiativen und die Opposition hinweggesetzt. ({0}) Aber damit, daß Sie den entscheidenden Schlag ausgerechnet vom gehäuften Kapital erfahren, haben Sie wohl nicht gerechnet. Das ist von dramatischen Ausmaßen. Diese Bundesregierung ist ja nicht gerade berühmt dafür, daß sie sich den Wünschen und Bestrebungen des großen Geldes täglich mutig widersetzt. Woher nimmt sie denn jetzt eigentlich den Mut und die Entschlossenheit, sich einem kapitalistischen Grundgesetz zu widersetzen, nämlich dem Grundgesetz, daß ein vernünftiger Unternehmer seine Dienstleistungen bei gleicher Qualität und gleichen Lieferzuverlässigkeiten immer dort bezieht, wo sie am billigsten sind? ({1}) Wollen Sie der VEBA oder dem Herrn BennigsenFoerder zum Vorwurf machen, daß sie bzw. er sich dort nach Dienstleistungen umsieht? Ich möchte Sie fragen, was diese Floskel von der nationalen Entsorgung gegenüber solchen Grundgesetzen dann soll. Wir verlangen von der Bundesregierung nicht, daß sie jetzt schnell und unüberlegt handelt und morgen das Gegenteil von heute verkündet. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie diese neue Entwicklung sorgfältig prüft - das mag auch in bilateralen Kommissionen geschehen - , daß sie die neue Chance auslotet und dann entscheidet. Völlig klar. ({2}) Aber einiges spricht dafür, daß sie um eine Entscheidung gegen Wackersdorf schwer oder nicht mehr herumkommen wird. ({3}) Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit fragen, was Sie eigentlich von der viel beschworenen deutschfranzösischen Freundschaft oder von dem mit vielen Vorschußlorbeeren bedachten Binnenmarkt wirklich halten, wenn Ihnen eine deutsch-französische Kooperation bei der Wiederaufbereitung so suspekt ist, daß Sie um jeden Preis an einer nationalen Wiederaufbereitung festhalten wollen. Ich möchte Sie fragen: Was würden Sie als Vorstandsmitglied, Herr Kraus, als Aufsichtsrat oder als Aktionär eines Unternehmens Ihrer Unternehmensleitung sagen, wenn dieses Unternehmen eine Dienstleistung, die im Ausland für etwa 2,5 Milliarden DM zu haben ist, im Inland für etwa 10 Milliarden DM bezieht? Da gäbe es gleich einen Sturm in der Hauptversammlung. Bald werden jeder Zement, jeder Stapel Holz, jede Armierung, jeder Ziegelstein und jedes Rohr umsonst nach Wackersdorf transportiert und dort verlegt werden. Jeder wird das erkennen müssen, die einen früher und die anderen später. Sagen Sie uns bitte, wie lange Sie das durchhalten wollen oder was Sie den Polizeibeamten erklären wollen, die jetzt schon 7 Millionen Dienststunden in den drei oder vier Jahren in Wackersdorf verbracht haben, ({4}) wenn auch Sie erkennen müssen, daß das alles ökonomisch sinnlos ist. Was sagen Sie zu den jetzt schon laut werdenden Schadensersatzforderungen des Freistaates Bayern, die dieser bereits an die Bundesregierung gestellt hat? Was wollen Sie den Millionen von Verbrauchern sagen, wenn der Atomstrom aus deutsch aufbereiteten Brennstäben um ein Vielfaches teurer ist als ein anderer Strom aus französisch aufbereiteten? ({5}) Ich versuche ja, mich in Ihre Lage hineinzuversetzen, und wundere mich nicht, daß das bei den GRÜNEN Widerspruch hervorruft. Ich bin dafür, daß die Aktuelle Stunde auch dazu dient, daß man mal aufeinander eingeht und systemimmanent miteinander diskutiert. ({6}) Sie haben meiner Ansicht nach nur noch eine Alternative: Sie können jetzt eine Investitions- und Bauruine für drei Milliarden DM haben oder zu Beginn der 90er Jahre eine Investitions- und Bauruine für zehn Milliarden DM. ({7}) Das ist die Alternative, vor der Sie stehen. Die „Süddeutsche Zeitung" gibt heute im Leitartikel eine Empfehlung unter der Überschrift „Die Endlagerung von Illusionen" : Die wichtigste Aufgabe, vor der die Bundesregierung im Rahmen ihres Entsorgungskonzepts jetzt steht, ist die intensive Suche nach einem sicheren Endlager für atompolitische Illusionen. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harries.

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die spektakuläre Ankündigung des VEBA-Chefs, einen Vertrag über die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe zukünftig mit der französischen Firma COGEMA abzuschließen, hat zu Irritationen, zu Frohlockungen, zu schnellen Verhandlungen und, wie wir heute gehört haben, auch zu einem ersten positiven - ich darf aber wohl sagen - vorläufigen Ergebnis geführt. Ich erkenne an, daß die Industrie berechtigt und verpflichtet ist, darüber nachzudenken, wo betriebswirtschaftlich Einsparungen zu erzielen sind. Ich bin aber auch der Meinung, daß der Vorsitzende der VEBA, Herr von Bennigsen-Foerder, im Grunde von vornherein auch die politische und die völkerrechtliche Dimension dieses Sachverhalts hätte erkennen müssen. Von daher hätte es sich für meine Begriffe angeboten, daß der VEBA-Chef nicht nur mehr oder weniger im Vorbeigehen - so habe ich das bisher verstanden - die Bundesregierung informiert hat, sondern er hätte nach meiner Meinung diesen ganz schwierigen und wichtigen Sachverhalt abschließend mit der Bundesregierung erörtern und abstimmen müssen. Ich habe beinahe das Gefühl, daß der VEBAChef im Grunde die politische und völkerrechtliche Dimension dieser Sache erkannt hat; ich habe aber auch den Eindruck, daß die Großindustrie, immer wieder von uns verhätschelt, offenbar doch wohl Sonderregelungen für sich in Anspruch nimmt. Meine Damen und Herren, ich sprach von frohlokkenden Reaktionen. Damit meine ich Reaktionen der SPD und der GRÜNEN. Ich darf auf eine Pressenotiz von Ihnen, Herr Kollege Lennartz, zurückkommen, wo Sie einen etwas schwer verständlichen Satz gesagt haben: daß die Aufgabe von Wackersdorf keinen Einstieg in die Plutoniumswirtschaft bedeute. Das ist meines Erachtens ein etwas schwieriger Satz, aber er ist unlogisch und verkehrt, denn wir haben darüber nun wirklich bisher einvernehmlich diskutiert, daß La Hague bleibt und daß in La Hague auch nach einer möglichen neuen Konzeption wiederaufbereitet wird. Frohlocken bedeutet auch folgendes - täuschen wir uns da ja nicht - : Eine Stillegung von Wackersdorf würde die Gegner der Kernenergie überhaupt nicht beruhigen und befriedigen. Ein erster Dammbruch würde mit Sicherheit zu Angriffen auf weitere Positionen führen. ({0}) Ich höre in meinem Wahlkreis - nicht nur von Gegnern, sondern, Herr Daniels, im Grunde von Bürgern, die mit uns zusammen vernünftig und verantwortungsvoll nachdenken - , daß gefragt wird: Ist denn das Endlager, ist denn das Zwischenlager in Gorleben und ist die geplante Pilot-Konditionierungsanlage überhaupt noch vernünftig? Täuschen wir uns auch weiter nicht: Die Angriffe werden überhaupt nicht aufhören; es werden die Transporte nach Frankreich massiv angegangen werden. Was wir im Saarland verfolgen konnten, daß von dort nach Cattenom rübergerufen wurde, wird sich nun in Zukunft mit Sicherheit bei der Durchführung dieser Konzeption ergeben, nämlich daß Rufe vom Rhein in die Normandie erschallen. Nüchternheit und ehrliche Prüfung in der jetzt gebildeten Kommission sind vonnöten. Meines Erachtens sollte das nationale Entsorgungskonzept nicht leichtfertig aufgegeben werden. Es muß meines Erachtens sehr sorgfältig geprüft werden, ob die vorhandenen Wiederaufbereitungsanlagen in der Bundesrepublik überhaupt von der Kapazität her in der Lage sind, die Brennstäbe aus allen vorhandenen Kernkraftwerken auf Jahre, nicht nur kurzfristig, aufzuarbeiten. Zweitens muß nach meiner Meinung sehr intensiv überlegt werden, ob wir als Bundesrepublik Deutschland es verantworten können, aus dieser Hochtechnologie auszusteigen, ob es nicht der Industriestandort Bundesrepublik Deutschland gerade zur Pflicht macht, daß wir auch hier unseren Vorsprung und unser technisches Know-how behalten. Ich bin drittens voll damit einverstanden, daß in der jetzt gebildeten Kommission nach einer europäisch abgestimmten Lösung gesucht wird. Das darf aber auf keinen Fall bedeuten, daß hier nur die Interessen eines Landes verfolgt und gesehen werden, sondern hier müssen nun wirklich die Interessen aller europäischer Länder in einem ausgewogenen Verhältnis zum Tragen kommen. Viertens - das ist bereits gesagt worden; ich unterstreiche es nochmals - ist die Sicherheitsfrage zu stellen. Alle Kernkraftanlagen und Wiederaufbereitungsanlagen in Europa müssen sicherheitstechnisch vergleichbar sein. Schließlich, meine Damen und Herren, muß bei einer Zusammenarbeit auf europäischer Ebene nun nicht kurzfristig eine Lösung gefunden werden. Die Lösung muß vielmehr bedeuten, daß hier langfristig für alle Beteiligten eine Perspektive gefunden und vorgezeigt wird. Ich bin sicher, daß wir in zwei Mona10152 ten hier erste interessante Ergebnisse zu debattieren haben. Ich bedanke mich. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung ({0}).

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch diese Debatte zeigt - Herr Harries hat das soeben bestätigt - : Die Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden der VEBA AG, Rudolf von Bennigsen-Foerder, sich aus dem Wiederaufarbeitungsprojekt in Wackersdorf zurückzuziehen, hat die Regierungsparteien in schwere Bedrängnis gebracht. Es ist zweifellos das Verdienst von Bennigsens, einer breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht zu haben, daß Wackersdorf wirtschaftlich keinen Sinn mehr macht, weil die Wiederaufarbeitung in La Hague um zwei Drittel billiger angeboten wird und die deutsche Stromwirtschaft damit 2 Milliarden DM sparen würde, die, nebenbei gesagt, ja auch zur Finanzierung der Kohleverstromung eingesetzt werden könnten, und daß mit Wackersdorf - das hat von Bennigsen nicht gesagt, aber das hat er gemeint - bei den derzeitigen Ausbauplänen der Kernenergie in Europa Überkapazitäten entstehen würden, die nicht gebraucht werden. Das denken viele in der Energiewirtschaft schon seit längerer Zeit, aber so deutlich ausgesprochen hat das bisher niemand. Meine Damen und Herren, wenn die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht weitergebaut wird, wenn der Schnelle Brüter in Kalkar nicht ans Netz geht, wenn außerdem der Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop stillgelegt wird und wenn schließlich die Kernenergie insgesamt als Übergangstechnologie bezeichnet wird, dann sind das in der Tat bemerkenswerte Einsichten und Signale der Energiewirtschaft. Aber damit kann es nicht sein Bewenden haben. Man muß der breiten Öffentlichkeit auch deutlich machen, warum in La Hague so billig produziert werden kann. Das liegt - erstens - daran, daß Sicherheitstechnologien und Genehmigungsverfahren in der französischen Atomindustrie weniger aufwendig sind als bei uns. von Bennigsen-Foerder selbst hat in einem Artikel im „Handelsblatt" vor gut einem Jahr vorgerechnet, daß das deutsche Strompreisniveau, das rund ein Drittel über dem französischen Preisniveau liegt, zu einem guten Teil auf die hohen Umweltanforderungen, vor allem auf die teure Bauweise von Kernkraftwerken in unserem Land zurückzuführen ist. Wir können es aber nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß es in Europa eine Angleichung der Sicherheitsstandards nach unten, sozusagen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, gibt. ({0}) Das liegt - zweitens - daran, daß die Wiederaufarbeitung in Frankreich immer zugleich auch militärischen Zwecken gedient hat. Dabei spielt auch die Tatsache eine Rolle, daß der französische Staat sowohl Betreiber der Entsorgungsgesellschaft als gleichzeitig auch deren Genehmigungsbehörde ist, so daß die Preisstellungspraxis von außen gar nicht kontrolliert werden kann. Angesichts dieser Fakten bestehen wir Sozialdemokraten weiterhin auf einer direkten Endlagerung von abgebrannten Brennelementen. ({1}) Das integrierte Entsorgungskonzept, das 1979 beschlossen wurde, Herr Schmidbauer, mit Wiederaufarbeitung und Endlagerung, stand immer unter dem Vorbehalt einer Überprüfung. Die Systemstudie „Andere Entsorgungstechniken" hat eindeutig ergeben, daß die direkte Endlagerung nicht nur sicherer, sondern auch billiger ist, auf jeden Fall in unserem Land, aber sicher auch in ganz Europa. Darum wollen wir diesen Entsorgungsweg nicht nur bei uns, sondern in der gesamten Europäischen Gemeinschaft durchsetzen. ({2}) Wir übersehen keineswegs, meine Damen und Herren, daß wir unsere energiepolitischen Probleme auch unter dem Gesichtspunkt des geplanten europäischen Binnenmarktes überdenken müssen. Da haben Sie völlig recht, Herr Töpfer. Aber damit gibt es nach meiner Auffassung im Grunde nur zwei Optionen: Entweder wir definieren unsere Energiepolitik weiterhin national. Dann werden wir uns gegen jeden Druck wehren müssen, französischen Atomstrom in unser Land hineinzulassen, unsere Kohlebasis zu zerstören oder uns zu hindern, differenzierte Energieverbrauchsteuern einzuführen. ({3}) Oder wir beginnen unsere Energiepolitik europäisch zu definieren. Dann müssen wir aber in der Zukunft Versorgungssicherheit auf der Basis heimischer Energieträger, Umwelt- und Ressourcenschonung durch eine effizientere Erzeugung und Nutzung von Energie, Sicherheitsstandards auf Höchstniveau und nicht zuletzt den Ausstieg aus der Kernenergie in ganz Europa verwirklichen. Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Maaß.

Erich Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Opposition hat heute einen relativ schwarzen Tag. Ich habe mir die Argumentation angehört, Neues ist nicht gekommen. Aber ich habe sogar Verständnis dafür, daß sie durch die Ereignisse heute in Paris überrollt worden sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die Voraussetzungen geschaffen, wo wir mit Frankreich zusammen in die Prüfung eintreten, wie wir zu einer internationalen Entsorgungskonzeption kommen können. Das ist eine Voraussetzung für eine verantwortbare Energiepolitik. Ich habe mir überlegt, was an Argumenten von der Opposition gekommen ist. Na ja, da muß man eigentlich sagen: Sie schrecken ja auch nicht vor einigen Verdrehungen zurück. Herr Kollege Schäfer sagt, Einsparungen von 2 Milliarden DM würden den Stromkunden zugute kommen, wenn man in La Hague entsorgt. Haben Sie die Meldung der RWE heute morgen nicht gelesen, die erklärt hat, daß 1,4 Milliarden DM oder 1,8 Milliarden DM eine vernachlässigbare Größe seien, daß es gar nicht mehr wert sei, das an den Stromkunden weiterzugeben? Woher haben Sie eigentlich Ihre Information? Fast hanebüchen klingt das Argument, diese 2 Milliarden DM könnten für die Kohleverstromung verwandt werden. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr. Meine Damen und Herren, Ihre Argumentationen sind doch vordergründige Winkelzüge. Sie wollen durch den Ausstieg aus Wackersdorf den Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie proben. ({0}) Das ist doch die Tatsache. Da schrecken Sie vor Argumenten, die nicht mehr der Wahrheit entsprechen, auch nicht zurück. Ich erinnere nur an die Diskussion bei den regenerativen Energien. Was haben Sie denn da für Konzepte und für Rezepte vor wenigen Tagen in diesem Hohen Hause anzubieten gehabt? Da ist doch nichts gekommen. Wo sind die Pilotvorhaben? In CDU-regierten Bundesländern werden sie durchgeführt. Von Herrn Rau oder von Herrn Lafontaine haben wir bislang nur flotte Sprüche zu dem Thema gehört. ({1}) Ein weiterer Punkt. Ich bin hier weiß Gott nicht als Kernenergiefetischist verschrien. Aber wir können doch an den Tatsachen nicht vorbeireden. 40 % unserer Energie stammen aus der Kernenergie. ({2}) Wer heute aussteigen möchte und sagt, Kollege Schäfer, er wolle mehr fossile Energieträger verbrennen, der arbeitet und argumentiert doch verantwortungslos. Sie wissen genau, wie die Erkenntnisse der Enquete-Kommission Klima aussehen. Wie können wir Verantwortung von Ländern der Dritten Welt verlangen, wenn das High-Tech-Land Bundesrepublik Deutschland so argumentiert! Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch einige Anmerkungen zu den Energieversorgungsunternehmen machen. Mich hat maßgeblich gestört, daß hier mit vordergründigen betriebswirtschaftlichen Argumenten gearbeitet wird. Wir können nicht auf der einen Seite erwarten, daß dieser Staat den Energieversorgungsunternehmen regionale Schutzräume zur Verfügung stellt, in denen sie sich wie Monopolisten gebärden können, wo sie auch gut verdienen können. Wenn sie aber auf der anderen Seite bei der Entsorgung nationale Verantwortung zeigen müssen, argumentieren sie plötzlich mit der Betriebswirtschaft. Wir wollen keine billige Lösung bei der Entsorgung haben, wir wollen auch kein Geld mit dem Konzept der Entsorgung machen. Vielmehr hat Sicherheit bei uns einen höheren Stellenwert als die Betriebswirtschaft. Wer versorgt, muß auch entsorgen. Dieser Verantwortung können sich die EVUs nicht entziehen. Deshalb bin ich relativ froh, daß wir heute deutlich die Bereitschaft signalisieren: Wir wollen zu einer europäischen Lösung kommen. Keine kurzfristige Reaktion, keine Überreaktion; vielmehr soll eine vernünftige Konzeption auf einer vernünftigen Basis ausgearbeitet werden. Wir verabschieden uns nicht aus einer Technologie, sondern wir wollen eine Technologie vernünftig, verantwortungsbewußt gestalten. Wir wollen Sicherheitsstandards mitgestalten, und wir wollen Umweltstandards mitgestalten. Meine Damen und Herren, es ist doch unglaubwürdig, wenn diejenigen, die auf der einen Seite bei Müllexporten demonstrieren, jetzt plötzlich sagen: Hurra, wir können die Brennstäbe ins Ausland exportieren. ({3}) Das ist doch unglaubwürdig. Wir dürfen uns doch dieser Verantwortung nicht entziehen. ({4}) Wir als Union tun das jedenfalls nicht. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl. ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auf die abschließende Demagogie meines Vorredners gehe ich nicht ein, aber indirekt auf mehrere der von ihm gebrachten Argumente und Schutzbehauptungen. Wer Sachlichkeit einfordert und solche Bemerkungen macht, wie Sie es zum Schluß taten, der führt sich selbst ad absurdum. Erinnern wir uns, wie die Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben gescheitert ist. Dort sagte ein Ministerpräsident, dieselbe sei politisch nicht durchsetzbar. Und gucken wir uns an, was jetzt passiert. Der jahrelange Widerstand vor Ort durch die Bürgerinitiativen ist inzwischen bis in bestimmte Ministerialbürokratien hineingelangt - ich denke da an das Ministerium von Günther Jansen in Schleswig-Holstein, aber auch an andere Bundesländer, das Hessen-Experiment sei ebenfalls erwähnt, bis zu einem gewissen Stadium jedenfalls -, hat also bereits solche Bereiche erreicht. Tatsächlich scheint es so, daß die Wirtschaft von selbst zur Einsicht kommt. Ich möchte, daß nicht verloren geht, daß solche Ereignisse wie die, die wir vor kurzem erlebt haben - daß Bennigsen-Foerder sagt, er wolle den Ausstieg aus der Wiederaufarbeitungsanlage zumindest in der Bundesrepublik -, ganz wesentlich und nur über den jahrelangen und massiven Druck aus der Bürgerinitiativbewegung zustande gekommen sind. Zu dem, was heute an Argumenten auf den Tisch gelegt wird, möchte ich eine Kritik anbringen, so sehr ich mich darüber freue, daß vieles dessen, was von den Rednern der SPD gesagt wurde, dem entspricht, was ich selber empfinde: Praktisch alle Argumente lagen auch vor zehn Jahren auf dem Tisch. Da gibt es nichts Neues. Es war vor zehn Jahren das gesagt worden, was heute gesagt wird. Es gibt heute nur einige zusätzliche Studien, und viele der Studien werden einfach auch zur politischen Legitimation aufgelegt und um eine gewisse Aktualisierung herbeizuführen. Insofern: Die politische Verantwortung für das energiepolitische Desaster - vom ökologischen will ich jetzt gar nicht reden, sondern nur fachlich eng bewerten - liegt auch in Ihrer Fraktion, in der Fraktion der SPD, so sehr ich mich darüber freue, daß Sie heute zumindest in diesem Bereich klare Worte sprechen. Der Legitimationsdruck, der in ganz vielen Feldern unserer Gesellschaft wegen der vielen Sackgassen, in denen wir uns befinden, auf die Politik zur Zeit ausgeübt wird, dem Sie, die SPD, Anfang der 80er Jahre erlegen sind, als DIE GRÜNEN aufkamen, der politische Legitimationsdruck, der jetzt auch die CDU/CSU und die FDP erreicht, der sorgt ganz wesentlich dafür, daß wir plötzlich eine solche Erosion in dem harten Lager der Atombefürworter erleben. Dabei darf uns die Erosion, die wir zu analysieren glauben, nicht zur Täuschung veranlassen, daß damit praktisch der Ausstieg einhergeht. Daß jetzt in Frankreich das gemacht werden soll, was vorher in Bayern geschehen sollte, liegt ganz einfach daran, daß vor nicht allzu vielen Monaten die deutsch-französische nukleare Zusammenarbeit zustande gekommen ist. Die Wiederaufarbeitungsanlage hat nun einmal für die Politiker, jedenfalls für die Betonköpfe unter den Politikern, zu allererst die Option auf die Atombombe gehabt und nichts anderes. Das hat Strauß schon sehr früh in den 50er und 60er Jahren durchblicken lassen. Daß die Wirtschaft hier bestimmte Interessen hatte, weil die großen Profite im Raum standen, das wissen wir ja auch alles. Aber die Politik hat als allererstes Interesse die Option auf die Atombombe gehabt. Ich möchte noch einen Aspekt einbringen. Sie wissen, daß ich bei den Kritischen Polizeibeamten bin und diese Gruppe auch mit aufgebaut habe. 1980 war ich in Gorleben, in der sogenannten Republik Wendland und habe erlebt, wie staatliche Gewalt das kaputtgemacht hat - was dann kurze Zeit später mit einem Federstrich von Albrecht sogar bestätigt wurde -, was wir dort aufgebaut hatten, nämlich dieses Dorf. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Den Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Akzeptanz, ihre Notwendigkeit bei der Einführung solcher Großtechnologien haben Sie nie entsprechend gewürdigt. Sie haben Hundertschaften, Sie haben Tausendschaften von Polizeibeamten dort „verbraten", auch jetzt in Wackersdorf noch. Sie haben damit Feindbilder gepflegt, auch in der Bevölkerung, und Sie haben Tausende von Bürgern kriminalisiert und physisch verletzen lassen. ({0}) Das sind für Sie, die Sie eine solche Politik mit vertreten haben, Nebenfolgen, weil es in der Abwägung höherrangige Ziele gibt: ({1}) die Atombombe und die scheinbaren Profite, die für die Wirtschaft im Raume standen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter - - Wüppesahl ({0}): Ich komme zum Schluß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen volle fünf Minuten gegeben, und ich bitte also, jetzt zu beenden.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Schlußsatz: -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, ich bitte, zu beenden!

