Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/19/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Sachzwänge haben auch ihr Gutes. Nach meiner Wahl am 25. November ließ die Gesundheitsreform mir nur Zeit für einige persönliche Worte. So fällt meine Antrittsrede nun auf den Tag, an dem vor 70 Jahren das von Frauen erkämpfte aktive und passive Wahlrecht erstmals in Deutschland ausgeübt werden konnte. ({0}) Dies war ein schwarzer Tag für all jene, die mit dem Philosophen Hegel der Auffassung waren, daß Frauen in politischer Verantwortung - und nun zitiere ich - „den Staat in Gefahr bringen". ({1}) Dieses Denken ist Geschichte, behaupten wir. Aber wie lange hat es gedauert, bis die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an politischer Verantwortung im Bewußtsein der Menschen auch zu einer Kernfrage der Demokratie wurde! Sie wissen, daß dies für mich ein zentrales Thema ist, ebenso wie die Frage der Repräsentanz der Altersgruppen, vor allem der Jüngeren, und der Berufsgruppen im Parlament. Ein zweites Problem bewegt mich nicht weniger: Wie können wir unsere parlamentarische Arbeit so lebendig fortentwickeln, daß die Menschen wieder überzeugter sind, daß es im Parlament um ihre Sache geht, daß ihre Fragen und ihre Zukunft ganz ernst genommen werden? Ich verstehe das Parlament als eine Werkstatt, in der Demokratie nicht wie auf einer Schaubühne präsentiert, sondern miteinander erarbeitet wird. ({2}) Demokratie lebt von ihren Idealen: von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, von der Wahrung der Würde der menschlichen Person und der Souveränität des Volkes. Demokratie lebt aber vor allem von den Menschen, die sich in ihr engagieren, die sich kritisch und selbstkritisch beteiligen, die Verantwortung übernehmen, Toleranz üben, Konflikte austragen und Konsens finden, Mehrheitsentscheide respektieren und Minderheiten schützen. ({3}) In einer parlamentarischen Demokratie gilt dies vor allem für die Abgeordneten. Wenn sie ihr Mandat verantwortlich wahrnehmen wollen, sind von ihnen Eigeninitiative und Kontrolle der Regierung verlangt, wobei sie persönliche und fachliche Kompetenz, Phantasie und Mut sowie menschliches Maß unter Beweis stellen sollen. ({4}) Unsere Verantwortung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß Bürger im politischen Prozeß direkte Formen der Beteiligung suchen und wahrnehmen; auch das gehört zur Demokratie. Menschen wollen selbst gestalten und ergreifen Initiative, die oftmals beides ausdrückt: Unbehagen am Bestehenden und Entschlossenheit, die eigenen Dinge selbst zu verfechten und kreative Lösungen zu entwickeln. Dies zeigt sich an der großen Zahl von Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. Ich verweise nur auf den Gesundheitsbereich oder die vielen Initiativen im sozialen Bereich. Die parlamentarische Arbeit kann und will dieses direkte Engagement nicht ersetzen; beides ergänzt sich. Wir müssen heute als Parlamentarier Probleme einer Lösung entgegenführen, die größere Ausmaße haben als zu irgendeiner früheren Zeit. Lassen Sie mich das durch ein Beispiel verdeutlichen: Die amerikanische Zeitschrift „Time" hat zum Jahreswechsel erstmals in ihrer Geschichte darauf verzichtet, den Mann bzw. die Frau des Jahres zu wählen. Statt dessen wurde 1988 die Erde zum „Planeten des Jahres" ausgerufen. Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht undramatisch; es ist jedoch in Wahrheit ein alarmierendes Fanal, von dem die Botschaft ausgeht: Verstärkt Euere Sorge für den geschundenen Planeten Erde, geschunden durch Klimaaufheizung, Umweltzerstörung und durch Kriegsschäden! ({5}) Präsidentin Dr. Süssmuth Dieses Bild führt uns schlaglichtartig vor Augen, was globale Verantwortung meint und in welche neuen Dimensionen wir mit unseren Entscheidungen als Parlamentarier vorstoßen und schon vorgestoßen sind. Wenn wir uns das Ausmaß dieser globalen Verantwortung bewußt machen, müssen wir allerdings selbstkritisch fragen, ob wir jederzeit über das notwendige Wissen verfügen und verfügen können und - ich füge hinzu - ob die Ressourcen des Parlaments ausreichen, dieses umfassende Wissen auch bereitzustellen. Wir wollen kein Parlament von Detailspezialisten, die das Ganze in der Politik aus dem Auge verlieren. Dennoch müssen wir uns täglich in komplizierteste Themenbereiche einarbeiten und uns Sachkompetenz aneignen, die andere oftmals in einem langen wissenschaftlichen Studium erwerben. Ich erinnere an Themen wie Gentechnik oder Entsorgung von Kernkraftwerken. Diese Anforderungen an Parlamentarier und die von ihnen erbrachten Leistungen werden weit unterschätzt und aus meiner Sicht allzu selten erwähnt. ({6}) In diesem Zusammenhang möchte ich thesenartig zu der erneut aufgeflammten Parlamentskritik Stellung nehmen: Sie reicht vom schlechten Umgangs-und Debattenstil über mangelndes Selbstbewußtsein der Parlamentarier in bezug auf Regierung und Fraktion bis hin zur Kritik an - wie es heißt - ständig leeren Plenarsälen und den zu hohen Kosten unserer Arbeit. In immer kürzeren Zeitabständen geht das Wort von der Parlamentskrise um, die ihren Niederschlag nicht nur in der Tagespresse, sondern auch in einer breiten Fachliteratur findet. Die „Zeitschrift für Parlamentsfragen" bietet sich neben vielen Monographien als ausgezeichnete Fundstelle an. Ich kann mir Arbeit im Parlament nicht vorstellen ohne wiederkehrende Auseinandersetzung mit unserem Selbstverständnis, unseren Rechten und Pflichten, unserer Positionsbestimmung gegenüber Fraktion und Regierung. Überlegungen und Maßnahmen zur Verbesserung der parlamentarischen Arbeit oder, anspruchsvoller ausgedrückt, zur Parlamentsreform gehören zum kontinuierlichen Alltag parlamentarischer Arbeit. Ich denke, daß wir alle einen Dank an den Geschäftsordnungsausschuß erstatten sollten, der sich oft mühsam durch diese Arbeit durchbeißt. ({7}) Geschäftsordnungen sind als Regelwerk unverzichtbar, aber sie haben keinen Selbstzweck; wo notwendig, sind sie zu ändern. Aber umgekehrt wäre es auch ein Trugschluß, die Geschäftsordnung zum herausgehobenen Garanten qualifizierter und lebendiger Parlamentsarbeit zu machen. Die Geschäftsordnung ich wichtig; aber ich bin überzeugt, daß es Wichtigeres gibt, ({8}) nämlich die Kompetenz und die Charakterstärke des einzelnen Abgeordneten, unseren parlamentarischen Geist, die Fähigkeit zu notwendigem demokratischem Konsens, aber auch zur argumentativen Abgrenzung unterschiedlicher und gegensätzlicher Positionen. Gewiß habe ich in den wenigen Wochen in meinem neuen Amt auch erfahren, daß es keine leichte Kunst ist, zwischen den hochgesteckten Erwartungen an eine umfassende Parlamentsreform und den Positionen der Verteidiger des Bewährten zu vermitteln. Da hilft nichts anderes als die faire und sachliche Auseinandersetzung mit den Einzelvorschlägen wie auch die Bereitschaft, Verfahren zu erproben, die zu weniger politischen Ritualen, größerer Lebendigkeit und Spontaneität im Parlament beitragen können. Das Instrument der Regierungsbefragung befindet sich zur Zeit in der Erprobung. Ich denke, wir sollten keine allzu hohen Erwartungen an dieses neue Instrument haben. Parlamentsreform ist offensichtlich eine Daueraufgabe. Im Gegensatz zu dem geforderten hohen politischen Anspruchsniveau steht die mühsame und doch notwendige Alltagsdiskussion um die räumliche, technische und personelle Ausstattung des einzelnen Parlamentariers. Ich wünschte mir, daß Parlamentarier in Zukunft Arbeitsbedingungen haben, wie sie wenigstens vergleichbaren Bediensteten in anderen Bereichen zustehen und für sie selbstverständlich sind. ({9}) Das müßte beispielsweise in der öffentlichen Diskussion positiver bedacht werden. Bei den Diskussionen über den Neubau geht es in erster Linie um die unvertretbaren Kosten, nicht um die dahinterstehenden Bedarfe. Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel anführen. Auch die an der Reisetätigkeit von Parlamentariern immer wieder geübte Kritik übersieht häufig, daß Parlamentarier internationale Beziehungen nun einmal nicht vom Bonner Schreibtisch aus unterhalten und wahrnehmen können. Wo zuviel gereist wird, ist allerdings auch Kritik berechtigt. Nur: Beides muß gleichzeitig genannt werden. Sicherlich haben wir als Parlamentarier eine besondere Verantwortung für den Einsatz der finanziellen Mittel. Aber es muß auch nach außen deutlich gemacht werden, daß es um Arbeitsbedingungen von Menschen geht, an deren Arbeitsergebnisse immer wieder höchste Anforderungen gestellt werden. Und dieses gilt ja nicht nur für die Abgeordneten selbst, sondern auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die es oft unter hohem persönlichen Einsatz erst ermöglichen, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden können. ({10}) Die Bürger wollen ein lebendiges Parlament, in dem neben harten Auseinandersetzungen und Streit um die beste Problemlösung insbesondere Dialog, Toleranz und Konsens sichtbar werden. Und ich beobachte: Es gibt weit mehr Konsens in diesem Hause, als öffentlich vor Fernsehkameras zugestanden wird. ({11}) Präsidentin Dr. Süssmuth Es genügt nicht, daß die zentralen Gestaltungsfragen unserer pluralistischen Gesellschaft im Parlament verhandelt werden, sondern ganz entscheidend ist auch, wie sie von uns behandelt werden; denn Demokratie - ich wiederhole es - braucht beides: Konflikt und Konsens. Beides sollte in unserer Arbeit deutlich werden. Bürger erwarten manchmal allerdings einseitig Harmonieveranstaltungen. Dies kann nicht unsere Erwartung sein, sondern es ist notwendig, daß wir hier Entscheidungen finden, daß deutlich wird, wie die Ergebnisse gefunden werden, daß wir Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden und Fairneß in der Auseinandersetzung praktizieren. Vieles davon ist in unserem Alltag Realität, mehr, als die Fernsehkameras einfangen. Aber achten wir auch darauf, daß es den Fernsehkameras immer mehr sichtbar wird! Ziel muß sein, unsere Arbeit so weit zu straffen, daß der Bundestag als zentraler Austragungsort des politischen Diskurses erfahren wird und der Entwicklungsweg der politischen Entscheidungen glaubwürdig vermittelt wird. Dies muß im Plenum geschehen. Ich kann verstehen, daß die Bürgerinnen und Bürger es nicht nachvollziehen können, wenn das Plenum selbst bei wichtigen Debatten nur spärlich besetzt ist. Ich will Sie in Zukunft gern immer dort verteidigen, wo ich das mit guten Argumenten kann; aber hier gehen mir sehr oft die Argumente aus. ({12}) Zwar wird oft eingewandt, in einem Arbeitsparlament müßten nun einmal die wichtigsten Entscheidungsschritte in den Ausschüssen und Kommissionen getan werden; dem Plenum sei vor allem die Frage der Entscheidung und der öffentlichen Vermittlung vorbehalten. Das hieße in der Konsequenz, das Plenum als eine Bühne zu behandeln, auf der die Öffentlichkeit gut Vorgefertigtes zur Kenntnis nehmen kann. ({13}) Charakterisiert man unser Parlament als Arbeitsparlament, so muß dies gerade im Plenum deutlich werden, nicht nur in den Ausschüssen. ({14}) Der Bürger hat Anspruch darauf, daß wir seinem Interesse an Plenarsitzungen Rechnung tragen, auch wenn unsere Arbeitskraft zu einem großen Teil in Ausschüssen, Kommissionen und im Wahlkreis gebunden ist. Es gibt viele, auch zwingende Gründe, von einer Plenarsitzung fernzubleiben. Oft sind es die Verbände, die in Bonn tagen, und uns permanent einladen, wenn wir hier im Plenum tagen sollten. ({15}) Es ist mein Wunsch: Bemühen wir uns, wann immer wir können, auch hier im Plenum anwesend zu sein; denn jeder im Haus weiß es von sich: Was wir an Glaubwürdigkeit überbringen, hängt in allererster Linie von unserem persönlichen Beispiel ab, von dem, was wir als Personen überbringen. Für unser Erscheinungsbild ist aber nicht nur die Präsenz im Plenum ausschlaggebend. In einer Demokratie müssen Menschen immer wieder zu Beteiligung und Engagement für das Gemeinwohl ermutigt werden. Das geht in allererster Linie über das persönliche Beispiel. Dieses Selbstbewußtsein, das ich für unsere Abgeordneten in Anspruch nehme, brauchen wir auch in der Darstellung gegenüber der Regierung. Immer wieder wird behauptet, im Grunde sei das Parlament heute mehr der Notar der Regierung, der nur noch formalpolitische Beschlüsse umsetzt, die bereits im Vorfeld der Parlamentsberatungen getroffen worden seien. ({16}) Die Regierung muß sich der Unterstützung durch die die Regierung tragenden Fraktionen gewiß sein. ({17}) Andererseits ist es die Aufgabe und die Verpflichtung des Parlaments, seinen eigenständigen Part gegenüber der Regierung wahrzunehmen. ({18}) Es ist nicht primär Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, daß das Parlament diese Aufgabe wahrnimmt. Das müssen wir schon selber tun. ({19}) Wir selbst entscheiden darüber, was wir in der Hand behalten und was wir aus der Hand geben. ({20}) Wir müssen die wichtigen Fragen der Gesetzgebung erledigen; aber wir müssen auch die wichtigen Fragen der Gesellschaft frühzeitig und intensiv in diesem Parlament diskutieren. Aktuelle Grundsatzdebatten ohne Beschlußfassung könnten das Interesse an unserer Arbeit in der Offentlichkeit verstärken. ({21}) Ich denke, wenn wir versuchen, zu den geregelten Zeitabläufen auch immer mal wieder eine Zeit der freien Debatte mit weniger festgelegten Redezeiten zu erproben, so könnte auch das unserem Parlament dienen. ({22}) Lassen Sie mich anläßlich der Europa-Debatte heute noch ein Wort sagen zu der wichtigen Frage, auf welche Art und Weise Europa für uns Realität wird. Meine Frage lautet - ich denke, es ist unsere Frage -: Wird es ein demokratisches Europa - das kann nur heißen: ein parlamentarisches Europa - sein, ({23}) in dem das Europäische Parlament weiterreichende Befugnisse und wirksame Kontrollrechte besitzt? Wird dieses Europa lediglich eine ökonomische Größe sein oder auch eine wichtige Rolle in der Weltpolitik spielen? Werden wir schließlich in einem europäischen Haus wohnen, in dem sich die Nachbarn ungehindert besuchen und miteinander reden können, oder werden wir in verschiedenen Kammern desselben Hauses Präsidentin Dr. Süssmuth sitzen, getrennt durch Mauern, verbunden lediglich durch schmale Fensteröffnungen? Auf diese Entwicklung Einfluß zu nehmen, sie zu gestalten, ist nicht nur Recht, sondern Verpflichtung von uns. Gerade unsere Pflicht, so denke ich, ist es auch, das Interesse der Menschen an Europa wachzuhalten und zu beleben. Davon, ob es uns gelingt, häufiger aktuelle, die Menschen bewegende Themen nicht nur „zwischendurch", in einer Lücke innerhalb der Gesetzgebungsarbeit, zu behandeln oder intensiver, wird auch abhängen, ob das Interesse junger Menschen für unsere parlamentarische Arbeit wieder ansteigen kann. Ich halte die um sich greifende Politikverdrossenheit vor allem bei jungen Leuten für einen Tatbestand, der uns ernsthaft beschäftigen muß. ({24}) Allerdings frage ich mich manchmal, ob das, was wir als Politikverdrossenheit bezeichnen, nicht eher eine Verdrossenheit über einzelne Politiker als über Politik insgesamt ist. ({25}) Das Interesse an den wichtigen Fragen, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu bewältigen hat, ist ja keineswegs geschrumpft. Dies beweist für mich die große Aufmerksamkeit für Umwelt- und Friedensfragen ebenso wie die hohe Bereitschaft zum Engagement für Nachbarschaftsinitiativen oder groß angelegte Hilfsaktionen für Menschen in Not - und dies gerade auch von jungen Menschen. Wir haben für viele der drängenden Zukunftsfragen heute noch keine Antwort. Es ist nicht dies, was die jungen Menschen stört; es stört sie, wenn wir so tun, als hätten wir bereits alle Antworten parat, als seien wir über jeden Zweifel und jeden Irrtum erhaben. Wenn wir so tun, als sei diese Welt schon fertig, als gebe es nichts mehr zu bearbeiten, keine neuen Lösungen mehr zu entwickeln, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn junge Leute unserer parlamentarischen Arbeit mit Desinteresse gegenüberstehen. Wenn wir schon alles erledigt haben, was soll dann noch für sie zu tun bleiben? ({26}) Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich habe sehr begrüßt, daß wir gestern erneut Hochschulfragen diskutiert haben. Es muß eine unserer ganz wichtigen Aufgaben sein, dieser Generation eine Zukunft zu geben, sie wissen zu lassen, daß sie gebraucht wird, daß wir uns dafür einsetzen, daß sie in diese Gesellschaft über Bildung, Arbeit sozial, kulturell und politisch integriert wird und dazu gehört, deutlich zu machen, daß wir auf keinen aus dieser Generation verzichten können. ({27}) Wenn ich mein Parlamentsverständnis einleitend in den Gegensatz von Schaubühne und Werkstatt gefaßt habe, so möchte ich auch mit dem Bild vom Parlament als einer Werkstatt der Demokratie schließen. Ich stelle mir dabei eine offene Werkstatt vor, in die die Menschen hineinsehen können, in der deutlich wird, woran gerade gearbeitet wird und aus welchen Gründen. Es ist eine Werkstatt, in der an verschiedenen Plätzen und mit unterschiedlichen Aufgaben an denselben Werkstücken miteinander gearbeitet wird, in der mit Kreativität neue Entwürfe entstehen wie auch mit fachmännischer Routine Reparaturen durchgeführt werden, eine Werkstatt also, an die sich Menschen mit Anfragen und Aufträgen gerne wenden, weil sie zu ihr Vertrauen haben. Vielleicht haben wir uns in der Vergangenheit doch ein wenig zu sehr dem effizienten, durchrationalisierten Großbetrieb mit Serienfertigung, Schichtbetrieb und Stechuhr genähert, ({28}) einem Betrieb, dessen Leistung man zwar respektiert, zu dem man sich aber nicht unbedingt hingezogen fühlt. ({29}) Wenn wir alle miteinander in diesem Sinne stärker parlamentarische Mittelstandsförderung betreiben, ({30}) ist mir um das Ansehen dieses Hauses nicht bange. Ich danke Ihnen. ({31}) Ich möchte nun zunächst einige Mitteilungen machen. Am 14. Dezember feierte der Abgeordnete Dr. Mitzscherling seinen 60. Geburtstag. ({32}) Ich möchte, auch wenn er nicht anwesend sein kann, unserem Abgeordneten Willy Brandt nachträglich zu seinem 75. Geburtstag auch von dieser Stelle aus gratulieren. ({33}) Wir alle wissen um seine hohen Verdienste bei der Arbeit, die er für das Parlament und die Bundesrepublik geleistet hat. Der Abgeordnete Dr. Bangemann hat am 5. Januar 1989 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. ({34}) Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Frau Walz am 6. Januar 1989 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich ({35}) und wünsche gute Zusammenarbeit. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um folgende Punkte erweitert werden: 3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europapolitik - Drucksache 11/3851 4. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Binnenmarkt und soziale Demokratie - Drucksache 11/3852

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Wiederaufnahme der Tiefflüge am 2. Januar 1989 Die unter Tagesordnungspunkt IV Nr. 12 und 13 aufgeführten Beratungspunkte sollen abgesetzt werden. Weiterhin soll Tagesordnungspunkt VII - Drucksache 11/2001 - erst am Freitag nach Tagesordnungspunkt X aufgerufen werden. Darüber hinaus soll bei Tagesordnungspunkt V von der Frist für den Beginn der Beratung abgesehen werden. Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Punkt III der Tagesordnung auf: III. Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank - Drucksache 11/3140 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gem. I 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV 1 bis 11 und 14 bis 35 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf: IV. 1. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Bohl, Dr. Miltner, Rühe, Spilker, Frau Verhülsdonk, Dr. Langner, Böhm ({1}), Borchert, Fuchtel, Frau Geiger, Haungs, Frau Dr. Hellwig, Herkenrath, Dr. Hornhues, Höffkes, Frau Hoffmann ({2}), Hörster, Dr.-Ing. Kansy, Kittelmann, Lenzer, Lowack, Frau Pack, Pfeffermann, Dr. Pfennig, Dr. Rose, Sauer ({3}), Schmidbauer, Freiherr von Schorlemer, Schreiber, Dr. Schroeder ({4}), Dr. Schwörer, Dr. Stercken, Weiß ({5}), Freiherr Heereman von Zuydtwyck und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hoppe, Beckmann, Dr. Feldmann, Frau Folz-Steinacker, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Haussmann, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Lüder, Ronneburger, Frau Seiler-Albring, Dr. Solms, Timm, Dr. Weng ({6}), Zywietz, Dr. Graf Lambsdorff, Heinrich, Kohn, Richter, Frau Dr. Segall, Dr. Thomae, Frau Würfel, Kleinert ({7}), Baum, Wolfgramm ({8}) und der Fraktion der FDP Vollendung des europäischen Binnenmarktes - Drucksache 11/2257, 11/3139 - ZP3 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Europapolitik - Drucksache 11/3851 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({9}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP4 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Europäischer Binnenmarkt und soziale Demokratie - Drucksache 11/3852 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({10}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 2. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einem Entwicklungsprogramm für die portugiesisch-spanischen Grenzgebiete - Drucksache 11/3088 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß 3. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum internationalen Dienstleistungsverkehr - Drucksache 11/3406 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({11}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit 4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte - Drucksachen 11/779 Nr. 2.3, 11/2358 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Fell Dr. Wieczorek 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({13}) zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zu dem Gipfeltreffen in Washington und zum Europäischen Rat in Kopenhagen - Drucksachen 11/1499, 11/3014 8702

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Abgeordnete Lamers Voigt ({0}) Dr. Lippelt ({1}) 6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}) zu dem Antrag des Abgeordneten Weiss ({3}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Bewerbung der Bundesrepublik Deutschland für das Europäische Markenamt mit Standort in München-Haidhausen - Drucksachen 11/1011, 11/2431 - Berichterstatter: Abgeordnete Menzel Dr. Friedrich 7. Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsregeln im Rahmen der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge - Drucksachen 11/779 Nr. 2.20, 11/818, 11/3721 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer Vorschlag: Rücküberweisung an Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Rechtsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 8. Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Pauschalreisen, darunter auch Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen - Drucksachen 11/2198, Nr. 2.5, 11/2350, 11/3701 Berichterstatter: Abgeordnete Hörster Dr. de With 9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz - Drucksachen 11/2198, Nr. 2.9, 11/2889 Berichterstatter: Abgeordneter Reimann 10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene am Arbeitsplatz (sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 8 der Richtlinie 80/1107/EWG - Drucksachen 11/1785 Nr. 2.22, 11/2942 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker ({9}) 11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Art, den Umfang und den Erfolg der von ihr oder den Länderregierungen vorgenommenen Beanstandungen betreffend die Anwendung des Artikels 119 EWG-Vertrag über gleiches Entgelt für Männer und Frauen ({11}) - Drucksachen 10/6501, 11/2176 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Thomae 14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Annahme der zweiten Phase des Programms zur Zusammenarbeit von Hochschulen und Wirtschaft hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Technologie ({13}) - Drucksachen 11/2956, Nr. 2.7, 11/3700 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Pack Weisskirchen ({14}) 15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die gegenseitige Anerkennung einzelstaatlicher Schifferpatente für den Binnenschiffsgüterverkehr - Drucksachen 11/2465 Nr. 2.23, 11/3110 Berichterstatter: Abgeordneter Ewen Präsidentin Dr. Süssmuth 16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anlastung der Wegekosten an schwere Nutzfahrzeuge - Drucksachen 11/2089 Nr. 30, 11/3125 - Berichterstatter: Abgeordneter Haungs 17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/3/EWG über die Gewichte, Abmessungen und bestimmte andere technische Merkmale bestimmter Fahrzeuge des Güterkraftverkehrs - Drucksachen 11/2724 Nr. 26, 11/3126 - Berichterstatter: Abgeordneter Hinsken 18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/3/EWG über die Gewichte, Abmessungen und bestimmte andere technische Merkmale bestimmter Fahrzeuge des Güterkraftverkehrs - Drucksachen 11/2580 Nr. 43, 11/3165 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Rock 19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({19}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung - der Richtlinie 74/561/EWG über den Zugang zum Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr - der Richtlinie 74/662/EWG über den Zugang zum Beruf des Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr - der Richtlinie 77/796/EWG über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise für die Beförderung von Gütern und die Beförderung von Personen im Straßenverkehr und über Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Verkehrsunternehmer - Drucksachen 11/2198 Nr. 2.10, 11/3195 Berichterstatter: Abgeordneter Gries 20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({21}) des Rates über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt - Drucksachen 11/2580 Nr. 42, 11/3236 Berichterstatter: Abgeordneter Ewen 21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({22}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung eines Aktionsprogramms auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur im Hinblick auf die Vollendung des integrierten Verkehrsmarktes bis 1992 - Drucksachen 11/2724 Nr. 27, 11/3634 Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski 22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Schulung der Fahrer von Fahrzeugen zur Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße - Drucksachen 11/2841 Nr. 13, 11/3635 Berichterstatter: Abgeordneter Gries 23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 25. November 1986 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale Maastricht - Drucksache 11/3814 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Verkehr ({24}) Haushaltsausschuß 24. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Zukunft von Eurocontrol im Rahmen der Flugsicherung im westeuropäischen Luftraum - Drucksache 11/2731 8704

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Ausschuß für Verkehr ({0}) Auswärtiger Ausschuß 25. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur potentiellen Kapazität der Flughäfen in der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf die Herausforderung von 1992, zur Überlastung der Flughäfen und zu den Problemen der Luftverkehrssicherheit - Drucksache 11/2732 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({1}) Auswärtiger Ausschuß 26. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Liberalisierung des Luftverkehrs, zur Vollendung des Binnenmarktes und zu den Folgen für die Sicherheit im Flugverkehr - Drucksache 11/2733 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({2}) Auswärtiger Ausschuß 27. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission über eine neue Perspektive für Europa - Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden Bericht der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über die Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts - Drucksachen 11/254, 11/1664 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wulff, Brück 28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Entwurf eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union zu dem Elften Bericht und Empfehlung der Europa-Kommission zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entwurf eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Union zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Verfahren für die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte in den nationalen Parlamenten und zur Verwirklichung der Europäischen Union - Drucksachen 10/1423, 10/5271, 11/594, 10/6454, 11/2506 Berichterstatter: Abgeordnete Vogel ({5}) Brück Dr. Feldmann Dr. Lippelt ({6}) 29. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Rolle des Europäischen Parlaments bei der Aushandlung und der Ratifizierung von Beitrittsverträgen sowie sonstiger Verträge und Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Drittländern - Drucksachen 9/1417, 11/2508 - Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Hellwig Brück Dr. Feldmann Dr. Lippelt ({8}) 30. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({9}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Rolle des Europäischen Parlaments in der Außenpolitik im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte - Drucksachen 11/2633, 11/3396 - Berichterstatter: Abgeordnete Freiherr von Schorlemer Brück Dr. Feldmann Dr. Lippelt ({10}) 31. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Initiativen zur Stärkung der interinstitutionellen Zusammenarbeit sowie der Zusammenarbeit bei der Prüfung der Petitionen, die an das Europäische Parlament gerichtet werden - Drucksachen 10/6277, 11/3016 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Pfennig Irmer Dr. Lippelt ({12}) 32. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Europa der Bürger - Drucksache 11/3087

