Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/10/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/4142 zu erweitern. Der Zusatzpunkt soll ebenfalls in verbundener Debatte mit dem Entwurf des Rentenreformgesetzes beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 7 bis 9 auf: 7. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({0}) - Drucksache 11/4124 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO 8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Drucksache 11/4125 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß 9. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP zur Altersversorgung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären - Drucksache 11/4142 Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung der Zusatztagesordnungspunkte drei Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Blüm. ({3})

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor allen Dingen Mensch. Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mai des Jahres 1889 wurde das „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung" im Deutschen Reichstag beschlossen. Damit wurde die Grundlage unserer Rentenversicherung gelegt. 100 Jahre später, in diesem Jahr, begeben wir uns ({0}) in eine große Reform. Es ist die zweite große Reform. Die erste im Jahre 1957 liegt 32 Jahre zurück. In diesem Jahr besteht die Rentenversicherung 100 Jahre. Zwischen der Schaffung der Rentenversicherung und unserer heutigen Rentenreform liegt ein Jahrhundert schwerer Erschütterungen mit zwei furchtbaren Weltkriegen, zerstörten Städten, der Teilung unseres Vaterlandes, Inflation und Währungsreform. Unser Rentensystem hat dies alles überstanden. Es hat Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen aufgenommen. Die gute alte Rentenversicherung hat sich als zäh und überlebensfähig erwiesen. Niemand kann und will sich diese Erschütterungen der letzten 100 Jahre noch einmal wünschen. Aber Veränderungen haben auch wir zu bewältigen. Wir antworten heute rechtzeitig und vorausschauend auf die Herausforderungen der Zukunft. Diese Herausforderungen haben ihren Kern in Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung. Die Veränderungen haben zwei Seiten: eine negative und eine positive, eine erfreuliche und eine traurige. Die negative, die traurige Seite der Bevölkerungsentwicklung ist der Rückgang der Geburten. Anfang der sechziger Jahre wurden jedes Jahr über eine Million Kinder geboren. Ende der siebziger Jahre waren es weniger als 600 000. Auch wenn die Zahlen jetzt Gott sei Dank wieder steigen, bleibt es dabei, daß die eine Generation nur zu zwei Dritteln durch die nachfolgende ersetzt wird. Wer gegen Kinder ist, ist auch gegen die Alten. ({1}) - Das ist so, ob man es will oder nicht. Die andere Seite der Veränderungen ist erfreulich, und positiver Natur. Die Lebenserwartung steigt. Unsere Welt ist offenbar doch nicht so schlecht und gesundheitsfeindlich, wie sie manche beschreiben. Vor 100 Jahren betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Kindes 35 Jahre. Also: Am Beginn der Rentenversicherung war die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen 35 Jahre. Heute sind es für die Jungen 71 Jahre, für die Mädchen 78 Jahre. ({2}) Die Tendenz ist weiter steigend. Die Lebenserwartung - wir wünschen uns das ja alle - steigt seit 1970 um 3,5 Monate jährlich. Ein heute 60jähriger Mann hat im Durchschnitt noch 17, 2 Jahre vor sich - das sind alles statistische Zahlen - , die gleichaltrige Frau 21,7 Jahre. Unser Leben währt länger. Gesunkene Geburtenzahlen und steigende Lebenserwartung, das sind die zwei wichtigsten Gründe, die eine Umstellung unseres Rentensystems notwendig machen. ({3}) Wir stellen um, wir reißen das Rentenhaus nicht ein. Wir passen die Rentenversicherung an neue Rahmenbedingungen an, - es ist im übrigen auch eine Überschätzung der Sozialpolitik, der Politik überhaupt, zu glauben, wir könnten immer beim Nullpunkt beginnen - , wir entwickeln sie weiter. Auch das gehört zur Bescheidenheit einer realistischen Politik. ({4}) Wie nehmen diesen Umbau des Rentenhauses rechtzeitig vor. Die Reform, die wir heute angehen, steht nicht unter akuten Finanzzwängen. Die Rücklagen der Rentenversicherung haben sich in den letzten Jahren wieder erhöht, aber dabei bleibt es nicht. Wir handeln nicht erst, wenn die Rentenfinanzen in die Gefahrenzone gekommen sind, sondern wir handeln jetzt. Es zeigt sich, daß die Rentenkonsolidierung in den letzten Jahren hilfreich war, eine Rentenreform ohne Einsturzgefahr jetzt durchzuführen. ({5}) Die Veränderung im Altersaufbau unserer Bevölkerung ist keine auf die Mitglieder der Rentenversicherung beschränkte Herausforderung. Deshalb müssen alle öffentlichen Alterssicherungssysteme ihre Antwort finden, umgestellt werden. Ich halte es für eine pure Selbstverständlichkeit und für ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, daß auch im Bereich der Alterssicherung des öffentlichen Dienstes eine Antwort im Blick auf die Bewältigung der Zukunft gegeben wird. Und das gilt mit der gleichen - fast banalen - Selbstverständlichkeit für Minister, Parlamentarische Staatssekretäre und Abgeordnete. ({6}) Rechtzeitig und sozial gerecht - das sind die zwei wichtigsten Kennzeichen unseres Vorhabens. Ein drittes Kennzeichen ist nicht selbstverständlich, aber ebenso bedeutsam: Wir gehen diese Reform im Konsens von CDU/CSU, SPD und FDP an. Das ist ein gutes Vorzeichen für das Gelingen unseres Vorhabens. ({7}) Die Renteneinigung ist das Ergebnis einer großen Anstrengung. Die Strecke der Vorarbeiten ist länger, als sie jetzt, am Beginn der ersten Lesung, erscheint. Ich möchte in meinen Dank alle einschließen, die sich daran beteiligt haben: die Rentenversicherungsträger, die Sozialpartner, die großen Sozialverbände, von denen ich stellvertretend VdK und Reichsbund nenne. Ich möchte an dieser Stelle Dank auch für die Mitwirkung der Opposition an diesem schwierigen Vorhaben sagen. Die Bedeutung dieses Konsenses geht aus meiner Sicht über die Sozialpolitik hinaus. Wir geben damit ein Beispiel, daß Streit nicht das einzige Mittel der Demokratie und auch nicht das letzte Wort ist, daß die gleichen Parteien, die für Alternativen kontrovers eintreten, auch - wenn es nötig und möglich ist - zum Konsens fähig sind. Das halte ich für einen Beitrag zur Entkrampfung mancher erstarrten Linien in diesem Hohen Hause. ({8}) Ich möchte bei der heutigen Einbringung dieses Gesetzes auch an den früheren Bundesarbeitsminister Anton Storch erinnern, der in seiner Einbringungsrede damals, 1957, gesagt hat: Die Sicherstellung des einmal erworbenen Lebensstandards ist ... nicht ein Akt der Barmherzigkeit seitens der jeweils Erwerbstätigen oder gar des Staates, sondern die Erfüllung einer geschuldeten Pflicht und der Ausdruck einer von den Umständen begründeten Solidarität zwischen den Generationen ... Unser Ziel muß sein, den Menschen das Bewußtsein zu geben, daß sie sich auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben den Lebensunterhalt selbst verdient haben. In dieser Tradition, der Tradition der Rentenreform 1957, stehen auch wir. Ich bekenne mich ausdrücklich zu dieser Tradition. Erstens. Dieser Rentenreform liegt die Entscheidung für eine individuelle lohn- und leistungsbezogene Rente und gegen eine Einheitsrente zugrunde, eine Entscheidung für eine den Lebensstandard sichernde Rente, gegen eine Rente, die nur die Vermeidung von Not zum Ziel hat, eine Entscheidung für eine dynamische Rente, die mit der allgemeinen Lohnentwicklung wächst und die den steigenden Lebensstandard auch an die Rentner weitergibt, damit eine Entscheidung gegen eine staatliche Rente, bei der die Rentner Jahr für Jahr um die Erhaltung ihrer Einkommensposition hätten kämpfen müssen, und eine Entscheidung für eine beitragsfinanzierte, auf dem Prinzip „Leistung für Gegenleistung" beruhende Rentenversicherung und gegen eine steuerfinanzierte staatliche Rente. Die Philosophie der Rentenpolitik folgt im Grunde einer alten familiären Gesinnung, ({9}) die heute freilich eine andere Organisation verlangt. Im Grunde versucht die Rentenversicherung nur das, was früher unter dem Dach der Großfamilie geschah: Die Jungen sorgen für die Alten und wissen, daß auch sie einmal alt werden. Diese familiäre Gesinnung ist die Grundlage jeder Rentenpolitik, ({10}) sie mag organisiert werden, wie sie will. Deshalb darf sich die Rentenpolitik - wie unsere Sozialpolitik - nie aus diesen personalen Bezügen befreien. Rentenversicherung ist Ausdruck der Generationensolidarität. Der zweite Grundsatz unserer Rente ist die Leistungsbezogenheit. In dem gleichen Maße, wie der einzelne im aktiven Erwerbsleben dazu beiträgt, die Renten der Alten zu sichern, hat er Anspruch auf eigene Rente. Wie du uns, so wir dir: Das ist der Solidaritätsgrundsatz, verbunden mit dem Leistungsgesichtspunkt, daß die Rente dem Beitrag folgt. Wer viele Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, erhält eine höhere Rente als derjenige, der weniger Beitrag gezahlt hat. ({11}) Ich sage ja nicht, daß die Leistungsgerechtigkeit das einzige Prinzip unserer Sozialpolitik ist. Aber dort, wo sie handlungs-, wo sie ordnungsfähig ist, sollte man sie nicht vorschnell durch Fürsorge verdrängen. Denn in dem Prinzip „Leistung für Gegenleistung" liegt geradezu ein emanzipatives Element. Denn es macht einen Unterschied, ob ich von einer Leistung lebe, die ich selber erarbeitet habe, oder ob sie lediglich zugeteilt ist. ({12}) Die Rente ist Alterslohn für Lebensleistung. Dabei bleibt es. ({13}) Allerdings wäre es ungerecht, Leistung nur auf Erwerbsarbeit zu beschränken. Was wir tun, ist, diesen Leistungsbegriff über seine Grundlegung in der Rentenreform vor 100 Jahren hinaus zu erweitern. Wir wollen nicht in den engen Fesseln der Erwerbsarbeit bleiben. Auch Kindererziehung ist Leistung. Wer wegen Kindererziehung auf Erwerbsarbeit verzichtet, dem sollte daraus kein Schaden für seine Alterssicherung entstehen. ({14}) Ich betrachte das nicht nur als ein Mehr an Geld, sondern es ist die Erweiterung der Leistungsphilosophie: Kindererziehung, Arbeit in der Familie ist eine Leistung, auf die unsere Gesellschaft ebenso angewiesen ist wie auf Erwerbsarbeit. Wir setzen mit der Ausdehnung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre für die Kinder, die nach 1992 geboren werden, den Ansatz fort, den wir 1986 begonnen haben und den ich für die einzige wirkliche Rentenrevolution der letzten Jahre halte. In ihrer Bedeutung wird sie unterschätzt. ({15}) Endlich wird Kindererziehung in der Rentenversicherung überhaupt zur Kenntnis genommen. ({16}) - In Zahlen: Bis 1990, verehrte Frau Kollegin, werden 6,2 Millionen Mütter durch Kindererziehungsjahre begünstigt, 6,2 Millionen Mütter, die vorher null bekommen haben. Die durchschnittliche Erhöhung wird 70 DM betragen. Rund 70 000 Mütter haben durch Kindererziehungszeiten überhaupt erst Rentenansprüche erworben. Ohne diese Kindererziehungszeiten wären sie gar nicht ins System gekommen. Ganz neu - insofern bleiben wir auf dieser Spur - : Wir führen Kinderberücksichtigungszeiten ein. Bis zum 10. Lebensjahr eines Kindes wird Kindererziehung bei der Bewertung von beitragsfreien Zeiten berücksichtigt. Das führt zu handfesten Rentenerhöhungen bei denjenigen, die in ihrem Versicherungsverlauf beitragsfreie Zeiten haben. Das sind nach heutigem Stand überproportional wieder die Mütter. Auch bei der Erhaltung der Anwartschaften auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente wird Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes berücksichtigt. ({17}) - Ich behaupte: Diese Rentenreform ist die frauenfreundlichste Rentenreform, die es überhaupt je gegeben hat. ({18}) - Herr Kollege, Sie war es bereits mit unserem Diskussionsentwurf. Aber es ist der Sinn von Diskussionen, Gesetzentwürfe weiterzuentwickeln. Es ist die frauenfreundlichste Rentenreform, die es in der Sozialversicherung je gegeben hat. Ganz neu ist auch die Regelung, daß künftig diejenigen, die auf Erwerbsarbeit verzichten, weil sie sich dem Dienst an der Pflege der schwer Pflegebedürftigen widmen, das bei der Berechnung einer beitragsfreien Zeit angerechnet bekommen, und zwar ohne Begrenzung. Pflegeberücksichtigungszeit ist ein wichtiger Bestandteil dieser Reform. Übrigens: Die freiwilligen Beiträge, die jemand in der Zeit zahlt, in der er Pflegedienst versieht, werden mit Invaliditätsschutz versehen. Das ist ein freiwilliger Beitrag besonderer Art. ({19}) - Frau Kollegin, hier schließt sich ein Kreis: Wenn auf Grund der Krankenversicherungsreform ab 1991 auch Pflegegeld gezahlt wird, dann könnte der Pflegebedürftige einen Teil dazu verwenden - das ist die freie Entscheidung des einzelnen - , die Beiträge für die Alterssicherung seiner Pflegekraft zu zahlen. Das ist, wie ich zugebe, eine Politik der vielen kleinen Schritte: die Lage der schwer Pflegebedürftigen zu verbessern, indem man den Pflegekräften hilft. ({20}) Wir sichern die Rentenversicherung mit Vernunft, d. h. Belastungen müssen auf alle Schultern verteilt werden. Das ist ein Solidaritätsgebot. Wenn es schwer wird, laßt alle tragen: die Jungen, die Beitragszahler, die Alten, indem ihre Rentenerhöhung nicht mehr so ausfällt wie vor dem Geburtenrückgang, und den Bund. ({21}) Auf drei Schultern verteilen wir die Lasten der Zukunft. ({22}) Der Bundeszuschuß wird vorab zusätzlich erhöht und von der erhöhten Basis aus verbessert fortgeschrieben. Bliebe es beim geltenden Recht, würde der Bundeszuschuß von heute 18,2 % auf 14,5 % der Rentenausgaben im Jahre 2010 absinken. Würden wir nichts machen, ginge der Bundeszuschuß zurück. Durch diese Reform beteiligt sich der Bund ab 1990 mit 0,3 Milliarden DM und ab 1991 mit 2,3 Milliarden DM, die in die Dynamik eingehen. Außerdem soll der Bundeszuschuß um den Erstattungsbetrag für Kindererziehungszeiten im Jahre 1991 - das sind voraussichtlich 4,8 Milliarden DM - erhöht werden. Es gibt also kein Absinken des Bundeszuschusses. Die Bewegung geht in die umgekehrte Richtung. Der Bundeszuschuß erhöht sich. Er stabilisiert sich zunächst knapp unterhalb der 20 %-Grenze. Der Bund beteiligt sich verstärkt an der Bewältigung der Zukunftsausgaben. Dritter Punkt: nettolohnbezogene Anpassung der Rente. Wenn die Beitragszahler mehr Steuern und Beiträge zahlen müssen, wenn die Aktiven, die Söhne und Töchter der Rentner mehr belastet werden, weil sie beispielsweise höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen müssen, dann sollten sich an dieser Bewältigung der Lasten auch die Alten beteiligen. In dem Maße, wie die Beiträge steigen, sinkt die Rentenerhöhung. Es handelt sich nicht um Rentenkürzungen, ({23}) sondern es handelt sich nur darum, daß der Anstieg in dem Maße verlangsamt wird, in dem die Beiträge der Aktiven erhöht werden. Bei der Ermittlung des Platzes, den der einzelne in der Einkommenspyramide einnimmt, bleibt das Bruttoprinzip erhalten. Ich glaube, daß das nettolohnbezogene Prinzip bei der Rentenanpassung das Solidaritätsprinzip präziser formuliert als die alte Bruttolohnanpassung. Zukünftig werden die Rentner auch ein Interesse daran haben, wie sich beispielsweise die Krankenversicherungsbeiträge erhöhen. Je mehr wir die Krankenversicherungsbeiträge stabil, in Schach halten und die Proportionen wahren - , sie sogar senken - , um so mehr verbessert sich auch die Lage der Alten. ({24}) Vierter Punkt: stufenweise Anhebung der Altersgrenzen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung unserer Rentenversicherung. Würde die jetzt gängige Praxis beibehalten, würden wir daran gar nichts ändern, dann könnten die durch gestiegene Lebenserwartung verlängerten Rentenlaufzeiten im nächsten Jahrhundert nur finanziert werden, wenn das Rentenniveau sinken würde. Längere Lebenserwartung, begrüßt von uns allen, heißt doch auch mehr Rentenausgaben; die Renten laufen länger. Wenn man darauf nicht mit einer Veränderung der Altersgrenze antwortete, müßten die Renten gesenkt werden. Insofern ist das auch die Alternative zu einer Absenkung des Rentenniveaus. Allein die sich durch gestiegene Lebenserwartung ergebende Verlängerung der Rentenlaufzeit um 31/2 Jahre bei Männern und 41/2 Jahre bei den Frauen zwischen 1970 und 1995 bedeutet, daß die Rentensumme sich bis dahin um rund ein Fünftel erhöht. Das schaffen wir jetzt. Aber im zukünftigen Jahrhundert würde nur zur Verfügung stehen, daß wir die Renten um 20 % absenken. Das wird doch niemand wollen. Wir würden damit doch viele Rentner in Armut stürzen. ({25}) Wer also keine Verminderung der Renten will, muß auch das Thema angehen, zu einer Altersgrenze zurückzugehen, wie es sie schon einmal gab, zur Regelaltersgrenze 65. Noch 1972 gingen rund 60 % der Männer und 40 % der Frauen mit 65 Jahren in die Rente. Heute sind es gerade noch 20 %. Die Altersgrenze 65 als Regelaltersgrenze ist altbekannt. Sie kommt nicht übermorgen. Im nächsten Jahrhundert, ab 2001, erhöhen wir Schritt für Schritt die Altersgrenze. Ich finde, es ist ein Gebot der Rentenehrlichkeit, daß wir die Unbequemlichkeit einer solchen Regelung nicht unseren Nachfolgern überlassen, sondern daß dieser Bundestag jetzt schon sagt: ab 2001 schrittweise Erhöhung der Altersgrenze. Im übrigen kann sich dann auch jeder besser darauf einstellen, möglicherweise auch der Arbeitgeber. Auf diese Weise verbessert sich aus meiner Sicht auch die Qualifizierungschance der älteren Arbeitnehmer. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ich weiß, daß der 50jährige noch 15 Jahre im Betrieb ist, oder ob ich weiß, daß er nur noch 10 Jahre im Betrieb ist. Wir werden ab 1997 Bericht erstatten, wie sich diese Anhebung auch im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktlage entwickelt. ({26}) Wir verbinden die Rückkehr zur Altersgrenze von 65 Jahren mit einem zweifachen Angebot auf mehr Wahlfreiheit beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Der einzelne Arbeitnehmer soll freier darüber entscheiden können, wann er in Rente geht. Schon drei Jahre vor dem 65. Lebensjahr soll ihm diese Möglichkeit gegeben werden. Er bekommt dann freilich auch eine niedrigere Rente, denn er zahlt ja drei Jahre weniger Beitrag und erhält drei Jahre länger Rente. Wer über 65 hinaus arbeitet, erhält für jedes Jahr einen Zuschlag von 6 %. ({27}) Der zweite Beitrag zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung der Arbeitnehmer besteht darin, daß er auch die Wahl eingeräumt erhält, ob er die Rente ganz oder nur zum Teil in Anspruch nimmt: ein Drittel, die Hälfte, zwei Drittel. Ich finde, es ist ein wichtiger Beitrag, die Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand sanfter, menschlicher zu gestalten. So wie das heute organisiert ist, kann das bestenfalls sein Vorbild in der Maschine haben, die an- und abgeknipst wird. Ich glaube sogar, daß viele ältere Mitbürger länger arbeiten wollen, länger mitarbeiten wollen, aber nicht mehr so viel arbeiten wollen. ({28}) Deshalb ist die Verbindung von Flexibilität und Teilrente nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten, sondern auch unter humanen Gesichtspunkten ein wichtiger Beitrag dieser Rentenreform. ({29}) Ich meine, wir sollten unsere traditionell kollektive Sozialversicherung dem Zug der Zeit entsprechend mit immer mehr Freiheitsrechten, Wahlmöglichkeiten im Rahmen der Solidarität ausstatten. Der fünfte Punkt: Einführung eines Gesamtleistungssystems. Meine Damen und Herren, ein System, das Generationen überdauert hat - 100 Jahre Rentenversicherung! - , immer wieder novelliert wurde, sammelt im Laufe der Entwicklung - das ist ganz natürlich - auch Ungereimtheiten und Widersinniges an. Das ist wie beim Umbau eines alten Hauses. Da treffen Sie plötzlich auf eine Kammer, die fast funktionslos geworden ist, eine Rumpelkammer. Ich betrachte das jetzige System der Halbbelegung als ein System der Ungereimtheiten und der Ungerechtigkeiten. Das System der Halbbelegung läßt viele gar nicht in den Genuß von Ausgleichszeiten kommen, weil sie die Hälfte der Zeit nicht mit eigenen Beiträgen belegt haben. Wenn man sich einmal ansieht, wen das betrifft, so sieht man, daß 50 % der Mütter überhaupt nicht die Halbbelegung erreichen. Deshalb ist in dieses System eine Diskriminierung der Frauen eingebaut, und diese Diskriminierung beseitigen wir mit unserem Gesamtleistungssystem. ({30}) Das jetzige System ist voller Willkür. Das Alles oder-Nichts-Prinzip hat immer ein Stück Ungerechtigkeit. Bei einem Monat mehr Beitrag ist man schon in der Halbbelegung und erhält eine viel höhere Rente. Es konnte sogar passieren, daß man durch mehr Beitrag eine niedrigere Rente erhielt. Diese Ungereimtheiten beseitigen wir mit einem Gesamtleistungsmodell, das wiederum solidarisch nach dem Motto verfährt: Wie du uns im Rahmen deiner Möglichkeiten unterstützt hast, so unterstützen wir dich bei der Bewertung von beitragsfreien Zeiten. ({31}) Wir führen im übrigen in dieses System auch ein, daß Beiträge nachgezahlt werden können, die bis 1968 wegen Heirat erstattet wurden, auch für Frauen, die jetzt nicht mehr versicherungspflichtig sind. Wenn diese Rentenreform, meine Damen und Herren, so wie sie jetzt vorliegt, beschlossen wird, dann haben wir ein Rentensystem geschaffen, das sich selber steuert. Es ist nicht mehr auf die jährlichen Rentenentscheidungen, es ist nicht mehr auf Intervention des Gesetzgebers angewiesen. Es ist reagibel genug, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen. Niemand kann vorrechnen, wie die Belastungen im Jahre 2030 sein werden. Wer das versuchen würde, der würde Prognosen mit Wahrsagerei verwechseln. Wir schaffen ein System, das auch auf unterschiedliche Bedingungen reagibel antworten kann. Wir sagen nicht bis ins Jahr 2030 voraus - das wäre eine Überschätzung der Politik - , aber wir schaffen ein System, das antworten kann, ({32}) das sich selber steuert: höhere Beiträge - niedrigere Rentenanpassung, niedrigere Rentenanpassung - höherer Bundeszuschuß, ein System, das sich selber ins Gleichgewicht bringt. Es ist ein Regelkreis, der sich selbst steuert, eine Rentenversicherung, die vom Gesetzgeber unabhängiger wird. Ich finde, das ist ein wichtiger Beitrag zur Rentensicherheit. Das ist ein vertrauensbildender Beitrag, was unsere Rentenversicherung angeht. ({33}) Die Rentner müssen wissen: Ihre Rente ist sicher. Lassen Sie sich durch niemanden verunsichern! Keine Rente wird gekürzt. Für Neuzugänge gibt es Übergangslösungen. Wir handeln rechtzeitig und verantwortlich. Wir haben die Rente - und dazu haben viele beigetragen - aus dem parteipolitischen Streit herausgebracht. Ich ermuntere uns alle, diese Anstrengungen auch bei der Gesetzgebung nicht aufzugeben - die Anstrengungen, die diesen Anfang möglich gemacht haben - und die Rentenreform mit großer Gemeinsamkeit zu Ende zu bringen. Die alten Mitbürger haben das verdient. Es ist jetzt eine Generation in Rente, deren Angehörige die schlimmsten Erlebnisse dieses Jahrhunderts in ihrem Leben zu verarbeiten hatte: zwei Weltkriege. ({34}) Sie haben es verdient, daß sie ihre Rente ohne Angst und Unsicherheit genießen können. ({35}) Unser Konsens zielt auch auf einen Beitrag der jungen Generation zu dem Lebensschicksal derjenigen, die jetzt in Rente sind. Ich ermuntere uns, auch im Gesetzgebungsverfahren allen kleinen parteitaktischen Spielen zu widerstehen. Behandelt diesen Ren9734 tenkonsens nicht wie einen Steinbruch, aus dem sich jeder das Material herausholt, das für seine Bedürfnisse am besten ist. Ich verteidige den Konsens in allen seinen Teilen - Konsens ist Konsens. Ich verteidige ihn in seinem Teil der Konsolidierung, wo Einschränkungen notwendig waren; ich verteidige ihn in dem Teil des sozialen Ausgleichs. Im übrigen muß ich sagen: Konsolidierung ist auch sozial; denn sichere Renten sind das Sozialste. ({36}) Ich verteidige ihn in beiden Teilen. Wir hätten dem Konsens und seiner Attraktivität einen schweren Schaden zugefügt, wenn jetzt kleinlich von parteipolitischen Buchhaltern ausgewertet würde, wer was bringt. Ich bedanke mich am Ende dieser Einbringung ausdrücklich bei der sozialdemokratischen Opposition für ihre Mitwirkung. Ich weiß, daß das keiner Opposition leichtfällt. ({37}) - Ihnen kann ich leider keinen Dank abstatten. Aber Sie können noch beitreten. Man soll der Gnade Gottes nie Grenzen setzen. ({38}) Auch Sie können sich diesem Konsens bei den Koalitionsparteien anschließen. Ich glaube, der heutige Tag ist ein guter Tag für die Sozialpolitik, ist ein guter Tag für die Rentner. ({39})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler. ({0})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rentenreform 1992, deren parlamentarischer Weg heute mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD und Koalitionsfraktionen und mit einer gemeinsamen Resolution zur Reform der Beamtenversorgung beginnt, hat eine lange Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte ist zum Verständnis des Rentenkonsenses unerläßlich. Die Vorgeschichte beginnt mit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Kohl und Arbeitsminister Blüm. Die Regierung Helmut Schmidt hat ihnen eine Rücklage der Rentenversicherung von 20,5 Milliarden DM hinterlassen. ({0}) Das entsprach 2,1 Monatsausgaben. Das war der Stand zum Jahresende 1982. Das war der Stand, als Arbeitsminister Heinz Westphal das Arbeitsministerium verließ. Im letzten Rentenanpassungsbericht der Regierung Helmut Schmidt - das war im April 1982 ({1}) registrierten wir bei der günstigsten Variante in der 15-Jahres-Rechnung einen Überschuß von 106 Milliarden DM. ({2}) - Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, der bekannte Schriftsteller Egon Erwin Kisch hat ein Buch geschrieben, dessen Titel heißt „Nichts ist erregender als die Wahrheit". Ich stelle fest, der Titel trifft wohl auch auf diese Minute und damit auch auf Ihre Stimmungslage zu. ({3}) Ich wiederhole deshalb: Im letzten Rentenanpassungsbericht der Regierung Helmut Schmidt - das war im April 1982 - registrierten wir bei der günstigsten Variante in der 15-Jahres-Rechnung einen Überschuß von 106 Milliarden DM. ({4}) Die erste rentenpolitische Amtshandlung der neuen CDU/CSU-FDP-Koalition war die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit. Diese Operation, die wir mit dem gemeinsamen Reformgesetz wenigstens zu 50 % wiedergutmachen, kostete die Rentenversicherungsträger alljährlich runde 5 Milliarden DM, von 1983 bis 1987 aufsummiert und ohne Zinseffekt nicht weniger als 26 Milliarden DM. Bis 1994 werden weitere 28 Milliarden DM Einnahmeverlust hinzukommen. Der Einnahmeausfall allein durch diesen Eingriff kostet im Berechnungszeitraum nicht weniger als 54 Milliarden DM.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber natürlich.