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ach so. Na gut, da will ich mich jetzt nicht streiten. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Aber Sie wissen doch ganz genau, daß der amtierende Präsident verpflichtet ist, darauf zu achten, daß die Zeit streng eingehalten wird. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die heutige Vereinbarung von Paris ausdrücklich, insbesondere unter dem Aspekt, daß es möglich werden könnte, zwei Wiederaufarbeitungsanlagen zu betreiben. ({0}) Diese Vereinbarung ermöglicht es, mit Frankreich zusammenzuarbeiten, aber auch unseren nationalen Verpflichtungen nachzukommen, zusammen mit der Energiewirtschaft. Es ist richtig, daß wir von Entscheidungen nicht - wie die SPD - nur deshalb abweichen, weil es einen scheinbar bequemeren Weg gibt. Daß Sie aus allem aussteigen wollen und am Ende dann französischen Atomstrom beziehen - diese Vereinbarung kommt auch dieser Bemühung entgegen. Denn das könnten wir dann hoffentlich auf einer gesicherten Grundlage, wenn Sie in Deutschland so weitermachen. Und, lieber Herr Kollege Wüppesahl: Der Einsatz der Polizeibeamten wird sicherlich auch nicht vergeblich gewesen sein. Wir bedauern, daß er erforderlich war. In einer Demokratie wäre es eigentlich erf orderFellner lich, daß Entscheidungen so angenommen werden, wie sie politisch getroffen worden sind, ohne daß man Polizei einsetzen muß. ({1}) Herr Schöfberger - er ist nicht mehr da; ich sag's trotzdem -, diese Zusammenarbeit mit den Franzosen ist uns beileibe nicht suspekt. Es stellt sich nur die Frage, was Sie an Verpflichtungen mitzutragen bereit sind, die uns aus dieser Zusammenarbeit mit den Franzosen möglicherweise irgendwo vor Ort erwachsen werden. Ich wäre erfreut, wenn Sie sich dazu einmal konkret äußern würden, auch zu dem, was Sie an Entsorgungsschritten anbieten. Aber sagen Sie dann bitte seriös, wo, ({2}) und sagen Sie bitte auch seriös zu, daß Sie dort dann nicht den gleichen Zirkus veranstalten, wie Sie ihn sonst überall veranstalten, wenn es um einen Schritt geht, die Entsorgung bei uns sicherzustellen. Der Herr Kollege Vosen ist ja ein wunderbar ehrlicher Kerl. Sein Begriff von der deutschen Energiewirtschaft als einem Atomasylanten in Frankreich sagt ja mehr aus als ein gewöhnlicher Versprecher. Denn es ist natürlich tatsächlich so, daß sich die deutsche Atomwirtschaft angesichts dessen, was Sie mit ihr veranstalten, wirklich verfolgt fühlen muß. Der Begriff des Asyls ist ja nur dann einschlägig, wenn es darum geht, daß jemand menschenrechtswidrig behandelt oder aus religiösen, politischen - man kann auch sagen: ideologischen - Gründen verfolgt wird. ({3}) Und weil es so geklungen hat, als würde uns aus umweltpolitischer Sicht daraus keine neue Verpflichtung erwachsen: Ich stelle die Sicherheit der Anlage in La Hague beileibe nicht in das Zentrum unserer gemeinsamen Überlegungen, aber es ist ein wichtiger Punkt. Gerade die Zusammenarbeit sollte es uns ermöglichen, auch in diesem Punkt - im Interesse der Sicherheit aller in Europa - auf Sicherheitsstandards, auf Emissionswerte Einfluß zu nehmen. Es ist das Tritium angesprochen worden. Es werde in den Oberpfälzer Boden verpreßt oder würde dort versickern. In La Hague ist es allein an Emissionen von Tritium ins Wasser 1 000mal so viel; Beta-Strahler sind es gar 125 600mal so viel. ({4}) ({5}) Sie sehen also, daß eine interessante Aufgabe verbleibt, was die Emissionen anbelangt. Ich wundere mich tatsächlich über die Begeisterung, die die SPD für die ökonomischen Überlegungen eines Energiekonzerns entwickelt. ({6}) Damit schließen sie sich natürlich ohne Bruch an die Müllexportmentalität eines Joschka Fischer ({7}) und anderer rot-grüner Edelpolitiker an. Vergessen ist, was Sie sonst zu atomaren Aktivitäten im Ausland, zu den sogenannten billigen Lösungen, beispielsweise Mol, gesagt haben. Vergessen ist auch, daß Sie sonst ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Erwägungen die Durchsetzung des sichersten Standes der Technik verlangen. Das ist auch unsere Meinung, aber wir bleiben eben auch dann konsequent, wenn es um einen scheinbar bequemeren Weg in Frankreich geht. Natürlich stellt sich die Frage - ich greife die Sorgen meiner eigenen Oberpfälzer Bürger selbstverständlich auf - : Was würde es denn bringen, wenn auf Wackersdorf verzichtet werden könnte? Sicher würden wir den Ärger am konkreten Ort Wackersdorf vom Hals haben, es sei denn, wir würden die Anlage vernünftigerweise als Zwischenlager nutzen wollen, denn für diesen Fall haben Sie schon wieder Zirkus angekündigt. Sie von den GRÜNEN und von den Roten würden Ihre Zelte in Wackersdorf abbrechen, andere würden dann auch noch Ihre Krähenfüße in die Hand nehmen, und man würde sich eben woanders niederlassen: dort wo Atomtransporte stattfinden, dort wo ein Zwischenlager eingerichtet ist. Ich möchte nicht wissen, welche Proteste Sie veranstalten, wenn Plutonium oder anderes Wiederaufarbeitungsmaterial nach Deutschland zurückgeliefert wird. Der Verzicht würde also sicherlich nicht mehr Frieden bringen, denn es geht Ihnen, zumindest Ihnen von den GRÜNEN, nicht um Wackersdorf, sondern um das Kaputtmachen unserer Industriegesellschaft. ({8}) Deshalb gibt es mit uns keinen Einstieg in den Ausstieg. Danke schön. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes - Drucksache 11/3915 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 11/4358 Berichterstatter: Abgeordnete Opel Frau Will-Feld ({1}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Will-Feld.

Waltrud Will-Feld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002515, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vierte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes wird heute durch den Deutschen Bundestag verabschiedet. Es muß erlaubt sein, vorweg festzustellen, das Steuerberatungsgesetz ist kein Schutzgesetz für Steuerberater. In der Diskussion interessierter Gruppen hört man oft, hier werde einem Berufsstand seine Tätigkeit geschützt und seine Existenz qua Gesetz gesichert. Und so wird die Diskussion oft weitergeführt: Die Berufsverbände der Steuerberater seien ausdrücklich daran interessiert, sich die Pfründe für ihre Klientel gesetzlich absichern zu lassen. Aber das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von 1980 ausdrücklich festgestellt: Die Regelung der Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen soll das Interesse der Steuerpflichtigen, sich bei der Erledigung ihrer Steuerangelegenheit der Hilfe anderer Personen zu bedienen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen. Im Interesse - so sagt das Bundesverfassungsgericht weiter des Steueraufkommens, der Steuermoral sowie zum Schutz gesetzesunkundiger Steuerpflichtiger, die durch Falschberatung unfähiger und ungeeigneter Berater schwere Nachteile erleiden können, soll sichergestellt werden, daß nur solche Berater geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen leisten, die dazu die erforderliche sachliche und persönliche Zuverlässigkeit haben. Drittens sagt das Bundesverfassungsgericht: Die Steuerberatung ist ein Teil der Rechtsberatung. Die damit verbundenen Berufsaufgaben dienen der Steuerrechtspflege, einem wichtigen Gemeinschaftsgut. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch entschieden, daß zu den Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater nicht mehr gehöre, wenn Personen, die eine kaufmännische Gehilfenprüfung abgelegt haben, das geschäftsmäßige Kontieren von Belegen oder die geschäftsmäßige Erledigung der laufenden Lohnbuchhaltung erledigen und unaufgefordert anbieten. Damit ist das Bundesverfassungsgericht der technischen Entwicklung gefolgt und hat der technischen Entwicklung Rechnung getragen. Das Verfassungsgericht macht aber genauso deutlich, daß aus seiner Entscheidung nicht abgeleitet werden könne, daß die Ausübung dieser Tätigkeiten künftig keinen Beschränkungen unterliege. Der Gesetzgeber ändert nunmehr das Steuerberatungsgesetz entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Buchführungsprivileg. Änderungen mit zum Teil bedeutenden Verbesserungen hat es auch bei den Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberaterprüfung gegeben. So sind beispielsweise die Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberaterprüfung mit einer abgeschlossenen kaufmännischen Ausbildung, mit einer Abschlußprüfung in einem steuer- oder wirtschaftsberatenden Beruf oder anderen gleichwertigen Ausbildung erheblich erweitert worden. Ist bisher der Realschulabschluß Voraussetzung gewesen, wird zukünftig auf den Abschluß einer kaufmännischen oder einer steuer- oder wirtschaftsberatenden oder einer anderen gleichwertigen Ausbildung abgestellt. Ist bisher die Mindestzeit der Berufstätigkeit durch eine Tätigkeit bei einem Steuerberater nachzuweisen, genügt zukünftig eine zehnjährige Tätigkeit im Steuerwesen. Warum sage ich das? Damit ist auch tüchtigen Bilanzbuchhaltern der Weg zum Steuerberater uneingeschränkt eröffnet. Für die Hochschulabsolventen ergibt sich eine Verbesserung gegenüber dem Entwurf. Sie brauchen nur noch vier statt zunächst vorgesehen fünf Jahre hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens nachzuweisen. Damit benötigen sie nur ein Jahr mehr als die Universitätsabsolventen. Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, daß im Hinblick auf die Steuerberaterprüfung die Qualität eines Fachhochschulstudiums grundsätzlich nicht schlechter ist als die eines Universitätsstudiums. ({0}) Die Steuerberaterprüfung stellt immer noch hohe Anforderung und gewährleistet dadurch, daß eine ausreichende Qualitätskontrolle erfolgt. ({1}) Die Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine wird erweitert: auf Einkünfte aus Kapitalvermögen, das allerdings nur dann, wenn die Einkünfte aus Kapitalvermögen 2 000 DM, bei Zusammenveranlagung 4 000 DM nicht überschreiten. Auch die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die unter § 20 EStG fallen, sind nicht ganz einfach zu ermitteln, weil es sich bei diesen Einkünften nicht ausschließlich um Zinserträge von Spar- und Girokonten handelt. Von daher ist die Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine nicht so zu definieren, daß eine Beratungsbefugnis ohne betragsmäßige Begrenzung eingeräumt werden kann, wenn es sich um sogenannte arbeitnehmertypische Kapitalerträge handelt. Auch kann bei den übrigen Kapitaleinkünften eine Beratung bis zur Höhe des doppelten Sparerfreibetrags nach unserer Meinung nicht gestattet werden. Der Begriff „arbeitnehmertypisch", wie immer man ihn auch definieren mag, eignet sich heute nicht mehr. Der Arbeitnehmerbegriff umfaßt steuerrechtlich nicht nur den Arbeiter und vielzitierten kleinen Angestellten, sondern allein von der Einkunftsart her sind auch das Vorstandsmitglied einer AG oder der GmbH-Geschäftsführer Arbeitnehmer. Bei allen verständlichen Bemühungen, dem Durchschnitt der Kleinverdiener zu helfen, sollte das nicht außer Ansatz gelassen werden. Daher haben wir uns für eine pauschale, leicht überprüfbare Betragsgrenze in dem vorgelegten Gesetz entschieden. Wir meinen, das sei praxisgerechter. Entgegen dem Regierungsentwurf wurde an dem Verbot der sogenannten Mandatsteilung festgehalten. Wenn Einkünfte vorliegen, die nicht unter die Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine fallen, dann ist es sachgerecht, ihnen keine Beratungsbefugnis mehr zuzugestehen. Eine Mandatsteilung zieht eine Fülle von Problemen nach sich, beispielsweise die Zuordnung von Werbungskosten zu verschiedenen Einkunftsarten. Ausgedehnt wird durch die vierte Änderung des Steuerberatungsgesetzes auch die Beratungsbefugnis der landwirtschaftlichen Berufsvertretungen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß sich die tatsächliche Situation in der Landwirtschaft in den letzten Jahren erheblich verändert hat. Eine wichtige und dringend notwendige Neuerung ist auch die Einführung der Kapitalbindung für Steuerberatungsgesellschaften. Es muß sichergestellt sein, daß die personenbezogene freiberufliche Tätigkeit des Steuerberaters frei von berufsfremden Erwägungen bleibt. Dies ist im Rahmen von Steuerberatungsgesellschaften nur dann gewährleistet, wenn sich an ihnen nur Personen beteiligen dürfen, die zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind. Dies sind neben Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten auch Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte. Eine Beschränkung ausschließlich auf Steuerberater ist verfassungsrechtlich bedenklich. Die Kapitalbindung stärkt nach unserer Meinung das mittelständische Element in diesen freien Berufen. Die Altgesellschaften, d. h. also die bereits bestehenden Steuerberatungsgesellschaften, können sich auf einen verfassungsrechtlich geschützten Besitzstand berufen. Sie werden deshalb in die neue Regelung nur dann einbezogen, wenn Beteiligungen durch Rechtsgeschäft oder einen Erbfall übergehen. Dieser Schutzgedanke ist auch die Grundlage für die vom Auschuß vorgenommene Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Übergangsregelung. Die Vorschriften über die Kapitalbindung sind so wichtig, daß der Finanzausschuß die Bundesregierung zu einem Bericht über die Anpassung von Altgesellschaften an das neue Recht aufgefordert hat. Dieser Bericht soll im Laufe des Jahres 1991 erstattet werden. ({2}) Wir erwarten diesen Bericht. Änderungen hat es auch bei der prüfungsfreien Zulassung als Steuerberater gegeben. Es wurde entschieden, daß die Dauer der Dozententätigkeit an einer deutschen Hochschule für Universitäts- und Fachhochschulprofessoren einheitlich auf zehn Jahre festgelegt wird. Damit wurde insgesamt eine Vereinheitlichung erreicht; denn die Frist entspricht jetzt der, nach der auch Finanzrichter und Angehörige des höheren Dienstes der Finanzverwaltung prüfungsfrei als Steuerberater zugelassen werden können. Für eine Differenzierung zwischen Professoren einerseits, Finanzrichtern und Angehörigen des höheren Dienstes der Finanzverwaltung andererseits lassen sich sachlich gerechtfertigte Argumente nicht finden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf die Verabschiedung dieses Änderungsgesetzes warten viele Berufsgruppen schon eine geraume Zeit. Heute ist es endlich so weit. Das Gesetz wird verabschiedet. Ich danke Ihnen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Opel.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Steuergesetzgebung ist unterdessen so komplex und kompliziert geworden, daß sich eine Vielzahl von Steuerpflichtigen gezwungen sieht, fachkundigen Rat einzuholen, nur um ihr Recht zu bekommen. Was dies in der täglichen Praxis bedeutet, mögen Sie selbst ermessen. Und die sogenannte Steuerreform hat auf diesem Feld nicht die überfällige Entlastung, die wir uns alle und die Bürger gewünscht haben, gebracht. ({0}) - Eher das Gegenteil ist der Fall. Denken wir nur an das bürokratische Ungetüm namens Quellensteuer. ({1}) Selbst der Finanzminister schätzt, daß jährliche mehrere Milliarden DM Steuern zuviel von den Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen gezahlt werden. Dies ist ungerecht und auch ungerechtfertigt. Wir brauchen dringend eine Vereinfachung der Steuergesetze, damit der Normalbürger leichter zu seinem Recht kommt. Wir Sozialdemokraten haben uns immer dafür eingesetzt, daß insbesondere die niedrigen Einkommensgruppen so hohe Freibeträge eingeräumt erhalten, daß sie den Gang zum Finanzamt gar nicht erst antreten müssen. Bei Kapitalgesellschaften und anderen Unternehmen sowie bei Gewerbebetrieben gilt eine andere Zielrichtung. Dort kann der unternehmerische Erfolg sehr wohl und sogar entscheidend davon abhängen, ob eine gute Beratung in Steuerfragen zur Verfügung steht. Auch in diesem Zusammenhang muß man feststellen, daß ein kompliziertes Steuerrecht die Tendenz zum ungerechten Steuersystem zwangsläufig in sich trägt. ({2}) Im Rahmen unseres für Laien und Normalbürger undurchsichtigen Steuerrechtes kommt dem Sachund Fachkundigen eine besondere Bedeutung zu. Hier erfüllen die Steuerberater eine sehr wichtige Funktion. Dies gilt in ähnlicher Weise für Wirtschaftsberater, Unternehmensberater, gewerbliche Bilanzbuchhalter und verwandte Berufe. Es gilt also faktisch in einem breiten Beratungsmarkt in steuerlicher Hinsicht. Dieses Marktes haben sich in der Vergangenheit neben den Steuerberatern sehr viele Berufsstände angenommen, und es haben sich Selbsthilfeorganisationen in diesem Markt gebildet. Selbsthilfeorganisationen entstehen beispielsweise immer dann, wenn der Bürger einen deutlichen und wohl auch dringenden Bedarf dafür sieht. Speziell die Lohnsteuerhilfevereine haben sich gebildet, um primär als Selbsthilfeorganisationen der Lohnsteuerpflichtigen zu fungieren. Bei den Lohnsteuerpflichtigen besteht auf Grund der strukturellen Verwerfungen in der Steuergesetzgebung nach wie vor ein erhöhter Beratungsbedarf. Hier, meine Damen und Herren, hat die sogenannte Steuerreform noch einen draufgesetzt. ({3}) Das vorliegende Vierte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes läuft einerseits der von mir soeben skizzierten wirklichen Entwicklung hinterher und nimmt auf der anderen Seite, wie Sie, Frau Kollegin, schon dargestellt haben, lediglich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auf. Wir begrüßen insbesondere die vorgenommene Erweiterung bzw. Präzisierung der Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine und der „landwirtschaftlichen Buchstellen" im Grundsatz. Wir hätten uns allerdings auch eine an den Realitäten orientierte Beratungsbefugnis für die gewerblich tätigen Bilanzbuchhalter und die Buchhaltungshelfer, die eine gewerbliche Tätigkeit ausführen, gewünscht. ({4}) So läuft der Gesetzentwurf Gefahr, bereits bei Inkraftsetzung hinter der Wirklichkeit zurückzubleiben. Mit dem Gesetzentwurf wird das Prinzip der „Beratung in einer Hand" mehrfach durchbrochen. Damit ist die faktische Mandatsteilung - die faktische, Frau Kollegin, sage ich - in Einzelfällen vorprogrammiert, obwohl sie so nicht im Gesetz steht. So ist beispielsweise nicht einzusehen, daß die Vereinigung von Land- und Forstwirten, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben die Hilfeleistung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe im Sinne des Bewertungsgesetzes gehören, also sogenannte landwirtschaftliche Buchstellen, die eine lange Tradition haben, alle Neben- und zusätzlichen Einkünfte eines Landwirtes in ihre Beratungsbefugnis aufnehmen dürfen, jedoch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder aus Gewerbebetrieb nicht mit in die Vorbereitung, beispielsweise einer persönlichen Steuererklärung, einschließen dürfen. Die Praxis zeigt jedoch, daß viele Landwirte einen kleinen Gewerbebetrieb, wie z. B. als Ferienwohnungsvermieter, als Versicherungsmakler oder als Reparaturbetrieb für landwirtschaftliche Maschinen, besitzen. Die Einkünfte aus derartigen Tätigkeiten sind meistens mit denen von Nebentätigkeiten und anderem Zuerwerb vergleichbar. Deshalb ist eine Ausgrenzung der Hilfe für die Ermittlung von Einkünften aus selbständiger Arbeit oder aus Gewerbebetrieb für landwirtschaftliche Betriebe im Grunde nicht einzusehen. Gerade bei der gegenwärtig außerordentlich schlechten Lage der