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Auswärtiger Ausschuß ({0}) Innenausschuß 33. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschließender Bericht „Europa der Bürger" an den Europäischen Rat vom 28./29. Juni 1985 - Drucksachen 10/3982, 11/2507 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Hellwig Brück Dr. Feldmann Dr. Lippelt ({2}) 34. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu Grenzkontrollen und Drogen - Drucksache 11/1675 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({3}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft 35. Beratung des Dreizehnten Berichts und der Empfehlung der Europa-Kommission zur Institutionalisierung einer Europa-Kommission des Deutschen Bundestages - Drucksache 10/6464 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wahlprüpfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) Auswärtiger Ausschuß Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Altestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte sechs Stunden vorgesehen. Eine Mittagspause soll von 13 bis 14 Uhr stattfinden. - Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer Stagnation zu Beginn der 80er Jahre hat die Europapolitik ihre frühere Dynamik wiedergefunden. Man spricht wieder über Europa. In der Publizistik nimmt das Thema Europa breiten Raum ein. Diese erfreuliche Entwicklung wird durch die heutige Debatte des Deutschen Bundestages mit mehr als 30 Beratungspunkten eindrucksvoll belegt. Nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges war die Vorstellung eines vereinigten Europa für die Menschen in den zerstörten Ländern des alten Kontinents eine Vision, die ihnen Hoffnung und Zuversicht gab. Um dieser Vision sichtbaren Ausdruck zu verleihen, zogen im Jahre 1950 Deutsche und Franzosen zu den ihre Länder trennenden Grenzen und entfernten die Schlagbäume. Heute, nach 40 Jahren, ist die damalige Vision zwar noch nicht Wirklichkeit geworden; aber wir sind ihr ein gutes Stück nähergekommen. Grenzen und Schlagbäume haben ihren trennenden Charakter verloren und werden hoffentlich eines Tages gänzlich abgeschafft sein. Das Zusammenwachsen Europas war keineswegs ein kontinuierlicher Prozeß. Eine Zeitlang sah es sogar so aus, als ob der Europagedanke im Gestrüpp von Bürokratie und nationaler Eigensucht ganz versanden würde. Als die Regierung Helmut Kohl im Oktober 1982 die Regierungsverantwortung übernahm, steckte die Europapolitik in einer Sackgasse. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, Uneinigkeit, politische Handlungsunfähigkeit und Perspektivlosigkeit kennzeichneten die Lage. Heute, nach sechs Jahren harter Arbeit für Europa, ist die Krise der Gemeinschaft überwunden. ({0}) Dies ist vor allem das Verdienst des überzeugten und überzeugenden Europäers Helmut Kohl. ({1}) Ihm gelang es mit Ausdauer, mit Mut und einem klaren politischen Konzept, Europa Schritt für Schritt wieder auf Fortschrittskurs zu bringen. ({2}) - Ich freue mich schon, Herr Ehmke, wenn Sie mir zuhören; dann bin ich voll zufrieden. Durch die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte, mit der die Grundlagen für die Lösung der Zukunftsaufgaben der EG geschaffen wurden, sowie durch die richtungweisenden Beschlüsse von Brüssel im Februar 1988 und von Hannover im Juni 1988 hat Europa unter der deutschen Ratspräsidentschaft wieder klare Perspektiven für die Zukunft erhalten. Die Gemeinschaft hat in der Finanz-, Agrar-, Struktur- und Umweltpolitik die Handlungsfähigkeit zurückgewonnen und neuen Schwung auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt 1992 bekommen. ({3}) Die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1988 war, gemessen am politischen Stillstand der Vergangenheit, ein starkes halbes Jahr für Europa. In diesen sechs Monaten hat die Europäische Gemeinschaft mehr Fortschritte in Richtung auf eine wirtschaftliche Integration der Zwölf erlebt als in den sechs Jahren zuvor. ({4}) Helmut Kohl ist ein Europäer aus Berufung, der jetzt verwirklicht, was er sich in seiner Jugend geschworen hatte. Die Geschichtsschreibung wird ihn zweifelsfrei einmal als einen der wichtigsten Baumeister Europas bezeichnen. Es scheint so, als ob der Bundeskanzler mit seiner europapolitischen Arbeit sogar die Opposition überzeugt hat. Neuerdings gibt es bei der SPD kaum noch oder nur verhaltenen Widerstand gegen den europapolitischen Kurs der Bundesregierung. ({5}) - Na gut, das werden wir dann ja heute hören. - Darüber soll aber nicht vergessen werden, daß die Union ihren europapolitischen Kurs gegen den erbitterten Widerstand der SPD in den 50er Jahren beginnen mußte. Franz Josef Strauß, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat in der Unterstützung von Konrad Adenauer damals mit die Weichen gestellt und in mitreißenden und überzeugenden Reden aus der Erf ah-rung der Kriegsgeneration heraus Zeichen für die Zukunft gesetzt, denen wir auch heute noch folgen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die europäische Einigung blockiert, schadet uns Deutschen; denn niemand zieht größeren Nutzen aus der europäischen Integration als die Bundesrepublik Deutschland. Das gilt sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Rund die Hälfte der deutschen Exporte geht in die Partnerstaaten der Gemeinschaft. Sie ist und bleibt deshalb eine wesentliche Konjunkturstütze der deutschen Wirtschaft. Im vergangenen Jahr betrug der Handelsbilanzüberschuß gegenüber dem Europa der Zwölf über 50 Milliarden DM. Das entspricht Arbeitsplätzen für mehr als 700 000 deutsche Arbeitnehmer. Insgesamt hängt heute jeder fünfte deutsche Arbeitsplatz vom europäischen Gemeinschaftsmarkt ab. Mit dem europäischen Binnenmarkt wird sich diese Tendenz in den 90er Jahren noch verstärken, wenn ein freier Austausch von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital gewährleistet wird. Der Binnenmarkt wird neue Wachstumskräfte freisetzen, den Wettbewerb verbessern und damit mehr Stabilität, weiteren Aufschwung und mehr Arbeitsplätze schaffen. Er wird auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den Vereinigten Staaten, Japan und den südostasiatischen Schwellenländern verbessern. Er richtet sich jedoch gegen niemanden. Befürchtungen etwa in den Vereinigten Staaten, der EG-Binnenmarkt werde eine protektionistische Schutzzaunpolitik betreiben, sind deshalb unbegründet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute behindern Grenzkontrollen, technische Handelshemmnisse und Steuerschranken immer noch einen weiteren Aufschwung der europäischen Wirtschaft. Die Kosten der Nichtverwirklichung Europas werden auf über 400 Milliarden DM jährlich geschätzt; das sind 1 300 DM je EG-Einwohner. Die Abschaffung allein der Zollformalitäten brächte einen Nutzen von 22 Milliarden DM. 163 Milliarden können durch den Abbau versteckter Handelshemmnisse gewonnen werden. Durch den größeren Markt und den verschärften Wettbewerb wird sich das Bruttosozialprodukt der Europäer um rund 250 Milliarden DM erhöhen. Durch die Beseitigung der Handelshemmnisse, durch Kostenvorteile des größeren Marktes und durch dessen intensiveren Wettbewerb werden neue Wachstumskräfte freigesetzt. Bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts wird mit einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum in Höhe von 4,5 bis 7 % gerechnet. Von dem zusätzlichen Wachstumspotential wird nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland ihren Nutzen haben. Mehr Wohlstand ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für mehr soziale Sicherheit. Über die soziale Dimension des europäischen Binnenmarktes wird im Laufe dieser Debatte noch ausführlich gesprochen werden. Ich möchte mich daher auf eine kurze Bernerkung beschränken. Noch ist uns das von der SPD verbreitete Propagandagerede vom „sozialpolitischen Rückschritt" und von der „Sozialdemontage in der Bundesrepublik Deutschland" im Ohr; die SPD spricht von „sozialer Kälte", ({6}) von „Umverteilung von unten nach oben" u. ä. ({7}) Meine Damen und Herren, all diese Vorwürfe stellen sich bei Ihnen in der europäischen Dimension natürlich in einem anderen Licht dar. ({8}) Nunmehr preist die SPD den hohen sozialen Standard in der Bundesrepublik Deutschland ({9}) und fordert, ihn auch im Binnenmarkt 1992 zu erhalten. ({10}) Die SPD verteufelt auf der einen Seite das, was sie auf der anderen Seite erhalten wissen will. Eine merkwürdige Logik ist das! ({11}) Wie wollen Sie es denn nun haben, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition? Für eines von beiden werden Sie sich in der Argumentation wohl entscheiden müssen. ({12}) Eine bedeutsame Errungenschaft im europäischen Einigungsprozeß, den die von der Union geführte Bundesregierung erreicht hat, ist das Festschreiben des Prinzips des Föderalismus und der Eigenständigkeit der Bundesländer. Auch in Zukunft werden wir am Föderalismus festhalten; denn er ist die Grundlage für eine eigenständige und bürgernahe Politik. ({13}) Der Föderalismus muß auch das Strukturprinzip der europäischen Einigung sein. Der europäische Einigungsprozeß darf nicht zu einem zentralistischen Einheitsstaat führen, der von einer allzuständigen Mammutbürokratie starr und bürgerfern beherrscht wird. ({14}) Die Agrar- und Finanzkrisen der Europäischen Gemeinschaft sind eindrucksvolle Beweise dafür, daß der Zentralismus zur Anpassung untauglich macht und den Weg für Fehlentwicklungen ebnet. Die Fehlschläge der Europäischen Gemeinschaft in den vergangenen Jahren haben offenbart, daß die Lebenskraft in Europa in Gefahr war, durch bürokratischen Zentralismus abgewürgt zu werden. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß dabei bleiben, daß den Bundesländern bei der Willensbildung in europäischen Fragen ein wichtiges Mitspracherecht eingeräumt wird. Zu erinnern ist hier an die Verpflichtung der Bundesregierung, vor ihrer Zustimmung zu Beschlüssen der EG bei Vorhaben, die ganz oder teilweise in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen, den Bundesrat zu beteiligen. Grundlage unserer Politik ist auch hier der Grundsatz der Subsidiarität: Es muß sichergestellt bleiben, daß die EG nur Aufgaben übernimmt, deren Erfüllung auf europäischer Ebene im Interesse der Bürger unabweisbar notwendig ist. ({16}) Eingriffe in die ureigensten Länderaufgaben wie beispielsweise in die Bildungs- und Kulturpolitik, in die Autonomie der Hochschulen oder in die Rundfunkfreiheit müssen abgewehrt werden. Gleiches gilt für die regionale Wirtschaftsförderung. Wir lehnen insbesondere jegliche Angriffe auf die Zonenrandförderung ab. ({17}) Die politischen Gründe für eine spezielle Förderung des Zonenrandgebietes, nämlich der Abbau der Benachteiligung aus den Folgen der Teilung Deutschlands, gelten nach wie vor. Der Zonenrand ist - jedenfalls für einen absehbaren Zeitraum - ein Dauerzustand, den man nicht mit einer Einmalzahlung beseitigen kann. Der Föderalismus sichert den Bürgern die Demokratie und die Freiheit. Nur ein nach diesem Strukturprinzip gebautes Europa wird ein Europa der Bürger sein. Meine Damen und Herren, es wäre sicherlich auch heute nicht richtig, die Schwierigkeiten, die der Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes noch entgegenstehen, zu verschweigen. Jedes der zwölf Mitgliedsländer der EG hat seine eigenen landwirtschaftlichen Interessen, die, wie wir gesehen haben, sehr häufig gegenläufig sind. Die Briten sind mehr als andere Länder am freien Dienstleistungsverkehr interessiert. Die Franzosen wollen umgehend eine Europäische Notenbank aufbauen. Die Niederländer sind an einer möglichst liberalen Verkehrspolitik interessiert. Von der Notwendigkeit eines umfassenden Umweltschutzprogramms sind nicht alle europäischen Mitgliedsländer in gleicher Weise überzeugt. All dies muß in den kommenden Monaten auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, damit alle von Europa profitieren. Jedes Mitgliedsland kann seine Interessen einbringen, aber jedes Mitgliedsland muß auch eigene Vorbehalte abbauen. Meine Damen und Herren, Europa darf aber nicht nur, wie es einmal abschätzig gesagt wurde, ein Europa der Händler und Kaufleute bleiben. Europa ist mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Zur gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik muß als Ziel auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hinzukommen. Die Europäische Gemeinschaft muß zu einer Europäischen Union ausgebaut werden. Dies ist die entscheidende Zukunftsaufgabe, dies ist die große europäische Schicksalsfrage schlechthin. Europa muß lernen, außenpolitisch als Einheit zu handeln und die heute noch so häufig sichtbaren nationalen Egoismen über Bord zu werfen. Europa wird in Freiheit und Frieden nur weiterleben können, wenn es auch die Kraft zur politischen Einigung findet. Nur eine Gemeinschaft, die einig ist, wird ihr ganzes politisches und wirtschaftliches Gewicht zur Wahrung ihrer eigenen Interessen in die internationale Politik einbringen können. ({18}) Meine Damen und Herren, bei unserem Einsatz für Europa sind wir uns allerdings der Tatsache bewußt, daß EG-Europa nicht das ganze Europa ist, sondern nur einen Teil jener Länder umfaßt, die sich gegenwärtig zusammenschließen können und wollen. Gerade wir Deutschen leiden unter der Teilung Europas, weil die Teilung Europas auch die Teilung Deutschlands ist und diese Grenze eben mitten durch Deutschland geht. ({19}) Für die CDU/CSU-Fraktion sind die Überwindung der deutschen Teilung und die Vereinigung Europas zwei gleichrangige Ziele. ({20}) Wie vor 40 Jahren stehen wir auch heute noch zur Präambel unseres Grundgesetzes. Sie will die Einigung Europas, und sie fordert das deutsche Volk auf, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". ({21}) Die CDU/CSU-Fraktion steht vorbehaltlos zu dem Anspruch des deutschen Volkes auf die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, auch und gerade im Rahmen der europäischen Einigung. Sie ist in unseren Augen geradezu das Instrument, um die Wiedervereinigung zu ermöglichen. Für uns Deutsche gibt es zu Europa keine Alternative, weder wirtschaftlich noch politisch. Deshalb werden wir Europa weiterbauen, auf solidem Fundament und in einem gesicherten Haus für uns, für unsere Kinder und unsere Enkel. Die einst kühne Vision der ersten Nachkriegsjahre wird mehr und mehr zur Wirklichkeit. Wir wollen unseren politischen Beitrag dazu leisten. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich das Wort dem Abgeordneten Ehmke gebe, möchte ich noch dem im Saal anwesenden Abgeordneten Irmer ganz herzlich Präsidentin Dr. Süssmuth zum 50. Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Herr Ehmke, Sie haben das Wort.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokraten teilen mit dem Kollegen Bötsch die Meinung von der Bedeutung des Europathemas, aber, Herr Bötsch, Sie teilen sicher unsere Meinung, daß es im eigenartigen Widerspruch dazu steht, daß es weder der Bundeskanzler noch der Vizekanzler für nötig halten, hier zu sein und in die Debatte einzuführen. Das spricht nicht dafür. ({0}) - Nein, sie sind nicht entschuldigt. Wir wissen noch nicht einmal, ob sie überhaupt kommen oder den ganzen Tag fehlen. ({1}) Aber es ist nicht so schlimm, dann führen halt wir in die Debatte ein: Die Präambel des Grundgesetzes unserer Republik nennt als Ziele dieser zweiten deutschen Demokratie die Einheit der Deutschen, ({2}) die gleichberechtigte Mitarbeit in einem vereinten Europa und -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weng?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, gnädige Frau, ich habe noch gar nicht angefangen und würde meine Gedanken gern im Zusammenhang darlegen können. ({0}) Ich wiederhole: Die Präambel des Grundgesetzes unserer Republik nennt als Ziele der zweiten deutschen Demokratie die Einheit der Deutschen, die gleichberechtigte Mitarbeit in einem vereinten Europa und den Frieden der Welt. Die Rangfolge dieser Ziele muß politisch in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden. Der Friede ist Voraussetzung für alles andere, auch für die Aufhebung der Teilung Europas, und nur im Rahmen eines zusammenwachsenden Europas kann der Zusammenhalt unserer Nation bewahrt und die Frage ihrer politischen Organisation überdacht werden. Nach jahrzehntelangem Streit erst über die West-und dann noch heftiger über die Ostpolitik ist es nützlich, noch einmal festzuhalten, daß der politische Streit in unserer Republik nie um Krieg oder Frieden, sondern immer nur um den besten Weg zur Kriegsverhütung und zur Friedensstiftung geführt worden ist. Das gilt auch für den leidenschaftlichen Kampf der Unionsparteien gegen Willy Brandts Ostpolitik, sowenig ich ihn verstehen konnte und so beklemmend es war, zu erleben, daß ausgerechnet die deutschen Christdemokraten gegen die Helsinki-Schlußakte gestimmt haben und in welcher politischen Gesellschaft. Aber auch das gehört der Vergangenheit an. Der KSZE-Prozeß, der Prozeß für Sicherheit und Entspannung, Austausch und Zusammenarbeit, Humanität und Menschenrechte in Europa, wird heute von allen politischen Kräften in diesem Hause mitgetragen. Darüber, ob die Teilung Deutschlands und damit Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu vermeiden gewesen wäre, ist viel gestritten worden; das Geschehene ist aber nicht ungeschehen zu machen. Im Rahmen der Nachkriegsgeschichte hat sich unsere Mitwirkung an der Einigung Europas zunächst auf das westliche Europa beschränkt, wie es allerdings von Schuman und Adenauer von vornherein konzipiert war. Wir haben vor kurzem zusammen mit Frankreich des 100. Geburtstags von Jean Monnet gedacht, eines großen, überparteilichen Europäers. In Erinnerung an ihn möchte ich noch einmal folgendes festhalten: Das Ziel der Einigung Europas war unter uns so wenig umstritten wie das Ziel des Friedens. Wohl aber wurde um die Frage gestritten, welches Europa: ein überwiegend katholisches Kleineuropa von staatsähnlicher Struktur oder zunächst ein loserer Verbund, dem auch Großbritannien und die beitrittswilligen skandinavischen Länder angehören könnten? Der Streit wurde unter aktiver Beteiligung von uns Sozialdemokraten im Sinne des größeren Europas entschieden. Die erhofften positiven Effekte sind eingetreten - der Markt ist ein großer Einigungsfaktor - , die erwarteten Schwierigkeiten sind ebenfalls eingetreten. Vor kurzem durften wir nun auch die beiden vom Faschismus befreiten Länder der iberischen Halbinsel als Mitglieder der EG willkommen heißen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere an diesen alten Streit, weil wir aus ihm für die nächste, durch die Einheitliche Europäische Akte bestimmte Phase der europäischen Einigung meines Erachtens etwas im Gedächtnis behalten sollten. Es kann nicht um ein Entweder-Oder zwischen einem staatsähnlichen Ausbau des inzwischen wirtschaftlich Erreichten und einer weiteren Ausdehnung des europäischen Marktes mit seiner wirtschaftlichen Dynamik gehen. Beide in sich berechtigte Tendenzen müssen vielmehr in eine zugleich stabile und dynamische Verbindung gebracht werden. Die von diesem Hause gebilligte Einheitliche Akte strebt die Konsolidierung und den inneren Ausbau der heutigen EG an. In der These, erst danach über eine weitere Ausdehnung der EG zu entscheiden, steckt selbst dann ein Stück politische Weisheit, wenn wir bis 1992 noch nicht mit dem einheitlichen Binnenmarkt fertig sein sollten. Wir dürfen nur nie vergessen, daß der innere und der äußere Ausbau der EG zwei Seiten einer Medaille sind, untrennbar verbundene Aspekte der weiteren Entwicklung von Westeuropa, aber keineswegs nur von Westeuropa. ({1}) Vor genau fünf Jahren habe ich in einer kleinen Schrift über die Selbstbehauptung Europas dargelegt, warum das an Menschen, Wissen und Fähigkeiten so reiche Westeuropa seine Kräfte endlich zusammenfassen muß, wenn es zwischen den Weltmächten Dr. Ehmke ({2}) seine Eigenständigkeit bewahren und im weltweiten wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerb mit Japan und den Vereinigten Staaten bestehen will. Inzwischen ist die bei uns noch nicht überall recht zur Kenntnis genommene atemberaubende Entwicklung Japans weiter fortgeschritten, und auf dem amerikanischen Kontinent sehen wir uns nun einer Freihandelszone der USA und Kanadas gegenüber. Ich habe daher heute erst recht keinen Zweifel daran, daß die Schaffung - vielleicht sollten wir richtiger sagen: die Öffnung - des einheitlichen Binnenmarktes ein europäisches Muß ist. Sie ist, wenn Sie mir den Vergleich gestatten - ich weiß, daß auch er hinkt - , unsere wirtschaftliche „Perestroika " . Die Schaffung des Binnenmarktes ist ein Vorgang von großer politischer Brisanz, der dementsprechend an alle Beteiligten hohe politische Anforderungen stellt. Er erfordert z. B. abgestimmte Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitiken. Auch die Last der geradezu aberwitzigen europäischen Agrarordnung werden wir nicht durch eine bloße Beschwörung der Jahreszahl 1992 loswerden können. Machen wir uns nichts vor: Die dicken Brocken liegen noch vor uns. Darüber wird in dieser Debatte noch zu sprechen sein. Politisch nicht weniger zentral ist die soziale Perspektive, der soziale Rahmen, in dem wir den Binnenmarkt freigeben. Ich nenne nur die Stichworte Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, europäischer Sozialraum, Charta der Arbeitnehmerrechte, soziale Standards. Hier sind wir in einer eigenartigen Situation. Die soziale Absicherung des einheitlichen Binnenmarktes ist zwar Bestandteil der Einheitlichen Akte, ist dann aber eher sehr stiefmütterlich behandelt worden. An Bekundungen über die notwendige soziale Absicherung und Ausstattung des wirtschaftlichen Umbaus Europas fehlt es heute nicht. Das gilt für den Präsidenten der Kommission, unseren Freund Jacques Delors, wie für den Bundeskanzler. Aber die Berichte, verehrte Kollegen von den Koalitionsfraktionen, die wir über die konkreten Ergebnisse oder - genauer - Nicht-Ergebnisse der ersten sogenannten nationalen Binnenmarktkonferenz erhalten haben, haben nicht nur bei uns zusätzliche Zweifel ausgelöst, ob diesen Erklärungen guten sozialen Willens auch wirklich irgendwelche Taten folgen werden. Bisher hat uns die Bundesregierung weder gesagt, was in diesem Zusammenhang für die deutschen Arbeitnehmer getan werden muß, noch erklärt, wie sie diese Aufgabe konkret anpacken will. ({3}) Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß auch in unserem Regierungs- und Unternehmerlager nach wie vor starke neokonservative Tendenzen darauf abzielen, die Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes gerade umgekehrt zu einem weiteren Abbau von Arbeitnehmerrechten zu benutzen oder - richtiger - zu mißbrauchen. ({4}) Darum sage ich für meine Fraktion: Wir wissen, daß die Schaffung des Binnenmarktes nicht zu den nationalen Bedingungen eines der Mitgliedsländer erfolgen kann. ({5}) Aber wir warnen davor, zu glauben, bei dieser Gelegenheit könne man das liquidieren oder zurückstutzen, was die europäische Arbeiterbewegung in einem über hundertjährigen Kampf in die politische Kultur Europas eingebracht hat. ({6}) Man kann Europa nicht dadurch einigen, daß man anläßlich der Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes seine sozialen und politischen Kräfte spaltet. ({7}) Die Dimension dieser Frage geht weit über die EG und Westeuropa hinaus. Michail Gorbatschow wird in diesen Monaten aus dem Westen mit kostenlosen Ratschlägen geradezu überschüttet, bei seiner wirtschaftlichen Perestroika doch ja nicht die soziale und politische Dimension eines solchen Umbaus zu unterschätzen. Ich finde, es ist geboten, diese Ratschläge auch im eigenen Bereich zu berücksichtigen. ({8}) Oder glaubt wirklich jemand, Westeuropa könne den Streit der Ideologien, den Wettbewerb der Gesellschaftssysteme, das Ringen um die Seele Europas gewinnen, wenn wir zuvor das europäische Erbe und die europäische Demokratie ihrer sozialen Dimension entkleiden? ({9}) Uns ist klar: Angesichts der Europäisierung und Internationalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte ist die Kapitalseite heute gegenüber den Arbeitnehmern und ihren Organisationen offensichtlich in der Vorhand. Ebenso offensichtlich verlieren gegenüber dieser Entwicklung der Weltwirtschaft viele frühere nationalstaatliche Mittel zur sozialen Ausbalancierung ihre Wirksamkeit. Das kann auch nicht etwa durch eine Erhöhung der nationalen Anforderungen kompensiert werden. Für die europäische Linke geht es vielmehr darum, auf neue europäische und internationale Herausforderungen neue Antworten nicht aus der nationalstaatlichen Verengung, sondern aus der europäischen und internationalen Tradition des demokratischen Sozialismus zu entwickeln. Im konservativen Lager aber können nur Narren glauben, in einem Arbeitsgang mit der Öffnung des Binnenmarktes die europäische Sozialgeschichte zurückdrehen zu können. ({10}) Dr. Ehmke ({11}) - Ich empfehle, einmal die neokonservativen Stimmen aus allen Ihren Freundesparteien in Europa zu lesen, Frau Thatcher vorweg. ({12}) Erforderlich ist vielmehr eine nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale große gemeinsame Anstrengung. Sollte in der Bundesregierung der Wille dazu fehlen, werden nicht nur die Gewerkschaften daraus Konsequenzen zu ziehen haben. Ohne verbindliche Festlegung der Bundesregierung auf vertretbare soziale Positionen, mit denen sie nicht nur in die Verhandlungen geht, um sie sich von Frau Thatcher abhandeln zu lassen, sondern die sie durchhält, ({13}) werden wir diese Fragen wie die Fragen eines wirksamen europäischen Umweltschutzes in den Mittelpunkt des Europawahlkampfes stellen müssen. Wir werden dann die Bürgerinnen und Bürger fragen, ob sie unter dem Etikett „Europäischer Binnenmarkt" eine Fortführung der Politik des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben unterstützen oder aber die sozialen Kräfte im Europäischen Parlament stärken wollen. ({14}) Vieles, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre einfacher, wenn das Europäische Parlament heute die Befugnisse hätte, welche die nationalen Parlamente - auch der Bundestag - abgegeben haben. Wir alle müssen insoweit Versäumnisse und Fehler einräumen. Wir müssen darum jetzt um so nachdrücklicher auf einer Stärkung des Europäischen Parlaments bestehen. Ich füge hinzu: Wer aber mehr Rechte für das Europäische Parlament fordert, kann nicht gut im gleichen Atemzug die allgemeine Einführung von Volksabstimmungen in den europäischen Einigungsprozeß fordern. In der Außenwirkung löst die Schaffung des Binnenmarktes in den EFTA-Ländern wie in den Vereinigten Staaten, in Osteuropa wie in der Dritten Welt Sorgen aus, Westeuropa könnte sich dann in einer Art Festung-Europa-Denken von der Außenwelt abschotten. Ich hoffe, wir sind uns einig, daß wir solchen Sorgen in keiner Weise Nahrung geben dürfen. Westeuropa muß für freien Handel und freien Austausch mit der ganzen Welt offen sein und offen bleiben. Die sich abzeichnende Möglichkeit, daß die Republik Österreich vielleicht schon im nächsten Jahr einen Antrag zum Eintritt in die EG stellen könnte, zwingt uns, in der Perspektive der Entwicklung zu einer Europäischen Union zusätzlich die Frage einer Mitgliedschaft von neutralen Staaten zu überdenken. Die Einheitliche Akte hat ja nicht nur den Weg zum einheitlichen Markt geöffnet, sondern auf dem Wege zu einer Europäischen Union auch die bereits vielfach bewährte Europäische Politische Zusammenarbeit förmlich institutionalisiert. Wie das Beispiel Irland zeigt, schließen sich Neutralität und Mitgliedschaft in der EPZ selbst dann nicht aus, wenn in der EPZ im weiteren Sinne sicherheitspolitische Fragen behandelt werden. Für eine westeuropäische militärische Zusammenarbeit würde aber kaum das gleiche gelten können. Muß in dieser Perspektive also der wirtschaftlich durchaus wünschenswerte Beitrag von Neutralen verworfen werden? Das kommt darauf an, wie wir die westeuropäische verteidigungspolitische Zusammenarbeit organisieren wollen. Die Einheitliche Akte sagt dazu nur, daß die EPZ der Zusammenarbeit einiger der EG-Mitgliedstaaten in der WEU und in der NATO nicht im Wege steht. Auch der Entwurf eines Gründungsvertrages für eine Europäische Union, den das Europäische Parlament als perspektivischen Anstoß 1984 vorgelegt hat, ist in der Frage einer verteidigungspolitischen Zusammenarbeit äußerst flexibel. Die vom Bundestag eingesetzte Europakommission hat in ihrem 11. Bericht vom März 1986, auf den sich jetzt die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vom Juni 1988 bezieht, lediglich erklärt, daß die verteidigungspolitische Zusammenarbeit in der WEU die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der EPZ nicht ersetzen kann. Das scheint mir richtig zu sein. Soweit ich sehe, hat sich noch niemand in unserem Lande oder in irgendeinem der anderen europäischen Länder in dieser Frage bereits politisch festgelegt. Ich finde, das ist gut. Denn wir sollten noch einmal in Ruhe überlegen, ob nicht doch die WEU für eine verteidigungspolitische Zusammenarbeit Westeuropas ein besserer Ansatz ist als die EG. Ich weiß - nicht zuletzt aus einer Diskussion mit dem Deutschen Rat der Europäischen Bewegung -, daß sich manche unter einer Europäischen Union nur einen Bundesstaat vorstellen können, dessen Mitglieder ohne Ausnahme die gleichen Rechte und Pflichten haben. Ich warne aber vor der voreiligen Anwendung alter staatsrechtlicher Begriffe auf die europäische Entwicklung. Warum sollte eine Europäische Union nicht unterschiedliche Grade von Integration kennen? Selbst für den grundlegenden Bereich der Wirtschaft ist doch über ein „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" gesprochen worden. Bedenken wir: Eine Erweiterung der Römischen Verträge um die verteidigungspolitische Zusammenarbeit könnte sich schnell als Fessel für die wirtschaftliche Dynamik der EG erweisen. Das gilt nicht nur für die Frage des Beitritts von neutralen und blockungebundenen Ländern, sondern erst recht für die Zusammenarbeit der EG mit den Ländern Osteuropas. Ich votiere daher eindeutig gegen eine voreilige Festlegung. Lassen Sie uns das alles noch einmal in Ruhe überlegen. Was Osteuropa betrifft, so glaube ich, konnte nichts den Willen Westeuropas, sich nicht abzuschotten, sondern im Gegenteil die Zusammenarbeit zu stärken, besser unterstreichen, als daß gleichzeitig mit der Einheitlichen Akte die Gemeinsame Erklärung von EG und RGW zustande gekommen ist und bilaterale Verträge mit einzelnen osteuropäischen Staaten abgeschlossen oder die Verhandlungen darüber aufgenommen worden sind. Angesichts der nicht-supranationalen Struktur der RGW ist der Rahmen für die weitere Entwicklung damit fürs erste abgesteckt. DieDr. Ehmke ({15}) ses bilaterale Vorgehen, trägt im übrigen nicht nur den Wünschen der osteuropäischen Länder, sondern auch den Unterschieden in ihrer wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung Rechnung. Es wird also ein vielfältiges Netz von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EG und den Ländern Osteuropas einschließlich der Sowjetunion geben, wie es ja übrigens auch bei den Assoziationsabkommen mit blockungebundenen oder sogar NATO-Staaten - ich nenne die Türkei - heute der Fall ist. Das wird ein weites, keineswegs homogenes Feld werden. Um Enttäuschungen zu vermeiden, sollten wir uns allerdings in Ost wie in West vor Erwartungen auf zu schnelle Erfolge hüten. Mein Eindruck ist, daß heute im Osten noch mehr als im Westen die Schwierigkeiten unterschätzt werden, die sich für das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas aus dem West-OstGefälle der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung ergeben. Die westeuropäischen Länder und auch ihre Unternehmer dürfen dabei aber nie vergessen: Hier geht es nicht nur um Osthandel und Ostgeschäfte. Hier geht es im Rahmen des KSZE-Prozesses auch um einen westeuropäischen wirtschaftlichen Beitrag zur Aufhebung der Teilung Europas. ({16}) An zeitlich, aber nicht politisch letzter Stelle wende ich mich der Frage nach europäischer Einigung und deutscher Teilung zu. In der Diskussion der letzten Wochen und Tage ist von verschiedener Seite die Frage gestellt worden, ob die rechtlich und/oder faktisch unwiderrufliche Schaffung eines europäischen Binnenmarktes oder gar einer europäischen Union nicht im Konflikt mit dem vom Bundesverfassungsgericht vertretenen sogenannten „Wiedervereinigungsgebot" des Grundgesetzes stehe. Demgegenüber muß ich zunächst darauf hinweisen, daß die Frage der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hinsichtlich der Europäischen Verträge sehr anders liegt als hinsichtlich des Grundlagenvertrages und daß das Bundesverfassungsgericht im übrigen ja auch den Grundlagenvertrag nicht für verfassungswidrig erklärt hat. Soweit dann noch Fragen aufgeworfen werden können, sollten wir sie weniger an die Europäischen Verträge richten als an die juristischen Konstruktionen und die mangelnde richterliche Selbstbeschränkung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil über den Grundlagenvertrag. Ich weise übrigens darauf hin, daß das Gericht in einem Beschluß vom Oktober 1987 inzwischen selbst den Umfang des von ihm in Anspruch genommenen Prüfungsrechts stark zurückgenommen hat. Nach dem Grundgesetz liegen die Dinge doch einfach: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben dessen Normen eine politische Präambel vorangestellt, in der sie die politischen Ziele des neuen Gemeinwesens benannt haben: Frieden, Einheit Europas und Einheit der Deutschen. Ob und wie diese Ziele, einzeln oder zusammen, erreicht werden können, haben sie nicht sagen wollen und auch nicht sagen können. Diese Aufgabe haben sie auch nicht dem Bundesverfassungsgericht übertragen. Sie haben sie vielmehr den dafür im Grundgesetz vorgesehenen, durch demokratische Wahlen legitimierten politischen Organen überlassen. Das Wort „Wiedervereinigung" kommt bekanntlich im Grundgesetz überhaupt nicht vor. Ich bin der Meinung, wir sollten auch nicht verdrängen, daß die Gründung der Bundesrepublik selbst, der dann die Staatsgründung der DDR folgte, nicht ein Akt zur Erhaltung der Reichseinheit, sondern im Gegenteil ein entscheidender Schritt zur staatlichen Teilung gewesen ist. ({17}) Die letzte Chance, die Einheit des Reiches doch noch wieder herzustellen, lag dann - vielleicht - in der Stalin-Note von 1952. ({18}) Konrad Adenauer hat sich damals nicht bereitgefunden, diese mögliche Chance auch nur zu prüfen. Ihm war die Westbindung der Bundesrepublik wichtiger als ein wiedervereinigtes Deutschland, von dem er fürchtete, es könnte erneut seinen Platz nicht finden und zu einem Wanderer zwischen West und Ost werden. Ich teile diese Auffassung nicht, aber ich respektiere sie. Nicht zu respektieren war und ist dagegen - und es wäre gut, wenn die Union da nun endlich einmal einen Schlußstrich zöge - die Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung, mit der diese Politik als „Wiedervereinigungs"-Politik verkauft worden ist. ({19}) In Wirklichkeit war die Vorstellung einer Wiederherstellung des Deutschen Reiches spätestens nach Ablehnung der Stalin-Note von 1952 politisch passé. Der erste, der - vor über 30 Jahren - den politischen Mut hatte, das öffentlich auszusprechen, war übrigens Franz-Josef Strauß. Auch die Dauerbeschwörung von Art. 7 Deutschlandvertrag kann daran nichts ändern - sowenig wie dieser Artikel in den vergangenen 36 Jahren irgend etwas an der deutschen Teilung geändert hat. Wir sollten endlich aufhören, uns etwas vorzumachen: unsere Nachbarn im Westen wie im Osten haben aus bitterer geschichtlicher Erfahrung ein gemeinsames Interesse daran, die Deutschen im geteilten Europa nicht zur „kritischen Masse" werden zu lassen. Damit ist aber auch der Gedanke eines Friedensvertrages mit dem Deutschen Reich im Grunde überholt. Denn ein Friedensvertrag setzt zunächst die Wiederherstellung des Deutschen Reiches voraus und nicht etwa umgekehrt. ({20}) Die Siegermächte können ja nicht gut einen Friedensvertrag in Vertretung für „Deutschland als Ganzes" mit sich selbst abschließen. Friedensverträge als Insich-Geschäfte sollten wir nicht einführen. ({21}) Dr. Ehmke ({22}) Die interessante Idee, dann eben Friedensverträge mit beiden deutschen Staaten anzustreben, scheint mir auch nicht weiterzuführen. ({23}) Warum sollten die 55 ehemaligen Kriegsgegner des Deutschen Reiches Friedensverträge mit zwei deutschen Staaten schließen, die gar nicht ihre Kriegsgegner waren? Und auch wenn man den vorsichtigeren Begriff „friedensvertragsähnliche Regelungen" wählen würde: was hätten die beiden deutschen Staaten mit den 55 ehemaligen Kriegsgegnern des Deutschen Reiches denn eigentlich noch zu regeln? Das Wichtigste ist von den beiden deutschen Staaten, wobei jeder immer nur für sich sprechen konnte, längst geregelt worden - bis hin zur Anerkennung der polnischen Westgrenze durch die DDR im Görlitzer und durch die Bundesrepublik im Warschauer Vertrag. ({24}) Was politisch hinter dem Festhalten am Terminus „Friedensvertrag" steht, ist indes klar: Es ist der Wille, unseren Status minderen Rechts in Europa aufheben, also die Überreste der aus Krieg und Besatzung entsprungenen Sonderrechte der ehemals Alliierten. Das wollen wir, so hoffe ich, alle. Aber der richtige Ort, das zu regeln, ist ein Vertrag über die Schaffung einer europäischen Friedensordnung. Denn eine solche Friedensordnung in Europa muß auf dem Grundsatz der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung ihrer Mitgliedstaaten beruhen. So postuliert ja auch die Präambel unseres Grundgesetzes unsere gleichberechtigte Teilnahme in einem vereinten Europa. Hinzuzufügen ist, daß auch der Status Berlins in einer europäischen Friedensordnung völkerrechtlich verankert werden müßte. ({25}) Damit kehre ich zum Ausgangspunkt zurück. Bis zu welchem Punkt werden wir den europäischen Einigungsprozeß vorantreiben und welches Maß nationaler und staatlicher Einheit werden wir in diesem Prozeß erreichen können? Daß sich die deutsche Frage heute nur noch so stellt, darüber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, besteht in diesem Hause Übereinstimmung. Bei Verabschiedung der Einheitlichen Akte haben wir gemeinsam zum Ausdruck gebracht, daß gegen sie insoweit ebensowenig Bedenken bestehen wie seinerzeit gegen die Römischen Verträge. Das gilt aber auch für den vom Europäischen Parlament vorgelegten Entwurf des Gründungsvertrages einer Europäischen Union, wie die Berichte und Beschlußempfehlungen der Bundestagsausschüsse zeigen. Die Fragen, die die Kollegen Werner, Lummer, Todenhöfer, Abelein und Schmude ({26}) - ja, der andere Schmude, von Schmude; ich verbessere mich, nicht der Präses - insoweit an die Bundesregierung gestellt haben, sind also im Grunde im Hohen Hause schon beantwortet worden. Um so unverständlicher, Frau Staatsminister - das muß ich hier sagen, auch wenn ich ganz anderer Meinung bin als die Kollegen, die die Fragen gestellt haben - , ist mir die Art, in der das Auswärtige Amt diese Fragen beantwortet hat; das war wirklich nicht nötig. Dabei ist der vom Innerdeutschen Ausschuß wie von der Europa-Kommission gewählte Wortlaut interessant. Es heißt dort fast gleichlautend, daß „sich die Chance der Wiedervereinigung nur im Rahmen einer europäischen Friedensordnung eröffnet, in der die Grenzen zwischen den Völkern insgesamt an Bedeutung verlieren" . Es wird also der Prozeß der Schaffung einer europäischen Friedensordnung als Bezugsrahmen für Fortschritte in der deutschen Frage akzeptiert. Dabei wird allerdings noch der, wie ich gezeigt habe, mehr als mißverständliche Ausdruck „Wiedervereinigung" verwendet - aber mit welchem Zusatz! Die dort zum Ausdruck gebrachte Überzeugung, daß die staatlichen Grenzen zwischen den Völkern in einer europäischen Friedensordnung insgesamt an Bedeutung verlieren, heißt doch zugleich, daß in einer europäischen Friedensordnung auch die staatliche Einheit der Deutschen für ihre nationale Einheit an Bedeutung verlieren wird. Zum Thema europäischer Binnenmarkt und Zusammenhalt der Deutschen möchte ich im übrigen darauf hinweisen, daß die DDR schon heute ein ebenso partieller wie stiller Teilhaber der EG ist, und zwar - manchem mag das ironisch erscheinen - gerade auf Grund des Umstandes, daß wir sie völkerrechtlich nicht wie einen ausländischen Staat behandeln. Insofern hat der Innerdeutsche Ausschuß übrigens - verglichen mit den von mir zitierten CDU-Fragestellern - die wichtigeren Fragen gestellt, ob nämlich der Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments „alle im geltenden Gemeinschaftsrecht enthaltenen deutschlandpolitischen Elemente zum rechtlichen Bestandteil der Europäischen Union" werden lasse. Der Innerdeutsche Ausschuß hat diese Frage im Hinblick auf die in Art. 7 des Entwurfs enthaltene Besitzstandsklausel einstimmig bejaht, hat aber der Bundesregierung gleichzeitig empfohlen, in einem Ratifizierungsverfahren eine entsprechende Erklärung abzugeben, wenn wir über die Gründung einer Europäischen Union einmal tatsächlich zu entscheiden haben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in welchen Zwischenschritten und Zwischenformen sich der gesamteuropäische Einigungsprozeß vollziehen wird und wie weit wir mit ihm kommen, ob wir die Teilung Europas eines Tages aufheben können und was das für den nationalen Zusammenhalt und die politische Organisation der Deutschen bedeuten könnte, kann heute niemand sagen. Nach vorne ist die Geschichte in der Tat immer offen. Sicher ist aber dies: So wie die äußere Dimension der Schaffung einer europäischen Friedensordnung Entspannung und gemeinsame Sicherheit heißt, so heißt ihre innere Dimension Zusammenarbeit und Reform. Ob es uns wirklich gelingen wird, die Teilung Europas zu überwinden und den Zusammenhalt der Deutschen in einer europäischen Friedensordnung zu stärken, dazu werden im nationalstaatlichen Denken verharrende Konstruktionen gar nichts, die europäiDr. Ehmke ({27}) schen Kabinette viel, am meisten aber die Reformkräfte in Ost und West beitragen können. Ich bin davon überzeugt: Ihr Erfolg oder Mißerfolg wird über die Zukunft Europas entscheiden. Schönen Dank. ({28})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Ehmke, darf ich Sie noch einmal darüber informieren, daß sowohl der Bundeskanzler als auch der Außenminister - wegen lange vorher feststehender Termine, wie sie ausdrücklich erklärt haben - entschuldigt sind. Sie wissen auch, daß der Außenminister bei den Abschlußverhandlungen der KSZE in Wien ist. ({0}) So, ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre wichtige Antrittsrede herzlich danken. Unvergessen und vorbildhaft bleibt für mich Ihre Entscheidung, Ihr Regierungsamt aufzugeben und unserem Parlament als Präsidentin zu dienen. Frau Präsidentin, ich glaube, daß viele Ihrer wichtigen Überlegungen auch auf das Europäische Parlament übertragen werden müssen. Ich glaube, daß mit einem lebendigen Europäischen Parlament, dessen Befugnisse mit den Integrationsfortschritten wachsen müssen, sich auch mehr Bürger für Europa interessieren, ja, sich begeistern lassen. Begeisterung ist notwendig; denn es ist eine historische Aufgabe, in dem jetzt zu Ende gehenden Jahrtausend den Europäern ihre einzigartige Chance deutlich zu machen. Der Binnenmarkt '92 - von dem in der Rede von Herrn Ehmke leider wenig die Rede war, und der ja der Schwerpunkt unserer ersten Debatte heute morgen sein soll - , ich nenne ihn kurz: E '92, ({0}) ist eine solch seltene Chance. Ich sehe in ihm die größte Reform seit der Währungsreform, den Grundsatzentscheidungen für die Soziale Marktwirtschaft und den Römischen Verträgen. Nach Jahren der Gleichgültigkeit und manchmal lähmender Agonie bringt diese EG des Binnenmarktes - die ja mehr ist, Herr Ehmke, als ein Wirtschaftsthema - Schwung in die alten europäischen Staaten. Die jungen Europäer übrigens spüren zunehmend diese neue Kraft in Europa. Schon jetzt, aber auch bei der Europawahl im Juni und wiederum bei den wichtigen Wahlen 1990 werden sich zwei zentrale Konzeptionen gegenüberstehen: einerseits das mehr zentralistische, bürokratische, möglichst total harmonisierte und protektionistische Europa, andererseits das kulturell offene, liberale, auf Wettbewerb und Leistung begründete Europa. ({1}) Aus meiner Sicht ist die liberale Philosophie von Freihandel, Wettbewerb und persönlicher Verantwortung die richtige Antwort Europas auf neue weltwirtschaftliche Herausforderungen durch die dynamischen Wachstumszentren in Nordamerika und im pazifischen Raum. ({2}) Daß wir uns nicht täuschen: Wir alle haben nur noch 47 Monate bis zur Vollendung des Binnenmarktes. Das heißt natürlich nicht, daß sich erst am 1. Januar 1993 der Vorhang hebt und die Binnenmarktaufführung beginnt. Der Kampf um die besten Plätze beim Binnenmarktrennen ist längst ausgebrochen. Wir wachsen schrittweise in diesen Binnenmarkt hinein und nicht erst mit einem Donnerschlag 1992/93. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, der Binnenmarkt ist keine Veranstaltung nur für die Wirtschaft. Oder ideologisch: Es stehen sich hier nicht Kommerz und Demokratie gegenüber. Nein, wir werden allen Bürgern klarmachen: Der angestrebte freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen, ein ungehinderter Kapitalverkehr und die Freizügigkeit für alle Selbständigen und Arbeitnehmer ab 1993 sind eine Riesenchance für all diejenigen, die aufgeschlossen, lern- und anpassungsbereit und mobil sind. Er kann nicht nur uns, sondern er kann allen Mitgliedstaaten in Europa einen kräftigen Schub nach vorne bringen, vor allem neue Arbeitsplätze für junge Menschen und für Frauen schaffen. ({3}) Es fehlt die Antwort der Sozialdemokratie, wie sie die deutsche Wirtschaft und die deutschen Gewerkschaften vorbereiten, um von diesen neuen Arbeitsplätzen in Europa mehr als bisher abzubekommen. ({4}) Es werden sich neue Chancen für Selbständige auftun, die bereit sind, alte „Reviergrenzen" zu sprengen, die neuen Chancen im Auslandsgeschäft zu ergreifen und sich im Inland auf mehr Wettbewerb einzustellen. Meine Damen und Herren, der frische Wind eines verstärkten europäischen Wettbewerbs wird so manche Erstarrung, so manche Marktabschottung und hoffentlich so manche staatlich garantierte Monopolstellung ohne großes politisches Zutun einfach als unbrauchbar und überflüssig wegblasen. Ich glaube, die alten europäischen Staaten brauchen diesen frischen Wind des europäischen Binnenmarkts. ({5}) Um ehrlich zu sein: Wir sind in vielerlei Hinsicht tatsächlich unbeweglich und starr geworden und hatten den Biß verloren, der notwendig ist, um auf den immer härter umkämpften Weltmärkten zu bestehen. Europa '92 heißt mehr Wettbewerb, aber auch mehr Marktwirtschaft. Doch wir müssen uns im klaren sein: Von selbst kommt dies nicht. Im Schlafwagen erreichen wir das Schlaraffenland Europa nicht, in dem uns die „Wachstums- und Beschäftigungstauben" in den Mund fliegen. Die Chancen für mehr Wettbewerb und mehr Marktwirtschaft müssen wirtschaftspolitisch gesichert und von den Betroffenen auch wahrgenommen werden. Ich meine: Wo alle vom Binnenmarkt profitieren wollen - und das wollen ja alle: Arbeitnehmer, Selbständige und Verbraucher -, müssen sich auch alle dem verstärkten Wettbewerb innerhalb Europas stellen. ({6}) Auch für Europa gilt die gern verdrängte Binsenwahrheit, daß erst erarbeitet werden muß, was später verteilt werden soll. ({7}) Daher muß die nationale Devise für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik bis 1992 lauten: Nicht neue zusätzliche konsumtive Ausgaben, sondern Erleichterungen von Innovation, Investition und persönlicher Leistung müssen unser Ziel sein. ({8}) Ich bin überzeugt, daß die deutsche Wirtschaft gute Karten für das Binnenmarktrennen hat. Man wird nicht Exportweltmeister, wenn man wettbewerbsschwache Unternehmen oder unmotivierte Arbeitnehmer hätte. Deshalb ist entscheidend, daß wir den Mittelstand besser als bisher auf Europa vorbereiten; denn wir müssen aufpassen, daß der Binnenmarkt nicht zu einer Exklusivveranstaltung der Großen wird. Das in ganz Europa grassierende Übernahme- und Fusionsfieber darf nicht unseren Mittelstand hinwegraffen; ({9}) denn wir brauchen beide: einerseits forschungsintensive, global operierende Großunternehmen und andererseits aber auch leistungs- und anpassungsfähige kleine und mittlere Unternehmen. ({10}) Ich weiß aus vielen Gesprächen, daß gerade im Mittelstand noch Ungewißheit und Unsicherheit darüber herrschen, wie man sich am besten auf den Binnenmarkt einstellen kann, wo möglicher Anpassungsbedarf besteht und wie man sich die notwendigen Informationen verschafft. Weil ich diesen Orientierungsbedarf des Mittelstands sehr ernst nehme, werde ich im Frühjahr zu einer nationalen Europakonferenz des Mittelstands einladen. ({11}) Ich meine: Gute Mittelstandspolitik im Hinblick auf Europa heißt nicht Schutz vor Wettbewerb oder neue Sonderprogramme des Bundes oder der Länder. Der Mittelstand braucht keine mildtätigen Almosen. Er braucht vor allem Chancengleichheit und faire Bedingungen in Europa, ({12}) und er braucht Ermunterung, er braucht Verständnis, er braucht Zuspruch - schlicht und einfach das Gefühl, daß seine Bedeutung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland von unserer Gesellschaft auch honoriert wird. ({13}) Denn machen wir uns nichts vor: Mit der Vitalität unserer kleinen und mittleren Betriebe steht und fällt unsere volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. ({14}) Entscheidend ist daher, die Position des gewerblichen Mittelstandes und des Handwerkes im zukünftigen Binnenmarkt attraktiv zu halten. Den kleinen und mittleren Unternehmen fällt es nicht so leicht wie den großen, in Portugal oder Spanien billig zu produzieren, einen Kommunikationsschwerpunkt in Brüssel zu unterhalten, die Bankgeschäfte über London abzuwickeln und lediglich noch die Konzernleitung sowie das Marketing in der Bundesrepublik zu belassen. ({15}) Das heißt, Großunternehmen können sich zu hohen Steuerlasten und zu hohen Personalzusatzkosten leichter entziehen als der Mittelstand. Viele, leider auch Teile unserer Gewerkschaften und der Sozialdemokraten, haben es noch nicht begriffen: Die Vollendung des Binnenmarktes wird auch in Bereichen Auswirkungen haben, die nicht im Weißbuch der Kommission stehen. ({16}) Auf diesem zukünftig größten Binnenmarkt der industriealisierten Welt, Frau Kollegin, mit 323 Millionen Einwohnern werden deutsche, französische, englische, vermehrt aber auch japanische und amerikanische Wettbewerbsfähigkeit härter denn je aufeinandertreffen. Europa 1992 wird den Wettbewerb vor unserer nationalen Haustüre verschärfen. Die Bundesrepublik muß dann mit dem Handikap der höchsten Lohnzusatzkosten und einer zu hohen Steuerbelastung der Unternehmenserträge mit Ländern konkurrieren, die ihre Kostenvorteile für einen dynamischen Aufholprozeß einsetzen. Nirgends, meine Damen und Herren, ist dieser Wettbewerbsdruck von außen schon jetzt so deutlich wie in der Steuerpolitik. Rund um uns herum werden die Unternehmenssteuern gesenkt. Schon heute sind Unterschiede in der Unternehmensbesteuerung standortentscheidene Faktoren. Deshalb hat die Bundesregierung zu Recht für die nächste Legislaturperiode die Reform der Unternehmensbesteuerung auf die Tagesordnung gesetzt. ({17}) Der Bundeskanzler hat mehrfach betont, daß diese Reform wegen des Binnenmarktzieles bis Herbst 1992 im Gesetzblatt stehen muß. Eindeutiger Schwerpunkt dieser Reform muß die Entlastung der Unternehmen von solchen Steuern sein, die den Produktions- und Dienstleistungsstandort Bundesrepublik Deutschland belasten.. Deshalb muß sich das Hauptaugenmerk auf die steuerliche Entlastung der Unternehmenserträge richten, also der Innovationen und der Investitionen von morgen, egal, ob es nun bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder bei der Gewerbesteuer ist. Meine persönliche Priorität liegt bei der Reform der Gewerbesteuer. Wir dürfen unsere Wirtschaft nicht mit dem Klotz der heutigen Gewerbesteuer am Bein in das Binnenmarktrennen schicken. ({18}) Reform, meine Damen und Herren, kann auch nicht bedeuten, daß wir die Gewerbesteuer revitalisieren. Ich sehe hier eine unheilige Koalition zwischen SPD und Teilen des Städte- und Gemeindetages. Ich bin strikt dagegen, daß wir 1992 in der Bundesrepublik eine neue Selbständigensteuer in Form einer verbreiterten Gewerbesteuer einführen. ({19}) Bisher war viel davon die Rede, was der Binnenmarkt an Veränderungen für die Wirtschaft bringt. Wir alle müssen uns im klaren sein, daß 1992 alle betroffen sein werden: als Arbeitnehmer, Verbraucher und auch als Bürger. Europa wird nur dann seine volle Schubkraft und seine Chancen für mehr Arbeitsplätze und für gesellschaftlichen Fortschritt entfalten, wenn alle mitziehen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als würde der Binnenmarkt den einzelnen Arbeitnehmer und Bürger überrollen und ihm seine gewohnten Sicherheiten wegnehmen. Im Gegenteil: Der Binnenmarkt ist entgegen den Befürchtungen der Opposition kein Instrument zur Aushebelung sozialer Rechte der Arbeitnehmer. ({20}) Eine Spirale des sozialen Dumpings nach unten wird es in der Bundesrepublik nicht geben. ({21}) Ich bin als Wirtschaftsminister bereit, berechtigte hohe Sozialstandards zu verteidigen, wenn sie unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht strangulieren und wenn die hohen Kosten dafür durch entsprechende höhere Leistungen auf anderen Gebieten wieder hereingeholt werden. ({22}) Wir schaffen dies allerdings nicht mit der von den Sozialdemokraten angestrebten 30-Stunden-Woche. ({23}) Dieser hohe Sozialstandard, die Vorbildrolle im Umweltschutz, die die Bundesrepublik in Europa spielt, lassen sich nicht in einer Regelarbeitszeit von Montag 9 Uhr bis Freitag 15 Uhr erarbeiten. Gerade hier haben auch die Arbeitgeber, was die Lohnzusatzkosten angeht, ihre Schulaufgaben für 1992 nicht erfüllt. In trauter Einigkeit lassen sie in den Selbstverwaltungsorganen der Bundesanstalt für Arbeit, der AOKs und bei Tarif- und Betriebsvereinbarungen immer höhere Lohnzusatzkosten zu. Auf diese Weise werden 1992 neue Arbeitsplätze eher in Portugal, Spanien und Japan landen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Ich möchte meine Rede schnell zu Ende führen. Vier Bundesminister wollen noch das Wort ergreifen. Deshalb bitte ich um Verständnis. Wir tauschen uns intensiv im Wirtschaftsausschuß aus, schon seit vielen Jahren. ({0}) Ich will noch einmal den Gedanken aufnehmen: Wenn wir uns mit einer 30-Stunden-Woche, mit zu hohen Lohnzusatzkosten in das Binnenmarktrennen begeben, werden 1992 die neuen Arbeitsplätze eher in Portugal, Spanien und Japan landen. Ich möchte deshalb heute noch einmal ausdrücklich davor warnen, so zu tun, als gebe es keinen Anpasssungsbedarf für die Tarifpartner und für die Belegschaften. Wenn rund um die Bundesrepublik herum flexible Arbeitszeiten unter Einbeziehung des Samstages möglich sind, wird dies zu einem Standortvorteil für unsere Nachbarn führen, der auf längere Sicht kaum wieder ausgeglichen werden kann. Wem dies gleichgültig ist, der darf sich hinterher nicht beschweren, wenn neue Arbeitsplätze nicht in der Bundesrepublik, sondern im Ausland entstehen. Wir wollen dies nicht. ({1}) Wir setzen daher auf Wettbewerb nach innen und nach außen. Die Gemeinschaft braucht daher nach innen eine zupackende Fusionskontrolle und nach außen eine offene und liberale Handelspolitik. Der bisherige Kommissionsvorschlag für eine europäische Fusionskontrolle allerdings ist in der jetzigen Form nicht akzeptabel und deshalb nicht verabschiedungsreif. Ich begrüße es ausdrücklich, daß unsere wettbewerbliche Position in Brüssel im Wirtschaftsausschuß des Bundestages und im Bundesrat eine koalitionsübergreifende Unterstützung gefunden hat. Es wäre ein katastrophales Eigentor, wenn die Gemeinschaft einen Teil ihrer Chancen durch den Versuch zunichte machte, den Binnenmarkt durch verstärkte Abschottung nach außen abzusichern. Manche EG-Partner möchten ihre nationalen Einfuhrbeschränkungen durch Gemeinschaftsbeschränkungen ersetzen. Ich werde mich daher nachdrücklich allen Versuchen, Gemeinschaftskontingente für die Einfuhr, z. B. von Autos, festzusetzen, widersetzen. ({2}) Hinter dieser Ablehnung steckt nicht nur Angst vor eskalierenden Handelskonflikten, die uns besonders hart treffen würden, weil knapp die Hälfte unserer Exporte nach wie vor in Länder außerhalb der Gemeinschaft geht. Mein entschiedenes Nein zu jeder Form von Euro-Protektionismus gründet sich vor allem auf unsere erfolgreiche, langjährige liberale deutsche Handelsstrategie und die Erfahrung und Gewißheit, daß freier Handel ein unverzichtbarer Motor für wachsenden Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt ist. ({3}) Die Probleme zu Hause und in der Welt sind nicht durch Abschottung, sondern nur durch ein partnerschaftliches Miteinander, durch Weltoffenheit zu lösen. Alle müssen begreifen: Wettbewerb und Offenheit sind Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft im Weltmaßstab. Deshalb darf die Gemeinschaft keine Festung Europa sein, sondern sie muß sich gerade auch in Zukunft als liberaler Handelspartner der Welt erweisen. Ich werde meinen ersten Auslandsbesuch in knapp zwei Wochen in den Vereinigten Staaten von Amerika machen. Auch ich möchte wie viele Kollegen bestehende Irritationen abbauen. ({4}) Ich werde unseren amerikanischen Partnern aber auch deutlich machen, daß die Bundesrepublik Deutschland für einen freien Welthandel steht und daß wir ein Garant für die USA sein werden, wenn 1992 neue Märkte entstehen werden. ({5}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die einmalige Chance, den langjährigen politischen Stillstand und die schleichende Auszehrung der europäischen Idee zu überwinden, dürfen wir nicht ungenutzt lassen. Nur wenn wir unser Bestes geben, können wir das falsche Image vom Industriemuseum Europa und der Eurosklerose durch ein fortschrittliches, dynamisches Bild vom alten Kontinent ersetzen, und nur so können wir auch den jungen Europäern eine echte Perspektive eröffnen. Ich werde als Bundeswirtschaftsminister meine Kraft dafür einsetzen, daß Europa 1992 zu einem Erfolg für alle wird, für Arbeitnehmer, für Verbraucher und für Selbständige. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsparteien zur Vollendung des Binnenmarktes in der uns vorliegenden Drucksache durchliest, der stößt wieder auf die unvermeidbaren rhetorischen Floskeln, die das Konzept Binnenmarkt 1992 von seinen Anfängen an begleiten. So werden erwartet: „Wachstumsimpulse", „Dynamik des Wettbewerbs", „Stärkung der Wachstumskräfte", „Erhöhung der Beschäftigungschancen", „Vermehrung des Wohlstands". Es gibt keine Setzung von Rahmendaten, und sei es nur in der Form, wie es nach 1945 im Konzept der sozialen Marktwirtschaft versucht wurde. Es wird nicht berücksichtigt, was wir über die Entwicklung regionaler Potentiale in einer sinnvollen regionalen Wirtschaftspolitik inzwischen, als es der Konjunktur etwas schlechterging, gelernt hatten. Denn die Entwicklungsfonds, die Fonds für die sogenannte Südflanke, sind genau dieses nicht. Sie beinhalten Infrastrukturmaßnahmen zur wirtschaftlichen Durchdringung der Peripherie zugunsten der zentralen Großindustrie. Es werden keine Prioritäten zugunsten von Arbeitsschutz und Mitbestimmung in den Betrieben gesetzt. Es wird nicht bedacht, welche Auswirkungen die Konzentration und die Ballung ökonomischer Macht auf die innere oder die äußere Peripherie, auf die Dritte Welt, haben. Nein, die Philosophie des Binnenmarkts 1992 ist Manchester-Liberalismus, pur und simpel. ({0}) Verschüttet werden alle jene Diskussionen über die Orientierung an qualitativem Wachstum, über sektorales Wachstum oder eine Kreislaufwirtschaft, die hier im Lande ja begonnen hatten. Verschüttet werden alle Ansätze zu einer ökologischen Orientierung der Wirtschaftspolitik. ({1}) Natürlich steht Umweltpolitik in jedem Bericht des Rats: unter Ziffer 6 oder 7, hinten rangepappt. Aber Ökologie wird nie ins Zentrum der Philosophie des Wirtschaftens gestellt, als notwendige Orientierung zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen. Der Cecchini-Bericht zeigt es. Da werden ökonometrische Wachstumsberechnungen aufgestellt, ohne jegliche Reflexion auf ihre Voraussetzungen. ({2}) Insofern ist längst deutlich geworden, daß schon die Grundlagen dieser Berechnung in sich widersprüchlich sind. Wer auf economics of scale, auf Wirtschaftlichkeit der großen Serie, setzt, wer Konzentrationsvorgänge in Gang setzt und gleichzeitig meint, damit große Beschäftigungszunahmen realisieren zu können, läßt außer jeder Berücksichtigung, daß in den Konzentrationsvorgängen primär natürlich Rationalisierungswellen ablaufen werden. Wer auf Deregulierung setzt, weiß, daß dies auf Kosten der Arbeitenden in den Betrieben gehen wird. Wer schließlich auf Harmonisierung von Normen und Verordnungen setzt, weiß, daß damit die minimalen Errungenschaften auf dem Gebiet der Umweltpolitik und des Arbeitsschutzes oder der sozialen Rahmenbedingungen eben dereguliert werden, d. h. verlorengehen werden. ({3}) In Anbetracht der tatsächlichen Politik der Bundesregierung können wir GRÜNEN deshalb die von ihr verbreitete Europaeuphorie nicht teilen. Sie hat ihren Grund ja auch in ganz anderen Motiven. Sie lenkt davon ab, daß diese Bundesregierung keine Konzepte der notwendigen Umorientierung auf eine die Umwelt und Ressourcen schonende, ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik hat. ({4}) - Das geht sehr wohl; dafür gibt es auch hinreichend Literatur. Dr. Lippelt ({5}) Dabei wird zur Zeit allerdings immer deutlicher - in der Politik manchen Landes wird es ja zumindest ansatzweise versucht - ({6}) - Lassen Sie mich im Zusammenhang berichten. ({7}) - Nein, darüber können wir lange diskutieren. Dabei wird zur Zeit allerdings immer deutlicher, daß diese Politik machtpolitische Konsequenzen hat. Wenn in den USA jetzt am deutlichsten formuliert wird, daß sich hier eine Festung Europa herausbildet, so wird man dies auch mit allen Beteuerungen, daß diese Festung weltweit auf Freihandel angewiesen sei, nicht widerlegen können. Denn Tatsache ist doch, daß, wenn man von solchen Wachstumsschüben träumt, der ohnehin schon überproportionale Anteil am Welthandel dabei zunehmen wird. Tatsache ist, daß sich wenn dies dann so sein soll, Handelskriege abzeichnen. Kürzlich hatten wir ja wieder einen. Tatsache ist auch, daß eines der wesentlichen Motivierungsschlagworte das von der Selbstbehauptung Westeuropas ist. Tatsache ist deshalb, daß die Politik des Binnenmarktes 1992 letztlich in geopolitischem Denken fundiert ist, das die Welt in die drei Konkurrenten Nordamerika, Japan und Westeuropa aufteilt. Geopolitisches Denken ist immer machtpolitisches Denken gewesen, Herr Ehmke, ist imperialistischem Denken immer verschwistert gewesen und stand immer Pate bei großen globalen Konflikten. ({8}) Gerade weil wir uns als Europäer verstehen, akzeptieren wir nicht, daß uns das jetzige westeuropäische, EG-fixierte, einer demokratischen Kontrolle nur bedingt unterliegende, auf überkommenen Wachstumsvorstellungen basierende Modell der Integration als die einzig mögliche Zukunft Europas verkauft wird. Der Widerspruch zwischen dem Bau einer westeuropäischen Zitadelle einerseits und den gleichzeitigen Beteuerungen, für die Politik eines gemeinsamen europäischen Hauses eintreten zu wollen, läßt sich in drei Hinsichten noch verdeutlichen: Erstens. Im Verhältnis zu den übrigen Staaten Europas, zur Rest-EFTA, im Verhältnis zu den neutralen Staaten Europas läuft es immer wieder auf das hinaus, was Staatsminister Stavenhagen in Stockholm sagte und was man hier in den Ausschüssen dieses Hauses querbeet von den Vertretern aller Parteien hören kann: Mögen sie doch kommen; allerdings gilt dann das Prinzip: gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Wer nun weiß, daß das Wirtschaften - auch das Wirtschaften - seine Grundlagen in den historischen und kulturellen Voraussetzungen eines Landes hat, wird immer wieder über solch unreflektiertes, aus der Sicherheit ökonomischer Stärke resultierendes Diktat für die europäischen Nachbarn erschrecken. Denn es ist doch klar, daß ein enormer Arrangierungsdruck von dieser Zitadelle Westeuropa ausgeht. Zu unserer Vorstellung von Europa gehört aber immer die Vorstellung der historischen Vielfalt. Das Angebot, das von hier aus mit solch arrogantem Selbstbewußtsein vorgetragen wird, ist schließlich aber nur ein Angebot zu einer uneuropäischen Nivellierung. Die Vergrößerung von Märkten bringt natürlich immer Gewinne durch die Arbeitsteilung; sie bringt aber auch immer Verluste an sozialer und gesellschaftlicher Struktur. Wer das Beispiel Schwedens verfolgt, das sich ja zu Recht dagegen wehrt, weiß, daß dieses Land eine Struktur wahren will und daß es gleichzeitig eine Wirtschaft hat, die weltweit konkurrenzfähig ist und bleibt. Zweitens. Grotesker und noch um vieles bedenklicher ist dieses Verhalten dann in seiner Fortsetzung gegenüber Osteuropa. Es ist kein Geheimnis und liegt offen zutage, daß, während Westeuropa auf einen neuen ökonomischen Wachstumsschub setzt, die Länder der RGW mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und mit enormen Verschuldungsproblemen zu kämpfen haben. Für einige ostmitteleuropäische Länder kann man sogar sagen, daß sie am Rande des Verfalls ihres Wirtschaftssystems und der Gesellschaft stehen. So ist es leider. Das zeigen die Dollarwährung in Polen, immer bitterere Nationalitätengegensätze in Jugoslawien und Despotismus in Rumänien - das nur als Stichworte. Die Politik der Perestroika in der Sowjetunion ist natürlich auch gerade von entsprechenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten diktiert; das ist keine Frage. Aber gleichzeitig beinhaltet diese Politik eine große Hoffnung für die Vorstellung eines Gesamteuropa. Die Frage ist: Wie verhält sich Westeuropa dazu? Der Abschluß der EG-RWG-Verhandlungen ist ein erstes Indiz. ({9}) - Gnädige Frau, es gibt eine Rahmenvereinbarung, und dann dürfen die RGW-Länder für nationale Kooperationsabkommen Schlange stehen. Man stelle sich das einmal umgekehrt vor; dann wüßte man, wo hier hegemoniale Macht liegt. ({10}) Natürlich zeigt sich in diesem Vorgang die Überlegenheit offener Gesellschaften und ihrer kooperationsfähigen Institutionen ({11}) - wenn Sie mir darin zustimmen, stimmen Sie ja vielleicht auch weiterhin zu - gegenüber dem Modell zentraler Verwaltungswirtschaft. Nur, wie reagiert man auf dieses Resultat? Der ungarische Außenminister hat seine Kollegen darauf hingewiesen, 1992 stelle einen Wendepunkt hauptsächlich politischen Inhalts dar, und die RGW-Staaten müßten sich arrangieren; andererseits aber müsse die westliche Seite sehen, daß der integrierte Markt die Spaltung Europas herbeiführen könne. ({12}) Hier im Westen dagegen reagiert man vor allem mit Benevolenz. Der Sowjetunion und den Staaten Ostmitteleuropas wird - so hört man es in allen Gesprächen, an denen man mit Vertretern anderer Fraktionen teilnimmt, in Gesprächen mit allen Vertretern dieser Länder - gesagt: Okay, unsere Wirtschaft ist stark, wir werden euch helfen, ihr verfügt ja über Dr. Lippelt ({13}) potentiell große zukünftige Märkte; nur, gebt dazu bitte erst ganz eure ideologischen Verbohrtheiten auf, schafft vom ökonomischen System her dieselben Voraussetzungen, wie wir sie haben, und wenn das noch etwas dauert, dann bitte vorher Kapitalschutz, Schutz des Kapitaltransfers, und dann wird unsere Wirtschaft es bei euch schon richten. Nun werden aber die katastrophalen Folgen unseres Wirtschaftens - von den ökologischen bis zu den sozialen in der Dritten Welt - nicht dadurch gerechtfertigt, daß die Systeme der Zentralverwaltungswirtschaft am Ende sind. Wer auf eine Rekonstruktion Gesamteuropas setzt, sollte nicht nur Osteuropa unter Änderungsdruck stellen, sondern auch über Änderungsnotwendigkeiten im eigenen System des Wirtschaftens nachdenken. ({14}) Statt dessen aber geschieht etwas ganz anderes, nämlich drittens: Geradezu verräterisch taucht in der Diskussion immer wieder die Frage der Wiedervereinigung auf. Wenn jetzt der Kollege Todenhöfer entsprechende Vorbehaltsklauseln für den weiteren Ausbau der EG fordert, wenn der Kollege Dregger die Wiedervereinigung Deutschlands sogar den anderen EG-Staaten als Ziel vorschlagen möchte, so ist das nur die etwas bürokratische Variante einer Politik, die aufgeklärter vom Kollegen Rühe und von den übrigen Kollegen von der CDU mit dem Hinweis vertreten wird, daß die Wiedervereinigung Europas die Wiedervereinigung Deutschlands nach sich ziehen müsse. ({15}) Das aber heißt: Setzte man - Herr Ehmke, ich sprach nur über die Kollegen von der CDU - in den 50er und 60er Jahren auf Wiedervereinigung auf Grund einer Politik militärischer Stärke, so setzt man jetzt auf ökonomische Stärke, und aus dem Zerfall Osteuropas mag dann auch - so die deutlichen Hintergedanken - als Preis die Wiedervereinigung herausgeholt werden. Wir GRÜNEN meinen - und das muß man auch in diese Diskussion über die Vollendung des Binnenmarktes einführen - , daß eben damit wieder machtpolitische Verhärtungen heraufbeschworen werden, die einen großen historischen Moment verstreichen lassen. Deshalb ist es wichtig, nochmals zu klären, von was für einem Bild Europas wir in unserer Europapolitik ausgehen. Wer immer betont, Westeuropa oder die NATO sei auch eine Wertegemeinschaft, übersieht völlig, daß es eine lange Geschichte alteuropäischer Gemeinsamkeit von Werten gibt, die von der Geopolitik des 19. und vom Faschismus und Stalinismus des 20. Jahrhunderts zerstört wurde. Demokratische Traditionen waren in Polen und Ungarn im 18. und 19. Jahrhundert mindestens so verbreitet wie in Westeuropa. Also geht es um die Rekonstruktion Europas in Anknüpfung an verschüttete demokratische und kulturelle Traditionen, und dies kann nicht über machtpolitische Verhärtungen geschehen, also nicht nach dem Motto, das wir heute wieder gehört haben: Mögen sie alle sich doch uns anschließen, dann vereinigt sich Europa in der EG - und Deutschland ebenfalls. Wir brauchen nicht ein wiedervereinigtes Deutschland, sondern eine demokratische DDR. Am Horizont ist - der glückliche Abschluß der KSZE-Konferenz gerade in diesen Tagen ist das beste Vorzeichen dafür - die Vision einer gesamteuropäischen Friedensordnung aufgetaucht. In der Tat, Herr Ehmke, ich sehe es eher wie Ihr Kollege Bahr: Es wird am Ende des KSZE-Prozesses eine Friedensordnung - ausgehandelt auf einem großen Kongreß - geben müssen. Aber auch das Verhältnis zu den beiden deutschen Staaten wird geregelt werden; es wird dann zweckmäßigerweise in Friedensverträgen geregelt werden. Einer Entwicklung dahin muß die notwendige Zeit gegeben werden, bevor neue ökonomische Gegensätze und aus diesen herrührende politische Ambitionen dem in die Quere kommen. Wer nun die Wohlstandsdaten der Länder Westeuropas betrachtet, wer ihren Anteil am Welthandel mißt, wer sich klarmacht, daß Westeuropa gerade hierin Nordamerika weit hinter sich gelassen hat, muß sich ja ohnehin fragen, wohin der neue Wachstumsschub führen soll, denn Wirtschaftswachstum herkömmlicher Art ist an seine ökologischen Grenzen gestoßen. Waldsterben, Ozonloch, drohende Klimaveränderungen zeigen, daß die Grenzen der Belastbarkeit schon überschritten sind. In den Formen bisherigen Wirtschaftens kann deshalb nur noch Wachstum zu Lasten anderer, zu Lasten Ärmerer erreicht werden. ({16}) Aufrechterhaltung der Beschäftigung, Aufrechterhaltung des Wohlstands kann deshalb nur noch durch den Umbau des industriellen Apparates selbst und durch andere Formen des Wirtschaftens gewährleistet werden. Deshalb ist es notwendig, der Perestroika gerade hier bei uns das Wort zu reden. Daher muß auch die Diskussion über qualitatives oder sektorales Wachstum bei Zurücknahme quantitativer Wachstumserwartungen überhaupt erst einmal im EG-Zusammenhang geführt werden. Es genügt nicht, ein Programm „Arbeit und Umwelt" hier im nationalen Rahmen zu entwerfen, um es dann vom Binnenmarkt wieder zerstören zu lassen. Glücklicherweise ist ja in die EG-Euphorie der SPD durch die Entdeckung, daß es im Zusammenhang mit dem Sozialraum offensichtlich Beschwernisse gibt, ein kleiner Wermutstropfen gefallen. Umbau ist z. B. auf dem Gebiet der Energiepolitik notwendig. Umbau ist auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie notwendig. Wir wissen, daß die Sowjetunion gerade jetzt auf Grund der Entdeckung des Prinzips der Hinlänglichkeit mit der Konversion ihres Rüstungssektors beginnt, wenn natürlich auch nur in geringem Maße. ({17}) Umbau ist in der Agrarproduktion nötig. Die Vernichtung der Grundwasserressourcen läßt sich nicht mehr mit ein paar Wasserpfennigen aufhalten. Umbau ist z. B. in der Chemieproduktion nötig, um sie überhaupt kontrollierbar zu machen. Wir haben gestern ein Beispiel dafür erlebt. Sie wissen, daß die Dr. Lippelt ({18}) Hälfte unserer Chemieindustrie überflüssig ist, nein, mehr als das, sie führt zur Zerstörung der Umwelt. Die Umschaltung der Chemieproduktion auf eine sanfte Chemie muß vorgenommen werden. All dies könnte und sollte jetzt geschehen, in einer Situation, in der wir - weil die Außenhandelsüberschüsse die Weltwirtschaft ohnehin aus dem Gleichgewicht bringen - diesen Wachstumsschub im Sinne des alten quantitativen Wachstums überhaupt nicht brauchen, nicht nötig haben. Meine Damen und Herren, gleichzeitig gilt: Die notwendigen Umorientierungen in bezug auf das Wirtschaften hier im Lande würden im Gegensatz zu dem auf Konzentration und Rationalisierungswellen zielenden Binnenmarkt 1992 einen echten Zugewinn an Beschäftigung mit sich bringen. Wir alle wissen, daß beim Umbau der Energiepolitik und beim Umbau der Agrarpolitik sehr wohl ein Zugewinn an Beschäftigung in größerem Maße erreichbar ist. ({19}) Doch für das Notwendige hat die Regierung weder ein hinreichendes Problembewußtsein noch Konzepte. Für sie ist die Welt wieder in Ordnung, seitdem eine neue Stimmung des High-Tech-Edelkonsums die Stimmung ökologischer Besorgnis abgelöst hat und nachdem die Bevölkerung eine weitere Steigerung der Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Autobahnen akzeptiert hat und entsprechend kauft. Aber wenn Sie dies auch schnell verdrängen: Der Druck der ökologischen Krisen wird wachsen. Die im vergangenen Jahr verlorene Auseinandersetzung über eine bessere EG-Umweltpolitik verlangt uns immer mehr ab, hier im eigenen Lande eine Wirtschaftspolitik der Umorientierung einzuleiten, statt uns hinter den Regelungen und Harmonisierungen der EG zu verstecken und praktisch zu deregulieren. Sie verlangt uns ab, zu demonstrieren, daß ein Umbau des industriellen Apparates nötig und möglich ist. Dazu allerdings fehlen einer Regierung, die noch nicht einmal in der Lage ist, Giftgasmischern und -händlern die Freiheit der Entfaltung der wirtschaftlichen Persönlichkeit zu nehmen, Mut, Phantasie und Entschiedenheit. ({20})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ehmke ({0}) wird nach seiner Kritik an der Nichtanwesenheit anderer bestimmt sofort wieder da sein. Er hat in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu Europa und zur deutschen Frage Nachdenkliches gesagt. Ich darf Ihnen vielleicht nur zwei Zitate von de Gaulle in Erinnerung rufen. Am 21. Juli 1966 sagte de Gaulle in Bonn: Es gibt kein ganzes Europa ohne ein ganzes Deutschland, und am 12. September 1967 zum damaligen

Not found (Kanzler:in)

