Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
1. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Schutz der Nordsee - II. Internationale Nordseeschutzkonferenz November 1987 in London
- Drucksache 11/299 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
2. Aktuelle Stunde
Gesetzwidrige und sonstige Vorkommnisse sowie Meinungsäußerungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. HammBrücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Börnsen ({1}), Frau Eid, Eylmann, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heimann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mechtersheimer, Dr. Mertens ({2}), Neumann ({3}), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({4}), Dr. Schöfberger, Schröer ({5}), Schwarz, Seesing, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Graf von WaldburgZeil, Wiefelspütz, von der Wiesche, Frau Wollny, Würtz
Wiedereinsetzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform
- Drucksache 11/245 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Frau Eid, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heinemann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Kühbacher, Leidinger, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mechtersheimer, Dr, Mertens ({6}), Müller ({7}), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({8}), Dr. Schöfberger, Schröer ({9}), Frau
Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Wiefelspütz, von der Wiesche, Frau Wollny
Wiederaufnahme der Kabinettsberichterstattung - Drucksache 11/246 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung
Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner, Sellin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beibehaltung und Verbesserung der Mietpreisbindung in Berlin
- Drucksache 11/29 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({10})
Rechtsausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Vogel, Wartenberg ({11}), Egert, Heimann, Frau Luuk, Dr. Mitzscherling, Stobbe, Jahn ({12}), Müntefering und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin ({13})
- Drucksache 11/302 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({14})
Rechtsausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur dauerhaften sozialen Ver728
Präsident Dr. Jenninger
besserung der Wohnungssituation im Land Berlin
- Drucksache 11/304 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({15})
Rechtsausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir bei den Beratungen der Tagesordnungspunkte 4 b und 4 c von der Frist für den Beginn der Beratungen abweichen können. Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kansy.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bindung der Mieten für Berliner Altbauwohnungen ist wiederholt in diesem Hause, zuletzt durch das Dritte Gesetz zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin vom 3. August 1982, verlängert worden. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben damals dem Gesetzentwurf der SPD-geführten Bundesregierung zugestimmt, die für Berlin geltende Regelung an das im übrigen Bundesgebiet geltende soziale Mietrecht schrittweise heranzuführen. Zum Abschluß der Übergangsphase sollten, beginnend mit dem 1. Januar 1988, neu abgeschlossene Mietverhältnisse aus der Mietpreisbindung entlassen werden. Die restlichen Bindungen sollten mit Ablauf des Jahres 1989 entfallen.
Die mit dieser Gesetzgebung, meine Damen und Herren, verbundenen Erwartungen haben sich jedoch nicht vollständig erfüllt. Einerseits ist die Erwartung von 1982, daß ab 1988 in Berlin ein völlig ausgeglichener Wohnungsmarkt vorhanden ist, nicht eingetroffen. Die positive Entwicklung Berlins und die gewachsene Attraktivität der Stadt zogen erfreulicherweise mehr Arbeitskräfte aus der Bundesrepublik an und veranlaßten viele Deutsche aus der DDR und aus den deutschen Ostgebieten, denen die Ausreise ermöglicht wurde, sich in Berlin anzusiedeln.
({0})
Auf der anderen Seite jedoch, Herr Kollege, zeigte sich, daß die 1982 von allen Fraktionen zu Recht beklagten Nachteile eines anhaltenden staatlichen Eingriffs unvertretbare Verzerrungen im Mietgefüge zur Folge haben. Die administrierten Mieten eröffnen für einen Teil der Hauseigentümer risikolos Mieterhöhungsspielräume, die nicht durch die tatsächliche Marktlage gerechtfertigt sind und, wenn überhaupt, Wohnwerte nur gering berücksichtigen.
Gute Wohnungen in bevorzugten Lagen sind heute oft preiswerter als mühsam hochmodernisierte Wohnungen in zum Teil heruntergekommenen Sanierungsgebieten, die mit viel Geld wieder aufgepäppelt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Wenn Sie die Uhr anhalten, selbstverständlich, Herr Präsident.
Das tue ich gern.
Wie erklären Sie sich denn, daß in Berlin das Mietenniveau in etwa bei 3,50 DM bis 6 DM liegt, in Hamburg bei 8 DM bis 9 DM und in München, Frankfurt und Stuttgart weit darüber hinaus? Steigert das nicht die Möglichkeit, daß vermehrt Arbeitnehmer auch in Berlin leben wollen? Werden Sie nicht durch Ihren Entwurf zur Mietpreisfreigabe die Mieten in Berlin hochtreiben, so daß dadurch die Attraktivität der Stadt sinken wird, also genau das Gegenteil dessen eintreten wird, was Sie ausgeführt haben?
Nein, Herr Kollege, Ihre Vorstellung enthält einen Grundfehler. Bei Freigabe der Mieten steigen Mieten nicht nur, sondern sie pendeln sich entsprechend der Marktverhältnisse ein.
({0})
Mancher Berliner Hausvermieter wird merken, daß soziales Mietrecht nicht mehr automatische Mietsteigerung bedeutet, sondern dort, wo es die entsprechende Lage erfordert, sogar Mietsenkung.
Im übrigen hatten wir dieselben Fragen in bezug auf Hamburg und München.
({1})
- Herr Kollege, warten Sie bitte, ich gebe Ihnen in meinen folgenden Ausführungen eine Erklärung dafür, daß unser Gesetzentwurf keineswegs ein Gesetzentwurf für die Vermieter ist, sondern ein Gesetzentwurf, der in Berlin - und so heißt unser Gesetz ja auch - langfristig soziales Wohnen sicherstellt.
({2})
Herr Präsident, Sie dürfen die Uhr wieder anstellen.
Der Berliner Senat hat auf diese Situation bereits im letzten Jahr reagiert. Am 21. Oktober 1986 wurde ein umfassendes, aufeinander abgestimmtes Paket an wohnungs- und mietenpolitischen Einzelmaßnahmen beschlossen. Durch die mietenpolitischen Maßnahmen wird einerseits über zusätzliche Objektförderungsmittel dem Mietanstieg durch Neubau im sozialen Wohnungsbau entgegengewirkt. Andererseits werden durch individuell orientierte Förderungsinstrumente im Einzelfall auftretende höhere Mietbelastungen begrenzt.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Müntefering, auch an die Analysen der GEWOS, des unabhängigen Forschungsinstituts, die damals in Fortschreibung der Berliner Wohnungsmarktanalyse gemacht wurden und die genau das bestätigten. Unabhängig von den Berliner Maßnahmen im letzten Herbst hat die Koalition in Bonn im letzten Jahr das Wohngeld wesentlich verbessert. Mieter, deren EinDr.-Ing. Kansy
kommensverhältnisse es nicht ermöglichen, ausreichend Wohnraum zu mieten,
({3})
erhalten in diesem Jahr die Rekordsumme von über 3,5 Milliarden DM Wohngeld.
Wir bestreiten nicht, daß es dennoch nach wie vor Probleme in bestimmten Wohnungsmarktbereichen in Berlin gibt. Wir können nicht ausschließen, daß der Übergang in das vollständige soziale Mietrecht zum 1. Januar 1988 und später zum 1. Januar 1990 ohne Übergangsregelung für Mieter zu sozialen Härten führen könnte.
Deswegen schlägt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Abstimmung mit ihrem Koalitionspartner vor, den von der vergangenen SPD-Bundesregierung vorgesehenen Übergang
({4})
in das System des sozialen Mietrechts durch preisbindende Elemente für eine Übergangszeit zu ergänzen. Dadurch sollen einerseits die Mieter vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen geschützt werden; andererseits soll jedoch die Überleitung und Anpassung der besonderen miet- und preisrechtlichen Vorschriften im Land Berlin an das soziale Mietrecht zum 1. Januar 1988 erfolgen.
({5})
Kernstücke unseres Gesetzentwurfes sind folgende: Vom 1. Januar 1988 bis zum 31. Dezember 1994 werden für den bisher preisgebundenen Wohnraum Mieterhöhungen gemäß § 2 Miethöhegesetz mit der Maßgabe zugelassen, daß die Zustimmung zur Erhöhung des Mietzinses höchstens für einen Betrag verlangt werden kann, der den bisherigen Mietzins jährlich um nicht mehr als 5 % übersteigt.
Weiter darf während eines Zeitraums von vier Jahren bis zum 31. Dezember 1991 in Fällen der Neuvermietung der neu vereinbarte Mietzins den bisherigen Mietzins nicht um mehr als 10 % übersteigen.
Letztens. Der besondere Kündigungsschutz bei Umwandlung von Altbauwohnungen in Eigentumswohnungen wird für die Veräußerungsfälle, die vor der Freigabe der Mietpreise getätigt worden sind, für weitere drei Jahre bis zum 31. Dezember 1990 fortgeschrieben.
({6})
- Ihre Zwischenrufe, Herr Kollege, haben einen gewissen unterhaltsamen Wert,
({7})
aber sie stehen in keiner Relation zu der Situation.
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP haben mit diesem Gesetzentwurf, wie Sie schon gemerkt haben, einen ausgewogenen Vorschlag gemacht, jetzt wirklich zu einer dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin zu kommen. Es überrascht uns überhaupt nicht, daß in den letzten Tagen sowohl die Haus- und Grundeigentümer als auch die Mietervereine gegen unsere Absichten Stellung genommen haben. Die Forderung der Hauseigentümer, Berlin müsse weißer Kreis werden - wie sie in Berlin auch plakatiert ist -, ist angesichts der 70jährigen Wohnungszwangswirtschaft in Berlin verständlich. Ich weise aber für die CDU/CSU Argumente zurück, die lauten - ich zitiere die „Vermieterzeitung" -, „In Berlin bahnt sich ein riesiger Skandal an".
Politik zu machen, insbesondere in dieser Stadt, ist mehr als ein wohnungspolitisches Grundsatzseminar. Wir sind Parlamentarier und nicht in einer professoralen Diskussionsrunde.
({8})
Auf der anderen Seite haben wir überhaupt kein Verständnis für die Kampagne, die derzeit von einigen Mietervereinen und den Berliner Linksparteien geführt wird.
({9})
Hier wird mit derselben plumpen Angstmache wie im Bundestagswahlkampf 1982/83 gearbeitet, als von derselben Seite Horrorparolen wie „Die Mieter werden vogelfrei", „Eine Mietenexplosion droht" usw. usw. verbreitet wurden, die sich anschließend alle als Makulatur und Horrorvision bestätigt haben.
({10})
Auch die Berliner Mieter müssen wissen, daß langfristig ausreichende Wohnungsversorgung nur sichergestellt wird, wenn wir genug Wohnungen in ausreichend guter Qualität haben. Das kann trotz staatlicher Hilfen aus Berlin und Bonn nur dann sichergestellt werden, wenn der private Investor wenigstens langfristig auch einmal schwarze Zahlen schreiben kann.
Im übrigen darf ich noch einmal kurz auf die Hamburger und Münchener Situation verweisen; ich habe das vorhin schon auf Ihre Zwischenfrage hin gemacht. Als diese beiden größten Städte in „Westdeutschland" - wie die Berliner ja zu sagen pflegen - weißer Kreis wurden, hatten wir eine ähnliche Situation und genau die gleiche Diskussion. Um zu einem sozial verträglichen Übergang zu kommen, haben wir damals Regelungen verabschiedet, die heute als Hamburger oder Münchener Modell bezeichnet werden und dasselbe bedeuten, was wir heute in Berlin machen.
Wem wollen wir mit dem Gesetz helfen, und wem wollen wir nicht helfen? Helfen wollen wir Mietern mit begrenztem Einkommen, die fürchten, daß es beim sofortigen Übergang ins soziale Mietrecht zu schlagartigen Mietsprüngen kommt, die sie wirtschaftlich nicht verkraften können. Nicht helfen wollen wir gut verdienenden Mietern in Wohnungen mit künstlich niedrig gehaltenen Mietpreisen, die diese Wohnungen mit großen Abstandszahlungen wie auf einem Schwarzmarkt untereinander verschachern und letztlich auf Kosten anderer leben.
({11})
Helfen wollen wir auch Tausenden und Abertausenden von kleinen Hausbesitzern, oft nur mit einem einzigen Wohnhaus in Berlin, die häufig ihr Leben lang für dieses Haus gearbeitet haben und dennoch keine Gegenleistung dafür bekommen und dringende Modernisierungen nicht durchführen können. Nicht helfen wollen wir Spekulanten, die in Berlin und im
Bundesgebiet auf Hochglanzprospekten heute schon anpreisen, daß man dort unter Ausnutzung bestimmter steuerlicher Entlastungstatbestände Kasse machen kann auf Kosten von Menschen, die aus ihren Wohnungen verdrängt werden.
({12}) Alles, was wir wollen, Herr Kollege Jahn
({13})
- ich bin am Ende -,
({14})
ist ein sozialer Gleitflug ins soziale Mietrecht in Berlin. Das ist christdemokratische und christsoziale Politik. Wir wissen - im Gegensatz zu Ihnen, die das nie begriffen haben -,
({15})
daß die Wohnung ein ambivalentes Gut ist. Sie ist auch Wirtschaftsgut.
({16})
Wer das nicht registriert, wird unserer Bevölkerung hinsichtlich der Wohnungsversorgung auf Dauer keinen Gefallen tun. - Ich freue mich über Ihre offensichtlich bekundete Erleuchtung. „Aha" hat Herr Jahn gesagt.
Auf der anderen Seite ist die Wohnung der räumliche Mittelpunkt unseres Lebens, unserer Familien, unserer Kinder. Genau diese Spannweite umfaßt der Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben und den wir Ihnen heute empfehlen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wohnungsmarkt in Berlin hat eine besondere Tradition, und er hat besondere Rahmenbedingungen. Weil das so ist, braucht der Wohnungsmarkt in Berlin auch besondere Regeln. Das haben wir im Deutschen Bundestag immer akzeptiert. Das haben wir miteinander einige Male so fortgeschrieben. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß die Mietpreisbindung für den Altwohnungsbestand die klarste und die beste Lösung für Berlin ist. Das haben wir in unserem Gesetzentwurf geschrieben. Das möchten wir in der ersten Lesung begründen. Wir möchten bei allen Berliner Kolleginnen und Kollegen um Unterstützung bitten, bei denen, die in Berlin regieren, bei allen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, noch einmal in eine ernsthafte Diskussion einzutreten, mit dem Versuch, eine gute gemeinsame Lösung zu finden.
Schon dreimal haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammen das Auslaufen der Mietpreisbindung verhindert und durch neue Gesetze dafür gesorgt, daß die Mietpreisbindung in Berlin verlängert wurde.
({0})
Auch 1982 kam dieser gemeinsam getragene Vorschlag aus dem Berliner Abgeordnetenhaus. Wir
waren damals überzeugt, eine gute Lösung gefunden zu haben. Aber immer war das Problem, an dem wir uns festdiskutiert haben und wo keiner genau eine Antwort wußte: Was wird in der Übergangsphase sein?
({1})
Wie weit werden die Mietpreise steigen? Welche Chancen haben Spekulanten? Wie wird es sein, wenn die Mietpreisbindung plötzlich nicht mehr besteht? Das war die Frage, und keiner konnte eine eindeutige Antwort darauf geben.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Bitte schön.
Kann ich aus Ihren Ausführungen entnehmen - Sie redeten eben von Übergangsfristen - , daß Sie seitens der Sozialdemokratie ebenfalls den freien Markt, d. h. den weißen Kreis für Berlin, langfristig anstreben?
Das können Sie nicht entnehmen.
({0})
Wenn Sie sich setzen und noch zwei Minuten zuhören, wissen Sie genau, was ich meine.
Ich möchte Ihnen nun die Situation von 1.982 erklären. Seit 1982 haben sich einige Veränderungen ergeben, die wir registrieren sollten. Wir stellen fest, daß die Bevölkerung in Berlin seit 1982 nicht abnimmt, sondern eher zunimmt. Wir stellen fest, daß die Haushalte in Berlin zunehmen und nicht abnehmen.
({1}) - Das ist alles schön.
({2})
Die Bevölkerung nimmt nicht ab, sondern zu; die Haushalte nehmen zu. 1982 wurde das anders eingeschätzt.
({3})
Wir stellen fest, daß durch Abbruch und Nutzungsänderung mehr Wohnungen verschwinden, als wir damals angenommen hatten. Wir stellen fest, daß der Wohnungsneubau den zusätzlichen Bedarf nicht deckt. Wir sind auch klüger, Kolleginnen und Kollegen, was die Stadtökologie angeht. Wir wissen heute, daß die Wohnungsprobleme Berlins nicht durch Wohnungsneubau im großen Stil gelöst werden können. Wir wissen, daß Berlin durch seine besondere Lage keine Freiräume hat, in die man neue Wohnungen plazieren könnte, wie das in anderen Städten innerhalb der Bundesrepublik passiert. In Berlin fehlt das Stadtumland. Das muß man hier aber nicht erklären.
Was wäre eigentlich in München in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren der Expansion gewesen, wenn die Möglichkeit des Wachsens nicht dagewesen wäre? Was wäre eigentlich in Hamburg gewesen, wenn es nicht Norderstedt gäbe? Was wäre eigentlich in den anderen großen Städten der Republik, wenn rundum das Stadtumland fehlte? Wir können die Situation unserer großen Städte in der Bundesrepublik nicht mit Berlin vergleichen. Deshalb nochmals: Berlin hat eine besondere Situation. Deshalb braucht Berlin auch besondere Regeln, was den Wohnungsmarkt angeht.
({4})
Wir Sozialdemokraten bekennen uns ausdrücklich dazu: Berlin braucht ein niedriges Mietzinsniveau. Dazu bekennen wir uns ausdrücklich. Denn wenn wir zulassen, daß dort wie in vergleichbaren anderen Städten - ich nenne als Stichwort München - die Mieten sehr hoch sind, wird das für die Stadt katastrophale Folgen haben, und zwar nicht nur für die unmittelbar betroffenen Mieter, sondern auch für die gesamte Entwicklung der Stadt.
Wenn nun in dieser Situation innerhalb der nächsten zwei Jahre rund 50 % des Wohnungsbestandes aus der Mietpreisbindung fallen, ist Sorge angebracht. Die SPD Berlin und der Mieterbund haben im vergangenen Jahr rechtzeitig Alarm geschlagen, auch weil sie wußten, wie es in München gelaufen ist, als dort der weiße Kreis eingerichtet wurde. Im Durchschnitt 10 % Mieterhöhung jährlich - innerhalb von zehn Jahren 100 % - in München, und Übermodernisierung und Mieterverdrängung in hohem Maße in München! Das alles sind Möglichkeiten, die sich auch für Berlin andeuten, und deshalb muß man überprüfen, wie dies verhindert werden kann.
Hinzu kommt, daß die Spekulanten in Berlin in den letzten Wochen und Monaten die Scham verloren haben und offen dafür werben, in das Berlingeschäft einzusteigen mit dem Hinweis, man könne in den nächsten Jahren ja wohl 60 %, 80 % Mieterhöhung durchsetzen, und man solle sich doch schon einmal vorbereitend da hineinbewegen. Wenn man dies alles sieht, muß man sich bewegen, und deshalb haben die Sozialdemokraten in Berlin zusammen mit dem Mieterbund und mit den Mietervereinen die Initiative ergriffen.
Die SPD in Berlin hat den Regierenden Bürgermeister, alle Parteien des Abgeordnetenhauses gebeten, gemeinsam initiativ zu werden, hier in Bonn vorstellig zu werden und dafür zu sorgen, daß der Auslauf der Mietpreisbindung nicht zustande kommt. Davon wollten CDU und FDP in Berlin nichts wissen, davon wollten sie in Bonn nichts wissen,
({5})
und der Herr Bundesbauminister, der uns gestern sein Programm für die 11. Legislaturperiode schriftlich vorgelegt hat, hat in diesem Entwurf kein Wort gesagt, und zwar nicht nur nicht zu den Mietern, zu den Mieterrechten und zum Mieterschutz, sondern er hat auch kein Wort zur Mietpreisbindung in Berlin gesagt. Das ist ein Zeichen dafür, wie ernst dieses Thema in der Bundesregierung genommen wird, und es ist ein Zeichen dafür, daß Sie noch vor drei Wochen überhaupt
nicht in der Lage waren, hier zu dem Thema zu sprechen. Sie haben sich doch nur unter dem Eindruck der Ereignisse der letzten Wochen - der Kampagne in Berlin,
({6})
der 300 000 Unterschriften von Berlinerinnen und Berlinern - entschlossen, sich überhaupt ein Stückchen voranzubewegen, und sind gnädig genug gewesen, sich doch noch mit dem Thema zu befassen.
({7})
Dies ist ein Erfolg derer, die sich in Berlin um eine Lösung bemüht haben.
Was bei Ihnen nun herauskommt, ist allerdings bitter wenig. Das alte System, die alte Lösung wird unter einer feineren Überschrift verkauft, und dann kommt der Bauminister her und erzählt uns im Ausschuß, wie gestern geschehen - jetzt darf ich es ja sagen, auch wenn das nicht öffentlich war - , das sei eine bewußt herbeigeführte, sehr ideale und langfristig geplante Lösung. Davon ist nichts wahr.
({8})
Das alles ist in Panik entstanden, da man fürchtete, man könne sich in Berlin doch sehr unbeliebt bei denen machen, die von dem Auslaufgesetz, wie es jetzt vorliegt, betroffen sind.
({9})
1989 sind Wahlen in Berlin, und das war der Grund, der Sie dazu gebracht hat, jetzt doch noch zu überlegen, was denn zu tun wäre.
({10})
Aber was schreiben Sie denn jetzt in das Gesetz hinein? Der Mietzinsanstieg soll um jährlich 5 % möglich sein. Bei allen Neuvermietungen sollen ab sofort 10 % möglich sein
({11})
auf dem noch festzulegenden Vergleichsmietenniveau, und ab 1992 wird es möglich sein, bei allen Neuvermietungen voll zuzuschlagen.
Nun haben wir im letzten Jahr schon einmal vorgeschlagen, man solle die Mieterhöhungsmargen, die heute bei 30 % liegen, doch deutlich reduzieren. Das haben Sie abgelehnt.
({12})
- In drei Jahren.
Herr Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Bitte schön.
Herr Kollege Müntefering, ist Ihnen klar, daß es heißt, ,,... bis zu 50/0" und nicht „5 %" und daß das in praxi bedeutet, daß die überhöhten Mieten für Bruchbuden in Kreuzberg auf absehbare Zeit überhaupt nicht erhöht werden können?
({0})
- Weil das in dem Gesetz steht, lieber Herr Kollege. Sie müssen es einmal lesen.
Herr Kollege Gattermann, den Mietern, die jährlich 5 % mehr bezahlen müssen, nutzt es nichts, daß Sie dort hineinschreiben: bis zu 5 %. Diese 5 % werden an vielen Stellen in Berlin realisiert werden - ich verweise auf das, was die Spekulanten in ihren Anzeigen schreiben - , und bei Neuvermietungen werden 10 % möglich sein. Ab 1992 werden bei Neuvermietungen eben 30 % möglich sein, und zwar innerhalb von drei Jahren. Dies ist die Gefahr, in der wir uns befinden. Deshalb muß das Gesetz, das Sie jetzt vorgeschlagen haben, von Ihnen noch einmal überprüft werden, und es muß - hoffentlich in unsere Richtung hin - verändert werden. Es ist eine schlechte Sache, die Sie sich da vorgenommen haben, allerdings unter einer feinen Überschrift; das will ich Ihnen zugestehen. Gucken Sie sich noch einmal genau an, was Sie da machen.
({0})
- Herr Kittelmann, das habe ich Ihnen vorhin schon einmal erklärt. Vielleicht unterscheiden wir uns insofern: Wir Sozialdemokraten geben zu, daß man klüger werden kann,
({1})
und ich habe keine Angst vor Politikern, die zugeben, daß sie klüger werden; ich habe nur Angst vor denen, die sagen: das haben wir 1982 beschlossen, das muß jetzt so bleiben. Wir sind bereit, uns zu korrigieren und zu sagen: Es gibt bessere und vernünftigere Lösungen.
({2})
Deshalb bitten wir Sie, in den Beratungen der zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages noch einmal mit uns in die Diskussion einzutreten und zur Kenntnis zu nehmen, was die, die sich in Berlin in diesen Wochen in Kampagnen um die Unterschriften der Mieter bemühen, uns zu sagen haben. Diejenigen, die in der Bundesrepublik wohnen und die Berliner Verhältnisse nicht genau kennen, sollten sich damit auseinandersetzen, welche besonderen Probleme in Berlin eigentlich bestehen. Vielleicht sind Sie dann doch noch bereit, sich ein Stückchen zu bewegen.
Die Sozialdemokraten jedenfalls treten dafür ein, daß die Mietpreisbindung in Berlin Dauerrecht wird, auch damit endlich die Gefahr des Spekulantentums - sei es 1989, sei es 1991, sei es 1994 - vorüber ist. Es muß in Berlin Klarheit bestehen, damit nicht wieder von irgendwoher auf den Augenblick spekuliert werden kann, in dem die Stichtagsregelung greift. Sie sollten sich noch bewegen!
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Haus beschäftigt sich heute zum wiederholten Male mit der Mietpreisbindung in Berlin. Wenn Sie, Herr Kollege Müntefering, die früheren Debatten ansprechen, sollten wir, glaube ich, einmal nachlesen, was damals gesagt worden ist. Jedenfalls ist es nicht zutreffend, daß - wie Sie eben gesagt haben - die Berliner hier bis 1982 angetreten wären, um den Weißen Kreis zu verhindern. Vielmehr sind wir hier seinerzeit angetreten, um Übergangsregelungen zu treffen, weil wir gesagt haben, wir seien noch nicht so weit. Ich habe das für falsch gehalten, aber es wurde gesagt, wir seien noch nicht so weit.
({0})
Kein Berliner ist hier im Bundestag vorstellig geworden, und auch kein Liberaler hat als Koalitionspartner in Berlin - sei es in der sozialliberalen Koalition, sei es in der CDU/FDP-Koalition - seine Hand dazu gereicht, hier dem Bundestag vorzugaukeln, wir machten eine Übergangsregelung, wollten aber auf Dauer den Weißen Kreis verhindern. Nein, das Ja zum Weißen Kreis war unbestritten;
({1})
die Frage war nur, wann und wie wir dort hineinkommen. Herr Kollege Müntefering, an der Stelle haben wir als Koalition uns in der Tat lernfähig gezeigt, weil die Entwicklung - allerdings auf Grund der positiven Entwicklung in der Stadt - eine Veränderung in der Art des Übergangs notwendig macht.
({2})
Das Ja zum Weißen Kreis steht für uns Liberale außer Zweifel.
({3})
Insofern, meine Damen und Herren, unterscheidet sich die Debatte heute - jedenfalls nach den Vorschlägen der Koalitionspartner - sehr wesentlich von dem, was früher gewesen ist, weil es eben nicht um einen erneuten Versuch geht, die Mietpreisbindung in Berlin für eine weitere Übergangszeit hinauszuschieben. Vielmehr wollen wir klarlegen, daß es bei dem Übergang in das soziale Mietrecht des Bundes
bleibt. Wir wollen auf Grund neuer Fakten eine soziale Abfederung dieses Übergangs vornehmen.
Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die Beendigung der staatlichen Mietpreisbindung in Berlin festschreiben und das Wohnen zu sozial angemessenen Mieten sichern. Das sind die beiden Ziele.
({4})
- Zum Stichwort „teurer" komme ich gleich noch.
Die beiden Entwürfe der Oppositionsfraktionen bieten uns aber auch gleichzeitig Gelegenheit zur Grundsatzauseinandersetzung über sozial verantwortliche marktwirtschaftliche Mietpreisgestaltung und über staatlich regulierte Mietpreisbindung. Dabei bleibt festzuhalten und anzumerken, daß die Sozialdemokraten, die sich mit ihrem Gesetzentwurf jetzt für die dauerhafte Fortschreibung der staatlich verordneten Preisfestsetzung aussprechen, bisher in diesem Hause und mehrheitlich auch in Berlin das soziale Mietrecht akzeptieren wollten. Hier unterscheiden sich die Sozialdemokraten heute von dem, was sie früher eingebracht haben. Offenbar nimmt mit zunehmendem Abstand von der Regierungsverantwortung auch die Bereitschaft ab, schlüssig zu argumentieren.
Mit den Gesetzentwürfen der Opposition gehen nach unserer Auffassung GRÜNE und SPD den f al-schen Weg. In Berlin läuft, worüber hier schon berichtet worden ist, eine Kampagne gegen die Einführung des Weißen Kreises, die maßgeblich von SPD, Mietervereinen und GRÜNEN getragen wird. Da wird auf unverantwortliche Weise so getan,
({5})
als gäbe es keine bundesgesetzliche Regelung, die seinerzeit Vorschläge von CDU, FDP und auch SPD berücksichtigt hat.
Da wird den Berlinern Angst gemacht, wie es auch im SPD-Entwurf anklingt, vor der „verhängnisvollen Spekulation" - so ist das Zitat dort - auf den Weißen Kreis. Dieser Argumentation muß entgegengetreten werden. Ich würde es auch begrüßen, wenn der Senat von Berlin seine Öffentlichkeitsarbeit noch stärker darauf konzentrieren würde, falschen Argumenten entgegenzutreten und nicht in die Rolle des besseren Bundesgesetzgebers schlüpfen zu wollen.
Meine Damen und Herren, wir wollen das Ende der staatlichen Mietpreisbindung auch für Berlin, wir wollen 40 Jahre nach Schluß des Zweiten Weltkrieges, daß auf dem Wohnungssektor Berlins das Nachkriegsrecht des Ersten Weltkriegs endlich in die Normalität des sozialen Rechtsstaats überführt wird. Die Mietpreisbindung hat Berlin nicht genutzt, sondern geschadet. Die Verlängerung der Mietpreisbindung benachteiligt den sparsamen Mieter und begünstigt den rücksichtslosen Vermieter.
Es ist eine Illusion, daß die Zwangsverwaltungswirtschaft des Berliner Wohnungsbestandes Beiträge zur Preisstabilität geliefert habe. Das Gegenteil ist richtig. Ohne daß der Vermieter zu angemessenen Gegenleistungen verpflichtet war, wozu ihn der Markt im Bundesgebiet zwingt, mußten die Mieter in Berlin Mietpreissteigerungen hinnehmen, die weit über denen im übrigen Bundesgebiet lagen. So war 1985, einem Jahr mit allgemein niedriger Preissteigerungsrate, der Preisanstieg für Berliner Altbauwohnungen in die Höhe von 9,1 % gerutscht,
({6})
und er wurde nur noch durch den Preisanstieg der Mieten im öffentlich geförderten Neubau dieses Jahres mit 10,2 % übertroffen. Wenn wir die Mietpreissteigerungsrate im Bundesgebiet mit der von Berlin vergleichen, werden wir auch die Erklärung bekommen, warum in diesem Jahr, das ich beispielhaft gewählt habe, bei einer bundesdurchschnittlichen Preissteigerungsrate von 2,2 % die Berliner Verbraucher eine Preissteigerung von 3,4 % im allgemeinen Lebensstandard zu verkraften hatten. Hier schlugen die staatlich verordneten Preiserhöhungen auf den allgemeinen Lebenshaltungskostenindex durch.
({7})
Herr Präsident, wir hatten uns verständigt, daß ich drei Minuten länger reden darf, weil kein zweiter FDP-Redner kommt. Ich bitte um Nachsicht, daß das noch nicht angesagt worden ist.
({8})
- Nein. Wir haben, wie Sie wissen, eine Redezeitregelung über die Frage der Anrechnung von Redezeiten, auch von Regierungsmitgliedern und anderen. Darüber haben wir uns hier parlamentarisch verständigt. Wir halten uns an Übungen. Ich bedauere, daß der Herr Präsident von mir nicht rechtzeitig informiert wurde.
Meine Damen und Herren, zurück zur Preissteigerung. Da ist uns jetzt eine Zeitung des Mieterverbandes auf den Tisch geflattert. Ich sagte schon, daß wir 1985 in Berlin einen Preisanstieg für staatlich verordnete Mieten in Höhe von 9,1 % hatten. Jetzt regt sich der Mieterbund darüber auf, daß von 1983 bis 1986, also in vier Jahren, in Nürnberg eine überdurchschnittliche Preissteigerungsrate bei Mieten gewesen sei. Und dann liest man die Zahl: 10 bis 15 % in vier Jahren insgesamt. Wir haben also eine Steigerung von 10 bis 15 % im Weißen Kreis in vier Jahren gegenüber 9,1 % im staatlich verordneten Gebiet in einem Jahr. Das sind die Realitäten, und davon haben wir auszugehen.
({9})
Deswegen kommt es für uns auf folgendes an. Wir wollen, daß die Mieten frei aushandelbar sind, und wir wissen, daß sich die Berliner, sowohl die Vermieter als auch die Mieter, erst noch darin üben müssen, nach 60 Jahren jetzt wieder verhandeln zu dürfen.
({10})
Bisher hat Vater Staat vorgeschrieben, wie hoch die Vermieter gehen durften. Um hier einen Mißbrauch zu verhindern, wollen wir eine Begrenzung auf 5 % per annum für die laufenden Verträge, 10 % einmalig für die neuen Verträge, aber das alles im Rahmen des
geltenden Miethöhegesetzes. Meine Damen und Herren, was im Bundesgebiet sozial ist, kann in Berlin wohl nicht unsozial sein.
({11})
Gerade für den freien Teil Berlins sind wir schlecht beraten, wenn wir uns dauerhaft von einem sozialen Mietrecht abkoppeln würden, wie es im Bundesgebiet für alle gilt.
Ich weiß um Sonderstellungen, ich weiß um Sonderpositionen Berlins. Ich weiß auch, daß wir kein Hinterland haben. Aber machen wir uns doch nichts vor. Wenn die Berliner sagen, die Stadt sei so groß wie das Ruhrgebiet, dann haben die Essener genauso wenig Hinterland wie die Kreuzberger. Da gibt es schon Vergleichbarkeiten. So anders sind wir in Berlin nicht.
Ich meine auch - das sei mein letztes Wort - , daß die Berliner gut beraten sind, vom Bundesgesetzgeber nicht zu viele Sonderregelungen zu verlangen; denn nur dadurch behalten wir die Freiheit, auch dann, wenn Berlin Sonderpositionen wirklich braucht wie etwa bei der Berlinförderung, auch in der Einkommenssituation.
({12})
- Dort, wo wir Sonderpositionen wirklich vertreten können, können wir sie hier auch vortragen, aber nur dann, wenn wir glaubwürdig bleiben. Das bleiben wir nicht, wenn wir etwas verändern wollen, was nicht mehr verändert werden sollte.
Danke.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Die Regierungsfähigkeit von CDU und FDP in Berlin muß meines Erachtens völlig in Frage gestellt werden.
({0})
Wer bis gestern abend in Bonn und in Berlin unterschiedliche Gesetzentwürfe in den Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht hat, muß sich diesen Vorwurf gefallen lassen. Die Abstimmung der Berliner Mieter für die Mietpreisbindung als Dauerrecht macht Herrn Diepgen als Regierenden Bürgermeister völlig konzeptionslos. Erst wird ein Gesetzentwurf mit Mietpreisspiegel unterschiedlichster Art gehandelt, und von gestern auf heute wird uns hier im Bundestag ein Gesetzentwurf ohne Mietpreisspiegel vorgesetzt.
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Es wird Rechtsunsicherheit innerhalb Ihrer Konzeption geschaffen. Die Panik vor den Berliner Mietern ist also so stark, daß sich ein Grundelement durch alle bisher öffentlich gehandelten CDU-Entwürfe gehalten hat: Wie kommt die CDU von dem Auslaufen der
Mietpreisbindung für bestehende Mietverträge im Wahljahr 1989 weg? Aus diesem Grunde haben Sie Ihre Konzeption der Aufhebung der Mietpreisbindung um zwei Jahre vorgezogen, nämlich auf den 1. Januar 1988. Der weiße Kreis, also die völlige Freigabe der Mieten, ist und bleibt Ihr erklärtes Ziel.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß die einschlägigen Kapitalanlagemagazine auf die anstehende Aufhebung der Mietpreisbindung hinweisen. In einer Werbebroschüre heißt es wörtlich:
Spätestens zum Zeitpunkt der Mietpreisfreigabe eröffnet sich ein Mieterhöhungspotential, das, gemessen an vergleichbaren Großstädten, ca. 60 bis 80 % betragen wird.
Das „Clipper" -Magazin von PanAm wirbt im April 1987 mit dem Motto:
Berlin hilft beim Steuersparen. Hintergrund sind die bundesweit einmaligen Abschreibungsmöglichkeiten auf der Basis des Berlinförderungsgesetzes. „Berlin ist prädestiniert für Immobilieninvestitionen im Altbaubereich. " Die derzeit noch gültige Mietpreisbindung liefert die Erklärung.
Sie bieten den Berliner Mietern Ihren Gesetzentwurf unter dem Titel „Gesetz zur dauerhaften Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin" an. Dieser Titel müßte meines Erachtens lauten: „Gesetz zur dauerhaften Verteuerung der Mieten und zur Steigerung der Profite für Wohnungsvermieter".
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Alle Mieterverbände in Berlin, zuletzt auch der Mieterschutzbund, haben sich von der CDU in dem Sinne verabschiedet, daß sie sich weigern, an der Auf stel-lung eines Mietpreisspiegels mitzuwirken. Der Berliner Senat vertritt in dieser Frage ausschließlich Kapitalinteressen von Vermietern.
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- Das ist allerdings wahr. Wenn Sie mit diesen Spekulanten im Hintergrund die Mieten treiben wollen, dann ist das so.
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Ihr Gesetzentwurf ermöglicht bis 1994 Mietpreissteigerungen von 5 % für bestehende Mietverträge auf den bisherigen Mietzins - Sie meinen, wie ich gehört habe, die Kaltmiete - und von 10 % für Neuvermietung bis 1991.
Wie stark werden die Betriebskosten steigen, weil Ihre Berechnungsgrundlage nach dem Gesetz zur Regelung der Miethöhe und nicht mehr unter den Bestimmungen der Mietpreisbindung berechnet werden? Seit dem 31. 12. 1982 dürften nur die Erhöhungsbeträge für die Betriebskosten zusätzlich zur Grundmiete erhoben werden und nicht die gesamten Betriebskosten, die ein Hauswirt hat. Einen Teil mußte der Vermieter aus der Grundmiete selber finanzieren. Aus diesem Grunde wird es bei der Erhöhung der bisherigen Miete von bis zu 5 bzw. 10 % bei
Neuvermietung nicht bleiben. Sie werden höher ausfallen.
Die Erfahrungen aus München und Hamburg zeigen, daß Mietenexplosionen um mehr als 100 To in zehn Jahren durch die CDU/FDP-Koalition den Berlinern aufgedrückt werden. „Soziale Explosionen in Kreuzberg gibt es nicht" , so der Berliner Sozialsenator Fink.
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„Mietenexplosionen zugunsten der Spekulanten werden gewollt" , so Bausenator Wittwer. Ursache und Wirkung von wohnungspolitischen Manövern werden schlicht geleugnet.
Der CDU-Gesetzentwurf aus Berlin setzt Mieterrechte außer Kraft. Bisher kann jeder Berliner Mieter seine Miete bei einer bezirklichen Mietpreisstelle preisrechtlich überprüfen lassen.
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Er braucht keinen Juristen, braucht also das Prozeßkostenrisiko nicht einzugehen. Diesen Rechtsanspruch hat er künftig nur mittels eines Zivilgerichtsverfahrens. Hier muß der Mieter den Beweis dafür führen, daß ihm gegebenenfalls eine preisrechtswidrige Miete abgeknöpft wird. Faktisch heißt dies eine Beweislastumkehr zugunsten der Vermieter und zu Lasten der Mieter. Der häufig wirtschaftlich Schwächere wird rechtlich in eine benachteiligte Situation manövriert.
Der Gesetzentwurf sieht keine Rechtsansprüche der neuen Mieter vor, wie sie eine Auskunft über die bisherige Miete vom Vermieter erhalten können. Jeder Mieter, der einen Mietvertrag erst einmal unterschrieben hat, um ein Dach über dem Kopf zu bekommen - und das ist in Berlin, wie jeder weiß, am Bahnhof Zoo die Praxis - , muß den risikohaften und teuren Zivilrechtsweg gehen, um eine Mietpreiskontrolle zu ermöglichen.
Einzige Begrenzung einer bereits vereinbarten überhöhten Miete bildet § 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Danach ist laut Rechtsprechung eine überhöhte Mietpreisbindung erst dann unwirksam, wenn sie die ortsübliche Vergleichsmiete um über 20 % und in Einzelfällen sogar um 50 % übersteigt. Es wird sich erst in langwierigen juristischen Verfahren zeigen, ob das gesetzliche Versprechen des Berliner Senats, Mietpreissteigerungen auf 5 bzw. 10 % zu begrenzen, einzuhalten ist.
Unser Gesetzentwurf, der Gesetzentwurf der GRÜNEN, setzt sich erstens für die Beibehaltung und Verbesserung der Mietpreisbindung als Dauerrecht ein.
Zweitens. Die mietpreistreibenden Regelungen des geltenden 12. Bundesmietengesetzes müssen aufgehoben werden.
Drittens. Der Senat muß die politische Verantwortung für bezahlbare Wohnungen in Berlin behalten.
Viertens. Der Automatismus von Mieterhöhungen auch bei Preisstabilität oder gar bei Preisrückgang muß beendet werden.
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Fünftens. Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen muß gestoppt werden.
Sechstens. Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist generell auszuschließen, und genau das werden Sie nach drei Jahren ermöglichen.
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Sie werden die Berliner Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben.
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Es ist also auf jeden Fall an der Zeit, daß die CDU in Berlin von der Macht abtritt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schulze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf die sehr polemischen, unsachlichen Ausführungen meines Vorredners einzugehen. Sachliche Argumente sind hier jedenfalls nicht vorgetragen worden.
Im übrigen bieten die Ausschußberatungen noch Gelegenheit zur Abklärung unterschiedlicher Standpunkte. Insofern, Herr Müntefering, haben wir Gelegenheit, über unsere unterschiedlichen Gesetzentwürfe noch im zuständigen Ausschuß zu diskutieren.
Mit den Gefühlen der Berliner Politik zu machen, das halte ich allerdings, gelinde gesagt, für unseriös.
({0})
- Sie machen mit den Gefühlen der Berliner Politik. Ich halte das für ein durchschaubares wahltaktisches Manöver.
Meine Damen und Herren, wir haben durchaus Verständnis für die Sorgen der Berliner, die durch den Weißen Kreis zu hohe Mieten befürchten. Wir wollen mit unserem Entwurf aber den Berlinern diese Sorge nehmen; wir sichern mit unserem Entwurf tragbare Mieten zu.
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- Das werden die Berliner sehr wohl erfahren. Wenn die Berliner Gelegenheit gehabt hätten, sich vor Ihrer Befragung mit unserem Gesetzentwurf näher vertraut zu machen, würden sie sich wahrscheinlich für unseren Gesetzentwurf entschieden haben.
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Schulze ({3})
Meine Damen und Herren, bei den Beratungen zur Änderung der mietpreisrechtlichen Vorschriften für Berlin im Jahre 1982 einigte man sich aus gewichtigen Gründen auf die Verlängerung der Mietpreisbindung bei Altbauten bis zum Jahresende 1987 bzw. 1989. Da ich vor fünf Jahren als Berichterstatter meiner Fraktion den Aussprachen und Verhandlungen beigewohnt habe, sind mir diese Gründe durchweg geläufig. Ich möchte nochmals betonen, daß damals interfraktionelle Einigkeit sowohl über die schließlich getroffenen Regelungen wie auch über deren zeitliche Begrenzung herrschte.
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Allerdings - und dies ist für uns heute entscheidend; Herr Kansy hat schon darauf hingewiesen - haben sich einige damals in die Zukunft projizierte Grundannahmen glücklicherweise nicht bestätigt. Entgegen allen Voraussagen konnte der noch 1981 vorherrschende Eindruck, Berlin sei eine sterbende Stadt, ins Gegenteil verkehrt werden. Maßgeblichen Anteil an dieser erfreulichen Aufwärtsentwicklung hat die zukunftsorientierte Politik des amtierenden CDU/FDP-Senat unter Eberhard Diepgen.
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Meine Damen und Herren, auf Grund dieser seit nunmehr fünf Jahren positiven Vorzeichen ist es seit langer Zeit erstmalig zu einem Wanderungsgewinn in Berlin gekommen.
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Diese hier wiederholt angesprochene positive Entwicklung in Berlin ist begrüßenswert, hat aber ihre besonderen Auswirkungen, die im Hinblick auf die Wohn- und Mietsituation nochmals einer politischen Hilfestellung bedürfen. In der Diagnose sind wir uns mit der SPD hier einig. Die Entwicklung der Berliner Mieten muß nach dem Auslaufen der Mietpreisbindung für die vor dem 1. Januar 1950 ohne öffentlichen Mittel gebauten Mietwohnungen abgefedert werden.
Eine halbe Million Wohnungen mit gut einer Million Bewohnern gibt es in Berlin. Zudem hat unsere Stadt 90 % Mieter, ist also eine typische Mieterstadt, jedoch nur 10 % in eigenen vier Wänden wohnende Menschen.
Wir stehen deshalb aktuell vor einem Problem, dessen Lösung fast schon bedeutete, die Quadratur des Kreises zu ermöglichen. Einerseits bleibt es das erklärte Ziel des Senats von Berlin zur Wahrung der Rechtseinheit mit dem Bund und aus ordnungspolitischen Erwägungen möglichst bald die Überführung der bislang mietpreisgebundenen Wohnungen in das bundesweit geltende soziale Mietrecht zu gewährleisten. Andererseits wiederum hat die begrüßenswerte Entwicklung Berlins auf allen Gebieten die sogenannte Wohnungsstillstandsreserve aufgezehrt.
Hinlänglich bekannt ist auch, daß Berlin kein Umland hat und deshalb die Bewohner des freien Teils der Stadt keine entzerrend wirkende Ausweichmöglichkeiten finden. Außerdem ist der Anteil sogenannter Substandardwohnungen, also ohne individuelle Badezimmer und Toiletten, noch immer relativ hoch. Ich denke dabei an meinen Heimatbezirk Kreuzberg, in dem ich übrigens als Altbaumieter auch heute noch wohne.
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- Was heißt „Aha"? Sie doch auch!
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- Bloß, wenn man in Kreuzberg wohnt, kennt man die Probleme hautnah.
Nicht vergessen werden darf auch, daß Berlin innerhalb eines Jahres mehr als 10 000 aus der DDR und Polen ausgewanderte Bürger aufgenommen und mit angemessenem Wohnraum versorgt hat. Von diesen Menschen sind viele in Berlin geblieben. Wir freuen uns sehr darüber, daß das so ist, und sehen das auch schon als eine gute Leistung Berlins als Solidarbeitrag für den Bund an. Aber es bringt, wie gesagt, von der Wohnungsseite her auch wieder einen zusätzlichen Bedarf.
Würde sich der Senat angesichts dieser Lage für die vorgesehene abrupte Aufgabe der bislang gebundenen Mieten entscheiden, wie es das in Kraft befindliche Gesetz verlangt,
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entstünden vermutlich erhebliche Verzerrungen auf dem Wohnungsmarkt.
Auch in Berlin weiß man, daß gesetzliche Mietpreisbindungen prinzipiell unserem freien marktwirtschaftlichen System zuwiderlaufen. Sie sind zudem verwerflich, weil die zu beobachtenden Folgewirkungen - Mietverzerrungen haben wir, wie hier schon angesprochen wurde, zwischen 2 und 12 DM -, Schwarzmarktmieten, Abstandszahlungen in fünfstelliger Höhe und Scheinmietverträge, die unsozial und freiheitswidrig sind. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb es nicht zur Installierung der Mietpreisbindung für Altbauten als Dauerrecht kommen darf, wie es die Gesetzentwürfe von der SPD und den GRÜNEN vorsehen.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, neben den von mir bereits dargelegten inhaltlichen Gründen ist Ihr Antrag auch nicht verfassungskonform. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verstößt die gesetzliche Fortschreibung der Mietpreisbindung gegen unsere Verfassung. Sie würde zudem gegen alle Grundsätze der Gerechtigkeit verstoßen.
Ich möchte Ihnen das kurz demonstrieren. Man muß sich nur einmal in Berlin umsehen, um festzustellen, was Mietpreisbindung konkret heißt. Die Höhe der Miete hängt im wesentlichen vom Zufall ab. Sie hängt nur davon ab, wie hoch an einem bestimmten Tag die Miete war. Bei gleicher Ausstattung, bei gleicher Lage kann der Mietpreis pro Quadratmeter und Monat
Schulze ({11})
92 Pfennig oder 14,31 DM betragen. Diese Zahlen sind aus der Praxis. Soll also die Sozialrentnerin die 14,31 DM pro Quadratmeter für die Wohnung zahlen und der Reichere in einer Wohnung sitzen, welche nur 92 Pfennig pro Quadratmeter im Monat kosten darf? Dafür kann sich doch wohl keiner einsetzen.
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- Die SPD als soziale Partei kann sich dafür einsetzen. - Maßstab für die Miete darf nur der Wert der Wohnung sein, nicht aber der Zufall. Ich z. B. zahle in Kreuzberg für meine Wohnung
({13})
- wieso? - mehr als ein Kollege für eine vergleichbare Wohnung am Kurfürstendamm. Das kann also auch nicht ganz in Ordnung sein.
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- Über das Wohngeld brauchen wir uns hier nicht zu unterhalten. Wir haben ja schon vom Kollegen Kansy gehört, daß in sehr hohem Maße Wohngeld auch nach Berlin gegeben wurde, um den Mietern, die nicht in der Lage sind, sich eine etwas komfortable Wohnung zu leisten, dieses auch zu ermöglichen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Frau Kollegin, ich bin jetzt ziemlich am Ende meiner Rede.
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Der bislang geltenden Mietpreisbindung liegt das Prinzip der Stichtagmieten zugrunde. Seine Entstehung läßt sich bis in das Jahr 1914 verfolgen. Damals galt Kreuzberg als begehrte Wohngegend in Berlin, weshalb das Mietniveau hier höher als in anderen, schlechter erreichbaren Bezirken war. Um die damals außerstädtisch gelegenen Bezirke für Mieter attraktiver werden zu lassen, erhielten die dortigen Wohnungen oft eine bessere Ausstattung gegenüber den zwar nachgefragten, aber auch damals nicht luxuriösen Häusern in Kreuzberg. In dieser Situation - begehrte und teure Kreuzberger Wohnungen mit weniger Komfort einerseits und bessere Wohnbedingungen in anderen Bezirken andererseits -- legte man sich auf Stichtagmieten fest. Kreuzberg war und blieb also kein billiges Pflaster, verlor aber in den nachfolgenden Jahrzehnten als Wohngegend an Attraktivität. Hingegen ist der Wohnwert der anderen Bezirke konstant gestiegen, nicht aber im gleichen Verhältnis die Mieten.
Dieses im Grunde uralte Berliner Mietpreisbindungssystem kann im Extremfall - Sie haben es schon gehört - zu absurden Fällen führen, z. B. dazu, daß eine Wohnung im Weddinger Hinterhof doppelt bis dreimal so teuer ist wie eine hervorragende Wohnung in Hanglage am Wannsee. Weitere drastische
Beispiele zeigen, daß durch das bisherige System Schwarzmieten geradezu legalisiert werden.
({1})
Deshalb ist der Weg in das soziale Mietrecht der einzig richtige. Auf Grund dieser Erwägungen und Erfahrungen haben wir nach reiflicher Überlegung und eingehender Diskussion eine Lösung gefunden, welche dauerhaft eine soziale Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin sichert.
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- Nach sehr eingehender Überlegung, das ist richtig.
Auf der Grundlage eines Mietspiegels werden sowohl für neue als auch für alte Mietverhältnisse Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen eingeführt. Hier ist schon darauf Bezug genommen worden, in welcher Form das erfolgen soll. Mit diesem System können jedenfalls nach unserer Auffassung soziale Ungerechtigkeiten vermieden werden. Weder käme es bei der vorgesehenen Aufhebung der gesetzlichen Mietpreisbindung zum Jahresende zu überproportionalen abrupten Mietsteigerungen, noch würden die Mieten künstlich auf ein unrealistisches Niveau gebracht.
Mit anderen Worten: Die von uns gefundene Regelung verbindet angesichts der besonderen Umstände auf dem Berliner Wohnungsmarkt die Vorteile abgebremster Mieterhöhung mit den Chancen der im übrigen Bundesgebiet geltenden Regelung des sozialen Mietrechts. Auch - der Kollege Lüder hat das hier schon erwähnt - die Interessen der Wohnungs- und Hauseigentümer werden in dem geplanten Gesetz berücksichtigt. Der Rahmen zur Erwirtschaftung von Finanzmitteln für Instandhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen ist gegeben.
Mein Kollege Dr. Kansy hat diesen von uns eingeleiteten Prozeß sehr zutreffend und anschaulich als sozialen Gleitflug des Berliner Mietrechts zu dem im übrigen Bundesgebiet geltenden Mietrecht bezeichnet. Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, werbe ich um Ihre Solidarität. Die Unionsparteien haben sich 1982, als Sie, die SPD, noch die Regierungsgeschäfte führten, der Unterstützung ebenfalls nicht verweigert:
({3})
im Interesse Berlins. Lieber Herr Kollege Wartenberg, Sie selber strebten für Ihre Partei damals die heute zur Diskussion stehende schrittweise Heranführung der Berliner Mietverhältnisse an das im übrigen Bundesgebiet geltende soziale Mietrecht an.
({4})
Schulze ({5})
- Das ist auf Seite 2 der Beschlußempfehlung und des Berichts nachzulesen, den wir damals beide abgegeben haben.
({6})
- Der Kollege Wartenberg.
({7})
- Ja, ja.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Jawohl. - Wir steuern eine ganz behutsame Landung Berlins bei den Regelungen des sozialen Mietrechts an. Beim besten Willen kann ich darin keinen Akt unsozialer Politik erblicken. Berliner werden gegenüber Vermietern nicht schutzlos ausgeliefert sein, wie Sie es den Menschen einzureden versuchen. Auch die Mieter genießen alle auch im übrigen Bundesgebiet geltenden Schutzbestimmungen.
({0}) Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Schulze, also das war wirklich nichts. Diese widersprüchlichen, lieb vorgetragenen Argumente werden keinen Berliner überzeugen, die Regelung, die die Koalition jetzt vorgeschlagen hat, zu akzeptieren. Obwohl diese Regelung seit der letzten Woche bekannt ist und sich der Senat eine Entlastungsfunktion versprochen hat, läuft, weil sie so schlecht ist, die Unterschriften- und Abstimmungskampagne auf vollen Touren weiter, und die Berliner unterschreiben weiter.
({0})
Die Stände in Berlin sind nach wie vor von Berlinern überlaufen, die sich an der Abstimmung für die Verlängerung der Mietpreisbindung beteiligen wollen.
({1})
Es nützt Ihnen doch überhaupt nichts, daß Sie das soziale Mietrecht propagandistisch in den Mittelpunkt stellen und meinen, Sie könnten damit die Lage in Berlin befrieden.
({2})
Nun noch ein Wort vielleicht zu der Art und Weise, wie Sie uns als Opposition ansprechen. Ich meine die Art und Weise, wie Sie in dieser für alle Berliner wichtigen Frage die anderen Berliner Parteien behandeln.
Es war bei allen Regierenden Bürgermeistern bis hin zu Herrn von Weizsäcker gute Tradition, daß man, bevor man mit einem Berliner Problem in den Bundestag ging, versucht hat, einen Kompromiß zwischen allen Parteien herzustellen. Sie aber haben in der letzten Woche ganz kurzfristig unter dem Druck der Stimmung in Berlin einen miserablen Gesetzentwurf zusammengebastelt, und für heute morgen um 8 Uhr lädt der Herr Bausenator die anderen Parteien huldvoll ein, um sie zu informieren. Das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit in bezug auf die Interessen aller Berliner ({3})
nicht, weil die Abgeordneten spät eingeladen worden sind, sondern weil man mit Interessen aller Berliner so nicht umgehen kann.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kittelmann?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Wartenberg, geben Sie hier zu, daß Ihre jetzt durchgeführte Unterschriftensammlung seit Monaten vorbereitet ist und läuft und von daher eine Festlegung der Opposition stattgefunden hat, bevor der Senat überhaupt in der Lage war, sich mit Ihnen über Einzelheiten zu unterhalten, daß also umgekehrt Sie von vornherein eine andere Richtung eingeschlagen haben, so daß das, was Sie jetzt der Regierung vorwerfen, wirklich nicht redlich ist?
({0})
Herr Kittelmann, Sie werden doch wohl nicht erwarten, daß eine Fraktion ohne eine Meinung, die sie sich vorher erarbeitet hat, in Gespräche und Verhandlungen eintritt. Das ist doch wohl etwas anderes, als wenn man der Opposition einen fertigen Gesetzentwurf der Regierung zur Verhandlung vorlegt. -({0})
Für uns Sozialdemokraten ist seit langer Zeit klar, daß eine Dauerregelung für die Mietpreisbindung die einzige Möglichkeit ist, um die besondere Situation Berlins auf Dauer zu sichern. Das unterscheidet doch Berlin von den anderen bundesdeutschen Ballungsgebieten: Es gibt kein Ausweichen ins Umland, es gibt keine Möglichkeit, den Wohnungsmarkt in Berlin durch Ausweichen ins Umland in irgendeiner Weise zu entlasten. Das ist der große Unterschied, das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
In Ihrem Entwurf gibt es eine Regelung, die geradezu absurd ist, daß nämlich bei Neuvermietungen eine höhere Mietpreissteigerung möglich ist als sonst. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Die
Wartenberg ({1})
größte Fluktuation, die wir in Berlin haben, haben wir in den Altbaugebieten mit schlechten Wohnungen, z. B. in Kreuzberg. Dort werden die Mieten dann durch den Abschluß neuer Mietverträge überproportional steigen. Am Ku' damm und in Wilmersdorf aber, wo die Bewohnerschaft stabil ist, werden sie nicht so stark - obwohl immer noch stark genug - steigen. Diese Regelung, bei Neuvermietungen eine Mietsteigerung leichter durchsetzbar zu machen, führt gerade bei der Berliner Struktur dazu, daß die sogenannten Bruchbuden, von denen Sie vorhin gesprochen haben, in kurzer Zeit mit die teuersten Wohnungen werden.
({2})
- Ach, reden Sie doch nicht so dummes Zeug, Herr Kansy! Sie verstehen doch - ausweislich Ihrer Rede - von der Berliner Situation überhaupt nichts.
({3})
Sie können ein Ballungsgebiet wie Berlin nicht mit einer Klein- oder Mittelstadt, aus der Sie kommen, vergleichen. Da besteht ein gewisser Unterschied.
({4})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben bei der Verlängerung der Mietpreisbindung mehrere Forderungen mit eingebracht. Eine Forderung ist die nach dem Dauerrecht, eine weitere Forderung ist die, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen im Altbaubereich nachdrücklich einzuschränken und den Mieter dort auf Dauer zu schützen, gleichzeitig eine Regelung zu treffen - in einer Tabelle wäre dann die Miethöhe festzulegen - , die auch Sprünge in der Mietpreissteigerung bei privater Modernisierung einfangen kann. Denn das ist das Problem auch bei der jetzigen Regelung der Mietpreisbindung: daß Modernisierungszuschläge die Mieten außerhalb der gesetzlich zugelassenen Mietpreissprünge immer noch bis auf das Doppelte steigen lassen können. Dies ist eine Regelung, die so nicht bleiben darf und die deswegen verbessert werden muß.
Der Regierungsentwurf - in diesem Fall auch der Senatsentwurf - überrascht natürlich auch aus einer anderen Richtung. Hier wird pausenlos von der Rechtseinheit - Herr Lüder hat das ja sehr deutlich gesagt - gesprochen: Nun muß also der Markt auch in Berlin eingeführt werden. - Und es ist natürlich schon sehr eigenartig, daß die Befürworter von mehr Marktwirtschaft in Berlin ihr Credo gerade auch auf die Wohnungswirtschaft und auf die Mietenpolitik ausdehnen wollen, obwohl Bau- und Korruptionsskandale nicht zuletzt die Folgen einer ungehemmten privatwirtschaftlichen Verwertung von Grund und Boden sind.
({5})
Diese Spekulations- und Bauskandale sind ja nicht überwiegend im Altbaubereich geschehen, sondern sie sind dort passiert, wo der Markt relativ frei ist. - Dies erstaunt um so mehr, als doch im Interesse der Wirtschaft und der Arbeitnehmer dieser Stadt für alle anderen Wirtschaftsbereiche besondere gesetzliche Bestimmungen, die z. B. im Berlinförderungsgesetz niedergelegt sind, für unabdingbar gehalten werden,
({6})
wohl wissend, daß ohne diese bundesgesetzlichen, auf Berlin zugeschnittenen Wirtschaftshilfen die Konkurrenzfähigkeit der Berliner Wirtschaft gegenüber anderen Märkten kaum herzustellen wäre. So wie die besondere Situation Berlins eine besondere Wirtschaftsförderungspolitik erfordert, so gilt dies in gleichem Maße für die Wohnungs- und Mietenpolitik. Die Berliner SPD betrachtet daher die Mietpreisbindung als die Berlin-Förderung der Berliner Mieter, als die Berlin-Förderung des kleinen Mannes.
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Wenn sie jetzt als Dauerrecht installiert werden soll, geschieht dies in der Überzeugung, daß die besonderen politischen Bedingungen dieser Stadt das rechtfertigen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß Gott sei Dank - anders, als das DIW-Gutachten vor zehn Jahren prognostiziert hat - die Bevölkerungszahl stabil geblieben ist. Berlin hat nicht 1,7 Millionen Einwohner, sondern immer noch etwa 2 Millionen Einwohner. Das heißt, eine Entlastung auf dem Wohnungsmarkt ist auch durch einen überproportionalen Rückgang der Bevölkerungszahl nicht eingetreten. Auch dieses ist ein wesentliches Argument; denn die Frage, ob irgendwo der schwarze Kreis bestehenbleiben soll oder der weiße Kreis eingeführt werden soll, war immer davon abhängig, wie die Wohnungsversorgung und die Bevölkerungsentwicklung insgesamt sind, ob es eine angemessene Leerraumreserve bei preiswertem Wohnraum gibt.