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dreßler, wären Sie bereit, einzuräumen, daß es kein Buch dieses Titels von Egon Erwin Kisch, sondern nur einen Satz in einem seiner Beiträge gibt, ({0}) die im übrigen im wesentlichen auf erfundenen Geschichten beruhten? ({1})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Klein, ich bin nicht bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich lade Sie deshalb in mein Wohnzimmer in Wuppertal ein. Dort werden Sie in meinem Bücherregal einen Doppelband von Egon Erwin Kisch mit dem Titel „Nichts ist erregender als die Wahrheit" finden. ({0}) Das Vermögen der Rentenversicherungsträger wurde nach der „Wende" unter der Verantwortung des Arbeitsministers Blüm bis Ende 1984 um 10,8 auf 9,8 Milliarden DM abgebaut. Im Verlauf des Jahres 1984 mußten - das war historisch einmalig in der Bundesrepublik - die Renten mit kurzfristigen Kassenkrediten finanziert werden. Die Schwankungsreserve unterschritt in diesem Jahr die vorgeschriebene Mindesthöhe von einer Monatsausgabe. Nicht weniger als vier Sparoperationen waren notwendig, bis die jetzige Bundesregierung das selber aufgerissene Loch einigermaßen stopfen und die Rentenfinanzen wenigstens mittelfristig einigermaßen stabilisieren konnte. Unter anderem mußten die Beitragssätze, ausgehend von 18,5 % im Jahr 1982, vorübergehend bis 19,2 % erhöht werden. Die Rentner wurden zur Kasse gebeten, und zwar mit der Verschiebung des Anpassungstermins vom 1. Januar auf den 1. Juli, mit der Aktualisierung der Rentenformel und mit dem Eigenbeitrag der Rentner zur Krankenversicherung, der in der Ära des Arbeitsministers Blüm immerhin von 0 % auf 6,5 % geklettert ist. ({1}) Damit haben - wer wollte das bestreiten? - die Rentner erhebliche Opfer gebracht. Das wäre vielleicht zu rechtfertigen gewesen, wenn es der langfristigen Sicherung der Renten gedient hätte. ({2}) Das war aber nicht der Fall. Der Regierung ging es nur darum, ihre Umverteilungspolitik zu finanzieren. Dafür hat der Bundesfinanzminister die Rentenversicherung angezapft, und der zuständige Arbeitsminister hat sich in diesen Jahren nicht dagegen gewehrt; er hat dies zugelassen. ({3}) Die Rentner und Beitragszahler mußten dafür bezahlen. Wertvolle finanzielle Reserven, die eigentlich zur langfristigen Stabilisierung der Alterssicherung benötigt worden wären, sind auf diese Weise verspielt worden. Der letzte Rentenanpassungsbericht der Regierung Kohl summiert unfaßbare Größenordnungen. In der 15-Jahres-Rechnung fehlen im günstigsten Fall 345 Milliarden DM. Ein Überschuß von 106 Milliarden DM wird nach sechs Jahren zu einem Defizit von 345 Milliarden DM. ({4}) Wegen ihrer grundlegenden finanzpolitischen Fehlentscheidungen hat die Bundesregierung die schon seit Jahren dringend notwendige Strukturreform der Rentenversicherung buchstäblich auf die letzte Minute verschoben. Es blieb vielmehr der SPD überlassen, aus der Oppositionsrolle heraus eine Konzeption für die umfassende Reform der Alterssicherung zu erarbeiten und bis zur Gesetzgebungsreife zu entwickeln. ({5}) Das haben wir mit unserem Rentenreformgesetz vom Dezember 1984 und unserem Sozialpolitischen Programm getan. Im Sommer 1985 hat die Koalition im Bundestag unseren Gesetzentwurf noch abgelehnt, ohne ihn überhaupt ernsthaft zu diskutieren. Heute legen wir zusammen mit den Koalitionsfraktionen einen neuen Gesetzentwurf vor, der in den wichtigsten und entscheidenden Punkten mit jener damals von der Koalition abgelehnten Vorlage der SPD-Bundestagsfraktion übereinstimmt. Deshalb wäre es völlig falsch, in dem Rentenkonsens ein Signal zu sehen, daß sich die SPD dem bisherigen sozialpolitischen Kurs der Regierung angenähert und ihre Kritik abgeschwächt hätte. Das ist nicht der Fall. Wir werden weiterhin die Sozialpolitik der Regierung dort, wo es notwendig ist, hart kritisieren. ({6}) Wir werden weiterhin dafür sorgen, daß die großen Kahlschläge der letzten Jahre ebensowenig vergessen werden wie die sogenannte Gesundheitsreform. Die SPD schwenkt nicht auf die Regierungslinie ein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Rentenreform 1992 wird in zentralen Punkten sozialdemokratische Handschrift tragen. Die wesentlichen Elemente entstammen unserem Gesetzentwurf von 1984 und den sozialpolitischen Beschlüssen des Münsteraner Parteitags der SPD von 1988. ({7}) - Das ist objektiv nachprüfbar. Erstens. Das systematisch Wichtigste an der Rentenreform ist der Grundsatz, daß die Lasten der Verschiebungen im Bevölkerungsaufbau in sozial ausgewogener Verteilung von Rentnern, von Beitragszahlern und vom Staat getragen werden sollen. Mit unserem gemeinsamen Entwurf wird dieses Prinzip verwirklicht. Aber zum ersten Mal wurde dieser Grundsatz im Gesetzentwurf der SPD von 1984 formuliert. Zweitens. Der Grundsatz der sozial ausgewogenen Lastenverteilung verlangt vor allem eine steigende Beteiligung des Bundes am demographischen Risiko der Alterssicherung. Die neue Bundeszuschußformel im neuen Gesetzentwurf der drei Fraktionen, nach der die staatlichen Finanzierungsmittel nicht nur nach dem Pro-Kopf-Einkommen, sondern auch entsprechend der Beitragssatzentwicklung steigen, entspricht haargenau dem SPD-Entwurf von 1984. Durch unseren Druck wird der Bundeszuschuß um 2,3 Milliarden DM heraufgesetzt. Wir hatten uns mehr gewünscht; das ist wahr. Dazu war die Koalition nicht bereit. Aber ab 1992 werden außerdem die bis heute gesondert berechneten Erstattungen des Bundes für Kindererziehungszeiten - das sind nach heutiger Schätzung voraussichtlich 4,9 Milliarden DM - in den pauschalen Bundeszuschuß übernommen. Da der Bundeszuschuß nach der neuen Dynamisierungsformel schneller steigt als die tatsächlichen Aufwendungen für Kindererziehungszeiten, erzielt die Rentenversicherung aus dieser Änderung des Finanzierungssystems erhebliche Mehreinnahmen. Diese Mehreinnahmen übersteigen bis über das Jahr 2030 hinaus die Mehraufwendungen, die durch die Einführung eines zweiten und dritten Kindererziehungsjahres für Geburten ab 1. Januar 1992 ent9736 stehen werden. Insgesamt wird der Bundeszuschuß 1991 einen Finanzierungsanteil von über 20 % der Rentenausgaben - natürlich unter Einschluß der Leistungen für Kindererziehung - erreichen. Drittens. Aus dem Grundsatz der sozial ausgewogenen Lastenverteilung folgt auch die Rentenanpassung nach Maßgabe der Entwicklung der verfügbaren Arbeitseinkommen. Auch hier hat die SPD konzeptionell vorgearbeitet. Die neue Rentenformel im gemeinsamen Entwurf der drei Fraktionen entspricht weitgehend der Formulierung im SPD-Entwurf von 1984. Viertens. Systematisch ebenso wichtig wie der Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit und die stärkere Bundesbeteiligung ist der automatische Regelmechanismus. Entscheidend ist dabei, daß der Gesetzgeber künftig nicht von Fall zu Fall neu darüber entscheiden soll, wie Finanzierungslücken zu schließen sind, sondern es soll eine grundsätzliche Weichenstellung getroffen werden, nach welchem Lastenverteilungsverfahren künftig bei Störungen des finanziellen Gleichgewichts zu verfahren ist. Die konkrete Umsetzung, d. h. die Festlegung der jährlichen Rentenanpassung und des Beitragssatzes, soll dann Rechtsverordnungen der Bundesregierung überlassen werden. Damit ziehen wir die Lehre aus der inzwischen mehr als 12jährigen Geschichte von tagespolitisch motivierten Eingriffen, von Rentensanierungen und Verschiebeaktionen. ({8}) - Wir sind froh, Herr Kolb, daß Sie, nachdem Sie, auch Sie selbst, genau das 1984/85 hier niedergestimmt haben, endlich begriffen haben, daß das der richtige Weg war, den wir schon 1984 vorgeschlagen haben. ({9}) Wir sind deshalb froh, daß dieser Grundsatz der Regelungsautomatik jetzt gesetzlich verankert wird. Er stammt - ich wiederhole das - nachweisbar aus dem Gesetzentwurf der SPD von 1984. Fünftens. Daß die Rentenversicherungsbeiträge, die die Bundesanstalt für Arbeit für Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zahlt, nach dem gemeinsamen Gesetzentwurf deutlich erhöht werden, entspricht einer jahrelangen Forderung der SPD. Wir haben in den vergangenen Jahren darauf gedrängt, daß der Kardinalfehler, den die jetzige Koalition Ende 1982 begangen hat, wieder korrigiert wird. Wir bedauern allerdings, daß wir auf halbem Weg stehenbleiben und die Beiträge künftig nur nach 80 statt nach 100 % des entgangenen Bruttolohnes berechnet werden, und wir bedauern auch, daß damit nach wie vor gewisse Rentennachteile für Arbeitslose verbunden sind, die wir nur mit erheblichen Bauchschmerzen akzeptieren können. Abgemildert haben wir die Rentennachteile dadurch, daß sie nicht am 1. Januar 1992 in Kraft treten, wie von der Koalition vorgesehen, sondern erst 1998 - vermindert - wirksam werden. Wir sehen dennoch vor allem im Gesamtzusammenhang des Gesetzes in der Änderung einen Erfolg wegen der erheblichen finanziellen Stabilisierung der Rentenversicherung gegenüber dem Arbeitsmarktrisiko. Sechstens. Vor allem die Verbesserung der Renten nach Mindesteinkommen, die es nach dem gemeinsamen Gesetzentwurf ab 1992 geben wird, ist ein Stück sozialdemokratischer Reformpolitik. ({10}) Wir haben, meine Damen und Herren, immer gesagt, daß eine Rentenreform, die den Rentnern auch einen verminderten Rentenanstieg zumuten muß, der Flankierung durch Verbesserungen für Bezieher niedriger Renten bedarf. Dieser Einsicht haben wir nun zum Durchbruch verholfen: Der Personenkreis, der am 1. Januar 1992 eine Rentenverbesserung erhalten wird, wird annähernd 1 Million Rentnerinnen und 163 000 Rentner umfassen. ({11}) Den Umfang der potentiellen Verbesserungen illustriert, Frau Kollegin Unruh - weil Sie ja auch dagegen immer polemisieren -, ({12}) der Vergleich zwischen einer Rente mit 50 % des Durchschnittseinkommens und 40 Versicherungsjahren mit und ohne Rente nach Mindesteinkommen. ({13}) Die Verbesserung macht, berechnet nach dem Stand des ersten Halbjahres 1989, nicht weniger als 373 DM monatlich aus. ({14}) Die Erweiterung der Renten nach Mindesteinkommen von 1973 bis 1991, Frau Beck-Oberdorf, für eine Rente mit 50 % Durchschnittseinkommen, also im genau jetzt verhandelten neuen Berechnungszeitraum, bedeutet nicht weniger als 177 Deutsche Mark - allein in diesem Zeitraum! ({15}) Meine Damen und Herren, allein wegen dieses Punktes hat sich die Beteiligung der SPD am Rentenkonsens für viele Menschen mit Niedrigrenten gelohnt, allein wegen dieses Punktes! ({16}) Beim Rentenkonsens zählt für die SPD aber nicht nur, in welchem Umfang unser eigenes Programm umgesetzt wurde. Wichtig ist auch, was an Einschnitten in die Substanz des Sozialstaates und an neuen Ungerechtigkeiten durch unsere Beteiligung verhindert werden konnte. Hier ist in erster Linie die Benachteiligung der Frauen zu nennen. Nach dem ursprünglichen Plan der Koalition wäre die Neuregelung der beitragslosen Zeiten, die in der Tat notwendig ist, zu einer massiven Umverteilung zu Lasten der Frauen geraten. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat die Rentenverschlechterungen für Frauen mit 3,2 % der Rentenausgaben im Gesamtdurchschnitt, bei den Arbeiterinnen gar mit 5,2 % errechnet. Es ist in den Verhandlungen gelungen, diese Verschlechterungen praktisch völlig zu beseitigen, und zwar hauptsächlich durch eine Veränderung der Bewertung der Berufsausbildungsjahre. Zusammen mit der Rente nach Mindesteinkommen ist aus einem Minus von 3,2 % jetzt ein Plus von 3,1 % für Frauen im Gesamtdurchschnitt geworden; für Arbeiterinnen wurde das Minus von 5,2 % in ein Plus von 5,9 To verändert. ({17}) Der andere Punkt, bei dem wir unvertretbare Verschlechterungen abwehren konnten, betrifft die Altersgrenzen. Nach Auffassung der SPD wäre im Zuge der Rentenreform eine Gesetzesänderung bei den Altersgrenzen besser unterblieben, weil man heute noch nicht wissen kann, wann genau auf dem Arbeitsmarkt die Voraussetzungen für höhere Altersgrenzen gegeben sein werden. Eine Resolution des Bundestages, durch die die Versicherten schon heute auf die Möglichkeit höherer Altersgrenzen nach der Jahrtausendwende hingewiesen worden wären, hätte unserer Auffassung nach genügt. In den Verhandlungen mußten wir aber feststellen, daß die Koalitionsparteien fest entschlossen waren, auf jeden Fall mit dem jetzigen Reformgesetz - notfalls gegen die SPD - die Erhöhung der Altersgrenzen durchzusetzen. Die Koalitionsparteien wollten mit der Erhöhung schon 1995 beginnen. Um der Gemeinsamkeit willen waren sie aber bereit, den Start der Erhöhung um sechs Jahre auf das Jahr 2001 zu verschieben und auch das Tempo der schrittweisen Erhöhung zu verlangsamen. In dieser Situation stand die SPD vor der Wahl, entweder der Erhöhung der Altersgrenzen im Prinzip jetzt zuzustimmen und dafür als Gegenleistung substantielle Verbesserungen zu erreichen oder aber den Rentenkompromiß grundsätzlich scheitern zu lassen und damit in Kauf zu nehmen, daß die Regierungsseite ihre weitergehenden Absichten zur Erhöhung der Altersgrenzen verwirklicht. Meine Damen und Herren, im Interesse der betroffenen Menschen hat sich die SPD für die erste Möglichkeit entschieden. Nach der schließlich gefundenen Kompromißlösung werden die Altersgrenzen erst volle acht Jahre später, als die Koalition es ursprünglich geplant hat, das 65. Lebensjahr erreicht haben. Bei der flexiblen Altersgrenze wird dies erst ab 2006, bei der besonderen Altersgrenze für Frauen erst ab 2012 der Fall sein. ({18}) - Ja, Kollegin Unruh, wäre man Ihnen gefolgt, wären die Frauen schon ab 2004 bei 65 Jahren gelandet. Das hielt die SPD allerdings für unverantwortlich. ({19}) Das mögen Sie verantworten, das mag die Fraktion der GRÜNEN verantworten, Frau Unruh! Die SPD verantwortet das nicht. ({20}) Die besondere Altersgrenze für Schwerbehinderte mit dem 60. Lebensjahr bleibt unverändert und ohne versicherungsmathematische Abschläge. Das gleiche gilt für die Altersgrenze für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute. Beides ist ebenfalls ein Ergebnis der Kompromißverhandlungen. ({21}) Die SPD-Fraktion meint, daß mit diesen Änderungen die Erhöhung der Lebensarbeitszeit vertretbar ist. Vor allem ist sichergestellt, daß die Altersgrenzen erst dann heraufgesetzt werden, wenn keine schädlichen Folgen für den Arbeitsmarkt zu befürchten sind. Von der Verschiebung der Altersgrenzenerhöhung profitieren mehrere Rentenzugangsjahrgänge. Für mindestens 800 000 Personen mehr wird sich dadurch an der flexiblen Altersgrenze, wie wir sie heute kennen, nichts ändern. Gleichwohl wurde vereinbart, daß vom Jahre 1997 an der jährliche Rentenanpassungsbericht Aussagen darüber enthalten muß, wie sich die vom Jahre 2001 an wirkende Anhebung der Altersgrenzen auf die Arbeitsmarktlage, auf die Finanzlage der Rentenversicherungen und auf andere öffentliche Haushalte auswirkt. Damit wird dem ohnehin autonomen Parlament zusätzlich eine Grundlage gegeben, einer eventuell unveränderten Arbeitsmarktlage durch Korrekturen zu entsprechen. Bei der gemeinsamen Rentenreform von SPD, CDU/ CSU und FDP handelt es sich sehr wohl um ein historisches Ereignis. Ein historisches Ereignis ist es vor allem für die politische Kultur unseres Landes. ({22}) Es zeigt sich, daß die in hartem Konkurrenzkampf stehenden politischen Parteien taktische Erwägungen zurückstellen können, wenn es um eine gesellschaftspolitische Reform geht, bei der langfristige Beständigkeit und Verläßlichkeit besonders wichtig sind, ({23}) bei der es für alle Betroffenen schlimm wäre, wenn das Maßnahmenpaket nach jedem Wechsel der politischen Konstellation wieder aufgeschnürt würde. ({24}) Trotzdem handelt es sich auch bei der Rentenreform nur um eine begrenzte Zusammenarbeit in einer einzelnen, wenn auch gesellschaftspolitisch besonders wichtigen Sachfrage. Damit sind die unterschiedlichen politischen Leitvorstellungen und auch unsere Differenzen in Grundsatzfragen der Alterssicherung nicht verschwunden. Wenn wir hier jetzt in der Rentenpolitik auch ein Stück gemeinsame Wegstrecke zurücklegen werden, so werden sich die Wege der SPD und der Koalition doch wieder trennen. Für die SPD ist die Reform der Alterssicherung nicht mit dem erledigt, was die Koalitionsparteien „Reform im bestehenden System" nennen. Auch wir sind zwar für die Erhaltung der lohn- und einkommensbezogenen Lebensstandardsicherung im Alter; aber wir be9738 trachten darüber hinaus Struktur- und systemverändernde Reformen für unerläßlich. ({25}) Vor allem nennen wir die soziale Grundsicherung und den Wertschöpfungsbeitrag. ({26}) In der heutigen Sozialversicherung kann im Alter bei Invalidität und bei Arbeitslosigkeit nicht in jedem Einzelfall eine Geldleistung garantiert werden, die zur Sicherung des Existenzminiums ausreicht. ({27}) In zahlreichen Fällen muß ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen werden. Dies ist nicht nur für die Betroffenen unbefriedigend, sondern führt auch zur übermäßigen Beanspruchung der kommunalen Finanzen ({28}) und der Sozialhilfe, die ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich Einzelfallhilfe in besonderen Problemlagen zu sein, immer weniger gerecht werden kann. Deshalb streben wir Sozialdemokraten eine umfassende soziale Grundsicherung an, die im Alter, bei Invalidität und bei Arbeitslosigkeit einen angemessenen Grundbedarf deckt, ohne daß Sozialhilfe gezahlt werden muß. Die Leistungen der Renten- und Arbeitslosenversicherung sollen beitragsbezogen bleiben. Wo aber die beitragsbezogenen Leistungen nicht ausreichen, sollen sie auf einen Betrag aufgestockt werden, der dem Grundbedarf entspricht. Darüber hinaus fordern wir, die Beiträge der Arbeitgeber zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit auf eine erweiterte Grundlage zu stellen, um eine einseitige Belastung des Faktors Arbeit durch die Kosten der sozialen Sicherung zu vermeiden und die Unternehmen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der sozialen Sicherung heranzuziehen. Dies ist keine Rationalisierungs- und Investitionsstrafsteuer, sondern eine Maßnahme, um die Wettbewerbsgleichheit zwischen lohn- und kapitalintensiver Produktion zu fördern und die Finanzierung der Sozialleistungen zu sichern. ({29}) - Herr Kolb, als Sie noch Vorsitzender des Bundesverbandes der Selbständigen waren, hat auf der Titelseite Ihres Zentralorgans ein Kommentar gestanden. Dieser Kommentar befaßte sich mit dem Wertschöpfungsbeitragsentwurf der SPD. Dieser Kommentar hielt das, was ich gerade hier vorgetragen habe, in Ihrem Verband schon vor drei Jahren für überfällig. Sie sollten sich einmal in Ihrem eigenen Verband schlau machen. ({30}) Nach dem Vorschlag der Sozialdemokraten sollen deshalb die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nicht mehr allein an der Lohnsumme, sondern an der gesamten betrieblichen Bruttowertschöpfung bemessen werden. Die Arbeitnehmerbeiträge bleiben vom Wertschöpfungsbeitrag in jedem Falle unberührt. Sie bleiben weiterhin lohnbezogen. Damit ist auch die Leistungsbezogenheit der Renten weiterhin gewährleistet. An diesen beiden zentralen Punkten werden wir unverändert festhalten. Sie sind keine Veränderung im System, sondern eine Ergänzung, eine notwendige Ergänzung des bestehenden Systems. Meine Damen und Herren, diese Positionen werden wir wegen des gemeinsamen Rentengesetzentwurfs - ich weise noch einmal nachdrücklich darauf hin - nicht aufgeben. Wir werden sie weiterhin mit allem Nachdruck vertreten. Dies soll uns aber nicht daran hindern, trotz des Trennenden das Gemeinsame heute übereinstimmend zu verwirklichen. Ich danke Ihnen. ({31})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zeiten, in denen Zuwächse - nach dem Motto „Allen wohl und niemand weh" - verteilt werden konnten, sind auch in der Rentenversicherung vorbei. Das, verehrter Herr Kollege Rudolf Dreßler, wissen und wußten alle, die sich seriös mit dieser Materie beschäftigen, seit vielen, vielen Jahren, seit Mitte der '70er Jahre. Der Konsolidierungsbedarf ist eigentlich von niemandem ernsthaft bestritten worden. ({0}) Ich möchte noch einmal herausstellen, daß es auch das Ziel sein muß, solidarische Absicherung, Zusatz- und Eigenvorsorge besser als bisher aufeinander abzustimmen. Die Liberalen haben ihre Zielvorstellungen zur Alterssicherung in der liberalen Sozialpolitik in den 32 Thesen 1979 festgelegt. Lieber Rudolf Dreßler, bei allem Respekt für die Notwendigkeit der Ausführungen, die Sie hier heute morgen gemacht haben: Das Jahr 1979 liegt vor dem Jahr 1984. ({1}) Wir forderten damals, daß die Lasten, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, auf Beitragzahler, Steuerzahler und Rentner verteilt werden sollten, wir forderten damals nettoähnliche Anpassungen, wir verlangten damals flexiblen Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand sowohl in der Form vorgezogener Altersrente - dann aber ohne zusätzliche Belastung der Solidargemeinschaft - als auch im Rahmen von Teilrente und Teilzeitarbeit. Die Liberalen haben damals entsprechende Bewertungen der für Lohnersatzzeiten, z. B. Arbeitslosigkeit, gezahlten Beiträge auch bei den Leistungen der Rentenversicherung verlangt. Deckungsgleichheit für diesen Bereich habe ich von diesem Pult zigmal verlangt. ({2}) Cronenberg ({3}) - Aber, gnädige Frau Unruh, auch dies haben wir getan. Dieser Punkt der Kritik ist Ihnen leider nicht verblieben. Man höre und staune: Auch damals haben wir drei Jahre Kindererziehungszeiten verlangt, und die Abschaffung der unsinnigen Halbbelegung war eine Forderung der Liberalen 1979. Last but not least: Einen „verläßlichen, angemessenen Bundeszuschuß", so hieß es, haben wir verlangt. Mit allem Freimut sei darauf hingewiesen, daß diesen verläßlichen und angemessen hohen Bundeszuschuß durchzusetzen in der eigenen Fraktion fast so schwierig war wie beim Finanzminister. Es ist sehr, sehr schwer - auch das mögen die Kollegen der SPD berücksichtigen -2,3 Milliarden DM beim Finanzminister loszueisen. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, daß die Einbeziehung der Kindererziehungszeiten in den Bundeszuschuß nicht meinen uneingeschränkten Beifall findet. Ich nehme an, das wird niemanden, der die Materie kennt, überraschen. Meine Damen und Herren, bei der Verabschiedung der 32 Thesen 1979 hätte jedenfalls ich es mir nicht träumen lassen, daß ich zehn Jahre später das Vergnügen haben würde, gemeinsam mit den Kollegen der Union und der SPD einen Großteil unserer liberalen Forderungen als Rentenreformgesetz in den Bundestag einbringen zu dürfen. ({4}) Dies ist um so erstaunlicher, Herr Kollege Andres, als sowohl der damalige Oppositionssprecher und jetzige Arbeitsminister Norbert Blüm als auch die verantwortlichen Sozialpolitiker der SPD, insbesondere mein Freund Eugen Glombig, mit uns mehr als kritisch ins Gericht gegangen sind, als wir es wagten, das für sakrosankt erklärte System der bruttolohnbezogenen Anpassung in Frage zu stellen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage das heute morgen hier nicht aus Rechthaberei, ich sage das auch nicht, um etwa die Konsensstimmung zu stören, sondern ich sage dies, um zu beweisen, daß das ständige Wiederholen gut begründeter Positionen auch bei den konkurrierenden Parteien seinen Eindruck nicht verfehlt. Im Gegensatz zu manchen Veröffentlichungen gibt es - so zeigt dieses Beispiel - also nicht nur Betonköpfe, die immer auf den politischen Gegner eindreschen, sondern es gibt in diesem Parlament durchaus Männer und Frauen, die bereit sind, Argumente zu prüfen, abzuwägen und auch zu übernehmen. ({5}) In der Politik, Frau Kollegin Unruh, ist im Gegensatz zur Schule Abschreiben nicht nur nicht verboten, sondern geradezu erwünscht; ich möchte es Ihnen persönlich sogar empfehlen. ({6}) Dies zeigt, daß wir auch in der Sozialpolitik Vorreiterrollen übernehmen können und, wenn es nottut, nicht vor unbequemen Vorschlägen zurückschrecken. An der Notwendigkeit der Rentenreform besteht überhaupt kein Zweifel. Norbert Blüm und Rudolf Dreßler haben das noch einmal begründet. Aber die notwendigen Maßnahmen müssen auch rechtzeitig im Interesse der nächsten Rentner- und Aktivgeneration auf den Weg gebracht werden, und das geschieht heute. Bei der Rentenreform dürfen wir weder auf den nächsten Wahltag schielen, noch ist parteitaktische Profilierung angezeigt. ({7}) Ich wünsche mir, daß jeder von uns, daß wir alle das Allgemeinwohl für wichtiger als das Parteiwohl halten. Die Rentenreform wird auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, im weiteren Verfahren kein Spaziergang sein. Die einen wollen Besitzstände erhalten, die anderen wollen eine Einheitsrente. Beides ist falsch. ({8}) Gefragt ist die Renovierung der Rentenversicherung, und das beitrags- und leistungsbezogene Umlagesystem muß für die Zukunft wetterfest gemacht werden. ({9}) Ohne eine erfolgreiche Wirtschaft ist sozialer Fortschritt nicht möglich. Immer rascher steigende Sozialausgaben und damit immer höhere Abgaben gefährden die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, und damit ist auch die Beschäftigung in den Betrieben gefährdet. Ohne eine leistungsfähige Wirtschaft, ohne Wachstum, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, ({10}) sind auch soziale Leistungen nicht zu bezahlen. Dies sei Ihnen, Frau Unruh, als Kritiker des Wachstums ins Stammbuch geschrieben. Wir, die FDP-Fraktion, stimmen dem Konsens zu. Ich bin froh über dieses Ergebnis und sage dies auch all denjenigen aus der Union und aus der SPD und auch all denjenigen aus der eigenen Fraktion, die mich immer davor gewarnt haben, viel Zeit und Geduld in dieses - Ihrer Meinung nach unsinnige - Unterfangen zu investieren. Ich war auch deshalb in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zum Konsens zu leisten, weil ich die verhandelnden Kollegen aus den anderen Fraktionen seit vielen Jahren kannte, und ich wußte, daß Norbert Blüm und Rudolf Dreßler, Günther Heyenn und Horst Günther, Horst Seehofer und Jürgen Egert, der heute morgen nicht hier ist, und auch mein Kollege Ulrich Heinrich, der sich so schnell in die Materie eingearbeitet hat, ({11}) mit viel gutem Willen, Frau Kollegin, an diese Arbeit herangegangen sind. Ich wußte, daß sie den redlichen Versuch unternehmen wollten, zum Konsens zu kommen, und sich dabei bewußt waren, welche Grenzen der Umsetzung von Parteiprogrammen gesetzt sind. Cronenberg ({12}) Aber unabhängig davon hat der Konsens seinen eigenen Wert; denn eine breite Akzeptanz auf der politischen Ebene für das beitrags- und leistungsbezogene Rentensystem fördert das Vertrauen in das System. So gesehen ist die breite Zustimmung der Fraktionen ein Beitrag zur Stabilisierung des Systems an sich. ({13}) Man muß darauf hinweisen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns nicht in der dritten, sondern in der ersten Lesung befinden. Wir müssen das so gut begonnene gemeinsame Werk auch gut zu Ende führen. Dabei - ich sage das in aller Eindringlichkeit an alle - darf sich niemand die Rosinen aus diesem Kuchen herauspicken. Auf gut sauerländisch heißt es hier und muß es auch heißen: mitgegangen, mitgefangen. ({14}) Das sei selbstkritisch auch der eigenen Fraktion gesagt, die den Verzicht auf die vorgesehene Senkung des Beitragssatzes um 0,2 % nicht gerade mit Begeisterung akzeptiert hat. Es versteht sich auch von selbst, daß die eigenen Positionen, die sich nicht haben durchsetzen lassen, nicht aus der politischen Programmatik gestrichen werden. Selbstverständlich werden alle diese Positionen weiter vertreten, aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, damit darf das Konsensergebnis nicht in Frage gestellt werden. ({15}) - Lieber Kollege Seehofer, eine solche sinnvolle und notwendige Forderung kann ja in anderem Zusammenhang als im Zusammenhang mit der Rentenversicherung die Zustimmung auch der CSU finden. Die auf uns zukommenden Belastungen müssen von allen, Steuerzahlern, Beitragszahlern und Rentnern, gemeinsam getragen werden. Mit der maßvollen Steigerung der Beitragssätze, der deutlichen Erhöhung des Bundeszuschusses und der Einbeziehung der Rentensteigerungen haben wir erreicht, daß alle den notwendigen und, so meine ich, auch zu verkraftenden Beitrag erbringen. Um Mißverständnisse von vornherein auszuschließen, sei noch einmal klar und deutlich betont: Die Renten werden nicht gekürzt; sie werden in einer Reihe von Fällen sogar verbessert. Allerdings: In dem Umfang, in dem Kinder und Enkel als Beitragszahler verstärkt zur Kasse gebeten werden, steigen die Renten langsamer. Die gegenseitige Verknüpfung von Beitragssatz, Renten und Bundeszuschuß trägt zur Stabilisierung der Rentenversicherung bei. ({16}) Wie Rudolf Dreßler richtig ausgeführt hat, versuchen wir mit dieser Automatik, die Renten und die Rentendiskussion aus der Tagespolitik herauszuhalten. Ich hoffe, daß uns das auch gelingen wird. Ein wichtiger unserer Programmatik entsprechender Punkt ist die Anpassung der Altersgrenzen. Wir alle wissen um die demographischen Probleme. Während wir 1960 noch 16 Millionen Jugendliche unter 20 Jahren und fast 9 Millionen ältere Mitbürger über 60 Jahre hatten, werden es im Jahre 2000 noch etwa 12 Millionen Jugendliche und mehr als 14,7 Millionen ältere Mitbürger sein. Die derzeitigen Prognosen der demographischen Entwicklung signalisieren einen weiteren Zuwachs der Zahl der älteren Mitbürger und einen deutlichen Rückgang bei den Jugendlichen. ({17}) - Frau Kollegin Unruh, auch Ihre dauernden Zwischenrufe und Ihre Hinweise auf die Beamten werden Sie nicht davon befreien, einem Entschließungsantrag zuzustimmen, den die drei Fraktionen hier gemeinsam vorgelegt haben. Dann wird das von Ihnen gewünschte Ziel perfekt erreicht. ({18}) Aber Prognosen können auch anders verlaufen. Ich will hier nur die Stichworte EG-Binnenwanderung und Aussiedler nennen. Wohlwissend, daß letzteres ein Reizthema ist, möchte ich nicht auf den Hinweis verzichten, daß die Altersstruktur der zu uns kommenden Aussiedler für die Rentenversicherung positiv und nicht negativ ist, wie uns immer darzustellen versucht wird. ({19}) Einer der Gründe für die notwendige Anpassung ist die erfreuliche Verlängerung der Lebenserwartung, allerdings mit der Konsequenz, daß die Rentenlaufzeiten eben steigen. Späterer Berufseintritt ist eine Folge verlängerter und - so hoffe ich - auch verbesserter Ausbildung. Denn gerade unser rohstoffarmes und exportorientiertes Land lebt davon, daß es bestens qualifizierte und bestens ausgebildete Fachkräfte hat: Facharbeiter, Handwerker, Ingenieure, um nur einige zu nennen. Je besser unsere Arbeitnehmer ausgebildet sind, desto wettbewerbsfähiger sind wir im internationalen Wettbewerb. Diese Menschen müssen - auch um ihrer Selbstverwirklichung willen - auch länger arbeiten können, damit wir uns im internationalen Wettbewerb durchsetzen. ({20}) In der Diskussion um die Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen kann aber auch das Thema Verkürzung der Arbeitszeit nicht ausgespart werden. Verehrte Kollegen, es ist nicht daran zu rütteln: Von immer längerem Urlaub, immer kürzerer Wochenarbeitszeit, immer stärker abnehmender Lebensarbeitszeit werden keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. ({21}) Die wettbewerbliche Attraktivität der deutschen Wirtschaft, Kollege Urbaniak, leidet auch, wenn Investitionen durch eine Maschinensteuer, vornehm Wertschöpfungsabgabe genannt, belastet werden. ({22}) Cronenberg ({23}) Bei den Beratungen über den Zeitpunkt der notwendigen Anhebung vorgezogener Altersgrenzen hat auch die unterschiedliche Einschätzung der Beschäftigungslage eine gewisse Rolle gespielt; mit Recht ist darauf hingewiesen worden. Die Prognosen sind zugegebenermaßen schwer. Dennoch ist und war eine definitive Festlegung notwendig - ich will die Argumente noch einmal wiederholen - , damit sich der einzelne unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes darauf einstellen kann, damit sich der Betrieb darauf einstellen kann, entsprechende Arbeitsplätze vorsehen kann und dies bei der Weiterbildung und Rehabilitation entsprechend berücksichtigen kann, damit die künftige Entwicklung der Rentenversicherung zuverlässig absehbar ist - das ist für den Rentenanpassungsbericht notwendig - , damit die Rentenversicherung langfristig entlastet wird und damit auch die strukrurellen Arbeitsmarktprobleme, also auch die Probleme des unbestritten immer stärker werdenden Facharbeitermangels, bewältigt werden können. Der guten Ordnung halber sei daran erinnert, daß z. B. in den Vereinigten Staaten diese Maßnahmen schon beschlossen sind. Dort gibt es übrigens eine Lebensarbeitszeitverlängerung auf 67 Jahre. Die Summe aller Maßnahmen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wird nach meiner Einschätzung für den vorgesehenen überschaubaren Zeitraum eine ausreichende Finanzierung und Stabilisierung unserer Rentenversicherung sicherstellen. Für weite Teile unserer Bevölkerung ist nach 40 Jahren Frieden und oft mehreren Erbschaften - viele Jugendliche erben ein Haus oder mehrere Häuser oder Eigentumswohnungen - ein erheblicher Wohlstand und ein hoher Lebensstandard erreicht worden. ({24}) - Ich habe von erheblichen Teilen unserer Bevölkerung gesprochen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen doch nicht leugnen, daß Sie in einem Land leben, in dem es einen erfreulich hohen Wohlstand, zu dem wir alle beigetragen haben, gibt. ({25}) Es ist doch unsinnig, dieses Land herunterreden oder schlecht machen zu wollen. Freuen Sie sich doch mit uns gemeinsam, daß es den meisten Menschen gut geht! ({26}) Aber es ist auch nicht zu leugnen - das betrifft alle Parteien - , daß zwischen Bevölkerung und Politik bzw. Politikern eine tiefe Vertrauenskrise besteht. Die Gründe sind vielfältiger Natur. Ein Grund ist, daß man nicht immer ehrlich genug miteinander umgeht und sich nicht traut, Notwendiges und Unpopuläres offen auszusprechen. Deswegen gestatten Sie mir an dieser Stelle ein paar Bemerkungen: Unser umlagefinanziertes Rentensystem wird auch in Zukunft die maßgebliche Basis für die Alterssicherung bilden. Wer aber den hohen, in den aktivsten Jahren erreichten Lebensstandard auch im Alter sichern will, muß zusätzliche Vorsorge treffen, muß um zusätzliches Alterseinkommen bemüht sein. Hierbei spielen Betriebsrenten, Direktversicherungen und Eigenvorsorge eine wichtige Rolle. ({27}) Deswegen sind wir aufgefordert, die Rahmenbedingungen für Direktversicherungen und für Eigenvorsorge günstiger zu gestalten. ({28}) Im besonderen gilt dies, Kollege Urbaniak, für die Betriebsrenten, bei denen wir schon seit mehreren Jahren bedauernd feststellen, daß sich der ursprünglich positive Trend ins Gegenteil verkehrt. Versorgungswerke werden geschlossen; Neugründungen finden nicht mehr statt. Hier besteht Handlungsbedarf. ({29}) - Das ist ein Trauerspiel gewesen, Herr Urbaniak. Ich bin gerne bereit, den Unsinn, daß der Pensionssicherungsverein alles, auch Überversorgung, abdeckt, mit Ihnen gemeinsam zu ändern. Wir werden Ihnen die Möglichkeit geben, uns Ihre Unterstützung für ein solches Projekt zu geben. Meine Damen und Herren, es bleibt noch viel zu tun. Ich möchte Sie abschließend auffordern, bei den anstehenden, sicherlich auch kontroversen Beratungen die gleiche Offenheit und die gleiche Fairneß zu zeigen, wie dies bei den bisherigen Beratungen der Fall war. Denn das, was wir heute vorgelegt haben, stellt, wie der Präsident des Bundessozialgerichts erklärt hat, ein sehr ausgewogenes, in sich geschlossenes Konzept dar und bildet eine ausgezeichnete Grundlage zur Lösung der Probleme der Alterssicherung über das Jahr 2000 hinaus. Für die gezeigte Kompromißbereitschaft und Flexibilität möchte ich noch einmal dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm sowie den Kollegen Dreßler, Heyenn, Egert, Günther, Seehofer und Heinrich sehr herzlich danken. Ich würde etwas versäumen, wenn ich an dieser Stelle nicht auch meinem Mitarbeiter Herrn Irlenkaeuser, der mich immer so gut gefüttert hat, daß ich allen Diskussionen bestens gewachsen war ({30}) - das hat er nicht aufgeschrieben, nein - , ein herzliches Dankeschön sagen würde. Ich hoffe weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit. ({31})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstens stelle ich fest: Wie Herr Cronenberg soeben noch einmal sehr deutlich dargelegt hat, ist diese Rentenreform in einer reinen Männerrunde ausgehandelt worden. Ich werde Ihnen darlegen, daß die Ergebnisse in der Tat damit auch etwas zu tun haben. Die Frauen kommen bei dieser Rentenrunde schlecht weg. Das ist eben immer so, wenn man die Männer unter sich läßt. ({0}) Zweitens. Herr Dreßler, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, hätte ich mir doch überlegt, was ich denn nun falsch gemacht habe. Denn daß Sie nun Lob von allen Seiten bekommen, sowohl von der FDP als auch von Herrn Blüm, das müßte Sie in der Tat doch etwas stutzig machen. Die Debatte um die Rente wird hier ja sehr schnell auf den Kampf um Prozente, Anrechnungsmodelle, Laufzeiten und Schwankungsreserven verkürzt. Uns GRÜNEN geht es aber um sehr viel mehr. Es geht um die Frage, wie mit dem Alter in dieser Gesellschaft umgegangen wird. Es geht um die Frage, was für Rechte, was für Lebensräume alten Menschen eingeräumt werden sollten, d. h. auch, ob wir Jungen uns darauf verständigen können, daß wir nie und nimmer von „Alterslast" oder von „Altersberg" reden und dementsprechend auch nicht versuchen, die Kosten für die Alten möglichst niedrig zu halten. Ausgangspunkt für die Debatte um die Versorgung der Alten muß deswegen die Frage sein: Was braucht ein Mensch, um in Würde alt zu sein? und nicht etwa: Was glauben wir für die Alten ausgeben zu können? ({1}) Die Chance, im Alter in Würde zu leben, hat viel mit unseren gesellschaftspolitischen Entscheidungen zu tun: mit unserer Wohnungspolitik, mit Bildungs- und kulturellen Angeboten, ja, selbst mit solchen Fragen wie Schönheitsidealen, wo nur die der Jungen und nicht die der Alten gelten. Aber das alles hat auch mit Geld zu tun. Würdevolles und vor allem aktives Leben im Alter ist kaum möglich, wenn man arm ist; denn Armut schneidet vom Leben ab. Wenn jede Busfahrkarte zum finanziellen Problem wird, können auch keine sozialen Kontakte gepflegt werden. Wenn die Kinokarte nicht mehr ins Budget paß oder wenn das Gläschen Wein im Gasthaus zur finanziellen Hürde wird, von Ausflügen und Reisen ganz zu schweigen, dann eben beginnt das elende Leben in Einsamkeit und Isolation. Die Hauptfrage, an der sich diese Reform messen lassen muß, ist also, ob sie geeignet ist, die Armut im Alter zu beseitigen, und das, meine Damen und Herren, leistet sie nicht. Diese Reform kann es auch gar nicht leisten. Denn sie hält am System der lohn- und beitragsbezogenen Rente fest. ({2}) Einer der vielen Lieblingssprüche unseres verehrten Sozialministers ist ja der von der Rente als Alterslohn für Lebensleistung. Nun haben Hunderttausende von alten Menschen, insbesondere Frauen, Renten zwischen 300 und 500 DM. Haben die also in ihrem Leben nichts geleistet? Oder wie ist es mit den Arbeiterinnen, die trotz jahrzehntelanger Arbeit Renten unterhalb der Sozialhilfe haben? Wie steht es mit deren Leistung? Oder wie ist es mit der Frau, die als Putzfrau - vielleicht neben der Pflege der Kinder oder der Schwiegermutter - nur das Zubrot erarbeitet hat? Sie alle bekommen keine ausreichende Rente, weil Leistung bei uns anders definiert ist, weil sich unser Rentensystem an der lebenslangen Erwerbstätigkeit, also eigentlich am männlichen Normalarbeitnehmer mit 45 Verdienstjahren, orientiert. ({3}) Aber Frauen haben Brüche in ihren sogenannten Erwerbsbiographien. Oft waren sie gar nicht sozialversicherungspflichtig tätig. Sie haben unverschämt niedrige Löhne. Sie sind oft Jahre aus dem Beruf herausgegangen, um die Kinder zu betreuen, und die Quittung bekommen sie im Alter. Denn dieses Leben bezahlen sie obendrein oft mit Armut. Solange das System der Rente von der vollen Erwerbsbiographie als Normalfall ausgeht, wird es Armut im Alter geben, insbesondere für Frauen. ({4}) Es ist geradezu infam, wenn gerade von seiten der CDU und der FDP das hohe Lied der Teilzeitbeschäftigung und der flexiblen Arbeitsverhältnisse gesungen wird - und Sie betreiben diesen wirtschaftspolitischen Kurs - , während Sie gleichzeitig im sozialen Sicherungssystem keinerlei Anstalten machen, sich von der Fiktion der Vollerwerbstätigkeit zu lösen. ({5}) Hier richtet sich mein Zorn auch gegen Sie von der SPD. Sie wissen, daß das Normalarbeitsverhältnis allerorten aufgeweicht wird. Sie wissen, daß Frauen keine geschlossenen Erwerbsbiographien haben, sonst hätten Sie auf dem Münsteraner Parteitag nicht die soziale Mindestsicherung gefordert. Aber Ihre Parteitagsbeschlüsse scheinen Sie selbst ja nicht zu interessieren. ({6}) So haben Sie gemeinsam mit Herrn Blüm an einem Rentensystem festgehalten, das die Armut im Alter fortschreibt. Daran ändert auch die Rente nach Mindesteinkommen nichts, die in diesem Entwurf fortgeschrieben wird. Der Anspruch gilt nur für Frauen, die wenigstens 35 Versicherungsjahre aufzuweisen haben. ({7}) Das heißt, der Korb ist noch höher gehängt worden. Selbst die Frauen - Frauen sind zumeist betroffen - die die Aufstockung in voller Höhe bekommen, werden trotzdem häufig noch unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegen. Die Rente nach Mindesteinkommen kann aber auch bei 653 DM liegen, wenn z. B. nur 25 aufstockungsfähige Jahre vorliegen. Das werden Sie doch wohl nicht Beseitigung von Altersarmut nennen wollen, Herr Dreßler. ({8}) Die Grundzüge des vorliegenen Rentenkompromisses, der genau wie die sogenannte Gesundheitsstrukturreform eine Sparreform ist, werden langfristig eher noch zur Verschärfung der Armut im Alter führen. Ich werde das belegen. Erstens. Mit der Absenkung des Nettorentenniveaus auf etwa 70 % nach 45 Versicherungsjahren kann von einer Lebensstandardsicherung nicht mehr gesprochen werden. Der Anteil derjenigen, die ein Leben lang durchschnittlich verdienen, ist gering. Zumindest ein Vierteil von ihnen erreicht nicht einmal 40 Versicherungsjahre. So liegen 90 % der Frauen unterhalb dieses Modellfalles, der als Meßlatte angelegt wird. ({9}) Zweitens. Der Entwurf baut Momente des Solidarausgleichs ab. Zeiten von Erwerbslosigkeit und Langzeitkrankheit werden jetzt auch in der Rente zu Buche schlagen, weil Sie den Rentenanspruch auf 80 % für diese Zeiten senken. Die Bestrafung erfolgt also doppelt, erst während der Erwerbslosigkeit oder Krankheit - beide sind wahrlich unverschuldet und nicht freiwillig gewählt - und dann noch einmal im Alter. Das ist wieder einmal ein Bausteinchen des sogenannten Umbaus des Sozialstaats von Herrn Blüm nach dem Motto: freie Fahrt dem Starken, nur daß die SPD diesmal aktiv mit dabei war. Drittens. Die Heraufsetzung der Altersgrenze wird indirekt zu Rentenkürzungen für viele führen. Während heute die Gewerkschaften im Tausch für Arbeitszeitverkürzung Lohnzurückhaltung üben - dazu werden sie auch ständig aufgefordert -, während die Flexibilisierung im Tausch für Arbeitszeitverkürzung ständig vorangetrieben wird, wird durch die Ausdehnung der Lebensarbeitszeit dieser Gewinn am Ende wieder kassiert. ({10}) Auch da haben Sie mitgemacht. All diejenigen, die vor 65 in Rente gehen wollen, und all die, die in Rente gehen müssen, weil sie verbraucht und mürbe sind - durch die Art von Arbeitshetze, die unsere Betriebe und unsere Produktion bestimmen - , werden das mit hohen Renteneinbußen zu bezahlen haben. Stellen Sie sich vor: Eine Frau, die in der Regel sowieso schon eine Minirente hat, muß nun auch noch auf über 10 Rente verzichten, wenn sie mit 62 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen will. Ich werde darauf warten, Frau Schmidt, ob Sie nachher tatsächlich noch einmal behaupten wollen, diese Rentenreform sei zugunsten der Frauen ausgegangen. ({11}) Viertens. Das Süssmuth-Bonbon - ich meine die Anrechnung von drei Kindererziehungsjahren - ist zum Genuß für das Jahr 2025 oder 2030 vorgesehen. Man mache sich das einmal klar. Herr Blüm sagt selber, daß er über das Jahr 2010 hinaus kaum etwas über die Entwicklung der Rentenkassen sagen kann. Das ist vermutlich auch realistisch. Nun kommt er daher und verspricht den Frauen für den Sankt-Nimmerleins-Tag einen Bonus für die Kindererziehung. Vermutlich wird man neben der Stiftung „Mutter und Kind" demnächst den Frauen auch noch mit den Rentenjahren kommen, wenn sie zum Austragen eines Kindes gebracht werden sollen. Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Der Gedanke der Anrechnung von Kindererziehung in der Rente ist grundsätzlich richtig. Denn endlich wird eine andere Leistungsidee mit aufgenommen. Er trägt der Tatsache Rechnung, daß fast jede Frau, die ein Kind hat, deswegen Unterbrechungen oder Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit hinnehmen mußte oder wollte. Aber der vorgelegte Vorschlag ist geradezu grotesk. Nicht nur, daß er die Frauen auf das Jahr 2030 vertröstet, sondern er gewährt die Anrechnung nur denen, die aus dem Beruf herausgegangen sind. Oft sind das Frauen, die sich das nur leisten können, weil sie z. B. einen gut verdienenden Ehemann haben und weil sie eben die Erwerbstätigkeit nicht aus finanzieller Not weiterführen müssen. Die Alleinerziehende aber, die gar nicht die Wahl hat zwischen Zu-Hause-Bleiben und Berufstätigkeit, die Frau, deren Ehemann so schlecht verdient, daß sie selbstverständlich auch verdienen muß, die wird mit ihren Versicherungsbeiträgen also die Erziehungsrente der Nachbarin zahlen und guckt obendrein selber bei ihrer Rente in die Röhre. Nein, dieses System ist schreiend ungerecht. ({12}) Ich kann nur hoffen, daß die Frauen und die Frauenverbände Ihnen das um die Ohren schlagen werden. Ganz abgesehen davon, daß es ja wohl vollkommen willkürlich und unmöglich ist, diese Regelung ab 1991 anlaufen zu lassen und die Frauen von heute außen vor zu lassen. ({13}) Da hätten wir ja eine Neuauflage der TrümmerfrauenDiskussion. Sie scheinen offensichtlich nichts dazuzulernen. ({14}) Nun wird zur Begründung dieser Reform wieder einmal das Wörtchen Ausgewogenheit beschworen. Das haben wir heute ja des öfteren gehört. Jeder trage ein bißchen von der Last, ein Teil die Rentner und Rentnerinnen, ein Teil die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, ein Teil der Staat mit seinem Bundeszuschuß. Dabei wird elegant darüber hinweggemogelt, daß der Bund meilenweit davon entfernt ist, den Anteil in die Kasse hineinzugeben, den er die Versichertengemeinschaft für allgemeine Aufgaben zahlen läßt. Nur mit einem rechnerischen Trick, nämlich der Aufstockung um die Kindererziehungsbeiträge, kommen Sie auf 20 % Bundeszuschuß. Die Kosten der sogenannten Fremdleistungen liegen aber bei 30 %. ({15}) - Das sagt doch der VdR selbst, Herr Dreßler. ({16}) Der Bund hat sich Jahr für Jahr aus der Finanzierung der eigentlich ihm obliegenden sozialen Aufga9744 ben zurückgezogen, und zwar sowohl zu Zeiten der CDU/CSU als auch zu Zeiten der SPD. ({17}) Natürlich, eine Steuerreform des Hauses Stoltenberg wie im vergangenen Jahr und sozialer Ausgleich, wie jetzt bei der Rente nötig, gehen nicht zusammen. Ich sage Ihnen: Wir hätten bei dieser Reform ohne weiteres die Möglichkeit zu einer Mindestsicherung im Alter gehabt, wenn der Bundeszuschuß auf den Anteil aufgestockt worden wäre, der auch aus den Kassen herausfließt, nämlich auf die 30 %. ({18}) Das weiß auch die SPD, das wußte auch Herr Dreßler. Sie werden Rede und Antwort stehen müssen, warum Sie sich auf diesen Deal eingelassen haben, Herr Dreßler. Der Rentenarmut wird mit dieser Reform nicht zu Leibe gerückt. Im Gegenteil. Auf ganz sanfte Pfoten allerdings haben Sie sich bei zwei Gruppen begeben, die sich vor Armut im Alter nicht fürchten müssen, nämlich bei den Beamten und bei der Knappschaft. Daß die Idee der Grundsicherung nicht falsch ist, wissen ja die Beamten; sonst gäbe es bei ihnen nicht das System der Mindestsicherung, das einem Beamten nach fünf Dienstjahren eine grundständige Absicherung gewährt. ({19}) Was aber für Beamte recht ist, sollte für andere Alte billig sein. ({20}) Das Niveau der Beamtenversorgung ist so hoch, daß sie 36 % ihres Einkommens in eine Rentenversicherung einzahlen müßten, wenn mit gleichen Maßstäben gemessen würde. Aber an diese Pfründe hat sich niemand herangetraut. ({21}) Daran ändert auch der windelweiche Vorschlag zur Angleichung nichts, der vorgelegt wurde. Wir werden ihn deswegen ablehnen. Eine wirkliche Reform der Alterssicherung hätte in der Tat bedeutet, daß neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. Dazu gehören die Beamtenpensionen, dazu gehören die Selbständigen und die Unternehmensgewinne. ({22}) Sie werden ja nicht müde, den Leuten zu erzählen, daß die demographische Entwicklung die Hauptursache für die vorgesehenen Einschnitte sind. ({23}) Das klingt vordergründig auch plausibel. Was Sie dabei verschweigen, ist, daß die Misere der Rentenkassen durch die Massenerwerbslosigkeit herbeigeführt worden ist. Wenn Sie ein anderes Beschäftigungs- und Wirtschaftssystem anstreben würden, wenn Sie eine aktive Beschäftigungspolitik machen würden, hätten wir neue Spielräume und neue Finanzen, die in die Rentenkassen hineinfließen würden. Vorschläge dafür gibt es genug. ({24}) Gerade weil es nie mehr die geschlossenen Erwerbsbiographien geben wird, ist es Zeit, in Richtung einer Grundrente für alle zu gehen. Unser kleines Nachbarland Holland zeigt uns, daß das möglich ist. Langfristig brauchen wir die Umstellung auf ein neues System. Kurzfristig aber ist es unabdingbar, eine bedarfsorientierte Grundsicherung einzuführen. Es darf keinen alten Menschen geben, der mit weniger als 1 200 DM auskommen muß. ({25}) Wir dürfen alten Menschen nicht den oft entwürdigenden Gang zum Sozialamt zumuten, den sie häufig erst gar nicht antreten, weil sie ihre Kinder nicht belasten wollen. Das hat auch Ihr Kollege Fink verstanden. Aber Sie haben sich nicht bewegt, weder die CDU noch die SPD. ({26}) Für eine solche Reform, die sich dann auch wirklich so hätte nennen können, hätte es allerdings mehr als nur der Kosmetik bedurft: Erstens. Die Beamtenversorgung müßte wirklich harmonisiert werden. Zweitens. Der Bundeszuschuß muß so hoch sein, daß alle Fremdleistungen abgedeckt werden. Drittens. Die Versicherungspflicht muß auch auf Selbständige, Freiberufler und Hausfrauen ausgedehnt werden. Viertens. Zeiten der Pflege müssen zur Gewährung von Rentenansprüchen führen, die über die Berücksichtigungszeiten hinausgehen. Fünftens. Statt einer. Heraufsetzung der Regelaltersgrenze bessere Möglichkeiten des Teilrentenbezugs ohne Abschläge. ({27}) Sechstens. Zeiten der Erwerbslosigkeit und Krankheit müssen als volle Beitragszeiten ohne Abschläge gewertet werden. Siebtens. Die überholte Trennung von Arbeiter-, Angestellten- und Knappschaftsversicherung ist aufzuheben, und ihre Leistungen sind anzugleichen; denn es geht um soziale Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren, diese Reform, die keine ist, haben Sie durch Ihre Absprache ja quasi unter Dach und Fach. Aber wir gehen davon aus, daß die alten Menschen in dieser Gesellschaft streitbarer werden. Frau Unruh ist ein Beispiel dafür. ({28}) Wir setzen darauf, daß das Selbstbewußtsein der alten Menschen zunimmt, weil sie nicht mehr die Schuld bei sich suchen, wenn sie arm sind, sondern von uns jungen ihr Recht auf Teilhabe einklagen. Auf dieser Basis wird dann hier hoffentlich bald die nächste DeFrau Beck-Oberdorf batte stattfinden. Und dann wird eine wirkliche Reform gefragt sein. ({29})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Günther.