Es gibt für niemanden einen gesicherten Frieden, bevor die Deutschlandfrage gelöst ist. - Ich bin immer für Nachdenkliches, das Parlamentarier sagen, aber es wäre mir lieber, sie halten sich immer im Rahmen der uns gegebenen Verfassung. Die CDU/CSU kann heute mit Freude und auch ein bißchen Stolz feststellen: Das Schiff Europa ist wieder auf Erfolgskurs gebracht worden. Durch konstruktive Reformen wie die Einheitliche Europäische Akte, mit der die Grundlagen für die Lösung der Zukunftsaufgaben der EG geschaffen wurden, sowie durch die richtungsweisenden Beschlüsse von Brüssel 1988 und Hannover im Juni 1988 hat Europa unter deutscher Ratspräsidentschaft wieder klare Perspektiven für die Zukunft gewonnen. ({0}) Die Grundlagen der Gemeinschaft sind wieder gefestigt. Sie hat in der Finanz-, Agrar-, Struktur- und Umweltpolitik ihre Handlungsfähigkeit zurückgewonnen und neuen Schwung auf dem Wege zum europäischen Binnenmarkt 1992 begonnen. Diesen Schwung wollen wir fortführen. ({1}) Meine Damen und Herren, während wir das Ziel der Vollendung des Binnenmarktes anstreben, sind wir auch in einer günstigen, aufwärts gerichteten Konjunktur. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im siebenten Jahr des Aufschwungs. Denken Sie einmal nach, meine Damen und Herren der SPD, wie lange Sie den Abschwung vorausgesagt haben! Das Jahr 1988 brachte uns ein Wirtschaftswachstum von 3,5 %. Das ist das beste Ergebnis seit 1979. Für das Jahr 1989 rechnet die Industrie einhellig mit einem Wachstum von 2,5 bis 3 %. Der Bundesverband der Deutschen Industrie prognostiziert einen Produktionsanstieg, der in einzelnen Branchen 5 bis 6 % und damit eine deutliche Beschäftigungszunahme erreichen soll. Eine anhaltend gute Exportkonjunktur in Verbindung mit einer steigenden Inlandsnachfrage und Investitionstätigkeit tragen weiterhin dazu bei, daß die deutsche Wirtschaft mit Optimismus in das Jahr 1989 geht. Die Weltwirtschaft - dies ist das Erfreuliche gegen alle Voraussagen - befindet sich in einem stabilen langfristigen Aufschwungsprozeß. Der Binnenmarkt - alleine schon seine Ankündigung - hat daran unbezweifelbar seinen großen Anteil. Meine Damen und Herren, Europa befindet sich im Aufbruch. Es gibt keine Alternative zum Binnenmarkt. Deswegen hat die Koalition dem Binnenmarkt auch absolute Priorität eingeräumt. Die CDU/CSU hat in einem Hearing im Spätsommer feststellen können, daß die deutsche Wirtschaft und ihre Verbände entschlossen sind, auf den Binnenmarkt zuzugehen, mit der Devise: Wir jammern nicht, wir stellen uns der Herausforderung. ({2}) Die Politik muß erkennen: Der gemeinsame Markt wird grundsätzlich akzeptiert und bejaht. Die positiven Chancen überwiegen gegenüber eventuellen Risiken. Hier wird ein erfreulicher und deutlicher Trend sichtbar: Die deutsche Wirtschaft und ihre Verbände wenden sich in zunehmendem Maße gegen Verdruß und Kleinmütigkeit. Die Zeit bis 1993 ist nicht mehr lang. Es ist zu begrüßen, daß der Bundeskanzler durch sein persönliches Engagement gemeinsam mit der Bundesregierung in immer stärkerem Maße überzeugende Zeichen setzt, daß über den Binnenmarkt der erfolgreiche Weg zur europäischen Union beschritten wird. ({3}) - Der Bundeskanzler setzt so viel Zeichen der europapolitischen Überzeugung, daß, selbst wenn er wegen anderer Termine einmal nicht da ist, sein Geist stets bei uns ist. ({4}) Seit Jahren haben sich besonders die internationalen Unternehmen bereits auf den Binnenmarkt eingestellt. Unbestritten haben der Mittelstand und das Handwerk sowie der Dienstleistungssektor einen Nachholbedarf. Dieser wird erfreulicherweise in immer stärkerem Maße aufgeholt. Der Binnenmarkt in Europa bedeutet Freiheit des Warenverkehrs, Freiheit des Personenverkehrs, Freiheit des Dienstleistungs- und Freiheit des Kapitalverkehrs. Wir sind uns alle darüber im klaren: Vor uns liegt noch ein harter Weg, um dies zu erreichen. Vision Europa heißt auch, daß die Politik die Fähigkeit entwickelt und wieder erlernt, positive Grundstimmung zu verstärken, und dabei kann uns gerade die Opposition wesentlich helfen. ({5}) Die EG ist heute mit 30 % am Welthandel beteiligt und damit größter Handelspartner. Im Vergleich mit vielen anderen Regionen der Welt ist die EG eine Insel des Wohlstands und der politischen Stabilität. Es ist eine Herausforderung, diese Position zu erhalten und auszubauen, - und ich freue mich, daß gerade bei diesem Satz kein Widerspruch seitens der SPD kommt. Nicht nur die Bundesregierung, nicht nur die Bundesrepublik bereitet sich auf den Binnenmarkt vor; auch bei unseren europäischen Nachbarn ist das Binnenmarktfieber ausgebrochen. Es findet in immer stärkerem Maße ein positiver Wettbewerb statt. Darüber hinaus wird offenkundig - ich würde mich freuen, wenn die deutschen Politiker, vor allen Dingen die der Opposition, das zur Kenntnis nehmen würden - , daß sowohl die EFTA-Länder als auch Länder wie Türkei, Marokko, Malta, Zypern unverhohlen ihre Sympathie zum Ausdruck bringen und die Absicht einer engeren Kooperation oder sogar eines Beitritts zur EG zu äußern. Man geht doch nicht in etwas hinein, was keine Zukunft hat. ({6}) Der international häufig verspottete alte Riese Europa erwacht mit Vehemenz zu neuem Leben. Wer die besten Startchancen beim Europamarkt hat, liegt auf der Hand: Es ist der Staat, der zukunftsorientierte, vorausschauende, tatkräftige Unternehmer und Arbeitnehmer hat, die risikobewußt Vor- und Nachteile abzuwägen verstehen. Der neue Typ des „europäischen Unternehmers" geht nicht auf alten, eingefahrenen Gleisen, es gibt kein Zurück in nationale Egoismen und kleinkarierte Denkschemen. ({7}) Das muß unsere Politik der nächsten Jahre sein. Meine Damen und Herren, schon geistert wieder das Wort der „Festung Europa", vor allem in den USA und in Japan geprägt, durch die Medien. Das Gegenteil muß der Fall sein. Der europäische Binnenmarkt muß beispielhaft für die Öffnung von Grenzen und für die Beseitigung jedweder Handelsschranken sein. Wir wissen, das ist nicht immer einfach. Auch liberale Handelspolitik ist kein Wohltätigkeitsdienst, sondern Voraussetzung für langfristiges Wachstum. Die Verhinderung von Protektionismus ist ein Dienst an der europäischen Volkswirtschaft und kein Geschenk für dritte oder vierte Staaten. ({8}) Es ist hinlänglich bekannt: Protektionismus kostet mehr Einbußen an wirtschaftlicher Potenz, als es vordergründig Vorteile zu bringen scheint. Beispielhaft für falsches Handeln ist der immer wieder angedrohte Handelskrieg zwischen der EG und den USA, zuletzt wegen der Hormone im Fleisch. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sowohl die Kommission als auch emotional aufgebauschte Politiker in den USA häufig Spaß am bürokratischen Aufblasen von Problemen haben. Das wertvolle Kapital der bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EG und den USA ist zu kostbar, um es von einzelnen zerstören zu lassen. ({9}) Der Erfolg der laufenden GATT-Runde ist wesentlich davon abhängig, wie sich die EG und die USA handelspolitisch arrangieren. Europa steht also vor immer größeren Herausforderungen. Ich nenne nur die Entwicklung im pazifischen Raum. Wir sehen in dem EG-Binnenmarkt keinen Selbstzweck. Wenn wir es nicht schaffen, der Herausforderung aus dem pazifischen Raum - der „Tiger" im pazifischen Raum und Japans - und auf der anderen Seite der Herausforderung durch die USA - Beispiel die Freihandelszone USA/Kanada - zu begegnen, dann können wir hier über sozialen Besitzstand reden, soviel wir wollen. Wenn wir nicht das Geld dafür gemeinsam erarbeiten und gegenüber den anderen konkurrenzfähig sind, dann können wir irgendwann einschlafen und haben den Wettbewerb verlofen. ({10}) Meine Damen und Herren, Binnenmarkt heißt nicht kneifen, sondern die Herausforderung offensiv annehmen. Ein Wort zu den sozialistischen Volkswirtschaften. In immer stärkerem Maße stehen diese finanziell und wirtschaftlich vor einem Scherbenhaufen sozialistiKittelmann scher Planwirtschaft. Auch hier werden wir die langfristige Herausforderung annehmen. Diesen Ländern wird die Zusammenarbeit zwischen der EG und dem COMECON helfen. Aber auch hier ist den sozialistischen Ländern zu sagen: Eine liberalere Handelspolitik ist der qualifizierteste Weg zur Verbesserung. Wir haben auch die erfreuliche Tatsache, daß sich Berlin in die Chancen des EG-Binnenmarktes hervorragend neu einordnen kann. Chancen liegen in erster Linie im Westen, aber die Chancen für Berlin liegen auch in der Entwicklung der Verbindung zwischen EG und COMECON. Die Dritte Welt wartet darauf, daß der EG-Binnenmarkt Zeichen für eine wirkliche langfristige Hilfe und vor allen Dingen für Öffnung der Grenzen gegenüber der Dritten und Vierten Welt setzt. Auch das ist eine Herausforderung, der Europa im gemeinsamen Binnenmarkt besser gerecht werden kann. ({11}) Meine Damen und Herren, es wird uns in Europa nichts geschenkt werden. Die anderen werden genauso hart arbeiten wie wir. Aber niemand zieht größeren Nutzen aus einer europäischen Integration als wir Deutsche - wirtschaftlich und politisch. Erkennen wir die Voraussetzungen! Quengeln wir nicht herum! Seien wir nicht kleinmütig! Packen wir die Probleme positiv an! ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gautier.

Dr. Fritz Gautier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000641, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatte heute morgen anhört, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bundestagspräsidentin heute morgen wohl doch etwas recht gehabt hat. Wenn wir uns gegenseitig mehr oder minder Platitüden an den Kopf werfen, wird vielleicht verständlich, daß manche Leute über Politikmüdigkeit reden. Herr Kittelmann, auf Ihre Ausführungen wird mein Kollege Mitzscherling sicher noch eingehen. ({0}) - Ich werde in den verschiedensten Punkten zur Sache kommen, und ich werde Sie und auch andere fragen, wie die Regierung in bestimmten Bereichen denn eigentlich die Konzeption Binnenmarkt 1992, die wir als Sozialdemokraten im Grundsatz teilen, verwirklichen will. Wir haben damals gesagt: Binnenmarkt 1992 wollen wir aus den Erfahrungen heraus - auch zu Beginn der 80er Jahre -, die gekennzeichnet durch den Begriff Eurosklerose waren. Wir haben festgestellt, daß nationalstaatliches Handeln für mehr Beschäftigung sehr schwer durchzusetzen ist, wie insbesondere die französische Erfahrung gezeigt hat. Das waren und sind immer noch unsere Begründungen dafür, daß Binnenmarkt bei einer vernünftig koordinierten Wirtschaftspolitik seinen Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit und auch zu mehr Wohlstand leisten kann. Aber, Herr Haussmann, das ist natürlich kein Allheilmittel, wie Sie es immer verkünden. Wir haben 15 Millionen Arbeitslose in Europa. Es geht um 15 Millionen Arbeitslose. Selbst die optimistischen Prognosen des Cecchini-Berichts sprechen von 2 Millionen zusätzlichen Beschäftigten ({1}) - 2 bis 5 Millionen, Herr Schwörer; wenn Sie den Bericht gelesen haben - bei einer Veränderung der Wirtschaftspolitik, wobei es darum geht, wie wir die Wohlstandsgewinne verwenden, ob wir nämlich bereit sind, diese Wohlstandsgewinne tatsächlich im Rahmen einer koordinierten Politik für mehr Beschäftigung einzusetzen. Und da fragen Sie uns, Herr Haussmann, ob wir denn eigentlich für bestimmte Bereiche auch Konzepte anzubieten haben. Natürlich haben wir in der Bundesrepublik Deutschland - das weiß jeder - z. B. ein sehr hohes Lohn- und Sozialniveau. Gott sei Dank. Wir haben aber auch ein sehr, sehr hohes Qualifikationsniveau. Ich glaube, das müssen wir ausbauen. Was haben Sie aber mit der Novelle zum AFG gemacht? Sie haben die Mittel für die Qualifizierung von Arbeitnehmern, für die Vorbereitung auf solche Sachen exakt gestrichen. ({2}) Nun lassen Sie mich zu einzelnen Bereichen kommen, die bei den verschiedensten Aktionen, die im Binnenmarkt durchgeführt werden müssen, zu berücksichtigen sind. Wir Sozialdemokraten teilen im Bereich der Produktharmonisierung ein Konzept der Ursprungslandkontrolle auf der Grundlage von grob harmonisierten allgemeinen Anforderungen auf europäischer Ebene. Das ist aber nicht die einzige Bedingung für freien Warenverkehr. Die viel schwierigere Bedingung für freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist vielmehr die Steuerharmonisierung. Herr Haussmann, ich hätte von Ihnen als Wirtschaftsminister erwartet, daß Sie auf diese Frage zumindest eingehen. ({3}) Das, was Sie uns wieder erklärt haben, ist Ihre übliche Leier: daß man die Gewerbesteuer abschaffen müsse, weil ansonsten die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig sei. Die Zahlen in diesem Bereich sprechen doch dagegen. Gucken Sie sich doch unsere eigenen Handelsbilanzüberschüsse an! Da kann man doch nicht davon reden, daß die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig sei. Wir sagen, wir brauchen eine Harmonisierung auch der Mehrwertsteuer. Aber wenn Sie die Mehrwertsteuer erhöhen wollen ({4}) - wie Herr Haussmann angekündigt hat -, um anschließend die Gewerbesteuer abzuschaffen, dann ist das die verkehrte Strategie. ({5}) Ich glaube, daß wir andere Überlegungen anstellen müssen, um zu klären, wo man die Nachfrage innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und auch die Investitionsgüterausrüstung stärken kann, und nicht versuchen sollten, die Unternehmen zu entlasten und über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer die Binnennachfrage zu schwächen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert?

Dr. Fritz Gautier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000641, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird das angerechnet? ({0}) - Ich wollte ja nur wissen, ob das auf meine Redezeit angerechnet wird. Ich habe nämlich noch viele Notizen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Dr. Fritz Gautier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000641, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, wenn es angerechnet wird, dann nicht. Ich habe ziemlich viele Notizen, von denen ich gerne einige abhandeln möchte. ({0}) Wir Sozialdemokraten sind schon der Meinung, daß die Mehrwertsteuer in Europa im bestimmten Umfang harmonisiert werden muß. Bloß, wo ist denn die Konzeption der Regierung? Was will sie denn? Ist Sie mit den Vorschlägen der EG-Kommission einverstanden, eine Spannbreite von 14 bis 20 % zuzulassen? Halten Sie das für ausreichend? Der französische Ministerpräsident Rocard hat gesagt, so gehe es nicht. Frau Thatcher hat ebenfalls gesagt, so gehe es nicht. Diese Regierungen versuchen, ihre Positionen festzunieten und in die Diskussion einzubringen. Die Bundesregierung hat sich zu dieser Frage bislang öffentlich überhaupt nicht geäußert. ({1}) Uns würde es schon interessieren, ob Sie der Meinung sind, daß man in Spannbreiten arbeiten muß, mit einem Mindestgewerbesteuersatz, auf welcher Höhe, wie Sie in die Diskussion hineingehen. Die neue EG-Kommissarin, Frau Scrivener, die für diesen Bereich zuständig ist, will bis April neue Vorschläge machen. Vielleicht wäre es gut, wenn die Bundesregierung bis dahin sagen würde, wie sie sich diesen Bereich vorstellt, um dann Politik zu beeinflussen. Ich will zu einem zweiten Punkt im Bereich der Steuerharmonisierung kommen, zur Harmonisierung der Sonderverbrauchsteuern. Da geht es nicht so sehr um Alkohol und Tabak, obwohl das auch wichtig ist. Es geht vor allem um die Mineralölbesteuerung. Dazu schlägt die EG-Kommission einheitliche Sätze in ganz Europa auf der Grundlage von ECU-Sätzen vor. Teilt die Bundesregierung diese Position, ja oder nein? Wir Sozialdemokraten würden das schon etwas differenzierter sehen. Meines Wissens regen sich auch in der CDU mehr Leute wie z. B. die niedersächsische Finanzministerin Frau Breuel, die in den letzten zwei Wochen häufiger davon gesprochen hat, daß man gerade im Bereich der Energiebesteuerung auch ökologische und energiepolitische Aspekte miteinbeziehen muß. Die jetzigen Vorschläge der EG-Kommission zur Besteuerung von Mineralöl, sprich: Benzin und Diesel, gehen aber aus meiner Sicht exakt in die verkehrte Richtung. Das heißt, wenn wir dieses Konzept der EG-Kommission akzeptieren, haben wir die Schwierigkeit, daß wir kein steuerpolitisches Instrumentarium mehr haben, um über die Setzung von Preissignalen die richtige Umwelt- und Energiepolitik betreiben zu können. Das gilt übrigens auch für die Verkehrspolitik. Es wäre ganz gut, wenn die Regierung sagen würde, wie sie dazu steht, ob sie der Meinung ist, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland auch einen bestimmten Spielraum haben müßten, um z. B. im Bereich der Energiebesteuerung nach ökologischen Gesichtspunkten differenzieren zu können, ja oder nein. Herr Töpfer, Sie sind erfreulicherweise anwesend. Vielleicht können Sie für die Bundesregierung erklären, wie die Position ist. Wir kennen sie nicht. Nun haben Herr Kittelmann und auch andere, insbesondere Herr Haussmann, von der Festung Europa gesprochen. Es geht um außenwirtschaftspolitische Fragen. Die Japaner sehen die Entwicklung in Europa offensichtlich mit größerer Skepsis. Auch die Amerikaner sehen sie mit größerer Skepsis. In den EFTA-Ländern ist eine lebhafte Diskussion entfaltet worden. Auch die Entwicklungsländer diskutieren zunehmend, wie es mit Europa weitergeht, wenn der einheitliche europäische Binnenmarkt bis 1992 geschaffen worden ist. Wir haben wohl überhaupt keine Probleme, unsere Beziehungen mit allen EFTA-Ländern weiter zu vertiefen. Wir haben mit den EFTA-Ländern die Übereinkunft, einen einheitlichen großen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Dazu stehen wir als Sozialdemokraten. Wir haben lange, tiefe historische Beziehungen zu fast allen EFTA-Ländern. Ich meine, daß wir die Kooperation im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarktes ausbauen können. Herr Haussmann und auch andere reden davon, Sie wollten einen liberalen Außenhandel. Ich weiß nicht, ob man nicht ein bißchen an den Realitäten vorbeigeht. Was haben wir z. B. erlebt? Die Amerikaner haben im letzten Jahr ihr Handelsgesetz verabschiedet. Sie haben doch das Prinzip der sektoralen Reziprozität eingeführt. Das wissen Sie doch. Zur gleichen Zeit haben wir auch auf europäischer Ebene im Augenblick die 2. Bankenkoordinierungsrichtlinie, wo das erste Mal das Prinzip der sektoralen Reziprozität eingeführt wird. In Bankenkreisen soll also nach dem Grundsatz „Wie du mir, so ich dir" verfahren werden. Wie stehen Sie denn dazu, z. B. im Ministerrat? Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat die großartige Leistung vollbracht, vor einem Monat dazu überhaupt nichts zu sagen, sondern das hier ohne Debatte passieren zu lassen. Heute stellen sich Redner der CDU und FDP hin und reden über einen freien Markt, machen aber zur gleichen Zeit bei einer EG-Gesetzgebung mit, die dort exakt das Gegenteil in diesem Bereich bewirkt. ({2}) Herr Haussmann, Sie fahren nach Amerika. Ich freue mich ja. Hoffentlich sprechen Sie dann E '92 nicht wie AIDS '92 aus. ({3}) Ich freue mich, daß Sie mit den Amerikanern verhandeln und deutlich machen wollen, wie liberale Handelspolitik aussehen soll. Was wollen Sie denn den Amerikanern bei dem hormonbehandelten Fleisch erklären? Wollen Sie erklären: „Das ist alles nicht so ganz nett und vielleicht anders, und so?" Die Positionen sind doch völlig klar. Da verteidigen wir unsere eigenen Interessen, daß wir aus Gesundheitsgründen sagen: Wir haben das Recht, auch dort Normen zu setzen, die dann auch für die Importe gelten müssen. Das ist GATT-konform. Danach müssen sich auch die Amerikaner richten. Das ist doch Definition von Interessen. Ich meine, es ist auch richtig, daß das so gemacht wird. Eine solche Definition von Interessen macht doch die Regierung selber mit. Falls Sie selber nicht die Abschlußerklärung von Rhodos gelesen haben, will ich Ihnen aus dieser Abschlußerklärung einmal etwas zitieren, wo z. B. Außenhandelspolitik mit technischen Normen, ähnlich wie im Hormonbereich, mit Zustimmung von Kanzler Kohl gemacht wird. Es steht dort unter „Audiovisuelles Europa" - ich zitiere ({4}) - Ja, da steht „Eureka". Ich habe es ein bißchen verkürzt. Ich zitiere: Die europäische Norm und das europäische System für ein hochauflösendes Fernsehen, deren Demonstration am 23. September 1988 in Brighton ein Erfolg war, bilden die Grundlage für die Zukunft der audiovisuellen Industrie in Europa. Weiter haben sie beschlossen, daß die Olympischen Spiele 1992 mit dem europäischen hochauflösenden Fernsehsystem übertragen werden. Das heißt, sie setzen einseitig Normen, wo im Augenblick noch weltweit Verhandlungen mit den Japanern und den USA stattfinden, welche Normen denn überhaupt weltweit anerkannt werden sollen. Sie machen, natürlich zum Schutz der europäischen Industrie - das ist aus unserer Sicht heraus natürlich verständlich - , Industrienormen. ({5}) Das nennen wir im Prinzip auch anständige Planung. Wir finden es auch richtig, aber dann sagen Sie das doch auch! Reden Sie doch nicht immer von irgendeinem Scheinliberalismus, sondern sagen Sie auch, daß wir hier natürlich auch bestimmte Interessen verteidigen! ({6}) Nun noch ein Punkt in dem Bereich, wo man sich das auch aus meiner Sicht kaum noch anhören kann. Herr Haussmann hat heute morgen wieder darüber geredet, daß die verbleibenden nationalen Importkontingente fallen müßten. Gemeint sind natürlich die Importkontingente für Automobile in Frankreich und Italien. Was meinen Sie denn, was Ihnen die Franzosen und die Italiener sagen? Die sagen: Erst mal seid Ihr als Deutsche ganz schön ruhig. Ihr habt euer Importkohlekontingent, ihr habt euren innerdeutschen Handel usw. Da wollt ihr eure nationalen Interessen verteidigen, und wo wir aus industriepolitischen Gründen meinen, den Markt unserer kleinen Wagen vor der japanischen Konkurrenz stärker schützen zu müssen, da wollt ihr uns belehren, wie Außenhandelspolitik auszusehen hat? - Glauben Sie mit einer solchen Position durchkommen zu können? Da sind Sie doch jetzt schon isoliert. Das heißt, Sie brauchen dort auch eine Außenhandelsindustriepolitik, die den, wie ich glaube, berechtigten Interessen dieser Länder mit Rechnung trägt. Von dorther glauben wir, daß man in diesen Fragen entweder zu einem vernünftigen Übereinkommen mit Japan kommen oder im Zweifelsfall auch seine eigenen industriepolitischen, handelspolitischen Interessen verteidigen muß. Herr Haussmann, Sie haben heute morgen über die Frage der Fusionskontrolle und des Mittelstands geredet. Das war alles wirklich ganz interessant, was Sie heute gesagt haben. Die Frage, die sich für mich stellt, ist bloß: Wie soll denn die europäische Fusionskontrolle aussehen? Es ist klar: Wir brauchen eine europäische Fusionskontrolle, weil nämlich der Markt vergrößert wird und Marktmacht natürlich auch etwas mit Marktgröße zu tun hat und wir dieses auf europäischer Ebene eben kontrollieren müssen. Wir haben dazu auch als Sozialdemokraten eine Reihe von Eckpunkten, nämlich zur Höhe der Aufgriffsschwelle, auch zur Beteiligung der betroffenen Mitgliedstaaten im Verfahren bei der europäischen Fusionskontrolle. Wir haben auch als Sozialdemokraten deutlich gesagt, daß man zwischen den rein wettbewerbsrechtlichen und den industriepolitischen Aspekten, die bei dem Verordnungsentwurf vermischt werden, trennen und möglichst in einem zweistufigen Wettbewerbsverfahren auch auf europäischer Ebene vorangehen sollte. Die Bundesregierung sagt in europäischen Gremien offensichtlich ebenfalls, daß da Industriepolitik und Wettbewerb zuviel vermischt werden, scheint aber doch völlig isoliert zu sein; denn offensichtlich steht es doch im Augenblick 11: 1 im Ministerrat. Das verstehe ich auch, Herr Haussmann. Ich verstehe, daß Sie mit dieser Position keiner ernst nimmt; denn warum ist die Bundesregierung unter den anderen isoliert? Die anderen Staaten sehen doch mit Interesse, wie dieselbe Bundesregierung, die in Brüssel wettbewerbspolitische Aspekte in den Vordergrund stellt, in Deutschland die größte industriepolitisch begründete Fusion zwischen MBB und Daimler betreibt. Dann kann man nicht in Brüssel auftreten und sagen: Wir sind hier die großen Wettbewerbshüter. ({7}) - Immer mit der Ruhe. Meine Damen und Herren, auf meiner Liste stehen noch ein paar Punkte, von denen ich gerne, wenn ich die Zeit habe, noch einige abhandeln möchte. Ich möchte zu dem Punkt des Kapitalmarkts kommen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland immer schon einen relativ liberalen Kapitalmarkt gehabt. Wir haben im letzten Jahr das Wunder vollbracht, daß - auch ohne Diskussion im Deutschen Bundestag - die Kapitalmarktsliberalisierungsrichtlinien im Juni im EG-Ministerrat verabschiedet worden sind. Das begrüßen wir im Prinzip, weil die freie Allokation von Ressourcen dort schon vernünftig ist. Aber reicht es denn aus, einfach zu sagen: Wir liberalisieren den Kapitalmarkt? Oder muß man nicht begleitende Politiken dazu machen? Wir haben immer gesagt, daß das allein nicht ausreicht. Jetzt erfahren Sie selber, daß das allein nicht ausreicht, nämlich an dem schönen Beispiel Quellensteuer. Dazu erfährt man im Radio und in der Zeitung immer unheimlich schön: „Bringen Sie Ihr Geld nach Luxemburg! ", und dieses und jenes. ({8}) - Oder: „Bringen Sie es außerhalb der EG in die Schweiz!" Herr Wirtschaftsminister, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir wissen ja, daß Ihnen das Thema unangenehm ist. Aber Sie kommen jetzt auch noch auf die Idee, diese Quellensteuerkonzeption auf die europäische Ebene zu übertragen. Das ist ja wohl Ihre Konzeption. Haben Sie sich denn nicht einmal überlegt, ob es vielleicht vernünftiger wäre, daß die Bundesregierung von Ihrer Haltung dort herunterkommt und zur Übereinkunft zwischen Europarat und OECD über eine Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen zurückkehrt, weil dort die EG-Länder und die EFTA-Länder vertreten sind und weil wir dann zu Steuerehrlichkeit bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften kämen, statt den hoffnungslosen Versuch zu machen, überall in Europa 10 % Quellensteuer à la Bundesrepublik Deutschland einzuführen? ({9}) - Warten Sie ab! Der zweite Punkt, den ich hier habe, ist die Kapitalmarktliberalisierung. Wir haben heute auch die Richtlinien des Rates zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte auf der Tagesordnung. Wunderbar! Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages lehnt den Entwurf dieser Richtlinie ab und ist für eine freiwillige deutsche Regelung zur Kontrolle von Insider-Geschäften. Die Mehrheit des Finanzausschusses war wahrscheinlich wieder einmal nicht auf der Höhe des Geschehens. Heute morgen steht in der Zeitung - es ist süffisant, was darin alles steht - folgendes. ({10}) - Das steht wahrscheinlich in allen. Ich zitiere aus der „Frankfurter Rundschau" : ({11}) Wenn die Bundesregierung, die bislang in Brüssel die Position der hiesigen Börsen vertreten hat, dort völlig isoliert werde, könne er ihr nicht empfehlen, allein stehend unterzugehen. Der „er" war Rüdiger von Rosen, der Geschäftsführer der Börsenarbeitsgemeinschaft. Er hat jetzt eine gesetzliche Regelung empfohlen, nämlich eine europäische gesetzliche Regelung zur Kontrolle von Insider-Geschäften. Und wir beschließen heute wahrscheinlich mehrheitlich im Bundestag, das abzulehnen, obwohl die Bundesregierung auch dort völlig isoliert ist. Statt zu fragen: „Wie und mit welchen Inhalten wollen wir eine europäische Gesetzgebung konstruktiv gestalten?", beziehen wir alte Positionen, die nicht weiterführen. Zum Bereich von Kapitalmarktliberalisierung und Niederlassungsfreiheit von Banken gehören natürlich auch bestimmte Verbraucherschutzaspekte. Es ist doch völlig klar, daß wir auch solche Themen parallel dazu angehen müssen. Denn Binnenmarkt kann doch nicht nur eine reine Liberalisierungsstrategie sein, sondern muß auch Verbraucherschutzinteressen und Umweltschutz zum Inhalt haben. Wo haben wir im Bankenbereich auf europäischer Ebene die Sicherung von Kleinsparern? Was passiert, wenn wir nach der Bankenkoordinierungs-Richtlinie und dem freien Kapitalverkehr Niederlassungen ausländischer Banken haben, die in ihrem Heimatland kontrolliert werden und auf der Grundlage des EG-Rechts ihren Finanzabschluß machen, Banken, die keinen Spareinlegerschutz haben und vielleicht einmal pleite gehen? Sollen wir dem deutschen Sparer sagen: Deine 20 000, 30 000 DM sind weg? Auch in diesem Bereich brauchen wir also Initiativen der Regierung, die die Integration der verschiedensten Politiken in den Vordergrund stellen, statt sich einfach nur so zu verhalten, wie es Herr Haussmann heute morgen wieder schön vorgeführt hat: Wir liberalisieren alles, und anschließend ist die Welt schon in Ordnung. Dazu brauchen wir - das ist der letzte Punkt zur Kapitalmarktliberalisierung - mittelfristig natürlich auch ein besseres Instrumentarium zur Kontrolle der Geld- und Zinspolitik. Wir brauchen eine Verstärkung des Europäischen Währungssystems. Wir haben deswegen im vorigen Jahr auch die Initiative von Herrn Genscher - es war offensichtlich eine Privatinitiative; sie wurde ja nicht zur Regierungsinitiative erklärt - begrüßt, daß das Europäische Währungssystem auch mit dem Ziel ausgebaut werden soll, es stärker zu institutionalisieren und ihm auf die Dauer mehr Kompetenzen in Richtung einer unabhängigen Noten- und Zentralbankpolitik in Europa zu geben. Bedauerlicherweise ist Herr Genscher schon in seiner eigenen Regierung damit nicht durchgedrungen. Wir warten auf den Bericht des Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Wir sind fest überzeugt, daß Jacques Delors als Sozialist diese Fragen besser wird angehen können und daß er eine bessere Perspektive zu entwickeln vermag, als es im Augenblick die Regierung kann. ({12}) Wir wollen den europäischen Binnenmarkt. Wir wollen ihn in einer Integration als Teil einer Liberalisierung, aber mit einer Kooperation im Bereich der Regionalpolitik, mit einer regionalen Kohärenz, mit einer sozialen Kohärenz und auch mit dem Schutz von Umwelt und Verbrauchern in Europa. Dies ist unsere sozialdemokratische Konzeption. Ich glaube, auf diesem Wege können wir, wenn wir einen Teil davon verwirklichen werden, beruhigt in Richtung 1992 sehen. Schönen Dank. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte vermittelt mir so eine dumpfe Ahnung, wie schwierig es sein wird, im Europawahlkampf, im Wahlkampf zum Europäischen Parlament, die Bürger zu interessieren. So ganz lebhaft und so ganz an konkreten Problemen orientiert ist das ja heute nicht. Insofern, Herr Gautier, bin ich Ihnen dankbar dafür, daß Sie ein paar sehr konkrete Probleme angesprochen haben; natürlich sind wir nicht in allen Punkten einer Meinung. ({0}) - Nein, nein, das können Sie auch nicht behaupten, das geht ja nicht gut. Werden, meine Damen und Herren, die Bürger der EG am 1. Januar 1993 nun aufwachen und sich in einem anderen, einem völlig neuen Europa wiederfinden? Das werden sie natürlich nicht! Sie werden am 1. Januar 1993 auch keine europäische Währung haben, auch keine europäische Zentralbank. Der Bericht von Jacques Delors wird Sie bei den Erwartungen, die Sie genannt haben, enttäuschen, Herr Gautier; so viel kann ich Ihnen vorhersagen. Wir werden am 1. Januar 1993 auch nicht einheitliche Verbrauchsteuern und eine einheitliche Mehrwertsteuer, leider auch nicht einheitliche Umweltvorschriften haben. Und wir werden auch nicht ein einheitliches Sozialsystem haben. Werden wir nun am 1. Januar 1993 trotzdem den einheitlichen europäischen Binnenmarkt haben? Die Antwort lautet aus meiner Sicht eindeutig: Ja, wir werden ihn haben. ({1}) Das klingt sicherlich sehr widersprüchlich, aber nur auf den ersten Blick. Das ist es nämlich nicht. Und das ist es deswegen nicht, weil die von mir mit Nein beantworteten Fragen langfristig wünschbare Ziele ansprechen, aber sie sind keine Essentials - ich weiß, daß es manchem schwerfällt, das so zu sehen - , keine Conditio sine qua non für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes, des Binnenmarktes. Solche unerläßlichen Voraussetzungen, Vorbedingungen sind: vereinheitlichte Normen und Standards, liberalisierte Kapitalmärkte, Wegfall aller Hindernisse für den grenzüberschreitenden Warenverkehr, gegenseitige Anerkennung von Diplomen und Zeugnissen und - wo immer Vereinheitlichung nicht möglich, aber unerläßlich ist - der Wettbewerb der Systeme. Dieser Wettbewerb wird in manchen Fällen schneller, unbürokratischer und reibungsloser zu harmonisierten Bedingungen führen als immer mehr Regeln und Vorschriften. ({2}) Sicherlich, meine Damen und Herren, ist es wünschenswert und auf Dauer notwendig, die Mehrwertsteuersätze in der EG zu harmonisieren. ({3}) Die Bundesregierung, Herr Gautier, hat deutlich gesagt: 14 bis 20 % Spanne ist eine Diskussionsgrundlage für uns. Das Verrechnungsthema an den Grenzen bedarf weiterer Diskussion. Es ist nicht so, als sei dazu nichts gesagt worden. Aber die Frage ist, wer die Harmonisierung dieser Mehrwertsteuersätze eigentlich schneller bewirkt: die Finanzminister oder der Markt. Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Der Wettbewerb der Systeme führt in der Tendenz zu einer Harmonisierung nach unten, die Finanzminister werden eher so viel wie möglich aus den Taschen der Bürger herausholen wollen. Die Verbrauchsteueranhebung in der Bundesrepublik zum 1. Januar war im übrigen ein erster Schritt in Richtung auf ein europäisches Steuerniveau. Der Binnenmarkt der Vereinigten Staaten lebt seit jeher mit unterschiedlichen Verbrauchsteuersätzen, auch heute noch, und niemand hat das bisher gestört. Richtig ist, Herr Gautier, daß man versuchen muß, über das Thema Quellensteuer zu sprechen. Und es wird - davon bin ich fest überzeugt, ob wir oder Sie es nun wollen oder nicht oder ob Sie die andere Lösung wollen, die Sie hier genannt haben, von der wir nichts halten - eine einheitliche europäische Quellensteuer geben. Es wird auch eine einheitliche Kapitalertragsteuer geben; denn sonst haben Sie keinen wirklich offenen Kapitalmarkt in der Europäischen Gemeinschaft. Zu dem Thema „Insider-Richtlinien": Herr Gautier, Sie haben aus der „Frankfurter Rundschau" zitiert, und manchmal hat man ja auch diese Zeitung in der Tasche, jedenfalls ich. So ganz korrekt haben Sie nicht zitiert. Herr von Rosen hat darauf hingewiesen, daß die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen, für die er da spricht - das gleiche gilt übrigens in dieser Frage für die Haltung meiner Partei -, einer freiwilligen Regelung nach wie vor den Vorzug geben würde, daß man aber dann - und das ist doch ein Problem, dem wir uns in den europäischen Ministerräten häufig genug gegenübersehen -, wenn man elf gegen eins steht, nicht mit deutschem Widerspruch eine europäische Regelung verhindern wird. Deshalb werden wir uns dann vielleicht auch mit gesetzlichen Insider-Regeln zurechtfinden müssen, die dann in ihrer Konsequenz vermutlich zu so etwas wie der SEC in New York, nämlich zu einer Aktien-Oberaufsichtsbehörde in Europa, führen müssen, mit ei8726 nem gewaltigen Kontroll-, Behörden- und Beamtenapparat. Da liegt eine der großen Schwierigkeiten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es kurz gemacht wird, aber mehr können es nicht sein; Frau Wieczorek.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, heißt das, daß Ihre Fraktion oder auch die anderen Regierungsfraktionen heute zu der Frage der Insider-Richtlinie entgegen dem Votum, das Sie im Finanzausschuß getroffen haben, stimmen werden?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich weiß jetzt nicht, auf welches Votum Sie abheben.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist der entsprechende Tagesordnungspunkt, der heute nachmittag zur Abstimmung steht.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir sind der Meinung, daß eine freiwillige Regelung vorzuziehen ist, daß wir uns aber dann, wenn es in Europa zu einer gesetzlichen Regelung kommen soll und eine überwiegende Mehrzahl unserer Partnerländer dies empfiehlt, damit auseinandersetzen und das schließlich akzeptieren müssen, wenn auch nicht gerne. Das wird uns noch in vielen Fällen so ergehen, daß wir Mehrheitsentscheidungen akzeptieren müssen, wenn auch nicht gerne. Aber das ist nun einmal Europa. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gattermann?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Graf Lambsdorff, könnten Sie mir bestätigen, daß die verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion im Finanzausschuß nicht etwa gegen dieses Votum gestimmt haben, sondern sich lediglich der Stimme enthalten haben?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Gattermann, ich kann Ihnen das selbstverständlich aus eigener Wahrnehmung und Kenntnis nicht bestätigen, weil ich die Protokolle nicht lese. Wenn mich aber in Ihrer Person der Vorsitzende des Finanzausschusses danach fragt und dieses behauptet, dann bestätige ich es Ihnen. ({0}) - Natürlich, dafür sind wir doch hier, Herr Ehmke. Ihnen muß ja auch zum zweitenmal die Information gegeben werden, daß Herr Genscher heute in Wien ist und sich zur Stunde mit Herrn Schewardnadse bespricht. ({1}) - Dann hätten Sie sich ja die unfreundliche Bemerkung über den zweiten ersparen können. ({2}) Immer sogleich in einem Aufwasch alle beide. ({3}) Sonst auf herzliche Freundschaft, Umarmung und Vereinnahmung, aber dann einmal schnell einen Tritt in die Hacken, da ist der „Hotte" Ehmke immer dabei. ({4}) Meine Damen und Herren, der gemeinsame Binnenmarkt ist die große Chance für mehr Deregulierung, für mehr Flexibilität und für mehr Markt in der EG. Das Gute daran ist: Aus diesem Zwang zu mehr Liberalität in der Wirtschaft der EG ist kein Entkommen möglich, weder für Konservative noch für Sozialisten. Die Unternehmen haben sich überall in Europa und in der Welt auf den gemeinsamen Binnenmarkt längst eingestellt. Europa '92 ist längst so etwas wie eine „self-fulfilling prophecy" geworden. Überspitzt formuliert: Wir brauchen nicht mehr die politischen Entscheidungen; die Unternehmen werden sich so verhalten, und sie werden den gemeinsamen Binnenmarkt auf jeden Fall schaffen. Die Chancen für die exportorientierten deutschen Unternehmen stehen dabei nicht schlecht. Eine Wirtschaft, die auf den Weltmärkten erfolgreich ist, kann auch auf dem gemeinsamen Binnenmarkt nichts verlieren; sie kann nur gewinnen. Wer im Wettbewerb flexibel und anpassungsfähig ist, braucht deshalb keine Angst vor dem Experiment Europa zu haben. ({5}) Dieser gemeinsame Markt heißt Deregulierung, mehr Wettbewerb, heißt Kostensenkung. Davon werden nicht nur die Unternehmen und Arbeitnehmer profitieren, sondern in erster Linie die Verbraucher, und das sind wir alle: Rentner, Unternehmer und Arbeitnehmer. Der Wettbewerb der Systeme bedeutet aber auch: Partnerstaaten mit niedrigem Kostenniveau, Herr Ehmke, mit niedriger Regelungsdichte werden gar nicht daran denken, diesen Wettbewerbsvorteil aufzugeben. Spanien und Portugal werben um Investitionen auch mit dem Hinweis auf geringere Löhne, Möglichkeiten der Sonntagsarbeit und geringeres Mitbestimmungsniveau. Sie haben ja völlig recht, wenn Sie Frau Thatcher kritisieren. Nur gehen Sie bitte zu Herrn Gonzales und sagen Sie Ihren sozialistischen Freunden in Spanien, sie möchten sich für ein ebenso hohes Niveau der Sozialleistungen und der Löhne einsetzen. Er lacht Sie aus, und die Gewerkschaften dort tun es auch, ({6}) und aus deren Sicht völlig zu Recht. Denn wenn wir ihnen diese Möglichkeiten nehmen wollten, dann würden wir ihnen die Möglichkeit, die Lage ihrer Länder zu verbessern, abwürgen. ({7}) - Doch, das ist wohl das Problem. - Das hat natürlich Folgen für Investitionsentscheidungen, gewollte Folgen. So manches deutsche Großunternehmen wird zu prüfen haben, ob es sich die bei uns übliche Fertigungstiefe angesichts dieser Kostenkonkurrenz eigentlich noch leisten kann. In dem großen Bereich der Dienstleistungen, Banken, Versicherung, Verkehr - bei uns alles schön abgeschottet - wird sich neuer und verstärkter Wettbewerb auf den kaufkräftigen deutschen Markt konzentrieren. Dieser verstärkte Wettbewerb der Standorte wird manchen aus dem Dornröschenschlaf auf abgeschotteten Märkten sehr unsanft aufwecken; diese gibt es überall in der Gemeinschaft, auch bei uns. Mit Besitzstandsdenken und Status-quo-Mentalität kann man in diesem Wettbewerb nicht mehr bestehen. Es ist ein gewaltiger Irrtum, zu glauben, wir könnten in der Bundesrepublik am Fernmeldemonopol festhalten, während ringsum die Telekommunikationsmärkte liberalisiert werden. ({8}) Wenn die Kosten in London nur halb so hoch sind wie bei uns, dann werden die Unternehmen ihre Datenverarbeitung und damit Arbeitsplätze in einem der wachstumsträchtigsten Märkte dorthin verlagern. Das ist die Wirklichkeit. Der Gesetzgeber kann hier übrigens nur den Rahmen schaffen. In vielen Fällen entscheiden über die Standortbedingungen im einzelnen die Tarifpartelen. Das ist so gewollt. Aber die Tarifpartner können dann nicht die Folgen ihrer Entscheidungen auf den Staat abladen. Meine Damen und Herren, Herr Ehmke und andere haben davon gesprochen: Die vielbeschworene soziale Dimension des Binnenmarkts bedeutet keine Preisgabe unserer sozialen Errungenschaften. ({9}) Das wird auch am Thema Mitbestimmung deutlich. Meine Partei, die FDP, hat die 76er Mitbestimmung mit geschaffen. Diese hat sich bewährt, und wir stehen zu ihr. Aber ein Exportartikel wird sie nicht werden. Der DGB-Vorsitzende soll mit dem Petitum, die Mitbestimmung woanders einzuführen, nicht zur Bundesregierung kommen; er soll seine europäischen Gewerkschaftskollegen einmal überzeugen, daß diese sie haben wollen. ({10}) In einem Bereich, meine Damen und Herren, muß die Bundesrepublik nach unserer Überzeugung hart bleiben: beim Arbeitsschutz. Unfallverhütung darf nicht zu Lasten des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer eingeschränkt werden. Aus diesem Grund ist der Entwurf der Kommission für eine Maschinenrichtlinie vollständig unakzeptabel. Offen bleibt die Frage, wie eine europäische Unternehmensverfassung aussehen kann. Wie werden wir da das Mitbestimmungsproblem gemeinschaftlich lösen können? Denn wir brauchen ein multieuropäisches Unternehmensrecht. Im gemeinsamen Binnenmarkt wird die Verantwortung für die Umweltpolitik immer mehr auf die EG übergehen. Die großen Umweltprobleme können nicht mehr im nationalen Alleingang gelöst werden. Es gibt eine europäische Umweltverantwortung. Wir fordern deshalb eine europäische Umweltpolitik. Für Produkte müssen im gemeinsamen Binnenmarkt einheitliche Umweltstandards festgelegt werden. In den anderen Ländern der Gemeinschaft entwickelt sich - das wissen wir - teilweise erst das Umweltbewußtsein. Der Bundesrepublik wird deshalb noch lange eine Vorreiterrolle zufallen. Aber das Ergebnis kann und wird nicht sein, daß sich unsere Partner immer dem deutschen Niveau anpassen werden. Es gibt einen positiven Lichtblick: Der Europäische Gerichtshof hat vor kurzem entschieden, daß der freie Warenverkehr in bestimmten Fällen hinter dem Umweltschutz zurücktreten muß. Das halten wir für richtig, und das erlaubt auch dort, wo es nötig ist, künftig nationale Alleingänge. Es wird auch in der Währungspolitik nicht so rasch vorangehen, wie dies manche wünschen. Übereilte Schritte in Richtung auf eine Währungsunion wären sogar gefährlich. Solange es erhebliche Disparitäten in der Gemeinschaft gibt - arme und reiche Länder, Länder mit hohen und niedrigen Sozialstandards, mit großer und geringerer Preisstabilität - , so lange werden von Zeit zu Zeit Wechselkursanpassungen nötig sein. Wird dieser Ausweg abgeschnitten, können die Spannungen nur auf andere Weise, insbesondere durch gewaltige Transferleistungen, in erträglichen Grenzen gehalten werden. Das würde die Gemeinschaft weit stärker belasten als gelegentliche Realignments im EWS. Nur auf der Basis wirtschaftlicher und finanzieller Konvergenz kann deshalb eine gemeinsame europäische Währung mit einer unabhängigen, auf Stabilität verpflichteten Notenbank aufgebaut werden. Aber das sollte dann auch geschehen. ({11}) Ebenso wichtig wie der innere Ausbau der Gemeinschaft sind die Außenbeziehungen. Der Gemeinsame Markt wird nur dann seine positiven Wirkungen voll entfalten, wenn die Grenzen auch nach außen offen bleiben. Feierliche Bekenntnisse gegen die „Festung Europa" allein nützen nichts. Wir sind gegen Reziprozität; Herr Gautier, ich hoffe, Sie auch; dann sind wir uns völlig einig. Ich habe auch Bedenken, was sich die EG in puncto hochauflösendes Fernsehen einfallen läßt - es sei denn, es ist das Eröffnungssignal an Japaner und Amerikaner, sich nun zusammenzusetzen und einen gemeinsamen Weltstandard in dieser Frage zu entwickeln, was ja wohl von der technischen Seite her vernünftig wäre. Sperren gegen Autoimporte aus Japan haben wir vor acht oder zehn Jahren verhindert, ohne daß uns die Importkohle entgegengehalten wurde. Das muß auch jetzt möglich sein. Die Kommission will die Niederlassung von Banken aus Drittstaaten reglementieren. Das ist Reziprozität. Die Gemeinschaft versucht, ihre Chip-Produktion gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten. Im Zusammenhang mit dem Agrarsektor - ich will es nicht vertiefen; ich gucke Herrn von Heereman an - ist noch eine Menge zu tun. Zum Hormonstreit folgendes. Sie sagen, das Hormonverbot sei GATT-konform. Die Amerikaner sagen, ihre Retorsionsmaßnahmen seien GATT-konform. Damit, daß jeder sagt, seine Maßnahme sei GATT-konform, ist nichts gewonnen. Gehen wir doch in das Streitschlichtungsverfahren des GATT, lassen es dort entscheiden und unterwerfen uns dieser Entscheidung. Das ist der einzige Weg. Es kann doch nicht jeder behaupten, er habe recht. Damit kommt man am Ende nicht weiter. ({12}) - Man kann es zwar behaupten, aber man kann sich nicht durchsetzen. Die Liberalen, meine Damen und Herren, wollen nicht irgendein Europa; wir wollen das liberale Europa für freiheitliche Bürger. Deshalb genügen uns Kommission und Ministerrat nicht. Ohne ein richtiges Europäisches Parlament wird die EG von nationalen Ministern und europäischen Bürokraten regiert werden. ({13}) Gerade der britische Premierminister sollte sich an die angloamerikanische Weisheit erinnern: No taxation without representation. ({14}) Europa 1992: ein großer Schritt nach vorne. Wir Liberalen stehen zu den Zielen des Binnenmarktes. Wir werden alles tun, um sein Zustandekommen zu fördern. Es geht nicht um ein Papier mehr oder weniger, lieber Herr Ehmke, ({15}) oder um einen Antrag mehr oder weniger. ({16}) Es gibt ja einen Antrag der Koalition. Es geht um jahrelange intensive Arbeit und nicht darum, weiteres Papier zu bedrucken. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten des Freistaates Bayern. Staatsminister Dr. von Waldenfels ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Länder der Bundesrepublik Deutschland bekennen sich zur Einheit des freien Europa. Der Freistaat Bayern sieht darin eine Voraussetzung für eine gesamteuropäische Friedensordnung. Die Bayerische Staatsregierung wird auch künftig die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft in Richtung auf eine Europäische Union unterstützen. Wir wünschen uns aber ein selbstbewußteres und an unseren Interessen orientiertes Auftreten unserer Vertreter in den europäischen Organen. Unser Ziel ist ein föderatives Europa. Kulturelle Eigenarten und gesellschaftliche Vielfalt Europas sind Stärken, nicht Schwächen. Nur föderale Strukturen können sie erhalten; nur föderale Strukturen gewährleisten die Bürgernähe der Entscheidungen und eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung. Leider ist davon auszugehen, daß fast alle EG-Mitgliedstaaten an die uns vertrauten Verfahren und verfassungsrechtlichen Kompetenzbeschränkungen einer Föderation nicht gewöhnt sind. Daher sollten Bund und Länder in ihren Bemühungen nicht nachlassen, den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland als Modell für Europa herauszustellen. Aus diesem Grund sind länderfeindliche Töne - gleich, aus welcher Ecke sie kommen - europafeindlich. ({1}) Kann man sich das künftige Europa denn überhaupt als Zentralverwaltungsstaat vorstellen? Denn Zentralverwaltung heißt Hegemonie der Zentrale. - Binnenmarkt: Ja. Brüsseler Zentralismus: Nein. Dies gilt um so mehr, als unsere Partner in der Europapolitik zweispurig fahren. Einerseits halten sie sehr viel betonter als die Bundesregierung am nationalen Souveränitätsvorbehalt fest. Das zeigt sich in den Verfahren der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, der EPZ, ebenso wie im Konsensprinzip, das im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs üblich und vorgeschrieben ist. Am deutlichsten wird dieser Kurs von der britischen Premierministerin Margret Thatcher artikuliert; aber auch kleinere Mitgliedstaaten wie Irland, Dänemark und Griechenland betonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Souveränität und behalten sich alle entsprechenden Rechte vor. Andererseits betreiben unsere EG-Partner zum Teil wesentlich ausgeprägter als wir eine pragmatische, interessenorientierte und straff zwischen den nationalen Ressorts koordinierte EG-Europapolitik. Selbst Kompetenzüberschreitungen des europäischen Gesetzgebers oder der Durchgriffsverwaltung der EG-Kommission widersetzen sie sich nicht, wenn die einschlägigen Maßnahmen wirtschaftliche Vorteile versprechen. Man denkt an den Souveränitätsvorbehalt, unter dem man letztlich alles gestellt sieht. Die Einheitliche Europäische Akte läßt diesen zweispurigen europapolitischen Kurs zu. Ja, sie fordert ihn geradezu heraus; denn sie hat das Prinzip der Supranationalität de facto und de jure auf die Wirtschaftsintegration eingegrenzt. Auf dem Altar der Wirtschaftsintegration den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland zu opfern wäre aber eine falsche Politik. Leider muß ich darauf hinweisen, daß wir es mit einer solchen Politik in Ansätzen bereits zu tun haben. Manche Politikbereiche sind davon mehr betroffen, Staatsminister Dr. von Waldenfels manche weniger. Ich greife Beispiele aus der Bildungs-, der Kultur- und der Strukturpolitik heraus. Bildung und Kultur sind zentrale Politikbereiche, aber keine erstrangigen Bestimmungsfaktoren für den europäischen Binnenmarkt. Der Gemeinschaft wurde daher keine umfassende Kompetenz übertragen. Nur dort, wo es zur Erreichung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Ziele erforderlich ist, besitzt die Gemeinschaft Teilkompetenzen. Ich nenne hier das freie Niederlassungsrecht. Voraussetzung für seine Durchführung ist die Anerkennung der Diplome. Ich denke weiter an die Notwendigkeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Gemeinschaft zu verbessern. In Art. 128 des EWG-Vertrages wurde der Gemeinschaft daher die Aufgabe übertragen, „allgemeine Grundsätze" für die Berufsausbildung festzulegen. Gegen die Wahrnehmung dieser Teilkompetenzen der EG haben wir keine Bedenken. Im Gegenteil, wir begrüßen die endgültige Verabschiedung der Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Hochschuldiplome. Wogegen sich aber die Länder mit Entschiedenheit im Bundesrat gewandt haben, sind Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, für die im primären Gemeinschaftsrecht keine Grundlagen vorhanden sind. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Mitteilung der Kommission über die Bildung in der Europäischen Gemeinschaft und hier insbesondere auf den Teil, der die mittelfristige Perspektive 1989 bis 1992 behandelt. Er stellt ein ins einzelne gehendes Aktionsprogramm dar. Ich erinnere weiterhin an die Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Bildungsminister zur Gesundheitserziehung in Schulen, zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Umweltbildung, zur Verbrauchererziehung in den Primar- und Sekundarschulen und zur Förderung der Innovation im weiterführenden Schulwesen. Außerdem liegt uns eine Mitteilung der EG-Kommission zum Fremdsprachenunterricht vor. Man hat den Eindruck, die Brüsseler Bürokratie hält die Verantwortlichen für Bildungspolitik in den Mitgliedstaaten für europafeindliche Zeloten. Meine Damen und Herren, ein Stück aus dem Tollhaus hat sich der Rat der Arbeits- und Sozialminister am 16. Dezember des vergangenen Jahres geleistet. Gegen die Stimme der Bundesrepublik, gegen die Stimmen Frankreichs und Großbritanniens wurde eine Entscheidung über ein Programm zur Entwicklung und Durchführung grenzüberschreitender Ausbildungsprogramme verabschiedet. Ich will mich mit den Vorzügen - Zuwendungen in Höhe von 500 Millionen DM an die finanzschwachen Mitgliedstaaten - und Nachteilen dieses Programms mit der phantasieanregenden Bezeichnung „COMETT II" nicht weiter auseinandersetzen. Es geht mir darum, auf die mißbräuchlich-extensive Auslegung des schon erwähnten Art. 128 des EWG-Vertrages hinzuweisen; denn hier wurden keine „allgemeinen Grundsätze" verabschiedet, sondern ein detailliertes Bildungs-, Durch-führungs- und Finanzierungsprogramm. Wir sind der Auffassung, daß dieser Rechtsakt dem Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorgelegt werden muß, und bitten die Bundesregierung, entweder selbst Klage beim Europäischen Gerichtshof zu erheben oder einer eventuellen Klage Großbritanniens oder Frankreichs beizutreten. Wenn der Europäische Gerichtshof hier nicht einschreitet, könnte der EG-Ministerrat künftig mit einfacher Mehrheit jeden Bildungsgegenstand mit Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung an sich ziehen, seine Entscheidungen mit einem Förderprogramm zwecks Mehrheitsbeschaffung versehen. Er könnte alle Mitgliedstaaten anweisen, was sie im einzelnen zu tun haben. Die Kulturhoheit der Länder der Bundesrepublik Deutschland wäre dann nur noch eine leere Hülse. ({2}) Die Landtage wären um einen zentralen Regelungsbereich gebracht. Der föderale Staatsaufbau in der Bundesrepublik Deutschland wäre bis auf sein Skelett abgemagert. Eine weitere Kompetenzüberschreitung der Gemeinschaft bahnt sich auf dem Gebiet der Rundfunkhoheit an. Dem Ministerrat liegt ein Vorschlag der Kommission zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit vor. Diese Richtlinie würde in den Kernbereich der Rundfunkhoheit der Länder eingreifen. Die EG-Kommission ist sich offensichtlich der Tatsache voll bewußt, daß der Gemeinschaft im Bereich der Kulturpolitik keine Rechtsetzungsbefugnisse zugewiesen worden sind. Um dennoch eine Gemeinschaftszuständigkeit zu konstruieren, stellt der Kommissionsvorschlag nicht auf die kulturelle und gesellschaftspolitische Funktion des Rundfunks ab, sondern auf seine sehr begrenzte wirtschaftliche. Dieser Versuch einer Aufspaltung der Rechtsetzungsbefugnisse in eine wirtschaftliche Teilkompetenz, von der behauptet wird, sie falle unter Bestimmungen des EWG-Vertrages, und in eine andere, die bei den Mitgliedstaaten verbleibe, ist als Methode höchst fragwürdig. ({3}) Für nahezu alle Lebenssachverhalte lassen sich nämlich wirtschaftliche Bezüge konstruieren. Auf diesem Weg könnte die EG eine Zuständigkeit nach der anderen beanspruchen. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit, wann bei Anwendung dieser Methode der Deutsche Bundestag in die Lage käme, in der sich die Landtage schon heute befinden. Ein ernster Konflikt mit Brüssel in der Rundfunkfrage konnte bisher vermieden werden, weil die gleiche Materie im Europarat und auf europäisch-multilateraler Basis verhandelt wird. Diese Verhandlungen stehen vor dem Abschluß. Ihr Ergebnis bedarf der Ratifizierung durch die nationalen gesetzgebenden Gewalten und wahrt auf diese Weise die Rechte. Der hier angesprochene grundsätzliche Kompetenzkonflikt mit der Europäischen Gemeinschaft ist damit noch nicht gelöst. Rechtsakte der EG, die in Überschreitung ihrer Kompetenzen ergehen, sind durch die Ratifizierungsgesetze zu den Gründungs- und Änderungsverträgen der Europäischen Gemein8730 Staatsminister Dr. von Waldenfels ({4}) schaft nicht gedeckt. Setzen die Gemeinschaftsorgane ihre diesbezügliche Praxis fort, muß dies zu einem ernsten Verfassungskonflikt führen. In einem solchen Streit wird nicht nur der Europäische Gerichtshof zu judizieren haben. Die Länder, meine Damen und Herren, setzen sich für die Wahrung ihrer Belange im Rahmen der Wirtschaftsintegration derzeit allein mit politischen und noch nicht mit juristischen Mitteln ein. Bayern wird seine Bemühungen fortsetzen, im Rahmen der Mitwirkungsrechte der Länder über den Bundesrat seine wesentlichen Interessen und die Gesetzgebungskompetenzen der Landtage zu wahren. ({5}) Bayern stützt sich dabei auf die Grundsätze, die die Ministerpräsidenten der Länder im Oktober 1987 festgelegt haben. Im Vordergrund steht dabei die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für das Europa von heute. Für das politische Europa von morgen sollten die Grundsätze des Föderalismus auch dort bekanntgemacht werden, wo einschlägige Traditionen nicht bestehen. Der Gedankenaustausch zwischen dem Präsidenten Delors und den Ministerpräsidenten im Mai 1988 in der Bayerischen Landesvertretung hat für das gegenseitige Verständnis zumindest eine Basis geschaffen. Leider lassen die Vorschläge der Kommission an den Rat und einseitige Initiativen der Kommission dieses Verständnis noch nicht erkennen. Große Sorgen bereitet uns derzeit die Auslegung des Art. 48 Abs. 4 des EWG-Vertrages. Dort heißt es wörtlich: Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Die EG-Kommission sieht das anders. Sie vertritt die Auffassung, daß diese Vorschrift nur für die Hoheitsverwaltung gilt. Die Dienstleistungsverwaltung sei davon ausgenommen. ({6}) Bayern teilt diese Rechtsauffassung nicht ({7}) und bittet die Bundesregierung, der Rechtsauffassung der Kommission entgegenzutreten. ({8}) Andernfalls werden die verfassungsrechtlich vorgegebenen unverzichtbaren Grundstrukturen des deutschen öffentlichen Dienstes in Frage gestellt. Keinesfalls darf es zur pauschalen Öffnung ganzer Sachbereiche des öffentlichen Dienstes kommen. Aufgaben, die besonders wichtige Belange der staatlichen Gemeinschaft berühren, müssen auch künftig durch eigene Staatsangehörige erledigt werden. Der Bundesrat hat dazu in seinem Beschluß vom 18. März 1988 eindeutig und in dem hier dargelegten Sinne Stellung genommen. Erhebliche Probleme bereitet uns auch die europäische Exekutive, die Kommission, in der Regionalpolitik. Die regionale Wirtschaftsförderung mußte auf ihr Verlangen hin erheblich beschnitten werden. Der Versuch, über eine sogenannte De-minimis-Regelung wenigstens zu vernünftigen Bagatellgrenzen zu kommen, hat bisher leider noch nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt. Das ist um so besorgniserregender, als die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur Grundverordnung über die reformierten Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft nur in der Erwartung gegeben worden ist, daß es hinsichtlich der Förderung aus Landesmitteln in der Bundesrepublik zu einer vernünftigen Regelung kommt. Erhebliche Bedenken haben die Länder auch bei der vorgesehenen Mittelvergabe bei den EG-Strukturfonds. Die Mittelverwaltung erfolgt zentralistisch in ihrer negativsten Ausformung. Die Vorschläge entsprechen nicht unseren ordnungspolitischen Vorstellungen. Sie räumen der EG-Kommission Mitspracherechte bei Verwaltungsentscheidungen ein, die nach deutschem Verfassungsrecht nicht einmal dem Bund im Verhältnis zu den Ländern zustehen. Zur Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips in Brüssel und zur Beachtung unseres föderalen Staatsaufbaus durch die Organe der Europäischen Gemeinschaft brauchen wir in der Bundesrepublik Deutschland einen breiten Konsens. Nur wenn wir die Eigenstaatlichkeit und Eigenständigkeit der Länder verteidigen, dienen wir auch der europäischen Integration. Die heutige Debatte im Deutschen Bundestag macht deutlich, daß sich die internationale Politik in einer Phase beschleunigten Wandels befindet. In dieser Lage darf es die Bundesrepublik Deutschland nicht zulassen, daß eine wichtige institutionelle Garantie des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen, nämlich der föderale Staatsaufbau, auf dem Umweg über Brüssel seiner politischen Substanz entkleidet wird. Bayern jedenfalls würde eine solche Entwicklung nicht hinnehmen. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter ({0}).