Diese gibt es in Berlin nach wie vor nicht. Deswegen sind wir dafür, daß jetzt endgültig die Mietpreisbindung als Dauerrecht in Berlin installiert wird.
Vielen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Zu den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 c wird die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor740
Präsident Dr. Jenninger
schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 sowie Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN Schutz der Nordsee
- Drucksache 11/247 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Schutz der Nordsee - II. Internationale Nordseeschutzkonferenz November 1987 in London
- Drucksache 11/299 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Den Antrag „Schutz der Nordsee", der noch aus der vergangenen Legislaturperiode stammt, haben wir aus zwei Gründen wieder eingebracht. Erstens. Eine abschließende Behandlung hat noch nicht stattgefunden. Zweitens. Im November dieses Jahres werden die Umweltminister der Nordseeanrainerstaaten zum zweitenmal zu einer internationalen Nordseekonferenz in London zusammentreffen. Gleichzeitig findet dort eine zweite alternative Konferenz von Umweltschützern statt, die den Namen „seas at risk" trägt.
Dies ist für uns Anlaß genug, den parlamentarischen Arm für die Forderungen der Umweltverbände zu bilden und die Thesen der Aktionskonferenz Nordsee, wie sie 1984 in Bremen formuliert und vorige Woche bei der zweiten Aktionskonferenz wiederholt wurden, im Bundestag zu beraten.
In den letzten Jahren wurden hier im Bundestag mehrere große Nordseedebatten geführt, so daß es schon fast müßig erscheint, an dieser Stelle noch einmal die Auflistung aller Schadstofffrachten zu bringen, die eine Bedrohung für die Nordsee darstellen.
Nach wie vor ist es aber so, daß die Nordsee als Müllkippe der ganzen Nation herhalten muß. Sie wird so zum Endlager gefährlicher Stoffe. Nach wie vor werden unvorstellbare Mengen an Umweltgiften mit behördlicher Genehmigung völlig legal in die Flüsse eingeleitet und gelangen letztendlich in die Nordsee.
Der Wahnsinn findet also täglich statt. Trotz vollmundiger Öko-Parolen der Bundesregierung hat die
Belastung der Nordsee durch viele gefährliche Schadstoffe nicht abgenommen, was wegen des Anreicherungseffekts schon schlimm genug ist, sondern sogar noch weiter zugenommen.
Nicht abgenommen hat die Nitratbelastung. Erheblich zugenommen haben die Konzentration von Orthophosphat und die radioaktive Belastung. Lediglich verschoben wurde das Schwermetallproblem. Geradezu dramatisch verlaufen die Schädigungen in der Nordsee durch die wohl gefährlichste Gruppe von Umweltgiften, die Chlorkohlenwasserstoffe.
Nirgends zeigt sich deutlicher, wie jämmerlich die Bundesregierung vor einem Problem versagt hat, dessen Lösung natürlich nur durch eine wirklich vorsorgeorientierte Umweltpolitik möglich ist.
Schon 30 km unterhalb des Bodensees dürfen die Rheinfische wegen zu hoher Schadstoffkonzentration nicht mehr verkauft werden, und in der Nordsee beginnen diese Gifte bereits das Leben im Keim abzutöten.
Hier sind es vor allem die PCBs, hochgiftige Kunstprodukte der chemischen Industrie, die sich über die Nahrungskette bis zu 80millionenfach anreichern, z. B. in Seehunden. Solche Werte befinden sich bereits in der Nähe jener Giftschwelle, bei der ein Lebewesen stirbt. Bei Hering, Scholle, bei Seevögeln und dem Seehund wurde eindeutig nachgewiesen, daß diese Gifte in die Keimdrüsen eindringen und die Fortpflanzungsmöglichkeiten vermindern.
Schon seit vier Jahren liegt ein Entwurf der Schadstoffhöchstmengenverordnung in den Schubladen der zuständigen Ministerien, mit der endlich Grenzwerte für PCBs und Quecksilber in Lebensmitteln festgeschrieben werden sollen.
In der Hamburger Bevölkerung ist, bedingt durch den dort höheren Fischverzehr, bereits eine überdurchschnittlich hohe Belastung mit Quecksilber nachgewiesen worden.
({0})
Vorbeugender Umweltschutz heißt also mit den Worten der Bundesregierung: Erst wenn der letzte Fisch in der Nordsee gestorben ist, wird man wohl eine gesicherte Datenbasis für den Erlaß von Gesetzen und Verordnungen haben. Vorher kungelt man freiwillige Vereinbarungen zum Wohle der Großindustrie aus.
Ein weiterer Papiertiger ist das novellierte Wasserhaushaltsgesetz. Diese Novelle wurde meines Erachtens nur geschaffen, um der Bevölkerung eine Beruhigungspille in Sachen Umweltschutz zu verpassen. Schon bei ihrer Verabschiedung stand fest, daß die Neuregelungen in absehbarer Zeit gar nicht umgesetzt werden. So gibt es keine Fristenfestsetzung für die Anhebung des Standes der Technik, sondern dieser wird nach wie vor durch die Industrie vorgegeben. Eine Mindestanforderung für die Vermeidung von Nährstoffeinträgen fehlt. Nicht zuletzt mangelt es den Ländern an den nötigen Vollzugskapazitäten zur Umsetzung der Gesetzesvorschriften.
Die Vergiftungspolitik der Bundesregierung fügt aber nicht nur der Nordsee große ökologische Schäden zu; sie gefährdet auch in ökonomischer Hinsicht
die Bevölkerung der Küstenregion. Dies begann damit, daß durch die großen Chemieansiedlungen und die nachfolgende Verseuchung der Elbe sämtliche Elbfischer ihre Existenz verloren. Das hat sich in gigantischen Industrieansiedlungsprojekten entlang der Küste fortgesetzt. In diese Giftküchen wurden Milliarden an Subventionen gepumpt, ohne daß sie die bestehenden Arbeitsplatzprobleme lösen konnten.
Die steigende Belastung der Nordsee gefährdet die natürlichen Grundlagen des seit langem stabilsten Wirtschaftszweiges auf den Inseln und in den Küstenorten: des Fremdenverkehrs. Allein auf den ostfriesischen Inseln leben heute 30 000 Arbeitskräfte vom Fremdenverkehr. Voraussetzung dafür ist die Reinhaltung des Wassers, der Luft und des Bodens. Es wäre geradezu ein Hohn, wenn jetzt in dieser Region das Vorhaben, Giftmüll in Salzkavernen einlagern zu wollen, realisiert würde. Intensiver Fremdenverkehr ist mit Giftmülltransporten und Einlagerungen nicht vereinbar.
({1})
Meine Herren und Damen, die Nordsee kann nicht mehr warten, erst recht nicht auf die leeren Versprechen dieser Regierung und auf das Verweisen auf den schlechten Nachbarn, sprich: das mangelnde Umweltbewußtsein anderer Nordseeanrainer.
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Wir wissen heute nicht, wie lange es dauert, bis sich nach dem dramatischen Ansteigen des Waldsterbens eine ebensolche Entwicklung auch im Lebensraum Nordsee abspielen wird. Erste untrügliche Anzeichen für ein solches Nordseesterben gibt es, und sie werden von eben denselben Politikern als Panikmache abgetan, die schon vor fünf Jahren das Waldsterben als eine Erfindung der GRÜNEN belacht haben.
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Mit unserem umfassenden Antrag, den ich hier nur unvollständig vorstellen kann, der aber die verschiedensten Problemstellungen behandelt, möchten wir eines deutlich machen: Die Rettung der Nordsee erfordert eine radikale Umstellung der bisherigen umweltpolitischen Vorstellungen und Maßnahmen - nicht nur im Küstenraum, sondern im ganzen Einzugsgebiet der Nordsee. Das umfaßt die Einzugsbereiche von Elbe, Weser, Ems und Rhein, d. h. zwei Drittel der Fläche der Bundesrepublik.
Um auch den heutigen Belastungszustand der Deutschen Bucht und des Wattenmeers nicht weiter zu verschlechtern, müssen wir eine Null-Lösung auch bei der weiteren Einleitung von Schadstoffen und düngenden Stoffen fordern. Denn das Instrument der Einhaltung von Grenzwerten bei der Einleitung belastender Stoffe erweist sich angesichts des Anreicherungsprozesses für die Nordsee als völlig ungeeignet. An die Stelle des Versteckens und Verdünnens der Abfälle und Abwässer unserer Industriegesellschaft müssen treten die Unschädlichmachung der Schadstoffe am Ort der Produktion, die Änderung der Produktionsprozesse durch veränderte Technologien ohne schädliche Neben- und Endprodukte und der Verzicht auf bestimmte Produkte und Produktionen, wenn ihre Umweltgefährlichkeit durch andere Maßnahmen nicht eingedämmt werden kann. Das gilt vor allem für viele Bereiche der Chlorchemie.
Das bedeutet den Ausstieg aus einer Politik bloßer Umweltreparaturen und wachsender Belastungen unserer Lebensgrundlagen und einen Einstieg in die Entwicklung umweltverträglicher Produktionsmethoden und Energiegewinnungsverfahren.
({4})
Zusätzlich zu unserem Antrag - gleichsam als Punkt 17 - verlangen wir die Ausweisung der Nordsee als besonders schutzwürdiges Gebiet.
({5})
In Verhandlungen mit den anderen Anliegerstaaten der südlichen Nordsee, den Niederlanden und Dänemark, ist durch die Bundesregierung darauf hinzuwirken, daß für das besonders belastete Gebiet der Deutschen Bucht ein Konzept für ein besonders schutzwürdiges Gebiet - particular sensitive area - erarbeitet wird, das als wesentlichen Bestandteil ein Hineinwirkungsverbot enthält. Der Schadstoffeintrag über Flüsse und Luft muß als Hauptbelastung mit erfaßt sein.
Wir haben zu unserem Antrag „Schutz der Nordsee" eine Anhörung im Umweltausschuß gefordert. Wir erhoffen uns, daß dadurch die Probleme der Nordsee hier im Hause endlich einmal ernster genommen werden, zumal der Bundeskanzler ja in seiner Regierungserklärung verlauten ließ, von nun ab die Schöpfung bewahren zu wollen. Hier kann er beweisen, daß dieses Bekenntnis keine leere Worthülse bleibt.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Carstensen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Deutschen Bundestag sind heute zwei Anträge vorgelegt worden, von denen ich annehme, daß sie aus wirklich tiefer Sorge um die Nordsee entstanden sind. Ich glaube, auch die Rede, die Frau Garbe gehalten hat, spiegelt das wider. Zwar sind viele Dinge wieder aufgewärmt worden, zwar betreffen viele Dinge etwas, was wir überhaupt nicht in der Hand haben. Ihr Antrag, liebe Frau Garbe - das darf ich lobend erwähnen - , hebt sich von den Anträgen, die uns sonst die grüne Fraktion auf den Tisch legt, insofern wohltuend ab, als er nicht diesen ideologischen Schrott enthält, den wir sonst manchmal lesen müssen.
({0})
Carstensen ({1})
Aber eines haben Sie immer noch nicht gelernt und
begriffen: daß wir die Instrumente, die Sie anwenden
wollen, zumeist gar nicht in unseren Händen haben.
Ich freue mich darüber, daß diese Anträge auf den Tisch gelegt worden sind. Als einer, der auf einer Insel in der Nordsee lebt, gestehe ich freimütig: Ich begrüße es, daß wir auf diese Weise hier stärker über die sehr komplexen Zusammenhänge diskutieren können, um dann auch zu guten Beschlüssen zu kommen. Außerdem findet die Diskussion am heutigen Tag auch zum richtigen Zeitpunkt statt, weil in diesen Tagen auf Borkum die 5. Internationale Wattenmeerkonferenz stattfindet, der ich von dieser Stelle aus einen guten Erfolg wünsche.
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- Ja, das ist der Wahlkreis von Rudi Seiters.
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Es ist sicherlich richtig - wie es auch im Antrag der SPD steht - , daß politische Reden, Absichtserklärungen und Nordseeschutzdeklarationen dem Meer nicht weiterhelfen. Aber es muß doch die Frage gestellt werden: Wo war eigentlich die SPD mit ihrem Handeln, nachdem schon 1979 das erste Nordseegutachten bekannt war?
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Wo sind eigentlich, lieber Herr Jansen, die Forderungen der Kollegen der SPD an ihre eigenen Genossen in den von ihnen regierten Stadtstaaten, die von der Nordsee leben und die Entsorgung noch zu einem großen Teil direkt oder indirekt in die Nordsee vornehmen?
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- Natürlich. Aber gucken Sie sich bitte einmal das Abwasser an, das aus Schleswig-Holstein wegfließt, und das Abwasser, das aus Hamburg wegfließt. Ich glaube, da werden sogar Sie mit Ihrer unempfindlichen Nase einen gewissen Unterschied feststellen können.
Natürlich ist es auch richtig, daß das Problem der Nordseeverschmutzung nicht nur und wohl auch nicht in der Hauptsache eine Angelegenheit derjenigen Regionen und Länder ist, die direkt an der Nordsee liegen. Nordseeschutz fängt in der Schweiz, in Frankreich, in der CSSR und in der DDR an
({6})
und hört in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen noch lange nicht auf.
({7})
Aber wenn von der SPD Forderungen an den Bund gestellt werden, dann muß man von dieser Opposition auch verlangen, daß sie erst einmal ihre dreckmachenden Genossen in Hamburg und Bremen in dieser Sache auf Vordermann bringt, damit diese in Sachen Nordseeschutz endlich ihre Hausaufgaben machen.
({8})
- Sie können es sicherlich so sehen. Aber wenn Sie die Zahlen betrachten und wenn Sie sich die Gegebenheiten in diesen Städten ansehen, dann werden
Sie zustimmen, daß Sie hier einen großen Arbeitsbedarf haben.
Was den Schutz der Nordsee angeht, was die Entsorgung von Öl und Chemikalien im Hamburger Hafen angeht, was die Abwasser- und Müllbeseitigung angeht, wäre es bitter nötig gewesen, daß Hamburg am letzten Sonntag eine andere Regierung bekommen hätte. Für Hamburg und für die Nordsee wäre das nur gut gewesen. Wenn Herr Dohnanyi immer noch am Schlickeggen im Hamburger Hafen festhält, dann halte ich das für eine große Sauerei. Aber ich sehe nicht ein, daß immer wir ihm das sagen sollen. Das sollten Sie ihm sagen. Kontaminierter Hafenschlick gehört nicht in die Nordsee verbracht,
({9})
weder durch das Eineggen in die Elbe noch durch Deponieren im Wattenmeer.
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Man kann nicht hingehen und die Verschmutzung der Meere mit Öl und Chemikalien aus der Schiffahrt beklagen, wenn man nicht bereit ist, für notwendige Entsorgungseinrichtungen in den eigenen Häfen zu sorgen. Wer vom Hafen lebt, muß auch für die Entsorgungseinrichtungen in den Häfen Sorge tragen. Ölverschmutzungen auf der Nordsee sind nur dann zu verringern oder gar zu vermeiden, wenn drei Forderungen erfüllt sind.
Erstens brauchen wir genügend und kostengünstige Entsorgungseinrichtungen in den Häfen. Was die Übernahme der Kosten angeht, werden wir wohl auch mit dem Bund reden müssen, wenn wir alle diese Entsorgung wollen und die Häfen die Kosten nicht alleine tragen können.
Zweitens brauchen wir eine schlagkräftige, wetterunabhängige Überwachung für die Nordsee aus der Luft und auf dem Wasser. Hier ist der Bund vorbildlich aktiv geworden, allerdings nicht zu Zeiten der SPDRegierung, sondern erst nach der Wende. Der Einstieg in die Luftüberwachung durch die Bundeswehr ist lobenswert. Aber ich sage hier von dieser Stelle auch, daß die Luftüberwachung durch ein besseres Trägersystem optimiert werden muß. Die derzeit eingesetzte DO 28 reicht hierzu nicht aus. Die DO 228 wäre hierfür ein sehr geeignetes Flugzeug.
({11})
Es wäre auch wünschenswert, daß die Luftüberwachung mit einem optimierten Träger, mit optimierter Ausrüstung in verstärkter Zusammenarbeit mit den Dänen und den Holländern erfolgt.
Die dritte unabdingbare Forderung im Zusammenhang mit weniger Öl in der Nordsee ist eine verstärkte , schmerzhafte Bestrafung derjenigen Umweltkriminellen auf dem Meer, die immer noch nicht begriffen haben, was sie machen, wenn auf ihrem Dampfer die Schotten und Ventile aufgerissen werden und sie sich in die Nordsee entsorgen.
({12})
Das vorgegebene Strafmaß reicht sicher aus. Das hier ist ein Appell an die Gerichte, den Strafrahmen bitte schön besser auszufüllen.
Carstensen ({13})
Meine Damen und Herren, 1987 ist das Jahr der II. Internationalen Nordseeschutzkonferenz. Diejenigen, die in Ihrer Regierungszeit zu wenig oder gar nichts auf den Weg gebracht haben, waren mit den Ergebnissen der ersten Konferenz in Bremen nicht zufrieden. Auch ich hätte nach der Bremer Konferenz gern mehr Greifbares gesehen. Aber bei aller Kritik: Dort ist es endlich gelungen - das war ein Verdienst dieser Konferenz - , daß zwischen den Anrainerstaaten ein Handlungsrahmen und ein gemeinsames Schutzkonzept verabredet wurde.
({14})
Viel zu wenig ist international für den Schutz der Nordsee geschehen.
({15})
Aber wir sind es doch, wir, die Bundesrepublik Deutschland, unser Bundesumweltminister, mein Ministerpräsident Uwe Barschel, die - neben unseren eigenen Initiativen - immer wieder das Defizit im Vollzug der anderen Länder anmahnen.
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Wir wissen doch alle, daß der Schutz unserer Nordsee nicht in einem nationalen Alleingang zu erreichen ist, daß unsere Anstrengungen und Erfolge, die Sie auch einmal anerkennen sollten, allein nichts nützen. Deswegen sollten Sie die Initiativen aus dem Bundesumweltministerium und gerade auch aus Schleswig-Holstein begrüßen, die die Konferenz in London zu besseren Ergebnissen bringen sollen.
Der Bundesumweltminister hat für London folgende Initiativen eingebracht: Die gesamte Umweltbelastung der Nordsee muß durch Emissionsbegrenzung an der Quelle nach dem Grundsatz der Vorsorge verringert werden.
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Der Eintrag von Nährstoffen, Phosphaten und Stickstoff muß in allen Anrainerstaaten erheblich verringert werden.
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- Nein. Da sehen Sie einmal, wie wenig Sie von dieser Materie verstehen, wenn Sie Herrn Eigen darauf hinweisen. Sie verstehen vom Schutz der Nordsee genausoviel wie die Kuh vom Sonntag. Das Gefühl habe ich zumindest.
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Die Nordsee - da freue ich mich, daß die GRÜNEN auch die Vorschläge der Bundesregierung aufgreifen; das, was dort gemacht wird, scheint doch nicht so schlecht zu sein - muß zum Sondergebiet nach MARPOL erklärt werden, um insbesondere und gerade auch den Schutz des Wattenmeeres zu verstärken.
({20})
Schiffstreibstoffe sollen eine internationale Mindestqualität erhalten, um die Ölabfälle deutlich zu verringern. Die Schiffsentsorgung in den Häfen ist zu verbessern. Die Abfallverklappung ist ab 1990 zu beenden. Mir wäre ein früherer Zeitpunkt lieber.
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- Vielleicht sollten Sie sich einmal mit Ihrer Kollegin Frau Terborg unterhalten. Vielleicht werden Sie dann etwas sensibler bei diesem Thema.
Sie sollten die Vorschläge, die Initiativen der Bundesregierung unterstützen. Diese dienen dem Ziel, das Sie und wir gemeinsam verfolgen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Gedanken äußern. Bitte bedenken Sie immer, daß viele Bewohner der Küste von der See leben. Das sind insbesondere die Fischer und die Bürger, die im Fremdenverkehrsgewerbe tätig sind. Gerade wir Bewohner der Küste haben auch aus diesem Grund ein nachhaltiges Interesse an einer sauberen Nordsee.
Man kann die Nordsee aber nicht nur durch Dreck kaputtmachen, man kann sie auch kaputtreden. Die Nordsee ist glücklicherweise keine - wie sich Frau Kollegin Blunck einmal hier von dieser Stelle aus verstiegen hat zu behaupten - giftige, übelriechende, gesundheitsgefährdende Kloake, bei der man sich überlegen müsse, ein Badeverbot auszusprechen. Lassen Sie uns neben den Anstrengungen für den Umweltschutz in der Nordsee auch dafür sorgen, daß die Nordsee, der Fisch und die Urlaubsgebiete nicht ihr verdient gutes Image verlieren.
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Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich einen Ehrengast begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des spanischen Abgeordnetenhauses und der Cortes Generales, Herr Felix Pons Irazazabal, mit seiner Begleitung Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie, verehrter Herr Präsident, im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen und fruchtbringenden Aufenthalt und interessante Gespräche hier in Bonn und Düsseldorf.
Wir danken Ihnen auch für Ihren Besuch in Berlin und das Interesse, daß Sie damit an der besonderen Lage der geteilten Stadt genommen haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jansen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Schon wieder findet im höchsten deutschen Parlament eine Debatte über die langsame, aber sichere Vergiftung der Nordsee statt.
Wir reden und fordern und hoffen, aber in der politischen Umsetzung findet international und national sehr wenig statt.
Damit Sie mich richtig verstehen: Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen die jetzige Bundesregierung, sondern gegen die Regierungen aller Nordseeanrainerstaaten und auch gegen frühere Regierungen, die nicht ausreichend gehandelt haben.
({0})
Viel zu wenige verantwortliche Politiker haben bisher begriffen, daß unser industriell und gewinnorientierter Raubbau an der Natur einem ungedeckten Wechsel auf die Zukunft gleichkommt,
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denn unsere Kinder und schon viele von uns werden diesen Wechsel nicht mehr mit Geld einlösen können, sondern sie werden mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.
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Leider hat die jetzige Bundesregierung der Aufforderung des Bundestages vom 11. März 1986, zu Beginn der neuen Legislaturperiode einen Bericht über den derzeitigen Zustand der Nordsee, über die Umsetzung der Beschlüsse der ersten INK und über die Vorbereitung auf die zweite Internationale Nordseekonferenz vorzulegen, bis heute nicht entsprochen.
Aber wie sollte sie auch? Der frühere Umweltminister Wallmann hat sich um die Nordsee nie gekümmert.
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Er hatte genug mit den schweren Vergiftungen des Rheins und mit Tschernobyl zu tun.
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Als er mit Stolz meldete, daß sich die schweren Vergiftungen des Stromes durch Industrieunfälle und sogenannte Störfälle wieder verringert hätten, war ihm entgangen, daß dies auch damit zu tun hat, daß das Wasser im Rhein bergab fließt und daß die Gifte in der Nordsee gelandet waren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die Kraft der Nordsee nicht mehr dazu ausreicht, all die eingeleiteten Gifte aus den Flüssen, durch Luftverschmutzung, durch Klärschlämme, durch Hafenschlick und Baggergut, in der Form von Dünnsäureverklappung und Giftmüllverbrennung auf hoher See zu verdünnen oder biologisch abzubauen.
Mengen von Schwermetallen, von PCB und von Phosphaten haben die Deutsche Bucht und weite Teile der Nordsee in einen Gefährdungszustand gebracht, von dem niemand weiß, ob er sich überhaupt wieder beseitigen läßt. Viele der schweren Belastungen verstärken sich über die natürliche Kette in der Nordsee: Kleintierlebewesen, Plankton, Fisch, menschliche Ernährung. All das ist gar nicht auf den Punkt genau erforscht.
Ein Nationalpark Wattenmeer oder Schutzzonenkonzepte sind unter den gegebenen Umständen - lassen Sie mich das einmal so zugespitzt sagen - Scheinaktivitäten,
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die nichts als eine billige Peep-Show politischer Proportionen sind.
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- Pardon, einverstanden. - Die Probleme der Nordsee müssen endlich konsequent angepackt werden, denn es geht auch um die Zukunft der Menschheit.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
Ich gehe davon aus, daß sich dadurch meine Redezeit nicht verkürzt.
Wie gehabt! - Bitte schön.
Herr Kollege Jansen, gehen Sie auch davon aus, daß die Vorschläge der SPD, die sie im Moment sehr stark unter der Decke hält, nämlich Ihre Vorschläge zu einem Nationalparkkonzept, das ja seinerzeit auch von Herrn Professor Heidemann sehr stark vertreten worden ist, ebenfalls mit einer Peep-Show zu vergleichen sind?
Lieber Herr Kollege, wir haben in Schleswig-Holstein vor, die Schutzzonen bedeutend intensiver zu gestalten und viel mehr Maßnahmen im Interesse von Naturschutz, Schutz der Vogelwelt und all dem, was dazugehört, durchzusetzen. Dies aber nicht vom grünen Schreibtisch in Kiel aus zu tun, sondern es mit den Menschen vor Ort durchzusprechen, das ist unser Ziel. Die Interessenlage der Menschen muß werden, diesen Naturschutz zu bekommen, statt den Fremdenverkehr immer weiter in solche Flächen auszudehnen. Nur, man muß die Menschen von solchen Konzeptionen überzeugen; man kann sie nicht mit Verordnungen dazu bringen, dies den Politikern abzunehmen, nachdem die Politiker so lange falsch oder nicht gehandelt haben.
({0})
Für das Wattenmeer muß das heißen: keine Ölbohrungen, keine militärischen Belastungen des sensiblen Bereichs, und zwar von den Niederlanden über die Bundesrepublik bis hinauf nach Dänemark,
({1})
und zwar mit einer ganz konsequenten Politik. Schluß mit neuen Industrieansiedlungen in den natürlichen Bereichen der Küste! Wir haben, wenn wir industriell dort etwas machen wollen, genug Gewerbeflächen.
({2})
Es gibt genug Industriebrachen. Wir müssen endlich begreifen, daß die Belastungen der Meere und der gesamten Natur nicht bei Störfällen oder fehlender Umwelttechnologie, sondern bereits bei der Entstehung der Schadstoffe anfangen. Dies zu vermeiden wird die Aufgabe der Zukunft sein müssen.
Genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzt beim Thema „Nordseeschutz" eben auch der Zwang zu einem schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie ein.
({3})
Nicht nur Atomwaffenversuche, sondern auch Tschernobyl und die atomaren Wiederaufbereitungsanlagen
in Sellafield und La Hague haben die Nordsee radioaktiv belastet, und dies kann man in der Irischen See und im Ärmelkanal inzwischen in erheblichen Dimensionen messen.
Was erlauben wir uns eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen? Niemand von uns weiß, welche erbbiologischen Folgen die radioaktive Belastung für die Lebenswelt der Meere hat. Wir setzen irgendwelche Grenzwerte - ich behaupte: oft ohne wissenschaftliche Seriosität -,
({4})
und wir wissen gar nicht, was die verschiedenen Belastungen in der Kombination oder in der Langzeitwirkung bedeuten. Wir Menschen tun so, als bestimmten wir den Lauf dieser Welt allein.
({5})
Wir müssen viele andere Dinge anfassen, die wir bisher nicht so gesehen haben.
Statt darüber nachzudenken, wie wir Menschen möglichst hoch bestrafen, weil sie Bedenken gegen die Volkszählung haben, sollten wir lieber die Strafen für Nordseeverschmutzer erheblich verschärfen.
({6})
Ich bin gegen Berufsverbote für junge Menschen, die eine andere politische Meinung vertreten, aber ich bin dafür, daß Kapitäne, die ihre Öl- und Chemietanker in der Nordsee spülen, ihr Patent verlieren. So scharf müssen wir dagegen vorgehen.
({7})
Wenn die anderen Nordseeanlieger auch auf der zweiten Konferenz noch immer nicht so weit sind, wirksame und schnelle Vereinbarungen zum Schutz der Nordsee im November in London zu treffen, dann sollte der neue Umweltminister ein deutliches Zeichen setzen.
Herr Minister Töpfer - ich weiß nicht, wer von Ihnen beiden es ist ({8})
- niemand, Entschuldigung! -, Sie haben unsere volle Unterstützung -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seiters?
Ja.
Herr Kollege Jansen, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Minister Töpfer an der Umweltkonferenz der europäischen Minister teilnimmt?
({0})
Ich nehme das zur Kenntnis.
Ich will jetzt auf den Minister zugehen und ihm sagen, daß er unsere volle Unterstützung hat, wenn er sich diesmal weigert, in London nur diplomatisches
Vokabular zu unterschreiben. Dann sollte er die Konferenz in London lieber platzen lassen oder vertagen.
({0})
Es bringt nichts, nur schöngeistige Reden aufzuschreiben und nicht zu handeln. Wir Sozialdemokraten erwarten, daß die Nordsee in London endlich unter Schutz gestellt wird, wie auch immer, aber mit aller Konsequenz, daß alle vorhandenen und erforderlichen Schutzbestimmungen in eine verbindliche Nordseeschutzkonvention übernommen werden, daß alle Anliegerstaaten ein großes Investitionsprogramm rechtlich und finanziell organisieren, um alle Abwasseranlagen in Richtung Meer auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, daß Verklappungen von Dünnsäure in Vorflutern oder durch Schiffe unverzüglich eingestellt werden.
Aber, wie gesagt, das sind Forderungen, die wir schon oft gestellt haben.
Vielleicht schafft es dieser Bundestag im Interesse der Sache Nordseeschutz heute, wie 1984 zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Dies hat aber nur Sinn, wenn wir gemeinsam der jetzigen Regierung in Richtung London Druck machen oder, wenn Sie es anders hören wollen, ihr helfen, sie stärken, so daß wir konsequente Erfolge durchsetzen, was die Entsorgung von Schiffen in Häfen angeht. Wann endlich bietet der Bund den Ländern und Kommunen z. B. an, die Kosten für die Schiffsentsorgung zu übernehmen?
({1})
Das wäre ein Schritt, der greifen könnte.
Ich sage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn sich der Staat und die privaten Verursacher von Umweltschäden nicht zu Umweltschutzinvestitionen und zur Vermeidung von Schadstoffen zwingen, dann wird auf Kosten der Gesundheit der Menschen gespart. Wer die Meere und den Wald kaputtgehen läßt, nimmt bewußt oder fahrlässig in Kauf, daß Menschen krank werden, daß sich der Krebs immer weiter ausbreitet und mehr Menschen sterben müssen.
Wir alle sollten darüber nachdenken: Wir schaffen viele Gesetze und geben große Summen im Kampf gegen Terrorismus und Gewalt aus. Wir sollten nicht vergessen, daß eine Industriepolitik, die sich in erster Linie an Gewinnen orientiert und die Natur kaputtmacht, auch Gewalt gegen Natur und Menschen ist.
({2})
Wir sollten das gemeinsam schnell beenden; denn die Natur lebt nicht vom Parteienstreit, die Natur und in ihr die Menschen und Tiere brauchen schnell Hilfe.
Der Kieler Professor Dr. Wassermann schloß seine Rede auf der Aktionskonferenz der Nordsee mit den Sätzen:
Die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Fakten rechtfertigen kein noch Jahrzehnte andauerndes intensives Erforschen der letzten wissenschaftlichen Zusammenhänge bei weiterlaufen746
der Verschmutzung. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Die Politiker sind im Zugzwang.
Wir sollten uns dieser Meinung anschließen. Ich wünsche mir, daß wir, wenn wir das nächste Mal hier diskutieren, sagen können: Wir haben etwas bewirkt, mit den Sonntagsreden ist Schluß gewesen, die Nordsee ist ein Stück nach vorn gebracht worden.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hätte mir für die heutige Debatte gewünscht, daß wir den Bericht der Bundesregierung schon vorliegen hätten und daß wir dann auch sorgfältig an der Vorbereitung der zweiten Nordseeschutzkonferenz mitwirken könnten. Da wir aber noch Zeit haben - denn sie wird ja im November stattfinden - , wünsche ich mir, daß wir das noch nachholen können. Insofern meine ich, daß die heutige Antragstellung sowohl von den GRÜNEN wie auch von der sozialdemokratischen Fraktion verfrüht war und daß sie uns in der Sache nicht viel weiterhelfen wird trotz pathetischer Positionen, die hier vorgetragen worden sind.
Übrigens, auch das wiederholte Beschwören z. B. von Null-Emissionen von künstlichen Schadstoffen, meine Kollegen von den GRÜNEN, ist wohl eine Position, von der jeder sagen wird: Die werden wir wohl nie erreichen können, so sehr wir uns diesem Minimum nähern wollen. Ich wäre Ihnen übrigens sehr verbunden, wenn Sie Ihre Energie mehr darauf verwenden würden, vielleicht in England oder Belgien dafür zu werben, daß für die Nordsee mehr getan werden muß.
({0})
Sie verströmen im Augenblick Ihre Energie, indem Sie gesetzeswidrig zum Boykott gegen die Volkszählung aufrufen. England wäre Ihre Position, Belgien wäre angesprochen, damit nicht wieder Transporte nach Belgien gehen können, die dann dort geheim verklappt werden. Das wäre eine Hilfe für den Umweltschutz, da könnten Sie sich für die Nordsee wirklich verdient machen.
({1})
Buchen Sie die nächsten Reisen nach England und Belgien, und tun Sie dort etwas.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Knabe?
Ja, bitte sehr, Herr Kollege.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage: Ist Ihnen bekannt - ich vermute, nicht - , daß ich morgen im Brüsseler Fernsehen, im Super Channel, genau über diese Frragen sprechen und an die Engländer, Belgier und andere appellieren werde - es geht genau um die Nordsee - , daß wir versuchen, auf diese Länder einzuwirken? Wir haben keine
Regierungsvollmacht, aber wir benutzen unsere Möglichkeiten, uns politisch dazu zu äußern.
Ich begrüße das sehr, Herr Kollege, und wünsche Ihnen den bestmöglichen Erfolg bei diesem Auftritt. Sie sind aber leider eine verschwindend kleine Minderheit bei den GRÜNEN; denn die GRÜNEN ziehen im Augenblick über das Land, um in rechtswidriger Weise zu einem Boykott gegen die Volkszählung aufzurufen, und gehen nicht nach Brüssel, wie Sie das verdienstvollerweise tun.
({0})
Ein flottes Sprüchlein hilft da nicht, Frau Kollegin.
Übrigens, Herr Kollege Jansen, Sie haben hier sehr emphatisch - ich finde, in manchen Punkten ist das auch nötig - vorgetragen, was alles an Mängeln bei der Nordsee besteht. Ich habe Sie schon in der letzten Debatte über die Nordsee herzlich gebeten, doch Ihre Kontakte zu nutzen und mit den Bürgermeistern von Bremen und Hamburg zu sprechen und sich dafür einzusetzen, daß dort mehr für den Nordseeschutz geschieht; denn beide Stadtstaaten sind ja sehr stark in Verzug geraten. Ich will nicht verkennen, daß in der Zwischenzeit in beiden Städten einiges in Bewegung gekommen ist, aber es hätte sehr viel mehr sein können. Ich vermisse dabei Ihren Einfluß. Es wäre nützlich gewesen, Sie hätten diesen Rat befolgt. Ich sehe, daß erst die FDP jetzt in Hamburg dafür sorgen muß, daß wir diese Möglichkeiten voll ausschöpfen.
({1})
- Ja, ja, wir müssen Ihnen bei der Sache anscheinend Beine machen. Sie haben es leider nicht erreichen können. Z. B. die Frage des Standes der Technik der Abwasserbehandlung wäre eine wichtige Sache gewesen. Hamburg hätte da vorziehen können, wenn es gewollt hätte.
({2})
Übrigens muß ich an dieser Stelle feststellen, daß ich nicht glücklich bin, daß von den vier norddeutschen Küstenländern, die an die Nordsee angrenzen, nur ein Land einen Vertreter zu dieser Debatte entsandt hat. Selbst bei einer Debatte, die ich schon vorhin als verfrüht charakterisiert habe, weil uns die Unterlagen und damit die sorgfältige Vorbereitung dafür fehlen, empfinde ich es als nötig, daß die Länder ihre Vertreter hier auf die Bundesratsbank entsenden, damit diese Augen und Ohren offenhalten und so Zeugenbericht erstatten.
({3})
Ich wäre dankbar, wenn das in Zukunft anders sein könnte.
Wir haben eine Fülle von Erfolgen in der Vergangenheit verzeichnen können. Ich stehe nicht an zu sagen, daß das natürlich längst nicht ausreichend ist. Für unsere Wünsche ist aber doch einiges geschehen. Dazu gehört die Reduzierung durch die Technische Anleitung Luft und Großfeuerungsanlagen-VerordWolfgramm ({4})
nung. Den ganzen Bereich der Wasserkompetenz haben wir im letzten Jahr erheblich verbessern können.
Es fehlt aber die Bundeskompetenz. Ich wiederhole das noch einmal: Die Bundeskompetenz fehlt uns.
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Die FDP-Fraktion betreibt es. Die Position der SPD wäre viel glaubwürdiger, wenn Sie hier erklären könnten, Herr Kollege Jansen, daß Sie das voll unterstützen und wenn Sie dann zu den Bürgermeistern der Hansestädte gingen und sagten: „Wir brauchen hier in Bonn die Bundeskompetenz, weil wir die Durchführung nicht ordentlich kontrollieren können, weil die Durchführung bei den Ländern unterschiedlich ist und weil darunter in erster Linie die Nordsee leidet. " Es wäre schon sehr hilfreich, wenn Sie uns da zur Hand gehen könnten. Der Appell hier im Bundestag ist sicher wichtig, aber es ist schon notwendig, das nachher umzusetzen.
Es hat eine Vielzahl von Initiativen gegeben. Das Nordseegutachten hat die Sache ernsthaft begonnen. Der neue Umweltminister, Herr Professor Töpfer, hat übrigens damals schon mitgewirkt. Er kann heute aus berechtigten Gründen nicht hier sein, aber ich möchte ihm sagen, daß wir hohe Anforderungen an ihn stellen werden. Er hat eine hohe Sachkompetenz, wir stellen aber auch hohe Anforderungen an ihn. Wir werden ihn bei der Verbesserung des Umweltschutzes voll unterstützen, so wie die Staatssekretäre Grüner und Gröbel. Wir werden aber von der Regierung das äußerste verlangen und werden darin auch nicht nachlassen. Wir wünschen ihm Durchsetzung und Erfolg gegenüber den Regierungen in der EG, der Industrie, den Verbänden und auch bei der Motivierung der Bürger.
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Ein weiterer Punkt, der uns große Sorgen macht, ist die Einleitung von Schwermetallen in die Elbe. Elbe und Weser sind die beiden Flüsse, die die Nordsee naturgemäß am stärksten schädigen. Der Anteil der Schwermetalle ist noch angestiegen. Wir wissen aus Messungen, daß er leider durch DDR- und CSSRFrachten angestiegen ist. Es wird also unser besonderes Anliegen sein müssen - und ich glaube, hier sollten wir auch versuchen, eine Gemeinsamkeit zu praktizieren daß wir die Deutsche Demokratische Republik dazu bringen, mit der Unterzeichnung des Umweltabkommens wenigstens den ersten Schritt zu gehen, um dann weitere Möglichkeiten zu finden. Wir wissen, daß an der Oberelbe schon Anstrengungen unternommen worden sind - das liegt natürlich unserem Nachbarn ein bißchen näher - , aber an der Unterelbe geschieht gar nichts. Hier müssen wir aber zu erheblichen Verbesserungen kommen. Ich werde selbst versuchen, meinen Teil dazu beizutragen, auch in Gesprächen mit der CSSR und der DDR. Das hat sich bei letzten Gesprächen hoffnungsvoll angelassen, wir müssen aber nun darauf dringen, daß der Sache tatsächliche Taten folgen.
Demgegenüber können wir mit einer gewissen Befriedigung sagen, im Rhein hat die Konzentration von Quecksilber, Cadmium und Blei abgenommen. Das zeigt, daß Maßnahmen greifen.
Wir brauchen aber neben den schon erreichten Positionen, nämlich der Einstellung der Einbringung von organisch belasteter Dünnsäure, der Verklappung von Klärschlamm, der Einbringung von Grünsalz - diese Dinge haben wir eingestellt - , auch die Beendigung der Abfallverbrennung auf See.
Die Koalitionsvereinbarung, die für die nächsten vier Jahre Positionsmarken deutlich macht, möchte eine verstärkte Zusammenarbeit der Nordseeanliegerstaaten. Ich habe schon eine Anmerkung zur Bundesratsbank gemacht. Eine Vereinbarung des Bundes und der Küstenländer über die Ausweisung von Schutzgebieten in der Nordsee, soweit sie eigenes Hoheitsgebiet ist, können wir selbst treffen. Zu einer Vereinbarung über die Eindämmung der Verunreinigung durch Öle und Chemikalien machen wir Vorschläge: kostenlose Schiffsentsorgung als Anreiz und natürlich eine Koordinierung der Umweltüberwachung im Küstenbereich, hier auch grenzüberschreitend. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir wollen den Egoismus der Staaten aufbrechen und wollen das verbessern.
Grundwasserschutz, Reduzierung des Nitrateintrages und verstärkte Anreize zur Förderung integrierter Wasserkreisläufe werden helfen. Wir brauchen eine Fülle von Maßnahmen, um das zu erreichen, was wir schließlich erreichen wollen.
Ich will Ihnen den Katalog jetzt nicht vortragen. Ich möchte das tun, sehr viel umfassender, wenn wir den Bericht der Bundesregierung haben.
Es ist ein wichtiges Anliegen meiner Fraktion, daß wir das Nordsee-Gutachten fortschreiben. Ich bitte die Regierung, diesen Wunsch, den ich schon zweimal hier im Bundestag vorgetragen habe, ernst zu nehmen und diese Fortschreibung in die Wege zu leiten. Wir brauchen verläßliche neue Daten.
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- Also, die Daten, die Sie manchmal ermitteln, sind auch dadurch belastet, daß sie eigentlich gar keine Daten haben möchten.
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- Sie möchten ja gar keine Daten haben. Weswegen gehen Sie gegen die Volkszählung so vor? Weil Sie gar keine Daten haben wollen.
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Aber Sie fragen immer nach Daten, das ist das Problem.
Der Fremdenverkehr ist angesprochen worden. Den wollen wir natürlich unterstützen. Ich höre, daß der Kollege Seiters, um sich einmal mit Borkum vertraut zu machen, dort seinen Urlaub verbringen wird.
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Wolfgramm ({11})
Ich möchte alle aufrufen, das einmal im Nordseebereich zu tun.
Wir wollen handeln, wir müssen handeln, die Regierung, das Parlament, die Industrie, die Bürger. Wir brauchen den Erfolg.
Es darf nicht so sein, wie es in einer kleinen Fabel von Brausner heißt:
Der Igel war zu einer Hasenhochzeit geladen worden. Um sich der Ehre würdig zu zeigen, beschloß er, sich zu rasieren. Da er aber fürchtete, sich zu schneiden, führte er das Rasiermesser in so weitem Abstand, daß es die Borsten nicht einmal berührte. Als er das Messer beiseite legte, meinte die Frau des Igels: „Du hast dich zwar nicht geschnitten, rasiert bist du aber auch nicht." „Ich hatte zwischen zwei Übeln zu wählen" , entgegnete der Igel, „und ich habe mich für das kleinere entschieden. "
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Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Grüner, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist hier schon gesagt worden, daß Bundesminister Töpfer sich auf der EG-Umweltministertagung befindet. Ich unterstreiche das noch einmal, weil die Themen, die bei dieser EG-Ministerratstagung zur Diskussion stehen, unmittelbar mit unserem Thema zu tun haben, mit unserem leidenschaftlichen Versuch, im internationalen Feld die Maßnahmen durchzusetzen, die bei uns ergriffen worden sind und die einen entscheidenden Beitrag auch zur Entlastung der Nordsee leisten könnten.
Ich möchte mit großem Nachdruck unterstreichen, daß es darauf ankommt, sich international durchzusetzen, daß wir für jede Anregung, für jede Kritik sehr dankbar sind, auch im nationalen Bereich. Herr Kollege Jansen, Sie haben in Ihrer Presseerklärung ein nationales Maßnahmenpaket für den Fall verlangt, daß die 2. Nordseeschutzkonferenz keinen Erfolg in unserem Sinne bringt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie von seiten der Opposition dieses nationale Maßnahmenpaket vorlegten und damit konkretisierten, wie Sie sich das vorstellen. Ich könnte mir vorstellen, daß daraus tatsächlich Anregungen auch für unsere Politik entspringen könnten. Nur wer bereit ist, konkret zu sagen, was er über das hinaus, was wir hier im Lande machen, zu tun gedenkt, kann einen ernsthaften Anspruch darauf erheben, mit Recht Kritik an der Bundesregierung zu üben.
Ich bedaure sehr, daß in dem Beitrag der Frau Kollegin Garbe im Grunde die Kritik an der Bundesregie-run, die Verfälschung der Wahrheit im Mittelpunkt gestanden haben und damit die eigentlichen Probleme für unsere Bevölkerung nicht sichtbar gemacht worden sind.
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In Ihrem Beitrag hat dieser Stil seinen Höhepunkt darin gefunden, Frau Kollegin, daß Sie mit Emphase ausgerufen haben: „... die Vergiftungspolitik der Bundesregierung".
({1})
Wer so argumentiert, wer so die Wahrheit verfälscht, läuft Gefahr, daß er auch mit echten Anliegen in der Bevölkerung nicht mehr gehört wird.
({2})
Es war die von der CDU/CSU und FDP getragene Bundesregierung, die unmittelbar nach der Wende im Hinblick auf die Probleme der Nordsee die Initiative ergriffen und zu einer Internationalen Nordseeschutzkonferenz aufgerufen hat.
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Auf energisches Drängen der Bundesregierung fand diese Internationale Nordseeschutzkonferenz 1984 in Bremen statt. Das von den Ministern verabschiedete Schlußdokument ist ein umfassender und sachlich außerordentlich scharfer Katalog von Forderungen zur langfristigen und nachhaltigen Verbesserung der marinen Umwelt, an den sich die beteiligten Regierungen gebunden wissen. Das im Schlußdokument von Bremen 1984 enthaltene Paket von Vorschlägen und Forderungen ist zäh weiterzuverfolgen. Angesichts vielfach unterschiedlicher Auffassungen der Anliegerstaaten über die bestmögliche Erfüllung dieser langfristig angelegten Forderungen ist es leider nicht realistisch, jetzt auf vollständige Erfüllung zu pochen.
Das ist die Situation, die wir bedauern, eine Situation, die auch mit unseren eigenen, noch nicht voll greifenden Umweltanstrengungen zu tun hat. Auch das muß ohne weiteres eingestanden werden.
Ich erinnere aber daran, daß seit der 1. Internationalen Nordseeschutzkonferenz 1984 eine nationale entschlossene Umweltschutzpolitik der Bundesregierung, getragen von den Koalitionsfraktionen und unterstützt von der Opposition, durchgesetzt worden ist, was direkt und indirekt der Nordsee zugute kommt: Verringerung der Luftbelastung durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, drastische Reduzierung der Schadstoffe, die in Gang gekommen ist, leider ohne jede Chance, daß etwa bei den Anrainerstaaten der Nordsee vergleichbare Anstrengungen unternommen werden. Das ist der augenblickliche Stand. Das Wasserhaushaltsgesetz wird entscheidende Beiträge zur Verringerung der Schadstofffrachten bringen. Nur mit dem Stand der Technik ist vorsorgende Umweltschutzpolitik zu machen. Nur wenn wir nämlich den Stand der Technik zur Grundlage machen, nur mit der Industrie und nur mit den FachParl. Staatssekretär Grüner
leuten der Wasserwirtschaft ist Umweltschutzpolitik zu machen,
({4})
nicht aber, indem hier der Eindruck erweckt wird, als ob wirtschaftliche Interessen daran hindern würden. Nein, im Gegenteil: Wirtschaftliche Interessen drängen darauf, diese Wassergesetze in die Realität umzusetzen, weil mit der Verwirklichung dieser Gesetze nicht nur Kosten und Belastungen verbunden sind, sondern auch die Entwicklung neuer Technologien und neuer Arbeitsplätze. Das ist die Linie, die zur Kooperation mit der Wirtschaft Anlaß gibt und die wichtig ist, weil wir der Bevölkerung klarmachen müssen, daß nur die neuen Technologien, daß nur die Kooperation mit der Wirtschaft und daß nur die Bereitschaft, diese technologische Entwicklung in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen, überhaupt eine Chance bieten, nicht aber die Verteufelung der Industrie, nicht der Eindruck, als ob unsere wirtschaftlichen Interessen in einem unauflöslichen Gegensatz zu unseren ökologischen Interessen stehen müßten.
Wir wissen, daß die Aufnahme neuer Stoffe in die Abgabepflicht nach dem Abwasserabgabengesetz ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der Nordsee sein kann,
({5})
ebenso die Beendigung der restlichen Verklappung auf See bis 1989, nachdem die Einbringung verschiedener Abfälle ins Meer bereits in den vergangenen Jahren bei uns eingestellt wurde - bei uns! Meine Damen und Herren, auch das sage ich ohne jede Überheblichkeit, nur um deutlich zu machen, daß wir die Unterstützung des Parlaments für unsere Maßnahmen insbesondere im internationalen Bereich benötigen.
Wir wissen, daß die Nordsee als flaches Regionalmeer mit einer durchschnittlichen Wassertiefe von nur 90 Metern stark belastet ist, durch Schadstoffeintrag über die Flüsse und über die Luft, durch Abfälle vom Land und von der Schiffahrt. Wir haben daher im Rahmen der Vorbereitung der 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz, die am 24. und 25. November 1987 in London stattfinden wird, den Staaten an der Nordsee eine Reihe weitreichender Forderungen vorgelegt, die mit den Bundesländern abgestimmt sind. Ich füge hinzu, daß wir unseren Bericht, den das Parlament angefordert hat, in der Vorbereitung auf diese Nordseeschutzkonferenz, in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn dieser Nordseeschutzkonferenz vorlegen werden, weil wir der Meinung sind, daß die Unmittelbarkeit des zeitlichen Zusammenhangs mit dem Beginn der Konferenz und der Diskussion dieses Berichtes für unsere Position auf dieser Nordseeschutzkonferenz zusätzliche Anstöße erbringen kann. Dieser Bericht wird Ihnen also vorgelegt werden und wird Gelegenheit zur Diskussion hier im Parlament geben.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jansen?
Ja. Bitte schön.
Ich würde Sie gern fragen, ob Sie nicht mit mir übereinstimmen, daß eine frühzeitige Vorlage des Berichts und der Forderungen dieser Bundesregierung die Chance geben könnte, auch die internationale Debatte in Richtung London zu verstärken. Ich kann mir z. B. vorstellen, daß die Delegation der EG-Mitgliedsländer in Richtung der jeweiligen Länder rechtzeitig vor der Konferenz Einfluß ausüben könnten, aber nicht, wenn es erst wenige Tage vorher vorgelegt wird.
Herr Kollege, es ist richtig: Nicht wenige Tage vorher, aber doch in einem zeitlich engen Zusammenhang, weil unser Bericht um so umfassender auch die Schwierigkeiten, vor denen wir uns auf dieser Konferenz befinden werden, deutlich machen kann, je näher wir in der Erfahrung der vorbereitenden Sitzungen abschätzen können, was dort tatsächlich erreichbar sein wird und wo die Schwierigkeiten liegen. Das ist ein zentraler Grund, weshalb wir glauben, daß dieser Bericht fruchtbarer ist, wenn er die Fülle der Erfahrungen, die in der Vorbereitung dieser Konferenz jetzt erst gesammelt werden, einbezieht. Ich gebe zu, man kann da geteilter Meinung sein. Aber das ist jedenfalls die Überlegung, die uns veranlaßt hat, diesen Bericht nicht jetzt, sondern in etwas näherem zeitlichen Zusammenhang zu der Konferenz vorzulegen.
({0})
- Ja; aber gerade diese Gespräche geben ja eine Fülle von Anhaltspunkten, Herr Kollege Stahl, was wir zu erwarten haben, wo wir Unterstützung haben, wo sich Fronten bilden, wo unsere Chancen durchzukommen besonders groß sind. Ich glaube, daß das in einem solchen Bericht und dessen Diskussion durchaus sinnvoll wäre.
Aber lassen Sie mich hinzufügen, was das Ziel ist, das wir auf dieser 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz anstreben:
Beendigung der Abfallversenkung in der Nordsee im Jahre 1990. Die Bundesrepublik Deutschland hat bereits 1984 die Einbringung von Grünsalz, einem Abfallprodukt aus der Herstellung von Titandioxyd beendet, und sie wird die bis 1989 befristeten Genehmigungen zur Verklappung von Dünnsäure nicht mehr verlängern. Dies wurde möglich durch die Umrüstung der Betriebe nach dem Stand der Technik und die Einführung abfallfreier Technologien. Die Bundesregierung wird darauf drängen, daß die übrigen Nordseeanrainer nachziehen und daß darüber hinaus das Versenken von Klärschlamm und hoch kontaminiertem Baggergut beendet wird.
Die Bundesregierung wird sich für eine möglichst schnelle Beendigung der Abfallverbrennung auf See
einsetzen. Dies setzt allerdings voraus, daß die erforderlichen Anlagen zur Beseitigung von Sonderabfällen an Land in ausreichender Kapazität alsbald zur Verfügung stehen. Wir wissen alle, daß hier die Länder gefordert sind und daß diese Voraussetzungen leider noch nicht geschaffen sind.
Kostenlose Entsorgung für das einzelne Schiff in den Häfen für Öl- und Chemikalienrückstände sowie in Abstimmung mit den Ländern auch für den Schiffsmüll. Die Umlegung der Kosten auf die Schiffahrt soll zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen international abgesprochen werden. Dies ist eine Zielvorgabe. Wenn wir das nur national machen, wird diese Leistung nicht in Anspruch genommen. Dann ist die Wettbewerbsverzerrung ein weiteres großes Problem, das uns hindert, in der Nordsee die Ziele zu erreichen, die wir gemeinsam anstreben.
Um die Verschmutzung durch Ölabfälle aus dem Schiffsverkehr allgemein zu reduzieren, haben wir vorgeschlagen, daß international geeignete hohe Qualitätsstandards für Bunker-C-01 verabredet werden. Auch das muß international geschehen. Wir wissen aus entsprechenden Forschungsarbeiten des Umweltbundesamtes, daß etwa 80 % der Ölabfälle, unter denen die Seevögel leiden und die die Strände verschmutzen, Ölabfälle aus dem Schiffsbetrieb sind, die mit höheren Qualitätsanforderungen an die Schiffstreibstoffe verhindert werden könnten. Erforderlich ist eine weltweite Abstimmung für die gesamte Schiffahrt, wozu die 2. Internationale Nordseeschutzkonferenz den Anstoß geben soll.
Gemeinsam mit den Niederlanden und mit Dänemark werden wir eine Initiative zum weitergehenden Schutz des Wattenmeers einbringen. Die Bundesregierung wird in Abstimmung mit den Ländern einen Vorschlag zur 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz einbringen, damit die Wattgebiete wegen ihrer Verletzlichkeit auch international, etwa gegen Einflüsse aus der Schiffahrt, zusätzlichen Schutz erfahren. Diese Initiative steht im Gesamtzusammenhang mit der deutschen Forderung nach Erklärung der Nordsee zum „Sondergebiet".
Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die Bundesregierung gerade auch mit dem Ziel des Schutzes der Wattgebiete eine Verbesserung der Sicherheit auf den Seeverkehrswegen südlich von Helgoland durch eine Erweiterung des Hoheitsgebietes bereits vorgenommen hat.
Die Bundesregierung hat im Zusammenwirken mit den Küstenländern die Flugüberwachung vor der deutschen Nordseeküste zur Entdeckung und Aufklärung illegaler Öleinleitungen erheblich verstärkt. Wir fordern, daß die übrigen Nordsee-Anrainerstaaten entsprechende eigene Anstrengungen unternehmen, soweit dies noch nicht oder nicht in ausreichendem Maße geschehen ist. Nur wenn Ölsünder durch bessere Verfolgung und dichte internationale Zusammenarbeit dingfest gemacht und bestraft werden, kann mit einer deutlichen Verringerung der Ölverschmutzung gerechnet werden. Wir halten dies zum Schutz der Seevögel und der übrigen Lebewesen im Watt für dringend erforderlich, und wir haben entsprechende Initiativen im Rahmen der Vorbereitung der 2. Nordseeschutzkonferenz eingebracht.
Lassen Sie mich feststellen: Die Bundesregierung wird ihre am Vorsorgegrundsatz orientierte Politik zum Schutz der Umwelt gerade auch im Hinblick auf die Entlastung der Nordsee von Schadstoffen fortsetzen, die über die Flüsse und die Luft in das Meer gelangen. Vorsorge bedeutet Einsatz des Standes der Technik zur Verringerung der Emissionen an der Quelle, gerade auch dann, wenn letzte Gewißheit über die Ursachenkette schädlicher Wirkungen noch nicht vorliegt, wenn aber der Verdacht besteht, daß Schadstoffe das Ökosystem nachhaltig belasten. Es ist eines unserer Probleme in der internationalen Umweltschutzdiskussion, daß dieses Prinzip der Vorsorge und der Erfassung der Schadstoffe an der Quelle bis heute international nicht durchgesetzt ist, auch nicht in der Europäischen Gemeinschaft. Deshalb ist Vorsorge das Entscheidende. Wir dürfen nicht warten, bis die Schäden eingetreten sind, sondern wir müssen handeln. Das ist die Grundlage unserer Umweltpolitik, von der wir hoffen, daß wir sie auch auf der 2. Nordseeschutzkonferenz international voranbringen können. Diese 2. Konferenz bietet ein geeignetes Forum.
Die Bundesregierung hat ihre Vorschläge auf den Weg gebracht. Wir werden auf die Einlösung der Beschlüsse der 1. Nordseeschutzkonferenz drängen und die weiterführenden Initiativen mit Nachdruck verfolgen. Wir sind dem Parlament außerordentlich dankbar, wenn es seine Möglichkeiten nutzt, uns national und international auf diesem Wege zu unterstützen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/247 und 11/299 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes
- Drucksache 11/286, 11/307 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, Frau Hürland-Büning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist die erste Beratung
des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes. Nach meinem Verständnis von Parlamentsarbeit ist dies die Grundlage, auf der Sie, meine Kollegen und Kolleginnen, beraten und Änderungen einbringen, Ihre Vorstellungen nach dem Inhalt dieses Gesetzes darlegen. Ich werde bei Ihren Ausführungen sehr aufmerksam sein und Ihre Anregungen und Stellungnahmen aufnehmen.
({0})
Im Interesse der Soldaten sollten wir gemeinsam zügig beraten, damit wir in der zweiten und dritten Lesung ein gutes, für alle befriedigendes Gesetz verabschieden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Also, wenn alle Parlamentarische Staatssekretäre so kurz reden würden, würden wir hier viel Freude miteinander haben, Frau Kollegin.
Als nächster spricht der Abgeordnete Heistermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Frau Hürland, eine Bemerkung vorweg: Wir hätten natürlich auch gerne die Anregungen der Bundesregierung hier noch detaillierter dargestellt bekommen. Denn es ist ein bißchen einfach, daß die Bundesregierung sagt: Wir haben einen Entwurf, und nun sieh du, Parlament, einmal zu, was du mit diesem Entwurf machst. Also, ein bißchen konkreter dürfte es das nächste Mal schon sein.
({0})
Aber ansonsten werden wir das Angebot gerne aufgreifen, mit Ihnen gemeinsam einen Entwurf zustande zu bringen, der den Soldaten gerecht wird.
Ich möchte aber gerade am Beispiel dieses Gesetzentwurfs deutlich machen, daß diese Bundesregierung ein Paradebeispiel für Hilflosigkeit bietet. Sie irrt nicht nur hilflos in der Abrüstungsdebatte, sondern sie irrt ebenso im Bereich des Achten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes.
Frau Hürland, lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Mit diesem Gesetzesvorhaben sollen zwar die Soldaten auf Zeit mit einer Dienstzeit von mehr als zwei Jahren für den Fall einer Arbeitslosigkeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses finanziell gesichert werden, aber dieser Zielsetzung wird der Gesetzentwurf nicht gerecht.
Ich kündige hier schon an, daß die SPD-Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf in dieser Fassung nicht zustimmen wird. Ich kündige darüber hinaus an, daß wir einen Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf einbringen werden, der die Absicherung von Soldaten auf Zeit gegen die Arbeitslosigkeit sicherstellen wird.
Der Deutsche Bundeswehr-Verband hat in seiner Verbandszeitschrift „Die Bundeswehr", Ausgabe 5/87, diesen Gesetzentwurf mit der Überschrift „Und sie schämen sich nicht" kommentiert. Ich füge dem nichts hinzu.
In der Debatte vom 4. Dezember 1986 haben wir Ihnen bei der Verabschiedung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes vorgehalten - ich zitiere hier wieder - :
Wir ersparen Ihnen auch hier den Vorwurf nicht, in der Truppe und auf Verbandstagungen nichts anderes als leere Sprechblasen verkündet zu haben. Die Soldaten können sich auf Ihr Wort nicht mehr verlassen. Sie haben in den letzten vier Jahren erfahren, wie ihre sozialen Belange und die ihrer Familien bei Ihnen aufgehoben sind. Ihre praktische Politik widerlegt Ihre Aussage, der Mensch habe im Mittelpunkt aller Politik zu stehen. Sie gehen mit dem Schicksal vieler Menschen unverantwortlich um.
Diesen Vorwurf erheben wir erneut.
Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung kommt dem Auftrag nicht nach, rehabilitationsbedürftige, nicht wehrdienstbeschädigte ehemalige Soldaten auf Zeit in die Leistungen entsprechend § 59 des Arbeitsförderungsgesetzes aufzunehmen - und dies, obwohl der Innenausschuß des Deutschen Bundestages auf Drucksache 10/6474 und der Haushaltsausschuß zum Haushaltsbegleitgesetz 1987 auf Drucksache 10/6329 ausdrücklich empfohlen haben, bei einer erneuten Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes den Antrag der SPD auf Drucksache 10/5958 zu berücksichtigen. Wir hätten hier und heute gern eine Begründung gehört, warum die Bundesregierung dem gemeinsamen Willen des Parlaments in dieser Beziehung nicht entsprochen hat.
Die Anrechnung der Übergangsgebührnisse auf die Arbeitslosenbeihilfe ist sozusagen die Krönung dieses Gesetzesvorhabens. Auf diese Weise bezahlen ehemalige Soldaten auf Zeit ihre Arbeitslosigkeit aus der eigenen Tasche. Ehemalige Soldaten auf Zeit, die sofort nach Beendigung ihrer Wehrdienstzeit eine zivile Arbeitsstelle, also eine Arbeitsstelle außerhalb des öffentlichen Dienstes, finden, beziehen neben einem Einkommen in Form von Lohn oder Gehalt zusätzlich Übergangsgebührnisse. So „gerecht" ist dieser Entwurf.
Ich kann die Bundesregierung in diesem Punkt nicht verstehen, daß sie einerseits jemandem, der arbeitslos wird, sagt: „Du mußt das erst einmal aus deinen Übergangsgebührnissen begleichen", und andererseits demjenigen, der gleich im Anschluß an seine Verwendung einen Arbeitsplatz findet, zusätzlich seine Übergangsgebührnisse gewährt.
So war die Rolle der Übergangsgebührnisse nie definiert. Ihre Funktion muß eindeutig und klar bleiben, wie es der Gesetzgeber vorgesehen hat.
Völlig leer gehen beispielsweise die SaZ-2-Soldaten aus. Viele von ihnen sind Abiturienten oder haben andere Schul- und Ausbildungsgänge absolviert. Sie haben vor ihrem Wehrdienst gar keine AFG-Ansprüche erwerben können. Diesen Fall regeln Sie nicht. Wollen Sie diese jungen Menschen wiederum nur auf die Sozialhilfe verweisen?
Ein anderes Beispiel: Von diesem Entwurf werden im wesentlichen nur die SaZ-3-Soldaten, die SaZ-4Soldaten und die SaZ-5-Soldaten erfaßt. Bei den übrigen längendienenden Zeitsoldaten, besonders den SaZ-12- und SaZ-15-Soldaten, zeigt dieser Gesetzentwurf, daß Sie die Sorgen und Nöte gerade dieser Soldaten nicht ernst nehmen.
Ich will ein praktisches Beispiel bringen. Was macht denn ein Panzerkommandant nach zwölfjähriger Dienstzeit, der sich nicht technisch hoch hat qualifizieren können? Wollen Sie auch den in die Arbeitslosigkeit abgleiten lassen, oder was wollen Sie tun, damit er eine längere Zeit eine Chance bekommt, sich in den Arbeitsmarkt wieder zu integrieren? Hierzu sagt dieser Gesetzentwurf nichts.
Wir werden Ihnen in den Ausschußberatungen die entsprechenden Vorschläge machen. Wir hoffen, daß wir hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen.
Dieser Gesetzentwurf fördert nicht die Motivation in der Truppe, sondern er demotiviert gerade die Soldaten, die eigentlich das Rückgrat dieser Wehrpflichtarmee sein sollen, nämlich jene Leute, auf die sich eigentlich auch die Bundeswehr in den kommenden Jahren stützen soll. Wer diese Perspektive vermittelt, der bringt keine, ich sage einmal: Beruhigung in die 'Truppe hinein, sondern er fügt im Grunde weitere Beunruhigung hinzu.
Ich sage auch deutlich: Entgegen Ihren eigenen Zusicherungen soll das Gesetz nun doch nicht zum 1. Januar 1987 in Kraft treten. Die Parteien im Deutschen Bundestag haben bei der Ablehnung des SPD-Antrages ausdrücklich erklärt, das neue Gesetz werde mit Wirkung vom 1. Januar 1987 in Kraft treten. Welche Begründung gibt es eigentlich dafür, daß Sie jetzt erst zum 1. Juli 1987 dieses Gesetz in Kraft treten lassen wollen? Soll dieses halbe Jahr Arbeitslosigkeit nun doch noch aus der eigenen Tasche bezahlt werden? Das haben Sie den Zeitsoldaten vor der Wahl anders versprochen. Hier sind Sie Rechenschaft schuldig, und wir werden von Ihnen auch diese Rechenschaft einfordern.
Lassen Sie mich, Frau Hürland, sagen: Auch die Bundesregierung muß dafür Sorge tragen, daß Soldaten auf Zeit Arbeitsplätze auch im öffentlichen Dienst finden. Auch hier müssen Sie Antworten geben; auch hier müssen Sie sagen, was Sie eigentlich den Soldaten, die 15 Jahre dem Staat gedient haben, langfristig für eine Perspektive geben wollen.
({1})
- Wir erwarten ja Initiativen der Bundesregierung. Sie haben etwas in Aussicht gestellt, Herr Kollege Ronneburger, und nun soll das auch erfüllt werden.
Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch eine generelle Forderung der SPD-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung vorbringen. Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie die soziale Sicherung der Beamtenanwärter und ähnlicher Gruppen der Gesellschaft gegen Arbeitslosigkeit nun endlich gesetzlich regelt.
({2})
Arbeitslosigkeit am Ende einer Ausbildung oder der Dienstzeit bei der Bundeswehr ist unsozial. Die Sozialhilfe darf bei all ihrer Wichtigkeit nicht der einzige Lösungsansatz bleiben.
Deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung nun recht bald ihre eigenen Vorstellungen dem Parlament zuführt.
({3})
Frau Hürland, wir bieten Ihnen zum Schluß an, hier gemeinsam neue Positionen zu erarbeiten. Wir stimmen deshalb der Überweisung dieses Gesetzes an den Verteidigungsausschuß als federführenden Ausschuß und an die begleitenden Ausschüsse ausdrücklich zu.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Wilz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es ausdrücklich, daß, wie versprochen, bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode der geforderte Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes eingebracht worden ist. Herr Kollege Heistermann, das werden Sie mit mir anerkennen müssen: Die Bundesregierung hält eben ihr Wort; das zeichnet diese Bundesregierung aus.
Mit diesem Gesetz sollen Zeitsoldaten, die nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses keine Beschäftigung finden, finanziell gegen Arbeitslosigkeit abgesichert werden. Seit 30 Jahren gibt es hierfür keine zufriedenstellende Regelung. Seit nunmehr 30 Jahren werden diese Zeitsoldaten bei Arbeitslosigkeit benachteiligt. Seit 30 Jahren wird dies unseren Soldaten zugemutet. Ich meine, 30 Jahre fehlende soziale Absicherung gegen Arbeitslosigkeit sind genug. Allerdings darf ja auch nicht geleugnet werden, daß der zwingende Bedarf zu einer solchen Regelung erst mit Ende der siebziger Jahre auftrat, als nämlich unter Führung der Sozialdemokraten das Problem der Massenarbeitslosigkeit entstand;
({0}) so ist das doch, das wissen Sie doch.
Meine Damen und Herren, es geht hier um 200 000 Zeitsoldaten, die freiwillig für die Bundesrepublik im Bündnis ihre Pflicht erfüllen. Sie sind die Garanten unserer Freiheit und des Friedens. Dafür haben Zeitsoldaten mit einer Verpflichtungszeit von 2 bis 15 Jahren bisher sogar das Risiko von anschließender Arbeitslosigkeit in Kauf genommen. Dafür gebührt ihnen, und zwar von uns allen, Dank und Anerkennung. Sie leisten einen notwendigen Dienst für uns alle: für uns, für unseren Staat und für unsere Gemeinschaft, selbst für die GRÜNEN, auch wenn diese das nicht anzuerkennen vermögen.
({1})
Bei dem Dank allein darf es aber nicht bleiben. - Da
sind wir doch einverstanden, nicht? Sehr gut. - Wir
haben diesen Männern in der letzten Legislaturperiode versprochen, diesen Mißstand zu beseitigen. Heute ist es unsere Pflicht, Wort zu halten. Jetzt müssen Taten folgen. Unsere Zeitsoldaten haben es nicht nur verdient, sondern haben auch das Recht, unter verbesserten Verhältnissen in die zivile Gesellschaft und das Berufsleben eingegliedert zu werden.
Ich darf daran erinnern, daß nach § 31 des Soldatenversorgungsgesetzes dem Bund die Verpflichtung obliegt, für Soldaten und ihre Familien auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses zu sorgen. Dieser Fürsorgepflicht muß der Staat endlich auch im Falle der Arbeitslosigkeit gerecht werden. Diese Soldaten haben unserem Staat viele Jahre treu gedient. Sie haben mehr als nur ihre Pflicht getan.
Letztlich wird die Bundeswehr auch zukünftig - ja, mehr noch als bisher - auf längerdienende Soldaten angewiesen sein. Um so mehr kommt es darauf an, glaubwürdig darzutun, daß der Soldat auch als einzelner Mensch den solidarischen Schutz unserer Gesellschaft erhält.
Lassen Sie mich Ihnen kurz die oft schwierige soziale Lage der Zeitsoldaten und die Notwendigkeit einer Verbesserung erläutern. Soldaten auf Zeit haben heute im Hinblick auf die Beendigung ihrer Dienstzeit zwar einen Anspruch auf berufsfördernde Maßnahmen und auf Leistungen, die den Übergang in das zivile Berufsleben erleichtern sollen. Diese Fürsorge- und Vorsorgemaßnahmen reichen bei Arbeitslosigkeit aber nicht aus. Sie tragen damit weder den heutigen Gegebenheiten in der zivilen Berufswelt noch der teilweise schwierigen Arbeitsmarktsituation in ausreichendem Maße Rechnung.
Die Zeitsoldaten sind vor allem gegenüber den Entwicklungshelfern benachteiligt, die, statt ihren Wehrdienst zu leisten, ins Ausland gehen. Diese haben immerhin nach der Beendigung ihre Entwicklungshelfertätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Für diese Personengruppe wird also das Risiko der Erwerbslosigkeit von unserem Staat aufgefangen.
Die Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU hat sich deshalb schon in der letzten Legislaturperiode massiv darum bemüht, dem berechtigten Anliegen der ausscheidenden Zeitsoldaten Rechnung zu tragen.
Für die CDU/CSU war und ist entscheidend, eine sozial ausgewogene Lösung zu finden. Der vorliegende Entwurf wird noch nicht allen unseren Vorstellungen voll gerecht. Wohl berechtigterweise sind die SaZ 2 nicht in die Lösung einbezogen worden. Zum einen sind sie teilweise durch das Arbeitsplatzschutzgesetz gesichert. Zum anderen sind sie eher den Wehrpflichtigen vergleichbar und erhalten zusätzlich noch Besoldung und eine höhere Abfindung. Demgegenüber ist in den Ausschußberatungen noch einmal zu überprüfen, ob es bei der jetzt vorgesehenen vollen Anrechnung der Übergangsgebührnisse auf die Arbeitslosenbeihilfe bleiben muß. Es gibt sicherlich gerade auch aus Rechtsgründen überzeugende Gesichtspunkte dafür. Allerdings ist nicht zu bezweifeln, daß Übergangsgebührnisse der Berufsvorbereitung dienen sollen und keine echte Arbeitslosenbeihilfe darstellen können.
Wir werden in den folgenden Beratungen die Frage zu stellen haben, ob die nach diesem Gesetz unterschiedlichen Auswirkungen einerseits auf die SaZ 3, SaZ 4 und SaZ 5 und andererseits auf die SaZ 6 und länger dienenden Zeitsoldaten unter Abwägung aller sozial- und rechtspolitischen Argumente unumgänglich sind.
Die Tatsache, daß dieses Gesetz erst mit der Verkündung in Kraft treten soll, ist für uns - lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen - unbefriedigend, das um so mehr, als wir uns im Wort gefühlt haben, daß die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres erfolgen sollte.
({2})
Ich darf daran erinnern, daß wir für die Lösung des Problems bereits für dieses Jahr 50 Millionen DM etatisiert haben. Von einer Rückwirkung ist auch der Verteidigungsausschuß bei seinem Beschluß Ende letzten Jahres ausgegangen. Das ist von der Bundesregierung damals gleichermaßen so gesehen worden. Im übrigen sollten wir uns auch jetzt zu dem bekennen, was wir unseren Soldaten draußen in den Kasernen versprochen haben.
Der jetzt gehörte Einwand, daß einer Rückwirkung verwaltungstechnische Probleme entgegenstehen würden, bedarf der näheren und überzeugenden Begründung. Gerade insoweit sind die beteiligten Ministerien gefordert. Selbst wenn unüberwindliche Probleme dieser Art bestehen sollten, so hieße das noch nicht zwingend, daß die Leistungen nach diesem Gesetz erst ab dem Zeitpunkt der Verkündung gewährt werden könnten. Auch hier läge der Begründungszwang bei der Bundesregierung.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß selbst dann, wenn nicht alle seit dem 1. Januar 1987 ausgeschiedenen arbeitslosen Zeitsoldaten erfaßt sind, immerhin die Möglichkeit eingeräumt werden könnte, auf Antrag rückwirkend Arbeitslosenbeihilfe zu erhalten. Sie dürfen sicher sein, daß hier für uns das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Anläßlich dieser Debatte sei der Hinweis erlaubt, daß die beste Absicherung allerdings ist, eine so gute Berufsförderung zu haben und durchzuführen, daß das Problem der Arbeitslosigkeit gar nicht erst auftritt. Auch hier können wir zu Recht sagen, daß wir seit Übernahme der Regierung durch uns viele positive Entwicklungen auf den Weg gebracht haben. Wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, den Berufsförderungsdienst noch weiter zu verbessern. Ich glaube, das ist die beste Hilfe für unsere Zeitsoldaten und wird von der Truppe auch so gesehen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß wir es sind, die sich der sozialen Probleme unserer Soldaten und ihrer Familien nicht nur bewußt sind, sondern auch tatkräftig angenommen haben und annehmen.
({3})
Die Angehörigen der Bundeswehr können sich auf uns, die CDU/CSU, und auf diese Bundesregierung verlassen.
({4})
- DaS können Sie auch.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.
Ich will gleich da ansetzen, wo Sie aufgehört haben: Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen: „und dann sind wir verlassen."
Aber zunächst einmal guten Tag hier im Plenum und guten Tag bei der Bundeswehr!
({0})
Unter dem Thema, das hier behandelt wird, kann sich kaum jemand etwas Genaues vorstellen, im übrigen offensichtlich auch nicht die Bundesregierung.
Worum geht es? Im Soldatenversorgungsgesetz soll ein neuer Vierter Teil unter dem Titel „Fürsorgeleistungen" eingeführt werden, der ehemaligen Soldaten auf Zeit bei Arbeitslosigkeit oder bei Maßnahmen zur Rehabilitation nach dem Arbeitsförderungsgesetz helfen soll. Seit 30 Jahren ist das als gesetzlich zu regeln im Soldatengesetz so angekündigt.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen also arbeitslose ehemalige Zeitsoldaten mit einer Dienstzeit von mehr als zwei Jahren künftig Arbeitslosenbeihilfe erhalten, die sich an der Höhe des Arbeitslosengeldes von Zivilisten orientiert. Bisher gezahlte Übergangshilfen sollen aber darauf angerechnet werden. Das Ganze soll für 1987 ca. 28 Millionen DM kosten. 50 Millionen DM sind im Haushalt vorgesehen. Das zeigt, daß der Gesetzentwurf offensichtlich mehr vorgesehen haben müßte, als er tatsächlich ausdrückt.
Denn für die Zeitsoldaten rechnet sich das im einzelnen so: Dienstzeiten bis zu zwei Jahren werden vom Entwurf nicht erfaßt; diese Soldaten haben also überhaupt nichts davon. Dienstzeit von weniger als vier Jahren: Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe oder Arbeitslosengeld für höchstens 312 Tage. Dienstzeit vier Jahre bis weniger als sechs Jahre: Nach Abzug der Übergangsgelder ist der Anspruch auf 156 Tage gemindert. Für sechs und mehr Jahre bedeutet das: Die Übergangsgelder verrechnen sich damit, und der Anspruch ist gleich null.
Die Kritik des Bundeswehr-Verbandes möchte ich hier in einigen Punkten kurz benennen, damit klar wird, wie das Ganze einzuordnen ist. Der Bundeswehr-Verband sagt, es sei eine Alibimaßnahme, es entspreche nicht den Forderungen des Verbandes nach Absicherung aller Zeitsoldaten. Das Geld müßten alle bekommen. Rückwirkend ab 1. Januar 1987 müsse das Gesetz gelten. Die ehemaligen Zeitsoldaten sollten in die Anschlußförderung nach dem
Arbeitsförderungsgesetz einbezogen werden. Übergangsgelder sollten nicht angerechnet werden.
Ich kann diese Kritik des Bundeswehr-Verbandes nachvollziehen. Aber der Bundeswehr-Verband verbindet damit inhaltlich etwas anderes als wir GRÜNEN, und zwar geht es dem Bundeswehr-Verband um die Attraktivität der Streitkräfte - wie es so schön heißt - , um die Sicherstellung personeller Einsatzbereitschaft.
({1})
Für uns GRÜNE liegt dieses Gesetz und liegen die Gründe, die hierfür angeführt werden, in dem Spannungsfeld zwischen menschlichen und sozialen Leistungen einerseits und andererseits im Eintreten oder
- für uns gesagt - im Nicht-eintreten-Wollen für einen Beruf, dessen Inhalte und Ziele mehr und mehr dem Auftrag des Grundgesetzes widersprechen.
Die Bundeswehr sagt, sie wolle ihre Aufgaben erfüllen. Wir sollten jedoch einmal genauer nachfragen, welche Aufgaben das sind. Was wird denn da eigentlich gemacht? Ich will das jetzt nur in allgemeiner Form erklären. Ich hätte auch noch einige Zitate dazu, aber es wird wahrscheinlich zeitlich nicht langen, sie vorzutragen. Ich denke, ich werde noch Gelegenheit genug haben, die Zitate ein anderes Mal vorzutragen. Es gibt eine Broschüre aus dem Jahre 1985. Sie nennt sich „Kriegsnah ausbilden". In dieser Broschüre
- herausgegeben von Herrn Wörner - steht etwas, was, wenn die Broschüre bekannter wäre, die Leute erst einmal sprachlos machen würde. Auf Grund der Blitzkriegs-Strategie von Hitler, die in vielen Beispielen als Vorbild herangezogen wird, wird gesagt: Dieses und jenes hat damals im Krieg so nicht geklappt. Wir müssen das nun anders machen. - Das ist jetzt die sinngemäße Zusammenfassung der wirklich üblen Zitate, die man dieser Broschüre entnehmen könnte. Ich denke, das hat nichts mehr mit Verteidigung zu tun. Das ist das Proben und das Vorbereiten von Angriffskrieg. Das verstößt gegen Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes.
({2})
- Ich wollte, es wäre die Unwahrheit. Sie ist es aber nicht, und weil wir denken können, tragen wir das hier vor.
({3})
Das Militär ist außerdem der größte Umweltvernichter. Das muß man bei diesem Berufsbild auch einmal berücksichtigen. So etwas wie Tiefflug hat gar keinen anderen Sinn, als in einem Angriffskrieg praktiziert zu werden.
({4})
Das wissen Sie als Militärs oder der sogenannte Herr
Verteidigungsminister eigentlich noch viel besser als
wir, nur, es wird ständig daran vorbeigeredet; es wird
so getan, als sorge man für die Sicherheit der Bevölkerung, und das ist heuchlerisch.
({5})
Hier wird nicht nur gegen das Grundgesetz verstoßen, sondern auch - ich kann das alles aufzählen - gegen das Völkerrecht und vieles mehr. Im Grunde wird gegen Recht und Gesetz in diesem Rechtsstaat verstoßen.
({6})
- Hören Sie genau zu.
Wenn z. B. der Friedensforscher von Weizsäcker und der ehemalige Bundeskanzler Schmidt sagen, die Bundesrepublik sei militärisch gar nicht zu verteidigen, dann sehen wir das auch so, aber dann muß man die Konsequenzen ziehen. Wenn ich die Bundesrepublik nicht militärisch verteidigen kann, dann muß ich mich darum bemühen, sozial zu verteidigen, dann muß ich mich darum bemühen, auch wirklich alles schützen zu wollen. Sie gehen ja von einem absoluten Irrsinn aus: Wenn Ihre Strategie aufgeht, wollen Sie ja all das vernichten, was Sie, wie Sie den Leuten erzählen, eigentlich verteidigen wollen.
({7})
Es wäre wichtig, daß Sie sich das einmal ein bißchen mehr vor Augen führten.
({8})
Das verstößt gegen das Grundgesetz. Wir wollen ein lebendiges und demokratisches Gemeinwesen erhalten, und wir wollen es nicht zerstören, schon gar nicht durch Kriegsvorbereitungen.
Wir wollen, daß Geld nicht in Waffen, sondern in Soziales und in Bildung und in soziale Verteidigung umgesetzt wird.
({9})
Das Geld soll für ökologische Erneuerungen in dieser Gesellschaft verwendet werden. Leider reicht es meistens nur für Reparaturen.
Zusammenfassend kann ich Ihnen nur sagen - leider ist der Herr Wörner ja nicht anwesend -:
({10})
Wer den Frieden will und ihn nicht nur vorheuchelt, der muß auch den Frieden vorbereiten und nicht den Krieg.
({11})
Aber zurück zum Gesetzentwurf. Durch die vorgesehenen Maßnahmen wird der Übergang ins zivile Berufsleben überhaupt nicht erleichtert. Die Verhältnisse im Zivilleben, die, nebenbei bemerkt, auf vergleichbarer Ebene sind, sind noch weniger privilegiert als bei den Soldaten auf Zeit, z. B. bei den Lehrern und z. B. auch bei der Polizei.
Grundsätzlich begrüßen die GRÜNEN aber alle Anreize für Soldaten, ins Zivilleben zurückzukehren. Wir freuen uns über jeden Soldaten, der zum Zivilisten wird. Unsere Meinung dazu ist aber: Das Zivilleben muß attraktiver gemacht werden als das Soldatenleben. Nehmen wir als Beispiel die Kriegsdienstverweigerer. Da lese ich unter dem Punkt „Versorgung" nur von Krankheit, Tod und Behinderung. Da geht es gar nicht darum, wie die Leute überhaupt versorgt werden! Statt dessen wird hier ein dicker Gesetzentwurf eingebracht, der besagt, wie man das bei Soldaten eigentlich tun könnte, aber noch nicht einmal das haut hin. Wie ist es z. B., wenn ein Zeitsoldat nachträglich verweigert? Das läuft dann als Entlassung auf eigenen Antrag, und nach unseren Informationen verliert er dann sämtliche Versorgungsansprüche. Warum ist das so? Geben Sie darauf einmal eine Antwort!
Das Verteidigungsministerium geht davon aus, daß 85 % der Zeitsoldaten ins Zivilleben zurückkehren. Die Anrechnung der Übergangsgelder auf die Arbeitslosenbeihilfe widerspricht in diesem Zusammenhang dem eigentlichen Sinn des Übergangsgeldes. Es sollte nämlich eine finanzielle Ausbildungshilfe sein, um den Wechsel ins Zivilleben - auch für die Familien - zu erleichtern. Aber das Gegenteil geschieht! Ich frage mich: Wollen Sie das, Herr Wörner? Ist das von Ihnen so geplant? Offensichtlich!
Der Gesetzentwurf ist ziemlich unausgegoren, denn diese ganzen Übergangsgelder sind bisher völlig unabhängig davon gezahlt worden, ob ehemalige Soldaten arbeitslos waren oder nicht. Nehmen wir das Beispiel ehemaliger Soldaten auf Zeit, die sofort nach dem Militär eine zivile Arbeitsstelle finden. Sie haben Gehalt oder Lohn plus Übergangsgelder. Die arbeitslosen ehemaligen Soldaten bekommen hingegen die Übergangsgelder auf die Arbeitslosenbeihilfe angerechnet. Das heißt, die Arbeitslosen werden auch noch bestraft.
({12})
Mit der Regelung ihres Gesetzentwurfes wird die Absurdität noch größer, denn es wird ein totaler Widersinn, eine wirkliche Absurdität, erzeugt: Soldaten, die sich selbst arbeitslos machen, weil sie Arbeitsplätze haben, die auf den Verbrauch von Rüstung, z. B. von Bomben, angelegt sind, vernichten sich selber und vernichten Menschen und Länder, womit sie zum Thema „Arbeitsplätze" keinen Beitrag leisten, denn Rüstung schafft keine Arbeitsplätze, sondern vernichtet Arbeitsplätze. Das heißt, die Soldaten verwenden ihre Gelder praktisch auch noch dafür, daß sie die von ihnen selbst produzierte Arbeitslosigkeit noch einmal selber bezahlen. Das ist einfach absurd! Wir wollen eben, daß die Sicherung von Arbeitsplätzen durch sozial verträgliche zivile Produkte geschaffen wird.
Frau Kollegin, wenn Sie einmal Ihr Manuskript rechts vom Rednerpult wegnehmen, sehen Sie, daß dort längst ein rotes Licht leuchtet.
Ich bin auch gleich fertig.
Ja, Ihre Redezeit ist vorüber.
Ich hatte ein Blatt darüber gelegt; es tut mir leid.
({0})
Ein Satz noch, aber dann ist Schluß!
: Wir als Gesellschaft in einem demokratischen Gemeinwesen müssen es uns endlich abgewöhnen, ständig an unserer eigenen Vernichtung zu arbeiten, ständig unsere Phantasie und Kraft auf das Töten von Menschen und auf die Vernichtung von allem, was angeblich-verteidigt werden soll, zu verschwenden.
Nach der deutschen Syntax war das ein Satz!
({0})
Frau Kollegin, Sie sind weit über die Zeit, und ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Rede jetzt zu Ende ist.
Ich erspare mir dann das Zitat des Bundeswehrverbandes und möchte Sie nur noch bitten, mehr an die Menschen in der Bundeswehr und weniger an Tötungsmaschinen zu denken.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben einen außerordentlich positiven Vorgang erlebt: Die Kollegin von den GRÜNEN, Frau Schilling, hat sich ausdrücklich auf Recht und Gesetz berufen. Ich kann das nur so verstehen, daß damit das Ende einer Kampagne zum Boykott eines gültigen Gesetzes angekündigt worden ist.
({0})
Im übrigen, meine Damen und Herren, wird es nicht meine Aufgabe sein, das, was hier zur Stellung des Soldaten in unserer Gesellschaft, über seine Aufgabe und über die Verteidigungsfähigkeit der NATO gesagt worden ist, im Zusammenhang mit dieser Debatte einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Wir werden dazu andere Gelegenheiten haben, wobei wir uns dann auch mit dem auseinandersetzen können, was Sie, Frau Schilling, hier den Soldaten gegenüber glaubten sagen zu müssen.
Zu dem Gesetzentwurf kann ich nur sagen, was man kaum noch auszusprechen wagt, Herr Kollege Heistermann, was aber doch gesagt werden muß: Es ist ein freudiges Ereignis, daß dieser Gesetzentwurf endlich auf dem Tisch liegt. Herr Kollege Heistermann, erinnern wir uns vielleicht nach Ihren Worten daran, daß die Verpflichtung, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen, seit 1956 besteht, eine Zeitspanne, in der die Vollbeschäftigung das aktuelle Problem lange überdeckt hat. Aber zumindest seit Mitte oder gegen Ende der 70er Jahre - Herr Kollege Wilz hat darauf hingewiesen - war es auch die Verpflichtung der vorigen Koalition, hier mit allem Nachdruck dafür zu sorgen, daß eine Absicherung - ({1})
- Ich habe Ihren Entwurf nicht abgelehnt. Ich weise nur darauf hin, daß die Koalition, in der wir damals zusammen waren, diese Verpflichtung ebenfalls nicht erfüllt hat. Ich bin froh darüber, daß es heute dazu kommt. Insofern Anerkennung, Frau Hürland, daß der Gesetzentwurf vorliegt.
Aber gestatten Sie mir gleichzeitig, etwas Wasser in den ohnehin nicht ungetrübten Wein der eben geschilderten Freude zu gießen. Ich kündige Ihnen nämlich mit allem Nachdruck an, daß dieser Gesetzentwurf das Parlament nicht so verlassen wird, wie er hineingegangen ist.
({2})
Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, als Sie einer dringenden Bitte, auch der SPD-Fraktion, nachkamen, sich kurzzufassen, dann haben Sie genau das gesagt, daß jetzt das Parlament gefragt ist und daß das Parlament die Aufgabe hat, diesen Gesetzentwurf so aus den Beratungen hervorgehen zu lassen, daß er erstens den berechtigten Ansprüchen der Soldaten entspricht und daß er zweitens auch uns in die Lage versetzt, vor die gleichen Soldatenversammlungen zu treten, in denen wir in Übereinstimmung mit der Bundesregierung, in Übereinstimmung mit einstimmigen Beschlüssen des Verteidigungsausschusses und auch des Haushaltsausschusses bestimmte Ankündigungen und Versprechen gemacht haben. Ich werde mich weigern, den Gesetzentwurf so zu akzeptieren, wie er ist, und ich will das an drei Punkten ganz deutlich machen.
Erstens. Wir haben im vergangenen Jahr im Verteidigungsausschuß einstimmig den dringenden Wunsch geäußert, daß der Gesetzentwurf noch im vergangenen Jahr verabschiedet würde. Uns ist damals gesagt worden: Nein, aber sofort in der neuen Legislaturperiode. Das ist erfüllt. Aber es gab einen Zusatz, den wir nicht leichtfertig ausgesprochen haben, nämlich Inkrafttreten zum 1. Januar. Meine Fraktion wird sich in den Beratungen dieses Gesetzentwurfs dringend dafür einsetzen, daß diese Forderung auch erfüllt wird.
Zweitens. An dem Punkt bin ich etwas anderer Meinung als der Kollege Wilz: Das Ausschließen der Zeit-. soldaten für zwei Jahre halte ich nicht für berechtigt.
({3})
Zunächst stellen die SAZ 2 mengenmäßig kein Problem dar, was dazu eine Veranlassung geben würde. Wenn es kein großes Problem ist, halte ich es nicht für berechtigt und nicht für tragbar, eine Ungerechtigkeit in diesen Gesetzentwurf hineinzubringen. Die Zeitsoldaten sollen das erhalten, was ihnen nach Recht und Gesetz zusteht, und wir sollten dabei keine Ausnahmen machen. Seien wir uns darüber im klaren:
Das eigentliche Problem sind die SaZ 4, die am meisten unter dem Zustand der Arbeitslosigkeit zu leiden haben. Sie sind für vier Jahre aus dem Beruf heraus, sie haben aber in der Bundeswehr nicht so viel Zeit gehabt, um sich auf das Berufsleben so intensiv vorzubereiten,
({4})
wie es ein SaZ 12 oder SaZ 15 hat tun können. Deswegen muß eine Gleichstellung aller Zeitsoldaten vor dem Gesetz hergestellt werden.
Schließlich, meine Damen und Herren, sieht der Gesetzentwurf eine Anrechnung der Übergangsgebühren vor. Hierzu muß nun mal gesagt werden: Übergangsgebühren haben einen ganz bestimmten Zweck, sie verfolgen zwei Ziele. Erstens war es eine Werbungsmaßnahme für längere Verpflichtung, die natürlich illusorisch wird, wenn ich hinterher einen arbeitslosen ehemaligen Zeitsoldaten zwinge, diese Übergangsgebühr für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit als Mittel zur Erhaltung seines täglichen Lebensunterhaltes einzusetzen. Das kann nicht Sinn dieser Übergangsgebührnisse sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Selbstverständlich, Herr Penner.
Sehr liebenswürdig, Herr Kollege Ronneburger. Sie sind mit Ihren Ausführungen schon etwas fortgefahren. Aus meiner Sicht haben Sie mit Recht - -({0})
Sie müssen fragen, Herr Penner.
Der Zusammenhang muß ja hergestellt werden.
Sie haben mit Recht auf Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfes hingewiesen. Sie haben diese Unzulänglichkeiten auf das beschränkt, was für die Soldaten von Interesse ist. Können Sie sich vorstellen, daß dieser Gesetzentwurf auch bei anderen vergleichbaren Gruppen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wird und sind Sie bereit, auch den berechtigten Interessen anderer vergleichbarer Gruppen Rechnung zu tragen?
({0})
Herr Kollege Penner, das Prinzip, das hier verfolgt wird, gibt es seit Jahren für die Entwicklungshelfer in gleicher Weise, nämlich keine Herstellung eines Versicherungsverhältnisses, Zahlung einer Arbeitslosenbeihilfe in der Höhe, wie es das Arbeitslosengeld vergleichbar sein würde, und Erstattung der Kosten durch die Bundesregierung an die Bundesanstalt für Arbeit. Wenn es ein Präjudiz sein sollte, dann gibt es dieses Präjudiz bereits seit Jahren. Wir werden über alle berechtigten Forderungen, aus welcher Richtung sie auch immer kommen, hier mit aller Sorgfalt zu reden haben.
Lassen Sie mich jedoch mit einem kurzen Wort zu dem zweiten Teil der Übergangsgebührnisse zurückkehren. Eine Anrechnung der Übergangsgebührnisse auf die Arbeitslosenbeihilfe oder Arbeitslosenhilfe würde bewirken, daß ein entlassener Zeitsoldat, der arbeitslos wird, seine Übergangsgebührnisse für seinen täglichen Lebensbedarf ausgeben müßte. Derjenige, der unmittelbar Arbeit bekommt, hat diese Übergangsgebührnisse zur völlig freien Verfügung. Hier entsteht eine Ungerechtigkeit, die so nicht bestehen bleiben darf.
Meine Damen und Herren, deswegen noch einmal: Zustimmung dazu, daß wir diesen Gesetzentwurf haben, Zustimmung dazu, daß er nur einen Teil der nötigen Dinge regelt, etwa in der Berufsförderung weiter nach vorne zu kommen und, und, und. Dritte und letzte Konsequenz: Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, wir werden ihn aber vor der Zustimmung in den angegebenen Punkten zu ändern haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 11/286 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen.
Der Abgeordnete Kleinert wünscht das Wort zur Geschäftsordnung. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage zur Tagesordnung folgendes: Ich beantrage hiermit den Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Thema „Gesetzwidrige und sonstige Vorkommnisse sowie Meinungsäußerungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung" von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Ich möchte das kurz begründen.
Die Behandlung dieses Punktes heute nachmittag würde in der vorgesehenen Form gegen die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verstoßen. Wir wollen das Plenum des Deutschen Bundestages davor bewahren, gegen die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu verstoßen.
({0})
Diese Geschäftsordnung des Bundestages sieht vor, daß die sogenannte akzessorische Fragestunde Vorrang vor der vereinbarten Aktuellen Stunde haben muß. Das ist eine zwingende Vorschrift der Geschäftsordnung. Das läßt sich gar nicht anders interpretieren.
Kleinert ({1})
Nun ist die Lage die, daß die von der CDU/CSU beantragte Aktuelle Stunde
({2})
- das tut gar nicht weh; Ihr Umgang mit Regeln, die sich dieser Bundestag selber gegeben hat, tut weh ({3})
in der Kombination mit dem, was das Präsidium an Behandlung der für die Fragestunde vorgesehenen Fragen zur Volkszählung vorgeschlagen hat, genau diesen Vorrang verletzen würde. Wenn das Schule machte, wäre nicht nur die Fragestunde in elementarer Weise in der Bedeutung herabgesetzt, sondern damit wäre gleichzeitig ein Schlag gegen elementare Kontrollrechte des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Regierung, gegenüber der Exekutive durchgesetzt.
({4})
Wir wollen gar nicht verhindern, daß Sie Ihre Auffassung zur Volkszählung hier darlegen können. Das haben Sie hinreichend getan, und wir haben das nie zu verhindern versucht. Nur, Sie versuchen zu verhindern, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu diesem Komplex Fragen an die Bundesregierung richten können und daß diese Fragen hier angemessen beantwortet werden.
({5})
Die Art und Weise, wie Sie das zu verhindern versuchen, zwingt uns, an dieser Stelle diesen Antrag zu stellen, die Aktuelle Stunde, die die CDU/CSU zu diesem Thema beantragt hat, heute von der Tagesordnung abzusetzen.
Im übrigen wissen Sie ganz genau, daß Sie bei einer entsprechenden Behandlung der Fragen, die für die Fragestunde vorgesehen sind, jederzeit die Möglichkeit hätten, aus der Fragestunde heraus erneut einen solchen Antrag zu stellen. Wenn Sie verhindern wollen, daß auf diese Weise Schindluder mit dem Instrument der Fragestunde
({6})
getrieben wird, müssen Sie an dieser Stelle mit uns dafür sorgen, daß wir den Tagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde" auf diesem Wege absetzen.
({7})
Herr Kollege Kleinert, bevor ich überhaupt die Frage prüfen kann, ob weiter zur Geschäftsordnung gesprochen werden kann oder soll, möchte ich wissen: Wohin zielt der Antrag? Absetzung von der Tagesordnung? Das geht nicht.
({0})
- Ich möchte gerne Ihren Antrag noch einmal formuliert haben. Bitte, sagen Sie das für alle Kollegen.
Ich möchte hiermit beantragen, daß die für heute nachmittag im Anschluß an die Fragestunde vorgesehene Aktuelle Stunde zu dem Thema „Gesetzwidrige und sonstige Vorkommnisse sowie Meinungsäußerungen bei der
Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung" von der Tagesordnung abgesetzt wird.
({0})
- Nein, das ist nicht unzulässig.
Eine Begründung für diesen Antrag habe ich soeben gegeben.
({1})
Ich lasse die weitere Diskussion über die Tagesordnung zu. Mein Problem ist, daß nach unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde von einer Minderheit verlangt werden kann und daß es keine Möglichkeit gibt, das abzusetzen. Wenn es ein Antrag auf Vertagung auf einen anderen Zeitpunkt ist, so kann darüber eine Geschäftsordnungsdebatte stattfinden und entschieden werden.
Ich gebe das Wort zur Geschäftsordnung Herrn Seiters.
Herr Präsident, ich bitte zu prüfen, ob dieser Antrag zulässig ist. Sollte er zulässig sein, widersprechen wir.
Wir möchten heute nachmittag, gestützt auf die Rechte der Fraktionen dieses Hauses, gestützt auf die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die völlig eindeutig ist, aus aktuellem Anlaß eine Aktuelle Stunde über gesetzwidrige Vorkommnisse im Zusammenhang mit der angelaufenen Volkszählung durchführen. Daß die GRÜNEN eine solche Diskussion nicht wünschen, kann ich mir vorstellen.
({0})
Es handelt sich um ein demokratisch zustande gekommenes Gesetz, dem die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD zugestimmt haben, und zwar auf der Grundlage von Grundsätzen, die von 130 Staaten der Vereinten Nationen anerkannt sind. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärt, daß er diese Daten brauche, die Bundesanstalt für Arbeit erklärt, daß sie diese Daten brauche, der Deutsche Städtetag erklärt mit den Stimmen von Sozialdemokraten, Christlichen Demokraten und Freien Demokraten, daß er diese Daten brauche. Wir werden heute nachmittag vor dem Forum des deutschen Parlaments und vor aller Öffentlichkeit deutlich machen, daß wir die Übergriffe gegen Volkszähler auf den Straßen der Bundesrepublik Deutschland mit allem Nachdruck verurteilen.
({1})
Wir werden das Verhalten der GRÜNEN, die Mitverantwortung der GRÜNEN, die sich an demokratisch zustande gekommene Gesetze nicht halten, deutlich machen. Die Gerichte haben festgestellt: Die GRÜNEN distanzieren sich nicht von Gewalt. Ich stelle hier fest: Die GRÜNEN sind mitverantwortlich für das, was
sich in diesen Tagen auf den Straßen in der Bundesrepublik Deutschland tut,
({2})
weil sie in einer solchen infamen Weise gegen das Instrument der Volkszählung wettern.
Wir wollen heute nachmittag die Aktuelle Stunde, und wir werden sie durchführen.
({3})
Nun beruhigen Sie sich bitte noch einmal. Wir haben eine Geschäftsordnungsdebatte. Daran bitte ich sich zu halten.
Ich habe noch eine Wortmeldung von Frau Weyel dazu. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben das Problem bereits gestern im Ältestenrat besprochen und dazu eine Vereinbarung getroffen, die von den GRÜNEN nicht mitgetragen wird.
Ich darf Ihnen mitteilen, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Geschäftsordnung diesen Ausschuß im Anschluß an die Wahlen einberufen wird.
({0})
Ich schlage vor, daß die Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses abgewartet wird, bis über den Antrag abgestimmt wird, sofern das überhaupt möglich ist; denn, Herr Kleinert, auch das Recht, eine Aktuelle Stunde zu beantragen, ist ein Recht des Parlaments und sollte nicht beschnitten werden. Das müßten eigentlich auch Sie so sehen.
({1})
Deswegen, meine ich, sollten wir diese Debatte jetzt beenden und sie im Geschäftsordnungsausschuß weiterführen.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist pro und contra gesprochen worden. Die Auslegungsfrage mag eine sein, die in Zukunft auch in dem Geschäftsordnungsausschuß - ({0})
- Entschuldigung. Wir haben einen von Ihnen eingebrachten Geschäftsordnungsantrag vorliegen. Das Präsidium hat überlegt, ob er von unserer Geschäftsordnung her überhaupt tragbar, möglich und verantwortbar ist. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß eine saubere einfache Abstimmung die Frage klären kann. Was zu dieser Frage prinzipiell später gesagt werden kann, ist eine Sache des zuständigen Ausschusses. Der mag sich damit beschäftigen.
Wir haben Pro und Contra gehört. Ich stelle Ihren Antrag auf Absetzung des Punktes Aktuelle Stunde von der Tagesordnung zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({1})
Wer stimmt dagegen? - Ihr Antrag ist abgelehnt. Damit ist dieser Punkt erledigt.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung und Wahl der Mitglieder
- Drucksachen 11/250, 11/251, 11/297, 11/300, 11/301, 11/309 Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Dazu kein Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Prüfung und Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein besonderes Vertrauensgremium haben wir im letzten Sommer eine dauergesetzliche Rechtsgrundlage in der Bundeshaushaltsordnung geschaffen. Dadurch ist es möglich, nunmehr das Genehmigungsgremium zu Anfang einer Legislaturperiode für deren gesamte Dauer einzusetzen.
Wir haben das Kapitel Vertrauensgremium in der Vergangenheit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mehrfach diskutiert. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat uns in allen Punkten bestätigt. Ich kann deshalb unseren Standpunkt knapp wie folgt wiederholen:
Erstens. Wir wollen, daß das Parlament sein Budget-bewilligungsrecht auch im sicherheitspolitisch sensiblen Bereich der Nachrichtendienste ausübt, die Regierung sich also auch dort ihr Finanzgebaren im Detail und nicht nur global genehmigen lassen muß.
Zweitens. Diese Prüfung en détail kann ohne Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Dienste nicht im Plenum eines Parlamentsausschusses mit 37 Mitgliedern oder gar in aller Öffentlichkeit vor dem Deutschen Bundestag erfolgen. Dafür brauchen wir ein kleines Gremium. Das ist früher so gehandhabt worden, und die Zahl fünf hat sich auch bewährt, so daß wir für eine Erhöhung der Zahl der Mitglieder, so wie hier heute beantragt, keine Veranlassung sehen.
Drittens. Das Prüfungsgremium steht auf einem rechtlich gesicherten Fundament. Es beruht auf einem Gesetz, daß seine Aufgaben und Befugnisse gesetzlich festlegt. Es wird vom Parlament als Ganzem und nicht mehr nur durch Beschluß des Haushaltsausschusses eingesetzt. Seine Mitglieder müssen die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigen; denn eine solche sensible Materie macht es notwendig, daß jeder, der hier zur Kontrolle berufen sein soll, das ausdrückliche Vertrauen der Mehrheit seiner Kollegen hier im Deutschen Bundestag hat.
Viertens. Mit dieser Regelung sind auch die Rechte des Parlaments als Ganzes gewahrt. Gewahrt sind auch die Rechte der parlamentarischen Minderheit. Die Zahl der Mitglieder ist so gewählt, daß keine Oppositionsfraktion von vornherein ohne Chance ist, einen Vertreter in dieses Gremium zu entsenden. Auch wenn nicht jede Fraktion bei der Wahl zum Zuge kommen sollte, so bleibt die Regelung doch verfassungskonform, denn der Schutz der Minderheit beinhaltet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition schlechthin. Es bedeutet aber keineswegs das Gebot, jede parlamentarische Gruppierung, sei sie auch noch so klein, in diesem Gremium zu beteiligen.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Position im Januar letzten Jahres in allen Punkten bestätigt. Wir bitten deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und auch unserem Wahlvorschlag zu folgen.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kollegen, Sie wissen, kurz vor einer Abstimmung, in diesem Fall einer Personenwahl, wird es hier immer durch die vielen Kollegen, die in den Saal hereinkommen, etwas unruhig. Ich wäre dankbar, wenn diejenigen, die neu in den Saal hereinkommen, ihre Plätze einnehmen und zuhören, wie die Debatte verläuft.
Als zweiter Redner in der Debatte hat Dr. Struck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesem Tagesordnungspunkt kann man nur sagen: alle Jahre wieder. Seit es dieses Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gibt, hat die SPD-Bundestagsfraktion durch mehrfache Anträge klargestellt, daß wir der Auffassung sind, daß keine Fraktion dieses Hauses von der parlamentarischen Mitwirkung in diesem Gremium ausgeschlossen sein darf. Die SPD-Fraktion hat deshalb heute erneut diesen Antrag eingebracht, insbesondere auch deshalb, weil es unserem Demokrativerständnis entspricht, daß alle Oppositionsfraktionen in diesem wichtigen Gremium vertreten sein müssen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion weist darauf hin, daß es, ungeachtet der großen politischen Unterschiede zu allen anderen Fraktionen dieses Hauses, erforderlich ist, alle Fraktionen zu beteiligen. Wir wissen, daß die zu wählenden Mitglieder dieses Gremiums mehr als die Hälfte der Stimmen dieses Hauses erhalten müssen. Wir bitten deshalb auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen dieses Hauses, unseren Vorschlag, nämlich den Kollegen Rudi Walther und den Kollegen Klaus-Dieter Kühbacher in dieses Gremium zu wählen, zu unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vorigen Legislaturperiode hat die Fraktion DIE GRÜNEN beim Bundesverfassungsgericht den Antrag gestellt, den damaligen § 4 Abs. 9 des jährlichen Haushaltsgesetzes, der die Kontrolle der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste regelte, für verfassungswidrig zu erklären. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Begehren der GRÜNEN nicht stattgegeben, sondern hat entschieden - ich zitiere Punkt 9 des Urteils - :
Jedenfalls aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes kann es verfassungsmäßig hinzunehmen sein, daß einzelne Fraktionen bei der Besetzung des Ausschusses unberücksichtigt bleiben.
Die Begründung des Urteils ist für uns heute auch ein Grund, den Antrag der GRÜNEN auf Erweiterung des Gremiums bzw. zur Wahl eines Vertreters der GRÜNEN hier abzulehnen.
Die nunmehr erfolgte Änderung der gesetzlichen Grundlage durch Aufnahme des § 10 Abs. 2 in die Bundeshaushaltsordnung stellt sicher, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein Kontrollgremium geprüft werden. Die Vorschrift in der Bundeshaushaltsordnung verfolgt den Zweck, die Geheimhaltung der Wirtschaftspläne sicherzustellen. Die Sicherung der Geheimhaltung wird dadurch erreicht, daß die parlamentarische Kontrolle einem vom Bundestag aus seiner Mitte gewählten Gremium übertragen wird, dem allein, unter Ausschluß anderweitiger Fragestellungen, uneingeschränkte Auskunft erteilt wird.
Mit dieser Praxis ist sichergestellt, daß die parlamentarischen Kontrollrechte verbessert werden. Gleichzeitig wird dem berechtigten Interesse der Bundesregierung an der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste Rechnung getragen, und zwar vor allem durch die Begrenzung der Zahl der Mitglieder auf maximal 5.
Die Arbeit des Gremiums hat sich in den letzten Jahren bewährt. Wir wissen, daß die Finanzkontrolle der Nachrichtendienste Grundsatzprobleme aufwirft. Um die Funktionsfähigkeit unserer Dienste nicht einzuschränken, kann eine Detailkontrolle der Haushalte nicht durch ein großes und nach den Erfahrungen langer Jahre nicht immer nichtöffentliches Gremium wie den Haushaltsausschuß in seiner Gesamtheit erfolgen. Es ist ein Faktum, daß eine Verletzung der Vertraulichkeit hier zu eklatanten Nachteilen für die Bundesrepublik führen würde.
Auf der anderen Seite gibt es einen begründeten Anspruch des Parlaments, daß auch in diesem sensiblen Bereich nicht nur globale Beträge bewilligt werden, sondern eine Prüfung im Detail vorgenommen werden muß. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Vertraulichkeit und parlamentarischer Kontrolle löst sich durch die Wahl eines kleinen Gremiums auf. Durch die Wahl nur weniger und besonders vertrauenswürdiger Mitglieder des Deutschen Bundestags, die aus dem Kreis der Mitglieder des Haushaltsausschusses benannt werden, wird beiden oben genannten Anforderungen unseres Erachtens Rechnung getragen.
Deutscher Bundestag -- 11. Wahlperiode Zywietz
Meine Fraktion stimmt dem Antrag auf Drucksache 11/250 zu und benennt für das Gremium den Kollegen Dr. Wolfgang Weng.
Ich bedanke mich.
({0})
Darf ich noch einmal darum bitten, daß die Kollegen, die gerade in den Saal hereingekommen sind, auf ihren Plätzen verharren, bis der letzte Redner dieser Debatte gesprochen hat. Erst dann erfolgt die Abstimmung. Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Der Abgeordnete Kleinert ({0}) hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß ich dazu hier überhaupt noch einmal dazu sprechen muß - es ist, wenn man in die Zeit bis 1983 zurückgeht, schon das neunte Mal, daß zu diesem Thema hier gesprochen werden muß - , liegt einzig und allein daran, daß die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP der Meinung waren, mit dem Auftauchen der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag müsse eine „Lex GRÜNE" geschaffen werden, um zu verhindern, daß DIE GRÜNEN Einblick in Bereiche bekommen können, in die sie nach Ihrer Meinung keinen Einblick bekommen sollen, nämlich in das Finanzgebaren der Geheimdienste.
Ich glaube, wir brauchen uns hier gar nicht lange darüber zu unterhalten, daß solche Einblicke bitter nötig wären, daß ein Stück Transparenz, Öffentlichkeit und Auf-die-Finger-Sehen, was dort passiert, von der Sache her an der Tagesordnung wäre und daß es allerhöchste Zeit wäre, daß dort so etwas möglich wird. Darüber brauchen wir hier gar nicht mehr zu reden.
Tatsache ist, daß Sie von dem Zeitpunkt an, als es die GRÜNEN-Bundestagsfraktion gab, mit legalen, aber vor allem mit illegalen Mitteln, wobei Ihnen die Geschäftsordnung im Zweifel überhaupt nichts wert war, zielstrebig darauf hingearbeitet haben, den Ausschluß der GRÜNEN aus diesem Gremium durchzusetzen.
({0})
Sie haben das über Jahre mit einer Strategie durchzusetzen versucht, die sich nicht darum gekümmert hat, was die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgeschrieben hätte, die sich nicht darum gekümmert hat, was die Bundeshaushaltsordnung vorgeschrieben hätte, und die sich auch nicht darum gekümmert hat, was demokratische Grundprinzipien und Teilnahmerechte aller Fraktionen dieses Hauses an einer solchen Kontrolle der Exekutive eigentlich hätten beinhalten müssen.
({1})
Dies ist über Jahre hinweg von Ihnen mit großer Energie betrieben worden. Das hat zu dem Zustand geführt, den wir heute haben, das hat zu verschiedenen Gesetzesmanipulationen geführt, das hat dann zu Gesetzesänderungen geführt, und das hat zu diesem Gremium geführt, über dessen Besetzung wir heute entscheiden.
Ich will noch einmal kurz zusammenfassen, worum es geht. Es geht darum, ob alle Fraktionen in diesem Bundestag in diesem sehr wichtigen Bereich der Kontrolle des Parlaments gegenüber der Regierung entsprechend vertreten sind oder aber ob die Regierung und die sie tragenden Fraktionen nach Gutdünken darüber entscheiden können, wer dort kontrollieren darf und wer dort nicht kontrollieren darf.
({2})
Damit sind Grundsatzrechte der Opposition gegenüber der Bundesregierung tangiert, und damit geht es auch um grundsätzliche Kontrollrechte der einzelnen Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung. Das, was Sie hier vorhaben, läuft nicht nur darauf hinaus, eine Fraktion des Bundestages wiederum, zum wiederholten Male von dieser Kontrolle auszuschließen, sondern das, was Sie vorhaben, läuft auch darauf hinaus, daß zum wiederholten Male bestätigt wird: Die Regierung darf sich ihre Kontrolleure selber aussuchen.
({3})
Das ist das grundsätzliche Problem, um das es in dieser Angelegenheit in erster Linie geht.
Wir haben deshalb einen Antrag vorgelegt, der vorsieht, daß alle Fraktionen des Bundestages an der Kontrolle in diesem Bereich beteiligt werden sollen, daß sie gemäß ihrer zahlenmäßigen Stärke im Bundestag dort beteiligt sein sollen. Wir werden diesen Antrag zur Abstimmung stellen, damit in diesem wichtigen Bereich der Parlamentskontrolle endlich sichergestellt sein kann, daß alle Fraktionen hier diese Kontrollrechte wahrnehmen können und hier mit dieser gezielten Ausgrenzungspraxis und mit dieser unglaublichen Anmaßung, die das eigentlich ist, Schluß gemacht wird, daß sich die Regierungsfraktionen ihre Kontrolleure selber aussuchen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich bitte um Aufmerksamkeit: Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Anträge, die die Einsetzung des Vertrauensgremiums betreffen. Die Wahl erfolgt dann anschließend.
Der Antrag der Fraktion der SPD und der später eingegangene Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN sind wortgleich. Ich lasse deshalb über diese Anträge gemeinsam abstimmen. Da sie weitergehend sind, wird über sie zuerst abgestimmt.
({0})
- Das ist hier bis jetzt nicht beantragt. ({1})
- Augenblick! Also, Herr Kleinert, bei mir ist hier nichts eingegangen. Ich war gestern im Ältestenrat und wußte nichts davon. Ich fahre also fort.
Wer den Anträgen auf den Drucksachen 11/300
- SPD - und 11/309 - DIE GRÜNEN - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme?
- Die Anträge sind mit Mehrheit abgelehnt.
Vizepräsident Westphal
Wer nun für den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 11/250 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zur Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums. Ich bitte Sie um einen Moment Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.
Nach dem soeben gefaßten Beschluß besteht das Vertrauensgemium aus bis zu fünf Mitgliedern. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 260 Stimmen erhält.
Die Wahlunterlagen - bestehend aus einem Wahlausweis und einer Stimmkarte mit den Namen der vorgeschlagenen Abgeordneten - werden in der Eingangshalle ausgegeben.
Ich bitte Sie, auf dem Wahlausweis, der als Nachweis Ihrer Teilnahme an der Wahl gilt, Ihren Namen - gegebenenfalls mit Ortszusatz - sowie Ihre Fraktion handschriftlich in Druckbuchstaben einzutragen.
Auf der Stimmkarte dürfen höchstens fünf Namensvorschläge angekreuzt werden. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als fünf Ankreuzungen, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung.
Eine geheime Wahl ist nicht vorgesehen.
Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich sehe, das ist geschehen.
Ich eröffne die Wahl und bitte, den Wahlausweis auszufüllen, die Stimmzettel anzukreuzen und sie anschließend nach Übergabe des Wahlausweises an den Schriftführer in eine der Wahlurnen zu geben.
Gibt es noch einen Abgeordneten, der an der Abstimmung teilzunehmen wünscht und es bisher nicht getan hat? - Also, ich sehe keinen, der noch an der Abstimmung teilzunehmen wünscht. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Auszählung wird etwa 25 Minuten in Anspruch nehmen.
Sie sind sicher damit einverstanden, daß wir die Beratung mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fortsetzen, bis das Wahlergebnis vorliegt. ) - Ich höre keinen Widerspruch.
Der Geschäftsordnungsausschuß des Hauses ist durch seinen Vorsitzenden für 12.30 Uhr einberufen worden. Falls Kollegen, die Mitglied dieses Ausschusses sind, im Saal sind, bitte ich sie, der Einladung zu folgen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Zustimmungsbedürftige Verordnung zur
Änderung der Verordnung über den Prozent-
*) Ergebnis Seite 774 D satz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten
Verstromungsgesetz für das Jahr 1987
- Drucksachen 11/137, 11/249 -
Berichterstatter: Abgeordneter Gerstein
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes
- Drucksache 11/232 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Haushaltsausschuß
Ich erbitte Ihre Aufmerksamkeit. - Ich darf darum bitten, daß diejenigen Kollegen, die an der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt nicht teilzunehmen wünschen, ihre Gespräche außerhalb des Saales fortführen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes eine Stunde vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute zwei für die Kohlepolitik wichtige Vorlagen zu erörtern: einmal den Verordnungsentwurf zur Anhebung des Kohlepfennigs 1987 von 4,5 % auf 7,5 % im Bundesdurchschnitt und zum anderen den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Erhöhung des Kreditrahmens des Verstromungsfonds. Beide Vorlagen - das wird wohl jedem so gehen - können uns nicht mit reiner, ungeteilter Freude erfüllen; denn sie machen deutlich, daß die Belastung der Verbraucher aus der geltenden Verstromungsregelung eine Größenordnung erreichen, die an die Grenze des wirtschaftlich und politisch Vertretbaren stößt.
Wir dürfen dabei allerdings auch nicht vergessen, daß wir diesen Fonds geschaffen haben, um aus Gründen unserer Versorgungsssicherheit Öl weitgehend aus der Verstromung herauszunehmen und durch die sichere heimische Kohle zu ersetzen. Der drastische Ölpreiseinbruch, der im Laufe des letzten Jahres eingetreten ist, hat zu einem sprunghaften Anstieg des Umfangs der Rechtsansprüche aus dem Ölausgleich geführt. Der Verstromungsfonds hat nunmehr ein Ausgabevolumen von 5,5 Milliarden DM erreicht.
Dieser Betrag setzt sich im einzelnen folgendermaßen zusammen. 1,9 Milliarden DM entfallen auf Ansprüche aus dem Jahre 1986, die der Fonds bisher nicht befriedigen konnte; eine Bugwelle, die mit entscheidend ist dafür, daß wir auf 7,5 % erhöhen müssen. Weitere 1,9 Milliarden DM sind notwendig, um Abschlagszahlungen - also ebenfalls keine volle Befriedigung der Ansprüche in diesem Jahr bei einer Auszahlungsquote von 60 % - leisten zu können. 1,7 Milliarden DM entfallen auf die sonstigen Ausgaben, die der Fonds in diesem Jahr zu leisten hat.
Um abschätzen zu können, was für eine Belastung es für den Stromverbraucher wäre, würde man das einzig und allein aus dem Kohlepfennig bezahlén, nenne ich folgende Zahl, die erschreckend ist. Wenn wir das alles nämlich mit dem Kohlepfennig bezahlen wollten, müßten wir ihn jetzt auf 12 % erhöhen. Daß ein solches Ausmaß die Stromverbraucher, insbesondere auch die stromintensive Industrie in nicht vertretbarer Höhe belasten würde, ist, glaube ich, offensichtlich.
Schon die Anhebung auf durchschnittlich 7,5 führt zu einer Belastung der industriellen, gewerblichen und privaten Verbraucher, die die Grenze des Vertretbaren erreicht. Die Wirkung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen stromintensiven Unternehmen macht diese Grenze bereits kritisch, und das nicht nur für die in dem Zusammenhang immer wieder genannte Aluminiumindustrie, sondern zunehmend auch für Unternehmen, die nicht nur im Bereich der Rohstoffgewinnung arbeiten.
Das sind auch für die Anwendung und Auswirkung der sogenannten Härteklausel bedeutsame Probleme. Daß die Verstromungsunternehmungen Leistungen, die sie aus dem Verstromungsfonds erhalten, bei der Strompreiskalkulation strompreismindernd berücksichtigen, verändert das Bild nicht grundsätzlich.
Ich begrüße es, daß die Koalition einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der den Kreditrahmen aus diesen Gründen auf 2 Milliarden DM ausweiten soll. Aus diesen Gründen ist die Ausweitung auch notwendig. Nur so wird es möglich, die Konsolidierung des Fonds für mehrere Jahre zu strecken und den Stromverbraucher nicht mit einem unvertretbar hohen Kohlepfennig so weit zu belasten, daß die Grenzen, die ich aufgezeigt habe, überschritten würden. Der Kredit muß auch möglichst bald, jedenfalls so rechtzeitig zur Verfügung stehen, daß die entstandenen Ansprüche noch in diesem Jahr bedient werden können. Es ist natürlich auch notwendig, daß der Gesetzentwurf die Rückführung des Kredits regelt. Er muß bis Ende 1991 getilgt sein; dies darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Vier Jahre erscheinen andererseits auch ausreichend, um den Kohlepfennig in den nächsten Jahren im vertretbaren Rahmen halten zu können.
