Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erteile ich dem Kollegen Seiters das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des Deutschen Bundestages hat heute Geburtstag.
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Im Namen aller Fraktionen dieses Hauses möchte ich Ihnen, Frau Süssmuth, zu diesem Tage ganz herzlich und ganz aufrichtig gratulieren und Ihnen weiterhin eine glückliche Hand bei der Führung dieses wichtigen Amtes wünschen. Ich glaube, ich darf auch insoweit im Namen aller Fraktionen sagen: Wir werden Sie in Ihrer Amtsführung nach Kräften unterstützen.
Alles Gute für Sie und Gottes Segen.
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Ich danke herzlich für die Glückwünsche, noch mehr für die Unterstützung.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 und Punkt 21 der Tagesordnung auf:
ZP5 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu einer möglichen Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen
21. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-WaffenProduktion in Libyen
- Drucksache 11/3995 Uberweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß
Zur Erklärung der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4011 und 11/4012 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. - Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende schriftliche Bericht, den die Bundesregierung am 15. Februar 1989 verabschiedet hat, legt in großem Umfang bisher geheimgehaltene Unterlagen offen. Das gilt insbesondere für die Berichterstattung des Bundesnachrichtendienstes. Das ist einmalig in der parlamentarischen Geschichte unseres Landes. Aber der Bundesregierung ist daran gelegen, lückenlos aufzuklären, was deutsche Behörden über eine mögliche Mitwirkung deutscher Firmen am Bau der CWaffen-Anlage Rabta in Libyen wußten und was sie getan haben, um das zu verhindern.
Mit dieser Offenlegung geheimer Dokumente hat sich die Bundesregierung über ausdrückliche Bedenken des Bundesnachrichtendienstes hinweggesetzt, der befürchtet, daß dadurch insbesondere andere Geheimdienste Einblicke in seine Arbeitsweise gewinnen könnten. Die Bundesregierung hat sich diese Entscheidung nicht leichtgemacht, die sie in Erfüllung des Berichtsauftrages des Deutschen Bundestages getroffen hat und für die vor allem die Betroffenheit über eine mögliche Beteiligung Deutscher an einer libyschen Chemiewaffenproduktion und zahlreiche Vorveröffentlichungen ausschlaggebend waren.
Die Bundesregierung ist Vorkämpferin für die weltweite und völlige Abschaffung aller chemischen Waffen. Auch ihr Interesse an der baldigen Verwirklichung dieses Ziels rechtfertigt die Offenheit des Berichtes. Aber die Außergewöhnlichkeit der Umstände schließt zugleich aus, daß man aus dieser Veröffentlichung einen Präzedenzfall machen kann. Das gilt sowohl für das Parlament wie für die Öffentlichkeit.
Bereits am 18. Januar 1989 habe ich mich an dieser Stelle um eine korrekte und vollständige Aufklärung bemüht, soweit mir das nach dem damaligen Kenntnisstand möglich war. Der in der Zwischenzeit erstellte schriftliche Bericht der Bundesregierung ist noch detaillierter. Er beruht auf den Angaben aller
beteiligten Ressorts und des Bundesnachrichtendienstes. Er ist mit diesen abgestimmt und einstimmig vom Kabinett beschlossen. Er schildert die Entwicklung bis zum 15. Februar, dem Tag seiner Verabschiedung durch die Bundesregierung.
Der Bericht zeichnet trotz der vielen zusätzlichen Informationen im wesentlichen das gleiche Bild, über das ich Ihnen schon am 18. Januar berichtet habe. Auch die damaligen Schlußfolgerungen bleiben nach wie vor gültig, nämlich: Die zuständigen Ermittlungsbehörden erhielten unverzüglich alle Informationen, die Anlaß zu gezielten Vorermittlungen geben konnten. Sie haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen ergriffen.
Über meine Feststellung vom 18. Januar hinaus müssen wir auf Grund einer Analyse des Bundesnachrichtendienstes vom 19. und 25. Januar heute davon ausgehen, daß die Anlage in Rabta zur Produktion von chemischen Waffen nicht nur geeignet, sondern auch von vornherein bestimmt war.
Erste Meldungen über mögliche Pläne zum Bau einer Chemiewaffenfabrik in Libyen erhielt die Bundesregierung vom Bundesnachrichtendienst am 22. April 1980. Hinweise auf den Standort und die mögliche Mitwirkung deutscher Firmen enthielt diese Meldung nicht, so daß konkrete Ermittlungen auf Grund der Unbestimmtheit dieser Meldung nicht möglich waren.
In der Folgezeit, bis hin zum Sommer 1988, gab es eine große Zahl weiterer Meldungen, die unterschiedliche Tendenzen aufwiesen. Gerüchten über die mögliche Mitwirkung deutscher Firmen standen Meldungen gegenüber, z. B. noch vom 27. Januar vergangenen Jahres, nach denen wahrscheinlich keine deutsche Firma an der Chemiewaffenanlage beteiligt sei.
In den Jahren seit 1980 haben die jeweils Zuständigen stets veranlaßt, was der jeweilige Erkenntnisstand erforderte und ermöglichte. Die jetzige Bundesregierung hat z. B. im Jahre 1984 Verschärfungen des Außenwirtschaftsrechts vorgenommen, nachdem sie Hinweise auf eine mögliche Mitwirkung deutscher Firmen an einer Chemiewaffenproduktionsanlage im Irak erhalten hatte. Diese Rechtsänderungen, meine Damen und Herren, sind im Bericht im einzelnen aufgeführt.
Die damalige Bundesregierung - 1980 - hatte in dieser Hinsicht nichts unternommen. Dies ist ihr auch nicht vorzuwerfen, weil das damalige Meldeaufkommen hierzu noch keine Möglichkeit ergab.
Ein anderes Beispiel: Am 5. Juli 1985 berichtete die deutsche Botschaft in Moskau von Hinweisen eines deutschen Geschäftsmannes, wonach die Firma Imhausen in Hongkong einen Vertrag zur Lieferung eines pharmazeutischen Projekts abgeschlossen habe. Nach Meinung des Informanten gebe es Anhaltspunkte dafür, daß es sich in Wirklichkeit um eine CWaffen-Produktion handle, die für einen unbekannten Standort, möglicherweise Libyen, bestimmt sei.
({0})
Obwohl der Botschafter bei der Weitergabe dieser Meldung große Skepsis zeigte
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- ja gut, Herr Gansel, so war die Meldung, und so war das Meldungsaufkommen; gleichwohl hat er die Meldung weitergegeben - , wurde das Bundesamt für Wirtschaft eingeschaltet und der Bundesnachrichtendienst um Überprüfung gebeten.
Aus dessen ausführlicher Stellungnahme geht hervor, daß die Firma Imhausen zwar von der chemischen Fachkompetenz zur Lieferung aller Arten chemischer Anlagen in der Lage sei, auch von Anlagen, wie sie zur Kampfstoffherstellung benötigt würden; es gebe jedoch keinerlei Indizien für die Beteiligung Imhausens an einem derartigen Projekt. Auch das Bundesamt für Wirtschaft lieferte keine anderen Anhaltspunkte.
Wiederholt hat die Bundesregierung auch die deutsche Wirtschaft vor Lieferungen sensitiver Produkte aus dem C-Waffen-Bereich an möglicherweise dubiose Abnehmer gewarnt, so z. B., um nur einen im Bericht erwähnten Vorgang zu zitieren, am 10. Juni 1986.
Erste Hinweise auf eine Mitwirkung der Firma Imhausen am Bau einer C-Waffen-Anlage in Libyen von amerikanischer Seite erhielt die Bundesregierung im Mai 1988.
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Hierüber wurde sofort das Zollkriminalinstitut unterrichtet. Der Bundesnachrichtendienst schloß sich unverzüglich mit dem Zollkriminalinstitut kurz, nachdem er im Juli 1988 weitere Informationen erhalten hatte. Beide Behörden hielten im weiteren Ablauf engen Kontakt.
Erst diese Informationen vom Juli 1988 waren so konkret, daß sie den Ermittlungsbehörden Anlaß zu gezielten Vorermittlungen gegen Imhausen gaben und wohl auch geben konnten. Gleichwohl reichten selbst diese Erkenntnisse im Sommer 1988 den zuständigen Behörden für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens noch nicht aus.
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- Es hat auch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.
Erst das um die Jahreswende 1988/89 in der Bundesrepublik Deutschland aufgefundene Beweismaterial erfüllte die Voraussetzungen für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens. Über die Ermittlungsmaßnahmen des Zollkriminalinstituts bringt der Bericht der Bundesregierung alle Einzelheiten, und ich verweise darauf.
Hinsichtlich des Standes der inzwischen eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, meine Damen und Herren, verweise ich auf Kapitel 3 des Berichts. Sie werden verstehen, daß hierüber weitere Auskünfte zu erteilen nicht der Bundesregierung obliegt, sondern den Justizbehörden der Länder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die große Anzahl nachrichtendienstlicher Hinweise verfolgt - und dies weist der Bericht im einzelnen aus - , so ergibt sich, daß in den wenigen Fällen, in denen überhaupt Ansatzpunkte für weitere AufkläBundesminister Dr. Schäuble
rung geliefert wurden, Nachforschungen angestellt worden sind. Ich möchte aber ausdrücklich festhalten, daß sich aus der überwiegenden Mehrzahl nachrichtendienstlicher Hinweise konkrete Verdachtsmomente gegen deutsche Firmen nicht ergaben. Dies ist keinerlei Kritik am Bundesnachrichtendienst. Es liegt eben in der Natur nachrichtendienstlicher Arbeit, auch ungesicherte Meldungen weiterzugeben, wenn diese für die politische Arbeit der Regierung von Belang sein können. Nachrichtendienstliche Informationen sind ihrer Natur nach etwas anderes als amtliche Mitteilungen. Sie eignen sich daher auch nicht zur öffentlichen Weitergabe.
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In der Erörterung des Entwurfs dieses Berichts in der zuständigen Ministerrunde vor drei Tagen, meine Damen und Herren, haben wir uns noch einmal die Frage gestellt, warum die für die Arbeit der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollkommission erst im September 1988 mit diesem Thema befaßt wurde. Präsident Wieck hat dazu erklärt, daß das Meldungsaufkommen vor diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend konkret und gesichert gewesen sei, um dieses Kontrollgremium zu unterrichten. Ich will doch die Bewertung des nachrichtendienstlichen Meldeaufkommens durch den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes bis zum September 1988 zu einer realitätsbezogenen Einschätzung hier noch einmal wörtlich wiedergeben.
Die Chronologie, die wir vorlegen, bestätigt die Feststellung, die ich am 18. Januar hier getroffen habe, daß die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt den Informationsfluß zu und zwischen den zuständigen Behörden verzögert hat. Für die Aufklärung möglicher außenwirtschaftsrechtlicher Vergehen und für deren etwaige Verhinderung war aber dieser Informationsfluß zu den Ermittlungsbehörden entscheidend. Es ist nichts versäumt worden.
In der öffentlichen Diskussion spielt verständlicherweise daneben der Zeitpunkt der Information des Bundeskanzlers und der beteiligten Ressortminister eine wesentliche Rolle. Auch hierzu gibt der uns vorgelegte Bericht erschöpfend Auskunft.
Der Bundeskanzler wurde erstmals durch Vorlage des Leiters der Abteilung 6 des Bundeskanzleramts vom 20. Oktober 1988 zusammenfassend über die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse in bezug auf die libyschen Bemühungen zur Errichtung einer Kampfstoffabrik unterrichtet.
({5})
- Es war eine zusammenfassende Darstellung einzelner Meldungen des Bundesnachrichtendienstes in einer Vorlage des Leiters der dafür zuständigen Abteilung des Bundeskanzleramts, in der der Stand der Erkenntnisse über Pläne Libyens eine Chemiewaffenfabrik zu erstellen, zusammengefaßt wurde.
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- Aber, liebe Frau Matthäus-Maier! Gut; ich beantworte auch gern die Frage. Der Bundeskanzler wurde
durch eine zusammenfassende Vorlage vom 20. Oktober 1988 erstmals überhaupt informiert. In dieser war auch eine mögliche Verwicklung der Firma Imhausen erwähnt.
Am 10. November 1988 berichtet die Deutsche Botschaft in Washington über die Besorgnisse der USA über eine C-Waffen-Fähigkeit Libyens. Sie kündigt für den Besuch des Bundeskanzlers am 15. November 1988 eine besondere Unterrichtung der deutschen Delegation an.
Über diesen Bericht der Botschaft wird auch das Bundeskanzleramt unterrichtet.
Am 12. November, zu einem Zeitpunkt übrigens, zu dem der Bundeskanzler zur Teilnahme an der Geburtstagsfeier für Simon Wiesenthal bereits abgereist ist, erhält Bundesminister Genscher einen Brief von Außenminister Shultz, der dem Botschaftsbericht entspricht und keine neuen Informationen über den Botschaftsbericht vom 10. November hinaus enthält.
Am 15. November erhalten der Bundeskanzler und der Außenminister Genscher beim Gespräch mit Außenminister Shultz in Washington von CIA-Direktor Webster Hinweise auf eine Beteiligung deutscher Firmen, darunter der Firmen Imhausen und IBI, an der möglichen Chemiewaffenanlage in Rabta. Auch habe ein Angestellter von Imhausen in den beiden vergangenen Jahren im Technologiezentrum häufiger technische Hilfe geleistet. Der Bundeskanzler sagt sofortige und schnelle Prüfung zu und kündigt an, daß die gesetzlichen Bestimmungen, falls notwendig, verschärft würden.
Nach der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten unterrichtet der Bundeskanzler am 17. November das Bundeskabinett und am 18. November den Bundessicherheitsrat über die von der Regierung der Vereinigten Staaten erhaltenen Hinweise.
Weil so viel gern auch ein bißchen falsch dargestellt wird, zitiere ich das, was ich am 18. Januar hier schon verlesen habe, aus dem Protokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrats am 18. November 1988 noch einmal. Der Bundeskanzler hat laut Protokoll ausgeführt:
Von der US-Regierung wären Bilder und Unterlagen über die Produktion chemischer Waffen in Libyen vorgelegt worden. Diese Informationen hätten ihn sehr betroffen gemacht. In den Produktionsstätten in der Wüste würde ein gewaltiges Potential chemischer Waffen hergestellt. Ein beachtlicher Teil der Geräte solle deutscher Herkunft sein, und deutsche Fachleute sollten beteiligt sein. Ein Problem bei der Beurteilung wäre, daß zivile Produkte der chemischen Industrie teilweise kaum zu unterscheiden wären von Substanzen für chemische Waffen. Zunächst einmal müßten wir uns ein klares Bild darüber verschaffen, welche Informationen in den USA vorlägen. Darüber hinaus wäre zu überlegen, was wir tun könnten. Wenn unsere Gesetze nicht ausreichten, müßten wir neue schaffen.
({7})
Am 20. Dezember 1988 - ({8})
- Aber Herr Kollege! Ich finde: Wenn Sie wirklich ernst genommen werden wollen mit Ihrem Anspruch auf Information und Aufklärung, sollten Sie den Bericht lesen, sollten Sie zuhören und sollten Sie sich die Information geben lassen.
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- Aber, wie hätten Sie es denn lieber? Wenn ich am 18. das Gegenteil gesagt hätte, würden Sie mir heute bittere Vorwürfe machen.
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Ich finde, es spricht eigentlich eher für die Bundesregierung, ein bißchen sogar für mich, daß ich schon am 18. Januar im wesentlichen dasselbe gesagt habe und jetzt nur zusätzliche Informationen geben kann.
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- Ich habe, Herr Kollege Gansel, vor wenigen Minuten so präzise wie irgend möglich geschildert, was 1985 getan wurde. Es wurde eine sehr vage Meldung, ein Gerücht - ({12})
- Nicht Name und Ort!
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- Ja. Richtig!
({14})
- Herr Kollege Vogel, es dürfte Ihnen vielleicht nicht ganz neu sein, daß nachrichtendienstliche Meldeaufkommen häufig sehr vage Gerüchte wiedergeben. Deswegen ist auch diesem Hinweis, wie ich gesagt habe, sowohl durch die Einschaltung des Bundesamtes für Wirtschaft wie durch die Einschaltung des Bundesnachrichtendienstes mit allen Möglichkeiten nachgegangen worden; aber es ging uns, wie es Ihnen 1980 ging: Es war eben nicht konkret genug, um weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten.
({15})
- Steht alles im Bericht.
({16})
Ich fahre fort. Am 20. Dezember 1988, also fünf Wochen nach der Sitzung des Bundessicherheitsrats und immer noch vor den ersten Veröffentlichungen - das ist wichtig - , ordnet der Bundeskanzler in der Kabinettssitzung an, daß die Gesetzentwürfe zur Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts bis Ende Februar vorzulegen seien. Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute zwei der fünf Gesetzentwürfe 14 Tage früher vor. Ich lege aber doch Wert darauf, daß diese Frist- und Terminsetzung am 20. Dezember vor jeder ersten Veröffentlichung erfolgt ist.
({17})
Dies alles belegt, daß auch den amerikanischen Informationen sofort und mit jedem nur möglichen Nachdruck nachgegangen wurde.
Demgegenüber war die Zurückhaltung der Bundesregierung mit öffentlichen Erklärungen vor den ersten Veröffentlichungen rechtlich zwingend geboten. Für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über mögliche strafrechtliche Verfehlungen von Bürgern sind enge rechtliche Grenzen gesetzt. Der Bürger, übrigens auch seine Firma, darf nicht der Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung mit allen möglichen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen ausgesetzt werden. Auch darf die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht die Arbeit der zuständigen Ermittlungsbehörden vereiteln oder verhindern.
({18})
Schließlich hatte der Bundesnachrichtendienst, meine Damen und Herren, bis zum 5. Januar dieses Jahres alle seine einschlägigen Meldungen aus Gründen des Quellenschutzes ausdrücklich als nicht gerichts-, d. h. nicht öffentlich verwertbar bezeichnet. Die Bundesregierung hätte fehlerhaft gehandelt, wenn sie über solche Meldungen öffentlich berichtet hätte.
({19})
Die deutschen Behörden, meine Damen und Herren, haben also im vorgegebenen rechtlichen Rahmen gehandelt. Die nachträgliche Analyse im Zuge der Vorarbeiten für den Bericht der Bundesregierung und in der Auswertung der Erfahrungen, die wir alle miteinander gemacht haben und machen, zeigt jedoch auch: Die bestehenden Gesetze reichen zur wirksamen Kontrolle sensitiver Exporte nicht aus. Eine Reihe entscheidender Tatbestände wird überhaupt nicht erfaßt. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt machen Kontrollen immer komplizierter.
Insbesondere können immer neue Stoffe, die für die Produktion etwa von Pharmazeutika oder Düngemitteln dienen, auch zur Herstellung chemischer Waffen verwendet werden. Daher wird es auch immer schwieriger, die Weitergabe solcher Produkte etwa an Länder der Dritten Welt zu kontrollieren. Hier müssen die Genehmigungstatbestände angepaßt werden.
Gerade für eine wirksame Exportkontrolle im Bereich chemischer Waffen hat sich das bisherige Instrumentarium als unzureichend erwiesen. Die Mängel liegen zum einen im Zugang zu Informationen über Exportbewegungen und zum anderen, meine Damen und Herren, im Informationsaustausch zwischen den Behörden. Eine umfassende Informationsgewinnung und ein ungehinderter Informationsaustausch sind für
die wirksame Kontrolle unerläßlich. Um etwa die CWaffen-Trächtigkeit einzelner Exportvorgänge, z. B. bei getrennter Ausfuhr von verschiedenen Anlageteilen, überhaupt erkennen zu können, müssen die Kontrollbehörden über alle Exportvorgänge informiert sein, und sie müssen die Informationen hierüber miteinander verknüpfen können.
Diese Verknüpfung ist um so wichtiger, als schon unter normalen Umständen der Export von Industrieanlagen vielfach arbeitsteilig erfolgt. Von dieser Möglichkeit wird gewiß der in noch viel stärkerem Maße Gebrauch machen, der die Exportkontrollen konspirativ umgehen will.
Meine Damen und Herren, der Bericht stellt fest: Bei einer stärkeren Vernetzung von Informationen hätten wahrscheinlich zu einem früheren Zeitpunkt Konsequenzen ergriffen werden können.
({20})
Das ist eine bedeutsame Feststellung. Darüber werden wir auf Grund der Vorlage der Bundesregierung in den nächsten Wochen zu reden haben.
Meine Damen und Herren, der Datenschutz geht vom Grundsatz weitestgehender Datenabschottung aus. Wenn aber Daten über einzelne Exportbewegungen nicht miteinander verknüpft werden dürfen, dann gewinnen wir nie ein Bild über alle sensitiven Exporte.
({21})
Ohne Datenverbund, ohne eine Art Rasterfahndung nach potentiell verdächtigen Lieferungen wird es zwangsläufig immer dem Zufall überlassen bleiben, ob die Kontrollbehörden illegale Exporte verhindern können.
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- Ich finde, wir lassen das ruhig mal so ein bißchen ablaufen. Es macht ja zwischendurch Spaß, und es dient auch der Entspannung. Es zeigt nur, wie wenig Ihnen daran liegt, informiert zu werden. Sie haben den Bericht offensichtlich nicht gelesen. Sonst könnten Sie hier nicht solches Zeug fragen.
({23})
- Sie haben wirklich den Bericht nicht gelesen, sonst könnten Sie hier keinen solchen Unfug fragen. Es tut mir leid.
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- Das hoffe ich sehr, daß Sie ihn sehr genau lesen. Der Bundestag hat den Bericht angefordert, und wir haben den Auftrag auch erfüllt.
Sie wollen offenbar nicht so genau etwas über die Problematik des Datenschutzes hören. Ich hoffe, daß wir in den weiteren Beratungen über die Gesetzentwürfe darüber sachlich konstruktiv zusammenarbeiten.
Wir - die Bundesregierung jedenfalls - haben uns dazu entschlossen, die Informationsgewinnung und den Informationsaustausch zwischen den Kontrollbehörden zu erleichtern. Die Bundesregierung wird sich bemühen, die notwendigen Schutzvorschriften zur Speicherung und Nutzung der Daten zu schaffen, um unbescholtene Unternehmer nicht zu verdächtigen. Aber wir müssen auf der anderen Seite bis an die Grenze des im Datenschutz Zulässigen gehen, wenn wir die Verbreitung sensitiver Technologie zu militärischen Zwecken wirksamer als bisher verhindern wollen.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung bei Verabschiedung dieses Berichtes ein Maßnahmenbündel mit vier Schwerpunkten beschlossen: zum einen neue Exportverbote für militärisch nutzbare Güter; zum zweiten die Verbesserung der Informationsbasis der Kontrollbehörden und des Informationsaustausches zwischen ihnen; zum dritten die Verschärfung bestehender Straf- und Bußgeldbestimmungen und die Einführung der Strafbarkeit für die Mitwirkung von Deutschen bei der Herstellung oder Verbreitung von biologischen und chemischen Waffen, wo immer auf der Welt dies geschieht, ob im In-oder Ausland. Dabei prüfen wir, ob wir dies auch auf atomare Waffen zusätzlich erstrecken können, wo es eine besondere Problematik gibt.
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Den Prüfungsauftrag haben wir am Mittwoch ausdrücklich beschlossen.
Dazu gehört zum vierten die erheblich verbesserte personelle und materielle Ausstattung der Kontrollbehörden. Bei der Verfolgung von Außenwirtschaftsvergehen sollen künftig auch die Technik und der besondere Sachverstand des Bundeskriminalamtes stärker als bisher genutzt werden.
Aber, meine Damen und Herren, die Ausweitung der Außenwirtschaftskontrolle - das darf man nicht verschweigen - greift ein Stück weit in das liberale Außenwirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland ein. Auch, um daraus nicht zu große Hindernisse für die Abwicklung des Außenhandels entstehen zu lassen, werden die mit der Kontrolle befaßten Behörden besser ausgestattet werden müssen und besser ausgestattet werden.
Mit der Erstreckung der Geltung außenwirtschaftlicher Strafnormen auf Taten von Deutschen auch im Ausland betritt die Bundesregierung rechtliches Neuland. Sie hält jedoch die dazu geschaffenen Bestimmungen für den mit der Verschärfung der Außenwirtschaftskontrolle verfolgten Zweck für unverzichtbar. Ich denke, daß es völlig unerträglich für uns alle ist, wenn wir noch immer mit Meldungen konfrontiert werden, daß sich möglicherweise deutsche Staatsangehörige irgendwo im Nahen und Mittleren Osten an der Produktion chemischer Waffen beteiligen und sie damit etwas gar nicht Verbotenes tun und sich auch gar nicht strafbar machen. Deswegen wollen wir diese Strafbestimmung einführen. Ich füge hinzu, natürlich wird auch in Zukunft gelten, daß wir keinen hängen, es sei denn, wir hätten ihn denn. Solange sie im Aus9264
land sind, werden sie dem Zugriff deutscher Organe dennoch entzogen bleiben.
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- Da werden wir dann sicherlich an Herrn Gaddafi herantreten, Herr Gansel. Das wird sicherlich große Erfolgsaussichten haben.
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- Ich sage das deswegen, Herr Kollege Gansel, weil ich finde, wenn jemand in Libyen ist, kann nur Libyen uns im Wege der Rechtshilfe helfen, daß er zu uns kommt.
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- Wir werden uns darum bemühen. Deswegen führen wir die Bestimmungen ein.
Aber ich finde doch, Frau Präsidentin, daß wir uns auch in dieser Stunde vor Illusionen hüten müssen. Auch die neuen von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen können eine absolute Kontrolle der Weitergabe sensitiver Technologie an das Ausland nicht garantieren. Meine Damen und Herren, noch so gute Gesetze vermögen - das ist keine neue Erfahrung in der Menschheitsgeschichte - Zuwiderhandlungen nicht völlig ausschließen.
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben für die vorgesehene Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen Verständnis bekundet und der Bundesregierung ihre Bereitschaft zur Mitarbeit angeboten. Staat und Wirtschaft haben ein gleichgerichtetes Interesse daran, daß der Export nicht durch das Verhalten einiger weniger in Mißkredit gerät. Vom Export hängt in der Bundesrepublik Deutschland schließlich jeder dritte Arbeitsplatz ab. Deswegen darf er nicht durch das Fehlverhalten einiger weniger in Mißkredit gezogen werden.
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Im übrigen, meine Damen und Herren, ist jede Regierung insbesondere in wirtschaftlich-technischem Bereich auf Know-how, auf Information und Mitarbeit ihrer Industrie und Wirtschaft angewiesen. Wirtschaft und Industrie kennen am ehesten die Entwicklung neuer Produkte in sensitiven Bereichen. Sie wissen vieles, was eine Bürokratie zwangsläufig erst langsamer in Erfahrung bringen kann. Industrie und Handel wissen mehr und reagieren oft effizienter als staatliche Stellen. Warum wohl ist die Soziale Marktwirtschaft allen anderen Organisationsformen an Effizienz weit überlegen!
Deshalb appelliert die Bundesregierung an das Verantwortungsb ewußtsein der deutschen Wirtschaft und ruft sie zum Dialog und zur Zusammenarbeit auf.
Die jetzt von uns als Gesetzentwürfe beschlossenen Verbesserungen der außenwirtschaftlichen Gesetzgebung und der Organisationsstruktur im nationalen Bereich muß auch durch verbesserte, verstärkte internationale Zusammenarbeit ergänzt werden. Die Bundesregierung ist in diesem Sinne in den Gremien der Europäischen Politischen Zusammenarbeit tätig geworden. Sie hat darüber hinaus eine gemeinsame Initiative der Zwölf zur Verhinderung der Verbreitung chemischer Waffen im Rahmen der australischen Gruppe vorgeschlagen, der inzwischen die 19 wichtigsten Industrieländer der westlichen Staatengemeinschaft angehören, und sie hat eine weitere Initiative der Zwölf gegenüber der Arabischen Liga vorgeschlagen.
Ich unterstreiche an dieser Stelle allerdings: Internationale Bemühungen um Nichtverbreitung von chemischen Waffen dürfen auf keinen Fall die Genfer Verhandlungen über eine vollständige Ächtung und Beseitigung der chemischen Waffen ersetzen; sie dürfen nicht zum Alibi werden. Vereinbarungen über die Nichtverbreitung von chemischen Waffen wird die Bundesregierung immer nur als eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einem totalen Verbot und einer totalen, weltweiten Beseitigung dieser Waffen verstehen.
({30})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche habe ich wie eine Reihe von Kollegen, wie Sie selbst, Frau Präsidentin - ich im Auftrag des Bundeskanzlers - , Gespräche mit der amerikanischen Regierung, mit führenden amerikanischen Politikern beider Häuser, beider Parteien und mit Vertretern amerikanischer Medien geführt. Ich habe meine Gesprächspartner dabei über die umfassenden politischen, gesetzgeberischen und organisatorischen Schlußfolgerungen unterrichtet, die die Bundesregierung aus jüngsten Vorkommnissen gezogen hat. Ich habe bei Präsident Bush, bei Außenminister Baker, bei Handelsminister Mosbacher volles Vertrauen und Zustimmung zu den von uns eingeleiteten Maßnahmen gefunden. An diesen Diskussionen waren alle besonders engagierten Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses beteiligt. Sie alle haben in diesen Gesprächen die von der Bundesregierung vorgesehenen und vorgeschlagenen Maßnahmen anerkannt. Keiner der Senatoren und Abgeordneten bezweifelte ihre Eignung und Wirksamkeit, künftige sensitive Exporte besser zu verhindern.