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, wenn Sie Ihren Antrag über die Funktionsaufwertung des Europäischen Parlamentes hier im Bundestag tatsächlich eingebracht hätten, dann könnten wir dem Herrn Staatsminister aus Bayern auch begründen und eine Antwort darauf geben, warum es eigentlich ein Leidensvortrag war, den wir eben gehört haben. Das hängt nämlich mit dem Elend der europäischen Gesetzgebung zusammen. Wenn man das einmal auf Bundesebene übertragen würde, hätten wir die Situation, daß nur von der Bundesregierung Gesetzesinitiativen eingebracht werden könnten, daß nur von der Versammlung der Länderministerpräsidenten unter Ausschluß der Öffentlichkeit Beschlüsse gefaßt werden könnten und daß sich der Bundestag nur so ein bißchen nebenher an der Diskussion beteiligen, aber letztlich nichts entscheiden könnte. Damit werden europäische Probleme aus dem Blickfeld der öffentlichen Kontrolle abgezogen; sie landen tatsächlich in Hinterstübchen. Von daher ist es bedauerlich, daß Sie den zweiten Peter ({0}) Schritt, nachdem Sie angesetzt haben, nicht getan haben, und hier im Parlament nicht den Antrag für eine Funktionsaufwertung des Europäischen Parlaments eingebracht haben. Wenn wir uns eine Sonderausgabe des „Handelsblatts" vor Augen führen, in der sich zu Beginn des Jahres alles, was Rang und Namen in der Bundesrepublik hat, zur Frage der Standortbeurteilung der Bundesrepublik Deutschland äußert, fällt auf, daß der Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, seinen Beitrag folgendermaßen beginnt: Wir würden uns die Ausgestaltung des sozialen Raums des künftigen Europa zu einfach machen, wollten wir unsere Verpflichtungen für die europäischen Arbeitnehmer mit dem Vertrauen auf die positiven Folgen des wirtschaftlichen Wachstums als erfüllt ansehen. Der Präsident der Europäischen Kommission hat offenbar gute Gründe dafür gehabt, dieses Zitat an den Anfang seines Beitrags zu stellen. Es ist fast so, als hätte er den wirtschaftspolitischen Beitrag der Bundesregierung zur Debatte des Bundestages am heutigen Tage vorausgeahnt. Denn dort ist tatsächlich das, was den Arbeitnehmern angeboten wird, weitgehend das Prinzip Hoffnung. Dort werden 5 Millionen Arbeitsplätze aus dem Cecchini-Bericht zitiert. Der Cecchini-Bericht wird allerdings in seinen Aussagen nicht vollständig ausgewertet, erstens, Herr Schwörer, daß eine Rahmenbedingung für die 5 Millionen Arbeitsplätze eine offensive Arbeitsmarktpolitik darstellt, die wir von den konservativen Regierungen, die im Rat entscheiden, einfach nicht erwarten. Zweitens wird gesagt: Es wird Anpassungsschwierigkeiten in den ersten Jahren des europäischen Binnenmarktes geben, die nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze in einer Übergangszeit zur Folge haben. Auf diese Situation muß man sich einstellen; dann kann man von einem tatsächlichen Ernstnehmen der Interessen der Arbeitnehmer in Europa sprechen und ein soziales Europa als Zielvorstellung begründen. ({1}) Den Ton dieser Melodie des Prinzips Hoffnung geben die Repräsentanten der deutschen Wirtschaft an. Symbolischen Stellenwert hat inzwischen das Memorandum zur Europapolitik des Bundesverbandes der deutschen Industrie vorn November 1987. Es enthielt damals die Aufforderung an die Bundesregierung, die deutsche Präsidentschaft im Rat der EG zu einer Deregulierungsoffensive zu nutzen. Als Druckmittel wird das Argument eingesetzt, durch überzogene Sozialregelungen, überhöhte Lohnkosten und Lohnzusatzkosten und hohe Besteuerung des Unternehmensgewinns sei der Industriestandort Bundesrepublik gefährdet. Dr. Klaus Murmann und Dr. Tyll Necker geben zwar im „Handelsblatt" - offensichtlich unter dem Eindruck der deutschen Exporterfolge und wohl auch aus der Einsicht der von ihnen selbst mit dieser Thematik verursachten zurückgehenden Akzeptanz des Binnenmarktes - zu, die Befürchtung, der Industriestandort Bundesrepublik sei gefährdet, sei überzogen, aber im Kern wird die Deregulierungsthese aufrechterhalten. Tyll Necker sagt: „Wichtige Parameter unternehmerischer Standortentscheidungen sind Regulierungsdichte, Arbeitszeitvorschriften, Arbeitskosten und Unternehmenssteuern." Dabei sagt er ganz richtig: „Steuern sind aus unternehmerisch-betriebswirtschaftlicher Sicht Kosten für die öffentlichen Leistungen, die den Unternehmen an ihren Produktionsstandorten zugute kommen. " Wenn das so ist, müssen natürlich Leistung und Gegenleistung übereinstimmen. Daraus ergibt sich eine Rechtfertigung für unser Finanz- und Steuersystem, denn offensichtlich ist Infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland, die von den Gemeinden auch wegen der Existenz der Gewerbesteuer bereitgestellt wird, offensichtlich ist sozialer Konsens, ist soziale Sicherheit, ist sozialer Standard ein Vorteil, der darin begründet liegt, daß wir in der Bundesrepublik Regelungsdichte - wir sagen dazu: soziale Sicherungsrechte -, daß wir in der Bundesrepublik Lohnnebenkosten - das sind die Beiträge für das System der sozialen Sicherung - und daß wir in der Bundesrepublik auch Unternehmenssteuern haben. Preis und Leistung müssen stimmen. Es wird ja immer gesagt: Für unterschiedliche Autotypen gibt man unterschiedlich viel Geld aus. Ich bin sicher, intelligente Unternehmer werden den dem Angebot entsprechenden Preis auch in der Bundesrepublik zahlen. Von daher geht tatsächlich ein Gespenst um in Europa, das Gespenst der Standortgefährdung in der Bundesrepublik Deutschland, Herr Graf Lambsdorff. Wen wundert es da, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften befürchten, das Projekt Binnenmarkt 1992 werde zum Trojanischen Pferd, um die nationale Strategie des Sozialabbaus durch das gleichzeitige Herausheben der wirtschaftlichen Chancen des Binnenmarktes und der Drohung mit dem Attraktivitätsverlust des Industriestandorts Bundesrepublik europapolitisch durchzusetzen? In der Tat ist es richtig, daß bei der zunehmenden Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse unterschiedliche soziale Standards als Druckmittel der Unternehmen eingesetzt werden können und eingesetzt werden. Betriebsräte von international kooperierenden Unternehmen in der Bundesrepublik wissen, wie das abläuft. So ist „Sozialdumping" zu einem Modewort des Jahres 1988 geworden. Die Verursacher dieses Modewortes sollten einmal in sich gehen und sich überlegen, ob das mit der Europäischen Union und mit dem Europa der Bürger nun tatsächlich so ernst gemeint ist, wenn ihre Forderungen auf der Seite der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften Befürchtungen vor Sozialdumping hervorrufen. Das sollte tatsächlich einmal überprüft werden! Allerdings sind die auf Befürchtungen zurückgehenden Formulierungen derjenigen, die von Sozialdumping sprechen, meines Erachtens überzogen. Man kann manchmal den Eindruck haben, die Bundesrepublik sei eine sozialstaatliche Insel innerhalb der EG, und in den anderen Ländern herrschten noch Sklaven- und Kinderarbeitsverhältnisse; es gelte also, ausschließlich einen Abwehrkampf zu führen. Dem ist nicht so. Graf Lambsdorff, die deutschen Gewerkschaften haben eben im Europäischen Gewerkschaftsbund mit den Kollegen aus anderen Gewerk8732 Peter ({2}) schaften Forderungen durchgesetzt, die zum Ergebnis haben, daß es Konsens darüber gibt, daß Information, Beteiligung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer zum europäischen Programm der Gewerkschaften gehören. Auch hier wird wieder mit Gespensterargumentation gearbeitet. Aber es kann natürlich sein, daß man bei den vielen Papieren auf EG-Ebene nicht immer auf dem Stand der Diskussion ist. Wer sich vergegenwärtigt, wie es in anderen Ländern aussieht, der wird auch im sozialen Bereich - Herr Bundesarbeitsminister, Sie werden ja sicherlich darauf eingehen - schnell zu der Erkenntnis kommen, daß die Bundesrepublik keineswegs überall Spitze ist. Im Arbeitskampfrecht ist Italien aus gewerkschaftlicher Sicht vorn. In Bezug auf soziale Infrastruktur für erwerbstätige Frauen wie Kinderhorte, Ganztagsschulen ist Frankreich vorbildlich. Der arbeitsrechtliche Schutz in Belgien und Dänemark unterscheidet sich qualitativ nicht wesentlich von dem in der Bunderepublik. Die Alterssicherung, die Sicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit ist in den Niederlanden vorbildlicher geregelt als durch den Versuch, den Sie im Gesundheits-Reformgesetz unternommen haben. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Wir meinen, die richtige sozialstaatliche Antwort auf diese Diskussion ist: Wir müssen die Sozialstaatsvorstellungen auf die europäische Ebene heben. Wir müssen die Idee der sozialen Demokratie zum essentiellen Bestandteil der deutschen Europapolitik machen. ({3}) Dieses Konzept eines sozialen Europa muß vor allen Dingen konkret sein, auf jeden Fall konkreter als die allgemeinen Aussagen der Bundesregierung zum Sozialraum, die den Begriff Sozialraum zu einer Beruhigungsformel machen und die nicht mehr als unverbindliche Streicheleinheiten an die Gewerkschaften sind. Konkrete sozialpolitische Forderungen machen es der Bundesregierung allerdings schwer, auf europäischer Ebene mit einem sozialen Heiligenschein einherzugehen - wie nach dem Gipfel von Hannover auf nationaler Ebene - , wenn sie weiterhin wichtige Elemente des Sozialstaats außer Kraft setzt und im Europäischen Rat hinter verschlossenen Türen offensichtlich so wenig offensiv auftritt, daß die christdemokratischen Europa-Parlamentarier gemeinsam mit den sozialistischen Europa-Parlamentariern Grund haben, erheblichen Zweifel an der sozialpolitischen Offensivkraft der Bundesregierung zu äußern. ({4}) Herr Bötsch, eine Politik der sozialen Demokratie in Europa kann die nationale Seite nicht ausklammern. Wer auf nationaler Ebene Sozialabbau betreibt, dessen Forderung nach dem europäischen Sozialraum und nach Berücksichtigung der sozialen Dimension bei der Entwicklung des Binnenmarktes wird zur Sprücheklopferei. Elemente der Konkretisierung sind - erstens - : das politische Bekenntnis auch des Wirtschaftsministers, daß sozialer Frieden, Wohlstand für alle, Sicherung der Bevölkerung gegen die Lebensrisiken Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Qualifikation sowie gute Infrastruktur auch der Gemeinden ökonomische Standortvorteile sind und - zweitens - daß solche Standortvorteile auch für die Unternehmen ihren angemessenen Preis haben müssen. Necker hat es ja gesagt, aber die falsche Schlußfolgerung gezogen. Es ist bedauerlich, daß sich der Wirtschaftsminister und der Sprecher der FDP diesen falschen Schlußfolgerungen angeschlossen haben. Dadurch wird dem Bekenntnis des Wirtschaftsministers zum Standortvorteil im Hinblick auf den sozialen Konsens - auch wieder im „Handelsblatt" - selbst die Glaubwürdigkeit entzogen. Wer freiwillig dafür eintritt, die Preise für die öffentliche Infrastruktur zu senken, der verschenkt volkswirtschaftliches Vermögen der Bundesrepublik. ({5}) Da erscheint der Bundesarbeitsminister wie der Rufer in der Wüste, der - wiederum im „Handelsblatt" - ein klares Bekenntnis zum Standortvorteil im Bezug auf die Mitbestimmung der deutschen Arbeitnehmer ablegt. Es bleibt zu fragen, Herr Blüm, ob dieses Bekenntnis dann auch politisch gegenüber Ihrem Koalitionspartner trägt und durchzusetzen ist. Ich bin neugierig, was Sie hier heute von dieser Stelle aus für die Bundesregierung zur Sicherung der Mitbestimmung und zur Durchsetzung von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten sagen werden und sagen können. Drittens. Wir benötigen ein Konzept in bezug auf konkrete politische Forderungen, wie sie unser Antrag „Europäischer Binnenmarkt und soziale Demokratie" enthält. Es geht darum, einen Katalog von sozialen Schutzrechten durchzusetzen, der überall in Europa eine Mindestsicherung der Sozialstandards garantiert, und da wird es konkret: ({6}) keine Arbeit ohne Arbeitsvertrag, Sozialversicherungspflichtigkeit jeder Erwerbsarbeit, Festlegung der Arbeitszeithöchstdauer, Regelung der Nacht- und Wochenendarbeit, Verankerung des Rechts auf Bildung, Aus- und Weiterbildung, Festschreibung der Rechte der Gewerkschaften, Beteiligung, Information und Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Unternehmensentscheidungen, Mutterschutz, Elternurlaub. Zu diesen Fragen, Frau Kollegin Beck-Oberdorf, werden Sie sich sicherlich noch äußern. Die Kommission muß auf dieser Grundlage ein geschlossenes Konzept für die Sozialpolitik der Gemeinschaft vorlegen und vor allen Dingen einen präzisen Zeitrahmen vorgeben. Es hilft uns gar nichts, Graf Lambsdorff, wenn man sagt, am 1. Januar 1993 ist der Binnenmarkt noch nicht in Ordnung. Uns kommt es auf die gleiche Geschwindigkeit an; uns kommt es darauf an, daß nicht auf der Binnenmarktseite Vollgas gegeben wird und auf der sozialpolitischen Seite mit Spargang gefahren wird. Das ist das Entscheidende dabei. ({7}) Wir fordern alle diejenigen, die in der Vergangenheit den historischen Kampf der Arbeitnehmer um Peter ({8}) den nationalen Sozialstaat getragen haben, von seiten der Gewerkschaften, von seiten der katholischen Soziallehre, auch von seiten der FDP in der sozialliberalen Koalition, auf, die Übertragung der Sozialstaatsidee auf die europäische Ebene zu unterstützen. Das wäre heute ein tatsächlicher Beitrag zum sozialen Europa 1993. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie in einer Lebensbiographie so haben auch geschichtliche Entwicklungen ihre Phasen. Sicherlich gab es eine Nachkriegsphase des Enthusiasmus, in dem Schlagbäume zur Seite gerückt wurden, Europa sich in Fackeln und Lagerfeuern deutlich machte. Immerhin hat diese Phase dazu geführt, daß aus Feinden Freunde wurden. ({0}) Es folgte eine Phase der Institutionen, auch der Verwaltungen und der Bürokratien. Die Gefahr besteht und bestand, daß dieses bürokratische Europa den Funken verglimmen läßt. Deshalb, glaube ich, ist das Thema Binnenmarkt 1992 das Thema einer Vitalisierung des Europagedankens, und zwar nicht auf der Höhe der Theorie, sondern handhabbar und konkret, denn die Wirtschaft ist noch immer eine der konkreten existentiellen Lebensweisen. Ich bin auch ganz sicher, daß das Europäische Parlament, daß wir jetzt wählen, am Ende seiner Legislaturperiode ein anderes Gewicht haben wird, als es dies am Beginn hatte. Der europäische Binnenmarkt wird ein Beitrag dazu sein, europäische Innenpolitik entstehen zu lassen. ({1}) Ich glaube sogar, daß die Veränderungen in der UdSSR, Stichwort Perestroika - nicht zuletzt eine vorausschauende, vorauseilende Antwort kluger Sowjetstrategen auf diese neue Wirtschaftskraft des freien Europas ist, der keine Staatswirtschaft gewachsen ist. Wenn ich von Binnenmarkt spreche, dann denke ich nicht nur an Bilanzen, dann kann das nicht nur eine Wirtschaftsgröße sein. Dieser Binnenmarkt ist ohne soziale Norm nicht denkbar. Eine Wirtschaft ohne soziale Rücksicht wäre nicht nur inhuman, sie wäre auch dumm. Eine Sozialpolitik nur zur nachträglichen Korrektur dessen, was wirtschaftliche Entwicklung vorlegt, ist ohne Sinn und ohne Verstand, so wie eine Sozialpolitik ohne wirtschaftliche Rücksichtnahme, ohne Rücksicht auf die Quelle, aus der sie schöpft, dumm und reaktionär wäre. Der Binnenmarkt selbst bringt sozialen Schub: 5 Millionen neue Arbeitsplätze, 1 Million für uns, das rechnen kluge Leute aus. ({2}) - Seien Sie doch nicht so pessimistisch! Auch Optimismus löst Schub aus. ({3}) Wir versprechen uns vom europäischen Binnenmarkt einen Schub auf dem europäischen Arbeitsmarkt. - Die Arbeit ist noch immer die Quelle aller Sozialpolitik. Arbeit kann durch keine soziale Unterstützung ausgeglichen werden. Den europäischen Sozialraum verstehe ich nicht als Einöde; verstehe ich nicht als Nivellierung, weder als Nivellierung auf der Maximalhöhe noch auf dem Minimum. Herr Kollege Peter, ein europäischer Sozialraum auf der Höhe unseres Sozialstaats - Sie haben das Thema genannt - würde - das habe ich aus dem Europäischen Parlament gehört - in Europa 1 000 Milliarden DM kosten. Wir sind in der Tat Spitze in Europa. ({4}) Sie haben die Frage gestellt: Wir sind Spitze in Europa. ({5}) Darin stimmen wir überein: Unseren Sozialstaat, die Errungenschaften von Generationen können und wollen wir der europäischen Integration nicht opfern. ({6}) - Wenn Sie mich unbedingt reizen wollen, möchte ich Ihnen sagen: Unter der sozialistischen Regierung in Spanien gibt es eine Lohnfortzahlung von vier Tagen, in Belgien von sieben Tagen, während wir eine von sechs Wochen haben. Soll ich Ihnen mal sagen, wie hoch z. B. die Zuzahlung für Medikamente im sozialistisch regierten Frankreich ist? Sie ist dreimal so hoch, wie jemals bei uns während der Beratungen zur Gesundheitsreform auch nur diskutiert. Ich bin nur darauf gebracht worden, weil der Kollege Peter dies thematisiert hat. Ich will für uns festhalten - ich hoffe, darin stimmen wir überein - , daß unser Sozialstaat einer europäischen Integration nicht zur Disposition gestellt wird. ({7}) Es wäre gut, wenn das eine übereinstimmende Meinung aller wäre, die hier politische Verantwortung tragen. ({8}) Deshalb rufe ich auch die Sozialpartner, Gewerkschaften wie Arbeitgeber, auf, mit uns einen gemeinsamen Beitrag zur europäischen Sozialpolitik zu leisten - nicht zu einer Sozialpolitik, die in Gefahr steht, sich sozusagen in rhetorische Lyrik zu verflüchtigen - , ganz der besten sozialpolitischen Tradition treu zu bleiben: ({9}) konkret, handfest, zum Anfassen. Das ist im übrigen auch das Sensorium der Arbeitnehmer, daß sie sich nicht durch Worte abspeisen lassen. Unseren Beitrag zu einem europäischen Arbeitsschutz beginnen wir mit einem gemeinsamen Sicherheitsstandard in den Betrieben für die europäischen Arbeitnehmer bei gefährlichen Arbeitsstoffen, im Maschinenschutz. Darum kämpfen wir. Wir haben in unserer Präsidentschaft mehr Richtlinien als zehn Präsidentschaften vor uns auf die Bahn gebracht. Wir arbeiten weiter daran. ({10}) Wir haben z. B. eine Richtlinie zum Verbot von krebserregenden Stoffen während der deutschen Präsidentschaft verabschiedet, und wir müssen auf diesem Weg weitermachen. Ich denke, die Richtlinie ist für die Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber, für die Produzenten wie die Konsumenten. Die europäische Grenzrichtlinie, die im Dezember 1988 verabschiedet wurde, erlaubt uns, künftig schneller und für erheblich mehr gefährliche Stoffe Grenzwerte auf dem EG-Raum zu schaffen. Weiter nenne ich Mindestvorschriften für die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Das wäre ein ganz handfester Beitrag, den europäischen Sozialraum erlebbar zu machen, ihn nicht nur auf dem Papier zu verwirklichen. Ich plädiere dafür, der besten Tradition der Sozialpolitik treu zu bleiben. Das wären konkrete, erlebbare Fortschritte für Millionen von Arbeitnehmern. ({11}) Ich gebe zu, daß die Maschinenrichtlinie, gegen die wir gestimmt haben, für eine Übergangszeit die Gefahr heraufbeschworen hat, daß unser Sicherheitsstandard gefährdet wird. Die Richtlinie ist noch nicht in Kraft. Wir werden alles dazu tun, geeignete Verbesserungen zu ermöglichen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Wenn das auf die Zeit nicht angerechnet wird.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Blüm, würden Sie mir zustimmen, daß es vielleicht mehr Chancen gegeben hätte, bei der Verabschiedung der Maschinenrichtlinie Unterstützung zu bekommen, wenn Sie den Weg hier ins Parlament, in den Bundestag gegangen wären und die Diskussion über die Maschinenrichtlinie damit hätte öffentlich gemacht werden können? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Die Diskussionen über die Maschinenrichtlinie standen nicht unter Datenschutz; sie sind auch hier in der Bundesrepublik öffentlich geführt worden. Ich bin im übrigen, Herr Kollege Peter, für jede Unterstützung dankbar. Deshalb sage ich ja mit meinem Plädoyer, für das ich hier stehe, daß wir hier in der Bundesrepublik, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Opposition und Regierung, unseren gemeinsamen Beitrag für einen europäischen Sozialraum leisten sollten. Meine Damen und Herren, ich will noch eines sagen. Über den Industriestandort Bundesrepublik wird viel diskutiert. Stellen wir unser Licht doch nicht unter den Scheffel! Einer unserer größten Vorsprünge besteht in einem Ausmaß sozialen Friedens, wie es in ganz Europa nicht zu sehen ist. ({0}) Wir haben den geringsten Ausfall durch Arbeitskämpfe. Das ist auch ein Beitrag für ein sozial befriedetes Europa. Das Europa, das wir uns wünschen, ist nicht das Europa des Klassenkampfes, sondern der Partnerschaft. ({1}) Daß wir ein so hohes Maß der Kooperation haben, ist auch das Ergebnis einer sozialen Kultur der Partnerschaft, der wir uns auch weiterhin verpflichtet fühlen. Deshalb: Unsere Mitbestimmung wird der europäischen Einigung nicht geopfert. Sie ist eine Quelle, aus der die Zusammenarbeit der Sozialpartner in unserem Land gespeist wird. Ich denke an die Tarifautonomie, die Selbstverwaltung, alles unverzichtbare Bestandteile unseres Sozialstaates, die uns ein hohes Maß sozialer Befriedung und ein hohes Maß des sozialen Wohlstandes geschaffen haben. Auch in Europa brauchen wir den Dialog der Sozialpartner. Ich rufe Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf, auch den europäischen Dialog zu suchen, Vereinbarungen zu treffen, die der EG-Vertrag zuläßt, die Grundlage für Rechtsakte der Gemeinschaften und damit auch einen Sockel von sozialen Grundrechten zu schaffen. Ich verspreche mir von Europa auch frischen Wind - Renaissance Europa - hinsichtlich mancher Erstarrung bei uns. Ich betrachte diese Debatte nicht als eine Aussprache, in der wir uns nach dem Motto darstellen: am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Das wäre nichts als alte arrogante Überheblichkeit. Auch manche Erstarrung bei uns muß aufgelöst werden. ({2}) Das gilt auch für die Arbeitszeiten. Unsere Ladenschlußgewohnheiten sind europäische Ladenhüter. ({3}) Es gibt in ganz Europa keine so starren Ladenöffnungszeiten wie bei uns in der Bundesrepublik. Auch hier könnten wir von der Vitalität, von der bunten Vielfalt Europas lernen. Manche Uniformierung, manche Erstarrung und manchen Bürokratismus könnten wir ablegen. Das große Kunststück wird sein, den größten Reichtum Europas, nämlich Vielfalt, in eine neue Balance mit europäischer Solidarität und Einheit zu bringen: nicht das Europa vergleichbar dem Eintopf, sondern das Europa der besten abendländischen Tradition folgend, ein Europa der Vielfalt, und zwar auch der Vielfalt in seinen sozialen Traditionen. Aber es muß ein Europa der Massen sein. Es kann nicht das Europa der Regierungen und Kommissionen sein. Millionen von Arbeitnehmern müssen auf Europa setzen. 1992 ist ein wichtiges Datum. Deshalb: Laßt uns diesen sozialen Raum Europa gemeinsam ausfüllen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - die französische Revolution, die sich in diesem denkwürdigen Jahr noch oft wird zitieren lassen müssen, scheint wenig zu bieten zu haben im Vergleich zu dem Europa, das vor der Tür steht; denn dieses Europa bietet gleich vier Freiheiten. Nur haben diese Freiheiten bei näherem Hinsehen ein recht klägliches Gesicht. Sind es doch nur die Freiheiten für Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen in dem Sinne, daß sie ihre Arbeitskraft auf dem Markt feilhalten dürfen. Es geht also um die Freiheit, zu investieren und zu produzieren. Es geht um die Aufrüstung in der nächsten Runde der großen Weltwirtschaftsschlacht. ({0}) 320 Millionen Menschen in einem Wirtschaftsraum, ein Wachstumsschub von bis zu 7 % . Manche sagen 2 Millionen, andere 5 Millionen neue Arbeitsplätze. Das Haus Europa soll also noch mächtiger werden als Japan und die USA. Und so wäre auf dem Umweg über Europa der deutsche Wirtschaftsprimus doch noch in die Rolle einer Großmacht geschlichen, wovon ja nach wie vor sehr viele in diesem Land träumen. Die Bürgerinnen und Bürger hatten an der Schaffung dieses Europas kaum einen Anteil; denn Demokratie - so schwer wir uns auch in diesem Hause mit ihr schon tun - findet in Europa nicht einmal dem Versuch nach statt. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß die Parteien ihre ausgemusterten Politiker nach Brüssel schicken. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß kaum jemand in diesem Land weiß, wer eigentlich der Europäische Rat oder die Kommission ist und was sie eigentlich zu sagen haben. Verständlich wird dieses Europa erst, wenn man das Bild bemüht, das Harald Schumann vor einiger Zeit im „Spiegel" entwarf: Man stelle sich vor, in der Bundesrepublik würde nicht der Bundestag, sondern der Bundesrat, also die Abgesandten der Bundesländer, alle Gesetze beschließen. Die jeweiligen Vertreter wären jedoch an die Weisungen ihrer Länderparlamente nicht gebunden. Zudem würden alle Verhandlungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Zu allem Überfluß würden außerdem die Beschlußvorlagen nicht in den Länderverwaltungen oder -parlamenten geschrieben, sondern von einer zentralen, mehrere tausend Mitarbeiter starken Behörde, die keiner direkten politischen Kontrolle unterliegt, dafür aber von einer ganzen Heerschar Industrielobbyisten regelmäßig beraten wird. Wohl nur ein Zyniker würdeeinem solchen System das Etikett „demokratisch" zugestehen. ({1}) Doch genauso findet Woche für Woche in Europa die Gesetzgebung statt. Da trifft Hans Magnus Enzensberger den Nagel doch auf den Kopf, wenn er dieses Europa als „vorkonstitutionell" bezeichnet. ({2}) Das hat etwas mit der Frage nach dem Sozialraum Europa zu tun. Auf diese Weise haben wir den Markt ohne Staat bekommen, und das heißt auch ohne Sozialpolitik. Solch ein Dorado der ungehemmten Kapitalexpansion hätten sich die Unternehmer in ihren kühnsten Träumen im Rahmen der Nationalstaaten nicht erdenken können, selbst unter Frau Thatcher nicht. So ist es auch kein Zufall, daß an dem Europa des freien Kapitals nun schon seit Jahren gebastelt wird, über die Frage von Arbeitnehmerschutzrechten und Sozialpolitik aber überhaupt jetzt erst angefangen wird nachzudenken. ({3}) Während sich das Kapital schnell und gewandt in dem großen Wirtschaftsraum bewegt, operieren die Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf nationaler Ebene. Wolfgang Däubler hat einen guten Vergleich angestellt, indem er sagt: Wer würde Gesellschaften für voll handlungsfähig und durchsetzungsstark halten, wenn sie z. B. auf der Ebene von Niedersachsen und Bayern sich bewegen würden, während die Unternehmerseite die Möglichkeit hat, nach Bremen oder Berlin ihre Produktionsstätten zu verlegen und von dort ihre Entscheidung zu fällen und so ihren Druck auszuweiten? Die Standortdebatte wird der fruchtbarste Boden sein, um die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Land für das Vorhaben zu erpressen, die Arbeitszeiten zu flexibilisieren, bis endlich auch der freie Sonntag fällt; den Abbau von Sozialleistungen zu rechtfertigen oder den Verzicht auf Lohnerhöhungen durchzusetzen, immer mit dem Hinweis auf die Konkurrenz der anderen, ein Spiel, das jetzt schon erfolgreich läuft, das aber dann eben noch einmal eine Umdrehung schneller gehen wird. ({4}) Was wir im vergangenen Jahr hier an Reformvorhaben in der Sozialpolitik gehabt haben, nämlich die Gesundheitsstrukturreform, die Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit, sind bereits vorweggenommener Sozialabbau, um die Bundesrepublik in der Standortdebatte konkurrenzfähig zu machen, und zwar im Sinne der Absenkung von Sozialleistungen im Konkurrenzkampf mit den anderen europäischen Ländern. ({5}) In der Einheitlichen Europäischen Akte ist die Einrichtung eines sozialen Dialogs zwischen Arbeitge8736 bern, Gewerkschaften und Staat vorgesehen. Man kann ihn tatsächlich nur als Alibiveranstaltung bezeichnen. Oder haben Sie etwa vergessen, wie die Unternehmen im Kampf um die Arbeitszeitverkürzung jede Minute mit Zähnen und Klauen verteidigt haben. Das also soll jetzt in Europa, auf europäischer Ebene, bei einem Glas Wein im sozialen Dialog gehen. Der neue Art. 118a des EWG-Vertrages sieht den Erlaß von Mindestvorschriften zur Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt vor. Ich möchte Ihnen ein Beispiel anführen, um aufzuzeigen, auf welchem Niveau, auf was für einer Wischiwaschi-Ebene solche Mindestvorschriften formuliert sind: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene am Arbeitsplatz: Sofern bei einer Tätigkeit oder in einem Tätigkeitsbereich mit dem Risiko einer Exposition gegenüber einem Karzinogen - also einem krebserregenden Stoff zu rechnen ist, muß die Exposition der Arbeitnehmer, soweit in der Praxis vertretbar, vermieden werden. Mit solchen Formulierungen wird kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin geschützt. Meine Damen und Herren, es wird soziales Dumping im Binnenmarkt Europa geben. Umweltzerstörung und Demokratieferne bestimmen schon jetzt den europäischen Alltag und werden weiter verschärft, sofern es nicht doch noch gelingt, den Trend umzukehren, Macht und Kompetenz statt in die Zentrale in die Dezentrale zu verlagern. Das ist die einzige Chance. Ich fürchte allerdings, daß der Zug schon sehr weit abgefahren ist. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich mit der SPD beschäftigen. Sie haben einen sehr umfangreichen Antrag zur Gestaltung des europäischen Sozialraums eingebracht, den ich zur Kenntnis genommen habe. Es ist dort kein Thema ausgespart - bis auf die Finanzierung! ({0}) Auch das Akzeptanzproblem haben Sie meiner Meinung nach etwas vernachlässigt. Ich könnte mir nämlich vorstellen, daß es dem Christdemokraten Helmut Kohl etwas leichter fällt, das deutsche Mitbestimmungsprogramm zu vertreten, als dem Sozialisten Gonzales in Spanien, wo man so etwas überhaupt nicht kennt. ({1}) Daß man für all die künftigen Vereinbarungen auch einen Fahrplan für Europa braucht, gewinnt durch Ihren Antrag keinen Neuigkeitscharakter. Interessant sind dagegen Ihre Ausführungen zum hohen Standard unserer Sozial-, Berufs- und Bildungspolitik, denn Sie rücken damit von Ihrer sonst gewohnten übertriebenen Kritik unserer Politik ab. Überall in Eurpa wird dieser Standard anerkannt, wird unser hohes Niveau akzeptiert und hervorgehoben. Nur die deutschen Sozialdemokraten sehen sich mit ihren absoluten Besitzstandsphilosophien nicht in der Lage, über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen. Das ist die Lage. ({2}) Genauso, wie Sie unbeeindruckt von europäischen Entwicklungen Sozialpolitik zu formulieren versucht haben, schreiben Sie offensichtlich schon in EuropaWahlkampflaune einmal alles auf einem Antrag zusammen, was auf dem Markt der Diskussion ist. Wissen Sie eigentlich, wie Sie mir vorkommen? ({3}) Sie kommen mir vor wie Hans Dampf. Aber nicht wie Hans Dampf in allen Gassen, ({4}) sondern wie Hans Dampf, der verschlafen hat, jetzt auf die schnelle ein europäisches Mäntelchen überwirft, überstürzt zur Arbeit rennt und besonders viel Aktionismus verursacht, um damit seine Versäumnisse zu überspielen. ({5}) Gut für unser Land ist, daß es im Interesse der europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber auch noch fleißige Arbeiter gibt wie Helmut Kohl und Norbert Blüm. ({6}) Die haben nämlich den Europa-Wecker frühzeitig gehört und sind eher aufgestanden, um zweierlei zu tun: erstens die nationale Sozialpolitik bereits heute auf die europäischen Bedürfnisse vorzubereiten und zweitens einen mutigen Beitrag zu leisten, um die europäische Sozialpolitik voranzubringen. Die haben nämlich bereits eine Schicht gearbeitet, bevor Sie überhaupt aufgestanden sind. Wir nehmen durch unsere Reform den Sozialkassen die Dynamik der Kostenentwicklung und sorgen damit dafür, daß nicht nur Handwerkerstunden und Dienstleistungen bezahlbar bleiben, sondern daß wir unsere Chancen auf dem Europäischen Markt sichern; denn davon hängt schließlich der Broterwerb jedes fünften Arbeitnehmers in der Bundesrepublik Deutschland ab. Bundeskanzler Helmut Kohl hat darüber hinaus mit seiner Zusage zur Aufstockung der europäischen Strukturfonds Mut bewiesen. Sie von der SPD haben uns in den Haushaltsdebatten dafür in jüngster Zeit noch gescholten. Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag auf einmal - ich zitiere - , die Arbeit der neuorganisierten Strukturfonds zu unterstützen. Natürlich tun wir dies. Wenn Sie uns schon gescholten haben, dann formulieren Sie aber bitte künftig etwas ehrlicher, nämFuchtel lich: Wir schließen uns der Auffassung der Bundesregierung in dieser Frage an. ({7}) Die Strukturfonds sind neben dem Europäischen Binnenmarkt als solchem das eigentliche Instrument, um gegen das sozialpolitische Sorgenkind Nummer eins, die Arbeitslosigkeit, anzugehen. Natürlich gibt es noch weitere notwendige Maßnahmen. Wir verweisen die anderen Länder aber nicht darauf, etwa im Wege einer Belehrung, sondern wir anerkennen zunächst einmal die Verpflichtung zur europäischen Solidarität im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. 10 Milliarden DM werden zusätzlich nach Europa fließen. Damit hätte man die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in unserem Land vervierfachen oder die Gemeinden um 40 % ihrer Sozialhilfekosten entlasten können. Das wäre kurzfristig sicher publikumswirksamer gewesen. Aber es geht eben um die langfristige Verbesserung in Europa. Und es zeichnet diese Regierung aus, daß sie das tut, was zum Wohl der Bürger notwendig ist. ({8}) Wenn wir an die weitere Ausgestaltung des europäischen Sozialraums gehen, sollten wir uns an die Entwicklung in unserem eigenen Land erinnern. Die SPD ist damals der Marktwirtschaft mit großer Skepsis begegnet. Aber diese Marktwirtschaft brachte die Voraussetzung für unser heutiges Sozialniveau. Auch damals wurde nicht alles sofort gesetzlich geregelt. Aber es hat sich dank der Vernunft der Sozialpartner und der Politik zum guten entwickelt. Darum sind der soziale Dialog und die Mitwirkung der Sozialpartner so eminent wichtig. Mit der Ausfüllung des europäischen Sozialraums sollten wir deswegen nicht ein neues Heer von Sozialplanern beschäftigen, sondern ein Zusammenwirken der sozialen Kräfte organisieren. Auch hier hat Bundeskanzler Helmut Kohl mit der nationalen Europakonferenz die Weichen richtig gestellt. Zu unterstützen ist die Forderung nach einer europäischen Sozialcharta, um dadurch eine Angleichung in Grundfragen der Sozialbeziehungen zu erreichen. Aus deutscher Sicht ist aber die Handhabung des Normenstandards in den einzelnen Bereichen von erheblich größerer Bedeutung. Verbindliche Mindeststandards müssen gleichzeitig den Bestand von Standards auf höheren Niveaus zulassen und die Akzeptanz sicherstellen. Dies muß die Linie für alle anstehenden Fragen sein. Mit Art. 118 a haben wir im übrigen einen wichtigen Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in Angriff genommen und ein Signal gesetzt. Nun geht es um die Umsetzung. Um für die weitere soziale Entwicklung in Europa eine aussagefähigere und aussagekräftigere Grundlage zu schaffen, fordert die CDU/CSU-Fraktion in ihrem vorliegenden Antrag weiter ein Weißbuch. Sie dürfen sicher sein, daß wir bei der Harmonisierung der Arbeitsschutzbestimmungen und des Arbeitsrechts vor allem auf unser hohes Niveau achten werden. Die neue Perspektive der Sozialpolitik wird auch an der parlamentarischen Ebene nicht vorbeigehen, sonsern große Herausforderungen an uns stellen. Dabei treffen wir folgende Situation an: Das EG-Parlament hat die Arbeitskapazität, aber nicht die Rechte zur abschließenden Gestaltung. Wir hätten - wenigstens gegenüber unseren nationalen Regierungen - zwar die Rechte, aber nicht die Arbeitskapazität. So schiebt allein der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die Beratung von nicht weniger als drei Dutzend EG-Vorlagen vor sich her. In diese Normlücke springt immer mehr der Europäische Gerichtshof, und zwar mit wesentlichen Auswirkungen. Gerade im Sozialbereich werden damit wichtige Gestaltungen vorgenommen, die von den Parlamenten stärker beeinflußt werden müßten. Es kommt auch zu Entscheidungen, die wir so überhaupt nicht wollen. Ich erinnere nur an den Fall des Italieners Salzano, der für viele Kindergeldbezieher in Italien zum Paradebeispiel dafür wurde, wie man deutsche Kassen anzapft. Wir müssen unsere Arbeitskapazitäten in den Ausschüssen so einteilen - wahrscheinlich auch dadurch, daß wir für wichtige Arbeitsbereiche Unterausschüsse gründen -, daß wir die europäische Sache mehr in die Hand nehmen. Europa ist es wert, mehr dafür zu arbeiten! ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung ({0}).