Diese Konsolidierung des Fonds trägt dazu bei, den Jahrhundertvertrag abzusichern. Der Jahrhundertvertrag ist neben dem Hüttenvertrag der Eckpfeiler unserer Kohlepolitik. Wenn die Kohle auch künftig einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung unseres Landes leisten soll, brauchen wir bei der Verstromung der Kohle beide: sowohl den Hütten- als auch Jahrhundertvertrag. Daß die beiden Ihnen vorliegenden Vorlagen zeigen, daß wir diese Politik fortsetzen wollen, ist nicht zu bestreiten.
Es ist aber auch nicht zu bestreiten - ich will das hier ebenfalls mit Deutlichkeit sagen - , daß wir unserer Volkswirtschaft nicht jeden Preis zumuten können, sondern auf die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten im allgemeinen Rücksicht nehmen müssen. So geht z. B. die Nachfrage in den Bereichen Wärmemarkt und Stahlindustrie zurück, was mit strukturellen Problemen des Bergbaus zusammenhängt. Denn bei der Stahlindustrie garantieren wir über den Hüttenvertrag keine Mengen, sondern für die gelieferten
Mengen einen Wettbewerbspreis. Wenn also in diesen Bereichen solche Probleme auftreten, so kann die Bundesregierung ausfallende Nachfrage nicht ersetzen.
Was den Export subventionierter Kohle anbelangt, so haben wir bereits erklärt, daß ein Export mit eigener Versorgungssicherheit nichts zu tun hat, daß die Subventionierung hier deswegen auslaufen muß. Das haben wir deutlich gesagt. Jedermann weiß, woran er ist. Die Bundesregierung hat hier auch mit unbequemen Wahrheiten nicht hinter dem Berg gehalten.
Das gilt insbesondere auch für die Beschäftigungsprobleme, die damit verknüpft sind. Denn wer den Beschäftigten unerfüllbare Hoffnungen macht und die Nennung von Fakten, die unbezweifelbar sind, als Verbreitung von Angst und Schrecken bezeichnet, zementiert nur überalterte Strukturen in den Revieren und macht Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten unmöglich.
Zur Lösung der Probleme im Bergbau müssen alle Beteiligten beitragen. Das weiß der Bund. Die Bundesregierung hat mehrfach zugesichert, daß sie das Ihre tun wird, um diesen notwendigen Kapazitätsabbau sozial- und regionalpolitisch zu flankieren. Ich brauche das in diesem Zusammenhang jetzt nicht alles nochmals darzulegen. Ich will es aber hier erwähnen, damit deutlich wird, daß wir auch in diesem Bereich unsere Verantwortung übernehmen werden.
Wir müssen aber auch von den Unternehmen und den dort Verantwortlichen - übrigens auch von Landesregierungen, soweit sie Verantwortung tragen - erwarten, daß sie die notwendigen Entscheidungen treffen, und die müssen wir gemeinsam tragen. Es geht nicht an, daß das, was alle Beteiligten für notwendig halten, nur deswegen gemacht werden kann, weil die Bundesregierung bereit ist, die politische Verantwortung dafür zu übernehmen. Auch die Länder müssen ihren Teil der Verantwortung übernehmen.
Ich will noch einmal erwähnen - ohne es weiter auszuführen - , daß die gemeinsame Basis der Kohlepolitik in der Vergangenheit die Nutzung der Kernenergie umschloß. Wir bedauern - ich habe das schon in der Aktuellen Stunde am 1. April betont -, daß diese Gemeinsamkeit verlorengegangen ist.
Wenn wir heute wegen des Kohlepfennigs bei den Ländern Schwierigkeiten haben, die bisher eine große Solidarität mit den Revierländern bewiesen haben, dann braucht man sich darüber nicht zu wundern. Denn wenn man diesen Ländern bei ihrer Kernenergiepolitik Schwierigkeiten macht, aber gleichzeitig von ihnen verlangt, daß sie die Kohlepolitik mitfinanzieren, die sich in den Revierländern auswirkt, dann ist das natürlich ein Spannungsverhältnis, das diese Länder kaum mehr aushalten können.
({0}): Es gibt sogar
Minister, die das nicht verstehen! Landesminister!)
Ich habe deshalb überhaupt kein Verständnis dafür,
wenn gerade die Bergbauländer den Konsens über
Kohle und Kernenergie erneut in Frage stellen. Wir brauchen diese Gemeinsamkeit wieder, und wir werden sie bei vernünftigen Verstromungsregelungen auch im Anschluß an den Jahrhundertvertrag erneut brauchen.
Sie wissen, daß die Bundesregierung im Augenblick die Strukturelemente und Berechnungsmethoden des Kohlepfennigs überprüft. Wir führen dazu Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen. Dabei geht es insbesondere um den Ölausgleich, der mit rund 3,2 Milliarden DM im Jahre 1987 eine Größenordnung erreicht hat, die nicht mehr vertretbar ist. Wir müssen Vorsorge treffen, daß der Kohlepfennig und damit der Verbraucher in Zukunft nicht mehr Lasten in dieser Größenordnung zu verkraften hat.
Wer an der bisherigen Regelung starr festhalten wird, gefährdet die zur Aufrechterhaltung des Jahrhundertvertrages notwendige politische Unterstützung. Deswegen sollten alle auch diese Gespräche mit unterstützen.
Es liegt nicht im Interesse der deutschen Steinkohle, bis ins letzte auszuloten, wie belastbar die Solidarität der revierfernen Länder und der Stromverbraucher insgesamt ist. Es ist besser, sich auf einen Konsens zu beziehen, der immer noch möglich ist und der einen Fortbestand der Kohleförderung bei uns - wenn auch in einem reduzierten Umfang - sichern wird. Wir jedenfalls können einen politisch akzeptierten Kohlepfennig nur sicherstellen, wenn der Ölausgleich künftig auf ein deutlich niedrigeres Niveau plafondiert wird. Wir können gegenwärtig noch nicht erwarten, daß ein wieder ansteigender Ölpreis dieses Problem in den nächsten Jahren vom Markt her löst, wenn auch - auch das will ich hinzufügen - die jetzige Situation mit dem Ölpreis sicher nicht von Dauer sein wird, sondern damit gerechnet werden kann, daß der Ölpreis langfristig wieder steigen wird.
({1})
Die Prüfung der Strukturelemente und Berechnungsmethoden des Kohlepfennigs ist, wie gesagt, eingeleitet. Wir wollen das Mengenbild des Jahrhundertvertrages bis 1995 möglichst erhalten.
({2})
- „Möglichst" heißt, daß wir den politischen Willen haben, das zu erreichen, daß wir es aber nicht allein garantieren können, Herr Abgeordneter, weil wir dazu die von mir bereits zitierte Zusammenarbeit brauchen, übrigens auch Ihre Fraktion oder Ihre Partei; denn in allererster Linie Sie haben diesen Konsens zwischen Steinkohle und Kernenergie nicht akzeptiert und werden ihn wahrscheinlich auch nicht akzeptieren.
({3})
- Wenn Sie ihn nicht akzeptieren, dann machen Sie aber bitte dem Steinkohlebergbau keine unerfüllbaren Versprechungen. Das ist nämlich dann unsolide und nicht in Ordnung.
({4})
Die Verhandlungen mit der Elektrizitätswirtschaft, dem Bergbau, den Ländern und den beteiligten Bundesressorts auch über eine Anschlußregelung nach 1995 haben auf fachlicher Ebene begonnen. Deren Ergebnis wird die Grundlage für die anschließenden politischen Verhandlungen sein, die ich für den Herbst, also etwa im Monat September, erwarte. Jedenfalls müssen die Ergebnisse vorliegen, wenn über die Festsetzung des Kohlepfennigs 1988 entschieden werden soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war mein Bericht über den Stand der politischen Debatte bei Gelegenheit dieser beiden Vorlagen. Diese beiden Vorlagen jetzt zu beschließen ist unabdingbar, ist notwendig, um die Zukunft der Kohle zu sichern. Genauso notwendig ist es aber, diese Diskussion gleichzeitig über die Neustrukturierung des Kohlepfennigs zu führen; denn sonst werden wir Belastungen auffangen müssen, die wir nicht mehr auffangen können. Wir wollen also die Zukunft der Kohle in einer Weise sichern, die die gesamte Volkswirtschaft verkraften kann. Das ist die politische Absicht der Bundesregierung.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Jung ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bangemann, Sie stellen immer wieder den energiepolitischen Konsens in den Mittelpunkt der Diskussion.
({0})
Das ist Ihr gutes Recht, aber wir akzeptieren nicht, daß Sie eine Reihe von historischen Fakten einfach immer unterschlagen und diesen Konsens so gesehen einseitig interpretieren. Wir werden auch nicht akzeptieren, daß dieser Konsens in Zukunft einseitig definiert werden soll.
({1})
Ich glaube, da muß man sich schon aufeinander zubewegen.
Meine Damen und Herren, die Anhebung des Kohlepfennigs ist seit gut einem Jahr überfällig. Schon die letzte Anhebung, die wegen des drastischen Einbruchs des Ölpreises notwendig wurde, kam zu spät und fiel zu niedrig aus. Aus wahltaktischen Überlegungen haben Sie es versäumt, die notwendige Anpassung rechtzeitig vorzunehmen.
({2})
Statt dessen haben Sie leichtfertig eine Diskussion über die Zukunft des Kohlebergbaus vom Zaun gebrochen; die nach unserer Auffassung keine Perspektive erkennen läßt und alle Beteiligten verunsichert, nicht zuletzt die Bergleute an Ruhr und Saar.
({3})
Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion heute der Anhebung der Ausgleichsabgabe - das sehen wir natürlich auch im Zusammenhang mit der Ausweitung des Kreditrahmens des AusgleichsJung ({4})
fonds - zustimmt, dann nicht etwa deswegen, weil wir glaubten, damit seien schon alle Probleme gelöst.
({5})
Wir stimmen diesen Maßnahmen zu, weil sie die Ansprüche der Kraftwerksbetreiber, die Steinkohle verstromen, gegenüber dem Ausgleichsfonds wenigstens für dieses Jahr erfüllen, weil wir den Bergleuten ein Stückchen Sicherheit über ihre Zukunft zurückgeben wollen und weil wir auch demonstrieren wollen, daß wir jeden Schritt, wenn wir ihn nur verantworten können, mitgehen, um einen neuen energiepolitischen Konsensus zu suchen.
({6})
Aber mit diesem Schritt ist keines der Probleme, die mit der Sicherung des Jahrhundertvertrages verbunden sind, wirklich gelöst. Die Anhebung der Ausgleichsabgabe auf 7,5 % ist nur bis Ende 1987 terminiert. Wir fragen: Wie soll es im nächsten Jahr weitergehen? Auch die Ausweitung des Kreditrahmens auf 2 Milliarden DM, begrenzt bis 1991, ist keine klare Lösung. Wir fragen: Woher wollen Sie die Mittel zur Rückzahlung nehmen, wenn der Ölpreis nicht wieder ansteigt, worauf Sie ja offensichtlich spekulieren? Meine Damen und Herren, hier werden doch ungedeckte Wechsel auf die Zukunft gezogen. Entweder spekuliert die Bundesregierung auf ein rasches Wiederanziehen der Erdölpreise, oder Sie setzen den Hebel an, um den Jahrhundertvertrag aus den Angeln zu heben. Man könnte auch beides annehmen. Das erste hat Herr Bangemann im Wirtschaftsausschuß angedeutet, und das zweite steht - wenig verklausuliert ist es heute wiederholt worden - in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Dort heißt es:
Es besteht Einvernehmen, daß die Strukturelemente des Kohlepfennigs einschließlich seiner Berechnungsmethode neu entschieden werden müssen. Die Anpassung der Kapazitäten im Kohlebergbau muß sozial flankiert werden.
In die Begründung Ihres Gesetzentwurfes zum Dritten Verstromungsgesetz haben Sie hineingeschrieben:
Der Gesetzgeber kann in der Zwischenzeit . . . - nämlich bis 1991 prüfen, ob und ggf. welche Konsequenzen aus dem unerwarteten und drastischen Preisverfall des Mineralöls zu ziehen sind.
Meine Damen und Herren, das heißt doch im Klartext: Sie wollen die Mengen der Kohleverstromung reduzieren. Ich sage Ihnen: Damit stellen Sie das gesamte komplizierte Vertragswerk der Kohleverstromung in Frage.
({7})
Wenn der Kohlepfennig seine Ausgleichsfunktion nicht mehr erfüllt, werden die Kraftwerksbetreiber auf Öl und Gas umsteigen - es werden ja noch immer 25 000 MW Kraftwerkskapazität in Reserve gehalten - , oder sie setzen verstärkt Importkohle ein; die Kontingente sind ja noch gar nicht ausgeschöpft.
Genau dies ist es aber, was mit dem Dritten Verstromungsgesetz verhindert werden sollte. Dem Steinkohlenbergbau sollte die sichere Perspektive gegeben werden, wachsende Kohlemengen zur Verstromung einzusetzen, um - und dies ist genau der Punkt - die Politik „weg vom Öl" , damals begründet mit den drastischen Steigerungen der Erdölpreise, wirksam unterstützen zu können. Die Erhöhung des Ölausgleichs, die mit dem Ölpreisverfall verbunden ist, ist also nicht, wie es mitunter dargestellt wird, der Krisenfall, sondern der Vertragsfall, den der Gesetzgeber vorausschauend angenommen hat.
Wenn heute von den Herren Albrecht, Strauß und Barschel und auch von Ihnen, Herr Bangemann, das Argument der Strompreise strapaziert wird, hat das mit der politischen Entscheidung, die vor zehn Jahren getroffen wurde, überhaupt nichts zu tun. Damals ging es vor allem um Art und Mengen des Primärenergieeinsatzes, und diese Frage wurde zugunsten der heimischen Steinkohle entschieden.
Wenn Sie heute das Mengengerüst des Jahrhundertvertrages in Frage stellen, wenn Sie der Kohleverstromung keine klare Perspektive geben, nehmen Sie der Kohlevorrangpolitik ihr eigentliches Standbein. Das ist der Punkt!
({8})
Meine Damen und Herren, die Kohle ist die einzige heimische Energiequelle von nationaler Bedeutung. Wenn Sie sie absaufen lassen, werden wir wieder auf Gedeih und Verderb dem Weltenergiemarkt und seinen unkalkulierbaren Preisschwankungen ausgeliefert sein. Wir haben es doch zweimal erlebt, wie die Ölpreisexplosionen unsere Volkswirtschaft durcheinandergebracht haben. Heute werden 230 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten an Öl, Gas und Drittlandskohle importiert. Nur 60 Millionen Tonnen heimischer Steinkohle werden finanziell abgestützt, also etwas mehr als ein Viertel der Importenergie. Ich meine, wenn eine Volkswirtschaft wie unsere 1986 durch Preissenkung der Importenergien fast 40 Milliarden DM spart, dann sollte man erwarten, daß sie einen Bruchteil dieser Ersparnis für die jetzt notwendige Stützung des Bergbaus aufbringt.
({9})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bezeichnenderweise ist das Wort Kohlevorrangpolitik seit der Bundestagswahl von keinem Mitglied der Bundesregierung mehr in den Mund genommen worden, auch heute nicht. Ich meine, das ist sicher kein Zufall, denn Sie betreiben offenbar klammheimlich einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohle, um der Kernenergie, einschließlich der Plutoniumwirtschaft, Vorrang einzuräumen. Ich meine, das ist Ihr energiepolitsches Credo, auch wenn Sie das nicht ausdrücklich so sagen.
Die Energieversorgungsunternehmen, wenigstens die in den revierfernen Regionen, scheinen diese Politik zu unterstützen. Überraschen kann das nicht, denn die Versorgungslage im Energiebereich ist durch wachsende Überkapazitäten gekennzeichnet. Die Kohleverstromung steht nämlich in Konkurrenz zum
Jung ({10})
Kernenergiestrom. Denjenigen Energieversorgungsunternehmen, die hohe Investitionen zum Ausbau der Kernenergie getätigt haben, steht der Jahrhundertvertrag offenbar im Weg. Ihr Ziel ist es, der heimischen Kohle bei der Verstromung die Rolle einer Restgröße zuzuweisen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Ich gestatte keine Zwischenfrage.
({0})
Sollten bis zum Ende dieses Jahrzehnts weitere 4 000 Megawatt Kernenergie an das Netz gehen, dann kann bei Einhaltung des Jahrhundertvertrages ein Teil der Kohle nur noch auf Halde gelegt werden. Das würde bis zur Verlängerung des Jahrhundertvertrages unübersehbare Fakten schaffen, die ein Herunterfahren der Steinkohleförderung scheinbar plausibel begründen würden. Das ist exakt der Punkt, an dem der letzte Ansatz dieses vielbeschworenen energiepolitischen Konsenses zerstört werden würde, zu Lasten einer sicheren Energieversorgung, zu Lasten der Bergbauländer und nicht zuletzt zu Lasten der Bergleute, ihrer Familien und vieler Menschen, die wirtschaftlich von ihnen abhängen.
Es ist richtig - damit möchte ich auf den anfänglichen Punkt zurückkommen - , daß der energiepolitische Konsens seinerzeit 1977, nämlich bei der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms, „Kohle und Kernenergie" hieß. Aber dabei wird heute zweierlei geflissentlich unterschlagen, nämlich erstens, daß die Kohlevorrangpolitik ein Bestandteil dieses Konsenses war. Dazu möchte ich aus dem Vorwort des Energieprogramms zitieren:
Die Steinkohle bleibt neben der Braunkohle die bedeutendste heimische Energiequelle. Die Bundesregierung wird auch weiterhin für ihre vorrangige Nutzung im Rahmen der deutschen Energieversorgung eintreten.
({1})
Angesichts der von der Natur vorgegebenen Kostennachteile unseres Steinkohlebergbaus ist dieses Ziel nur mit einem umfangreichen System gewichtiger öffentlicher Hilfen und Schutzmaßnahmen zu erreichen.
Unterschrieben von Graf Lambsdorff im Dezember 1977.
({2})
Zweitens wird unterschlagen, daß die damaligen Prognosen des Energieverbrauchs von der tatsächlichen Entwicklung längst überholt sind. 1977 wurde prognostiziert, daß wir im Jahre 2000 einen Primärenergieverbrauch von 600 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten, davon 120 Millionen Tonnen Kernenergie, haben werden. Zehn Jahre früher, 1967, ging man noch von 800 Millionen Tonnen aus, wozu die
Kernenergie 250 Millionen Tonnen beitragen würde. Heute, 1987, gehen sogar konservative Schätzungen nur noch von 400 Millionen Tonnen aus, wobei der Kernenergieanteil 50 bis 60 Millionen Tonnen betragen würde.
Diese Gesichtspunkte sind nach meiner Auffassung bei der Diskussion über den energiepolitischen Konsens mit einzubeziehen, weil die Veränderungen, die bislang stattgefunden haben, die Fakten hier und heute völlig unterschiedlich erscheinen lassen.
({3})
In den beiden Vorjahren, 1985 und 1986, haben wir 385 Millionen t Steinkohleeinheiten verbraucht. Der Energieverbrauch hat also nicht mehr zugenommen. Er stagniert, und dies bei wachsendem Bruttosozialprodukt.
Vor zehn Jahren konnte sich noch kein Mensch vorstellen, welchen Erfolg die Bemühungen um Einsparung von Energie erzielen würden.
({4})
Wenn sich das Energiesparen fortsetzt und sich eine bessere Energieausnutzung durchsetzt - die Eigendynamik dieses Prozesses ist gar nicht zu unterschätzen, auch wenn die Bundesregierung das Energiesparen nicht mehr so stark fördert, wie das von früheren Regierungen gemacht worden ist - , dann spitzt sich das Kapazitätsproblem noch einmal zu. Dies macht Grundentscheidungen über die energiepolitischen Prioritäten unabweisbar. Ich sage: Sie werden diesen Auseinandersetzungen nicht ausweichen können. Dazu sind die Fragen zu wichtig.
Wir Sozialdemokraten haben im vergangenen Jahr wichtige Entscheidungen getroffen.
Wir wollen erstens einen geordneten Rückzug aus der Kernenergie in einer Frist von zehn Jahren.
({5})
Dies war in erster Linie kein volkswirtschaftliches Kalkül,
({6})
dies ist die Konsequenz aus der Einsicht, daß das Restrisiko dieser Technologie zu hoch ist. Tschernobyl hat zu unser aller Entsetzen gezeigt, daß dieses Restrisiko sehr real ist, daß der unwahrscheinliche Fall einer Reaktorkatastrophe eintreten kann. Dies ist nicht zu verantworten, weil das Ausmaß des Schadens räumlich und zeitlich nicht eingegrenzt werden kann.
Wir wollen zweitens die Kohlevorrangpolitik weiterführen.
({7})
Das heißt: Schon jetzt, unabhängig von dem Streit, ob Kernenergie- oder Kohlestrom billiger ist, wollen wir den einzigen bedeutenden heimischen Energieträger, die Kohle, erhalten, deren Technologie beherrschbar ist und die umweltfreundlich genutzt werden kann.
({8})
Wir wollen drittens Energieeinsparung, eine bessere Energienutzung und die Entwicklung und den
Jung ({9})
Einsatz alternativer Energien aus energiewirtschaftlichen, aus volkswirtschaftlichen und aus umweltpolitischen Gründen vorantreiben.
Welche Prioritäten Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, setzen wollen, müßten Sie, meine ich, erst noch erklären. Mit den heutigen Entscheidungen über den Kohlepfennig, haben Sie nur eine Atempause gewonnen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie Sie sie nutzen werden. Wenn Sie zur Kohlevorrangpolitik zurückkehren, werden Sie jederzeit die Unterstützung der Opposition finden.
Wir sind davon überzeugt: Es gibt in der Bevölkerung einen breiten Konsensus, daß für eine sichere und gefahrlose Energieversorgung finanzielle Opfer gebracht werden müssen.
({10})
Es gibt auch Verständnis dafür, daß der Rückzug aus der Kernenergie nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Es gibt aber nach meiner Einschätzung kein Verständnis dafür, daß die Kohleförderung immer weiter eingeschränkt wird und damit Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden
({11})
mit dem einzigen Ergebnis, daß wir immer stärker von der Kernenergie und ihren Risiken abhängig werden. Darum müssen wir heute umsteuern.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Vorlagen, die wir heute hier beraten, haben in den beiden Ausschüssen, Haushalts- und Wirtschaftsausschuß, eine einstimmige Zustimmung erfahren. Beide Vorlagen stehen auch in der Kontinuität der bewährten Energiepolitik, insbesondere der Kohlepolitik der Bundesregierung. So heißt es im letzten Energiebericht:
Der Versorgungsbeitrag der deutschen Steinkohle ist mit erheblichem Einsatz öffentlicher Mittel gehalten worden. Dies geschah zur Sicherheit der Versorgung, aber auch aus regional- und sozialpolitischen Gründen.
In demselben Kontext stehen auch die Aussage in der Regierungserklärung vom 18. März 1987 und die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vor dem Bundeskabinett am 25. März 1987, wo es heißt:
Auf Kohle als einzige nennenswerte, nationale Energiereserve kann nicht verzichtet werden.
Es heißt weiter, die Solidarität in der Energiepolitik dürfe keine Einbahnstraße sein.
({0})
Im Geiste dieser Aussagen leisten wir heute einen weiteren Schritt zur Erfüllung des sogenannten Jahrhundertvertrages. Dieser Jahrhundertvertrag ist für den Steinkohlebergbau lebensnotwendig.
Nur: In einer solchen Aussprache müssen ein paar Fakten wiederholt werden. Zunächst ist es ein Faktum, daß der Jahrhundertvertrag eine partnerschaftliche Vereinbarung zwischen dem Steinkohlebergbau und der Elektrizitätswirtschaft ist. Es gibt im Prinzip keine gesetzliche Verpflichtung der Elektrizitätswirtschaft, jährlich 40 Millionen Tonnen und mehr Steinkohle aufzukaufen und zu verstromen. In unserer Wirtschaftsordnung hat der Staat nicht die Möglichkeit, den Elektrizitätswerken vorzuschreiben, wo sie ihre Energieträger einkaufen. Der Staat hat mit dem Jahrhundertvertrag die Voraussetzungen geschaffen, daß ein Anspruch auf die Ausgleichsabgabe besteht. Werden diese Voraussetzungen gestrichen oder in ihrer Substanz geändert, dann entfällt auch die Verpflichtung, Steinkohle in dem genannten Umfange abzunehmen.
Nun stehen die Verhandlungen für die Anschlußregelungen nach 1995 an, wobei - der Wirtschaftsminister hat das eben wiederholt - eine Überprüfung der Strukturelemente und Berechnungsmethoden dieser Ausgleichsabgabe angekündigt ist. Wer hätte für einen solchen Wunsch kein Verständnis angesichts der Beträge, die heute hier zur Debatte stehen? Das ist eine Diskussion, die vor allem in revierfernen Ländern geführt wird.
Daß der Beihilfebedarf diese Größenordnung erreicht hat, ist nicht Schuld des Steinkohlebergbaus, sondern hat seine Ursachen im Verfall der Preise für Öl und Kraftwerkskohle aus Drittländern. Das ist auch ein Faktum. Das bedeutet, je tiefer die Weltmarktenergiepreise sind, desto höher sind die Kosten für den Schutz der deutschen Kohle, oder, anders ausgedrückt, je entspannter sich die Weltenergielage darstellt, desto höher sind die öffentlichen Hilfen. Wenn man es noch von einer anderen Seite beleuchtet, bedeutet dies, wenn unsere eigene, heimische Energie keine öffentlichen Mitteln mehr benötigt, dann haben wir wahrscheinlich eine Weltenergiekrise. In einer Zeit der Energieüberflüsse ist es schwierig, in der Öffentlichkeit für diese Energiesicherungspolitik einzutreten. Dennoch ist es angesichts des Zwischenfalls am Golf, den wir erlebt haben, erforderlich, darauf hinzuweisen, wie verwundbar unsere Energieversorgung ist. Insofern stimme ich Ihnen zu, Kollege Jung.
({1})
- Eben.
Faktum ist aber auch, daß im Jahrhundertvertrag eine Friedenspflicht vereinbart worden ist, die praktisch bedeutet, daß der Bergbau und die Stromwirtschaft den Konsens zwischen Steinkohle und Kernenergie voll anerkennen und nicht in Frage stellen.
Müller ({2})
Dieser Konsens ist aber von der SPD aufgekündigt worden.
({3})
Dieser Konsens war eine Gemeinsamkeit, die aus politischer Überzeugung entstanden ist, verehrte Kollegen, nicht mit Hilfe einer Bundeskompetenz durchgesetzt wurde, sondern unabhängig von der parteipolitischen Konstellation in Bund und Land.
Dieser Konsens - das haben wir eben wieder gehört - wird jetzt mit einer bemerkenswerten Rabulistik umdefiniert. Der Wirtschaftsminister hat darauf abgehoben. Als wir hier im Deutschen Bundestag vor etwa sechs Wochen diese Zusammenhänge zum letzten Mal diskutiert haben, hat der Wirtschaftsminister des Saarlandes den künftigen Konsens in der Energiepolitik tatsächlich so definiert: das sei einerseits Kohlevorrang und andererseits Finanzierung des Ausstiegs. Dies begründet der saarländische Wirtschaftsminister auch noch in der Öffentlichkeit, indem er für die Kernenergie einen wirtschaftlichen Nachteil ausrechnet. Schauen Sie sich die Berechnungen an, Herr Kollege Jung. Dort wird ausdrücklich auf Importkohle und ihren vermehrten Einsatz gesetzt. Auch das Hauffsche Ausstiegspapier setzt auf Zuwächse bei der Importkohle. Deswegen dürfen Sie sich hier nicht so hinstellen und sagen, wir setzten auf die Importkohle.
Die Wirtschaftsjunioren des Saarlandes sagen, die Vorstöße Hoffmanns beinhalteten die Gefahr, daß sich das Saarland ins energie- und wirtschaftspolitische Abseits manövriere. Diese Vorstöße würden der saarländischen Wirtschaft mehr schaden als nützen. Die Wirtschaftsjunioren sagen sogar wörtlich: Wer die Hand aufhält, sollte sich nicht distanzieren und die Konsensfähigkeit belasten. Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen.
Deswegen muß eine Aussprache wie die heutige auch genutzt werden, einen Beitrag dafür zu leisten, den bewährten Konsens zwischen Kohle und Kernenergie wieder herzustellen.
Ich finde es in diesem Zusammenhang schon erfreulich, wenn dieser Tage aus Kreisen der nordrhein-westfälischen Landesregierung verlautet, man wolle sich ohne alle Illusionen kooperationswillig und kooperationsfähig zeigen; man verstehe sich nicht mehr als Gegenmodell zur CDU/CSU-FDP-Bundesregierung; die SPD Nordrhein-Westfalens könne nicht weiter Rammbock für die Nürnberger Parteitagsbeschlüsse sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön, Kollege Stratmann.
Herr Kollege Müller, gehört es auch zu dem vielbeschworenen Konsens von Kohle und Kernenergie, daß die Bundesregierung im Jahre 1986 und 1987 mitverantwortlich ist für den Ausbau der Atomenergie und gleichzeitig in ihrem Verantwortungsbereich - Saarbergwerke - zustimmt, daß die Zeche Camphausen schließt? Das müssen Sie als
Saarländer doch als krassen Widerspruch zu dem Konsens verstehen.
Sie wissen alle, daß die Investitionsplanungen in der Energiewirtschaft langfristig angelegt sind. Das kann man nicht, wie Sie es hier eben in Ihrer Frage darstellten, an einem Punkt anbinden. Das sind langfristige Entwicklungen.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, zu Camphausen, werde ich zum Ende meiner Ausführungen noch etwas sagen.
Nun möchte ich zu den bemerkenswerten Anzeichen, die wir ja jetzt haben, noch eine andere Stimme nachschieben, die mir dieser Tage zur Kenntnis gekommen ist. So kann man den Zeitungen entnehmen, daß der nordrhein-westfälische SPD-Landtagsabgeordnete Marmulla - so soll er heißen ({0})
erklärt hat, er sei davon überzeugt, daß die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen einen politischen Vorstoß unternehmen werde, um den energiepolitischen Konsens zwischen Kohle und Kernkraft wiederherzustellen.
({1})
Ich wünsche mir, daß dieser Umdenkungsprozeß auch im Saarland innerhalb der SPD um sich griffe. Kollege Brück, ich wünsche mir sehr herzlich, daß auch Sie dazu einen Beitrag leisten.
Herr Abgeordneter, bei Herrn Stahl besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
Ja, bitte schön.
Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie, wenn Sie dem Herrn Wirtschaftsminister eben zugehört haben, fragen, ob der Wirtschaftsminister in Ihren Augen glaubwürdig ist, wenn er hier vor dem Deutschen Bundestag erklärt, daß auf Grund der besonderen Situation der Steinkohlenabsatz zurückgegangen sei und auch die Förderung zurückgefahren werden solle, dabei aber auch Ihnen als Abgeordneten aus dem Saarland keine realen Zahlen genannt hat? Was halten Sie davon? Ist das glaubwürdig?
Verehrter Herr Kollege, Ihnen als jemandem, der diese Zusammenhänge kennt, darf ich doch noch einmal sagen, daß wir jetzt hier über den Anteil des Kohleabsatzes reden, der in die Verstromung geht. Ich darf Sie daran erinnern, daß noch nie eine so große Menge deutscher Steinkohle verstromt worden ist,
({0})
aufbauend auf diese Verträge, wie zum jetzigen Zeitpunkt.
({1})
Müller ({2})
Das ist ein Stück Glaubwürdigkeit auch dieser Politik.
Ich darf Sie weiter daran erinnern, verehrter Herr Abgeordneter, daß die unabweisbaren Kapazitätsschnitte darauf zurückzuführen sind, daß angesichts der Stahlsituation, die so ist, wie sie ist, und die wir leider beklagen müssen, weniger Kokskohle gebraucht wird und daß der Kohleabsatz im Wärmemarkt eben nicht die Entwicklung nimmt, wie wir sie uns eigentlich vorstellen.
({3})
Aber lassen Sie mich noch ein letztes Faktum ansprechen.
Herr Abgeordneter - Müller ({0}) ({1}): Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. Aber ich bitte um Verständnis, daß ich den letzten Gedanken hier noch vorbringen möchte.
Ein letztes Faktum muß ich also noch ansprechen.
({2})
Bergleute und Bergbau müssen immer für einige Jahre im voraus verläßlich planen können. Dazu gehört die Kenntnis der Förderziele, und dazu gehört auch das Vertrauen auf die zugesagten Mittel. Man kann Bergbau nicht mit der Methode stop and go betreiben. Einmal aufgegebene Standorte sind unwiderruflich verloren. Im Bergbau gibt es kein Einmotten von Anlagen. Ich sage das ganz bewußt von dieser Stelle aus an die Adresse der Bundesregierung, die ja bei Saarberg den Anteilseigner Bund vertritt: Der Aufsichtsrat hat in seiner Sitzung gestern keine Grubenschließungsbeschlüsse gefaßt, auch keinen Beschluß, die Grube Camphausen zu schließen.
Herr Abgeordneter, nun muß ich Sie aber unterbrechen.
Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident.
({0})
Ich bitte die Bundesregierung als Anteilseigner, alle Anstrengungen zu unternehmen, bei den notwendigen Kapazitätsschnitten an der Saar ohne eine Grubenschließung auskommen zu können; denn die Kohle ist ein Stück saarländischer Identität. Deswegen sind wir auch für diese beiden Vorlagen.
Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Präsident, für Ihre Geduld.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Herr Kollege Müller, ich habe vermißt, daß Sie, wie Sie angekündigt hatten, zu der Stillegung der Zeche Camphausen im Saarland Stellung genommen haben.
({0})
Offensichtlich sind Sie auch dazu nicht in der Lage.
Wir GRÜNEN stimmen der geplanten Erhöhung des Kohlepfennigs zu. Wir stimmen ebenfalls der Ausweitung des Kreditrahmens für den Ausgleichsfonds zu, und zwar weil wir unter den gegebenen Bedingungen kurzfristig keine Alternative sehen, um der heimischen Steinkohle absatzpolitisch und arbeitsmarktpolitisch zu helfen.
Wenn das ganz deutlich geworden ist, möchte ich zu den Überlegungen, die für eine Neuberechnung des Kohlepfennigs im Gange sind, den Vorschlag in die Debatte bringen, ob nicht der Ersatz des Kohlepfennigs durch eine Importabgabe auf Öl und Gas ein für die Kohle effektiveres und gleichzeitig ökologischeres Instrument wäre. Mit einer solchen Importabgabe könnte man - das ist für die Volkswirtschaft auch wichtig - den Ölpreis und - damit verbunden - den Gaspreis mittel- und langfristig auf einem relativ stabilen Niveau halten. Man könnte gleichzeitig einen ökonomischen Anreiz zu Energieeinsparbemühungen damit verbinden; denn nachweislich ist in den Jahren 1986 und 1987 nach dem Ölpreisverfall der Verbrauch von Öl sowohl im Heizöl- als auch im Kraftstoffbereich weithin gestiegen. Gutachten haben erwiesen: Die Raserei auf den Autostraßen hat wieder zugenommen, weil das Benzin billiger geworden ist und die Leute deswegen meinten, mehr rasen zu können.
Eine Importabgabe auf Kohle und Gas könnte einen weiteren Energieeinsparanreiz bringen und ist insofern ökologisch wirksamer als der Kohlepfennig. Sie kann gleichzeitig die Funktion des Kohlepfennigs erfüllen, wenn die Einnahmen aus der Importabgabe in einen Fonds gehen, der ganz gezielt insbesondere kommunale Energieversorgungsunternehmen unterstützt, die Kohleheizkraftwerke bauen und die heimische Steinkohle verstromen. Über ein solches Instrument zu diskutieren ist, denke ich, in der jetzt beginnenden Debatte wichtig. Ein solcher Fonds wäre auch kurzfristig als Ersatz für den Kohlepfennig möglich.
Unter mittel- und langfristiger Perspektive möchte ich hier eines ganz deutlich sagen, insbesondere auch an die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie: Wir brauchen eine grundlegende Änderung der Kohlepolitik. Wir brauchen, klipp und klar, eine Absage an eine Kohlevorrangpolitik. Das möchte ich auch sehr deutlich dem Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie, Herrn Meyer, sagen, der hier unter uns sitzt. Um gleich Mißverständnisse auszuschalten: Eine ökologisch orientierte Energiepolitik kann gar nicht Kohlevorrangpolitik sein, sondern bedeutet eindeutig Vorrangpolitik für Energieeinsparung und Alternativenergien.
({1})
Herr Jung, es ist einfach nicht wahr, daß wir in der Bundesrepublik außer der Kohle keine nationale Energiequelle von Bedeutung haben. Wir haben ein riesiges, unerschlossenes Potential an Energieeinsparung und Alternativenergien - ich betone: unerschlossen -,
({2})
weil Jahr für Jahr - die Schätzungen gehen auseinander - ca. 6 bis 9 Milliarden DM an Subventionen
in die heimische Steinkohle gehen. Dem stehen jährliche Subventionen zur Förderung der Alternativenergien in der Größenordnung von nur 350 Millionen DM gegenüber. 6 bis 9 Milliarden DM Kohlesubventionen, 350 Millionen DM Subventionen für Alternativenergien! Wir sagen: Das ist ein krasses Mißverhältnis. Was wir brauchen, ist ein Umbau der Subventionspolitik, mittel- und langfristig angelegt, nicht durch kurzfristigen Bruch, eine Verlagerung der Subventionen von der heimischen Steinkohle in den Alternativenergiebereich. Ich möchte für eine solche Perspektive Eckpunkte grüner Kohlepolitik darstellen.
({3})
Aber vorher, Herr Abgeordneter, möchte gerne der Kollege Stahl eine Frage stellen. - Bitte schön.
Herr Kollege Stratmann, bin ich richtig informiert, habe ich das richtig gelesen, daß Ihr Kollege Fischer, der wohl einer der führenden Leute Ihrer Partei ist, in Hessen gefordert - und auch gutachterlich belegt - hat, daß beim Ausstieg aus der Kernenergie im besonderen Steinkohle, vorrangig deutsche Steinkohle, eingesetzt werden soll? Stimmt das mit dem, was Sie jetzt hier in einzelnen Punkten darstellen, überein?
({0})
: Das ist eine gute Frage, weil sie gut zu beantworten ist. Herr Fischer hat recht mit dem, was er für das kurzfristige Ausstiegsszenario der GRÜNEN gesagt hat. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist im Rahmen eines Jahres möglich. Wir brauchen dann eine Substitution des Atomenergiestroms in der Größenordnung von 40 Millionen t Steinkohleeinheiten durch heimische Steinkohle, durch Importkohle oder durch Importöl und -gas im Rahmen von einigen Jahren. Ich redete gerade von einer mittel- und langfristigen Perspektive. Da müssen wir das Tabu brechen - das will ich gleich noch im einzelnen begründen - , daß wir eine Steinkohlefördermenge in der Dimension von 80 Millionen Tonnen im Jahr auf Dauer, auch bis ins nächste Jahrtausend hinein, aufrechterhalten müssen. Das ist also kein Widerspruch zu Herrn Fischer. Im Gegenteil: Sie müssen in kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Perspektiven denken.
Jetzt gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Klejdzinski. - Bitte schön.
Sie sind doch ein Kind des Ruhrgebiets, Sie kommen aus Bochum. Würden Sie auch bereit sein, Ihre Absage an die Kohlevorrangpolitik den Bergleuten im Ruhrgebiet zu erklären, und würden Sie auch sagen, daß Sie sie langfristig um ihre Arbeitsplätze bringen wollen?
Oh, Herr Klejdzinski! Zu dem ersten Teil der Frage: Ich war, bin und werde bereit sein, das auch vor Bergleuten und ihren Familien darzustellen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Es ist völlig absurd, aus einer Umorientierung in der Kohlepolitik schlußzufolgern, wir würden Arbeitsplätze vernichten. Deswegen gehe ich jetzt in den letzten drei Minuten, die mir verbleiben, auf Eckpunkte grüner Kohlepolitik, die auch eine ökologische Energiepolitik ist, ein.
Erstens. Der Sofortausstieg aus der Atomenergie ist notwendig und im Zeitraum eines Jahres möglich. Damit schalten wir einen Verdrängungskonkurrenten der heimischen Steinkohle aus.
({0})
Es besteht ja mittlerweile zwischen GRÜNEN und Sozialdemokraten Konsens, daß der Ausbau der Atomenergie die heimische Steinkohle - übrigens auch die heimische Braunkohle - verdrängt.
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Zweitens. Wir werden - im Widerspruch zu den Ergebnissen der dritten Kohlerunde - bei der im Herbst anstehenden nächsten Kohlerunde ebenfalls keinem Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau in der heimischen Steinkohle zustimmen, solange noch ein Atomkraftwerk in der Bundesrepublik betrieben wird. Herr Klejdzinski, das zu Ihrer Frage.
Drittens. Wir sind - und waren in der Vergangenheit immer - ganz entschieden für die Einhaltung des Jahrhundertvertrags, was die Kohleseite betrifft, also für die Einhaltung der Verstromungsmenge: jetzt 40 Millionen, 1995 45 Millionen bis 47,5 Millionen Jahrestonnen.
Viertens. Für die Zeit nach 1995, nach Auslaufen des Jahrhundertvertrags, werden heute die Weichen gestellt. Da sagen wir: In der Perspektive „Ende der 90er Jahre, nächstes Jahrhundert, nächstes Jahrtausend" müssen wir einen erheblichen Teil der Kohlesubventionen zum rechtzeitigen Aufbau von Energiealternativen in den Kohlerevieren - vor Ort selbst - nutzen.
({2})
Wenn wir den Prozeß heute einleiten, können wir mit Milliarden Subventionsmitteln erstens im Alternativenergiebereich und in der Energieeinspartechnik mehr Arbeitsplätze als im Kohlebereich schaffen. Es ist ja unbestreitbar, daß die Kohle unheimlich kapitalintensiv ist und, gemessen an dem Kapital- und Subventionseinsatz von 6 bis 9 Milliarden DM pro Jahr, relativ wenige Arbeitsplätze schafft. Mit dem gleichen Subventionseinsatz können Sie in den Kohlerevieren wesentlich mehr Arbeitsplätze schaffen.
({3})
Zweitens. Wir brauchen aus Versorgungsgründen nicht die 80 Millionen t heimische Steinkohle, sondern wir werden, wenn wir heute energisch in Alternativenergien einsteigen, gegen Ende des Jahrhunderts einen erheblichen Anteil der Primärenergieversorgung durch Alternativenergien - mit mehr heimischen Arbeitsplätzen - abdecken können.
Drittens. Was die regionalpolitische Begründung betrifft, daß wir aus regional- und arbeitsmarktpolitischen Gründen die heimische Steinkohleförderung
brauchten, Herr Klejdzinski, so kann ich nur sagen: Aus ökologischen Gründen ist es sinnvoll, heute den regionalen Umbau der Kohlereviere einzuleiten. Sie nennen das „Zukunftsprogramm Montanregion". Das bedeutet doch - ich meine, hier besteht in einigen Fragen Konsens - Investitionen heute, um heute die Arbeitsplätze von 1995 und danach, die ökologisch verträglich sind, aufzubauen. Wir sagen ebenfalls eindeutig, auch in unserer mittelfristigen Perspektive: Wir werden keinem Kapazitätsabbau bei der heimischen Steinkohle zustimmen, bevor nicht der Ersatz an Arbeitsplätzen in den Regionen aufgebaut ist.
({4})
Aber mit diesem Aufbau wollen wir heute beginnen, und wir wollen deshalb auch konzeptionell einen Umbau der Kohlesubventionen einleiten.
Zum Schluß: Eine Umorientierung weg von einer Kohlevorrangpolitik hin zu einer ökologisch verträglichen Kohlepolitik
({5})
schafft Arbeitsplätze, und zwar mehr als bei der heutigen Kohlepolitik, und ist ökologisch verträglich. Ich finde es wichtig, daß wir in dieser Richtung einen Konsens in Sachen Kohle- und Energiepolitik suchen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin immer wieder fasziniert, wie jenseits ökonomischer und rechtlicher Tatsachen Phantasiegebäude aufgebaut werden, wie etwas denn wohl sein könnte.
Mit den Vorlagen hier erfüllen wir die Kärrnerarbeit zur Finanzierung und Erfüllung der Rechtstitel, die sich zur Sicherung des Jahrhundertvertrags aus dem Dritten Verstromungsgesetz ergeben.
({0})
- Frau Unruh, heute morgen hat jemand zu mir gesagt: Die Kollegin schläft wohl noch; ich höre sie gar nicht schreien.
({1})
Offensichtlich sind Sie wach geworden. Aber wissen Sie - ehrlich gesagt - : Sie sollten etwas Rücksicht auch auf unsere Nerven nehmen. Humanisierung der Arbeitswelt sollte auch für uns gelegentlich einmal
({2})
ein Thema sein. Also schrauben Sie die Lautstärke etwas herunter!
({3})
- Herr Präsident!
Ja, ich wollte gerade eingreifen. Aber vielleicht gelingt es mir auch durch einen Blickkontakt zu Frau Unruh, sie aus ihrer Unruhe zur Ruhe zu bringen.
({0})
Also, meine Damen und Herren: Mit diesen beiden Vorlagen, denen meine Fraktion zustimmt, schaffen wir die finanziellen Voraussetzungen dafür, daß wir die Rechtstitel erfüllen können. Daß hierbei mit der Befristung der Rückzahlungstermine auch der Kreditplafond erhöht worden ist, halten wir für notwendig und für vernünftig. Denn diese Erhöhung des Kohlepfennigs hätte statt auf 7,5 % auf 12 % bis 13 To erfolgen müssen, wenn man alle Ansprüche ohne Kredite hätte finanzieren wollen.
Dies macht das ganze Ausmaß dessen deutlich, wie grundlegend sich die Rahmenbedingungen auf den internationalen Energiemärkten verändert haben. Davor können wir die Augen nun leider - leider! - nicht verschließen. Entgegen allen Prognosen war das Ölpreistief offenbar nicht von ganz kurzer Dauer. Es hält nun schon eine ganze Weile an, und alle uns vorliegenden seriösen Prognosen meinen, daß das Niveau von 18 bis 20 Dollar pro Barrel auch in der Zukunft wohl kaum nennenswert überschritten werden wird. Ein Niveau von 28 bis 30 Dollar pro Barrel wird sicherlich kurzfristig nirgendwo wieder zu erwarten sein. Das heißt: Wir haben mit dieser aktuellen Lösung unserer finanziellen Probleme natürlich nicht die Zukunftsprobleme gelöst.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Jung, mit Worten läßt sich trefflich streiten. Kohlevorrangpolitik: Was heißt „Vorrang", wie definieren wir „Vorrang"? Heißt „Vorrang" Bedienung des Energiemarktes ausschließlich mit Kohle, solange dies möglich ist, und kommt erst nachrangig alles andere? Das, was unter Kohlevorrangpolitik, so wie Sie es aus dem Energiebericht zitiert haben, der in dieser Formulierung nach wie vor seine Gültigkeit hat, zu verstehen ist, ist die Komponierung diverser Primärenergiequellen für unsere Energieversorgung, so wie wir das immer definiert haben. Wir wollten unseren Energiebedarf aus möglichst verschiedenen Quellen decken, wir wollten ihn durch langfristige Verträge sichern. Wir wollten, daß dabei ein angemessener Beitrag auch aus den heimischen Energieressourcen, aus Braunkohle und aus Steinkohle, geliefert wird. Dafür staatliche Mittel einzusetzen waren wir bereit und sind wir bereit. Denn, meine Damen und Herren, würden wir sie nicht einsetzen, gäbe es längst keinen Steinkohlebergbau in der Bundesrepublik Deutschland mehr.
({0})
Und eines will ich sagen: Es hat im Zusammenhang mit den Bergbauproblemen, die wir im Ruhrgebiet ja nun wirklich seit vielen Jahren kennen, nur ein einziges Mal schwarze Fahnen, in Dortmund-Huckarde, gegeben.
({1})
- Schwarze Fahnen erschrecken mich mehr als rote. ({2})
Seitdem haben wir alle Prozesse, die sich hier für alle Beteiligten schmerzhaft vollzogen haben, sozial so abgefedert, daß bis heute kein Bergmann in die Arbeitslosigkeit geschickt worden ist.
({3})
- Bis heute, das gilt auch für die letzte Zeche meiner Heimatstadt, Minister Stein. -({4})
Eines ist sicher: Wenn wir im Herbst die nächste Kohlerunde zu bestreiten haben werden, dann wird es angesichts der Entwicklung auf den internationalen Energiemärkten ohne gewisse weitere Kapazitätsschrumpfungen nicht abgehen. Ein Weiteres ist sicher: daß die vorhandenen staatlichen Mittel auf die betriebswirtschaftlich rentabelsten Zechen konzentriert werden müssen. Diese Dinge werden notwendig sein; davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Aber wir werden Wert darauf legen, daß die soziale Abfederung eines solchen Umstrukturierungsprozesses - wie in der Vergangenheit - vertretbar gestaltet werden wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen den Jahrhundertvertrag, der nun wirklich die Säule des Verbrauchs von heimischer Steinkohle ist, über 1995 hinaus sichern.
({5})
- Kein Mensch wird sich, bevor er in solche Verhandlungen geht, mit Zahlen irgendwo offiziell festlegen.
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- Entschuldigung, wir haben welche, aber wir werden sie nicht öffentlich in dieser Form diskutieren. - Meine Damen und Herren, wir müssen diese Geschäftsgrundlagen sichern, und dazu gehört der Konsens, der hier vielfach angesprochen worden ist.
({7})
Wir müssen diesen Konsens wiederherstellen. Ich bin hoffnungsfroh angesichts neuer strategischer Überlegungen in meinem Heimatland NRW, daß wir in den essentiellen Fragen wieder zueinanderfinden werden; denn wettbewerbsfähige Strompreise haben wir durch den Verbund von Kernenergie- und Kohlestrom und durch die staatlichen Subventionen für den Koh-lestrom.
({8})
Meine Damen und Herren, diesen Konsens wollen wir wiederherstellen. Wir wollen der heimischen Kohle eine Zukunft geben.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einigen Monaten unterhielten sich in der Europäischen Akademie Otzenhausen im Saarland Vertreter der saarländischen und der lothringischen Wirtschaft über die wirtschaftlichen Probleme der beiden Regionen. Sie wissen ja, meine Damen und Herren, wir sehr das Schicksal dieser beiden Grenzregionen miteinander verknüpft ist. Sie wissen auch, wie sehr das Schicksal diese beiden Regionen gebeutelt hat.
Als Teilnehmer an diesem Gespräch sagte ich in der Diskussion an einer Stelle: Manchmal kann man ja nur mit Wehmut auf die Zeit zurückblicken, in der sich Frankreich und Deutschland um Lothringen und um das Saarland gestritten haben.
Natürlich bin ich in Wirklichkeit froh, daß es diesen Streit nicht mehr gibt. Aber aus meinen Worten sprach bittere Ironie; denn Lothringen und das Saarland waren wegen ihres Reichtums zum Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland geworden. Beide Regionen waren wichtige Stützen bei der Industrialisierung Deutschlands und Frankreichs. Ihre Kohle und ihr Stahl wurden dringend benötigt.
Was für das Saarland gilt, gilt in Deutschland natürlich in noch viel stärkerem Maße für das Ruhrgebiet, und es gilt auch für das Aachener Revier, nicht nur für die Zeit nach dem Krieg, sondern für dieses Jahrhundert überhaupt.
Die deutschen Kohlereviere leisteten über Jahrzehnte hinweg einen entscheidenden Beitrag zum deutschen Bruttosozialprodukt und damit auch zum deutschen Steueraufkommen. Sie halfen damit auch den ärmeren Regionen in Deutschland. Und ohne die Kohlereviere wäre der wirtschaftliche Wiederaufstieg nach dem Krieg nicht möglich gewesen.
Deshalb stehe ich, wenn ich die existenziellen Interessen meiner Landsleute im Saarland und auch der Menschen an der Ruhr und im Aachener Revier vertrete, hier nicht nur als Bittender.
Herr Kollege Müller, wenn Sie von dem Handaufhalten gesprochen haben, dann sage ich: Früher haben andere bei uns an der Ruhr und an der Saar die Hand aufgehalten.
({0})
Ich will offen gestehen, daß mich deshalb auch manchmal Bitternis befällt, wenn ich manche Äußerungen aus Bayern, aus Baden-Württemberg und aus Niedersachsen höre, die zeigen, wie vergeßlich doch Menschen sind.
({1})
Es geht doch nicht um saarländische und nordrheinwestfälische Kohle; es geht um deutsche Kohle. Wer
hat schon nach dem Krieg von saarländischer Kohle,
von nordrhein-westfälischer Kohle gesprochen? Da war das doch für alle deutsche Kohle.
({2})
Es geht nicht nur um die Erhaltung der Arbeitsplätze an Ruhr und Saar und im Aachener Revier, sondern es geht auch um die Sicherung unserer Energieversorgung. Wenn nun der Vorstand der Saarbergwerke - übrigens mit Zustimmung des den Anteilseigner Bund vertretenden Bundesfinanzministers - Überlegungen anstellt, die Grube Camphausen zu schließen, dann muß man daran erinnern: Es gab schon einmal, nämlich 1973, Pläne, Camphausen zu schließen. Sie sind nach der ersten Ölpreisexplosion schnell aufgegeben worden.
Ist die Grube Camphausen also nicht ein mahnendes Beispiel dafür, daß man die Energiepolitik nicht von den Schwankungen des Ölpreises abhängig machen kann? Glaubt denn hier jemand, das mit dem niedrigen Ölpreis bleibe so? Wir müssen ein Stück unserer Energieversorgung durch einheimische Energie decken, und das ist die Kohle. Ich sage den Anhängern der Kernenergie: Auch Uran muß importiert werden.
({3})
Mir wäre es lieber, wir müßten uns über die Zukunftssicherung für die deutsche Kohle nicht zwischen den Parteien streiten.
Als saarländischer Abgeordneter stimme ich dem Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion im Saarland, Günther Schwarz, voll zu, der kürzlich einmal - und Sie haben das eben auch zitiert, Herr Kollege Müller - die Kohle als einen Teil saarländischer Identität bezeichnet hat. Deshalb wäre es gut, wenn wir vielleicht zu gemeinsamen Überlegungen für die Sicherung der Kohle zurückfänden. Denn - das will ich wiederholen - es geht um die Arbeitsplätze an der Ruhr, an der Saar und im Aachener Revier; es geht aber auch darum, die deutsche Energieversorgung auf sichere Füße zu stellen, damit wir nicht abhängig werden von den Dingen, die da am Weltmarkt geschehen.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jung, Sie haben vorhin angesprochen, daß Bundeswirtschaftsminister Bangemann von dem Grundkonsens Kohle/ Kernenergie gesprochen habe, und haben diesen Grundkonsens in Abrede gestellt. Ich meine, daß es gerade auch bei dieser Debatte gilt, auf diesen Grundkonsens abzustellen.
Übrigens, wenn Sie nicht nur die jeweilige Menge von Steinkohleeinheiten, sondern auch die Förderpreise hier angesprochen hätten, dann wäre vieles draußen für den einzelnen Mitbürger sicherlich verständlicher geworden.
({0})
Ihnen, Herr Kollege Stratmann, möchte ich sagen: Wenn Sie Öl und Gas mit zusätzlichen Importabgaben belegen wollen, wen trifft denn das? Doch in erster Linie diejenigen Mitbürger, die eben auf diese Rohstoffe angewiesen sind.
({1})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich sowieso nur eine beschränkte Redezeit habe.
({2})
Aber es ist trotzdem interessant, daß Sie solche Forderungen stellen. Sie hatten ja vorhin die Möglichkeit, dazu zu sprechen. Ich möchte grundsätzlich noch die Frage stellen, ob Ihnen denn überhaupt klar ist, daß fraglich ist, ob das Ganze von der EG geduldet werden würde oder nicht. Wir können das Ganze ja nicht nur national regeln, sondern wir müssen es im Verbund mit der EG sehen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will aber auch ganz kurz noch auf das eingehen, was Herr Kollege Brück gesagt hat, nämlich daß gerade Bewohner solcher Bundesländer wie Bayern, usw. also revierferner Bundesländer, undankbare Bewohner seien.
({4})
- Nein. Alles hat natürlich ein Ende. Ich meine, wenn Sie sich vor Augen führen, wie lange gerade hier in den letzten Jahren immer und immer mehr bezahlt worden ist, dann muß man sich tatsächlich Gedanken machen, wie das in Zukunft weitergehen soll. Alles hat ein Ende. Man kann nicht aus einem Sack etwas herausziehen, wenn gar nichts mehr drin ist. Das haben Sie lange genug praktiziert. Wir wollen und können das nicht machen.
({5})
- Es wäre gescheiter, wenn Sie Ihre Stimme dafür verwenden würden, unter Umständen draußen, wo Ihre Stimme ja bekannt ist, das eine oder andere einmal nicht aufzuwiegeln, als hier einen Zwischenruf nach dem anderen zu tätigen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Erhöhung des Kreditrahmens nach dem Dritten Verstromungsgesetz von 500 Millionen DM auf insgesamt 2 Milliarden DM in Verbindung mit der Erhöhung des Kohlepfennigs 1987 von 4,5 % auf 7,5 % ist auch eine Vorleistung der revierfernen Länder für die Wiedergewinnung des Grundkonsenses Kohle/Kernenergie und erfolgt mit Rücksicht auf bereits bestehende Zusatzansprüche der Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Die Dauer dieser Regelung muß unverzüglich für eine Änderung der Verstromungsregelungen ab 1988, und zwar schon für den laufenden Jahrhundertvertrag, genutzt werden.
Übrigens sollte doch für jedermann klar sein, daß die Subventionen für die Kohleverstromung nur tragbar sind, wenn zum Ausgleich der Kostenvorteil der Kernenergie genutzt wird.
({7})
Allein dieser Konsens erlaubt die Verstromung der teuersten Kohle der Welt. Der länderübergreifenden Solidarität wird aber der Boden entzogen, wenn gerade die Nutznießer des Kostenausgleichs den Ausstieg aus der Kernenergie propagieren.
({8})
Als 1976 das bayerische Strompreisniveau noch 10 % über dem Bundesdurchschnitt und 20 % über den RWE-Strompreisen lag, wurde das von den Bergbauländern nur achselzuckend zur Kenntnis genommen. Durch den Einsatz der umweltfreundlichen Kernenergie aber sind die durchschnittlichen Strompreise heute erstmals sogar günstiger als die bisher bundesweit günstigsten RWE-Preise, und das bei großen Erfolgen in der Reduzierung der Schadstoffemissionen des Kraftwerkparks. Das ist besonders wichtig für Sie von den GRÜNEN. Ich befinde mich hier natürlich, Herr Stratmann - das ist nicht anders zu erwarten -, im völligen Gegensatz zu Ihnen, weil ich meine, daß ein Kernkraftwerk eben viel, viel umweltfreundlicher ist als ein Kohlekraftwerk.
({9})
Es sollte deshalb verstanden werden, wenn es Länder wie Bayern z. B. nicht hinnehmen, daß auf Grund strukturpolitischer Versäumnisse und opportunistischer Anbiederei der SPD an DIE GRÜNEN durch einen Ausstieg der Revierländer aus der Kernenergie das alte binnenstaatliche Strompreisgefälle zum Nachteil der revierfernen Länder wieder aufleben soll.
Lassen Sie mich hierzu ein Beispiel anführen: Der Negativsaldo meines Heimatlandes, d. h. dessen Revierhilfe, betrug 1985 zirka 250 Millionen DM und seit 1975 etwa 2 Milliarden DM. Jeder weitere Prozentpunkt der Ausgleichsabgabe belastet daher die Stromverbraucher ohne Berücksichtigung des relativ geringen Zuschußrückflusses zusätzlich mit 100 Millionen DM. Der durchschnittliche Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Stromrechnung von zirka 800 bis 1 000 DM jährlich zahlt also allein in diesem Jahr, 1987, für den Kohlepfennig etwa 60 bis 80 DM.
Es erfolgt also ein regionaler Vermögenstransfer: Die Tasche des Stromverbrauchers in revierfernen Ländern wird zugunsten vor allen Dingen der Stromverbraucher im Revier erleichtert. Die zur Kasse gebetenen Stromverbraucher müssen sich doch verhöhnt vorkommen, wenn sie bei sinkenden Primärenergiepreisen höhere Stromkosten bezahlen sollen; sie, die noch dazu für den Einsatz der die Kohlehilfe erst ermöglichenden Kernenergie politisch geprügelt werden. Es ist ein Unsinn, daß die Kostenvorteile der Kernenergie durch die vom Ölausgleich verursachten Transferzahlungen revierferner Länder an die Revierländer konterkariert werden.
Die Verstromungsregelungen sind also änderungsbedürftig. Bei der Festlegung der Abgabesätze der einzelnen Länder müssen die unterschiedlichen regional-, struktur-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Interessen der Länder sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten, aus dem Ausgleichsfonds Vorteile zu ziehen, Berücksichtigung finden. Darüber hinaus spielt der Einsatz von schwerem Heizöl zur Stromerzeugung kaum noch eine Rolle. Primär der Markt hat diese Umstellung herbeigeführt.
Eine weitere exorbitante Erhöhung des Kohlepfennigs darf nicht Platz greifen. Wer soll denn verstehen, daß von nachgebenden Preisen auf den Energiemärkten alle profitieren, nur nicht die Stromverbraucher der revierfernen Länder? Die Streichung des sogenannten Ölausgleichs und die Festschreibung des Zuschußvolumens auf einem akzeptablen Niveau sind also für die Zukunft unerläßliche Zielvorgaben.
({10})
Die Belastungen der Stromverbraucher sind insgesamt zu reduzieren und zwischen den Ländern anders zu verteilen. Über die Arbeitsplätze im Bergbau hinaus - ich bitte, hier genau zuzuhören -, die auch ich nicht bagatellisieren will, müssen wir aber ferner die Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen, die hohe Abgabesätze nicht verkraften können, im Auge behalten. Kostengünstige Energie ist ein wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Die Revierländer müssen für ihre vitalen Eigeninteressen selbst auch einen Beitrag leisten. Die extrem hohe Fremdsubventionierung kann und darf kein Dauerzustand sein. Der Schattenhaushalt Kohlepfennig ist deshalb meiner Meinung nach dringend reformbedürftig.