({31})
Mehrfach wurde übrigens auch die Hoffnung auf eine zügige Umsetzung dieser Beschlüsse der Regierung durch den Deutschen Bundestag geäußert. Andererseits zeigte sich auch, daß die Gefahr einer Sanktionsgesetzgebung im Kongreß, die de facto vor allem deutsche Firmen treffen würde, noch nicht abgewendet ist.
Ich habe an meine amerikanischen Gesprächspartner im Kongreß appelliert, etwaige Sanktionen gegen ausländische Firmen an dieselben rechtsstaatlichen Voraussetzungen zu binden wie Sanktionen gegen amerikanische Firmen. Ich glaube, daß dies ein nicht unbilliges Verlangen ist.
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Ich habe auch davor gewarnt, ausländische Firmen öffentlich vorab zu verurteilen und sie ohne rechtsstaatliche Untersuchung an den Pranger zu stellen.
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Ich habe schließlich erläutert, wie wichtig es ist, die Kooperationsbereitschaft der Industrie zu erhalten. Dies kann nur gelingen, wenn Sanktionen wirklich nur die schwarzen Schafe treffen.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Ächtung der chemischen Waffen ist ein vorrangiges Ziel aller politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Auch aus diesem Grunde ist die Bundesregierung so betroffen, daß möglicherweise deutsche Firmen an der Weitergabe von C-Waffen-Technologie an unverantwortliche Regierungen beteiligt sind.
Aus diesem Grunde - ich wiederhole das - legt die Bundesregierung trotz Bedenken aus der Sicht des Bundesnachrichtendienstes diesen außergewöhnlichen Bericht vor. Deshalb haben wir auch Gesetzentwürfe vorbereitet, mit denen wir rechtliches Neuland betreten und mit denen wir an die Grenze des wirtschafts- und rechtspolitisch Möglichen gehen. Deshalb nehmen wir auch partielle Erschwerungen für unseren Außenhandel in Kauf.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in den Zielen, so denke ich, sind wir uns alle einig. Das sollte sich auch in der Ernsthaftigkeit zeigen, mit der wir diese Debatte führen müssen. Gemeinsames Ziel von Bundesregierung und Bundestag muß es jetzt sein, die eingeleiteten Maßnahmen zur Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen so schnell wie möglich zu beschließen und in Kraft zu setzen. So notwendig die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit ist, lassen Sie uns dennoch gemeinsam das in unserer Verantwortung Stehende für die Zukunft tun.
({35})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das, was die Bundesregierung und vor allem Sie, Herr Bundeskanzler, bis in den Januar hinein nicht wahrhaben wollten und in wesentlichen Teilen bestritten haben, steht nunmehr fest und ist von dem Bericht, den Sie am Mittwoch vorgelegt haben, aber auch durch das, was der Herr Kollege Schäuble hier gerade vorgetragen hat, bis in die Details bestätigt worden.
Erstens. Eine Anzahl deutscher Firmen ist dringend verdächtig, sich an der Errichtung einer Anlage in Libyen beteiligt zu haben, die - das ist von Ihnen jetzt ja eingeräumt worden ({0})
von Anfang an für die Produktion von Giftgas bestimmt war.
({1})
Zweitens. Die Bundesregierung und auch Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben den Vorgang nicht erst seit kurzem, sondern seit langer Zeit in einer Art und Weise behandelt, die schlechterdings unverständlich ist, die die Auswirkungen der Affäre ständig verschlimmert hat und einmal mehr die Frage aufwirft, inwieweit die gegenwärtigen Regierungspersonen ihren Aufgaben eigentlich handwerklich gewachsen sind.
({2})
Drittens. Die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik und ihr Ansehen im Ausland, und zwar nicht nur in den USA, haben durch all das schweren Schaden erlitten. Wir waren alle einig und sind es unverändert, daß von deutschem Boden nie wieder Bedrohung und Tod ausgehen darf. Nach allem, was wir heute wissen, ist aber genau das geschehen. Von deutschem Boden, vom Boden der Bundesrepublik, ist Beihilfe zur Bedrohung anderer Völker mit chemischen Waffen, also zur Bedrohung mit massenhaftem und besonders grausamem Tod ausgegangen, und zwar auch Beihilfe zur Bedrohung des israelischen Volkes. Das ist für jeden, der nicht völlig abgestumpft ist, der sich an die Massenvergasungen jüdischer Menschen nicht nur an bestimmten Gedenktagen erinnert, ein geradezu schokkierender, ein zutiefst beschämender Zusammenhang.
({3})
An diesen drei bedrückenden Feststellungen hat sich durch die Regierungserklärung, die, gemessen an der Bedeutung der Sache, eigentlich der Herr Bundeskanzler hätte abgeben müssen,
({4})
nichts geändert. Im Gegenteil, Sie haben einräumen müssen, daß es schon im Juli 1985 einen ganz konkreten Hinweis - ({5})
- Meine Herren, dämpfen Sie Ihre Aufregung, lesen Sie den Bericht, den Ihre Regierung vorgelegt hat! Herr Schäuble hat erklärt, daß der Hinweis 1980 nicht konkret war.
({6})
- Meine Damen und Herren, wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man sich über Ihre aufgeregte Reaktion eigentlich erheitern.
({7})
Ich wiederhole: Sie haben einräumen müssen, daß es schon im Juli 1985 einen ganz konkreten Hinweis, und zwar, Herr Kollege Schäuble, eben nicht vom BND, sondern von der Botschaft in Moskau, wahrscheinlich von Herrn Botschafter Kastl, gegeben hat, einen konkreten Hinweis auf die Aktivitäten der Firma Imhausen, auf den Eigentümer dieser Firma und darauf, daß die Anlage in Honkong nur den Bau der Anlage in Rabta verdecken sollte. Das, was jetzt hier von Ihnen eingeräumt wird, ist im Jahre 1985 dem
Bundeskanzleramt bereits aktenkundig mitgeteilt worden.
({8})
Es geht aber noch weiter: In dieser Mitteilung der deutschen Botschaft in Moskau heißt es auch, daß zu den beteiligten Firmen auch ein bundeseigenes Unternehmen, nämlich eine Tochter der Salzgitter AG, gehört.
({9})
- Lesen Sie mal selber Ihre eigenen Berichte, Herr Stoltenberg!
Auch die überaus peinliche Mischung von Hilflosigkeit, Aufbegehren und Vertuschungsversuchen, mit der Sie lange auf die Vorgänge reagiert haben, ist aus den jetzt vorgetragenen Daten und Fakten noch deutlicher abzulesen.
Wir werfen Ihnen nicht vor, daß die Bundesregierung mit den Aktivitäten der beteiligten Firmen auch nur das Geringste zu tun hat. Wir glauben Ihnen, daß Sie der schreckliche Zusammenhang, von dem ich soeben sprach, genauso bedrückt wie uns. Aber um so unbegreiflicher ist Ihr Verhalten, und zu diesem Verhalten kann ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, auch heute eine Reihe von Fragen nicht ersparen.
Ich frage Sie: Wie haben Sie eigentlich die Zusammenarbeit in Ihrem eigenen Amt und Ihre eigene Information durch Ihre Mitarbeiter, etwa durch Herrn Professor Schreckenberger, organisiert? Wie war es möglich, daß Sie von den Mitteilungen, die Ihrem Amt in dieser Sache seit Jahr und Tag zugegangen sind, bis zum 20. Oktober 1988, wie Sie sagen, kein Sterbenswort erfahren haben? Lassen Sie mich hier ein deutliches Wort sagen: Sie können doch dieses Informations- und Organisationschaos jetzt nicht mit Datenschutz erklären und mit Datenschutz entschuldigen wollen.
({10})
Es ist doch wohl nicht so, daß der Datenschutz darin besteht, daß Sie vor Informationen geschützt werden, Herr Bundeskanzler.
({11})
Das ist die erste Frage.
Zweitens. Herr Bundeskanzler, warum haben eigentlich nicht alle Alarmglocken geschrillt,
({12})
als Sie jedenfalls am 20. Oktober 1988 von dem sich konkretisierenden Verdacht einer deutschen Beteiligung erfuhren? Warum haben da nicht alle Alarmglocken geschellt? Sie wußten doch, Herr Bundeskanzler, daß ein ähnlicher Verdacht hinsichtlich einer vergleichbaren Anlage im Irak bereits seit langem im Raum stand, und Sie wußten doch, daß Libyen Terroranschläge zugeschrieben wurden, insbesondere der Anschlag auf die Diskothek „La Belle" in Berlin im Jahre 1986, und daß das sogar zu einer militärischen Konfrontation geführt hat. Das wußten Sie doch alles.
Das haben Sie damals alles hier auch mit sehr starken Worten begleitet. Herr Bundeskanzler, haben Sie wirklich die politische Dimension dieses Vorgangs so vollständig verkannt?
Nächste Frage: Herr Bundeskanzler, warum haben Sie nach der Begegnung mit Präsident Reagan am 15. November 1988 erklärt, seine Hinweise und die von Außenminister Shulz, von denen wir übrigens wissen, daß sie Ihnen angekündigt waren, hätten Sie überrascht und schockiert? Herr Bundeskanzler, Sie wußten doch in diesem Zeitpunkt bereits alles, was Ihnen da von amerikanischer Seite gesagt wurde.
({13}) Da war doch nichts neu.
Warum - das kann ich eigentlich überhaupt nicht verstehen - haben Sie dann persönlich von einer antideutschen Kampagne der amerikanischen Medien gesprochen, obwohl Sie sich doch darüber im klaren waren, daß die Fakten, über die berichtet wurde, im wesentlichen zutrafen? Sehen Sie denn nicht wenigstens im nachhinein ein, daß Sie dadurch das Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik im allgemeinen und Ihrer Regierung gegenüber im besonderen noch verstärkt haben? Diejenigen, die mit überzogenen Angriffen - auch das sage ich - gegen die Bundesrepublik und gegen Sie argumentiert haben, haben ja Honig daraus gesogen, daß die Behauptungen, die Sie bestritten haben, sich dann als richtig herausgestellt haben; und das wußten Sie.
({14})
Weitere Frage: Warum wurde auch der deutschen Öffentlichkeit gegenüber, und zwar bis zum heutigen Tage - ich räume ein, jetzt mit dem Bericht ist wirklich alles auf den Tisch gekommen - aber bis dahin ({15})
- na gut, noch viel schlimmer kann es ja nicht werden; ich nehme an, jetzt ist wirklich alles auf dem Tisch -, stets nur das zugegeben, was die Medien schon ermittelt hatten?
({16})
Warum hat der unglückselige Herr Ost immer wieder versucht, auch das, was schon zutage getreten war, noch einmal in Abrede zu stellen? Warum eigentlich? Was ist das für eine Arbeit?
({17})
- „Unglückselig" ist milde, Herr Kollege. Im Bezirk Tiergarten in Berlin haben Sie möglicherweise eine andere Ausdrucksweise, aber „unglückselig" ist fast mitfühlend mit Herrn Ost. Das ist ein Zeichen von Erbarmen.
({18})
- An den Namen werden Sie sich gewöhnen müssen.
Warum haben Sie es zugelassen oder sogar gefördert, Herr Bundeskanzler, daß aus Ihrem Amt heraus der Versuch unternommen wurde, den Präsidenten
des Bundesnachrichtendienstes als den eigentlich Schuldigen hinzustellen? Das ist doch über 14 Tage gelaufen. In noch subtilerer Weise wurde versucht, Herrn Genscher als den Schuldigen hinzustellen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie beiden Herren, Herrn Wieck und Herrn Genscher, etwas vorzuwerfen haben, dann tun Sie es bitte nicht, indem Sie etwas durch Dritte in die Redaktionen streuen, sondern indem Sie diese Vorwürfe hier am Pult des Deutschen Bundestages vortragen und konkretisieren.
({19})
Warum schließlich haben Sie sich in all diesen Wochen und Monaten so verhalten, als ob es sich um eine Verwaltungsroutine handle, als ob die Sache nur die Justiz und nicht die Politik anginge? Selbst aus dem Bericht, den heute Herr Schäuble vorgetragen hat, ergibt sich immer noch der Eindruck, es ginge um Verwaltungsroutine. Herr Bundeskanzler, Sie waren als Politiker gefordert. und dem sind Sie - ich sage das wegen der Bedeutung der Sache mit Bedauern - nicht gerecht geworden. Das ist der Kern der Sache, um die wir die Auseinandersetzung führen.
({20})
Noch eine letzte Frage: Warum eigentlich sind Sie nicht schon im Herbst vergangenen Jahres, spätestens im November, mit einer Regierungserklärung vor die Öffentlichkeit und vor den Bundestag oder wenigstens vor den Auswärtigen Ausschuß getreten, um das zu sagen, was zu sagen war - nämlich die Wahrheit? Wie befreiend, meine Kolleginnen und Kollegen, hätte es gewirkt, wenn Sie beispielsweise den umfassenden Bericht vom vergangenen Mittwoch dem Deutschen Bundestag schon im November mit dem damaligen Kenntnisstand vorgelegt hätten - wie befreiend hätte es gewirkt! -,
({21})
verbunden mit einer eindeutigen und nachdrücklichen Verurteilung jeder nur denkbaren deutschen Aktivität auf diesem Gebiet und der Zusage rückhaltloser Aufklärung. Das hätte den Schaden in Grenzen gehalten und in wesentlichen Teilen erst gar nicht entstehen lassen.
Der Verband der Chemischen Industrie hat politisch gehandelt und die Mitgliedschaft der hauptverdächtigen Firma suspendiert. Sie, Herr Bundeskanzler, haben ein vergleichbares Maß an politischer Entscheidungskraft leider nicht aufgebracht.
({22})
Es mag sein, daß Ihr Verhalten gerichtsfest war; politikverwertbar war Ihr Verhalten auf jeden Fall nicht.
({23})
Das gilt auch für die Frage, was Sie eigentlich tun wollen, um die Inbetriebnahme von Rabta zu verhindern. Dazu wird sich in der zweiten Runde Herr Kollege Gansel noch äußern.
Durch Ihr Versagen ist die Bundesrepublik auf dem Gebiet der Produktion von chemischen Waffen ins
Zwielicht geraten. Im Zwielicht steht die Bundesrepublik darüber hinaus auf dem gesamten Feld der Rüstungsexporte. Auch hier klaffen zwischen Reden und Handeln immer breitere Lücken. Anders als bei den chemischen Waffen, wo es - ich betone es noch einmal - keine Anhaltspunkte für ein Zusammenwirken gibt, im Gegenteil, gibt es sonst auch Fälle augenzwinkernden Einverständnisses und einer versteckten, sogar einer ganz unverhohlenen Ermutigung und auch trickreicher Unterstützung.
({24})
- Warten Sie ab.
Ich bestreite nicht: Auch zur Zeit unserer Regierungsverantwortung gab es Rüstungsexporte. Es gab Streit über die Zulässigkeit einzelner Geschäfte und Auseinandersetzungen über die Grenzen der ethisch-moralischen Verantwortbarkeit von Rüstungsexporten überhaupt. Dabei traten bei uns jedoch die restriktiven Argumente immer stärker in den Vordergrund. Vorstöße für eine Beschränkung solcher Exporte kamen aus unseren Reihen, nicht aus Ihren Reihen, also den Reihen der damaligen Opposition.
({25})
Seitdem Sie die Regierungsverantwortung tragen, hat sich das Klima in dieser Frage geändert. Maßgebende Repräsentanten der Union, an ihrer Spitze der verstorbene bayerische Ministerpräsident, haben sich immer wieder öffentlich für die Erleichterung der Rüstungsexporte ausgesprochen. Das fatale Argument, wenn wir die Waffen nicht lieferten, würden es andere tun, wurde durch Sie salonfähig.
({26})
Der Entwurf eines restriktiven Kriegswaffenkontrollgesetzes hingegen wurde als überflüssig und wirtschaftsfeindlich bezeichnet und mit Ihrer Mehrheit verworfen. Ich muß sagen: Man hat schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn jetzt Herr Schäuble hier an diesem Rednerpult im Bundestag dazu auffordert, verschärfende Bestimmungen möglichst rasch zu verabschieden. Das hätten Sie schon vor drei Jahren an Hand unserer Vorlage tun können. Überheblich haben Sie es abgelehnt.
({27})
Die Liste der bedenklichen Geschäfte ist in der Zwischenzeit immer länger geworden. Ich nenne dafür nur drei Beispiele: Lieferung von U-Boot-Plänen an Südafrika, Lieferung von Tritium an Pakistan und von Beryllium nach Indien, Lieferung von Tornados an Jordanien und demnächst wohl auch an Südkorea, im Falle Jordaniens sogar mit staatlicher Kreditfinanzierung.
Ich sprach von versteckter, mitunter sogar öffentlicher Ermutigung und von allerlei Tricks, für die man sich nicht zu schade war, um solche Geschäfte über die Runden zu bringen. Ein schlimmer Trick war es beispielsweise, daß man sich unter dem Druck einer
Bundestagsdebatte widerwillig aus der Tornado-Finanzierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau zurückzog, gleichzeitig aber eine andere öffentlichrechtliche Bank, nämlich die Bayerische Landesbank, ermutigte, ihrerseits die Finanzierung zu übernehmen. Herr Kollege Genscher hat dagegen zu Recht protestiert. Wir anerkennen das. Der Protest wäre allerdings noch glaubhafter gewesen, wenn nicht das Haus Bangemann, also das Wirtschaftsministerium und damit das Ministerium des damaligen FDP-Bundesvorsitzenden, bereits im November 1988 der Bayerischen Landesbank mitgeteilt hätte, die Bundesregierung habe keine Einwendungen gegen den Export von Tornado-Flugzeugen nach Jordanien, auch wenn eine Hermes-Absicherung nicht in Frage käme. Da ist eine Divergenz. Darüber kann man nicht hinwegsehen.
Eine Mischung von Ermutigung und Tricks gab und gibt es beim Südafrikageschäft. Die Ermutigung durch den verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten ist aktenkundig geblieben, obwohl der Leiter Ihrer außenpolitischen Abteilung die interessantesten Beweisstücke, die gerichtsverwertbar waren, dem Reißwolf überantwortet hat, vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes.
({28})
Der wird ja jetzt von Ihnen sehr streng genommen. Andere versuchen, mit anderen Mitteln die Rolle, die sie dabei gespielt haben, zu verbergen, und sind deshalb dankbar, daß die Koalition der Aufklärung durch den Untersuchungsausschuß jedes nur denkbare Hindernis in den Weg legt.
Herr Bundeskanzler, spüren Sie eigentlich den Widerspruch nicht, daß Sie einerseits in der Giftgasaffäre volle Aufklärung versprechen, andererseits aber drei Tage später in der U-Boot-Affäre durch einen Mehrheitsbeschluß unser Minderheitenrecht so beeinträchtigen und damit die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses so blockieren, daß sie nur mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wieder in Gang gesetzt werden kann? Das ist doch ein offenkundiger Widerspruch.
({29})
Dann wundern Sie sich, meine Damen und Herren, wenn Ihnen niemand glaubt, daß Sie es mit der Einschränkung der Rüstungsexporte im allgemeinen und der Bekämpfung des Apartheid-Regimes in Südafrika wirklich ernst meinen? Sie mögen sich dabei ja clever oder gar raffiniert vorkommen; ich sage Ihnen: So verwirtschaftet man Glaubwürdigkeit und Vertrauen im internationalen Bereich.
({30})
Und - das sage ich mit großer Nachdenklichkeit -, Herr Bundeskanzler, so gibt man auch denen Handhaben, das überholte Bild vom „häßlichen Deutschen" aufzufrischen,
({31})
die besser vor der eigenen Tür kehren würden. Dazu hätten nicht wenige Anlaß, auch bei unseren amerikanischen Freunden.
({32})
Was muß jetzt geschehen? Nach unserer Auffassung ist das Wichtigste und Dringendste die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und der Vertrauenswürdigkeit der Bundesrepublik auf allen Feldern des Rüstungsexports. Wenn die Bundesrepublik künftig wie schon bisher für die Achtung der Chemiewaffen eintritt und den Abzug der amerikanischen Chemiewaffen aus der Pfalz fordert, dann darf ihr nicht mehr entgegengehalten werden können, deutsche Firmen seien ja selbst am Bau einer solchen Waffenfabrik beteiligt.
({33})
Wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags pocht, darf dieser Vertrag nicht gleichzeitig von bundesdeutschen Firmen unterlaufen oder umgangen werden. Und wenn man das Regime in Südafrika ablehnt, darf man ihm nicht gleichzeitig Waffenpläne zur Stärkung seiner Position liefern.
({34})
Zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit gehört im Falle der Fabrik in Rabta die nachdrückliche strafrechtliche Verfolgung der Schuldigen. Dazu gehört auch, Herr Kollege Stoltenberg, daß Sie endlich bei den bundeseigenen Unternehmen nach dem Rechten sehen. Die Salzgitter AG ist schon viel zu oft in solch bedenklichen Zusammenhängen genannt worden. Das tut der Salzgitter AG nicht gut, und es tut uns allen nicht gut.
Dazu gehört die Aufklärung der Behauptung, Deutsche seien auch an der Produktion biologischer Waffen beteiligt.
Weiter gehört in diesen Zusammenhang die Verschärfung von Kontrollvorschriften. Dazu haben Sie Vorschläge gemacht. Das akzeptieren wir. Wir werden sie sorgfältig prüfen. Wir werden dabei auf unsere weiterreichenden Initiativen zurückkommen, etwa auch auf die Forderung, Rüstungsexporte insgesamt auf die Länder des Bündnisses und einige wenige neutrale Staaten zu beschränken. Das wäre eine klare Antwort.
({35})
Herr Kollege Lammert hat in diesem Zusammenhang im Verlauf der Tornado-Debatte einen bemerkenswerten Vorschlag für eine interfraktionelle parlamentarische Initiative gemacht. Schon in der Debatte und danach am 30. Januar in einem Schreiben an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen habe ich dem Vorschlag zugestimmt und angeregt, daß unverzüglich interfraktionelle Gespräche aufgenommen werden. Zugleich habe ich den Bundeskanzler ersucht, das Parlament dabei durch eine vollständige Unterrichtung über laufende oder sich anbahnende Rüstungsexportgeschäfte sowie über Hinweise, die der Bundesregierung über illegale Geschäfte dieser Art
vorliegen, zu unterstützen. Es wäre nicht schlecht gewesen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie darauf schon geantwortet hätten.
Unabhängig davon begrüße ich es, daß sich die Vorsitzenden der Fraktionen der FDP und der GRÜNEN mir gegenüber zu dem Gedanken interfraktioneller Gespräche bereits positiv geäußert haben. Ich hoffe, Herr Kollege Dregger, daß Sie sich dem anschließen können.
Entscheidend, meine Damen und Herren, ist jedoch, daß eine Änderung des Klimas zustande kommt. Daß künftig jeder, der sich in der Bundesrepublik auf das Geschäft mit dem Tod einläßt, weiß: Er ist isoliert, er wird geächtet, er hat nicht mit Konzilianz und Dekkung, sondern mit der unnachsichtigen Anwendung der Gesetze und mit scharfer moralischer Verurteilung zu rechnen.
({36})
Dazu müssen Sie, Herr Bundeskanzler, einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich meine, es wäre gut, es wäre im nationalen Interesse, wenn Sie heute hier an das Rednerpult träten und sich gerade diesen Gedanken zu eigen machten.
({37})
Natürlich bringt das alles Probleme mit sich, das Problem der Abgrenzung zwischen erlaubtem und verbotenem Tun oder das Problem der vielfachen Verwendbarkeit bestimmter Stoffe und Techniken, d. h. ihrer Verwendbarkeit sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke, oder auch das Problem der Konversion, eines der Probleme, die wir alle schon zu lange vor uns herschieben, also der Umstellung von Produktionskapazitäten, die bisher dem Rüstungsexport dienen, auf zivile Fertigung. Aber all das kann der Lösung nähergebracht werden, wenn sich das Bewußtsein ändert, wenn sich der politische Wille einer Mehrheit dieses Parlaments unmißverständlich artikuliert.
Übrigens, meine Damen und Herren: Das alles liegt auch im wirtschaftlichen und politischen Interesse der Bundesrepublik. Unser Ansehen und unser Einfluß in der Welt werden zunehmen, wenn die Völker wissen, daß wir an Konflikten und Spannungen nicht verdienen, daß wir ihre knappen Ressourcen nicht für Waffen in Anspruch nehmen, sondern daß wir ihnen helfen wollen, ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kräfte zu entwickeln.
({38})
Das ist unsere Perspektive. Und das sollte die Perspektive der gesamten Bundesrepublik sein.
In den letzten Wochen ist gerade auch auf dem Gebiet des Rüstungsexports vermehrt von Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundesaußenminister die Rede. Mag sein, daß uns das parteipolitisch betrachtet, nutzt. Unserem Gemeinwesen - und
das ist mir wichtiger - schadet ein solcher Zwiespalt, insbesondere wenn er öffentlich ausgetragen wird.
({39})
- Ja, dazu haben Sie aber auch viel Anlaß, lieber Herr Seiters.
({40})
Wenn Sie an die Ereignisse der letzten Tage und Wochen denken, dann müßten Sie ja einen Weinkrampf haben.
({41})
- Ja, immer mehr haben Sie Anlaß zum Weinen. ({42})
Ich glaube, der Zwiespalt, der ja gar nicht mehr zu übersehen ist, wurzelt darin, daß Unklarheiten nicht ausgeräumt, sondern mit mehr oder weniger allgemeinen Redensarten zugedeckt werden. Dabei geraten Sie, Herr Kollege Genscher, mehr und mehr in die Rolle eines Mannes, der nach außen gute Positionen vertritt, die aber in Wahrheit gar nicht mehr die wirklichen Positionen der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers sind,
({43})
und der deshalb auch mit ansehen muß - und ich weiß, was das für den dienstältesten Außenminister, jedenfalls der europäischen Welt, bedeutet
({44})
- ach, jetzt wollen Sie nicht weinen, jetzt wollen Sie lachen?; der dort weint, Sie lachen -,
({45})
daß an seiner Stelle andere, etwa Herr Schäuble oder Herr Teltschik, im unmittelbaren Auftrag des Bundeskanzlers in Washington oder in Warschau tätig werden.
({46})
Und die, die es angeht, reiben sich insgeheim sogar die Hände, wenn Sie, Herr Genscher, deshalb in Großbritannien oder in den USA attackiert werden.
({47})
So war es hinsichtlich der Finanzierung des Tornadoexports nach Jordanien, bei dem der Bundeskanzler zwar mit Frau Thatcher, aber eben nicht mit seinem Außenminister übereinstimmte, so ist es in einer ganzen Reihe von Abrüstungsfragen, und so ist es trotz aller Vernebelungsversuche in der Frage der angeblichen Modernisierung, d. h. in Wahrheit: der Ersetzung der Lance-Raketen durch neue nukleare Systeme größerer Reichweite. Herr Wörner, zu dem Sie ja wohl noch immer eine gewisse Verbindung haben
- teils auf englisch, teils auf deutsch, Herr Bundeskanzler - ,
({48})
bezeichnet die Aufstellung dieser neuen Systeme als unerläßlich. Der Bundesaußenminister setzt sich dagegen zu Recht zur Wehr. Herr Scholz wiederum ist dafür. Sie, Herr Bundeskanzler, haben bei der ganzen Sache erkennbar nur ein Ziel, nämlich die Angelegenheit bis zur Bundestagswahl in der Schwebe zu halten. Und nicht wenige in der Union freuen sich herzlich darüber, daß Herr Genscher wegen seiner Haltung in den USA kritisiert, ja, Verdächtigungen ausgesetzt wird, die nicht berechtigt sind.
({49})
- Oh, mein Gott! Haben Sie denn so schlecht geschlafen, Herr Kollege? Daß Sie alle miteinander schlechter Laune sind, das kann ich ja verstehen;
({50})
dazu haben Sie ja auch allen Grund.
({51})
Aber nun beherrschen Sie sich mal ein bißchen! Und der Herr Geschäftsführer ist auch nicht mehr in Ordnung. Früher hat er diese Schreierei ein bißchen koordiniert, jetzt geht das hier ganz willkürlich.
({52})
Ich kann nur dringend raten: Herr Bundeskanzler, sorgen Sie rasch für Klarheit! Tun Sie das, wozu Herr Kollege Waigel Sie in diesen Tagen in anderem Zusammenhang ununterbrochen auffordert: Beenden Sie das Durcheinander, vor allen Dingen auf diesen Gebieten!
({53})
- Na, jetzt wird er militärisch, der Kollege. ({54})
- Nein? Was hat er denn gesagt?
({55})
- Ach, das ist aber was Originelles! Ihnen fällt aber wirklich immer was Neues ein.
({56})
Auf diese Klarheit, Herr Bundeskanzler, haben auch unsere Verbündeten, darauf haben die Vereinigten Staaten als Führungsmacht des Bündnisses Anspruch. Die Vereinigten Staaten und diejenigen, die dort Verantwortung tragen, dürfen in dieser Frage ebensowenig an der Nase herumgeführt werden wie
das eigene Volk. Ich sage - Sie wissen es ja auch ganz genau - : Unser Volk will keine neuen Raketen, unter keinen Umständen neue Raketen und eine neue Aufrüstung.