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe auf einige Aspekte der Umwelt- und insbesondere der Energiepolitik ein, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem europäischen Binnenmarkt stehen, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, eine gemeinsame Politik in diesem Bereich zu erleben. Dabei sind die meisten Probleme in diesem Bereich national gar nicht mehr lösbar; sie müssen europäisch, wenn nicht gar weltweit angegangen werden. Die großen europäischen Flüsse sind zu Abwasseranlagen verkommen, ({0}) Nord- und Ostsee sind riesige Müllkippen, der Wald in Mitteleuropa ist zu mehr als 50 % geschädigt, und uns droht eine globale Klimakatastrophe. Dabei gehen wir mit unserer Umwelt und Energie so um, als ob sie unbegrenzt zur Verfügung stünden. Der internationale Verfall der Energiepreise hat die Bemühungen um Energiesparen und um rationelle Energienutzung praktisch zum Stillstand gebracht. ({1}) Die Abhängigkeit der Europäer von Importenergien nimmt wieder zu. Dadurch geraten nicht nur heimische Energieträger wie die deutsche Steinkohle unter Druck, sondern wir begeben uns auch in eine neue Abhängigkeit, z. B. vom OPEC-Kartell, das ja anscheinend wieder zu funktionieren beginnt. Jung ({2}) Darum müssen wir eine gemeinsame europäische Energiepolitik entwickeln, um eine lebenswichtige Grundlage des europäischen Binnenmarktes, nämlich die Energieversorgungssicherheit, zu gewährleisten. Und wir müssen eine gemeinsame europäische Umweltpolitik entwickeln, um den Wachstumskräften in Europa ein zusätzliches Ziel zu geben, nämlich die ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft. Meine Damen und Herren, mit ihrem Arbeitsdokument „Der Binnenmarkt für Energie" hat die Europäische Kommission im Mai 1988 vorgeschlagen, die Energiewirtschaft in den europäischen Binnenmarkt einzubeziehen. Sie verspricht sich davon eine Stärkung der Wachstumskräfte und vor allem Kostensenkungen, die sich zu 40 bis 60 Milliarden DM auf summieren könnten. Dieser Perspektive können wir uns nicht entziehen. Unsere Energiewirtschaft hat die Tragweite dieser Vorschläge erkannt und führt seit geraumer Zeit eine lebhafte Diskussion darüber. Aber die politische Auseinandersetzung über die Implikationen hat in unserem Land noch kaum begonnen. Die Bundesregierung schweigt sich in dieser Diskussion weitgehend aus.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gestatte eine Zwischenfrage.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr freundlich, Herr Kollege. - Sie haben einerseits eine Stärkung des Umweltrechts und andererseits aber doch diese zentrale europäische Energiepolitik gefordert: Braucht man nicht gerade eine dezentrale Energiepolitik, wenn es zu Energieeinsparung kommen soll?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es um Energieeinsparung und effiziente Energienutzung geht, Herr Knabe, dann ist nicht die Frage entscheidend, ob wir den zentralen Ansatz suchen oder stärker dezentralisieren. Vielmehr ist dann die Effektivität dieser Politik von entscheidender Bedeutung. An diesem Standpunkt halten wir fest. ({0}) Aus diesem Grund hat die SPD-Fraktion eine Große Anfrage gestellt, um die Bundesregierung zu zwingen, Position zu beziehen. Denn wir können wirklich nicht abwarten, meine Damen und Herren, bis die europäische Politik Fakten geschaffen hat, die nachträglich nicht mehr zu ändern sind. Wir müssen - möglichst übereinstimmend - eine nationale Haltung entwickeln, um unsere Interessen wahren und vor allem die europäische Entwicklung entscheidend mitbestimmen zu können. Das gilt zunächst für den Strommarkt. Aktuell drängen in Frankreich unausgelastete Stromkapazitäten, die mit dem massiven Ausbau der Kernenergie verbunden sind, in den Export. In unserem Land hat sich dagegen ein erheblicher Importsog aufgestaut, weil die französischen Industriestrompreise im Schnitt 30 % unter unseren liegen. Der Nachfragedruck unserer stromintensiven Industrie wird immer stärker. Eine konsequente Anwendung des Gemeinschaftsrechts - insbesondere die Betrachtung von Strom als Ware, wie die Kommission es tut - würde allerdings bei den unterschiedlichen Regulierungen in der Energiewirtschaft zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Energieversorgungsunternehmen in der Europäischen Gemeinschaft führen. Sie würde außerdem das Problem der Versorgungspflicht aufwerfen. Es kann doch nicht angehen, meine Damen und Herren, daß der französische Stromerzeuger ein Recht zur Durchleitung durch unser Versorgungsgebiet erhält und unsere Energieversorgungsunternehmen die Reservekapazitäten vorhalten müssen, um die Engpässe zu überbrücken. Dieses Problem muß auf europäischer Ebene erst noch gelöst werden. Darum führt kein Weg daran vorbei, zunächst die Umweltschutznormen und Sicherheitsstandards für Energieanlagen zu harmonisieren und die Besteuerung der Energieversorgungsunternehmen anzugleichen, bevor man an eine Öffnung der Strommärkte denken kann. Wir wollen bei den Umweltschutznormen und den Sicherheitsstandards natürlich keinen Rückschritt in Kauf nehmen. Das müssen wir allerdings auch nicht; das ist in der Einheitlichen Europäischen Akte eindeutig geklärt. Es geht aber um die eigentliche ökonomische Frage. Darum ist eine Harmonisierung für uns nur auf dem höchstmöglichen Niveau denkbar. Rudolf von Bennigsen-Foerder hat errechnet, daß die Mehrkosten deutscher Stromerzeugung im Vergleich zum französischen Stromkostenniveau zur Hälfte auf das Konto der Entschwefelung und Entstikkung und höhere Anforderungen beim Kraftwerksbau zurückzuführen sind. Wenn die Umweltschutznormen und Sicherheitsstandards in der Europäischen Gemeinschaft auf das bei uns realisierte Niveau angehoben würden, würde bereits ein erheblicher Teil der Wettbewerbsnachteile der deutschen Energiewirtschaft und zwar bei den Stromerzeugern wie auch in der Mineralölindustrie, kompensiert werden. In der Bundesrepublik wird seit geraumer Zeit über die Stärkung des Wettbewerbs innerhalb der Elektrizitätswirtschaft diskutiert. Wir Sozialdemokraten werden mit unserem Entwurf für ein neues Energiegesetz an diesem Punkt ansetzen. Es geht nicht darum, das System von Versorgungsgebieten, von Demarkations- und Konzessionsverträgen, die ja ursprünglich mit der Versorgungspflicht verbunden sind, in Frage zu stellen. Es geht vielmehr darum, alternativen Energieanbietern, die bei den gegenwärtigen Einspeisevergütungen nicht zum Zuge kommen, faire Wettbewerbschancen einzuräumen. Dies würde auf der anderen Seite auch einen Druck auf die Strompreise ausüben, ihren Anstieg mindestens dämpfen. Damit wäre ein wesentliches Anliegen der stromintensiven Industrie berücksichtigt. Wir fordern eine Energiepreisbildung, die sich an den tatsächlichen Kosten orientiert. Das heißt, daß auch die externen Kosten der Energieproduktion, insJung ({1}) besondere durch die Beanspruchung unserer Umwelt, in die Preisbildung integriert werden müssen. Wir wollen ein Europa ohne Kernenergie. Wir wollen deswegen die Zweckbestimmung des Euratom-Vertrages ebenso ändern wie das Atomgesetz auf nationaler Ebene. ({2}) Aber wir wissen auch: Das bestimmen wir in Europa nicht alleine. Solange jedoch einige Mitgliedstaaten glauben, auf die Kernenergie nicht verzichten zu können, müssen Vor- und Nachleistungen, z. B. die Kosten für eine gesicherte Entsorgung, für Stillegung und Risikoabsicherung bei Unfällen, in den Energiepreisen abgebildet werden. Darum wollen wir unser Vorhaben einer differenzierten Energiesteuer in die europäische Diskussion einbringen; mein Kollege Gautier hat darauf schon hingewiesen. Ein Vorstoß aus der Bundesrepublik ist nach unserer Auffassung notwendig. Die Steuer auf den Energieverbrauch ist das bei weitem wirksamste Mittel zur Einleitung eines ökologischen Strukturwandels in Europa. ({3}) Die Europäische Kommission hat sich unmißverständlich für die Sicherung der Energieversorgung mit heimischen Energiequellen ausgesprochen. Wir Sozialdemokraten unterstützen dieses Ziel. Es liefert auch die wichtigste Begründung für die finanzielle Stützung der heimischen Steinkohle. Das ist unser nationaler Beitrag zur Versorgungssicherheit in der Europäischen Gemeinschaft. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Es muß sichergestellt werden, daß der Jahrhundertvertrag von der Europäischen Gemeinschaft nicht nur bis zum Jahre 1995 toleriert wird, sondern eine gemeinschaftskonforme Anschlußregelung für die Zeit nach 1995 gefunden wird. Hier treibt die Bundesregierung ein gefährliches Spiel. Mit der erklärten Absicht, die im Jahrhundertvertrag vereinbarten Fördermengen nur bis 1991 abzusichern, spielt sie den Interessen anderer Energieanbieter im Europäischen Markt geradezu in die Hände. Meine Damen und Herren, eine Steigerung des gegenwärtigen Anteils an festen Brennstoffen, wie sie die Kommission vorsieht, ist dann vertretbar, wenn wir in verstärktem Maße umweltfreundlichere Kohletechniken einsetzen. Dazu gehören die Kraft-WärmeKopplung und der Ausbau der Fernwärme. Mit diesen Techniken, die den Wirkungsgrad der Energieausnutzung erheblich steigern, würde ein wesentlicher Beitrag zur Umweltentlastung geleistet werden. Darum müssen wir uns auch in Europa zum Ziel setzen, alle Potentiale der Energieeinsparung und rationellen Energienutzung auszuschöpfen und alles zu tun, um erneuerbare Energien frühzeitig in den Markt einzuführen. Wenn es uns nicht gelingt, meine Damen und Herren, die Energiepolitik mit der Verschärfung der Umweltstandards und einer ökologischen Steuerreform zu verbinden, dann wird es keine gemeinsame europäische Umwelt- und Energiepolitik geben, dann wird der europäische Binnenmarkt Stückwerk bleiben. ({0}) Danke sehr. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in der ausführlichen Debatte heute auf drei Punkte konzentrieren, und zwar einmal auf die Frage, wie Europa demokratisch regiert wird - das bezieht sich also auf das Europäische Parlament -, zum anderen auf die Frage der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sowie auf das Thema Sozialraum Binnenmarkt. Lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Rede des italienischen Präsidenten Pertini vor dem Europäischen Parlament beginnen: „Eine europäische Union, die die demokratischen Werte in der Welt schützen will, kann sich nicht weiterhin mit einem Parlament mit verminderten Befugnissen begnügen. " ({0}) Dieses Zitat war unserem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker wichtig genug, um es in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament zu wiederholen. Ich möchte gegenüber der Öffentlichkeit betonen, daß die Reden, die die Präsidenten aus aller Welt seit Jahren vor dem Europäischen Parlament halten, eindrucksvoll genug sind, um in Deutschland besser bekannt zu sein. Das Europäische Parlament und der dynamische Einigungsprozeß haben im Ausland ein größeres Ansehen und üben eine größere Faszination aus als bei uns in Deutschland. ({1}) Ich halte es für wichtig, daß sich der Deutsche Bundestag nicht nur einmal im Jahr, sondern öfter mit der europäischen Einigung beschäftigt. Ich bin froh, daß es endlich zu der heutigen Debatte gekommen ist. ({2}) Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie haben in meiner Europakommission nicht mitgearbeitet; auch im Unterausschuß waren Sie leider so gut wie nie anwesend. ({3}) Wir hätten gern die Unterstützung aller Fraktionen hier in diesem Hause. Wenn wir mit Nachdruck mehr Macht für das Europäische Parlament fordern wollen, dann brauchen wir das Vertrauen aller Fraktionen. Ich bin aber froh darüber, daß selbst bei den GRÜNEN das Bewußtsein wächst, wie wichtig es ist, neben dem freien Markt auch unter demokratischen Vorzeichen zustande gekommene europäische Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Die europäische Einigung ist meines Erachtens die größte und die idealistischste Friedensbewegung der Welt, die es überhaupt gibt. ({4}) Sie ist ein phantastisches Beispiel für gute Nachbarschaft, für den Mut von Völkern, ihre Grenzen für die Nachbarn zu öffnen ({5}) und dabei das Risiko einzugehen, sich dem unmittelbaren Wettbewerb mit ihnen zu stellen, mit ihren Ansichten, mit ihren Idealen, mit ihren Erfahrungen. Die Bereitschaft zum freien und offenen Gedankenaustausch ist immer der Anfang von Frieden. Erst das Sich-Abschließen, das Sich-Abschotten vor anderen führt zur Abgrenzung und zur Gefahr von Meinungsverschiedenheiten, zur Gefahr der Feindschaft, die letztlich zu kriegerischer Auseinandersetzung führt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur eine kurze Redezeit, aber viel zu sagen. Es tut mir furchtbar leid. Der israelische Präsident hat vor dem Europäischen Parlament gesagt: „Ich wünsche mir für den Nahen Osten eine vergleichbare Friedensbewegung, wie sie das Europäische Parlament darstellt. " Die südamerikanischen Präsidenten haben ähnliche Wünsche in bezug auf die Öffnung der Grenzen zwischen den südamerikanischen Staaten geäußert. Mittelamerika schaut ebenfalls mit größtem Interesse auf diesen dynamischen Einigungsprozeß. ({0}) Was glauben Sie, meine Damen und Herren, wie sehr sich die Hoffnungen der Osteuropäer auf diesen Einigungsprozeß konzentrieren, wie sehr sie von der EG fasziniert sind und etwas von ihr erwarten. Was glauben Sie, warum die Sowjetunion den RGW-Vertrag jetzt abgeschlossen hat? - Weil sie von diesem dynamischen Prozeß nicht abgekoppelt sein will. Die osteuropäischen Staaten sind sehr daran interessiert, daß sich Westeuropa, wenn die Entwicklung im eigenen Bereich erfolgreich verläuft, auch in Richtung Osten öffnet. ({1}) Meine Damen und Herren - das folgende jetzt einmal an unser Volk gerichtet - , ich sehe es als eine ganz große Chance, aber auch als eine ganz große Verantwortung an, in diesem westeuropäischen Einigungsprozeß dynamisch mitzuarbeiten und damit unserer Verantwortung vor der Geschichte gerecht zu werden. Die Sozialdemokraten sprechen von der Möglichkeit, daß sozusagen der kleine deutsche Sozialraum gefährdet sein könnte. Ich sage Ihnen voraus: Für den Fall, daß es zu einer Öffnung in Richtung Osteuropa kommt, werden unsere notwendigen Anpassungsleistungen unverhältnismäßig größer sein als etwa nur bei einer Öffnung im innerwesteuropäischen Raum. Ich kann Sie gleichzeitig trösten: Unsere Aussichten hinsichtlich der Öffnung des Binnenmarktes sind überhaupt nicht so schlecht. Ich habe hier eine Ausarbeitung der Kommission, die sie den Sozialpartnern im europäischen sozialen Dialog am 6. Dezember 1988 vorgelegt hat. Lassen Sie mich nur einen Satz daraus zitieren: Auffallend bei dem Vergleich der Lohnstückkosten ist es, daß die sogenannten Hochlohnländer einen relativ niedrigen Arbeitskostenaufwand je 1 000 ECU Produktionseinheit haben und die sogenannten Niedriglohnländer einen relativ hohen Arbeitskostenaufwand je 1 000 ECU Produktionseinheit. Was heißt das auf deutsch? Das heißt, daß wir in der Kombination aus hervorragenden modernen Maschinen am Arbeitsplatz, gut ausgebildeten Arbeitskräften und hoher Effizienz der Produktion uns bis heute unsere hohen Löhne sehr wohl leisten können. ({2}) Wir sollten als Unternehmer und Arbeitnehmer gemeinsam dieses „Modell Deutschland" , wie ich es nennen möchte, unseren europäischen Nachbarstaaten zur Nachahmung empfehlen. Natürlich wird, wenn wir jetzt enger zusammenrücken, auch deutlich werden, was konkurrenzfähig bleibt und was notfalls wird korrigiert werden müssen. Um jetzt nicht eine zu große Euphorie bei den Sozialdemokraten aufkommen zu lassen, ({3}) kommt zum Ausgleich der zweite Teil, das Thema Sozialraum Binnenmarkt generell. Die Koalitionsfraktionen reichen diese Woche eine Kleine Anfrage, die schon fast den Namen „Große Anfrage" verdient, zum Thema Sozialraum Binnenmarkt ein. Es geht uns gar nicht darum, jetzt etwa zu einer Einebnung aller europäischen Sozialverhältnisse zu kommen, sondern wir wollen zunächst einmal die Kenntnis über die verschiedenen Sozialsysteme verbessern. In den Vorfragen, die wir im Dezember gestellt haben, konnte uns Norbert Blüm bei weitem nicht auf alle Fragen Antwort geben. ({4}) Die Kenntnis darüber, wie es in den einzelnen Ländern aussieht, z. B. bezüglich der Arbeitsmarkt- und der Lohnstrukturen, der Mitwirkungsregelungen, der Arbeitsschutzbestimmungen, der Rentensysteme, der Familienförderungssysteme, der Krankenversicherungssysteme, ist noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Ich gehe davon aus, daß es gar nicht notwendig sein wird, sie gleich im Anschluß an den BinFrau Dr. Hellwig nenmarkt anzugleichen. Aber, meine Damen und Herren, wir werden sehr neugierig sein, wie es bei den anderen ist. In diesem Spiegel der anderen Länder werden wir unsere eigene soziale Gerechtigkeit mit ganz anderen Augen sehen. Wir werden z. B. entdecken, daß der eine im Verhältnis zu dem, was er leistet, viel zuviel verdient, ({5}) daß der andere zuwenig verdient im Verhältnis zu dem, was er leistet. Wir werden bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit in Bewegung geraten. Unser Dialog wird offen sein. Ein frischer Wind wird hier durchblasen und uns von mancher nationalen Selbstgerechtigkeit befreien. ({6}) Das ist die große Herausforderung an uns, die wir keineswegs fürchten, sondern auf die wir uns freuen, meine Damen und Herren. Die Tatsache, daß die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion nicht nur mit dieser Kleinen Anfrage jetzt aktiv die Diskussion über den Sozialraum Binnenmarkt starten, sondern im April dazu auch eine große Anhörung durchführen, gibt Ihnen ein Zeichen: Wir fürchten die Auseinandersetzung um den Sozialraum keineswegs. Wir begrüßen ihn; wir wollen ihn zum Segen unserer Bürger, zum Segen unserer europäischen Nachbarn und im Interesse unserer osteuropäischen Nachbarn aktiv mitgestalten. Ich glaube, die Faszination, die heute die Kombination aus freiem Staat und Marktwirtschaft auf den Osten ausübt, wird weiterreichen, wird uns weltweit die Möglichkeit geben, weit über die europäische Einigung hinaus zu einem freien Welthandelssystem zu kommen, das Hunger und Not in der Welt überwindet. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Beratungen werden um 14 Uhr fortgesetzt werden. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Zunächst hat der Abgeordnete Schwörer das Wort. - Ich sehe, derselbe befindet sich noch nicht im Saale. Nun wollen wir einmal schauen, was wir an weiteren Wortmeldungen da haben. - Herr Abgeordneter Dr. Mitzscherling, wollen Sie freundlicherweise das Wort ergreifen? ({0}) Dann ändern wir die Reihenfolge. - Er ist da, offensichtlich, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier. Also, Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir bereiten uns in der heutigen Debatte auf den gemeinsamen Binnenmarkt vor und müssen gleichzeitig feststellen, daß es zwischen den großen Wirtschaftsblöcken immer mehr knirscht. Die dürftige GATT-Halbzeitbilanz ist ein deutliches Zeichen dafür. Das sind nicht nur Irritationen, wie uns heute morgen gesagt wurde, sondern handfeste Auseinandersetzungen, bei denen ich davon ausgehe, daß sie anhalten werden. Die USA haben sich mit einem neuen Handelsgesetz gewappnet, das sie in dieser Auseinandersetzung einsetzen werden. Sie werden sich auf die Konkurrenten konzentrieren, die sie schon in der Vergangenheit auf unfaire Handelspraktiken, auf unzureichende wirtschaftspolitische Anstrengungen, auf Protektionismus und Nichtbeachtung internationaler Vereinbarungen immer wieder hingewiesen haben. Das ist die EG, und dazu gehören auch wir, die Deutschen. Natürlich stimmt es, daß die amerikanische Politik stark von ökonomischen Interessen beeinflußt ist. Ebenso richtig ist, daß die Amerikaner protektionistische Sünder sind. Aber es ist auch richtig, daß es einen europäischen Agrarprotektionismus gibt. ({0}) Ich möchte wiederholen: Wenn es die Bundesrepublik als das wirtschaftlich stärkste Land Europas nicht schafft, rasch weitere Schritte gegen die anhaltende landwirtschaftliche Überproduktion und gegen den EG-Agrarprotektionismus einzuleiten, dann werden die Jahre 1989/90 als die Jahre des Scheiterns einer neuen GATT-Runde in die Geschichte des Welthandels eingehen. Andere Probleme belasten uns weiter, die auch die Europäische Gemeinschaft betreffen. Die Bundesrepublik hat noch immer ebenso wie Japan gewaltige Leistungsbilanzüberschüsse, denen der wachsende Schuldenberg der Vereinigten Staaten gegenübersteht. Die Überschußländer müssen helfen, und zwar durch mehr eigene binnenwirtschaftliche Anstrengungen. Die Japaner haben es getan, nämlich durch eine Ankurbelung ihrer Binnenkonjunktur. Die Bundesregierung verweist auf ihre Steuerreform, verweist auf die günstige gegenwärtige Wirtschaftslage. Aber gleichzeitig erhöht sie trotz wachsender Steuereinnahmen kräftig die Verbrauchsteuern ({1}) und verzichtet damit darauf, durch eine aktive Wachstumspolitik zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Neue, weitere Probleme kommen hinzu. Draußen wird immer lauter gefragt - wir haben gestern diese Diskussion erlebt - : Sind die Deutschen zu einem Volk von immer reicheren Pfeffersäcken geworden, denen Exportgeschäfte um jeden Preis wichtiger sind als das Einhalten internationaler Vereinbarungen? ({2}) Was ist mit den U-Boot-Lieferungen nach Südafrika? Wie konnte Kerntechnik nach Pakistan gelangen? Warum haben ausgerechnet die Deutschen in Libyen beim Bau einer Giftgasfabrik geholfen? Das sind berechtigte Fragen. Alle wissen es nun: Mit ihrem außenwirtschaftspolitischen Instrumentarium kann die deutsche Bundesregierung illegale oder unerwünschte Exporte offenbar nicht verhindern. Nun sind Verschärfungen des Außenwirtschaftsrechts fällig. Die Unternehmen werden sich darauf einstellen. Aber was werden die schwarzen Schafe tun? Werden sie nicht den Wegfall der Grenzen im gemeinsamen Binnenmarkt dazu nutzen, ihre Geschäfte über andere Exportwege abzuwickeln? Gibt es denn auf der EG-Ebene Bereitschaft und auch rechtliche Grundlagen für eine verschärfte Außenwirtschaftskontrolle nach gemeinsam entwickelten Kriterien? Es gibt also Fragen über Fragen. Eines ist sicher - darüber sollten wir uns im klaren sein - : Die Bundesregierung bewegt sich auf einem immer schmaler werdenden Grat. Sie will und muß ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, sich aber auch politischen Handlungsspielraum erhalten, der z. B. eine engere Zusammenarbeit mit der DDR und unseren östlichen Nachbarn in Europa ermöglicht. So zwingt uns die Entwicklung der letzten Zeit einerseits zu verschärften Ausfuhrkontrollen; andererseits aber empfinden nunmehr auch die Bundesregierung und der Bundesaußenminister die bisherige COCOM-Liste als eher belastend. In dieser Situation, meine Damen und Herren, kann die Lösung eigentlich nur heißen: Die Liste muß generell weiter gestrafft und im wesentlichen auf Waffen, Rüstungsgüter und sensitive Produktverfahren konzentriert werden. ({3}) Damit wird aber auch deutlich, daß eine Diskussion über Europa nicht auf den EG-Raum allein beschränkt werden kann. Denn Europa ist eben nicht nur die Europäische Gemeinschaft; es sind nicht nur die EFTA-Länder. Auch die osteuropäischen RGW-Länder gehören zu Europa. Doch der Zweite Weltkrieg und seine Folgen überschatten bisher Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit. Frau Hellwig hat heute morgen sehr eindrucksvoll dargelegt, daß diese Länder von dem sich entwickelnden integrativen Prozeß in Westeuropa förmlich fasziniert und angezogen sind. Ich teile diese Einschätzung. Aber auch deshalb - so müssen wir sagen - verfolgen wir die gesellschaftlichen Veränderungen in den meisten RGW-Ländern und die stärker marktwirtschaftliche Ausrichtung ihrer Wirtschaftssysteme mit Sympathie und Interesse. Denn zunehmende Marktnähe und eine Entideologisierung und mehr Demokratisierung und Dezentralisierung können die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit diesen Ländern aus unserer Sicht fördern. Die gemeinsame Erklärung von EG und RGW zeigt, daß auch unsere östlichen Nachbarn mehr wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit den Ländern der Europäischen Gemeinschaft wollen. Aber die RGW-Partner leiden unter chronischem Devisenmangel. Überdies wird ihr Zugang zur EG durch Kontingente erschwert. Hier macht uns nun Herr Haussmann, der neue Bundeswirtschaftsminister, mit seinem Statement vom 28. Dezember 1988 einige Hoffnungen, in dem er erklärt: Waren aus Drittländern, die bisher infolge nationaler Einfuhrbeschränkungen sowie durch interne Schutzmaßnahmen am Zugang zu allen EG-Ländern gehindert werden, können dann ungehindert an jeden Ort der Gemeinschaft gelangen. Wir stimmen Herrn Haussmann grundsätzlich zu, und wir werden darauf achten, ob Wert- und Mengenkontingente, die den möglichen Exportsteigerungen der einzelnen RGW-Länder entgegenstehen, mit seiner Hilfe und der der Bundesregierung tatsächlich abgebaut werden können. Inwieweit die Stellung des deutsch-deutschen Handels die künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit unseren östlichen Nachbarn beeinflußt, bleibt abzuwarten. Am Sonderstatus wollen wir unbedingt festhalten. Dies ist in dem Protokoll zu den Römischen Verträgen ausdrücklich festgelegt. Die Bundesregierung aber muß alles tun, um die praktischen und politischen Auswirkungen der Vollendung des Binnenmarktes auf den deutsch-deutschen Handel so zu beeinflussen, daß sie diesen nicht beeinträchtigen, sondern fördern. Eine Hauptaufgabe unserer Politik, die auf mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa gerichtet ist, möchte ich abschließend erwähnen. Dies bleibt die Stärkung Berlins. ({4}) Die Berliner verfolgen den europäischen Integrationsprozeß mit wachsender Aufmerksamkeit. Denn Berlin hat Probleme. Wir haben 100 000 Arbeitslose in der Stadt. Die Zahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe ist im letzten Jahrzehnt drastisch zurückgegangen. ({5}) Der Strukturwandel der Berliner Wirtschaft hält an. Auch wegen der gekürzten Berlin-Förderung werden jetzt Investitionen vorgezogen, ({6}) die morgen fehlen können, Herr Kittelmann; daran denken Sie bitte, wenn Sie Tariferhöhungen, Gebührenerhöhungen und insbesondere beträchtliche Strompreiserhöhungen, die vor der Tür stehen, nicht vor den Wahlen verabschieden wollen. In dieser Lage muß Berlin alles tun, um seine Chancen im europäischen Binnenmarkt auszuloten. Diese Chancen sind nicht schlecht. Die Stadt hat attraktive Angebote seitens ihrer vielen kleineren und mittleren Betriebe, seitens derjenigen, die Dienstleistungen in der Stadt anbieten. Dies alles kann Berlins wirtschaftliche Standortbedingungen verbessern. ({7}) Das ist nicht nur wichtig, um junge Berliner dazu zu bewegen, in Berlin Unternehmen zu gründen oder überhaupt in Berlin zu bleiben, sondern ist auch wichtig, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Berlin in dem sich anbahnenden Prozeß der Annäherung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EG und den RGW-Ländern eine Rolle spielen kann. Beide, Ost und West, sollten ein Interesse daran haben, Berlins einzigartige geographische und politische Lage für sich zu nutzen. ({8}) Unter dem Dach des Viermächteabkommens ist Berlin als westliche, als dem Rechts-, Wirtschafts- und Finanzsystem des Bundes und der EG zugehörige Stadt anerkannt, liegt es mitten in der DDR und ist den osteuropäischen Ländern nahe. Dies bietet Chancen für all jene auf östlicher Seite, die Marketing- und Vertriebsverhalten, Produktion, Schulungs- und Bildungswesen auf westlichen Märkten studieren wollen, bietet aber auch Chancen für EG-Länder, die zunehmend den Markt Osteuropas „entdecken" werden, Chancen, in Berlin die Möglichkeiten des Ostgeschäfts zu studieren, Chancen für Fortschritte im Bereich der Geschäftsanbahnung, der Kontaktpflege usw. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Standortvorteile der Stadt deutlich in den politischen Dialog einzubringen ({9}) und stärker auf ihre Nutzung zu drängen sowie den Ausbau der EG zu einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die institutionelle Konsequenzen haben wird, dahin gehend zu nutzen, daß derartige Einrichtungen auch weiterhin in Berlin ({10}) angesiedelt werden. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung und der Senat über weite Strecken pragmatisch auf dem Boden sozialdemokratischer Entspannungspolitik ({11}) unser Verhältnis zur DDR verbessert haben und um praktische Fortschritte bemüht sind. Nunmehr, Herr Kittelmann, kommt es darauf an, Berlin als einen Bestandteil des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes in die Lage zu versetzen, eine wesentliche Rolle in diesem Prozeß der Annäherung und der sich vertiefenden Zusammenarbeit zu spielen. ({12}) Meine Damen und Herren, auf dieses Ziel sollten Sie Ihre Politik ausrichten. Sie können dabei mit unserer Unterstützung rechnen. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Heereman von Zuydtwyck. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der gemeinsame Binnenmarkt und die Bemühungen um ihn sind sicherlich das gesuchte Instrument, die Vereinheitlichung Europas weiter voranzutreiben. Es steht einer exportorientierten Nation wie der Bundesrepublik Deutschland gut an, sich hier wirklich zu engagieren. Bei einem Blick in dieses Hohe Haus kann man dieses Engagement zur Zeit sicher nicht feststellen. Aber auch wenige können Engagement bewirken. Ich meine, wir haben hier heute morgen erlebt, daß nicht nur diese Faszination zum Ausdruck gebracht wird, sondern daß man auch sehr engagierte Unterstützung gibt, wie es dankenswerterweise von der Kollegin Hellwig wirklich überzeugend getan wurde. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch für die deutsche Landwirtschaft ergibt sich die Chance, Ungereimtheiten und Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, die der Agrarpolitik seit Anfang der 60er Jahre das Leben sehr schwer gemacht haben. Die Agrarpolitik war aber auch der erste Bereich, in dem nationale Rechte voll auf die Gemeinschaft übertragen wurden. Wenn man, verehrter Herr Kollege Ehmke, vom Aberwitz der Agrarpolitik spricht, verkennt man die großen Vorleistungen, welche erst die gemeinsame Agrarpolitik für ein gemeinsames Europa ermöglicht haben. Ich räume ein: Das eine oder andere war aberwitzig; nur, ich würde bitten, es nicht als Überschrift zu verwenden. Für Getreide, Milch und Rindfleisch besteht seit mehr als 20 Jahren ein Binnenmarkt ohne Grenzen. Weil der Agrarpolitik bis zum Februar letzten Jahres praktisch keine anderen Politikbereiche gefolgt sind, ist es immer wieder zu Spannungen nicht nur in der politischen Auseinandersetzung hier in der Bundesrepublik, sondern auch zwischen den EG-Mitgliedstaaten gekommen. Deshalb lassen Sie mich aus den nachhaltigen Erfahrungen heraus, die wir gemacht haben, hier einiges sagen. Ich möchte dabei insbesondere darauf hinweisen, was dringend notwendig ist. Ein gemeinsamer Binnenmarkt ohne eine gemeinsame Währung wird Stückwerk bleiben. Ich kenne die Sorgen derjenigen, die auf die Gefahr hinweisen, man werde in eine Inflationsgemeinschaft eingebunden. Ich kenne aber auch die Gefahr einer europäischen Harmonisierung bei weiterhin national betriebener Finanz- und Währungspolitik. Entscheidungen in der Währungspolitik müssen meiner Meinung nach von vornherein gesucht werden, nicht aber erst am Ende des Einigungsprozesses. Man würde sonst das Pferd vom Schwanz aufzäumen, Grenzbarrieren zur Seite räumen und gleichzeitig Gefahr laufen, daß durch währungspolitische Manipulationen größere Hürden aufgetürmt werden. Solange es diese Gemeinsamkeit in der Währungspolitik nicht gab, mußte die Agrarpolitik beispielsweise das Währungsausgleichssystem hart verteidigen. Ich weiß, daß der Herr Bundeskanzler dies klar erkannt und deutlich herausgestellt hat. Dafür sind wir auch dankbar. Aber was die EG-Kommission in diesem Punkte zur Zeit vorbereitet, nämlich den Abbau des vorhandenen Ausgleichssystems ab 1992, ist politisch unklug und sollte dringend neu überdacht werden. Die Bundesregierung hat im Februar 1988 größte politische und finanzielle Anstrengungen unternommen, um den Weg hin zu einem europäischen Binnenmarkt vorzubereiten. Diesen Einsatz dadurch zu belohnen, daß den Bauern weiterhin währungspolitische Opfer abverlangt werden, ist schlecht einzusehen. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung gerade in dieser Frage weiterhin Härte zeigt. Zweite Feststellung: Ein Binnenmarkt 1992 ohne grundlegende Harmonisierung vieler Standards in den verschiedenen Rechts- und Politikbereichen ist kaum denkbar. Würde die EG nur bestimmte Mindestvoraussetzungen beim Umweltschutz, beim Tierschutz, im Lebensmittelrecht vorschreiben, es den Mitgliedstaaten aber überlassen, national schärfere Bestimmungen zu treffen, müßte das zu unerträglichen Wettbewerbsverzerrungen führen. Umweltschutz und Lebensmittelrecht sind in dieser Hinsicht kaum anders zu beurteilen als Tarifrecht und Mitbestimmungsfragen. Die Land- und Ernährungswirtschaft fürchtet, wenn ich es richtig beurteile, keinen fairen Wettbewerb in einem offenen Binnenmarkt, sondern sie fürchtet einen weiterhin unvollkommenen Binnenmarkt, auf dem Wettbewerbsverzerrungen an der Tagesordnung sind. Da geht es ihr wie allen übrigen Wirtschaftsbereichen in unserem Lande. Wenn wir alle den Binnenmarkt wirklich wollen, dann darf es keine nationalen Alleingänge in der Sozialpolitik, in der Umweltpolitik oder im Lebensmittelrecht geben. So war es auch richtig, daß Umweltminister Töpfer beispielsweise mit großer Hartnäckigkeit auf strikte Regeln für die Abgaswerte aller Pkws in der Europäischen Gemeinschaft eingetreten ist. ({0}) Zwar. darf aus der Sicht der Waldbauern hinsichtlich dieser Grenzwerte noch nicht das letzte Wort gesprochen worden sein, aber entscheidend ist, daß ein französischer Pkw die gleichen Werte einhalten muß wie ein deutscher. Ich habe deshalb auch Verständnis, daß die Landwirtschaft z. B. in der Frage des Einsatzes von Düngemitteln auf eine gleiche Behandlung drängen muß. Es kann doch nicht angehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln äußerst strengen Auflagen unterzogen wird, während in Großbritannien, Frankreich und Italien jedoch beide Augen zugedrückt werden. Das verträgt sich weder mit vorsorgender Umweltpolitik, die an den Grenzen nicht haltmachen darf, noch mit einer vorsorgenden Agrarpolitik. ({1}) Wir verschließen die Augen auch nicht vor notwendigen Anpassungen und strukturellen Veränderungen, die der Binnenmarkt 1992 in vielen Wirtschaftsbereichen beschleunigen wird. Denn der Binnenmarkt wird nicht nur Gewinner kennen, aber Opfer müssen für alle Gruppen der Gesellschaft tragbar bleiben, und wirtschaftliche sowie soziale Vorteile müssen gerecht allen Bevölkerungsgruppen zugute kommen. Die deutsche Landwirtschaft hat seit den 60er Jahren eine europäische Vorreiterrolle spielen müssen und dabei auch Opfer gebracht. Ich meine, meine verehrten Anwesenden, meine Damen und Herren, dies hat den Verbrauchern über Jahrzehnte mehr als stabile Nahrungsmittelpreise geboten, und sie wird sich daher auch in einem größeren Binnenmarkt zurechtfinden. Die nationale Politik darf ihr dann aber nicht mehr zumuten als den Kolleginnen und Kollegen in den Nachbarstaaten der Gemeinschaft. ({2}) Es muß möglich sein, auch in einem größeren Markt nationale und regionale Eigenständigkeiten zu bewahren. Gemeinsamer Markt bedeutet ja nicht Einheitsbrei. Gemeinsamer Binnenmarkt heißt nämlich auch kulturelle, strukturelle und wirtschaftliche Vielfalt zu erhalten und zu fördern. Wer durch unsere Dörfer und ländlichen Räume fährt, weiß, was ich damit meine. Die Bewohnerparteien des hier sehr viel zitierten europäischen Hauses müssen sich an eine gemeinsame Hausordnung gewöhnen, die anerkannt wird. Wie sie ihre Wohnung allerdings einrichten, sollte man jeder einzelnen Bewohnerpartei überlassen. Letztlich ist es zum Nutzen aller Bürger unseres Landes, wenn dann auch in einem größeren Binnenmarkt Bauernhöfe eine Zukunftschance erhalten. Daher setzt sich die CDU/CSU-Fraktion so vehement für die Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes ein, der auch für die Landwirtschaft unseres Landes große Chancen beinhaltet. Die größten Chancen auf der Grundlage des Binnenmarktes liegen aber in der Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Ordnungen und liegen damit in der Sicherung einer friedlichen Zukunft für unser Vaterland, für unser ungeteiltes Vaterland. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Schwörer, nun kann ich meine Absicht realisieren, die ich eben schon hatte, und Ihnen das Wort erteilen.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Wirtschaftspolitikern der Opposition ist heute morgen an Details des europäischen Binnenmarktes Kritik geübt worden. Deshalb möchte ich die Frage stellen: Könnten wir ohne den zugegebenermaßen noch unvollkommenen Binnenmarkt die der Wirtschaftspolitik aufgetragenen Ziele überhaupt noch mit Erfolgsaussicht anstreben, für Stabilität, Wachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik zu sorgen? Fangen wir einmal mit der Preisstabilität an. Die Bundesrepublik hat 1988 wieder ein glänzendes Ergebnis erreicht: 1,2 % Preissteigerungsrate, die beste Zahl in Europa. Grund war sicher die gute Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung, ({0}) zusammen mit der Bundesbank. Aber auch die preisdämpfende Wirkung der Importe, besonders aus dem EG-Raum, hat zur Stabilität beigetragen. ({1}) - Auch die preiswerten Nahrungsmittel, Herr Kollege Eigen. - Es hat sich positiv ausgewirkt, daß heute überall in Europa Stabilität betrieben wird, daß Europa zur Stabilitätsgemeinschaft geworden ist - eine alte Forderung unserer Fraktion. Selbst Portugal und Griechenland machen größte Anstrengungen zur Preisstabilität, ja, sie sind wegen des Binnenmarktes gezwungen, zu dieser Preisstabilität zu finden. Der Cecchini-Bericht sagt weitere Stabilitätsgewinne voraus. Durch größere Konkurrenz und Kostenvorteile, durch Wegfall der Grenzen sollen 6 % Preissenkung möglich werden. Das wäre ein gutes Ergebnis für unsere Verbraucher, das wir ebenfalls wünschen. Das zweite: das Wachstum. Europa leidet seit Anfang der 80er Jahre unter Wachstumssorgen. 1980 bis 1982 Stagnation und sogar Rezession, seit 1983 wieder ein bescheidenes Plus. Dabei brauchen wir ein kräftiges Wachstum für Arbeitsplätze, für Umweltschutz, für Entwicklung der schwachen Regionen, und das schaffen wir sicher nur über den europäischen Binnenmarkt. Offene Grenzen haben seit 1984 auch in der Rezession entscheidend zum neuen Wachstum beigetragen. Das kann man an den Zahlen ablesen: Je höher der Exportüberschuß ist, desto höher ist auch die Wachstumsrate. Die diesjährige mit 3,4 % geht mit einem Überschuß von 121 Milliarden DM einher, und davon entfallen fast 60 % auf die EG. Auch hier verspricht der Cecchini-Bericht einen Wachstumsgewinn von 5 % . Allerdings sagt er: Dazu müssen die Beschaffungsmärkte geöffnet, die Handelshemmnisse im technischen Bereich beseitigt und die Subventionen für unrentable Bereiche abgebaut werden. Das sind alles alte Forderungen, die wir in Europa aufgestellt haben. Weiterhin muß der Wettbewerb erhalten werden, vor allem auch, was der Herr Bundeswirtschaftsminister sehr klar ausgeführt hat, durch die Stärkung der kleinen und mittleren Betriebe. Ihre Investitionskraft, ihre Beweglichkeit und ihre Einsatzfreude sind entscheidende Wachstumsfaktoren. Wir wissen, daß dazu die Rahmenbedingungen besser werden müssen - auch darauf hat der Bundeswirtschaftsminister hingewiesen - , steuerliche Belastungen müssen vor allem dort abgebaut werden, wo sie die produktiven Investitionen hemmen. Bürokratische Hemmnisse müssen verringert werden. Besonders der mittelständische Unternehmer hat es schwer, sich mit schwierigen behördlichen Regelungen herumzuschlagen. Er sollte sich auf seine Führungsaufgabe im Betrieb konzentrieren können. Professor Giersch sagte vor kurzem in einem Zeitungsinterview: „In der EG darf man nicht die Frage stellen, wie viele Verordnungen müssen erlassen, sondern wie viele müssen gestrichen werden, um aus Europa einen großen Markt zu machen". Die Europäische Kommission neigt zu bürokratischen Regelungen; das wissen wir. Das wissen die Bauern, glaube ich, am allerbesten. Wir müssen unsere Aufgabe darin sehen, wachstumshemmende bürokratische Belastungen der EG von Bürgern und der Wirtschaft fernzuhalten. Drittens das außenwirtschaftliche Gleichgewicht. Die EG hatte 1988 eine einigermaßen ausgeglichene Leistungsbilanz. Nur 0,6 % des Sozialprodukts sehen wir als Überschuß. Dieses Ergebnis kam durch eine weltoffene Handelspolitik zustande, und das soll auch so bleiben. Eine Festung Europa - das ist heute schon öfters gesagt worden - darf es nicht geben, weder im Verhältnis zu den USA noch im Verhältnis zu den EFTA-Staaten noch im Verhältnis zu den Ostblockstaaten. Das gilt aber auch für die Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer müssen verbesserte Chancen erhalten, durch Hilfe zur Selbsthilfe zum Partner Europas zu werden. Ich glaube, wir haben hier in den letzten Jahren schon ein gutes Modell praktiziert, mit Portugal, Spanien, Griechenland und auch der Türkei. Diese Hilfen werden gerade laufend verbessert, damit diese Länder auch zu unserem Wohlstand aufschließen können. ({2}) - Und das Lomé-Abkommen, jawohl. Als letztes nun zur Vollbeschäftigung. Das ist das schwierigste Thema. Aber auch im Beschäftigungsbereich wissen wir, daß Europa für uns hilfreich war und auch in Zukunft sein wird. Ohne die enge Verflechtung mit Europa wären viele der 900 000 neuen Arbeitsplätze, die in den letzten vier Jahren in der Bundesrepublik zustande gekommen sind, nicht geschaffen worden. Der Cecchini-Bericht verspricht 2 bis 5 Millionen neue Arbeitsplätze durch den Binnenmarkt. Entscheidend - das haben Sie heute schon gesagt - wird sein, daß man eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreibt. Ich sehe sie vor allem darin, daß man verstärkte Investitionen durchführt, vor allem in Zukunftsindustrien, in Industrien, die durch ihr Programm, durch ihre Produkte, aber auch durch ihre moderne Ausstattung langfristig die Arbeitsplätze garantieren können. Dazu ist auch - das wissen wir - eine immer bessere Ausbildung unserer jungen Leute notwendig. Ich glaube, da haben wir in der Bundesrepublik mit unserem dualen System die besten Voraussetzungen, die beste Ausgangsposition, die wir weiterhin ausbauen wollen. Deshalb kann man sagen: Die Bundesrepublik ist für den gemeinsamen Binnenmarkt gut gerüstet. Das gilt vor allem hinsichtlich der personellen Voraussetzungen, hinsichtlich dessen, was Arbeitnehmer und Unternehmer anbelangt. Sie sind Aktivposten in dieser Rechnung. Aber es wäre gefährlich, sich in Sicherheit zu wiegen. Heute wurde schon gesagt, daß sich die anderen auch alle auf diesen Tag, den 1. Januar 1993, vorbereiten. Die Wirtschaft muß ihre Hausaufgaben machen. Ich bin überzeugt, sie tut das schon aus Selbsterhaltungstrieb. Aber wir in diesem Hause müssen daran ebenfalls mitwirken, und zwar - ich wiederhole das - durch die Erhaltung der Preisstabilität und damit der Konkurrenzfähigkeit, durch die Förderung des Wachstums - besonders im mittelständischen Be8746 reich - , durch die Ermöglichung eines weltweiten Wettbewerbs. Wir hoffen, daß wir damit auch unsere schwierigste Aufgabe gemeinsam lösen können, die darin besteht, Millionen von neuen Arbeitsplätzen zu schaffen, den 15,6 Millionen Arbeitslosen in der EG eine Hoffnung und besonders den 5 Millionen jugendlichen Arbeitslosen die sichere Aussicht auf eine persönliche und berufliche Existenz zu geben. Ich glaube, das letztere ist die wichtigste Aufgabe, die der Binnenmarkt stellt. Wenn wir diese Aufgabe lösen, haben sich die Investitionen für den Binnenmarkt am besten gelohnt. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rock.

Helga Brahmst-Rock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Derzeit erleben wir die Vorbereitung des europäischen Binnenmarktes, des E '92. Diesen Begriff hat Herr Haussmann ja heute geprägt. Jenem großen Gebilde der industriellen Wünsche und Interessen werden im Wortsinne die Wege geebnet oder die Straßen geschaffen für die Erschließung bislang unerschlossener Profite. Der Weg wird durch die Harmonisierung vorbereitet, was entweder - wenn es sich um technische Standards handelt - zum Wohle der Industrie oder - bei Maßen und Gewichten - den größten gemeinsamen Nenner oder - wenn es um soziale Standards geht - den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeutet. Der angepriesene Handel und Wandel freier Menschen in einem freien Europa führt schon jetzt zu den stärksten Konzernzusammenballungen, die die Geschichte der EG-Staaten je gesehen hat. Dieses Wirtschaftsleben, das die armen und weniger entwickelten Regionen Europas als billiges Arbeitskräftepotential zu nutzen gedenkt, wird bislang nicht bekannte Verkehrsströme erzeugen, die selbstverständlich auf Straßen abgewickelt werden sollen. Verkehrsleistungen der Straße werden nach wie vor weit unter Realpreis angeboten. Die Gesellschaft zahlt die Kosten der Umweltvernichtung, der Straßen und Sozialschäden. Bei dem Vorschlag des Bundesverkehrsministers zur Einführung einer Schwerverkehrsabgabe ging es daher auch nicht um die mögliche Reduzierung der Umweltbelastung durch den Lkw-Verkehr, sondern ausschließlich um die Verbesserung der Wettbewerbschancen deutscher Transportunternehmer. ({0}) - Wenn er beides gemeint hätte, hätte er eine andere Größenordnung nennen müssen. Dann hätte er sämtliche Kosten einbeziehen müssen. Harmonisierung an dieser Stelle bedeutet, daß die schon mangelhaften deutschen Vorschriften im sozialen Bereich und im Umweltschutzbereich den noch schlechteren anderen EG-Staaten angepaßt werden, d. h. sie werden nivelliert. Im Vordergrund stehen auch hier wirtschaftliche Interessen, die schon immer vor den Interessen der Bürger und Bürgerinnen Europas gestanden haben. Sie machen hier der EWG alle Ehre; es ist eben bloß eine Gemeinschaft der Wirtschaftsinteressen, nicht der Menschen. Dieses Handeln bzw. diese Untätigkeit geht zu Lasten der Verbraucher und Verbraucherinnen sowie der Umwelt. Sie werden beim europäischen Verkehrswegeplan auf der Strecke bleiben. Europaverbindungen, Europastraßen - es erhebt sich die Frage, in welchen Lebenszusammenhängen die Planer und Macher eines solchen Europa eigentlich leben. Die „normalen" Bürgerinnen und Bürger Europas fahren täglich ca. 30 km. Verkehr ist also in erster Linie Nahraumerschließung. Hier werden Bedürfnisse vorgegaukelt und geschaffen, die die Durchschnittsbürger vielleicht einmal jährlich anläßlich einer Urlaubsreise haben. Über die Auswirkungen von Tourismus, von Mobilität, ermöglicht durch das Auto, müßte auch europäisch diskutiert werden. Aber das ist auch nicht der Fall. Ich stelle also fest, auch auf europäischer Ebene gibt es keine aktive, lenkende, an den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen orientierte Verkehrspolitik. Es wird nach wie vor eine autoorientierte Politik betrieben. Sie schaffen ihr die Wege und stecken dann die Köpfe in den Asphalt und lassen die Verkehrswelle kommen, und sie wird kommen. Nach verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen, u. a. der Prognos AG in Basel, die auch von der Bundesregierung mit in Auftrag gegeben wurde, werden wir nach Vollendung des Binnenmarktes ca. ein Drittel mehr Lkw-Verkehr auf unseren Straßen haben, ({1}) wenn wir jetzt nicht eingreifen und handeln. Durch diesen mörderischen Verdrängungswettbewerb werden die europäischen Bahnen weiter an Boden verlieren. Sie werden viele Millionen Tonnen Fracht verlieren. Allein für die Deutsche Bundesbahn gehen die Schätzungen auf 15 Millionen Tonnen Frachtaufkommen weniger. Den dicksten Brocken werden die umweltzerstörerischen Lkw abschleppen. Dies wird u. a. dazu führen - diese Einschätzung wird vom Bundesumweltamt geteilt - , daß die durch den Einbau von Entstickungsanlagen in Kraftwerken verminderten Ausstöße von NOX durch die Mehrimmission aus Lkw wieder kompensiert werden. Damit ist auch dieser Teil der zaghaften Ansätze einer Umweltpolitik gescheitert. Also keine Einsparung an Schadstoffen trotz der vollmündigen Versprechen, unser aller Atemluft endlich wieder atembar zu machen. Meine Damen und Herren, es bedarf einer Verkehrspolitik, die gestalterisches Handeln erkennen läßt, die Verkehrsströme ökologisch verkraftbar macht. Es ist vereinzelt von Kollegen dieses Hauses mit vorwurfsvollem Blick auf die Alpenstaaten darauf hingewiesen worden, daß die Bundesrepublik ein Transitland ist. Das ist richtig. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, daß die Schweiz und insbesondere Österreich dahin gedrängt werden, weiter geduldig zu leiden. EG-Europa und auch die Bundesrepublik müssen ihre Verkehrspolitik ändern. Die Binnenverkehre der Einzelstaaten müssen vom Zwang vom Auto befreit werden, um dadurch Lärm- und Abgasbelastung zu verringern, Bodenversiegelung durch Straßenbauten zu verhindern. Müssen denn alle Fehler, die in der Vergangenheit in der bundesdeutschen Verkehrspolitik gemacht wurden, auf EG-Ebene wiederholt werden? ({2}) Daß es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Schweiz, die für ihre umweltorientierte Verkehrspolitik u. a. vom bundesdeutschen Verkehrsminister als Hemmnis begriffen und mit Drohungen belegt wird. Dort führt die Festsetzung von Schadstoffobergrenzen, welche die Städte einzuhalten haben, dazu, daß Obergrenzen für Verkehrsmengen festgesetzt werden. Dort ist der Verkehr nicht auslösender Faktor für Verkehrspolitik, sondern er wird von ihr gesteuert. Die Bundesregierung ist jedoch noch nicht einmal bereit, geltende europäische Regelungen zu vollziehen, z. B. die Richtlinie 85 203 EWG, die Schadstoffmessungen festlegt und auffordert, eine Reduktionsplanung vorzulegen. Eine solche Planung würde die Abkehr von Straßenbauprojekten genauso fördern wie eine gezielte Förderung von umweltschonenden Verkehrsmitteln. Auch die von der Bundesregierung so geschmähten Tempolimits gehören als Instrument der Schadstoffbegrenzung und -reduzierung dazu. ({3}) Für den Bereich des Straßengüterverkehrs würde das u. a. bedeuten: Festsetzung einer Schwerverkehrsabgabe, die aber auch die Folgekosten durch Umweltzerstörung und die sozialen Folgekosten einbezieht; eine Festsetzung der Tonnageobergrenze bei 24 t; ein generelles Nachtfahrverbot. Für den gesamten Bereich des Verkehrs hieße das u. a.: Förderung der Bahnen Europas; Festsetzung von Normen der Abgasbelastung auf dem jeweils technisch höchsten Niveau als US-Norm oder kalifornische Norm, und nicht etwa diese schlaffe Norm, die wir jetzt auf EG-Ebene haben. In einer solchen Verkehrspolitik würde sich der Wille niederschlagen, des Problems gestalterisch Herr zu werden. Diesen Willen kann ich aber derzeit bei der Regierungskoalition beim besten Willen nicht erkennen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegin Rock, ich teile Ihren Euro-Pessimismus in gar keiner Weise. Wir wollen dieses Europa und werden es anstreben und auch erreichen. Aber ich frage mich umgekehrt: Sie müssen sich eigentlich in dieser Bundesrepublik sehr wohl fühlen, wenn Sie dieses Horrorgemälde des zukünftigen Europa malen. Aber ich sage Ihnen auch eines dazu. Sie werden jedenfalls dieses Europa nicht benutzen können, um Ihre verqueren ideologischen Vorstellungen dann auf dem Wege durchzusetzen. ({0}) Es reizt mich, das am Anfang hier zu sagen. Dieses Europa als Europäischer Binnenmarkt ist eine große Herausforderung. Zu all den anderen Problemen, die hier sachlich behandelt worden sind, gehört auch der Verkehr, mit dem wir uns hier speziell beschäftigen müssen, d. h. der freie Verkehrsaustausch, der eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Mobilität insgesamt, auch für das Wirtschaften in diesem Europäischen Markt, ist. Ich glaube, daß wir gerüstet sind, damit fertig zu werden. Das setzt aber voraus, daß wir in diesem Europa Chancen- und Wettbewerbsgleichheit schaffen, daß wir zugleich das erreichen, was wir Liberalen wollen, nämlich die Deregulierung und Liberalisierung in diesem Europäischen Markt. ({1}) Das gilt insbesondere und mit den größten Schwierigkeiten im Straßengüterverkehr, das gilt für den Luft- und Bahnverkehr, für den Schiffsverkehr in der gleichen Weise, nur da sind wir schon einen Schritt weiter. Da haben uns die Betroffenen z. B. in der Binnenschiffahrt einiges voraus. Dieser Verkehrsmarkt ist eine große wirtschaftliche Potenz - das wird sehr häufig, jedenfalls in der öffentlichen Diskussion, vergessen -, in dem wir insbesondere mit unseren Nachbarn in den Niederlanden konkurrieren. Es wird, wie ich finde, zu großen positiven, praktischen Erleichterungen im Straßengüterverkehr führen. Es wird notwendig sein, für unsere Unternehmer die Voraussetzungen für Wettbewerbsgleichheit zu schaffen -die Abschaffung der Wettbewerbsverzerrungen ist unser größtes Problem - , damit sie diesen Konkurrenzkampf bestehen können. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung 1987 - ich verzichte darauf, das jetzt zu zitieren - deutlich gemacht, daß der Schritt der Liberalisierung in Europa verbunden sein muß mit den Notwendigkeiten der Harmonisierung im politischen, technischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und steuerlichen Bereich. Wir müssen anstreben, daß es zu einem erheblichen Abbau von bürokratischen, technischen und administrativen Handelsbarrieren kommt. Wir müssen aber auch auf der anderen Seite einsehen, daß unser eigenes Straßenverkehrsgewerbe zum Beispiel bis heute traditionell bedingt in einem abgeschotteten Markt arbeitet, daß wir ein Tarifsystem haben, das nicht aus der Geschichte der Bundesrepublik stammt, sondern weit davor gegründet ist, daß dieses Tarifsystem über den Marktpreisen liegt - Fachleute sagen: bis zu 20 % -, daß wir eine Marktordnung haben, die dieser Marktwirtschaft nicht entspricht. Das heißt, die Öffnung zum Europäischen Binnenmarkt bedeutet zugleich auch die Liberalisierung und Deregulierung eines marktwirtschaftlich notwendigen Raumes in unserem eigenen Verkehrsgewerbe. Diese Marktordnung ist, wie Sie wissen, einmal geschaffen worden, um die Schiene vor der Straße zu schützen. Heute kann davon eigentlich keine Rede mehr sein. Es wird höchste Zeit, das zu verändern. Wir werden also in Europa einen freien Marktzugang haben, und das halte ich für eine ganz wesentliche Voraussetzung. Wir werden eine freie Preisbil8748 dung haben und nicht mehr den Reichskraftwagentarif und das Konzessionierungsunwesen, das heute den Markt bestimmt. Aber wir müssen auch daran denken, daß wir die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen im Interesse unserer deutschen Verkehrswirtschaft beseitigen können und beseitigen. Sie liegen im wesentlichen im steuerlichen Bereich. Wenn der deutsche Unternehmer etwa für einen genormten Lkw mehr als 10 000 DM an öffentlichen Abgaben und sein Kollege in den Niederlanden - um unseren Hauptkonkurrenten zu nehmen - ungefähr 3 500 DM zu leisten hat, dann wird deutlich, daß das ein erheblicher Kostenfaktor ist, der zur Wettbewerbsverzerrung führt. Wir haben als FDP den Vorschlag gemacht, die Kraftfahrzeugsteuer für diese Schwerst-Lkw abzusenken, um mit unseren Nachbarn, mit denen wir den Binnenmarkt gestalten wollen, auf ein europäisches Niveau zu kommen. Wir haben uns in der Koalition nicht durchsetzen können. Ich sage das hier ganz offen und ganz deutlich. Ich bedaure das sehr, weil ich glaube, daß wir den besseren Vorschlag gemacht haben. Ich bin der Überzeugung, daß diese Straßenbenutzungsgebühr oder die Schwerverkehrsabgabe, die die SPD seit bald 20 Jahren als ihr Lieblingskind pflegt, kein Fortschritt auf dem Wege zu einem Europäischen Binnenmarkt ist, ({2}) daß sie die Wettbewerbsnachteile der Deutschen eher verstärkt, daß sie im Grunde genommen zu mehr Bürokratie führt und, was viel wichtiger ist, daß sie natürlich auch zu einer überflüssigen Verteuerung der Beförderungsleistungen in diesem Europäischen Binnenmarkt führen wird. Das heißt, daß es am Ende zu einem Standortnachteil der Bundesrepublik kommen wird. Deshalb hat die FDP an die EG appelliert, und meine Hoffnung besteht immer noch, daß die EG-Kommission vielleicht vernünftiger ist als wir in der Koalition und einen Vorschlag für eine europäische Lösung macht, die diesen nationalen Alleingang einer Straßennutzungsgebühr entbehrlich macht. Dafür gibt es erste Anzeichen. Vielleicht ist das über die Europa-Vignette möglich, die nach den jeweiligen fiskalischen Belastungen in den Ländern abstuft. Ich habe jedenfalls die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß es gelingt, die unterschiedlichen Belastungen aus Mineralölsteuer, Kraftfahrzeugsteuer und sonstigen Steuern aufzuheben, wenngleich der erste Vorschlag, Herr Verkehrsminister, sicher noch nicht unseren Idealvorstellungen und auch nicht Ihren entspricht. Ich hoffe, daß Sie der Pflicht enthoben werden, dem Kabinett irgendwann tatsächlich einen Entwurf betreffend Straßennutzungsgebühr vorzulegen. Wir haben immer deutlich gemacht, daß wir harmonisieren wollen. Ich glaube auch, daß wir dabei Erfolge erzielt haben. Wir sind - jetzt darf ich den Verkehrsminister wieder loben - in der Angleichung der technischen Vorschriften sehr weit vorangekommen. Das ist ein wichtiger Vorteil. Wir sind in der Anpassung der sozialen Vorschriften weitergekommen. Wir sind - das war vielleicht die größte Tat - mindestens auf dem Weg, die Einhaltung dieser Übereinkünfte zu kontrollieren. Vorschriften sind geduldig. Wenn sie nicht konntrolliert werden, werden sie nicht eingehalten, und dann liegt der Wettbewerbsnachteil wieder bei uns, da wir natürlich immer kontrollieren. Ich meine, hier haben wir in der Tat Fortschritte erzielt, was die technische Angleichung, die soziale Angleichung und auch die notwendigen persönlichen Voraussetzungen, etwa die Berufszugangsvoraussetzungen im Verkehrsgewerbe angeht. Ich glaube - um auch das noch zum Verkehrsgewerbe zu sagen - , das deutsche Verkehrsgewerbe ist so leistungfähig und hochqualifiziert im persönlichen Bereich, aber auch so technisiert, daß wir keine Befürchtungen haben müssen, ob wir diesen Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt bestehen. Allerdings muß ich auch von unseren Unternehmern erwarten, daß sie sich dieser Herausforderung stellen und das notwendige Maß an Flexibilität mitbringen. Dafür gibt es jetzt schon gute Beispiele. Das Verkehrsgewerbe ist nicht so uniform, wie man es manchmal aus Verbandsmeinungen entnehmen könnte. Es gibt hier schon viele große und auch viele kleinere und mittlere Unternehmen, die sich längst angepaßt haben und z. B. wissen, daß man über das reine Transportgewerbe hinaus andere Dienstleistungen - Stichwort: Logistik - anbieten muß, daß man damit arbeiten und damit auch eine ganze Menge Geld verdienen kann. Ich glaube also, wir können im EG-Binnenmarkt im Straßengüterverkehr bestehen. Ein Wort zum Luftverkehr. Hier ist die Liberalisierung schon weiter fortgeschritten. Sie muß fortgesetzt werden. Das bedeutet konkret: Wir brauchen eine freiere Tarifgestaltung, auch im Interesse des Preises. Wir brauchen eine bessere Kontingentfestsetzung zwischen den einzelnen Gesellschaften. Wir brauchen einen besseren Marktzugang. Wir werden Kabotageregelungen schon bald einführen können. Ich denke, es tritt endlich einmal ein wirklicher Wettbewerb auf diesem Sektor ein. Die ersten Anzeichen sprechen dafür. Es gibt Neugründungen von Gesellschaften. Ich betone aber auch, daß nach Auffassung der FDP hier ein Gesichtspunkt nicht vernachlässigt werden darf, und zwar gerade nach den Erfahrungen anderer Länder, die dereguliert haben. Ich denke an Amerika. Sosehr wir Wettbewerb, Tariffreiheit, Preisfreiheit, Zugangsvoraussetzungen, Streckennetze wollen, so wenig darf der Sicherheitsstandard außer acht gelassen werden. ({3}) Wir können auf gar keinen Fall wollen, daß in irgendeiner Weise die Sicherheit des Luftverkehrs zugunsten eines marktwirtschaftlichen Denkens im EG-Markt geopfert wird. Wir wollen das nicht. Deshalb betone ich das hier so deutlich. Ich sehe schon das Licht vor mir blinken. Ich muß daher all das weglassen, was ich Ihnen gern noch über Flugsicherung gesagt hätte. Ich glaube, auch hier haben wir einen großen Nachholbedarf, zu mehr europäischer Koordination bei der Flugsicherung - Stichwort EUROCONTROL - zu kommen. Im Verkehrsausschuß gibt es einen breiten Konsens der Fraktionen, das alsbald zu tun. Es geht auch um eine Neustrukturierung der Bundesanstalt für Flugsicherung. Ich denke, im Februar kommen wir zu konkreten BeGries Schlüssen, die dann das Haus hier beschäftigen werden. Ich bin da sehr optimistisch. Lassen Sie mich, Herr Präsident, wenn Sie gestatten, wenigstens noch ein Stichwort nennen: die Bundesbahn, die für uns ja ein Sorgenkind ist. Ich sehe auch für die Bundesbahn im europäischen Binnenmarkt eine große Chance. Die großen Strecken, die großen Entfernungen, die zu überwinden sind, sind der Bundesbahn eigentlich auf den Leib geschnitten - nicht nur dem Lkw und dem Flugverkehr, sondern gerade auch dem Schienenverkehr. Wir müssen also möglichst schnell zu einem europäischen Schnellverkehrsnetz kommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es ein Unterschied ist, ob Sie ein Stichwort erwähnen oder unter einem Stichwort längere Ausführungen machen. ({0})