Horst Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000749, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Rentenreform ist nicht nötig, weil Vergangenes zu bewältigen wäre, sondern weil die demographische Entwicklung der Zukunft einzufangen ist. ({0}) Ich möchte mich in aller Freundschaft mit den ersten Aussagen der Rede des Kollegen Dreßler ganz kurz auseinandersetzen, um nicht stehenzulassen, daß wir damals in der Rentenversicherung volle Kassen übernommen und - es klang so - verwirtschaftet hätten. ({1}) Erstens. Durch die im Jahre 1982 drastisch angestiegene Arbeitslosigkeit - um über 44 % gegenüber dem Vorjahr - war die Kasse in Nürnberg leer. ({2}) Wir haben in einem Umbau - wir hätten es anders machen können, aber wir konnten uns nur aussuchen, wo wir die Finanzen herholen - die Rentenversicherung etwas belastet. Das ist richtig. ({3}) Aber die vollen Kassen in der Rentenversicherung, Kollege Dreßler, kamen daher - auch das gehört zur Redlichkeit, wenn wir schon Vergangenes aufarbeiten -, daß in den letzten Jahren Ihrer Regierungstätigkeit die Rentner um über 11 To der ihnen zustehenden Erhöhungen herumgekommen waren. Sie haben sie nicht gewährt. ({4}) Dann kann man volle Kassen haben. Über 11% sind den Rentnern vorenthalten worden, die sie hätten bekommen müssen, weil die Bruttolohn- und -gehaltsentwicklung entsprechend war. - Ich bin aber nicht dafür, daß wir die Vergangenheit deshalb hier noch einmal aufrollen. ({5}) - Deshalb habe ich wenigstens das korrigiert. ({6}) - Wir können uns jetzt natürlich gegenseitig auch vorhalten, wer zuerst was gesagt, propagiert, vorgelegt hat. Ich halte davon nicht viel. Ich finde, das gefährdet auch so ein wenig die Zusammenarbeit. Wir sollten in die Zukunft gucken. ({7}) - Das ist alles überprüfbar, da haben Sie recht, Kollege Dreßler. Auch das, was ich gesagt habe, ist überprüfbar. ({8}) Da bin ich schon sehr froh, daß wir in diesem wichtigen Bereich den Konsens mit den Sozialdemokraten erreicht haben, um diesen Entwurf vorzulegen, und ich gehe davon aus, daß das so bleibt. Meine Damen und Herren, alle maßgeblichen politischen Kräfte sind sich darüber einig, daß wir eine Rentenreform brauchen. Das entsprechende Gesetz muß in diesem Jahr verabschiedet werden. Die Ursachen des Reformbedarfs sind genauso klar: Der Anteil der Älteren an der gesamten Bevölkerung steigt ständig, weil die Lebenserwartung zunimmt, was auf der einen Seite sehr erfreulich ist, während das Geburtendefizit andauert, was sehr problematisch ist. ({9}) Unsere Rentenreform hat folgende Ziele: Erstens. Die Rente soll auch in Zukunft den Lebensstandard sichern, den man sich erarbeitet und durch Beiträge versichert hat. Zweitens. Die Rentenversicherungsbeiträge der Erwerbstätigen müssen tragbar bleiben. Dem entspricht das gemeinsame Konzept der Koalition und der SPD: Stabilisierung der Rentenausgaben und des Rentenniveaus, Begrenzung des Beitragsanstiegs, Anhebung der Altersgrenzen, Sicherung des Generationenvertrages durch den Ausbau der Anerkennung von Kindererziehungszeiten sowie durch eine verbesserte Bewertung der Versicherungsjahre von Müttern, die infolge der Kindererziehung größere Beitragslücken haben. ({10}) Auch deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen, ist das Reformmodell nicht nur besonders frauenfreundlich, es sichert zudem die soziale Ausgewogenheit der Reform. ({11}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß für die Reform der Rentenversicherung nach Möglichkeit ein breiter tragfähiger politischer Konsens erforderlich ist. Dies wurde auch von meinen Vorrednern hier eindrucksvoll bestätigt. Ich begrüße das ausdrücklich. Es wäre allerdings nur der untaugliche Versuch einer Legendenbildung, wenn kolportiert würde, die Bereitschaft und die Suche nach einem Konsens seien zumindestens auch ein Ergebnis der politischen Auseinandersetzungen um das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen. Die völlige Maßlosigkeit, mit der die Opposition dieses Reformvorhaben kritisiert hat, und mit der sie eine Unterminierung versucht hat, war eher eine denkbar schlechte Voraussetzung für den Konsens bei der Rentenreform. ({12}) Aber eines wird deutlich: Wäre ein Konsens in der Gesundheitsreform gefunden worden, hätte die SPD auch dort unpopuläre Maßnahmen mitvertreten müs9746 sen. So ist das nun einmal, wenn man Verantwortung trägt oder mitträgt. ({13}) Es kann nicht nach dem Motto gehen: Das Gute von der SPD, und das, was an entsprechenden Opfern zu erbringen ist, hat die CDU/CSU zu vertreten. ({14}) Ich möchte aber ebenso klar aussprechen, daß die Verhandlungsführer der SPD-Fraktion, die Kollegen Dreßler, Egert und Heyenn, faire und verläßliche Verhandlungspartner waren und klare und eindeutige Sachpositionen eingenommen haben. Ich stelle mit Genugtuung fest: So geht es also auch, meine Damen und Herren. ({15}) Wir haben aber auch verschiedentliche Versuche von anderen Repräsentanten der SPD sehr genau vermerkt, Ergebnisse des Einigungskonzeptes umzudeuten oder in Frage zu stellen. Ich kann vor solchen Bestrebungen, auf welcher Seite auch immer, nur warnen. Ich sage dem gegenüber: Das jetzt Vereinbarte gilt in allen wesentlichen Teilen. Ich greife damit den Einzelberatungen weiß Gott nicht vor, denn selbstverständlich muß der Gesetzentwurf in all seinen Einzelvorschriften sorgfältig beraten werden, und selbstverständlich muß es hier Änderungen geben können, aber immer auf der Grundlage des gemeinsam Verabredeten. Dagegen ist gerade diese Reform für parteipolitische Profilierungsbedürfnisse ein völlig ungeeignetes Betätigungsfeld. ({16}) Für alle Veränderungen, welcher Art auch immer, gilt, so meine ich, ab jetzt das Prinzip der Einstimmigkeit. Wechselseitige Geschäfte zu Lasten Dritter, vielleicht auch noch mit wechselnden Allianzen, wird die CDU nicht dulden können. Ich gehe davon aus, das sehen die anderen Kolleginnen und Kollegen auch so. Andernfalls würde nämlich der Konsens verwässert und entwertet. Die Übereinstimmung bei der Rentenreform - ich setze ein vernünftiges, vertretbares Konzept voraus - ist aber ein Wert an sich, meine Damen und Herren, ({17}) denn die breite politische Übereinstimmung bei dieser Reform ist eine wichtige Hilfe für ihre Akzeptanz auch in der Bevölkerung. Deshalb begrüße ich es noch einmal sehr deutlich. Die Reform zielt und wirkt weit in die Zukunft hinein. Sie benötigt daher Verläßlichkeit. Allen voran die Bürger, aber auch die Politik und die Verwaltung müssen sich darauf verlassen können, daß die wesentlichen Grundsätze der Reform auch auf Dauer nicht in Frage gestellt werden. Die Herausforderungen an die Alterssicherungssysteme sind schwierig genug. Deswegen müssen die wesentlichen Entscheidungen jetzt getroffen werden. Sie müssen so getroffen werden, daß ihre Beständigkeit gewährleistet und für jedermann sichtbar ist. Der gemeinsam vereinbarte tragende Inhalt der Reform ist klar. Ich respektiere, daß es über diesen gemeinsamen Bestand hinaus bei den Beteiligten jeweils abweichende Vorstellungen gibt, auf die man sich hat nicht verständigen können und denen man unbeschadet des Konsenses nicht ein für allemal abschwören kann. Aber trotzdem ist auch insofern Inhalt und Bestandteil des Konsenses, daß diese divergierenden Vorstellungen gerade nicht Gegenstand des gemeinsam Verabredeten und der gemeinsam getragenen Reformmaßnahmen sind und daß diese Maßnahmen, für jeden der Beteiligten erkennbar und in seinem Willen aufgenommen, in die Zukunft wirken und für die Zukunft gelten. Das ist ja gerade der entscheidende Wert, der Inhalt und das Motiv: die verläßliche Geltung für die Zukunft und damit eine verläßliche Grundlage für die Bürger, wenn es um ihre Altersvorsorge, um entsprechende Dispositionen dafür geht, die ja langfristig, auf Jahrzehnte, berechnet werden müssen. Konkret bedeutet das beispielsweise: Die Weichen werden jetzt so gestellt, daß auf die Herausforderungen der Bevölkerungsentwicklung geantwortet wird, u. a. durch einen Ausbau der familienbezogenen Elemente dieses Alterssicherungssystems. Dazu gehört in erster Linie die Einführung von zwei weiteren Jahren bei der Anerkennung der Kindererziehung. Das schließt ein, daß diese Regelung für die künftigen Geburten gilt, aber nicht bereits für geborene Kinder, meine Damen und Herren. Das ist auch sinnhaft und vernünftig; denn hinsichtlich der demographischen Herausforderungen kann man nur zukunftsbezogene Antworten geben. ({18}) Vor allem kann man nur solche Antworten geben, die auch bezahlbar sind. Zum dritten kann man nur Antworten geben, die etwas mit der Rentenversicherung zu tun haben. Also geben wir eine Antwort, was die Höhe der späteren Renten im Zusammenhang mit der Kindererziehung anlangt. Dagegen ist eine Verminderung der finanziellen Lasten im Zeitpunkt der Kindererziehung keine Angelegenheit der Rentenversicherung, sondern eine solche des Familienlastenausgleichs. Über Kindergeld usw. wird nicht heute, sondern, wie ich denke, in naher Zukunft auch von diesem Pult gesprochen. ({19}) Eine rückwirkende Anerkennung des zweiten und dritten Kindererziehungsjahres wird es nicht geben, wie ich bereits gesagt habe. ({20}) Allerdings sollte das Jahr 1992 zugunsten eines früheren, aber nicht rückwirkenden Zeitpunkts überprüft werden. ({21}) Wer dennoch etwas anderes anstreben sollte, muß wissen, daß es entweder die jetzt vorgesehene Lösung für künftige Geburten geben wird oder überhaupt keine Ausweitung der Kindererziehungszeiten. Frau Unruh, das ist nicht diktatorisch, ({22}) sondern das ist eine klare Position, damit die Bevölkerung weiß, was wir wollen und was wir vereinbaren wollen. ({23}) Wer sich auch dem verschließen will - wie Sie -, den möchte ich bei aller Bejahung des Rentenkonsenses entsprechend darauf aufmerksam machen, daß dieses dann zu Schwierigkeiten führt. ({24}) Meine Damen und Herren, die SPD hat erklärt, aus ihrer Sicht helfe den Frauen die Gewährleistung einer Mindestrente mehr als die Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Die SPD hat schließlich erklärt, im Falle der rückwirkenden Anerkennung des zweiten und dritten Kindererziehungsjahres würde sie auch die Anerkennung von Pflegezeiten in der Rentenversicherung verlangen. Dem ist die Koalition, die die Berücksichtigung von Pflegezeiten im Rahmen des Gesamtleistungsmodells vorgesehen hat, in entsprechender Weise dann nicht gefolgt. Dies war ein Bestandteil unseres Reformkonzepts. Diese Maßnahme wirkt sich vorteilhaft für Frauen aus, die Angehörige gepflegt haben und pflegen; denn sie vermindert die dadurch bisher in der Rentenbiographie entstandenen Lücken und verbessert die Bewertung entsprechender beitragsfreier Zeiten. Überhaupt hilft der Wegfall der Voraussetzung der Halbbelegung und an dessen Stelle die Einführung der Gesamtleistungsbewertung, also eines Modells der Beitragsdichte, besonders den Frauen, die gepflegt oder Kinder erzogen oder sogar beides getan haben. Aber die Gleichsetzung von Pflegezeiten mit Kindererziehungszeiten im Sinne ihrer vollen rentenrechtlichen Anerkennung war für die Koalition nicht möglich, denn dies hätte die Finanzierungsmöglichkeiten völlig gesprengt. Außerdem wäre die Rentenversicherung das ungeeignete System, um insoweit eine Antwort auf die Überalterung der Bevölkerung zu geben. Es muß ja die Aufgabe sein, die Rentenversicherung von den Folgen der Überalterung zu entlasten. Dagegen kann man ihr nicht zusätzliche Lasten aus der Überalterung auferlegen. Jedenfalls kann man das nicht, wenn man ernsthaft den Anspruch wahrnehmen will, die Rentenversicherung zu konsolidieren und für die Zukunftsaufgaben wetterfest zu machen. Ich sage also mit allem Nachdruck: Wer die Rentenversicherung konsolidieren will und wer eine Antwort auf die demographischen Herausforderungen geben will, der darf auf keinen Fall so viel Gutes wollen, weil er dann nämlich nichts erreicht und am Ende nichts mehr bezahlbar ist. ({25}) Ein anderer Bereich, in dem wir uns zwar geeinigt haben, in dem wir aber in verschiedene Richtungen denken, ist die Lebensarbeitszeit. Die Koalition hat auch hier ihr Konzept gewahrt. Aber sie hat graduelle Einschränkungen mitgemacht. Anderenfalls hätte sich die SPD nicht bereit erklären können, entsprechende Regelungen heute zu treffen und gesetzlich verbindlich zu machen. Ich stelle fest: Wenn die Menschen erfreulicherweise immer älter werden und wenn wir deshalb immer länger und auch mehr alte Menschen haben werden und wenn gleichzeitig weit weniger junge Menschen nachwachsen, dann muß es den Alteren in vertretbaren Grenzen möglich sein und auch zugemutet werden, länger einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. ({26}) Denn selbst dann wachsen die Beitragslasten der Jungen erheblich, und bei Verzicht auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit würden diese Lasten noch mehr wachsen. Und da stellen sich die Frage der Zumutbarkeit und auch die Frage der sozial gerechten Verteilung der Lasten auf die Schultern aller. Hier unterschätzt die Sozialdemokratische Partei das soziale Konfliktpotential, wenn immer mehr jüngere Alte im frühen Ruhestand sind und immer weniger Junge unter diesen Finanzierungslasten ächzen. Diese schwer belastete künftige Erwerbstätigengeneration könnte aber sehr nachdrücklich fragen, wieso sie ganz vorwiegend dafür aufkommen soll, daß ihre Eltern eine ganz simple Einsicht mißachtet haben, nämlich daß ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem und damit die Sicherheit der Renten ganz entscheidend von den nachwachsenden Kindern abhängen. ({27}) Und diese dann erwerbstätige Generation könnte ihren Eltern und Großeltern vorhalten: Wenn und soweit ihr schon den Lasten der Kindererziehung aus dem Weg gegangen seit, hättet ihr wenigstens anderweitige finanzielle materielle Vorsorge für euer Alter treffen können und treffen müssen. ({28}) Sie würden weiter sagen: Ihr könnt aber nicht von uns verlangen, daß wir auch ein Rentenniveau finanzieren, wohlgemerkt über ein Umlageverfahren, als wäre die Umlagebasis dafür ungeschmälert vorhanden, so wie ihr - Eltern und Großeltern - seinerzeit genügend Beitragszahler zur Finanzierung der damaligen Renten wart. Wer also an die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht heran will, muß sich darüber im klaren sein, was er in Kauf nimmt. Er nimmt in Kauf, daß eine Senkung des Rentenniveaus erzwungen wird. Er hätte der dann alten Generation, statt Belastungen zu ersparen, vielmehr ungeahnte Belastungen auferlegt, auf die diese dann alte Generation aber zu gegebener Zeit überhaupt nicht mehr reagieren kann. Demgegenüber wird den Menschen nach unserem Konzept und nach dem, was nun auch mit der SPD verabredet ist, heute schon angekündigt, daß es ohne eine längere Lebensarbeitszeit nicht abgehen wird. Zugleich wird ihnen aber die Möglichkeit eröffnet, gleichwohl mit mehr Flexibilität in gleitenden Übergängen und auch nach wie vor früher als mit 65 Jah9748 ren ganz oder teilweise in Rente zu gehen, dafür dann aber eine angemessene, doch auch vertretbare Verminderung ihrer Renten hinnehmen zu müssen. ({29})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Unruh, ich muß Ihnen sagen: Es war jetzt genug. ({0})