({57})
Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, erwecken Sie also keine Hoffnungen, die Sie nicht erfüllen können, und zögern Sie nicht mit der Wahrheit! Dieses Zögern hat im Falle der Chemiewaffenproduktion, wie wir heute wissen, ernsten Schaden verursacht. Im Falle der neuen Atomraketen wäre der Schaden noch schwerwiegender. Zeigen Sie, Herr Bundeskanzler, daß Sie aus der auch für Sie schmerzlichen Libyen-Lektion auf allen Feldern gelernt haben und in der Lage sind, daraus die gebotenen Konsequenzen zu ziehen,
({58})
Das Wort hat die Abgeordnete Geiger.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schlimm, Herr Kollege Vogel, daß Sie das heikle Thema Chemieexporte nach Libyen für so durchsichtige innenpolitische und parteipolitische Zwecke benutzen.
({0})
Für jedes Mitglied unserer Koalition und selbstverständlich auch für jedes Mitglied der Bundesregierung ist es eine grauenhafte Vorstellung, daß deutsche Firmen am Aufbau der Giftgasfabrik in Rabta beteiligt waren, daß deutsche Ingenieure eventuell aktiv mitgearbeitet haben könnten.
Nach den Erkenntnissen der Nachrichtendienste ist die Giftgasfabrik in Libyen noch nicht ganz fertiggestellt. Unser allererstes Interesse sollte jetzt nicht parteipolitische Polemik sein, sondern muß jetzt sein, in Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu verhindern, daß diese Anlage in die Produktion geht. Zugegeben, das ist ungeheuer schwierig, weil man sich heute auf dem Weltmarkt über dunkle Kanäle für Geld so gut wie alles besorgen kann. Trotzdem sollten wir nicht kapitulieren.
Die Bundesrepublik hat bisher als einziger Staat der Welt verbindlich nicht nur auf den Einsatz von chemischen Waffen, sondern auch auf deren Herstellung und Besitz verzichtet. Um so wahnwitziger wäre es, wenn deutsches Know-how und deutsche Produkte, auf Schleichwegen nach Libyen gekommen, es Herrn Gaddafi jetzt ermöglichten, Giftgas herzustellen. Das muß verhindert werden.
Der Bericht, den uns Bundesminister Dr. Schäuble erläutert hat, ist umfassend und beweist, wie ernst die Bundesregierung die Angelegenheit nahm und wie sie durch konkrete Maßnahmen darauf reagiert hat.
Es mag allerdings mißverständlich gewesen sein, daß die Bundesregierung nicht früher klargestellt hat, wie konsequent sie gehandelt hat. Vermutlich hat es
da auch einige Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Häusern gegeben.
({1})
Ich hätte mir aber gewünscht, die Öffentlichkeit wäre früher über alle Aktivitäten der Bundesregierung umfassend informiert worden. Das hätte manches Mißverständnis von vornherein ausgeschlossen.
Daß die Bundesregierung aber nichts zu verbergen hat, ist durch den Bericht eindeutig erwiesen. Deshalb muß jetzt Schluß gemacht werden mit den Unterstellungen und mit den Verdächtigungen.
({2})
Ich habe noch einmal nachgelesen, was sich SPD und GRÜNE in der Debatte vom 18. Januar geleistet haben, und das ist wirklich ungeheuerlich. Bewußt wurde der Eindruck erweckt, als habe die Bundesregierung etwas vertuscht, als habe sie die Öffentlichkeit hinters Licht geführt.
({3})
- Herr Gansel, Sie haben u. a. moralintriefend erklärt, daß ein Klima des augenzwinkernden und stillschweigenden Einverständnisses zwischen der Bundesregierung und der Rüstungsexportlobby entstanden sei.
({4})
Wie der Bericht bewiesen hat, ist dies ganz billige Stimmungsmache und Verleumdung gewesen.
({5})
Sie haben auch beteuert, wie sehr Ihnen das deutsche Ansehen am Herzen liegt. Wenn dies wirklich so ist, dann sollten Sie diesen bösen Satz heute zurücknehmen.
({6})
Daß ausgerechnet die SPD und die GRÜNEN den amerikanischen Geheimdienst CIA, den Sie seit Jahren für alle Übel und Missetaten der Welt verantwortlich machen, als Kronzeugen gegen die Bundesregierung bemühen, zeigt nur, daß offensichtlich jedes Mittel recht ist, um unsere Bundesregierung und damit unser Ansehen zu diffamieren.
({7})
Während der letzten Debatte verstieg sich die Opposition auch zu der schlimmen Behauptung, daß sich die Exporteure von Waffen durch die Bundesregierung zur Verstärkung ihrer Aktivitäten ermutigt fühlten. Man hatte den Eindruck, als ob wir in einem ganz anderen Land lebten, in einem Land, das auf Biegen und Brechen die halbe oder ganze Welt mit erlaubten
({8})
- Herr Vogel, es gibt auch erlaubte Waffenexporte - und unerlaubten Waffen beliefert.
({9})
Ich habe daraufhin einmal das jüngste Jahrbuch des Stockholmer Friedensinstitutes SIPRI angesehen. Dort
kann jeder, den das interessiert, nachlesen, daß bei den Waffenexporten in die Dritte Welt - und um diese geht es hier ja - der Trend bei uns eindeutig rückläufig war. 1987 liegen wir dort auf Platz 6, hinter der Sowjetunion - an erster Stelle - , hinter den USA, hinter Frankreich, Großbritannien und der Volksrepublik China. Unser Anteil an den gesamten Waffenverkäufen in die Dritte Welt liegt bei etwas über 2 %.
({10})
Gesprochen wurde auch von dem schweren Schaden, den die deutsch-amerikanischen Beziehungen genommen hätten.
({11})
An sich ist es ja gut, Herr Gansel, daß sich nun endlich auch die SPD wieder um die deutsch-amerikanischen Beziehungen kümmert, nachdem sie jahrelang in Washington, und nicht nur dort, für Irritationen und ernste Zweifel über die Verläßlichkeit der Deutschen gesorgt hat und immer noch sorgt.
Es würde ein langes Sündenregister, wenn ich alles aufzählen wollte, von der Aufkündigung des NATO-Doppelbeschlusses über die traurige Begleitmusik der SPD zum Staatsbesuch von Präsident Reagan in der Bundesrepublik bis hin zu den einseitigen Abrüstungskonzepten und den abrüstungspolitischen Gemeinsamkeiten ausgerechnet mit der SED unter dem Stichwort „atomwaffenfreier Korridor" und „chemiewaffenfreie Zone".
Auch die Koalitionsverhandlungen der Berliner SPD, Herr Vogel, Ihrer SPD in Berlin, mit der Alternativen Liste tragen nicht gerade zu mehr Vertrauen in Washington, Paris und London bei.
({12})
Sie wissen ja: Die Alternative Liste würde sich gerne von den Schutzmächten trennen und hat sich bis heute nicht von der Gewalt losgesagt.
({13})
Und mit solchen Leuten verhandeln Sie in Berlin ernsthaft über eine Koalition. Das stärkt nicht das Vertrauen.
({14})
Diese Politik ist es, die das deutsch-amerikanische Verhältnis jenseits jeder vorübergehenden Irritation mit schweren Hypotheken belastet.
Es lohnt sich nachzulesen, was in einer kürzlich in den USA erschienenen Publikation „Sicherheitsperspektiven der westdeutschen Linken" steht. Dort zieht der bekannte Deutschlandexperte Professor Griffith folgenden Schluß: Sollten die Linken oder ihr Sicherheitsprogramm die Oberhand in der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gewinnen, dann wären die USA mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine grundlegende Neubewertung der Fortsetzung ihrer Präsenz auf dem europäischen Kontinent vorzunehmen.
Die Zweifel an der Verläßlichkeit der Deutschen haben den Boden bereitet für die unsäglichen Artikel
eines William Safire. Statt sich auf Kosten der Bundesregierung innenpolitisch an dem traurigen Thema Rabta zu profilieren, sollten Sie alles tun, um die Zweifel an Ihrer eigenen Zuverlässigkeit auszuräumen.
({15})
Glücklicherweise ist die deutsch-amerikanische Freundschaft so gefestigt, daß sie auch schlimme Pressekampagnen übersteht. Ich darf daran erinnern, daß nicht nur in den Vereinigten Staaten manchmal schlecht über uns geschrieben wird, sondern daß es auch schon bei uns schlimme Entgleisungen den USA gegenüber gegeben hat. Denken Sie an die Nachrüstungsdebatte oder an die erste Zeit der Präsidentschaft Reagans!
Es hat in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Rabta-Affäre Gereiztheiten, Mißtöne und Mißverständnisse in den transatlantischen Beziehungen gegeben. Aber wo es Mißverständnisse gegeben hat, da wurden diese ausgeräumt. Das hat der scheidende Präsident Reagan, das hat der neue Präsident Bush mehrmals - erst gestern wieder - , das haben die Außenminister Shultz und Baker mit Nachdruck bestätigt. Die amerikanische Regierung hat dem Bundeskanzler und seiner Politik unmißverständlich das Vertrauen ausgesprochen. Wer heute noch von schweren Irritationen im deutsch-amerikanischen Verhältnis spricht, der tut das wider besseres Wissen.
({16})
Wenn Ihnen das deutsche Ansehen im Ausland wirklich so am Herzen liegt, meine Damen und Herren von der SPD, dann sollten Sie die Problematik in ihrer wirklichen Dimension darstellen, statt sie aufzubauschen, statt zu vergröbern und zu verdächtigen.
Die Praktiken der Firmen, die Libyen für die Giftgasanlage illegal beliefert haben, sind unentschuldbar. Sie werden auch nicht durch die Tatsache besser, daß auch andere Länder zugeliefert haben, daß auch die Exportgesetze unserer Freunde, auch die der Amerikaner, von schwarzen Schafen umgangen werden.
({17})
Die betreffenden Firmen müssen mit aller Konsequenz zur Rechenschaft gezogen werden.
({18})
Unser Ansehen in der Welt ist mit dem guten Ruf der deutschen Wirtschaft eng verknüpft. Unsere Stellung als führende Welthandelsnation beruht darauf, daß „Made in Germany" für Solidität, für Seriosität, für Gewissenhaftigkeit und für Vertrauenswürdigkeit steht.
({19})
Weil der Ruf der deutschen Wirtschaft so gut ist, haben viele - ich selbst und sicherlich auch einige Regierungsstellen eingeschlossen - es zu Beginn nicht glauben können, daß deutsche Unternehmen in dermaßen anrüchige Geschäfte verwickelt sein könnten.
Daß das doch der Fall war, war eine böse Erkenntnis.
Diese Erkenntnis muß Konsequenzen haben. Wir müssen Mittel und Wege finden, derartige Vorgänge in Zukunft zu verhindern. Der Bericht der Bundesregierung enthält dazu ganz konkrete Vorschläge und Entwürfe für ergänzende Rechtsvorschriften. Auf deren schnelle Verwirklichung kommt es jetzt an. Darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren. Das ist mit Abstand das Wichtigste. Das ist viel wichtiger als das reichlich nutzlose Forschen danach, wer was wann wo erfahren hat.
({20})
Wir können dankbar vermerken, daß sich unsere EG-Partner und vor allem auch, Herr Vogel, die Regierung von Israel bei der Bewertung der Vorgänge, die der Bericht enthält, mit Kritik sehr zurückgehalten haben. Das zeigt nicht zuletzt, daß unsere Partner und Freunde volles Vertrauen in unsere Bundesregierung und in unsere Demokratie haben.
Der Bericht der Bundesregierung macht aber auch deutlich, wie schwierig die Materie ist. Man kann in den meisten Fällen den chemischen Substanzen oder den Anlageteilen nicht von vornherein ansehen, ob sie nun für erlaubte zivile Zwecke oder für unerlaubte Machenschaften verwendet werden sollen.
({21})
Deshalb begrüße ich es nachdrücklich, daß sowohl die deutsche chemische Industrie als auch die Gewerkschaften ihre Mithilfe bei der Aufklärung zweifelhafter Fälle zugesagt haben. Die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den Unternehmern und den Gewerkschaften kann eine Garantie dafür sein, daß man künftig schwarzen Schafen schneller auf die Schliche kommt.
Der Bericht der Bundesregierung macht aber auch noch etwas anderes klar. Wer unlautere Pläne wie in Rabta verfolgt, nutzt internationale Verbindungen, um seine Absichten zu verbergen und um Spuren zu verwischen. Hier ist die internationale Zusammenarbeit gefragt. Was würde es nützen, wenn nur in der Bundesrepublik Deutschland besonders strenge Bestimmungen und Kontrollen eingeführt würden, in anderen Ländern aber die Exportsünder durch die Maschen der Gesetze schlüpfen könnten?
Das muß in der EG besprochen werden; denn es ist auch im Blick auf den vollkommenen EG-Binnenmarkt ein wichtiges Problem. In letzter Konsequenz müßten alle Industriestaaten ein besonderes Gremium schaffen, das sich mit diesen Fragen befaßt.
Eine restlos befriedigende, wasserdichte Lösung bietet allerdings nur ein Ausweg: Der Abschluß eines zuverlässig überprüfbaren Abkommens über das Verbot der Herstellung, des Besitzes und der Weitergabe aller chemischer Waffen. Ein solches Abkommen muß vor allem zwei Kriterien umfassen. Erstens. Es muß weltweite Geltung haben. Eine C-Waffenfreie Zone in Mitteleuropa, wie sie SPD und SED wollen, hätte weder Gaddafi noch den Irak von den gefährlichen C-Waffen-Plänen abgehalten. Zweitens. Es
muß Überraschungsinspektionen vor Ort vorsehen. Hätten wir ein solches Abkommen schon jetzt, wäre ein Rabta nicht möglich gewesen.
({22})
Bei den C-Waffen-Verbots-Verhandlungen in Genf kommt gerade dem Beitrag der deutschen Delegation eine besondere Bedeutung zu. Auf Grund unserer Erfahrungen mit den Kontrollen der WEU in unserer eigenen chemischen Industrie können wir beweisen, daß internationale Vor-Ort-Inspektionen erfolgreich durchgeführt werden können, ohne daß dabei Geschäftsgeheimnisse ausspioniert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist längst an der Zeit, daß die besonders grausamen chemischen Waffen, die zuallererst die Zivilbevölkerung treffen, aus allen Arsenalen dieser Welt verschwinden. Kein Staat braucht C-Waffen zu seiner Sicherheit, wenn er darauf vertrauen kann, daß auch kein anderer Staat sie besitzt.
Der Fall Rabta, aber auch die völkerrechtswidrigen C-Waffen-Einsätze im Krieg zwischen Iran und Irak und die barbarische Verfolgung der Kurden im Irak mit Giftgas machen eines deutlich: Die Zeit drängt. Wenn nicht bald ein weltweites zuverlässiges nachprüfbares C-Waffen-Verbots-Abkommen unter Dach und Fach ist, wächst die Gefahr der weiteren Verbreitung der chemischen Waffen in der Dritten Welt. Die chemischen Waffen, gewissermaßen als Atomwaffen des armen Mannes, scheinen begehrter denn je in manchen Entwicklungsländern zu sein.
Wir müssen handeln, bevor es endgültig zu spät ist.
({23})
Dabei sollten Regierung und Opposition an einem Strang ziehen, statt sich innenpolitisch zu profilieren. In dieser Frage an einem Strang zu ziehen, das ist viel wichtiger als jeder innenpolitische Streit.
Ich danke Ihnen.
({24})
Das Wort hat die Abgeordente Frau Beer.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesrepublik wird zunehmend berüchtigt für die Lieferung von Rüstungsgütern in alle Welt und für die Lieferung von Material und Know-how, das die Produktion und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen erlaubt: die U-BootTechnologie und Kampfhubschrauber nach Südafrika, Atomtechnologie in das gleiche Land und Tornados nach Jordanien. Schlupflöcher und illegale Verschiebungen von tödlichem Material werden zum Prinzip. Schließlich sind wir eine Exportnation, und die Freiheit des Außenhandels ist eine heilige Kuh, selbst wenn sie über Leichen geht.
Nun kam es zur Lieferung von Know-how, von Komponenten und von Zwischenprodukten für chemische und biologische Waffen in den Nahen Osten. Der Irak hat offensichtlich mit bundesdeutscher Hilfe C-Waffen produziert und im Krieg gegen den Iran und
gegen kurdische Dörfer auch eingesetzt. Zehntausende von Toten waren die Folge. Wir erinnern uns noch sehr gut daran, wie noch zu diesem Zeitpunkt von Politikern eine Unterstützung des Irak gegen den fundamentalistischen Iran gefordert wurde, bis in die grüne Bundestagsfraktion hinein. Diese Giftgaseinsätze führten zwar zu einem kurzzeitigen Aufschrei, aber nicht zu einem „Skandal", wie wir ihn nun erlebt haben.
Den jetzigen Skandal um eine bundesdeutsche Beteiligung in Rabta in Libyen verdanken wir - hier ist ein gewisser Grad von Dankbarkeit durchaus am Platz - der US-Regierung und den US-Medien. Ohne das, was aus Kreisen der Bundesregierung als „antideutsche Kampagne" aufgefaßt wurde, Herr Kohl, wäre die Rolle der BRD
({0})
in diesem möglichen Fall von C-Waffen-Produktion von der Bundesregierung im üblichen Stil selbstzufriedener Ignoranz unter den Teppich gekehrt worden. Daß die US-Regierung gerade Rabta und nicht die zahlreichen anderen, noch sehr viel besser dokumentierten Fälle von Schreibtischtäterschaft der Bundesrepublik zum Anlaß genommen hat, die Bundesregierung vorzuführen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auch die Tatsache, daß gerade die US-Regierung wenig Grund hat, in diesen Angelegenheiten mit erhobenem Zeigefinger auf andere zu zeigen, schmälert nicht das Verdienst, diesen Skandal ausgelöst zu haben.
Wir müssen also inzwischen davon ausgehen, daß die Bundesrepublik so ziemlich alles zu liefern bereit ist, was tötet, wenn nur die Kasse stimmt, - an wen auch immer. Juristische Feinheiten werden hier keine Rolle spielen, auch in Zukunft nicht.
Bundesminister Haussmann ist in dieser Frage von moralischen Zweifeln noch immer nicht angekränkelt.
({1})
Sie, Herr Minister Haussmann, haben uns nämlich vorgestern auf einer Pressekonferenz verraten, warum die Bundesregierung einige juristische Veränderungen vornehmen will. Es geht Ihnen und der Regierung nicht darum, Massaker an Zivilisten und das Vergasen ganzer Dörfer zu verhindern. Minister Haussmann, Sie haben formuliert, die gesetzlichen Maßnahmen seien notwendig, um den Ruf der deutschen Wirtschaft zu schützen. Großartig, Herr Minister! Endlich zieht also Glasnost auch in Bonn ein. Massaker - scheißegal, Hauptsache, das Image bundesdeutscher Konzerne wird nicht belastet.
({2})
Solche offenen Worte wissen wir durchaus zu würdigen, Herr Haussmann. Sie wiesen dann noch darauf hin, daß die Wirtschaft „viel Verständnis" für die Politik der Regierung gezeigt habe, was nicht sonderlich erstaunlich ist. Sie brachten das auf den Punkt mit dem Satz: „Sie haben das gleiche Interesse wie wir. "
Wie schön, welche Idylle! Schreibtischtäter der deutschen Großindustrie leisten Beihilfe zum Massenmord, und dem Bundesminister für Wirtschaft fällt nichts anderes ein, als eine Interessengemeinschaft und -identität der Regierung mit der Wirtschaft zu proklamieren.
Andererseits: Nach Monaten des Vertuschens und der Lüge durch die Bundesregierung tut soviel Offenheit gut. Sie, Herr Minister Schäuble, tun sich da wesentlich schwerer, wenn Sie z. B. dem staunenden Publikum einreden möchten, bestimmte Informationen hätten bereits 1980 existiert, nur hätten Sie im Januar 1989 noch nichts davon gewußt. Wenn Herr Minister Schäuble gar meint, seit Januar habe sich das Bild eigentlich nicht verändert, zugleich aber inhaltlich in entscheidenden Punkten das Gegenteil von dem verkündet, was er im Januar erklärte, dann würde man sich doch wünschen, er holte sich bei seinem Kollegen Haussmann einige Nachhilfe an Zynismus und Offenheit.
Der Besitz und erst recht die Weiterverbreitung chemischer und biologischer Waffen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind eine unerträgliche Vorstellung. Wenn das in einer Region wie dem Nahen und Mittleren Osten geschieht, ist die Sorge natürlich besonders groß und angebracht, gleichgültig, ob die jeweiligen Waffen im Besitz des Iran, des Irak, Syriens, Ägyptens, Libyens oder Israels sind. Wir treten nach wie vor für ein völliges Verbot aller B- und C-Waffen überall auf der Welt ein und für entsprechende überfallartige Verifikationskontrollen. Alles andere sind Scheinlösungen, die ähnliche Vorgänge lediglich legalisieren.
Die Bundesregierung hat diesem Ziel einer weltweiten Ächtung dieser Waffensysteme schweren Schaden zugefügt und ihr Eintreten für ein weltweites völliges C-Waffen-Verbot, zuletzt in Paris, dem Verdacht bloßer Demagogie ausgesetzt. Dafür tragen Sie die volle Verantwortung, auch indem Sie die eben gerade eingeforderten Verifikationsmaßnahmen selber in Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten und vor allen Dingen den USA auf der letzten Konferenz verhindert haben.
Wir sind aber nicht allein für ein Verbot von B- und C-Waffen, sondern für eine völlige Beseitigung sämtlicher Massenvernichtungswaffen überhaupt. Die Vorstellung etwa, Atombomben oder bestimmte konventionelle Waffensysteme seien erträglicher als chemische Waffen, wäre völlig absurd. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist eine Initiative der Bundesrepublik zur Beseitigung sämtlicher Vernichtungsmittel längst überfällig.
({3})
Schließlich reicht es auch nicht aus, mit erhobenem bundesdeutschem Zeigefinger nur immer nach außen zu weisen. Zahlreiche Stoffe, die in bestimmten anderen Ländern sehr wohl zweifellos als C-Waffen-Komponenten aufgefaßt würden, lagern mit großer Selbstverständlichkeit als zivile Chemikalien in Chemiekonzernen der Bundesrepublik. Wir GRÜNEN haben seit langem - ich wiederhole diese Forderung hier - eine grundlegende Umstrukturierung der chemischen Industrie bei uns und deren Entgiftung gefordert. Wir klagen diese auch heute ein.
({4})
Schließlich sollten wir auch nicht vergessen, daß auch bei uns B-Waffen-Forschung betrieben und zum Teil aus dem Verteidigungshaushalt finanziert wird. Dies mag unter der harmlosen Überschrift „B-WaffenSchutz-Forschung " firmieren; jeder unabhängige Experte weiß aber inzwischen, daß es eine Trennung von offensiver Forschung und Schutzforschung auf diesem Gebiet nicht geben kann und nicht geben wird.
({5})
Wir fordern daher erneut die sofortige Einstellung der entsprechenden Projekte in der Bundesrepublik. Ein Antrag liegt Ihnen dazu heute vor. Wir bitten um Ihre Zustimmung, wenn Ihnen tatsächlich an einer Beseitigung der B- und C-Waffen gelegen ist, wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, nicht weiterhin stille Beihilfe zum Massenmord zu leisten.
({6})
Die Bundesregierung hat als Reaktion auf diesen Skandal einige Maßnahmen vorgeschlagen. Es ist aber deutlich, daß es sich dabei lediglich um Imagepflege und eine Begrenzung des außenpolitischen Schadens, insbesondere im Verhältnis zu den USA, handelt, nicht aber um eine politische Kehrtwende. Es handelt sich um eine politische Kosmetik zur Beruhigung der internationalen Öffentlichkeit. Sie werden sich - das verspreche ich Ihnen - damit nicht einer Untersuchung z. B. der Lieferung von Mykotoxin und biologischen Waffen und der Herstellung dieser Waffen und Kampfstoffe sowie der dazu geleisteten Beihilfe an den Irak entziehen können.
Die GRÜNEN fordern ein Verbot sämtlicher Massenvernichtungswaffen weltweit und sämtlicher Forschung an B- und C-Waffen.
({7})
Wir werden zu diesem und auch zu noch nicht angesprochenen Fragen in der nächsten Woche einen Untersuchungsausschuß beantragen. Sollte der Protest der SPD gegen das Vorgehen der Bundesregierung ernst sein und die Jahreszahl 1980 keinen Hintergrund haben, erwarten wir auch Ihre Unterstützung für diesen Untersuchungsausschuß.
({8})
Das Übel muß an der Wurzel gepackt werden.
Sie, Herr Kohl - wo ist er überhaupt; hat er sich wieder verdrückt: „Augen zu und durch"? ({9})
und Sie, Herr Haussmann und Herr Schäuble, tragen die politische Mitverantwortung . . .
Frau Abgeordnete Beer, Sie haben jetzt - Frau Beer ({0}): . . . für den bereits erfolgten Einsatz von Giftgas gegen Kurden. Sie sind zugleich politisch mitverantwortlich für mögliche zukünftige Massenmorde in der Dritten Welt an der Zivilbevölkerung.
({1})
Frau Abgeordnete Beer, ich kann diese Aussagen absolut nicht dulden. Man kann sich hier nicht mit einem hohen moralischen Anspruch hinstellen und dies mit einer Sprache tun, die in völligem Gegensatz zu Ihren Aussagen steht
({0})
- ich habe Ihnen zugehört; sonst säße ich hier nicht - und Urteile aussprechen, die Sie so nicht aussprechen können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es gilt auch in diesem Fall aus etwaigen Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Möglicherweise hat es Unzulänglichkeiten in der Handhabung der Informationen über die Vorgänge um die Anlage zur Produktion chemischer Waffen in Rabta gegeben.
Nun legt der Bericht der Bundesregierung minuziös dar, wann die ersten Hinweise auf die Erstellung einer Anlage für chemische Kampfstoffe gegeben worden sind und welche Konsequenzen die deutschen Behörden jeweils daraus abgeleitet haben. Die Bundesregierung ist für diesen Bericht ausdrücklich zu loben. Er verschweigt nichts,
({0})
er stellt lückenlos dar, und er ist eine gute Grundlage für eine vollständige Aufarbeitung möglicher Versäumnisse bei Vergangenheit.
({1})
Es kann an dieser Stelle nicht darauf ankommen zu diskutieren, welche Einzelpersonen oder Firmen Schuld auf sich geladen haben. Dies ist eindeutig Sache der Strafverfolgungsbehörden, die zur Zeit tätig sind. Ein guter Grundsatz gebietet, nicht in laufende Ermittlungen einzugreifen und schon gar nicht Vorverurteilungen von dieser Stelle aus zu verkünden.
({2})
Ich gehe davon aus, daß die deutsche Justiz ihres Amtes waltet.
Für uns hier muß es darum gehen, die Angelegenheit politisch aufzuarbeiten und die notwendigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen und diese dann so schnell wie möglich umzusetzen.
Die Reaktionen auf die verschiedenen Nachrichten, die auf eine solche Anlage hindeuten, werden heute,
aus der Rückschau, als nicht immer richtig, nicht energisch genug und nicht durchgreifend genug empfunden.
Inzwischen hat die Bundesregierung die richtigen Schritte unternommen. Die strafrechtliche Verfolgung ist eingeleitet und läuft.
Weiter ist es durch intensive Arbeit gelungen, innerhalb von zwei Monaten eine Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes vorzulegen, die gleichartige Vorgänge in Zukunft wirksam unterbinden soll.
({3})
Gleichzeitig, meine Damen und Herren, wird von der Bundesregierung ein Gesetzentwurf vorbereitet, der die Mitwirkung deutscher Staatsbürger auch im Ausland an der Herstellung sowie dem Vertrieb chemischer Kampfstoffe und verbotener Substanzen unter scharfe Strafen stellt. Damit wird die Mittäterschaft an solch verwerflichen Aktivitäten eindeutig als kriminelles Unrecht gebrandmarkt und auch gegenüber den Unternehmen, die nach wir vor nicht eines Besseren belehrt sind, eindeutig klargemacht, daß es sich eben nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern um ein wirklich ernstzunehmendes Vergehen gegen unsere Rechtsordnung, gegen die Völkergemeinschaft und gegen den Frieden in der Welt handelt. Wer so gegen elementare deutsche außenpolitische Interessen handelt, muß schärfstens bestraft werden.
({4})
Meine Damen und Herren, ich möchte aber die deutsche Wirtschaft ausdrücklich gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, es gebe eine Art unterschwelliger Kumpanei, die augenzwinkernd Geschäfte jeglicher Art ohne Rücksicht auf die endgültige Verwendung der Produkte und Anlagen abwickle.
({5})
Deutsche Unternehmen, meine Damen und Herren, sind weltweit nicht die erste Adresse für den Bezug aller Bestandteile zur Herstellung mörderischer Instrumente für diktatorische Regimes und Regierungen.
({6})
Ich darf noch einmal auf das hinweisen, was ich in der letzten Sitzungswoche hier in der Tornado-Debatte gesagt habe: Bei einem Exportanteil am Bruttosozialprodukt in Höhe von 500 Milliarden DM beträgt der Rüstungsanteil gerade 0,45 %. Diese Relation macht deutlich, wie gering die Bedeutung der deutschen Rüstungsexporte für unsere Gesamtwirtschaft ist.