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich dieses Stichwort jetzt mit zwei Sätzen zu Ende führen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich denke also, daß die Bahn im kombinierten Ladungsverkehr in diesem europäischen Schnellverkehrsnetz eine große Chance hat. Insgesamt glaube ich eben - das ist fast symbolisch für alle anderen Verkehrswege und Verkehrsträger - , daß man wirklich sagen kann: Europa soll auf einer Schiene fahren. Das ist unser Ziel, und das werden wir wohl auch schaffen. Ich teile also, liebe Kollegin Rock, nicht Ihren Pessimismus, sondern ich bin optimistisch, daß wir dieses Europa auch zum Nutzen unseres eigenen Landes und unserer Bürger gestalten können. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verkehrspolitik gehört zweifellos zu den schwierigeren Problempunkten im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt. Entsprechend sachlich sollten wir sie auch miteinander diskutieren, und so ist es bisher auch geschehen. Der gemeinsamen Verkehrspolitik ist im Blick auf das Jahr 1993 die Aufgabe gestellt, den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in der Verkehrswirtschaft zu verwirklichen. Dies bedeutet die Öffnung der internationalen und nationalen Verkehrsmärkte und die Beseitigung aller Diskriminierungen für Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten. Für die Verkehrswirtschaft in der Bundesrepublik - Herr Kollege Gries, ich stimme Ihnen zu - bedeutet Binnenmarkt einen radikalen Umbruch. An zwei tragende Säulen der deutschen Verkehrswirtschaft und Verkehrsmarktordnung, die mengenmäßigen Beschränkungen und die obligatorischen Tarife, wird - jeweils im internationalen Verkehr - die Axt angelegt. Dies bedeutet Chancen und, wenn es nicht gelingt, die Wettbewerbsbedingungen in Europa anzugleichen, erhebliche Risiken. Chancen bedeutet es deshalb, weil der Binnenmarkt für mehr Warenaustausch und damit für eine größere Transportnachfrage sorgen wird; Chancen aber auch insofern, als unsere Verkehrswirtschaft leistungsfähig und flexibel ist und sich mit ihren Standorten in dem Gebiet mit dem größten Transportaufkommen in nächster Kundennähe befindet. Risiken birgt der Binnenmarkt wegen einer Reihe von Wettbewerbsverzerrungen - das ist keine Frage - , vor allem im steuerlichen Bereich. Wir appellieren deshalb mit Nachdruck an die Bundesregierung: Lassen Sie nicht zu, daß unsere Verkehrsunternehmen einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt werden. Wenn es nicht gelingt, hier insbesondere durch eine Steuerharmonisierung für Abhilfe zu sorgen, steht die Existenz vieler kleiner und mittlerer Betriebe auf dem Spiel. ({0}) Gefährdet werden damit aber auch die Arbeitsplätze der rund 295 000 Arbeitnehmer im deutschen Güterkraftverkehr, deren Interessen bisher nicht mit dem gehörigen Nachdruck berücksichtigt worden sind. ({1}) Die schärfere Konkurrenz im europäischen Verkehrsmarkt wird natürlich zu verstärktem Druck auch auf diese Menschen führen. Es ist zu befürchten, daß sich Tendenzen verstärken werden, die Lenk- und Ruhezeiten noch weniger als schon heute einzuhalten. ({2}) Es liegt auf der Hand, welche gefährlichen Konsequenzen dies für die Verkehrssicherheit und für die Gesundheit der Fahrer hätte. ({3}) Dabei sind die Beschäftigungsbedingungen im Güterkraftverkehr schon heute mehr als bedenklich, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Die höchstzulässige Arbeitszeit beträgt 244 Stunden pro Monat. Nach Angaben der Gewerkschaft ÖTV arbeiten mehr als 77 To der Fernfahrer länger, teilweise mehr als 300 Stunden. Angesichts dieser schweren Arbeitsbelastung ist es mir übrigens nicht verständlich, Herr Bundesminister Warnke, weshalb die Bundesregierung im europäischen Ministerrat auch noch einer Verlängerung der täglichen Lenkzeit von acht auf neun Stunden und zweimal wöchentlich auf zehn Stunden zugestimmt hat. ({4}) Ich glaube, das ist der falsche Weg, Verständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern für das größere vereinigte Europa zu finden. Natürlich, Kollege Gries, wird auch die Deutsche Bundesbahn gefährdet. Die Kapazitätsausweitung im Güterkraftverkehr und schärfere Konkurrenz werden zu einem erheblichen Druck auf die Bahn führen; die Kollegin Rock hat das zu Recht angesprochen. Sie haben von der Tonnage gesprochen; ich will einmal vom Preis, von den Finanzen reden: Die Deutsche Bundesbahn selbst schätzt die zu erwartenden Einnahmeausfälle auf 400 bis 800 Millionen DM pro Jahr. Diese Risiken machen die Sanierung der Bahn übrigens noch dringender als zuvor. Ich glaube, mit halbherzigen Maßnahmen, wie sie der Bundesverkehrsminister am 13. Januar angekündigt hat, ist der Bahn wenig gedient. Die „Süddeutsche Zeitung" nannte die Ankündigung „entlarvend", daß eine Kommission von Sachverständigen zwei Jahre Zeit bekommen solle, um über die Kosten des Schienenwegs und über weitere Zukunftsfragen der DB nachdenken zu können. Ich zitiere die Ausgabe vom 14. Januar wörtlich: Das ist schlicht Zeitschinderei, mit der man über den Termin der nächsten Bundestagswahl hinwegkommen will. Bei der Bahn liegen seit vielen Jahren alle Fakten glasklar auf dem Tisch, ohne daß daraus die richtigen Konsequenzen gezogen wurden. Eine neue Kommission ist aus diesen und anderen Gründen überflüssig. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie das SPD-Zukunftsprogramm für die Deutsche Bundesbahn mit seinen konkreten Vorschlägen für die Kapitalbereinigung bei der DB, die Übernahme der überhöhten Versorgungslasten, die Übernahme der Verantwortung für die Eisenbahninfrastruktur, die volle finanzielle Verantwortung des Bundes für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen und die Modernisierung der Führungsstruktur der DB übernehmen würde. ({5}) Herr Kollege Bohl, damit auch Sie auf Ihre Kosten kommen, möchte ich jetzt einen Punkt ansprechen, bei dem wir alle, glaube ich, unsere seitherige Zurückhaltung etwas aufgeben sollten: Ich meine, daß die Verwirklichung des Binnenmarkts auch die Herstellung eines europäischen Verkehrswegenetzes erforderlich macht. Es muß doch eigentlich jedem einleuchten, daß es zu einer harmonischen Abwicklung des Verkehrs zwischen den Mitgliedstaaten nicht kommen kann, wenn der eine Staat seine Investitionen schwergewichtig in die Schiene steckt, seine Nachbarn aber aus andersgelagertem Interesse den Straßen Priorität geben. Wer in Deutschland die Überlastung der Straßen vermeiden will, der muß jetzt dafür sorgen, daß nicht nur bei uns und in Frankreich, sondern auch in Dänemark und - nebenbei bemerkt - in Schleswig-Holstein, in den Niederlanden und in Belgien, in den Alpen und in Italien in die wichtigen Eisenbahnstrekken investiert wird. ({6}) Natürlich darf hier nicht Gießkannenwirtschaft betrieben werden, sondern es dürfen nur Projekte finanziert werden, die ohne die Hilfe der EG nicht verwirklicht würden und die für den internationalen Verkehr und im Interesse der gesamten Gemeinschaft unverzichtbar sind. Lassen Sie mich ein Wort zur Schiffahrt sagen: Seit Beginn der 80er Jahre ist der Anteil der in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft registrierten Seeschiffe in der Welthandelsflotte von fast 30 % auf knapp 15 % gefallen. Die Zahl der EG-Seeleute ist in gleicher Weise drastisch zurückgegangen. Die Gemeinschaft muß darauf achten, daß dieser Trend schnellstens zum Stillstand kommt. Sie braucht für die Wahrnehmung ihrer Außenhandelsinteressen und aus Gründen der Versorgungssicherheit eine europäische Handelsflotte. Europäische Seeleute und in Europa registrierte Flotten müssen also eine faire Chance erhalten. ({7}) Ich will hier nicht nochmals auf das umstrittene deutsche Zweitregister eingehen, über das der Bundestag mit der Mehrheit der Regierungsparteien entschieden hat. Es nimmt aber doch wunder, daß die Bundesregierung, der doch nach ihren Beteuerungen das Schicksal der deutschen Flotte und der deutschen Seeleute so am Herzen liegt, bei der ersten Anwendung des Gemeinschaftsrechts zum Schutze dieser Flotte eine höchst unschlüssige Haltung eingenommen hat. Zu entscheiden war im Rat über eine gegen eine koreanische Reederei gerichtete Ausgleichsabgabe die in der Australienfahrt den europäischen Reedern durch eine unlautere, extrem niedrige Preisbildung das Leben sauer machte. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß die Bundesregierung diese Entscheidung des Rats vom 4. Januar 1989 nicht mitgetragen hat. Hier haben offenbar die Interessen der Exportwirtschaft die Oberhand behalten. Das war der falsche Weg, europäische Politik zu machen. Wenn es richtig ist - ich habe die Befürchtung, daß es so ist - , daß bisher noch wenige Bürgerinnen und Bürger bereit sind, im Juni zur Europawahl zu gehen und sich dafür motivieren zu lassen, dann kommt es auf zwei Dinge an: erstens darauf, daß es uns gelingt, ihnen zu vermitteln, daß es für diesen Kontinent und für dieses Land keine Zukunft ohne gemeinsames Europa gibt, zweitens darauf, daß wir die Phantasie und die Kraft haben, die Probleme, die mit diesem Prozeß einhergehen, zu bewältigen. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg zum gemeinsamen Binnenmarkt ist - hier stimme ich Herrn Kollegen Antretter zu - schwierig und mühsam. Es ist aber notwendig, ihn zu gehen, und zwar nicht für Profite und Konzerne, Frau Kollegin Rock, sondern für Europas Bürger. Erst mit dem Urteil zur Einführung der Dienstleistungsfreiheit im internationalen Verkehr der Gemeinschaft und den nachfolgenden Beschlüssen auf europäischer Ebene kam soviel Schwung in die Verkehrspolitik, daß die jahrelange Untätigkeit überwunden werden konnte. Es ist eindeutig das politische Verdienst von Bundeskanzler Kohl und der von ihm geführten Bundesregierung, daß die jahrelangen ergebnislosen und unfruchtbaren Diskussionen über Harmonisierung und Liberalisierung in konkrete Beschlüsse umgesetzt wurden. ({0}) Die Gemeinschaft der zwölf Staaten ist ein Markt mit 320 Millionen Verbrauchern und für die Verbraucher, für niemand anders. Ein gemeinsamer Verkehrsmarkt ohne mengenmäßige Beschränkung gehört notwendigerweise zu dem einheitlichen Wirtschaftsraum, bei dem die Grenzhindernisse beseitigt werden sollen. Die Marktordnung dieses europäischen Verkehrsmarkts wird vom Wettbewerb bestimmt sein. Deshalb wird der historisch gewachsene deutsche Ordnungsrahmen in der Verkehrswirtschaft nicht von heute auf morgen abgeschafft, sehr wohl aber in Richtung Wettbewerb weiterentwickelt werden. Es wird in einigen Jahren auch nicht mehr möglich und sinnvoll sein, die Fiktion zweier getrennter Märkte und Marktordnungen - national und grenzüberschreitend - , wenn wir die Grenzen beseitigen wollen, aufrechtzuerhalten. Es ist richtig, daß das überwiegend mittelständisch strukturierte Verkehrsgewerbe, daß Unternehmer und Mitarbeiter gleichermaßen heute die berechtigte Sorge haben, den härteren Wettbewerb, den sie in Form von Mengen und Preisen gar nicht gewohnt sind, auf diesem größeren Markt nicht erfolgreich bestehen zu können. Deshalb bemühen wir uns, das Güterkraftverkehrsgewerbe so fit zu machen, daß es den Binnenmarkt nicht zu fürchten braucht. Ein Beratungs- und Informationssystem soll eingerichtet werden, um kleine und mittlere Unternehmen beim Eintritt in den Binnenmarkt zu unterstützen. Auch dies wird ein Beitrag zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Verkehr sein; denn viele unserer Unternehmen haben hier ein Defizit an Kenntnissen und unternehmerischen Erfahrungen. Die Hauptforderung des Gewerbes, die von allen Wirtschaftsverbänden unterstützt wurde, die ich ebenfalls für am sinnvollsten ansehe - hier stimme ich dem Kollegen Gries zu - , ist eine Absenkung der überhöhten deutschen Kraftfahrzeugsteuer für schwere Nutzfahrzeuge auf ein durchschnittliches europäisches Niveau; denn unbestritten gehört diese Steuer neben den unterschiedlichen fiskalischen Belastungen beim Kraftstoff zu den größten Wettbewerbsverzerrungen. Dies kann mit einem einzigen Beispiel erläutert werden. Ein Spediteur in den Niederlanden, der seinen 38-Tonnen-Lkw im Jahr 120 000 km bewegt, hat allein wegen der niedrigeren Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer um 15 000 DM geringere Kosten als ein deutscher Wettbewerber. Dies ist eine Wettbewerbsverzerrung, die wir beim Eintritt in den Gemeinsamen Markt beseitigen müssen. Vieles ist in der Vergangenheit harmonisiert worden - Kollege Gries hat es aufgezählt; ich brauche es nicht zu wiederholen -, aber die fiskalischen Verzerrungen blieben. Die Kommission versucht jetzt, vom Nationalitätsprinzip der Besteuerung, wonach jeder Verkehrsunternehmer in dem Staat, in dem sein Fahrzeug zugelassen ist, besteuert wird, zum Territorialitätsprinzip überzugehen. Da mit zunehmender Integration des europäischen Verkehrsmarktes immer mehr Verkehrsunternehmer die Verkehrswege anderer Mitgliedstaaten benutzen, sei, so die Kommission, das Nationalitätsprinzip für die Besteuerung nicht mehr angebracht. Mit der Änderung der Besteuerung will man sowohl die fiskalischen Verzerrungen innerhalb und zwischen den Verkehrsträgern abbauen als auch eine gerechte Anlastung der Wegekosten an die tatsächlichen Benutzer erreichen. Auch die in vielen Staaten zu unserem Mißvergnügen erhobenen Autobahngebühren sollen in diese globale Regelung einbezogen werden. Das ist zweifellos ein origineller Ansatz. Ob er in Europa mehrheitsfähig sein wird, das kann man heute nicht sagen. Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat empfohlen, den Vorschlag abzulehnen - mit großer Mehrheit, sogar einstimmig, glaube ich - , da sowohl die Richtlinie als auch die Mitteilung über die Anwendung des Territorialitätsprinzips mehr Fragen aufwirft, als an Antworten gegeben wird. Die Verfasser geben ja freimütig zu, daß eine steuerlich so tiefgreifende Veränderung nicht im Handumdrehen vollzogen werden kann, da folgende Fragen beantwortet werden müssen: Erstens. Wie werden die Straßenbenutzungsgebühren in Steuern einbezogen? Zweitens. Werden Plaketten oder Vignetten ausgegeben, oder wird mit Hilfe neuer Technologien ermittelt? Drittens. Nach welchen Schlüsseln werden die Einnahmen verteilt? Viertens. Wie kann eine Ausgleichskasse funktionieren? Fünftens. Welche Kosten sind zu decken? Angesichts einer so schwierigen Regelung meine ich, man hätte es einfacher haben können. ({1}) Gerade die letzte Frage muß einvernehmlich geklärt werden: Wie ist der Begriff „Wegekosten" zu definieren, und nach welchen Methoden sollen sie ermittelt werden? Denn erst, wenn man dies weiß, kann man sie gerecht anlasten. Allen deutschen Verkehrspolitikern ist klar, daß der Straßengüterverkehr seinen Anteil am Verkehrsaufkommen gegenüber den anderen Verkehrsträgern, vor allem der Bahn, weiter erhöhen wird. Die Zukunftschancen des grenzüberschreitenden Verkehrs in einem dynamischen Markt, der alle ökonomischen Vorteile der Arbeitsteilung und des Warenaustausches wahrnehmen kann, sind groß. Die Sorge der deutschen Unternehmer liegt darin, daß sie nicht wissen, wie sie in einem härteren Wettbewerb dann bestehen können, wenn zu den vielen hohen Kosten in der Bundesrepublik die von mir genannten Wettbewerbsverzerrungen noch hinzukommen. Wer über Europa redet, kann und muß über die neue Position der Bundesbahn und generell der Eisenbahn in Europa sprechen. Rieseninvestitionen zum Bau von Schnellbahnstrecken in ganz Europa werden derzeit begonnen. Man kann euphorisch von einer Renaissance der Bahn sprechen. Herr Kollege Antretter hat natürlich nicht recht, wenn er sagt, daß im Augenblick, wenn wir über die Rolle der Bahn sprechen, alle Fakten glasklar auf dem Tisch liegen. Die Bundesbahn benötigt nicht nur Sympathien, sie benötigt, wenn sie als ein modernes Unternehmen im Markt bestehen will, vor allem eine aussagefähige Kostenrechnung. Daß ein Riesenunternehmen dieser Größenordnung diese nicht vorlegen kann, ist bedauerlich und spricht nicht für den Eigentümer Bund und für diejenigen, die vor uns politische Verantwortung hatten und die Verkehrspolitik bestimmt haben. ({2}) Es reicht auch überhaupt nicht, Herr Kollege Antretter, wenn die SPD große Dinge ins Programm schreibt und hinterher oder auch vorher nichts, aber auch gar nichts zur Realisierung tut. Deshalb hätte es Ihnen gut angestanden, in diesem Fall den Bundesverkehrsminister Warnke zu loben; denn mit der Entscheidung, die sogenannten Altschulden der Deutschen Bundesbahn in Höhe von 12,6 Milliarden DM in Bundesschulden zu überführen, tut er lediglich das, was in längst vergangenen Jahren Willy Brandt in einer Regierungserklärung schon einmal gefordert hat, was aber nie getan wurde. ({3}) Darüber hinaus war Bundesminister Warnke sehr erfolgreich in dem Bemühen, Beiträge für die Fahrwegausgaben zu gewähren. Wenn in absehbarer Zeit die Ausgestaltung der Wegeabgabe festgelegt wird, soll dabei berücksichtigt werden, daß auch Dritte, beispielsweise nichtbundeseigene Eisenbahnen oder europäische Nachbareisenbahnen, auf den Schienen in der Bundesrepublik fahren können. Es ist also keineswegs so, daß bei uns einseitig in Straßenverkehrswege investiert wird. Die Chancen der Bahn liegen gerade beim zunehmenden Verkehr darin, daß der weiterhin wachsende Verkehr in einer mobilen und arbeitsteiligen Gesellschaft sowohl auf der Straße wie auch in der Luft an seine infrastrukturellen Grenzen stößt. Es ist die Chance der Bahn, als pünktliches, sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel tätig zu sein. Es ist eine Binsenwahrheit, daß kein Verkehrsträger allein imstande ist, die Anforderungen an ein wirklich rationelles Verkehrssystem zu erfüllen. Richtig ist auch, daß der Wettbewerb der Verkehrssysteme Wasser, Straße, Schiene, Luft nicht im luftleeren Raum erfolgt, sondern auf die Infrastruktur angewiesen ist. Deshalb lassen Sie mich abschließend, wie es auch Herr Kollege Gries getan hat, noch die Stichworte zum Luftverkehr und zur Binnenschiffahrt nennen. Die Binnenschiffahrt leidet unter Überkapazitäten und versucht, in einer europaeinheitlichen Abwrackaktion Kapazitätsanpassungen vorzunehmen. Im Luftverkehr muß das starre System sehr viel flexibler werden. Ohne hier die amerikanische Deregulierung zum Vorbild zu nehmen, wollen wir die Flugtarife lockern und den Wettbewerb intensivieren. ({4}) Die Fluggesellschaften sollen niedrigere Tarife anbieten können, und die Regierung eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft soll kein Veto mehr gegen niedrige Flugpreise einlegen können. Die zukünftige europäische Luftmarktordnung muß bei der Ausweitung der Kapazitäten Rücksicht auf die Infrastrukturengpässe bei den Flughäfen und im mitteleuropäischen Luftraum nehmen. Die Erfahrungen des Sommers 1988 haben gezeigt, daß eine gemeinsame europaweite Verkehrsflußsteuerung über die Grenzen der EG hinaus notwendig sein wird, um die Engpaßprobleme zu überwinden. Zum Abschluß meiner Bemerkungen will ich auf das Wichtigste hinweisen: Wenn wir im wirtschaftlichen Bereich Menge und Preise deregulieren, so heißt das keineswegs, daß wir bereit sind, im Bereich der Sicherheit auf der Straße und in der Luft auch nur irgendwelche Abstriche hinzunehmen. Für uns ist es klar, daß wir im europäischen Markt von unseren hohen Verkehrssicherheitsstandards nicht abgehen. Deshalb haben wir verschärfte Bedingungen für den Transport gefährlicher Güter eingeführt, und wir werden in Zukunft auch allen Wert darauf legen, daß wir im Bereich der Sicherheit eine vorbildliche Funktion in der Europäischen Gemeinschaft wahrnehmen können. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Heute, vier Jahre vor dem Inkrafttreten des gemeinsamen Verkehrsmarktes, können wir feststellen: Wir halten den Fahrplan ein. In zwei Kernbereichen sind große Liberalisierungsfortschritte erzielt worden: 1987 das Luftfahrtpaket, im vergangenen Jahr unter deutschem Vorsitz die De-facto-Liberalisierung des Straßengüterverkehrs. Die Bundesregierung hat in der europäischen Verkehrspolitik stets auf den gesamtpolitischen Zusammenhang geachtet. Ordnungspolitisch galt es für uns, aus den schlimmen Erfahrungen, die wir in Europa mit Werften, mit Stahl, mit Kohle beim Subventionswettlauf gemacht haben, die Lektion zu ziehen. Europa darf im Verkehrsmarkt kein Europa des Subventionswettlaufs sein. Herr Kollege Gries, ich habe mit Genugtuung gehört, daß der Koalitionspartner die Entscheidungen trotz abweichender Meinung in Disziplin mittragen will. Ich hätte es natürlich noch lieber, wenn das nicht nur aus Disziplin, sondern aus Überzeugung geschähe. Deshalb möchte ich Sie bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Weder auf der Straße noch in der Luft noch im Seehafenbereich können wir den Gemeinsamen Markt mit Milliardensubventionen eröffnen. Deshalb hat die Bundesregierung in der Tat die Kommission voll unterstützt und sich zum Grundsatz der Wegekostendeckung bekannt, wonach derjenige, der Schwerlasttransporte durchführt, auch die Kosten - und es sind enorme Kosten, die er verursacht - deckt. Er ist so leistungsfähig, daß er keine Subventionen braucht. Wir werden die Flugsicherungskosten durch An-und Abfluggebühren und nicht aus dem Haushalt decken. Auch der Umweltschutz gebietet, den umweltproblematischen Verkehrsträgern Straße und Luft die durch die sie verursachten Kosten anzulasten. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Umweltauswirkungen des Straßenkraftverkehrs - das gilt für Pkw wie für Lkw - erfordern die Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten, eine Schadstoffreduzierung herbeizuführen. Die Bundesregierung ist, so wie sie in der Europäischen Gemeinschaft im automobilen Umweltschutz Speerspitze und Rammbock gewesen ist, auch in der Zukunft bereit, durch Überzeugungsarbeit die Spitzenreiterrolle fortzusetzen. ({0}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie brauchen keine Sorge zu haben, weder auf der roten noch auf der grünen Seite, daß dabei nach unten nivelliert wird. ({1}) Es wird im Umweltschutz nicht nach unten nivelliert werden, und es ist, Herr Kollege Antretter, in der Frage der Sozialvorschriften nicht nach unten nivelliert worden. Wir haben, und das vor Jahr und Tag, die zulässige Gesamtzeit, die ein Mann hinter dem Steuer sitzen darf, von 92 Stunden auf 90 Stunden in 14 Tagen reduziert. Wir haben bei dieser Gelegenheit mehr Flexibilität im Einzelfall geschaffen. Das halte ich für eine vernünftige Entwicklung. ({2}) - Das ist gar keine Frage des Glaubens; das können Sie nachlesen, weil es so ist. In der Wettbewerbspolitik, meine Damen und Herren, ermöglicht die Straßenbenutzungsgebühr die von Ihnen gewünschte Senkung der Kraftfahrzeugsteuer auf das europäische Niveau und damit die Herstellung von Wettbewerbsgleichheit. Das Straßenverkehrsgewerbe ist zumindest bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nun einmal ein ganz überwiegend mittelständisch strukturiertes Gewerbe. Wir brauchen im europäischen Verkehrsmarkt Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der mittelständischen Fuhrunternehmer. Damit sich diese kleinen und mittleren Verkehrsunternehmen im Binnenmarkt behaupten können, sollen sie an die Möglichkeiten der Marktinformation durch eine Hilfe in der Beratung und Kommunikation herangeführt werden, durch Einrichtung eines modernen Datenverarbeitungssystems, das es ihnen ermöglicht, die Chancen von Kopenhagen bis Palermo, von Lissabon bis nach Athen zu nutzen. Die Bundesregierung will bei der Entwicklung dieses Systems Starthilfe leisten. Europa erlebt in der Tat - ich nehme das Wort auf, das hier gefallen ist, ich glaube, von Ihnen, Herr Kollege Haungs - eine Renaissance der Bahn. Die Anbindung Großbritanniens zu Land auf dem Schienenweg - und nur auf dem Schienenweg - durch den Ärmelkanaltunnel, die Umstellung der spanischen Breitspur auf europäische Normalspur und jetzt in den letzten Tagen die sich abzeichnende Einigung auf einen Basistunnel durch den Brenner mit 55 Kilometern Länge zwischen Innsbruck und Franzensfeste, der längste Tunnel der Welt: Das alles sind Zeichen. Europa will, daß die Schiene auch nach dem Jahr 2000 ihren Anteil am europäischen Verkehrswachstum hat. Wir haben im Dezember des vergangenen Jahres, Herr Kollege Antretter, im EG-Ministerrat europäische Infrastrukturausgaben, Gemeinschaftsaufgaben, mit dem Schwerpunkt beschlossen, die moderne Hochleistungsbahn zu fördern: in Großbritannien, in Frankreich, in Belgien, in Italien, um damit den Beitrag zur Zukunft der Schiene zu leisten. Die Bundesregierung tut dies auf nationaler Ebene durch ihre Politik. Dazu werde ich dem Kabinett die Beteiligung an den Fahrwegausgaben der Deutschen Bundesbahn und eine Entlastung von Altschulden in Höhe von 12 600 Millionen DM vorschlagen. Nun habe ich von Ihnen, Herr Kollege Antretter - das ist nicht Ihres Amtes als Opposition - keine Weihrauchschwaden für die Regierung erwartet. ({3}) Aber da in der Regierungserklärung von Willy Brandt 1969 drinstand, Herr Huonker - ich hatte Gelegenheit, sie selber mitzuhören -, daß diese Altschulden vom Bund übernommen werden sollten, und es 20 Jahre gedauert hat, von denen Sie 13 Jahre die Gelegenheit dazu gehabt hätten, und wir es jetzt erledigen, hoffe ich, daß Sie etwas Verständnis dafür haben, daß die strukturellen Umgestaltungen, an die wir uns jetzt machen, eine sorgfältige Vorbereitung erfordern. Sie werden in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die verkehrssichere und umweltfreundliche Binnenschifffahrt mit ihrer überdurchschnittlichen Leistung im Gefahrgutbereich bleibt für Deutschland und für seine Nachbarn unverzichtbar. Eine Kapazitätsbereinigung zur Stärkung ihrer Überlebenschancen steht auf der Tagesordnung der Gemeinschaft in diesem Jahr. Positive Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Handelsflotte sind zwingend geboten. Ich erwarte von der neuen Kommission neue Impulse, insbesondere auch Maßnahmen zur Kostensenkung und zur wettbewerbsrechtlichen Freistellung der Konsortien in der Linienschiffahrt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch im Verkehrsmarkt kann von einer Festung Europa keine Rede sein. Das Gegenteil ist wahr. In der Flugsicherung setzt die Bundesregierung auf eine die Gemeinschaftsgrenzen nach Norden und nach Süden überschreitende Zusammenarbeit zwischen Eurocontrol und der europäischen Zivilluftfahrtkonferenz. Der Ausbau der Hochgeschwindigkeitsverbindung nach Berlin ist für die Bundesregierung nicht ein Ziel in sich selbst, sondern erster Schritt zur Durchtrassierung nach Warschau und Moskau. Bei zwei Treffen mit Kollegen aus den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe haben wir in diesem Jahr die Verkehrszusammenarbeit auf Ministerebene aufgenommen. Deutschland unterstützt ein solches Treffen 1989 nun auch im Ostblock selbst. Damit bekundet die Bundesregierung: Europäische Verkehrspolitik ist kein Nullsummenspiel. Wir werden durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Skandinavien, mit dem Mittelmeerraum und mit den Staaten Osteuropas dafür sorgen, daß alle einen Gewinn von dieser Gemeinschaftsleistung haben. Wir werden vor allem den Menschen in diesen Ländern einen Schritt zur Erfüllung ihrer Erwartungen weiterhelfen können, daß die unnatürliche Teilungslinie im Herzen unseres Kontinents überwunden wird. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen heute eine lange Debatte über europäische Fragen, und wir arbeiten vieles auf, was im vergangenen Jahr liegengeblieben ist. Das ist gut so; aber besser wäre es gewesen, wir hätten manche Dinge nicht so lange liegenlassen. Ein Blick auf das Datum der Drucksachen, die wir heute hier behandeln, beweist nicht gerade, daß wir im Deutschen Bundestag die europäischen Fragen mit der Intensität behandeln, die sie verdienen. Gewiß, die Einheitliche Europäische Akte und die Probleme, die bei der Schaffung des Binnenmarktes noch vor uns stehen und gelöst werden müssen, sie haben doch viele Kolleginnen und Kollegen, die früher bei dem Wort Europa nur milde gelächelt haben, aufgeweckt und ihnen deutlich gemacht, daß die Zeiten, da der Deutsche Bundestag die meisten Europavorlagen mit dem Wort „Kenntnisnahme" erledigt hat, vorbei sein müssen. Ich mache mir keine Illusionen über die Möglichkeiten des Deutschen Bundestages, Einfluß auf die Entscheidungen in der Europäischen Gemeinschaft zu nehmen. Sie sind bescheiden genug. Ich bedauere es, daß der Deutsche Bundestag Vorstellungen meiner Fraktion beim Ratifikationsgesetz für die Einheitliche Europäische Akte nicht gefolgt ist und dem Bundestag nicht wenigstens die Rechte gesichert worden sind, die der Bundesrat für sich errungen hat. ({0}) Aber das ist leider der Schnee von gestern. Wir müssen, so meine ich, die wenigen Rechte, die wir haben, so extensiv nutzen wie nur irgend möglich. Das heißt, wir müssen uns auch öfters hier im Plenum mit den wichtigen Fragen beschäftigen, die jetzt in Europa anstehen. Wir müssen das auch tun, um der schleichenden Entparlamentarisierung und damit auch Entdemokratisierung in der Europäischen Gemeinschaft entgegenzuwirken. Aber auch dann, wenn wir das tun, muß man wissen: Die nationalen Parlamente werden kein Ersatz für das Europäische Parlament sein können. Die Entparlamentarisierung und Entdemokratisierung der EG kann auf Dauer nur beseitigt werden, wenn das Europäische Parlament die Rechte erhält, die in demokratischen Gemeinwesen - ein solches ist ja die Europäische Gemeinschaft - Parlamenten zustehen. ({1}) Mit Recht stellt das Europäische Parlament in einer Entschließung vom Juli des vergangenen Jahres fest, daß die Machtausübung des Ministerrates nicht den Erfordernissen der parlamentarischen Demokratie entspricht, und mit Recht stellt das Europäische Parlament in dieser Entschließung auch fest, daß die Gesetzgebungstätigkeit des Rates fortlaufend neue Zuständigkeitsbeschränkungen der nationalen Parlamente ({2}) und somit eine fortlaufende Einschränkung der parlamentarisch-demokratischen Rechte in der Gemeinschaft mit sich bringt. Nun höre ich immer wieder die Beteuerungen der Bundesregierung, daß dies geändert werden müsse, daß dem Europäischen Parlament mehr Rechte zugestanden werden müßten. Der Bundeskanzler sagt das, und der Bundesaußenminister will, so habe ich es in der Zeitung gelesen, seinen ganzen Einfluß dafür einsetzen, daß das im Juni zu wählende Europaparlament durch eine Reform der Europäischen Gemeinschaft Rechte begründen kann. ({3}) Vom Bundeskanzler habe ich irgendwann in einer Rede gehört, daß er für mehr Rechte des Europäischen Parlaments eintreten will, ({4}) auch wenn die nationalen Parlamente und damit auch der Deutsche Bundestag Rechte abgeben müssen. ({5}) Nun bin ich sehr dafür, daß der Deutsche Bundestag einmal Rechte an ein Europäisches Parlament abtritt, aber das ist nicht die Frage von heute. Wir als Abgeordnete wären schon glücklich, wenn das Europäische Parlament die Rechte erhielte, die die nationalen Parlamente inzwischen schon verloren haben, ({6}) und zwar deshalb verloren haben, weil eben immer mehr für alle Mitgliedstaaten geltende Gesetze im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft verabBrück schiedet werden. Ich muß dem Bundeskanzler sagen: Richtig ist, daß der Ministerrat Rechte abtreten muß. ({7}) Das Europäische Parlament muß das Legislativorgan der Europäischen Gemeinschaft werden. ({8}) Zumindest muß es gleichberechtigt neben dem Ministerrat bei der Verabschiedung der Gesetze mitwirken. Nun wird man mir entgegenhalten, es komme ja nicht nur auf uns Deutsche an, die Bundesregierung sei ja guten Willens - ich habe eben auch das Nicken des Herrn Bundesaußenministers gesehen - , aber wir seien da ja nicht allein. Ich denke, daß die Bundesregierung ihren guten Willen unter Beweis stellen kann, und zwar nicht nur, indem sie im Sinne der Veränderung der bestehenden Verträge aktiv wird, um mehr Rechte für das Europäische Parlament zu schaffen. Durch die Einheitliche Europäische Akte ist der Einfluß des Europäischen Parlaments zwar nicht in dem erwünschten Maße, aber doch gestärkt worden. Er kann noch mehr gestärkt werden, wenn die Bundesregierung dem Europäischen Parlament hilft. Die Einheitliche Europäische Akte hat nämlich in den EWG-Vertrag einen Passus eingefügt, der folgenden Wortlaut hat: Hat das Parlament den gemeinsamen Standpunkt des Rates abgelehnt, so kann der Rat in zweiter Lesung nur einstimmig beschließen. Nur einstimmig kann also in einem solchen Fall der Ministerrat das Veto des Parlaments überwinden. Ich fordere die Bundesregierung auf, in einem solchen Fall den Willen des Parlaments zu respektieren und dadurch zur Geltung zu bringen, daß sie im Ministerrat die erforderliche Einstimmigkeit verhindert. Ich weiß, das ist ein unkonventioneller Ratschlag. Aber ich denke, im Interesse des Prinzips der parlamentarischen Demokratie wäre es gut, wenn die Bundesregierung ihn befolgen würde. Mehr Rechte des Europäischen Parlaments sind nach meiner Auffassung auch erforderlich, um die Gemeinschaft weiter vorwärtszubringen in Richtung auf eine Europäische Union. ({9}) Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die vor uns liegenden Probleme in Europa nur lösen können, wenn wir diese Europäische Union schaffen. Ich bin ferner der festen Überzeugung, daß wir gewisse Entscheidungen nur fällen können, wenn wir die Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Gemeinschaft verändern; denn natürlich gibt es in der Europäischen Gemeinschaft - wie in allen Gemeinwesen - unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Auffassungen, wie man Konflikte lösen kann, und Konflikte werden in demokratischen Staaten eben durch Mehrheitsentscheidungen gelöst. Ich denke, das muß auch für die Europäische Gemeinschaft gelten. Dabei werden sich unsere deutschen Vorstellungen nicht immer durchsetzen können. Es wird Entscheidungen geben, die meinen Vorstellungen nicht entsprechen. Aber das ist so in parlamentarischen Demokratien. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß es heute in dieser Welt noch wirklich souveräne Staaten gibt, die ihre Probleme alleine lösen können. Die Probleme, vor denen wir stehen, sind grenzüberschreitend. Der Nationalstaat kann sie nicht mehr lösen. Ich nenne das Beispiel Umwelt. Lassen Sie mich sehr persönlich sagen: Für meine Familie und für mich sind bessere Umweltgesetze, die auch in Frankreich gelten, fast wichtiger als Umweltgesetze, die sich auf die Bundesrepublik Deutschland beschränken. Wenn man an der deutschfranzösischen Grenze wohnt - in der Regel weht der Wind bei uns aus dem Westen -, dann hilft einem die Tatsache, daß es ja eine Grenze zwischen Deutschland und Frankreich gibt, gegen Umweltbelastungen überhaupt nichts. Diejenigen, die gegen eine Europäische Union und gegen eine Übertragung von Kompetenzen auf die Gemeinschaft sind, weil sie befürchten - ich sage das in Richtung der Fraktion DIE GRÜNEN -, daß im Umweltbereich niedrigere Standards eingeführt werden könnten, irren sich, wenn sie glauben, daß die Umwelt langfristig durch Kleinstaaterei in Europa verbessert werden kann. ({10}) Natürlich müssen wir uns bemühen, die höchstmöglichen Umweltstandards in Europa einzuführen. Natürlich ist es auch ärgerlich, Herr Bundesverkehrsminister, wenn sich andere gegen unsere Vorstellungen wehren, wo wir glauben, wir seien die Spitzenreiter. Trotzdem sage ich: Manchmal wäre es auch gut, wir Deutsche kehrten zuerst vor der eigenen Tür, ehe wir den anderen Vorwürfe machen. Ich denke, unsere Forderung nach Einführung des Katalysators würde wesentlich mehr Gewicht bekommen, wenn wir unsererseits unseren europäischen Partnern folgten und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf unseren Autobahnen einführten. ({11}) Das ist nur ein Beispiel. Ich sage noch einmal: Es ist auch in der europäischen Politik gut, ab und zu vor der eigenen Tür zu kehren. Meine Damen und Herren, dem Plenum liegt eine Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses vor, in der es heißt, daß der Deutsche Bundestag unverändert die Einigung Europas als den historischen Auftrag der europäischen Völker sieht. In dieser Beschlußempfehlung wird der am 14. Februar 1984 vom Europäischen Parlament angenommene Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union, der ja - das wissen wir - der entscheidende Anstoß für den Abschluß der Einheitlichen Europäischen Akte war, als eine geeignete Ausgangsbasis für den weiteren Einigungsprozeß gesehen. In unserer Beschlußempfehlung wird die Bundesregierung aufgefordert, die erforderlichen Initiativen in den europäischen Institutionen zu ergreifen, die das Europäische Parlament in die Lage versetzen sollen, im Auftrag des Europäischen Rates und der Regierungen der Mitgliedstaaten einen Entwurf für eine Euro8756 päische Union auszuarbeiten. Mir hat es - damit komme ich auf das zurück, was ich zu Beginn gesagt habe - ein bißchen zu lange gedauert, ehe wir über diese Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses abstimmen können, die immerhin vom Juni des vergangenen Jahres stammt. ({12}) Mir hat es aber auch zu lange gedauert, bis der Auswärtige Ausschuß überhaupt Stellung genommen hat. ({13}) Denn es wäre besser gewesen, wir hätten unsere Meinung zu dem Vertragsentwurf von 1984 noch in der vergangenen Legislaturperiode gesagt. ({14}) Aber auch das ist der Schnee von gestern. Wichtiger ist, was wir künftig tun. Ich bin dann sicher, daß wenigstens heute diese Beschlußempfehlung, mit der die Europäische Union gefordert wird, eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag finden wird. Ich wünsche mir, daß diese Beschlußempfehlung nicht einfach abgelegt wird, zu den Akten, sondern daß die Bundesregierung auch das tut, was der Deutsche Bundestag von ihr erwartet. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Stercken.