Horst Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000749, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich für das gesamte Parlament. Darauf können sich die Menschen bereits heute einstellen. Sie können dafür auch heute bereits materielle Vorsorge treffen. Das ist fair und sozialverträglich; es ist gerecht gegenüber der nachwachsenden Generation, und es vermeidet künftige schwere Konflikte. Lassen Sie mich also dazu zusammenfassen: Wir nehmen mit der Reform jetzt ganz wichtige Weichenstellungen vor. Die SPD trägt diese Entscheidungen mit. Das ist um der Sache willen wichtig. Daß sich das Konzept der Union grundsätzlich durchgesetzt hat, ist natürlich auch sehr erfreulich. Aber ich würde das hier vielleicht nicht einmal erwähnen, wenn nicht seitens der SPD auch heute morgen wenigstens zu einem Teil wieder der Versuch unternommen würde, den Eindruck zu erwecken, eine gute Rentenreform komme erst durch ihre Mitwirkung zustande. ({0}) Ich muß demgegenüber feststellen: Das jetzt vorgelegte gemeinsame Reformkonzept entspricht in allen wesentlichen Punkten der Koalitionsvereinbarung, der entsprechenden Regierungserklärung des Bundeskanzlers und dem Ergebnis der Beratungen der Koalitionskommission zur Rentenreform, das in dem Diskussions- und Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums vom November vorigen Jahres niedergelegt ist und von jedem nachzulesen ist. ({1}) Der Diskussionsentwurf war Grundlage der Beratung. Sämtliche in dem Diskussionsentwurf enthaltenen Grundentscheidungen für die Reform sind auch Inhalt des jetzt gemeinsamen Gesetzentwurfs. Sie wurden überhaupt nicht verändert, sondern das Ergebnis der Verhandlungen besteht in einigen Ergänzungen, ({2}) die ich in ihrer Bedeutung nicht schmälern will - lachen Sie nicht zu früh! ({3}) Lachen Sie nicht zu früh! - , von denen man ({4}) aber selbst beim besten Willen nicht sagen kann, daß erst diese Ergänzungen die Reform ausmachen. Das kann man im übrigen jederzeit überprüfen. Ich nenne ein Beispiel, das charakteristisch ist. Die Koalition hat gesagt: Bei Arbeitslosigkeit sollen sich die Zahlung und die Bewertung von Rentenbeiträgen an der Lohnersatzleistung, also an der Bemessung des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe orientieren. Man soll aber nicht so tun, als werde der bisherige Lohn unvermindert weitergezahlt, meine Damen und Herren. Unser Diskussionsentwurf sah deshalb die Zahlung der Beiträge nach 75 % des ausgefallenen Lohnes vor. Die SPD hat dagegen 100 % gefordert. Wir haben uns auf 80 % geeinigt. Dies sei nur als ein Beispiel für vielleicht viele andere Dinge genannt. Die genannten 5 aber - das füge ich hinzu; das war auch in den Vordiskussionen bekannt - hätte die Koalition wahrscheinlich selber geschafft. ({5}) Zeitweilig wurde auch versucht, meine Damen und Herren, das Reformkonzept der Koalition als frauenfeindlich abzustempeln. Das war und wäre barer Unsinn; das weiß auch die SPD, meine Damen und Herren. Wir haben aber gemeinsam einige zusätzliche Maßnahmen vereinbart, die sich vor allem zugunsten langfristig berufstätiger Frauen auswirken. Wir haben auch der Fortführung der Rente nach Mindesteinkommen bis 1991, aber bis dahin befristet, zugestimmt. Die SPD sieht diese Regelung noch mehr als unter frauenpolitischen Gesichtspunkten unter dem Gesichtspunkt der Ausweitung eines Mindestsicherungselementes. Gerade wegen dieses Aspektes sind wir gegenüber dieser Maßnahme etwas skeptisch. Wir haben sie aber zugestanden, weil die SPD auf ihre sehr viel weiter gehenden Mindestsicherungsvorstellungen im Gegenzug verzichtet hat. Deshalb und weil die Maßnahme tatsächlich vor allem Frauen zugute kommt, was wir im Interesse der Frauen ausdrücklich begrüßen, war das für uns kein Problem. ({6}) Frauenfeindlich aber war der Diskussionsentwurf mitnichten. Die neue Gesamtleistungsbewertung ist vielmehr ausgesprochen frauenfreundlich. Wir fördern damit die Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit, und zwar so, daß auch langfristige Unterbrechungen von Erwerbstätigkeit zugunsten von Familientätigkeit möglich sind und rentenrechtlich nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Dem liegt bei uns die Erkenntnis zugrunde, daß Familie und Kinder die entscheidende Voraussetzung für das langfristige Funktionieren des Generationenvertrages in der Rentenversicherung sind. Ich sage das, weil der Fraktionsvorsitzende gerade hereingekommen ist, zu ihm ganz besonders gerne. ({7}) Die Erwerbstätigkeit allein ist nicht ausreichend, meine Damen und Herren. Ein weiterer Punkt, zu dem von SPD-Seite nicht immer Zutreffendes gesagt wird, ist z. B., daß die SPD keine Erhöhung des Bundeszuschusses erreicht hat. Dazu habe ich in jüngster Vergangenheit in der Zeitung etwas anderes gelesen. Deshalb erwähne ich das. Vielmehr stabilisiert sich der Bundeszuschuß alleine auf Grund des Koalitionskonzeptes mittelfristig bei 19,5 % der Rentenausgaben. ({8}) Andere Forderungen, meine Damen und Herren - auch das will ich hinzufügen - , nämlich den Wertschöpfungsbeitrag, konnten wir nicht mittragen. Damit komme ich zu einer abschließenden Bewertung des Reformkonzeptes und des Konsenses. Ich habe dargelegt, daß es unser Konzept ist, das Konzept der Union und der Koalition, daß es aber gelungen ist, dieses Konzept so auszugestalten, auszutarieren und zu ergänzen, daß sich die SPD bereitgefunden hat und sich auch bereitfinden konnte, es mitzutragen, es sich mit zu eigen macht und sich dort auch wiederfindet. ({9}) Wir haben dafür an einigen Stellen gewisse Maßnahmen und Elemente oder Ansätze von Elementen zugestanden, die für die SPD wichtig waren. Eine ganze Reihe tragender Elemente ist zudem unstrittig, beispielsweise die Bemessung der künftigen Rentenanpassung an die Entwicklung der verfügbaren Einkommen der Erwerbstätigen oder der Regelungsmechanismus von Beitragssatz, Bundeszuschuß und Rentenanpassung. Aus all diesen Gründen denke ich: Wir machen eine gute Reform für die Menschen. Wichtiger als manche parteipolitisch motivierte Äußerung ist es, daß die Rentenversicherung auch in den kommenden Jahrzehnten ihre Aufgabe erfüllt. ({10}) Das ist für alle das Entscheidende. Ohne Inkaufnahme von Belastungen, ebenfalls für alle, aber ausgewogen, geht es dabei nicht ab. Beides müssen alle, die diese Reform tragen, den Bürgern deutlich sagen, meine Damen und Herren - aber alle, bitte. Man kann dies aber nicht zugleich sagen und anschließend einseitig auf soziale Elemente, Vergünstigungen usw. eingehen und damit so tun, als gäbe es vor allem noch etwas zu verteilen und als sei vor allem man selbst der Verteiler und als seien die anderen die bösen Konsolidierer. ({11}) Wir müssen und werden darauf bestehen, daß sich keiner der Partner des Konsenses auf derartige Spielchen auf Kosten der anderen zurückzieht. Das gilt selbstverständlich auch für uns. Entscheidend ist: Die Konsolidierung der Alterssicherungssysteme erfordert vor allem Begrenzungen der Erwartungen und gewisse Einschränkungen. Man kann auch in Zukunft dasselbe Rentenniveau erreichen wie heute, aber man wird dafür mehr Gegenleistung aufbringen müssen. Das müssen wir dem Bürger ganz klar sagen. Wer das verschleiert und andere Eindrücke erweckt, meldet sich aus der Verantwortung ab. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße dieses vorgelegte Konzept seitens meiner Fraktion. Wir werden weiterhin konstruktiv mit den Beteiligten zusammenarbeiten, und ich bin sicher, wir werden Ende dieses Jahres den Bürgern unserer Republik eine gemeinsame Reform präsentieren können, die die Zukunft der alten Menschen sichert. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Günther, das war ja wohl jetzt in großen Teilen so ganz haarscharf an der Wahrheit vorbei! ({0}) Warum ist denn 46 Stunden lang verhandelt worden, wenn das alles Ihr Konzept war, warum schreibt denn das „Handelsblatt", daß zwar in dieser Zeit vielleicht nur Kommas verändert worden sind, daß die aber immerhin 10 Milliarden Mark bedeuten, 10 Milliarden Mark für Rentnerinnen und Rentner, für Versicherte in der Rentenversicherung? ({1}) Ich glaube, das war haarscharf an der Wahrheit vorbei, ({2}) und dies möchte ich jetzt gerne an einigen Beispielen beweisen. Es ist gerade 14 Tage her, daß der Bundesarbeitsminister in der Debatte über den Gesetzentwurf der SPD zur Gleichstellung von Frau und Mann ausgeführt hat: Die Verwirklichung von mehr sozialer Gerechtigkeit für Frauen ist ein Markenzeichen unserer Rentenpolitik. Wirklich, Herr Blüm? Erinnern wir uns doch: Zuerst wurde von dieser Regierung der Zugang zur Erwerbsunfähigkeitsrente für Hausfrauen erschwert. Noch heute erreichen uns erschütternde Briefe von Frauen, die drei oder vier Kinder geboren haben, die nicht das Geld für eine freiwillige Weiterversicherung aufbringen konnten und denen eine notwendige Frühverrentung abgelehnt wird. ({3}) Dann wurde ein Jahr Kindererziehungszeit eingeführt. Das will ich überhaupt nicht schmälern, aber es hieß: für alle Frauen. Dieses Versprechen war jedoch durchlöchert wie ein Käse. Frauen, die verfolgungsbedingt ihr Kind im Ausland bekamen, wurden genauso ausgeschlossen wie Frauen, die sich freiwillig weiterversichert haben; die wurden für ihre zusätzliche finanzielle Belastung sogar noch bestraft. Ebenfalls ausgeschlossen wurden die erwerbstätigen Frauen, und die Liste der Ungerechtigkeiten ließe sich fortsetzen. Mißtrauen gegenüber den sogenannten Reformentwürfen dieses Ministeriums war also angebracht, und dieses Mißtrauen hat sich leider bestätigt. Wie sah er denn aus, der erste Entwurf?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wenn Sie jetzt dabei sind, die Verbesserungen darzustellen, die durch die SPD angeblich eingebracht worden sind, ({0}) bitte ich Sie um eine Erklärung, worin denn die Verbesserung der Frauen besteht, wenn im Regierungsentwurf vorgesehen war, daß Erziehungszeiten bereits für die Frauen angerechnet werden sollten, die ab 1986 Kinder zur Welt bringen, während jetzt, nachdem die SPD an den Verhandlungen beteiligt war, diese Erziehungszeiten erst ab dem Jahr 1992 gelten sollen. ({1}) Worin besteht da jetzt die Verbesserung?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Scharrenbroich, ich komme auf die Kindererziehungszeiten noch im Detail zu sprechen. Nur, etwas ist für uns vollkommen klar: Es muß klare und einleuchtende Lösungen geben, und es kann keine Willkür im Rentenrecht geben, indem irgendeine Jahreszahl festgesetzt wird. Es muß vielmehr eine Jahreszahl sein, die für die Bürgerinnen und Bürger auch einsichtig ist. Entweder alle oder ab Inkrafttreten dieses Gesetzentwurfes! Wie sah er also aus, der erste Entwurf aus dem September letzten Jahres? 11,8 % minus für Arbeiterinnen, 4,5 % weniger für weibliche Angestellte; dies nach den Berechnungen der damaligen Frauenministerin, aber auch und vor allem des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger. 11,8 % weniger Rente bei Arbeiterinnen bei einer Durchschnittsrente von 508 DM, das wollte Herr Blüm diesen Rentnerinnen zumuten. Die Schere zwischen Frauen- und Männerrenten hätte sich noch weiter geöffnet. Die Ungerechtigkeit zu geringer Frauenlöhne hätte sich im Alter nach Ihren Konzepten nahtlos fortgesetzt. Denn während die Rente der Arbeiterin Mitte letzten Jahres, wie gesagt, durchschnittlich 508 DM betrug, bekam ihr Kollege durchschnittlich immerhin 1352 DM. Während ein männlicher Angestellter durchschnittlich 1853 DM Rente erhielt, bekam seine Kollegin nur 885 DM. Nun sollten nach Ihren Konzepten die Frauenrenten weiter sinken und die Renten der Männer, wenn auch nur geringfügig, steigen. So sah es mit der angeblichen Frauenfreundlichkeit des Arbeitsministers aus. Nun gab es dagegen einen Sturm der Empörung. Es ist dem Deutschen Frauenrat, den Frauen in den Gewerkschaften und allen Frauen in diesem Parlament zu verdanken - indem sie gegen diesen ersten Entwurf protestiert haben - , daß Herr Blüm den Diskussionsentwurf verbesserte, wenn auch nicht in erforderlichem Maß. Immer noch sah die Grundlage für die Verhandlungen eine Reduzierung von bis zu 5,2 % der Frauenrenten vor. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bestand nur die Wahl, zu kritisieren und ohnmächtig zuzuschauen, wie diese frauenfeindliche Rentenreform gegen unseren Willen zustande kommt, oder zu versuchen, ein Konzept zustande zu bringen, das Frauen nicht benachteiligt und uns den Spielraum läßt, ab 1990 die Reformbestandteile zu verwirklichen, die wir jetzt als Opposition noch nicht durchsetzen können. ({0}) Wir haben uns aus Verantwortung für Verhandlungen entschieden, aus Verantwortung für die künftigen Rentner und Rentnerinnen. Hier geht es nämlich konkret um Menschen, es geht um ihre Lebensbedingungen nach einem arbeitsreichen Leben. Wir konnten und wollten sie nicht allein lassen, sondern den Versuch wagen, den die Frauen benachteiligenden Entwurf der Regierung zu verbessern. Dieser Versuch hat sich gelohnt, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nun das für uns wichtigste Ergebnis: Frau BeckOberdorf, es ist nicht leicht, darüber zu lachen, wenn ein „paar" Frauen - immerhin 1,1 Millionen - statt im Durchschnitt 508 DM vielleicht 600 DM bekommen. Das ist für diese Menschen eine Steigerung um 20 % ihres Einkommens. Das bedeutet weniger Abhängigkeit von Sozialhilfe, und über so etwas mache zumindest ich mich auf keinen Fall lustig. ({1}) Es ist gelungen - das ist für uns der größte Sieg -, die Rente nach Mindesteinkommen weiterzuführen, 1972 eingeführt von Sozialdemokraten und von Teilen der Regierung als systemfremd denunziert. Was ist das eigentlich für ein System, das es zuläßt, daß Frauen nach einem langen, arbeitsreichen Leben von Sozialhilfe abhängig werden, die 20 DM für das Geburtstagsgeschenk für die Enkel nicht mehr haben und sich in kalten Wintern zwischen einem warmen Zimmer und einem vollen Bauch entscheiden müssen? Die Situation dieser Rentnerinnen verbessert zu haben, ist es alleine schon wert, diesen Kompromiß geschlossen zu haben. ({2}) Uns reicht das nicht; das sagen wir in aller Deutlichkeit. Deshalb werden wir ab 1990 unser Konzept einer sozialen Grundsicherung Schritt um Schritt umsetzen, ohne das System der Rentenversicherung damit in Frage zu stellen. ({3}) Wir wollen im Alter niemanden von Sozialhilfe abhängig werden lassen. Wir wollen die Altersarmut beseitigen, die Altersarmut, die vorwiegend weiblich ist. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Wir wünschten und wollten, daß dies alles nicht notwendig wäre, daß Frauen weder die Rente nach Mindesteinkommen bräuchten noch eine soziale Grundsicherung, sondern daß Frauen während ihres Erwerbslebens endlich gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit bekämen, daß sich Kinder haben nicht als materieller Nachteil bis zum Lebensende auswirkt und daß Frauen nicht erst durch die Hinterbliebenenversorgung eine einigermaßen anständige Rente haben, sondern endlich eiFrau Schmidt ({4}) nen eigenständigen Rentenanspruch, der ihren Lebensunterhalt sichert, erwerben können. Davon sind wir noch weit entfernt. Deshalb werden wir Sozialdemokraten weiter arbeiten, z. B. an einem vernünftigen Familienlastenausgleich, zu dem diese Regierung offensichtlich unfähig ist. ({5}) - Wir werden am Montag nächster Woche sehen, was Sie zustande bringen. Ich prophezeie Ihnen: Leider Gottes wird es nichts sein. Dabei will ich nicht verkennen, daß durch zwei zusätzliche Kindererziehungsjahre, durch Einführung von Kinder- und Pflegeberücksichtigungszeiten Verbesserungen eintreten, wenn teilweise auch erst für die Rentnerinnen des Jahres 2020 und später. ({6}) Herr Günther, wenn Sie sagen, das ist sinnhaft und vernünftig, dann mag das dahingestellt bleiben. ({7}) Ich meine, es ist eine bittere Pille. Aber wir versprechen nichts, was wir nicht halten können. ({8}) Frau Beck-Oberdorf, 9,5 Milliarden DM haben wir nicht, und deshalb können wir das nicht versprechen. Ich will nicht näher auf unseren Erfolg eingehen, daß durch die Höherbewertung und Herausnahme der ersten vier Berufsjahre vor allem Frauen profitieren, sondern ich will das Resümee ziehen. Die Renten der Frauen werden nicht, wie von Herrn Blüm vorgesehen, um bis zu 5,2 % sinken, sondern sie werden um rund 3 % steigen. Wir haben ein Weiteres erreicht. Die Koalitionsfraktionen haben erstmals anerkannt, daß es Handlungsbedarf bei den nichtsozialversicherten und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gibt, die wiederum vor allem Frauen schutzlos sein lassen. Seien Sie versichert, Herr Blüm, wir werden die Handlungen, die diesem erkannten Bedarf folgen müssen, einklagen, und zwar noch in diesem Jahr. Einen weiteren Punkt werden wir in den Ausschußberatungen noch intensiv ansprechen: die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für erwerbstätige Mütter. Dabei geht es nicht um fehlende Mittel, sondern darum, daß bei einigen offensichtlich Ideologie an die Stelle von Gerechtigkeit tritt. Ich bin aber guten Mutes, daß uns dies noch gelingt. Die SPD will es, die FDP will es, der Deutsche Frauenrat will es, die Gewerkschaften wollen es, und die Vorsitzende der Frauenunion, Frau Professor Süssmuth, wollte es zumindest im Januar 1989 auch noch. Ich zitiere sie: Leider sind auch die Kindererziehungszeiten bisher notwendig an den Verzicht auf Erwerbstätigkeit gebunden. Dadurch kommen die Frauen, die z. B. als Alleinerziehende wegen ihrer finanziellen Notlage auf Erwerbstätigkeit nicht verzichten können, nicht in den Genuß der Anerkennung ihres generativen Beitrags für die Rentenversicherung. So Frau Professor Süssmuth. Dies sollten wir meines Erachtens nicht bedauern, sondern müssen wir alle in diesem Parlament gemeinsam ändern. Denn es kann ja wohl nicht sein, daß ausgerechnet diejenigen, die sich als Alleinerziehende oder als Familie mit sehr geringem Einkommen eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit nicht leisten können, gerade diejenigen, die doppelt und dreifach belastet sind, ihre Erziehungsleistung nicht anerkannt bekommen. ({9}) Meine sehr geehrten Kolleginnen, insgesamt haben wir nicht alles durchsetzen können. Dennoch haben die SPD und unsere Verhandlungskommission rund 10 Milliarden DM erhandelt, von denen ein Löwenoder - besser - ein Löwinnenanteil auf Rentnerinnen, Mütter und Pflegende fällt. Nicht alles, was wir für richtig hielten, konnten wir durchsetzen; das geht nicht aus der Opposition heraus. Falsche Entscheidungen dieses Rentenkonzeptes können wir erst ab 1990 in der Regierung korrigieren. ({10}) Die Weichen sind mit dem Rentenkonsens richtig gestellt. Die unsoziale Alternative, die Reform nach Blümschem Muster, konnte verhindert werden. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich. ({0})