Meine Damen und Herren, unsere zentrale Forderung zur Bekämpfung nicht nur der Produktion, sondern auch der Lagerung und der Anwendung chemischer Waffen ist nach wie vor ein weltweites Verbot chemischer Waffen, das auch verifizierbar und mit Sanktionen bewehrt ist. Nur dann, wenn wirklich in allen Ländern der Welt chemische Waffen nicht mehr produziert, gelagert und für den Einsatz bereitgehal9276
ten werden, können solche Fälle wie Libyen in Zukunft ausgeschlossen werden.
Die Verantwortung für solche Vorgänge liegt nicht allein bei den Ländern, in denen geschickte Aufkäufer zielgerichtet Bestandteile für Chemieanlagen zusammenkaufen, die dann in geheimen Aktionen umgelenkt und zusammengebaut werden. Eine Mitverantwortung liegt auch bei den Ländern, die nach wie vor auf der Produktion und der Lagerung chemischer Waffen beharren und sich einem weltweiten Verbot, das die Bundesregierung seit langem fordert, widersetzen.
({7})
Meine Damen und Herren, es bedarf nun aller Anstrengungen, Libyen an der Fertigstellung der Anlage zu hindern. Gefordert sind hierbei sowohl ausländische Zulieferer als auch die gesamte arabische Staatenwelt. Der Einfluß und das hohe Ansehen deutscher Außenpolitik lassen diese Aufgabe nicht unlösbar erscheinen.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Keiner sonst, meine Damen und Herren, kann in Anspruch nehmen, mit größerem Engagement für eine weltweite Ächtung chemischer Waffen einzutreten.
({8})
Verfehlungen einzelner Firmen, die sich aus kurzfristigen geschäftlichen Interessen in solch miese, schmierige und überaus verwerfliche Geschäfte eingelassen haben, können doch nicht im Ernst unserer Politik angelastet werden.
({9})
Es darf nicht in Vergessenheit geraten, meine Damen und Herren, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, schließlich das einzige Land in der Welt sind, das völkerrechtlich verbindlich auf die Herstelluna und die Nutzung bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtet hat.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die Überprüfung der sehr konkreten Mitteilung der Deutschen Botschaft in Moskau, die bereits 1985 auf die Firma Imhausen hinwies, durch deutsche Nachrichtendienste das Ergebnis erbrachte, die Bestellung von Glasrohren anstatt metallischer Rohre für eine chemische Anlage lasse keinesfalls den Schluß zu, daß hier chemische Waffen hergestellt werden sollten. Wie soll denn eine Administration, meine Damen und Herren, bei solchen Auskünften zu dem Eindruck kommen, es handele sich um wirklich stichhaltige Informationen, die ein sofortiges Einschreiten notwendig machten! Gleichwohl ist festzuhalten, daß das Auswärtige Amt alle Informationen an die zuständigen Behörden weitergegeben hat.
Eine weitere Schlußfolgerung aus dem vorigen ist, daß nicht nur eine Intensivierung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit der Geheimdienste unbedingt notwendig ist. Es geht auch darum, die Zusammenarbeit der Genehmigungsbehörden weiter zu verbessern und wirksame Endverbleibskontrollen über einen Zeitraum nach Lieferung der Anlagen
hinweg durchzuführen. Was nützt denn auch die beste Genehmigungspraxis, wenn, wie in diesem Falle, eine zivile Anlage nach Hongkong geliefert wird, aber dort zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgebaut und als militärische Anlage anderswo wieder aufgebaut wird.
({10})
Meine Damen und Herren, trotz aller überzeugender Schritte, welche die Bundesregierung eingeleitet hat und die sicherlich auch dazu geeignet sind, die Wiederholung eines Falles wie Rabta zu vermeiden, wird es in keinem Land der Erde ein wasserdichtes Kontrollsystem geben können.
Herr Abgeordneter Beckmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Nein, Frau Präsidentin. Der Kollege Gansel hat gleich nach mir die Gelegenheit zu reden. Ich möchte meine Gedanken hier fortführen.
Meine Damen und Herren, insbesondere die Bundesrepublik mit 1,4 Millionen Einzelausfuhren im Monat kann keine absolut vollständige und lückenlose Kontrolle ihrer Exporte vornehmen. Wir sind unter den Exportländern dieser Welt die Spitze. Ich wage zu behaupten, daß sich über 99 % unserer Ausfuhren strikt an den Gesetzen und Vorschriften orientieren. Die deutsche Wirtschaft ist kein Sammelbecken von Kriminellen und zwielichtigen Waffenlieferanten,
({0})
sondern sie besteht überwiegend aus ehrenhaften und vernunftbegabten Kaufleuten und Ingenieuren, die auf den Weltmärkten viel Vertrauen und Anerkennung genießen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Beckmann: Ja, bitte sehr, Frau Präsidentin.
Herr Kollege, wie verträgt sich Ihre vorige Aussage, daß die Anlage aufgebaut und wieder abgebaut worden ist, mit mehreren Hinweisen, zum Beispiel dem Hinweis vom 24. November, daß die Fracht auf See umdeklariert worden ist?
({0})
Lieber Herr Kollege, ich habe Ihnen eben gesagt, daß auch eine ganze Reihe von Hinweisen des Bundesnachrichtendienstes - insbesondere Herr Minister Schäuble hat eben darauf hingewiesen - zu wenig konkret waren, um ein aktuelles Eingreifen der Bundesregierung herauszufordern. Wir wissen, daß aus dem unglaublich starken und großen Material, das vorliegt, nicht immer gleich das herBeckmann
ausgefiltert werden kann, was Anlaß zum Eingreifen bietet.
({0})
- Aber in diesem Fall noch nicht konkret genug.
({1})
Meine Damen und Herren, unser liberales Außenhandelssystem steht für meine Fraktion nicht zur Disposition. Ein System des Mißtrauens und der überbordenden Bürokratie wird es mit uns nicht geben.
({2})
Auch angesichts der Vorwürfe, die gegen das Bundesamt für Wirtschaft erhoben werden, muß festgehalten werden, daß diese Behörde angesichts der Anforderungen, die an sie gestellt werden, einen enorm schwierigen Stand hat. Meine Fraktion spricht sich deswegen dafür aus, daß die geplante Reorganisation und die bessere Ausstattung in dieser Behörde schnellstmöglich vollzogen wird, damit dann die gesetzlichen Anforderungen auch wirksam umgesetzt und vollzogen werden können. Wir begrüßen daher ausdrücklich die vom Bundeskabinett am Mittwoch beschlossenen diesbezüglichen Maßnahmen und bieten der Bundesregierung hierzu jede palamentarische Unterstützung an.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Haussmann.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen! Neben der dringenden Analyse der Vorgänge der Vergangenheit kommt es entscheidend darauf an, was in Zukunft veranlaßt werden kann, um kriminelle Machenschaften im deutschen Export bestmöglich auszuschließen. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat deshalb in kürzestmöglicher Zeit Gesetzentwürfe entwickelt, die zur drastischen Verschärfung unseres Exportkontrollsystems beitragen. Dabei sind sich Freie Demokraten, Union, und, wie ich seit gestern weiß, auch Sozialdemokraten im Gegensatz zu den GRÜNEN einig, daß der deutsche Export allgemein nicht kriminalisiert werden kann. Hinter dem Export, dem damit verbundenen Wohlstand und der Beschäftigung für unser Land stehen Tausende von Unternehmen, Millionen von Beschäftigten, deren Verhalten ohne jede Beanstandung ist und die es nicht verdient haben, in die Nähe der Vorgänge von Rabta gebracht zu werden. Ich kann den GRÜNEN nur empfehlen, die Ermahnung der Präsidentin ernst zu nehmen: Moralischer Anspruch und Sprache der GRÜNEN klaffen auseinander.
({0})
Es ist unglaublich, meine Damen und Herren, daß hier
Mitgliedern einer demokratisch gewählten Regierung
vorgehalten wird, sie würden zur stillen Beihilfe zum Massenmord beitragen. Das ist unglaublich.
({1})
Die drastische Verschärfung unserer Exportkontrollen und die Neueinführung von abschreckenden Strafen sind notwendig, und dazu bekennt sich der Wirtschaftsminister ausdrücklich. Ich füge aber auch hinzu, daß z. B. gestern der australische Wirtschaftsminister mir ausdrücklich versichert hat - wörtlich - : Deutsche Kaufleute sind ehrlich, auf ihr Wort kann man sich verlassen.
({2})
Was wird sich also in Zukunft ändern?
Erstens. Die Strafbestimmungen werden in Zukunft eine abschreckende Wirkung haben. In Zukunft wird jede Zulieferung von Anlagen, Vorprodukten und Technologien, mit denen B- oder C-Waffen-Anlagen im Ausland gefördert werden, ein Verbrechen sein. Dies wird so sein, und zwar unabhängig davon, ob die Sicherheit oder die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik im Einzelfall wirklich gefährdet werden. Bei A-Waffen wird eine entsprechende Strafandrohung geprüft. Wer in Zukunft dagegen verstößt, riskiert einen Strafrahmen von bis zu 15 Jahren Haft. Ich bin sicher, daß sich in den parlamentarischen Beratungen Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen der SPD, wie sie in deren Entwurf von 1988 bereits zum Ausdruck kamen, finden werden. Die Überlegungen der Bundesregierung beim Strafrahmen gehen über den seinerzeitigen Entwurf der SPD sogar hinaus.
({3})
Auch die Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz können demnächst mit höheren Strafen - bis zu fünf Jahren - geahndet werden.
({4})
Die Beeinträchtigung der Sicherheit und der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik braucht nicht mehr konkret nachgewiesen zu werden, Gefährdung reicht in Zukunft aus. Die Bundesregierung hat die Erhöhung des Strafrahmens auf fünf Jahre schon im vergangenen Jahr im Parlament eingebracht. Bei den Bußgeldern kommt es zu einer Verdoppelung. Ich setze mich darüber hinaus dafür ein, daß in Zukunft eine Abschöpfung des Bruttoerlöses möglich wird,
({5})
so daß in solchen Fällen in Zukunft die Existenz der betroffenen Firma auf dem Spiel steht. Nur das hat eine abschreckende Wirkung.
Zweitens. Mit neuen Ausfuhrverboten erstrecken wir die bisher nur gegenüber Osteuropa geltenden Kontrollen in Zukunft auch auf andere Länder. Nur der OECD-Bereich, mit dem wir kontrollpolitisch kooperieren, bleibt ausgeklammert. So wird sich zukünftig niemand mehr ungestraft öffentlich zu seinen Geschäften mit Vorprodukten für biologische Kampfstoffe direkt zwischen USA und Iran bekennen können. Anlagen, mit denen man Biologiewaffen herstel9278
len kann, werden ebenso wie die schon bisher kontrollierten Anlagen im chemischen Bereich unter Genehmigungsvorbehalt gestellt.
Für besonders wichtig halte ich die von der Chemieindustrie akzeptierte und mitgetragene Erweiterung der Verbotsliste um acht zusätzliche chemische Stoffe. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht die Kooperation der Chemieindustrie, ihrer Mitarbeiter und ihrer Betriebsräte haben, wird es in Zukunft auch nicht möglich sein, durch den Staat allein lückenlos zu kontrollieren. Deshalb begrüße ich die Zusicherung unseres Kollegen, des Vorsitzenden der IG Chemie, Herrn Rappe, sich an diesen Kontrollen in Zukunft ganz stark und lückenlos zu beteiligen.
Mit dann insgesamt 17 Positionen unter staatlicher Kontrolle werden wir in Zukunft genau den gleichen kontrollpolitischen Standard wie die Vereinigten Staaten von Amerika aufweisen. Es kommt aber mehr als bisher darauf an, diesen Standard auch für andere Länder international zu harmonisieren. Die deutsche Chemieindustrie hat deutlich gemacht, daß auch sie mit ihren ausländischen Kooperationspartnern darauf hinwirken muß.
In der öffentlichen Diskussion wird drittens zu Recht festgestellt: Es geht nicht allein um Gesetze oder Vorschriften, sondern es kommt in Zukunft entscheidend auf die praktischen Möglichkeiten ihrer Durchsetzung an, die über den Erfolg unserer Außenwirtschaftskontrolle entscheiden. Es ist die Frage, wie eine bessere Zusammenarbeit der betroffenen Behörden organisiert und wie überhaupt die personelle, aber auch die informationstechnische Ausstattung verbessert werden kann. Für die intensivere Zusammenarbeit der Behörden kommt es darauf an, daß der Datenverbund verbessert wird und daß wir uns trotzdem ausführlich auch mit Datenschutzregelungen beschäftigen. Auf jeden Fall läßt sich schon heute sagen, daß die Datenbasis der Behörden in Zukunft wesentlich größer sein wird. Ich nenne hier beispielhaft die vorgesehene Meldepflicht für alle Hersteller von Anlagen, mit denen man bei mißbräuchlicher Verwendung Kampfstoffe produzieren kann.
Über die nötigen Personalverstärkungen werden wir uns in Kürze mit dem Bundesminister der Finanzen einigen. Ich habe für meinen Verantwortungsbereich, d. h. vor allem für das Bundesamt für Wirtschaft, eine Verdreifachung des Kontrollpersonals gefordert. Es würde absolut keinen Sinn machen und wäre auch international nicht glaubwürdig, wenn wir nur Vorschriften erlassen würden, aber in Zukunft nicht die dringend notwendigen Fachleute für ihre Anwendung zur Verfügung hätten und einsetzen würden.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Verhinderung der Verbreitung von Technologien für militärische Zwecke wird eines der ganz wichtigen internationalen Anliegen der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein. Wir sind hier dringend auf internationale Zusammenarbeit angewiesen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bedaure. Ich möchte die Redezeit der Regierungsmitglieder nicht ausdehnen und komme deshalb zum Schluß.
Wir sind bereit, alles zu tun, was ohne Aufgabe der Grundphilosophie der deutschen Außenwirtschaftsgesetzgebung an wirksamen Beschränkungen, Kontrollen und abschreckenden Strafen einzurichten ist. Ich bin sicher, die vorgesehenen Verschärfungen werden dem friedensfördernden Anspruch unseres Landes gerecht. Die nötige Zusammenarbeit mit den Dienststellen, mit der deutschen Wirtschaft, mit den Betriebsräten ist gesichert. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit werden jetzt Lehren gezogen, die auch morgen noch gültig sein werden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben in der Nacht vom 14. zum 15. April einen militärischen Schlag gegen Libyen unternommen.
Mit diesen Worten begann am 16. April 1986 eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Bundestag.
Erinnern wir uns: Anlaß für den Angriff amerikanischer Bomber auf das Hauptquartier Gaddafis in Tripolis war der blutige Anschlag auf die Diskothek „La Belle" in Berlin, bei dem zwei amerikanische Soldaten getötet und über 200 Deutsche und Amerikaner zum Teil schwer verletzt worden waren. In Tripolis gab es ein Vielfaches an Toten und Verletzten.
Damals antwortete Hans-Jochen Vogel auf die Regierungserklärung, die der Bundeskanzler übrigens persönlich abgegeben hatte. Hans-Jochen Vogel betonte unser Verständnis für die Empörung der Amerikaner, die so oft Opfer terroristischer Anschläge geworden seien, aber er verurteilte die Militäraktion gegen Libyen, die schon deshalb mit dem Völkerrecht nicht vereinbar sei, weil sie den Tod auch gänzlich unbeteiligter Menschen verursacht habe. Unser Fraktionsvorsitzender äußerte auch Zweifel an den - ich zitiere - „bisher nicht bestätigten Beweise({0}) für die Urheberschaft Libyens an dem ... Terroranschlag in Berlin".
Der Bundeskanzler hatte zuvor beteuert, daß bei dem Terroranschlag in Berlin - ich zitiere erneut aus dem Bundestagsprotokoll vom 16. April 1986 -„nachrichtendienstliche Erkenntnisse eindeutig für die Steuerung durch offizielle libysche Stellen" sprächen. Er habe - Zitat - „beweisfähige nachrichtendienstliche Quellen dafür". Originalton Kohl: „ich betone noch einmal, daß diese Quellen nach meiner Überzeugung beweisfähig sind. " Das war nach dem Bombenangriff auf Tripolis.
Der Bundeskanzler stützte sich bei dieser Regierungserklärung auf ganze zwei nachrichtendienstliche Meldungen des deutschen und amerikanischen Geheimdienstes über die Hintergründe des Terroranschlags vom 6. April 1986 in Berlin.
Wir wissen nun seit einiger Zeit, daß die Spuren der Verantwortung für dieses schreckliche Attentat weniger nach Libyen und mehr in ein anderes Land des Nahen Ostens weisen. Aber seit drei Tagen, seit Vorlage des Schäuble-Berichtes, wissen wir, daß zum Zeitpunkt jener Regierungserklärung im April 1986 bei den verschiedenen Dienststellen der Bundesregierung bereits acht Meldungen des Bundesnachrichtendienstes über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer Giftgasproduktion eingegangen waren, die erste 1984, Seite 9 des Berichtes.
Am 16. April 1986 erklärte der Bundeskanzler - ich zitiere - , Libyen sei „das Zentrum des internationalen Terrorismus", die Bundesregierung - Zitat - sei „entschlossen, den Terrorismus mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen" . Was ist im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung danach geschehen, um zu verhindern, daß sich dieses Libyen den Zugang zu den schrecklichsten Terrorwaffen verschaffen konnte, zu chemischen und womöglich auch noch zu biologischen Waffen? Warum sind die schon damals vorhandenen Erkenntnisse nicht konzentriert, nicht ausgewertet und nicht in politische Maßnahmen umgesetzt worden? Wer in dieser Bundesregierung hat dafür die Verantwortung, oder wer übernimmt sie wenigstens?
({1})
Herr Abgeordneter Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Geiger?
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen als der Sprecherin der Regierungsfraktion gern die Chance zur Frage, aber erst muß der Bundeskanzler die Chancen zur Antwort haben.
({0})
Es mag in Ihrem Interesse liegen, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier schweigen. In der Sache ist es schlichtweg unwürdig.
({1})
- Bitte sehr.
Herr Gansel, da Sie dem Bundeskanzler vorwerfen, daß er auf verschiedene Hinweise zu spät geachtet habe, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß es, wie Sie wissen, schon 1980 Hinweise gegeben hat, und da gab es eine ganz andere Regierung. Hat denn diese Regierung auf diese Hinweise hin stärkere Maßnahmen ergriffen, hat sie stärker darauf geachtet?
Es gehört zu den Besonderheiten dieser Bundesregierung, daß das erste, was man über den Bericht erfahren hat, eine Indiskretion mit dem Ziel war, die Regierung Helmut Schmidt in Verdacht zu bringen. Sie wissen genau, daß es bis 1984 nur allgemeine Hinweise gab, Hinweise, die wir auch aus anderen Quellen hatten, daß Gaddafi die Atombombe gern hätte und, wenn nicht, dann chemische Waffen.
1984 gab es den ersten Hinweis auf eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen.
({0})
Frau Hamm-Brücher, die den Bericht - offenbar im Gegensatz zu Ihnen - gelesen hat, nickt mit dem Kopf. So war es. Sie können hier nichts vertuschen, Frau Kollegin.
({1})
Ich habe nämlich den Bericht der Bundesregierung genau gelesen, und ich habe gezählt: Bis Ende vergangenen Jahres hat die Bundesregierung allein von den USA auf Arbeitsebene der Geheimdienste und in politischen Spitzengesprächen 15 Hinweise erhalten auf eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an der libyschen Giftgasproduktion. Bis zum Januar dieses Jahres hat die Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts getan, um durch behördliches Eingreifen illegale Exporte deutscher Firmen zu verhindern oder gegebenenfalls zu stoppen.
Vor 14 Tagen haben wir in der Debatte die Bundesregierung gefragt: „Wer wußte was und wann?" Ihr umfangreicher Bericht, Herr Schäuble, gibt darauf viele bemerkenswerte und auch mutige Antworten. Aber auf unsere weitere Frage: „Wer hat was veranlaßt oder unterlassen, und wer trägt dafür die Verantwortung?" antwortet dieser Bericht nicht. Herr Schäuble hat auch heute nicht darauf geantwortet. Und der Bundeskanzler? Will er noch antworten?
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Nun könnte man diese demonstrierte verantwortungslose Untätigkeit der Bundesregierung damit entschuldigen, daß sie zu den amerikanischen Quellen über eine deutsche Beteiligung an der Giftgasfabrik in Libyen kein Vertrauen gehabt habe, nachdem sich die amerikanischen Quellen über die libysche Steuerung des Attentats in Berlin als falsch erwiesen hatten.
Dagegen spricht aber, daß die Bundesregierung aus eigenen Quellen, aus Berichten des Bundesnachrichtendienstes und ihrer Botschaften aus Moskau und Tripolis zu einer möglichen Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasfabrik, umfangreiche eigene Erkenntnisse hatte.
In diese Rubrik fallen genau 17 Meldungen bis zum Mai 1988. Warum, um Gottes willen, haben Sie nichts getan, nachdem Ihnen sogar die Namen von Firmen bekanntgeworden sind? Ende Mai 1988 hatten Sie Hinweise auf sechs namentlich genannte deutsche Firmen und auf ein Bundesunternehmen.
Sie haben immer wieder versucht, sich damit herauszureden, daß keine gerichtsverwertbaren Beweise vorgelegen hätten. Aus Ihrem Bericht ergibt sich aber, daß u. a. deutsche Geschäftsleute Informanten für die Berichte der Botschaften und des Bundesnachrichtendienstes gewesen sind. Solche Informanten sind Zeugen und klassische Beweismittel nach der Strafprozeßordnung. Sie stehen heute zur Verfügung, und sie standen auch damals zur Verfügung.
Aber es hätte solcher Zeugenaussagen auch gar nicht bedurft; denn staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den verdächtigen Firmen hätten auf Grund der tatsächlichen Anhaltspunkte, die reichlich vorhanden waren, in Gang gesetzt werden können. Die Berichte enthielten genügend Material für die Einschaltung der Staatsanwaltschaften. Sie sind diesen aus Gründen vorenthalten worden, die wir wirklich bis heute nicht verstehen. Die Staatsanwälte haben erst auf Grund von Presseberichten Mitte Januar 1989 tätig werden können.
Was hätte an Zuspitzung vermieden werden können, wenn diese Bundesregierung schon 1986 gehandelt hätte, ja wenn dieser Bericht schon damals zu Initiativen geführt hätte!
({3})
1986, Herr Bundeskanzler, hatten Sie zwei Geheimdienstberichte, und Sie hielten diese beiden Geheimdienstberichte für ausreichend, um einen Bombenangriff der Amerikaner auf Tripolis hier im Plenum zu begründen.
Ende 1988 verfügten Sie über 36 solcher Berichte und einiges mehr, und Sie verlangten immer noch gerichtsfeste Beweise für eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen bei der Giftgasproduktion in Libyen, um in Frankfurt einen Staatsanwalt in Marsch zu setzen.
Erst unter massivem Druck der US-Administration haben Sie sich träge zu Einsichten bequemt, die in unserem nationalen Interesse schon längst zu Handlungen hätten führen müssen.
({4})
Am 15. November 1988 sind Bundeskanzler Kohl und Bundesminister Genscher bei ihrem Besuch in Washington noch einmal die Erkenntnisse und Besorgnisse der amerikanischen Regierung durch Außenminister Shultz vorgetragen worden. Was haben Sie, meine Herren, daraufhin getan? - Eine Sitzung!
Das Protokoll des geheimsten und für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik wichtigsten Entscheidungsgremiums, des Bundessicherheitsrates, verzeichnet darüber - ich zitiere von Seite 23 des Berichtes den Bundeskanzler im Originalton - :
In den Produktionsstätten in der Wüste würde ein gewaltiges Potential chemischer Waffen hergestellt. Ein beachtlicher Teil der Geräte solle deutscher Herkunft sein, und deutsche Fachleute sollten beteiligt sein ... Zunächst einmal müßten wir uns ein klares Bild darüber verschaffen, welche Informationen in den USA vorlägen. Darüber hinaus wäre zu überlegen, was wir tun könnten. Wenn unsere Gesetze nicht ausreichten, müßten wir neue schaffen.
Theodor Heuss hat einmal gesagt, in der Politik gehe es wirklich so zu, wie es sich der kleine Fritz vorstelle. Hätte Heuss, der einen Konrad Adenauer zum Partner hatte, sich dabei auch vorstellen können, daß sich der selbsternannte Enkel Adenauers als Bundeskanzler auch wie der kleine Fritz aufführen würde?
Die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind so geheim, daß man davon ausgehen kann, daß die Leute dort so reden, wie sie wirklich sind. Ich zitiere den Bundeskanzler noch einmal:
Wenn unsere Gesetze nicht ausreichten, müßten wir neue schaffen.
Hätten Sie unserem Gesetzentwurf im Dezember 1986 zugestimmt, so hätten Sie sich diese Überlegung sparen können.
({5})
Nun hat die Bundesregierung in der Tat am 20. Dezember 1988 einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Bundesrat hat ihn vor ein paar Tagen beraten. Heute kommt ein weiterer Gesetzentwurf. Vielleicht wird das alles nach der Sommerpause verabschiedet werden und in Kraft treten. Es wird hoffentlich verhindern, daß in den nächsten Jahren wieder eine Giftgasanlage mit deutscher Hilfe irgendwo in der Welt gebaut wird. In der gegenwärtigen Situation hilft es überhaupt nicht.
Viele haben sich gewundert, warum die amerikanische Regierung die verbündete deutsche Regierung zu Beginn dieses Jahres wie bockige Kinder behandelt hat. Heute wundert uns nichts mehr. Aber uns erbittert heute, daß wir nachträglich erkennen müssen, welche Gefahren durch Ihre Mischung von Dilettantismus und Bockigkeit ausgelöst worden sind. Spätestens als um die Jahreswende ein starker amerikanischer Flottenverband im Mittelmeer vor der libyschen Küste aufmarschierte, mußte die Bundesregierung ins Kalkül ziehen, daß die Amerikaner einen neuen militärischen Schlag gegen Libyen, und zwar diesmal gegen die Giftgasfabrik in Rabta, planen. Sie haben nichts getan, um eine mögliche militärische, d. h. kriegerische und völkerrechtswidrige Lösung des Konflikts zu verhindern. Sie haben im Gegenteil durch Ihr öffentliches Abstreiten und ihre verbalen Attacken gegen die Amerikaner bei diesen den Eindruck erweckt, sie seien mit ihren Problemen alleingelassen, und das Gesetz des Handelns liege jetzt bei ihnen und ihrer Mittelmeerflotte. Der Abschuß der beiden libyschen Düsenjäger war mehr als eine bloße Drohgebärde. Es hätte viel schlimmer kommen können. Ich behaupte, ich befürchte: Es kann noch schlimmer kommen.
Am 16. April 1986, drei Tage nach dem Bombenangriff auf Tripolis, meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" :
Reagan warnt: Wenn nötig, werden wir es wieder tun.
Am Mittwoch dieser Woche meldete die „Welt" :
Bush: Bedrohung - Die Inbetriebnahme der libyschen Giftgasfabrik in Rabta wäre nach Auffassung von US-Präsident Bush nicht akzeptabel, sie wäre eine Bedrohung.
Sie lesen doch Zeitung?
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Begreifen Sie denn auch, daß hinter der Erklärung der neuen amerikanischen Präsidenten die unverhohlene Drohung steht, die libysche Giftgasfabrik vor ihrer Inbetriebnahme zerstören zu wollen? Der ameriGansel
kanische Flottenverband operiert noch immer im Mittelmeer. Er ist inzwischen verstärkt worden. Nach den neueren Erkenntnissen über die Hintergründe des Flugzeugattentats über Lockerbie wird die Situation noch brisanter. Experten schätzen, daß eine Salve von zwölf konventionellen Tomahawk-Geschossen ausreicht, um die Giftgasfabrik in Rabta aus einer Entfernung von 150 Meilen zu vernichten. Die Einheiten, die sich um den Flugzeugträger Roosevelt gruppieren und vor der libyschen Küste stehen, verfügen über die nukleare und konventionelle Version dieses Marschflugkörpers, der besonders für Landziele konstruiert ist.
Die dringlichste Aufgabe ist heute deshalb nicht, über Gesetzgebungsentwürfe zu beraten. Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten tun. Hätten Sie unserem Gesetzentwurf zur Kriegswaffenkontrolle im Dezember 1986 zugestimmt, als Ihnen schon über ein Dutzend Berichte zu den Rüstungsexportaktivitäten deutscher Firmen in Libyen vorlagen, so wäre manches vermieden worden, und wir könnten uns heute manches sparen.
({7})
Aber heute geht es entscheidend darum, zu erfahren, was die Bundesregierung tun wird, damit die illegale Beihilfe deutscher Firmen im Zusammenhang mit der Giftgasfabrik in Libyen rückgängig gemacht werden kann. Das muß wegen der Gefahr der Giftgasfabrikation geschehen, aber auch deshalb, damit die USA jede Begründung für einen militärischen Schlag fallenlassen müssen. Eine völkerrechtliche Begründung für eine solche Gewaltmaßnahme gibt es zur Zeit ohnehin nicht. Es ist ja noch nicht einmal ein weltweites völkerrechtlich verbindliches Verbot der C-Waffen in Kraft getreten, und die USA tragen daran ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung.
Aber auch begrenzte und gezielte kriegerische Interventionen - low intensity warfare heißt die neue Strategie für die Dritte Welt- bergen in unserer gefährdeten Situation eine große Gefahr, auch wenn die Supermächte sie als Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln betrachten mögen. Leider wird es solche selbsternannten Weltpolizisten geben, vielleicht sogar geben müssen, solange die UNO nicht über die erforderlichen Machtmittel verfügt, Frieden und Recht zu gewährleisten.