Dr. Hans Stercken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002246, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es gerechtfertigt wäre, die Veränderungen im Verhältnis zwischen den Supermächten sowie allen anderen am Ost-West- und Nord-Süd-Verhältnis beteiligten Staaten allein auf den Wunsch nach Abrüstung zu reduzieren. Eine solche Betrachtungsweise würde der Rolle nicht gerecht, die die Europäische Gemeinschaft bei der Entwicklung des Verhältnisses beider Teile Europas zueinander gespielt hat. Auf diesem Kontinent wird der Unterschied zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Systeme in Ost und West besonders augenfällig. Der Dialog zwischen beiden Teilen Europas wird heute von der Frage bestimmt, in welchem Umfang die sozialistische Wirtschaft Elemente einer freiheitlichen und erfolgreichen Wirtschaftsordnung übernehmen kann, ohne, wie man dort heute noch sagt, auf die marxistisch-leninistische Theorie verzichten zu müssen. Ein Prozeß ist jedenfalls im Gang. Er sollte die Zuversicht der Staaten der Europäischen Gemeinschaft stärken, die bereits ein gemeinsames Haus mit großer Anziehungskraft gebaut haben: eine Friedensordnung, die diesen Namen verdient, weil Konflikte zwischen diesen zwölf Staaten nicht mehr denkbar sind. Europa sollte daher Selbstvertrauen, mehr Selbstvertrauen zeigen. Die Wandlungen, die wir begrüßen, sind Wirkungen einer, wie ich meine, revolutionären europäischen Politik. Wer das Wort „revolutionär" für unangemessen hält, dem ist die neue Qualität der Strukturen und damit auch der Politik insgesamt entgangen. Heute gewährleistet die Gemeinschaft oft nur Information und Koordination bei der Wahrung ihrer außenpolitischen Interessen. Politische Union setzt jedoch voraus, daß Sicherheit und Außenbeziehungen gemeinsam definiert und dann auch vertreten werden - welchen Sinn hätte sonst die Formel, das Europa mit einer Stimme sprechen sollte? Die Gemeinschaft wird die legitimen Interessen ihrer Mitgliedstaaten dann auch nach außen hin zu vertreten haben. Italie- ner, Spanier oder Dänen sind davon ebenso betroffen wie die Deutschen, die ihre Selbstbestimmung und ihre nationale Einheit im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses gewahrt wissen wollen. Die Ziele der Gemeinschaft stehen nicht im Gegensatz zu den Zielen unserer Verfassung. ({0}) Freiheit und Einheit der Europäer, - dies ist gleichbedeutend mit Freiheit und Einheit aller Deutscher. Berlin ist Bestandteil der Europäischen Gemeinschaft. Durch den innerdeutschen Handel zieht auch die DDR beträchtlichen Nutzen aus der Europäischen Gemeinschaft. Verbindungen und Bindungen werden deutlich, die auch Ost und West in Europa einander näherbringen können. Eine Friedensunion muß sich als eine Gemeinschaft begreifen, die ihren Frieden allen vermittelt, Frieden auf der Grundlage von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Dies ist die Hausordnung in der Europäischen Gemeinschaft. Die zwölf Parteien, die heute bereits dieses gemeinsame Haus bewohnen, werden sich nicht gegen neue Mieter streuben, aber sie werden dafür nicht ihre Hausordnung ändern. ({1}) Diese Gemeinschaft zwölf demokratischer europäischer Staaten ist die Ursache dafür, daß wir über Jahrzehnte hin den Frieden unter uns und mit anderen haben konnten. Viele haben das vergessen. Sie verstehen nicht mehr, welche Spannungen einmal abgebaut worden sind, ohne deren Beseitigung ein großer Teil der europäischen Energien weiterhin für Rivalitäten von gestern verschwendet worden wären. Kritiker, vor allem aus den sozialistischen Staaten, die seinerzeit die EG als Mittel des Imperialismus und des Kalten Krieges diffamiert hatten, erkannten unterdes, daß der Friede nur duch Zusammenarbeit mit dieser Gemeinschaft organisiert werden kann. Doch Zusammenarbeit ist etwas sehr Konkretes. Die Gemeinschaft orientiert sich nicht an Ideologien. Ihre Stärke ist die Verbindung von Marktmechanismen mit einem Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit. Wo ein Markt mit dem System nicht in Einklang steht, ist er auch durch verbale Kraftakte nicht zu schaffen. Ich sage das nicht hämisch. Nicht durch Ausklammern der Probleme sichern wir eine positive Entwicklung, sondern durch ein offenes Wort über die erforderlichen Prozesse, die bei weiterem Festhalten an erfolglosen Ideologien nicht stattfinden werden. Zu unserem Verständnis von Freiheit und Freizügigkeit gehört auch die Qualität, die wir unseren nationalen Grenzen geben. Was wir heute schon erreicht haben und morgen an völliger Freizügigkeit schaffen werden, ist für unsere Gesprächspartner in den sozialistischen Staaten teilweise unvorstellbar. Wir sollten das unseren Besuchern zeigen. Die Grenzen zwischen den sozialistischen Staaten unterscheiden sich ja kaum von denen zwischen Ost und West: Wachtürme, Stacheldraht, sogar Schießbefehl, eine andere Form von Todesstrafe. Das alles ist von einem gemeinsamen Haus leider noch sehr weit entfernt. Dies ist kein Plädoyer gegen die europäische Gemeinsamkeit, die alle Menschen dieses Kontinents schon durch die Inanspruchnahme der gemeinsamen Kultur aller dieser Länder erspüren und die sie leben wollen. Natürlich wissen wir, was die russische, polnische, tschechoslowakische, ungarische Literatur, Musik, Kunst für uns alle bedeutet, und wir erkennen hier keine geistigen Linien der Trennung. Gemeinsamkeit ist nicht nur ein emotionaler Begriff, sondern bedeutet Gemeinsamkeit in der Anerkennung und Anwendung von gemeinsamen Wertvorstellungen und Werthaltungen. Die europäische Elle, meine Damen und Herren, mit der wir alles messen werden, was sich zwischen dem Atlantik und dem Ural entwickeln wird, ist nicht ein Maß für weniger Freiheit oder Freizügigkeit, für bedenkliche Kompromisse oder erfolglose nationalistische Rezepte des 19. Jahrhunderts, nein, die Schaffung der europäischen Union war und ist wahrscheinlich die größte Revolution unseres Jahrhunderts, eine Revolution, die zum Erfolg geführt hat und nicht zur Restauration, eine Revolution der Freien, die Trennendes überwinden, die Rivalisierendes versöhnen, die Frieden durch Zusammenarbeit sichern wollen. Wie schön wäre es, wenn auch andere diese Lektion einer leidvollen Geschichte begreifen würden! Dazu haben Kollegen schon Stellung genommen. Am Vorabend der dritten direkten Wahlen für ein Europäisches Parlament muß es gelingen, unseren Bürgern deutlich zu machen, daß ihr Leben in Freiheit und Frieden eine Folge dieser zukunftsorientierten Politik ist, damit sie ihren persönlichen Bezug zu diesem parlamentarischen und politischen Geschehen begreifen. Nur eine Fortsetzung des Einigungsprozesses, wie wir ihn mit unseren Vorlagen anstreben, wird Europa das Gewicht geben, das seinen Beitrag zur Gestaltung des Friedens verstärkt. Diese ungebrochene geistige und wirtschaftliche Kraft Europas muß in verstärktem Umfang dem Ost-West- und dem Nord-Süd-Dialog zugewandt werden. Größere Gemeinsamkeit bedeutet auch konstruktiven Einsatz für europäische Sicherheit und Abrüstung, um den Grad der Sicherheit zu erhöhen. Mehr Zusammenarbeit erleichtert das Gespräch mit allen anderen Partnern in der Welt, mit denen wir mehr Austausch wollen, nicht mehr Protektionismus. Mehr Gemeinsamkeit erfordert auch Stärkung der parlamentarischen Zusammenarbeit und damit des Europäischen Parlaments. Diese Debatte muß unsere Bereitschaft dazu stärken. Wie sollten sonst unsere Bürger erkennen, daß sie am 18. Juni 1989 nicht nur Parteien wählen, sondern auch für Europa stimmen? ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe davon gehört, Herr Kollege Ehmke, daß Sie heute morgen meine Abwesenheit bemerkt haben. Ich habe die Gelegenheit noch wahrgenommen, mit dem sowjetischen Außenminister zu sprechen. Aber es hat gutgetan, zu wissen, daß Sie mich vermißt haben. ({0}) Es ist vielleicht ein Zufall, aber es ist doch symbolisch, daß wir im Deutschen Bundestag über die Fortschritte im Prozeß der europäischen Einigung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sprechen und daß zur gleichen Zeit in Wien die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit stattfindet. Man kann beides nicht voneinander trennen. Man kann mit guten Gründen sagen, Europa ist in Bewegung geraten, unsere Europäische Gemeinschaft. Europa ist in Bewegung geraten durch die Reformentwicklung in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Staaten. Europa ist in Bewegung geraten durch eine neue Dynamik in den West-Ost-Beziehungen. Unsere Europäische Gemeinschaft hat sich als ein attraktives Modell erwiesen. Sie ist die höchste Form der Zusammenarbeit souveräner Staaten. Aber zu dieser höchsten Form gehört auch, daß eine Gemeinschaft demokratisch verfaßter Staaten ein mit allen Rechten ausgestattetes Europäisches Parlament hat. Darüber kann kein Zweifel bestehen. ({1}) Ich denke, manche Zurückhaltung, Kompetenzen nach Europa zu übertragen, beruht darauf, daß die Sorge besteht, daß parlamentarische Kontroll- und Entscheidungskompetenzen auf nicht parlamentarische Organe übertragen werden können. Das kann nicht unser Ziel sein. Unser Ziel muß vielmehr sein, von Parlament zu Parlament zu übertragen. Die Bundesregierung wird dem nicht nur nicht im Wege stehen, sondern sich darum bemühen. ({2}) Wenn wir von der Attraktivität unserer Europäischen Gemeinschaft sprechen, so möchte ich diese Attraktivität nicht beschränkt sehen auf die größere ökonomische Leistungsfähigkeit, sondern ich möchte sie in der Gesamtheit dessen sehen, was die Gemeinschaft unserer Demokratien ausmacht. ({3}) Es ist auch die Attraktivität unseres demokratischen Modells, die Attraktivität der Menschenrechte, die Attraktivität der Werte, die Attraktivität einer pluralistischen Gesellschaft. ({4}) Die Reformentwicklung in den sozialistischen Staaten sollten wir auch nicht auf den Versuch reduzieren, diese Gesellschaften wirtschaftlich effektiver zu machen. Hinter dieser Entwicklung steht mehr. Wir als Angehörige freier Gesellschaften sollten doch wissen, daß es gar nicht möglich ist, eine Gesellschaft wirtschaftlich effektiver zu machen, wenn nicht auch die Menschenwürde, die Menschenrechte, die Selbstbestimmung des einzelnen einen größeren Freiraum und größere Anerkennung bekommen. Beides gehört doch zusammen. ({5}) Ich denke, daß wir in unserem Urteil auch zu kurz greifen, wenn wir sagen, alles, was dort geschehe, geschehe unter dem Zwang der ökonomischen Notwendigkeiten, sozusagen aus Verzweiflung, weil es keinen anderen Weg mehr gebe. Meine Damen und Herren, auch das sind die Formen der Feindbilder, die wir langsam ablegen sollten. Nicht nur bei uns bestimmen Wertvorstellungen politisches Handeln. Trauen wir doch bitte auch Verantwortlichen in anderen Staaten mit anderen Systemen zu, daß sie erkennen, daß die Besinnung auf die Werte Europas, daß europäische Selbstfindung ihnen selbst guttut, daß sie also nicht nur mehr wirtschaftliche Effektivität wollen, sondern daß sie tatsächlich auch mehr Freiheit und mehr Bewegungsmöglichkeit für ihre eigenen Bürger wollen. ({6}) Ich denke, nur dann werden wir die Reformentwicklung in der Sowjetunion in ihrer ganzen Tragweite richtig einschätzen können. Anders wäre es nicht denkbar, daß wir im menschenrechtlichen Bereich bei dieser Konferenz so bedeutende Fortschritte haben erzielen können. Lassen Sie uns die drei Menschenrechtskonferenzen in Paris, in Kopenhagen und in Moskau nutzen, um auf diesem Wege weiterzugehen. Wenn der sowjetische Außenminister heute eine wirklich bedeutende Rede über seine Vision zu Europa gehalten hat, wenn er dort vom Eisernen Vorhang spricht und sagt, dieser Eiserne Vorhang bekomme jetzt nicht nur immer mehr Löcher, nein, er zerfalle, meine Damen und Herren, was bedeutet das denn? ({7}) Das bedeutet Öffnung in Europa. Deshalb muß auch Öffnung bei uns nicht nur als ein ökonomischer Vorgang betrachtet werden. ({8}) Dieser gemeinsame Binnenmarkt muß natürlich ein nach außen offener Markt werden. ({9}) Aber, meine Damen und Herren, das ist nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit, das ist nicht nur ein GATT-Problem. Diese Offenheit unseres Binnenmarktes ist eine große politische Handlung, damit unser Europa wieder zusammengeführt werden kann. ({10}) Diese politische Dimension müssen wir erkennen, damit wir die drei großen dynamischen Entwicklungen in Europa in ihrer Substanz nutzen können: die Dynamik in der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, die Dynamik in der Reformentwicklung in der Sowjetunion und - jetzt sage ich das, ohne einen Artikel einzufügen - in anderen sozialistischen Ländern. Ich bin ganz zuversichtlich, daß ist ein unumkehrbarer Prozeß. Die, die heute noch zögern, werden auf diesem Wege folgen müssen. Dieser Prozeß geht weiter, meine Damen und Herren. ({11}) Der Prozeß, der auf der Grundlage der Schlußakte von Helsinki eingeleitet worden ist, dieser Prozeß ist unaufhaltsam. Er ist die Kursbestimmung zu einer europäischen Friedensordnung und ich scheue mich auch gar nicht, das zu sagen - das meint ja im Grunde dasselbe - : zu einem gemeinsamen europäischen Haus. In diesem europäischen Haus muß es Pluralität in jeder einzelnen Wohnung geben, aber natürlich auch zwischen den Wohnungen. Lassen Sie uns doch den Wettbewerb unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher Ordnungen aufnehmen! Sie alle müssen in diesem Haus Platz haben. Jeder mag dann über die bessere Einrichtung seiner Wohnung entscheiden. Aber er kann es nur, wenn es ein Haus der offenen Türen, ein Haus der offenen Fenster ist, vor allen Dingen aber ein Haus, wo niemand Angst haben muß. Meine Damen und Herren, deshalb ist es so wichtig, daß wir die Chance erkennen, die heute auch in der Abrüstungsentwicklung für die Gestaltung dieses europäischen Hauses liegt, daß wir zu einer Entideologisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen kommen. Sie wird durch die größere Beachtung der Menschenrechte und der Menschenwürde möglich, durch die Fortschritte, die jetzt erreicht worden sind. Das wird zu einer Entideologisierung der Beziehungen führen. Es muß zu einer Entmilitarisierung der Beziehungen führen, wenn wir auf der Grundlage der stärkeren Achtung der Menschenrechte - dieses Konzept haben sich alle durch ihre Zustimmung zu eigen gemacht - auch dazu kommen, daß jener Antagonismus abgebaut wird, der zur Errichtung großer militärischer Potentiale geführt hat. Das bedeutet also: Abbau von Bedrohungspotentialen, von Mißtrauen und von Fehlleitungen von Ressourcen. Aber, meine Damen und Herren, das ist doch alles mehr als nur ein mechanischer Vorgang der Abrüstung. Hier muß sich etwas vollziehen, was im Grunde ein neues Europa schafft, in dem auch die Streitkräfte, diesmal sage ich: auf beiden Seiten, eine Funktion haben, wie die NATO-Außenminister das am 8. Dezember des letzten Jahres in Brüssel gesagt haben: Unsere Vision bleibt ein Kontinent, auf dem bewaffnete Streitkräfte nur der Kriegsverhinderung und der Selbstverteidigung dienen, nicht jedoch der Aggression oder der politischen oder militärischen Einschüchterung. Meine Damen und Herren, in einem solchen Verständnis der Sicherheitspolitik brauchen wir keine Feindbilder, keine Bedrohungsängste. Es müßte schlecht um unsere demokratischen Gesellschaften bestellt sein, wenn wir für unsere politische Stabilität und für unsere Übereinstimmung eines Feindbildes aus dem Osten bedürften; auch unsere Bundeswehr braucht keine Feindbilder. Sie leistet Friedens- und Freiheitsdienst. Das ist ihre Verantwortung, von Anfang an bis auf den heutigen Tag. ({12}) Das ist das Selbstverständnis einer Wehrpflichtarmee. Kein Abrüstungsvorschlag aus dem Osten ist geeignet, in diesem Lande die Verteidigungsbereitschaft zu untergraben. Die Verteidigungsbereitschaft würde nur dann in Gefahr geraten, wenn der sicherheitspolitische Konsens unter den Bürgern dieses Landes verloren ginge. Der kann nicht durch einen Vorschlag von Herrn Gorbatschow gefährdet werden. Er würde nur dann gefährdet, wenn wir nicht in der Lage wären, die Chance der Abrüstung realistisch zu nutzen. Das ist die politische Verantwortung, und es ist eine Verantwortung, die wir zu allererst tragen, die wir wahrnehmen. ({13}) Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns auch die Chance erkennen, die für uns Deutsche in diesen drei dynamischen Entwicklungen liegt. ({14}) Wir brauchen uns doch nicht in längst überholte, niemals richtige Diskussionen zu verlieren, ob die eine Einigung der anderen entgegensteht. ({15}) Wenn es richtig ist, daß das, was Europa trennt, Deutsche trennt, dann führt auch das Deutsche zusammen, was Europa zu Europa führt. Nutzen wir diese historische Chance! Ich danke Ihnen. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brück, wissen Sie, uns GRÜNEN den Hang nach Kleinstaaterei vorzuwerfen, weil wir der Umweltpolitik des künftigen Binnenmarktes mißtrauisch gegenüberstehen, ist überhaupt nicht gerechtfertigt. Wenn Sie eine kleine Ahnung davon hätten, was unsere Europa-GRÜNEN an umweltpolitischen Initiativen erfolgreich auf den Weg gebracht haben, müßten Sie diesen Vorwurf zurücknehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes, vom Markt ohne Grenzen, verspricht sich die Bundesregierung neue wirtschaftliche Impulse und Vorteile, so hatten wir es heute morgen vom Bundeswirtschaftsminister gehört. Wir sollten nicht zögern, ins neue europäische Haus einzuziehen, hörten wir eben vom Bundesaußenminister, ins neue europäische Haus einzuziehen, für das der Cecchini-Bericht ja dann auch wieder eine neue Wachstumseuphorie verspricht. Aber was bedeutet das auf dem Gebiet der Umweltpolitik? Jetzt kommt doch die Frage: Wird das die freie Fahrt für noch mehr Umweltgifte geben? Bedeutet das: Lebensmittel nicht mehr frisch auf den Tisch, sondern frisch aus der Retorte, genormt von Dänemark bis Griechenland? Das sind doch die Fragen, die wir hier stellen müssen und auf die wir noch keine Antwort bekommen haben. Exportoffensive für Autoabgase? Euratom in jeder Region Europas? Meine Herren und Damen, der Binnenmarkt wird nicht zum Schutz von Natur und Umwelt geschaffen, obwohl Umweltschutz durch die Einheitliche Europäische Akte inzwischen zum Ziel der EG deklariert wurde. Eurosolar statt Euratom - was wir als nötig erachten - kommt nicht in die Offensive. Jacques Delors resümierte kürzlich zwar richtig, die EG habe in der Umweltpolitik bislang weder Lehren gezogen noch ihre Mittel mobilisiert. Wir begrüßen seine Forderung nach einer Europäischen Umweltagentur. Hoffentlich wird sie bald umgesetzt. Die EG bleibt aber für den Umweltschutz leider vorrangig eine Bedrohung: Den 8 000 Lobbyisten von Industrie und Handel steht in Brüssel eine Handvoll Vertreter des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes gegenüber. ({0}) Die Pflastersteine des Gemeinsamen Marktes auf dem Weg zur angeblichen Steigerung des Lebensstandards sind die 5 000 Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln, ist die Zulassung von verstrahlten und bestrahlten Nahrungsmitteln, ({1}) ist eine chemisierte und industrialisierte Landwirtschaft mit tierquälerischer Massentierhaltung. ({2}) Die europäische Verschmutzergemeinschaft hat viel zuviel Dreck am Stecken, als das wir uns beruhigt zurücklehnen könnten. ({3}) Lassen Sie mich das beispielhaft verdeutlichen - hören Sie doch erst einmal zu, Herr Kollege! -: Erstes Beispiel: Wasserreinhaltung. 1963 gab es die erste Zusammenkunft der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins. 1973 gab es ein Ministertreffen der Rheinanliegerstaaten hier in Bonn. Ein Rheinschutzabkommen Chemie wurde - so wörtlich - für „unaufschiebbar" erklärt. Statt des Verbots von Chemikalien erreichte die Chemielobby in Europa indessen ein nachgiebiges Genehmigungsverfahren. Der Erfolg der EG ist allzu mager: Bis heute wurden lediglich für drei Substanzen Minimierungsgebote erlassen. Zweites Beispiel: Chemiepolitik. Wir GRÜNEN hatten dafür gesorgt, daß das dioxinhaltige Holzschutzmittel Pentachlorphenol nicht mehr produziert wird. Minister Töpfer hat das Gift inzwischen selber zur Symbolchemikalie gemacht und uns hier vor dem Bundestag hoch und heilig ein Totalverbot von PCP versprochen. Das Verbot scheiterte am Chemiekonzern Rhône-Poulenc in Frankreich. Durch einen Unfall vor einem Monat wurde darüber hinaus klar, daß von Frankreich das PCP über England weiter in die Bundesrepublik gelangt, wo es Textilien beigemischt wird, die wir zum Teil direkt auf der Haut tragen. Der Verband für Textilhilfsmittel hat inzwischen zugegeben, daß immer noch 50 Tonnen an PCP-Estern jährlich in der Bundesrepublik umgeschlagen werden. Dies entspricht einer Dioxinmenge, wie sie aus allen Müllverbrennungsanlagen zusammen emittiert wird. Wenn Umweltminister vor den Chemiekonzernen in die Knie gehen - wie hier vor Rhône-Poulenc geschehen - , dann öffnen sie den Vergiftern in der EG und natürlich im künftigen Binnenmarkt erst recht Tür und Tor! ({4}) Drittes Beispiel: Luftreinhaltepolitik - dabei muß ich dem Bundesverkehrsminister heftig widersprechen - . Der Binnenmarkt wird uns eine riesige Lkw-Lawine bescheren - Frau Kollegin Rock hat schon darauf hingewiesen - . Die Stickoxidemissionen der Brummis - Waldkiller Nummer eins - werden von derzeit 480 000 Tonnen dann auf 800 000 Tonnen jährlich steigen. Das hat der Umweltminister hier ja sogar bestätigt. Zudem wird sich die Umweltvergiftung mit krebserzeugenden Dieselpartikeln drastisch erhöhen. Der EG-Binnenmarkt bringt nämlich leistungsstärkere Motoren, erhöhte Fahrleistungen, größere transportierte Nutzlasten und einen erhöhten Lkw-Bestand. Das ist Fakt. Verehrte Kollegen und Kolleginnen, eine solche EG-Vergiftungspolitik können wir GRÜNEN natürlich nicht mittragen. ({5}) Der Europäische Binnenmarkt auf Kosten von Verbrauchern und Umwelt kann unsere Zustimmung nicht finden. Lassen Sie mich drei Punkte erklären: Erstens. Es ist völlig richtig: Nationale Alleingänge in Sachen Umweltschutz sind eine schwache Option. ({6}) - Ja; da muß ich Ihnen recht geben. Nehmen wir Dänemark: Dort sind die Einwegverpackungen im Land verboten, aber exportiert werden sie dennoch. Umweltpolitik muß international angelegt sein, Umweltverschmutzung kennt keine Grenzen. Das haben mehrere Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen hier betont; da stimme ich vorbehaltlos zu. Und wir haben es vorgemacht: Die Hochschornsteinpolitik der Bundesrepublik hat den Skandinaviern die versauerten Seen beschert. Rücksichtslos haben wir globale Umweltprobleme heraufbeschworen. Denken Sie nur an die FCKs und die ausgelösten Klimaveränderungen. Es kommt darauf an, in der EG in Sachen Umweltschutz Dampf zu machen, und davon habe ich hier heute recht, recht wenig gehört. Die Konzepte und Programme zum Schutz der Umwelt müssen umgesetzt werden. Die EG eröffnet hierzu immerhin eine Chance. Aber wird die Chance genützt werden? Die Bundesregierung spielt leider lieber auf der EG-Wachstumsklaviatur mit und läßt den Umweltminister als Leichtgewicht agieren, ({7}) obwohl er ja einige Pfunde auf die Waage bringt. ({8}) Zweitens. Die Umwelt braucht eine Lobby in Brüssel. Die Verbraucher- und Umweltverbände müssen dies viel stärker als ihr Aktionsfeld begreifen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die gemeinnützigen Verbände in dieser Hinsicht auch zu ermutigen und finanziell zu unterstützen. ({9}) Drittens. Umwelttechnik hat in Europa Konjunktur. Die deutsche Industrie ist inzwischen Spitze. Das ist gut so, weil es hilft, Umweltprobleme zu verringern. Meine Herren und Damen, aber ich möchte eindringlich davor warnen, Umweltpolitik und -technik auf europäischer Ebene als Alibipolitik zu betreiben oder sie nur auf Reparaturpolitik zu beschränken. Soll Umwelt lebenswert bleiben, dann muß sie als vitale Umwelt gesichert werden - voll des Lebens und nicht voll von Technik! Umwelt muß die Basis europäischer Politik werden! Europa darf die lebensfähige und lebenswichtige Umwelt nicht in Nischen verbannen, ganz Europa muß Lebensraum bleiben! Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt, und das ist unser Anliegen. Ich danke Ihnen schön. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Heidi, zunächst herzlichen Dank für das Kompliment. - Im Januar 1844, also lange selbst vor meiner Zeit, muß ich jetzt sagen, ({0}) vor genau 145 Jahren, schrieb der deutsche Dichter Heinrich Heine, der ein Europäer war, im Pariser Exil sein großes Gedicht „Deutschland - ein Wintermärchen". Im „Caput II" ist nachzulesen, wie es ihm an der Grenze bei Aachen erging. Dort in Aachen - und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich zitieren Irmer ...ward von den preußischen Douaniers mein Koffer visitieret. Beschnüffelten alles, kramten herum In Hemden, Hosen, Schnupftüchern; Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien, Auch nach verbotenen Büchern. Heine dachte dabei für sich: Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht! Hier werdet ihr nichts entdecken! Die Konterbande, die mit mir reist, Die hab ich im Kopfe stecken. Und zur Natur dieses Schmuggelguts teilt er uns mit ({1}) - Herr Lippelt, hören Sie einmal ein bißchen guter Literatur zu; das kann Ihnen gar nichts schaden - : ({2}) Und viele Bücher trag ich im Kopf! Ich darf es euch versichern, Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest Von konfiszierlichen Büchern. Glaubt mir, in Satans Bibliothek Kann es nicht schlimmere geben: Sie sind gefährlicher noch als die Von Hoffmann von Fallersleben! ({3}) So, meine Damen und Herren, ändern sich die Zeiten - oder auch nicht. Denn während zwar das Lied des berüchtigten Staatsfeindes inzwischen Nationalhymne ist und nach Heinrich Heine neuerdings - und ich betone: sehr neuerdings - sogar Universitäten benannt werden dürfen, ({4}) könnten konfiszierliche Bücher hierzulande demnächst mit einem neuen § 130b Strafgesetzbuch in Konflikt geraten. Und auch an den Grenzen hat sich ja schließlich noch nicht so viel geändert. Das mit den Grenzkontrollen soll jetzt anders werden - wir begrüßen das - , wie ja denn überhaupt die Fortschritte, die in der Gemeinschaft inzwischen erzielt werden konnten, von vielen Rednern hier heute mit Recht begrüßt worden sind. Auf einem Feld aber - ich sage, das ist eines der wichtigsten und entscheidendsten Felder überhaupt - bewegt sich Europa in einem beklagenswerten und jede Geduld überstrapazierenden Schnekkentempo. Ich spreche natürlich - wie vorher auch schon der Kollege Brück - von der Einführung von Demokratie und Parlamentarismus in der Europäischen Gemeinschaft. Da sind wir heute in Europa kaum weiter, als es unsere parlamentarischen Vorväter in der Paulskirche zu Heines Zeiten waren. Ich empfehle jedem, drüben in der Parlamentarischen Gesellschaft die Ausstellung zur Paulskirche anzuschauen. Das öffnet einem auch die Augen über die demokratischen Zustände oder vielmehr über die undemokratischen Zustände, die wir heute in Europa haben. Immer mehr Rechte und Entscheidungsbefugnisse werden von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene übertragen. Das finden wir gut und richtig. Aber leider kommen alle diese Rechte in Europa nicht beim Europäischen Parlament an, sondern sie bleiben beim Ministerrat und bei der Kommission stecken. Das führt zu einer schleichenden Aushöhlung des Parlamentarismus überhaupt. Das können und wollen wir nicht länger zulassen. Es ist vorher gesagt worden, daß in der EG demnächst auch Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Steuern der europäische Bürger zahlt und in welcher Höhe. Das wird also in Europa entschieden. Wollen wir dann wirklich, daß da die Entscheidungskompetenz beim Ministerrat verbleibt, wie das heute der Fall ist? Stellen Sie sich doch einmal die Steuergesetze vor, die wir letztes Jahr hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben. ({5}) Stellen wir uns doch einmal vor, darüber hätte nicht dieses Parlament entschieden, sondern hinter verschlossenen Türen in trauter Runde der Elferrat der elf Finanzminister und -senatoren der Bundesländer, und wir hätten dazu zwar unsere unmaßgebliche Meinung sagen dürfen - wir hätten sagen dürfen, das finden wir ganz gut, oder das finden wir schlecht -, aber die Minister hätten trotzdem gemacht, was sie wollten. Sie hätten noch nicht einmal ihre Landtage um Rat fragen müssen. Das ist heute aber die beklagenswerte, tagtägliche Realität in der Europäischen Gemeinschaft; das ist ein Skandal. Ich verstehe überhaupt nicht, wie es kommt, daß sich eine Gemeinschaft von zwölf Ländern, die doch alle miteinander demokratisch und parlamentarisch verfaßt sind, dies bis zum heutigen Tage hat bieten lassen. Der Bundesaußenminister hat vorher mit vollem Recht ausgeführt, daß es sich bei Europa nicht nur - so wichtig das alles ist - um Wirtschaft handelt, um Umwelt - verehrte Kollegin von den GRÜNEN, die sich hierfür offensichtlich jetzt nicht mehr interessiert - , nicht nur um Forschungsgemeinschaft und dergleichen. Nein, wir sind auch eine Wertegemeinschaft. Es lohnt sich überhaupt nur, das vereinte Europa, die europäische Union, zu schaffen, wenn wir diese Werte dort durchsetzen und ihnen dort endlich zum Durchbruch verhelfen. Meine Damen und Herren, wenn jemand in Apathie verfällt - auch mir geht das immer so, wenn ich Reden vorbereite - , dann hilft es am besten, daß man sich und anderen Fristen setzt. Der Kommissionspräsident Delors hat das erkannt, und er hat diese Weisheit dadurch umgemünzt, daß er der Europäischen Gemeinschaft das inzwischen magische Datum 31. Dezember 1992 vorgegeben hat. Kaum war diese Frist in der Welt, bewegte sich etwas. Ich bin jetzt der Meinung, daß wir das genauso wie der Kommissionspräsident Delors machen sollten. Auch wir sollten jetzt den Regierungen endlich eine Frist setzen. Weil wir die Wirtschaftsgemeinschaft, den Binnenmarkt, zwar dringend, aber nicht ohne Demokratie und ohne Parlamentarismus wollen, sage ich: Setzen wir jetzt genau die gleiche Frist, nämlich 31. Dezember 1992. Bis dahin möge uns die Bundesregierung vorlegen, daß in der Europäischen Gemeinschaft die Vertragsänderungsentwürfe so weit gediehen sind, daß sie in den nationalen Parlamenten ratifiziert werden können. ({6}) Dann kann das Europäische Parlament, das im Jahre 1994 gewählt werden wird, endlich handeln als Vollparlament, mit vollen Gesetzgebungsbefugnissen, mit vollen Kontrollmöglichkeiten, mit vollen Haushaltsrechten als den klassischen parlamentarischen Rechten überhaupt. Wenn wir diese Perspektive unseren Bürgern nicht in diesem Jahr eröffnen können, wenn wir im Juni das jetzige Europäische Parlament im Stich lassen und nicht mit einer hohen Wahlbeteiligung ausstatten, dann wird der Bürger nicht begreifen, daß diese unsere Forderung so wichtig ist. Wir wollen Europa; wir wollen aber ein demokratisches Europa. Ich sage: Weg mit der Ministerbürokratie, weg mit der Bürokratenwillkür! Wir wollen ein parlamentarisches Europa, und zwar jetzt. Was nützen denn Einheit und Wohlstand in Europa, wenn dabei die Freiheit auf der Strecke bleibt? Ich möchte zum Schluß noch einmal aus Heinrich Heines „Deutschland - ein Wintermärchen", Caput I, zitieren. Er hat dort die Vision vom Europa in Freiheit entwickelt und geschrieben: Die Jungfer Europa ist verlobt mit dem schönen Geniusse der Freiheit, sie liegen einander im Arm, sie schwelgen im ersten Kusse. Und fehlt der Pfaffensegen dabei, die Ehe wird gültig nicht minder - Es lebe Bräutigam und Braut und ihre zukünftigen Kinder! Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Irmer, ich beglückwünsche Sie, und zwar nicht zu Ihrer sehr lebhaften Rede, die sicherlich von einem französischen Parlament zum 200. Jahrestag der Revolution mit voller Genugtuung zur Kenntnis genommen werden könnte, sondern zu Ihrem heutigen 50. Geburtstag. ({0}) Die Tatsache, daß Sie an einem so runden, bedeutungsvollen Geburtstag auch noch Ihrer parlamentarischen Arbeit nachkommen, verdient allen Respekt. Weiterhin alles Gute. ({1}) Das Wort hat Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre die Worte gern, daß das Europäische Parlament mehr Rechte braucht. Aber diejenigen, die von seiten der Bundesregierung hierzu argumentieren, vergießen ein wenig Krokodilstränen; denn das, was sich heute zum Binnenmarkt entwikkelt, die 300 Gesetze, war absehbar, als die Einheitliche Europäische Akte beschlossen wurde. Wo war da Ihre Initiative, zusätzlich zu der Erweiterung der Kompetenzen der Gemeinschaft die Rechte des Europäischen Parlaments auszuweiten? Da wäre es notwendig gewesen, aber es ist nicht erfolgt. ({0}) Wer damals im Zusammenhang mit diesen Fragen nicht gekämpft hat, ({1}) dem kann man überhaupt nur noch glauben, wenn er wirklich mehr praktische Aktionen für mehr Rechte für das Europäische Parlament bringt. Ein solches Beispiel hat Alwin Brück vorhin genannt. ({2}) Der zweite Punkt: Hinter diesen verbalen Bekundungen zur Sicherung sozialer Rechte, die in der heutigen Debatte, die ich vollständig verfolgt habe, erfolgten, läuft natürlich eine ökonomische Strategie des Versuchs eines Gegenangriffs, eines Generalangriffs auf soziale Reformen. Dabei dient der europäische Binnenmarkt als Vorwand, um innenpolitische Ziele zu erreichen. ({3}) - Ich werde das jetzt gleich belegen. Herr Kollege Haussmann hat heute morgen wie auch schon früher gesagt, die Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt erfordere es, die Unternehmenssteuern in der Bundesrepublik zu senken. ({4}) Er vergißt aber hinzuzufügen, daß in den EG-Ländern, in denen die Steuersätze niedriger sind, die Bemessungsgrundlage breiter ist. Das bedeutet, daß die Belastung der Unternehmen dort vergleichbar ist mit der Belastung in der Bundesrepublik. ({5}) Wer also so argumentiert, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er die Europäische Gemeinschaft und den Binnenmarkt als Vorwand für seine schon immer vorhandenen innenpolitischen Ziele nutzt. ({6}) Der Kollege Graf Lambsdorff hat hier gesagt - lesen Sie es bitte im Protokoll nach - , daß der Binnenmarkt notfalls auch auf Normen und eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs reduziert werden kann. Das verengt das große Binnenmarktprogramm auf die reine wirtschaftliche Verflechtung. Die Einheitliche Europäische Akte ist mehr als nur wirtschaftliche Verflechtung. Sie ist der Versuch, die Europäische Gemeinschaft zu einer Umweltgemeinschaft, zu einer Sozialgemeinschaft und zu einer politischen Gemeinschaft zu machen. Ein Binnenmarkt - das sei an die Adresse des Grafen Lambsdorff gesagt -, der der Wirtschaft die große Freiheit und den kleinen Leuten das große Risiko zuweist, ist mit uns als Sozialdemokraten nicht zu machen. Das muß Ihnen sehr deutlich sein. ({7}) An dieser Stelle möchte ich das Europa der Bürger und Bürgerinnen ansprechen, das heute in vielen Punkten auf der Tagesordnung steht. Was ist zur Gleichstellung von Frauen durch diese Bundesregierung wirklich gemacht worden? Das muß man heute, am 70. Jahrestag des Tages, an dem die Frauen das erste Mal den Deutschen Reichstag wählen konnten, einmal fragen. ({8}) Konkrete Pläne, wie die Gleichstellung der Frauen im Binnenmarkt vorangebracht werden soll, habe ich von dieser Bundesregierung noch nie gehört und das, obwohl die Europäische Gemeinschaft führend und fortschrittlich in bezug auf die Gesetzgebung zugunsten von Frauen ist. Es gab keine einzige gestartete, geschweige denn erfolgreiche Initiative zugunsten der Frauen in der EG von der deutschen Ratspräsidentschaft. ({9}) Sie selber war bei der Umsetzung des EG-Rechts in Verzug. Sie hat bis heute noch nichts unternommen, das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz zugunsten der Frauen zu verändern. Nach wie vor ist es Tatsache, daß bei nachgewiesener Diskriminierung die Frau als Schadenersatz überhaupt nur den Ersatz des Portos bekommt. Ich sage an dieser Stelle: Ohne wirksame Schadenersatzpflicht wird die Benachteiligung von Frauen weiterhin als Kavaliersdelikt behandelt werden. Wir verlangen ein wirkliches Gleichstellungsgesetz, das das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz ablösen muß und das wirklich den Namen „Gleichstellung der Frauen" verdient. ({10}) Dabei kann sich die Bundesregierung auf EG-Recht beziehen; denn die EG-Kommission hat den Vorschlag der Umkehr der Beweislast vorgelegt. Was tut die Bundesregierung? Sie löst es in keiner Weise in irgendeiner Form ein. Es sind noch mehr hehre Bekundungen heute hier erfolgt. Eines schmerzt mich besonders, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sage ich - ich hoffe, der Ulli Irmer stimmt mir zu - als eine ehemals im Europaparlament tätige Abgeordnete: ({11}) - Das kann ich Ihnen sagen: Im Europaparlament, gibt es nämlich genug gute Europäer; im Deutschen Bundestag könnten wir noch ein paar mehr gebrauchen. Das muß ich Ihnen ehrlich sagen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verflechtung, von der wir heute alle gesprochen haben, wächst. Der Nationalstaat ist ökonomisch immer weniger souverän; aber beim Wahlrecht - das sage ich jetzt an die Adresse der CDU/CSU - muß einer noch immer auf der nationalen Scholle kleben, damit er politisch mitentscheiden kann. Nichts anders ist es, wenn Sie das kommunale Wahlrecht für Ausländer und Ausländerinnen verweigern. ({13}) 16 Millionen Menschen in der EG leben als Ausländer, 4 Millionen in der Bundesrepublik. Seit Jahren fordert das Europäische Parlament ein kommunales Wahlrecht für die EG-Bürgerinnen und -Bürger. ({14}) - Nein, Ihre christdemokratischen Kollegen. Fragen Sie sie doch einmal. Sie müssen mit denen mehr sprechen, dann wären auch Sie aufgeschlossener. Mit denen müssen Sie mehr diskutieren, weiß Gott. ({15}) Mit Stimmen der Christdemokraten haben sie sich dafür ausgesprochen, das kommunale Wahlrecht zu verwirklichen. Die Europaunion, die Sie sonst doch immer so loben, die überparteilich ist, hat diese Bundesregierung aufgefordert, die vorgelegte Richtlinie der EG-Kommission zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer und Ausländerinnen zu verwirklichen. Dieser Appell wird von uns aufs Deutlichste unterstützt. Aber was ist passiert? ({16}) - Ulli, wenn ich das dazwischensagen darf, ich habe nicht mehr viel Zeit. Laß uns nachher beim Kaffee den Punkt besprechen. ({17}) Der Bundesfachausschuß der CDU hat im Dezember den Entwurf geändert, in dem er sich ursprünglich für die Einführung des kommunalen Wahlrechts in der EG auf Gegenseitigkeit ausgesprochen hat. ({18}) - Das ist drin gewesen, aber es ist gestrichen worden. Man darf rätseln, warum. ({19}) Wahrscheinlich - ich sage das mit allem Ernst - steht die klare Strategie dahinter - man weiß, welches Potential rechtsradikaler Stimmen vorhanden ist -, ({20}) daß man sich auch bei der Klientel beliebt machen und bleiben will, bei der Gerhard Frey mit seinem rechtsradikalen Rundbrief Stimmung macht. Die CDU/CSU will auch nach Strauß rechts alles abkassieren. Man warte auf das allgemeine Wahlrecht im Rahmen der Europäischen Union, so wird argumentiert. Habe ich richtig gehört? Schon vor 1992 sollen die Unternehmen im Rahmen des Binnenmarktes alle grenzüberschreitenden Erleichterungen haben, aber die europäischen Bürgerinnen und Bürger sollen ihre vollen politischen Rechte erst am Sankt-Nimmerleinstag, wenn die politische Union verwirklicht ist, erhalten? Das halte ich für völlig unakzeptabel. An die Regierung gerichtet, sage ich: Europäische Gesinnung, Herr Kollege Genscher, Herr Außenminister, erkennt man nicht an den großen Worten auf internationalen Konferenzen oder im Deutschen Bundestag, sondern europäische Gesinnung erkennt man daran, wie human die Bundesregierung ihre praktische Ausländerpolitik gestaltet, wie sie dazu beiträgt, sich gegenüber Ausländern und Ausländerinnen in der Bundesrepublik zu verhalten und ob sie dazu beiträgt, endlich dazu beiträgt, daß EG-Bürgerinnen und -Bürger in allen politischen Bereichen mitentscheiden können. Ich danke Ihnen. ({21})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner ({0}).

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem heute früh Kollege Ehmke sehr weit auf die Zusammenhänge von Wiedervereinigungsperspektiven und europäischer Integration eingegangen ist und auch auf scheinbare Meinungsverschiedenheiten in der Fraktion der CDU/CSU hingewiesen hat, möchte ich hier doch einige Sätze dazu sagen. Die Europäische Gemeinschaft wird 1992 mit dem Ausbau des Binnenmarktes zu einem Staatengebilde, das die Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Finanz-, Währungs- und auch die Sozialpolitik der Mitgliedstaaten vereinheitlichen wird, aber das auch die Außen- und die Sicherheitspolitik der Mitgliedstaaten stärker koordinieren wird. Dieses Jahre 1992 wird also einen wichtigen Schritt hin auf die Europäische Union bringen. Heute liegt uns hier gleichfalls die Stellungnahme zu einem Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union vor, den das Europäische Parlament bereits 1984 ausgearbeitet hat. Hier stellt sich mit Recht, Herr Ehmke, die Frage: Wird der Prozeß der europäischen Integration notwendigerweise unser Verfassungsziel, die Einheit des deutschen Volkes zu wahren und zu vollenden, beschädigen? Ich nehme die Antwort aus meiner Sicht gleich vorweg. Sie lautet: Nein. ({0}) Der Integrationsprozeß zur Schaffung einer politischen Europäischen Union wird den Mitgliedstaaten zweifelsohne Teile ihrer Souveränitätsrechte nehmen. Unsere Aufgabe muß es daher sein, dafür Sorge zu tragen, daß in diesem Integrationsprozeß die Grundanliegen und auch die Verfassungsziele der Deutschen berücksichtigt werden, und auch Sorge dafür zu tragen, daß die Europäische Union als politische Union sich diese Ziele selber zu eigen macht. Unsere Bündnispartner und auch unsere Partnerstaaten in der EG haben dies ja bisher getan. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf die Römischen Verträge und auf den Harmel-Bericht. Ich bin ganz sicher, daß sie dies auch in Zukunft tun werden. Wir als Koalitionsfraktionen wollen diese Partnerstaaten und Bündnispartner mit unserem Antrag 11/3866, vor allen Dingen mit den Abschnitten II und III, ermutigen, dies auch in Zukunft so zu tun. Mit dieser Absichtserklärung der Koalitionsfraktionen entspricht die Koalition im übrigen auch der Aufforderung des Europäischen Parlaments, Stellungnahmen zu seinem Gründungsentwurf abzugeben. Daher legt der Abschnitt II unseres Entschließungsantrags seitens der Koalition nochmals die Ziele der deutschen Politik dar. Herr Ehmke, lassen Sie mich auch das sagen: Es ging uns, den von Ihnen zitierten Kollegen in der Union - Abelein, Lummer, von Schmude, Todenhöfer und Werner - , darum, Fragen zur Abklärung des eigenen Urteils zu stellen, Fragen zu stellen, die sich auf den vom innerdeutschen Ausschuß bereits im November 1987 und auch von der Europakommission des Bundestages erarbeiteten Stellungnahmen gründen. Unsere Fragen bauten auf diesen Stellungnahmen auf. Denn der innerdeutsche Ausschuß, dem auch ich angehöre, und die Europakommission des Bundestages halten es - Sie haben das heute früh auch erwähnt - , für den Fall der Ratifizierung eines Gründungsvertrags für wünschenswert, eine entsprechende Erklärung abzugeben: nämlich, daß alle im heutigen Gemeinschaftsrecht enthaltenen deutschlandpolitischen Elemente zu rechtlichen Bestandteilen der Politischen Europäischen Union werden sollen. Ich glaube, daß der Beitritt zu einer Verfassung der Politischen Europäischen Union, wenn es denn einmal so weit sein wird, ohne eine derartige offizielle Erklärung - in der dann natürlich auch die deutsche Frage ihren Niederschlag findet - einen Verstoß gegen unser Grundgesetz darstellen würde. Angesichts des fortschreitenden Integrationsprozesses ist es nach innen und außen bedeutsam, so meine ich, daß die Deutschen klarmachen, daß sie die Europäische Union als politische Union bejahen, da sie im Einklang mit dem zweiten Verfassungsziel - nämlich ein vereintes Gesamteuropa zu schaffen - mit die Voraussetzungen schaffen kann, daß alle Völker in Europa auch das Recht auf Selbstbestimmung werden wahrnehmen können. Daher erhebt die Koalition in ihrem Entschließungsantrag die Forderung, in einem Gründungsentwurf für die Politische Europäische Union als gemeinsames Ziel zu verankern, die Werner ({1}) Teilung Deutschlands und Europas zu überwinden. Denn wir alle stimmen zweifelsohne darin überein: Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Das bedeutet auch, daß wir, die CDU/CSU, allerdings nicht glauben, daß durch eine Europäische Union ein Friedensvertrag für Deutschland einfach überflüssig wird. Denn auch in einer Europäischen Union verschwinden zum einen die Staaten nicht; und wie die Entwicklung im östlichen Bereich unseres Vaterlandes und im Osten verlaufen wird, können wir zum anderen nicht vorhersehen. Denen, die das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in einer Politischen Europäischen Union beschnitten sehen, antworte ich erstens, daß eine Europäische Union als Gemeinschaft der Freiheit und des Rechts zweifelsohne die originären Rechte der Völker achten wird. Sie wird geradezu ein Anwalt des Selbstbestimmungsrechts sein. Sie wird von daher ihre besondere Anziehungskraft Richtung Osten oder auf Osteuropa bekommen. Zweitens antworte ich, daß nichts darauf hinweist, das östliche Europa werde sich so fundamental ändern, daß unseren Landsleuten jenseits der Mauer die freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in absehbarer Zeit möglich wäre. Ich unterstreiche: Der Weg über ein neutrales Deutschland in Freiheit ist nach meiner Auffassung, meine Damen und Herren, ein Traumgespinst. Die Europäische Union ist, wenn wir unser ganzes deutschlandpolitisches Engagement in den Integrationsprozeß einbringen, kein Schritt von der Einheit der Deutschen weg, sondern vielmehr ein Schritt auf dem Wege zu einer gesamteuropäischen Ordnung, in der sich die Chance für die Einheit auftun wird. Den geraden Weg zur Einheit der Deutschen in Frieden und Freiheit an den Staaten Europas vorbei, meine Damen und Herren, wird es angesichts der gewachsenen Realitäten und der absehbaren Entwicklungen nicht geben. Es wäre auch ein abenteuerlicher Gedanke, wenn man derartige Überlegungen anstellen würde. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU teilt deswegen geschlossen die Überzeugung des Bundeskanzlers, die er gestern noch einmal ausdrücklich festgestellt hat: Deutschland- und Europapolitik sind wie die zwei Seiten derselben Medaille. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, es liegt noch eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Wüppesahl vor, der aber nicht im Saal ist. Damit entfällt naturgemäß die Wortmeldung. Wir sind dann am Ende unserer Aussprache und kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den zwischenzeitlich eingebrachten Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/3865. Ich darf dazu um Ihre Aufmerksamkeit bitten; es hat sich eine Änderung ergeben. Dieser Entschließungsantrag soll entgegen der früheren Absicht, direkt darüber abstimmen zu lassen, überwiesen werden, und zwar zur Federführung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Innenausschuß, den Umweltausschuß und den Finanzausschuß. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen. Meine Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/3088, 11/3406, 11/3851 ({0}) und 11/3852 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Außerdem sollen die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/3851 ({1}) und 11/3852 zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus auch damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/2358. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/3014 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1499 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Drucksache 11/2431. ({2}) - Was ist abgesetzt worden? Herr Kleinert, wenn etwas nicht stimmt, kommen Sie bitte. ({3}) - Es steht unter Punkt IV 6 auf der Tagesordnung und ist aufgerufen worden. ({4}) - Es kommt vor, daß der eine oder andere einmal nicht so auf dem laufenden ist. Aber ich muß das im Plenum behandeln lassen, was auf der Tagesordnung steht, und dieser Punkt steht auf der Tagesordnung. Vizepräsident Stücklen Es ist kein Antrag gestellt worden, daß das abgesetzt werden soll. ({5}) - Sind denn die parlamentarischen Geschäftsführer auf dem laufenden? Kann das abgesetzt werden? - Also diesem Antrag wird stattgegeben. Das ist sichtbar der erste große Erfolg des Jahres 1989. ({6}) Meine Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu Tagesordnungspunkt IV 7 zurückzuüberweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Sind Sie damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die erste Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/3701. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/2889 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/2942 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/2176. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/3700 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3110. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Enthaltungen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN. Damit ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3125 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Stimmen dagegen. Enthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist vom Hause einstimmig beschlossen worden. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Verkehr auf den Drucksachen 11/3126 und 11/3165 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlungen sind mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3195 ab. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3236. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3634 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/3635 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktionen von SPD und GRÜNEN angenommen. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/2731 bis 11/2733 und 11/3814 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/1664 ab. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Gegen Stimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt IV 28 liegt eine schriftliche Erklärung des Ab- Vizepräsident Stücklen geordneten Todenhöfer ) vor, die in das Plenarprotokoll der heutigen Sitzung aufgenommen wird. Es handelt sich um eine persönliche Erklärung. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/2506 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Gegen Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/2508 ab. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/3396. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - *) Die Erklärung des Abg. Dr. Todenhöfer ({7}) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/2506 - Vertrag zur Gründung der Europäischen Union - ({8}) und zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP auf Drucksache 11/3866 ({9}) lautet: In den letzten Wochen haben eine Reihe von Kollegen und ich versucht, im Zusammenhang mit dem Entwurf des Europäischen Parlaments zur Gründung der sogenannten Europäischen Union einen ergänzenden Entschließungsantrag zu erreichen, der das Anliegen der Deutschen auf Wiedervereinigung voll und uneingeschränkt berücksichtigt. Ich sehe es als einen Erfolg an, daß es durch die CDU/CSU-Fraktion nun zu einem ergänzenden Entschließungsantrag gekommen ist, der versucht, das Ziel der Wiedervereinigung zu einem ausdrücklichen Ziel der westeuropäischen Gemeinschaft zu machen, und der die westeuropäische Integration in eine gesamteuropäische Zielsetzung stellt. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich werde daher diesem Entschließungsantrag zustimmen, obwohl ich in meiner Fraktion einen weitergehenden Antrag eingebracht habe. Ich habe meinen eigenen Antrag jedoch vorläufig zurückgestellt, weil die jetzt dem Deutschen Bundestag vorliegende Entschließung meiner Auffassung nicht widerspricht. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da es noch nicht um einen ratifikationsfähigen Vertragsentwurf geht, noch nicht mit den rechtlichen Details der Frage befaßt, wie die völlige Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands auch beim Beitritt zu einer Europäischen Union völkerrechtlich abgesichert werden kann. Die vorläufige Zurückstellung meines Antrags erfolgte allerdings mit der klaren Maßgabe, daß die Ratifikation der endgültigen Fassung des Gründungsvertrages der Europäischen Union davon abhängig gemacht wird, daß der Vertrag die Verwirklichung des Ziels der Wiedervereinigung Deutschlands in keiner Weise behindert. Dies setzt voraus, daß durch die Formulierung des Vertragstextes selbst oder durch einen eindeutigen, unmißverständlichen Wiedervereinigungsvorbehalt völkerrechtlich verbindlich sichergestellt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland befugt bleibt, ohne Zustimmung der anderen EG-Staaten auf das Ziel der Wiedervereinigung hinzuwirken und diese zu verwirklichen. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die Gründung eines westeuropäischen Bundesstaates oder eines westeuropäischen Staatenbundes. Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Enthaltungen bei der Fraktion DIE GRÜNEN. Mit großer Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/3016 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt vor, die Unterrichtung durch das Europäische Parlament auf Drucksache 11/3087 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit verstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen. Wir kommen jetzt zu dem zwischenzeitlich eingebrachten Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/3866. Er soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Entschließungsantrag der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/3865. Diese habe ich vorher im einzelnen aufgezählt *). Ist sich das Haus völlig im klaren über die Abstimmung? - Dann darf ich diejenigen, die dafür sind, um das Handzeichen bitten. ({10}) - Es geht um eine Überweisung. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. ({11}) - Überweisung an die Ausschüsse, die ich jetzt nicht im einzelnen aufgeführt habe. - Keine Gegenstimmen. - Keine Enthaltungen. Also einstimmig: Überweisung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/2507. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist gegen Stimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/6464 und 11/1675 - Entschließung zu Grenzkontrollen und Drogen - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Wiederaufnahme der Tiefflüge am 2. Januar 1989 Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem erwähnten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.

Gertrud Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Guten Tag! Die Chance, eine Politik zum Wohl der Bevölkerung zu machen, ist *) Siehe Seite 8765 A seit dem 2. Januar wieder einmal vertan worden. Es hätte eine ganze Menge von Möglichkeiten bestanden, endlich einmal zum Wohl der Bevölkerung aktiv zu werden, Herr Scholz. Es wird weiter mit der Arroganz der Macht, hinter der letzendlich primitives Profitstreben steckt, an Symptomen herumkuriert. „Tiefflug ist notwendig." Stimmt; wenn man damit aufhört, wäre er im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig. Tiefflug wird gebraucht, um einen Angriffskrieg zu machen, um als erster den Gegner - auf dessen Territorium - zu vernichten. Das ist sowohl grundgesetzals auch völkerrechtswidrig. Dieses Parlament hat die Aufgabe, wenn es demokratisch genannt werden will, Tiefflug abzuschaffen. Tiefflug ist aber auch aus militärischen Gründen abzulehnen. Tiefflieger können sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus erkannt und vernichtet werden. Der Fortschritt der Technik hat radarunterfliegen unmöglich gemacht. Tiefflugexport ist keine Lösung. Tiefflug ist nachweislich gesundheitsschädlich für Bevölkerung und Piloten. Angriff per Tiefflug muß da geübt werden, wo er stattfinden soll, und das ist hier in der Bundesrepublik, der Kampfzone für USA und NATO und der Pufferzone für unsere europäischen „Verbündeten" Frankreich und Großbritannien. Deshalb üben auch mehr ausländische Tiefflieger hier als anderswo, weil hier das Schlachtfeld ist. Deshalb ist Tiefflugexport keine Lösung; nur der sofortige Stopp. Verlagerung über See: Das Navigieren muß nach markanten Punkten der Landschaft geübt werden. Das geht nicht über See; das Radar versagt. Außerdem: Sollen die Meere noch mehr verseucht werden, wo sich doch alle Welt so um die Lebewesen darin bemüht, z. B. die Robben? Deshalb ist Verlagerung über See keine Lösung; nur der sofortige Stopp. Simulatoren: Hier würden absolut untaugliche, teure Spielzeuge angeschafft. Sowohl die USA haben davon Abstand genommen, als auch die Militärs selbst, und, man höre und staune, sogar Herr Scholz ist davon nicht überzeugt. ({0}) Tiefflug würde daneben genauso weiterlaufen wie bisher. Simulatoren sind also auch keine Lösung; nur der sofortige Stopp. ({1}) Aus all diesen und noch viel mehr Gründen sind folgende Maßnahmen angesagt: Sofortiger Stopp der Tieffliegerei - als erster Schritt wären wir erst einmal mit einem Jahr einverstanden -; Nutzen der Denkpause, um gewaltfreie Möglichkeiten der Verteidigung, nämlich soziale Verteidigung und nicht militärische Verteidigung, aufzubauen; Verweigerung der Steuer für diese Rüstung, die alles zerstört, was verteidigt werden soll; eine Friedenssteuer soll auf ein Sperrkonto eingezahlt werden, und dieser Staat bekommt unser Geld erst wieder - das dann gerne -, wenn er einer parlamentarischen Demokratie angemessen gewaltfreie Konfliktlösungsmöglichkeiten praktiziert. ({2}) Gesundheitsminister und Umweltminister, es wird Zeit, daß Sie sich in die Debatte einschalten! Sie sind dafür verantwortlich. Das, was im Tiefflugbereich läuft, läuft kontraproduktiv zu dem, was Sie hier angeblich an Verbesserungen einführen wollen. Piloten, haben Sie die Kraft und den Mut, den Tiefflug zu verweigern! Sie sind die letzten, die diese Befehle umsetzen. Sie können es verweigern. Das wäre, finde ich, die Selbstdarstellung der Bundeswehr, die nötig wäre, und nicht der taktische Vorbeiflug, wie man im Steinhoff-Gutachten lesen kann. Alle Bürgerinnen und Bürger sind zum gewaltfreien Widerstand aufgerufen. Ich sage das hier deswegen so deutlich, weil Sie, Herr Scholz, mit Ihrer Vorgehensweise die Bevölkerung irgendwann einmal zu nicht mehr gewaltfreien Verhaltensweisen provozieren, und davor habe ich Angst. Deswegen bitte ich Sie heute ganz eindringlich: Hören Sie auf damit! Es ist schon später, als Sie denken. Fangen Sie wenigstens jetzt an! Noch haben Sie die Chance. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag, dem 13. Januar dieses Jahres, kam es in meiner Heimatgemeinde, in Wiesmoor, zu einem folgenschweren Tiefflugunfall. Den Familien der verunglückten englischen Offiziere möchte ich meine Anteilnahme aussprechen. Dem verletzten deutschen Piloten wünsche ich baldige Genesung. Dankbar wollen wir zur Kenntnis nehmen, daß nicht weitere Opfer zu beklagen sind. Für den schnellen Einsatz und die Hilfeleistung möchte ich der Bundeswehr, der Polizei, der Feuerwehr sowie den Rettungsmannschaften meinen Dank zum Ausdruck bringen. Verständnis habe ich für die Anwohner, die durch dieses Flugunglück über alle Maßen verunsichert sind. Mit dem Batteriechef des in Wiesmoor stationierten Flarak-Bataillons, Herrn Major Ringhoff, habe ich am Tag nach dem Unfall die Absturzstellen in Augenschein genommen. Dabei wurden mir von deutschen und englischen Offizieren die bisherigen Erkenntnisse erläutert. In Gesprächen mit den Anwohnern an der Absturzstelle wurde mir immer wieder vorgetragen, welche Folgen hätten entstehen können, wenn die abgestürzten Maschinen auf die nahgelegene Grundschule, auf die Kasernenanlage, auf die Wohnsiedlung oder auf die Gärtnersiedlung niedergegangen wären. ({0}) Die Soldaten, die an der Absturzstelle ihren Dienst taten, konnten mir berichten, daß sich die Bevölkerung während der Wachzeiten, die sie zu versehen hatten, sehr um sie gekümmert habe. Sie wurden mit warmem Tee und Kaffee versorgt. Auch dieser Bevölkerung möchte ich meinen Dank sagen. Nach der Diskussion über Lärmbelästigung im Tiefflugbereich ist nach dem Unfall in Wiesmoor die Frage nach der Sicherheit des fliegenden Personals und der Zivilbevölkerung entfacht. Hier, meine ich, hat die Bevölkerung Anspruch auf ausreichende Antworten. Der Flugbetrieb, der ohne Radarkontrolle und nur mit Sichtkontrolle geschieht, bedarf einer grundsätzlichen neuen Regelung. ({1}) Der Wiesmoorer Flugunfall hat diesen dringlichen Bedarf aktuell ausgelöst. Ich habe auch in meiner Heimatgemeinde deutlich gemacht, daß wir die Tiefflüge auf das geringste notwendige Maß zurückführen müssen. Dabei fordere ich eine schnelle Umsetzung der Ausbildung auf Simulatoren, eine gerechte Verteilung der Tieffluggebiete im Bundesgebiet sowie eine Verlagerung der Tiefflugübungen in dünn besiedelte Räume des Auslandes. Dabei will ich aber auch zum Ausdruck bringen, daß wir grundsätzlich auf Tiefflugübungen nicht verzichten können. Sicherlich kann ein Teil der Übungen ins Ausland verlegt werden, aber sicherlich muß auch ein Teil der Übungen im Inland geschehen. Schließlich müssen wir den Tiefflugpiloten auch die Möglichkeit einräumen, unter Klima-und Geländebedingungen, wie sie bei uns vorherrschen, ihre Übungen zu fliegen. ({2}) Lassen Sie mich an dieser Stelle feststellen, daß die Arbeit, die Tiefflugpiloten ableisten, Schwerstarbeit ist. Die Piloten leisten risikoreichen Dienst. Die dadurch für die Bevölkerung entstehende Lärmbelästigung hat die Politik und nicht der Pilot zu verantworten. Meine Bemühungen, den Tieffluglärm zu reduzieren, habe ich bereits betrieben, als der Unglücksfall in meiner Heimatgemeinde noch nicht geschehen war. Als Vertreter im Haushaltsausschuß habe ich am 13. Oktober 1988 an dem Beschluß mitgewirkt, die Mittel für Tiefflüge für das Haushaltsjahr 1989 zu kürzen und eine Sperre auszusprechen. In der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dieser Woche, am letzten Dienstag, habe ich deutlich gemacht, daß die Frage der Sicherheit tieffliegender Maschinen neu überdacht und geregelt werden muß. Der Bundesminister der Verteidigung hat in der Fraktion die Einrichtung einer Erfassungsstelle für Tiefflüge und eines Luftlagezentrums erläutert. Herr Minister, die schnelle Verwirklichung einer solchen Einrichtung muß ich dringend fordern, damit sich ein Flugunfall, wie er in Wiesmoor geschehen ist, nicht wiederholen kann. Wenn ich morgen in den Wahlkreis fahre, erwarten mich wieder viele Gespräche, Diskussionen, auch Demonstrationen. Für die Sorge der Bürgerinnen und Bürger habe ich Verständnis. Der Gemeinderat Wiesmoor, dem ich seit 20 Jahren angehöre, hat eine Sondersitzung angesetzt. Der Kreistag Aurich, dem ich seit 16 Jahren angehöre, hat eine aktuelle Behandlung der Tiefflüge angekündigt. All diesen Diskussionen werde ich mich mit der deutlichen Aussage stellen, daß wir Tiefflüge auf das notwendige Maß vermindern müssen, daß wir aber auf Tiefflugübungen nicht verzichten können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewen.