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darauf können sie sich aber verlassen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schmidt, Ihr letzter Satz war nicht gut, und ich möchte den auch als Koalitionspartner hier entschieden zurückweisen. Es ist nicht gut, wenn man meint, einen Kompromiß und einen Konsens, den man gemeinsam erarbeitet hat, im letzten Augenblick nur auf sich allein vereinigen zu können. Ich meine, hier sollten wir die Dinge doch so im Kasten lassen, wie sie in Wirklichkeit waren. ({0}) Ich meine, das System der beitrags- und lohnbezogenen Rentenversicherung hat sich im Laufe seiner 100jährigen Geschichte bewährt. Es besteht deshalb kein Anlaß, dieses System über Bord zu werfen und an Stelle dessen eine nur auf Grundsicherung aufgebaute Alterssicherung zu setzen. Kurz gesagt, Frau Beck-Oberdorf, nach wie vor gilt: Lebensarbeitsleistung muß in der gesetzlichen Altersversorgung wiederzufinden sein. ({1}) Was die Vorstellungen der SPD hinsichtlich einer sozialen Grundsicherung betrifft, so möchte ich wegen der Kürze der Zeit, die mir hier noch verbleibt, darauf nicht im Detail eingehen, aber ich möchte doch auf einen Aspekt verweisen und zu bedenken geben: In einem nachlesenswerten Aufsatz hat der deutsche Richter Zuleeg beim Europäischen Gerichtshof darauf hingewiesen, daß eine solche Regelung in der Grauzone zwischen sozialer Sicherung im klassischen Sinne und Sozialhilfe angesiedelt sei. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt Zuleeg zu der Erkenntnis, daß eine Zurechnung zu dem System der sozialen Sicherung naheliegen würde, mit der Folge, daß diese Leistungen dann auch ins EG-Ausland gezahlt werden müssen. Was dies für den Steuerzahler bedeutet, können Sie sich ausmalen. Wir können bei aller Finanzkraft der Bundesrepublik Deutschland nicht Armut in der ganzen EG bekämpfen. ({2}) Wir Liberalen halten deshalb am bewährten System der gegliederten Alterssicherung fest. Deshalb kann eine Einheitsversorgung nicht unsere Zustimmung finden. ({3}) Da die demographischen Probleme nicht nur in der Rentenversicherung, sondern auch auf andere Systeme, die ganz oder teilweise aus Steuermitteln finanziert werden, Auswirkungen haben können, muß diese Entwicklung berücksichtigt werden. Was die Anpassung der Beamtenbesoldung und des öffentlichen Dienstes betrifft, wird mein Kollege Richter dazu noch einiges sagen. Aber darüber hinaus besteht natürlich grundsätzlich auch Handlungsbedarf, einmal in der agrarsozialen Sicherung und in der Knappschaft. ({4}) Die grundlegende Reform der agrarsozialen Sicherung läßt sich nicht mehr in dieser Legislaturperiode verwirklichen. Allerdings müssen schon vorab geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um eine Ausnutzung der agrarsozialen Sicherung durch gut Betuchte zu verhindern. Lassen Sie mich jedoch noch ein anderes Problem ansprechen, das in der landwirtschaftlichen Bevölkerung immer wieder auf Ärger und Unverständnis stößt. In der gesetzlichen Rentenversicherung werden, so meine ich, zutreffend Ersatzzeiten angerechnet. Leider fehlt entsprechendes bei der Altershilfe für Landwirte. Hier wären Änderungen angebracht und wünschenswert. ({5}) Was die Knappschaft anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, daß der Anteil der Rentner deutlich höher als der der Aktiven ist. Das ist eine Folge des Strukturwandels und hat die Konsequenz, daß vom Steuerzahler 1989 fast 10 Milliarden DM für dieses Alterssicherungssystem gezahlt werden. Niemand von uns bezweifelt die Schwere und Gefährlichkeit der Arbeit unter Tage. Wer langjährig unter Tage gearbeitet hat, sollte dies auch künftig bei seiner Rente entsprechend berücksichtigt bekommen. ({6}) Nicht zu vermitteln ist aber die Tatsache, daß diejenigen, die dauernd über Tage arbeiten, z. B. in der Knappschaftsverwaltung oder in einem Knappschaftskrankenhaus, eine höhere Rente bekommen als andere Arbeitnehmer. ({7}) Das Bewußtsein für diese Problematik ist zwar auch in den großen Fraktionen vorhanden, doch mag es an der speziellen nordrhein-westfälischen Komponente bei der Zusammensetzung der Konsenskommissionen gelegen haben, daß sinnvolle Überlegungen im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht weiter verfolgt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte diesen einen Gedanken noch zu Ende führen, und dann lasse ich Ihre Frage sehr gern zu, Herr Kollege Lutz. Wenn schon alle Beteiligten so viel guten Willen in das Bemühen investieren, Vergleichbares in anderen Alterssicherungen ähnlich zu behandeln, dann müßte man eigentlich auch auf die Einsicht der Beteiligten auch bei der Knappschaft vertrauen können, daß den Bemühungen des Kollegen Cronenberg zumindest in Teilbereichen ein Erfolg beschieden ist, ohne daß jemand das Gesicht verlieren muß.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön, Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich entschuldige mich, daß ich Sie unterbreche, aber ich frage Sie: Wie soll das in die landwirtschaftliche Alterssicherung übertragen werden?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe bei der landwirtschaftlichen Alterssicherung von der Problematik gesprochen, daß Ersatzzeiten in der Vergangenheit dort nicht angerechnet wurden, und ich habe die Dinge problematisiert, um in der Zukunft hier unter Umständen eine andere Regelung zu bekommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich noch einmal fragen darf: Wieviel zahlt der Staat - in Prozenten - für die landwirtschaftliche Alterssicherung? Ich meine, es sind 87 %. Können Sie das bestätigen?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das stimmt nicht. Herr Kollege Lutz, erstens können wir die Systeme natürlich nicht direkt miteinander vergleichen. ({0}) Zweitens liegt der Anteil des Staates bei 80,2 %.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Präsident. Aber ich muß feststellen, daß die Uhr hier weiterläuft.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, meine Uhr läuft nicht weiter, und meine Uhr ist entscheidend für das rote Licht. ({0})

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte sehr, Herr Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heinrich, sind Sie sich darüber im klaren, daß, wenn Sie den Teil der Arbeitnehmer, den Sie hier genannt haben, aus der knappschaftlichen Rentenversicherung herausnehmen, die knappschaftliche Rentenversicherung erhebliche Einnahmeverluste zu verzeichnen haben wird und daß Sie Milliardenbeträge über den Bundeshaushalt aufbringen müssen, um zu einem Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben zu kommen?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Urbaniak, ich bin mir darüber im klaren, daß für viele Betriebe die Tatsache, daß diese Arbeitnehmer noch in der Knappschaft sind, eine zusätzliche Belastung bedeutet und daß sie dadurch, was ihre Wettbewerbsfähigkeit angeht, erheblich belastet werden. ({0}) Auch aus diesem Grunde können wir, glaube ich, eine Änderung in der Frage ohne weiteres weiterverfolgen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir, die Liberalen, haben in unseren programmatischen Aussagen immer wieder deutlich gemacht, daß die jetzige Regelung der beitragslosen Zeiten unbefriedigend und mit Widersprüchen behaftet ist. Wir begrüßen es deshalb, daß Zeiten des Bezugs von Lohnersatzleistungen, d. h. des Bezugs von Arbeitslosengeld und Krankengeld, wieder zu Beitragszeiten werden. Wir halten es auch für notwendig, daß die Parallelität von Beitragsleistung und späterer Rentenleistung wiederhergestellt wird. Dies ist ein Beitrag zur Abkoppelung der Rentenversicherung von arbeitsmarktpolitischen Einflüssen und bedeutet eine sachgerechte Zuordnung der jeweiligen Risiken. Im Mittelpunkt der Diskussion stand jedoch die Abschaffung der frauenfeindlichen Halbbelegung und ihr Ersatz durch das Gesamtleistungsmodell. Gerade das geltende Recht der Halbbelegung ist von zahlreichen Unzulänglichkeiten gekennzeichnet. Ein Beitrag früher oder später kann z. B. darüber entscheiden, ob eine Anrechnung von Ausbildungsausfallzeiten überhaupt erfolgen kann. Besonders nachteilig wirkt sich die Halbbelegung für Mütter aus. Die Hälfte aller Mütter erfüllt die Halbbelegung nicht. Wir haben deshalb wiederholt die Abschaffung dieses Prinzips des „alles oder nichts" gefordert. Es ist in den vergangenen Monaten eine verwirrende Vielzahl von Vorschlägen gemacht worden, die aber alles - wenn auch in modifizierter Form - auf eine Beibehaltung der Halbbelegung hinausliefen. Der theoretische Ansatz des Gesamtleistungsmodells ist bestechend. Wir haben uns aber von Anfang an gefragt, ob dieses Modell den unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbiographien von Frauen und Männern tatsächlich gerecht wird, denn gerade Kindererziehung und -pflege führen bei Frauen vielfach zu einer mehr oder weniger langen Unterbrechung der Berufstätigkeit. Deshalb haben wir auch eine Reihe von Korrekturen vorgenommen, die zu einer Besserstellung der Frauen führen. Damit ist das Odium der Frauenfeindlichkeit vom Tisch. Ich möchte deutlich unterstreichen: In der FDP bestand schon immer eine große und breite Übereinstimmung im Hinblick auf den Großteil der Korrekturen in diesem Bereich. ({1}) In den parlamentarischen Beratungen wird sorgfältig zu prüfen sein, ob alle beschlossenen Änderungen praktikabel sind und den damit verfolgten Zweck auch tatsächlich erreichen. Über die Notwendigkeit der Neuordnung der Ausbildungs- und Ausfallzeiten besteht Übereinstimmung. Eine maximale Dauer von 13 Jahren - wie bisher - ist nicht akzeptabel. Ebenso unakzeptabel wäre es, sie völlig wegfallen zu lassen. Im Zusammenhang mit der vorgesehenen Nachversicherungsmöglichkeit erscheint uns die Verkürzung vertretbar. In der Anhörung wird man prüfen müssen, ob die vorgesehene Begrenzung der Bewertung einschließlich der Übergangsregelung verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Auf die familienpolitischen Verbesserungen in diesem Gesetzentwurf ist schon von verschiedenen Rednern eingegangen worden. Ich will mich deshalb auf einen Aspekt beschränken. Kindererziehungszeiten werden - dies soll auch bei ihrer Verlängerung auf insgesamt drei Jahre für spätere Geburten gelten - mit insgesamt 75 % des Durchschnittsentgelts angerechnet. Diese Anrechnung entfällt oder wird in all den Fällen wesentlich gemindert, in denen freiwillige Beiträge oder auf Grund von Berufstätigkeit Pflichtbeiträge gezahlt werden. Wer es mit der Anerkennung der Kindererziehungsleistungen als eines generativen Beitrags zur Alterssicherung ernst meint, der müßte für die angemessenere Berücksichtigung der Kindererziehung beim Zusammentreffen mit Berufstätigkeit oder mit freiwilligen Beiträgen eintreten. ({2}) - Ich freue mich über den Beifall der SPD. Eine solche Regelung würde die Wahlmöglichkeit von Frauen verbessern und insbesondere Alleinerziehenden zugute kommen. Wir haben uns damit bisher nicht durchsetzen können, ({3}) weil die einen, nämlich die Union, von einer grundsätzlich anderen Philosophie ausgehen und weil die anderen, nämlich die SPD, andere Prioritäten gesetzt haben. Das hatten wir zur Kenntnis zu nehmen. ({4}) Lassen Sie mich jetzt kurz noch einige weitere Punkte ansprechen. Dem Thema Rehabilitation gebührt auch künftig ein hoher Stellenwert. Problematisch erscheint uns der ursprünglich vom BMA vorgesehene Ausschluß aller freiwillig Versicherten. Man kann sicherlich darüber streiten, ob die jetzigen Rehabilitationsvoraussetzungen in allen Punkten sinnvoll sind. Wir halten es allerdings für falsch, langjährig freiwillig Versicherte, d. h. vielfach Frauen und Selbständige, von der Rehabilitation der Rentenversicherung auszuschließen. ({5}) Ein weiteres aktuelles Thema sind die Renten von Aussiedlern. Ich darf daran erinnern, daß dieses Thema schon in den Beratungen innerhalb der Koalition angesprochen wurde und daß der jetzige Gesetzentwurf eine Reihe von Korrekturen, z. B. bei den Tabellenwerten, bei Teilzeitarbeit, vorsieht. Ich meine, diese Korrekturen reichen noch nicht aus, um Mißbräuche oder ungerechtfertigte Besserstellungen zu vermeiden. Hier sollten wir in der Zukunft eine Regelung finden, damit genau das, nämlich eine Besserstellung gegenüber unseren Bürgern hier in der Bundesrepublik, nicht vorkommt. In der aktuellen Diskussion darf aber auch nicht vergessen werden, daß die günstige Altersstruktur der Aussiedler langfristig auch ein Plus für die Rentenfinanzierung ist. ({6}) Denn nur 8 % der Aussiedler, die zu uns kommen, sind Rentner. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist der Prozentsatz mehr als doppelt so hoch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bürger verlangt von uns zu Recht, daß das Rentenrecht gerecht, transparent und verständlich ist. Ob wir dieses hohe Ziel erreichen, läßt sich wohl erst am Ende der Beratungen abschließend beurteilen. Denn die Gratwanderung zwischen einer notwendigen Einzelfallgerechtigkeit und einer Vereinfachung des gesamten Systems ist sicherlich sehr schwierig. Wir sollten auch darauf achten, daß die Rechte der Selbstverwaltung so weit wie möglich verbessert und die Vertreterversamlung in ihrer Kontrollfunktion gestärkt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt noch einmal auf die 10 Milliarden DM zusätzlicher Kosten eingehen, von denen Frau Kollegin Schmidt gesprochen hat. Das stimmt; das ist richtig. Hier haben wir eine gemeinsame Güterabwägung vorgenommen. Auf der einen Seite stehen 10 Milliarden DM mehr Ausgaben; auf der anderen Seite - auch diese Zahl möchte ich hier nennen - kostet es natürlich zwischen 0,2 und 0,3 Beitragssatzpunkte. Auch diese Zahl ist interessant. Wir waren aber der Meinung, daß wir das hier in der Abwägung so mittragen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, mit dieser ersten Lesung heute ist der Weg für die Beratungen, für die Anhörung in den Ausschüssen frei. Ich blicke dem Termin, zu dem wir noch in diesem Jahr die dritte Lesung haben werden, mit großer Zuversicht entgegen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Was man sich hier so hat anhören müssen, auch seitens der SPD, könnte einem schon einen Schüttelfrost versetzen. Aber ich habe sehr gut zugehört. Es lohnt sich also, in den nächsten Bundestagswahlkampf zu gehen. Ob rechts oder links das will, ist uninteressant. Die SPD ist noch wandelbar. Das ist das ganz kleine bißchen Hoffnung, das ich angesichts dieses Generationenhasses, den der Kollege der CDU hier verbreitet hat, überhaupt noch entwickeln kann. Man wagt es, unseren eigenen Söhnen und Töchtern nach draußen zu signalisieren, sie müßten die Last Ihrer Mütter, Väter usw. tragen. Zur gleichen Zeit verschweigt man, wie Beamte nichts einzahlen, wie Abgeordnete nichts einzahlen, wie Staatssekretäre, Minister nichts einzahlen. Was sollen denn eure Söhne, Töchter und Enkel über euch eigentlich denken, daß ihr hier solch eine Reform vorzulegen wagt? Das ist an und für sich die Spitze der Unverschämtheit! Und noch unverschämter ist es - da schließe ich, bitte, die SPD ein - , daß die Löhne, bitte schön, genauso hoch steigen müssen wie die Renten bzw. die Renten nicht höher steigen dürfen als die Löhne. Ja, nun nehmen Sie doch einmal 3 000 DM Nettolohn; da macht das ja immerhin 90 DM aus. Und dann nehmen Sie doch einmal 1 500 DM Rente; da sind es ja, bitte schön, nur 45 DM. Warum nicht endlich einmal - was vernünftig gewesen wäre - einen Sockelbetrag machen und wegkommen von diesen verdammten Prozenten? Wer mehr hat, kriegt noch mehr, und wer wenig hat, der bleibt eben arm wie die Kirchenmaus. Die Systeme gegeneinander auszuspielen, haben Sie gar nicht gewagt. Sie haben zwar hinsichtlich Harmonisierung ein Papierehen für die Beamten vorgelegt, aber da lacht doch die Koralle. ({0}) Auch wenn das mit den 65 Jahren wirklich kommen würde, meine werten Volksvertreter und Volksvertreterinnen, dann hätten Sie bei den anderen im Gesamtleistungsmodell, wenn die dann die Höhe ihrer - verminderten - Rente wirklich bekommen dürfen, immer noch 49 Arbeitsjahre anzurechnen. Ich glaube, das darf doch nicht wahr sein. Nur, wer versteht das draußen eigentlich? ({1}) Wir selbst müssen uns da in eine ganz komplizierte Materie einarbeiten. Sie selbst sind so schwach, daß der Minister zum Abgeordneten werden muß, um das Modell hier vorzustellen. ({2}) Schwächer geht's doch bitte nicht. Darauf brauchen Sie bestimmt nicht stolz zu sein. - Ja, natürlich, darauf lege ich großen Wert, daß ich irgendwann einmal die erste Altenministerin der Bundesrepublik Deutschland werde und sie das fürchten lehre, ({3}) natürlich zusammen mit den Gewerkschaften, zusammen z. B. auch mit dem VdK ({4}) - hören Sie doch mal gut zu! - , zusammen mit Ihrer Senioren-Union. Die will das ja auch alles gar nicht, wagt es aber nicht aufzumucken. Wie ist das denn mit der IG Metall? Die fangen jetzt ganz langsam an aufzumucken. Eigentlich möchten sie für die Rente auf die Straße gehen. Aber sie trauen sich nicht, weil es ja auch im Deal mit der SPD geschehen ist. Wie sieht es denn mit den leitenden Angestellten aus, meine Damen und Herren von der FDP? Mit 6 100 Mark im Monat ist man ja wohl kein einfacher Arbeiter - oder wie? Diese leitenden Angestellten möchte ich natürlich auch aufmüpfig machen. Die müssen jeden Monat mehr als 1 000 Mark in die Kasse einzahlen, kriegen aber nicht - wie Beamte, wie öffentlicher Dienst - 75 % des letzten Gehalts. Sind die leitenden Angestellten wirklich so dumm und dämlich, daß sie das mit sich machen lassen? Ich möchte den VdK, den Herrn Präsident Weishäupl, SPD, aufmüpfig machen. Ich möchte den Reichsbund, Bundesvorstand Glombig, SPD, aufmüpfig machen. Wollt ihr wirklich geduldig wie die Schafe die kleinen Rentner und Rentnerinnen in der Bundesrepublik Deutschland verraten lassen? So geht es natürlich nicht. ({5}) - Laß das mal. Wir Grauen Panther sind bereit, diese Rebellen unter unserem Dach zu sammeln, um im Sinne einer Rentengewerkschaft - „heute wir und morgen ihr" - ein Sammelbecken des Widerstandes gegen diese Rentenlügerei, die neu aufgebrochen ist, zu sein, damit dieser Rentenbetrug mehr und mehr in der Bevölkerung bewußt wird und die Leute das zur Bundestagswahl 1990 auch wissen. Es ist gar nicht mehr lange hin. Was muß man da mobilisieren, Freunde! Ihr seid es auch. Also: Ran, nur nicht Ruhe geben, kein Stück. Der Deal besteht ja darin, daß Sie, rechts und links, dieses Thema aus dem nächsten Bundestagswahlkampf heraushalten wollen. Das läuft nicht, das wird ganz bestimmt nicht laufen. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel, warum es nicht laufen wird. Nehmen wir einen Bruttoverdienst von 4 500 DM, egal, wo. Das ist ja ein schöner Verdienst. Wer hat das schon? ({6}) In diesen Regionen schweben Sie. Wenn jemand mit diesem Bruttoverdienst nach 35 Versicherungsjahren in Rente ginge - 35 Jahre brauchen auch die Beamten - , dann hätte er 1 702 DM gesetzliche Rente. Die Beamten sollen jetzt nicht wieder mit dem Argument der Steuern kommen. Das ist schon alles abgerechnet. Nun gibt es die Betriebsrente. Dieser Rentner bekäme zu seinen 1 702 DM 309 DM Betriebsrente und hätte zusammen 2 011 DM. Aber nehmen Sie zur Kenntnis: Nur 30 % der Betriebsrenten liegen über 300 DM. Jetzt wird es schön. Jetzt kommt der öffentliche Dienst. Jemand aus dem öffentliche Dienst hätte zwar auch nur 1 702 DM Rente, weil er wie alle Rentner und Rentnerinnen einzahlen muß, aber er bekommt eine Zusatzrente von 913 DM und hat damit 2 615 DM. Dann kommt die Klasse der Beamten. Die hätten - man höre und staune - beim gleichen Verdienst von 4 500 DM nach Abzug der Steuern 2 773 DM, ohne eigene Einzahlung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich, klar.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie, verehrte Kollegin, fragen, ob Sie die Zahlen, die Sie gerade genannt haben, wirklich mit gutem Gewissen wiedergeben können, und darf ich Sie fragen, ob es dem Deutschen Bundestag angemessen ist, bei den Betriebsrenten einzuschreiten? Denn das ist eine tarifvertragliche Regelung.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben vollkommen recht, genau das will ich erreichen: Das im Vergleich der Systeme zu harmonisieren. Das ist doch wohl selbstverständlich. ({0}) - Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? Ich würde mich über jede Zusatzfrage sehr freuen. Dann könnte ich das noch etwas vertiefen.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich mit der Erlaubnis des Präsidenten die Zusatzfrage stellen: Was ist, wenn sich einer freiwillig eine Zusatzversorgung geschaffen hat?