Landwirtschaft ist es erforderlich, den Landwirten so weit wie irgend möglich entgegenzukommen. Dazu gehört auch, meine Damen und Herren, den Landwirten die Möglichkeit zu Einkünften aus selbständiger Arbeit oder Gewerbebetrieb zu eröffnen und sie nicht gleichzeitig vom Steuerberatungsprivileg der sogenannten landwirtschaftlichen Buchstellen auszuschließen. Nur diese, die ja von einem zugelassenen Steuerberater geleitet werden müssen, haben die Sach- und Fachkenntnis zu rascher und berufstypischer Beratung, die zudem noch die regionalen Besonderheiten einzuschließen vermag. Auch die von der Bundesregierung vertretene Auffassung, wonach die Buchstellen des Handwerks eine über die eigentlichen Aufgaben einer Berufsvertretung hinausgehende Beratung und Hilfe in Steuersachen nicht anbieten dürfen, entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Gerade die Handwerker tragen in besonderer Weise zur Ausbildung und zum wirtschaftlichen Erfolg vor allem regional benachteiligter Gebiete bei. Deshalb muß auch den Handwerkern zugestanden werden, daß das Steuerberatungsprivileg ihrer Buchstellen der Lebenswirklichkeit angepaßt wird. ({5}) Dazu zählt insbesondere, daß typische Neben- und Zusatzeinkünfte in dieses Steuerberatungsprivileg einbezogen werden. Des weiteren muß die Personenbindung gelockert werden, da gerade im Handwerk unterdessen auch unterschiedliche Rechtsformen vorzufinden sind. Nun komme ich zu einem besonders gravierenden Mangel des Gesetzentwurfs. Den selbständig tätigen Bilanzbuchhaltern wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Zulassung zur Steuer- und Buchführungshilfe, insbesondere aber zu gewissen Abschlußarbeiten, zur Einrichtung von Buchführungen sowie zur Erstellung von Lohnsteueranmeldungen und von Umsatzsteuervoranmeldungen verwehrt. Auch diese Regelung geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die gelegentlich behauptete Inkompatibilität mit der Berufshaftpflichtversicherung der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften greift hier ganz offensichtlich nicht. Hierfür ließen sich leicht gangbare Lösungswege finden, wenn man nur wollte. In Wirklichkeit werden die Buchführungstätigkeiten, die Abschlußarbeiten und die Vorbereitungsarbeiten zur Steueranmeldung heute von Datenverarbeitungsprogrammen ohnehin automatisch zusammen mit der buchhalterischen Erstellung von Bilanzen und ähnlichen Abschlüssen vorgenommen. Deshalb ist eine Trennung zwischen beiden Tätigkeiten eine Künstlichkeit, die in der Praxis einfach nicht durchzuhalten ist. Ebenso ist nicht zu erkennen, wie in das Steuerberatungsprivileg in irgendeiner wesentlichen Weise eingegriffen würde, wenn die Regelung im genannten Sinne erfolgte. Letztlich verbleibt der hoheitliche Akt der Steuerfeststellung ja nicht bei den Steuerberatern oder bei den Bilanzbuchhaltern, sondern einzig und allein beim Finanzamt bzw. bei den dort tätigen Finanzbeamten. Würde ein Finanzbeamter Unzulänglichkeiten bei der so erweiterten Tätigkeit von selbständig tätigen Bilanzbuchhaltern nachweisen, so wären die Folgen völlig identisch mit denen gegenüber Steuerberatern. In ähnlicher Weise hat sich auch der Bundesrat geäußert. Wir folgen der Auffassung, daß die jahrzehntelange Praxis der Buchstellen des Handwerks, die insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe tätig sind, auf keinen Fall eingeschränkt werden darf. So muß nach unserer Auffassung die Beratungsbefugnis der handwerklichen Buchstellen auch dann gegeben sein, wenn neben betriebsbezogenen Einkommensbestandteilen wie Einkommensteuer, Vermögensteuer und Erbschaftsteuer auch nicht direkt betriebsbezogene Bestandteile, wie Kapitalertragsteuer oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, in den betreffenden Steuererklärungen enthalten sind oder wenn eine gemeinsame Steuererklärung von Ehegatten abgegeben wird, bei denen ein Teil ein EinkomOpel men hat, das erkennbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Handwerksbetrieb oder einem Betrieb eines handwerklichen Gewerbes steht, aber dies nicht dominiert. Nun komme ich zu einem erfreulichen Teil, weil uns hier die Koalition zum Teil gefolgt ist. Wir begrüßen ausdrücklich, daß Lohnsteuerhilfevereine, die wir als Selbsthilfeeinrichtungen von Arbeitnehmern verstehen, wie ich schon sagte - bloß, Frau Kollegin, sind „Arbeitnehmer" und „Lohnsteuerpflichtige" in diesem Zusammenhang schon eine Begrenzung; Vorstandsmitglieder als Lohnsteuerpflichtige fallen sicher nicht darunter -, ({6}) in Zukunft befugt sein sollen, auch Einkünfte aus Kapitalvermögen, einschließlich der Freistellung oder Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer, sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in die Beratung einzubeziehen. Die angegebenen Obergrenzen sind im Augenblick für uns durchaus hinnehmbar. Wir fordern aber weiterhin, daß die arbeitnehmertypischen Vermögensanlagen für die Lohnsteuer wie Erträge aus der Anlage vermögenswirksamer Leistungen oder aus Sparguthaben oder aus Bausparguthaben ohne Begrenzung in die Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine einbezogen werden. Außerdem möchten wir die Beratungsbefugnis der Lohnsteuerhilfevereine bei den übrigen Einkünften aus Kapitalvermögen auf das Doppelte des Sparerfreibetrages ausgeweitet wissen. Wir sprechen uns in dieser Beziehung ausdrücklich für eine flexiblere Ausgestaltung des Gesetzes aus. Feste DM-Beträge im Gesetzestext haben zwangsläufig die Folge, daß sie ständig angepaßt werden müssen. Dieses gilt für die Beträge 2 000 DM und 4 000 DM, die ja im Gesetzentwurf stehen. Wir hätten eine Regelung bevorzugt, die eine automatische Anpassung beinhaltet. Wenn in Zukunft beispielsweise die Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand mit Ernsthaftigkeit betrieben werden soll, so müssen die im Gesetz angeführten finanziellen Grenzen sicherlich im genannten Sinn nach oben korrigiert werden. Nun, meine Damen und Herren, wetterleuchtet es ja in der Koalition ganz beträchtlich, was die unselige und bürokratische Quellensteuer angeht. Wenn Herr Waigel, der Nothelfer aus Bayern, schließlich unsere Forderung aufnehmen wird, was ich vermute, und wenigstens die Sparerfreibeträge bei der Lohn- und Einkommensteuer kräftig anhebt, dann müssen konsequenterweise die genannten Obergrenzen auch angehoben werden, Herr Kollege Glos. Das wollen wir Ihnen dadurch ersparen, daß wir einen Automatismus einbauen. Wir begrüßen ebenfalls die Regelung, daß hinsichtlich der Vorbildungsvoraussetzungen für die Tätigkeit als Steuerberater kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Steuerberater ist im wesentlichen ein praktisch ausgerichteter Beruf, der sich in besonderer Weise in den Ausbildungsgängen der Fachhochschulen wiederfindet. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Es läßt sich feststellen, daß das Vierte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes zwar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Buchführungsprivileg der steuerberatenden Berufe aufnimmt, aber in einzelnen Punkten hinter den Notwendigkeiten und der Lebenswirklichkeit zurückbleibt. Wir Sozialdemokraten bemängeln insbesondere, daß die gerechtfertigten Interessen der Lohnsteuerhilfevereine und der Buchführungsstellen für die Landwirtschaft und das Handwerk nicht in notwendigem Maße berücksichtigt wurden. Darüber hinaus ist es erforderlich, den gewerblich tätigen Bilanzbuchhaltern jene Tätigkeitsbefugnisse einzuräumen, die für sie in der praktischen Arbeit erforderlich sind. Deshalb, meine Damen und Herren, stellen wir fest, daß diese Gesetzesänderung nur das unbedingt Notwendige aufgreift, nicht aber das Wünschbare. Wir werden uns der Gesetzesänderung nicht entgegenstellen, werden ihr aber auch in dieser Form nicht zustimmen können. Ich bedanke mich. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über einzelne Änderungen im Steuerberatungsgesetz debattieren, dann sollten wir die Gelegenheit nutzen, uns wieder einmal die eigentliche Aufgabe dieses Gesetzes vor Augen zu führen. Das Steuerberatungsgesetz ist ein Gesetz zum Schutz des wichtigen Gemeinschaftsguts der Steuerrechtspflege, des Rechtsschutzinteresses der Bürger sowie des Interesses des Staates an einer korrekten Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und der Steuern selbst. Deshalb ist bei der Auswahl der Personen und Einrichtungen, die im Bereich der Steuerberatung tätig sein dürfen, ein strenger Maßstab anzulegen. Das Gesetz folgt dabei einer Grundphilosophie: unbeschränkte Hilfeleistung in Steuersachen nur für besonders qualifizierte und ausgebildete Personen und Einrichtungen mit erheblichen Wettbewerbseinschränkungen; daneb en: Zulassung zur Hilfeleistung in Steuersachen nur beschränkt für Personen und Einrichtungen mit weniger strengen Anforderungen. Ich bin der Meinung, daß das Steuerberatungsgesetz in seinen wesentlichen Elementen diesen Grundgedanken verwirklicht. Ich will aber gleichwohl nicht versäumen, kritisch anzumerken, daß schon vor diesem vierten Änderungsgesetz einige Aufweichungen dieses Grundgedankens zu beobachten sind. Wir haben uns deswegen bemüht, bei diesem vierten Änderungsgesetz eine weitere Aufweichung zu verhindern. Es ging und geht nicht um die gesetzliche Bevorzugung des Berufsstands der Steuerberater, sondern es geht um die Erhaltung eines Instruments, das Bür10160 gern, Unternehmen und Staat eine qualifizierte Steuerberatung und die korrekte Ermittlung und Erfassung der Steuern ermöglicht. Wir Freien Demokraten haben uns vor diesem Hintergrund dem Anliegen der Lohnsteuerhilfevereine nicht widersetzt, in eingeschränktem Umfang auch im Bereich der Kapitaleinkünfte tätig werden zu können. Die Erkenntnis, daß Arbeitnehmer und Rentner auch Sparvermögen und damit Kapitaleinkünfte haben, mehr als in früheren Jahren, berechtigt zu dieser Beratungserweiterung für die Lohnsteuerhilfevereine. Wichtig erschien uns aber, daß in diesem Bereich der beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen eben ausschließlich Personen beraten werden dürfen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder wiederkehrende Bezüge haben und daneben eben nur in dem beschränkten Umfang von 2 000 DM bei Ledigen und 4 000 DM bei Verheirateten auch Kapitaleinkünfte. Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß noch im Beratungsverfahren im Finanzausschuß zu dieser notwendigen und wichtigen Einschränkung der Weg gefunden wurde. Für darüber hinausgehende Beratungen ist eine Qualifikation zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen erforderlich. Dasselbe gilt auch für die Tätigkeit der landwirtschaftlichen Buchstellen. Auch hier soll die Beratung grundsätzlich auf Landwirte beschränkt bleiben. Wir konnten und wollten aber unsere Augen nicht davor verschließen, daß bei Landwirten auch Nebeneinkünfte anfallen, die mit dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft zusammenhängen. Hier bin ich der Meinung, Kollege Opel, daß Sie das Änderungsgesetz hier nicht richtig vorgestellt haben. Es heißt im Gesetzentwurf: „Nebeneinkünfte, die üblicherweise bei Landwirten anfallen". Ich will dies einmal an einem Beispiel deutlich machen: Eine Metzgerei mit Gastwirtschaft, die von einem Unternehmer betrieben wird, der im Neben- oder Zuerwerb noch Landwirt ist, bedarf der Beratung durch den Personenkreis, der zur unbeschränkten Hilfeleistung befugt ist. Aber - jetzt kommt genau Ihr Beispiel - ein Landwirt, der im Nebenerwerb das Übernachtungsgewerbe „Ferien auf dem Bauernhof" betreibt, kann sich auch durch eine landwirtschaftliche Buchstelle beraten lassen. Ich glaube, das ist auch eine vernünftige Regelung. Wir haben also die typischen landwirtschaftlichen Nebenbetriebe, wie Übernachtung auf dem Bauernhof, drin. Sie hatten es so dargestellt, als ob wir hier die landwirtschaftlichen Buchstellen von der Beratung ausschließen würden. ({0}) - Die gewerbliche Tätigkeit mit „Ferien auf dem Bauernhof" darf durch landwirtschaftliche Buchstellen beraten werden. Das sagt der Satz: Nebeneinkünfte, die üblicherweise bei Landwirten anfallen. ({1}) - Gut, darüber können wir vielleicht später einmal reden, wenn sich die Rechtsprechung damit befaßt. Nebeneinkünfte bedeuten aber nicht die Beschränkung auf eine Einkunftsart. Deswegen ist die Öffnung in genau diesem Bereich drin. ({2}) - Auch wenn sie gewerblich gemacht wird. Selbstverständlich. Es heißt nicht: Nebeneinkünfte aus landwirtschaftlichen Tätigkeiten, sondern es heißt nur: Nebeneinkünfte, die üblicherweise anfallen. ({3}) Im Bereich Buchhaltungshelfer haben wir mit dieser Novelle die Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1980 und 1982 aufgearbeitet. Wir haben uns aber nicht dazu entschließen können, eine Erweiterung der Kompetenzen vorzunehmen. Im übrigen muß ich auch hier anmerken, Herr Kollege Opel: Es ist nicht so, daß das Erstellen der Lohnsteueranmeldung nicht durch die Buchführungshelfer vorgenommen werden könnte. Es steht im Gesetz, daß sie genau dies dürfen. Bei der Umsatzsteuervoranmeldung geht es nicht, bei der Lohnsteueranmeldung dürfen sie es aber. Auch dies sollte hier korrigiert werden. ({4}) Ich bestreite nicht, daß viele Buchhaltungshelfer und Bilanzbuchhalter in der Lage sind, auch qualifizierte, in den Bereich der Steuerberatung hineinreichende Aufgaben wahrzunehmen. Für uns als Gesetzgeber ist es jedoch nicht möglich, diese Berufsgruppe in den Bereich der qualifizierten Hilfeleistung hineinzunehmen und dabei mit denen in Wettbewerb treten zu lassen, die zur unbeschränkten Hilfeleistung berechtigt sind, und dafür strenge Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes zu beachten haben. Wir haben aber darüber hinaus etwas getan, was dieser Berufsgruppe sehr weit helfen kann. Wir haben die Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberaterprüfung und damit zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen erleichtert, um eben diesen qualifizierten Personen den Zugang zu den steuerberatenden Berufen zu erleichtern. Ich weiß, daß diese Öffnung von den Steuerberatern kritisch gesehen wird. Ich bin aber der Meinung, daß das Zusammenwirken von Ausbildungsvoraussetzungen, zehnjähriger hauptberuflicher Tätigkeit und Steuerberaterprüfung gewährleistet, daß nur entsprechend qualifizierte Personen in den Bereich derer hineingelangen können, die zur unbeschränkten Hilfeleistung berechtigt sind. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, um deutlich zu machen, welche Einschränkungen in ihrer beruflichen Tätigkeit Steuerberater hinnehmen müssen, um sich dafür das - was Sie so wollen - Privileg zu erkaufen, daß sie zur uneingeschränkten Hilfeleistung berechtigt sind. Das beginnt mit dem Werbeverbot, der Einschränkung der Vervielfältigung ihrer Berufstätigkeit durch auswärtige Beratungsstellen, der Verpflichtung vor den Obersten Landesbehörden zur gewissenhaften Erfüllung der Pflichten, der Einhaltung straffer Standesrichtlinien, der Unvereinbarkeit mit gewerblichen Tätigkeiten und mit der Tätigkeit als Arbeitnehmer und reicht bis zur Unterwerfung unter eine Berufsgerichtsbarkeit. Die gesetzlichen Einschränkungen sind richtig und notwendig. Ich bekenne mich dazu. Aber wenn wir als Gesetzgeber einem Berufsstand solche Pflichten auferlegen, müssen wir ihn vor Wettbewerb durch Personen schützen, die diesen Einschränkungen nicht unterliegen. Ich weiß, die Abgrenzung in diesem Bereich ist schwierig. Das haben wir besonders bei der Beratung dieses Änderungsgesetzes erlebt. Ich bin aber der Meinung, daß uns ein Änderungsgesetz gelungen ist, das zwar nicht alle Wünsche aller Betroffenen berücksichtigen konnte und wollte, jedoch die Anpassung an geänderte Verhältnisse systemkonform bewältigt hat. Aus diesem Grund werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Steuererleicherungsgesetz wäre wahrscheinlich wesentlich effizienter als ein Steuerberatungsgesetz. Aber dazu war die Bundesregierung - was auch die Steuerreform gezeigt hat - nicht in der Lage. Ich glaube, auch der neue Finanzminister wird dazu nicht in der Lage sein. Wir haben unseren Zeitplan schon um fast eine Stunde überzogen. Ich meine, Sie werden daher freudig zur Kenntnis nehmen, daß ich die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht ganz ausnutzen werde. ({0}) Eine kleine Fraktion, wie es die Fraktion DIE GRÜNEN ist, muß in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte setzen. Ein solcher Schwerpunkt sind für uns z. B. die ökologische Steuerreform und die Erarbeitung eines solchen Konzepts, aber eben nicht eine verstärkte inhaltliche Debatte des Steuerberatungsgesetzes. Das soll keine Wertung des Berufs oder der Menschen sein, die von diesem Gesetz betroffen sind. Lassen Sie mich noch eine einzige Bemerkung dazu machen. Wir bedauern es, daß die Möglichkeiten der Lohnsteuerhilfevereine nicht mehr ausgeweitet worden sind, z. B. in dem Rahmen, wie es die SPD im Finanzausschuß beantragt hatte. Das wäre gerade für diese Gruppe und auch für die Gruppe derer, die von den Lohnsteuerhilfevereinen beraten werden, sicher eine große Erleichterung gewesen. Alles in allem werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Das war's schon. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach langjährigen Vorarbeiten ist der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages zügig beraten worden. In der vom Finanzausschuß empfohlenen Fassung berücksichtigt die Neuregelung nicht nur zahlreiche Änderungsanregungen, die sich in den letzten 13 Jahren aus der Praxis ergeben haben, sondern gibt auch entscheidende Anstöße für die Fortentwicklung des Steuerberatungsrechts. Lassen Sie mich einige der wichtigen Änderungen kurz aufzeigen, wie es die Kollegin Frau Will-Feld und Herr Kollege Rind zum Teil bereits getan haben. Erstens. Bei Neugründung von Steuerberatungsgesellschaften oder bei Veräußerung von Anteilen wird die Kapitalbindung eingeführt. Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer dürfen sich als berufsbezogene Kapitalgeber auch künftig an Steuerberatungsgesellschaften beteiligen. Berufsfremde Kapitalgeber sind dagegen ausgeschlossen. Die Regelung lehnt sich dabei im Grundsatz an das für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bereits geltende Recht an. Steuerberater haben ihren Beruf unabhängig und eigenverantwortlich auszuüben. Diese Wesenszüge freiberuflicher Tätigkeit müssen auch dann gewahrt werden, wenn die Steuerberatung nicht in Form einer Einzelpraxis oder einer Sozietät, sondern in Form einer Steuerberatungsgesellschaft ausgeübt wird. In den letzten Jahren sind zahlreiche Gründungen von Steuerberatungsgesellschaften durch berufsfremde Kapitalgeber erfolgt. Es war daher zu befürchten, daß die steuerberatenden Tätigkeiten in den Gesellschaften nicht nur von berufsbezogenen, sondern auch von anderen Erwägungen der kapitalgebenden Gesellschafter bestimmt werden. Die Einführung der Kapitalbindung wirkt dieser Entwicklung entgegen und stellt sicher, daß die neu zu gründenden Steuerberatungsgesellschaften von berufsfremden Interessen freigehalten werden. Zweitens. Die Beratungsbefugnis der landwirtschaftlichen Berufsvertretungen wird erweitert. Der Strukturwandel in der Land- und Forstwirtschaft hat bewirkt, daß Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in zunehmendem Maße neben ihren land- und forstwirtschaftlichen Einkünften auch Einkünfte anderer Art erzielen. Bei diesen jetzt üblicherweise vorkommenden landwirtschaftlichen Nebeneinkünften kann daher durch die landwirtschaftlichen Buchstellen eine Beratung ihrer Mitglieder erfolgen. Drittens. Lohnsteuerhilfevereine dürfen künftig ihre Mitglieder auch dann steuerlich betreuen, wenn diese Einnahmen aus Kapitalvermögen haben, die 2 000 DNI bzw. 4 000 DM im Falle der Zusammenveranlagung nicht überschreiten. Damit wird der Bereich arbeitnehmertypischer Einkommen nicht überschritten. Der Vorschlag der SPD-Fraktion, bei arbeitnehmertypischen Kapitalerträgen die Beratungsbefugnis ohne betragsmäßige Begrenzung und bei anderen Ka10162 pitaleinkünften eine Beratung bis zur Höhe des doppelten Sparerfreibetrages vorzusehen, hat keine Mehrheit im Finanzausschuß gefunden. Bei den von den Finanzämtern abzuwickelnden Massenverfahren stellt sich eine so detaillierte Abgrenzung als nicht praxisnah dar. Viertens. Der Zugang zum Beruf des Steuerberaters wird erleichtert. Künftig werden auch Bürger mit Hauptschulabschluß, die sich die erforderlichen Kenntnisse angeeignet haben, zur Steuerberaterprüfung zugelassen werden können. Mit dieser Regelung wird dem allgemeinen Grundsatz, Bildungs- und Aufstiegswege möglichst für alle Bürger offenzuhalten, Rechnung getragen. Auch für Fachhochschulabsolventen mit einschlägigem Abschluß wird der Berufszugang verbessert. Sie können jetzt nach einer Berufspraxis von vier Jahren zur Steuerberaterprüfung zugelassen werden. Fünftens. Einfachere Buchführungsarbeiten wie das Buchen laufender Geschäftsvorfälle, die laufenden Lohnabrechnungen oder das Fertigen von Lohnsteueranmeldungen dürfen künftig nicht nur von Steuerberatern, sondern auch von anderen Personen mit kaufmännischer Ausbildung und ausreichender Berufspraxis selbständig ausgeführt werden. Darüber hinausgehende Buchungsarbeiten, die erhebliche Kenntnisse steuerrechtlicher und handelsrechtlicher Art erfordern, bleiben weiterhin den Angehörigen der steuerberatenden Berufe vorbehalten. Mit dieser Abgrenzung wird der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Buchführungsprivileg Rechnung getragen. Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß der Gesetzentwurf in der Ihnen vorliegenden Fassung einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit leisten wird. Das Steuerberatungsgesetz bietet auch in seiner neuen Fassung eine gute Grundlage für eine sachgerechte Steuerberatung und nützt damit dem Bürger. ({0}) - Aber von diesem, Herr Kollege! Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/3915 und 11/4358. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen worden. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss ({0}), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Transrapid-Referenzstrecke Hannover-Hamburg - Drucksache 11/3692 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Verkehr ({1}) Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Der Abgeordnete Wüppesahl beantragt hingegen, die vereinbarte Redezeit um einen weiteren Beitrag für ihn zu erweitern. Wer stimmt für diesen Antrag des Abgeordneten Wüppesahl? ({2}) - Müssen Sie das noch begründen? Wir kennen doch aus mindestens fünf Beiträgen Ihre Position. Aber bitte schön, Sie haben das Recht zur Begründung. ({3})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! ({0}) Die Dame, die gerade vor mir hergeht - ich kenne ihren Namen leider nicht -, ({1}) hatte bei der ersten Kurzdebatte, die wir heute kurz nach der Mittagspause hatten, nach der Begründung meines Geschäftsordnungsantrags, mich im Rahmen dieser Kurzdebatte von viermal fünf Minuten ebenfalls mit einem Redebeitrag von fünf Minuten zu berücksichtigen, das Wort ergriffen und gesagt, weil ich zur Geschäftsordnung gesprochen hätte, werde die SPD ihre Auffassung ändern, die ursprünglich dahin ging, daß man mir fünf Minuten Redezeit in der Sachdebatte einräumen wollte. Daraufhin gab es eine breite Mehrheit dafür, daß ich überhaupt nicht reden darf. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß das sowieso nicht geht. Auch der Bundestag kann im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte nicht gegen das Grundgesetz beschließen. ({2}) Was Sie machen können - oder vielleicht wir gemeinsam - , ist, das Grundgesetz zu ändern. Aber solange die Bestimmung existiert, daß jeder Abgeordneter reden darf, wenn er sich zu einem Tagesordnungspunkt meldet, müssen Sie ihm diese Redemöglichkeit auch einräumen. Wir können dann noch miteinander darüber streiten, wieviel Minuten ich reden darf. Nun hatte ich mich in der letzten Kurzdebatte, die wir hatten, nicht zu Wort gemeldet - was ich jetzt wieder unter Ihrem Stöhnen getan habe - , obwohl der Geschäftsordnungsantrag beim Präsidium gestern vor 18 Uhr eingegangen ist, und zwar in der Hoffnung oder Annahme, daß ich nun „belohnt" werde - so läuft das ja hier - und fünf Minuten zur Sache reden darf. Und was passierte? Gegen zwei Stimmen wurde mir von Ihnen mehrheitlich wieder jegliches Rederecht genommen, ({3}) entgegen den Bestimmungen des Grundgesetzes. Es ist wirklich ungeheuerlich. Das ist der Grund, weshalb ich jetzt erneut fünf Minuten zur Geschäftsordnung spreche: ({4}) Sie merken auch an meinem Auftreten, daß mir das selbst zuwider ist. ({5}) Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob ich mit meinen Beiträgen nicht Perlen vor die Säue werfe; denn das, was ich bisher gesagt habe und jetzt sage, muß Ihnen sowieso bekannt sein. - Ich habe es Ihnen aber auch schon drei- oder viermal gesagt. Ich weiß also, daß ich mit meinen Beiträgen uns alle belaste. ({6}) Ergänzend sei noch folgendes angemerkt. Die Tatsache, daß ich nur h i er reden darf und nicht im Ausschuß ({7}) es gibt nur wenige Ausnahmen, von denen mir praktisch kaum welche eingeräumt werden - und daß ich keinen Gesetzentwurf, keine Initiativanträge einbringen kann, keine Kleinen Anfragen stellen darf und und und, ({8}) bedeutet, daß ich hier überhaupt die einzige Möglichkeit habe, irgend etwas in die Meinungs- und Entscheidungsfindung einzubringen. Das heißt, wenn ich hier rede, ist das gleichzeitig eine Kompensation dafür, daß ich andere Möglichkeiten der Meinungsäußerung zur Zeit nicht habe. Ich räume ein: Sicherlich ist es noch strittig, ob ich z. B. in einem Ausschuß das Recht zur Meinungsäußerung habe. Aber es ist auf jeden Fall grundgesetzwidrig, mir einen Redebeitrag überhaupt völlig wegzufiedeln. Es ist doch klar, daß ich hier entsprechend zu Wort kommen können muß. Gleichzeitig möchte ich Ihnen vergegenwärtigen, daß es kurz vor der Osterpause eine Debatte zur Rentenreform gegeben hat. In dieser Debatte habe ich zehn Minuten gesprochen. Da gab es über 85 Zwischenrufe. ({9}) Es hagelte nur so. ({10}) Es gab im Plenum nicht einmal den Versuch, mir die Ruhe einzuräumen, die bei solchen Sachausführungen normalerweise üblich ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie unterbrechen. Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Sie wollten beantragen - wie Sie dem Präsidium mitgeteilt haben - , eine Kurzdebatte um einen weiteren Beitrag zu erweitern. Bitte stellen Sie Ihren entsprechenden Antrag, aber reden Sie nicht über die Grundsatzfrage. Darüber wird das Verfassungsgericht seine Entscheidung treffen.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident, der Antrag lautet so wie eingereicht: ({0}) daß mir dasselbe Redekontingent zur Verfügung gestellt wird, wie es jeder Fraktion in dieser Debatte laut Beschlußempfehlung des Ältestenrates eingeräumt werden soll, nämlich fünf Minuten. Dabei möchte ich ein solches Recht notfalls auch über § 126 der Geschäftsordnung in Anspruch nehmen - das ist also sozusagen ein Auffangantrag - , wonach im Einzelfall eine Zweidrittelmehrheit eine Abweichung von den geltenden Bestimmungen der Geschäftsordnung beschließen kann. Das, was ich eben gesagt habe, ist die Begründung für diesen Geschäftsordnungsantrag und insofern sicherlich zulässig. Der letzte Satz dazu: Auch kurz vor Ostern wurde aus den Reihen der CDU/CSU lauthals - das findet sich auch im Protokoll wieder - „du Lackaffe" geschrien, und zwar zu mir. So eine Bemerkung wurde nicht mal gerügt, ({1}) geschweige denn mit einem Ordnungsruf versehen. Ich bitte wirklich darum, daß mir jetzt endlich die Fairneß zuteil wird, entsprechend den Vorgaben sowohl der Geschäftsordnung als auch des Grundgesetzes hier meinen Redebeitrag halten zu können. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, es liegt also ein Antrag des Abgeordneten Wüppesahl vor, ihm bei der jetzt folgenden Debatte einen Redebeitrag von fünf Minuten zu gewähren. Ich lasse darüber abstimmen und bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Jetzt lasse ich darüber abstimmen, ob Sie mit dem einverstanden sind, was der Ältestenrat vereinbart Vizepräsident Westphal hat, nämlich eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion. Ich bitte um Ihr Handzeichen, wenn Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dies mit Mehrheit gegen eine Stimme angenommen. Ich verfahre, wie der Altestenrat es vorgesehen hat. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Weiss ({0}).

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letztes Jahr im Juni hat eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen entschieden, daß eine erste Referenzstrecke für das Magnetschnellbahnsystem Transrapid von Hamburg nach Hannover gebaut werden soll. Es wurde eine Alternative oder Ausweichmöglichkeit mit Essen-Bonn angeboten. Gleichzeitig wurde aber betont, daß eine Konkurrenzierung der Deutschen Bundesbahn ausgeschlossen sein soll. Damit wurden zwei Beschlüsse gefaßt, die eigentlich nicht miteinander vereinbar sind. Tatsache ist, daß inzwischen selbst eine von der Magnetbahn-Betriebsgesellschaft, MVP, erstellte Studie nachweist, daß der Transrapid dort, wo er jetzt eingesetzt werden soll, eindeutig zu Lasten der Deutschen Bundesbahn fährt. Die errechneten Verkehrsgewinne von 8,5 Millionen Personenfahrten pro Jahr, die der Transrapid auf dieser Strecke aufnehmen könnte, würden zu 7,3 Millionen Fahrten zu Lasten der Bahn gehen und nur zu 1,2 Millionen Fahrten zu Lasten des Autoverkehrs. Es wird immer betont, daß ein solches Verkehrsmittel notwendig sei, um die Straßen zu entlasten. Wenn dieses Verkehrsmittel dann 80 % seines Verkehrs aber von der Schiene, von der Bahn und nur 20 % von der Straße holt, so stellt das in keiner Weise eine Umweltentlastung dar. Wenn schon die Straßen nur um 1,2 Millionen Personenfahrten entlastet werden können, dann sage ich: Dafür brauchen wir nicht das teure und aufwendige System Transrapid, dafür genügt eigentlich ein sehr viel einfacheres System. Mit sehr viel weniger finanziellem Aufwand und mit einem Tempolimit oder anderen verkehrspolitischen Maßnahmen wären weit größere Verkehrsverlagerungen von der Straße auf ein schienengebundenes Verkehrsmittel möglich als mit diesem Zug. Man könnte jetzt sagen: Es ist noch Zeit, das Kabinett hat noch gar nicht entschieden, und wir haben Zeit, uns etwas zu überlegen, die Sache ist noch nicht ausdiskutiert. Nur ist das nicht so einfach. In Niedersachsen wird ganz konkret ein Raumordnungsverfahren für eine bestimmte Strecke eingeleitet. Man muß sich einmal überlegen: Die Deutsche Bundesbahn hat in einem Schreiben vom 21. Juni 1988 an den Bundesverkehrsminister eindeutig erklärt, daß für den Fall, daß der Transrapid von Hamburg nach Hannover fährt, der Intercity ICE in Hannover wenden würde und damit die Strecke Hamburg-Hannover, die ohnehin schon eine nicht allzu wirtschaftliche Auslaufstrecke für das Schnellfahrsystem ICE darstellt, nicht mehr bedient würde. Dann ist es aber geradezu absurd, daß die Deutsche Bundesbahn zur Zeit Millionen DM investiert, um in Hamburg-Eidelstedt das Betriebswerk für den ICE zu bauen. Da muß man sich einfach mal überlegen, daß dieser Beschluß so, wie er gefaßt wurde, generell eine Aushöhlung der Deutschen Bundesbahn bedeutet und daß auf diese Art und Weise der Transrapid jedenfalls klar und eindeutig gegen die Bahn fährt. Von einem komplementären Verkehrsmittel kann dann auf keinen Fall die Rede sein. Man muß sich ja auch überlegen, was man eigentlich mit dem Transrapid erreichen will. Das kann doch höchstens eine Demonstrationsstrecke sein; denn Sie können ihn sinnvoll nur irgendwo in der Wüste einsetzen, wo man 500 km ohne Halt durchfahren kann. In der Bundesrepublik geht das nicht. Das entspricht überhaupt nicht der Siedlungsstruktur. ({0}) - Wenn ich gerade Ihren Zwischenruf höre: Luftraum entlasten, dann sage ich Ihnen: Überlegen Sie sich das einmal. Denken Sie beispielsweise an die am stärksten beflogene Strecke der Lufthansa von München nach Frankfurt. Dort sind am Tag 22 Flieger im Einsatz. In diesen 22 Fliegern stehen 2 700 Sitzplätze zur Verfügung. Die durchschnittliche Auslastung beträgt 1 900 Plätze. Und was heißt das? Weniger als 2 000 Reisende. Und 2 000 Reisende sind das Kriterium, bei dem die Bundesbahn sagt: Strecken mit weniger als 2 000 Reisenden pro Tag legen wir still. ({1}) Sie müssen sich einmal eine realistische Größenordnung überlegen. Sie wollen für diese paar Fluggäste ein neues Schnellverkehrssystem in die Landschaft stellen, das dann noch gegen die Bahn fährt, das die Bahn kaputtmacht und das nicht imstande ist, die größten Probleme, die wir haben, zu lösen. ({2}) Die größten Probleme kommen in diesem Land vor allem mit dem Güterverkehr auf uns zu. Wenn Sie nun ein Verkehrssystem haben, das keinen Güterverkehr ermöglicht, dann ist das verkehrspolitisch absolut unsinnig. ({3}) - Wenn es zugelassen wird, bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es tut mir leid, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Deswegen geht es nicht mehr.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Redezeit ist abgelaufen. Dann tut es mir leid.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Mir auch. ({0})

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sonst würde ich sagen: So gerne, wie es mir leid tut, aber da das ein Kommentar sein könnte, muß ich mich enthalten. Vizepräsident Westphal Der nächste Redner ist der Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Weiss, das war nicht die Weisheit von Transrapid, was Sie hier verkündet haben. ({0}) Nach dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN soll das Projekt einer ersten nationalen Anwendungsstrecke der Magnetschwebebahn Transrapid zwischen den norddeutschen Städten Hamburg und Hannover aufgegeben werden. Da eine Alternativstrecke von der Fraktion DIE GRÜNEN nicht erwogen wird, käme die Einstellung dieses Projekts der Magnetschwebebahnlinie Hamburg-Hannover praktisch der Einstellung der gesamten deutschen Magnetschwebebahntechnik gleich. Die ablehnende Haltung der Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN ist um so erstaunlicher, wenn man weiß, Herr Weiss, daß sich die Magnetschwebebahn-technik, wie sie mit dem deutschen Transrapid-System entwickelt wurde, durch eine besondere Umweltfreundlichkeit auszeichnet. ({1}) So ist der Transrapid - lassen Sie mich das sagen - bei gleicher Geschwindigkeit leiser als jedes andere Schienensystem. Der Flächenverbrauch liegt um 50 % unter dem von Hochgeschwindigkeitssystemen herkömmlicher Rad-Schiene-Technik, und der Energieverbrauch gestaltet sich - im Vergleich - um ein Drittel günstiger. ({2}) Unter der verkehrspolitischen Zielvorgabe, den Anteil des Bahnverkehrs am Gesamtverkehr zu steigern, wurde mit Hilfe des Forschungsprogramms „Bahnsystem" die Entwicklung deutscher Magnetschwebebahntechnik mit 1,5 Milliarden DM aus dem Forschungsetat gefördert. Bereits seit 1984 fährt die Magnetschwebebahn erfolgreich auf einer Teststrecke in Lathen. ({3}) Im November hatte ich die Gelegenheit, als Mitglied des Verkehrsausschusses an einer Bereisung teilzunehmen. Hinsichtlich Komfort, Geschwindigkeit, Wirtschaftlichkeit, Umweltfreundlichkeit werden im Emsland völlig neue Maßstäbe gesetzt. Zur Zeit hat die Bundesrepublik mit diesem System Transrapid einen Technologievorsprung von zirka fünf Jahren vor Konkurrenzsystemen aus Japan und der UdSSR. Damit dieser Vorsprung nicht vertan wird, muß die praktische Anwendung dieses Systems zügig an den Abschluß der Einsatzreife anschließen. Auf Grund dieses Vorsprungs gibt es in verschiedenen Ländern schon Interessen. Ich nenne hier einmal Saudi-Arabien, Süd-Korea, Brasilien, China oder die USA. Diese ausländischen Interessenten haben aber übereinstimmend erklärt, daß sie zunächst die praktische Eignung bei einer nationalen Anwendungsstrecke im Bundesgebiet abwarten wollen. Lassen Sie mich schlagwortartig sagen: Wer international auf den Markt drängt, muß national anwenden. ({4}) Damit die Chance einer weltweiten Vermarktung deutscher Spitzentechnologie genutzt werden kann, muß national mit überzeugendem Beispiel vorangegangen werden. Ausdrücklich begrüße ich die frühzeitige Entscheidung der interfraktionellen Koalitionsarbeitsgruppe zur Referenzstreckenfindung für Transrapid. Bereits am 24. Juni 1988, noch vor Abschluß der endgültigen Einsatzreife, wurde der Bundesregierung empfohlen, alle planerischen Arbeiten so zügig in Angriff zu nehmen, daß bei Abschluß der Versuchsarbeiten die Aufstellung von Finanzierungsmodellen ebenso geprüft ist wie die Auswahl des Betreibers, die rechtlichen Fragen und so weit wie möglich die Vorbereitung der Trasse von Hamburg nach Hannover. In Anbetracht der heute üblichen Dauer von Verwaltungsverfahren - wir alle haben täglich damit zu kämpfen - im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens kann dank dieser Empfehlung ein unnötiger Zeitverlust bei der Umsetzung der neuen Technologie in die Praxis vermieden werden. Systemimmanente wie auch strukturpolitische Überlegungen haben zu einer positiven Entscheidungsfindung für die Relation Hamburg-Hannover geführt. Die geologisch reliefarme norddeutsche Strecke stellt geringe Anforderungen an die Trassenführung. Über weite Abschnitte wäre es auch möglich, Trassen einer landschaftsschonenden vorhandenen Autobahn zu nutzen. ({5}) Auch bei einem parallelen Angebot von Transrapid und ICE - dabei komme ich auf Ihren Einwurf, Herr Weiss - ist zu unterstellen, daß sich beide Systeme sehr wohl ergänzen können. Durch ein schnelles kombiniertes Bahn-Magnetbahn-System können Verlagerungen vom Luftverkehr weg erfolgen. Angesichts des begrenzten und bereits heute weitgehend überlasteten Flugraums können insbesondere im nationalen Raum mit der Transrapid-Technologie alternative Transportangebote gemacht werden, die denen des Luftverkehrs in Schnelligkeit, in Zuverlässigkeit und in Komfort ebenbürtig sind. ({6}) Entsprechend den weiteren Verkehrsbedürfnissen kann die Strecke Hamburg-Hannover in nördlicher wie auch in südlicher Richtung und gegebenenfalls auch nach Berlin ausgebaut werden. Sie stellt damit den ersten Schritt in ein Gesamtnetz zukunftsweisender Hochtechnologie dar. Lassen Sie mich zum Schluß kommen mit der Bitte, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen, damit der umweltschonenden Verkehrstechnologie Transrapid ein nationales Betätigungsfeld geschaffen werden kann. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.