Ich darf mich für die Aufmerksamkeit herzlich bedanken.
({11})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Drucksache 11/249 - Punkt 8 a der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 11/137 zuzustimmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses einstimmig angenommen.
Zu Punkt 8 b der Tagesordnung wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 11/232 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen zunächst das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste bekannt.' ) Es sind 465 Stimmkarten abge-
*) Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Vizepräsident Westphal
geben worden. Davon waren 463 gültig. Es hat keine Enthaltung gegeben, aber 2 ungültige Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Roth ({0}) 373 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Rose 365 Stimmen, den Abgeordneten Dr. Weng ({1}) 372 Stimmen, den Abgeordneten Walther 401 Stimmen, den Abgeordneten Kühbacher 406 Stimmen und den Abgeordneten Kleinert ({2}) 80 Stimmen. Die Abgeordneten Roth ({3}), Dr. Rose, Dr. Weng ({4}), Walther und Kühbacher haben die nach § 10a der Bundeshaushaltsordnung erforderliche Mehrheit von 260 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglied des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt worden.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkte auf, die noch vor der Mittagspause ohne Debatte behandelt werden sollen. Das sind die Punkte 9 und 10 sowie 12 und 13. Den Punkt 11 haben wir nach einem gemeinsamen Vorschlag der Geschäftsführer auf die Zeit nach der Aktuellen Stunde vertagt.
Ich rufe zunächst die Punkte 9 und 10 der Tagesordnung auf:
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1987 ({5})
- Drucksache 11/287, 11/308 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({6})
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
10. a) Überweisung des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Drucksache 11/1 -
Weitergeltung von Geschäftsordnungen
- Drucksache 11/5 -
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
b) Überweisung des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Drucksache 11/1 -
Weitergeltung von Geschäftsordnungen
- Drucksache 11/6 -
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
c) Überweisung des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN zu Nummer 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Drucksache 11/1 -
Weitergeltung von Geschäftsordnungen
- Drucksache 11/9 -
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 12 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses ({7}) über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 29. März 1983 bis 17. Februar 1987 eingegangenen Petitionen
- Drucksachell/234 -
b) Beratung der Sammelübersicht 2 des Petitionsausschusses ({8}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/235 -
c) Beratung der Sammelübersicht 3 des Petitionsausschusses ({9}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/236 -
d) Beratung der Sammelübersicht 4 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/237 -
e) Beratung der Sammelübersicht 5 des Petitionsausschusses ({11}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/238 -
f) Beratung der Sammelübersicht 6 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/239 -
g) Beratung der Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses ({13}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/240 -
h) Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses ({14}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/241 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu den Sammelübersichten 1 bis 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind diese Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses einstimmig angenommen worden.
Nun rufe ich Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15})
Vizepräsident Westphal
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 11/265, 11/266, 11/267, 11/268, 11/269, 11/270 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz Sauter ({16})
Wiefelspütz
Dr. Lammert
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthatungen? - Damit sind die Beschlußempfehlungen des Ausschusses angenommen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
({17})
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier folgenden Antrag zur Geschäftsordnung stellen:
Der Deutsche Bundestag bittet den Bundestagspräsidenten, die Fragen 38 bis 103, die für die heutige Fragestunde zur Beantwortung vorgesehen waren, nachträglich zur mündlichen Beantwortung in der Fragestunde des Bundestages zuzulassen.
Die Hintergründe dafür sind heute mittag schon Gegenstand der Erörterung hier gewesen. Es geht im wesentlichen darum, daß auf einem ganz bestimmten Wege hier verhindert werden soll, daß bestimmte Fragen zum Themenkomplex Volkszählung, die sich kritisch mit Problemen, die bei der Durchführung der Volkszählung entstanden sind und die sich auch kritisch mit Meinungsäußerungen zur Volkszählung befassen und in denen insbesondere Auskunft darüber begehrt wird, wie maßgebliche Vertreter der Bundesregierung zu bestimmten Äußerungen gekommen sind, hier zur mündlichen Beantwortung zugelassen werden sollen.
Wir meinen, daß es von der Sache her, aber auch um den Charakter der Fragestunde als solcher zu wahren unbedingt erforderlich ist, daß diese Fragen hier zugelassen werden müßten. Das Ganze soll nicht darauf hinauslaufen, die ja verbotene Kritik am Präsidenten hier auszusprechen; es geht vielmehr darum, daß wir diesen Weg finden, um doch noch in letzter Minute sicherstellen zu können, daß diese Fragen so beantwortet werden können, wie es eigentlich dem Geist und dem Sinn der Fragestunde entspricht, die ja eine ganz wichtige Rolle in der parlamentarischen Tradition spielt und die in einer ganz elementaren Weise die Rechte, die Kontrollmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung berührt, und es geht darum, daß diese Möglichkeiten auch entsprechend wahrgenommen werden können. Es gibt nur diesen Weg. Deswegen bitte ich Sie, diese Fragen noch zur nachträglichen mündlichen Behandlung hier zuzulassen.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung weiter erbeten? - Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag der GRÜNEN ab, da er gegen die Geschäftsordnung verstößt. Herr Kollege Kleinert, wir haben im Ältestenrat über die Frage: Beantwortung ja oder nein, schriftlich oder mündlich, gesprochen. Es ist im Präsidium darüber gesprochen worden, es ist im Geschäftsordnungsausschuß darüber gesprochen worden. Wir halten uns streng an die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, und insofern ist die Entscheidung, die getroffen worden ist, richtig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Wird das Wort weiter erbeten zur Geschäftsordnung? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich darüber abstimmen. Wer dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/283 Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage der Abgeordneten Frau Kelly auf:
Kann die Bundesregierung Meldungen der „Irish Times" bestätigen, wonach der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Bangemann, vor wenigen Tagen gegenüber einer irischen Regierungsdelegation, angeführt durch den Minister für Wirtschaft und Handel, Herrn Reynolds, erklärte, deutsche Investitionen in Irland würden drastisch gekürzt werden, sollten sich die Iren im bevorstehenden Referendum am 26. Mai 1987 gegen die „Einheitliche Europäische Akte" aussprechen, und die Iren für diesen Fall als „zweitklassige Bürger in Europa ({0}) " bezeichnete?
Bitte, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Kelly, die Meldung der „Irish Times" trifft nicht zu.
Es ist im übrigen allein Sache der deutschen Unternehmen, über ihre Investitionen in Irland zu entscheiden. Die deutschen Investitionen in Irland sind dank der dortigen guten Investitionsbedingungen in den letzten Jahren stetig gestiegen. Ein weiteres Ansteigen ist zu erwarten.
Ich darf Ihnen des weiteren mitteilen, daß heute morgen im irischen Radiosender RTE der irische Minister für Wirtschaft und Handel, Herr Reynolds, wörtParl. Staatssekretär Dr. Riedl
lich erklärt hat: Das hat Bundesminister Dr. Bangemann nie gesagt.
Eine Zusatzfrage? - Frau Abgeordnete Kelly, bitte.
Ich hatte gefragt, ob in dem Gespräch zwischen Herrn Bangemann und Herrn Reynolds das Wort gefallen ist, daß die Iren zweitklassige Bürger von Europa wären, wenn sie die Europäische Akte nicht unterschreiben und ratifizieren würden.
Nein, auch diese Äußerung ist nicht gefallen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Kelly? - Nicht. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Frage 1 des Abgeordneten Stiegler soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. - Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst, ich danke Ihnen dafür, daß Sie erschienen sind.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch die Fragen 2 und 3 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung. Ich rufe Frage 4 der Abgeordneten Frau Würfel auf. - Frau Würfel ist nicht da. Die Frage wird nicht beantwortet.
Die Fragen 5 des Abgeordneten Uldall und 6 des Abgeordneten Zierer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Duve auf
Sind der Bundesregierung wissenschaftlich haltbare Kriterien bekannt, die es erlauben, schon nach dem Augenschein zu erkennen, ob ein Mensch HIV-infiziert ist oder nicht?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Duve, die Antwort ist: Nein. Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es keine wissenschaftlich abgesicherten Kriterien, nach denen es möglich ist, durch bloßen Augenschein zu erkennen, ob ein Mensch HIV-infiziert ist. Selbst typische Symptome im Stadium 2 wie Lymphknotenschwellungen am Hals oder, noch später auftretend, dunkle Hautflecken sind nur in Verbindung mit einem positiven Testergebnis ein Hinweis auf die sich entwikkelnde Erkrankung. Derartige Erscheinungen können jedoch immer auch unabhängig von einer HIVInfektion auftreten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, können Sie denn uns und der Öffentlichkeit erklären, wie es dazu kam, daß die Bundesregierung erklärt hat, sie wolle ihre Mitarbeiter, die Beamten des Grenzschutzes, anweisen, künftig Menschen nach Augenschein auf Verdacht hin zurückzuweisen, wenn sie in unser Land einreisen wollen?
Herr Kollege Duve, wie es dazu kam, wird sicherlich im Zusammenhang mit der Fragenkette, die auch an den Bundesinnenminister gerichtet worden ist, geklärt werden können. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen, daß es nicht den Augenschein, natürlich aber andere Verdachtsmomente geben kann, z. B. konkrete Hinweise aus dem benachbarten Ausland.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Könnten Sie uns sagen, welcher Art solche konkreten Hinweise aus dem benachbarten Ausland oder überhaupt aus dem Ausland - „benachbart" ist ein bißchen problematisch, wie Sie, außenpolitisch gesehen, sicher selber feststellen wollen, wenn Sie hier als Vertreter der Bundesregierung reden - sein können, gerade in Anbetracht der Tatsache, daß ja etwa aus der Stadt New York sehr viele US-amerikanische Kaufleute zu uns einreisen?
Nein, aber es kann ja durchaus sein, daß z. B. ein konkreter schriftlicher Hinweis über die Einreise einer bestimmten Person die Grenzbehörden der Bundesrepublik erreicht.
Herr Brück, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, von wem deutsche Grenzbehörden schriftliche Hinweise erhalten?
Es hat in anderen Bereichen, nicht in diesem speziellen AIDSBereich, immer wieder Situationen gegeben, in denen Hinweise vorliegen, die Verdacht begründen können.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Blunck.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte den Weg, den diese Hinweise gehen, beschreiben? Auf welchem Wege kommen diese Hinweise an die Grenzstellen?
Frau Präsidentin, wir kommen jetzt in einen Bereich, der bereits wieder die Frage der Grenzkontrollen überhaupt betrifft.
({0})
Hier ist nach Verdachtsmomenten gefragt worden.
({1})
Es gibt eine ganze Reihe von Fällen außerhalb des Themas „AIDS", in denen mündlich, durch Telefonate, oder durch schriftliche Mitteilungen darauf aufmerksam gemacht wird, daß bestimmt Personen in die Bundesrepublik einreisen könnten. Das sind Hinweise, das sind Verdachtsmomente.
Herr Staatssekretär, aus der Fragestellung kann man natürlich das schon ableiten, was gefragt worden ist.
Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie viele konkrete Hinweise hat es gegeben, aus denen Sie diese verallgemeinernden Folgerungen gezogen haben?
Es hat bisher überhaupt keinen Hinweis gegeben; es ist auch noch niemand zurückgewiesen worden. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß es statt des Augenscheins andere Verdachtsmomente geben kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen, daß es offensichtlich Hinweise auf mögliche Krankheitsbilder gibt, die den Grenzkontrollstellen zugänglich gemacht werden. Meine Frage: Handelt es sich dabei ausschließlich um amtliche Hinweise und, wenn ja, um welche Art von amtlichen Hinweisen?
Herr Kollege Schäfer, ich habe nicht gesagt, daß es Hinweise gibt, ich habe gesagt, daß es Hinweise geben kann, die Verdachtsmomente begründen. Der Ausgangspunkt Ihrer Frage war, ob man den Verdacht durch Augenschein feststellen kann. Daraufhin habe ich gesagt: Nein. Dann wurde gefragt: Gibt es andere Verdachtsmomente? Da habe ich gesagt: Es kann andere Verdachtsmomente geben, nämlich schriftliche, mündliche Mitteilungen, die behördlicher oder nichtbehördlicher Art sein können.
({0})
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß Hinweise auch über den behördlichen Rahmen hinausgehen, und, wenn ja, von wem können Sie denn dann Hinweise bekommen?
Ich sage noch einmal: Es hat keine konkreten Hinweise gegeben, aber es ist denkbar, daß sich Verdachtsmomente auch aus Hinweisen z. B. behördlicher Art ergeben können.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Frau Blunck auf:
Wie bewertet die Bundesregierung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin vom 12. März 1987 ({0}) zum Vermarktungsverbot der Hamburger Gesundheitsbehörde für mit Pflanzenschutzmittel-Chemikalien belastetes Gemüse im
Hinblick auf die Regelungen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes und der Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung?
Frau Kollegin Blunck, das Bundesverwaltungsgericht hat im März 1987 eine Reihe von behördlichen Vermarktungsverboten für Lebensmittel pflanzlicher Herkunft aufgehoben, die wegen der Überschreitung der in der Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung für Alpha- und Beta-HCH festgesetzten Höchstmengen verhängt worden waren. Die Kontaminationen der Lebensmittel rührten von Emissionen einer chemischen Fabrik her, die das Pflanzenschutzmittel Lindan herstellte, bei dem die vorgenannten Stoffe als Verunreinigungen anfallen.
In dem Verwaltungsstreitverfahren hat die Frage eine wesentliche Rolle gespielt, ob die im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln bestehenden Rechtsvorschriften und die hierauf gestützten Höchstmengenfestsetzungen der Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung nur Stoffe erfassen, die mit der Zweckbestimmung des Pflanzenschutzgesetzes in oder auf Lebensmittel gelangt sind, oder ob es für die Anwendbarkeit dieser Rechtsvorschriften nur auf das Vorhandensein solcher Stoffe in und auf Lebensmitteln, unabhängig von ihrer Zweckbestimmung und unabhängig von ihrer Herkunft, ankommt.
Die Bundesregierung hat bislang die Auffassung vertreten, daß die geltenden Höchstmengenfestsetzungen auch dann greifen, wenn die im Lebensmittel festgestellten Gehalte der betreffenden Stoffe nicht aus der landwirtschaftlichen Anwendung des betreffenden Mittels, sondern z. B. aus Industrieemissionen eines Pflanzenschutzmittel herstellenden Betriebes herrühren. Die Urteilsbegründung liegt der Bundesregierung noch nicht vor. Ohne die Prüfung der für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblichen Gründe vermag die Bundesregierung das Urteil nicht abschließend zu bewerten.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß man ein Lebensmittel selbst dann nicht vom Markt nehmen kann, wenn es hoch belastet ist, wenn man nicht den Verursacher dieser Vergiftung oder Verschmutzung feststellen kann?
Nein, Frau Kollegin, ich habe hier zum Ausdruck gebracht, daß wir bisher eine andere Interpretation des Gesetzes vorgenommen haben, als sie durch das Bundesverwaltungsgericht offensichtlich vorgenommen wurde. Welche Schlußfolgerungen sich nun aus dem Urteil ergeben, wollen wir im einzelnen prüfen, wenn wir das Urteil und die Gründe des Urteils kennen.
Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Ich versuche noch einmal, meine Frage zu stellen: Sehe ich es richtig, daß ich als Verbraucher vor extrem belasteten Nahrungsmitteln nicht geschützt bin, solange Ihre Bewertungszeit anhält? Das heißt, jetzt und heute kann ich vergiftete Nahrungsmittel zu mir nehmen, obwohl ich weiß, daß sie vergiftet sind, und Sie tun als Bundesregierung schlicht und ergreifend nichts?
Nein, wir sind bisher der Meinung gewesen, daß die vorhandene gesetzlichen Grundlage ausreicht, um in einem solchen Falle einzugreifen, wie es in Hamburg geschehen ist. Das war die Rechtsposition, die wir bisher eingenommen haben. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht eine andere Rechtsposition eingenommen, die ich hier soeben erläutert habe. Infolgedessen wollen wir jetzt das Urteil und vor allem die Gründe des Urteils im einzelnen ansehen. Notfalls muß man daraus in der Tat gesetzgeberische Schlüsse ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.
Sie haben es in Ihrem Schlußsatz fast schon gesagt: Welche Vorbereitungen hat die Bundesregierung getroffen, um die ganz offensichtliche Gesetzeslücke mit ihren Kräften so rasch wie möglich so zu schließen, daß kein Gerichtsurteil diese Lücke wieder aufreißen kann?
Herr Kollege Duve, dazu gibt es einen konkreten Beschlußvorschlag des Hamburger Senats im Bundesrat. Er besteht aus zwei Teilen:
Was den ersten Teil angeht, nämlich Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel und ihre Bestandteile, die im Zusammenhang mit ihrer Produktion oder durch die sonstigen Umwelteinflüsse Lebensmittel kontaminieren, festzusetzen, so ist zu klären, ob dies auf der Grundlage der geltenden Ermächtigungsnorm durch eine Rechtsverordnung möglich ist oder ob wir hier nicht möglicherweise das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz verändern müssen.
Was den zweiten Teil des Antrages des Landes Hamburg angeht, ob nämlich Grenzwerte für die die menschliche Gesundheit gefährdenden Stoffe in und auf Lebensmitteln insgesamt, vor allem für Arsen, Cadmium, Blei und Quecksilber, notwendig sind, so handelt es sich um eine Frage, die im Zusammenhang mit einer im Augenblick in der Vorbereitung befindlichen Rechtsverordnung geklärt wird. Dafür ist der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, würden Sie aus Ihrer Sicht dem Herrn Umweltminister empfehlen, die Hamburger Vorschläge zu übernehmen?
Herr Kollege Weisskirchen, ich möchte schon bei der Position bleiben, die ich soeben vorgetragen habe. Wir prüfen zunächst einmal das Urteil und die das Urteil tragenden
Gründe. Das muß ja in der nächsten Zeit vorliegen. Wenn die gesetzliche Grundlage nicht ausreicht, dann werden wir allerdings Veränderungen vornehmen müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, wieviel Zeit werden Sie für Ihre eigene Prüfung brauchen?
Das kann sehr zügig geschehen, sobald das Urteil und die Urteilsgründe vorliegen.
Ich rufe die Frage 9 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eventuell zu ändern, oder müßten Grenzwerte für gefährliche Chemikalien, die aus der Produktion von Pflanzenschutzmitteln stammen, in der Schadstoff-Höchstmengen-Verordnung zusammen mit Grenzwerten für Quecksilber, PCB, Cadmium, Blei und z. B. Arsen geregelt werden?
Vor einer Prüfung der für das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts angeführten Gründe vermag die Bundesregierung noch keine endgültige Entscheidung über die Änderung von Rechtsvorschriften zu treffen. Die Bundesregierung wird jedoch gegebenenfalls die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen ergreifen, um im Interesse des Schutzes der Verbraucher sicherzustellen, daß die in der Pflanzenschutzmittel-Höchstmengenverordnung festgesetzten Höchstmengen auf Lebensmittel Anwendung finden, unabhängig davon, aus welcher Quelle die Gehalte dieser Stoffe in Lebensmitteln herrühren.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, sehen Sie denn jetzt Veranlassung, die Schadstoff-Höchstmengenverordnung, die bereits in der Schublade war, nun endlich in Kraft zu setzen? Es gab eine Schadstoff-Höchstmengenverordnung sowohl für Cadmium wie für Arsen, wie für Blei, die Sie nur hätten in Kraft setzen müssen. Wird das jetzt geschehen, und zwar möglichst sofort?
Frau Kollegin, ich habe mich beim federführenden Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auch zu dieser Frage erkundigt. Man hat mir dort gesagt, daß ein Verordnungsentwurf weitgehend fertiggestellt ist. Den Inhalt kann ich hier nicht vorwegnehmen. Nach meinen Erkundigungen wird sich der federführende Bundesminister dafür einsetzen, die noch anstehenden Beratungen zügig voranzutreiben, damit die Verordnung so schnell wie möglich erlassen werden kann.
Weitere Zusatzfrage, bitte, Frau Blunck.
Hält es die Bundesregierung für erforderlich, zusätzlich Grenzwerte für Tierarzneimittelrückstände festzulegen, nachdem erst kürzlich wieder Rückstände in Eiprodukten festgestellt wurden?
Ich glaube nicht, daß man die Thematik, um die es hier geht, mit den jüngsten Eiverschmutzungen in Verbindung bringen kann.
({0})
- Frau Kollegin, dies ist ein Sachverhalt, der heute durch EG-Recht geregelt ist. Auch da hat die Bundesregierung erklärt, daß sie sich für eine Ergänzung der entsprechenden EG-Richtlinie einsetzen wird.
({1})
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Saibold.
: Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß Cadmium deshalb nicht in die Verordnung über die Höchstgrenzwerte hineingenommen worden ist, weil nach der Festsetzung von Höchstgrenzwerten in weiten Teilen der Bundesrepublik keine Nahrungsmittel für den menschlichen Verzehr mehr angebaut werden könnten?
Frau Kollegin, hierfür ist nicht das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit federführend. Ich kann Ihnen deswegen diesen Sachverhalt auch nicht bestätigen.
Zusatzfrage, Herr Grünbeck.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Kollegin darauf hinweisen, daß der CadmiumBericht der Bundesregierung von vor drei Jahren ausweist, daß wir in der Bundesrepublik Cadmium-Niedrigstgrenzen haben, die im Grunde genommen unschädlich sind?
({0})
Ich muß noch einmal sagen: Das für diese Fragen federführende Ministerium ist das Umweltministerium. Selbstverständlich werden auch die Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden, dort in die Erörterungen über eine Rechtsverordnung einbezogen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve. - Hatten Sie nicht schon eine Zusatzfrage gestellt?
Frau Präsdidentin, ich hatte bei Frage 8 gefragt, und frage jetzt.
In Ihrer Antwort eben haben Sie die für deutsches Umweltrecht immer besondere Flucht nach Brüssel angetreten. Wir müssen uns dagegen verwahren. Planen Sie, das in der kommenden Legislaturperiode noch öfter zu tun, daß Sie da, wo wir ganz eindeutig national regeln können, nach Brüssel verweisen?
Herr Kollege Duve, hier ist nach der Verschmutzung von Flüssigei wie wir das neulich wieder erlebt haben, gefragt worden. Dazu muß ich sagen: Für diese Fälle, die in der vorvorletzten Woche zur Debatte standen, gibt es eine Richtlinie der EG und wir sind der Meinung, daß man diese Richtlinie der EG ergänzen muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Bundesregierung sehr wohl darauf achten muß, daß ihre lebensmittelrechtlichen Bestimmungen auch EG-weit angewandt werden und daß darüber hinaus zum Schutz der Bevölkerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen für die lebensmittelerzeugende Landwirtschaft Bestimmungen weltweit den unseren angepaßt werden sollten, d. h. nicht wir mit unseren Bestimmungen herunter müssen, sondern daß wir dafür sorgen müssen, daß die anderen zu uns heraufkommen? Halten Sie das nicht für eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung?
Herr Kollege Eigen, gerade in dem eben angesprochenen Fall, in dem es konkret um die Verschmutzung von Flüssigei in der letzten und vorletzten Woche gegangen ist, hat die Bundesregierung von sich aus, und zwar noch bevor das in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, in Kontakten mit dem belgischen Partner versucht, die Angelegenheit zu klären. Sie hat daraus dann auch entsprechende Konsequenzen gezogen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Ich möchte gern vom Flüssigeiskandal weg und möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung in den Fällen, in denen auf Grund der EG-rechtlichen Bestimmungen ein nationaler Alleingang zum Schutz der Gesundheit der Bürger der Bundesrepublik möglich ist, jeweils im Interesse der Gesundheit der Bürger den nationalen Alleingang anpacken wird.
({0})
Herr Kollege Schäfer, dort, wo die Kompetenz bei der EG liegt, gibt es nur diese Möglichkeit. Dort, wo die Kompetenz bei uns liegt, wo sie im nationalen Gesetzgebungsrahmen liegt, werden wir in der Tat die erforderlichen Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung ergreifen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny, bitte.
Habe ich richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die Festsetzung von Höchstgrenzen liege nicht in der Kompetenz Ihres Ministeriums?
Nein, Frau Kollegin. Hier in der Fragestunde ist - ich weiß nicht, aus welchen Gründen ({0})
das Thema Flüssigeiskandal aus der vorletzten Woche eingeführt worden. In diesem Zusammenhang habe ich darauf hingewiesen, daß es eine EG-Richtlinie gibt, die auf diesen Fall angewandt werden muß. Bei der Ausgangsfrage handelte es sich in der Tat um nationales Recht. Dazu habe ich im einzelnen Stellung genommen.
({1})
Ich bitte um Entschuldigung, wir können hier keine Diskussion veranstalten, sondern nur Fragen stellen. Es tut mir leid.
Frau Abgeordnete Ganseforth, eine Zusatzfrage.
Ich möchte den Herrn Staatssekretär fragen, ob es nicht Anlaß gibt, eine Schadstoff-Höchstmengenverordnung mit neuen Grenzwerten zu erlassen, nachdem bekanntgeworden ist - das ist in der Zeitschrift „Natur" veröffentlicht worden - , daß im Grundwasser Pflanzenschutzreste gefunden worden sind.
Frau Kollegin, für die Schadstoff-Höchstmengenverordnung ist der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig. Ich bin überzeugt, daß dort diese Fragen auch in der entsprechenden Weise behandelt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schily.
Ohne „Dr. ", bitte. Das ist mein Bruder. Ich will nicht wegen falscher Titelführung in Schwierigkeiten kommen.
Nun habe ich Ihnen schon wieder den Doktor verliehen. Aber Sie hätten ihn wirklich haben können.
Ich hätte ihn verdient, das stimmt.
({0})
Ich möchte gerne die Frage stellen, ob wir erwarten dürfen, daß die Niedrigstgrenzwerte hinsichtlich des Informationsgehaltes der Antworten der Bundesregierung vielleicht in Zukunft etwas heraufgesetzt werden.
({1})
Herr Kollege Schily, dazu muß ich Ihnen folgendes sagen: In dieser Fragestunde sind eine ganze Reihe von anderen Themen, die nicht in der Ausgangsfrage enthalten gewesen sind, in die Zusatzfragen eingefügt worden,
({0})
teils ohne daß das Ministerium, das ich hier vertrete,
zuständig ist. Ich habe mir dennoch - ich hatte mich
in entsprechender Weise informiert - Mühe gegeben, auch zu diesen Fragen etwas zu sagen, nicht auszuweichen. Aber Sie müssen schon dafür Verständnis haben, daß wir dort - ich wiederhole das -, wo die Zuständigkeit im nationalen Rahmen nicht mehr gegeben ist, Einfluß auf die EG nehmen und sich die Bundesregierung im übrigen in den Bereichen, auf die sich die Ausgangsfrage bezieht, in einer ganz konkreten Prüfung befindet, wobei ich nicht einmal erkennen kann, daß das vom Begehren der Fragestellerin abweicht.
Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, können Sie sich nicht vorstellen, daß schärfere Bestimmungen auf nationaler Ebene und auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Interesse sowohl der Verbraucher als auch einer verantwortbaren Landbewirtschaftung durch die Bauern liegen könnten, daß das kein Gegensatz sein muß?
Herr Kollege, das ist doch genau der Punkt, der sowohl in der Antwort auf die Ausgangsfrage als auch in den Antworten auf die Zusatzfragen von mir immer wieder betont worden ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihren Antworten mehrfach auf eine angebliche Zuständigkeit des Umweltministeriums für die Schadstoff-Höchstmengenverordnung verwiesen. Sollte Ihnen, da Sie ja neu in diesem Amt sind, entgangen sein, daß dafür Ihr Ministerium zuständig ist und daß das auch dadurch ausgewiesen ist, daß in dem Fragenkatalog, der zu diesem Tagesordnungspunkt ausgedruckt worden ist, diese Fragen Ihrem Ministerium zugeordnet worden sind?
Herr Kollege Kuhlwein, das trifft nur zu, soweit es sich um die Pflanzenschutzmittel handelt.
({0})
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hauff, bitte schön.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß Sie behauptet haben, es gebe nationale Zuständigkeiten und Zuständigkeiten der EG, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß nach Art. 36 der Römischen Verträge die Möglichkeit besteht, daß im Falle von Gesundheitsgefährdungen in jedem Fall einzelne nationale Lösungen möglich sind.
({0})
Herr Kollege Hauff, das ist mir natürlich bekannt. Aber bei der Frage, die die Frau Kollegin Blunck zum Thema Flüssigei gestellt
hat, bezugnehmend auf einen ganz konkreten Fall, der sich in der vorletzten Woche ereignet hat, muß ich Ihnen sagen, daß hier eine Richtlinie der EG anzuwenden ist. Deswegen hat die Bundesregierung erklärt, daß sie hier über die EG den Versuch machen wird, die Richtlinie zu verändern.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Kann die Bundesregierung eine verbindliche Erklärung dazu abgeben, ob sie beabsichtigt, die Schleusen an den Bundeswasserstraßen zu privatisieren oder nicht?
Herr Kollege Pauli, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Schleusenbetriebsdienst an den Bundeswasserstraßen zu privatisieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß nach Auffassung der Bundesregierung einer Privatisierung der Schleusen an den Bundeswasserstraßen auch der Sachverhalt entgegensteht, daß nach § 7 Abs. 1 des Bundeswasserstraßengesetzes der Betrieb der Schleusen eine hoheitliche Aufgabe des Bundes darstellt, die nur von Beamten wahrgenommen werden kann?
Herr Kollege, es geht einerseits um hoheitliche Dienste, es geht zum anderen aber auch um Fragen der Sicherheit und der Leichtigkeit des Verkehrs.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist aus dem Umstand, daß an zahlreichen Schleusen nur noch Lohnempfänger eingesetzt werden bzw. daß Lohnempfänger als Schichtleiter haftungs- und polizeirechtlich die Verantwortung tragen, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Bundesregierung in dem Betrieb der Schleusen keine hoheitliche Aufgabe des Bundes sieht, so daß eine Privatisierung auf diesem Wege dennoch möglich wäre?
Herr Kollege, ich habe vorher gesagt, um welche Funktionen es dabei geht. Wir sind der Ansicht, daß diese Aufgaben auch Lohnempfängern übertragen werden können.
({0})
Herr Duve, jetzt wissen wir wirklich, daß Sie da sind.
({0})
Ist die Frage 11 damit auch schon beantwortet, Herr Kollege Pauli?
Nein, ich denke nicht.
Dann rufe ich die Frage 11 auf:
Aus welchen Gründen werden zunehmend Tätigkeiten bei dem Schleusenbetrieb von Beamten auf Arbeiter übertragen mit der Konsequenz, daß beispielsweise an der Schleuse Lehmen ein höherer Personalaufwand erforderlich ist, der relativ gesehen auch noch teurer ist, und steht dies möglicherweise im Widerspruch zu der Forderung des Bundesrechnungshofes nach dem kostengünstigsten Verfahren bei der personellen Besetzung des Schleusenbetriebes?
Herr Kollege, im Zuge der Neuordnung der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes sind 1985 Organisationsmaßnahmen im Schleusenbetriebsdienst durchgeführt worden, die insgesamt zu einer erheblichen Verminderung des Personalaufwandes in diesem Bereich geführt haben. Die Gesamtzahl der Schleusenbeamten in der Funktion des Betriebsstellen-/Schichtleiters ist bei diesen Organisationsmaßnahmen unverändert geblieben. Es ist auch nicht beabsichtigt, vorhandene Planstellen für Beamte im Schleusenbetriebsdienst in Arbeiterstellen umzuwandeln.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Vergleichsrechnungen angestellt, aus denen sich ergibt, welche Kosten durch den Einsatz von Lohnempfängern im Vergleich zu den Kosten für den Einsatz von Beamten entstehen?
Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes hat dies getan. Gehen Sie bitte davon aus, daß die Dienste nicht teurer geworden sind, sondern billiger.
Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in Zukunft verstärkt Lohnempfänger beim Schleusenbetrieb einsetzen, oder wird sie entsprechend den Forderungen des Bundeswasserstraßengesetzes wieder verstärkt Beamte mit den hoheitlichen Aufgaben betrauen?
Herr Kollege, zusätzliche Beamtenplanstellen stehen nicht zur Verfügung,
({0})
andererseits bestand eine Fürsorgepflicht des öffentlichen Dienstgebers, die bisher als Schleusengehilfen eingesetzten Arbeiter sachgerecht einzusetzen.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Grünbeck auf:
Welche endgültige Trassierung ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung für die Schnellbahnverbindung München-Nürnberg vorgesehen?
Vizepräsident Frau Renger
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Grünbeck, über die endgültige Trassierung der Aus-oder Neubaustrecke Nürnberg-München ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Die Deutsche Bundesbahn überprüft zur Zeit gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr diese im Bundesverkehrswegeplan '85 vorgesehene Maßnahme einschließlich der Streckenführung in dieser Relation. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf Varianten mit Führung über Ingolstadt oder Augsburg.
Zusatzfrage, Herr Abgerodneter Grünbeck? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß nicht die Länge der Strecke und die Fahrzeit, sondern die Auslastung der Strecke ein entscheidender Parameter sein müßte?
Es wird hier eine Nutzen-Kosten-Rechnung aufgestellt, die die Auslastung sowohl im Personen- wie im Güterverkehr berücksichtigen wird.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Teilen Sie die Auffassung des bayerischen Ministerpräsidenten, der für meine Begriffe in dieser Frage ein entscheidendes Mitbestimmungsrecht hätte, daß die Strecke über Augsburg Vorrang haben müßte?
Herr Kollege, ich kenne diese Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten. Ich glaube, wir müssen das, was die Bundesbahn zur Zeit untersucht, erst noch einmal genau überprüfen und auch mit der Bayerischen Staatsregierung besprechen. Eine endgültige Aussage meinerseits ist heute nicht möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, überlegt die Bundesregierung auch, in der Frage der Technik die Magnetschwebetechnik einzubeziehen, die im Emsland erprobt wird?
Herr Kollege, Sie kennen ja den Vermerk im Bundesverkehrswegeplan. Ich glaube, für diese Strecke, nach der der Kollege Grünbeck gefragt hat, ist die Magnetschwebebahn nicht vorgesehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 13 der Frau Abgeordneten Brahmst-Rock auf. - Sie ist nicht anwesend. Die Frage wird nicht beantwortet.
Dasselbe gilt für die Frage 14 der Frau Abgeordneten Brahmst-Rock.
Herr Parlamentarischer Staatssrekretär, damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Welche Vorstellungen und Modelle zur Vergabe von Studienplätzen liegen den Ankündigungen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zugrunde, nach denen die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze ({0}) in Dortmund reduziert werden soll?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Kuhlwein, die Bundesregierung geht hinsichtlich der von ihr angestrebten Neubestimmung der Aufgaben der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen von der Zielsetzung aus, unnötige Reglementierungen des zentralen Vergabeverfahrens abzubauen und zugleich die Mitverantwortung der Hochschulen bei der Auswahl der Studenten zu erhöhen. Ansatzpunkte dafür bieten sich bei den Studiengängen des sogenannten Verteilungsverfahrens; dies sind zur Zeit Betriebswirtschaft, Informatik und Volkswirtschaft sowie - bis einschließlich Wintersemester 1987/88 - Rechtswissenschaft.
Diese Studiengänge sind dadurch gekennzeichnet, daß zwar an einigen Hochschulen die Bewerbernachfrage das vorhandene Studienplatzangebot übersteigt, aber bundesweit gesehen das Studienplatzangebot ausreicht, um allen Bewerbern einen Studienplatz anbieten zu können. Hochschulen mit einem Bewerberüberhang sollten bei diesen Studiengängen die Möglichkeit erhalten, unter den Bewerbern eine Auswahl nach eigenen Kriterien zu treffen. Gleichzeitig sollte die Aufgabe der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in den Verteilungsstudiengängen auf die Wahrnehmung von Dienstleistungen reduziert werden. Zu diesen Dienstleistungen gehören in erster Linie die Sicherung des Zulassungsanspruchs für alle Studienbewerber, aber auch die Berücksichtigung anerkannter sozialer Belange des einzelnen Bewerbers und die Vermeidung von Mehrfachbewerbungen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bewußt, daß die von Ihnen vorgetragenen Vorstellungen, die sich auch mit Äußerungen Ihres Ministers in der „Bild"-Zeitung decken, über die Reduzierung der Aufgaben der ZVS im Gegensatz zu der Notwendigkeit stehen, die Überlast an den Hochschulen der Bundesrepublik in etwa gleichmäßig auf alle Hochschulen zu verteilen?
Herr Kollege Kuhlwein, was in der „Bild" -Zeitung steht, ist für mich nicht maßgebend.
({0})
Ich möchte das anmerken. Ich bleibe bei der Darstellung der Fakten und Daten, wie sie in unserem Haus
geprüft worden sind, und dabei, daß man diesen Regelungsweg durchaus gehen kann.
Die zweite Zusatzfrage.
Da Sie sich, Frau Staatssekretärin, von dem Interview oder Gespräch und dem in der „Bild"-Zeitung Abgedruckten offenbar distanzieren wollen, das kurz vor der Hamburg-Wahl, offenkundig verbunden mit einer Wahlkampfreise Ihres Ministers nach Hamburg, veröffentlicht wurde, meine Frage: Ist denn dieser Artikel in der „Bild"-Zeitung mit der Überschrift „Möllemann: Nur noch vier Jahre studieren" , in dem es heißt, die Zentrale Vergabestelle solle reduziert werden, jemals von Ihrem Haus dementiert worden?
({0})
Herr Kuhlwein, da fragen Sie mich zuviel. Das will ich gerne prüfen. Die Antwort schicke ich Ihnen zu.
Zusatzfrage, Herr Kastning.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir ein paar konkrete Beispiele für das nennen, was Sie vorhin in der Antwort auf die Frage von Herrn Kuhlwein als „unnötige Reglementierungen" bezeichnet haben?
Herr Kollege Kastning, Sie waren ja dabei, als der Minister gestern in unserem Ausschuß dargelegt hat - ({0})
- Das bedaure ich sehr. Aber Sie waren sonst da.
Ich möchte Ihre Frage dann so beantworten: Ich könnte mir gut vorstellen - dies muß aber noch eingehend diskutiert werden - , daß man für sich eine Hochschule wählt und gleichzeitig mit der Bewerbung der ZVS mitteilt, daß man sich an dieser Hochschule vorrangig beworben hat. Sollte der Bewerber nicht berücksichtigt werden, hat die Hochschule die Pflicht, die Rückmeldung zur ZVS zu geben, und der Bewerber erhält dann die Zuordnung zu einer anderen Hochschule.
Herr Weisskirchen, noch eine Zusatzfrage.
Sehen Sie nicht die Gefahr, Frau Staatssekretär, daß durch das, was Sie soeben gesagt haben, noch sehr viel mehr an bürokratischen Problemen aufgeworfen wird?
Nein, das sehe ich nicht, Herr Weisskirchen. Im Interesse der Studenten halte ich einen solchen Weg für weit machbarer und besser begehbar. Er zahlt sich für den Studenten besser aus als das bisherige Verfahren.
Ich rufe die Frage 16 der Frau Abgeordneten Dr. Niehuis auf:
Hat die Bundesregierung nach entsprechenden Ankündigungen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft bereits Modelle für die Einführung von Studiengebühren an den Hochschulen entwickelt?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Niehuis, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat die Einführung von Studiengebühren nicht angekündigt. Er hat in der „Deutschen UniversitätsZeitung" in Beantwortung der Frage „Wird Ihre Bildungspolitik sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientieren? Sind z. B. Studiengebühren für Sie ein Thema?" auf die Notwendigkeit einer insgesamt stärkeren Wettbewerbsorientierung der Hochschulen hingewiesen und von einer Stärkung des privatwirtschaftlichen Elements auch im staatlichen Bildungssystem gesprochen. In diesem Zusammenhang hat er ausgeführt - ich zitiere - :
Studiengebühren stellen in dieser Diskussion durchaus eine Möglichkeit dar. Ihre Einführung setzt allerdings Veränderungen bei der Ausbildungsförderung voraus.
Diese Äußerungen enthalten keine Ankündigung, sondern nur einen Hinweis, bei der Diskussion über den Hochschulbereich und seine Finanzierung die verschiedenen Aspekte des Finanzierungssystems im Zusammenhang zu sehen. Studiengebühren bilden seit jeher ein Element in diesem Gesamtkomplex, in dieser Diskussion.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Niehuis.
Meinen Sie nicht, daß es grundsätzlich von mangelndem Verantwortungsbewußtsein gegenüber Studentinnen und Studenten zeugt, wenn man mit der Einführung von Studiengebühren droht, während eine Hauptursache für die langen Studienzeiten doch offensichtlich die teilweise miserablen Studienbedingungen sind?
Also, Frau Kollegin, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß der zuständige Bundesminister nicht gedroht hat. Er hat in diese laufende Diskussion, die weitgehend die Länder betrifft, seine Fragestellung mit hineingegeben. Ich denke, das ist in einem Diskussionsprozeß durchaus gang und gäbe und auch richtig.
Zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Danke schön.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wetzel.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den überlangen Studienzeiten und der sozialen Lage der Studierenden, und befürchten Sie, wenn dieser Zusammenhang existiert, nicht, daß die Studienzeiten also um so länger sind, je schlechter die Einkommenslage der Studierenden ist, daß Studiengebühren eine zusätzliche materielle Bildungsschranke errichten?
({0})
Herr Kollege Wetzel, das sehe ich nicht so. Das steht auch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang. Aber ich gebe hinsichtlich dessen, was Sie im ersten Teil Ihrer Frage gesagt haben, zu, daß man mit den Ländern in ein ernstes Gespräch hierüber eintreten muß, damit ein solcher Zusammenhang nicht den Studenten zur Gänze angekreidet wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.
Frau Staatssekretärin, Bezug nehmend auf Ihren Hinweis auf das Interview des Herrn Ministers und die Aussage über die Marktwirtschaft in der Bildungspolitik frage ich: Sind Sie oder ist der Herr Minister der Meinung, daß ein von staatlicher oder, so sage ich einmal, auch halbstaatlicher Stelle festgesetzter Preis ein Stück Marktwirtschaft oder ein marktwirtschaftliches Element darstellt?
Herr Kollege, die Frage des Marktes haben wir gestern morgen diskutiert. Man kann sie hier nicht so verkürzt sehen, wie wir das im Wirtschaftssektor tun; Angebot und Nachfrage haben ja auch etwas mit Markt zu tun.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Frau Staatssekretärin, habe ich es richtig im Kopf, daß der sozialdemokratische Minister Posser, dem man mangelndes soziales Verständnis nun wirklich beim besten Willen nicht nachsagen kann,
({0})
Sympathien für den Gedanken von Hochschulgebühren bei überlangen Studienzeiten geäußert hat?
Der Kollege Posser hat diese Aussage gemacht, und ich teile die Beurteilung des Kollegen Posser durch Sie, daß er solche Ausführungen nicht unverantwortlich in die Diskussion einbringt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Knabe.
Frau Staatssekretär, im Zusammenhang mit den Studiengebühren möchte ich fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, in welchem Umfang sich die Nebenerwerbstätigkeiten von Studenten nach der Kürzung der BAföG-Richtlinien erweitert haben.
Die ganze Problematik und Diskussion ist mir bekannt. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß der zuständige Minister nicht von der Einführung von Studiengebühren gesprochen hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Frau Staatssekretärin, das entspannte Verhältnis der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihrem Minister ist hier in der Beantwortung der Fragen sehr deutlich geworden. Ich habe deshalb die Frage: Wie werten Sie denn dieses, was Sie einen Hinweis des Ministers genannt haben? Nachher haben Sie gesagt, er habe von diesem Hinweis gar nicht gesprochen. Wird das zu Konsequenzen innerhalb des Ministeriums führen, daß solche Ausarbeitungen für eine gesetzliche Regelung oder ähnliches gemacht werden?
Herr Duve, ich kann Sie ja gut leiden; das freut Sie doch.
({0}) - Danke schön.
Aber ich denke, daß wir solche Fragen, die eigentlich zum Inhaltlichen nicht viel beitragen, hier nicht behandeln sollten. Herr Duve, wir zwei setzen uns gleich in den hinteren Teil des Saales, besprechen die Sache, dann ist die Angelegenheit erledigt.
({1})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Frau Staatssekretärin, ich will jetzt keine Dreiecksfrage stellen. Aber der Kollege Hirsch reizt dazu. Deshalb frage ich Sie, Frau Staatssekretärin: Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß es in der nordrhein-westfälischen Landesregierung keinen Beschluß über die Einführung von Studiengebühren gibt, daß es so etwas aber in Niedersachsen gibt? Wie stellt sich die Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, zu den Vorschlägen der niedersächsischen Landesregierung, Studiengebühren einzuführen?
Herr Kollege, Kuhlwein, ich weiß auch - ich lebe ja in Nordrhein-Westfalen - , daß es in der nordrhein-westfälischen Regierung unterschiedliche Meinungen gibt. Herr Kollege Hirsch hat mich nur nach der Meinung des Kollegen Posser und seinem Diskussionsbeitrag gefragt. Ich will hier nicht verhehlen, daß die Kollegin Brunn eine andere Meinung einnimmt. Ich gebe zu - zumindest ist das mir bisher nicht bekannt - , daß die Landesregierung in dieser Frage keine Entscheidung gefällt hat.
({0})
Herzlichen Dank für die besonders ausführliche Beantwortung einer Frage, die sehr viel kürzer angelegt war. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Tut mir leid.
Nein, im Gegenteil, ich wollte mich bedanken.
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Herr Kollege Kuhlwein, ich gebe Ihnen darauf noch eine Antwort,
das ist klar. Das ist der Diskussionsstand in Niedersachsen. Wir müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, daß es einen Diskussionsstand in Hessen gibt, wo es schon lange Studiengebühren gibt. Wir wissen, daß das Land Bayern bereits einmal Studiengebühren hatte und sie auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung wieder abgeschafft hat. Es hat unter dem Strich nichts gebracht.
Jetzt haben wir drei Modelle. Ich bin der Meinung, Bundesregierung und Bundestag müssen die Diskussion mit den Ländern führen. Dann werden wir gemeinsam - Parlament oder auch Regierung - zu einer Entscheidung kommen.
({0})
Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Weisskirchen auf:
Hält die Bundesregierung die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft befürwortete Einführung von Studiengebühren an den Hochschulen mit der Aufrechterhaltung der sozialen Öffnung der Hochschulen für vereinbar?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Weisskirchen, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat zu einer offenen Diskussion der Fragen der Gestaltung des Hochschulbereichs unter stärkerer Berücksichtigung von marktwirtschaftlichen Elementen angeregt. Es ist nicht ersichtlich, wie durch eine solche Diskussion die Politik der Öffnung der Hochschulen gefährdet werden könnte.
Im übrigen ist es selbstverständlich, daß bei der weiteren Diskussion auch die sozialen Auswirkungen von Maßnahmen im Bereich der Hochschulfinanzierung zu berücksichtigen sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Frau Staatssekretär, wir haben doch in den letzten Jahren erlebt, daß beispielsweise solche Änderungen wie beim BAföG Abschreckungswirkung gehabt haben. Fürchten Sie nicht auch, daß diese Abschreckungswirkung durch die Debatte um Studiengebühren noch erweitert, ja verstärkt wird?
Das mit der Befürchtung ist immer so eine Sache! Es kann aber auch befruchtend wirken. So sehe ich den Diskussionsbeitrag des Bundesministers.
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Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Frau Staatssekretär, sehen Sie denn nicht einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, daß sich die Bundesregierung in der Frage der Studienreform zurückgezogen hat - man kann auch sagen: Sie ist gescheitert - und deshalb in der von uns abgelehnten Novelle des Hochschulrahmengesetzes die Studienreform als Zentralaufgabe gestrichen hatte, und der Einführung der Studiengebühren als neuem Regelungsinstrumentarium an den Hochschulen, mit dem die Studienreform sozusagen administriert werden soll? Gibt es da einen Zusammenhang, oder gibt es eine Befruchtung?
Frau Präsidentin, das war eine so lange Frage, daß es mir schwer fällt, eine Antwort zu geben. Aber da ich mich gut vorbereitet habe, weiß ich, daß mit dieser Frage der Eindruck erweckt werden soll, als hätten wir uns zurückgezogen oder wollten dies tun. Das haben wir nicht getan und werden wir auch nicht tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Kuhlwein.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie von der befruchtenden Wirkung von Studiengebühren ausgehen, hätte möglicherweise die rechtzeitige Einführung von Studiengebühren in Rheinland-Pfalz dazu führen können, daß der Bundeskanzler früher als nach 18 Semestern sein Studium beendet hätte?
Ich weiß jetzt nicht, ob der Bundeskanzler 18 Semester studiert hat.
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Aber eines weiß ich: Er hat zu einer Zeit und unter Bedingungen studiert, als man sich seinen Unterhalt selbst erarbeiten mußte oder sogar noch für die Familie mitarbeiten mußte. Herr Kuhlwein, so gesehen, denke ich, sollten wir solche Fragen hier nicht stellen. Ich frage ja auch nicht, ob jemand von Ihnen 25 Semester studiert hat. Das bringt nichts.
Ich hätte die Frage eigentlich nicht zulassen sollen.
Ich rufe die Frage 18 der Frau Abgeordneten Odendahl auf:
Plant die Bundesregierung nach entsprechenden Ankündigungen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ({0}) konkrete Schritte, um die Einführung von Studiengebühren an den Hochschulen zu ermöglichen?
Bitte schön, Frau Staatssekretär.
Frau Kollegin Odendahl, ich habe jetzt zwei Möglichkeiten: Ihnen noch einmal den Text vorzulegen, den ich eben der Kollegin Niehuis bereits als Antwort gegeben habe, oder aber einfach darauf zu verweisen. Ich möchte mir die Bitte erlauben, auf den Text von vorhin verweisen zu dürfen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Odendahl.
Frau Staatssekretärin, sind die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft angekündigten Schritte zur Einführung von Studiengebühren mit den Hochschulen, der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der Vertretung der Studentenschaft oder sonstigen Gremien vor ihrer Ankündigung oder auch nur vor dem Darüber-Reden überhaupt besprochen worden?
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, damit es klar ist: Der Bundesminister hat nicht von Schritten gesprochen. Deshalb kann ich Ihnen jetzt auch nicht bestätigen, daß er Schritte eingeleitet hat.
Bitte die nächste Zusatzfrage.
Ich hatte auch nicht unterstellt, Frau Staatssekretärin, daß er darüber gesprochen hat. Sagen wir einmal, er habe Gedanken geäußert. Meine Frage richtete sich darauf, ob er vor der Äußerung dieser Gedanken vielleicht doch schon Kontakte gehabt und da einige Klärungen herbeigeführt hat.
Ich gehe einmal davon aus, daß der Bundesminister immer viele Leute kontaktiert
({0})
und daß es durchaus möglich ist, daß er in dieser Frage mit der einen oder anderen Gruppe auch bereits ein Gespräch geführt hat. Aber es darf ja nun nicht verboten sein, daß der Bundesminister Gedanken äußert.
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Eine Zusatzfrage, Herr Kastning.
Frau Staatssekretärin, da aus umfangreichem Kontaktieren nach aller Erfahrung manchmal auch Taktieren wird, möchte ich doch die Frage an Sie richten: Auch wenn der Herr Minister nicht angekündigt hat, Schritte einleiten zu wollen, können Sie sich vorstellen, daß in absehbarer Zeit doch eine Situation entsteht, wo Ihr Ministerium Schritte einleiten wird, oder können Sie, besser gesagt, hier versichern, daß solche Schritte nicht eingeleitet werden?
Da ich von Hause aus nicht Hellseherin bin, sondern Politikerin,
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muß ich mich immer den Gegebenheiten stellen. Von daher müssen wir also erst einmal eine Grundlage haben, um überhaupt zu einer solchen Entscheidung zu kommen, als Bund eine Empfehlung zu geben.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Wenn Sie schon, Frau Staatssekretär, sagen, daß Ihr Minister denkt - und das ist ja auch gut so -, können Sie uns dann sagen, in welche Richtung er denkt, daß heißt: Wie hat er es denn jetzt mit den Studiengebühren?
Herr Weisskirchen, ich habe soeben sehr deutlich ausgeführt, daß der Herr Minister mit seinem Beitrag eine Anregung zur Diskussion gegeben hat. Ich meine, dabei sollen wir es belassen. Ich gestatte Ihnen doch auch, Anregungen immer wieder neu einzubringen.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf.
Wie will die Bundesregierung angesichts der Ankündigungen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft über eine Reduzierung der Aufgaben der Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen ({0}) und den gleichzeitigen Ankündigungen des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zur stärkeren Beteiligung der Hochschulen bei der Auswahl von Studienbewerbern zukünftig sicherstellen, daß alle Studienberechtigten tatsächlich einen Studienplatz erhalten?
Bitte schön, Frau Staatssekretär.
Herr Kollege Böhme, die Bundesregierung verfolgt nach wie vor das Ziel der Offenhaltung der Hochschulen. Die von ihr angestrebte Reduzierung unnötiger Reglementierungen der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen steht dazu nicht im Gegensatz. Die Vorstellungen der Bundesregierung beziehen sich auf die sogenannten Verteilungsstudiengänge. Ich wiederhole mich: Dazu gehören zur Zeit Betriebswirtschaft, Informatik und Volkswirtschaft sowie bis einschließlich Wintersemester 1987/88 Rechtswissenschaft.
Bei diesen Studiengängen sollen Hochschulen mit mehr Studienbewerbern als -plätzen nach eigenen Kriterien unter den Studienbewerbern auswählen können.
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte die Dienstleistungsaufgabe der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in den Verteilungsstudiengängen erhalten bleiben, um den Zulassungsanspruch aller Studienbewerber zu sichern. Zugleich können soziale Belange des einzelnen Studienbewerbers berücksichtigt und Mehrfachbewerbungen vermieden werden. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen soll denjenigen Studienbewerbern, die an der gewünschten Hochschule nicht zugelassen wurden, einen Studienplatz an einer Hochschule mit noch freien Kapazitäten zuweisen. Dadurch wird sichergestellt, daß wie bisher jeder Bewerber einen Studienplatz erhalten kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhme.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie da gar nicht eingreifen, oder haben Sie ein Modell? Wenn ja: Welches Modell haben Sie zur Beteiligung der Hochschulen an der Auswahl der Studierenden, etwa jenes Modell, das man jetzt schon im Numerus-clausus-Fach Medizin als Privilegienwirtschaft bezeichnet?
Nein. Ich habe dargelegt, daß freie Kapazitäten vorhanden sind. Die bürokratische Einrichtung der Zulassungsstelle ist jetzt auch noch für Fächer zuständig, in denen das nicht unbedingt erforderlich wäre. Wir möchten durch die Verlagerung der Entscheidung an die Hochschulen diese stärker beteiligen. Ich habe eben modellhaft ausgeführt, wie sichergestellt werden kann - so stelle ich mir das jedenfalls vor - , daß
jeder Student mit einer Direktbewerbung auch einen Studienplatz erhalten kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhme.
Frau Staatssekretärin, eine zweite Frage: Wie will Ihr Minister bzw. Ihr Ministerium verhindern, daß bei der vorgesehenen doch starken Beteiligung der Hochschulen an der Auswahl der Studienbewerber zwei Klassen von Studenten und Studentinnen entstehen, nämlich die Klasse derjenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - angenommen werden, und die Klasse jener, die sozusagen Zwangszugewiesene sind?
Ich habe eben gesagt, daß die soziale Komponente berücksichtigt werden soll und muß. Im übrigen vertraue ich auch den Damen und Herren, die in den entsprechenden Hochschuleinrichtungen Verantwortung tragen, daß sie nicht willkürlich nach gut und böse oder nach reich und arm auswählen.
Herr Kastning, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da es hier darum geht - wenn ich das richtig verstanden habe - , die einzelnen Hochschulen stärker an der Auswahl der Studienbewerber zu beteiligen, möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht für richtig halten, bei den weiteren Überlegungen und Planungen abzuwarten, bis der vom Deutschen Bundestag Ihrem Hause in Auftrag gegebene Bericht über die Erfahrung der Auswahlgespräche im Medizinbereich vorliegt.
Ich sage eine Prüfung gerne zu, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Frau Staatssekretärin, gibt es denn andere demokratische Länder mit zentralen Zuweisungsstellen, und hat das Fehlen von zentralen Zuweisungsstellen in allen anderen Ländern dazu geführt, daß dort die in den bisherigen Fragen immer wieder heraufbeschworene Gefahr einer Klassenuniversität Wirklichkeit geworden ist?
Herr Kollege Hirsch, ich kenne kein anderes Land. Soweit ich mir den Überblick verschafft habe, möchte ich den zweiten Teil Ihrer Frage verneinen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Nun läge ja wieder eine Dreiecksfrage nahe. Aber ich frage ausdrücklich: Frau Staatssekretärin, hat Ihr Haus schon Überlegungen angestellt, nach welchen Maßstäben die Hochschulen die Studenten selbst aussuchen sollen - nach Abiturnote oder mit besonderer Aufnahmeprüfung oder mit sozusagen einem Einstellungsgespräch -, und hat Ihr Haus auch Bedenken geprüft, die wir schon bei der entsprechenden Novellierung des Hochschulrahmengesetzes gehabt haben, ob nämlich solche Verfahren in Einklang stehen mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über den Numerus clausus?
Zum letzten Teil Ihrer Frage: Die Chancengleicheit muß gesichert werden.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Wenn wir den Hochschulen schon eine solche Aufgabe übertragen, dann müssen wir sie auch in die Lage versetzen, nach eigenen Kriterien Entscheidungen zu treffen.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Schäfer ({0}) auf:
Wird in den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland die Erteilung eines Sichtvermerks zur Einreise „bei begründetem Verdacht" auf eine AIDS-Erkrankung verweigert, oder sind entsprechende Regelungen gegebenenfalls geplant?
Herr Kollege Namensvetter, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Erteilung von Sichtvermerken durch die Auslandsvertretungen richtet sich nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Bestimmungen. Der Fall, daß einem Ausländer wegen einer AIDS-Erkrankung oder wegen des Verdachts einer AIDSInfizierung kein Sichtvermerk erteilt werden konnte, ist bisher, soweit es der Bundesregierung bekannt ist, noch nicht vorgekommen. Entsprechende spezielle Regelungen sind nicht geplant.
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Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Können Sie damit ausschließen, daß Ihr Haus ausländerrechtliche Bestimmungen heranzieht, um wegen einer speziellen Erkrankung keinen Sichtvermerk zu erteilen?
Ich darf darauf verweisen, daß der Kollege Duve eine entsprechende und umfänglichere Frage gestellt hat, die vom zuständigen Bundesminister des Innern beantwortet wird. Ich kann hier nur auf die Frage von Sichtvermerken und ausländerrechtlichen Bestimmungen eingehen. Ich bitte um Verständnis dafür, Herr Kollege, daß dieser ganze Komplex von dem zuständigen Bundesminister des Innern noch abgehandelt wird.
Zusatzfrage.
Ist innerhalb der Bundesregierung, beispielsweise vom Bundesministerium des Innern, an Sie die Überlegung, das Ersuchen, der Gedanke herangetragen worden, entsprechend die Sichtvermerke zu erteilen?
Ich kann dazu nur sagen: Nein.
Herr Dr. Hirsch, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es nicht auch unter außenpolitischen Gesichtspunkten mißlich, wenn ein Ausländer in einer deutschen Botschaft ein Visum erhält und dann an der Grenze, wenn er von diesem Visum Gebrauch machen will, über die Grenzschutzdirektion Koblenz erfährt, daß er als zugehöriger zu irgendeiner AIDS-verdächtigen Gruppe leider nicht einreisen darf, und ist das Auswärtige Amt deswegen nicht der Meinung, daß der Erlaß, über den wir in Wirklichkeit reden, irgendwie hätte abgestimmt werden müssen? Wäre das nicht sinnvoll gewesen?
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Herr Kollege Hirsch, ich habe keine Veranlassung, Fragen nach einem Erlaß zu beantworten, der zurückgezogen worden ist und der mit dem Auswärtigen Amt absolut nichts zu tun hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Wenn es solche Überlegungen in der Bundesregierung gegeben hat - zweifelsfrei hat es sie gegeben -: Herr Staatsminister, wie hielte man es dann in den Ländern, deren Bewohner keinen Sichtvermerk zur Einreise in die Bundesrepublik benötigen?
Ich kann nur wiederholen - ich habe die Frage nicht ganz verstanden - , was ich eben gesagt habe: Es ist weder ein solcher Fall vorgekommen, noch wurde irgend jemandem ein Sichtvermerk verweigert. Insofern ist diese Frage hypothetisch.
Es gibt eine interministerielle Kommission, die sich im Rahmen der Bundesregierung über den ganzen Komplex AIDS noch auseinandersetzen wird. Es liegen noch keine Ergebnisse vor. Es ist übereilt, nach Tatbeständen zu fragen, die überhaupt noch nicht eingetreten sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Im Zusammenhang mit der Befragung hat der Herr Staatssekretär Pfeifer vor wenigen Minuten hier die Äußerung getan, daß es aus verschiedenen Quellen Hinweise - wie er es genannt hat - auf bestimmte Verdachtsmomente gäbe, u. a. auch AIDS. Wirkt das Auswärtige Amt in irgendeiner Weise an der Weitergabe solcher „Hinweise" mit?
Weder sind mir solche Hinweise bekannt, noch ist mir bekannt, daß das Auswärtige Amt jemals in irgendeiner Weise solche Hinweise weitergegeben haben könnte oder die Absicht dazu hat, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist der Bundesregierung die Meldung des Windhoek Advertizer vom 21. November 1986 bekannt, wonach der Chef der Etango-Bewegung bekanntgab, er habe aus der Bundesrepublik Deutschland für seine Organisation 30 000 Rand erhalten, und ist ihr bekannt, um welchen bundesdeutschen Geldgeber es sich hierbei handelt?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist diese Meldung des „Windhoek Advertizer" bekannt. Ihr liegen keine Informationen darüber vor, ob die Etango-Bewegung tatsächlich von privater Seite aus der Bundesrepublik Deutschland finanziell unterstützt wird oder unterstützt worden ist.