Wie kann in dieser Lage unseren politischen Interessen und denen unserer Verbündeten und wie kann in dieser Lage dem Völkerrecht und dem Frieden gedient werden? Sie, meine Herren Realpolitiker, mögen das für eine vermessene Frage halten. Wir Sozialdemokraten sagen Ihnen: Nur auf der Basis des Völkerrechts kann dem Frieden dauerhaft gedient werden.
({8}) Das gilt auch in der aktuellen Situation.
Wenn auch der Bau einer Giftgasfabrik durch Libyen völkerrechtlich nicht verboten ist, so ist es doch ein Völkerrechtsdelikt, wenn die libysche Regierung die öffentliche Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland bewußt und planmäßig verletzt, indem sie in ihrem Auftrag handelnde Mittelsmänner benutzt, um unter Täuschung unserer Behörden aus der Bundesrepublik Deutschland Pläne und Komponenten für den Bau ihrer Giftgasfabrik zu erhalten.
({9})
Die Pläne und die Komponenten, die die Fabrik funktionsfähig machen können, stammen aus der Bundesrepublik. Libyen ist deshalb nach Völkerrecht verpflichtet, die aus der Bundesrepublik rechtswidrig und von Staats wegen bezogenen Komponenten und Pläne zurückzugeben, wenn die Bundesregierung dies verlangt. Haben Sie dies überhaupt getan? Die Pläne sind verbaut. Aber ohne die Teilanlagen aus der Bundesrepublik kann das alles nicht funktionsfähig werden.
Ich stelle deshalb an Sie, meine Herren in der Bundesregierung, die ganz banale Frage: Hat die Bundesregierung die notwendigen Forderungen gegenüber der libyschen Regierung erhoben, und was hat sie getan, um diesen Forderungen den notwendigen Nachdruck zu geben?
In der Bundestagsdebatte vom 16. April 1986 nach Tripolis hat die SPD-Fraktion erklärt, sie befürworte die Androhung wirtschaftlicher Sanktionen gegen Libyen, wenn Beweise für ein völkerrechtswidriges Verhalten dieses Staates vorlägen. Diese Beweise liegen nun nach Ihrem Regierungsbericht vor. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, der libyschen Regierung solche Sanktionen in Aussicht zu stellen und für diese Sanktionen die Unterstützung der anderen Staaten zu gewinnen, die ebenfalls Zulieferungen von Firmen aus ihrem Bereich für die Giftgasproduktion zu verantworten haben.
Sanktionen sind nicht immer wirksame Mittel. Aber wenn Gaddafi kein Öl mehr verkaufen kann, wenn er seine Importe nicht mehr bezahlen kann, dann wird er sehr schnell vor der Wahl stehen, nachgeben zu müssen oder gestürzt zu werden. Gaddafi ist schon gelegentlich in solchen Situationen gewesen, und er hat sich dann immer als ein Realist erwiesen. Er hat sein politisches Überleben in der Vergangenheit immer höher bewertet als seinen Traum von einer libyschen Mission, die mit so viel Blut befleckt worden ist.
Wir sind uns darüber im klaren, daß eine solche Sanktionspolitik für die Bundesrepublik teuer werden kann, nicht so teuer wahrscheinlich, Herr Schäuble, wie die Sanktionen, die die USA gegen die bundesrepublikanischen Firmen erwägen, von denen Sie heute gesprochen haben. Aber wir hoffen, daß niemand in der Bundesregierung die zynische Rechnung anstellt, daß das Problem mit einem amerikanischen Raketenschlag gegen Libyen billiger und schneller zu lösen sei.
In jener schon mehrfach zitierten Debatte am 16. April 1986 hat der Bundeskanzler zur Entschuldigung des amerikanischen Bombardements von Tripolis erklärt - ich zitiere - :
Die Vereinigten Staaten haben zu oft - und manchmal nicht ohne Grund - sagen können, sie hätten sich allein gefühlt in ihrem Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Es ist einfach,
die Vereinigten Staaten dafür zu kritisieren, wenn sie schließlich zu Mitteln greifen, die wir nicht gewählt hätten.
Wenn wir Europäer den Amerikanern aus unseren Gründen nicht folgen wollen, müssen wir selbst mehr politische Initiative entfalten, von der auch mehr Wirkung ausgeht.
Das war damals, Herr Bundeskanzler, kein Zeitungsinterview , sondern eine Regierungserklärung. Diese Erklärung ist in der heute gespannten Situation so aktuell wie vor drei Jahren. Heute, Herr Bundeskanzler, müssen Sie dazu stehen. Wenn Sie nicht stehen, Herr Bundeskanzler, werden Sie auch nicht mehr lange zu halten sein.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus gegebenem Anlaß möchte ich hier eine Erklärung abgeben.
Der Anlaß ist folgender: Wegen einer Pressemeldung von heute morgen, daß wir Abgeordneten uns an der Gesundheitsreform gleichsam vorbeimogelten und hier das Prinzip der Gerechtigkeit verletzt werde, ist erhebliche Unruhe in der Bevölkerung.
Da es unbedingt geboten erscheint, hier eine Klarstellung vorzunehmen, möchte ich vor dem Parlament und damit auch vor der Öffentlichkeit folgende Erklärung abgeben:
({0})
Der über die Tagespresse und die Nachrichtenagenturen verbreitete Vorwurf, die Bundestagsabgeordneten wollten den Leistungskürzungen in der Krankenversicherung mit einer Gesetzesänderung entgehen, ist falsch.
Im Juni 1988 hat die Rechtsstellungskommission unter Vorsitz der Vizepräsidentin Frau Renger einstimmig eine Empfehlung an den Ältestenrat gegeben, den Abgeordneten die Möglichkeit einzuräumen, nicht nur am Beginn einer Legislaturperiode, sondern zu Beginn eines jeden Jahres zu entscheiden, ob sie Beihilfe erhalten oder 50 % Krankenkassenbeitrag erstattet bekommen wollen. Diese Empfehlung der Rechtsstellungskommission beruhte darauf, daß der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion DIE GRÜNEN, Herr Kleinert, lange vor dem Gesetzentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Gesundheitsreform mit Schreiben vom 15. Juli 1987 den Antrag gestellt hatte, nach Ablauf der im Abgeordnetengesetz normierten Antragsfrist von vier Monaten die Wahlmöglichkeit zwischen Beihilfe und Zuschuß zu den Krankenversicherungsbeiträgen zu verlängern.
({1})
Der Ältestenrat hat die Empfehlung der Rechtsstellungskommission zur Entscheidung an die Fraktionen weitergeleitet. Darüber hat noch keine Fraktion entschieden. Von keiner Seite dieses Hauses war und ist
eine materielle Besserstellung der Parlamentarier beabsichtigt.
({2})
Die Empfehlung der Rechtsstellungskommission bedeutet auch keine materielle Veränderung der gegenwärtigen Rechtslage, sondern lediglich eine Fristverlängerung mit Blick auf das Wahlrecht zwischen Beihilfe und Krankenkassenbeitrag.
Zur Ausräumung weiterer Mißverständnisse will ich auch darauf hinweisen, daß die Beihilferegelungen ohnehin an die Neuregelungen der Gesundheitsreform angepaßt werden,
({3})
so daß auch die Ausübung des Wahlrechts zugunsten der Gewährung der Beihilfe nicht zu einer Privilegierung der Abgeordneten führen kann.
({4})
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Genscher.
({5})
- Nein, er will in Weiterführung des anstehenden Tagesordnungspunktes reden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Verzicht auf chemische Waffen durch die Bundesrepublik Deutschland hat nicht in erster Linie verteidigungspolitische Gründe. Dieser Verzicht ist moralisch und historisch begründet. Wir empfinden es deshalb alle als unerträglich, wenn Deutsche - in welcher Form immer - an der Produktion von chemischen Waffen - wo immer auf dieser Welt - beteiligt sind.
({0})
Meine Damen und Herren, dies zu verhindern ist Gegenstand der Gesetzgebungsvorschläge, die Herr Kollege Schäuble und Herr Kollege Haussmann hier vor dem Deutschen Bundestag dargelegt haben.
({1})
Wir wollen uns angesichts der jetzt erkennbaren Entwicklung auch nicht damit beruhigen, daß möglicherweise Firmen und Staatsangehörige anderer Länder an der Produktion chemischer Waffen in Libyen beteiligt waren. Wir haben unsere eigene Verantwortung, und dieser eigenen Verantwortung werden wir gerecht werden.
Was rechtlich und was organisatorisch verbessert werden muß, wird geschehen. Wir ziehen damit Konsequenzen aus Erfahrungen, auch aus negativen Erfahrungen, auch aus Einsichten, was hätte besser sein können.
Meine Damen und Herren, es ist nicht richtig, daß die Bundesregierung die Hinweise, die uns vom eigenen Dienst und von den Vereinigten Staaten gegeben worden sind, nicht ernst genommen hätte. Ich habe am 6. Januar dieses Jahres in Stuttgart erklärt:
Es entspricht unserem Selbstverständnis, alles in unseren Möglichkeiten Stehende zu tun, um eine Mitwirkung von deutschen Firmen und deutschen Einzelpersonen an der Produktion dieser Teufelswaffen in anderen Ländern zu verhindern. Solche Mitwirkung ist kriminelles Unrecht. Sie muß auch so behandelt und bestraft werden. Wenn Gesetze und Kontrollen nicht ausreichend sind, müssen sie verschärft werden.
Das war nicht nur meine Meinung, sondern das war die Meinung der ganzen Bundesregierung. Es war insbesondere auch die Meinung des Bundeskanzlers, mit dem ich darüber unmittelbar nach der Unterrichtung in Washington gesprochen hatte.
Ich erwähne das hier deshalb, meine Damen und Herren, weil es ja jüngste Mitteilungen über angebliche Meinungsverschiedenheiten und Entfremdungen gibt. Es ist eine normale Sache, daß im politischen Raum, auch bei guten persönlichen und freundschaftlichen Beziehungen, in der Sache Unterschiede dasein können. Zu dieser Frage gibt es diese sachlichen Unterschiede nicht,
({2})
und unsere persönlichen Beziehungen sind auch nicht beeinträchtigt.
Ich habe ebenfalls am 6. Januar in der Sendung „Bericht aus Bonn" gesagt: Wir nehmen das ernst, was uns in Washington gesagt wurde, als der Bundeskanzler dort war. Das zeigt allein die Tatsache, daß der Bundessicherheitsrat sich unmittelbar nach seiner Rückkehr mit diesen Fragen befaßt hat. Ich habe keinen Zweifel, habe ich hinzugefügt, daß unsere Behörden mit größtem Ernst jedem Hinweis nachgehen, unabhängig davon, ob ein Beweis dafür vorliegt oder nicht.
Das können Sie, meine Damen und Herren, in einer Reihe folgender Erklärungen feststellen. Es kommt jetzt auf drei Dinge an: erstens darauf, daß wir im nationalen Rahmen die Maßnahmen verwirklichen, die heute von der Bundesregierung vorgestellt worden sind; zweitens darauf, daß wir alles tun, damit Libyen nicht in die Lage versetzt wird, C-Waffen tatsächlich produzieren zu können. Wir haben deshalb im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und auch den Vereinigten Staaten Konsultationen darüber vorgeschlagen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen und können, um eine Produktionsaufnahme zu verhindern. Wir werden dabei auch die Gedanken mit berücksichtigen, die Sie, Herr Kollege Gansel, hier eben vorgetragen haben.
({3})
Drittens. Wir haben außerdem dafür Sorge getragen, daß am 20. Februar im Ministerrat der EG über einen Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften entschieden wird, der ein Verbot für
bestimmte chemische Produkte außerhalb der EG festlegen soll. Ich hoffe, daß alle unsere Partnerstaaten unserem Vorschlag bis dahin zustimmen werden.
Wir haben ferner im Rahmen der EG vorgeschlagen, daß die Beratungen der sogenannten AustralienGruppe, die ursprünglich erst im Juni stattfinden sollten, vorgezogen werden, um auch diese Maßnahmen in ausreichender Weise verbessern zu können.
Nur, meine Damen und Herren, alle diese Schritte, so notwendig sie national sind, so notwendig sie im Rahmen der EG sind, so notwendig sie bei diplomatischen Initiativen auch im Bereich der Arabischen Liga sind, können eines nicht ersetzen: Das ist das weltweite nachprüfbare Verbot der Entwicklung, der Herstellung, der Verbreitung und der Anwendung chemischer Waffen.
({4})
Ich habe seit 1983 zur Begründung unserer Forderung nach einem weltweiten Verbot der chemischen Waffen - das nicht ohne Grund, sondern auch unter Hinweis auf Informationen, die vorliegen - vor der Gefahr gewarnt, daß sich die Zahl der Besitzer und Produzenten von chemischen Waffen ausbreitet, daß es zu einer Proliferation kommt. Ich bin der festen Überzeugung, daß es zu der Reife der Entwicklung chemischer Produktion in Libyen nicht gekommen wäre, wenn man sich schon wesentlich früher in Genf zu ernsthaften Verhandlungen über das Verbot chemischer Waffen entschlossen hätte.
({5})
Meine Damen und Herren, so ernsthaft wir hier unsere nationalen Maßnahmen betreiben, so ernsthaft wir uns in der EG anstrengen werden - ich wiederhole - , nichts kann das weltweite Verbot ersetzen. Dieses weltweite Verbot wird nur dann wirksam sein, wenn es nachprüfbar ist. In der Frage der Nachprüfbarkeit muß das Sicherheitsinteresse der Menschheit Vorrang haben vor wirtschaftlichen Interessen einiger Unternehmen, die in bestimmten Ländern besorgt sind, daß Geschäftsgeheimnisse aufgedeckt werden könnten.
({6})
Wir bitten, meine Damen und Herren, daß Sie die Bundesregierung bei diesen Bemühungen unterstützen. Wir werden nicht nachlassen, alles zu tun, damit es noch in diesem Jahr zu einem weltweiten Verbot der chemischen Waffen kommt. Wenn das das Ergebnis der jetzt vorhandenen Informationen über die Entwicklung in Libyen ist, dann können wir sagen: Nicht nur wir, nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern die gesamte Staatenwelt hat aus einer bedrohlichen Entwicklung die richtigen, die notwendigen, die einzig wirksamen Konsequenzen gezogen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist, wie wir alle wissen, ein exportabhängiges Land. Die Zahl ist schon genannt worden, ich wiederhole sie: Waren im Wert von über 500 Milliarden DM werden jährlich exportiert. Das entspricht 15 Millionen Einzellieferungen. Wenn auf Grund des Verdachtes des verwerflichen Verhaltens jetzt schärfere Gesetze notwendig sind, so muß vorweg festgehalten werden, daß dieses weder im Inland noch im Ausland als pauschales Schuldbekenntnis eines Fehlverhaltens der deutschen Unternehmer betrachtet werden darf.
Meine Damen und Herren, ich darf drei Sätze zu dem, was vorhin gesagt worden ist, sagen: Herr Dr. Vogel - erstaunlicherweise war Herr Gansel diesmal etwas zurückhaltender, wenn auch unverständlicher -, die CDU/CSU verurteilt auf das schärfste Ihren Versuch, aus dem dringenden Tatverdacht gegen einen privaten Unternehmer primitiv parteipolitische Vorteile ziehen zu wollen.
({0})
Sie sagen, es gehe Ihnen um nationale Belange. Dabei kochen Sie durchschaubar parteipolitische Süppchen.
({1})
Gestern hatten Sie Gelegenheit, sich von 70 000 Fernsehzuschauern beurteilen zu lassen. Die Hauptkriterien, die genannt wurden, waren: Sie seien verbissen und wenig fortschrittlich. Durch Ihren heutigen Beitrag haben Sie diesen Ruf nicht gerade aufgehoben.
({2})
Überteibung, bewußte Verdrehung von Fakten sind kein guter Ratgeber.
Ich darf etwas Ernstes in Erinnerung rufen, das vor wenigen Minuten im Hause gelaufen ist und vielleicht nicht bei allen die nötige Aufmerksamkeit gefunden hat.
({3})
- Jetzt sollten Sie zuhören, Frau Kollegin. - Frau Beer sagte - ist sie überhaupt noch da; sie hat wohl andere Probleme ({4})
Wie schön, welche Idylle:
- hören Sie von den Sozialdemokraten bitte zu Schreibtischtäter der deutschen Großindustrie leisten Beihilfe zum Massenmord, und dem Bundesminister für Wirtschaft fällt nichts anderes ein, als eine Interessengemeinschaft und -identität der Regierung mit der deutschen Wirtschaft zu proklamieren.
Und am Schluß sagte Frau Beer noch einmal:
. . ., wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, nicht weiterhin stille Beihilfe zum Massenmord zu leisten.
Im Namen der CDU/CSU weise ich diesen beleidigenden Vorwurf gegen die deutsche Wirtschaft und die Bundesregierung - vor allen Dingen gegen Sie, Herr Haussmann - auf das allerschärfste zurück.
({5})
Es wäre schön gewesen, wenn Herr Gansel in seinem 22-Minuten-Beitrag ein Wort zu diesem ungeheuerlichen Vorwurf gefunden hätte. Sie haben noch Zeit, sich davon zu distanzieren.
({6})
Ich hoffe, meine Damen und Herren im Ältestenrat, Sie werden sich mit diesem Vorwurf noch auseinandersetzen.
Die CDU/CSU begrüßt es, daß die Bundesregierung eindeutig klargestellt hat, daß auch nach der drastischen Gesetzesverschärfung die freiheitliche Grundphilosophie des deutschen Außenwirtschaftsrechts nicht aufgegeben wird. Darüber hinaus unterstützt die CDU/CSU die Aufforderung an andere große Exportländer, zu ähnlichen Schritten und zu einer engen internationalen Kooperation bereit zu sein. Herr Bundesaußenminister, wir haben da ein großes Arbeitsfeld vor uns.
Es wird von immenser Bedeutung sein, wieweit es uns gelingt, den Kampf gegen die Verbreitung von Technologie zu militärischen Zwecken auch innerhalb der Dritten Welt auf eine internationale Basis zu stellen. Nur durch das Zusammenwirken aller Industrieländer in West und in Ost wird es möglich sein, die Voraussetzungen für den Frieden in der Welt zu verbessern.
Die Bundesregierung hat in erfreulich kurzer Zeit einen Katalog rechtlicher und praktischer Änderungen erarbeitet. Sie hat mit der Vorlage dieses Berichtes eine sehr detaillierte, sachliche Darstellung über eine mögliche deutsche Beteiligung am Bau der Giftgasfabrik in Libyen geliefert. Dafür, Herr Bundesminister Schäuble, ist Ihnen ausdrücklich zu danken. Die Bundesregierung hat in dem Bericht auch bisher nicht bekannte Sachverhalte veröffentlicht. Auch diese Tatsache ist ausdrücklich zu begrüßen.
Der Unternehmer hat gerade in einem exportabhängigen Land einen Anspruch darauf, zu wissen, was er liefern darf, und daß er ohne Verdächtigungen im Rahmen des Erlaubten international tätig sein darf. Deshalb muß die Politik der Wirtschaft die notwendige Sicherheit geben. Das ist hier geschehen. Darüber hinaus begrüßt die CDU/CSU ausdrücklich, daß auch die Wirtschaft anerkannt hat, daß sie bei der Ausfuhr gefährlicher Technologien und sensitiver Güter die notwendige Sensibilität und Sorgfalt zu zeitigen hat.
Die deutsche Wirtschaft darf auf Grund der Beteiligung einzelner am Bau einer Giftgasfabrik in Rabta nicht global verurteilt werden, wie das teilweise nicht nur in der ausländischen Presse geschieht und wie es in den Diskussionsbeiträgen hier - vor allem von Herrn Gansel in der vorletzten Sitzung - leider auch erkennbar war. Er hat heute nicht die Gelegenheit
genutzt, sich von einigen ungeheuerlichen Vorwürfen zu distanzieren.
({7})
Ich fasse zusammen: Die CDU/CSU verurteilt auf das schärfste die Beteiligung deutscher Firmen an der Errichtung einer Giftgasfabrik in Rabta, die unserem Ansehen in der Welt schweren Schaden zugefügt hat. Die CDU/CSU begrüßt alle vorgesehenen Maßnahmen, die zu einer Verschärfung der vorhandenen Rechtsgrundlagen führen. Die CDU/CSU ist allerdings auch der Meinung, daß durch diese Maßnahmen der liberale Rahmen unserer Wirtschaftspolitik nur da eingeschränkt werden darf, wo es unausweichlich notwendig ist.
Herr Bundesminister Schäuble, ich danke Ihnen und der Bundesregierung für Ihre schnelle Arbeit und für die Klarstellung, daß weder etwas vertuscht worden ist noch daß in Zukunft etwas vertuscht werden wird.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Bundesregierung ist schon in der Überschrift irreführend, weil das Papier nicht über eine „mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen", sondern über „die Beteiligung deutscher Firmen an einer möglichen C-Waffen-Produktion in Libyen" berichtet. Das ist der korrekte Sachverhalt. Die Überschrift stimmt nicht.
(Bundesminister Dr. Schäuble: Das war doch der Berichtsauftrag des Bundestages! Das haben Sie doch selber beschlossen! -
Das haben Sie doch beschlossen!)
- Ja, das ist ja alles richtig; aber hören Sie zu.
Einen Beleg des Nichtwissens - so finde ich - und der Uninformiertheit haben Sie vorgelegt. Es wäre nötig gewesen, daß jetzt Belege präsentiert werden. Denn wenn sich die Bundesregierung weigert, den amerikanischen Vorwürfen zuzustimmen, jetzt aber das Gegenteil tut, nämlich von einer C-Waffen-Fabrik in Libyen spricht, müßte sie diesen Beurteilungswandel ja auch begründen. Das war bei meiner Lektüre dieses Berichts nicht erkennbar.
Wenn das, was hier als Beweis für eine Giftgasfabrik genannt wird, zutrifft, dann ist die Bundesrepublik Deutschland übersät von Giftgasfabriken. Das muß ich ganz nüchtern feststellen. Ob das nun politisch paßt oder ob ich da jemandem helfe, dem ich gar nicht helfen will, ist eine ganz andere Frage.
In der Kette der Vermutungen auf der Seite 41 steht z. B.:
... auch sei die Anlage für zwei pharmazeutische Produkte ungewöhnlich groß.
Jetzt möchte ich Sie einmal bitten, mitzuzählen: Spasmocol, Ebalin, Carbimazol, Tagamet, Euraxil, Sensit und Taxanten; das ist ein Herzmittel. Das sind mehr als zwei Mittel.
Nach den Informationen, die man ohne großen Aufwand erhalten kann, gibt es Vorbereitungen für 25 pharmazeutische Produkte in Rabta. Für 25 weitere sind Vorbereitungen getroffen.
Mir liegen die chemischen Strukturformeln, die Herstellungsverfahren eines Großteils dieser Produkte und auch die physikalischen Daten des jeweiligen Produkts vor. Eine erste Überprüfung von Fachleuten hat ergeben, daß es sich dabei eindeutig nicht um waffenfähiges Material handelt, also um keines, das zur Herstellung von Waffen benötigt wird. Eine weitere Überprüfung ist selbstverständlich erforderlich, um hier weitergehende Schlüsse zu ziehen.
Wenn die Regierung einen korrekten Bericht vorgelegt hätte, hätte sie nach derzeitigem Erkenntnisstand zu folgenden drei Feststellungen kommen müssen:
Erstens. Belege für eine Pharmaproduktion gibt es.
Zweitens. Belege für eine C-Waffen-Fabrik gibt es nicht.
Drittens. Belege, daß es in Rabta keine C-WaffenProduktion gibt oder geben soll, gibt es ebenfalls nicht.
(
Warum debattieren Sie dann hier überhaupt?)
Das ist die konkrete Situation, wie sie sich nach einer Aufklärung, die dieses Wort verdient, im Augenblick abzeichnet.
Ich finde die Aufklärungskapazitäten der Bundesregierung extrem untauglich für jedwede Art von Politik, auch für Präventionspolitik. Selbst da, wo sie sich hätte entlasten können, weiß die Regierung nichts.
Von Größenordnungen war die Rede, von der größten Chemiewaffenfabrik in der Dritten Welt; das Investitionsvolumen liege bei 80 Millionen Dollar. Der algerische Premierminister hat nach einem Besuch der Anlage gesagt: Da ist unsere Anlage in Algerien dreimal größer.
Es sind sieben Länder an der Produktion beteiligt: England, Italien, Frankreich, Spanien, Dänemark, die Bundesrepublik und die USA mit zwei Firmen. Die Beteiligung der USA ist wichtig, weil dadurch natürlich auch Einblicke in das Gesamtprojekt möglich waren. Der deutsche Lieferanteil liegt nicht über 15 %. Die US -Lieferungen konnten verständlicherweise nicht direkt nach Libyen adressiert sein. Ich will nur Fakten präsentieren. Schließlich gab es ein Handelsembargo.
Es muß allerdings festgestellt werden: Wenn es in Rabta, was man ja nicht weiß, keine C-Waffen-Fabrik gibt, dann nicht deswegen, weil deutsche Firmen nicht bereit gewesen wären, entsprechend zu liefern, oder weil die Bundesregierung in der Lage gewesen wäre, das zu verhindern. Ich kann hier nicht sagen, wie weit in Libyen sonst eine C-Waffen-Produktion vorbereitet wurde oder sogar bereits stattfindet. Aber
ich möchte auf den vorgelegten Bericht verweisen. Da hat der Bundesnachrichtendienst am 22. Juli 1983 gemeldet: Ende 1981 Aufnahme der Giftgasproduktion am Standort Abu Kammash. Am 13. Oktober 1988, nach fünf Jahren, berichtet derselbe Dienst: dort definitiv keine C-Waffen-Produktion.
Ich will ja nur einmal die Fakten präsentieren. Ich habe angekündigt: Ich rede einmal nicht in der üblichen Rolle Opposition gegen Regierung, wie Herr Gansel und Herr Vogel es getan haben, Vielleicht darf es sich das Parlament leisten, daß zur Sache geredet wird, mit den Informationen, die man hat.
({0})
Das bedeutet aber doch, daß wir damit rechnen müssen, daß der Bundesnachrichtendienst, wenn er die Hauptquelle der Regierung ist, in einigen Jahren sagt: Pardon, in Rabta ist nichts.
Herr Gansel sagte: Der Bundesnachrichtendienst ist ein guter Dienst, er hat gute Arbeit geleistet. Herr Gansel, Sie haben das offenkundig gesagt, bevor Sie den Bericht gelesen haben; denn dieser ganze Bericht ist ein Beleg dafür, daß das kein Bundesnachrichtendienst, sondern ein sogenannter Nachrichtendienst ist. Ich frage mich, ob nicht das Abonnement mehrerer Tageszeitungen im Kanzleramt dessen Aufgabe manchmal ersetzen könnte.
Ich kreide trotzdem an, daß das Kanzleramt in diesem Fall nicht das gemacht hat, was ganz naheliegend gewesen wäre: Statt daß der Bundesnachrichtendienst Leute von den Firmen zu kaufen versucht, wäre es doch denkbar gewesen, den ganz normalen Weg zu gehen, Aufklärung da zu betreiben - mit welchen Mitteln und mit welchen Personen auch immer -, um herauszubekommen, was da wirklich ist. Der Direktor des Techologiezentrums Rabta sagte auf meine Frage: Mich hat noch nie jemand gefragt. Der Botschafter hatte keine entsprechenden Anweisungen.
({1})
Er sagte mir glaubhaft - gehen Sie darauf zurück -: Wenn entsprechende Fragen bestehen und das in einer nicht diskriminierenden Form geschieht, warum kommt man nicht auf uns zu?
Damit soll nicht gesagt werden: Da ist nichts. Ich muß das immer wieder betonen. Es geht mir nur darum klarzustellen, daß hier in einer sehr fahrlässigen Weise, weil es so schön hineinpaßt, irgend etwas unterstellt wird.
Leider hat - das muß ich schon sagen - sich auch die SPD ohne großen Vorbehalt auf diese Bedingungen eingelassen. Ich muß sagen: Schon die Behauptung, vorher sei das geplant gewesen, ist im Bericht nicht belegt. Es gibt nur Informationen darüber, daß man ab 1982 die Selbstversorgung im pharmazeutischen Bereich in Libyen herstellen wollte. Natürlich sind hier Zweifel angebracht, aber die Zweifel, die zu solchen Schlußergebnissen führen, müßte man belegen.
Die Frage ist natürlich: Welches sind die Motive für diese Libyen-Fixiertheit? Zum einen ist das natürlich eine bequeme Waffe, um auch gegen die Tendenzen
in der deutschen Außenpolitik anrennen zu können. Das sollte man nicht verkennen.
Es ist natürlich auch ein Ablenkungsmanöver. Ich meine, daß die Bundesregierung umgeschwenkt ist, ohne daß erkennbar ist, weshalb. Das geschah vielleicht in der Annahme, daß man damit eine ganze Menge von Kritik ableiten und die Öffentlichkeit beruhigen kann, um sozusagen zu der eigentlichen Frage „Wie kann man den Export dieser gefährlichen Gifte verhindern?" dann nicht mehr so leicht in die Pflicht genommen zu werden.