Carl Ewen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag auf Drucksache 11/3692 geht es darum, die Bundesregierung aufzufordern, das Projekt einer Transrapidstrecke Hannover-Hamburg nicht weiter zu verfolgen. Dem kann ich namens der SPD-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. ({0}) Es handelt sich bei dem Hochgeschwindigkeitszug Transrapid um eine technische Entwicklung, die , wie wir alle wissen, ihre Bedeutung in Ländern haben kann, die bisher von der Bahn nicht nennenswert erschlossen wurden und deren Städte über eine große Entfernung erreicht werden müssen, etwa in Australien oder Teilen der USA, China oder der Sowjetunion. ({1}) Daran wird deutlich, daß das Transrapidsystem mit der Magnetschwebetechnik in erster Linie im Export Chancen haben kann. Um diese möglichen Chancen auch wirklich nutzen zu können, ist ernsthaft zu prüfen, ob eine Anwendungsstrecke im Gebiet der Bundesrepublik erforderlich ist. Es sind allerdings bei den Beratungen im Fachausschuß einige Bedingungen zu beachten. Die Anwendungsstrecke darf nur als Ergänzung des deutschen und des europäischen Schienenschnellfahrnetzes gebaut werden. ({2}) - Darauf kommen wir noch. - Die Verbundwirkung aus den vernetzten Schienenverbindungen sollte möglichst gestärkt werden. Die Anwendungsstrecke muß so gewählt werden, daß die Verknüpfung zwischen Transrapid und Pkw wie auch der Ersatz- und Flugverkehr über kurze Strecken erfolgreich demonstriert werden kann. Die Attraktivität des Transrapid besteht in kurzen Reisezeiten und hoher Beförderungsleistung, auch bei großen Entfernungen. Die Anwendungsstrecke muß diese Systemvorzüge für Betreiber und Nutzer sichtbar machen. Das ist eine deutliche Einschränkung der Möglichkeiten, die es da noch gibt. Die Industrie muß eingebunden werden, da ihr die Vermarktung des Transrapid im Ausland obliegt. Sie muß die Anwendungsstrecke auch im Hinblick auf dieses Ziel auswählen helfen. Sie muß natürlich auch finanziell beteiligt werden. Schließlich erhält sie durch die Vermarktung im Ausland beträchtliche Gewinnchancen. Eine weitere ausschließliche Finanzierung aus Steuermitteln scheidet unserer Ansicht nach aus. ({3}) Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist durchzuführen, und es muß ein vernünftiges Kosten-NutzenVerhältnis erkennbar sein. Diese Anwendungsstrecke muß nach unserer Ansicht, wenn sie denn gebaut werden soll, schnell gebaut werden. Deshalb müssen die Genehmigungsverfahren zügig durchführbar sein, und ich ergänze gern, daß es darum gehen muß, eine Strecke zu finden, die dem möglichen Verkehrsbedürfnis entspricht, wenn es geht, Flughäfen und Bahnhöfe miteinander verbindet sowie Teile der Bundesrepublik nicht von der technologischen Entwicklung abkoppelt. Ich weise deshalb darauf hin, daß die norddeutschen Länder eine Strecke von Kiel über Hamburg und Bremen nach Hannover unter Einbeziehung der Flughäfen Hamburg-Fuhlsbüttel und Hannover-Langenhagen vorgeschlagen haben. Ich weise aber auch darauf hin, daß es durchaus Interessenten gibt, eine Strecke Essen-Bonn zu bauen unter Einbeziehung der Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn. ({4}) Zu den Betreibern muß deshalb von Anfang an auch die Bundesbahn gehören. Ich bitte den Fachausschuß, zu prüfen, welche Strecke erstens am ehesten realisierbar erscheint und zweitens die geringste Konkurrenz zur Bundesbahn verursacht sowie drittens optimal ein Verkehrsbedürfnis befriedigen kann. Die Bundesregierung wird aufgefordert, unter Beachtung der Beratungen im Verkehrsausschuß bald zu entscheiden, damit Industrie und Behörden, die die Raumordnung durchführen müssen, möglichst schnell in die Lage versetzt werden, mit den notwendigen Maßnahmen zu beginnen. Daß dabei die Finanzierungsfrage vorher geklärt sein muß, ist für mich selbstverständlich. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Ewen hätte ich selber halten können. Eigentlich könnte ich jetzt also mein Manuskript hier ganz vergessen, aber ich gehe einmal davon aus, daß meine schon verteilte Presseerklärung als gesprochenes Wort gilt, und will mich hier auf ein paar Stichworte begrenzen. Herr Kollege Weiss, Sie wissen so gut wie ich, daß die Entscheidung jetzt nicht ansteht. ({0}) Es gibt einen klaren Zeitplan. Wir haben in der Koalitionsarbeitsgruppe im vergangenen Jahr getagt. Wir haben zwei Referenzstrecken ausgesucht: Hannover-Hamburg und Essen-Bonn, ({1}) mit einer gewissen Priorität für Hannover-Hamburg. Wir haben zugleich klargestellt - auch das hat Herr Ewen hier deutlich gemacht, auch da sind wir einer Meinung - , daß das im Grunde genommen nicht allein Aufgabe der Bahn und des Staates sein kann, sondern daß hier die Finanzierung und auch der BeGries trieb überwiegend privatwirtschaftlich gesichert werden müssen. Die Kabinettsentscheidung ist nicht vor Juni - aber ich hoffe, im Juni - zu erwarten. Denn ich glaube, daß man das nicht allzu lange herausschieben kann. Man muß auch die Parallelentscheidungen, die für die Bundesbahn wichtig sind, dabei mit sehen. Das alles ist durch das Verkehrsministerium und durch das Ministerium für Forschung und Technologie mitgeteilt worden; ich will das hier nicht alles wiederholen. Ich will nur darauf hinweisen, Herr Weiss: Sie berufen sich hier so auf die Bundesbahn, der Sie sonst kaum glauben oder von der Sie nur vertrauliche Briefe zitieren. Sie müßten wissen, daß in der Zwischenzeit die Anschubgruppe einer möglichen Betreibergruppe gegründet worden ist, daß in dieser Anschubgruppe ein neues Modell, ein Kooperationsmodell Hamburg-Hannover entwickelt worden ist. Da gibt es eine andere Stellungnahme; denn da haben die Anschubgruppe, die Betreibergruppe und die Bundesbahn zusammengearbeitet. Dabei ist klargestellt worden, daß bei einer vernünftigen Aufteilung der Aufgaben z. B. durchaus die Möglichkeit besteht, daß das neue ICEWerk Hamburg-Eidelstedt vernünftig und auch ausgelastet ist. Alles andere - ich sage das einmal ganz ehrlich - , Prognosen über Fahrgastaufkommen, über Verlagerung von Fahrgästen halte ich für Kaffeeleserei. Hierauf würde ich es einmal ankommen lassen. Zumindest würde ich nichts entscheiden, bevor überhaupt die Untersuchungen abgeschlossen sind, und sie sind bis zur Stunde nicht abgeschlossen. ({2}) Deshalb gibt es im Augenblick keine Möglichkeit, Ihrem Antrag zu entsprechen, diese weiteren Planungen Hamburg-Hannover einzustellen; das geht nicht. Ich mache keinen Hehl daraus - ich habe das hier schon einmal bei anderer Gelegenheit gesagt - , daß ich gewisse Zweifel habe, ob sich dieses System in seinen Vorteilen in der Bundesrepublik überhaupt voll nachweisen läßt. Ich bin aber inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß wir eine Referenzstrecke brauchen - von mir aus auch zwei -, um dieses System, das zu einer der größten technischen Innovationen dieses Jahrhunderts gehört, exportfähig, anwendungsfähig zu machen und möglichst schnell in die Praxis zu überführen; denn es ist eine große Innovation. Gerade Sie müßten es begrüßen. Es ist ein System, das von der Wirtschaftlichkeit her möglicherweise noch überprüft werden muß, das aber mit Sicherheit unter dem Aspekt des Bevölkerungsschutzes, des Umweltschutzes wesentlich größere Vorteile bietet als das, was wir ansonsten an Verkehrsträgern und Verkehrswegen haben. ({3}) - Das ist nun wirklich blanke Ideologie; denn alle die Zahlen liegen fest. Was Lärm angeht, was Landschaftsinanspruchnahme angeht, das liegt hier alles wirklich fest. Ich bin der Meinung, wir müssen uns beeilen, daß wir hier jetzt möglichst bald eine Referenzstrecke bekommen. Ich will mich hier nicht auf die eine oder andere festlegen und könnte mir durchaus vorstellen, daß es in dieser Bundesrepublik auch zwei geben kann, mit unterschiedlichen Funktionen: die, die in einer noch nicht so dicht besiedelten Landschaft wie zwischen Hannover und Hamburg über eine etwas längere Strecke geht, mit den Möglichkeiten der Verflechtung und Verlängerung, und eine andere, die im Ballungsgebiet ist, die eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, z. B. zwischen Düsseldorf und Köln, zu den Flughäfen bringt, auch wieder mit Möglichkeiten der Verlängerung. ({4}) Ich denke, daß das alles durchaus rational geprüft werden kann. Wir werden uns dafür einsetzen. Ihrem Antrag jedenfalls kann man so, wie er ist - das ist der große Hammer - , nicht zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3692 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem soll die Vorlage zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Aufnahme von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit im Innerortsbereich in die Straßenverkehrs-Ordnung - Drucksache 11/2717 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({0}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Der Abgeordnete Wüppesahl beantragt hingegen, die vereinbarte Redezeit um einen weiteren Beitrag für ihn zu erweitern. ({1}) - Er möchte zur Geschäftsordnung sprechen. Ich würde ihm, um aus diesem Teufelskreis hier endlich herauszukommen, von mir aus drei Minuten Redezeit gewähren. Wenn er einverstanden ist, können wir uns die Geschäftsordnungsdebatte sparen. - Also, bitte, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung. ({2})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage wird in Karlsruhe entschieden, wer diesen „Zirkus" hier verursacht. Ich bin da sehr zuversichtlich und gelassen. Jedenfalls geht es u. a. eben darum, ob eine Mindestredezeit von fünf Minuten notwendig ist, um das verfassungsgemäße Rederecht realisieren und damit auf die Meinungsbildung des Deutschen Bundestages im Plenum angemessen Einfluß nehmen zu können. Deswegen gehe ich erneut in die Bütt, um also um fünf Minuten zu werben. Ich möchte Ihnen noch ganz kurz vergegenwärtigen, weil einige von Ihnen heute morgen wohl nicht anwesend waren, ({0}) was der Grund dafür ist. Über die Osterpause haben sich die Präsidenten geeinigt, Frau Seiler-Albring, meine Redekontingente fast linear um 50 % zu reduzieren. Das heißt: Pro Stunde bleiben mir zwei bis drei Minuten, pro kleine und große Runde zwei bis drei Minuten - ich hatte dort immer mindestens fünf, manchmal sogar zehn Minuten- , bei einer bis zwei Stunden fünf Minuten - nach zwei Stunden hatte ich zehn Minuten - , und ab drei Stunden zehn Minuten; bisher hatte ich 15 Minuten. Unter diesem Gesichtspunkt und angesichts der Tatsache, daß die Verkündung in Karlsruhe vom 9. Mai auf den 13. Juni verschoben worden ist, also fünf weitere Wochen mit drei Sitzungswochen dazwischenliegen, sehe ich mich gezwungen, mein Rederecht so deutlich zu verlangen, wie ich es am heutigen Sitzungstag gemacht habe, und zwar bis zu diesem Verkündungstermin oder so lange, his sich das Präsidium auf die alte Regelung vor Ostern besinnt. Ich werde zwar nicht in jeder Debatte das Wort nehmen - ich könnte ja noch viel häufiger zur Geschäftsordnung sprechen oder persönliche Erklärungen abgeben -, aber doch so exzessiv, wie ich es heute gemacht habe, mein Rederecht einfordern. Ich habe bestimmt 70, 80 Minuten gesprochen und davon vielleicht 20 oder 30 zur Sache; ich muß das noch genau auswerten. Das, denke ich, könnten Sie mir und könnte ich auch Ihnen ersparen, wenn ich meine ein bis drei Redebeiträge pro Sitzungswoche, die ich normalerweise nur anmelde, mit einem Kontingent bestückt bekomme, das einfach angemessen und notwendig ist. Ich stelle jetzt zu dem Procedere des Redens zu diesem Tagesordnungspunkt folgenden Änderungsantrag: Ich bin in mich gegangen, ich habe in der Pause eben mal gerechnet: 60 Minuten, nach Ihrer Logik auf 518 Abgeordnete verteilt, machen 6,94 Sekunden Redezeit pro Abgeordneten. Ich möchte einmal vorbildhaft und generös auf das Kontingent, das mir nach meiner Auffassung von der Verfassung her zusteht, verzichten. Ich beantrage eine Minute Redezeit, um einmal so richtig deutlich zu machen, wie lächerlich das ist, was hier mit Zwei-, Drei-Minuten-Kontingenten mit mir getrieben wird, die mir angeboten werden. Ich beantrage also eine Minute Redezeit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir haben einen Antrag. Das Angebot des Präsidenten ist vorher gesagt worden. Es hat es hier noch nicht gegeben, bei keinem meiner Kollegen, auch nicht bei mir, daß wir jemandem eine Minute Redezeit gewährt haben. So etwas gab es hier nicht, wird wohl auch in Zukunft nicht so sein. Trotzdem haben wir die Notwendigkeit, darüber abzustimmen. Ich stelle also den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl zur Abstimmung. Wer ihm die von ihm beantragte Redezeit gewähren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Vier Stimmen. - Enthaltungen? - Die Mehrheit hat also nicht dafür gestimmt. Ich bleibe bei meinem Vorschlag von drei Minuten. Ich frage Sie, ob Sie in diesem Zusammenhang mit dem, was der Ältestenrat vorgesehen hat, nämlich einen Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion, plus die drei Minuten, einverstanden sind? Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Stimmen dagegen - ({0}) - Ja, natürlich, das ist die Logik seiner Art und Weise des Verhaltens. Wenn man hier vier Stunden sitzt, kennt man sie allmählich; es hat ja mehrere Tagesordnungspunkte gegeben. ({1}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Frau Rock.

Helga Brahmst-Rock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht hier zu später Stunde die Initiative der GRÜNEN zur Folgeregelung zu der übergangsweise eingeführten Zonengeschwindigkeitsbeschränkung Tempo 30 zur Debatte. Eigentlich brauchte es hierzu überhaupt keine Debatte zu geben, schon gar keine kontroverse Debatte, denn die Ergebnisse aus über 5 000 Versuchen in der Bundesrepublik sind eindeutig. Tempo 30 flächenhaft eingesetzt bedeutet: Unfälle gehen zurück, haben weniger schwere Folgen; Umweltargumente sprechen dafür; die Geschwindigkeiten gehen zurück, wenige fahren 30, aber viele fahren deutlich langsamer als vorher; Autofahrer und Autofahrerinnen sowie die Bewohner und Bewohnerinnen stimmen zu, Öffentlichkeitsarbeit zeigt Wirkung, Tempo 30 und rechts vor links gehören zusammen, bauliche Maßnahmen unterstützen Tempo 30; Verkehrshindernisse sind das letzte Mittel, und die Überwachung sichert den Erfolg - das läßt sich abendfüllend fortsetzen, aber ich will Ihre Geduld nicht strapazieren. Ich möchte lediglich zwei Gesichtspunkte herausgreifen, die mir wichtig erscheinen. Zum ersten die Verkehrssicherheit. Aus den Untersuchungen in den Städten, die bislang Erfahrungen mit Tempo 30 gesammelt haben, wissen wir, daß sowohl die Anzahl der Unfälle als auch die Schwere der Unfälle deutlich zurückgeht. Die Vorher/NachherUntersuchungen haben gezeigt, daß gerade Kinderunfälle ganz drastisch reduziert werden, und das spricht für Tempo 30 flächenhaft. Um so unverständlicher ist dann eigentlich die Haltung der Bundesregierung, die Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit ablehnt und nur noch einzelne Straßen beruhigen möchte. So kann man eine gute Initiative, Herr Schulte, regierungsamtlich kaputtmachen. Mir scheint, da geht es auch weniger um Verkehrspolitik als in erster Linie darum, Rot-Grün in Berlin und Frankfurt Knüppel zwischen die Beine zu werfen. ({0}) Mit einer Auswertung von wissenschaftlichen Gutachten oder Sachverstand hat das jedenfalls nichts zu tun. Ich habe mir das, was Sie veröffentlicht haben, durchgelesen. Sie stellen in Ihrer Begründung auf das Gutachten der BASt ab. Wie Sie, wenn Sie das Gutachten zugrunde legen, zu Ihren Schlüssen kommen, ist mir ein Rätsel; denn in dem Gutachten der BASt heißt es zur Verkehrssicherheit - ich zitiere - : Die Unfälle mit Personenschäden sind in den untersuchten Tempo-30-Zonen um 17 % zurückgegangen. Was die Unfallschwere betrifft, so deuten die Zahlen in Hamburg auf einen positiven Effekt von Tempo 30 hin. In den untersuchten Tempo30-Zonen ging die Anzahl der Getöteten und Schwerverletzten um 31 % zurück. Das ist eine klare Aussage und auch eine klare Sprache, der eigentlich ebenso klare Konsequenzen folgen müßten, nämlich Tempo 30 flächenhaft. ({1}) Aber das Handeln der Regierung bleibt mir hier wie in sehr vielen Punkten völlig verschlossen. Wenn Sie von mangelnder Akzeptanz der Autofahrer von Tempo 30 reden und in ihrer Presseveröffentlichung gesagt haben, ein Autofahrer müsse bei einer Einfahrt in eine Tempo-30-Zone wissen, wann er wieder schneller fahren dürfe, dann müssen Sie mir vielleicht die Logik dieser Begründung erklären. Selbst bei mehrfachem Hinhören und Durchlesen habe ich hier keine Logik gefunden. Ich möchte noch ein Wort zur mangelnden Akzeptanz sagen. Wir werden demnächst einen neuen Verkehrsminister haben. In seiner jetzigen Funktion als Innenminister hat er sich stets über das Ansteigen der Kriminalität beklagt und für einen starken Staat plädiert. Ich jedenfalls habe von Herrn Zimmermann noch nicht gehört, daß er die Strafandrohung z. B. für Ladendiebstähle wegen mangelnder Akzeptanz oder wegen mangelnder Abschreckung abschaffen wollte. Vielmehr hat er eigentlich gegenteilig reagiert. Ich bin sehr gespannt, wie er sich jetzt bei der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung verhält: ob er hier von Saulus zu Paulus wird, damit er wieder in diese Regierungsformation zur Geschwindigkeitsbegrenzung hineinpaßt. ({2}) Aus dem Gutachten jedenfalls läßt sich eine mangelnde Akzeptanz nicht ablesen. Es führt aus: Der Anteil der Pkw-Fahrer in der Bundesrepublik, der der Zonengeschwindigkeitsbeschränkung zustimmt, ist von der versuchsweisen Einführung der Maßnahme im Frühjahr 1985 bis zum Frühjahr 1988 von 49 % auf 64 % angestiegen. Das heißt doch im Klartext: Es gibt eine deutliche Mehrheit für Tempo 30. Ich könnte mich bei dieser Frage richtig in Feuer reden, kann das aber wegen der Redezeit von nur fünf Minuten nicht. ({3}) Ich hege aber nach der gestrigen Verkehrsausschußsitzung, in der mit Mehrheit ein Tempolimit beschlossen worden ist, und nach der heutigen Presseveröffentlichung der CDU, die angekündigt hat, daß sie dem Tempolimit nicht mehr ablehnend gegenübersteht, die Hoffnung, daß es auch in diesem Hause eine Mehrheit für Tempo 30 flächendeckend geben wird. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen ({0}).