Fest steht, daß aus dem Bundeshaushalt keinerlei Mittel an diese Bewegung geflossen sind.
Zusatzfrage, Abgeordneter Toetemeyer.
Herr Staatsminister, erlauben Sie mir zunächst einmal, meiner Freude darüber Ausdruck zu geben, daß Sie dort stehen, wo Sie stehen, und die Frage anzuschließen: Ist Ihnen bekannt, welche gefährliche Rolle diese Bewegung etwa im Norden Namibias spielt und daß es daher die berechtigte Sorge eines Abgeordneten ist, zu erfahren, aus welchen Geldquellen sie sich finanziert.
Herr Kollege, zunächst einmal darf ich in Beantwortung Ihrer Frage hier darüber aufklären, um welche Bewegung es sich hierbei handelt. Es geht um eine Bewegung im Ovambo-Gebiet, also im Norden Namibias, die wie ihre Schwesterbewegung - Ezowa genannt wird; das heißt beides, glaube ich, „Sonne" in den verschiedenen Sprachen in Namibia, bei den Kavangos - ein Teil der Sympathiewerbung der südafrikanischen Armee in ihrem Aufmarschgebiet ist, und zwar im Norden Namibias, den operational areas. Diese Kampagne wird „Heartsand-minds " -Kampagne genannt. Die südafrikanische Armee hat diese als Kulturorganisationen bezeichneten Bewegungen ins Leben gerufen, um ein Gegengewicht zur SWAPO und zu den der SWAPO eher freundlich eingestellten Kirchen zu bilden.
Ich kann nur sagen, daß wir keinerlei Kontakte mit der südafrikanischen Armee pflegen und auch nicht vorhaben, solche zu pflegen, um nachzufragen, aus welchem Bereich solche Mittel kommen könnten.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Darf ich aus der Beantwortung meiner Frage schließen, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß wir alles unterlassen sollten, diese Bewegung - aus welchen Quellen auch immer - zu unterstützen?
Die Bundesregierung, die ja gar nicht weiß, aus welchen Quellen diese Bewe790
gung möglicherweise unterstützt worden ist, kann niemandem den Rat erteilen, diese Bewegung nicht mehr zu unterstützen. Das ist der Tatbestand. Wir wissen nicht, ob sie unterstützt worden ist, wir können auch nicht nachweisen, von wem sie möglicherweise unterstützt wurde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wetzel.
Herr Staatsminister, Sie sprachen gerade davon, daß der Norden Namibias ein Aufmarschgebiet der südafrikanischen Armee sei, wenn ich Sie recht verstanden habe. Darf ich Sie um Auskunft bitten, welchem Zweck dieses Aufmarschgebiet dient und gegen welche Länder der Aufmarsch gerichtet ist.
Herr Kollege, ich kann nur davon sprechen, daß die südafrikanische Armee nach unseren Erkenntnissen im Norden Namibias ihre Stellungen bezogen hat. Die Begründungen, die die Republik Südafrika für diese Operationen dort gibt, sind verschieden. Sie wissen, daß es manchmal darum geht, terroristische Aktionen der SWAPO zu vermeiden oder die Täter zu verfolgen. Es ging in der Vergangenheit aber wohl auch darum, gewisse Operationen im Nachbarland Angola durchzuführen. All das ist uns genauso wie Ihnen bekannt. Wir haben keinen Einfluß auf diese Verhaltensweise der südafrikanischen Armee.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, vielleicht könnten Sie Ihre Informationsmöglichkeiten insofern nutzen, um uns darüber Auskunft zu geben, ob diese Etango-Bewegung möglicherweise von hiesigen parteinahen Stiftungen finanziert wird, nachdem ja aus Ecuador bekanntgeworden ist, daß es großes Aufsehen über behauptete Finanzierungen aus dem Etat der parteinahen Stiftungen dort im Lande gibt.
Herr Kollege Schily, wenn parteinahe Stiftungen solche Finanzierungen ernsthaft betreiben würden, müßten sie immer davon ausgehen, daß der Bundesrechnungshof sehr genau über die Ausgaben wacht, die die deutschen Stiftungen machen können. Da ich davon ausgehe, daß Sie demnächst auch über eine solche Stiftung verfügen,
({0})
darf ich Sie jetzt schon darauf aufmerksam machen, daß Sie immer mit solchen entsprechenden Prüfungen rechnen müssen.
Mir ist nicht bekannt - weil ich seit vielen Jahren ehrenamtlich auch in einer solchen Stiftung bemüht bin, ein bißchen für die ausländische Entwicklungsarbeit zu tun - , daß Stiftungen irgendwelche militärischen Bewegungen leichtfertig unterstützen würden, es sei denn, sie wollten Gefahr laufen, daß sie nicht nur sehr ins Zwielicht geraten, sondern daß bei der Überprüfung ihrer Finanzen entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
Ich rufe Frage 22 des Herrn Abgeordneten Toetemeyer auf:
Für den Fall, daß es sich um Mittel aus dem Bundeshaushalt 1986 handelt, ist die Bundesregierung bereit, die entsprechende Haushaltsstelle anzugeben?
Sie fragen danach, inwieweit die Bundesregierung bereit sei, entsprechende Haushaltsstellen für die Finanzierung anzugeben. Da ich bereits gesagt habe, daß wir eine solche Bewegung nicht finanzieren, gibt es im Grunde keine Antwort auf Ihre Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Toetemeyer.
Herr Staatsminister, da die Beantwortung dieser Frage für mich außerordentlich wichtig ist, bitte ich um Verständnis: Würden Sie verbindlich ausschließen wollen, daß beispielsweise die Hanns-Seidel-Stiftung diese 30 000 Rand gezahlt hat?
Ich kann das deshalb nicht verbindlich ausschließen, weil Sie danach nicht gefragt haben, sondern erst jetzt, im Augenblick, danach fragen, ich also bei Ihrer Frage nicht davon ausgehen konnte, daß Sie jetzt eine sehr konkrete Frage zu einer Stiftung stellen. Es tut mir leid, ich kann diese Frage nicht beantworten. Aber ich habe ja in der Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Schily eben bereits gesagt, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß solche Zahlungen an eine Bewegung dieser Art ohne weiteres stattfinden könnten, nämlich ohne daß es Komplikationen gibt. Aber ich kann diese konkrete Frage nicht beantworten.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, für den Fall, daß es so geschehen sein sollte: Wir stimmen wohl darin überein, daß das Zahlungen aus dem Bundeshaushalt wären, denn die Stiftung wird ja teilweise aus unterschiedlichen Kapiteln des Bundeshaushalts finanziert. Wären Sie bereit, diese meine sehr konkrete Frage, von der ich annahm, daß Sie sie voraussahen, zu überprüfen und mir das Ergebnis Ihrer Überprüfung mitzuteilen?
Dazu bin ich gern bereit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatsminister, Sie werden sich daran erinnern, daß es Ende der 60er Jahre offizielle Zahlungen aus Südafrika an die NPD gegeben hat. Insofern wäre es ein extrem schlechter Geschmack, den wir alle auf der Zunge hätten, wenn sich erweisen sollte, daß die hier von Herrn Toetemeyer angestellten Vermutungen richtig sind. Stimmen Sie mir darin zu?
Herr Kollege Duve, zwar bin ich immer der Auffassung, daß in der Politik auch die Ästhetik eine Rolle spielt, aber wenn Sie mich hier
jetzt fragen, ob guter oder schlechter Geschmack eine Rolle spielt, bitte ich um Verständnis dafür, daß ich mich zurückhalte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster ({0}).
Herr Staatsminister, könnten Sie auf die Fragen des Kollegen Toetemeyer hin bestätigen, daß in der Tat die politischen Stiftungen regelmäßig vom Bundesrechnungshof überprüft werden und daß bei den letzten Überprüfungen alle Ausgaben der Stiftungen für beanstandungsunwert gehalten wurden - mit Ausnahme des Geschäftsgebarens der Friedrich-Ebert-Stiftung?
Herr Kollege Gerster, es ist von mir bereits gesagt worden, daß die Stiftungen einer sehr strengen Prüfung durch den Bundesrechnungshof unterliegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
: Herr Staatsminister, können Sie denn auf Grund dieser Auskunft hier versichern, daß bei den von Ihnen angeführten strengen Prüfungen durch den Bundesrechnungshof solche Finanzierungen in jedem Fall auffallen würden, und darf ich Ihre Auskunft auch so verstehen, daß Sie auf Grund dieser Tatsache dann vielleicht auch ausschließen, daß behauptete Finanzierungszuwendungen beispielsweise in ein Land wie Ecuador stattgefunden haben?
Ich kann zu der Frage nach Ecuador hier nicht Stellung nehmen. Diese Frage war ja überhaupt nicht zu erörtern. Es geht jetzt um die Frage der möglichen Unterstützung einer Bewegung im Norden Namibias durch den Bundeshaushalt.
Ich habe bei der Beantwortung der Fragen deutlich gemacht, daß ich davon ausgehe, daß sich der Bundesrechnungshof bei seinen Prüfungen der Aktivitäten der Stiftungen natürlich auch Kenntnis davon verschaffen muß, wer möglicherweise von wem unterstützt wird. Es gibt ja gelegentlich die Behauptung, Politiker seien nicht in der Lage, kompetente Antworten zu geben, weil ihnen die Kompetenz fehlt, wenn sie sich mit bestimmten Teilen der Welt auseinandersetzen.
({0})
Ich gehe davon aus, daß der Bundesrechnungshof sehr kompetente Antworten gibt.
Die Fragen 23 und 24 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Weng ({0}), schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist es zutreffend, daß der jetzige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahre 1978 als damaliger Rechtsreferent im Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz ein Gutachten zu der Frage angefertigt hat, ob Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Straftaten begehen dürften, und ist der Bundesregierung dieses Gutachten bekannt?
Herr Kollege Dr. Hirsch, ich gehe davon aus, daß sich Ihre Frage auf den jetzigen Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz bezieht.
Soweit in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Nachforschungen möglich waren, hat sich ergeben, daß im Jahre 1977 im Niedersächsischen Innenministerium ein Rechtsgutachten mit folgender Bezeichnung erstellt wurde:
Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel durch die Verfassungsschutzbehörde ({0}) - Abteilung 4 des Nds. Innenministeriums vom 23. Mai 1977.
Ich bitte um Verständnis, daß ich es mir versagen muß, zur internen Willensbildung in einem Bundesland und zur Auslegung von Landesrecht durch die dort allein zuständigen Landesbehörden Stellung zu nehmen.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß es eine bundespolitische Angelegenheit wäre, wenn die Bundesregierung zum Vizepräsidenten dieses Amtes einen Beamten ernannt haben sollte, der - was ich nicht hoffe - die Meinung vertreten hat, daß Mitarbeiter des Verfassungsschutzes strafbare Handlungen begehen dürfen. Das ist doch keine landespolitische Frage, sondern wäre ein Vorgang, der die Bundesregierung und dieses Haus in höchstem Maße interessieren müßte. Halten Sie es deswegen nicht doch für angemessen, daß Sie sich über diese Frage, die öffentlich gestellt worden ist, umgehend sachkundig machen?
Herr Kollege Dr. Hirsch, ich bleibe dabei, daß sich die Bundesregierung zu diesem im Bereich der Landesregierung Niedersachsen erstellten Gutachten und den Ausführungen nicht äußern will und wird. Von der fachlichen Qualifikation - das sage ich, weil Sie es angesprochen haben - dieses Beamten hat sich die Bundesregierung vor seiner Ernennung zum Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausreichend überzeugt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da die Frage, die ich hier stelle, ob eine solche Auffassung von dem Beamten geäußert worden ist, seine fachliche und
politische Eignung für dieses außerordentlich wichtige Amt im Kern berührt, muß ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, der Parlamentarischen Kontrollkommission dieses Gutachten - natürlich mit Zustimmung des Beamten selber - zur Kenntnis zu
bringen.
Ich bin gern bereit, diese Anregung an die Zuständigen innerhalb der Bundesregierung weiterzugeben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß dem so entsprochen würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Hat die Bundesregierung in Kenntnis des soeben angesprochenen Gutachtens die Ernennung des jetzigen Vizepräsidenten vorgeschlagen, und ist es richtig, daß dieses Gutachten mit ein Grund für die Ernennung gewesen ist?
Herr Kollege Schäfer, ich habe keinen Anlaß und keine Möglichkeit, jetzt hier im Plenum den Entscheidungsprozeß nachzuvollziehen und die dabei angestellten Erwägungen oder Umstände darzulegen. Ich wiederhole nur, daß sich die Bundesregierung von der fachlichen Qualifikation überzeugt hat, und dementsprechend ist die Entscheidung gefallen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, können Sie bei der dem Kollegen Hirsch zugesagten Prüfung mit prüfen und mit darüber unterrichten, ob dieses Gutachten in einem Zusammenhang mit jener Affäre stehen könnte, die in Niedersachsen schlechthin das „Celler Loch" genannt wird?
Ich habe vorhin erwähnt, daß es sich hier um ein Gutachten einer niedersächsischen Behörde, des zuständigen niedersächsischen Ministeriums, gehandelt hat. Daß die Bundesregierung hier nicht ohne weiteres Zugriff hat, ergibt sich aus verfassungsrechtlichen Gründen. Ich kann nur wiederholen, was ich Herrn Dr. Hirsch zugesagt habe: Wir werden prüfen, inwieweit seiner Anregung entsprochen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Desinteresse für die Frage des Kollegen Dr. Hirsch möglicherweise darauf zurückzuführen, daß Sie die Qualifikation des Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht dadurch beeinträchtigt sehen, daß er - möglicherweise bis heute - die Auffassung vertritt, daß Angehörige des Verfassungsschutzes willkürlich Straftaten begehen können, und teilen Sie möglicherweise sogar diese Auffassung?
Ich habe keinen Anlaß, auf Ihre Unterstellungen zu Lasten des Beamten hier nähere Erklärungen abzugeben.
({0})
Ich bitte um Zurückhaltung.
({0})
Wir können den Herrn Staatssekretär nicht zwingen, Antworten zu geben, wenn er sie nicht geben will. Es tut mir leid; ich habe keine Mittel, um das zu erzwingen.
({1})
- Nein. So ist es nicht, es ist doch viel beantwortet worden.
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- Vielleicht nicht von ihm. Wir können uns hier doch nicht darüber streiten. Ich habe keine Möglichkeit, dies zu erzwingen.
Ich rufe jetzt die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Bachmaier auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung - gegebenenfalls unabhängig von den Bundestagsfraktionen der Koalitionsparteien -, einen eigenen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, durch den das Staatsziel „Umweltschutz" im Grundgesetz verankert werden soll, und wann ist mit einer solchen Gesetzesinitiative der Bundesregierung zu rechnen?
Herr Kollege Bachmaier, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Nach dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist davon auszugehen, daß die Bundestagsfraktionen der Koalition im Einvernehmen mit den Bundesländern einen Vorschlag mit dem Ziel erarbeiten werden, den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Die Bundesregierung ist bereit, ihren Sachverstand bei den Erörterungen auf Wunsch zur Verfügung zu stellen. Die beteiligten Ressorts stehen hinsichtlich der Problematik seit langem miteinander in Kontakt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.
Herr Staatssekretär, ist dieser Wunsch seitens der Regierungskoalition bzw. der zu beteiligenden Bundesländer bisher an die Bundesregierung herangetragen worden oder nicht?
Es ist innerhalb der Koalitionsfraktionen vereinbart worden, auf dieses Ziel hinzuwirken. Diese Absicht und diese Vereinbarung sind der Bundesregierung natürlich bekannt. Wir gehen davon aus, daß die Koalitionsfraktionen die Arbeit für diesen Bereich schon in Angriff genommen haben.
Sind Sie bislang an solchen Arbeiten beteiligt worden oder nicht?
Natürlich beschäftigen sich mit diesem Thema auch die zuständigen Ressorts.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Kollege Spranger, ich will überhaupt nichts unterstellen und bitte darum, daß Sie die Frage auch wirklich beantworten. Es hat seinerzeit eine erhebliche Meinungsverschiedenheit in der Unions-Fraktion über diese Frage gegeben. Teilt das Innenministerium inzwischen die Auffassung, daß eine solche Erweiterung des Grundgesetzes für den Umweltschutz eine richtige, eine wichtige Maßnahme ist?
Herr Kollege Duve, es geht hier nicht um persönliche Meinungen und Wertungen, sondern es geht um eine Koalitionsvereinbarung zu diesem Thema, die nach Auffassung der Bundesregierung so schnell wie möglich umgesetzt werden wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Ist die Annahme zutreffend, daß die Bundesregierung es wegen Einigungsunfähigkeit den Koalitionsfraktionen überläßt, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen?
Herr Kollege Schäfer, die Frage beantwortet sich fast von selbst. Die Bundesregierung ist durchaus in der Lage, entsprechende Arbeiten zu leisten. Nur, die Koalitionsfraktionen haben das nach der Vereinbarung zu tun. Ich bin sicher, die Koalitionsfraktionen werden gute Arbeit leisten.
Keine weitere Zusatzfrage?
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Bachmaier auf:
Soll nach Auffassung der Bundesregierung ein etwaiges Staatsziel Umweltschutz durch einen Gesetzesvorbehalt oder durch eine anthropozentrische Einschränkung ({0}) eingeschränkt werden, und welche Gesichtspunkte sprechen nach Auffassung der Bundesregierung für ihre Haltung?
Herr Kollege Bachmaier, wie zu Ihrer ersten Frage schon bemerkt, ist davon auszugehen, daß die Bundestagsfraktionen der Koalition einen Vorschlag erarbeiten werden. Dem Willensbildungsprozeß möchte ich nicht vorgreifen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bachmaier.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in den derzeit stattfindenden Gesprächen zwischen den Bundesländern erhebliche Konflikte auch innerhalb der Ihnen zuzuordnenden B-Länder bezüglich der Verbindlichkeit, in der dieses Staatsziel ausgestaltet werden soll, stattfinden?
Daß das ein außerordentlich breiter Problembereich ist, zu dem man unterschiedliche Auffassungen haben kann, ist allgemein bekannt. Es verwundert auch nicht, wenn es zwischen Bund und Ländern oder zwischen einzelnen Ländern hierüber zu Diskussionen kommt. Entscheidend ist, daß diese Diskussionen zu einem sinnvollen Ergebnis gebracht werden.
Zweite Zusatzfrage.
Liegt der Bundesregierung an einer möglichst verbindlichen Formulierung des Staatsziels Umweltschutz, oder steht die Bundesregierung der Haltung derjenigen Bundesländer näher, die eine möglichst unverbindliche, entweder mit Gesetzesvorbehalt oder mit einem Gesetzgebungsauftrag versehene Formulierung wünschen?
Ich bitte sehr um Verständnis: Eine Festlegung zu Ihren Fragen würde einen Eingriff bedeuten, eine Richtung angeben in einem Willensbildungsprozeß, der zwischen den Koalitionsfraktionen läuft und den die Bundesregierung im jetzigen Stadium weder so noch so beeinflussen möchte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, ist mein Eindruck richtig, daß die Bundesregierung bei der Behandlung dieses Themas nicht gerade von gesetzgeberischer und verfassungsgeberischer Leidenschaft gepackt ist, wenn ich die Tonart Ihrer Antworten hier richtig interpretiere?
Herr Kollege, Leidenschaft ist in diesem schwierigen Geschäft nicht immer das entscheidende Kriterium. Entscheidend ist, daß etwas Vernünftiges herauskommt, und zwar in angemessener Frist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Antworten, daß die Bundesregierung ihren Sachverstand einbringe und beteiligt sei, möchte ich fragen: Können Sie uns mitteilen, bis wann sich die drei Koalitionsparteien mit ihrem Gesetzentwurf vereinbaren können?
Herr Kollege Schäfer, ich glaube, hier wären die parlamentarischen oder die Fraktionsgremien die zuständigeren Adressaten. Sie sitzen ja regelmäßig mit den Kollegen von CDU/ CSU und FDP zusammen. Wenn Sie den Verantwortlichen der Fraktionen die Frage stellen, werden Sie sicherlich konkrete Anworten bekommen.
Ich rufe Frage 28 des Herrn Abgeordnete Börnsen ({0}) auf:
Ist es mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung vereinbar, wenn auf Grund vertraglicher Bindungen zwischen Kommunen und der Deutschen Städtereklame ({1}) für die Plakatierung durch politische Parteien oder Bürgerinitiativen im öffentlichen Straßenraum Gebühren durch die DSR berechnet werden?
Vizepräsident Frau Renger
Herr Kollege Börnsen, als Abgeordneter für den Wahlkreis VerdenOsterholz ist Ihnen sicher bekannt, daß die von Ihnen gestellte Frage zur Zeit Gegenstand einer beim Verwaltungsgericht Stade anhängigen Klage gegen die Stadt Osterholz-Scharmbeck ist. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mit meiner Antwort nicht in dieses schwebende Verfahren eingreifen möchte.
Unabhängig davon darf ich bemerken, daß die genannte Stadt im Rahmen ihres verfassungsrechtlich verbrieften Rechts auf kommunale Selbstverwaltung gehandelt hat. Es ist nicht Sache der Bundesregierung, in diesen Bereich fallende und von den örtlichen Verhältnissen geprägte Entscheidungen der Kommunen rechtlich zu bewerten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börnsen.
Herr Staatssekretär, ich bedaure, daß Sie inhaltlich dazu keine Stellung nehmen wollen, weil ich der Meinung bin, daß dies wesentlich wäre. Ist Ihnen bekannt, daß es sich nicht um eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen der Stadt Osterholz-Scharmbeck und der Deutschen Städtereklame handelt, sondern zwischen der Bürgerinitiative Garstedter Heide und der Deutschen Städtereklame. Damit ist die Kommune gar nicht befaßt.
Das ist richtig, aber es ist ein laufendes, anhängiges Verfahren, in das die Bundesregierung durch irgendwelche rechtlichen Bewertungen nicht eingreifen sollte, nicht kann, nicht will, möglicherweise auch gar nicht darf.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß das Thema so wichtig ist, daß man gerade deshalb regelnd eingreifen sollte, weil Sie doch sicherlich mit mir der Meinung sind, daß politische Meinungsfreiheit nicht käuflich sein darf?
Ich will hier nicht zu Ihren Wertungen Stellung nehmen, aber daß die Bundesregierung, wenn die Frage so bedeutsam ist, sich erst recht jeglicher Einflußnahme auf das Gericht zu enthalten hat, halte ich ebenfalls für logisch.
Ich rufe Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Pick auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem tragischen Todesfall der Leichtathletin Birgit Dressel ({0}) für die Förderung und medizinische Betreuung der deutschen Spitzenathleten sowie für die Beratung der Spitzenverbände und leistungsfördernden Einrichtungen des Sports?
Herr Kollege Dr. Pick, bis heute sind der Bundesregierung die Umstände, die zum tragischen Tode der Leichtathletin Birgit Dressel geführt haben, nicht bekannt. Das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren über die Todesursache ist noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung wird nicht zögern, die notwendigen Schritte einzuleiten, wenn sich ein Handlungsbedarf ergeben sollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pick.
Ist die Bundesregierung bereit, wenn die näheren Unstände dieses tragischen Falles bekannt sind, mit den entsprechenden Verbänden, mit den Sportlern und anderen Interessierten in einen intensiven Dialog einzutreten, um Fälle solcher Art, die von den Betroffenen nicht ausgeschlossen werden, in Zukunft zu vermeiden?
Ich sage das alles unter Vorbehalt dessen, was nach Abschluß der Untersuchung herauskommt, aber ich meine schön, daß man alles tun wird - und da wird sich die Bundesregierung nicht verweigern, sondern die ihr mögliche aktive Rolle spielen - , daß sich solche Fälle zukünftig vermeiden lassen.
Zweite Zusatzfrage.
Es ist davon die Rede, daß ein bestimmtes Arzneimittel, Metamizol, bei diesem Unglücksfall eine Rolle gespielt habe. Ist es richtig, daß dieses Mittel bis Ende 1986 auf dem bundesdeutschen Markt frei erhältlich war, daß es ab 1. Januar 1987 verschreibungspflichtig war und daß offensichtlich unter dem Eindruck dieses Falles die entsprechenden Präparate vom Bundesgesundheitsamt zurückgezogen werden?
Ich kann hier nur wiederholen: Uns liegen irgendwelche Ergebnisse der Untersuchungen nicht vor. Das heißt, auch die Dinge, die Sie hier darstellen, sind für uns noch nicht belegt. Ich bin aber gerne bereit, nachprüfen zu lassen, inwieweit der von Ihnen dargestellte Sachverhalt schon fixierbar ist und ob irgendwelche Schlußfolgerungen daraus abgeleitet werden könnten.
({0})
Nein, Sie hatten zwei Fragen. Sie dürfen nur zwei Fragen zusätzlich stellen.
Ich hatte die konkrete Frage nach diesem Arzneimittel gestellt. Ich wollte eine Antwort dahin gehend, ob das stimmt - ohne jetzt den Zusammenhang zu dem Fall Dressel herzustellen.
Herr Kollege, ich habe Ihnen konkret zur Antwort gegeben, daß wir, da wir bisher überhaupt keine Erkenntnisse der Untersuchung übermittelt bekommen haben, natürlich auch nicht sagen können, ob ein solches Medikament irgendeine Rolle gespielt hat. Aber ich sagte Ihnen zu: Ich will gerne nachprüfen, inwieweit dieser von Ihnen geschilderte Sachverhalt schon konkret ist und ob es für die Bundesregierung schon naheliegt, irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Duve.
Zunächst zur Information: Wir haben in der 9. Legislaturperiode im Plenum sehr intensiv über Metamizol gesprochen, und es ist bedauerlich, daß all die Jahre nichts passiert ist. Aber, Herr Staatssekretär, Sie haben hier mehrfach gesagt, daß die Bundesregierung in diesem ganzen Zusammenhang erst tätig werden würde, wenn die endgültigen Ergebnisse vorlägen. Die öffentliche Diskussion und sehr viele Eingeständnisse vieler Beteiligter, auch von Sportlern, der letzten Wochen haben doch gezeigt, daß unmittelbarer Handlungsbedarf im Zusammenhang mit Aufputschmitteln besteht. Ist die Bundesregierung bereit, auch unabhängig von dem medizinischen Ergebnis dieses Individualfalls, diese Sache nun endlich anzupacken?
Herr Kollege Duve, Sie wissen doch, daß das Thema Doping, unabhängig von diesem konkreten Fall, nicht erst seit Wochen, sondern seit einer Reihe von Jahren eine wesentliche Rolle spielt und daß die Bundesregierung hier auch Mittel für entsprechende Forschungen zur Verfügung stellt. Ich meine, daß bei der Überprüfung von Problemen des Dopings ein politischer oder finanzieller Nachholbedarf bei der Bundesregierung nicht besteht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich der Deutsche Sportbeirat, insbesondere der Hochleistungssportbeirat, der Deutsche Gesundheitsrat mit diesem tragischen Tod beschäftigen, und ist es nicht richtig, wenn die Bundesregierung schon aus Pietätsgründen die Ergebnisse abwartet und sich dann erst äußert?
Es ist in jedem Fall aus sachlichen Gründen zwingend erforderlich, daß man erst das Ergebnis der Untersuchungen abwartet, bevor man irgendwelche Schlußfolgerungen daraus zieht.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Scherrer.
Herr Staatssekretär, halten Sie die medizinische Betreuung von Spitzensportlern für verbesserungsfähig?
({0})
Es ist sicherlich erforderlich, daß der einen Spitzensportler behandelnde Arzt weiß, wie und mit welchen Arzneimitteln ein Sportler vorher behandelt worden ist. Daß es hier möglicherweise Defizite gibt, wird sich vielleicht auch aus der Untersuchung ergeben, die zur Zeit noch läuft.
Daß wir uns bemühen, die sicherlich in den letzten Jahren besser gewordene medizinische Betreuung der Spitzensportler weiter zu verbessern, ist auch bekannt. Die Einrichtung der Olympia-Stützpunkte, die zur Zeit mit nicht unbeträchtlichen Geldmitteln seitens des Bundes betrieben wird, hat vor allem die Aufgabe, die soziale und medizinische Betreuung der Spitzensportler zu verbessern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster ({0}).
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, hier Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse dahin gehend mitzuteilen, daß der Deutsche Bundestag seit Jahren erhebliche Mittel, Millionenbeträge, auf Betreiben der Bundesregierung für Grundlagenforschung und konkrete Forschung zur Verfügung stellt, um gesundheitliche Schäden gerade bei Spitzensportlern zu verhindern, etwa über das Deutsche Sportinstitut in Köln, und daß gerade diese Maßnahmen wiederholt von einzelnen Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit dahin gehend kritisiert wurden, daß es nicht Sache des Staates sei, . . .
Dies ist eine Rede und keine Frage. Ich darf bitten, zum Ende zu kommen, Herr Gerster.
... hier im Interesse der Gesundheit der Athleten zu arbeiten, sondern daß das ausschließlich Sache des Deutschen Sportbundes sei?
Herr Kollege Gerster, ich bestätige gerne, daß der Bund erhebliche Mittel in der Weise zur Verfügung stellt, wie Sie es beschrieben haben. Ich nenne eine Zahl: Beispielsweise wendet der Bundesminister des Innern für sportmedizinische Untersuchungen von Spitzensportlern jährlich rund 2 Millionen DM auf. Darin sind natürlich all die Mittel, die die Maßnahmen, die Sie beschrieben haben, erfordern, nicht einbezogen. Ich glaube, daß hier der Aufwand des Bundes beträchtlich ist, und ich hoffe, daß dieser Aufwand zukünftig auch von allen Vertretern dieses Hauses als notwendig und sinnvoll bewertet wird.
Die Fragen 30 und 31 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Wartenberg ({0}) auf:
Welche „Unterrichtung" zur Behandlung von AIDS-kranken Ausländern an den Grenzen hat das Bundesministerium des Innern der Grenzschutzdirektion Koblenz gegeben, und welche Weisung hat die Grenzschutzdirektion Koblenz auf Grund dieser Unterrichtung erteilt?
Herr Kollege Wartenberg, das zuständige Referat des Bundesministeriums des Inneren hat der Grenzschutzdirektion mit Erlaß vom 1. April 1987 folgendes mitgeteilt:
1. Die Anwesenheit von Ausländern, die an AIDS erkrankt oder die, ohne bereits erkrankt zu sein, Träger von AIDS-Viren sind, beeinträchtigt im Hinblick auf das Übertragungs- wie auch das Kostenrisiko erhebliche Belange der Bundesre796
publik Deutschland. Diese Ausländer sind daher bei der Einreise gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG zurückzuweisen. Ob die Zurückweisung auch auf § 18 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 Nr. 9 AuslG gestützt werden könnte, kann dahinstehen.
Für die Zurückweisung ist nicht der Nachweis erforderlich, daß der Ausländer tatsächlich an AIDS erkrankt oder Träger von AIDS-Viren ist. Es genügt insoweit vielmehr ein entsprechender begründeter Verdacht ({0}).
2. Ich wäre Ihnen für die Mitteilung dankbar, welche konkreten Fälle dem Bezugsfernschreiben zugrunde liegen und auf welche Fallgestaltungen die Rückfrage abzielt. Abgesehen vielleicht von einer möglichen Zuordnung einreisewilliger Ausländer zu den wichtigsten AIDS-Risikogruppen bin ich bislang davon ausgegangen, daß es keine dem medizinischen Laien erkennbaren Anhaltspunkte gibt, die auf eine AIDS-Erkrankung oder gar nur eine AIDSInfizierung schließen lassen.
Soweit dieser Erlaß. Die Grenzschutzdirektion hat nur die Ziffer 1 des Erlasses vom 13. April 1987 an ihren nachgeordneten Bereich weitergegeben und um Beachtung bei der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs gebeten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wartenberg.
Wie bewerten Sie eigentlich, Herr Staatssekretär, daß in Ihrem Hause das, was unter Ziffer 1 an wirklich menschenfeindlichen Aussagen steht, zustande kommen kann? Gibt Ihnen das nicht grundsätzlich zu denken, um nachzuprüfen, was in Ihrem Hause eigentlich vorgeht?
({0})
- Das ist doch völlig wurscht, wer das geschrieben hat.
Ich kann hier nur wiederholen: Ob das hier in der Einzelformulierung verbesserungsfähig gewesen wäre oder nicht, will ich dahingestellt sein lassen. In der Sache ist hier die Rechtslage exakt wiedergegeben und übermittelt worden. Das ist der Rechtszustand heute in der Bundesrepublik Deutschland.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie uns einmal sagen, wieviel Millionen Grenzüberschritte es im Jahr gibt? Schieben Sie nicht mit diesem Erlaß dem Polizeibeamten an der Grenze eine Verantwortung zu, von der Sie genau wissen, daß er sie nicht erfüllen kann?
Hier, Herr Kollege Dr. Hirsch, ist dem Beamten nicht mehr an Verantwortung übertragen worden, als ihm kraft Gesetzes wahrzunehmen obliegt.
({0})
- Es sind sogar 900 Millionen. Über die Zahl kann man streiten. Wir sind uns über die Zahl der Grenzübertritte einig.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Herr Staatssekretär, könnten Sie bitte eine Antwort auf die Fragen geben, wieso dieser Erlaß bzw. diese Unterrichtung ausschließlich mit dem Ausländergesetz begründet wird, wo es sich doch angeblich um Gesundheitsschutz handelt, und welche Vorsorge Sie bzw. Ihr Ministerium getroffen haben, daß Beamte an den Grenzen Ausländer nicht willkürlich zurückweisen, da man, wie bekannt ist, AIDS äußerlich überhaupt nicht erkennen kann? Gibt es entsprechende Richtlinien für die Beamten? Sind die in Arbeit? Oder was ist dazu gedacht, überlegt und möglicherweise geplant?
Es ist hier eine Auskunft in bezug auf diese Krankheit und die Anwendung des existierenden Rechts auf Ausländer angefordert worden. Eine entsprechende Auskunft ist gemäß der Rechtslage erteilt worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Spranger, Sie sind mit mir sicher darin einig, daß die Grenzkontrollen von Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes in den Besoldungsgruppen A 4, A 5 bis allerhöchstens A 9 geleistet werden. Können Sie mir - ich schließe mich da der Frage des Kollegen Hirsch an - erklären, wie die Beamten an der Grenze - diese Frage hat mit deren Intelligenz nichts zu tun; die Beamten sind außerordentlich intelligent - mit diesem Erlaß - so haben Sie gesagt - des Bundesinnenministers eigentlich praktisch arbeiten sollen? Wie ist das umsetzbar?
Herr Kollege, ich darf nur noch einmal darauf hinweisen, daß hier auch eine Ziffer 2 in diesem Erlaß, dieser Rechtsauskunft des Innenministeriums enthalten war, die deutlich macht, daß uns bzw. der zuständigen Stelle im Hause erstens keine konkreten Fälle bekannt waren und zweitens Schwierigkeiten gesehen wurden, diese konkreten Fälle in einer Form zu bearbeiten, daß der Grenzschutzbeamte selber in der Lage wäre, die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Das ist nach unserer Auffassung - es werden da auch noch andere Fragen kommen - nicht der Fall.
({0})
- Nein. Wollen Sie dem Grenzschutzbeamten zumuten, daß er allein die Feststellung trifft?
({1})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wetzel.
Herr Staatssekretär, in dem Erlaß ist die Rede davon, für die Verweigerung der Einreise sei es hinreichend, einen begründeten Verdacht auf AIDS zu haben. Würden Sie mir bitte erklären, wie sich ein derartiger Verdacht bei einem Grenzschutzbeamten begründet? Genügt dafür das Tragen eines Ohrrings, oder daß ein Wagen nur mit Männern gefüllt ist? Oder welche anderen Arten von Begründung gibt es dafür?
Das ist zweifelsohne eine Fragestellung, die ein Grenzschutzbeamter bisher von sich aus allein nicht beantworten kann. Er kann diese Entscheidung nach meiner Auffassung allein, ohne Hinzuziehung von Ärzten oder von begründeten Hinweisen, wie es vorhin schon zum Ausdruck gebracht wurde, beispielsweise daß der Betroffene von sich aus entsprechende Aussagen macht, nicht treffen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Ich will nachfragen, Herr Staatssekretär, ob Ihre Antworten bislang die Auffassung der gesamten Bundesregierung wiedergeben oder nur die Auffassung Ihres Ressorts darstellen.
Ich kann nur sagen, daß die Antworten auf die Anfragen innerhalb der Bundesregierung abgestimmt sind.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, damit das konkreter wird: Können Sie sich vorstellen, was Sie, wenn Sie Beamter des Bundesgrenzschutzeinzeldienstes wären, täten, nachdem Sie diesen Erlaß gelesen haben, wenn ein Franzose in die Bundesrepublik Deutschland einreisen will und Sie seinen Paß kontrollieren würden?
Also, um das vorwegzunehmen: Der Erlaß betrifft natürlich nicht Bewohner der EG, trifft nicht auf Asylbewerber zu, sondern auf Ausländer, die unter das Ausländerrecht fallen. Ich wiederhole: Es ist nicht eine Handlungsanweisung, sondern es ist eine Rechtsinterpretation, eine Interpretation und Darstellung der Rechtslage, wie sie sich auf Grund der Situation im Ausländerrecht und den entsprechenden Verwaltungsanweisungen eindeutig darstellt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schoppe.
Herr Staatssekretär, ich möchte in bezug auf eine Frage, die schon einmal gestellt worden ist, einmal etwas präziser nachfragen. Wenn bei Ihnen eine Rechtsauskunft eingeholt wird, bei der es sich nicht nur um Fragen handelt, die Ihr Ressort angehen, sondern auch um den Bereich AIDS, der ja ein anderes Ministerium betrifft: Ist das Ministerium von Frau Süssmuth - das ist meine ganz konkrete Frage - über die Anfrage unterrichtet gewesen, und ist sie über die Antwort unterrichtet gewesen, die gegeben worden ist, oder ist sie - wie andere - von dem Erlaß, der dann kam, überrascht worden?
Frau Präsident, ich möchte doch auf die ursprüngliche Frage verweisen.
({0})
Es geht hier um diesen Erlaß und darum, was in ihm steht, nicht aber um irgendwelche Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung. Ich sehe hier keinen Zusammenhang.
({1})
Zusatzfrage, Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja selber gesagt, daß dieser Erlaß keine praktische Wirkung haben kann, weil der Beamte das alles gar nicht machen kann. Meine Frage: Gibt es zu irgendeiner anderen Krankheit in der Vergangenheit eine ähnliche Rechtsfeststellung, wie Sie sie durch den Erlaß bei AIDS vorgenommen haben?
Es gibt - entsprechend der Verwaltungsvorschrift hier - natürlich auch eine Regelung für ähnliche ansteckende Krankheiten. Das ist nicht beschränkt auf eine Krankheit, die jetzt besonders aktuell ist.
Im übrigen, um dem Einwurf zu begegnen, hier finde eine Mißachtung des Parlaments statt: Ich weise darauf hin, daß die Frage 33 des Kollegen Wartenberg genau den Punkt anspricht, der vorhin von Frau Schoppe erwähnt worden ist. Das macht deutlich, daß es sich doch um eine andere Frage handelt.
({0})
Zusatzfrage, Abgeordneter Gerster ({0}).
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, daß die Rechtslage auch nach der Interpretation des Innenministeriums derzeit so ist, daß etwa Grenzschutzbeamte einreisewillige Ausländer nicht auf Krankheiten untersuchen dürfen, sondern daß es hier lediglich um eine Rechtsauskunft gehen kann, wenn sich z. B. jemand, der einreisen will, selber als AIDS-krank bezichtigt?
({0})
Also, ich kann hier noch einmal wiederholen, Herr Kollege Gerster: Mit dieser Rechtsinterpretation wurde keine neue ausländerrechtliche Maßnahme getroffen, sondern die Grenzbehörde lediglich über die Anwendung des gel798
Pari. Staatssekretär Spranger
tenden Ausländerrechts unterrichtet. Der Erlaß sieht keine generellen oder gezielten AIDS-Kontrollen an der Grenze vor, sondern unterrichtet lediglich, wie zu verfahren ist, wenn im Einzelfall auf Grund besonderer Hinweise eine AIDS-Infektion bekannt ist oder ein begründeter Verdacht besteht. Der Erlaß ist insbesondere keine Maßnahme zur Eindämmung und Bekämpfung von AIDS.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, nachdem wir nun gehört haben, daß es - erstens - eine Rechtsinterpretation ist, daß der Grenzbeamte - zweitens - daraufhin nicht handeln kann, es also keine Handlungsanweisung ist, er also damit nichts anzufangen weiß, und daß diese Sache - drittens - in der Regierung, nicht nur in Ihrem Hause, abgestimmt ist - wir wissen zwar nicht, auf welchem Wege, aber sie ist abgestimmt -, frage ich Sie: Ist dies Ausdruck des gesammelten Sachverstandes dieses Bundeskabinetts?
Also, auf diese Wertungsfrage brauche ich, glaube ich, keine Antwort zu geben.
({0})
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wilms-Kegel, bitte.
Herr Staatssekretär, wie ist es zu erklären, daß der zweite Teil dieser Rechtsauskunft an die Dienststellen nicht direkt übermittelt worden ist, sondern nur der erste Teil, und warum ist der zweite Teil auf der Strecke geblieben?
Das ist eine Entscheidung der Grenzschutzdirektion gewesen, die auch für uns nicht ganz nachvollziehbar war.
Ich rufe jetzt die Frage 33 - sie war schon weitgehend mit einbezogen - des Herrn Abgeordneten Wartenberg auf.
Wie kam die „Unterrichtung" des Bundesministeriums des Innern an die Grenzschutzdirektion Koblenz zustande, und welche Ressortabstimmungen haben stattgefunden?
Der Erlaß beruht auf einer fernschriftlichen Anfrage der Grenzschutzdirektion vom 3. Februar 1987. Ich wiederhole jetzt etwas, was schon gesagt worden ist: Er ordnet keine Maßnahme von allgemeiner politischer Bedeutung an, sondern fordert zunächst eine Rückäußerung der anfragenden Grenzschutzdirektion und macht durch den Hinweis, daß es keine dem medizinischen Laien erkennbaren Ansatzpunkte für eine AIDS-Erkrankung oder eine AIDSInfizierung gibt, deutlich, daß keine unmittelbaren praktischen Konsequenzen für das Kontrollverfahren an der Grenze zu ziehen sind. Aus diesem Grunde ist eine Ressortabstimmung nicht erfolgt.
({0})
Sie war nicht erforderlich, da es sich lediglich um eine Auslegung des Ausländergesetzes, für das der Bundesminister des Innern zuständig ist, gegenüber einer dem Bundesministerium des Innern nachgeordneten Behörde, mithin um einen ressortinternen Vorgang handelte.
Im übrigen ist in der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von AIDS eine Abstimmung über die Behandlung ausländerrechtlicher Fragen im Hinblick auf AIDS vereinbart.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wartenberg.
Ihnen ist wahrscheinlich nicht bewußt geworden, daß Sie sich eben selbst ausgetrickst haben; denn auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Schäfer haben Sie geantwortet, daß eine Ressortabstimmung stattgefunden hat.
Das ist ein großer Irrtum; ich möchte das klarstellen: eine Abstimmung ist erfolgt in bezug auf die Antworten auf Ihre Frage, die Sie gestellt haben.
Dann noch einmal konkret die Frage: Hat es Informationen oder Gespräche beispielsweise mit dem Gesundheitsministerium gegeben?
Ich wiederhole, daß es sich hier um eine Rechtsauskunft handelte, für die das Innenministerium zuständig war, und für die keine Ressortabstimmung erforderlich war. Deshalb erfolgte, was die Antwort auf die Anfrage der Grenzschutzdirektion anlangt, keine Ressortabstimmung.
({0})
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wartenberg.
Warum hat sich eigentlich Ihre Behörde, Ihr Referat so unheimlich viel Mühe zu Teil 1 gemacht - es ist ja wirklich schlimm, was da drinsteht - , um dann in Teil 2 zu sagen, daß eigentlich alles nicht relevant ist? Können Sie das vielleicht erklären? Hätte man nicht von Ihrem Ministerium aus von vornherein sagen können - Sie sind ja für kurze, knackige Aussagen bekannt - : Dieser menschenfeindliche Quatsch ist zu unterlassen.
Hier würden Sie einem Ministerium zumuten, daß es vereinfachte Rechtsauskünfte gibt, die der zweifelsohne komplizierten Rechtslage nicht entsprechen würden. Ich glaube, das ist nicht der Zweck dessen, was mit der Anfrage der Grenzschutzdirektion beabsichtigt war.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich auf den Unterschied zwischen Rechtsauskunft und Erlaß zurückziehen wollen, dann müssen Sie doch einräumen, daß es sich um eine Rechtsauskunft handelt, die nicht nur dem Anfragenden, sondern dem ganzen Grenzschutz gegeben worden ist, also die
Wirkung eines Erlasses hat; denn Sie wollen damit doch ein bestimmtes Handeln der Beamten, das ich nicht erkennen kann, herbeiführen.
Ist es, wenn es also in Wirklichkeit ein Erlaß ist, nicht doch richtig, daß Sie den Inhalt dieses Erlasses mit den zuständigen Fachressorts abstimmen müßten, und zwar, wenn es sich aus der Geschäftsordnung nicht ergäbe, aus der Vernunft heraus?
Herr Kollege Dr. Hirsch, wenn man die beiden Ziffern dieses Erlasses überprüft, stellt man fest, daß der erste Teil sicherlich die Interpretation der Rechtslage ist. Der zweite Teil ist im Grunde die Aufforderung an die Grenzschutzdirektion und die nachgeordneten Behörden, konkrete Fälle, die dem Innenministerium bis dato nicht bekannt waren, mitzuteilen und dann, wenn sich entsprechende Fälle konkretisieren, beim Ministerium rückzufragen bzw. mit der Grenzschutzdirektion den Sachverhalt abzuklären.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer ({0}).
Warum haben Sie die Anfrage nicht einfach mit „Es besteht kein Handlungsbedarf " beantwortet?
Sie können doch auf die Frage der Grenzschutzdirektion, wie die Rechtslage sei, nicht antworten: Es besteht kein Handlungsbedarf.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Hätten Sie nicht anschließend an die vorherige Frage diese Antwort geben müssen, nachdem Sie gerade vorher gesagt haben, daß diese Unterrichtung, diese Rechtsauskunft keine praktischen Folgen - ich habe es wörtlich mitgeschrieben - haben wird?
Deswegen ja die Ziffer 2 - ich wiederhole den ersten Satz - , wo an die Grenzschutzdirektion mitgeteilt wurde:
Ich wäre Ihnen für die Mitteilung dankbar, welche konkreten Fälle den Bezugsfernschreiben zugrunde liegen und auf welche Fallgestaltung die Rückfrage abzielt.
Ich verzichte jetzt auf eine weitere Verlesung. Das zeigt ja, daß hier für konkrete Fälle keine konkreten Anweisungen in der Form erteilt wurden, sondern daß lediglich eine Rechtsauskunft übermittelt worden ist.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Duve auf.
Erlauben die gegenwärtigen Bestimmungen des Ausländergesetzes eine Zurückweisung von AIDS-Verdächtigen an der deutschen Grenze, und hält die Bundesregierung eine Anweisung zur Zurückweisung AIDS-Verdächtiger für rechtlich zulässig, gesundheitspolitisch verantwortbar und für praktikabel?
Herr Kollege Duve, ich darf vorab bemerken, daß noch kein Ausländer wegen AIDS oder AIDS-Verdacht an der Grenze zurückgewiesen worden ist und daß generelle oder gezielte AIDS-Kontrollen an den Grenzen weder stattfinden noch beabsichtigt sind.
Im übrigen ist zur rechtlichen Situation zu bemerken: Bei AIDS handelt es sich um eine übertragbare, lebensbedrohende und derzeit noch nicht heilbare Krankheit, deren Behandlung zudem mit erheblichen Kosten verbunden ist. Deshalb kann die Anwesenheit von Ausländern, die an AIDS erkrankt oder Träger von AIDS-Viren sind, grundsätzlich erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Aus diesem Grund erlaubt das geltende Ausländerrecht, daß solche Ausländer zurückgewiesen werden; ich nenne § 18 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Nr. 11 des Ausländergesetzes. Dies gilt allerdings nicht für Staatsangehörige von EG-Mitgliedstaaten, die nach Europäischem Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genießen.
Nach der Verwaltungsvorschrift des Bundes - Nr. 4 und 5 zu § 2 Ausländerverwaltungsvorschrift - genügt für die Annahme einer Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland ein entsprechender begründeter Verdacht, der bei AIDS besonders problematisch sein dürfte.
Bei dieser Rechtslage ist eine generelle Anweisung zur Zurückweisung auch von AIDS-verdächtigen Ausländern aus Staaten außerhalb der EG an der Grenze zulässig. Eine andere Frage ist jedoch, inwieweit eine solche Maßnahme bzw. Anweisung zweckmäßig und praktikabel ist. Die am 14. Mai 1987 konstituierte interministerielle Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von AIDS soll sich auch damit im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung von AIDS befassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, ich habe ja nach der rechtlichen Zulässigkeit, aber auch nach der gesundheitspolitischen Verantwortbarkeit gefragt. Sind Sie nach der Diskussion, die wir hier eben geführt haben und die die Öffentlichkeit seit Wochen führt, nicht auch mit mir der Meinung, daß schon dieser Erlaß gesundheitspolitisch unverantwortbar war?
Ein Erlaß, der auf die Rechtslage hinweist, wie sie existiert, kann natürlich auch aus gesundheitspolitischen Gründen nicht falsch gewesen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Habe ich Ihre vorhergehende Antwort richtig verstanden, wonach die Bundesregierung nicht ausschließt, daß es opportun sein könnte, das ausländerrechtliche Instrumentarium zur Abweisung von Ausländern, die in die Bundesrepublik wollen, einzusetzen, und daß dies Gegenstand der interministeriellen Arbeitsgruppe ist?
Ich darf darauf hinweisen, daß die jetzige ausländerrechtliche Lage nicht von dieser Bundesregierung stammt, sondern Auswirkung einer Gesetzgebung ist, die lange vorher verabschiedet worden ist.
({0})
Zum Beispiel stammt die Verwaltungsvorschrift, die wir hier diskutiert haben, aus dem Jahre 1978. Es ist wohl notwendig, bei dieser schwierigen Materie auf diese Rechtslage hinzuweisen. Wenn es nicht geschähe, würde die Bundesregierung ebenfalls wieder Vorwürfe erhalten.
Keine Zusatzfrage, Herr Schäfer?
Ich darf nicht. Ich stelle die gleiche Frage nachher noch einmal, weil er nicht geantwortet hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Schmidt-Bott.
Herr Staatssekretär, können Sie erklären und dann auch begründen, warum sich diese Rechtsauskunft, wie Sie es genannt haben, nur auf Ausländer bezieht, die nicht Angehörige der EG sind, und warum nicht auch auf EG-Mitglieder bzw. dann auf jeden, der von außen unsere Grenzen überschreiten will? Denn AIDS-verdächtig sind wir ja im Prinzip inzwischen alle.
Weil die Sonderregelung innerhalb der EG eine Gleichbehandlung der EG-Angehörigen mit den übrigen Ausländern ausschließt.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Schäfer ({0}) auf:
Welche Stellen haben gegenwärtig darüber zu entscheiden, ob bei einem einreisenden Ausländer ein Verdacht auf AIDSErkrankung besteht, und welche konkreten Nachweise für eine AIDS-Erkrankung müssen vorliegen, damit die Einreise des Ausländers in die Bundesrepublik Deutschland untersagt werden kann?
Herr Kollege Schäfer, die Entscheidung über die Zurückweisung bei AIDS-Fällen ist der Grenzschutzdirektion vorbehalten. Generelle und gezielte AIDS-Kontrollen an der Grenze finden weder statt, noch sind sie beabsichtigt.
Glaubwürdigen Hinweisen über die AIDSInfizierung einreisewilliger Ausländer muß die Grenzpolizei im Rahmen ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr nachgehen. Hinweise, die die Grenzpolizei zu entsprechenden Maßnahmen veranlassen, können dieser auf schriftlichem oder mündlichem Wege zugehen. Sie können sich ergeben z. B. aus Fahndungsersuchen bei einem Unterbringungsbefehl, personengebundenen Hinweisen im Zusammenhang mit Festnahmeersuchen, schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen in- oder ausländischer Behörden oder Angaben des Betroffenen, wie ich vorhin auch schon dargelegt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal die Frage stellen, die zuvor nicht beantwortet worden ist: Denkt die Bundesregierung daran, über das Gesagte hinaus das ausländerrechtliche Instrumentarium zur Ablehnung von vermuteten AIDS-Kranken, die in die Bundesrepublik Deutschland reisen wollen, anzuwenden?
Die Bundesregierung ist natürlich gehalten, nach der existierenden Rechtsordnung zu verfahren.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Sind auch diese Antworten mit der Auffassung der Bundesregierung insgesamt abgestimmt?
Herr Kollege Schäfer, es bedarf doch keines gesonderten Abstimmungsprozesses innerhalb der Bundesregierung, wenn es darum geht, die existierende Rechtsanordnung anzuwenden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da hier nach konkreten Nachweisen gefragt wird und da die Grenzschutzdirektion Koblenz mit Sicherheit keine Telefondiagnose stellen kann, müßten Sie uns doch außer den ganz abstrakten und den Fall offensichtlich nicht treffenden Hinweisen, die Sie gegeben haben - also eine Mitteilung des ausländischen Staates oder was auch immer - , sagen können, an welche konkreten Nachweise Sie denken, ob etwa die Zugehörigkeit zu bestimmten Personengruppen ausreichen soll oder die Tatsache, daß jemand aus San Francisco oder aus irgendeinem schwarzafrikanischen Land kommt. Gibt es bei Ihnen solche Überlegungen?
Herr Kollege Dr. Hirsch, es ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, daß ein konkreter Fall mit einem AIDS-Kranken an der Grenze, wie wir das jetzt im Grunde konkret diskutiert haben, bisher nicht existiert, d. h. die von mir genannten Beispiele sind nur Ableitungen aus den Hinweisen, die sich bisher bei anderen anstekkenden Krankheiten ergeben haben und die, im Abstrakten gesprochen, natürlich auch bei AIDSKranken möglich sind.
Gestatten Sie noch eine Frage: Es ist doch nicht so wie im Mittelalter, daß ein Pestschiff mit einer gelben Fahne am Mast kommt. Wie soll das nun praktisch aussehen?
Ich kann nur wiederholen, was an Möglichkeiten existiert, die auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit anderen Krankheiten zu konkreten Hinweisen und begründeten Zurückweisungen geführt haben.
Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Parl. Staatssekretär Spranger
Ich nenne Ihnen noch ein ganz konkretes Beispiel. Es kann ja wohl nicht so sein, daß die Grenzpolizei verpflichtet ist - das ist ein konkreter Fall - , einen bekannten afrikanischen Geschäftsmann, der in Belgien erwiesenermaßen mehrere Personen infiziert hat, hier anstandslos einreisen zu lassen, obwohl sie, wenn sie konkrete Hinweise darauf hat - Hinweise im übrigen, die ja in der Presse breit behandelt worden sind -, auf Grund der gegebenen Rechtslage handeln müßte.
({0})
Damit ist die Fragestunde beendet.
Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht vom Fragesteller zurückgezogen worden sind.*)
({0})
Ich rufe Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Gesetzwidrige und sonstige Vorkommnisse sowie Meinungsäußerungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung
Meine Damen und Herren, die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben gemäß § 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben seit Monaten von seiten der GRÜNEN Aufrufe zum Boykott der Volkszählung. Wir erleben den Mißbrauch öffentlicher Einrichtungen durch Fraktionen der GRÜNEN in Gemeinden und Städten. Wir erleben, daß sie die Bevölkerung mit falschen Informationen fehlinformieren. Wir erleben, daß sie irrationale Ängste vor dem angeblich drohenden Überwachungsstaat schüren. In diesen Tagen erleben wir die Früchte dieser Maßnahmen: Überfälle auf Zählerinnen und Zähler zur Volkszählung, Drohbriefe an Zählerinnen und Zähler, Verteilung gefälschter Informationsschreiben, Diebstahl von Erhebungsunterlagen, Brandanschläge auf Erhebungsstellen.
Meine Damen und Herren, das sind die Früchte dessen, was Sie seit Monaten hier betreiben. Die Urheber sind die GRÜNEN. Die Urheber sitzen hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Lassen Sie mich hier deshalb drei Dinge feststellen:
* ) Zurückgezogen wurden die Fragen 40, 41 des Abg. Schily, 64, 65 der Abg. Frau Schmidt-Bott, 68, 69 der Abg. Frau Dr. Vollmer, 70, 71 der Abg. Frau Kelly, 86, 87 der Abg. Frau Schilling und 88, 89 des Abg. Kleinert ({1}).
Die schriftlichen Antworten sind als Anlagen abgedruckt.
Erstens. Die Volkszählung ist notwendig. Sie ist unerläßlich, wenn man vernünftige Politik mit dem Verstand machen will. Deshalb ist es kein Zufall, daß die GRÜNEN gegen die Volkszählung sind: weil sie nicht Politik mit dem Verstand, sondern mit Emotionen, mit Gefühlen machen.
({2})
Der Bund braucht exakte Daten der Volkszählung. Wenn es z. B. darum geht, für die Rentenform zu erkennen, ob wir in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren noch genügend Beitragszahler haben
({3})
und wieviel Rentner wir haben, dann braucht man Kenntnisse über die Altersstruktur in der Bevölkerung. Die Länder brauchen die Daten, um zu wissen, zu welcher Zeit an welcher Stelle Schulen benötigt werden - nämlich da, wo die Schüler sitzen.
({4})
Die Kommunen brauchen Kenntnisse über die Altersstruktur der Bevölkerung, wenn sie sicherstellen wollen, daß die Kindergärten zur rechten Zeit da sind,
({5})
wo die Kinder wohnen. Meine Damen und Herren, für vernünftige, verstandesorientierte Politik sind exakte Daten der Volkszählung unerläßlich.
({6})
Zweitens. Die Volkszählung ist verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 festgestellt, daß der Fragenkatalog des damaligen Volkszählungsgesetzes der Verfassung entspricht. Der Fragenkatalog des Volkszählungsgesetzes, um das es jetzt geht, ist derselbe wie der damalige.
Das Bundesverfassungsgericht hat damals Anregungen für das Verfahren der Volkszählung gegeben. Diese Anregungen sind im Interesse des Datenschutzes in vollem Umfange vom Gesetzgeber für das heutige Gesetz berücksichtigt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 lediglich festgestellt, daß der Abgleich zwischen den Daten der Volkszählung und den Dateien anderer Art, z. B. den Melderegistern, verfassungswidrig sei. Dieser Datenabgleich ist nach dem heutigen Gesetz nicht mehr möglich. Es besteht kein Zweifel daran, daß das heutige Gesetz den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, daß dieses Gesetz der Verfassung entspricht.
Ich füge hinzu: Auch die GRÜNEN wissen, daß das heutige Gesetz verfassungsgemäß ist. Denn wenn sie davon ausgingen, es widerspräche der Verfassung, dann hätten sie das getan, was man in solchen Fällen nach dem Grundgesetz vernünftigerweise tut: Sie wären zum Bundesverfassungsgericht gegangen und hätten gegen dieses Gesetz geklagt.
({7})
Die Tatsache, daß sie das nicht getan haben, zeigt, daß sie wissen, daß sie mit einer solchen Klage keinen Erfolg hätten.
({8})
Drittens. Meine Damen und Herren, wenn man von der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes ausgeht, dann wird eines klar: Es geht Ihnen bei Ihren Boykottaufrufen nicht um die Grundrechte.
({9})
Es geht Ihnen nicht um den Datenschutz. Es geht Ihnen nicht um die Verfassung. Es geht Ihnen um etwas ganz anderes: Es geht Ihnen darum, auszuprobieren, wieviel Leute unserer Bevölkerung bereit sind, Ihnen auf dem Weg in den Radikalismus zu folgen,
({10})
weg von der Demokratie, weg vom Mehrheitsprinzip unserer Demokratie, weg von der Rechtsstaatlichkeit, die nicht nur bedeutet, daß die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger gewahrt werden, sondern die auch beinhaltet, daß die Bürger die Gesetze achten, denn nur die Gesetze sichern den Frieden in dieser Gesellschaft, nur die Gesetze sichern den Schwachen vor dem Starken, den Schwachen vor dem Brutalen. Das wußte schon der alte Platon: Wenn die Herrschaft der Gesetze aufhört, gibt es nur eine Alternative, und das ist die Tyrannei der Brutalen, das ist die Tyrannei der Willkür; das ist das, was Sie herbeiführen würden, wenn Sie mit Ihren Maßnahmen Erfolg hätten.
Deshalb unser Aufruf an die Bevölkerung: Folgen Sie den GRÜNEN auf dem Weg in den Radikalismus nicht! Nehmen Sie an der Volkszählung teil! Es dient der Demokratie, es dient dem Rechtsstaat, es dient uns allen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hämmerle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verurteilungswürdige Anwendung von Gewalt im Zusammenhang mit der Volkszählung ist der Anlaß der heutigen Debatte. Die SPD erklärt zu den Vorfällen in verschiedenen deutschen Städten, daß sie Gewalt gegen Personen und Sachen als Mittel zur Verhinderung der Volkszählung ablehnt.
({0})
Die SPD hat Gewalt - in welcher Form auch immer - stets verworfen, so auch heute und in diesem Falle.