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie vergessen immer, daß der andere überhaupt nicht die Möglichkeit hat, das freiwillig zu tun. Er kriegt es einfach abgezogen. Bei 6 100 DM Bruttoverdienst kriegt er eben nicht 75 % davon als Rente. Wie definieren Sie, was freiwillig oder nicht freiwillig ist? Zum Beispiel wollen die GRÜNEN/Grauen Panther, daß alle hineinkommen. Man kann nicht freiwillige Beiträge mit zwangsweisem Abzug vergleichen. Aber wenn zwangsweise, dann bekommt auch der leitende Angestellte bei 6 100 DM 75 % von 6 100 DM. Darin sehe ich eine Harmonisierung der Systeme. Oder mindestens oder höchstens für alle, und auch alle zahlen rein, wie wir das wollen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Mehr als zwei Zwischenfragen kann ich in dieser Debatte nicht zulassen. Herr Abgeordneter Reimann hätte auch noch gerne eine Zwischenfrage gestellt.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Unruh, nur damit wir wissen, über was wir reden: Es ist ja so, daß die Arbeitnehmer in den Betrieben, vorrangig in der Industrie - das gilt insbesondere für den Bereich der leitenden Angestellten -, über Zusatzversicherungen, in die sie persönlich von ihrem monatlichen Einkommen einzahlen, diese Aufstockung bis zu 75 % erreichen, weil diese Höhe nach der Rentenberechnung eben nicht erreicht wird. Eine Ergänzung dazu, weil Sie immer von Abgeordneten sprechen: Ich kenne eine Reihe von Abgeordneten in diesem Hause, die von ihrem monatlichen Einkommen, das sie als Abgeordnete beziehen, über 1 000 DM Rentenbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt überweisen, um ihre Rentenbezüge nicht zu mindern. Halten Sie das nicht für korrekt?

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich halte vom Grundsatz her alles für korrekt, wenn alle gleich behandelt werden. Daß Sie nervös sind, weiß ich doch. Ich habe doch schon am 7. Januar 1988 vorgeschlagen, die Renten aus der Arbeiter- und Angestelltenversicherung sollten auf die Abgeordnetenpensionen angerechnet werden. Sie kassieren ja noch 100 % zusätzlich, obendrauf ab und bekommen - hören Sie einmal zu - nur aus Steuergeldern diese Abgeordnetenpensionen. ({0}) Wenn man harmonisieren will, muß man alle gleich behandeln, wie es unser Grundgesetz verlangt. Sie können nicht mit der Kraft des Gesetzgebers solch ein Schindluder treiben. Das geht eben nicht. ({1}) Und was die Betriebsrenten angeht: Wir wären doch sofort dafür, wenn es eine Pflicht gäbe, Betriebsrenten für alle über den Arbeitgeberstock einzuführen. Ob Sie das jetzt Wertschöpfung oder sonstwie nennen, ob Sie das wie in Holland mit einer ganz eigenen Zusatzsäule machen, ist uns doch egal. Nur, Sie lassen die Entmündigung der kleinen Rentner und Rentnerinnen zu. Sie haben es nicht geschafft, eine Mindestrente à la Mindestpension zu schaffen, die ja immerhin bei 1 640 DM liegt. Deshalb ist das ein Rentenstreichquartett. Das nennt sich so, weil da vier etwas wegstreichen. Wir hoffen nur, daß Sie, CDU/CSU und FDP, nie wieder ans Ruder kommen, sondern die SPD mit den GRÜNEN, vielleicht auch noch mit einer anderen Partei zusammen. Aber nicht mit den Republikanern. Das ist nämlich genauso der Verrat, den Sie in der Bundesrepublik Deutschland betreiben. Die Menschen, die sich von Ihnen verlassen fühlen, treiben Sie wieder einmal den Rechten in die Arme. Sie müssen sich schämen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich darf nach den Ausführungen von Frau Abgeordneter Unruh insofern eine Richtigstellung vornehmen, daß es eine ganze Reihe von Abgeordneten gibt, die für ihre Abgeordnetenpensionen unabhängig von der Bundesanstalt hohe Beiträge gezahlt haben. Ich bin frei und offen genug, Ihnen zu sagen: Ich habe 96 000 DM für die Abgeordnetenpension gezahlt. Wenn man also Zahlen nennt und auch die Abgeordneten einbezieht, muß man schon differenzieren. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will aus aktuellem Anlaß nur darauf hinweisen, daß dem Deutschen Bundestag zwei Entschließungsanträge zur sinngemäßen Übertragung der Änderungen, die im Rentenreformgesetz enthalten sind, auf die Beamtenversorgung und auf die Versorgung der Minister, der Parlamentarischen Staatssekretäre und der Bundestagsabgeordneten vorliegen. Man sollte das, was an Drucksachen vorgelegt wird, auch zur Kenntnis nehmen. ({0}) Ich möchte mich dennoch kurz mit den Vorstellungen der GRÜNEN auseinandersetzen. Wenn sich die GRÜNEN für eine soziale Mindestsicherung und für die Einführung des Wertschöpfungsbeitrags aussprechen, dann findet das grundsätzlich unsere Zustimmung, denn bedarfsorientierte soziale Grundsicherung und Wertschöpfungsbeitrag bleiben auch nach diesem Rentenprogramm auf der politischen Tagesordnung für die Sozialdemokraten. ({1}) Aber bei Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, reicht die gute Absicht alleine nicht. Es geht in der Demokratie nicht nur nach dem Alles oder-nichts-Prinzip. Man muß auch Ihre Unbekümmertheit kritisieren, mit der Sie im sozialpolitischen Bereich häufig milliardenschwere Versprechungen in die Welt setzen, deren Realisierung kaum machbar ist. ({2}) Für die Menschen hilfreich ist eine Sozialpolitik, die sich auf dem Boden der Realitäten bewegt. Und für uns war bei diesem Kompromiß auch Realität, daß wir nur über 37 % der Mandate in diesem Deutschen Bundestag verfügen. Aus dieser Situation haben wir, glaube ich, für die Rentner und Beitragszahler in den Verhandlungen eine ganze Menge geschaffen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Heyenn, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß es gerade für das Grundrentenmodell der GRÜNEN eine sehr seriöse Berechnungsgrundlage, erstellt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, gegeben hat, die sehr deutlich belegt hat, daß auch die Grundrente durchaus finanzierbar wäre, wenn tatsächlich neue Finanzierungsquellen eröffnet würden, was machbar wäre, wenn im Wege des sozialen Ausgleichs wirklich alle mit zur Kasse gebeten würden?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Beck-Oberdorf, ich muß Ihnen darauf antworten, daß Ihr Rentensystem mit der Grundrente 1 200 DM für jeden ohne Bedarfsprüfung um ein Vielfaches teurer wäre als das heutige Modell. ({0}) Ich muß Ihnen antworten, daß das 190 Milliarden DM kosten würde. ({1}) Und dazu ist zu bemerken: Sie können die gewachsenen Ansprüche nicht einfach wegnehmen, sondern Sie müssen diese Ansprüche befriedigen. Sie haben dann zwei Systeme nebeneinander. Wenn Sie die gewachsenen Ansprüche auf die Grundrente von 1 200 DM reduzieren, geraten Sie an unsere Verfassung. Das ist nämlich verfassungswidrig. ({2}) Lassen Sie mich noch einen Satz sagen: Entweder ist Ihr Modell finanzierbar - dann ist es aber verfassungswidrig - oder das Modell ist verfassungsgemäß, aber nicht finanzierbar. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Heyenn, sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Überlegungen sehr langristig angelegt gewesen sind, daß wir aber kurzfristig, also für die Reform jetzt, genau wie Ihre Partei auf dem Münsteraner Parteitag von der Notwendigkeit einer bedarfsorientierten Mindestsicherung ausgehen und Sie dann doch wohl Ihre Partei fragen müßten, ob sie dieses Modell nun für finanzierbar hält oder nicht? ({0})

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dieses Modell halten wir für finanzierbar. Aber, Frau Beck-Oberdorf, ich habe den Eindruck, daß die GRÜNEN selbst häufig größte Mühe haben, ihr Grundrentenmodell mit ihren Vorstellungen zur bedarfsorientierten Grundsicherung nicht durcheinanderzubringen. Vielleicht hilft unser kleiner Dialog, da Klarheit hineinzubringen. ({0}) Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung mit den GRÜNEN haben wir in einer Frage-und-Antwort-Runde geführt. Ich möchte mich jetzt mit dem Bundeszuschuß auseinandersetzen und vor allen Dingen betonen, daß unsere Forderungen hier nicht im vollen Umfang erfüllt worden sind. Aber es wird erreicht, daß sich der Bund in erheblichem Umfang zusätzlich an der Finanzierung der Renten beteiligt, denn nach geltendem Recht würde der Bundeszuschuß bis zum Jahre 2010 auf unter 15 % nach unten absinken. Nach den Maßnahmen des Gesetzentwurfes wird er sich eindeutig nach oben und nicht nach unten bewegen. Langfristig, so muß ich hinzufügen, wird dieser Prozentsatz des Bundeszuschusses weiter in Richtung auf 25 % erhöht werden müssen. Was wir erreicht haben, bleibt also erheblich hinter unseren programmatischen Forderungen zurück. Es ist aber doch insoweit zufriedenstellend, daß wir daran den Gesamtkonsens nicht scheitern lassen dürfen. Keine Frau mit niedrigem Rentenanspruch könnte Verständnis dafür aufbringen, wenn nur wegen unserer weitergehenden Forderungen zum Bundeszuschuß die Rente nach Mindesteinkommen nicht wesentlich verbessert werden würde. Entscheidend ist aber auch der Ausgangspunkt, bei dem die Konsensbemühungen um den Bundeszuschuß begonnen haben. Unsere Forderung war 20 der Ausgaben. Der Bundesarbeitsminister hat zunächst - ich darf das einmal so lässig formulieren -0,3 Milliarden DM angeboten. Es wurden dann im Frühjahr vergangenen Jahres 1,3 Milliarden DM, es wurden im Herbst vergangenen Jahres 2,3 Milliarden DM. Hinzu kommen dann die zusätzlichen Mittel auf Grund des ordnungspolitischen Bruches mit der Übertragung der Kindererziehungszeiten, die sich aber im Ergebnis positiv auswirken und insofern eine weitere Zurechnung zur Erhöhung des Bundeszuschusses darstellen. Im übrigen lassen Sie mich darauf hinweisen, daß die künftige Anpassungsformel für den Bundeszuschuß, nämlich die Anbindung an die Beitragssatzentwicklung, die Umsetzung unseres Gesetzentwurfes aus dem Jahre 1984 und die Umsetzung unserer Forderungen aus den Jahren 1979 und 1980 darstellt. Wir haben nämlich, Herr Cronenberg, zeitgleich gedacht. Mit dem Rentenreformgesetz 1992 wird mit dem Wechsel des Finanzierungssystems für die Kindererziehungszeiten ein systematisch wichtiger Einschnitt vollzogen; denn die Kosten für die Kindererziehungszeiten werden, wie ich gesagt habe, pauschal in den Bundeszuschuß übernommen. Dafür entfällt die gesonderte Erstattung durch den Bund. Für die Rentenversicherung ist dies trotz der Einführung des zweiten und dritten Kindererziehungsjahres für Geburten ab 1992 eine weitere Verbesserung. Lassen Sie mich zu dem nicht mehr anwesenden Kollegen Scharrenbroich sagen - dann nur für das Protokoll - : Daß für die Geburten ab 1. Januar 1992 das zweite und dritte Kindererziehungsjahr gilt und nicht ab 1. Januar 1986, ist nicht Auswirkung sozialdemokratischen Einflusses, sondern eine Vorstellung, die von seiten der CDU/CSU und von seiten des Bundesarbeitsministers in die Verhandlungen eingebracht wurde. ({1}) Ich will hier nur einer Geschichtsklitterung vorbeugen. Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß die weitere qualitative und quantitative Ausdehnung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die gesellschaftspolitisch unerläßlich ist, künftig nur noch auf Kosten der Beitragszahler, zu Lasten des Rentenniveaus oder um den Preis von Leistungsminderungen an anderer Stelle möglich sein wird. Das ist Ausfluß der Übertragung dieser Bundeszuschußzahlungen. Das heißt, daß jeder weitere Schritt sehr sorgfältig in bezug auf seine Konsequenzen für die systematische Ausgestaltung der Alterssicherung der Frau überlegt werden muß. Nach meiner Auffassung wird die jetzt bei der Finanzierung der Kindererziehungszeiten getroffene Entscheidung den Gesetzgeber noch im Verlauf der 90er Jahre zwingen, endlich die eigenständige soziale Sicherung der Frau in Angriff zu nehmen. Dahin gehen auch die Überlegungen auf europäischer Ebene. Ich habe Verständnis für die Kritik von seiten der Frauen, daß die eigenständige soziale Sicherung nicht schon mit dieser Reform realisiert wird. Allerdings scheint nicht immer die nötige Klarheit darüber zu bestehen, daß eine solche Reform angesichts der finanziellen Restriktionen keinesfalls ohne Verschlechterung auch für bestimmte Frauengruppen denkbar ist. Wir können in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir mit Gesetz 1984 das Modell der Teilhaberente vorgelegt haben. Es ist also nicht unsere Schuld, sondern die Schuld der Koalitionsfraktionen, wenn die Reformdiskussion 1985 abrupt abgebrochen wurde und lediglich die Hinterbliebenenrente mit Einkommensanrechnung zum Tragen gekommen ist, d. h. eine Lösung, die auf dem Ehe- und Partnerschaftsverständnis von gestern beruht. Allerdings will ich einräumen, daß auch unsere Überlegungen aus dem Jahre 1985 einer Überprüfung bedürfen und daß wir dazu auch die Urteile zu den Verfassungsklagen gegen die gesetzliche Regelung, die die Mehrheit durchgesetzt hat, erwarten. Ich möchte kurz zu einer Verbesserung gegenüber dem Reformgesetz Stellung nehmen, die, wie ich meine, besondere Bedeutung hat. Der Diskussionsentwurf des Bundesarbeitsministers sah erhebliche Verschärfungen der Voraussetzungen für Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung vor. Dieses hätte durch Umschichtungen in die Krankenversicherung hinein die Krankenversicherung vermutlich mit weiteren 400 Millionen DM belastet. Wir haben in den Verhandlungen erreicht, daß dieser Verschiebebahnhof gar nicht erst eröffnet wurde und das geltende Recht erhalten bleibt. Damit gibt es keine Verschlechterungen auf diesem Gebiet. Lassen Sie mich einige Worte zur Frage des Fremdrentengesetzes sagen. Herr Heinrich ist darauf auch eingegangen. Die Diskussion in den letzten Wochen hat gezeigt, daß dieses Thema in der Öffentlichkeit eine besondere Rolle spielt und in zunehmendem Maße auch die Gemüter erhitzt. Die SPD-Fraktion erwartet, daß der Rentenkonsens mit den Koalitionsparteien auch in dieser Frage eine stabilisierende Wirkung hat. Wir warnen davor, den Rentenkonsens durch populistische Anwandlungen in Frage zu stellen. Wenn Teile der Union - die gibt es leider - in dem Bestreben, die Republikaner rechts zu überholen, das Fremdrentengesetz demontieren wollen, dann können sie das jedenfalls nicht zusammen mit uns tun und nicht zusammen mit dem Rentenreformgesetz. Die SPD will am Prinzip des Fremdrentengesetzes festhalten, nämlich dem Prinzip der sozialen Integration. Aussiedler haben, wie früher die Vertriebenen, die Rentenansprüche, die sie in ihren Heimatländern aufgebaut haben, verloren. Dafür brauchen sie einen Ersatz. Deshalb müssen sie in unser Sozialversicherungssystem eingegliedert werden. Dem Eingliederungsprinzip entsprechend müssen die Rentenanwartschaften für Aussiedler dem Einkommensstandard der Bundesrepublik und dem Leistungsniveau der Rentenversicherung entsprechen. Dies entspricht dem wohlverstandenen eigenen Interesse unserer Gesellschaft. An diesen Grundsätzen lassen wir nicht rütteln. Deshalb kommen für uns pauschale Begrenzungen, regionale Differenzierungen der Fremdrentenleistungen überhaupt nicht in Betracht. Aber, meine Damen und Herren, es gibt Übertreibungen. Es gibt partielle Besserstellungen für die Aussiedler wie früher für die Vertriebenen, geschaffen Anfang der 70er Jahre vor dem Hintergrund einer zig Milliarden hohen Reserve in der Rentenversicherung. Diese Vergünstigungen müssen abgebaut werden. Sie sind aus dem Prinzip der sozialen Integration heraus nicht gerechtfertigt. Der Grundsatz muß sein, daß Aussiedler, wenn sie nach unserer Rechtsordnung die Vertriebeneneigenschaft zuerkannt bekommen, rentenmäßig so gestellt werden, als hätten sie ihre Berufstätigkeit in der Bundesrepublik ausgeübt. Davon darf weder nach unten noch nach oben abgewichen werden. Daher sind wir auch bereit, Gesetzesänderungen vorzunehmen, die nachweislich eine Besserstellung gegenüber Beitragszahlungen in der Bundesrepublik beseitigen. ({2}) Der gemeinsame Gesetzentwurf, den wir Ihnen vorlegen, enthält eine ganze Reihe entsprechender Vorschläge zur Korrektur des Fremdrentengesetzes.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist doch alles gut und schön, daß diese Menschen genauso behandelt werden wie wir. Nur, sind Sie nicht meiner Auffassung, daß die Angleichung und alles, was dazugehört, nicht der Beitragszahler zu bezahlen hat, sondern daß das in Zukunft über den Bundeszuschuß zu finanzieren ist?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich persönlich teile Ihre Auffassung, Frau Unruh, daß wir die Leistungen der Aussiedler, z. B. die Sprachförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz, z. B. zusätzliche Leistungen jetzt aus der Situation nach dem Fremdrentengesetz, aus Bundesmitteln zu bezahlen hätten; denn bei der heutigen Regelung zahlen diese Leistungen nur die Versicherungspflichtigen in der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung. Andere große gesellschaftliche Gruppen wie Beamte und Selbständige bleiben völlig außen vor. Ich wollte ausführen, daß Ähnliches wie für das Fremdrentengesetz auch für das Sozialversicherungsabkommen mit Polen gilt. Das ist insbesondere durch unverantwortliche Hetztiraden einer bekannten Zeitung ins Gerede gekommen. Bei jedem Sozialversicherungsabkommen besteht nach einer gewissen Zeit, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, das Bedürfnis nach Korrektur. Das ist auch hier der Fall. Deswegen sind wir damit einverstanden, wenn es hierzu Verhandlungen gibt, wenn die Bundesregierung den Versuch macht, einzelne Bestimmungen durch Vertragsänderung zu korrigieren, wenn dies von der Sache her vernünftig ist. An dem tragenden Grundsatz des Abkommens, nämlich der Verpflichtung beider Staaten, Rentenzeiten im Vertragsland inländischen Renten gleichzustellen, wollen wir aber unbedingt festhalten. ({0}) Für uns ist auch wichtig, daß das Sozialversicherungsabkommen mit Polen in einem besonderen Zusammenhang steht, nämlich mit der Bewältigung des vom Deutschen Reich begonnenen Zweiten Weltkriegs und der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen. ({1}) Das Polen-Abkommen hat vor allem die Aufgabe gehabt, sozialpolitisch den Schlußstrich unter die Folgen der Nazizeit zu ziehen, durch die Millionen von Menschen ihre Rentenanwartschaften verloren haben und ohne Sozialversicherungsschutz zum Beispiel nach dem Krieg arbeiten mußten. Insofern ist der Kernbestand des Polen-Abkommens für die SPD-Fraktion nicht disponibel. Mein Arbeitskreisvorsitzender hat zu dem vorliegenden gemeinsamen Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP einmal gesagt, es handle sich um einen Kompromiß. Dieser Entwurf habe eine gute Seite und eine schlechte Seite. Die gute Seite sei: Es ist ein Kompromiß. Und die schlechte Seite sei: Es ist ein Kompromiß. Ich glaube, daß wir mit diesem partiellen Zusammengehen mit den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf breiter Basis im Deutschen Bundestag etwas erreichen können, was ohne unsere Mitwirkung nicht so positiv hätte gestaltet werden können. Ich sehe das auch vor dem Hintergrund der Tatsache, daß es sich ja im Kern um ein Konsolidierungsgesetz und nicht um ein Gesetz handelt, mit dem wir in großem Umfang neue Leistungen ausschütten können. Allen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, möchte ich für meine Person herzlich danken. Die Namen sind hier genannt worden. Ich glaube, es waren harte, aber faire Gespräche. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster ({0}).