Nach meiner Beobachtung ist das Ganze auch als Alibiveranstaltung zu verstehen. Wer die Massenvernichtungsmittel beseitigen will, gerade auch die chemischen, sollte sich nicht auf Rabta fixieren, sondern auf Genf schauen, dort politisch wirken und vor allem auch die USA dazu ermahnen, daß sie nicht in der Art eines Alkoholikers, der anderen das Trinken verbieten will, eine neue Politik der Nichtweiterverbreitung betreiben, denn das ist eine ganz gefährliche Position.
Ich glaube, daß hier im Haus doch ein Konsens darüber besteht: Wenn es nur darum geht, den Besitz derer, die C-Waffen haben, zu sichern und auch noch die Modernisierung zu ermöglichen und lediglich eine Nichtweiterverbreitungspolitik zu betreiben, dann werden wir dasselbe Ergebnis wie bei den Atomwaffen haben, daß nämlich dort die Besitzstände angehäuft werden und ein wirklicher Schutz gegen die Ausbreitung nicht geleistet wird.
Deswegen meine ich, die Bundesregierung muß auf die USA einwirken, damit endlich dieses Abkommen zustandekommt. Dazu darf ich wiederholen, was andere Sprecher gesagt haben: Wenn dieses Abkommen zustandegekommen wäre, dann wären Vor-OrtInspektionen heute in Rabta schon möglich, und wir hätten diese ganze Debatte nicht.
Herr Abgeordneter, Sie müssen bitte einmal auf das Signal gucken.
({0})
Sie haben Ihre Redezeit bei weitem überschritten.
Ja. Das war der letzte Teilsatz.
({0}) - Wollen Sie mich länger hören?
Herr Abgeordneter, ich bin derjenige, der hier die Redezeit zuteilt.
Entschuldigung! - Ich unterstütze alle Maßnahmen - das tun die GRÜNEN schon seit langem -,
({0})
die darauf gerichtet sind, die Produktion und Verbreitung dieser C-Waffen weltweit zu verbieten. Da stimmen wir dem Ansatz von Außenminister Genscher voll zu. Das ist die einzige Chance, die Vergiftung der Welt zu verhindern. Daher hoffe ich, daß dieser Konsens hier im Haus einen entsprechenden Druck auf
die Vereinigten Staaten ausübt, sich nicht länger als Boykotteur der einzigen wirklichen Verhinderungschance darzustellen.
Danke sehr.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 hat die Abgeordnete Frau Beer das Wort erbeten.
({0})
Ich versuche das.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte eine Klarstellung zu dem von mir in meinem Beitrag vorhin zuletzt Gesagten vornehmen und dafür die Möglichkeit des § 30 in Anspruch nehmen.
Ich habe gesagt, daß die Bundesregierung, explizit der Herr Bundeskanzler, Herr Schäuble und Herr Haussmann, die politische Mitverantwortung für den bereits erfolgten Einsatz von Giftgas gegen Kurden tragen. Ich habe dies gesagt auch in Verbindung mit dem letzten Satz, daß die gleichen Herren der Regierung politisch mitverantwortlich sein werden für eventuelle zukünftige Massenmorde an der Zivilbevölkerung in der Dritten Welt.
({1})
Wenn Sie meinem Beitrag vor diesem Abschlußtext zugehört haben, dann dürfte verständlich geworden sein, auf Grund welcher Informationen über Waffenexport und Rüstungsexporte
Also, Frau Kollegin, jetzt muß ich Sie unterbrechen.
({0}) Wenn es um eine Erläuterung - ({1})
- Augenblick!
({2})
- Bitte, Frau Beer!
({3})
- Darf ich Sie bitten!
({4})
- Augenblick! ({5})
- Darf ich bitten, einen Moment auch mir zuzuhören.
Der § 30 - „Erklärung zur Aussprache" - erlaubt dem Abgeordneten, Äußerungen, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, zurückzuweisen oder eigene Ausführungen richtigzustellen. Insofern hatte ich die Möglichkeit zu geben, daß die Abgeordnete nach § 30 sprechen kann.
({6})
In dem Moment, wo Ihre Erklärung dazu führt, die Handlung der amtierenden Präsidentin zu kritisieren,
({7})
habe ich deutlich zu machen, daß dies jetzt hier nicht geht. Dies widerspricht jedem unserer Verfahren
({8})
und der Praxis. Einen Weg, den man einschlagen kann, falls man sich falsch behandelt fühlt, gibt es. Dieser Weg führt zum Ältestenrat.
({9})
Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 11/3995 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4011. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4012. Es ist beantragt worden, diesen Entschließungsantrag an dieselben Ausschüsse wie den Bericht der Bundesregierung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, haben mich Kollegen gebeten, nach dem § 32 der Geschäftsordnung - Erklärung außerhalb der Tagesordnung - eine Bemerkung machen zu dürfen, und zwar hat das mit der Erklärung der Präsidentin zu tun, die wohl ergänzt werden soll.
Ich erteile das Wort zuerst der Abgeordneten Frau Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin hat vorhin in der Debatte eine Erklärung zur Änderung des Abgeordnetengesetzes abgegeben. Für meine Fraktion möchte ich dazu erklären, daß wir einer entsprechenden Empfehlung nicht zugestimmt haben. Richtig ist, daß der geschäftsführende Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion in seiner Sitzung am 13. Februar die entspre9288
chende Vorlage aus der Verwaltung kategorisch abgelehnt hat. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Hans-Jochen Vogel, hat sich bei dieser Gelegenheit erneut für die strikte Gleichbehandlung der Abgeordneten mit allen anderen Bürgerinnen und Bürgern ausgesprochen. Dem hat sich die Gesamtfraktion angeschlossen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hierbei um eine Initiative aus den Reihen der GRÜNEN. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat keine Veranlassung, diese Initiative aufzugreifen. Ich werde meiner Fraktion empfehlen, dem Votum der Rechtsstellungskommission nicht zu folgen, sondern einen solchen Vorschlag abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin bis heute davon ausgegangen, daß dieser Vorschlag überhaupt nicht mehr zur Diskussion steht. Deshalb hat eine formelle Befassung mit diesem Vorschlag in der FDP-Bundestagsfraktion nicht stattgefunden. Wäre er formell vorgelegt worden, hätte ich der Fraktion empfohlen, ihn abzulehnen. Ich bin sicher, meine Fraktion wäre dieser Empfehlung gefolgt.
({0})
Wir sind der Meinung, daß die Änderungen des Beihilferechts in der Vergangenheit automatisch für die Abgeordneten gewirkt haben, das wird auch in Zukunft so sein; insoweit ist die Gleichstellung sichergestellt. Wir sind weiterhin der Meinung, daß zu Beginn jeder Legislaturperiode jeder Abgeordnete zu entscheiden hat, welche Form der Krankenversicherung er wählt, aber zwischendurch solche Entscheidungen nicht erneut aufgegriffen werden können, weil dies zu einem ständigen Wechsel unter dem Gesichtspunkt der besseren Möglichkeiten führen kann und zur Ungleichbehandlung führt. Deshalb sollte es bei dem jetzigen Rechtszustand bleiben.
({1})
Ebenfalls nach § 32 hat der Abgeordnete Hüser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Fraktion der GRÜNEN lehnt diesen Antrag ab.
({0})
Bei dieser Angelegenheit ging es um eine Einzelsache des Herrn Abgeordneten Kleinert, der eine einmalige Ausnahme beantragt hatte,
({1})
was ja durchaus sein gutes Recht ist. Dieser Ausnahme ist zugestimmt worden. Daraus ist aber nicht die Schlußfolgerung zu ziehen, daß dies eine Dauerregelung für die Zukunft sein sollte. Dies weise ich für die Fraktion der GRÜNEN entschieden zurück. Wir werden diesem Antrag natürlich nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, da ich nicht erkennen kann, daß die Präsidentin mit ihrer Erklärung kritisiert worden ist, brauche ich hier nichts hinzuzufügen.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
Aktuelle Probleme der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung
Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung verschleiert seit Jahren die wirkliche Verknappung von Wohnungen insbesondere in unseren Großstädten. Seit Jahren setzt die Bundesregierung auf wohnungspolitischem Gebiet die falschen Signale für Investoren und Makler. Das ist in einer Marktwirtschaft tödlich.
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Die Wohnungssituation in den Großstädten spitzt sich dramatisch zu. Die Angst der Menschen greift um sich. Das gilt auch für Frankfurt, und deswegen melde ich mich heute als Frankfurter Abgeordneter zu Wort. Ich nenne Fakten und Zahlen, weil ich über die Folgen von Fehlentscheidungen informieren will.
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Die CDU hat den sozialen Wohnungsbau in der Bundesrepublik kaputt gemacht. Die Folge in Frankfurt: 1982 wurden noch 1 680 Sozialwohnungen gebaut, im letzten Jahr waren es noch ganze 150. Gleichzeitig ist die Zahl der registrierten Wohnungssuchenden in diesem Zeitraum Jahr für Jahr um 1 000 gestiegen: 7 000, 8 000, 9 000, 10 000, 11 000, 12 000 Familien, die im Augenblick in Frankfurt amtlich als Wohnungssuchende registriert sind.
Die CDU hat für 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft. Die Folge in Frankfurt: 35 000 Familien werden in der Zukunft statt der Kostenmiete die ortsübliche Vergleichsmiete zu zahlen haben.
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Die CDU hat den Mieterschutz verschlechtert und erleichtert die Arbeit der Miethaie durch entsprechende Änderung des Wirtschaftsstrafgesetzes.
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Die Folge: Die Mieten explodieren. Der Mietanteil, verehrter Herr Abgeordneter, am verfügbaren Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist in Zeiten der sozialliberalen Koalition zwischen 11 und 12 % hin- und hergeschwankt. Seit einigen Jahren liegt der Anteil bei 14 bis 16 %. Das ist die Folge Ihrer Politik.
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Die CDU redet von einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt. Das sind die falschen Signale. Die Folge für Frankfurt: Der frei finanzierte Wohnungsbau stagniert bei steigenden Bevölkerungszahlen. Die Verknappung auf dem Wohnungsmarkt selbst wird immer mehr zu einem Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung in unseren Ballungszentren, weil die Menschen, die dorthin ziehen wollen und dort Arbeit finden, keinen Wohnraum in den Großstädten finden.
Die Caritas, der katholische Verband, nennt die Lage - wörtlich - „mehr als angespannt . Die evangelische Kirche in Frankfurt spricht von einer Wohnungsnot, die - wörtlich - „größer ist als seit vielen Jahren". Wenn Sie uns nicht glauben, dann hören Sie doch endlich wenigstens auf die Kirchen, die dort praktische Arbeit leisten und wissen, wie es aussieht.
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Gemessen an diesen Notwendigkeiten, mehr Wohnungen zu bauen, ist die Politik der Bundesregierung eine einzige Katastrophe. Die CDU in Hessen will von diesen Problemen ablenken. Sie veröffentlicht jetzt in dem Zusammenhang ausländerfeindliche Anzeigen. Das ist meines Erachtens opportunistisch und unanständig.
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Wenn in unseren Städten Wohnungen fehlen, dann darf man nicht auf die Ausländer zeigen, sondern es müssen Wohnungen gebaut werden, und nichts anderes.
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Deswegen sagen wir: Diese Politik der Bundesregierung bedeutet für unsere Großstädte ohne jede Ausnahme - hören Sie doch auf Herrn Rommel, wenn Sie schon meinen, das sei nur ein Spezifikum von Frankfurt ({8})
eine wahre Katastrophe.
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Die CDU hat versagt. Dafür bekommt sie jetzt die
Quittung, Großstadt für Großstadt. Denn das ist die
Stärke der Demokratie: Wer versagt hat, wird abgewählt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Probleme in der Politik, die man als Herausforderung annimmt. Es gibt Sorgen von Bürgern, die man aufnimmt und abbaut. Aber beides tun Sie nicht. Sie benutzen diese Sorgen, um dem Frankfurter Wahlkämpfer Hauff ein Podium zu eröffnen, statt sich über die Probleme auf dem Wohnungsmarkt mit uns auseinanderzusetzen.
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Sie benutzen diese Probleme, die von keinem geleugnet werden - wenn Sie öfter in der Wohnungsbaudebatte wären, Herr Hauff, dann wüßten Sie das - , um beinahe fahrplanmäßig wieder gegen die Bundesregierung zu polemisieren, Ihre alten, gescheiterten Konzepte aus Neue-Heimat-Zeiten wieder aufzuwärmen,
({1}) statt an den wirklichen Lösungen zu arbeiten.
Meine Damen und Herren, es gibt selbst SPD-Ministerpräsidenten - ich zitiere - , „die modischen Pessimismus und althergebrachte Formeln, die der wirtschaftlichen Realität schädlich sind", in Ihrer eigenen Partei ausmachen. Dies trifft auf Ihre Wohnungspolitik beinahe exemplarisch zu.
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- In rot-grüner Allianz, Herr Müntefering, oder, wie in Berlin angestrebt, in rot-roter Allianz beginnen Sie, wieder Eingriffen in das Mietrecht das Wort zu reden, Mietstopps und vor allen Dingen Ihren milliardenschweren Gießkannenprogrammen, die zum Schluß bei einem Bäckermeister Schiesser in Berlin für 1 DM landen.
Meine Damen und Herren, damit hilft man keiner jungen Familie, die vor einer fehlbelegten Sozialwohnung steht und da hineinkommen will. Man hilft auch keinem Studenten, der möglichst viele private Bauherren herbeisehnt und diese nicht verteufelt, sondern ermuntert sehen will, und auch keinem Aussiedler, Herr Hauff, der unnötig zur Zielscheibe von Beschimpfungen wird, wenn man, wie die SPD, mit möglichst viel Geld wenige Wohnungen bauen will und nicht auf unsere Konzepte eingeht, um mit möglichst wenig Geld viele Wohnungen zu bauen.
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- Kurzum, Herr Müntefering, das, was Sie hier wollen, hilft Betroffenen auf keinen Fall, vor allen Dingen dann nicht, wenn man aus einer Engpaßsituation, die hier von keinem bestritten wird und bestimmte Teilmärkte und bestimmte Berufsgruppen betrifft, die allgemeine Wohnungsnot in der Republik erklärt, ob9290
wohl der ganz große Teil der Bevölkerung eine gute Wohnungsversorgung hat.
Wie ist also die Situation? Durch steigende Wohnungsansprüche der großen Mehrheit der Bevölkerung bei gestiegenen Realeinkommen, bei stark zurückgegangenen privaten Investitionen wegen mangelnder Renditeerwartungen, einem erheblichen Zustrom von deutschen Aus- und Übersiedlern, aber auch asylsuchendem Ausländern und auch nach Rücknahme der Wohnungsbauförderung durch den Bund und alle Bundesländer in den letzten Jahren, nach Wohnungshalden noch vor einer kurzen Zeit schafft es derzeit der Markt nicht ganz allein, in einigen Regionen und für bestimmte Gruppen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Wie die CDU/CSU bereits in der Debatte am 8. Dezember letzten Jahres erklärt hat, werden wir ohne Rückfall in die alten Fehler auch als Bund flexibel auf diese Herausforderung reagieren. Wir haben zwischenzeitlich Vorschläge entwickelt, die Sie kennen; wir haben sie veröffentlicht. Wir sind gerade dabei, sie mit dem Koalitionspartner abzustimmen, und werden sie zügig realisieren. Meine Kollegen werden jetzt noch im Detail darauf eingehen.
Aber, meine Damen und Herren, in der ständigen Wellenbewegung zwischen zuviel gebauten Wohnungen mit Wohnungshalden und zuwenig gebauten Wohnungen mit Wohnungsengpässen ist diese Zeit tatsächlich auch für uns eine große Herausforderung, vielleicht sogar - ich möchte nicht ganz so weit gehen - die größte seit Ende der Aufbaujahre. Nie sind in so kurzer Zeit so viele zusätzliche Nachfrager dazugekommen, nie sind in so kurzer Zeit Professoren und wissenschaftliche Gutachten derart widerlegt worden, nie haben in so kurzer Zeit die Medien vom Bejammern der Wohnungshalden auf Anklagen der Wohnungsnot umgeschaltet. Nie haben vor allen Dingen auch rote und grüne Wohnungsbaupolitiker eine neue Erfindung fallengelassen, nämlich den Rückbau von Wohnungen, sprich Abriß.
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Dennoch: Wir stellen uns der Herausforderung. Wir werden kurzfristig handeln. Dies wird aber nur gelingen, wenn nicht nur der Bund und natürlich auch die Länder und Gemeinden ihre Verantwortung wahrnehmen, sondern alle mithelfen, die mithelfen können, wenn man ihnen die Wege dafür ebnet, und dies sind insbesondere private Investoren.
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Meine Damen und Herren, in Ihr Grundsatzprogramm haben Sie einen vernünftigen Satz hineingeschrieben: Politischem Handeln sind Grenzen gezogen. - Nutzen wir also die Möglichkeiten, die wir wirklich haben, und spielen wir uns hier nicht als Wundermänner der Nation auf, selbst wenn in Frankfurt Wahlkampf ist, die per Bundestagsbeschluß alle Probleme lösen können.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.
Kolleginnen und Kollegen! Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen und der Regierung können in dieser Woche zufrieden sein. Endlich haben sie die höchstrichterliche Absegnung für ihre unsoziale Wohnungspolitik. Endlich ist der Stolperstein aus dem Weg geräumt, der bis jetzt verhindert hat, daß Mieterinnen und Mietern noch mehr preiswerter Wohnraum weggenommen und in die Hand von Eigentümern überführt wird.
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Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- und FDP-Fraktion können sich mit dem Haus- und Grundbesitzerverein in die Arme fallen. Der Mieter/ innenschutz bei Eigenbedarfskündigungen ist seit Dienstag abgeschafft. Künftig kann jeder Hauseigentümer jederzeit wegen sogenannten Eigenbedarfs kündigen. Er unterliegt dabei keinerlei Beschränkungen mehr. Die Hauptsache ist, seine Gründe - so schön formuliert es das Bundesverfassungsgericht - erscheinen vernünftig und nachvollziehbar. Der Hausbesitzer muß bei seiner Kündigung nur darauf achten, daß seine Gründe nicht offensichtlich nach Willkür oder Mißbrauch aussehen, mehr nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat damit den absoluten Vorrang des Eigentums gegenüber den Interessen der Mieterinnen und Mieter unterstrichen. Beflissen weisen die Richter auf die Binsenweisheit hin, daß „die Wohnung eines Menschen ein Teil seines persönlichen Lebenszuschnitts ist". Das Recht, darüber zu entscheiden, wie das persönliche Leben zugeschnitten sein soll, gestehen sie allerdings ausschließlich Eigentümern, nicht jedoch Mieterinnen und Mietern zu. „Der Hausbesitzer hat das Recht" - ich zitiere - , „sein Leben unter Gebrauch seines Eigentums so einzurichten, wie er es für richtig halt."
Wie wird jedoch garantiert, daß Menschen, die kein Eigentum haben, ihr Leben so einrichten können, wie sie es für richtig halten? Durch die sogenannte Sozialklausel nach § 556a BGB auf jeden Fall nicht, denn die Frage, was eine unzumutbare Härte ist, wurde in den letzten Jahren von der Rechtsprechung immer sehr engherzig beantwortet. Sie müssen schon kurz vor dem Examen stehen, schwanger oder schwer erkrankt sein, um eine Kündigung nach diesem Paragraphen aufzuschieben; verhindern können Sie sie auf keinen Fall.
Zu dem schlimmsten Punkt dieses Urteils komme ich aber noch: Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß eine Kündigung auch dann zulässig ist, wenn der Vermieter die Wohnung verkaufen will und wenn sie in leerem Zustand einen höheren Verkaufspreis einbringt, als wenn sie vermietet ist. Das bedeutet in der Konsequenz, daß die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, durch die jetzt schon 100 000 Wohnungen pro Jahr verlorengehen, weiter gefördert wird und daß die Wohnungsversorgung unterer Einkommensbezieher/innen noch schlechter wird. Auf diese Weise hat sich das Bundesverfassungsgericht wunderbar in die Politik der Bundesregierung gegen Mieterinnen und Mieter, für HausFrau Oesterle-Schwerin
eigentümer und für Vermieterunternehmen eingebracht.
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Das wohnungspolitische Glaubensbekenntnis der Bundesregierung hieß bisher immer: Günstige Bedingungen für Vermieter schaffen mehr Mietwohnungen. Unter dem Motto „Die hohen Mieten von heute sind die neuen Wohnungen von morgen" versucht Herr Minister Schneider seit Jahren, uns diese Politik zu verkaufen. Ich frage Sie, Herr Bundesminister: Wo sind die versprochenen Wohnungen geblieben? Seit Sie an der Macht sind, seit 1983 sind die Mieten doch kontinuierlich gestiegen, im letzten Jahr sogar um 15 %.
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Gleichzeitig wurden die Vermieterrechte ganz erheblich verbessert. Wo sind also die Wohnungen geblieben, die Sie uns versprochen haben?
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Wenn die besseren Bedingungen für Vermieter wirklich zu mehr Wohnungen führen würden, bräuchten wir uns doch heute hier nicht mit den Folgen Ihrer verfehlten Wohnungspolitik herumzuschlagen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hitschler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung verdient bei objektiver Würdigung die Note gut„
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Sie verfällt nicht in den Fehler eines politischen Aktionismus, den die Opposition mit ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde gerne entfachen möchte.
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Die Bundesregierung tut gut daran, den eingeschlagenen Kurs besonnen weiterzuverfolgen und ohne Hektik die Marktkräfte am Wohnungsmarkt zu stärken. Maßlose Übertreibungen, Untätigkeitsklagen und lauthalses Lamentieren sind in der gegenwärtigen Situation am Wohnungsmarkt völlig unangebracht. Nein, die Mängel, die heute in der Wohnungswirtschaft zutage treten, haben ihre Ursache im wohnungswirtschaftlichen System der Vergangenheit und resultieren aus damals ganz anderen wohnungspolitischen Notwendigkeiten, als wir sie heute vorfinden. Unverständliche Unterschiede bei den objektbezogenen Mieten, abhängig von den jeweiligen Kapitalmarktverhältnissen zum Finanzierungszeitpunkt, Fehlbelegungen im sozialen Wohnungsbau, bürokratische Auswucherungen durch Wohnungsverwaltung und eine inzwischen fast unüberschaubare Gesetzgebung, da eine Intervention die nächste jagte, eine
geringe Flexibilität und in bestimmten Bereichen ein Attentismus der Anleger, herrührend aus einer Aushöhlung der Eigentümerverfügungsrechte, sind eine Erblast aus vergangenen Zeiten.
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- Das Instrumentarium, Herr Müntefering, das Sie uns anbieten, gehört wirklich aufs Gerümpel. Der Versuch der Opposition, mit dieser Aktuellen Stunde ein neues politisches Betätigungsfeld zu eröffnen, um die Regierung vorzuführen, verfängt nun wirklich nur noch bei den völlig Unbedarften.
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Die Bundesregierung hat für den Wohnungsmarkt durch ihre erfolgreiche Wirtschaftspolitik hervorragende Rahmenbedingungen geschaffen. Ein hohes Maß an Preisstabilität, niedrige Kapitalmarktzinsen, reale Einkommenssteigerungen, ein günstiges Wirtschaftswachstum bilden günstige Grundlagen auch für die Wohnungswirtschaft. Wie günstig die Perspektiven für 1989 sind, hat die gestrige Diskussion über den Jahreswirtschaftsbericht gezeigt. Bereits im vergangenen Jahr hat die wirtschaftliche Lage Früchte getragen. 1988 wurden rund 210 000 neue Wohnungen errichtet, 1989 rechnet die Kreditwirtschaft mit einem Anstieg auf 250 000, seit 1984 sind immerhin 1 Million Wohnungen neu gebaut worden. Diese Entwicklung bedarf der Kontinuität. Nicht unbedeutende unerwünschte Wirkungen könnte ein unverantwortlicher Aktionismus auslösen: verstärkte Zinssteigerungen und Preisauftriebstendenzen mit ihren negativen Folgen.
Wir hatten bis ins Jahr 1987 einen weitgehend ausgeglichenen Wohnungsmarkt. Sonderfaktoren, wie die hohe Zahl an Zuwanderern, eine größere Nachfrage von Studenten, aber auch verstärkte Wanderungsbewegungen in Ballungsräume, haben zu einigen partiellen Engpässen in wenigen Zentren geführt.
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Ob das 1,5-Milliarden-Programm, das Bund und Länder aufgelegt haben, um dem zu begegnen, letztlich auch der richtige Weg zum schnellen Erfolg war, muß erst noch abgewartet werden. Bis jetzt steht noch kein einziger Rohbau; die Initiative quält sich mühsam durch die Antragsformulare.
Bei ausgelasteten Kapazitäten am Baumarkt muß jedenfalls davor gewarnt werden, die Baukonjunktur mit staatlichen Programmen zu überhitzen und die öffentlichen Haushalte mit neuen Schulden zu überlasten.
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Der Wohnungsmarkt trägt sich zur Zeit ganz gut von selbst. Allenfalls an Anreize dafür, den Wohnungsmarkt für private Anleger durch Abschreibungs- und steuerpolitische Maßnahmen noch interessanter zu
machen, ist zu denken, wobei hier natürlich auch an die Sicherstellung der Finanzierung zu denken ist.
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Es sollten in keinem Falle aber mehr staatliche Sonderprogramme für bestimmte, fest umgrenzte Gruppen unserer Gesellschaft ins Auge gefaßt werden. Die notwendige Verbreiterung des Wohnungsangebotes muß allen zugute kommen, und dies kann besser und ohne viel bürokratischen Aufwand von privaten Investoren geleistet werden.
Das Wohngeld hat sich als ein sozial äußerst treffsicheres Instrument der Bedarfslenkung und der sozialen Abfederung am Wohnungsmarkt bewährt; daran wollen wir Freien Demokraten festhalten. Unter dem Finanzierungsvorbehalt der Haushaltsmittel ist an eine baldige Anpassung - hier in diesem Fall an die Möglichkeit der Einführung einer sechsten Mietenstufe im Wohngeldgesetz - zu denken.
Ein besonderes Problem bleibt die Wohnraumversorgung sozial besonders schwacher Familien, verbunden meist auch mit Integrationsproblemen im Wohnumfeld mit billigem Wohnraum. Hier sollten die Kommunen, denen diese Aufgabe zukommt, so rasch wie möglich vertragliche Vereinbarungen mit den örtlichen Wohnungsbaugesellschaften schließen und sich Belegungsrechte im Baubestand sichern.
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Als Gegenleistung für die Einräumung von Belegungsrechten käme die Übernahme der Schönheitsreparaturen, ein Störerabkommen und auch eine Mietausfallgarantie in Betracht. Die Kommunen benötigen zur Finanzierung dieser Risiken einen Rückgriffonds, über dessen Finanzierung wir uns unterhalten müssen.
Meine Damen und Herren, es kann keineswegs davon die Rede sein, daß diese Bundesregierung untätig gewesen ist. Ich hätte noch viele Ausführungen zu machen, aber die Lampe hier blinkt schon. Ich darf darauf hinweisen, daß wir dieser Bundesregierung auf dem weiteren Wege ihrer eingeschlagenen, an die neuen Marktverhältnisse angepaßten Wohnungsbaupolitik hin zu einem freieren Wohnungsmarkt unsere nachhaltige parlamentarische Unterstützung zusichern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen der Sprecher der CDU und der FDP zeigen, daß Sie die Probleme des Wohnungsbaus draußen im Lande auch heute noch nicht zur Kenntnis genommen haben.
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Wie sehen diese Probleme denn aus? Die Schlangen an den Wohnungsämtern werden länger und länger,
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die Kommunen laufen Sturm,
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500 000 bis eine Million Familien suchen eine andere Wohnung, 110 000 haben überhaupt keine Wohnung, und eine Million Menschen wohnen unter unzumutbaren Verhältnissen. Über 300 000 Aussiedler werden noch erwartet.
Der zuständige Minister versucht, durch beschwichtigende Äußerungen - so haben wir es eben von der CDU und von der FDP gehört - das Problem zu bagatellisieren. Da kann man doch - wie es der Präsident des Städtetages sagt - nur mit dem Kopf schütteln. Nur, meine Damen und Herren, vom Kopfschütteln haben die Wohnungssuchenden keine Wohnung.
Diese Zahlen zeigen - sie kommen ja nicht aus der SPD-Baracke, sondern vom Städtetag, und die Leute wissen, wovon sie reden, weil sie täglich mit den Problemen zu tun haben - : Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben auf diesem Gebiet - wie auch auf anderen Feldern - mit Ihrer Politik Schiffbruch erlitten.
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Hören Sie gut zu, Herr Kansy: Sie haben das Erbe eines ausgeglichenen Wohnungsmarktes, ja, eines leichten Wohnungsüberhanges, das Sie bei der Regierungsübernahme vorfanden, nicht nur verwirtschaftet: Sie haben dafür gesorgt, daß Wohnungen wieder zur Mangelware werden.
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Durch Ihre Politik ist die angemessene Wohnung für viele Menschen, insbesondere für Familien, wieder unerschwinglich geworden. Sie haben sich aus dem sozialen Wohnungsbau verabschiedet. Es ist Ihre Politik, die dazu geführt hat, daß die öffentlich geförderten Wohnungen von über 100 000 Anfang der 80er Jahre auf ganze 26 000 zurückgegangen sind. Sie haben mit der Abschaffung der Gemeinnützigkeit dafür gesorgt, daß sich die Lage noch verschärfen wird.