({1})
Nicht nur diejenigen, die Gewalt ausüben, sondern auch diejenigen, die direkt oder indirekt dazu aufrufen, schädigen unseren Staat und demontieren das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
({2})
Die GRÜNEN tun dies durch ihre Aufrufe zum Boykott, auch von der Rednertribüne dieses Hauses aus. Und die Bundesregierung tut das ihre dazu, indem sie verantwortungslos mit Datenschutz, Bürger- und Minderheitsrechten umgeht.
({3})
Abwertende Äußerungen - wie: Datenschutz ist Täterschutz - und die von der CDU/CSU hartnäckig verfolgten sogenannten Sicherheitsgesetze tragen nicht dazu bei, das Vertrauen in der Bevölkerung zu stärken.
({4})
Koalition und Bundesregierung haben es versäumt, rechtzeitig vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen.
Die SPD steht zur Volkszählung.
({5})
Hans-Jochen Vogel sagte dazu an dieser Stelle - ich zitiere - :
Die Volkszählung 1987 ist notwendig. Zuverlässige Angaben über Einwohnerzahl, Berufstätigkeit, Wohnungsbestand usw. sind für eine vorausschauende Politik unentbehrlich. Das neue Volkszählungsgesetz ist verfassungsmäßig. Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-regierten Bundesländer haben ihm zugestimmt. Auch die SPD-Fraktionsvorsitzenden in den Länderparlamenten und der SPD-Parteivorstand halten die Volkszählung für notwendig.
In diesen Tagen kommen 500 000 Zählerinnen und Zähler in die Haushalte. Gewalttätige Aktionen und Psychoterror gegen einige von ihnen sind bereits heute bekannt. Die SPD wendet sich mit allem Nachdruck dagegen, daß diese Menschen beleidigt, diskriminiert und mißachtet werden.
({6})
Wir bitten die Bevölkerung unserer Städte, durch ihr Verhalten dazu beizutragen, daß sich die Zähler nicht wie unerwünschte Eindringlinge fühlen müssen.
Meine Damen und Herren, 15 Jahre aktiver Kommunalpolitik liegen hinter mir, davon fünf Jahre als Fraktionsvorsitzende in Karlsruhe. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich sage, daß die Daten der Volkszählung für die menschenwürdige und geordnete Entwicklung unserer Städte und Gemeinden nötig sind.
({7})
Ich weiß, in wie vielen Anträgen und Anfragen im Rat einer Stadt Auskunft darüber begehrt wird, wie die Entwicklungen und Planungen der nächsten Jahrzehnte sein werden; und diese Anträge und Anfragen kommen meistens von den GRÜNEN. Ich verspreche
mir für den kommunalpolitischen Bereich der Politik, in dem sich das eigentliche Leben der Menschen abspielt, Erkenntnisse aus der Volkszählung, die es möglich machen, menschengerechte und verkehrsberuhigte Städte zu planen
({8})
und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.
({9})
Wir haben den Städten und Gemeinden die Hauptlast der Volkszählung auferlegt, indem wir sie dafür verantwortlich gemacht haben, daß sie die Maßnahmen rechtzeitig durchführen und den Datenschutz beachten. Es muß noch einmal alles darangesetzt werden, daß die räumlichen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, jeder Bürger hat das Recht, durch legitime Mittel, z. B. durch die Anrufung der Gerichte, seine Bedenken anzumelden, aber niemand hat das Recht, seine Bedenken und sein Mißtrauen in Gewalt umzusetzen.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht weil Sie es hören wollen - denn ich glaube, Sie wollen es gar nicht hören; Sie wollen lieber Ihre Feindbilder behalten und damit Gewalt schüren - , also nicht weil Sie es hören wollen, sondern weil es Ausdruck meiner tiefsten Überzeugung ist, sage ich: Wir GRÜNEN lehnen Gewalt gegen Menschen, auch gegen Volkszähler, wie sie in den letzten Tagen vereinzelt aufgetreten ist, radikal ab.
({0})
Aber die Art und Weise, auf die Sie diese Debatte hier umdrehen und mit der Sie haltlose Vorwürfe zimmern, um ein ernsthaftes Nachdenken über die Ursachen dieser Gewalt - auch über Ihren Anteil an solchen Ursachen der Gewalt - zu verhindern, zeugt von einem Mangel an Nachdenklichkeit
({1})
und von einer erschreckenden Arroganz der Macht.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat von Ihnen gefordert, Methoden und Formen zu finden, die die Kooperationsbereitschaft, das Vertrauen und das Interesse der beteiligten Bürgerinnen und Bürger gewinnen und langfristig aufrechterhalten können. Was Sie tun, ist das exakte Gegenteil.
({3})
Sie unterdrücken Protest und Widerstand, Sie schüren Angst und Mißtrauen.
({4})
- Ich bin erstaunt, wie schnell Ihre Zwischenrufe verstummen.
({5})
So, wie Sie sie anlegen, kann die Volkszählung nicht gesetzeskonform durchgeführt werden.
({6})
Sie haben es nicht geschafft, ja Sie haben sich gar nicht darum bemüht, z. B. die Reidentifizierung der Daten auszuschließen, im Gegenteil!
({7})
Sie haben nicht für eine wirkliche Abschottung der Erhebungsstellen gesorgt, im Gegenteil! Sie lassen Personen als Zähler zu, die vom Gesetz her davon ausgeschlossen sind, z. B. Mitarbeiter der Einwohnermeldeämter, der Sozial- und Finanzämter, Bürgermeister, Polizisten, Makler, die ein Interesse an den Angaben der Leute haben, und viele andere mehr.
Sie haben heute durch eine handstreichartige Änderung unserer Tagesordnung versucht, unseren Fragen auszuweichen. Ich denke, Sie werden wissen, warum, denn Sie kennen unsere Fragen. Man muß sie ja eine Woche vorher schriftlich einreichen. Ich halte das für bedenklich, ich halte das für feige, und ich frage Sie: Merken Sie nicht, was im Lande los ist?
({8})
Die Daten der Volkszählung sind ohnehin Schrott. Genau dazu, wozu Sie vorgeben, diese Daten zu brauchen, werden sie nie dienen.
({9})
Sie werden nicht einer besseren Umweltpolitik, einer Politik im Interesse der Bürger dienen. Was das Interesse der Bürger ist,
({10})
das wissen diese am besten. Was für eine bessere Umweltpolitik zu tun ist - ich nenne nur das Abschalten der Atomanlagen, denke aber auch an vieles andere - , könnte heute sofort und ohne jede Volkszählung getan werden, wenn man es wirklich wollte.
Ganz abgesehen davon: Ihr Konzept, sozusagen Zukunft zu gestalten, indem man Daten aus der Vergangenheit erhebt und in die Zukunft extrapoliert, muß scheitern. Zukunft ist eine Aufgabe politischer und gesellschaftlicher Gestaltung. Das spüren die Menschen, das wissen die Menschen. Sie wissen auch, daß es, wenn sie Ihnen diese Daten fraglos zur Verfügung stellen, für sie nur Gefahren mit sich bringt.
Nur 57 % der Bevölkerung hielten bei der letzten Infas-Umfrage die Volkszählung für notwendig, fast 30 % für überflüssig. Das Vertrauen der Bevölkerung werden Sie nicht durch Werbekampagnen und durch Einschüchterungsmaßnahmen erreichen; Sie werden es eher weiter aushöhlen. Deshalb schaffen Sie ein Klima der Gewalt und der Angst - das ist das letzte, was Ihnen noch einfällt - : Öffentliche Diskussionen über die Volkszählung, sogar Informationsveranstaltungen werden verboten; grüne Landesparteitage werden verboten; ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl und ohne Beschlagnahmebeschluß werden unzählige Büros, Buchläden und Privatwohnungen durchwühlt. Dabei werden Türen aufgebrochen, Fenster eingeschlagen, unbeteiligte Familienangehörige unter Druck gesetzt und vieles andere mehr.
({11})
- Ach, wissen Sie, diskreditieren Sie sich hier nicht selbst!? Der Innenminister setzt friedliche Boykotteure mit Terroristen gleich, in Baden-Württemberg werden Boykotteure, wie heute in der Zeitung steht, erfaßt und mit der Terroristendatei abgeglichen, ihre persönlichen Daten werden an den Verfassungsschutz und an das Bundeskriminalamt weitergeleitet.
({12})
So schürt die Bundesregierung einen neuen Terrorismus.
({13})
Wenn Sie, meine Herren und vereinzelten Damen von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, Vertrauen erzeugen wollen, wenn Sie die Demokratie und den Rechtsstaat entwickeln wollen, dann setzen Sie diese Volkszählung aus,
({14})
dann verzichten Sie auf jede Volksaushorchung, und lassen Sie uns statt dessen über echte Demokratie, über wirkliche Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen reden.
Nur Bürger, die nicht zählen, werden gezählt.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine typische Haltet-den-DiebRede gehört.
({0})
Sie schüren die Gewalt, das Mißtrauen, die Sorge. Sie sind die Urheber der Verbrechen, die wir in diesen Tagen gegen Mitbürger erlebt haben, und hier wollen Sie sich freizeichnen. Es ist empörend, was man hier erleben muß.
({1})
Meine Damen und Herren, mehr als 500 000 Menschen und Tausende von Gemeinden sind an der Durchführung der Volkszählung beteiligt. Da mag es die eine oder andere Unzulänglichkeit geben; das braucht gar nicht bestritten zu werden. Was wir, auch in den Fragen der GRÜNEN, dazu gehört haben, sind Lappalien, die man im Rat einer Gemeinde oder wie immer erledigen kann. Aber in der Tat muß man den Verwaltungen sagen, daß mit dem Motto „Das haben wir immer so gemacht" nicht gedient ist, daß wir uns um das Vertrauen, die Mitarbeit der Bürger bemühen und daß man darum keine Gelegenheit nutzen darf, hier etwa alte Prestigerechnungen zu begleichen, sondern daß man das Äußerste tun muß - auch über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus - , mit den Datenschutzbeauftragten zusammenzuarbeiten und sich um aktiven Datenschutz zu bemühen.
({2})
Ich habe mich gefreut, daß der Innenminister beim Statistischen Landesamt in Düsseldorf war, und ich appelliere auch an die Innenminister der Länder, sich persönlich um die Durchführung der Volkszählung zu kümmern, weil wir detailliert nachhalten werden, was tatsächlich geschehen ist.
Lassen Sie mich die Voraussage machen, daß sich die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung trotz allen öffentlichen Geschreis an der Volkszählung beteiligen wird, daß die Verweigerer eine verschwindende Minderheit bleiben, weil sich die Agitation und der Versuch, Angst und Mißtrauen zu schüren, gegen ihre Urheber zu wenden beginnen.
({3})
Die Bürger haben an den Fragebögen erkannt, daß sich die Fragen auf das Notwendigste beschränken. Jeder weiß, daß auch die eifrigsten Agitatoren keine Sekunde zögern, am Ende eines Jahres die detailliertesten Fragen über Einnahmen und Schulden, über Familienstand und Religion, über Spenden an politische Parteien oder Organisationen aufs genaueste beim Lohnsteuerjahresausgleich zu beantworten, weil sie dafür gebündeltes Bares bekommen. In dem Zusammenhang habe ich von Volksaushorchung noch nichts gehört. Aber wenn es um die notwendigsten Fragen geht, die mit der Privatsphäre kaum etwas zu tun haben, dann tun Sie so, als ob die Staatshäscher unerbittlich zuschlagen. Die Agitatoren merken selbst, daß die Bürger diesen Unsinn durchschauen, und deswegen greifen sie zu Mitteln, die unerhört sind. Sie verteilen gefälschte Fragebögen,
({4})
in denen frei erfundene Fragen enthalten sind, ob jemand Schwarzarbeit leiste, ob er einer Partei angehöre -
Herr Abgeordneter Hirsch, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Frau Abgeordnete Unruh, wenn Sie weiterhin in dieser
Vizepräsident Stücklen
Lautstärke bewußt stören, werde ich von den Ordnungsmaßnahmen Gebrauch machen.
({0})
- Frau Abgeordnete Unruh, ich rufe Sie zur Ordnung.
Diese Handlungen sind die Früchte der Aufklärung, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, mit der Sie die Bürger über ein verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz aufklären und sie gleichzeitig hindern wollen, ihre Bürgerpflichten zu erfüllen.
Es häufen sich Meldungen, daß Zähler von organisierten Gruppen überfallen werden, daß man ihnen Fragebögen wegnimmt, daß man ihnen Drohbriefe zuschickt, daß man sie als skrupellose Schweine beschimpft. Es handelt sich um kriminelle Handlungen von der Urkundenfälschung über Nötigung und Brandstiftung bis zum schweren Raub.
({0})
Ich hoffe, daß ermittelt werden wird, wer die Organisatoren sind. Den GRÜNEN muß man aber sagen: Selbst dann, wenn Sie die Geister, die Sie gerufen haben, nicht mehr loswerden, so sind und bleiben Sie die politisch Verantwortlichen und die geistigen Urheber dieser miesen Straftaten.
({1})
Mit Ihrer maßlosen Agitation haben Sie diese Vorgänge heraufbeschworen. Sie wissen es, und Sie können sich politisch davon nicht freizeichnen. Der Bürger wird es Ihnen nicht vergessen.
({2})
Lassen Sie uns gemeinsam erneut dem Bürger sagen, daß wir seinem Common sense und seinem Verantwortungsbewußtsein vertrauen, das wir bei dieser Volkszählung benötigen.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Volkszählung hat nach einer umfassenden und sorgfältigen Vorbereitung begonnen. Die meisten Fragebögen sind verteilt, viele ausgefüllte Unterlagen schon zu den Erhebungsstellen zurückgekommen.
Die Bevölkerung hat Verständnis für die Aufgabe der Zähler. Sie ist vielfach von der geringen Zahl und der Harmlosigkeit der Fragen überrascht. Die Volkszählung beruht auf einem Gesetz, dem alle Parteien dieses Hauses - bis auf die GRÜNEN - und alle Länder im Bundesrat zugestimmt haben. Uns liegen fast ausnahmslos von allen gesellschaftlichen Gruppen - von den Gewerkschaften bis zu den Arbeitgeberverbänden, von den Kirchen bis zu den karitativen Organisationen - eine Fülle von Befürwortungen der Volkszählung vor. Mit der Teilnahme an der Volkszählung kommen unsere Mitbürger einer staatsbürgerlichen Pflicht nach, weil sie davon überzeugt sind, daß diese Zählung in ihrem Interesse liegt.
({0})
Die Daten, die aus der Volkszählung gewonnen werden, sind Grundlage für viele politische und wirtschaftliche Entscheidungen, aber auch für Entscheidungen jedes einzelnen. Die Menschen wissen, daß die Vorgaben des Gerichts in Karlsruhe bei der Volkszählung eingehalten werden. Die Regierung kann heute sagen, daß es weltweit keine gesetzliche Regelung mit einem so hohen Standard an Datenschutzrechtlichen Vorkehrungen und Sicherungen gibt wie in diesem Land. Das hat auch Bundespräsident von Weizsäcker vor wenigen Tagen deutlich herausgestellt.
({1})
Dennoch rufen die GRÜNEN permanent dazu auf, die Zählung zu boykottieren. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik Deutschland. Aufforderung zum Rechtsbruch bedeutet Verletzung der freiheitlich- demokratischen Grundordnung und des parlamentarischen Regierungssystems. Nach unserer rechtsstaatlichen Ordnung vollzieht sich die Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der Mehrheit. Wer aber wie der Sprecher der GRÜNEN, Trampert, von der Diktatur der Mehrheit spricht, will offenbar nicht mehr auf dem Boden des Rechtsstaates stehen. Die GRÜNEN verhalten sich undemokratisch, wenn sie gegenüber einem mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Gesetz in anmaßender Arroganz ein Recht auf zivilen Ungehorsam, auf Widerstand und Boykott in Anspruch nehmen.
Vor diesem Hintergrund sind die Vorfälle zu beurteilen, die zu der heutigen Aktuellen Stunde geführt haben. Es hat eine Reihe von gewalttätigen Angriffen auf Zähler gegeben. Es sind ihnen Erhebungsunterlagen entrissen worden. Sie sind mit Messern, ja sogar mit Schußwaffen bedroht worden.
({2})
- Von wem, wird sich hoffentlich bald herausstellen.
({3})
Auch wenn es sich, bezogen auf die große Zahl von Zählern, natürlich nur um wenige Ausschreitungen handelt, können wir darüber doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Allein die Tatsache, daß Menschen, die sich für eine solche Tätigkeit zur Verfügung gestellt haben, überhaupt in solcher Weise angegriffen worden sind, muß zu einer einmütigen Antwort aller demokratischen Kräfte führen. Auf Erhebungsstellen sind Brandanschläge verübt, Informationen und andere Unterlagen sind gefälscht oder vernichtet worden. Bei all diesen Fällen handelt es sich um kriminelle Delikte, die zu Recht Empörung in der Bevölkerung ausgelöst haben. Denen, die so handeln, ging es und geht es nicht um die Volkszählung. Sie ist für sie nur Anlaß und Vorwand. Sie wollen den Staat und seine Bürger treffen. Zugleich geht aber auch die Saat der hemmungslosen Agitation mancher Gruppen gegen die Volkszählung auf. Was mit Aufrufen zum Boykott begonnen hat, mit Gewalt gegen
Sachen fortgesetzt wurde, mündet jetzt in Gewalt gegen Personen. Alle, die in der Vergangenheit gegen die Volkszählung Stellung bezogen haben, sind aufgefordert, dies jetzt ebenso deutlich und lautstark gegen Gewalt und Terror zu tun. Wer sich nicht eindeutig und unmißverständlich von jeder Form von Gewalt distanziert, macht sich mitverantwortlich. Ich fordere die GRÜNEN auf, sich von dieser Stelle eindeutig zu erklären.
({4})
- Da genügt mir ein einsamer Rufer aus der Wüste nicht, denn es sind viele bei Ihnen, auf die zutrifft, was eine Ihrer Sprecherinnen dieser Tage festgestellt hat: „Bei uns gibt es über Gewalt verschiedene Ansichten. " Da könnte ich Frau Rust und andere zitieren. Die möchte ich hier alle sehen bei der Distanzierung von der Gewalt.
({5})
Meine Damen und Herren, der Dank der Bundesregierung gilt heute allen, die für die Volkszählung tätig sind. Sie haben eine Aufgabe übernommen, die im Interesse jedes einzelnen von uns liegt. Bund, Länder und Gemeinden werden alles in ihren Kräften stehende tun, um sie dabei zu schützen. Zugleich bedürfen sie der Unterstützung und Solidarität aller Bürger. Deswegen rufe ich alle demokratischen Kräfte auf, den Rechtsstaat zu schützen und gemeinsam der Gewalt eine Absage zu erteilen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst einmal feststellen und klarmachen, daß der erste Redner der GRÜNEN derjenige war - er nennt sich ja wohl auch Abgeordneter - , der das deutsche Parlament als ein „politisch, geistig und moralisch verkommenes Organ" bezeichnet hat.
({0})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es zumindest für meine Fraktion eine Zumutung ist, hier zu sitzen und mit solchen gewählten Kollegen zusammenarbeiten zu müssen. Wir empfinden es so.
({1})
Eigentlich müßten die GRÜNEN der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition für das Geschenk Volkszählung dankbar sein, klammheimlich natürlich, um in ihrem Jargon zu reden. Ich nenne einige Stichworte: Nachrüstung, Atomkraft, Zivilschutz, Chemieunfälle, ZEVIS.
({2})
- Erinnern Sie sich an die Freude über den Mord an Buback, „klammheimlich" aber nur?
({3})
- Ich verstehe sehr gut Ihr Geschrei, meine Damen und Herren.
({4})
Man läßt sich ungern in der Öffentlichkeit als das bezeichnen, was man ist.
({5})
Lassen Sie mich wiederholen - ich habe nur fünf Minuten; lassen Sie mich reden, Sie können auch reden -,
({6})
Chemieunfälle, ZEVIS, fälschungssicherer Personalausweis und schließlich die Volkszählung: wirklich viele Stichworte zu Themen, über die sich trefflich agitieren läßt.
({7})
Wir liefern sie Ihnen frei Haus. Doch im Grunde, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, geht es gar nicht um die konkreten politischen Inhalte. Auch die Volkszählung wäre Ihnen völlig gleichgültig, wenn sie sich nicht so vorzüglich benutzen ließe, die Ängste der Menschen zu schüren und rechtmäßig zustande gekommene Gesetze in Zweifel zu ziehen. Sie haben mir heute morgen erst das jüngste Beispiel gegeben, als es um die Mietpreisbindung in Berlin ging. Da haben Sie auch so getan, als ob die Berliner in Zukunft ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Angst schüren, das ist Ihr Element.
({8})
Sie zielen bewußt auf die Grundlagen unserer demokratischen Ordnung,
({9})
weil Sie eine andere wollen. Sie zielen gegen die Willensbekundung der Mehrheit unserer Bürger und tun so, als hätten Sie allein das Recht auf die Wahrheit gepachtet. Ich kann nur sagen: welche Intoleranz, welche Arroganz und welcher Hochmut.
({10})
Die kommunistisch geschulten Kader in Ihren Reihen haben ihre Lektion gut gelernt: Aufbau oder Zuspitzung vermeintlicher oder künstlich aufgebauter gesellschaftlicher Widersprüche, um Reaktionen der staatlichen Organe zu provozieren, durch welche sich leicht die staatliche Autorität in den Augen der Bürger in Frage stellen, schmälern oder lächerlich machen läßt.
({11})
Andererseits weinen Sie Krokodilstränen und beklagen die angebliche Intoleranz, Willkür und Härte, mit der unser Staat gegen Rechtsbruch und Rechtsbrecher vorgehen muß und wird, um die gesetzestreuen Bürger und unsere Gesetze zu schützen. Irreführung, Verbreitung fiktiver Ängste und Täuschung, das sind einige Ihrer politischen Methoden, mit denen Sie das allgemeine Rechtsbewußtsein in unserer Gesellschaft zu unterminieren suchen.
({12})
Herr Duve, ich weiß, welche Einstellung Sie haben. - Sie haben mir leider sehr viel meiner Zeit genommen, meine Damen und Herren. Sie werden sich vielleicht darüber freuen.
Aber lassen Sie mich zum Schluß sagen - die gelbe Lampe leuchtet, und die Zeitanzeige weist auf Null - Wenn der irregeleitete Bürger die Wahrheit erkennen wird - und der Tag wird kommen, das sage ich Ihnen - , wird er Ihnen die Quittung erteilen und Ihnen nie verzeihen - Sie haben doch auch noch Wähler, die glauben, daß Sie Umweltschützer sind -,
({13})
wie Sie ihn in die Irre geleitet haben.
In unserer Gesellschaft braucht niemand zu befürchten, durch die staatlichen Organe unrechtmäßig behandelt zu werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Darf ich noch den letzten Satz sagen, Herr Präsident?
Ja.
Genau in diesem Licht ist unsere Volkszählung zu betrachten. Keiner braucht Angst zu haben.
Ich fordere alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich an dieser Volkszählung zu beteiligen.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeorndete Bernrath.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Zum Stichwort Volkszählung fällt mir nicht mehr viel ein, was hier nicht schon gesagt worden wäre. Herr Kalisch, Ihnen offensichtlich auch nicht; darum hätten Sie sich nicht provozieren lassen und vielleicht versuchen sollen, wie ich es einmal tun will, sich an uns selbst zu wenden, die wir Verantwortung im Bund, in den Ländern, in den Kommunen tragen.
Ich möchte an die Debatte über Gewalt in Staat und Gesellschaft anknüpfen, die wir Anfang April hatten und die damals ganz offensichtlich zum richtigen Zeitpunkt gekommen war. Damals waren wir uns einig: Gewalttaten dürfen kein Mittel der Politik sein, und Gewalt muß unterbunden werden.
({0})
Wir haben dabei mahnend daran erinnert, daß der Staat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten habe. Dem wurde hier auch nicht widersprochen. Wie sollte man auch? Aber ohne Resonanz blieb am 2. April unsere Mahnung, die Anwendung staatlicher Gewalt rechtfertige keine Maßlosigkeit und noch weniger sinnlose Demonstration von Macht, die ja sehr schnell falsch verstanden werden könnte. Wir sollten uns darum nicht provozieren lassen, und wir brauchen das auch nicht, meine ich.
Diese Mahnung blieb also ohne Resonanz. Wir sehen es jetzt Tag für Tag, wenn wir an die Reaktionen in Berlin auf die zweite Demonstration in Kreuzberg denken oder wenn wir uns vergegenwärtigen, was in der Vorbereitung des Reagan-Besuchs dort durch den Innensenator alles angestellt wird.
Wenn wir reagieren, dann gleichermaßen in allen Bereichen der Politik. Da muß ich Sie, auch Sie von der Koalition, daran erinnern, daß Sie doch eher zimperlich, eher zurückhaltend sind, wenn es um Machtanwendung beispielsweise gegen Umwelt- oder Wirtschaftskriminalität geht.
({1})
Warum übertreiben wir hier in der Vorbereitung der Volkszählung, lassen uns provozieren und unbesonnen reagieren?
({2})
Bedenken wir, was wir in diesen Tagen über die Fragwürdigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung in Baden-Württemberg hören.
({3})
Dort drängt sich uns wirklich Besorgnis auf, und dort scheint in der Tat einiges schiefzulaufen.
({4})
Auch wenn wir den Boykott der Volkszählung beurteilen und uns damit noch einmal erneut und ausdrücklich zur Allgemeinverbindlichkeit parlamentarischer Beschlüsse, also unserer Gesetze, bekennen, sollten unsere Reaktionen auf den politisch primitiven Boykott der GRÜNEN maßvoll bleiben. Dann haben diese Reaktionen auch Wirkung.
Die Volkszählung wird eine ausreichende Beteiligung durch die Bürgerschaft erfahren, und sie wird auch zuverlässige Ergebnisse bringen. Darum statt der nicht endenden, oft so dümmlichen Verurteilungen - auch der Kanzler hat dazu Musterbeispiele geliefert - die Mahnung an uns, durch Besonnenheit
Vertrauen zu festigen, statt immer mehr eigenes Porzellan durch Überreaktionen zu zerschlagen.
({5})
Unser Ordnungswidrigkeitenrecht bietet genügend Ansatzmöglichkeiten zu differenziertem Handeln. Unsere Legitimation, es auch anzuwenden, gewinnt an Nachdruck, wenn wir es gezielt, ich sage noch einmal: im richtigen Verhältnis, also differenziert, anwenden.
({6})
Dies sollten wir um so selbstverständlicher, um so selbstbewußter, um so besonnener tun, als der offene Aufruf zum Boykott vom Rednerpult des Bundestages aus seinen Verfechtern ohnehin jede Berechtigung entzieht, künftig mit parlamentarischen Mitteln Interessen unserer Mitbürger, auch der eigenen Klientel, zu vertreten.
({7})
Ich breche hier ab.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte Gelegenheit, in den letzten Tagen mit zahlreichen Bürgern, bei denen die ersten Volkszähler waren, zu sprechen. Auch in meiner Bonner Wohnung waren sie gestern.
Das Überraschende für Sie, die GRÜNEN, und das Bestätigende für uns ist eigentlich, daß durchgängig, wie kritisch die einzelnen auch sein mögen, gesagt wird: Für diese Fragen dieses Theater? Das muß doch wohl gefragt werden dürfen.
({0})
Hier ist ein Buhmann an Verdächtigungen über Daten, die gar nicht abgefragt werden, aufgebaut worden. Das, was die Volkszählung will, ist zulässig und notwendig, und das ist beschlossen.
Ich glaube, wir müssen auch heute noch einmal festhalten, daß der Rechtsstaat davon lebt, daß sich jedenfalls die, die die Normen schaffen und die die Normen anwenden, auch zu den Regeln des Rechtsstaates bekennen. Wenn ein Parlament wie der Bundestag eine Volkszählung beschlossen hat, dann müssen auch diejenigen, die unterlegen sind, dieses Gesetz akzeptieren.
({1})
Wenn dagegen zum Boykott aufgerufen wird und wenn auch heute kein Funken von Distanz zu den Gewalttätigkeiten kommt, dann müssen Sie sich sagen lassen, daß diejenigen, die die Lunte gelegt haben, auch Brandstifter genannt werden dürfen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich sage aber auch, daß nicht nur im Parlament, sondern auch von den Behörden die Anerkennung der Normen berücksichtigt werden muß. Dieses heißt für uns, daß wir jedem einzelnen Vorgang nachgehen sollten, in welcher Verantwortung auch immer. Ich möchte auch anregen, Herr Bernrath, daß wir uns im Innenausschuß nach der Sommerpause einen detaillierten Bericht des Innenministeriums über jeden einzelnen Vorgang geben lassen; denn auch wir als Parlament haben einen Anspruch darauf, daß das Gesetz korrekt durchgeführt wird. Wir können nicht für jeden einzelnen Beamten garantieren; das kann man in keinem einzelnen Fall. Wir können und müssen kontrollieren und darauf achten, daß das Recht rechtmäßig angewendet wird.
({3})
Schließlich: 500 000 Mitbürger sind in unserem Land ehrenamtlich unterwegs, um für den Staat und auch für uns und für das, was dieses Haus gewollt hat, tätig zu sein und uns Daten zu ermitteln, auf denen auch wir später aufbauen können. Wir sollten unseren Dank den Mitbürgern sagen, die sich bereit erklärt haben, die mühevolle und infolge Ihrer Aktivitäten auch nicht ungefährliche Arbeit auf sich zu nehmen.
({4})
- Bitte, nein, lassen Sie den Gott weg, Frau Unruh! Denken Sie daran, und entschuldigen Sie sich einmal bei einem Volkszähler dafür, daß durch Ihre Aktivitäten
({5})
gegen diese Volkszählung, die notwendig und korrekt ist, der Boden für das bereitet wurde, was uns heute an Gewalttätigkeiten begegnet.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Bereits 1983 - das ist noch keine fünf Jahre her - hat Herr Bundesinnenminister Zimmermann die damaligen Volkszählungsgegner zu Verfassungsfeinden erklärt. Am 15. Dezember 1983 - ebenfalls noch keine fünf Jahre her, Herr Zimmermann - stand fest, wer die Verfassungsfeinde waren: nicht die Volkszählungsgegner, sondern der Bundesinnenminister und all seine Mitstreiter, die ohne Rücksicht auf das Grundgesetz das verfassungswidrige Volkszählungsgesetz durchführen wollten. Es ist inzwischen grotesk, wirklich grotesk, wenn man sich immer wieder darauf beruft, ein nach parlamentarischen Regeln korrekt zustande gekommenes Gesetz sei automatisch verfassungsgemäß.
({0})
Keine fünf Jahre ist es her, daß Ihnen genau zu diesem Inhalt die Verfassungswidrigkeit bescheinigt worden ist.
({1})
Ich bedaure zutiefst, daß es zu Angriffen und Übergriffen gekommen ist, und ich befürchte leider noch
mehr davon. Nur, noch einmal - nicht zum ersten Mal - auch hier: Wer von Gewalt redet und über die Staatsgewalt schweigt, der unterdrückt den wichtigsten Teil der Wahrheit, nämlich daß nicht alle Gewalt vom Volk ausgeht, sondern das Gegenteil richtig ist: Fast alle Gewalt geht vom Staat aus und richtet sich gegen das Volk.
({2})
Wie das gelaufen ist, haben wir in den letzten Monaten erlebt. Da die Drohung mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz nicht reichte, wird mit Krampf und mit dümmsten Argumenten, die juristisch überhaupt nicht haltbar sind und sein werden,
({3})
versucht, mit dem Strafgesetzbuch Einschüchterung zu betreiben.
({4})
Wer hier, wie Herr Zimmermann, auf Gesetzeseinhaltung pocht, den erinnere ich daran, daß in Celle der Bund und Niedersachsen gemeinsam einen Bombenanschlag auf die Justizvollzugsanstalt durchgeführt haben. Wer heute wie Herr Zimmermann über Brandanschläge auf Erhebungsstellen klagt, den erinnere ich daran, daß der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz offiziell erklärt hat, daß die Polizei „undercover agents" benötige und daß diese „undercover agents" , um wirksam arbeiten zu können, Straftaten begehen dürfen und daß diese Straftaten gerechtfertigt sind.
({5})
Ich vermute - ich kann es nicht beweisen - , daß auf diese Art auch im Zusammenhang mit der Volkszählung gearbeitet worden ist. Ich hoffe, daß die Beweise nicht zu spät auf den Tisch kommen.
Abschließend möchte ich, weil das nach wie vor in diese Kriminalisierungsecke aus Ihrer Sicht gehört, zu dem Vorwurf des Faschismus etwas sagen. Wenn jemand Interesse an solchen totalen und zentralen Erfassungsmitteln und -methoden hat, dann sind und waren es die Faschisten und nicht die, die ihr Recht auf zivilen Ungehorsam und Selbstbestimmung in Anspruch nehmen. Zu Ihrer geschichtlichen Nachhilfe, Herr Gerster, Herr Kohl, Herr Zimmermann: Die Nazis haben in nur sechs Jahren zwei Volkszählungen durchgeführt.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die GRÜNEN wirklich der Überzeugung wären, daß dieses Gesetz verfassungswidrig ist, dann würden sie zum Bundesverfassungsgericht ziehen.
({0})
Aber weil sie vom Gegenteil überzeugt sind, tun sie es nicht, sondern rufen zum Boykott auf.
Meine Damen und Herren, es ist doch symptomatisch, daß sich dieser Bundestag in den letzten Jahren immer wieder mit der Gewalt in der Politik auseinandersetzen muß.
({1})
Aus allen Teilen der Bundesrepublik erhalten wir jetzt Meldungen über Drohungen, Brandanschläge, Raubüberfälle: Brandanschläge in Heilbronn, Altdorf, Stuttgart; Überfälle in Wuppertal, Köln, Hamburg, Düsseldorf, Hannover, Münster. Meist maskierte Täter bedrohen Zähler mit Messern und Schußwaffen, rauben Erhebungsunterlagen und sogar Geld. Meine Damen und Herren, so ist es: Die Saat der Gewalt geht auf!
Sie, die GRÜNEN, gemeinsam mit Kommunisten und anderen linksextremen Kräften, tragen dafür die Verantwortung, aber ganz besonders Sie, die Sie hier im Parlament entsprechende Reden gehalten haben. Wer im Deutschen Bundestag dazu aufruft, ein mit überwältigender Mehrheit demokratisch beschlossenes Gesetz zu brechen, wer im ganzen Lande den Boykott der Volkszählung organisiert und wer zur gleichen Zeit nicht bereit ist, das Gewaltmonopol des Staates zu respektieren, ja sogar Gewalt gegen unseren demokratischen Rechtsstaat aus politischen Gründen für legitim erklärt, der kann für die jetzt ausbrechenden Gewalttaten nicht anderen die Schuld zuweisen. Nein, er ist als geistiger Urheber und als Anstifter gleichermaßen verantwortlich wie die Gewalttäter selbst, meine Damen und Herren.
({2})
Sachbeschädigung, Körperverletzung, Raubüberfälle, terroristische Bedrohung - das müssen Sie sich politisch zurechnen lassen.
({3})
Ich werfe Ihnen, den GRÜNEN, vor, daß Sie Ihren Eid auf das Grundgesetz in einer Weise verletzen, wie es hier seit dem Ausscheiden der Kommunisten aus dem Deutschen Bundestag nicht mehr der Fall gewesen ist.
({4})
Wer sich öffentlich zur Täuschung von Behörden, zum Bruch von Recht und Gesetz, zur Gewalt gegen Sachen bekennt und sogar dazu aufruft, der muß wissen, daß die einmal „legitimierte" Gewalt nicht vor den Menschen, nicht vor Personen haltmacht. Wir wissen doch alle aus Erfahrung von der Eskalation der Gewalt.
({5})
Wir erinnern uns an die APO-Zeit und die Ursprünge des RAF-Terrorismus. Und wir erinnern uns an die Überfälle auf Polizeibeamte, z. B. an den Überfall auf die Verkehrspolizisten bei Kleve in der Nähe von Brokdorf.
Ich fordere die GRÜNEN auf: Machen Sie sich bewußt, was in unserem Lande - auch dank Ihres politischen Verhaltens - geschieht. Kommen Sie zur Besinnung! Sie reden über die Gewalt mal so, mal so.
Heute distanzieren Sie sich, morgen rufen Sie selbst indirekt oder gar so, daß man es als einen direkten Aufruf verstehen könnte, dazu auf. Ringen Sie sich endlich dazu durch, sich überall und jederzeit im ganzen Lande ohne politisches Wenn und Aber von jeder Form der Gewaltanwendung zu distanzieren.
({6})
Und wenn Sie dazu nicht bereit sind, sage ich Ihnen: Es gibt kein Widerstandsrecht, kein willkürliches Widerstandsrecht gegen demokratische Gesetze. Aber, meine Damen und Herren, es gibt eine Pflicht aller Politiker, die diese Demokratie wollen und tragen, gegen jene Kräfte gemeinsam Front zu machen, die in elitärer Überheblichkeit und undemokratischer Arroganz unseren inneren Frieden gefährden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt gegen Volkszähler - das ist ein Thema, das mich persönlich brennend interessiert. Ich bin Volkszähler, so wie der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor und andere Sozialdemokraten auch.
({0})
Ich halte diesen Einsatz für politisch notwendig.
Ich halte manche Töne der Begleitmusik der Regierung und seitens der Boykotteure für ebenso typisch deutsch wie absurd. Hier schaukelt man sich gegenseitig in eine Hysterie hinein, die vom eigentlichen Inhalt der Volkszählung wegführt.
({1})
Es gibt groteske Übersteigerungen: hier das Flammenschwert des Staates, dort das Finassieren über die Strafbarkeitsbarriere hinaus. Wer Hysterie nährt, meine Damen und Herren, soll die Folgen nicht beheucheln und beweinen. Wir Volkszähler werden vom Geschwätz nicht satt, eher beschädigt.
Und dann machen Sie eine Aktuelle Stunde, um Ihr Gewissen zu beruhigen. So manche Rede von Herrn Zimmermann, so manches törichte Kanzlerwort, waren gerade die Bundesautobahn ins kalkulierte Desaster, so manche Äußerung der GRÜNEN ein Radfahrweg ins kalkulierte Chaos.
Da stehen wir Volkszähler nun dazwischen und müssen langatmig erklären, daß all das politischer Schwachsinn ist. Die Infamie beginnt heute vor den Mikrofonen, und wir müssen das ausbaden.
({2})
Sie können davon ausgehen, daß ich den Bürgern, die ich zu befragen habe, eines erklären werde: Die einzige unmittelbar politisch verwertbare Information dieser Volkszählung liefern die Boykotteure selbst: Das aktive Protestpotential der Bundesrepublik wird erstmals statistisch exakrfaßt. Es wird, weil man sich persönlich zu erkennen gibt und ein amtlich zu verhängendes Bußgeld in Kauf nimmt, auch namentlich erfaßt werden.
Manchmal denke ich mir, daß dies den Zimmermännern und den Fundis gar nicht unlieb ist. Zumindest hätte man nicht konsequenter auf dieses Ergebnis zusteuern können, als das tatsächlich geschieht.
Man muß schon, meine Damen und Herren, ein sehr weites Gewissen haben, um die befragten Bürger in diese Falle tappen zu lassen. Ich verspreche Ihnen: In meinem Zählbereich werde ich alles daransetzen, damit diese Rechnung nicht aufgeht.
({3})
Das schwächste Glied in der Abfolge gesellschaftlicher Konflikte sind in diesem Fall zweifelsohne die Volkszähler, die im direkten Kontakt mit dem Bürger stehen. Die Boykotteure prügeln den Sack, laden dabei ihren Frust ab und meinen in Wirklichkeit den Esel, den Staat, dem sie ein abgrundtiefes Mißtrauen entgegenbringen. Das ist die eigentliche Gefechtslage, die wir heute erleben.
Wir sollten prüfen, wer in der Politik dies herbeigeredet und herbeigehandelt hat. Diejenigen, die es getan haben, sollten sich wenigsten schämen,
({4})
die Zimmermänner und die Sprangers sicher. Wer grundsätzlich den Bürgern mißtrauisch gegenübertritt, ständig die Muskeln der Staatsgewalt spielen läßt, Dossiers anfertigt und den Überwachungsstaat anstrebt, kann Vertrauen nicht ernten.
({5})
Die Ditfurths und die Ebermänner auch. Wer diesen Staat zu einem korrupten, halbtotalitären Gebilde herunterredet, sät Mißtrauen und erntet Hysterie
({6})
und verbaut mit einer solchen Strategie jede Möglichkeit der demokratischen Veränderung von innen heraus, was möglicherweise auch der Sinn der Sache ist.
Wir halten diesen Staat nach wie vor für veränderbar, Fehlentwicklungen für korrigierbar, Auswüchse für zurückschneidbar. Wir wünschen uns einen Staat, der auf gesicherten Grunddaten bürgernahe Politik zu betreiben vermag. Wir kämpfen um einen liberalen, um einen bürgernahen, um einen verantwortungsbewußten, um einen sozial gerecht handelnden Staat. Wir kämpfen um unseren Staat. Er ist schließlich so gut oder so miserabel, wie wir alle ihn selbst ausgestalten.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lutz, in Ihrer Eigenschaft als Volkszähler spreche ich
Ihnen von dieser Stelle aus ausdrücklich das Vertrauen aus. Das gilt nicht für das, was Sie sonst so machen; da würde ich nicht immer die Hand ins Feuer legen. Aber als Volkszähler haben Sie mein grenzenloses Vertrauen.
({0})
Daß Sie das als Politiker nicht grenzenlos verdienen, haben Sie ja in Ihrer Rede wieder gezeigt. Der Rest nach dieser Erklärung war ja so ein Wackeln zwischen besserer Einsicht und dem Opportunismus, vielleicht auch die Rücksichtnahme auf Ihre Jusos, denen Sie offensichtlich nach wie vor nicht klarmachen können, wie notwendig die Volkszählung ist.
Was von den GRÜNEN heute hier wieder vertreten worden ist, hat ja Gott sei Dank auf allen Seiten dieses Hauses fassungsloses Kopfschütteln verursacht. Dieses sanfte Bedauern dessen, was passiert ist, und dann der flammende Appell und Angriff gegen das Gewaltmonopol des Staates zeigt wirklich, daß Sie nicht hierhergehören und daß Sie hier nichts zu suchen haben.
({1})
Sie haben natürlich in Ihrer Agitation einen Vorteil, der uns besondere Schwierigkeiten macht, nämlich daß das Verfassungsgericht einmal ein Volkszählungsgesetz für verfassungswidrig erklärt hat; deshalb greife ich das auf. Denn das Verfassungsgericht hat nicht das für verfassungswidrig erklärt, was wir jetzt wiederum machen, hat nicht den Fragenkatalog und die Tiefe der Fragen kritisiert, sondern es hat kritisiert, daß Gefahren in der Abgrenzung und in der Durchführung auftreten können, und zwar insbesondere im Zusammenhang damit, daß wir damals gleichzeitig, was ja auch sinnvoll gewesen wäre, die Melderegister der Kommunen auf den aktuellen Stand bringen wollten. Darin hat das Gericht mögliche Gefahren gesehen. Darauf haben wir jetzt verzichtet. Wir können also für uns in Anspruch nehmen, daß der Fragenkatalog, der jetzt in den Erhebungsbögen verteilt wird, vom Verfassungsgericht so abgesegnet ist, und das wissen Sie ja.
Man kann Ihnen immer nur vorhalten, und man kann den Bürger nur händeringend bitten, doch zu sehen, daß Sie es tunlichst vermeiden, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Einige Ihrer Agitatoren haben damals Erfolg gehabt.
({2})
Suchen Sie doch den Erfolg vor dem Verfassungsgericht, und hören Sie auf, die Bürger ins Unglück zu stürzen und Leute, die auf Ihre Agitation hereinfallen und jedes Maß verlieren, jetzt draußen zu Straftätern werden zu lassen, indem sie auf diejenigen, die das Gesetz durchführen sollen und die im Auftrag des Staates, im Auftrag der Verwaltungen unterwegs sind, in übelster Weise Anschläge verüben.
Man kann immer wieder nur betonen: Sie versuchen, mit Falschdarstellungen und Verdächtigungen einfach den Bürgern Ängste zu machen. Sie versteigen sich hier im Bundestag, in dieser zentralen Institution unseres Staates dazu, zum Bruch der demokratisch zustande gekommenen Gesetze aufzurufen. Das hat der Herr Bernrath als etwas dargestellt, was wir schon gewohnt sind und worüber wir schon oft diskutiert haben. Heute aber müssen wir eben über einen Schritt weiter diskutieren, nämlich daß es nicht bei den Aufrufen zum Widerstand und zum Boykott bleibt, sondern daß welche das draußen auch so verstehen, daß sie tatsächlich Gewalt nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Personen ausüben.
({3})
Ich möchte, liebe Frau Kollegin Aufruhr, um das Ganze wirklich unverdächtig zu machen, den früheren Bremer Bürgermeister, den SPD-Kollegen, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Penner, zitieren, der im Deutschlandfunk gesagt hat: Wer im Parlament aufruft, Gesetze zu boykottieren und nicht zu realisieren, die von der Mehrheit des Parlaments abgeschlossen worden sind, geht einen Weg, den ich, Koschnick, leider schon vor 1933 kannte, wo es die extremen Gruppen genauso taten. Entweder akzeptiert man Mehrheitsentscheidungen oder ringt im Parlament um eine andere Position. Aber da kann man hinterher nicht als Abgeordneter Boykottpositionen gegen Gesetze vertreten, die einem nicht gefallen.
Wenn Ihre Anwesenheit im Bundestag dazu beitragen würde, daß Sie es endlich lernten, daß Demokratie und Minderheitenrecht die Möglichkeit bedeutet, zur Mehrheit zu werden und mit legalen Mitteln um diese Mehrheit zu kämpfen, daß es nur das und nicht mehr bedeutet und daß es nie die Diktatur einer Minderheit und das Fortführen von verlorenen Schlachten hier mit rechtswidrigen Methoden bedeuten kann, wenn Sie das begriffen hätten, dann wären diese Debatten und Ihre Anwesenheit hier durchaus von Sinn gewesen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde nicht beantragt, aber sie gibt Gelegenheit, klar Position zu beziehen. Auf Grund von Zwischenrufen, die hier zu hören waren, möchte ich ganz klar formulieren: Sozialdemokraten bejahen die Notwendigkeit der Volkszählung.
({0})
Wir haben, Herr Olderog, einen Vorsitzenden, der als Alterspräsident des Deutschen Bundestages in der konstituierenden Sitzung ein klares Wort zur Volkszählung gesprochen hat.
({1})
- Ich bin doch dabei.
({2})
Wir, die Sozialdemokraten, haben ein Präsidium, das nicht den geringsten Zweifel an der Haltung dieser Partei zur Volkszählung gelassen hat.
({3})
Wir haben einen Parteivorstand, wir haben einen Fraktionsvorsitzenden, dessen klare Sprache Sie kennen müßten. Es ist hier schon zitiert worden.
({4})
- Das ist ja die Antwort auf Ihre Zwischenrufe. Das haben Sie nur noch nicht begriffen.
({5})
Und wir haben die sogenannte Fraktionsvorsitzendenkonferenz - bestehend aus den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und in den Landtagen - , die sich ebenfalls eindeutig erklärt hat.
Das, was meine beiden Kollegen vor mir gesagt haben, muß ich nicht wiederholen.
({6})
- Ich nehme das auf: Ich habe - das geht an die Adresse der GRÜNEN und der CDU/CSU - große Zweifel, ob die Initiative zu dieser Aktuellen Stunde der Volkszählung dienlich ist. Das ist wirklich meine Frage. Niemand, der die Volkszählung für wichtig hält, darf sie zum Glaubenskrieg hochstilisieren. Das ist die große Gefahr.
({7})
Ich kenne Leute - ich sage das ganz offen -, anständige Bürgerinnen und Bürger, die eine Befragung nicht mögen. Leben wir in einem freien Land oder leben wir nicht in einem freien Land? Aber dann darf ich doch diese anständigen Leute nicht kriminalisieren.
({8})
Das geht auf dem Lande offenbar etwas leichter von der Zunge, wie der Verfassungsminister jetzt in Münster oder wie der Bundeskanzler gezeigt hat, der diesen faschistoiden Vergleich in die Diskussion eingeführt hat, der völlig unnötig ist.
Anstatt hier zu reden - agitieren ist ja leicht -sollten wir hingehen und überzeugen - das, was der Kollege Lutz gesagt hat, ist doch erfreulich: daß er sich selber aktiv beteiligt - , wo Überzeugungsbedarf ist.
Wenn die Volkszählung ein normaler Vorgang ist, der die Demokratie mit verläßlichen Daten versorgt, wie das in allen zivilisierten Ländern unumstritten ist, dann fragt man sich, warum ausgerechnet bei uns
Normalität zur Hysterie wird. Ich greife das auf, was vorher gesagt worden ist.
({9})
Unser Kollege Gerd Wartenberg hat am 7. Mai von dieser Stelle aus gesagt:
Die Erkenntnisse, die die Volkszählung bringt, schaffen nicht per se einen Erkenntnisvorsprung für irgendeine Verwaltung oder Regierung, sondern sie sind eine Arbeitsgrundlage für die gesamte jeweilige Gesellschaft.
Und dann sagt er:
Denn diese Zahlen sind öffentliches Gut.
Das sei ja das Besondere der öffentlichen Statistik. Das ist genau die Bewertung meiner Fraktion. Klarer ist das doch gar nicht zu formulieren.
Ich habe keine Lust, mich mit dem Boykott der GRÜNEN zu befassen. Es ist doch nachgewiesen, erwiesen, bewiesen, daß ausgerechnet Sie dieses Haus, Landtage, andere Parlamente mit Millionen von Unkosten überschütten, um auf Anfragen Antworten aus der Statistik zu bekommen.
({10})
Jetzt bin ich auch schon bei der Null-Null-Lösung angekommen. Ich hätte noch etwas zu sagen, aber die Redezeit ist um. Ich danke trotzdem für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand von unserer Seite bestreitet, daß sich das SPD-Präsidium, auch die SPD-Fraktion zur Volkszählung bekennen. Sie hat ja auch mitgestimmt. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist ja gerade die Doppelbödigkeit: Wenn sich Herr Lutz hinstellt und denselben Unsinn redet wie DIE GRÜNEN, nämlich Herr Zimmermann wolle einen Überwachungsstaat und diese Geschichten, zeigen Sie doch selbst, wes Geistes. Kind Sie in dieser Frage sind.
({0})
Sie wissen ganz genau, daß Sie damit auch das Geschäft der GRÜNEN betreiben.
({1})
Sie wollen so in der Welten Mitten zu Grün hin, zu Ihren kommunalen Bürgermeistern hin einen Zwischenweg gehen
({2})
und zerstören damit Ihre eigene Glaubwürdigkeit. Auch hier werden Sie in Zukunft die Quittung bekommen.
({3})
Gerster ({4})
Meine Damen, meine Herren, dasselbe offenbart sich bei dem Kollegen Nöbel eben, wenn er gewissermaßen verständnisvoll sagt, es gebe Leute, die die Befragung nicht mögen; die könnten deswegen kritisch sein. Im demokratischen Rechtsstaat kommt es nicht darauf an und kann es nicht darauf ankommen, daß die Bürger jedes Gesetz wollen. Ich mag wie die Masse der Bürger z. B. die Steuergesetze überhaupt nicht. Trotzdem muß ich Steuern zahlen. Das Prinzip des demokratischen Rechtsstaates heißt, es kann nur die Mehrheit im Rahmen der Verfassung und der Gesetze entscheiden. Dann müssen die Gesetze für alle gleich gelten. Das heißt mit anderen Worten: Wenn der Staat darauf dringt, daß die Gesetze eingehalten werden, dann hat das nichts mit Willkür, nichts mit Unterdrückung zu tun. Es wird auch nicht, wie der berühmt-berüchtigte Professor von Ditfurth im „Spiegel" diese Woche sagt, eine Art Gehorsamsprüfung abgenommen. Willkür und Mißbrauch können nur dann verhindert werden, wenn die Gesetze für alle gleich gelten.
({5})
- Das ist keine Kriminalisierung. Das ist Selbstverständlichkeit.
({6})
Denn wenn eine Minderheit für sich das Recht in Anspruch nimmt, einzelne Gesetze für sich außer Kraft zu setzen, dann bedeutet das nichts anderes als ein Faustrecht derjenigen, die ihre Meinung rücksichtlos durchsetzen, unabhängig von der allgemeinen Rechtsordnung.
({7})
Was ich erwartet hätte, wäre gewesen, daß sich die GRÜNEN heute von dem skandalösen Faltblatt ihrer Zeitung absetzen, wo sie den gläsernen Menschen beschwören und praktisch Anleitungen geben, um die Volkszählung zu unterlaufen. Was ich von den GRÜNEN erwartet hätte, wäre, daß sie sich hier hinstellen und sich von Sprengstoffanschlägen, von Brandanschlägen, von Überfällen auf Volkszähler und von Drohbriefen distanzieren.
({8})
Nichts dieser Art ist hier erfolgt.
({9})
Meine Damen, meine Herren, ich frage: Wo bleibt jetzt Ihre Sorge um Frieden, um Mitmenschlichkeit und um den Schutz des Lebens, die Sie angeblich auf die Fahnen Ihrer Bewegung geschrieben haben?
({10})
Wo bleibt Ihre Distanzierung von diesen brutalen
Aktionen? Wo sind die Aufrufe der GRÜNEN an die
Gewalttäter, einzuhalten und zur Besinnung zu kommen? Nichts dergleichen ist von Ihnen zu hören.
Statt dessen predigen Sie den Rechtsbruch und lehnen maßgebliche Sprecher aus Ihren Reihen nach wie vor das Gewaltmonopol des Rechtsstaates ab.
({11})
Vor vier Jahren sind Sie hier mit Blumen in den Händen in den Saal eingezogen. Sehen Sie denn nicht, daß sich in Ihren Spuren und mit den von Ihnen gelieferten falschen Argumenten anarchistische Gewalttäter und Kriminelle auf den Weg machen? Sehen Sie nicht, in welch verhängnisvollen Irrtum Sie mit der Behauptung, beim Volkszählungboykott müsse man sich ein neues Grundrecht erkämpfen, hineinlaufen? Im Klartext bedeutet das doch nichts anderes, als daß diese Republik nach der Meinung von vielen von Ihnen zu revolutionieren sei. Zumindest Ihr Sprecher Ebermann, der sich zu seiner kommunistischen Ideologie bekennt, sagt, was er will. Wie im „Spiegel" vom 27. April nachzulesen ist, will er unsere Gesellschaft weiter polarisieren und Konfliktpotentiale aufbauen, weil er gegenwärtig für seine Meinung keine Mehrheit sieht.
Ich fordere Sie auf: Hören Sie endlich damit auf. Wer Drohbriefen gegen Unbescholtene, wer Überfällen auf Zähler, wer Brandanschlägen auf Rathäuser, wer also der Gewalt in Wort und Tat Vorschub leistet wie Sie von den GRÜNEN, kann kein Wahrer von Persönlichkeits- und Datenschutz sein. Meine Damen, meine Herren, die CDU/CSU weiß, daß dieses Gesetz auf der Basis des Verfassungsgerichtsurteils verfassungsrechtlich einwandfrei ist. Natürlich mag es hier oder dort die eine oder andere Panne geben. Wir zweifeln aber nicht an der Redlichkeit von 500 000 Zählern, und wir zweifeln nicht an der Redlichkeit der Beamten, daß sie dieses Gesetz ordnungsgemäß durchführen werden und der Volkszählung gegen Ihren Willen zum Erfolg verhelfen werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist damit abgeschlossen.
({0})
Zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({1}) das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Gegenstand, um den es soeben ging, ist sehr umstritten in diesem Haus.
({0})
Sie von der Regierungskoalition mögen ja über unsere Auffassungen zu dieser Frage urteilen, wie Sie wollen, aber - ({1})
- Herr Seiters, Sie haben heute morgen ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie man hier einen Geschäftsordnungsantrag zu stellen hat.
Herr Abgeordneter Kleinert, kommen Sie zu Sache! Da passe ich schon auf.
Ich muß Ihnen sagen: Wenn der Abgeordnete Kalisch hier im Zusammenhang mit dieser Aktuellen Stunde im Zusammenhang mit uns und gerade auch mit mir persönlich von einer klammheimlichen Freude gesprochen hat im Zusammenhang mit Gewalttaten gegen Volkszähler, wenn in diesem Zusammenhang auf meine Zwischenrufe hin eine Assoziation zum Mord an Bundesanwalt Buback hergestellt worden ist, dann ist dies eine Ungeheuerlichkeit, und - ich sage das hier ganz ruhig - ich empfinde das als eine unverschämte Beleidigung,
({0})
zumal dann, wenn hier durch Redner meiner Fraktion unmißverständlich klargestellt worden ist, daß GRÜNE Gewalttaten in keiner Weise billigen,
({1})
sondern daß wir sie scharf kritisieren, und das gilt auch für Gewalttaten im Zusammenhang mit der Volkszählung.
({2})
Wenn Herr Hirsch hier festgestellt hat - jetzt zitiere ich - : „Sie sind der Urheber der Verbrechen",
({3})
dann offenbart das eine Maßlosigkeit, die wirklich den Verdacht aufkommen lassen muß, daß es Ihnen hier nicht um bessere Statistik geht,
({4})
sondern darum, den politischen Gegner GRÜNE zu verteufeln und das Ganze zu einer Hetzkampagne gegen die Kritiker Ihrer Gesetze hier hochzustilisieren. Das ist Ihr Problem.
({5})
Und wenn der Herr Abgeordnete Sauer an unsere Adresse hier ungerügt - ungerügt! - ausgeführt hat: Die roten Faschisten kommen - das haben alle gehört, die hier vorne gesessen haben -, dann ist dies nicht nur eine persönliche Beleidigung. Solche Zwischenrufe offenbaren eine Geisteshaltung und eine Maßlosigkeit, die mir Angst und Schrecken einjagt und die Sie disqualifiziert bei dem Versuch, sich hier als Musterdemokrat aufzuspielen.
({6})
Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 30 hat der Herr Abgeordnete Kalisch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nach diesen Äußerungen ist es wohl gut, wenn ich hier eine Klarstellung dessen gebe, was ich gesagt und gedacht habe. Eine direkte Beziehung Ihrerseits zu einer terroristischen Gewalttat habe ich nicht hergestellt und wollte ich nicht herstellen. Ich habe aber den Eindruck, daß Sie sich insgeheim freuen, wenn die Saat Ihrer Boykottaufrufe aufgeht.
({0})
- Darf ich fragen: Wollten Sie eine Klarstellung dessen, was ich meine, oder nicht?
({1})
Nein, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort zu einer Erklärung, und zwar zu den Ausführungen, die Sie gemacht haben.
Jawohl, richtig. - Ich wollte mit den Worten „klammheimliche Freude" zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie sich freuen, wenn die Saat Ihrer Boykottaufrufe aufgeht.
({0})
Dabei meine Damen und Herren, bleibe ich,
({1})
und ich bleibe auch dabei, daß Sie damit die Mitverantwortung für die Übergriffe tragen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, es sind in dieser Aktuellen Stunde Ausdrücke gefallen, die unparlamentarisch sind und die nicht zu rechtfertigen sind. Ich weise sie zurück. Wenn gesagt wurde, die Bundesregierung komme in den Verdacht, sie schüre den Terrorismus, weise ich das zurück, und ebenso weise ich den Zwischenruf zurück, der nicht ganz eindeutig personifiziert werden konnte, den Zwischenruf „roter Faschist".
({0})
So sollten wir im Parlament miteinander nicht umgehen.
({1})
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung, der heute vormittag zurückgestellt worden ist, auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Einwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in München gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 11/190 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Haushaltsausschuß
Vizepräsident Stücklen
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ist das richtig?
({2})
- Gut. Ist auch keine Begründung vorgesehen?
({3})
- Ja, sofort, das ist hier bereits aufgeführt.
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der Antrag an den Haushaltsausschuß zur federführenden Beratung überwiesen werden. Die Fraktion DIE GRUNEN hat beantragt, die Vorlage zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Ist das richtig?
({4}) Haben Sie dazu noch einen Wunsch?
({5})
- Den Antrag brauchen Sie nicht zu begründen. Sie brauchen mir nur zu sagen, in welchen Ausschuß Sie die Vorlage noch überwiesen haben wollen.
({6})
- Gut, wenn das Parlament einverstanden ist, bitte schön.
Meine Damen und Herren, ich möchte kurz begründen, warum dieser Antrag, bei dem es darum geht, daß Grundstücke des Bundes in München an die München-SachrangerWohnbau GmbH veräußert werden sollen, nicht nur an den Haushaltsausschuß, sondern auch an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden sollte.
Vorwegschicken muß ich allerdings, daß es mich etwas wundert, daß, wie in bezug auf die drei fraglichen Grundstücke in München bei meinen Recherchen herausgekommen ist, bereits Renovierungsarbeiten im Gange sind und daß die Bautafel als Bauherren schon die Sachranger-Wohnbau GmbH ausweist. Darüber hinaus konnte ich bei meinen Recherchen feststellen, daß bereits am 31. März ein Kaufvertrag unterschrieben und notariell beurkundet worden ist. Dies nur dazu, daß ich mich etwas wundere.
({0})
Aber es ist ja auch so, daß es sich bei Veräußerungen von Bundesgrundstücken gerade im städtebaulichen Bereich nicht einfach um eine haushaltsrechtliche und finanztechnische Frage handelt. Im Gegenteil, es handelt sich hier um eine städtebauliche Maßnahme, die in München im Bereich der Isarvorstadt liegt,
({1})
In einem Stadtteil, von dem bekannt ist, daß er massiv von Mietervertreibung geprägt und gekennzeichnet ist, und zwar genau durch das hier möglicherweise drohende Verfahren, daß Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden und daß die Mieter durch Luxussanierungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden.
Gerade die Firma München-Sachranger-Wohnbau GmbH ist in diesem Zusammenhang kein unbeschriebenes Blatt.
Herr Abgeordneter, das geht weit über den Geschäftsordnungsantrag auf Überweisung hinaus.