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Kollegen Heyenn und zu dem Intermezzo mit der Zwischenfrage nur folgendes sagen, und zwar deshalb, weil die Diskussion über Aussiedler sehr oft unter dem Stichwort „Sozialneid" geführt wird. Man muß wissen und auch der Öffentlichkeit sagen, daß der Bund natürlich Zuschüsse sowohl an die Bundesanstalt für Arbeit wie in die Rentenversicherung zahlt, um derartige Risiken abzudecken und die Versicherten zu entlasten. Es waren 1988/89 5,8 Milliarden DM an die Bundesanstalt für Arbeit. Die Angaben zu den Renten kann ich im Moment nur in Prozenten machen. 17,6 % der Renten werden aus der Bundeskasse finanziert, um derartige Risiken, etwa eine angemessene Behandlung Deutscher aus Ost- und Südosteuropa, abzusichern. Natürlich kann man über die Höhe der Zuschüsse reden. Nur, der Eindruck, daß die Versicherten das Risiko bei Aussiedlern tragen, ist falsch. Dem möchte ich mit allem Nachdruck entgegenwirken. ({0}) Wir kommen zu einem zweiten Bereich, der auch sehr oft unter Sozialneid-Gesichtspunkten betrachtet wird: zu den Auswirkungen der Rentenreform auf das öffentliche Dienstrecht. Lassen Sie mich klarstellen, daß der gemeinsame Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung Grundlage auch für eine Novellierung des Beamtenversorgungsrechts ist. Diese Novellierung ist nicht Folge der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern eine Parallelmaßnahme. Beide Maßnahmen haben ihre Ursache in den Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, im Geburtenrückgang und in der steigenden Zahl alter nicht erwerbstätiger Menschen. Die daraus entstehenden Belastungsveränderungen müssen alle Alterssicherungssysteme tragen, aber mit den ihnen jeweils eigenen systemkonformen Mitteln. Wir wollen keinen Einheitsbrei, sondern die unterschiedlichen Alterssicherungssysteme erhalten. Deshalb wird die Novellierung des Beamtenversorgungsrechtes auch künftig die verfassungsrechtlich gebotene Eigenständigkeit der Beamtenversorgung uneingeschränkt erhalten. Die Mittel, die wir zur Novellierung einsetzen, sind solche des Beamtenversor9760 Gerster ({1}) gungsrechtes, nicht der Rentenversicherung. Wir regeln vergleichbare Sachverhalte, aber eben mit unterschiedlichen Mitteln. Um Mißverständnissen vorzubeugen, will ich einige grundsätzliche Überlegungen meiner Fraktion jetzt klarstellen und hier vortragen: Erstens. Für jeden Beamten muß bei normaler Laufbahn eine Versorgung von 75 % der Bezüge aus dem letzten Amt erreichbar bleiben, auch wenn wir die bisherige degressive Ruhegehaltsskala durch eine lineare ersetzen. Wird diese „normale Laufbahn" wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig beendet, muß die Versorgung durch Zurechnungszeiten verbessert werden. Dies sind wir, der Gesetzgeber, den Beamten auch im Rahmen unserer Fürsorgepflicht schuldig. Ich denke z. B. an die vielen Beamten der Post, der Bahn und der Polizei, die vor ihrem gesetzlichen Pensionsalter aus dem Dienst früher als andere ausscheiden müssen, aber wir sollten auch so fair sein und hinzufügen: oft, weil sie sich in dem Dienst für diesen Staat und für die Öffentlichkeit verbraucht haben. Zweitens. Niemand kann erwarten und verlangen, daß z. B. ein Feuerwehrbeamter mit mehr als 60 Jahren, bepackt mit schwerem Atemschutzgerät, noch auf eine Feuerwehrleiter steigt, um aus einem brennenden Haus Menschen zu retten. Ob allerdings immer und pauschal eine solche vorzeitige Pensionierung notwendig ist, werden wir sehr sorgfältig in den nun eintretenden Beratungen über ein künftiges Gesetz prüfen müssen. Natürlich können und müssen in Bürofunktionen andere Maßstäbe gelten als im unmittelbaren Einsatz vor Ort. Ziel muß auf Grund der demographischen Entwicklung sein, langfristig die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. Dabei werden wir uns an den Altersgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung orientieren. Drittens. Dem Vertrauensschutz messen wir erhebliche Bedeutung zu. Deshalb wird es keine Eingriffe in laufende Versorgungsbezüge geben, ({2}) und die erworbenen Rechte der aktiven Beamten werden wir nicht antasten. Im Rahmen von Übergangsregelungen, die wir im einzelnen sorgfältig abwägen müssen, werden wir verhindern, daß eine neue Problematik entsteht, wie wir sie hier zur Genüge bereits aus der Thematik des § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes kennen. Frau Kollegin Unruh, Ihre Zwischenrufe sind so chaotisch wie Ihr Vortrag hier. Es rentiert sich nicht, darauf einzugehen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich, Herr Kollege Lutz.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerster, ich bedanke mich. Ich frage mich nur, ({0}) ob Sie die gemeinsamen Verhandlungen zwischen allen Fraktionen mit Ausnahme der GRÜNEN noch im Ohr und im Gedächtnis haben. Wenn ja, müßten Sie wissen, was Ihr Innenminister in den gemeinsamen Verhandlungen zugestanden hat, nämlich eine zeitgleiche und adäquate Behandlung der Beamten und die zeitgleiche Verabschiedung mit dem Rentenreformgesetz. Dann kann man ja nicht so tun, als ob man noch etwas ganz besonderes machen wolle. Auch Sie haben ja zugestimmt. Also dieses Haus trägt die gesamte Verantwortung mit Ausnahme der GRÜNEN. Dann soll es auch die gesamte Verantwortung tragen, meine ich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Lieber Herr Kollege Lutz, wenn es geht, dann sollten diese Fragen ein bißchen kürzer sein. ({0})

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lutz, soweit ich Ihre Frage verstanden habe, kann ich Ihnen in allem zustimmen. Nur sage ich genauso deutlich: Die Verhandlungen wurden ja zwischen den Fraktionen geführt. Wir hatten insgesamt über zehn Termine mit dem Kollegen Bernrath und dem Kollegen Penner - mit letzterem nicht ganz so viele, weil er zu den Vorturnern seiner Fraktion gehört. Die eigentlichen Arbeitstiere aber, Herr Penner, wie Herr Bernrath und ich, haben ja über zehnmal zusammengesessen. Wir haben immer - auch beim Innenminister - gesagt: Wir als Fraktion wollen darauf dringen, daß wir die Vorlagen zur gleichen Zeit verabschieden, müssen aber sehen, daß wir die Gewerkschaften beteiligen müssen. Auch der Bundesrat ist beteiligt. Sie werden sich daran erinnern, daß ich immer gesagt habe: Klar muß sein, daß die Verabschiedung der Rentenreform im September/Oktober/November dieses Jahres auch dann nicht scheitern darf, wenn wir mit den Beteiligungsverfahren bei diesem Gesetz noch nicht so weit sind. Wir wollen die Rentenreform in jedem Falle verabschieden, sichern aber zu, daß in dieser Wahlperiode auch das andere in jedem Fall verabschiedet wird und zur gleichen Zeit mit der Rentenreform in Kraft tritt. Dabei bleiben wir. ({0}) - Genau, das ist korrekt. Ich bedanke mich für den Zuruf aus den Reihen der SPD. ({1}) Vierter Punkt: Beiträge der Beamten zu ihrer Alterssicherung wird es nicht geben. Ich weiß, daß dies der Öffentlichkeit schwer verständlich zu machen ist. Aber hier haben wir es mit einem bewährten prinzipiellen Unterschied zwischen Beamtenversorgung und gesetzlicher Rentenversicherung zu tun. In der gesetzlichen Rentenversicherung gilt eben das Versicherungsprinzip, für die Beamtenversorgung hingegen das Alimentationsprinzip, d. h. daß der Staat für die ihm auf Lebenszeit verpflichteten Beamten auch Gerster ({2}) auf Lebenszeit die Versorgung übernimmt, sowohl in der aktiven Dienstzeit als auch im Ruhestand.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Gerster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Briefs?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe diesen Kollegen von den GRÜNEN in den ganzen Debatten nie erlebt, und deswegen möchte ich keine Frage von ihm zulassen. ({0}) Meine Damen und Herren, im übrigen hat noch niemand überzeugend vorgetragen, wo denn der Vorteil für den Staat und die Bürger läge, wenn der Staat von den Beamten erst Beiträge für ihre Altersversorgung erheben würde, um sie dann bei der Versorgung später wieder auszuzahlen. Das ist ein reiner Verschiebebahnhof, der mehr Verwaltung schaffte, der aber letzten Endes völlig ineffektiv wäre. Und ich will der Öffentlichkeit hier auch einmal sagen: Ich frage mich, warum eigentlich die, die immer mit Neidgefühlen gegenüber Beamten argumentieren, dann, wenn sie schon Gleichmacherei wollen, niemals die Forderung aufstellen, die Besteuerung der Beamtenpensionen abzuschaffen, weil viele Rentner keine Steuern zahlen müssen. ({1}) Auch darüber müßte man einmal sehr offen reden. Andererseits stimme ich mit meiner Fraktion der Aussage in Ziffer 7 des Entschließungsantrages zu, daß wir - wie schon bisher - im Rahmen des § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes auch künftig die wachsenden finanziellen Belastungen der Alterssicherungssysteme bei unseren Besoldungsentscheidungen berücksichtigen, eben als Teil der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse, wie der § 14 es vorsieht. Fünftens. Die Zweigleisigkeit im Recht des öffentlichen Dienstes - Tarifvertragsrecht für die Angestellten und Arbeiter einerseits, öffentliches Recht, also Gesetze, für die Beamten andererseits - darf nicht dazu führen, daß Angestellte und Arbeiter mit den Mitteln des Tarifrechts ihre Ansprüche auf die Zusatzversorgung wahren und nur die Beamten einseitig durch Gesetz belastet werden. Wir werden das nicht zulassen, und ich fordere die Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, nachdrücklich auf, die Änderung der Beamtenversorgung in entsprechende Änderungen der Zusatzversorgung durch Tarifvertrag zu übernehmen. Sechstens. Wenn wir die Novellierung des Beamtenversorgungsrechts nach den in der Entschließung genannten Eckwerten vornehmen, wird es weder eine Begünstigung noch eine Benachteiligung der Beamten geben. Die Kostensenkung in der Altersversorgung der Beamten wird der in der Rentenversicherung - bezogen auf die Zahl der Versicherten und die Zahl der Beamten - adäquat sein. Siebtens. Änderungen in der Beamtenversorgung werden auf die Versorgung der Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesminister und der Parlamentarischen Staatssekretäre sinngemäß übertragen. Meine Damen und Herren, im Gesetzgebungsverfahren werden wir gemeinsam - CDU/CSU, SPD und FDP - den Entschließungsantrag konkretisieren. Ich hoffe, daß wir auch dabei so offen und konstruktiv verhandeln wie bei der Ausarbeitung des Entschließungsantrages, wofür ich den Kollegen von der FDP und der SPD sehr herzlich danken möchte. Ich hoffe, daß wir das auch gemeinsam zu Ende tragen können. Um es deutlich zu machen: Es wird in der Versorgungsfrage keinen Einheitsbrei geben. Es bleibt bei den unterschiedlichen Systemen. Es wird keinen finanziellen Verschiebebahnhof geben. Wir werden die Regelungen den Systemen angemessen und auch der Ökonomie der Verwaltung entsprechend treffen. Es wird keinerlei Sonderopfer für Beamte geben, auch nicht für Angestellte und Arbeiter. ({2}) Es wird aber auch keine Begünstigungen für Beamte, Angestellte und Arbeiter geben. Wir wollen Unterschiedliches unterschiedlich behandeln, aber mit dem klaren Ziel und der Maßgabe, daß wir zu gerechten Folgerungen aus der Veränderung der Altersstruktur unserer Bevölkerung kommen, sowohl für diejenigen, die im öffentlichen Bereich tätig sind, als auch für die, die im privaten Bereich tätig sind. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Die SPD hätte es sich leichter machen können und auch und gerade bei der Sanierung der Alterssicherungssysteme ihre durch Wahlentscheidung ihr zugewiesene Rolle als Oppositionspartei auf das Opponieren beschränken können. Wir haben das nicht getan, und wir meinen, aus guten Gründen. Dabei denken wir nicht bloß an die großen renten- und versorgungspolitischen Entscheidungen der Vergangenheit, die wir immer mitgestaltet haben. Wir meinen - das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen - , daß in einer Zeit, die Einschränkungen in den Alterssicherungssystemen zu deren Erhaltung unabweisbar macht, eine verantwortungsbewußte Opposition nicht der Gefahr erliegen darf, diese objektiven Probleme zu leugnen und den Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorzugaukeln, diese Fragen existierten nicht, wenn nur die Regierung wechselte. ({0}) Gewiß, es gibt Gründe für die finanziellen Probleme der Alterssicherungssysteme, die auch in der Regierungsverantwortung liegen, die Regierungsverantwortung berühren: etwa die Massenarbeitslosigkeit, die, von der Regierung nur attentistisch begleitet, sich auch auf die Kassenlage der Alterssicherung auswirkt, oder die Sucht - ich muß sagen, es ist fast eine Krankheit - , den öffentlichen Dienst mehr und mehr zu „verbeamten", obwohl die Beschränkung des Berufsbeamtentums auf hoheitliche Tätigkeiten sinnvoll wäre und damit überdies bei einem Status der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes als Angestellte oder Arbeiter Beitragszahler für die Rentenversicherungen gewonnen werden könnten. ({1}) Davon abgesehen akzeptieren wir, daß es objektive, nicht von der Regierung zu vertretene Ursachen gibt, die ein Handeln notwendig machen. Besonders die Tatsache, daß wir ein Volk mit weniger Kindern geworden sind - oder anders ausgedrückt: die demographische Kurve neigt sich nach unten -, hat ebenfalls Auswirkungen auf die Systeme der Alterssicherung. ({2}) - Ich find sie sehr lebendig, die Frau Unruh; es macht immer Spaß zuzuhören. Da liegt es nahe - Oppositionsrolle hin, Oppositionsrolle her -, mitzutun auf der Grundlage einer hohen sozialpolitischen Kompetenz, die die SPD immer ausgewiesen hat. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Briefs?

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Normalerweise ja, aber Sie kommen immer nur mit Ideologien, Herr Briefs; wir haben es gestern wieder im Postausschuß gehört. Es bringt nichts, wenn wir uns unterhalten. ({0}) Natürlich wissen auch wir, daß eine andere als eine große politische Kombination leicht Gefahr liefe, sich zu überheben und sich in Irrwegen ideologischer Befangenheit zu verlieren. Unser Mitwirkungswille - Herr Gerster, das möchte ich Ihnen jetzt sagen - ist unbegrenzt. Unsere Zustimmung zu den Gesetzen ist jedoch besonders an die Voraussetzung geknüpft, daß beide Teile, Rentenreform und Versorgungsanpassung für Beamte, ({1}) zeitgleich verabschiedet werden. ({2}) Hier gibt es ganz klare Erklärungen unsererseits - den Schriftwechsel mit Herrn Dr. Vogel und dem Bundeskanzler -, ({3}) und es gibt auch die Zustimmung des Bundesinnenministers zu dieser Forderung in unseren Gesprächen, abgeschlossen in der vorigen Woche.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster? - Bitte.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bernrath, können Sie bestätigen, daß der Wortlaut in unserer Resolution heißt, daß beide zur gleichen Zeit verabschiedet werden sollen, daß wir aus einem „müssen" in den Verhandlungen ein „sollen" gemacht haben und daß ich in der Abschlußbesprechung zu Protokoll gegeben habe, daß die CDU/CSU als Fraktion alles tut, damit zur gleichen Zeit verabschiedet wird, daß wir aber klarstellen, daß wenn wegen der Beteiligung mit den Gewerkschaften oder wegen der Beteiligung des Bundesrates eine Verzögerung eintritt, die nicht der Bundestag zu vertreten hat, dennoch die Rentenreform in jedem Fall in diesem Jahr verabschiedet wird, wir aber zugestehen, daß in jedem Fall in dieser Wahlperiode auch noch die Beamtenversorgung geregelt wird? Können Sie das bestätigen?

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben das so zu Protokoll gegeben. Wir haben dem aber klar gegenübergesetzt, daß es keine technischen Hindernisse geben kann, bei der Absicht zu bleiben, beides zeitgleich zu verabschieden. ({0}) Ich sage noch einmal: Wir machen mit, aber wir wollen zeitgleiche Verabschiedung der Rentenreform und der Versorgungsanpassung für Beamte haben. ({1}) - Es scheint Sie sehr zu beunruhigen, Herr Dr. Hirsch.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Hirsch, bitte sehr.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bernrath, würden Sie auch für das Protokoll freundlicherweise bestätigen, daß auch wir in den entscheidenden Verhandlungen immer wieder erklärt haben, wir seien bereit und entschlossen, dieses Problem, wenn nicht gleichzeitig, so doch jedenfalls so schnell wie möglich zu regeln, und zwar natürlich in dieser Legislaturperiode?

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bestätige Ihnen, daß Bereitschaft und Entschlossenheit die beste Grundlage dafür sind, daß wir das auch gemeinsam schaffen. ({0}) Aber ich sage Ihnen auch dazu: Wenn Sie jetzt schon auf die Störfeuer derjenigen, die sozusagen mit den althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums auf die Welt gekommen sind, eingehen, dann kommen sie ins Schleudern. Ich nenne diese Grundsätze aus der heutigen Zeit betrachtet „weit hergeholt". Aber wir haben eine Verfassung, das werden wir auch berücksichtigen, aber wir werden uns nicht dahin verständigen können, daß es in der Tat - Sie haben das auch ein wenig befürchtend noch einmal ausgedrückt - Sonderregelungen für Beamte geben könnte; sie müssen adäquat beteiligt werden. Ich sage dazu auch noch etwas. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zwischenfrage ist gewünscht, Herr Abgeordneter Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Bernrath, würden Sie noch einmal ausdrücklich vor aller Öffentlichkeit bestätigen, daß es für die SPD keine gespaltene Zustimmung zur Sanierung der Alterssicherungssysteme gibt?

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz klar, da gibt es auch keinen Zweifel. Ich sage noch einmal: Wir kennen die Inhalte ja schon so, daß wir auch bewerten können, was da an Problemen drinsteckt. Wir werden das gemeinsam schaffen. Die Rentenreform war schwieriger, weil sie die Grundlage schaffen mußte. Wir brauchen eigentlich nur systemgerecht zu spiegeln, und damit werden wir fertig. Das kann hier kein Streitpunkt sein. ({0}) Ich möchte ausdrücklich hinzufügen, daß außerdem die erforderlichen Konsequenzen für uns, die Abgeordneten, die Parlamentarischen Staatssekretäre, die Regierungsmitglieder, gezogen werden müssen. In der Begründung zu dem hierzu vorliegenden Antrag heißt es: Aus der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Rentenreformgesetz 1992 und der damit zusammenhängenden Anpassung der Altersversogung der Beamten ergeben sich Folgewirkungen auf die Anwartschaften anderer gesetzlicher Altersversorgungssysteme, soweit sie vergleichbar sind. Ich möchte ausdrücklich sagen, dies erfordert dem Sinne nach und in den Wirkungen vergleichbare Regelungen für die Altersversorgung der Mandatsträger. Ich möchte hier auch darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung bereits vorschlägt, daß damit auch Regelungen für die Anrechnung von Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Altersentschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages enthalten sein und beschlossen werden müssen. Wir werden bei der Beamtenversorgung auch darauf aufpassen, daß die unteren Einkommensgruppen nicht die Hauptlast tragen müssen. ({1}) Es ist gut, daß auch CDU/CSU und FDP hier Handlungsbedarf erkennen. Eine von uns ins Auge gefaßte gebrochene Linearisierung könnte diesbezüglich die notwendige soziale Komponente erleichtern. In die schon laufenden Versorgungsbezüge wird nicht eingegriffen, ({2}) es sei denn, daß die künftigen linearen Besoldungsanpassungen demographisch bedingt schmaler ausfallen, was dann systembedingt Folgewirkungen auch auf die Pensionen hat. Das ist dem System immanent, und Sie wollen sich ja im System bewegen. Wir wollen wie bei Angestellten und Arbeitern an den besonderen Altersgrenzen für Schwerbehinderte festhalten und sehen da auch breiten Konsens als erreichbar an. Jede der besonderen gesetzlichen Altersgrenzen werden wir daraufhin überprüfen, ob eine längere aktive Dienstzeit künftig nicht zweckmäßig und vertretbar ist. Dabei sind wir uns durchaus der darin steckenden Problematik bewußt. Ich erwähne nur den Druck der Massenarbeitslosigkeit, der eigentlich ein früheres Ausscheiden der Alteren zugunsten der Jüngeren angezeigt erscheinen ließe. Aber auch den Anteil gesundheitsbedingter frühzeitiger Pensionierungen gerade im mittleren und einfachen Dienst sehen wir, und wir tragen dem teilweise dadurch Rechnung, daß im Falle gesundheitsbedingter Frühpensionierung Zurechnungszeiten hinzukommen müssen. Von den gesundheitlichen Gründen abgesehen, soll künftig auch ein früheres Ausscheiden aus dem Dienst, also vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze, möglich sein, allerdings verbunden mit einem Abschlag bei der Versorgung. Soweit es die besonderen gesetzlichen Altersgrenzen angeht, wissen wir sehr genau, daß bei Polizei, Feuerwehr, Justizvollzugsdienst etwa kaum Ansätze gegeben sind, die Lebensdienstzeit über die derzeitigen Regelungen hinaus zu verlängern. ({3}) Ich halte das auch für sehr wesentlich; da werden wir uns auch verständigen können. Ein zentraler, zwischen CDU/CSU, FDP und uns vereinbarter Punkt bleibt für uns, daß die künftigen demographisch bedingten Veränderungen bei der Rentenversicherung zu Lasten der Betroffenen auch von den Beamten mitgetragen werden müssen. Wir wissen, daß wir noch viel Arbeit im Detail vor uns haben. Damit wir das Ziel auch zeitlich nicht verfehlen, sind wir sehr auf Unterstützung der Bundesregierung und auch der Länder insbesondere auch bei den technischen Arbeiten angewiesen. Ein dichtes Maß an Gemeinsamkeit auch bei der Gesetzesanfertigung ist dabei ebenso hilfreich wie die Konkretisierung der vereinbarten Eckdaten. Wir bieten den Gewerkschaften ständiges Benehmen an, weil wir auf deren Rat und Erfahrung nicht verzichten wollen und können, wohlwissend, daß bei der Beschaffenheit des Themas - es geht letztlich nicht um mehr, sondern es geht um weniger - ein Einvernehmen kaum, jedenfalls nicht in allen Einzelheiten, möglich sein wird. ({4}) - Das haben wir ausdrücklich in der Entschließung gesagt, was wir von den Arbeitgebern und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes erwarten. Andererseits wissen wir, daß die Gewerkschaften - darauf bauen wir auch dieses Mal -bei großen Zukunftsregelungen immer das öffentliche Wohl mit im Auge gehabt haben. Wir als Sozialdemokraten werden jedenfalls alles daran setzen, daß auch die Pensionen wie die Renten künftig sicher sein werden, sicher bleiben werden. Nur darum diese Reformen, und nur darum stimmen wir auch den vorliegenden Entschließungen zu. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichzeitig mit dem Entwurf eines Rentenreformgesetzes legen wir Ihnen einen Entschlieflungsantrag von CDU/CSU, SPD und FDP vor, der die Eckwerte für eine Änderung des Beamtenversorgungsrechts umreißt. Es ist im Vorfeld der öffentlichen Diskussion zu diesem Thema immer wieder darauf hingewiesen worden, daß es die Akzeptanz bei den von der Änderung des Rentenrechts Betroffenen erhöhen würde, wenn auch im Beamtenbereich adäquate Veränderungen vorgenommen würden. ({0}) Tatsächlich geht es aber noch um mehr. Niemand kann bestreiten, daß sich die demographische Entwicklung, die zu Änderungen im Rentenversicherungssystem zwingt, in gleicher Weise bei den Beamten vollzieht. Ich möchte freilich hinzufügen, daß dies auch für andere Alterssicherungssysteme gilt, die aus staatlicher Quelle gespeist werden. Was die Akzeptanz angeht: Sicherlich würde es die Akzeptanz bei den Beamten heben, wenn auch im Bereich z. B. der Knappschaft oder der landwirtschaftlichen Alterssicherung adäquate Änderungen vorgenommen würden, ({1}) und es wird die Akzeptanz steigern, wenn wir, wie in dem vorliegenden Antrag gefordert, auch uns selbst, Abgeordnete, Parlamentarische Staatssekretäre und Bundesminister, nicht ausnehmen und die vorgesehenen Veränderungen auch dort sinngemäß vornehmen. ({2}) Meine Damen und Herren, nach Berechnungen des Prognos-Instituts werden sich die Aufwendungen für Pensionen für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten unter den derzeitigen Bedingungen in den nächsten 50 Jahren etwa verdoppeln. Damit besteht eine Parallelität zur Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Angesichts dieser Fakten wissen die Beamten, daß sie nicht auf einer Insel der Seligen leben. Sie wissen, daß sie bei Änderungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen, nicht außen vor bleiben können. Sie wollen das auch gar nicht. Die Beamten fordern keineswegs überzogene Privilegien ein. ({3}) - Frau Beck-Oberdorf, Sie wollen nicht besser, aber auch nicht schlechter behandelt werden als der Rest der Gesellschaft. ({4}) Das ist der Punkt. Es darf gar nicht erst der Verdacht eines Sonderopfers der Beamten aufkommen. ({5}) Insofern muß das Volumen der in der Beamtenversorgung vorzusehenden Änderung erkennbar sein. Es muß erkennbar sein, daß diese Änderungen adäquat zu den Kostensenkungen im Bereich der Rentenversicherungen vorgenommen werden. Das, meine Damen und Herren, ist durch die Eckwerte, die wir Ihnen vorlegen, gewährleistet. Die FDP bekennt sich zum Berufsbeamtentum. Hierzu gibt es keine Alternative. Das Berufsbeamtentum gewährleistet, daß hoheitsrechtliche Befugnisse nur von qualifizierten und außerdem in einem besonders engen Verhältnis zum Staat stehenden Bediensteten wahrgenommen werden. Die Eigenständigkeit der Beamtenversorgung gehört zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbestand des Berufsbeamtentums und steht damit auch im Zusammenhang mit Veränderungen anderer Alterssicherungssysteme nicht zur Disposition. Die Beamtenversorgung beruht auf dem Grundsatz der Alimentation. Sie ist damit wesentlicher Bestandteil des besonderen Dienstverhältnisses, das sich durch die Treuepflicht des Beamten einerseits und durch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn andererseits kennzeichnet. Beamte dürfen z. B. nicht streiken; auch beamtete Lehrer dürfen das nicht. ({6}) Auf der anderen Seite muß der Dienstherr seinerseits für einen amtsangemessenen Lebensunterhalt seiner Beamten im Rahmen der Fürsorgepflicht eintreten. Die Fürsorgepflicht wirkt auch fort, wenn der Beamte in den Ruhestand tritt, so wie die Treuepflicht fortwirkt. Dies ist auch der Grund, weswegen wir Eigenbeiträge der Beamten ablehnen. Abgesehen davon, daß der Beamte sehr wohl seinen Beitrag zur Altersversorgung leistet, wären darüber hinaus gehende sogenannte Eigenbeiträge systemwidrig. Auf gar keinen Fall aber darf der Eindruck entstehen, daß die Beamten etwa für die Finanzierung eines anderen Alterssicherungssystems herangezogen werden. Im Klartext: Eine Beteiligung der Beamtenschaft an der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung ist ausgeschlossen. ({7}) Darauf ist insbesondere auch im Zusammenhang mit der Frage der künftigen Anpassung der Beamtengehälter zu achten. In der Tat gehören die künftig wachsenden finanziellen Belastungen der Rentenversicherten zu den „allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen", die nach § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes bei der Anpassung zu berücksichtigen sind. Sie sind e i n Element, jedoch nicht das ausschließliche. Eine Indizierung, eine Anpassungsautomatik kann es deshalb nicht geben. ({8}) Dies auch in dem erzielten Kompromiß deutlich zu machen, war ein besonderes Anliegen der FDP. ({9}) - Sicherlich, Herr Gerster. - Herr Gerster, übrigens ist dies ja auch gar nichts Neues, denn es besteht keineswegs ein Anspruch auf Übertragung des Tarifabschlusses auf die Beamten. Bei der Streckung und Linearisierung der Höchstversorgung von 75 % der letzten Bezüge wird darauf zu achten sein, daß der Beamte auch bei normaler Laufbahn in der Lage ist, diese Höchstversorgung zu erreichen. Hier treten Schwierigkeiten auf, und zwar bei vorzeitiger Dienstunfähigkeit, aber auch bei bestimmten Laufbahnen; ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Soldaten, aber es gibt auch weitere Beispiele. In der Gesetzgebungsarbeit wird noch besonderes Augenmerk darauf zu richten sein. Die Anpassung und Flexibilisierung der Altersgrenzen sowie die Überprüfung der vorgezogenen gesetzlichen Altersgrenzen halte ich für vertretbar. Die Belange der Schwerbehinderten müssen gesondert gesehen werden. Auch bei der Dienstunfähigkeit soll der Grundsatz „Rehabilitation vor Versorgung" künftig gelten. Auch in Zukunft sollen Hinzuverdienste nicht auf die erarbeiteten Pensionsansprüche angerechnet werden. Wir werden uns auch weiterhin entschieden darum bemühen, § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes zu revidieren und die fiskalischen Widerstände - insbesondere auch der Bundesländer - zu überwinden. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Unruh?