In München werden 25 bis 30 DM je Quadratmeter Miete gefordert und gezahlt. - Das sind keine Zahlen der SPD, sondern des wohnungsbaupolitischen Sprechers der CDU. - In Frankfurt werden mehr als 10 DM je Quadratmeter an Miete gefordert und gezahlt. Die Leute müssen es zahlen. Das heißt, daß der Empfänger eines Einkommens von 2 000 DM fast die Hälfte seines Einkommens aufwenden muß, um die Kaltmiete für eine in etwa angemessene Wohnung zu zahlen. Diese Misere, die Sie mit Ihrer Politik herbeigeführt haben, ist so groß, daß sie nicht mit Pflästerchen gelindert werden kann.
Notwendig ist eine andere Politik: Der Bund muß wieder den sozialen Wohnungsbau fördern. Wohnungen, und zwar preiswerte Wohnungen, fehlen. Sie fehlen nicht nur für Aussiedler, sie fehlen für Aussiedler und Einheimische.
Durch Ihre Politik der angekündigten Aussiedlerprogramme haben Sie nur Spannungen gesät; denn der Ärger einer einheimischen Familie ist doch verständlich, wenn sie sich die Hacken abläuft, keine Wohnung bekommt und dann hört, daß Mittel nur für Aussiedlerwohnungen bereitgestellt werden.
Hören Sie mit dieser Politik auf. Setzen Sie den Beschluß zur Beseitigung der Gemeinnützigkeit aus. Da Sie ja geglaubt haben, Sie könnten über Wohngeld alles richten: Passen Sie das Wohngeld den veränderten Verhältnissen an, und zwar sofort und nicht erst im nächsten Jahr. Wohngeld kann zwar Ihre verfehlte Wohnungsbaupolitik nicht ersetzen, aber es kann den Menschen, gerade den Familien, die Mietlast mindern; aber dazu muß es spürbar erhöht werden.
Wenn Sie uns schon nicht glauben, wenn Sie in den letzten Jahren unsere Forderungen immer wieder in den Wind geschlagen haben, dann hören Sie doch auf die Verantwortlichen draußen im Lande. Die Briefe der Oberstadtdirektoren, die Briefe der Oberbürgermeister erreichen doch auch Sie, die geradezu hilfesuchend sich an uns wenden, mit der Bitte, endlich etwas zu tun, damit die unzumutbaren Verhältnisse, die Sie durch Ihre Politik herbeigeführt haben, so schnell wie möglich beendet werden.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Man war natürlich - besonders als Hesse - ausgesprochen gespannt über den Auftritt des OB-Kandidaten von Frankfurt hier im Deutschen Bundestag und über das, was er uns Richtungweisendes zur Wohnungspolitik zu sagen hat.
({0})
Er hat leider noch nicht mal seine Redezeit ganz genutzt und hat dieses Podium dazu benutzt, Wahlkampf zu führen.
({1})
Offensichtlich ist die Wahlkampfanstrengung in Frankfurt so groß, daß er sich mit den Fakten in Frankfurt gar nicht auseinandersetzen kann. Ein Telefonanruf, Herr Hauff, hätte genügt.
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- Ich habe gerade telefoniert und habe mich über die Fakten in Frankfurt informiert. Das würde ich Ihnen auch empfehlen. Denn als Hessin will man wissen, was die Nachbarstadt so macht. Da stellt sich heraus, daß in dieser Stadt mit 314 000 Wohneinheiten allein 150 000 im sozialen Wohnungsbau sind.
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Die Zahl ist gerade aus dem Römer gekommen.
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Ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Zeit, Herr Hauff, einmal zu nutzen,
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sich vor Ort über Ihre augenblickliche Wahlheimat zu informieren.
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Ein Weiteres, was man von Ihnen natürlich erwartet hätte, wäre gewesen,
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daß Sie das einmalige Sonderprogramm der Stadt Frankfurt - hier ist Frankfurt mustergültig für das ganze Bundesgebiet - angesprochen hätten. Denn Frankfurt geht vollkommen neue Wege im Wohnungsbau. Frankfurt fördert auch Kostenmieten bis zu 12 DM. Warum sagen Sie das nicht? Redlichkeit
- und das Amt des Oberbürgermeisters erfordert Redlichkeit - hätte hier erfordert, daß Sie passende Zahlen gesagt hätten.
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Ich habe es sehr bedauert, daß man von Ihrer Seite
- Sie sind nicht unbedingt ein ausgewiesener Wohnungspolitiker - keine Initiative gehört hat.
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Sie hätten uns den Weg weisen können, wie Sie in dieser Stadt Frankfurt, wenn Sie die Möglichkeit hätten - vielleicht im Jahre 2003, mag sein - , die Initiative ergreifen wollen.
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Ihre augenblickliche Wahlheimat Frankfurt hat diesen Oberbürgermeister nicht verdient.
Ich muß Ihnen sagen: Die Stadt Frankfurt mit dem Oberbürgermeister Brück ist, wie ich gerade gesagt habe, vorbildlich,
({11})
und sie tut auch etwas. Sie ist eine sehr attraktive Stadt.
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diese attraktive Stadt erfordert natürlich eine besondere Anstrengung im Wohnungsbau. Denn aus dem
Umland ziehen die Mittelklassefamilien in die Stadt.
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Das gleiche gilt für meine Stadt, Wiesbaden. Ich hätte mir in meiner Stadt, Wiesbaden, in der Landeshauptstadt, die gleichen Anstrengungen gewünscht. Ich bin froh, daß unser Oberbürgermeister, ein Sozialdemokrat, in den letzten drei Wochen Wohnungsbauprogramme auflegt. Hier ist man ganz glücklich, wenn er endlich erkannt hat, daß auch Kommunen etwas unternehmen müssen, daß man die Aufgaben nicht voll dem Bund überlassen kann.
Kollege Menzel, ich muß leider auch etwas zu Ihnen sagen. Ich habe sehr bedauert, daß auch Sie momentan in die sozialdemokratische Kerbe hineinhauen
Frau Rönsch ({14})
und unser Aussiedlerwohnungsprogramm aus diesem Jahr mit dazu benutzen, eine künstliche Kluft
({15})
zwischen Bürgern, die die ganze Zeit schon in der Bundesrepublik Deutschland leben, und Aus- und Umsiedlern zu schaffen, die aus Osteuropa bzw. aus der DDR kommen. Sie haben hier heute wieder nicht gesagt, daß dieses Aussiedlerprogramm - so heißt es nun einmal - genauso gut für Bürger greift, die schon immer hier wohnen.
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- Herr Müntefering, wir sitzen im selben Ausschuß. Sie wissen doch, was Sache ist.
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Ein Bürger, der eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau freimacht, Eigentum schafft, kann auch in den Genuß dieses Programms kommen, das vielleicht fälschlicherweise Aussiedlerprogramm heißt.
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Es ist tatsächlich so, daß es gerade in strukturstarken Gebieten augenblicklich zu Wohnungsengpässen kommt.
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Wir werden die Bundesregierung aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Auch die Bundesregierung muß weiter die Verantwortung für den Wohnungsbau übernehmen. Wir sind aufgefordert, Verbesserungen der Investitionsmöglichkeiten zu schaffen, damit auch private Investoren wieder investieren. Auch die Bundesregierung muß ein neues Programm auflegen.
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Wir werden uns nach Vorlage des Wohngeld- und Mietenberichts über eine 7. Wohngeldnovelle Gedanken machen müssen. Der Finanzminister sitzt hier. Ich stelle schon heute an ihn die Forderung, daß wir noch in dieser Legislasturperiode eine Wohngeldnovelle machen.
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Der dritte Programmpunkt, den wir haben, ist, daß wir für die Großstädte eine sechste Wohngeldstufe einführen werden, damit gerade in Ballungszentren die hohen Mieten gekappt werden.
Ich bin sicher, daß mit dem, was wir uns für diese Legislaturperiode, aber auch für die nächste Legislaturperiode vorgenommen haben, der Mieter weiterhin sicher in seiner Wohnung wohnen kann
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und daß die Propheten - Herr Jahn ist heute wieder einmal nicht da; es ist eine Wohnungsdebatte, und er fehlt wieder, wie so oft - aus Ihren Reihen, die in den vergangenen acht Jahren immer unrecht behalten haben, auch weiterhin des Unrechts bezichtigt werden können.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.
Frau Rönsch, Sie wissen ganz genau: Durch das Wohngeld wird keine einzige Wohnung geschaffen.
({0})
Das Wohngeld ist nur ganz bedingt dazu in der Lage, Mieterinnen und Mieter tatsächlich zu entlasten. Das Wohngeld führt dagegen dazu, daß die Begehrlichkeiten der Vermieter und der Wohnungsbauunternehmer in die Höhe getrieben werden.
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- Nein, wir sind nicht gegen das Wohngeld. Wir wissen, daß in der jetzigen Situation, nach dem, was Sie in der Wohnungspolitik angerichtet haben, überhaupt nichts anderes übrigbleibt, als das Wohngeld zu erhöhen. Da haben Sie recht. Aber wir wissen auch, daß das überhaupt keine Lösung ist für die wirklich anstehenden Probleme.
Auch keine Lösung ist das, was der Herr Minister jetzt vorhat. Er hat nämlich vor, die steuerlichen Abschreibungen für private Investoren im Wohnungsbau zu verdoppeln, d. h. die Abschreibungsfristen von 50 auf 25 Jahre zu halbieren. Wissen Sie überhaupt, was Sie da machen? Das ist ein Milliarden-Geschenk an Unternehmer. Wir haben in unserem wohnungspolitischen Büro ausgerechnet, was das kostet.
Wenn in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 250 000 Wohnungen gebaut werden, dann kostet das die Steuerzahler/innen 12 Milliarden DM. Mit dieser Summe könnten Sie 120 000 soziale Mietwohnungen bauen. Was Sie machen, ist folgendes: Sie entziehen sich selber die Steuergelder, die Sie brauchten, um soziale Mietwohnungen zu bauen. Sie fördern die privaten Investoren, die keine einzige billige Wohnung bauen, und entziehen sich damit die Mittel, die Sie für den sozialen Wohnungsbau dringend benötigten.
Herr Minister, ich glaube, da hilft nur eines: Man müßte das Haus oder die Wohnung, in der Sie wohnen, für eine Weile versiegeln und Sie für ein paar Monate lang auf Wohnungssuche schicken. Vielleicht kämen Sie dann auf bessere Gedanken.
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Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man reibt sich bei einer solchen Debatte ein bißchen verwundert die Augen. Mir jedenfalls geht es so. Daß das nicht sehr ernsthaft werden würde, war ja zu vermuten. Aber, Kollege Hauff, bei allem Respekt, zu diesem
Einstieg in den Frankfurter Wahlkampf sollte sich der Deutsche Bundestag eigentlich zu schade sein.
({0})
- Nein, das ist nicht in Ordnung. Ich kenne viele Politiker aus Ihren Reihen, Kolleginnen und Kollegen, die gehen gerade in letzter Zeit durchs Land und sprechen von politischer Kultur. Aber wenn Sie hier solche politische Polemik abliefern, ist da wirklich nicht der Hauch von politischer Kultur und dem Bemühen, dem Problem gerecht zu werden. Das wollen wir mal in aller Deutlichkeit sagen.
({1})
- Das scheint getroffen zu haben.
Politische Kultur ist immerhin eine verfeinerte Lebensart. Da war aber überhaupt nichts Feines dran, weder an der Darstellungsart noch an den Fakten.
Nein, innerhalb von zwei Jahren wurde das Bild ganz anders gezeichnet. Erst war von Überschuß die Rede,
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jetzt, nach zwei Jahren, scheint die große Notlage ausgebrochen zu sein. Da reibt man sich doch wirklich verwundert die Augen. Man muß dann doch zu dem Schluß kommen: Damals ist wohl übertrieben worden, und auch das jetzige Bild scheint eine riesige Übertreibung zu sein.
({3})
Die Maßstäbe der Neuen Heimat und der Länder und der Städte hier zum Kriterium einer Analyse zu machen, wo Sie es durch Mißwirtschaft über 30 oder 40 Jahre zu diesem Zustand haben kommen lassen,
({4})
ist doch nicht richtig. Das ist nicht die Situation in der gesamten Republik. Auch ich komme ein bißchen durchs Land, aber was Sie hier dargestellt haben, ist nicht repräsentativ für die Wohnungslage der Bundesrepublik Deutschland.
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Sie sollten diese Zerrbrille mal absetzen. Gehen wir mal an die nüchternen Fakten. Dann können wir feststellen, daß bei einer etwa stagnierenden Bevölkerungszahl von 61 Millionen - und die hat über viele Jahre nicht sehr geschwankt - ein Wohnungsbestand von fast 27 Millionen Wohneinheiten vorhanden ist. Das ist fast eine Relation von zwei Personen auf eine Wohnung. Von 1968 hat die Zahl der Wohnungen um 6 Millionen zugenommen - bei stagnierender Bevölkerungszahl, zugegebenermaßen bei verändertem Wohnungsbedarf. Kleinere Einheiten sind gewünscht. Da liegt sicherlich ein Problem. Aber so zu tun, als sei die Wohnungsmarktlage so mies und
der Staat müsse groß in die Tasche greifen, geht wirklich an der Realität vorbei. Das ist auch das verkehrte Instrumentarium. Das sind 27 Millionen Wohnungen und keine Brückenschlafplätze, keine Container und keine Campingplätze. Diesen Eindruck muß man doch fast haben, wenn man diese Unterlagen durchblättert.
({6})
- Das habe ich sehr genau verfolgt. Und wenn, Herr Kollege Müntefering, in den Sozialwohnungen, die mal als solche gebaut worden sind, die Verkehrten
- immer noch - sitzen, dann müssen die sozial wirklich Berechtigten natürlich warten, und das ist ungerecht.
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Über Fehlbelegung wird seit zehn Jahren geredet; das war noch in der Koalition, die wir gemeinsam gebildet haben. Mitte der 70er Jahre sollte eine Fehlbelegungsabgabe gezahlt werden; das ist alles nichts geworden. Wenn ich mir die Hamburger Situation anschaue, dann erinnere ich mich daran, daß dort
- Mümmelmannsberg, Steilshoop - vor zwei Jahren angepriesen wurde: Wohnungen leer; Sonderprämien wurden ausgelobt. Aber nicht an den Mann bringen konnte man sie, weil die Verkehrten drinsaßen oder die Wohnungen zu teuer waren.
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Schlußfolgerung: Die Wohnungen waren zu teuer oder zu schlecht oder beides.
Und mit den Rezepten der Neuen Heimat und ähnlichem kommen Sie dem verbliebenen Rest und der gezielt anzugehenden Problematik nicht nach.
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Neue Heimat war erst mal teure Heimat, und hinterher hatte keiner eine Heimat; da wurde das verscherbelt. In den Hamburger Randgebieten wenden sich die Leute an uns und beklagen sich darüber, wie sie dort behandelt worden sind.
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Das ist auch ein Teil der Realität, sagen Sie das einmal deutlich!
({11})
Herr Kollege Menzel, da gucke ich auch gern zu Ihnen rüber: Die Analyse stimmt nicht, und die Rezeptur stimmt nicht.
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Daß mit öffentlichen Geldern eine wesentliche Last des Wohnungswiederaufbaus getätigt wurde, ist in Ordnung. Aber diese Phase ist alles in allem vorbei. Was jetzt bleibt, sind einige Spezial- und zielgerichtet zu lösende Probleme. Und zielgerichtet zu lösenden Problemen können Sie mit dem allgemeinen
Schwungrad von öffentlichen Investitionen nicht gerecht werden. Darüber, wie man entsprechende Wohnungen für Alte, für Aussiedler, für Singles und für Studenten schafft, sollte man gezielt nachdenken.
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Und das wird am besten gehen, wenn Sie die Marktinstrumente mehr zur Geltung bringen. Wenn Sie eine Mark zur Sparkasse bringen, wollen Sie Zinsen haben. Wollen Sie denn dem, der in eine Wohnung investiert, keinen Zins geben, durch Festschreibung von Mieten?
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Dann baut natürlich auch keiner. Wenn Sie da keine Spielräume geben, werden Sie das Problem nie lösen.
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Und machen Sie doch das Wohngeld nicht so schlecht! Darauf sind wir stolz, das ist die soziale Komponente. Soziale Marktwirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes plus gezielte staatliche Intervention werden dort, wo es nötig ist, Abhilfe schaffen. Und wenn's da langgeht, werden auch die restlichen Probleme gelöst werden können. Dafür sind wir. Aber das Bild, das Sie gezeichnet haben, geht an der Wirklichkeit total vorbei.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit alle wohnungspolitischen Probleme gelöst.
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Auch die jetzt anstehenden Probleme wird sie mit Unterstützung der Koalitionsparteien wirtschaftlich vernünftig und sozial gerecht zu lösen wissen.
In meine Amtszeit fällt die niedrigste Mietsteigerung - 1987: 1,8 % -, fällt die höchste Wohngeldleistung, fällt die höchste steuerliche Förderung der Bildung von Wohneigentum, fallen die höchsten Leistungen für die Stadt- und Dorferneuerung.
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Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung war, ist und bleibt marktwirtschaftlich ausgerichtet und sozial verpflichtet.
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Sie wird auch weiterhin länder- und gemeindefreundlich bleiben. In unserer Amtszeit sind 1,7 Millionen Wohneinheiten entstanden.
Die Ergebnisse der Volkszählung sind Ihnen bekannt: Zunahme der Zahl der Einwohner um 0,7 %, alle Ausländer eingeschlossen, Zunahme der Zahl der Wohnungen um 33,7 %, Zunahme der Wohnfläche um 50%.
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- Die sind voll einbezogen. Ich darf Ihnen sagen: 95 % aller Haushaltungen sind wohnungsmäßig ohne Probleme untergebracht. 4 % unserer Haushaltungen suchen - da gibt es Probleme - eine größere Wohnung, eine bessere Wohnung, eine ausreichende Wohnung. Nur bei 1 % aller Haushaltungen haben wir echte Wohnungsnotfälle, um die wir uns in besonderer Weise kümmern müssen. Wenn ich „wir" sage, dann heißt das: Länder und vor allen Dingen auch die Gemeinden.
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Meine Damen und Herren, es ist zu fragen: Worauf ist diese gesteigerte Nachfrage, die am Markt augenblicklich nicht voll gedeckt werden kann, zurückzuführen? Der Hauptgrund ist die erfreuliche Steigerung der Realeinkommen, allein in den letzten drei Jahren um mehr als 12 %, um mehr als 150 Milliarden DM real. Das ist eine Wohlstandsexplosion für breite Schichten der Bevölkerung. Die Höhe der Kaufkraft hat die Nachfrage nach mehr und besserem Wohnraum gesteigert.
Hinzu kommen die Aussiedler. Sie kennen die Problematik. Aber auch die Asylanten drücken auf den Wohnungsmarkt. Warum? Wir haben in den letzten Jahren in der Tat zu wenige Wohnungen gebaut.
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Aber was ist der Grund dafür? Von 1983 bis 1986 gab es eine Leerstandsdiskussion, der ich schon damals entgegengetreten bin. Einer von mir in Auftrag gegebenen Untersuchung zufolge gab es nur 300 000 leere Wohnungen statt 1 Million. Gleichzeitig gingen die Immobilienpreise zurück. Die Zahl der Zwangsversteigerungen nahm zu. Der Kollege Zöpel aus Nordrhein-Westfalen hat damals den Rückbau gefordert, d. h. sprengt die leerstehenden Wohnhäuser in die Luft. Ich wurde aufgefordert, Abrißprämien zu zahlen. Die SPD ließ keine Gelegenheit aus, die Investoren dadurch zu verunsichern, daß sich die Investitionen im Mietwohnungsbau nicht mehr lohnten. Wer die Investoren - auch heute noch - so verunsichert und zugleich das zu geringe Wohnungsangebot beklagt, den kann man als wohnungspolitischen Partner nicht mehr ernst nehmen.
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Meine dringende Bitte an die Opposition ist: Unterstützen Sie unsere Bestrebungen, das Wohnungsangebot mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu steigern. Vertreiben Sie nicht die privaten Investoren und Kapitalanleger, die Wohnungen bauen wollen.
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Übrigens, die Zahl der Baugenehmigungen im Wohnungsbau steigt seit längerem mit zweistelligen Zuwachsraten, über das ganze Jahr 1988 um 19,4 %,
in den letzten drei Monaten sogar um 30 %. Die privaten Investoren fassen Vertrauen zu unserer Politik und mißtrauen Ihren hektischen Mißtrauensparolen. Die SPD sollte ihnen mehr Mut machen und sie weiter motivieren. Dann handeln Sie mieterfreundlich.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Eigenbedarf ein Urteil gefällt. In diesem Zusammenhang habe ich festgestellt, das Urteil zum Eigenbedarf der Vermieter sei auch mieterfreundlich, und ich erhalte diese Behauptung aufrecht. Wohnungen stehen nicht mehr länger leer, weil der Vermieter fürchtet, er könne einen begründeten Eigenbedarfsanspruch nicht durchsetzen. Es werden mehr Wohnungen gebaut, weil die konkrete Sozialpflichtigkeit des Eigentums präziser und verpflichtender formuliert worden ist.
Wegen dieser Äußerung hat der Herr Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, Herr Schlich, behauptet, ich verhöhnte die Mieter.
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Für empörend und heuchlerisch halte ich die Bemerkung des Herrn Geuenich, Mitglied des DGB-Vorstandes, der behauptet hat, ich sei ein Anti-MieterMinister.
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Wenn ich ein Anti-Mieter-Minister bin, dann ist das Bundesverfassungsgericht ein Anti-Mieter-Gericht.
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Ich habe als Bundesminister einen Eid auf die Verfassung geleistet, und ich bin gehalten, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts auch ernst zu nehmen.
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Mit welcher Berechtigung erhebt der Herr Geuenich vom DGB diesen Vorwurf gegen mich? War es nicht der DGB, der am 19. September 1986 verkünden ließ, er habe das Gesellschaftsvermögen der Neuen Heimat im Wert von 17 Milliarden DM zum symbolischen Preis von 1 DM an einen Berliner Bäcker veräußert? Ist es nicht der DGB, der durch seine Verhaltensweise als Wohnungsunternehmer die härtesten Proteste, die schwersten Vorwürfe und die bittersten Anklagen seiner Mieter hervorgerufen hat? Gibt es in Deutschland einen Wohnungsunternehmer, einen einzigen Vermieter, der die sozialen Pflichten seinen Mietern gegenüber mehr verletzt hat als der Deutsche Gewerkschaftsbund?
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Ich erinnere an Ihre eigenen Worte: Damals gab es einen sozialdemokratischen Politiker, der gesagt hat, auch wenn wir den Vorstand der Neuen Heimat mit lauter Nonnen besetzen würden, könnte dieser Vorstand kein Vertrauen mehr in den Reihen der Mieter finden.
Die Bundesregierung hat bereits eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet. Die Förderung des Wohneigentums wurde durch das Steuergesetz 1986 wesentlich verbessert. 1990 wird im Zuge der von Ihnen bekämpften Steuerreform das Baukindergeld noch einmal von 600 DM auf 750 DM angehoben.
Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau einschließlich des Aussiedlerprogramms wurden für das Rechnungsjahr 1989 bei den Verpflichtungsermächtigungen auf 1,05 Milliarden DM erhöht. Damit nähern wir uns dem Niveau von 1982. 1988 hatte die SPD im Rahmen der Haushaltsberatungen im Bundestag 650 Millionen DM gefordert. Wir haben 1,05 Milliarden DM eingesetzt. Als wir dies getan haben, haben Sie im nachhinein schließlich 1,4 Milliarden DM gefordert. Meine Herren, Ihre Verhaltensweise ist weder schlüssig noch überzeugend.
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Wer mit einem solch schlechten Gewissen vor den Mietern auf der Anklagebank sitzt, der sollte keine solch kühnen Angriffe gegen mich starten.
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Meine Damen und Herren, wir bauen also wieder mehr Wohnungen. Meine Antwort lautet: Wenn wir den privaten Investor nicht dazu bringen zu investieren, dann werden wir den Bau der erforderlichen Wohnungen nicht leisten können.
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Bedenken Sie: In München wird beispielsweise verlangt, ich solle 20 000 Sozialmietwohnungen finanzieren. Bei einem Förderrahmen pro Wohneinheit von 150 000 DM bedeutet das allein für München einen Aufwand von 3 Milliarden DM. Das sind Forderungen, wir sollen bundesweit 100 Milliarden DM bereitstellen.
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Das sind doch Forderungen jenseits jeder Realität. Wir können dies nur privatwirtschaftlich leisten.
Man bedenke auch: Bereits unser geltendes Steuerrecht sieht schon Abschreibungen in den ersten acht Jahren von achtmal 5 % vor. Nur, Sie dürfen die Vermieter, die Anleger nicht diffamieren.
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Wir müssen ihnen Vertrauen geben. Wir müssen sie auffordern, sich zu engagieren. Es ist besser, das Geld in den deutschen Mietwohnungsbau zu stecken, als im Ausland mit dem Geld zu spekulieren.
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Aus diesen Gründen bitte ich Sie, dies zu tun. Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Abgeordnete Reschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon beschämend, daß hier der Wohnungsbauminister der Bundesrepublik Deutschland an das Pult tritt und nicht eine einzige
Initiative zur Belebung des Wohnungsbaus, zur Wohnraumversorgung aufzählt.
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Herr Wohnungsbauminister, ich hätte gedacht, Sie hätten endlich einmal die Verwirrungen gelöst, die Sie bundesweit angestiftet haben. Ich will einmal vier Zitate des Wohnungsbauministers Schneider bringen:
Am 20. Mai 1987 hat er vor dem Wohnungsbauausschuß in seiner Regierungserklärung gesagt:
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war der Wohnungsmarkt in einer so ausgezeichneten Verfassung wie heute.
Das war der 20. Mai vor eineinviertel Jahren.
({1})
Am 4. Dezember 1987 schrieb der Wohnungsbauminister an den Finanzminister, daß das Kreditprogramm bitte schön auf den Wohnungsmarkt ausgerichtet werden soll, da - ich zitiere - „bereits heute erkennbarer Nachfragedruck auf dem Wohnungsmarkt besteht" . Das sagte auch Wohnungsbauminister Schneider.
({2}) - Ein Jahr.
Ein halbes Jahr später, am 29. Juni 1988, „ Süddeutsche Zeitung" : „ein sozial bedrohlicher Wohnungsmangel, wenn Investitionen nicht gesteigert werden".
Am 22. Dezember vergangenen Jahres, also vor wenigen Wochen:
Wir brauchen also kein riesiges Sonderprogramm des sozialen Wohnungsbaus, ebensowenig wie ein allgemeines Konjunkturprogramm nötig ist.
Herr Wohnungsbauminister, ich meine: Entweder sind Sie in Ihren Zielen und in Ihren Ansichten über Wohnungspolitik das große Investitionshemmnis oder Ihr Redenschreiber. Sie sollten einmal darüber nachdenken, in welchen Bereichen Sie etwas ändern müssen.
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Alle wohnungspolitischen Probleme, haben Sie eben hier an diesem Pult gesagt, seien gelöst. Sie haben angegeben, 4 % der Bevölkerung seien schlecht versorgt oder unterversorgt oder haben Probleme mit Wohnungen. Herr Wohnungsbauminister, bei der Anzahl der Haushalte der Bundesrepublik Deutschland sind diese 4 gerade die etwas über 1 Million Menschen, verteilt auf unsere Ballungszentren, die unter der grollen Wohnungsnot leiden,
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die große Probleme mit der Wohnraumversorgung haben und im Grunde genommen der Obdachlosigkeit in einigen Bereichen entgegengehen. Das sind genau die Millionen Wohnungen, die wir fordern, das sind genau die Millionen Wohnungen, die Sie vergessen haben zu bauen.
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Sie können sich mit Ihrer Regierung neben dem Attribut, eine Regierung zu sein, die die längste Dauer- und Massenarbeitslosigkeit aufweist, auch bald als Bilanz an den Hut stecken, daß zu der Dauer- und Massenarbeitslosigkeit jetzt in der Bundesrepublik auch die Massenwohnungslosigkeit kommt. Wenn Sie sich nicht bald entschließen, Städte- und Wohnungsbaupolitik grundlegend zu ändern, dann wird sich zumindest das, was sich am Markt tut, für viele Menschen wesentlich verstärken.
Die Zahl der bei den Städten gemeldeten wohnungssuchenden Haushalte nimmt stetig zu, weil Sie bestimmte Faktoren nicht beachten. Die Betroffenen selbst sind immer die gleichen. Das sind dann nicht irgendwelche Leute, die sich am Markt behaupten können, sondern sind Menschen, die soziologisch am unteren Einkommensdrittel der Bevölkerung anzusiedeln sind, vor allem kinderreiche Familien, junge Familien, Alleinerziehende, Rentner, Studenten, Aussiedler.
Allein die Zahl der Obdachlosen in den Städten nimmt dramatisch zu. Ich darf daran erinnern, daß die Stadt Köln einige Hunderttausend Mark zur Vermeidung von Obdachlosigkeit jede Nacht ausgibt. Meine Heimatstadt Essen gibt jährlich über 11 Millionen DM aus - aus dem Sozialhaushalt - , um Obdachlosigkeit zu verhindern. Das sind keine Dinge, die man dann einfach mit „4 % " abtun kann.
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Im Gegenteil: Auf diese Fälle reagiert der Markt ganz besonders. Bei sinkendem Angebot und wachsender Nachfrage steigen die Mieten. Das haben wir in den letzten Wochen vor allem bei Neuvermietungen in den Ballungsgebieten zu spüren bekommen.