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht gut, wenn man in ein Tempo-30-Fieber gerät. Dann wallen die Temperaturen nämlich so auf, daß man den Blick für die Wirklichkeit verliert. Auf diese Wirklichkeit will ich gerne zurückkommen, Frau Kollegin. Der Vier-Jahres-Versuch mit Tempo 30 war erfolgreich. Die Bundesregierung hat eine gute verkehrspolitische Arbeit vorgelegt. ({0}) Die gründliche wissenschaftliche Auswertung hat belegt: Tempo-30-Zonen sind ein Beitrag zur Verkehrssicherheit, weil es zu einer deutlichen Verringerung von Unfällen kommt. Das macht das Gutachten klar. ({1}) Ich finde sehr wohl, daß man vor diesem Hause einmal verdeutlichen sollte, daß Personenschäden zurückgegangen sind, daß schwere Sachschäden zurückgegangen sind. Besonders herauszustellen ist: Die Anzahl der Getöteten und Verletzten wurde sogar um mehr als 16 % reduziert. Das ist ein wichtiger Erfolg. ({2}) Mehr Sicherheit für Kinder und ältere Menschen ist garantiert, und das ist gut so. - Ich komme gleich dazu. Tempo-30-Zonen sind ein Beitrag zur Verkehrsberuhigung. Lärmbelästigungen werden abgebaut, auch Abgasemissionen gehen zurück, wenn zwar langsam, aber stetig gefahren wird. Stop-and-go-Verkehr belastet unsere Umwelt. Das müssen Sie wissen. Tempo-30-Zonen sind auch ein Beitrag zur Verbesserung der Wohnumfeldqualität, ohne auf die Vorteile Börnsen ({3}) des Autos verzichten zu müssen. Es gibt ein Weniger an Verkehrsstreß, aber die Annehmlichkeit der individuellen Fahrzeughaltung bleibt. Diese positiven Resultate der Zonenversuche sind an folgende Voraussetzungen gebunden. Auch das muß man aus dem Gutachten herauslesen. ({4}) Die Verkehrsräume müssen geeignete Wohngebiete umfassen, wo die Baustruktur dem Autofahrer einsichtig macht: Klar, hier muß ich mein Tempo drosseln. ({5}) Weiter: Schilder allein genügen nicht. ({6}) Begleitende bauliche Maßnahmen gehören dazu. Sie führen gerade den Ortsunkundigen zu einer verhaltenen Fahrweise, und das ist gut so. Überwachung und Kontrolle hat stattzufinden. Auch Aufklärung und Werbung für Zone-30-Verkehrsmaßnahmen sind weiterhin wichtig. Tempo-30-Zone, das muß in die Köpfe der Verkehrsteilnehmer. Rücksicht ist auch auf die Unfallrettung, auf Gewerbeverkehr und auf den ÖPNV in diesen Zonen zu nehmen. Doch die Schaffung von mehr Sicherheit, Schutz und Umweltqualität durch Tempo-30-Gebiete kann nur erreicht werden, wenn die Leistungs- und Aufnahmefähigkeit der Hauptverkehrsstraßen in Ballungsräumen beibehalten wird; ({7}) wenn der Autofahrer hier zügig vorwärts kommt, wenn ein zeitlicher Vorteil gegenüber Schleichwegen erkennbar wird, wenn Busspuren und Busschleusen eine Bevorzugung des öffentlichen Personennahverkehrs ermöglichen. Deshalb sagen wir ja zu Tempo-30-Zonen, aber nein zur Forderung einer generellen Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h. Wer das will, der will nicht wahrnehmen, daß der Pkw-Bestand in unserem Land jedes Jahr um durchschnittlich 1 Million Fahrzeuge anwächst, weil ein Bedürfnis bei unseren Mitbürgern nach individueller Mobilität vorliegt. Wer das will, der verkennt, daß wir 1960 8 Millionen Fahrzeuge hatten, heute über 32 Millionen. Wir müssen von der Wirklichkeit ausgehen. Wer global Tempo 30 will und Tempo 50 zur Ausnahme machen will, was Sie wollen, ({8}) der sagt Verkehrsberuhigung, meint jedoch Verkehrsverdrängung, der will die Lust am Auto nehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiss?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das nicht auf die Zeit angerechnet wird, gerne.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß mit dem Antrag auf Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit durchaus die Möglichkeit bestehenbleibt, auf Hauptverkehrsstraßen schnellere Geschwindigkeiten zuzulassen? Es geht doch letztlich nur um einen Abbau des Schilderwaldes; denn wenn Sie überall dort, wo Tempo 30 notwendig ist, Schilder aufstellen, sind das deutlich mehr Schilder, als wenn Sie nur dort die Schilder für Tempo 50 aufstellen, wo man eine solche Geschwindigkeit verantworten kann. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, dahinter steckt eine Strategie: Heute Reglementierung auf Tempo 30, morgen soll die Stadt autofrei sein, und übermorgen erfolgt die Volksverpflichtung zum allgemeinen Radfahren. ({0}) So geht das nicht. ({1}) Von elf Bundesländern haben sich neun für die Aufnahme dieser Zonenregelung in die StVO ausgesprochen. 5 000 Zonen werden bereits in unserem Lande praktiziert. Viele Interessen liegen vor, in meinem Wahlkreis über 300, für die Zonengeschwindigkeit aber nicht für eine allgemeine Regelung, weil man sehr wohl weiß: Das zwingt in eine Tempoknechtschaft, die kein Autofahrer und kein vernünftiger Mensch gerne haben möchte. Nein, was wir wollen, ist, genau wie jetzt in der Schweiz, die Umsetzung des erfolgreichen Versuches im gesamten Bundesgebiet zum Schutz unserer Bürger, um Scheinsicherheit zu verhindern, um den Verkehrsfluß zu gewährleisten und um Umweltschutz und Verkehrssicherheit einen höchsten Stellenwert einzuräumen. ({2}) Deswegen ja zu verkehrsberuhigten Zonen, aber keine Aufnahme von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit. Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pauli.

Günter Pauli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Problem müßte an sich bekannt sein: Auf Deutschlands Straßen, insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften, wird der Lärm immer unerträglicher, und vor allem sterben zu viele Menschen bei Verkehrsunfällen. Die Polizeibeamten geben in Unfallberichten meistens überhöhte Geschwindigkeiten als Unfallursache an. Der Kehrschluß hierzu lautet: Wäre jeweils die Fahrgeschwindigkeit geringer gewesen, dann wäre womöglich der Unfall mit Menschenopfer nicht eingetreten. Von diesen sehr einfachen Überlegungen ausgehend, müßte man an sich annehmen können, daß verantwortungsvolle Verkehrspolitiker alles daransetPauli zen, daß auf unseren Straßen langsamer gefahren und damit die jährliche Zahl der Verkehrstoten und Verkehrsverletzten deutlich reduziert und eine nachhaltige Verkehrsberuhigung in unseren Wohngebieten erreicht wird. Es geht schließlich um das Leben und die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Bei allem Verständnis für den Wunsch nach mehr Mobilität müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Grenze des ethischen Gebotes längst überschritten ist. Der Deutsche Städtetag, eine Körperschaft, die übrigens am besten wissen müßte, was sich in den Städten und Gemeinden auf der Straße abspielt, fordert die Aufnahme von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in die Straßenverkehrs-Ordnung, er fordert gleichzeitig weitergehende flankierende Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt mit diesen Forderungen überein. Wir gehen davon aus, daß mit Tempo 30 die Zahl der Unfallopfer halbiert werden kann. Vor diesem Hintergrund haben wir mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung die Fortschritte, die durch die Zonengeschwindigkeits-Verordnung erreicht wurden, sogar rückgängig machen und die Einrichtung von Tempo30-Zonen in den Städten und Gemeinden erschweren will. Die Genehmigungskriterien für Tempo 30 sollen verschärft und gleichzeitig die Kompetenzen der örtlichen Behörden beschnitten werden. Ich sage, meine Damen und Herren: Ob in unseren Wohn- und Lebensbereichen höhere Geschwindigkeiten als Tempo 30 nötig und vertretbar sind, kann nicht der Gesetzgeber von oben am grünen Tisch entscheiden. Dies können nur die kommunalen Behörden tun. Sie kennen die örtlichen Verhältnisse, und sie wissen, was im Interesse der dort lebenden Menschen nötig ist - im Gegensatz zur Bundesregierung. Diese Bundesregierung proklamiert bei jeder sich bietenden Gelegenheit den hohen Wert der Freiheit. Nur wenn es um die Freiheit der Städte und Gemeinden geht, die Leben und Gesundheit ihrer Bürger schützen wollen, dann gibt diese Bundesregierung der staatlichen Reglementierung von oben den Vorzug. Wir sagen, meine Damen und Herren: Tempo 30 soll als Regelgeschwindigkeit gelten. Die Städte und Gemeinden sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten höhere Geschwindigkeiten zuzulassen, insbesondere dann, wenn dies für den Verkehrsfluß nötig ist, wenn die Straße höhere Geschwindigkeiten zuläßt, bei ausreichender Fahrbahnbreite und wenn keine parkenden Autos zwischen Fahrbahn und Fußwegen stehen. Eine höhere Geschwindigkeit als Tempo 30 soll vor allem dann möglich sein, wenn die Verkehrssicherheitsbedürfnisse von Kindern, Fußgängern und Radfahrern nicht eingeschränkt werden und wenn dies mit den Interessen der Anlieger vereinbar ist. Nun haben die Erfahrungen seit dem 1. Oktober 1982 gezeigt, daß diese Bundesregierung in ihrer Uneinsichtigkeit nur dann zu bewegen ist, wenn Menschen, um deren Schutzbedürfnis es hier geht, bei Wahlen den Parteien dieser Bundesregierung das Vertrauen entziehen. Zur Zeit erlebt die deutsche Öffentlichkeit mit einer gewissen Heiterkeit ja das Hin und Her in der Strategiediskussion der Union. Wir können hierbei ein ständiges Unvermögen feststellen, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger dieser Republik wirklich zu verstehen. Daher möchte ich Ihnen zum Schluß noch folgenden Hinweis für Ihre Strategiediskussion geben: Autos haben kein Wahlrecht. Stimmen können Sie nur von Menschen erhalten, um deren Sicherheit es hier geht. Ich würde mich freuen, wenn Sie dies berücksichtigen könnten, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Selbstdisziplinierung habe ich mein Manuskript jetzt liegenlassen. Ich wollte dem Kollegen Wüppesahl nur sagen, daß Sie und auch Ihre Kolleginnen und Kollegen die Verkehrspolitik hier noch schlechter behandeln, als der Bundeskanzler die Verkehrspolitik einschätzt; denn wenn Sie nur eine Minute Redezeit beantragen, hätten Sie ja eh nichts zur Sache sagen können. Ich will nur das Stichwort aufgreifen, daß wir jetzt über gesicherte Erfahrungen verfügen können, anders als zu dem Zeitpunkt, als Sie den Antrag gestellt haben. ({0}) Es sind 5 000 Zonen ausgewertet worden, mit guten Ergebnissen - das ist hier schon gesagt worden -, mit positiven Ergebnissen im Bereich der Verkehrssicherheit und mit sehr positiven Ergebnissen im Bereich der Umweltbelastung. Das ist wichtig für uns in der Politik und für die Akzeptanz der Betroffenen, ({1}) sowohl der Anlieger wie der Verkehrsteilnehmer und auch - was man annehmen könnte - der Gewerbetreibenden in diesen Gebieten. Das heißt, das ist ein durchaus positives Ergebnis; das ist eine Ermutigung, auf diesem Wege fortzuschreiten. Das gibt mehr Sicherheit, das gibt geringere Umweltbelastungen, ist also der richtige Weg, auf dem man fortschreiten müßte. In der Regel können Sie sowieso nicht schneller als 30 km/h fahren. Nur, die Welt ist nicht so einfach, daß die Städte und Gemeinden in ihrer gesamten Entwicklung in das 30er Raster passen; es kann auch ein 20er oder ein 40er Raster sein. ({2}) Das, liebe Helga Rock, was die GRÜNEN immer wieder verkennen, ist: Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Sie differenzieren nicht genug. Unsere Städte sind nicht so einheitlich. ({3}) Wir müssen hier flexiblere Regelungen haben. Herr Pauli, Sie sagen, die Bundesregierung wolle die Entscheidungsmöglichkeiten der Kommunen einschränken. Nein, wir wollen sie ja gerade eröffnen. Wir wollen Tempo 30 nicht als Regelgeschwindigkeit; ({4}) wir wollen es als Möglichkeit, als Chance für die Kommunen, daß sie selbst gestalten, daß sie Zonen festsetzen, daß sie vernünftiger handeln können, als wir als Gesetzgeber dies von hier aus tun können. Das ist nämlich der Witz. Wir wollen ja die Akzeptanz erhalten. Wenn sie es zur Regelgeschwindigkeit machen, kippen nämlich die Ergebnisse um. Wir wollen diese Vielfalt, auch die Phantasie, auch die Investitionsmöglichkeit und die Entscheidungsmöglichkeit für die kommunalen Straßenbehörden und die kommunalen Parlamente erhalten. Deshalb sagen wir, daß das Projekt Tempo 30 vernünftig ist. Es hat sich im Testverfahren mit der Zoneneinteilung bewährt. Auf diesem Wege gehen wir voran und schreiben das über den Zeitraum des Provisoriums, das gegeben war, jetzt in der Straßenverkehrs-Ordnung fest, so daß sich jedermann danach richten kann. ({5}) Dann sammeln wir auf Dauer wieder weitere Erfahrungen. Das ist der richtige Weg, um einen Beitrag zur Verkehrssicherheit, zur Minderung von Lärm und Abgasen und vor allen Dingen zur Verringerung der Gefährdung von Alten, Kindern und Anliegern in diesen engen Bereichen zu leisten. Aber wir müssen differenzieren. Nehmen Sie das simple Beispiel: Ich kann die Reuterstraße in Bonn nicht so behandeln wie die Südstadt. Jeder sieht, was damit gemeint ist, und jeder begreift es auch. - Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde etwas schneller sprechen müssen. Die Testphasen und Versuche mit der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km pro Stunde in Wohngebieten oder in kinderreichen Siedlungen haben gezeigt, daß Tempo 30 zu erheblich mehr Sicherheit im Straßenverkehr geführt hat. ({0}) Gerade im innerstädtischen Bereich sind Kinder und alte und gebrechliche Menschen besonders gefährdet. Die zur Zeit geltende Regelgeschwindigkeit von 50 km pro Stunde ist immer noch viel zu hoch, weil auch bei dieser Geschwindigkeit z. B. ein rechtzeitiges Abbremsen und anderes nicht mehr gewährleistet ist. Hinzu kommt, daß sich viele Autofahrer selbst an diese Geschwindigkeit nicht halten und noch schneller fahren. Unter Einbeziehung der polizeilichen Toleranzgrenze von bis zu 15 km pro Stunde plus/minus erreicht ein Autofahrer schnell 60 bis 65 km pro Stunde, ohne viel befürchten zu müssen. Besonders wichtig bei der Einführung einer Regelgeschwindigkeit von 30 km pro Stunde ist aber auch, daß durch die geringere Geschwindigkeit der Schadstoffausstoß erheblich reduziert werden könnte. Auch die Lärmbelästigung gerade in Wohnstraßen könnte erheblich verringert werden. Leider muß man aber auch fordern, daß zur Durchsetzung der Grenze von 30 km pro Stunde auch Straßenschwellen, Poller, Blumenkübel und anderes zur Behinderung des schnell fließenden Verkehrs aufgestellt werden. Es hat sich gezeigt, daß die Autofahrer ohne diese Behinderungen, die gegebenenfalls ihr liebstes Kind, das Auto, beschädigen könnten, wenn die Geschwindigkeit nicht reduziert wird, von selber nicht langsamer fahren. Oder man verschärft die polizeilichen Kontrollen: Radarempfindliche Geldbußen etc. Aber ist das wünschenswert? Wollen wir diese Form von Verfolgung der Autofahrer? Besondere Gefahren bergen die innerstädtischen Straßen da, wo sie gut ausgebaut sind und den Eindruck der Übersichtlichkeit erwecken. Dort wird leicht vergessen, daß man sich im Innenstadtbereich befindet, wo die Grenze bei 50 km pro Stunde liegen sollte. Mit Vernunft und Appellen an die Autofahrer, z. B. freiwillig langsamer zu fahren, kommt man anscheinend in diesem hochmotorisierten Land, dem einzigen in Europa ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen, wohl um der großen und mächtigen Automobilindustrie zu helfen, nicht weiter. Über „Freie Fahrt für frei Bürger" kann man gut streiten, aber nicht, solange es um die Verkehrssicherheit im innerstädtischen Bereich geht, wo die meisten Betroffenen nicht motorisiert sind. Dort gibt es nur die Alternative 30 km pro Stunde. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2717 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem soll die Vorlage zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Die Überweisung ist dann so beschlossen. Vizepräsident Westphal Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt unserer heutigen Tagesordnung, nämlich den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts - Drucksache 11/4152 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Innenausschuß ({0}) Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe leider keinen Widerspruch, so hätte ich beinahe gesagt. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf soll das Bundesrundfunkgesetz in drei Teilbereichen novelliert werden: Erstens geht es um die Änderung der Zusammensetzung der beiden Organe der Bundesrundfunkanstalten, zweitens um die Erweiterung der Inkompatibilitätsvorschrift für die Gremienmitglieder der Anstaltsorgane, drittens um eine gesetzliche Regelung des Beginns der vierjährigen Amtszeit für Gremienmitglieder. Um jedes Mißverständnis auszuschließen, möchte ich feststellen, daß die geltende Zusammensetzung der Rundfunkräte der beiden Bundesrundfunkanstalten mit der Verfassung in Einklang steht. Die vom Bundesverfassungsgericht zur Rundfunkfreiheit entwickelten Grundsätze schließen einerseits eine staatliche Beherrschung des Rundfunks aus, lassen aber andererseits auch eine angemessene Mitwirkung staatlicher Vertreter in den Gremien der Rundfunkanstalten zu. Die an das Grundrecht der Rundfunkfreiheit gestellten Anforderungen gelten aber nur für inländische Programme. Wenn die Bundesregierung nunmehr trotzdem einen Änderungsentwurf vorlegt, so gibt sie weder ihren bisherigen Standpunkt auf noch setzt sie sich mit der von ihr weiterhin vertretenen Auffassung in Widerspruch. Die Bundesregierung will zum Wohle der Anstalten und aus Gründen einer sachorientierten Tätigkeit in den Anstaltsgremien erreichen, daß die Regelungen der Gremienzusammensetzungen verfassungsrechtlich nicht mehr in Frage gestellt werden. Dies ist auch der Grund für eine umfassende Erörterung des Regierungsentwurfs in Gesprächen der Koalition mit der Opposition zu einem sehr frühen Zeitpunkt gewesen. Dabei konnte in den Sachfragen grundsätzliches Einvernehmen erreicht werden. Eine beherrschende Einflußnahme staatlicher Vertreter in den Gremien - sie soll nunmehr ja auch zahlenmäßig ausgeschlossen werden - ist derzeit bereits im Hinblick auf die unterschiedliche Aufgabenstellung der staatlichen Organe, die Vertreter in die Gremien entsenden, tatsächlich nicht gegeben. Die den entsendeberechtigten Staatsorganen zuzurechnenden Mitglieder in den Kontrollgremien sind weder rechtlich noch faktisch so eng miteinander verbunden und voneinander abhängig, daß sie als eine geschlossene Gruppe der staatlichen Organe einen beherrschenden Einfluß in den Gremien ausüben könnten. So bilden beispielsweise die Vertreter dieses Hauses in den Anstaltsgremien keine homogene Gruppe mit übereinstimmenden Interessen. Weisungsfrei und unabhängig repräsentieren die unmittelbar gewählten Abgeordneten in diesem Hause wie in den Gremien den Willen des Volkes. ({0}) Der für die staatlichen Vertreter in den Verwaltungsräten vorgesehene Anteil hält durchaus einem Vergleich mit den für die Landesrundfunkanstalten getroffenen Regelungen stand. Von in diesem Bereich derzeit insgesamt fünf bestehenden vergleichbaren Regelungen ist nur in zwei Fällen ein geringerer Anteil an staatlichen Vertretern in diesen Gremien vorgesehen. Die Aufgaben des Verwaltungsrats wirken sich auf die Gestaltung der Programme selbst ja nur mittelbar aus. Es ist anerkannt, daß die Mitwirkung staatlicher Vertreter in den Rundfunkgremien und damit auch die Beschränkung des Anteils staatlicher Vertreter um so weniger problematisch ist, je geringer der Einfluß der Gremien auf das Programm selbst ist. Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein erster Schritt zur Novellierung des Bundesrundfunkgesetzes. Es besteht allgemeiner Konsens, daß eine Finanzierungsregelung für die Rundfunkanstalten des Bundesrechts geschaffen werden soll. Die Bundesregierung bereitet deshalb derzeit einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Mit der vorgesehenen Finanzierungsregelung muß den Anstalten ein Anspruch auf Finanzierung gegen den Bund zugestanden werden. Die finanzielle Sicherung der Programme der Anstalten ist Bestandteil ihres Schutzes durch die Rundfunkfreiheit. Meine Damen und Herren, die derzeitigen Amtsperioden der beiden Rundfunkräte der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks enden mit Ablauf des Juni bzw. im Oktober dieses Jahres. Wir sollten gemeinsam dafür Sorge tragen, den Gesetzentwurf so rechtzeitig zu verabschieden, daß die Gremienmitglieder der nächsten Amtsperiode bereits nach den neuen Vorschriften gewählt werden können. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Punkt sind wir einer Meinung, Herr Staatssekretär. Aber das Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts von 1960 ist nicht verfassungskonform. Die SPD-Bundestagsfraktion war deshalb 1987 entschlossen, nach Karlsruhe zu gehen. Unter diesem Druck sagte die Bundesregierung zu ({0}) - ich sage es, Herr Reddemann -, einen Gesetzentwurf vorzulegen, bei dessen Vorbereitung sie den Rat der Sozialdemokraten mit dem Ziel breiter Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag einbeziehe. Das haben wir akzeptiert. Ich verrate kein Geheimnis, daß durch permanente Politisierung die Arbeit des Rundfunkrates des Deutschlandfunks über längere Zeit - um es zurückhaltend zu sagen - keinen Spaß mehr machte. Das hat sich Gott sei Dank geändert, obwohl das Haus und die Sache gegenwärtig auf Grund anderer Probleme Schaden nehmen, an deren Ursachen CDU und CSU nicht gerade unbeteiligt sind. Sie sollten sich deshalb fragen, wie Sie in den von Ihnen selbst als schwarze Messe definierten Klüngel-Treffs, um es auf Kölsch zu sagen, wo die beiden Häuser ja zu Hause sind ({1}) - Sie bezeichnen es ja selber so -, der Sache zum Segen verhelfen statt zum Schaden. ({2}) Wir haben als Gesetzgeber insbesondere die Aufgabe, das Übergewicht der Vertreter der staatlichen Körperschaften - Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung - in den Rundfunk- und Verwaltungsräten der beiden Rundfunkanstalten des Bundesrechts, Deutschlandfunk und Deutsche Welle ({3}) - das kommt noch -, im Sinne der Staatsferne zu beseitigen. ({4}) Nun, die Bundesregierung nahm sich Zeit, anstatt dafür Sorge zu tragen, daß die Neuwahl des Intendanten des Deutschlandfunks Anfang 1988 bereits nach neuem Gesetz, d. h. von einem verfassungsgemäß gewählten Gremium hätte vorgenommen werden können. Jetzt liegt mit Datum vom 9. März dieses Jahres dem Bundestag zur ersten Lesung ein Gesetzentwurf vor, der einem früheren Referentenentwurf aus dem Innenministerium entspricht, der aber auf breite Kritik gestoßen war - übrigens auch aus den Reihen der Koalition. Geradezu unglaublich ist es - darin stimmen Sie mit mir doch hoffentlich überein -, daß nicht einmal die in einer Arbeitsgruppe des Rundfunkrates des Deutschlandfunks erzielten einvernehmlichen Änderungsvorschläge berücksichtigt sind. Das Ziel der Staatsferne wäre nicht erreicht, sondern es wäre in verkappter Form Staatsnähe bewahrt, und die gesellschaftlichen Gruppen wären einseitig vertreten, wenn der auch vom Bundesrat kritisierte Gesetzentwurf, so wie eingebracht, verabschiedet würde. Diese schlampige Behandlung und den gefährlichen Umgang mit der Verfassung hat - darauf weise ich ganz besonders hin - Bundeskanzler Kohl jetzt selbst auf die Spitze getrieben: Er will den bisherigen Pressechef der Bundesregierung sowohl als Berater der Regierung belassen als auch ihn gleichzeitig als Intendanten der Deutschen Welle installieren. ({5}) Wenn der Regierungschef persönlich solche Dreistigkeiten besitzt, braucht man doch gar kein besonderes Gespür für den berechtigten Zweifel, meine Damen und Herren, ob Sie es überhaupt ernst meinen. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, daß die Bundesländer, die ja ohnehin mit Skepsis die Bundesaktivitäten im Rundfunkbereich schon immer beobachteten, den Bund hier weiter unterstützen, wenn der Kanzler selbst mit dieser Personalentscheidung, die ich als den schwersten Angriff auf die Rundfunkfreiheit bezeichne, wiewohl es verdammt schon einiges zu verzeichnen gilt, sich die eigenen Beine und Füße wegschlägt. Ich sage Ihnen, Herr Reddemann: Das stehen Sie nicht durch und leider auch nicht die Bundesrundfunkanstalten. Berater des Kanzlers und Staatsferne zugleich - das müssen Sie uns erklären. Auch das werden wir nicht mitmachen. Wir wollen alles tun, um verfassungsgemäße Gremien zu schaffen. Dazu gehört, weil die Wahlperiode des Rundfunkrates des Deutschlandfunks bereits am 30. Juni 1989 ausläuft, eine schnelle, d. h. zeitgerechte und eine saubere Gesetzesarbeit, die die Voraussetzungen dafür schafft, daß die Gremien von Deutschlandfunk und Deutsche Welle verfassungskonform sind. Ich sage es Ihnen nochmals: Es darf künftig nicht mehr wahr sein, daß es einem Kanzler willfährige Rundfunk- und Verwaltungsräte gibt, egal wie der Kanzler heißt. Die Probleme anläßlich der Intendantenwahl jetzt beim SFB lasse ich außen vor. Den Gedanken werde ich allerdings nicht los, daß gewisse Kreise so den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kaputtmachen wollen, nachdem es anders bisher nicht gelang. Ich habe aber auch Hoffnung. Wenn wir uns hier bei einem Neubeginn bemühen, zu einem breiten politischen Konsens über die Zusammensetzung der Gremien zu kommen, die so gestaltet sein muß, daß sie einen Wechsel politischer Mehrheiten funktionierend überdauert, dann sehe ich sozusagen automatisch die Verfassungsmäßigkeit hergestellt. Das Schwierigste dabei wird sein, uns von kurzfristigen Machtinteressen zu lösen. Es kann auch nicht Ziel sein, über ein Strohmann-System den direkten politischen Einfluß zu verschleiern. Dann machen wir es um der Ehrlichkeit willen lieber selber und stehen dann auch dazu. Bei den gesellschaftlich relevanten Kräften ist es nicht immer, aber bei manchen doch sicher erkennbar, daß sie bestimmten politischen Richtungen zuneigen. Das wissen wir alle, und das tut keinen Abbruch. Niemand kann und will dies ändern. Dann müssen sie so oder so politisch zugerechnet werden. In diesem Zusammenhang finde ich es unerträglich, daß zwar die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, aber nicht der Deutsche Gewerkschaftsbund bei den Organisationen aufgeführt wird. Es heißt: „gewerkschaftliche Spitzenorganisation", und Sie wissen genau, was dies beinhaltet oder beinhalten kann. Wo bleiben Bereiche wie Presse, Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Forschung, Umwelt- und Naturschutz, Kunst und Kultur und andere? Es darf auch keine Frage sein, wie wir es mit der Beteiligung von Frauen in den Aufsichtsgremien halten. Der Vorschlag des Bundesrates ist zu begrüßen, nämlich „für jedes Gremienmitglied zugleich ein stellvertretendes Mitglied zu bestimmen" und „daß entweder das ordentliche oder das stellvertretende Mitglied eine Frau sein soll". Ich bin überhaupt beeindruckt von den Hinweisen, die uns der Bundesrat zur Berücksichtigung an die Hand gibt. Da ist Arbeit geleistet worden, die wir dankbar annehmen sollten. Das gilt auch für die Frage der Interessenüberschneidung von Gremienmitgliedern. In der Befragung der Bundesregierung am 30. November 1988 hat bereits die Frage eine Rolle gespielt, wie eine total einseitige Besetzung im Kreise der Vertreter der staatlichen Organe verhindert werden kann. Ich denke, wir sind auch hier in der Lage, eine einvernehmliche Regelung zustande zu bringen, so etwa beim Verwaltungsrat über eine Wahl aller Verwaltungsratsmitglieder durch den Rundfunkrat mit Zweidrittelmehrheit. ({6}) - Ich habe ja gesagt: Wir sind in der Lage, eine einvernehmliche Regelung zustande zu bringen. Natürlich fehlt die Finanzierungsregelung. Aber lassen Sie uns doch erst einmal wenigstens die Gremienfrage gemeinsam lösen, und zwar mit dem Ziel, im Mai zum Abschluß zu kommen, damit die Fristen für den Bundesrat gehalten werden, wie auch Sie es wollen, und die im Juli anstehende Neuwahl des Rundfunkrates des Deutschlandfunks auf verfassungsgemäßem Terrain stattfinden kann. Je einiger wir uns hier sind, um so mehr wird der gemeinsamen Sache gedient, die da z. B. heißt: auswärtige Kulturarbeit, Dialog zwischen Ost und West in beiden Richtungen, Europa. Dazu kommt die Kooperationsverbesserung zwischen Deutscher Welle und Deutschlandfunk, aber auch deren Kooperation mit den Landesrundfunkanstalten. Lassen Sie uns, nachdem wir die Organisationsstruktur und Programmreform im Deutschlandfunk einstimmig geschaffen haben und einhellig tragen, nach den schlimmen und, wie heute jeder weiß, überflüssigen Kontroversen der vergangenen Jahre auf breiten Konsens gehen. Wir sind zum Gespräch bereit, ({7}) so daß der Innenausschuß nächste Woche den entscheidenden nächsten Schritt gehen könnte. Der Punkt steht auf der Tagesordnung, in der Annahme, daß wir heute die Überweisung beschließen. Ich danke Ihnen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Prof. Dieter Weirich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002456, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verspreche Ihnen zunächst etwas Positives: daß ich Ihre Nachtruhe nicht unangemessen weiter verkürzen werde. Zweitens nehmen wir das vormitternächtliche Angebot des Kollegen Nöbel auf Konsens an. Lassen Sie mich ein paar Sätze zu diesem Gesetzentwurf sagen. Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes über die Bundesrundfunkanstalten, der ja Gespräche auch mit den Vertretern anderer Fraktionen des Hauses vorangegangen sind. Wie Herr Spranger betont hat, ist im wesentlichen zweierlei geplant: erstens eine Neuordnung der Aufsicht und zweitens eine Erweiterung der Inkompatibilitätsregelung für Mitglieder, die in Landesmedienanstalten oder im privaten Rundfunk engagiert sind. Das ist zweifelsohne eine begrüßenswerte Absicht und steht außerhalb jeder Diskussion. Das Vorhaben, die Aufsichtsfrage neu zu regeln, wird von der Kritik getragen, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Staatsferne des öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks verbiete einen überwiegenden staatlichen Einfluß in den Kontrollgremien. Dieser sei, so sagen die Kritiker, bei Deutschlandfunk und Deutscher Welle gegeben; also sei damit die Verfassungskonformität in Frage gestellt. Sie gehen noch weiter: Im Zusammenhang mit der Finanzierung sagen sie, auch dort sei die Verfassungskonformität in Frage gestellt. Denn Sie wissen, daß die Deutsche Welle ausschließlich aus Bundesmitteln finanziert wird und der Deutschlandfunk teilweise aus Gebühren, teilweise aus der Staatskasse. In diesem Zusammenhang ist es in der Vergangenheit zu Forderungen aus den Bundesländern gekommen, den Deutschlandfunk aus der Verantwortung des Bundes zu entlassen, ihn in die Rundfunkkompetenz der deutschen Bundesländer einzubinden und ihn schließlich aus dem Gebührentopf zu finanzieren. Dieser Auffassung möchte ich, obwohl sie für den Bundesfinanzminister eine angenehme Perspektive wäre, hier ausdrücklich widersprechen, denn das würde im Widerspruch zu den im Gesetz festgelegten Aufgaben des Deutschlandfunks stehen. Was die heutigen Zweifel an der Verfassungskonformität der jetzigen Aufsicht angeht, so teile ich diese persönlich nicht. Ein Gutachten aus dem Bundesinnenministerium kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die jetzige Regelung durchaus mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Schließlich ist der Programmauftrag der Deutschen Welle auf Auslandsrundfunk abgestellt, und auch der Deutschlandfunk ist nicht in erster Linie - ich betone: nicht in erster Linie - Faktor und Medium der öffentlichen Meinungsbildung im Bundesgebiet. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich aber, wie wir alle wissen, auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Wenn ich für meine Fraktion sehr sorgfältige, sehr ausführliche und kritische Beratungen über diesen Gesetzentwurf anrege, dann hängt das nicht nur mit dieser Einschätzung zusammen. Auch die im Gesetzentwurf gefundene Regelung für die Neuordnung der Aufsichtsorgane wirft sehr, sehr viele kritische Fragen auf. Zur ersten Frage: Man kann sich darüber streiten, ob diese oder jene gesellschaftlich relevante Organisation vertreten sein sollte oder nicht; deswegen will ich mich damit nicht lange beschäftigen. Aber wir müssen dann auch die Wünsche von gesellschaftlich relevanten Organisationen, die im Augenblick nicht repräsentiert sind und sich an uns gewandt haben, ernst nehmen. ({0}) Das bedarf einer ausführlichen Diskussion. Zweitens. Namhafte Medienrechtler melden Zweifel an, ob einige weithin von staatlicher Hilfe lebende gesellschaftlich relevante Organisationen, die künftig repräsentiert sein sollen, bei strenger Beachtung des Prinzips der Staatsferne vertreten sein sollten. Wenn wir also die Staatsferne schon so ernst nehmen, dann gilt das auch für staatlich subventionierte gesellschaftlich relevante Organisationen. Auch gibt es starke rechtliche Einwände gegen die im Gesetzentwurf vorgesehene Benennung von fünf Vertretern durch den Bundespräsidenten, weil dieser, so wird von Medienrechtlern argumentiert, selbst Verfassungsorgan und Staatsgewalt ist. Ich kann diese Auffassungen im letzten rechtlich nicht beurteilen, aber die Frage, ob dieser Passus so verbleiben kann, bedarf einer ausführlichen Diskussion. Daran, daß Erweiterungen von Aufsichtsräten dem Kontrollauftrag dienen, hat übrigens jüngst der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Herzog, in seinem neuesten Kommentar zum einschlägigen Grundgesetz-Artikel deutliche Zweifel angemeldet. Ein zahlenmäßig zu großer Rundfunkrat verfehle, so argumentiert er, seinen Hauptauftrag der Kontrolle. Ich räume aber gerne ein, daß man sich über die Zahl streiten kann, wie man sich auch über die Wirksamkeit der Kontrolle beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt streiten kann. Deswegen, liebe Kollegen, möchte ich zum Schluß meinen: Auch Zweifler an der Verfassungskonformität des Gesetzes werden einräumen müssen, daß die Realisierung dieses Gesetzentwurfes wenig Sinn macht, wenn nur eine lösungsbedürftige Frage auf den gesetzgeberischen Prüfstand kommt, die aus der Sicht der Zweifler verfassungsbedenkliche Frage der Finanzierung aber außen vor bleibt. Dann wäre das neue Werk in Karlsruhe auch weiterhin durchaus angreifbar. Von daher ist dieser Gesetzentwurf ein Torso auch aus der Sicht der verfassungsbedenklichen Zweifler. Am Sinn eines vorgezogenen Teilschritts ist auch deswegen zu zweifeln, weil die medienpolitische Zukunft und der europäische Binnenmarkt auch neue Konzepte für den Bundesrundfunk erforderlich machen. Entwicklungen der Satellitentechnik in Europa und international geben der Deutschen Welle beispielsweise weltweit die Chance, vermehrt zu einem attraktiven Medium der auswärtigen Kulturpolitik zu werden. Diese Entwicklungen der Technik geben auch dem Deutschlandfunk die Chance, unter veränderten Rahmenbedingungen seinen Programmauftrag wirksamer als bisher zu erfüllen. ({1}) - Aber selbstverständlich auch vollständig. Ich bin immer für Komplexität, lieber Herr Kollege Kühbacher. Über solche Konzepte, die vermehrte Kooperation nötig machen, zu reden und diese Konzepte dann auch politisch umzusetzen, halte ich persönlich für spannender, als nur kleine Segmente anzugehen, die in Karlsruhe dann ohnehin keinen Bestand haben, weil sie nur partiell gelöst sind. Aber darüber können wir in den Ausschußberatungen ausführlich und umfassend sprechen. Ich danke Ihnen herzlich. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Medienpolitik ist in besonderem Maße Gesellschaftspolitik, die sich über Gremien, deren personelle Besetzung - wer dort zum Zuge kommt, wer nicht - umsetzt. Personen, die in diese Gremien oder an die Spitze von Medieneinrichtungen berufen werden, spielen naturgemäß eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung von Funktionsweise, Rolle und Inhalten unserer Medien. Nicht umsonst hatten die Gründer der Bundesrepublik unter dem Eindruck der bitteren Erfahrungen mit dem denaturierten zentralistischen Rundfunk der Nazi-Zeit das Prinzip der Staatsferne und der Dezentralität des Rundfunkwesens geprägt, geschaffen, das bis heute praktiziert wird. Dennoch: Die Geschichte der Bundesrepublik hat immer wieder Versuche gekannt, diese beiden Prinzipien aufzuweichen und zu beseitigen. Als Adenauer Anfang der 60er Jahre mit seinem geplanten Regierungsfernsehen scheiterte, erhielt die CDU zum Trost die beiden Bundesrundfunkanstalten Deutsche Welle und Deutschlandfunk. ({0}) Beider hätte es nicht bedurft, da schon Anfang der 50er Jahre - denken Sie einmal ein bißchen zurück, wenn Sie noch etwas wahrnehmen können - von regionalen Rundfunkanstalten - dem NWDR, später dem WDR- internationale Programme geschaffen wurden. Auf Langwelle gab es bereits Anfang der 50er Jahre Programme für die DDR. Das war also auch ohne Bundesrundfunkanstalten möglich. Jetzt zwingt die angedrohte Verfassungsklage der SPD - Deutsche Welle und Deutschlandfunk seien nicht staatsfern genug - die Bundesregierung zum Handeln. Und was tut diese? Sie macht oberflächliche medienpolitische Kosmetik. Sie erhöht einfach die Zahl der Mitglieder der Rundfunkräte der beiden Anstalten; bei der Deutschen Welle von 11 auf 17, beim Deutschlandfunk von 22 auf 31. Bei der Deutschen Welle benennen künftig der Bundestag zwei, der Bundesrat zwei und die Bundesregierung drei statt bisher vier Mitglieder. Beim Deutschlandfunk sollen künftig der Bundestag fünf statt bisher sechs, der Bundesrat fünf statt bisher sechs, die Bundesregierung drei statt bisher fünf Mitglieder benennen. Die Zahl der Vertreter gesellschaftlicher Gruppen soll dagegen erhöht werden. Der Bundesrat hat nun zu Recht kritisiert - das ist schon gesagt worden; diese Kritik teilen wir -, daß der staatliche Anteil bei den Rundfunkratsvertretern damit immer noch zu hoch sei. Bei den Vertretern gesellschaftlicher Gruppen sei eine Zugehörigkeit zum staatlichen Bereich zudem nicht auszuschließen. Auch bei den Verwaltungsräten sei der staatliche Anteil zu hoch. Wir GRÜNEN schließen uns dieser Kritik ausdrücklich an, gehen allerdings noch ein ganzes Stück weiter. Unser Ziel ist - das sage ich ganz offen - die Besetzung der Rundfunkräte und Verwaltungsräte der Rundfunkanstalten ausschließlich mit Repräsentanten der Bürger/Bürgerinnen. Die Parteien müssen raus aus diesen Organen. Die haben dort doch gar nichts zu suchen. ({1}) - Doch, das sind durchaus Repräsentanten der Bürger in unterschiedlichen Zusammenhängen. Aber ich denke, daß es für diese Zwecke, für die wirklich bürgerfreundliche, bürgernahe Gestaltung einer Medienlandschaft bessere Möglichkeiten gibt, Repräsentanten/Repräsentantinnen der Bürger/Bürgerinnen in die Rundfunkräte und Verwaltungsräte zu schicken. ({2}) Dazu gehört für uns insbesondere auch die Quotierung der Rundfunk- und Verwaltungsräte. Mindestens 50 % der Sitze müssen künftig mit Frauen besetzt werden. Staatsferne muß heißen: Jeder Zugriff - es ist hier schon einiges dazu gesagt worden, ich kann es der Kürze halber nicht noch einmal aufgreifen - des Staates muß unterbleiben. Wie die Bundesregierung das Gebot der Staatsferne versteht, zeigt sich an dem Bestreben, den abgelösten Regierungssprecher Ost zum Intendanten der Deutschen Welle zu machen, was hier bereits angesprochen worden ist. Die Gremien der Deutschen Welle erhalten nicht mal mehr eine Scheinvollmacht bei der Benennung des Intendanten der Deutschen Welle. Diese an einem der Grundpfeiler des staatsfreien Rundfunks vorbeilaufenden Bestrebungen sind ebenso eine Verhöhnung des Prinzips der Rundfunkfreiheit wie die jetzt vorgelegte teilweise Novellierung des Gesetzes über die Bundesrundfunkanstalten. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine wirklich staatsferne Konstruktuion zu entwickeln. Wenn sie ernsthaft daran interessiert ist, sind wir zur Kooperation bereit. Unsere Vorschläge für die Reform der Bundesrundfunkanstalten liegen seit langem auf dem Tisch. Wir fordern darüber hinaus alle medienpolitisch fortschrittlichen Kräfte, insbesondere auch die neu gegründete IG Medien, Druck und Papier, auf, mit uns einen gesellschaftlichen Dialog über eine bürgernahe, bürgerfreundliche, von Bürgern und Bürgerinnen kontrollierte Medienlandschaft zu beginnen. Das Vordringen privater Medienkonzerne, im Zusammenhang mit neuen technischen Möglichkeiten auch bereits angesprochen, und die nach wie vor in der Bundesrepublik bestehende Gefahr des Regierungsfernsehens muß uns alle alarmieren. Die Deutsche Welle, ein, wie wir gesehen haben, recht staatsnaher Rundfunksender, produziert z. B. bereits Fernsehsendungen für das Ausland. Im Zusammenhang mit der Zulassung von Fernsehprogrammen für die Länder des gemeinsamen Binnenmarkts nach 1992 z. B. könnte durch die Hintertür auf diesem Wege das Regierungsfernsehen, also der alte Traum Adenauers, fröhliche Urständ feiern. An die andere Oppositionspartei daher unser Appell: Warten Sie nicht erst wieder 28 Jahre, bis mit einer verfassungsrechtlichen Überprüfung der Staatsferne der Bundesrundfunkanstalten angesetzt wird! Lassen Sie uns in Karlsruhe auch gegen dieses neue Bundesrundfunkgesetz Klage erheben! Erheben Sie mit uns Klage gegen den Rias TV! Organisieren Sie mit uns medienpolitisch öffentlichen Druck, damit die bestehende Staatsnähe abgebaut wird und wirkliche Bürgerrepräsentanz geschaffen werden kann! Unsere Medienlandschaft allerdings noch stärker großen privaten Medienkonzernen zuzuführen bedeutet, vom Regen in die Traufe zu kommen. Betreten Sie mit uns das Gebiet für Veränderungen und Experimente zur Schaffung einer, wie ich schon gesagt hatte, bürgerfreundlichen und von Bürgern und Bürgerinnen kontrollierten Rundfunklandschaft, wie es etwa die Alternative Liste in Berlin anstrebt! Danke schön! ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Ich habe nicht den Eindruck, daß wir ein besonders dickes Blatt im Buch des Rundfunkwesens aufschlagen werden. Die beteiligten Herren, die hier geredet haben, waren zu aufgeregt, als daß es wirklich um was Wichtiges zu gehen scheint. ({0}) - Lieber Kollege Nöbel, wer hier allen Ernstes verkünden will, daß es das Ende der Rundfunkfreiheit ist, wenn der frühere Sprecher Ost zur Deutschen Welle geht - ({1}) - Ich bitte Sie nun wirklich: Ich erinnere mich daran, daß z. B. der von mir persönlich wirklich verehrte Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn viele Jahre gleichzeitig Ministerpräsident und Rundfunkratsvorsitzender in Nordrhein-Westfa10178 len war. Da hat keiner von uns gesagt, das ist das Ende der Rundfunkfreiheit. Wir haben ihn gelegentlich mal gefragt: Wollten Sie nicht mal zwischen der einen oder der anderen Tätigkeit wählen? Aber das hat er während der Zeit seiner Funktionen abgelehnt, was ich verstehen kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, natürlich.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen, da Sie den Kollegen, die geredet haben, Aufgeregtheit zum Vorwurf machen, aufgefallen, daß Ihre Kollegin Seiler-Albring in aller Seelenruhe, Staatsferne demonstrierend, auf der Galerie dort oben mit einem Intendanten geflirtet hat?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege, ich bin weit davon entfernt, irgend jemandem hier und heute irgend etwas vorzuwerfen. Ich habe ja nur festgestellt, daß die Herren aufgeregt geredet haben, und daraus den Schluß gezogen: So wichtig kann unser Streitpunkt wohl nicht sein. Und was die verehrte Frau Kollegin Seiler-Albring auf der Zuschauertribüne gesprochen hat, ist und bleibt Gott sei Dank ihre ausschließliche Privatsache. Aber jetzt zum Thema. Ich würde gerne noch irgend etwas zum Thema sagen. ({0}) Wir haben einiges über die gesellschaftlich relevanten Gruppen gehört. Wir werden uns nie mit allen Gruppen einigen können, wer relevant ist und in welchem Umfang. Also kann doch die Folge daraus nur sein, daß wir uns bemühen müssen, eine möglichst breite Mehrheit für eine Entscheidung zu finden, also miteinander zu reden, selbstverständlich. Wir haben das Grollen einiger Berufsverbände gehört. Wir werden das mit großer Gelassenheit ertragen, wie das bei früheren Gelegenheiten auch schon geschehen ist. Interessant sind natürlich die Bemerkungen des Bundesrates darüber, daß die Zahl der staatlichen Vertreter nach wie vor zu hoch sei und daß die Behandlung möglicher Interessenverfilzungen zu schlapp geraten sei. Darüber werden wir uns in aller Ruhe eingehend unterhalten müssen. Das ist ganz selbstverständlich. Es ist auch richtig, daß die Politisierung der Rundfunkanstalten ein Ärgernis ersten Ranges ist. Es ist ganz unbestreitbar, daß sich diese Politisierung nicht nur auf personalpolitische Fragen bezieht, sondern daß auch immer wieder versucht wird, auch bezogen auf Programminhalte Einfluß auszuüben. Nur, ich finde es etwas blauäugig, wenn in diesem Zusammenhang gesagt wird, die Parteien sollten heraus, sie seien nicht die Vertreter der Bürger. Ich weiß nicht, wieso irgendeine andere der aufgezählten relevanten Gruppen in überzeugenderer Weise Vertreter der Bürger als eine Partei sein soll. Ich habe den Eindruck, lieber Kollege, daß auch die Vertreter dieser relevanten Gruppen nicht gerade politische Eunuchen sind, sondern selber natürlich politische Tendenzen mit einbringen. ({1}) Wenn Sie sagen, die Parteien müssen aus diesem Kreis heraus, dann heißt das doch in Wirklichkeit nur, daß Sie einen relativ offenen politischen Einfluß durch einen kryptopolitischen Einfluß ersetzen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Reddemann?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber natürlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hirsch, könnten Sie mir folgen, wenn ich feststelle, daß vieles nur deswegen mit dem Begriff der Politisierung der Rundfunkanstalten durch die Mitglieder von Gremien belegt wird, weil eine Parteipolitisierung innerhalb der Redaktionsstäbe verschiedener Sender solche Eingriffe geradezu provoziert? ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich glaube, daß es wirklich einer sehr eingehenden Untersuchung bedürfte, wie die beiderseitige Wechselwirkung ist, wo Ursache und wo Wirkung ist. Ich habe den Eindruck, daß hier auf beiden Seiten gesündigt wird. Ich habe auch den Eindruck, daß wir dieses Problem nicht durch organisatorische Entscheidungen lösen können, sondern daß es auf die Vernunft der Beteiligten ankommt. Ich sage Ihnen: Wenn der offene oder heimliche politische Einfluß sowohl auf die Personalentscheidungen als auch auf die Programminhalte nicht wirklich - ich sage einmal - aus eigener Entscheidung beschränkt wird, dann lädieren wir nicht nur das Ansehen aller Beteiligten, sondern dann führen wir das System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ad absurdum. Davor sollte man dringend warnen, und zwar alle Beteiligten. Die Politisierung hat eine Offenheit und ein Maß erreicht, das so nicht weitergeführt werden kann. Das ist meine Überzeugung. Aber ich sage noch einmal: Dieses Problem lösen wir nicht durch hervorragende Gesetze und organisatorische Entscheidungen, sondern nur dadurch, daß wir dafür sorgen, daß diejenigen, die wir in die Gremien schicken, vernünftige Leute sind, ({0}) die genau wissen, wo die Grenzen liegen, die sie peinlich zu beachten haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich bin in der Verlegenheit, erstens auf die Uhr zu schauen, zweitens noch zwei Zwischenfragen an Sie gerichtet zu sehen. Wollen Sie sie weiter zulassen?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da Herr Reddemann schon eine Zwischenfrage gehabt hat, wäre ich ihm dankbar, wenn er verzichten und Frau Vollmer den Vortritt lassen würde. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Frau Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wäre ja fast versucht gewesen, einem Mann den Vortritt zu geben. Aber gut, daß Sie mich davor gerettet haben, Herr Hirsch. Sie haben eben gefragt, ob wir im Ernst behaupten würden, daß die anderen gesellschaftlichen Organisationen keinen politischen Einfluß hätten. Das sei doch quasi dasselbe wie bei den Parteien. Wollen Sie das im Ernst aufrechterhalten? Sehen nicht auch Sie einen Unterschied, daß nämlich von den Parteien durch diesen Einfluß über Sein oder Nichtsein, über Regierung oder Opposition entschieden wird, und sehen Sie nicht, daß das einen fundamentalen Unterschied zu irgendwelchen anderen, meinetwegen kirchlichen oder sonstigen Gruppen ausmacht?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben das Argument mißverstanden. Sehen Sie sich die Reihenfolge, die Auf zäh-lung der sogenannten - ich meine das jetzt nicht ironisch - relevanten Gruppen an. Es ist völlig klar, daß in diesen Gruppen Menschen sind - ich wiederhole mich - , die keine politischen Eunuchen sind, sondern politische Überzeugungen und Meinungen haben, die sie einbringen, zwar nicht offen als Vertreter einer bestimmten Partei, aber natürlich mit denselben Vorstellungen. Die Behauptung, man würde auf diese Weise die Entscheidungen entpolitisieren, ist also eine Illusion, weil in Wirklichkeit der politische Einfluß kryptopolitisch ausgeübt wird. Das ist empirisch nur schwer beschreibbar. ({0}) Ich möchte zum Schluß kommen. Wenn wir an der notwendigen Objektivität mitwirken wollen, dann müssen wir in der Tat versuchen, die sehr kontrovers geführte Debatte in den Beratungen zu bereinigen, und den Versuch unternehmen, sowohl mit den Gruppen wie in diesem Hause eine möglichst breite Übereinstimmung herbeizuführen. Dazu sind wir bereit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hatte mir zehn Minuten Redezeit eingeräumt. Ich verzichte freiwillig vorab auf mehr als die Hälfte. Die Seiten 2, 3, 4 und 6 der Presseerklärung bitte ich gelegentlich nachzulesen. Ich komme zu dem Wesentlichen; und das - denke ich - ist angemessen. Herr Kollege Weirich hat schon gesagt, daß ihm Komplexität mehr zupaß käme. Ich denke, wir beraten heute abend in der Tat nur einen Teilaspekt, wenn auch einen zentralen, über die Bundesrundfunkanstalten. Aber ein Punkt liegt mir doch sehr am Herzen, Herr Kollege Weirich: Ich bin schon der Meinung, daß über die Zeit hinaus die Finanzierung dieser beiden Anstalten tatsächlich diskutiert werden muß. Zu 100 % wird die Deutsche Welle, zu zwei Dritteln der Deutschlandfunk aus dem Bundeshaushalt finanziert. Sie wissen wie ich, daß der RIAS Berlin nur ein Zubrot von den Amerikanern bekommt, aber voll unter amerikanischer Aufsicht steht, freilich voll aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird. Er gehört auch zu den Bundesrundfunkanstalten. Auch in diesem Zusammenhang muß die Frage der Staatsunabhängigkeit politisch diskutiert werden. Auch über Finanzen kann natürlich der Staat auf Entscheidungen innerhalb der Bundesrundfunkanstalten einwirken. Nun wollte ich einige Ausführungen zum Thema Satellitenfernsehen, europäische Hinwendung usw. machen. Ich denke, Sie können das nachlesen. Ich bleibe bei dem Komplex der Finanzierung und sage noch einmal: 570 Millionen DM verantworten wir für den Steuerzahler bei den Bundesrundfunkanstalten. Die Zeit ist reif, über den Sinn und die Effizienz der Verwendung dieser Mittel neu nachzudenken. Der Steuerbürger hat Anspruch darauf, daß die so verausgabten Mittel wirklich effektiv eingesetzt werden und daß die Anstalten diese Mittel verwenden, um ihrem gesetzlichen Auftrag, ins Ausland zu wirken, in Europa zu wirken und für Gesamtdeutschland zu wirken, tatsächlich nachkommen. Das erwarten wir von den Mitarbeitern in diesen Anstalten. Diese wiederum haben einen Anspruch darauf, daß wir heute abend nicht nur über die Zusammensetzung der Gremien mit politischen Eunuchen - ja oder nein - oder Strohmännern - wie der Kollege Nöbel das sagt - oder um die Ecke beeinflußbaren Gremienmitgliedern nachdenken oder über die vom Kollegen Briefs angeführten Urbürger, welche die Bürger vertreten sollen, wie immer das auch gehen soll. Ich denke, die Mitarbeiter in den Anstalten haben einen Anspruch darauf, zumindest zu erfahren, was die SPD in Zukunft von den Bundesrundfunkanstalten erwartet. Unsere Fraktionsvorsitzenden im Bund und in den Ländern haben kürzlich in einer gemeinsamen Entschließung folgende Auffassung deutlich gemacht: Die Aufgaben des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle in ihrer jeweiligen gesetzlichen Ausprägung sind nach wie vor wichtig. Angesichts der internationalen Entwicklung im Auslandsrundfunk können sie sogar zunehmendes Gewicht erhalten. Nach Abschluß der jetzt anstehenden Gesetzesnovellierung, wohl noch vor der Sommerpause, sollte die Frage der Finanzierung der Bundesrundfunkanstalten auf eine klare rechtliche Grundlage gestellt werden. Ziel muß auch hier eine noch größere Staatsferne und eine Autonomie der Bundesrundfunkanstalten insgesamt sein. Die SPD hält an den jeweils eigenständigen Aufgabenstellungen und damit auch an der organisatorischen Selbständigkeit der drei Rundfunkanstalten - Deutsche Welle, Deutschlandfunk und RIAS - fest. Allerdings ist eine engere Kooperation der Kölner Sender in technischer, finanzieller und programmlicher Hinsicht anzustreben. Das sage ich als Mitglied des Haushaltsausschusses ganz nachdrücklich. Der Deutschlandfunk braucht bald eine optimale Teilhabe am Satellitenhörfunk, und das nicht nur auf einem abgemagerten Monokanal, sondern mit allen technischen Möglichkeiten, die es gibt. Von daher ist der Deutschlandfunk geradezu in idealer Weise geeignet, im mitteleuropäischen und im deutschsprachigen Raum zu wirken. Das geht nicht nur in den westlichen, sondern das geht auch in den östlichen Bereich hinaus. Schließlich sollte den Bundesrundfunkanstalten ihrem jeweiligen gesetzlichen Programmauftrag gemäß auch ein Zugang zum Fernsehen eröffnet werden; denn dieses gehört zum Rundfunk. Damit diese weltweiten Fernsehaufgab en möglichst klar umschrieb en werden, sollte der Deutschlandfunk die Möglichkeit erhalten, sich an den grenzüberschreitenden, europäisch orientierten Fernsehaktivitäten zu beteiligen, während die Deutsche Welle über diese europäischen Grenzen in das weitere Ausland wirken sollte, dieses natürlich nur in dem Umfang, wie sie im wesentlichen auf die in den Länderanstalten produzierten Sendungen zurückgreifen kann. Es wäre albern, wenn diese Rundfunkanstalten im großen Umfang selber eigene Sendungen produzieren würden. Aus diesen Überlegungen ergibt sich aber auch eine politische Konsequenz: Die erforderliche Neuorientierung der Rundfunkpolitik des Bundes kann nicht an den Bundesländern vorbei oder gar gegen sie gerichtet werden. Angesichts der Herausforderungen, vor die uns die Entwicklungen im internationalen Rundfunk stellen, wäre ein Gegeneinander von Bund und Ländern in der Rundfunkpolitik weniger denn je vertretbar. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie wurde von der SPD - übrigens damals im Einklang mit allen Bundesländern - schon 1960, bei der ersten Debatte über das Bundesrundfunkgesetz, mit Nachdruck vertreten. Der Vorschlag der SPD lautete damals: Kooperation zwischen Bund und Ländern auf der Basis eines BundLänder-Staatsvertrages. Warum sollte diese Idee heute unter den veränderten Bedingungen der internationalen Satellitenkommunikation und des europäischen Einigungsprozesses nicht wieder erneut aufgegriffen werden? Der kooperative Föderalismus steht auf dem Prüfstand. Was im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik heute bestens funktioniert, kann auch für die Rundfunkpolitik ein Modell sein. Ich lade Sie ein, hierüber einen Konsens herbeizuführen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe nicht die Absicht, eine Polemik fortzusetzen, die der Herr Kollege Nöbel begonnen hat, nämlich über die Frage, ({0}) ob ehemalige Regierungssprecher Intendanten werden dürfen. Ich darf darauf hinweisen: Wenn Friedhelm Ost tatsächlich - was ich durchaus noch nicht für sicher halte - Intendant der Deutschen Welle würde, würde er nicht der erste Regierungssprecher sein, ({1}) der eine solche Funktion übernimmt. Er wäre auch nicht der erste Politiker, der noch seine Partei und seine Regierung beraten hat und trotzdem bei der Deutschen Welle Intendant war. ({2}) - Herr Kollege Nöbel, auch die Lautstärke, die Sie heute abend noch versuchen, wird mich nicht von der Schilderung von Tatsachen abhalten. ({3}) Ich wollte hier heute abend eigentlich darum bitten - deswegen habe ich mich noch einmal kurz zu Wort gemeldet -, daß wir in der Tat den Versuch fortsetzen, eine vernünftige gemeinsame Regelung zu finden. Ich habe im Rundfunkrat des Deutschlandfunks dreimal den Antrag gestellt, daß wir uns als Rundfunkrat, d. h. diejenigen, die mit diesem Sender permanent beschäftigt sind, in einer gemeinsamen Kommission zusammenfinden und dort versuchen, eine vernünftige Lösung herbeizuführen. Es ist einmal gelungen, eine solche Sitzung zu bekommen. Dies war eine sehr konstruktive Sitzung, ich würde sie heute gern noch einmal durchführen. Ich bedaure, daß meine anderen beiden Appelle, der zweite und dritte, von seiten der SPD leider nicht mehr so positiv aufgenommen wurden wie mein erster Appell. Ich wäre dankbar, wenn es die Möglichkeit gäbe, vielleicht morgen nach der Sitzung des Rundfunkrats, darüber zu reden, ob wir nicht die Möglichkeit haben, die konstruktive Arbeit fortzusetzen. ({4}) Hier darf ich auch ein paar sehr schlichte Bemerkungen machen: Ich bin genauso wie der Herr Kollege Weirich der Auffassung, daß es nicht sinnvoll wäre, wenn wir die angeblich so staatsnahen Abgeordneten durch staatlich subventionierte Vertreter von Verbänden ersetzten, die entweder ihre gesamte Arbeit oder zumindest einen wichtigen Teil ihrer Arbeit ohne die staatlichen Subventionen gar nicht fortsetzen könnten. Denn dies wäre im Grunde genommen eine indirekte Art des Staatseinflusses, von der wir nichts hätten. Ich meine auch, wir sollten den Herrn Bundespräsidenten - gleichgültig, wie er heißt; ich spreche jetzt von ihm als Einrichtung der Verfassung - um Himmels willen nicht in eine Situation bringen, in der er möglicherweise durch die Auswahl des einen oder anderen, von verschiedenen Organisationen vorgeschlagenen Bewerbers die Mehrheit des Rundfunkrates letztlich in seiner Weise prägt, indem er nämlich den einen oder anderen ersetzt. Ich würde dies keinem Bundespräsidenten zumuten. Und ich meine, es sollte auch nicht Sache des Gesetzgebers sein, einen derartigen Versuch zu machen. ({5}) Mein Appell deswegen heute an alle Fraktionen, querdurch: Lassen Sie uns versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden! Vielleicht schaffen wir es dann, obwohl dies zeitlich schon sehr eng ist, das Gesetz noch rechtzeitig vor der Sommerpause durchzubringen. Ich meine, es ist immer vernünftiger, wenn wir dies mit breiter Mehrheit und nicht nur mit einer Koalitionsmehrheit schaffen. Es wäre gut, wenn es wirklich möglich wäre, einen solchen Ausgleich zu finden, daß wir hinterher sagen können, dies sei ein Gesetz, bei dem zumindest die Verfassungsrealität und der Verfassungsauftrag übereinstimmen können. Ich wäre dankbar, wenn wir dies schafften. Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/4152 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. April 1989, 9.15 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.