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, meinen Sie, daß Lehrer Beamte auf Lebenszeit sein müssen?

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich meine, Frau Unruh - darauf habe ich abgehoben -, daß jemand, der sich im Beamtenstatus befindet, nicht nur die Segnungen desselben in Anspruch nehmen kann, sondern daß er sich leider auch die Beschränkungen dieses Statuts auf erlegen lassen muß. Denn es geht nicht, daß man nur die Rosinen herauspickt. Die Lehrer können sich natürlich im Angestelltenverhältnis beschäftigen lassen. Das tun ja auch einige. Aber diejenigen, die Beamte sind, müssen auch akzeptieren, daß für den Beamten bestimmte Beschränkungen gelten. ({0}) Meine Damen und Herren, zu einer adäquaten Anwendung gehört auch die erweiterte Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Dienstzeiten in der Beamtenversorgung. Auch hierauf werden wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens achten. Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang gefordert. Sie sollte unverzüglich einen Diskussionsentwurf erarbeiten, der von diesem Eckwert ausgeht. Im übrigen geht die FDP-Fraktion davon aus, daß sich die aus diesen Grundsätzen ergebenden Änderungen auch in den Verhandlungen der Tarifparteien bezüglich der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst niederschlagen werden. ({1}) Meine Damen und Herren, viele Versorgungsempfänger sind heute beunruhigt, weil sie fürchten, daß ihnen etwas genommen werden soll. Wir wollen hier ganz deutlich klarstellen, daß diese Furcht nicht begründet ist. Der Bestandsschutz für alle bei Inkrafttreten des Gesetzes bestehenden Versorgungsverhältnisse wird gewährleistet, und die Übergangsregelungen müssen so gehandhabt werden, daß es nicht zu unbilligen Härten kommt. ({2}) Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Ich bin sicher, daß eine so gehandhabte Anpassung der Beamtenversorgung nicht nur die Akzeptanz bei den Betroffenen in der Rentenversicherung erhöht, sondern daß sie auch von den Beamten nicht nur verstanden, sondern als systemkonformes Element akzeptiert wird. Darauf wird unsere weitere Arbeit im Gesetzgebungsverfahren zielen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP haben sich über die Maßnahmen zur Rentenstrukturreform 1992 geeinigt. Dieser Konsens soll aber aus der Sicht der Sozialpolitik nur gelten, wenn hieraus auch Folgerungen für die Alterssicherungssysteme des öffentlichen Dienstes gezogen werden. Der Bundesinnenminister und auch ich haben von Anfang an, Herr Kollege Lutz, immer darauf hingewiesen, daß selbstverständlich auch der öffentliche Dienst in seinem Bereich einen Teil zur Lösung der Finanzierungsprobleme beitragen muß. Was jetzt gefunden worden ist, ist ein Kompromiß, den wir mit allen Vorteilen und Nachteilen mittragen. ({0}) Ich halte es nicht für gut - ich sage das ganz allgemein - , wenn die eine Seite der anderen die negati9766 ven Punkte zuzuweisen versucht und die positiven für sich in Anspruch nimmt. ({1}) Ich sage das ganz allgemein, weil das vorhin in der Debatte über die Renten sehr auffällig war. Die Eckpunkte hierfür sind in dem Ihnen zur Beschlußfassung vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung aufgeführt. Sie zielen in erster Linie auf die Beamtenversorgung, gelten aber auch für die anderen Alterssicherungssysteme. Die vorgesehenen Maßnahmen in der Beamtenversorgung sind ausgewogen. Die Eigenständigkeit des verfassungsrechtlich garantierten Alterssicherungssystems bleibt erhalten. Das war für die Bundesregierung von ganz entscheidender Bedeutung. Es ist sehr beruhigend, Herr Kollege Bernrath, wenn sich auch Ihre Fraktion, wie Sie heute zusicherten, an diese verfassungsrechtlichen Festlegungen halten will. ({2}) - Es ist ja ausdrücklich betont worden. Die Höchstversorgung von 75 % der letzten Bezüge wird nicht angetastet. Allerdings wird sie nicht mehr schon nach 35 Jahren Dienstjahren, sondern erst nach einer etwas längeren Dienstzeit errreicht. Wir werden bei der Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala jedenfalls sehr darauf achten, daß jeder Beamte in jeder Laufbahn nach einem vollen Arbeitsleben im Beamtenverhältnis die Höchstversorgung auch tatsächlich erreichen kann. ({3}) In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur derzeitigen Rechtslage. Der Beamte scheidet heute nicht schon nach einer Dienstzeit von 35 Jahren aus und genießt seine Höchstversorgung, wie es manche glauben machen wollen; er leistet vielmehr weiter Dienst bis zur gesetzlichen Altersgrenze oder bis zur Antragsaltersgrenze, ohne daß sich dies auf seine künftige Versorgung auswirkt. Das wird in der veröffentlichten Meinung leider oft geflissentlich verschwiegen. ({4}) - Wenn es möglich ist, ist das ja auch kein Schaden, falls es unter Berücksichtigung des Leistungsprinzips geschieht. ({5}) Was die Anpassung der Besoldung und Versorgung an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse betrifft, so ist davon auszugehen, daß die sich aus der demographischen Entwicklung künftig ergebenden finanziellen Belastungen für die öffentlichen Haushalte bei der Anpassung im Rahmen des § 14 des Bundesbesoldungsgesetzes berücksichtigt werden müssen. Schließlich werden auch positive Regelungen aus der Rentenstrukturreform in die Beamtenversorgung übernommen. Ich denke hier an die Erhöhung der Kindererziehungszeiten. Solche Zeiten werden in der Rentenversicherung wie Zeiten einer Erwerbstätigkeit gewertet. Das systemgerechte Pendant in der Beamtenversorgung ist, wie bereits geregelt, die Bewertung als Dienstzeit. ({6}) Das kommt den beamteten Frauen, die Kindererziehungszeiten überwiegend in Anspruch nehmen, zugute. Bei allen Rechtsänderungen muß dem erforderlichen Vertrauensschutz durch angemessene Übergangsregelungen selbstverständlich Rechnung getragen werden. Das Vertrauen der Beamten, die den größten Teil ihres Berufslebens in der Erwartung einer Versorgung nach geltendem Recht zurückgelegt haben, darf keinesfalls enttäuscht werden. ({7}) Eingriffe in bestehende Versorgungsverhältnisse wird es nicht geben. Als Folgerung aus der Rentenreform werden wir - darüber sind wir uns wohl einig - auch die Altersversorgung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Minister und der Parlamentarischen Staatssekretäre auf der Grundlage der im Entschließungsantrag enthaltenen Eckwerte anpassen. Die Bundesregierung wird den Entwurf für gesetzliche Regelungen zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und anderer Gesetze sehr zügig erarbeiten. Zugleich erwarte ich aber, daß sich die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes ({8}) auf entsprechende tarifvertragliche Regelungen einigen können. Das ist aus Gründen der Gerechtigkeit und insbesondere auch sozialpolitisch unverzichtbar. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl. ({0}) - Herr Abgeordneter Bötsch, die Debatte ist noch nicht geschlossen. ({1})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

So ungefähr ist es, Herr Gerster. Der Beginn meiner Redezeit ist sehr oft nach hinten verlegt worden. ({0}) Aber um so größer ist meine Freude darüber, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß ich meinen Beitrag Ihnen jetzt zu Gehör bringen kann. Ich möchte zunächst etwas Grundsätzliches sagen: Ich freue mich darüber, daß ich bei dieser erweiterten Pressekonferenz - denn etwas anderes findet hier heute zur Rentenreform nicht statt - des Deutschen Bundestages jetzt einen Meinungsbildungsbeitrag einbringen kann. ({1}) Sie haben bereits alles außerhalb des Parlaments beschlossen. Sie haben die Entscheidung nicht einmal mehr in den Ausschüssen herbeigeführt. ({2}) Vielmehr haben drei Fraktionen mit vier darin vertretenen Parteien unter Ausschluß eines Teils des Parlaments Entscheidungen herbeigeführt. Ob wir hier heute diskutieren oder nicht, ist völlig egal. Wir können nur noch abstimmen; ({3}) das bleibt übrig. Selbst die Beratung in den Ausschüssen ist darauf reduziert worden, zu akzeptieren, was die Regierungsfraktionen zusammen mit der SPD-Fraktion - sie hat eigentlich eine Oppositionsrolle - beschlossen haben. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja, sicher.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wüppesahl, darf ich Sie fragen, ob es Ihrer Aufmerksamkeit vielleicht entgangen ist, daß wir uns in der ersten Lesung befinden ({0}) und daß Ausschußberatungen vor der ersten Lesung bisher weder üblich noch möglich waren. ({1})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege. ({0}) - Das ist doch überhaupt kein Widerspruch: Wir diskutieren hier über ein fertiges Konzept zur Rentenreform. Dieses Konzept ist kaum bis gar nicht veränderbar, wenn Sie diesen gemeinsamen Nenner der drei Fraktionen nicht gefährden wollen. ({1}) Das bedeutet: Sie entmündigen, entmannen dieses Bundesparlament. ({2}) - Herr Präsident, wenn ich jetzt meine Ausführungen fortsetzen darf.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Wenn die Zeit nicht angerechnet wird, sicher. ({0}) - Die beginnt erst, Herr Gerster.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wüppesahl, möchten Sie mit Ihrer vorgetragenen Kritik an dem ordnungsgemäßen Verfahren den Vorschlag verbinden, daß es besser gewesen wäre, heute kein Konzept vorzustellen? ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Der Zwischenruf sagt im Grunde alles. ({0}) Trotzdem möchte ich noch folgendes ergänzen. Ich erwarte, daß ein Gesetzentwurf der Regierung eingebracht wird ({1}) und nicht eine solche Widerlichkeit geschieht wie bei dieser Rentenreform, daß Besitzstandsverschiebungen zu Lasten der benachteiligten Gruppen der Gesellschaft ({2}) von der SPD als Opposition noch mitgetragen werden. ({3}) Das haben nicht nur Vorredner deutlich gemacht, sondern das werde auch ich deutlich machen. Der Kern dieser Rentenreform sind folgende Punkte. Sie senken das Rentenniveau bis 1992. ({4}) Sie sparen auf Kosten der Rentnerinnen mindestens 10 Milliarden DM ein. Sie heben die Altersgrenze auf 65 Jahre an. Sie kompensieren die Wochenarbeitszeitverkürzung durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Die spätere Rentenkürzung für Arbeitslose und Langzeitkranke hat ebenfalls die Unterschrift der SPD-Fraktion gefunden. Und sie sorgen für keine bedarfsorientierte Grundsicherung, die allein Armut im Alter verhindern würde. In der Frage der Harmonisierung der Beamtenversorgung gibt es nichts als Versprechungen. Das sind die Kernpunkte dessen, was wir heute auf dem Tisch haben, woran sich nichts mehr groß verändern kann, wenn der Konsens zwischen den Fraktionen nicht gefährdet werden sollte. Das alles trägt die Unterschrift der SPD-Fraktion, die sich durch ihre Verhandlungsführer Heyenn und Dreßler offensichtlich hat über den Tisch ziehen lassen. Mit über den Tisch gezogen wurden Millionen von Benachteiligten in dieser Gesellschaft. ({5}) Ich zitiere: Dieser Rentenkompromiß ist gar keiner. ({6}) Unter diese vergebliche Reform darf keine Unterschrift von Sozialdemokraten. So kräftig distanzierte sich die Bremer SPD von der Rentenpolitik ihrer Bonner Mutterpartei. Am 15. Februar 1989 wurde das geschrieben. ({7}) Daß heißt, Herr Heyenn, das, was ich hier an Kritik gegenüber Ihrer Fraktion und im besonderen auch an Ihrer Person und Herrn Dreßler, der die Federführung bei den Verhandlungen hatte, formuliere, wird auch von Teilen der SPD nicht anders gesehen. Nachdrücklich - so die Bremer SPD - richte sich die Kritik auch gegen die eigene Verhandlungsdelegation, d. h. insbesondere gegen die SPD-Politiker Dreßler und Heyenn. Mir scheint, viele in der SPD-Fraktion haben noch nicht begriffen, was sie jetzt alles mit gegenzeichnen. ({8}) Es sei ein fadenscheiniger Kompromiß. Die CDU könne mit SPD-Stillhalten einen weiteren elementaren Eckpfeiler der sozialen Sicherung demontieren. - Nochmals: die Bremer SPD. ({9}) - Sie täuschen sich, Herr Bötsch. Ich habe nach intensiven Beratungen mit meiner Fraktionsgeschäftsführung diese klare Position entwickelt, die ich Ihnen vortrage. ({10}) Schon im vergangenen September, wenige Wochen nach dem Münsteraner Parteitag - Sie merken, daß einer der beiden Schwerpunkte in dieser Rede die SPD ist, der zweite wird die Beamtenproblematik werden - , ({11}) hatte die Kollegin Frau Beck-Oberdorf in einer Bundestagsdebatte erklärt: Der Parteitag - der SPD hat soeben die Idee einer Grundsicherung festgeschrieben. Zwischenruf des Sozialpolitikers Andres, SPD Das macht euch schwer zu schaffen! Die Kollegin fuhr fort: Die Damen und Herren der Fraktion - der SPD-Fraktion buhlen bereits um die Aufnahme in den großen Kompromiß der Reformer, die jede Form einer Grundversorgung ablehnen: ein typischer SPD-Spagat. Jetzt wird es richtig delikat. Herr Heyenn bekommt schon leichte Rötungen am Kopf. ({12}) Das Bundestagsprotokoll verzeichnet nämlich erneute Zwischenrufe. Der Sozialpolitiker Heyenn rief: Wo haben Sie das gelesen? Dreßler rief: O Gott, o Gott! Es gab noch weitere Zurufe von der SPD. ({13}) Was zeichnet die SPD heute aus? Das frage ich Sie. Genau das. ({14}) Sie haben die Öffentlichkeit in diesem Sinne in der Tat monatelang belogen, Sie haben Erwartungen geweckt und Versprechungen gemacht, ({15}) die Sie heute in keiner Weise einlösen. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gefragt: Was zeichnet die SPD heute aus? Es zeichnet sie die Ruhe und Gelassenheit aus, mit denen sie Ihre Unverschämtheiten anhört. ({0})

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich denke nicht, daß die SPD-Fraktion in den sieben Minuten, die ich bisher habe reden können, ({0}) ruhig und gelassen gewesen ist. Ich denke, sie hat auch allen Grund dazu, wenn sie von dem einzigen unabhängigen Kopf in diesem Plenum vorgeführt wird. ({1}) Wir haben solche Kritiken, die ich eben zitiert habe, nicht nur aus den Reihen der SPD - in diesem Fall von dem Bremer Landesverband - gehört, sondern wir kennen sie auch vom DGB. Ich erspare mir die wörtlichen Zitate. Ich kenne Zeitungsartikel. „WAZ", 18. November 1988: „Dreßler: Rentenkonzept nicht konsensfähig, weil die SPD gegen die längere Lebensarbeitszeit ist" . Und was ist heute davon übriggeblieben?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wüppesahl, es gibt noch eine Bitte um eine Zwischenfrage, jetzt von Herrn Abgeordneten Richter.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Bitte.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wüppesahl, wann kommt denn der Teil Ihrer Rede, in dem Sie sagen, was Sie angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung vorschlagen?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Richter, es besteht folgendes Problem: Ich bekomme nur 15 Minuten Redezeit. ({0}) Wir haben vorher schon in den Details und Inhalten die wesentlichen Positionen gehört, die sich gegenüberstehen. Ich will nichts wiederholen. Ich will vielmehr zwei besondere Schwerpunkte herausarbeiten. Das eine ist die Ungeheuerlichkeit, daß die SPD ihre Unterschrift unter diesen Gesetzentwurf gesetzt hat, und das zweite ist die Beamtenproblematik. Sorgen Sie mit dafür, daß ich eine angemessene Redezeit bekomme. ({1}) Das würde ungefähr 30 Minuten bedeuten. Dann kann ich Ihnen auch darlegen, wie ich mir das vorstelle. Wir haben den „Kölner-Stadt-Anzeiger" vom 25. November 1988. Überschrift: „Anke Fuchs lehnt Verlängerung der Lebensarbeitszeit ab ". Was ist davon übriggeblieben? Übriggeblieben ist - um das mit einem plakativen Satz zu sagen - : „Oma wird verschaukelt." Das ist die Tatsache. ({2}) Dabei steht die Oma nicht nur als Synonym für sämtliche Alten, die besondere Probleme haben, sich über Lobbyisten klug durchzusetzen - wie es die Beamten tun -, sondern - wie bereits durch die Ausführungen deutlich wurde - für viele andere Menschen mehr. Die Beamten: Ich finde es wirklich haarsträubend, wenn gesagt wird - Sie haben es gerade getan, Herr Richter, aber auch Herr Bernrath, der ein besonderes Herz für die Beamten hat, wie wir alle wissen -, es gehe nicht darum, daß die Beamten Privilegien bekommen sollten. Die Beamten haben Privilegien. Sie wissen, ich bin im Zivilberuf, soweit es meinen Status angeht, selbst Beamter. ({3}) Wir haben als Beamte Privilegien, die wahrscheinlich nur noch durch die Privilegien zu übertreffen sind, die wir als Abgeordnete, als Parlamentarische Staatssekretäre oder Minister zur Zeit noch genießen. Wir kennen doch die ganzen Vergleichsdaten und wissen, wie das nach 40 Jahren vergleichbarer Arbeit aussieht. Frau Unruh hatte noch einmal ein Beispiel gebracht. Wie kann man sich hier, wenn man sachgerecht und wahrhaftig vortragen will, hinstellen ({4}) und sagen, die Beamten sollten keine Privilegien haben, da doch bereits massivste Privilegien vorhanden sind? ({5}) Auch hier möchte ich die Verknüpfung zur SPD herstellen. „Frankfurter Rundschau", 25. Juli 1988: Der Sozialexperte Günther Heyenn forderte am Sonntag im „ZDF", daß Beamte eigene Beiträge zu ihrer Altersversorgung zahlen müssen. Heyenn umriß auch die Frage nach den Konsequenzen der Rentenreform für den öffentlichen Dienst und die Position der SPD mit dem Satz: - Heyenn, O-Ton! Wir müssen die Alterssicherungssysteme harmonisieren, ({6}) d. h. - und das ist die entscheidende Forderung daß Beamte Beiträge zahlen müssen für ihre spätere Alterssicherung, für ihre Pension. Wo haben wir das in diesem Gesetzentwurf? ({7}) Wir finden es auch nicht bei der zu erwartenden Harmonisierung bezüglich der Beamten, wozu im Herbst ein Gesetzentwurf vorgelegt werden soll, Herr Bernrath. Das haben doch gerade auch Ihre Redner deutlich gemacht, wenn sie ausgeführt haben, ({8}) daß die Beamten angemessen, entsprechend ihrem jetzigen Besitzstand mit Veränderungen rechnen müssen, wie sie in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen werden sollen. Was angemessen heißt, wissen wir doch alle. ({9}) Die SPD-Fraktion - im wesentlichen wieder Herr Dreßler und Herr Heyenn - hat es bei der Regelung der gesetzlichen Rentenversicherung versäumt, auch gleich das Beamtenproblem mit zu lösen. Jetzt ist das zeitlich verschoben worden. Da werden Sie erst richtig über den Tisch gezogen werden. ({10}) Es ist wirklich ein Renten-Theater mit merkwürdiger Besetzung, was hier abläuft. ({11}) Die merkwürdige Besetzung wird im wesentlichen durch die SPD-Fraktion herbeigeführt. Der Verfassungsrechtler Schneider, selbst Mitarbeiter in der Harmonisierungskommission - und Sie wissen, wie hochkarätig diese Harmonisierungskommission besetzt war, die sogenannte Sachverständigenkommission zur Alterssicherung aus dem Jahr 1983 -, ({12}) hat laut Kommissionsbericht von 1983 - das haben wir alles selbst nachlesen können - ausgeführt, daß es nicht der vom Grundgesetz geforderten Eigenständigkeit der Beamtenversorgung widerspreche, wenn Beamte schrittweise an der Finanzierung der eigenen Altersversorgung beteiligt würden. Auch der Hamburger Wirtschaftssenator Krupp erklärte, daß die Kommission unter Beteiligung der Beamten zu dem Schluß gekommen sei, daß die Beamten zur Finanzierung ihrer durch sie verursachten demographischen Lasten beitragen müßten. Sonst wäre das Beamtensystem das einzige System, das allein durch zunehmende Steuern finanziert werden müßte. ({13}) Das sind die Tatsachen. Das ist das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit. ({14}) Das wird hier einfach ignoriert, weil die Beamtenlobby draußen vor der Tür steht und Ihnen den Hintern heißklopft, wenn Sie irgendwie an die Finanzen der Beamten heranwollen. ({15}) Halten wir fest: Der Handlungsspielraum des Gesetzgebers ist vorhanden. Der Handlungsspielraum ist auch durch das Grundgesetz gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Leitsätzen lediglich gesagt, daß nur insoweit eine gewisse Starrheit vorhanden ist, als die hergebrachten Grundsätze des Beamtentums gewahrt werden müssen. Die Beamten, meine Damen und Herren, können nicht den Kopf in den Sand stecken, ({16}) wenn es bei der Altersversorgung unserer Mitmenschen an allen Ecken und Enden kracht. ({17}) - Sie tun es massiv. Sie versuchen, das auch durchzusetzen. ({18}) Sie sind die Marionetten der Beamtenlobby. ({19}) Aus der gemeinsamen Eigenschaft, Sozialaufwand zu sein, ergeben sich für die Beamtenversorgung und die gesetzliche Rentenversicherung zwei Konsequenzen. Erstens. Die Versorgung der Beamten beruht wie die der Rentner auf der Solidarität der Generationen. Wenn nun Veränderungen in der demographischen Struktur, weil die Beitrags- und Steuerzahler weniger, dafür aber die Rentner und Pensionäre mehr werden, die beiden Alterssicherungssysteme vor große Schwierigkeiten stellen, dann folgt aus ihrer Abhängigkeit von der Finanzierung aus dem jeweiligen Bruttosozialprodukt auch, daß zwischen ihnen grundsätzlich Lasten- und Leistungsgerechtigkeit bestehen muß. Kürzungen des Leistungsniveaus dürfen nicht nur das eine, sondern müssen beide Systeme in gleichem Maße treffen. ({20}) - Dafür haben Sie nicht gesorgt. Sollten höhere Abgaben notwendig werden, um die Mehrkosten zu finanzieren, müssen sie, auf welchem Wege auch immer, gleichmäßig auf alle verteilt werden, die später auf diese Systeme angewiesen sind. ({21}) Die Gleichheitsforderungen reichen aber weiter. Gleichheit gibt es nicht nur im System. Es gibt auch systemübergreifende Gleichheit. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Systemen, etwa der Beamtenversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung, rechtfertigt keine größeren Unterschiede zwischen den Detaillösungen, als der Sache nach geboten sind. ({22}) - Sie stimmen dauernd zu, Herr Bernrath, aber Sie sorgen nicht dafür, daß das in diese Formel aufgenommen wird. ({23}) - Ich habe das durchgelesen, durchgearbeitet. ({24}) Unterschiede zwischen Detailregelungen paralleler Systeme können sich immer nur aus unterschiedlichen Sachstrukturen heraus legitimieren. ({25}) Sie haben hier ganz massiv - gerade Herr Bernrath und Herr Richter - gesagt, daß die bestehenden Privilegien der Beamten nicht angetastet werden sollen. Das bedeuten Ihre Ausführungen im Kern. ({26}) Herr Werner Hagedorn ({27}) - das ist der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes ({28}) sagt: Wir - und das zeigt auch diese deutliche Linie, die ich aufzuzeigen versucht habe: aus der Beamtenlobby hier in den Bundestag hinein wehren uns gegen systemfeindliche Eingriffe, verweigern uns aber nicht zu gegebener Zeit einer Diskussion, also dann, wenn die Rentenreform ansteht. Die Rentenreform stand an - ich komme zum Schluß -, ({29}) und die Diskussion hat auch mit dem Beamtenbund stattgefunden, so wie Herr Hagedorn es versprochen hat. Nur war natürlich der Deutsche Beamtenbund an keiner Stelle bereit, irgendwelche Abstriche zu machen. ({30}) Lassen Sie mich Ihnen zum Schluß den „Bonner Behörden-Spiegel" aus diesem Monat zeigen - Leitartikel: Mit Schrammen davongekommen. ({31}) Das bezieht sich auf den öffentlichen Dienst. Ich denke in der Tat, dieses Gesetzeswerk ist ein weiteres, diesmal gemeinsam verantwortetes soziales Trümmerstück dieser Legislaturperiode. ({32})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Debatte. Ich schließe die Aussprache. ({0}) - Frau Kollegin Beck-Oberdorf, lesen Sie einmal den § 30 GO nach. Nach Abschluß der Aussprache erteile ich nach § 30 der Geschäftsordnung der Frau Abgeordneten BeckOberdorf das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Herr Präsident. Es ist mir sehr wichtig, gegenüber Frau Kollegin Schmidt - sie ist leider nicht da; dann ist es mir für das Protokoll wichtig - noch einmal zu betonen, daß ich weit davon entfernt bin, wie sie mir unterstellt hat, mich über die Rente nach Mindesteinkommen lustig zu machen oder diese lächerlich zu machen, die in der Tat eine Verbesserung für viele Frauen bedeuten wird. Es ist mir aber ebensowichtig, darzustellen, daß diese Rente nach Mindesteinkommen weiterhin Millionen von Frauen im Bereich der Sozialhilfe belassen wird und daß dies für uns GRÜNE der Hauptpunkt in der Auseinandersetzung und der Hauptpunkt unserer Kritik an dem vorliegenden Kompromißentwurf ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/4124 und 11/4125 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu noch weitere Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 11/4142. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen und einer Gegenstimme ist der Antrag mit großer Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. März 1989, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.