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Der Deutsche Mieterbund hat im vergangenen Jahr bei Neuvermietungen je nach Region und Wohnungsgröße Mieterhöhungen zwischen 20 und 30 % festgestellt. Hier hilft nicht nur eine Kappungsgrenze, sondern der Deckel muß darauf, damit in Zukunft noch eine Neuvermietung zu erträglichen Preisen möglich ist, auch in Form der Umsetzung und Verteilung des Wohnungsangebotes in vielen Bereichen.
Immer größer werden die Schwierigkeiten bestimmter Einkommens- und Bevölkerungsschichten, überhaupt noch eine preislich akzeptable und dem tatsächlichen Bedarf entsprechende Wohnung zu finden.
Herr Wohnungsbauminister - ich sage das auch Herrn Kansy - , anstatt ein wohnungspolitisches Programm vorzulegen, hat sich die Bundesregierung entschieden, den Wohnungsmarkt ausschließlich marktwirtschaftlichen Gesetzen unterzuordnen.
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Nicht nur das, sondern alle Maßnahmen haben Sie darauf ausgerichtet: von der Abschaffung der Gemeinnützigkeit . . .
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß.
... - ich komme zum Schluß - bis hin zur Einstellung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus seit 1984.
Lag Mitte der 50er Jahre . . .
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
. . . - mein letzter Satz - der Anteil am sozialen Wohnungsbau bei 52 %, liegt er heute in den Städten unter 10 %, und das bei einer Wohnungsnot, die dringend Maßnahmen erforderlich macht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dörflinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß sich oppositionelle Nebelkerzen als Rohrkrepierer erweisen, diese Erfahrung hat die SPD schon in mancher Aktuellen Stunde gemacht.
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Daß sich ein Oberbürgermeisterbewerber in einem Hauffschen Märchen auch als wohnungspolitischer Frankenstein präsentiert und damit die Leute erschreckt, ist eine Erfahrung von heute. Aber diese Erfahrung ist gut für Frankfurt.
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Die Erfahrung ist auch gut für diejenigen, die Hoffnungen darauf setzen, daß Sozialdemokraten mit Polemik und den Rezepten von gestern die differenzierten Probleme von heute und morgen zu lösen vermöchten. Das ist eine Illusion.
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In diesem Nebel, den die Opposition erzeugt, ein paar Worte zur Klarstellung und zur Beantwortung der Frage: Was kann man eigentlich von der öffentlichen Hand erwarten, und was kann man von ihr nicht erwarten? Man kann von der öffentlichen Hand erwarten, daß sie dann, wenn wir den Wohnungsmarkt als Bestandteil des Systems der sozialen Marktwirtschaft begreifen, optimale und verläßliche Rahmenbedingungen für private Investitionen schafft. Das ist die zentrale Voraussetzung dafür, daß wir überhaupt die Chance zu einer ausreichenden Wohnungsversorgung haben.
Nun schauen wir uns die Fakten an. Es stimmt bei den Zinsen. Es stimmt beim Preisniveau. Es stimmt bei den Impulsen für den Städtebau, Es stimmt bei der steuerlichen Förderung des Wohnungseigentums.
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Es stimmt auch beim gerechten Austarieren der Interessen von Vermietern und Mietern. Verbessert werden müssen nach unserer Ansicht die Abschreibungsbedingungen für private Investitionen im Wohnungsbau.
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Dabei stellen wir uns in etwa eine Lösung vor, die bei Wirtschaftsgebäuden gilt.
Ich appelliere schon jetzt an die Opposition, derartigen Vorschlägen nicht mit einer so billigen Polemik zu begegnen, wie sie es getan hat, als wir die steuerlichen Bedingungen für Wirtschaftsgebäude verbessert haben.
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Hinsichtlich dieser Maßnahmen haben Sie nämlich gesagt, wir wollten den Reichen helfen.
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Ich sagte: verläßliche Rahmenbedingungen als zentrale Voraussetzung. Das fordert übrigens auch die Bauwirtschaft von uns.
Jetzt zu der Frage: Was kann die öffentliche Hand sonst noch tun? Sozialer Flankenschutz: Das ist das Wohngeld. Die bewußte Aufnahme der Herausforderungen neuer gesellschaftspolitischer Entwicklungen: Da ist die Frage des Altersaufbaus. Da ist die Hilfe für Personengruppen, die neu zu uns kommen oder die Schwierigkeiten haben - z. B. kinderreiche Familien - , sich am Markt zu versorgen. Aber das ist doch nicht ein Problem, das ein Bundesprogramm lösen kann. Die Treffsicherheit ist doch nur vor Ort auf Gemeindeebene einigermaßen befriedigend zu realisieren. Deswegen ist es Blödsinn, zu sagen, daß alles Heil von einem wie auch immer gearteten Gießkannenprogramm des Bundes erwartet werden könne.
Meine Damen und Herren, was kann die öffentliche Hand nicht tun, und was kann man von ihr nicht erwarten? Man kann nicht erwarten, daß sie individuell geänderte Bedürfnisse auf Grund anderer Einkommensverhältnisse befriedigt. Man kann auch nicht erwarten, daß die öffentliche Hand Auswirkungen aus gewandelten individuellen Einstellungen alimentiert. Wenn viele junge Leute heute ihr Elternhaus früher verlassen, dann ist es nicht Sache der öffentlichen Hand, dafür den Steuerzahler in den Griff zu nehmen. Wir können auch nicht raumordnerische Fehlentwicklungen, z. B. eine ungesunde Anziehungskraft von Ballungszentren mit der damit verbundenen Entleerung der ländlichen Räume ausgleichen. Es kann doch nicht die Aufgabe der öffentlichen Hand sein, daß sie dafür noch Milliardenbeträge zur Verfügung stellt.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund einer klaren Aufgabentrennung zwischen öffentlicher Hand und privaten Investitionen sage ich: Wir haben bisher nach diesen Grundsätzen gehandelt. Wir werden uns weiterhin nach diesen Grundsätzen richten. Wer Illusionen weckt, schadet den Interessen der Vermieter und weckt Illusionen, die letztlich dann auch in der politischen Verantwortlichkeit auf diejenigen zurückfallen, die eben falsche Illusionen geweckt haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege Roth: Ich erinnere mich noch an Ihre lebhafte Kritik in der gestrigen Debatte, daß wir beim Subventionsabbau nicht genügend vorankommen. Jetzt begrüßen Sie mich mit dem Satz: „Jetzt bringen Sie mal das Geld über! "
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- Es stand jedenfalls in Ihrem Manuskript. Vielleicht haben Sie es nicht vorgetragen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Ausgangsbeurteilung realistisch ist. Wir haben jahrelang das bewegte Klagen über Leerstände, gerade auch von sozialdemokratischen Politikern, gehört. Wir haben in jüngster Zeit in der Tat Änderungen in der Marktsituation. Wir haben Engpässe. Allerdings unterstreichen die Ergebnisse der Volkszählung, daß es eine grobe Irreführung ist, von einer generellen Wohnungsnot in der Bundesrepublik Deutschland zu reden.
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Ich möchte hier auch gegenüber anderen Behauptungen der sozialdemokratischen Kollegen unterstreichen: Seit 1983, also seit dem letzten Etat, der in diesem Punkt eine sozialdemokratische Handschrift trägt, sind die Mittel des Bundes für das Wohnungswesen deutlich angestiegen. Im Etat 1983 - dieser ist nach der Regierungsneubildung Ende 1982 nicht geändert worden - betrugen die Mittel für diesen Bereich 3,88 Milliarden DM. Im Regierungsentwurf 1989 lagen sie bei 4,69 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, die stärkste Steigerung haben wir in der Tat bei der sozialen Absicherung durch das Wohngeld. Die vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat ja erst vor kurzer Zeit verabschiedete großzügige Neuregelung des Wohngelds hat zu einer Erhöhung der Bundesleistungen um mehr als 50 % in wenigen Jahren geführt, und zwar von 1,3 Milliarden DM, im Jahre 1983 - das war sozusagen die sozialdemokratische Bilanz - auf jetzt 2,1 Milliarden DM.
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- Ja, es ist doch gut, nach so viel unbewiesenen Behauptungen einmal über Zahlen zu reden. Das bekommt auch der Wohnungswirtschaft gut, sogar den Wohnungsbaupolitikern, Herr Conradi.
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Ich will das doch nur sagen.
Wenn wir die Leistungen der Länder hinzunehmen, haben wir insgesamt eine Steigerung von 2,5 auf über 3,7 Milliarden DM. Nach dieser gewaltigen Steigerung des Wohngelds ist es eine ganz offene Frage, ob
wir überhaupt die Finanzmittel haben, um jetzt in kurzer Zeit auf diesem Wege weiterzugehen.
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- Bitte? - Ich komme ja auf das Thema gleich zu sprechen.
Ich sage, meine Damen und Herren: Verfassungsrechtlich ist die Förderung des Wohnungsbaus ganz vorrangig eine Aufgabe der Länder. Ich habe von Ihnen keinen Hinweis darauf gehört - wie ich glaube: aus gutem Grund. Diese Auffassung hat übrigens die Regierung Schmidt vor allem auf die Initiative meines Vorgängers Hans Matthöfer hin immer wieder vertreten und in den letzten Jahren auch konkret in Handeln umgesetzt. Ich bin hier in Kontinuität sowohl mit dem früheren Bundeskanzler Schmidt als auch mit meinem Vorgänger Matthöfer.
Aber wir sind uns auch einig - ich stimme Herrn Kollegen Schneider ausdrücklich zu - , daß im richtigen Verfassungsverständnis wirksame ergänzende Initiativen und Beiträge des Bundes erforderlich sind. Nur: Man muß den ersten Satz betonen.
Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, schauen Sie sich einmal die Zahlen in den Ländern an, in denen die Sozialdemokraten Verantwortung tragen. Im sozialdemokratisch regierten Hamburg ist der soziale Wohnungsbau von 1982 bis 1988 von über 4 000 auf gerade noch 400 Wohneinheiten zusammengestrichen worden.
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Sie sollten einmal mit Herrn Voscherau und mit Herrn von Dohnanyi darüber reden, was Sozialdemokraten unter ihrer Verantwortung in diesem Bereich versäumt haben.
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Im sozialdemokratisch regierten Nordrhein-Westfalen werden 1989 gerade noch 10 % des gesamten sozialen Wohnungsbaus dem allgemeinen Mietwohnungsbau zufließen. Sie reden hier wieder einmal im falschen Saal anklagend. Wir können nicht kompensieren, was durch die drastische Kürzung der Wohnungsbaumittel in der Verantwortung der Länder unter sozialdemokratischer Führung geschehen ist.
Aber sicher - das ist wahr - hängt diese drastische Kürzung auch mit der Einschätzung zusammen, die es bis vor kurzem gegeben hat und die Sie nun polemisch gegen Herrn Schneider und uns richten.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat 1988 auf Grund der sich schwieriger gestaltenden sektoralen Situation ein wichtiges Programm nicht nur angekündigt, sondern - jedenfalls in den Vereinbarungen mit den Ländern - verwirklicht. Wir haben gesagt: Wir werden in diesem Jahr ein neues Programm zu definieren haben. Dazu stehe ich als Finanzminister. Das ist ein Beschluß des Kabinetts und der Koalition. Das bedeutet auch, daß wir den Finanzrahmen gegenüber der Finanzplanung zu erhöhen haben.
Allerdings: Nicht alles, was in den letzten Wochen in vielen Erklärungen - auch aus den Reihen der Koalition - gefordert wurde, in Interviews und in
Aussagen, ist finanzierbar. Ich sage das mit derselben Deutlichkeit hier im Deutschen Bundestag. Es gibt insoweit keine Entscheidungen der Bundesregierung in den hier angesprochenen Fragen. Es gibt fachlich begründete Wünsche und Anmeldungen, die in der Addition - das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein, wie wir es vereinbart haben - auf ganz wenige, im Interesse der Sachen liegende und dann noch finanzierbare Schwerpunkte begrenzt und gegenüber den öffentlich genannten Beträgen auch deutlich reduziert werden müssen.
Richtig ist folgendes - diesbezüglich möchte ich mich auf Herrn Kollegen Dörflinger beziehen; wir sind hier doch eine klare Auskunft schuldig - : Das Wichtigste für die positive Entwicklung im Wohnungsbau, bei der wir die Trendwende 1988 erreicht haben, sind günstige Rahmenbedingungen. Niedrige Zinsen sind maßgeblich für die sehr erfreuliche Bilanz, die der Kollege Oscar Schneider hier vorlegen konnte. Deshalb haben wir den neuen Impuls nach dem Tiefstand so vieler Jahre erreicht.
Wir haben natürlich - das war ein Thema in unserer gestrigen Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht, Herr Kollege Roth - im Augenblick international einen Zinsanstieg. Es muß eine vorrangige Aufgabe auch der Finanzpolitik sein, diesen Zinsanstieg zu begrenzen und unter Kontrolle zu halten. Wenn wir aber der Summe überhöhter Milliardenforderungen der sozialdemokratischen Opposition auf fast allen Feldern der Politik folgen würden, wäre die Konsequenz gerade in den so wichtigen Jahren 1990 und 1991, daß wir durch den Zinsanstieg den sozialen und frei finanzierten Wohnungsbau gefährden könnten. Das ist die vorrangige Aufgabe.
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- Die Bundesbank und, soweit sie mitwirkt, die Bundesregierung haben in puncto Zinspolitik in fünf Jahren eine hervorragende Bilanz, Herr Kollege Roth. Das hat uns auch im Wohnungsbau geholfen.
Deswegen muß die Finanzpolitik auf Kurs bleiben. Deswegen müssen wir in allen Bereichen, in denen jetzt öffentlich neue Forderungen erhoben werden, diese Forderungen auf das Finanzierbare und auf wirkliche Prioritäten hin eingrenzen und in ein Gesamtkonzept unserer Politik für die nächsten zwei Jahre dieser Wahlperiode so einordnen, daß die Neuverschuldung nicht unvertretbar zunimmt, daß die Rahmenbedingungen für private Investitionen und soziale Politik gesichert bleiben, daß die Zinsen nicht unvertretbar ansteigen und die Inflation uns nicht beunruhigt. Das ist für die soziale Dimension unseres Staates wichtiger als manches andere, was an Aktionismus gefordert wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als man heute morgen die Süddeutsche Zeitung aufschlug, hoffte und wünschte man, der Bundesbauminister werde sich heute morgen hierher stellen und das Programm verkünden. Als ich sah, daß
auf der Regierungsbank der Bundesfinanzminister hinter dem Bundesbauminister sitzt, habe ich gewußt: Das Programm wird nicht verkündet;
({0})
es wird dieses Mal so kommen wie schon viele Male: Der Bundesbauminister erzählt etwas; der Bundesfinanzminister kassiert ein.
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- Ich komme gleich darauf.
Das wird den Problemen, die wir in den Städten haben, nicht mehr gerecht.
Herr Finanzminister, in den Gesetzen, die der Bundestag beschlossen hat, steht, daß für die Wohnungsversorgung Bund, Länder und Gemeinden zuständig sind. Wir sagen: Auch Länder, auch Gemeinden; aber bitte auch der Bund.
Den Menschen, die draußen Wohnungen suchen, hilft es überhaupt nicht, wenn Bund und Länder in unwürdiger Weise darüber streiten, wer eigentlich zuständig ist. Die Menschen brauchen menschengerechte, bedarfsgerechte, finanzierbare Wohnungen. Darum geht es.
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Es geht nicht darum, sich zu streiten, wer zuständig ist.
Ein paar Zahlen zu dem, was der Bundesbauminister behandelt hat. Damit sollen die richtigen Dimensionen deutlich werden.
Herr Bundesbauminister, vor dem Hintergrund Ihres großen Stolzes auf die Häuser, die während Ihrer Amtszeit gebaut worden sind, erwähne ich: 1982 wurden 316 000 Wohnungen fertig. 1987 waren es noch 196 000. Jetzt sind es 20 000 mehr und in diesem Jahr vielleicht wieder 10 000 oder 15 000 mehr.
Es ist ja gut, daß es mehr werden. Aber vergleichen Sie, wie es damals war und wie es inzwischen geworden ist.
({3})
Zu Ihren Feststellungen zur Einwohnerzahl. Die Einwohnerzahl ist für die Zahl der Wohnungen, die gebraucht werden, nicht entscheidend. Das wissen Sie doch sicher als Minister. Entscheidend ist die Zahl der Haushalte. Diese Zahl wird bis Mitte der 90er Jahre um 800 000 oder 1 000 000 zunehmen. Das ist die Zahl, die Sie als Bauminister nennen müssen.
Zu Ihren Zahlen über die Erhöhung der Mieten. Sie sagen: In meiner Zeit waren es nur 7,6 oder aber 8%.
({4})
- Ich meine: In den Jahren, seit Sie regieren. Das ist richtig. Aber in derselben Zeit sind die allgemeinen Kosten für den Lebensunterhalt nur um ein Drittel so viel gestiegen wie die Mieten.
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Die Mieten sind die Preisrenner. Dieser Umstand wirkt am stärksten in die Haushalte hinein.
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Weiter sagen Sie: Bei uns in der Bundesrepublik bräuchten 4 % der Haushalte oder Menschen eine neue Wohnung. 4 % von 27 000 000 Haushalten sind etwas über 1 000 000. Das ist eine Zahl, die ich mich gar nicht zu sagen getraut hätte. Hören Sie doch einmal mit den 4 % auf, und sagen Sie: 1 000 000 Haushalte brauchen eine neue Wohnung. Das würde den Finanzminister vielleicht ein bißchen überzeugen.
Zu den Studenten. Es gab einmal die Meßlatte: 15 % der Studenten wohnen in einem Studentenwohnheim. Das haben wir gebaut. Damals waren es 850 000 Studenten. Jetzt gibt es 1,5 Millionen. Darauf paßt das doch nicht mehr. Da muß man doch versuchen, nachzusteuern und anzuerkennen, daß das ein großes Problem ist.
Ganz kurz zu den Ansätzen, die jetzt zu erfüllen sind. Ich will mich nicht lang mit Zitaten aufhalten. Aber 1987 sagte Herr Minister Schneider: Der jährliche Neubau von 200 000 bis 220 000 Wohnungen reicht aus, um den mittelfristig erkennbaren Bedarf zu decken.
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Am 26. Februar 1988 - berichtete die „Welt" : „Also abreißen?", fragte die „Welt". Darauf Minister Schneider: „Hier gibt es Probleme in einer solchen Größenordnung, daß wir bei diesem Siedlungstyp in einem gewissen Umfang keine Reparatur mehr vornehmen können, sondern eine gänzliche Beseitigung dieser Wohnhausriesen ins Auge fassen müssen." - So sprach Minister Schneider vor einem knappen Jahr.
Daß Sie im Augenblick einen großen Fehler machen, weiß der Finanzminister möglicherweise besser als Sie. Seit Weihnachten gehen Sie durch das Land und sagen: Wir machen Erleichterungen im frei finanzierten Wohnungsbau. Sie lösen Attentismus aus. Alle, die bauen möchten, sagen: Wir warten; da kommt irgendwann ein Stichtag.
Heute lese ich in der Zeitung: Wir machen das rückwirkend. Haben wir so viel Geld, Herr Bundesfinanzminister, daß wir auch denen, die schon beim Bauen sind, Geld hinterherschmeißen können?
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Lassen Sie uns das Geld doch nehmen und ein gescheites Programm für den sozialen Wohnungsbau machen. Wir sind nicht gegen den frei finanzierten Wohnungsbau. Er wird den größten Teil der Lasten zu tragen haben, die wir bereinigen müssen.
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Aber wir sagen: Priorität beim sozialen Wohnungsbau, weil nur er in der Lage ist, die Probleme der wirklich bedürftigen Menschen zu lösen.
Das war heute morgen, Herr Minister Schneider, wohnungspolitisch ein Trauerspiel. Herr Finanzminister, das war das Zeichen dafür, daß Sie noch immer nicht begriffen haben, wie brisant die Lage in den
Städten und Gemeinden inzwischen ist. Denken Sie an Berlin!
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Wahlkampfpolemik wieder zurück zu einigen Fakten.
({0})
Zu den Fakten. Fest steht, daß der ungebrochene Asylantenstrom und Wirtschaftsflüchtlinge zur Verschärfung der Wohnraumsituation in der Bundesrepublik beitragen.
({1})
- Jawohl, wir sind beim Thema.
Fest steht, daß die wachsende Zahl von Aus- und Umsiedlern die Bereitstellung von geeigneten Wohnungen immer mehr erschwert.
({2})
Ebenso richtig ist, daß inzwischen die geburtenstarken Jahrgänge - auch das ist nicht zu vergessen - auf den Wohnungsmarkt drängen. Diejenigen, die wie SPD und GRÜNE jetzt mit hunderterlei Rezepten staatlicher Förderung des Wohnungsbaus aufwarten und der Bundesregierung wohnungsbaupolitisches Versagen vorwerfen, übersehen gewollt eine Reihe von Faktoren, die zur augenblicklichen Situation auf dem Wohnungsmarkt geführt haben.
Noch 1987, meine Damen und Herren, hätte man doch kaum mit noch so guten Förderungsmitteln jemanden damit hinter dem Ofen hervorgelockt, sich im Mietwohnungsbau effektiv zu betätigen.
({3})
Herr Müntefering, riesige Leerstände, kaum Vermietbarkeit vor allen Dingen minderer Wohnqualitäten wurden gefördert, da die Ansprüche durch gewachsenes Einkommen - was ja sehr positiv hervorzuheben ist - an hochwertige Wohnqualität enorm gewachsen sind.
({4})
Herr Müntefering, ich erinnere an Nordrhein-Westfalen. Wir beide sind Nordrhein-Westfalen.
({5})
Noch 1985 - das war im Wahlkampf - versprach Herr Ministerpräsident Rau, 20 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau mit Landesmitteln zu fördern und zu bauen. Was ist danach denn geschehen? - Nichts.
({6})
- Nichts.
Er hat diese Mittel gebraucht, um der Neuen Heimat in ihrem maroden Zustand mit ihren Leerständen wieder auf die Beine zu helfen. Das ist einer der Fakten, Herr Müntefering.
({7})
Es war doch der SPD-Wohnungsbauminister in Nordrhein-Westfalen, Herr Zöpel, wenn ich mich recht entsinne, der vom Rückbau von Wohnhäusern sprach und dies mit staatlichen Zuschüssen, um mit staatlicher Hilfe das vorhandene Überangebot an Wohnungen zu verringern. Wenn es hier also schon Schuldzuweisungen gibt und wenn es wahr ist, daß irgendwann Versäumnisse vorgekommen sind, dann sind sie sicherlich auch bei sozialdemokratisch geführten Landesregierungen vorgekommen.
({8})
Meine Damen und Herren, so schnell hat sich nun die Situation gewandelt, nämlich von der Forderung nach staatlicher Wohnungsabbauprämie bis zur erneuten Forderung nach staatlicher Hilfe zum Wohnungsneubau. So schnell geht das.
Es ist festzuhalten, daß in der Beurteilung der Wohnungssituation höchst unterschiedliche Meinungen und Auffassungen bestehen.
({9})
Wir haben in der Bundesrepublik - das ist eine Tatsache - beste Wohnraumversorgung, auch qualitativ. Das gilt für den gesamten europäischen Raum und darüber hinaus. Trotzdem - das sei nicht verschwiegen, auch das ist eine Tatsache - sind die Wohnungsmärkte in einigen Ballungsräumen neuerdings wie leergefegt.
({10})
Freie Wohnungen stehen nicht mehr oder kaum noch zur Verfügung. Die Polemisierung dieses Problems als latente Wohnungsnot halte ich für falsch und für nicht problemgerecht. Echte Wohnungsnot gab es in der Nachkriegsszeit und bis in die 70er Jahre.
({11})
Meine Damen und Herren, wir haben Verständnis für die Sorgen des Bundesfinanzministers. Wir bleiben aber bei unseren aufgestellten Forderungen zur mittelfristigen Bewältigung des anstehenden Problems, ohne den sozialen Wohnugsbau mit all seinen negativen Auswirkungen, die wir ja erleben mußten - leider erleben mußten - , jetzt wieder aufleben zu lassen. Wir verlangen verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten. Wir verlangen verbessertes Wohngeld. Wir verlangen die Konzentration der zur Verfügung gestellten Bundesmittel auf spezielle Bevölkerungsgruppen. Wir verlangen die Erhöhung der Bundesmittel und auch die Verbesserung der Rahmenbedigungen.
Ich glaube, so werden wir es ohne gegenseitige Polemik schaffen, in den nächsten Monaten, ja, im Jahre 1990 einen Großteil dieser Problemsituation abgebaut zu haben. Dazu brauchen wir hier keine Wahlkampfauseinandersetzung. Dazu brauchen wir den guten Willen aller, auch den guten Willen der Opposition.
Ich danke Ihnen.
({12})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aktuelle Stunde.
Ich habe noch eine Wortmeldung der Abgeordneten Frau Teubner nach § 32 der Geschäftsordnung, also außerhalb der Tagesordnung. Bitte schön, Frau Teubner.
Der Kollege Hubert Kleinert, der heute morgen in der Erklärung der Frau Bundestagspräsidentin namentlich genannt wurde, hat mich gebeten, in seinem Namen hier eine Erklärung vorzutragen. Er befindet sich heute auf einem auswärtigen Termin, der seit Wochen geplant war. Er konnte nicht damit rechnen, daß er heute hier erwähnt wird.
Zu dem öffentlichen, offenbar gezielt verbreiteten Eindruck, Pläne zur Änderung der Regelungen bei der Krankenversicherung von Abgeordneten hätten etwas mit mir - also Hubert Kleinert - zu tun, gebe ich - Hubert Kleinert; ich rede, wie gesagt, in seinem Namen - folgende Erklärung ab:
Ich, Hubert Kleinert, bin seit Beginn meiner Tätigkeit als Abgeordneter des Bundestages Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung geblieben. Ich habe in der 11. Legislaturperiode entsprechend § 27 des Abgeordnetengesetzes einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses gestellt, wie das allen Mitgliedern des Hauses möglich ist. Diesem Antrag ist zunächst nicht entsprochen worden, weil ich seinerzeit die vorgesehene Frist um einige Tage überschritten hatte.
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Diese Fristüberschreitung ergab sich damals aus meiner Arbeitsüberlastung als Geschäftsführer der Fraktion DIE GRÜNEN zu Beginn der Legislaturperiode
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und einem Irrtum meinerseits, der mich in dem Glauben ließ, ich könne die Regelung meiner privaten Angelegenheiten in der Sommerpause vornehmen.
Ich habe daraufhin auf Anraten der zuständigen Stellen den Bundestagspräsidenten schriftlich gebeten, diese Fristversäumnis nicht zu meinen Ungunsten auszulegen und dem Antrag dennoch zu entsprechen. Der Bundestagspräsident hat daraufhin entschieden, daß mir die Kostenbeihilfe gewährt wird.
Daß es unabhängig von meinem Einzelfall Überlegungen gibt, die Regelungen der Beihilfevorschriften für Abgeordnete neu zu fassen, ist mir bekannt. Diese Pläne sind aber zu meiner Zeit - also zu Hubert Kleinerts Zeit - im Ältestenrat nie in ein konkretes Entscheidungsstadium getreten. Irgendwelche Zusammenhänge zwischen meinem seinerzeitigen Antrag und den Auswirkungen der Gesundheitsreform können selbstverständlich schon deshalb nicht bestehen, weil mein Antrag vom 15. Juli 1987 stammt. Im übrigen habe ich damals auch keine grundlegende Neuregelung vorgeschlagen, sondern lediglich um eine Entscheidung in meinem Einzelfall gebeten, welche die geringfügige Fristüberschreitung nicht zu meinen Ungunsten auslegen würde. Das hätte mich nämlich dazu gezwungen, aus der gesetzlichen Krankenversicherung auszutreten, was ich gerade unter allen Umständen vermeiden wollte.
Wer Zusammenhänge zwischen meinem damaligen Antrag und den Auswirkungen der Gesundheitsreform in irgendeiner Form zu konstruieren versucht, dem können nur böswillige und verleumderische Absichten unterstellt werden, gegen die ich - Hubert Kleinert - mich in aller Form verwahre und gegen die ich mich mit allen politischen und juristischen Möglichkeiten wehren werde.
Soweit die Erklärung des Kollegen Kleinert, die ich hier in seinem Namen vorgetragen habe.
Danke schön.
Berichtigungen
125. Sitzung, Seite 9233 A, Zeile 8: Statt „Bundesumweltverbände" ist „Umweltverbände" zu lesen.
Seite 9233 D: Im letzten Absatz muß der letzte Satz richtig lauten:
Von einer seriösen, selbständigen, unvoreingenommenen UVP, wie sie in unserem Antrag angelegt ist, kann bei dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht die Rede sein.
Seite 9234 C: Der zweite Zuruf des Abg. Schäfer ({2}) ({3}) muß statt „Niederlassungen" richtig „Niederlande" lauten.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
- Drucksache 11/3694 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Inzwischen ist interfraktionell beantragt worden, abweichend von der Geschäftsordnung nach § 23 bei diesem Tagesordnungspunkt auf eine Aussprache zu verzichten und die Debattenbeiträge ausnahmsweise zu Protokoll zu nehmen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle dies fest. Dann ist das so vereinbart und beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrats zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes auf Drucksache 11/3694 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. Februar 1989, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.