Ich sage noch zwei Sätze: Genau dieses Verfahren der Mietervertreibung ist von dieser Firma bereits in Giesing in der Edelweißstraße, in Haidhausen, Orleansstraße 51, und in der Thalkirchener Straße 188 praktiziert worden.
({0})
Ich denke, man sollte den Antrag nicht bloß an den Haushaltsausschuß überweisen. Würde man ihn nur an den Haushaltsausschuß überweisen, hieße das: Wir verkaufen das, Hauptsache, die Kasse stimmt, und was mit den Mietern passiert, ist uns egal.
({1})
Ich glaube, dieses Verhalten sollten wir nicht an den Tag legen und den Antrag deshalb auch dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überweisen.
Danke.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag auf zusätzliche Überweisung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gestellt worden. - Dazu zur Geschäftsordnung, bitte.
Ich möchte dagegensprechen, Herr Präsident. Es ist bisher bei solchen Veräußerungen noch nie üblich gewesen, auch eine zusätzliche Überweisung zur Mitberatung vorzunehmen. Das hat bisher immer der Haushaltsausschuß gemacht. Auch der hier dargelegte Hintergrund gibt zu keinen anderen Erwägungen Anlaß. Es ist so, daß auch der Erwerber bei solchen Vereinbarungen mit dem Bund gegenüber den Mietern auf sechs Jahre gebunden ist. Für das Horrorgemälde, das hier an die Wand gemalt wurde, besteht gar kein Anlaß, und deshalb sollten wir das in bewährter Weise nur dem Haushaltsausschuß überweisen.
Keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung. Dann stelle ich den Antrag auf zusätzliche Überweisung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Abstimmung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich kann Einvernehmen darüber feststellen, daß der Antrag zur Beratung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden soll. - Keine Gegenstimme. Es ist so beschlossen.
Vizepräsident Stücklen
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Schutz vor Pflanzenbehandlungsmitteln - Drucksache 11/276 -Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit oder
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Federführung offen Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es fällt mir schon sehr schwer, nach dieser letzten Debatte nun auf ein Sachgebiet überzugehen, bei dem es an den Lebensnerv unserer Gesundheit geht. Die GRÜNEN haben am 8. Mai bei der Aktuellen Stunde angekündigt, daß sie zu dem Thema „Belastung des Grund- und Trinkwassers durch Pflanzenbehandlungsmittel " noch einen Antrag nachreichen werden. Er liegt Ihnen vor und kann in Teil I, „Der Deutsche Bundestag stellt fest" , in keinem Punkt widerlegt werden. Diese Angaben sind Fakt, sind Untersuchungsergebnisse der ESWE, des Institutes für Wasserforschung und Wassertechnologie sowie des Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene.
({0})
Es ist schon ein stattlicher Teil des chemischen Zoos - der Staatssekretär Grüner ist leider nicht da - , der pro Sekunde in den Rhein geleitet wird: Das sind 190 Milligramm Simazin, 640 Milligramm Atrazin, 43 Milligramm Propazin, 151 Milligramm Terbutylazin, 10 Milligram Prometryn und 20 Milligramm Cyanozin, 759 Milligramm Metolachlor und 872 Milligramm Metazachlor. - Es tut mir leid, Ihnen das zumuten zu müssen, meine Damen und Herren, aber ich mußte das hier aufzählen, damit deutlich wird, warum ich heute morgen von der Vergiftungspolitik durch die Bundesregierung gesprochen habe.
({1})
Dieses Giftgemisch muß der Rhein schlucken, und diese Mengen stammen aus den Abwassereinleitungen der herstellenden chemischen Industrie, und zwar ganz legal mit behördlicher Genehmigung.
Es ist doch eine logische Folge, daß dadurch die Trinkwasserversorgung vom Fluß her gefährdet wird. Im Tonnenmaßstab wird Rheinwasser auf Äcker und Wiesen versprüht, versickert dann im Boden und driftet in Richtung Grundwasser. Das ist nachweisbar schon geschehen, und zwar ist die Kontamination in zunehmendem Maße ein flächenhaftes und nicht nur ein punktuelles Problem; so nachzulesen in der „Wirtschaftswoche", wahrlich kein Blatt, das den GRÜNEN nahesteht. Es ist die „Wirtschaftswoche" vom 1. Mai 1987, und das steht unter dem Titel „Bonner Schlag ins Wasser". Das sollten Sie, meine Damen und Herren von der CDU und von der Regierung, einmal nachlesen.
({2})
Ehe ich nun zu den Aussagen des Bundesverbandes der Gas- und Wasserwirtschaft komme, möchte ich folgendes zu Protokoll geben. Es hat sich im Antrag leider ein Fehler eingeschlichen. Es geht um den Punkt 1 unter II: „Die Bundesregierung wird aufgefordert", da muß es richtig heißen: „die Anwendung von Pestiziden zu verbieten" . Es darf nicht heißen: „die Anwendung und Produktion von Pestiziden zu verbieten" . Letzteres hat der BGW nicht gefordert. Das möchte ich der Richtigkeit halber zu Protokoll geben.
Was der BGW aber vorgelegt hat, sind Untersuchungsergebnisse, die beweisen, daß 43 von 320 verschiedenen Wirkstoffen, das sind 12 %, ins Grundwasser eingedrungen sind, und zwar in Konzentrationen, die in 50 % der Fälle sogar den zukünftigen Summengrenzwert überschreiten. Trotzdem haben Sie, Herr Schmidbauer - ist er da? ich weiß es nicht genau -, noch den Mut, die Meßwerte zu bezweifeln.
Fast alle Meßwerte, die sich auf die Vergiftung des Grundwassers in der Bundesrepublik beziehen, stammen aus den Jahren 1985/86. Würde man heute systematische Untersuchungen durchführen, das Ergebnis würde keineswegs besser aussehen, es sei denn, man legt es bei der Durchführung der Untersuchungen bereits darauf an, daß sie der Verharmlosung dienen. Wie man das macht, habe ich schon in der Aktuellen Stunde erwähnt. Man kann es aber auch in dem von Herrn Schmidbauer zitierten Trinkwasser-Monitoring des Industrieverbandes „Pflanzenschutz" nachsehen.
Herr Schmidbauer hat hier zitiert, der IPS habe bei 12 000 Beprobungen nur in 200 Fallen Pflanzenschutzmittel im Grundwasser festgestellt. Es müßte lauterweise hinzugefügt werden, daß nicht 12 000 Brunnen untersucht wurden. Es wurden aus einzelnen Brunnen viele Proben genommen. So wurden in Hessen bei mehr als 400 Wasserversorgungsunternehmen nur 15 Brunnen beprobt. Sechs verschiedene Mittel wurden zum Teil einzeln, zum Teil als Gemisch in diesen 15 Brunnen gefunden. Trotzdem kommt der IPS zu dem Ergebnis, daß in Hessen keine nennenswerten Schäden des Grundwassers vorliegen.
Die Fraktion der GRÜNEN hat einen Maßnahmenkatalog aufgestellt. Das liegt Ihnen alles vor.
Der Minister Töpfer ist ja nun heute nicht hier gewesen, aber ich möchte, daß er folgendes ausgerichtet bekommt: Es gibt so manchen Stoff, der aus Umwelt- und Gesundheitsgründen verboten werden müßte. Er möge dem Pentachlorphenol-Verbot, das wir sehr begrüßen, noch andere folgen lassen, z. B. ein Verbot
der 43 Pestizidwirkstoffe, die im Grund- und Trinkwasser nachgewiesen wurden.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Schutz vor Pflanzenbehandlungsmitteln - das darf ich vorausschicken - darf nicht dazu führen, daß die Bauern als verantwortungslose Giftmischer oder Umweltverschmutzer gebrandmarkt werden.
({0})
Die Bauern liefern mehr Maßstäbe für den sorgfältigen Umgang mit der Natur, als daß sie Ratschläge brauchten.
({1})
Aber wir sitzen in einem Boot
({2})
und sollten miteinander das Beste zu machen versuchen.
Aus existentiellen Gründen versuchen heute viele Bauern, zum Teil über einen vermehrten Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, ihre Produktion zu steigern,
({3})
um dadurch auch ihre Einkommenssituation zu verbessern. Angesichts der gewaltigen Überschüsse in der EG ist eine Produktionsausweitung das, was wir im Moment nicht gebrauchen können, wohl für längere Zeit nicht. Für den Einsatz von Pflanzenschutz-und Düngemitteln heißt dies, daß wir die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft auch so ändern können, daß der Zwang zur Produktionssteigerung abgeschwächt wird. Anders ausgedrückt: Es gibt Umweltprobleme, aber die Ursache dieser Umweltprobleme liegt primär nicht bei Landwirten, sondern bei den Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten.
({4})
- Sehen Sie, manchmal gibt es auch Gemeinsamkeiten. Wir dürfen uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch bei geänderten Rahmenbedingungen der dosierte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldünger nicht gänzlich unumgänglich sein wird. Die Bauern brauchen beides.
Die Pflanzenschutzmittel müssen aber - jetzt hören Sie mal zu, vielleicht können wir uns auch darauf verständigen - von der Industrie so bereitgestellt werden, daß eine Gefährdung für das Grund- und Trinkwasser von vornherein ausgeschlossen ist. Dies würde auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie erhöhen, da mit Inkrafttreten der Trinkwasserverordnung 1989 in der ganzen EG die erhöhten Anforderungen an Pflanzenschutzmittel allgemein gültig werden. Gemessen an der Trinkwasserverordnung haben wir heute zuviel Pflanzenschutzmittelrückstände im Trinkwasser. Das wissen wir. Aber jetzt auch zur Klarheit: Trotz Überschreitung der Werte steht unzweifelhaft fest, daß die festgestellten Verunreinigungen gesundheitlich völlig unbedenklich sind; denn die Trinkwasserverordnung geht von einem extremen Vorsorgeprinzip aus.
({5})
Dieses extreme Vorsorgeprinzip nach und nach zu realisieren ist eine Aufgabe. Alles geht nicht so schnell, wir brauchen dafür auch verläßliche technische Methoden. Alle haben wir noch nicht, deswegen das Datum 1989.
Wir benötigen aber auch eine exakte Definition, was unter „schädlichen Auswirkungen" im Sinne des Pflanzenschutzgesetzes und der Trinkwasserverordnung zu verstehen ist.
Neben der Industrie und der Wissenschaft ist auch der Bauer selbst - ich gehöre dazu - beim Pflanzenschutz gefordert. Im Sinne des Schadenschwellenprinzips sollte z. B. nicht vorbeugend gegen schädliche Wild- oder Unkräuter vorgegangen werden, sondern nur entsprechend ihrem tatsächlichen Vorhandensein auf dem Felde.
Die Forderung der GRÜNEN, die heute bestehenden Bewirtschaftungsformen völlig abzuschaffen und ausschließlich zum sogenannten alternativen Landbau überzugehen, halte ich für überzogen. Das ist nicht durchzuführen,
({6})
würde in der EG von den anderen Partnern nicht mitgetragen und würde die deutsche Landwirtschaft in eine Abseitsposition bringen. Wir brauchen einen solchen Weg nicht. Wir brauchen einen Weg der Mitte. Das Ziel muß heißen, genügend qualitativ hochwertige Nahrungsmittel preisgünstig durch umweltschonende Produktionsweisen herzustellen. Dies können wir nur mit einer modernen Landwirtschaft erreichen, nicht mit einer Landwirtschaft Ihrer Vorstellung. Wir wollen und brauchen eine moderne Landwirtschaft, eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die auch den ökologischen Erfordernissen entspricht. Das tut sie heute schon weitestgehend, aber es sind noch Fortschritte möglich und notwendig.
({7})
Wir begrüßen sogar den einen oder anderen Vorschlag der GRÜNEN, Vorschläge, die wir seit Jahren in die Praxis umgesetzt haben. Diese wenigen positiven Ansätze im vorliegenden Antrag der GRÜNEN werden aber leider durch völlig unrealistische fundamentalistische Forderungen im Keime erstickt. Sie waren auch nicht sehr präzise, geradezu schludrig bei der Formulierung des Antrages. Sie haben Stoffe aufgenommen, die längst verboten sind. Sie plädieren für die völlige Abschaffung von Pflanzenschutzmitteln: völlig unrealistisch. Durch solche überzogenen Forderungen beschreiten Sie einen Weg, der nicht zu mehr, sondern zu weniger Umweltschutz führt. Die Abschaf818
fung der modernen Landwirtschaft ist unrealistisch und unsinnig.
Wir bemühen uns um einen gemeinsamen Weg mit allen politischen Kräften, einen Weg auch auf Grund solcher Forderungen, sie müssen aber realistisch sein, und sie müssen eine Bereitwilligkeit zum gemeinsamen Handeln auch mit den Bauern aufweisen. Daran fehlt es Ihnen. Es ist mehr Ideologie, was Sie da niedergeschrieben haben, denn praxisbezogene Möglichkeit. Wir sind gespannt auf die Beratungen, in denen wir auch den Versuch gemeinsamen Handelns unternehmen wollen. Die Sache ist des gemeinsamen Handelns wert.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN ist ein Schnellschuß, und er hat auch alle Nachteile eines solchen. Das heißt, er enthält neben berechtigten Forderungen Punkte, die sachlich nicht stimmen, und andere, die bereits erledigt sind. Frau Garbe, Sie haben ja einen dieser Punkte bereits berichtigt, also selbst erkannt, daß das nicht ganz richtig war.
Was unbestritten ist, sind die Probleme, die durch die Veröffentlichung des Bundesverbandes der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, abgekürzt: BGW, wieder in die aktuelle Diskussion gekommen sind. Es ist nicht so, daß diese Angaben überholt wären, sondern der BGW hat eine neue Liste mit Messungen vom 15. Mai vorgelegt. Das heißt, das ist nichts, was lange her wäre, sondern das ist noch ganz akut.
Der Vorrat an Wasser, dem wichtigsten Lebensmittel für die gesamte Natur, für den Menschen wie für Pflanze und Tier, ist in seiner Qualität gefährdet.
({0})
Es gibt viele durch Menschen veranlaßte Eingriffe in den natürlichen Wasserkreislauf, seit Jahrzehnten, muß man sagen, die die Wasserversorgung auf die Dauer gefährden könnten. Die Historie zeigt, wie bestimmte Entwicklungen laufen, wenn Sie z. B. an den Vorderen Orient, an das Gebiet des heutigen Israel oder an Karthago denken. Da haben wir die Beispiele.
Die Belastung durch die Bewirtschaftung des Bodens und den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln ist einer davon. Herr Kroll-Schlüter, Sie können nicht so tun, als gebe es Möglichkeiten, jegliche nur denkbare Gefährdung dabei auszuschließen;
({1})
denn Menschen und Industrieanlagen sind fehlbar. Jede Form von Wasservorkommen sollte geschont werden, das Grundwasser ebenso, und zwar auch außerhalb der ausgesprochenen Wasserschutzgebiete,
({2})
wie das Oberflächenwasser jeglicher Art - heute früh haben wir über die Nordsee gesprochen - , wie auch das Uferfiltrat, das in den Aubereichen der Flüsse heute im Einzugsbereich der Trinkwasserbrunnen liegt.
Ich bedauere, daß der Herr Töpfer nicht da ist;
({3})
denn der könnte uns hier bestätigen, was er als Landesminister für Umwelt - ({4})
- Ja, aber Herr Grüner ist leider nicht Umweltminister in Rheinland-Pfalz gewesen.
Ich habe am Rhein erlebt, wie das Umweltministerium in Rheinland-Pfalz mit den Problemen nicht fertig wurde, als das Atrazin in den Trinkwasserbrunnen meines Wahlkreises war und die Feuerwehr mehrere Wochen lang Schläuche legen mußte, um die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Dann wurde die Geschichte wieder zurückgeholt, und es ging wieder neu los. Schließlich wußte niemand, wann was wo passierte.
({5})
Wir haben erlebt, wie Filteranlagen ausgetauscht werden mußten und wie hinterher die Gemeinden Probleme hatten, die alten Filter loszuwerden, weil keine Mülldeponie bereit war, sie anzunehmen. Das sind Erfahrungen, die Herr Töpfer glücklicherweise in sein Amt mitbringt und die er dann hoffentlich auch entsprechend auswertet.
Pflanzenschutzmittel wiederum können in verschiedenster Art Schaden stiften. Bei der Herstellung können Abfallprodukte entstehen, die schädlich sind.
({6})
Bei der Lagerung können Versehen vorkommen. Bei der Anwendung und durch die Abbauprodukte im Boden können Schäden entstehen. Das wissen wir alle. Das gestehen auch Sie zu. Wir müssen alle diese Punkte in die Diskussion einbeziehen, insbesondere im Zusammenhang mit den Verordnungen, die zur Durchführung des novellierten Pflanzenschutzgesetzes in der Bearbeitung sind.
Das von der öffentlichen Wasserwirtschaft vorgebrachte Argument, ein auf Wasserschutzgebiete beschränktes Anwendungsverbot werde dem Erfordernis des Gewässerschutzes nicht gerecht, wenn auch bei sachgerechter Anwendung eines Mittels ein Eindringen des Schadstoffes in das Grundwasser nicht auszuschließen sei, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die Auslegung des Begriffes „Naturhaushalt" als umfassenden Begriff entspricht durchaus unseren Intentionen als Gesetzgeber. Wir haben bewußt einen sehr ausgedehnten Schutz angestrebt.
({7})
Herr Kroll-Schlüter, Sie haben vorhin gesagt, Sie verlangten von der Industrie, die Pflanzenschutzmittel
so herzustellen, daß sie ohne Gefährdung von Lebensmöglichkeiten angewendet werden könnten. Das kann überhaupt niemand garantieren. Wir sollten nicht vergessen: Der Mensch ist fehlbar. Niemand kann garantieren, daß jeder Anwender überall sachgerecht handelt,
({8})
auch wenn er gut ausgebildet und guten Willens ist.
({9})
Ich hätte gerne noch etwas zu den Subventionsvorschlägen gesagt.
Sehr verehrte Frau Kollegin, wenn Sie noch gerne etwas sagen wollten, müßte ich Zwischenfragen zulassen. Da Sie aber schon Ihre Redezeit strapaziert haben, sind Sie hoffentlich mit mir einverstanden, wenn ich den beiden Zwischenfragestellern mitteile, daß sie nicht mehr zum Zuge kommen.
Das ist Ihnen überlassen, Herr Präsident. Aber darf ich meinen letzten Satz noch vortragen?
({0})
Selbstverständlich.
Die Liste der GRÜNEN mit den Subventionsvorschlägen ist natürlich für Herrn Eigen sehr erfreulich; das verstehe ich. Wir müssen aber überall diese Fragen wirklich gründlich und sachgerecht diskutieren. Deswegen beantragen wir die Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuß für Umwelt und Reaktorsicherheit und mitberatend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist durchaus begrüßenswert, daß die GRÜNEN das Thema Pflanzenschutz im Zusammenhang mit mehr Umweltschutz, mehr Verbraucher-und Gebraucherschutz aufgreifen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß irgendwo in Ihrem Antrag - und sei es nur in einem Nebensatz - einmal von der Notwendigkeit eines sachgerechten Pflanzenschutzes gesprochen worden wäre. Sie weisen nämlich ausschließlich auf das Gefahrenpotential hin, ohne auch nur einmal anzudeuten, daß Landwirte nicht unbedacht ihre Kulturpflanzen düngen oder spritzen.
({0})
Ein Gefahrenpotential liegt im Pflanzenschutz und in der Düngung verborgen; das wird von niemandem hier verheimlicht. Weil das so ist, haben wir gerade ein neues Pflanzenschutzgesetz auf den Weg gebracht, das gegenüber dem alten zahlreiche Verbesserungen aufweist. Genauso verhält es sich mit dem Wasserhaushaltsgesetz und der Trinkwasserverordnung. In Kürze bekommen wir noch eine Grundwasserschutzkonzeption, die ähnlich wie die Bodenschutzkonzeption einen sinnvollen Beitrag und Überblick zum Problemfeld „Grundwasser" liefern soll.
Ich vermisse in der Begründung zu Ihrem Antrag auch stilistische Sachlichkeit. So kann doch nicht die Rede davon sein, daß seit 30 Jahren eine Agrargiftwelle über die deutschen Lande schwappt, und generell von vergiftetem Wasser zu sprechen, zeigt, daß hier eine ideologische Denkart durch Pauschalierung untermauert werden soll.
Die Abbauvorgänge im Boden - bis hin zu Auswaschungsgefahren - bei Dünger und Pflanzenschutzmitteln hängen immer noch in starkem Maße von der Bodenart und der Witterung ab. Wir brauchen aber eine gewisse Zeitspanne zur Verwirklichung der jetzt schärfer greifenden Gesetze. Mit einem „sofort" ist es nicht getan. Die Trinkwasserverordnung soll bis 1989 greifen. Die Überprüfung der Pflanzenschutzmittel, die noch nach alten Standards auf dem Markt sind, ist voll im Gange. Man kann allerdings von der Biologischen Bundesanstalt nicht erwarten, daß sie dieses Prüfverfahren von heute auf morgen abschließen kann. Wünschenswert wäre tatsächlich, wenn es zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Biologischen Bundesanstalt und den Wasserversorgungsunternehmen käme. So muß darauf gedrängt werden, daß sich schnellstens das dafür vorgesehende Gremium, nämlich der Sachverständigenausschuß, konstituiert.
Im übrigen ist es jetzt auch an den Ländern, endlich die Bundesgesetze zu vollziehen und beispielsweise schleunigst das sich im Aufbau befindliche Meßnetz zur Grundwassergüte auszubauen, damit wir, repräsentativ über das Bundesgebiet verteilt, genaue Daten zur Verfügung haben. Damit würde auch uns Parlamentariern die Gesetzgebung wesentlich erleichtert.
Ich habe große Sympathie für ein Grundwasserkataster. Leider ist bis jetzt noch gar nicht wissenschaftlich geklärt, auf welche schädlichen Stoffe hin das Grundwasser analysiert werden soll.
Lassen sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz auf die Pflanzenschutz- und Düngemittelindustrie sowie auf die Anwender, die Landwirte, eingehen. Die chemische Industrie ist heute mehr denn je auf ein gutes Image in der Öffentlichkeit angewiesen.
({1})
- Das hat sie auch nötig. Da haben Sie durchaus recht. - Keines der Unternehmen möchte gern - es kann sich dies auch gar nicht erlauben - mit einem zweiten Sandoz-Unglück belastet werden. Für die Sichtweise der Unternehmensführung sind das gesellschaftspolitische Umfeld und die sensibilisierte Öffentlichkeit heute untrennbar mit der Wirtschaftlichkeit neuer Produktentwicklungen verbunden. Sanfte Chemie, biologische und biotechnologische Forschung, geringe Umweltbelastung und integrier820
ter Pflanzenschutz sind Stichworte für die Marktchancen von morgen.
Zweitens. Der Landwirt selber ist natürlich auch gefordert. Die gute fachliche Praxis, von der im Pflanzenschutzgesetz die Rede ist, bedeutet, daß der Landwirt mehr als früher Experte sein muß. Er muß die Wirkungsweise von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln kennen. Er muß sich ständig über neue Ausbringungstechniken informieren. Er muß seine Mittel bedarfsgerecht einsetzen. Er sollte bei prophylaktischen Maßnahmen eher zurückhaltend sein. Er sucht mehr und mehr Selektivmittel. Integrierter Pflanzenschutz ist schon lange kein Fremdwort mehr für den Praktiker.
Wir werden im Ernährungsausschuß in den nächsten vier Jahren genug Gelegenheit haben, über das Konfliktfeld „Landbewirtschaftung und Umweltgefährdung" zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Wir stehen am Beginn einer Wahlperiode, die die FDP nutzen wird, um gerade in der Agrarpolitik und im Umweltschutz effizient zu arbeiten.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN berührt ein Problem, über dessen Bedeutung sich diese Bundesregierung von Anfang an im klaren gewesen ist. Ich weise nur darauf hin, daß eine der ersten Maßnahmen der Bundesregierung schon im Dezember 1983 die Einsetzung einer interministeriellen Kommission zur Erstellung einer Bodenschutzkonzeption war. Aus diesem Bodenschutzkonzept, das wir erstellt haben, sind gesetzliche Maßnahmen abgeleitet worden und werden weitere Maßnahmen abzuleiten sein.
Sowohl das Wasserhaushaltsgesetz vom 23. September 1986 als auch das Pflanzenschutzgesetz vom 19. September 1986 verlangen den Schutz des Grundwassers vor „Verunreinigungen oder sonstigen nachteiligen Veränderungen seiner Eigenschaften" und „schädlichen Auswirkungen" bei der Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Diese strengen Rahmenbestimmungen sind ebenso wie die Detailvorschriften der Trinkwasserverordnung vom 22. Mai 1986 am Vorsorgeprinzip orientiert. Wir müssen leider sagen, daß das bei uns herrschende Vorsorgeprinzip nicht auch überall dort Gemeingut ist, wo wir es uns wünschen würden.
Die Grenzwerte der Trinkwasserversorgung sind mit 0,1 Millionstel Gramm, also Mikrogramm Einzelsubstanz pro Liter oder 0,5 Millionstel Gramm als Summenwert so niedrig, daß auf Grund teilweise fehlender oder unzuverlässiger Analysemethoden die verbindliche Einhaltung der Werte aus Gründen der Rechtssicherheit bis zum 1. Oktober 1989 ausgesetzt werden mußte.
({0}) Dies ist eine notwendige Übergangsregelung.
Es ist polemisch überzogen, pauschal im Zusammenhang mit der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln und ihrer Anwendung in unserem Land eine „enorme Gefährdung der Umwelt sowie der Gesundheit der Bevölkerung" zu behaupten, wie es die GRÜNEN in ihrem Antrag tun.
({1})
Grundsätzlich müssen bei Pflanzenschutzmitteln Produktion und Anwendung auseinandergehalten werden: Während die Produktion dem Chemikalienrecht sowie dem Wasserrecht und dem Abfallrecht unterliegt, gelten für das Inverkehrbringen und die Anwendung die pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften.
({2})
- Beide sind bei uns im internationalen Vergleich besonders streng, Frau Kollegin Blunck. Insbesondere können wir diese Aussage seit Inkrafttreten des neuen Pflanzenschutzgesetzes machen.
({3})
Das Auftreten von Pflanzenschutzmittelrückständen im Grundwasser ist seit einiger Zeit verstärkt untersucht worden.
({4})
Übrigens sind das außerordentlich teure und aufwendige Untersuchungen. Die Tatsache, daß bei bestimmten Stoffen - vor allem dem Wirkstoff Atrazin - in einigen Regionen der künftig geltende Grenzwert von 0,1 Mikrogramm je Liter überschritten wurde, bedeutet keine gesundheitliche Gefährdung, wird aber aus den genannten Vorsorgegründen bei uns sehr ernst genommen. In diesem Zusammenhang von einer Verseuchung zu sprechen, wie es im Antrag geschieht,
({5})
ist allerdings völlig überzogen und falsch. - Frau Kollegin Blunck, ich bitte, hören Sie mich erst einmal an.
Entscheidend ist, daß sich alle Beteiligten - das sind die Bundes- und Länderbehörden, die Pflanzenschutzmittelindustrie und vor allen Dingen auch die Anwender von Pflanzenschutzmitteln - im Sinne der Vorsorgepolitik
({6})
auf die neue rechtliche Situation, die ich mit den wesentlichen Gesetzen beschrieben habe, einstellen, um künftige Schwierigkeiten bei der öffentlichen Wasserversorgung von vornherein zu vermeiden.
Der Antrag der GRÜNEN ist nicht sachgerecht, insbesondere aus den folgenden beiden Gründen: Erstens. Von den 33 genannten Wirkstoffen, für die ein pauschales, inzwischen ja korrigiertes Anwendungsverbot gefordert wird, werden viele in der Bundesrepublik Deutschland weder hergestellt noch
angewandt. Ich nenne Endrin, Toxaphen, Heptachlor. Das gilt auch für 2, 4, 5-T, das seit 1985 nicht mehr zur Anwendung zugelassen ist und auch nicht mehr produziert wird.
({7})
Das macht deutlich, daß dieser Antrag ins Leere geht.
Zweitens. Die Forderung nach Überprüfung zugelassener Pflanzenschutzmittel ist überflüssig, weil diese Überprüfung bereits auf der Grundlage geltenden Rechts von den hierfür zuständigen, unabhängigen Behörden vorgenommen wird. Die Zulassung ist in keinem einzigen Fall ohne wissenschaftlich-rechtliche Überprüfung erfolgt. Eine Verbandsbeteiligung, wie sie hier gefordert wird, kommt gerade deshalb - wie auch in anderen Bereichen der Chemikalienprüfung - nicht in Frage, weil wir auch in Zukunft eine unabhängige, streng wissenschaftliche Überprüfung haben wollen.
({8})
Um Ertragsausfälle und Qualitätsminderungen durch Schadorganismen zu vermeiden, wird aber - das möchte ich in diesem Zusammenhang ganz eindeutig sagen - unsere Landwirtschaft - wie übrigens die Landwirtschaft in aller Welt - weiterhin auf Pflanzenschutzmittel angewiesen sein. Kein Land dieser Erde - gleich welcher Entwicklungsstufe - mutet seiner Landwirtschaft einen vollständigen Verzicht auf Pflanzenschutzmittel zu. Die Bundesregierung wird aber ihre erklärte Absicht, eine für die Umwelt immer schonender arbeitende Landwirtschaft zu fördern, im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik weiter verfolgen.
Außerdem wird die Bundesregierung bei den Bundesländern auf folgendes hinwirken - und damit komme ich zum Schluß - : Erstens. Die Beratung im Pflanzenschutz muß ständig weiter verbessert werden.
({9})
Zweitens. Die Ausweisung von Wasserschutzgebieten ist voranzutreiben; die Grenzen dieser Gebiete müssen den Landwirten bekanntgemacht werden.
Drittens. Die Einhaltung der Bestimmungen der Pflanzenschutz-Sachkunde-Verordnung ist intensiv zu überwachen.
({10})
Auch die Einhaltung der allgemeinen Anwendungsnormen, nämlich Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nur nach guter fachlicher Praxis unter Berücksichtigung der Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes,
({11})
muß ebenfalls streng überwacht werden.
Die rechtlichen Voraussetzungen für eine umfassende Vorsorgepolitik zugunsten des Grundwassers sind durch die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses geschaffen. Alle Beteiligten, Landwirte, Verbände, Wissenschaft und Industrie sowie die Behörden von Bund, Ländern und Gemeinden, sind aufgerufen und, wie ich meine und weiß, auch entschlossen, im Rahmen dieser strengen Vorsorgegesetze in der Praxis das Notwendige zu tun. Irgendeine Panikmache ist hier nicht angebracht.
({12})
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist geschlossen. Nun kommen wir zu den Überweisungsvorschlägen.
Einigung ist darüber erzielt worden, daß der Antrag zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit überwiesen werden soll.
Von der CDU/CSU liegt ein Antrag auf Überweisung an den Landwirtschaftsausschuß zur federführenden Beratung vor.
({0})
Die FDP wünscht ebenfalls Überweisung an den Landwirtschaftsausschuß zur federführenden Beratung.
Von der SPD und den GRÜNEN wird Überweisung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur federführenden Beratung gewünscht.
Wir stimmen über den ersten Antrag ab. Wer für die Überweisung des Antrags zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Landwirtschaft und Forsten ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit.
({1})
- Ich habe den Antrag der CDU/CSU-Fraktion deshalb als ersten genommen, weil er hier schon vorlag. Sie haben den Antrag erst während Ihrer Ausführungen gestellt.
({2})
- Sind Sie der Meinung, daß die Abstimmung anders ausgegangen wäre, wenn ich Ihren Antrag vorgezogen hätte? ({3})
Meine Damen und Herren, damit ist also dieser Vorgang, die Frage der federführenden Beratung, geklärt.
Dann gibt es da noch ein strittige Frage. Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Plenums den Antrag stellen will, diesen Antrag auch an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen?
({4})
- Gut, dann lassen wir darüber abstimmen, Frau Weyel, das ist kein Problem.
Vizepräsident Stücklen
Ich lasse also darüber abstimmen, ob der Antrag zur Mitberatung auch an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit ist auch der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mitberatend mit dieser Materie befaßt.
Dann rufe ich Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließungen zu den Fragen des Asylrechts
- Drucksache 11/147 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({5})
Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind dafür 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand von uns macht sich Diskussion und Entscheidung zum Asylrecht leicht. Auch in mir streiten widersprüchliche Empfindungen: Auf der einen Seite steht der Wunsch, bedrängten Menschen zu helfen, auch den 80 % unserer Flüchtlinge, die nicht politisch verfolgt sind; auf der anderen Seite steht unsere Pflicht als Politiker, eine Überforderung unseres Landes und ausländerfeindlichen Extremismus zu vermeiden, auch und gerade im Interesse der 4,4 Millionen Ausländer, die heute bei uns leben.
Ich selbst habe viele Sammellager besucht, habe mit vielen Flüchtlingen, mit Leitern dieser Lager, mit den Vertretern karitativer Organisationen und der Kirchen über diese Probleme gesprochen. Insofern verstehe ich sehr gut das humanitäre Anliegen des Europäischen Parlaments.
Aber ich muß diesen Beschluß des Europäischen Parlaments kritisieren, weil dieses Dokument ausgesprochen einseitig ist. Es sagt überhaupt nichts zu der Frage - und das ist leider ein zentrales Problem -, wie die westeuropäischen Länder, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, mit dem gewaltigen Flüchtlingsstrom fertigwerden können, fertigwerden sollen, ihn verkraften können.
Streiten wir nicht darüber, ob wir neben den fast 4 Millionen Gastarbeitern und ihren Familienangehörigen nun wirklich schon, wie der Innenminister behauptet, 700 000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik haben oder ob es vielleicht etliche zehntausend weniger sind.
({0})
Es gibt unbestritten einige Zahlen, die uns der Hohe Flüchtlingskommissar geliefert hat, die außerhalb des Streites stehen. Danach sind in den zehn Jahren von 1975 bis 1984 in die Bundesrepublik Deutschland 370 836 Flüchtlinge gekommen, mehr als 51 % aller nach Westeuropa kommenden Flüchtlinge.
({1})
- Das kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Meine Angaben aber, verehrter Herr Hirsch, sind unbestrittene Zahlen. Ich kann die von Ihnen gewünschte Zahl nicht schätzen, aber ich vermute, daß wahrscheinlich mehr unregistriert zu uns gekommen als weggegangen sind.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Ja, bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege Olderog, können Sie mir bestätigen, daß die Bundesrepublik Deutschland insgesamt 68 000 politische Flüchtlinge aufgenommen hat, nicht mehr - dazu kommen allerdings Familienangehörige, die man nur schätzen kann -, und stimmen Sie mir darin zu, daß alle anderen Zahlen, die Sie von Menschen nennen, die sich in der Bundesrepublik in einem gesicherten Status aufhalten, mit dem Asylrecht nichts zu tun haben?
Das ist richtig, aber der UN-HC zählt auch bei den anderen Flüchtlingszahlen nicht nur politisch Verfolgte, sondern auch Armutsflüchtlinge, Menschen, die vor Bürgerkriegen fliehen und dergleichen. Ich finde, daß es gut ist, wenn wir uns einmal mit dem Innenminister näher über diese Zahlen unterhalten. Ich habe mit den zuständigen Referenten und Sachbearbeitern für diesen Bereich im Innenministerium gesprochen. Mein Eindruck ist, Herr Hirsch, daß die Zahlen des Innenministers eher zu niedrig gegriffen sind als zu hoch. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir uns einmal in Ruhe diese Zahlen vornehmen könnten, um diesen Streitpunkt endlich auszuräumen.
Meine Damen und Herren, ich bekenne mich dazu: Wir Politiker haben die moralische Pflicht, an unsere Bürger zu appellieren, sich humanitären Pflichten zu stellen, dies um so mehr, als von den Nazis verfolgte Deutsche in vielen Ländern der Welt Aufnahme gefunden haben. Aber wir müssen auch erkennen, daß es für ein kleines, dicht besiedeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das selbst 2 Millionen Arbeitslose hat, Grenzen dessen gibt, was ein Volk verkraften kann. Wer ein Volk auf Dauer überfordert, fordert rechten Extremismus und Ausländerfeindlichkeit geradezu heraus. Was das für die hier lebenden 4,4 Millionen Ausländer bedeutet, das können Sie sich als erfahrene Politiker selbst ausmalen. Ich glaube, kein verantwortungsbewußter Politiker kann das wollen.
Das Europäische Parlament fordert, daß Asylbewerber den Ort ihrer Niederlassung in Europa frei wählen können; es fordert für sie nach sechs Monaten, also rasch, den Zugang zum Arbeitsmarkt; es fordert die
Beseitigung von Sammelunterkünften und viele andere Dinge mehr, die sympathisch klingen und die uns humanitär ansprechen. Es fordert auch, die defacto-Flüchtlinge, denen ein Asylrecht erwiesenermaßen nicht zusteht und die nicht politisch verfolgt sind, den wirklich politisch Verfolgten, praktisch jedenfalls, für bestimmte Fristen gleichzustellen.
({0})
Was das für unserer Land bedeuten würde, kann sich auch jeder ausmalen. Wir sind das bevorzugte Ziel der Flüchtlinge. Ich glaube nicht, daß wir es verantworten können, daß unser Land damit faktisch zum Einwanderungsland wird.
({1})
Wir wollen und können ein solches Einwanderungsland nicht sein.
Was ist zu tun? Wir fordern das Europäische Parlament auf, das Asylrecht auf dem hohen deutschen Niveau einheitlich zu regeln,
({2})
Die Flüchtlingslasten wirklich gerecht zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu verteilen, Diktaturen, Menschenrechtsverletzungen und wirtschaftliche Not überall auf der Welt mutiger zu bekämpfen. Zu dieser Problematik der Überforderung allerdings, meine Damen und Herren, hat sich das Europäische Parlament nicht geäußert. Ich hätte gewünscht, daß es auch dazu Stellung bezogen hätte.
({3})
- Ja, mit einem Wort, mit einem Satz, der nachträglich noch eingearbeitet worden ist: daß die Länder Gelegenheit erhalten sollen, dem Mißbrauch entgegenzuwirken.
Der Berichterstatter für diesen Bereich im Europäischen Parlament, der deutsche SPD-Abgeordnete Heinz-Oskar Vetter, hat behauptet, unser Land behandele die Flüchtlinge - so wörtlich - menschenunwürdig.
({4})
Ich frage mich: Müssen wir uns eigentlich immer wieder das Büßerhemd umhängen? Warum wählen denn mehr als 50 % aller nach Westeuropa kommenden Flüchtlinge nicht England, nicht Frankreich, Italien, nicht die Schweiz und nicht Schweden, sondern ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland als ihr Zielland? Doch nicht, weil sie menschenunwürdige Bedingungen vorziehen, sondern weil unter den Flüchtlingen dieser Welt bekannt ist: In keinem anderen Land finden sie so gute Bedingungen wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Olderog, ich kenne Sie aus dem Innenausschuß als einen sympathischen Kollegen. Deshalb verzichte ich darauf, auf Ihre Einwendungen gegen den Entschließungsantrag des Europäischen Parlamentes einzugehen. Nur eines möchte ich doch gerne sagen:
Was Sie über den Kollegen Heinz-Oskar Vetter gesagt haben, entbehrt nicht nur jeder Grundlage, sondern war beschämend für Sie.
({0})
Der Kollege Vetter hat sich der Mühe unterzogen
- entschuldigen Sie bitte: der Mann ist über 70 Jahre alt -, sich in sieben Ländern der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus über die Situation von Asylbewerbern zu informieren. Er hat einen Bericht geschrieben, der nicht nur lesenswert ist, sondern uns auch wirklich helfen kann, zu einer Einschätzung zu kommen, die den Flüchtlingen hilft. Ich sage noch weitergehend - es wäre schön, wenn Sie einmal zuhörten - : Es wäre erfreulich, wenn wir aus diesem Bericht wirklich Folgerungen zögen.
Dieser Bericht ist völlig emotionslos, er ist ganz sachlich. Aber er ist eine große Hilfe für uns. Deshalb bitte keine Beschimpfungen von Heinz-Oskar Vetter in diesem Punkte.
({1})
- Ich habe es jedenfalls nicht als eine Belobigung verstanden.
({2})
- Gut.
Jetzt komme ich zum eigentlichen Thema. Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß das Europäische Parlament zu den schwierigen Fragen des Asylrechts Stellung genommen hat. Wir sind dankbar für die Art, in der es Stellung genommen hat; denn mit wenigen Sätzen ist in der Entschließung des Europäischen Parlamentes beschrieben worden, wo die Ursachen dafür liegen, daß weltweit 20 Millionen Menschen auf der Flucht sind, auf der Flucht vor politischer Verfolgung, auf der Flucht vor gesellschaftlicher Diskriminierung, aber natürlich auch auf der Flucht vor Hunger und sozialem Elend.
Die Entschließung des Europäischen Parlamentes verschweigt nicht, daß dafür auch Europäer - und das heißt ja wohl auch: wir Deutsche - mit Schuld tragen. Die brutale Expansionspolitik der Deutschen und der Europäer im 19. Jahrhundert - sie reicht ja weit ins 20. Jahrhundert hinein;
({3})
bis heute, wenn Sie so wollen - hat dazu beigetragen, daß Staatsgrenzen willkürlich gezogen, daß jahrhundertealte Kulturgemeinschaften zerstört, auseinandergerissen worden sind.
Schröer ({4})
Ich nenne ein Beispiel: die Kurden. Die Kurden sind heute auf fünf Staaten verteilt. Das war einmal eine geschlossene Kulturgemeinschaft. Heute sind sie auf fünf Staaten verteilt. Sie sind in fünf Staaten Minderheiten und werden als solche betrachtet und behandelt. Darüber muß man nachdenken. In jedem dieser fünf Staaten bilden sie eine Minderheit und werden mit staatlichen Repressionen bedacht.
Was ich mich frage, ist dies: Ob nicht wir Deutschen, die wir in einem geteilten, auseinandergerissenen Land leben, für solche Fälle eine besondere Sensibilität haben oder sie entwickeln sollten. Ich sehe sie nicht. Jedenfalls sehe ich sie nicht, wenn ich die Verwaltungspraxis in vielen Gemeinden beobachte.
({5})
Das heißt, es gibt Menschen, die eine neue Heimat suchen, weil sie in der Heimat, aus der sie kommen, in der sie gelebt haben, keine Heimat mehr haben. Die Frage für mich ist, ob wir bereit sind, ihnen diese neue Heimat zu bieten.
({6})
Wenn ich mir anschaue, wie heute die Verwaltungspraxis in den meisten Großstädten und natürlich auch in kleineren Gemeinden unseres Landes ist, dann sage ich: Offensichtlich wollen wir denen keine neue Heimat bieten! Da fängt für mich das moralische Problem an. Ich weiß: Da sind Menschen, die verfolgt werden, aber wir, die wir etwas tun könnten, tun nichts für sie.
Ich sage: Die Bundesrepublik Deutschland ist das zweitreichste Land der Erde - nach allen Untersuchungen, die wir kennen. Warum in Gottes Namen können wir nicht solchen verfolgten Menschen eine Heimat bieten?
({7})
- Ach, wissen Sie, lieber Herr Kollege Olderog, ich bin nicht der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland das Elend der Welt beheben könnte. Das sicher nicht. Aber was sie kann - nein, jetzt sage ich bewußt: was sie tun muß - , ist, etwas zur Milderung dieses weltweiten Elends beizutragen.
({8})
- Ach Gott, was Sie alles tun!
({9})
- Wir sind ein reiches Land. Von den 20 Millionen Flüchtlingen kommen wenige tausend zu uns. Sie tun alles, um die Zahl der Flüchtlinge in der Statistik hochzuschreiben, indem Sie z. B. Polen, Ungarn und andere, die früher in der Statistik nicht auftauchten, jetzt einbeziehen.
({10})
- Aber Sie zwingen sie in das Asylverfahren.
({11})
Damit erheben Sie dieses zu neuen Größenordnungen. Das ist das Problem.
({12})
Ich sage: Dem Europäischen Parlament gebührt Dank für seine Stellungnahme. Es hat ausgesprochen, nein, es hat beschlossen, was die Gutmeinenden in unserem Lande denken. Wäre diese Entschließung des Europäischen Parlaments eine Vorlage der Bundesregierung - sie dürfte auf den einhelligen Beifall der Oppositionsfraktionen rechnen. Aber leider, leider ist es nicht so. Denn die deutsche Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Der Bundesinnenminister, die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen überbieten sich gegenseitig mit Vorschlägen, wie der sogenannten „Asylantenflut" Einhalt geboten werden kann. Nun ist der Bundesinnenminister nicht da, aber ich sage trotzdem
({13}) - das ist klar - :
({14})
Die bayerischen Stammtische mögen ihm ja zujubeln,
({15})
vor allem dann, wenn er - er wird das wahrscheinlich feinfühliger formulieren - sagt: Kanaken raus!
Was Sie wollen, was die Bundesregierung will, ist dies: Sie wollen Art. 16 Grundgesetz aushebeln. Und weil Sie dafür keine Mehrheit in diesem Hause finden, haben Sie sich einen wunderbaren Trick ausgedacht, nämlich zu sagen: Wir machen eine Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene; soll heißen: Wir machen ein Asylrecht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
({16})
Jetzt sage ich Ihnen aber: Nach der Entschließung des Europäischen Parlaments,
({17})
über die wir jetzt reden, ist diese Sache so nicht mehr möglich, denn jetzt haben Sie einen Beschluß der auf dem höchsten gemeinsamen Niveau und nicht auf dem niedrigsten gemeinsamen Niveau angesiedelt ist.
({18})
Deshalb würde ich gern einmal wissen, was die Bundesregierung zu dieser Entschließung sagt. Ich habe bisher nichts dazu gehört, obwohl die Entschließung ja seit Monaten vorliegt. Sie gehen damit hausieren zu sagen: Laßt uns ein europäisches Recht machen, dann ist Art. 16 weg; weil Sie hier im Hause keine Mehrheit für eine solche Grundgesetzänderung haben. Das ist der entscheidende Punkt.
Was wir wollen, ist ein einheitliches europäisches Asylrecht auf höchstem Niveau, denn - ich denke, das muß man immer wieder in Erinnerung rufen Schröer ({19})
80 000 Deutsche haben während des Dritten Reiches Asyl in anderen Ländern gefunden.
({20})
- 80 000.
({21})
- 80 000, Herr Olderog.
({22})
- Ich bin Historiker - ich weiß nicht, was Sie sind -,
({23})
aber vielleicht gucken Sie einmal in den einschlägigen Büchern nach. Es waren 80 000 Deutsche, die in anderen Ländern Asyl gefunden haben.
Jetzt sage ich: Aus dieser Geschichte heraus haben wir Deutschen eine besondere Verantwortung, uns nicht kleinmachen zu lassen oder kleiner zu machen, als wir sind, wenn es darum geht anderen Zuflucht zu bieten.
({24})
- Wenn es mehr sind, ist es mir sehr recht.
Unsere Geschichte holt uns an dem Punkt wirklich ein, und ich denke, wir sollten davor nicht weglaufen. Im Gegenteil, wir möchten, daß mit Menschen, die nichts mit sich tragen oder nichts mitbringen können als ihr Gewissen und ihre politische und religiöse Überzeugung oder ihre sexuelle Orientierung - was auch immer -, menschlich umgegangen wird. Weniger als ein Prozent unserer Bevölkerung sind Asylbewerber und anerkannte Asylanten. Ich nenne nicht die Zahlen aus anderen Ländern.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit schon sehr überzogen.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. - Ich tue dies deshalb nicht, weil sie mehr zur Beunruhigung als zur Beruhigung der öffentlichen Diskussion beitragen würden.
Was mich ärgert, ist dies: daß mit solchen Zahlen populistische Politik gemacht wird, und zwar insonderheit von dem amtierenden Verfassungsminister. Das ist mein Problem. Ich sage Ihnen: Sie können sich populistisch in die Herzen der Menschen stehlen, aber dem Eid des Bundesverfassungsministers, der offiziell Bundesinnenminister heißt, entspräche es, die Köpfe der Menschen zu erreichen. Was wäre, wenn Sie einmal diesen Satz aussprächen: Wir tragen bei dieser Asyldiskussion eigene Schuld ab, und wir versuchen, Menschen menschlich zu begegnen? - Ich sage - es fällt mir im Fall Zimmermann schwer, es zu sagen, aber ich sage es - : Er würde sich um dieses Land verdient machen!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entschließung des Europäischen Parlaments ist ein wichtiges Dokument. Ich finde, es hebt sich erfreulich von vielen kleinmütigen Betrachtungen unseres Verhältnisses zu politischen Flüchtlingen ab. Man muß daran denken, daß es immerhin mit einer Vierfünftelmehrheit im Europäischen Parlament angenommen worden ist. Wenn man davon ausgehen kann, daß die Kollegen aller politischen Richtungen, die es akzeptiert haben, das nicht losgelöst von den politischen Kräften, die sie nach Europa entsandt haben, getan haben, kann man die Hoffnung haben, daß sich auch in unserem Verhältnis zu den politisch Verfolgten ein christliches, ein humanes, ein liberaleres Verständnis durchzusetzen beginnt, das in dem Nächsten, der bei uns Zuflucht sucht, nicht zuerst eine Belastung sieht, sondern eine Aufforderung, den Flüchtling als einen Menschen in Not ernst zu nehmen.
({0})
Das tun wir nicht immer. Das tun wir schon in der Sprache nicht. „Asylant", das klingt so wie: Obdachlose, fahrendes Volk, Nachtasyl. „Asylantenschwemme", das klingt nach Insektenfluten, die über uns kommen. Das alles stimmt ja nicht! Die Zahlen besagen etwas anderes, und ich bin darüber erfreut, daß wir endlich in eine Diskussion auch über die Zahlen eintreten.
Die Zahlen sehen in Wirklichkeit ganz anders aus, und ich finde, wir sollten begreifen, warum die Leute zu uns kommen. Nicht nur, daß wir auf einer Insel des Wohlstandes leben; sie kommen ja auch aus Gründen, die in dem Dokument natürlich dargestellt worden sind. Ich denke an die Tatsache, daß im Zuge der Entkolonialisierung künstliche Grenzen gezogen worden sind, daß es wirtschaftliche Mißverhältnisse gibt, an denen auch der weiße Mann schuld oder mitbeteiligt ist; das ist doch gar keine Frage. Ich denke auch an Bürgerkriege, an politische Verfolgung aller Art, und ich denke - ({1})
- verehrter Kollege, wenn Sie in Entwicklungsländer fahren und sich darüber Rechenschaft ablegen, zu welchen wirtschaftlichen Verhältnissen auch wir mit beigetragen haben, bleibt mir das, was Sie sagen, ziemlich unverständlich. Ich muß auch sagen, daß ich unser Recht, das sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehen lassen kann, durchaus anerkenne, aber ich kann nur jeden auffordern oder bitten, einmal in ein Sammellager zu gehen. Ich habe mich teilweise geschämt! Da ist weiß Gott nicht alles in Ordnung.
({2})
- Rastatt ist doch ein beschämendes Beispiel absoluter Mißwirtschaft gewesen, und es hat unseres Besuchs bedurft, um es zur Auflösung zu bringen. Wir waren leider nicht zusammen, aber ich war in Neustadt. Wissen Sie, daß es dort Hungerstreiks gegeben hat?
826 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Dr. Hirsch
Art. 16 ist bei uns lange diskutiert worden. Wir werden in dem Dokument an Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 erinnert: Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen. Wir werden in dem Dokument an die internationalen Verpflichtungen erinnert, die wir übernommen haben. Es werden die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen dargestellt. Es wird sehr eindringlich dargelegt, daß wir natürlich mit unseren Verwaltungsregelungen dieses Problem überhaupt nicht lösen können, sondern daß es darauf ankommt, die politischen und wirtschaftlichen Ursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlingsbewegungen zu bekämpfen und einen größeren Beitrag dazu zu leisten, dort zu stabilen Verhältnissen zu kommen.
Ich muß übrigens noch einmal auf die Zahlen zurückkommen. Was wir unseren Mitbürgern sagen sollten, ist, daß die Masse der Flüchtlingsströme in dieser Welt nicht von den Europäern aufgefangen wird, daß damit nicht die Europäer belastet werden. Die Masse der Flüchtlingsströme wird vielmehr von den ärmsten Ländern der Dritten Welt aufgefangen und erhalten:
({3})
Pakistan, Somalia, Äthiopien, Türkei. Ich denke also, daß man zu dem Gedanken der Belastung einiges sagen könnte.
Dann kommen in der Erklärung die Passagen, die hier zum Teil vorgetragen worden sind und die jeder nachlesen kann, in denen auch wir etwas darüber lesen können, wie wir mit Asylanten umgehen sollten. Ich denke an die Frage der Unterbringung in Sammellagern, und ich denke natürlich an die Frage der Bef ri-stung des Arbeitsverbots. Da gehen wir bis fünf Jahre! Lesen Sie in der Enzyklika „Laborem Exercens" einmal nach, welche Bedeutung die Möglichkeit zu arbeiten für Menschen hat. Das ist ein Element der Menschenwürde.
({4}))
Denken Sie auch an die Zurückweisung an der Grenze, das Verbot des Refoulements! Darum sage ich Ihnen, daß wir uns nicht so verhalten, wie wir uns das bei der Gesetzgebung vorgestellt haben. Wir werden darüber im Innenausschuß sprechen.
Ich sage Ihnen: Wir werden nicht darin nachlassen, uns um die Verwirklichung des Asylrechts in der Verwaltungspraxis zu kümmern, dafür einzutreten, daß die humanitäre Lage zumindest der Bona-fide-Flüchtlinge weiter drastisch und spürbar verbessert wird. Ich bin der Überzeugung: Wer unter welchen Motiven und von welchem Ausgangspunkt auch immer zu einer Europäisierung, zu einer Harmonisierung des europäischen Asylrechts kommen will, der wird, darf und kann an dieser Entschließung des Europaparlaments nicht vorbeigehen.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.
Herr Präsident! Meine letzten verbliebenen Damen und Herren! Die vorliegende Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Fragen des Asylrechts und der Bericht des Abgeordneten Heinz Vetter geben einen interessanten Einblick in die Flüchtlingspolitik und -praxis in Europa, ist aber, kaum erschienen, von der Realität eigentlich wieder überholt. Ich will einmal ganz korrekt den Abgeordneten Vetter, der hier schon öfter genannt wurde, zitieren, weil dieses Zitat Aufschluß darüber gibt, wie der Abgeordnete Vetter und auch das Europäische Parlament hier die Bundesrepublik betrachten:
Als zum Teil menschenunwürdig ist die Betreuung der Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. Die Bundesregierung räumt ein, daß durch anreizmindernde Maßnahmen, wie zwangsweisen Aufenthalt in Sammelunterkünften, Arbeitsverbot, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Kochverbot, Kürzung und Auszahlung der Sozialhilfe in Sachleistungen, Asylbewerber in der Bundesrepublik abgewehrt werden sollen.
Auch die anderen europäischen Staaten stehen da nicht weit zurück. Erst kürzlich haben Dänemark, Belgien, die Schweiz und die Niederlande weitere Abschottungsmaßnahmen gegen Flüchtlinge vorgenommen.
Mit Schüren von Rassismus ist das Grundrecht auf Asyl in der Bundesrepublik durch das im Januar 1987 in Kraft getretene Asylverfahrensgesetz faktisch außer Kraft gesetzt worden: Visumzwang, die NichtBeachtlichkeit von Nachfluchtgründen, die sogenannte anderweitige Sicherheit vor Verfolgung sowie u. a. auch Maßnahmen gegen Fluggesellschaften, die unter Androhung von Strafen als Erfüllungsgehilfen staatlicher Flüchtlingsabwehrpolitik zum Einsatz kommen.
Es soll sichergestellt werden, daß auch der kleine Anteil von Menschen, der sich auf den Weg nach Europa gemacht hat, nicht in die Bundesrepublik gelangt. Wer es dennoch bis in dieses Land geschafft hat, eventuell noch Bayerns rassistischen AIDS-Aussonderungsmaßnahmen entkommen ist, wird durch Maßnahmen wie Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Hungerlohn nach dem Bundessozialhilfegesetz, Einkasernierung in Sammellagern, um nur einiges zu nennen, schikaniert. Durch Zahlenjongliererei wird die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge weiter angeheizt; denn es geht hier laut Zimmermann und seinen Gesinnungskameraden um eine Belastung, und von Normalisierung kann keine Rede sein. So neue Zitate von ihm.
Wäre auch nur ein Punkt der vorliegenden Entschließung Praxis, nämlich das Nicht-Zurückweisungsprinzip und der Nicht-Visumzwang, so wäre das, was sich heute auf dem Frankfurter Flughafen täglich abspielt, nämlich die Zurückweisung und Zurückschiebung von Flüchtlingen in Massen und die unmenschliche Behandlung und Einkasernierung vor Ort, unmöglich.
Wenn Sie auch in der Entschließung einige Forderungen finden, deren Durchsetzung uns wichtig ist, z. B. die Anwendung des Flüchtlingsbegriffs der
Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit, die Erweiterung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und Auslieferungsschutz während des Asylverfahrens, so scheint eine Durchsetzung dieser Intentionen ohnehin aussichtslos; denn die Weichen auf EG-Ebene sind bereits gestellt. TREVI und die Treffen der EG-Innen- und Justizminister haben gezeigt, daß es aus ihrer Sicht um ein ordnungspolitisches und ein polizeiliches Problem geht. Es geht, wie in der „Frankfurter Rundschau" vom 30. April 1987 beschrieben wird, um „verschärfte Kontrollen gegen Asylanten und Terroristen". Man begreife mal die Wortwahl!
Sie, die Minister, wollen unverzüglich den Informationsaustausch über sogenannte unerwünschte Ausländer aus Drittländern in Gang setzen. Geplant ist der europäische Polizeistaat für Ausländer. „Harmonisierung des Asylrechts" ist der neue, zynische Begriff für den Befestigungswall in Europa gegen Menschen, die Verfolgung, Repression und Elend ausgesetzt sind, fliehen. Dieser Befestigungswall soll unüberwindbar gemacht werden.
Deutlich geworden an der Asylpolitik der letzten Jahre ist das Fehlen jeglichen politischen Willens, sich für Menschenrechte einzusetzen. Hierzu gehört das Recht auf Asyl, das wir als weltweites, überstaatliches Menschenrecht betrachten und das keine Grenzen kennt; denn das Recht auf Asyl ist für Flüchtlinge das Recht auf Leben. Aus diesem Grunde werden zunehmend Menschen aus Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Parteien und Organisationen aktiv, die Flüchtlinge schützen, d. h. sie dem Zugriff der Ausländerpolizei entziehen. Mit all diesen Menschen werden wir uns dafür einsetzen, daß Flüchtlinge in die Bundesrepublik gelangen, sie gegen rassistische Übergriffe schützen und vor allem, daß wir Abschiebung, insbesondere in Kriegs- und Krisengebiete verhindern.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Ich schließe die Aussprache.
({0})
- Die Regierung hat die Möglichkeit, das Wort zu erbitten, und bekommt es. Wenn aber ein Regierungsmitglied dies nicht wünscht, dann gehe ich nach der Geschäftsordnung vor.
({1})
Ich bin bei der Drucksache 11/147, Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Zusätzlich schlägt die CDU/CSU-Fraktion noch vor, auch den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu beteiligen. Ist das Haus mit der Gesamtüberweisung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Börnsen ({2}), Frau Eid, Eylmann, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heimann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mechtersheimer, Dr. Mertens ({3}), Neumann ({4}), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reinmann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({5}), Dr. Schöfberger, Schröer ({6}), Schwarz, Seesing, Sielaff, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Graf von Waldburg-Zeil, Wiefelspütz, von der Wiesche, Frau Wollny, Würtz
Wiedereinsetzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform
- Drucksache 11/245 Üb erweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Frau Eid, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heinemann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Kühbacher, Leidinger, Lennarzt, Frau Matthäus-Meier, Dr. Mechtersheimer, Dr. Mertens ({7}), Müller ({8}), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({9}), Dr. Schöfberger, Schröer ({10}), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Wiefelspütz, von der Wiesche, Frau Wollny
Wiederaufnahme der Kabinettsberichterstattung
- Drucksache 11/246 Üb erweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Zu einer kurzen Bemerkung erteile ich jedoch im Zusammenhang mit der Überweisung dieser Anträge der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher das Wort. Sie spricht vom Saalmikrophon aus - auch ein Teil von Parlamentsreform.
Vielen Dank, Herr Präsident; das ist sehr wahr. Ich möchte namens der zahlreichen Antragsteller auf den Drucksachen 11/245 und 11/246 noch einmal bekräftigen, daß wir im Hinblick auf eine zügige Beratung einverstanden sind, daß wir heute ohne Aussprache verfahren.
Ich möchte Sie nur, sehr geehrter Herr Präsident, darauf aufmerksam machen, daß das Anliegen auf Drucksache 11/245, nämlich Wiedereinsetzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform und die Frage der Durchführung einer Selbstverständnisdebatte des Parlaments nicht in die Zuständigkeit des Geschäftsordnungsausschusses, sondern des Ältestenrates und des Präsidiums des Deutschen Bundestages fällt. Deshalb wäre ich Ihnen außerordentlich verbunden, wenn man dafür Sorge tragen könnte, daß dieser Antrag auf Drucksache 11/245 zuständigkeitshalber so schell wie möglich vom Geschäftsordnungsausschuß an den Ältestenrat überwiesen wird.
Jetzt muß ich bürokratisch werden: Das ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Selbstverständlich aber können sich der Ältestenrat und das Präsidium damit befassen.
({0})
Ich werde das selbstverständlich in Ihrem Sinne unterbreiten.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Sie sind in solchen Sachen immer sehr zuverlässig.
Vielen Dank.
({0})
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/245 und 11/246 mit der Ergänzung, die Frau Dr. HammBrücher gemacht hat, an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Mai 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.