Carl Ewen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grund für die heutige Tiefflugdebatte ist zuerst einmal der Widerstand vieler Menschen in allen Regionen unseres Landes gegen die gesundheitsschädliche Lärmbelästigung durch Tiefflüge. Der Absturz einer amerikanischen Militärmaschine in Remscheid am 9. Dezember vorigen Jahres macht es zusätzlich notwendig, nicht nur über Lärm, sondern auch über die Gefährlichkeit von Tiefflügen zu diskutieren. Seit dem 13. Januar 1989, seit dem letzten Freitag wissen wir, daß über der dicht besiedelten Bundesrepublik Tiefflugübungen zu Katastrophen führen können, ja zu Katastrophen führen. Den Angehörigen der beiden ums Leben gekommenen britischen Militärpiloten versichern auch wir seitens der SPD-Fraktion unsere aufrichtige Mittrauer. Dem schwer verletzten Luftwaffenpiloten wünschen wir baldige und vollständige Genesung von seinen schweren Verletzungen. Nach dem, was in Wiesmoor geschehen ist, kann es jetzt nur noch heißen: Stoppt den Tiefflug! ({0}) Das war auch die Meinung des Unterausschusses Fremdenverkehr in seiner Sitzung im November 1988. Schulkinder und Erwachsene sind noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Welche Gefühle empfinden sie? Neben der Dankbarkeit, unverletzt geblieben zu sein, wird mit immer größerer Dringlichkeit nach dem Sinn und Unsinn von Angriffsübungen auf Flugplätze, andere militärische und bisweilen zivile Einrichtungen gefragt. Hinrich Behrends, der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde, hat nach dem entsetzlichen Unglück folgendes erklärt - ich zitiere - : Um Haaresbreite ist unsere Gemeinde einer Katastrophe entgangen. Erschrecken und Entsetzen machen sich angesichts der rauchenden Trümmer der beiden Militärmaschinen breit, die in unmittelbarer Nähe der bewohnen Ortslage abgestürzt sind. Hatten wir uns auch mit der Belästigung durch tieffliegende Flugkörper gezwungenermaßen abfinden müssen, so wird uns jetzt die damit verbundene Gefahr so überdeutlich bewußt. Wir fordern die verantwortlichen politischen Kräfte auf, alles zu tun, damit sich solch ein tragischer Vorfall nicht wiederholen kann. Das Vertrauen der Bürger dieser Gemeinde in ihren Staat steht auf dem Spiel. Aus dieser Erklärung wird folgendes deutlich: Die Geduld der Bürger und ihre Bereitschaft, militärische Übungen als unabwendbar hinzunehmen, sind am Ende. ({1}) Zu offenkundig gehen Sie, Herr Minister Scholz, mit eiskalter juristischer Eloquenz über die Ängste und Gefühle der Menschen hinweg. Sie sind nicht bereit, in einem veränderten politischen Umfeld auch die verteidigungspolitischen Akzente kritisch zu überprüfen und Lösungen anzubieten, die von allen Bürgern angenommen werden können. Sie sind verantwortlich dafür, daß in einem Landstrich, in dem die Bürger in Zivil und die Bürger in Uniform einander mit Respekt und sogar Freundschaft begegnen, Wunden gerissen werden, die - wenn überhaupt - nur schwer verheilen werden. Darauf weist der Bürgermeister hin, wenn er in der Erklärung weiter sagt: Eines aber darf in diesem Augenblick der Bestürzung und der Angst nicht geschehen: daß wir unseren Zorn auslassen an denen, die vor Ort ihre Pflicht erfüllen. Wir können unseren Soldaten nicht anlasten, was die hohe Politik entschieden hat. ({2}) Protestaktionen der Bürger, spontan organisiert, brachten am letzten Samstag über 1 000 Menschen vor die Kasernentore des Flugplatzes in Wittmund. Versammlungen der Bürger in der Kirche, tägliches Glockenläuten, Schulstreik der Kinder in der noch einmal davongekommenen Schule, Menschenketten, Briefaktionen zeigen, daß in Wiesmoor mehr kaputtgegangen ist, als die äußeren Verwüstungen ahnen lassen. ({3}) Wenn nicht die Soldaten, ihre Angehörigen und die Anwohner vor Ort einem psychologischen Dauerstreß ausgesetzt werden sollen, dann müssen jetzt Sie, Herr Bundeskanzler, für ein Moratorium sorgen, dann müssen Sie und der Herr Außenminister mit den NATO-Partnern über die Abschaffung von Tiefflugübungen verhandeln. Der militärische Nutzen ist nicht einsehbar, wenn das teure Gerät, von Menschen mit Stärken und Schwächen geflogen, selbst zur Bedrohung wird. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Worten der Betroffenheit und der Trauer über die Opfer von Wiesmoor schließe ich mich an. Wir können uns wenige Tage nach einer solchen Katastrophe nicht davon freimachen. Ich möchte Stellung nehmen zu dem Thema der heutigen Aktuellen Stunde, nämlich zur Wiederaufnahme der Tiefflugübungen am 2. Januar dieses Jahres. Wir haben in diesem Zusammenhang in dieser Woche im Verteidigungsausschuß den Bericht des Ministers über die Umsetzung der Forderungen gehört, die der Verteidigungsausschuß Anfang Dezember erhoben hatte, und zwar vor dem Unglück von Ramscheid - Remscheid: - Eine Freudsche Fehlleistung, die uns allen schon hin und wieder in diesem Zusammenhang Nachdenklichkeit ins Hirn treibt. Der Minister hat uns einen Bericht über die Umsetzung dieser Beschlüsse vorgetragen. Es kann notwendigerweise nur ein Zwischenbericht sein; denn viele der dort berichteten Zwischenergebnisse werden noch in sehr nachhaltige Verhandlungen mit den Alliierten einmünden müssen, auch mit den Bundesländern; mit den Alliierten insbesondere dahin gehend, daß sie die für unsere Bundesluftwaffe geltenden Standards auch für sich akzeptieren und den Wünschen, Sorgen und Ängsten, die in unserer Bevölkerung bestehen, entsprechend auch Aufmerksamkeit entgegenbringen. Die Länder sind gefordert, insbesondere die Länder, die bisher vergleichsweise wenig betroffen sind, einen substantiellen Beitrag zur Entlastung der Bürger in den Gebieten zu leisten, die jetzt schon die bei weitem größte Last des Tieffluges zu tragen haben. ({0}) Den wesentlichsten Fortschritt in dem Bericht des Bundesverteidigungsministers sehe ich in der Zusage, eine Clearingstelle einzurichten, mit der möglichst rasch alle militärischen Flüge auch im Tiefflugbereich erfaßt werden können. Es versteht doch kein Mensch, daß acht Alpha Jets aus einem Geschwader eine Attacke auf einen Flugplatz oder eine FlaRak-Stellung fliegen und von 250 km entfernt ein Tornado völlig ahnungslos in diese Übung hineinfliegt. Das ist ein Zustand, den wir unseren Bürgern nicht erklären können. Das ist ein Zustand, den wir unseren Bürgern nicht erklären können und wo dringend Abhilfe geboten ist. Ich freue mich, Herr Minister, daß Sie diese Abhilfe zugesagt haben. Ich stimme Ihnen auch zu, wenn Sie eine weitere Prüfung von Verlagerungsmöglichkeiten ankündigen, sowohl teilweise über See, was den Luftkampf angeht, als auch ins Ausland. Allerdings werden hier Grenzen gesetzt sein, sowohl von der finanziellen Seite her, also vom Haushalt her, als auch von dem, was erst an Voraussetzungen in der Infrastruktur geschaffen werden muß, sowie in der sozialen Flankierung aller dieser Maßnahmen und natürlich hinsichtlich der Prüfung der materiellen Sinnhaftigkeit einer solchen Verlagerung. Beim Thema Simulatoren haben wir ein Beispiel dafür, wie sehr die Diskussion, die ohnehin häufig die Grenze des Rationalen durchbricht, unsachlich geworden ist. Wir wecken im Zusammenhang mit der Nutzung von Simulatoren beim Tiefflug Erwartungen bei der Bevölkerung, die wir auf absehbare Zeit nicht erfüllen können, weil es die Simulatoren für Tiefflug nicht gibt. In der Ausbildung von Militärpiloten und Waffensystemoffizieren spielen selbstverständlich Simulatoren eine ungeheuer große Rolle. An die 500 Stunden hat jeder Pilot im Simulator hinter sich, bevor er im Geschwader einsatzbereit ist. Aber die Ausbildung im Tiefflug ist am Simulator noch nicht möglich. Das ist keine Frage mangelnder Haushaltsmittel oder des mangelnden politischen Willens. Bisher ist es noch eine Frage der technologischen Verfügbarkeit. Wir können nicht einfach nach dem Motto verfahren, unseren Wissenschaftlern und Ingenieuren zu sagen: „Forsche forscher, forscher Forscher! ", damit wir möglichst schnell diese Geräte haben. Es wird noch etwas dauern. Zwei, drei Jahre wird es noch erfordern, um das mindeste zu sagen. Und dann werden wir über die Frage der psychologischen Komponente bei einem völligen Umsteigen auf Simulatoren sicherlich auch noch sprechen müssen. ({1}) Wenn wir auch in diesem Zusammenhang in unserer Bevölkerung den verteidigungspolitischen roten Faden bald wieder erkennbar machen wollen, dann ist es natürlich relativ wenig hilfreich, wenn uns ständig Ad-hoc-Vorschläge unabgestimmt und auch, wie ich finde, recht wenig durchdacht unterbreitet werden, wenn z. B. aus den Koalitionsspitzen heraus plötzlich solche Vorschläge gemacht werden, wie man das Problem angeblich mit einem Schlag vom Tisch bekommt. Ich meine, wir verlieren das Vertrauen unserer Bürger in unser ernsthaftes Bemühen, das Problem zu lösen, wenn wir so vorgehen. Es kann nur darum gehen, alle Möglichkeiten zu nutzen, die Zahl der Tiefflüge zu verringern, alle Möglichkeiten der Verlagerung zu nutzen, alle technischen Flankierungen zu nutzen. Wir sollten diese Möglichkeiten sorgfältig prüfen und dann auch tatsächlich zu ihnen greifen. Aber wir können als Politiker die Situation nur bewältigen, wenn wir zu dem, was auch dann noch an Tiefflugbelastung übrig bleibt, tatsächlich auch stehen. Es geht immer in einer niemals risikolosen Welt um eine Abwägung von Risiken. Hier geht es um erhebliche Risiken, die mit militärischem Tiefflug verbunden sind. Aber dem steht das größte aller denkbaren Risiken gegenüber, nämlich das, daß jemals wieder in diesem Land ein Krieg stattfinden könnte. Unsere Luftstreitkräfte, unsere gesamte Bundeswehr leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, daß dieser Gefahr in den letzten 43 Jahren begegnet werden konnte und auch sicherlich in Zukunft begegnet werden kann. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von Bürgern und Bürgerinitiativen, Kirchen, Vereinen, Parteien, Kommunen, Gebietskörperschaften, Länderparlamenten und anderen getragene Protest gegen Gefährdungen und Belastungen durch militärischen Tiefflug empfindet dieser Bundesminister der Verteidigung als lästige Angelegenheit. Seine Äußerungen und sein neues Konzept zum Tiefflug zeugen von der Sensibilität eines Betonklotzes. Bei Ihnen, Herr Minister, fühlen sich die Bundesbürger nicht sicher, weil sie ihre Empfindungen, Sorgen und Ängste nicht gut aufgehoben wissen. Durch Ihren politischen Stil werfen Sie geradezu provozierend für viele Bürger die Akzeptanzfrage auf. ({0}) Sie, Herr Minister, tragen mit dazu bei, daß die Betroffenen berechtigt sagen: Es wird nur geredet, aber nicht gehandelt. ({1}) Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß die Schmerzgrenze durch militärischen Tiefflug für viele Bürger längst überschritten ist. Dem politischen Handeln glauben Sie sich dadurch entziehen zu können, daß Sie militärische Forderungen in den Vordergrund rükken. Aber nicht militärische Antworten sind jetzt nötig, Herr Minister, sondern politische. Und hier versagen Sie kläglich. ({2}) Sie torkeln auch hier von einer Unkenntnis zur anderen. Macht es Sie nicht nachdenklich, daß selbst der CSU-Vorsitzende Waigel die Aufhebung der Tiefflüge im 75-Meter-Bereich, ({3}) daß der CDAK-Vorsitzende Josef Funk ein umgehendes totales Tiefflugverbot für Militärmaschinen über der Bundesrepublik Deutschland fordert? Viele Kollegen der CDU/CSU wollen das gleiche. Aus der FDP hören wir zahlreiche Forderungen, die mit den Grundsatzpositionen von uns Sozialdemokraten in Übereinstimmung stehen. Das alles hat sich zwar noch nicht in Bonn durchgesetzt, ({4}) aber Graf Lambsdorff wird nicht immer überall sein können, um solche Entwicklungen zu verhindern. Wir Sozialdemokraten erhalten für unsere Position eine immer breitere Unterstützung in der Bevölkerung. Immer mehr Bürger wollen wie wir ein Verteidigungskonzept, das den Verzicht auf militärische Tiefflugübungen über der Bundesrepublik Deutschland endgültig möglich macht. Tausende von Unterschriften unserer Aktion gegen Tiefflug belegen das. ({5}) - Das ist nicht Populismus, Kollege Uelhoff, sondern das ist das, was Sie eigentlich in Ihrem Wahlkreis ständig nach draußen postulieren, aber hier nicht in die Realität umsetzen. ({6}) Die CDU/CSU-Kollegen, die in ihrem Wahlkreis ständig das Wort vom Abbau von Tiefflug benutzen, die darüber reden, daß Tiefflug krank macht, das aber hier in Bonn nicht beschließen, ({7}) das sind gerade diejenigen, die hier die Akzeptanzfrage zur Bundeswehr aufwerfen und die eigentlich für den inneren Zustand in dieser Bundeswehr, insbe8772 sondere bei den Piloten, heute die Hauptverantwortung tragen. ({8}) Kolleginnen und Kollegen, wer der Bevölkerung ein Tiefflugkonzept zumutet, das Leid und Schrecken zur Folge hat, führt sich selbst doch, wenn man das ohne Polemik hier ausführen darf, ad absurdum. Wir dürfen nicht mehr im tiefsten Frieden in der Bundesrepublik so tun, als könnten wir militärisch so üben, als stünden wir am Vorabend eines Krieges. ({9}) Kollege Genscher hat hier eben ausgeführt: Nutzen wir die Chance der Abrüstung! Dazu möchten wir Sie auffordern. Und legen Sie hierzu bitte Ihre Konzeption vor! Dann bräuchten wir heute über Tiefflug nicht zu debattieren. Deshalb: Bis zur Erarbeitung eines Konzepts hätten Sie nach der Remscheid-Katastrophe die Chance gehabt, die militärischen Tiefflüge der Bundeswehr über dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzustellen. Dies hätte auch der Lage zwischen Ost und West entsprochen und wäre ohne Verlust an Sicherheit möglich gewesen. Das alles wollen Sie nicht, wie es auch Ihre neue Tiefflugkonzeption belegt. Sie glauben, ohne sozialdemokratische Zustimmung und ohne Zustimmung der Bürger Ihr Tiefflugkonzept durchsetzen zu können. Herr Minister, Sie werden daran scheitern. Sie können zwar Staatssekretäre entlassen, das Thema Tiefflug bleibt Ihnen aber erhalten. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke. ({0})

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nach meiner Auffassung - die vorige Rede hat das noch einmal deutlich unterstrichen - dringend an der Zeit, die Auseinandersetzung über militärische Tiefflüge wieder zu versachlichen. ({0}) Wenn ich dies sage, habe ich gleichzeitig volles Verständnis für die emotionalen Reaktionen der unmittelbar Betroffenen, ({1}) und zwar nicht nur ich. Die von Professor Scholz getroffenen Entscheidungen und die gestern als Handlungskonzept für die Zukunft vorgestellten Entscheidungen spiegeln in vollem Maß die Sensibilität des Ministers für diese Fragen und seine persönliche Betroffenheit. ({2}) Im Kern ist die Debatte über Tiefflug eine Auseinandersetzung über die Verteidigungsbereitschaft und den Willen zur Verteidigung. ({3}) Dabei zeigen sich die volle Doppelzüngigkeit der Opposition und ihr unerträglicher Populismus bzw. Opportunimus. ({4}) Am 16. Juli 1981 schrieb Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Penner: Militärische Ausbildungsflüge müssen stattfinden, um die Einsatzbereitschaft der Luftstreitkräfte aufrechtzuerhalten. Am 10. Dezember 1987 erklärte der SPD-Abgeordnete Kolbow: Wir wissen, daß die Forderung zur Erfüllung des Auftrages der Luftwaffen in der NATO unverändert lautet: Tiefflugausbildung bei Tag und Nacht, bei jedem Wetter und im Verbandsflug! Daran hat sich die militärische Flugausbildung im Frieden auszurichten. Diesen Standpunkt teilen wir noch heute. ({5}) Wir wollen als Regierungskoalition die daraus für die Bevölkerung entstehenden Belastungen so gering wie möglich halten, ({6}) aber ohne Vernachlässigung der Sicherheit für die Bevölkerung und der Piloten. ({7}) Der Vorsitzende der betroffenen Pilotenvereinigung erklärte heute in einem Interview: Tiefflüge werden dann gefährlich, wenn man eben nicht mehr genügend Übung hat. Dem stimme ich ausdrücklich zu. ({8}) Der Handlungsrahmen, den der Verteidigungsminister in diesen Tagen vorgestellt hat, bietet eine vernünftige Grundlage für Entscheidungen, die dem Gebot der Verteidigungsbereitschaft und den berechtigten Anliegen der Bevölkerung gerecht werden. Auf einige Punkte gehe ich ein. ({9}) Erstens. Die Tatsache, daß 60 % der Tiefflüge bei uns von den Alliierten absolviert werden, macht eine noch engere Koordination zwischen der Bundesluftwaffe und den verbündeten Luftwaffen erforderlich. Francke ({10}) Zweitens. Die technischen und organisatorischen Planungen für die Errichtung eines EDV-gestützten Luftlagezentrums zur besseren Erfassung und Steuerung der Tiefflüge müssen bis Ende Juni 1989 abgeschlossen sein, damit die Ergebnisse rechtzeitig in die Haushaltsberatungen 1990 einfließen können. Denn die Planungen seit 1982 sind langfristig genug gewesen. ({11}) Drittens. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß mit aller Zielstrebigkeit und in angemessener Frist Resultate aus den Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder und den Alliierten hervorgehen, die zu einer Verringerung und einer gerechteren Verteilung des Tiefflugaufkommens über dem Bundesgebiet führen. ({12}) Viertens. Solange das zu errichtende Luftlagezentrum noch nicht voll einsatzfähig ist, erwarten wir den weiteren Einsatz von Skyguard-Geräten. ({13}) Im übrigen geht die CDU/CSU-Fraktion davon aus, daß das Bundesministerium der Verteidigung über die Fortschritte bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen fortlaufend und ohne Aufforderung berichtet, und zwar zuerst dem Parlament und dann der Presse. Die CDU/CSU-Fraktion hält die Notwendigkeit, militärischen Tiefflug über der Bundesrepublik auch künftig in einem noch zu bestimmenden Maß zu üben, für nicht widerlegt. Letztlich geht es bei dieser Frage um den Verteidigungsauftrag schlechthin. Eine Bundeswehr, deren Soldaten nicht mehr dort üben dürfen, wo sie im Ernstfall ihren Auftrag zu erfüllen haben, ist das Geld nicht wert, das wir für sie ausgeben. ({14}) Der tatsächliche Sachstand in den von uns gewünschten und von uns nachhaltig geförderten Abrüstungs- und Rüstungskontrollgesprächen läßt eine grundsätzliche Änderung dieser Position jetzt nicht zu. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tiefflug ist für die Bevölkerung in der Bundesrepublik zu Recht zum Symbol einer überholten Sicherheitspolitik geworden. ({0}) Denn wer „Schluß mit dem Tiefflug! " sagt, fordert auch Schluß mit einem offensiven Bestandteil der NATO-Strategie! ({1}) Der Tiefflug ist nicht nur entbehrlich, sondern ein Verzicht wäre auch ein längst überfälliger Abrüstungsbeitrag der Bundesrepublik. ({2}) Der infernalische Lärm der Tiefflieger schädigt nicht nur die Menschen, sondern offenkundig macht er auch die Regierung für die von Gorbatschow ausgesprochenen Abrüstungschancen taub. ({3}) Tiefflug ist identisch mit der Vorbereitung einer Absturzkatastrophe. Deshalb ist der Verzicht auf die Tieffliegerei das wirksamste Mittel gegen die Absturzgefahr. Mindestens einer der beiden nächsten Jagdbomber, die abstürzen werden, wird sich, statistisch gesehen, auf dem Tiefflug befunden haben. Die Bundesregierung kann sicher mit der Unterstützung des ganzen Hauses - auch meiner Fraktion - rechnen, wenn sie auf die Stationierungsstreitkräfte einwirkt, damit sich diese hier nicht länger auf Kosten der deutschen Bevölkerung austoben. ({4}) Nur setzt dies voraus, daß die Bundesregierung selber die eigene Bevölkerung der hausgemachten Bedrohung nicht länger aussetzt. Die Bundesregierung ist allerdings in einem Dilemma: Setzt sie den Tiefflug fort, ({5}) dezimiert sie das ohnehin schwindende Bedrohungsbewußtsein noch weiter. Stellt sie den Tiefflug ein, dann erzielt sie den denselben Effekt. ({6}) Die Bevölkerung ist dermaßen sensibel und wütend geworden, daß sie selbst eine deutliche Reduzierung der Tiefflüge nicht mehr als Entlastung empfinden würde. ({7}) Da Gegner und - interessanterweise - auch immer mehr Befürworter der Bundeswehr - wenn auch mit ganz unterschiedlichen Motiven - gemeinsam gegen den Tiefflug antreten, sehe ich mittelfristig wirklich eine Chance, daß diese handlungsunfähige Regierung überstimmt wird, daß der Tiefflug eingestellt wird. Lassen Sie mich schließen mit einem Satz, mit dem ein Pfarrer in diesen Tagen in Wiesmoor seine Predigt abgeschlossen hat: Uns mit aller Kraft für die Liebe einzusetzen, d. h. für mich heute: zuerst einmal alles in meiner Möglichkeit Stehende zu tun gegen Tiefflüge über bewohnten Gebieten. Das sagt der Pfarrer. Ich würde ergänzen: Da die ganze Bundesrepublik ein bewohntes Gebiet ist, fordern wir: Schluß mit dem Tiefflug! ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unehrlich, so zu tun, als ob auf Tiefflüge in der Bundesrepublik ganz verzichtet werden kann. Ein solches Versprechen kann die militärische Führung heute guten Gewissens nicht abgeben. ({0}) Zitat Ende. - „Die SPD kann nicht einfach sagen: Wir verzichten fortan auf jeden Tiefflug. Bei uns proben Piloten Tiefflüge doch nicht, weil es ihnen so viel Spaß macht, sondern weil es für unsere Verteidigungsfähigkeit einfach notwendig ist." ({1}) Meine Damen und Herren, diese Aussagen trafen die ehemaligen Minister Hans Apel und Dieter Haack - heute noch SPD-Abgeordnete - vor wenigen Ta- gen. Ich sage dazu für unsere Fraktion: Sie haben recht. ({2}) Wir Freien Demokraten können die SPD-Fraktion deshalb nur auffordern: Schließen Sie sich der Meinung Ihrer ehemaligen Minister an! Sie täten gut daran. Sie erweisen so nämlich der Bundeswehr, vor allem den Soldaten der Luftwaffe, einen guten Dienst, und der Konsens der Demokraten in diesem wichtigen, aber auch sensiblen Bereich wäre endlich wiederhergestellt. Doch was haben wir von den Sprechern der SPD wieder gehört: Die Freunde des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt zählen in ihrer eigenen Partei nichts mehr. ({3}) Nur so kann man nämlich den angeblich freundschaftlichen Rat des Obmannes der SPD-Verteidigungsgruppe verstehen - ich zitiere - , „sich vor Äußerungen erst einmal zu informieren". So werden Abgeordnete und ehemalige Minister aus den eigenen Reihen lächerlich gemacht. ({4}) Herr Heistermann, Sie haben hier heute wieder Emotionen geschürt, um kurzfristige vermeintliche Erfolge zu erzielen. Sie spielen unverantwortlich mit den Ängsten der Bevölkerung. ({5}) Doch, meine Damen und Herren, geht es denn der SPD überhaupt noch um die Sache? Ist die SPD überhaupt noch an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert? Dies muß ich hier fragen, und ich sage gleich dazu: Ich bezweifle dies auch nach Ihrer Aufregung hier und heute. Ich frage Sie: Wie erklären Sie sich Ihren offensichtlich geplanten Auszug aus der gestrigen Sitzung des Verteidigungsausschusses, medienwirksam - das will ich gleich dazusagen - , aber gerade zu einem Zeitpunkt, als die Tiefflugproblematik im Ausschuß diskutiert werden sollte. ({6}) Ich kann hier feststellen: Die SPD hat sich gestern im Verteidigungsausschuß aus einem weiteren wichtigen politischen Bereich verabschiedet. Wir haben gestern auf der Grundlage der Beschlüsse vom 7. Dezember 1988 - ich sage dazu: verantwortungsvoll - diskutiert. Die Beschlußlage war der Opposition bekannt; das, was Sie gestern in dieser Frage vorgetragen haben, war nur vorgeschoben. Wir bedanken uns beim Verteidigungsminister für das - wie Sie es nennen - Handlungskonzept, für den Handlungsrahmen. Ich sage dazu aber auch: Dies ist für uns nur ein erster Schritt; der Kollege Hoyer hat auf die weiteren Konsequenzen hingewiesen. Meine Damen und Herren, wir treten nachdrücklich für alle Bestrebungen ein, den Fluglärm und den Tiefflug in der Bundesrepublik Deutschland weiter zu reduzieren. Das Konzept liegt vor; ich brauche hier an dieser Stelle, auch aus Zeitgründen, nicht weiter einzugehen. ({7}) Aber lassen Sie mich zum Abschluß noch eines sagen: Die Landesverteidigung ist ein Auftrag - nicht aus der Sicht der GRÜNEN - , den die Politiker in diesem Parlament mit Mehrheit beschlossen haben. Früher war an diesem gemeinsamen Konsens auch die SPD beteiligt. ({8}) Die Bundeswehr und hier speziell die Luftwaffe führen nur das aus, was wir hier im Parlament beschlossen haben. Zum Abschluß: Die Diskussion um die Tiefflugproblematik darf deshalb nicht auf dem Rücken der Soldaten und ihrer Familien ausgetragen werden. ({9}) Es ist unsere Aufgabe, meine Damen und Herren von der Opposition, uns als verantwortungsbewußte Politiker vor unsere Soldaten und vor ihre Familien zu stellen. ({10}) Es ist unsere Aufgabe, sie aus dieser Diskussion herauszuhalten. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß das Tiefflugproblem alle in unserem Land, unsere Bevölkerung genauso wie unsere Soldaten und genauso wie unser Parlament, beschäftigt und daß dieses Thema belastet, darüber besteht, glaube ich, wirklich Konsens. Dies muß bedeuten, daß man sich darum gemeinsam bemüht, hier zu Lösungen zu kommen. Wenn ich „Lösungen" sage, dann meine ich, - ich will das hier sehr deutlich sagen - , es müssen vernünftige Kompromisse gefunden werden, Kompromisse, die auf der einen Seite das wahren, was zum Verteidigungsauftrag gehört: Wir brauchen unverändert den Tiefflug. ({0}) Das Tiefflugtraining ist auch in unserem Land nicht verzichtbar. Das Tiefflugtraining muß auf der anderen Seite aber zur Minderung der Lasten für unsere Bevölkerung - ich habe das mehrfach betont, und dies ist die Politik dieser Regierung im Unterschied zu vergangenen Regierungen - auf das operativ unverzichtbare Minimum beschränkt werden. Dieses operativ unverzichtbare Minimum werden wir erreichen. Ich unterstreiche das in dieser Stunde hier im Hause. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, Maßnahmen, die weiterführen werden. Wir werden das Tiefflugaufkommen insgesamt - das habe ich auf der Grundlage des dem Verteidigungsausschuß gestern vorgestellten Handlungsrahmens im einzelnen entwickelt - im Volumen, d. h. sowohl in den Tiefflugstunden als auch in den Tiefflugregionen, in der Durchführung der Übungen, in ihrer Art und auch in den Höhenbändern genau überprüfen, und wir werden alle Reduzierungsmöglichkeiten - ich betone: alle Reduzierungsmöglichkeiten - ergreifen und realisieren. Dies setzt aber voraus, meine Damen und Herren, daß, ebenso wie gemeinsam der Verteidigungsauftrag für unser Land vom Bündnis erfüllt wird, von den verbündeten Luftwaffen, vom Bündnis gemeinsam mit unseren Bündnispartnern das einvernehmlich zu regeln und umzusetzen ist, was erreichbar ist, was gerechtfertigt ist. ({1}) Wir haben die Grundlagen hierfür geschaffen. Wir werden in sehr rascher Zukunft hier zu Ergebnissen kommen. Ich bin in dieser Frage sehr zuversichtlich. Die entscheidenden Fragestellungen sind aufgearbeitet, die Verhandlungsaufträge sind formuliert. ({2}) Wir werden die Tiefflüge reduzieren. Wir werden sie in spürbarer Weise reduzieren, spürbar für unsere Bevölkerung. Wir werden zweitens parallel zur Reduzierung von Tiefflügen für eine gerechtere Lastenverteilung in unserem Land sorgen. Ich denke vor allem an die Menschen in den sieben Areas, wo wir den 75-Meter-Tiefflug praktizieren müssen. Diese Menschen haben seit Jahrzehnten wirklich besondere Lasten getragen, und ihnen muß - dazu bekenne ich mich hier sehr ausdrücklich - unsere besondere Aufmerksamkeit, unsere besondere Rücksichtnahme gelten. Diese Menschen haben ein Recht darauf, daß die Lasten im Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland regional gerechter verteilt werden. ({3}) Ich bin sehr froh darüber, daß sich die Ministerpräsidenten aller Bundesländer - ich freue mich, daß das über die Parteigrenzen hinweg möglich war; denn dies bedeutet, daß hier wirklich ein konstruktives Miteinander all der Parteien, die an diesem Thema wirklich verantwortlich interessiert und verantwortlich engagiert sind, zu verzeichnen ist - zusammengefunden haben, mit dem Bundesverteidigungsminister das zu erarbeiten, was eine gerechtere Lastenverteilung in unserem Land bedeuten muß. Dies entspricht dem Sinn eines Bundesstaats, daß auch Lastengleichheit gelten muß; Lastengleichheit zur Entlastung der Bürger, die in jenen Regionen wohnen, die besonders belastet sind. Bereits am 26. Januar wird diese Bund-LänderKommission das erste Mal zusammentreten. ({4}) Die Beratungen mit den Alliierten sind bereits in vollem Gange. Die technischen Entwicklungen für die Zukunftsgestaltung sind in Entwicklungsaufträge eingegangen. Das mehrfach mit Recht hervorgehobene EDV-gestützte Luftlagezentrum ist in die erste Phase seiner Realisierung getreten. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, daß wir Erfolg haben werden. ({5}) Dies setzt aber voraus, daß das Thema und das Problem in ihrer ganzen Komplexität ernsthaft diskutiert werden. Ich appelliere auch an Sie, daß Sie ebenso wie Ihre Ministerpräsidenten in der Bund-LänderKommission Ihren Beitrag leisten. Meine Damen und Herren, Radikallösungen, wie sie heute vertreten werden - im Unterschied zu dem, was hier heute zitiert worden ist, was Ihre Verteidigungsminister und Ihre Verteidigungspolitiker früher gesagt haben - , sind ein Weg, der nicht weiterhilft. Es gibt keine Radikallösungen. ({6}) Aber es gibt ein gemeinsames Bemühen - ich glaube, die Bürger in unserem Land verstehen das ({7}) um ernsthafte und sachgerechte Lösungen. Ich danke Ihnen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Opel.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor eineinhalb Stunden hat hier Außenminister Genscher bewegende Worte gefunden. Er hat gesagt, man stehe vor einer historischen Chance. Ich stelle fest, dieser Verteidigungsminister trägt dazu bei, daß diese Chance vertan wird. ({0}) Ich möchte dies einmal ableiten. Der damalige Staatssekretär Würzbach hatte noch am Abend der Katastrophe von Remscheid im Fernsehen versprochen, die Flugpause zu nutzen, um geeignete Maßnahmen zur Reduzierung der Tiefflugbelastung zu treffen. Das Ergebnis war: Nichts ist geschehen. Ab dem 2. Januar wurde vielmehr wieder geflogen wie zuvor. ({1}) Das Parlament wurde auf den 18. Januar vertröstet. Dazwischen lag die Katastrophe von Wiesmoor. ({2}) In der Presse häuften sich die geheimnisvollen Andeutungen von der Hardthöhe. Der neue Staatssekretär Wimmer - vollmundig wie immer - verkündete: Wir gehen da „full power" ran. Handverlesene Journalisten wurden einen Tag vor dem Verteidigungsausschuß von der Leitung der Hardthöhe im Detail unterrichtet über den sogenannten Handlungsrahmen, der heute schönfärberisch „Konzept" heißt. ({3}) Dieser Minister stritt diese Vorunterrichtung der Journalisten noch gestern abend vor den Fernsehkameras rundweg ab. Das ist für sich genommen schon ein ungeheuerlicher Vorgang, der die übervolle Latte von Pannen, Patzern und Peinlichkeiten des ansonsten so pingeligen Professors mit einem weiteren Minuspunkt belastet. ({4}) Im Verteidigungsausschuß überraschte der Minister dessen Mitglieder mit einer Tischvorlage, die nur aus Kopien dürftig aufgemachter Folienvorlagen bestand. Für uns war dies der Gipfel der Zumutung, Herr Minister. ({5}) Ohne jede Möglichkeit zur Vorbereitung wollte uns Herr Minister Scholz seinen sogenannten Handlungsrahmen verkünden, den seine Vertreter vorher den Journalisten mit der Auflage erläutert hatten, sie dürften nur aus CDU-Kreisen zitieren. Dies ist ebenso ungehörig wie unzumutbar. Wie oft glaubt Herr Minister Scholz, kann er das Parlament noch brüskieren? Wie oft wollen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich dies noch gefallen lassen? ({6}) Ich möchte einmal auf die 15 Punkte des Handlungsrahmens eingehen, weil er hier ja so gepriesen wurde. Für mich enthält er lediglich Unverbindlichkeiten, Platitüden, Maßnahmen aus der Mottenkiste und vage Inaussichtstellungen, um in der Kunstsprache dieses Dokuments der Unzulänglichkeit zu bleiben. Hier möchte ich kurz auf die Ausführungen der Kollegen Bohlsen und Hoyer eingehen. Sie sagen, es werde ein Luftlagezentrum gemacht. Wir haben gestern im Verteidigungsausschuß erfahren, was das ist: Das ist eine nachträglche bürokratische Registrierung bereits durchgeführter Tiefflüge. ({7}) - Aber lieber Herr Francke, das hat gestern der Inspekteur der Luftwaffe gesagt. Hätten Sie aufgepaßt! Er hat darüber hinaus gesagt, es finde keine Koordinierung von Tiefflügen statt, die Tiefflüge würden nach „sehen und gesehen werden" koordiniert. Das hat er wörtlich gesagt. ({8}) Es gibt keine Koordination. ({9}) Im Handlungsrahmen findet sich gähnende geistige Leere, gepaart mit unverbindlichen Absichtserklärungen. Nichts fiel dem Minister ein, der ja eine halbe Division von Soldaten und Beamten auf der Hardthöhe um sich weiß. ({10}) Ihm fiel nicht ein, die Tiefstfluggebiete, wo die Düsenjets bis zu 75 m tief donnern dürfen, aufzuheben. Ihm fiel nicht ein, die Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren, die entscheidende Entlastung brächte. Ihm fiel nicht ein, die Mindestflughöhe auf 450 m anzuheben. Ihm fiel nicht ein, die Mindestflughöhe über bewohntem Gebiet im Umkreis von 3 km um gefährliche Anlagen wie Kernkraftwerke und Chemiewerke sowie über besonders lärmempfindlichen Orten wie Kurorte oder Nationalparks ({11}) - das war ja im Unterausschuß Fremdenverkehr einstimmig entschieden, Herr Francke - auf 3 000 m anzuheben. Ihm fiel auch nicht ein, einmal über die Überforderung der Piloten im Tiefstflug nachzudenken. - Das tut weh, ich weiß das. - Ihm fiel nicht ein, die Tiefflüge wenigstens um ein oder zwei Jahre auszusetzen. - Das kommt ja nicht von uns, sondern aus Ihrer Fraktion. - Ihm fiel auch nicht auf, daß es reine Stabspiloten gibt - hören Sie erst einmal zu - , die jährlich Tausende von Stunden fliegen und deren unnötige Flugübungen den Steuerzahlern jährlich gut und gerne 100 Millionen DM kosten. ({12}) Wenn diese Stabspiloten nicht ständig fliegen würden, sondern nur neu geschult würden, sobald sie in einen Einsatzverband als Einsatzpiloten zurückkehren, ließe sich viel sparen und viel Lärm vermeiden. Wenn Sie ein bißchen nachgedacht hätten, wären Sie von selber darauf gekommen. ({13}) Ihm fiel nicht auf, ({14}) - hören Sie zu, da würden Sie etwas lernen! -, was die Frauen unserer Piloten empfinden, wenn ihre Männer wieder zu einem Tiefflug starten müssen. ({15}) Ihm fiel auch nicht auf, daß der wirkliche Bedarf an Tiefflugstunden nirgends schlüssig nachgewiesen wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Andere Nationen außerhalb der NATO fliegen auch weniger. ({0}) Deswegen muß man diese sonderbaren Vorstellungen als das bezeichnen, was sie sind, Sie entspringen einer surrealen Sicht der Dinge. Sie werden im Handumdrehen in der Versenkung verschwinden, so wie vermutlich bald auch ihr Schöpfer. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Zierer.

Benno Zierer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Thema Tiefflüge ist ein ernstes Thema, und wir sollten uns sachlich damit auseinandersetzen. Das Thema hat in einem ungeahnten Ausmaß eine politische Debatte ausgelöst und bewegt überall im Lande die Gemüter. Beigetragen haben dazu neben einer Serie schrecklicher Unglücksfälle, die aber nicht immer unmittelbar mit Tiefflügen zu tun hatten, sicher auch die veränderten Rahmenbedingungen, unter denen Verteidigungsbereitschaft heute weithin gesehen wird. Schon lange wird Klage geführt über den ohrenbetäubenden Lärm und den psychischen Schockeffekt, die mit der militärischen Tieffliegerei verbunden sind. Es ist möglich, daß davon besonders auf Kinder und ältere Menschen gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgehen können. Wir waren und sind daher stets bemüht, das Tiefflugaufkommen, soweit wir es beeinflussen können, auf ein unabweisbares Minimum zu beschränken. Tatsache ist aber auch, daß die Tiefflüge der Bundesluftwaffe gegenüber den 70er Jahren hinsichtlich Zahl und Dauer um die Hälfte verringert wurden. ({0}) Bei unseren Verbündeten bemühen wir uns nach wie vor um Reduzierung. Aber, meine Damen, meine Herren, man muß auch die Kehrseite der Medaille sehen und sich vor der Vorstellung hüten, Tiefflugmanöver würden aus fliegerischem Übermut oder Imponiergehabe à la „TOP GUN" - Sie kennen diesen amerikanischen Kinofilm, wo die Kampfpiloten verherrlicht werden - veranstaltet. Der Auftrag der Bundeswehr im Atlantischen Bündnis lautet, den Frieden durch eine glaubwürdige Abschreckung zu sichern. An diesem Auftrag wird und kann sich nichts ändern, solange uns die Tatsache eines gewaltigen militärischen Potentials im Osten zur Wachsamkeit verpflichtet. Es mag sein, daß die Bedrohung abgenommen hat, seit Gorbatschow versucht, mit Hilfe verminderter Rüstung die Versorgung seiner Landsleute zu verbessern. Aber dies sind erst Signale und keine Fakten. Deshalb betone ich: Unsere Verteidigungsbereitschaft muß nach wie vor gesichert sein. Diese Verteidigungsbereitschaft aber ist zu einem guten Teil von der Fähigkeit der Luftwaffe abhängig, im Ernstfall ihren Auftrag zu erfüllen. Dazu muß sie üben. Dazu muß sie leider auch immer wieder den Tiefflug üben; denn nur das Unterfliegen des gegnerischen Radars ermöglicht ihr die Überlebensfähigkeit. ({1}) Wieviel Übung hierzu allerdings notwendig ist, das zu definieren, ist Sache der Militärs und der Fachleute. Unsere Sache ist es dann, zusammen mit den Militärs und den Fachleuten darüber zu entscheiden, wie dieses unabdingbare Maß an Übung realisiert werden kann. Neben dem Training über heimischem Territorium, das zur Orientierungsfähigkeit des Piloten unerläßlich ist, stehen eine Reihe von Möglichkeiten offen, die wir auch bisher genutzt haben. „Lärmexport" allein ist nicht die richtige Antwort, Verteilung des Lärms im Bundesgebiet auch nicht; denn Entzerrung heißt gleichzeitig Ausdehnung des Lärms und weitere Beschwerden. Wir müssen uns daher mit Maßnahmen behelfen, die notgedrungen weder die Bevölkerung noch die Luftwaffe befriedigen können. Wir haben dazu heute bereits eine Reihe von Vorschlägen gehört. Die Errichtung eines EDV-gestützten Kontrollzentrums dient der besseren Koordinierung der Flugbewegungen der Bundesluftwaffe und der Alliierten, und zwar nicht nachträglich, sondern von vornherein, Herr Kollege Opel. Erlauben Sie mir zum Schluß noch ein Wort zu der Gruppe von Menschen, die mit die Hauptleidtragenden der derzeitigen Diskussion sind, nämlich die Kampfpiloten. Ich weiß, wie tief die Verunsicherung und Frustration in diesen Kreisen der Bundeswehrpiloten bereits gediehen ist. Ich sehe diese Entwicklung mit Sorge. ({2}) Laut Presseberichten soll sich ein beträchtlicher Teil von ihnen bereits mit Ausstiegsgedanken tragen. Wir sollten hier auch einmal bekennen, daß wir diesen Männern einiges zu verdanken haben, nämlich ihren effektiven Beitrag zur Sicherung des Friedens, und das oft unter Einsatz ihres Lebens. ({3}) Es wäre nicht nur falsch und unlauter, sondern geradezu böswillig und hetzerisch, ihnen zu unterstellen, sie würden aus Lust am Risiko die Bevölkerung gefährden. Diese Männer tun ihre Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen. Was ihre Pflicht ist, bestimmt sich nach dem Primat der Politik. Daher ist es an uns Politikern, den Auftrag der Bundeswehr zu bekräftigen oder je nach Lage der Dinge ({4}) geänderten Erfordernissen anzupassen. ({5}) Das wollen wir, und das werden wir auch tun. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Verteidigungsminister, wenn die Bundesregierung und auch der Kollege Nolting nicht wahrnehmen oder nicht ernst nehmen, was sich vor Ort an ohnmächtigem Zorn, an Staatsverdrossenheit, Mißtrauen und Aggression zusammenbraut, dann muß das Parlament handeln, und zwar durchaus auch im Interesse der Piloten und Soldaten, Herr Zierer. ({0}) Es geht nicht nur um den Tiefflug in den sieben Tieffluggebieten. In Rheinland-Pfalz beispielsweise befindet sich, wie Sie sicher wissen, kein solches Tieffluggebiet. Dafür gibt es acht zum Teil dicht beieinander liegende Flugplätze, die dazu geführt haben, daß die Bürger bis weit über das erträgliche Maß hinaus durch Fluglärm belastet sind. Nun stellen wir uns einmal vor, was so ein Bürger etwa aus Kaiserslautern gestern empfunden haben mag, als er die Botschaften aus dem Parlament vernahm. Da wurde ihm erst einmal gesagt: Es gibt einen Handlungsrahmen. Den hat der sicher voll Interesse aufgenommen und durchstudiert, in der Hoffnung, es könnte vielleicht eine Erleichterung für diese Region herauskommen. Aber alle Rheinland-Pfälzer mußten feststellen, daß für sie dabei nichts herauskommt, daß es nach dem Willen der Bundesregierung bei diesen unzumutbaren, schlimmen Belastungen bleiben wird. Statt dessen erfuhren sie, daß im Verteidigungsministerium zwar kein Konzept entwickelt wird, wie man auf Tiefflug verzichten kann, dort dafür aber ein Parteiprogramm ein halbes Jahr lang geschrieben wurde. Die Bürger aus Sembach erfuhren am gleichen Tag zusätzlich, daß die Bundesregierung die Meinung vertritt, man könne den Bürgern, die dort leben, sehr wohl noch ein bißchen mehr Fluglärm zumuten. Es sei nicht schlimm, wenn eine F-16-Staffel während des Sommers von Ramstein nach Sembach verlagert wird. Ich glaube, daß wir uns um die Reaktionen dieser Menschen kümmern müssen. Wir sollten endlich einmal feststellen, wie groß die Belastung eigentlich ist. Denn das wollte die Bundesregierung bisher gar nicht so genau wissen. Die Bürger haben inzwischen zur Selbsthilfe gegriffen, und zwar nicht nur ein paar Bürgerinitiativen oder einzelne kleine Gruppen, sondern auch die Bürgermeister selber. ({1}) - Sogar die CDU-Bürgermeister; da haben sie recht. Die Verbandsgemeinde Kaiserslautern-Süd beispielsweise hat sich das Gerät besorgt, das die Universität Kaiserslautern zur Messung von Fluglärm entwickelt hat und das sie schon längst wie saures Bier dem Verteidigungsminister angeboten habe, um es überall aufzustellen. Er hat es nicht aufgestellt, weil er gar nicht wissen will, wie hoch die Belastung eigentlich ist, und weil er gar nicht wissen will, ob die Belastung zu- oder abgenommen hat. Ohne Daten läßt es sich nämlich leicht behaupten, die Belastung hätte abgenommen, während die technischen Daten eine völlig andere Sprache sprechen. Das Meßgerät von Kaiserslautern-Süd hat festgestellt, daß der Fluglärm in den beiden letzten Jahren deutlich zugenommen und nicht abgenommen hat, daß die Gemeinde bis zu 164mal am Tage mit Donnergetöse überflogen wurde und daß der Lärm bis zu 108 dB betrug. In der benachbarten Verbandsgemeinde, CDU-regiert, wurde der Fluglärm ebenfalls gemessen. Dort wurden 127 dB festgestellt. Nachts zwischen 21.39 Uhr und 22.00 Uhr gab es immer noch Überflüge mit 95 dB. Ich glaube, daß wir uns damit einmal ernsthaft auseinandersetzen müssen. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen: Laßt uns doch selber das Konzept in die Hand nehmen. Es geht schließlich auch darum, wie Ihre Partei in der Zukunft dastehen wird, ob die Bürger das Gefühl haben: Da gibt es überhaupt noch Abgeordnete, die uns ernst nehmen, die unsere Schmerzen und die Lasten unserer Kinder wirklich in sich aufnehmen und Abhilfe schaffen. ({2}) Das ist besser, als immer nur Appelle und Worte zu bringen, die beschwichtigen und die nicht mit dem übereinstimmen, was die Bürger selber erfahren und erleben. ({3}) Wir haben in der Bundesrepublik viele Flugzeuge der Alliierten. Sie flogen bei uns im Jahre 1986 44 000 Stunden. Die Bundeswehr flog im Ausland, verteilt auf neun Länder, 18 810 Stunden. Warum fordern wir nicht in aller Friedensruhe, daß hier zumindest eine Gleichschaltung geschaffen werden muß, daß also mehr als 18 800 Stunden bei uns nicht geflogen werden darf? Noch nicht einmal dazu sind wir in der Lage, sondern die Regierung erträgt seit Jahren klaglos diese Belastung. Das darf so nicht weitergehen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte eben ist davon gesprochen worden, es gebe Kollegen auf den Bänken der Regierungsfraktionen, die in ihren Wahlkreisen anderes sagten als hier im Deutschen Bundestag. ({0}) Meine Damen und Herren, ich kann das nicht für jeden einzelnen sagen; ich kann nur sagen, daß ich Wahlkreisabgeordneter eines Gebietes bin, das mit zu einer Tiefflug-Area gehört, und hier in Bonn das gleiche sage wie dort im Wahlkreis. Ich sage ein weiteres, meine Damen und Herren, ({1}) - Herr Kollege Opel, das kann Ihnen der Kollege Kolbow bestätigen. ({2}) - Das kann Ihnen der Kollege Kolbow bestätigen. Er ist mit im Wahlkreis gewesen. Wir haben die Thematik gemeinsam diskutiert. ({3}) Aber ich möchte Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Dies in der derzeit emotional aufgeheizten Diskussion zu tun, dort das gleiche wie hier zu sagen, ist sicher sehr viel schwerer. ({4}) Deswegen besteht schon ein Anspruch darauf, daß man das ernst nimmt. Natürlich muß jedem von uns die Problematik von Unfällen - ich sage einmal, meine Damen und Herren, von Flugunfällen sowohl ziviler als auch militärischer Art - betroffen machen, und wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, welche Möglichkeiten bestehen, derartiges für die Zukunft zu vermeiden. ({5}) Aber eine Aussteigepolitik, meine Damen und Herren, ist sicher nicht der richtige und vernünftige Weg. Was diese Aussteigepolitik angeht, so, meine ich, sollte sich die SPD fragen, ob sie nicht mittlerweile auf diesem Wege ist. Ich habe in der „Bild am Sonntag" vom 15. Januar ein Interview mit dem ehemaligen SPD-Bundesbauminister Dieter Haack gefunden, ({6}) der dort erklärt hat, warum er nicht mehr für die SPD kandidiere. ({7}) Er wird gefragt: Was kritisieren Sie an Ihrer Partei? Darauf antwortet er wörtlich: Politik wie zu Zeiten von Helmut Schmidt heißt, daß man bei seinen Forderungen und politischen Zielen Tatsachen zur Kenntnis nimmt, daß man das Machbare tut, daß man pragmatisch ist und sich nicht an irgendwelchen Trends orientiert, die gerade in der Bevölkerung populär sind. Das aber macht zur Zeit die SPD ... Nehmen wir den Tiefflug. Richtig ist: Wir müssen alles unternehmen, um die Tiefflüge drastisch zu verringern. Aber die SPD kann nicht einfach sagen: Wir verzichten fortan auf jeden Tiefflug. Bei uns proben Piloten Tiefflüge doch nicht, weil es ihnen soviel Spaß macht, sondern weil es für unsere Verteidigungsfähigkeit einfach notwendig ist. ({8}) Meine Damen und Herren, dem ist, was die Bewertung der Aussteigequalität Ihrer Partei angeht, nichts hinzuzufügen. Bei sachlicher Betrachtung stehen doch die Belastungen durch den militärischen Tiefflug in einem Zielkonflikt: der Gewährleistung körperlicher Unversehrtheit und einer größtmöglichen Lebensqualität einerseits und der Garantie äußerer Sicherheit durch militärische Landesverteidigung andererseits. Nach aller historischen Erfahrung ist das eine Ziel ohne das andere nicht zu erreichen. Wenn man für militärische Landesverteidigung, die glaubwürdig sein muß, ist, muß man auch für eine glaubwürdige Luftverteidigung sein. ({9}) Eine glaubwürdige Luftverteidigung ist auf absehbare Zeit ohne militärischen Tiefflug nicht darstellbar. ({10}) Meine Damen und Herren, dies müssen wir auch weiterhin in aller Ehrlichkeit und Offenheit der Bevölkerung sagen, ({11}) und wir müssen die daraus resultierenden Belastungen auf das wirklich dringend Notwendige reduzieren. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uelhoff. ({0})

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Durch freie Wahlen, Herr Kollege Ehmke! Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklung der Tiefflug-Diskussion in der Bundesrepublik und das, was wir hier heute in der letzten Stunde erlebt haben, erfüllen mich mit großer Sorge. Der Ausgangspunkt, von vielen gemeinsam gewollt und getragen und für mich weiterhin das Ziel dieser Debatte, ist die Reduzierung der Lärmbelästigung. Ich fühle mich jedoch in meinem Eindruck bestärkt, daß dieser Ausgangspunkt leider längst verlassen worden ist. Die Diskussion eskaliert zu einer Grundsatzdebatte über den politischen Verteidigungsauftrag, den die Soldaten auszuführen haben. ({0}) Alle demokratischen Kräfte müssen sich fragen, welches Wasser sie in jüngster Zeit auf welche Mühlen gegossen haben. ({1}) Wie etwa soll der Soldat die Überschrift im sozialdemokratischen Pressedienst vom 12. Januar 1989 „Belastungen durch das Militär belasten Akzeptanz der Bundeswehr" verstehen? ({2}) Oder wie sollen ein Pilot und seine Angehörigen, Kollege Horn, mit dem Satz „Unsere Selbstbedrohung aus der Luft muß weg" fertig werden? ({3}) Die Bundeswehr ist verunsichert, und im Bündnis stellt man Fragen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das bei uns so weitergeht, wird man bald nicht mehr fragen „Tiefflüge abschaffen, ja oder nein?", sondern dann heißt die Frage „Bundeswehr abschaffen, ja oder nein?". ({4}) Der Konsens aller demokratischen Parteien - ich spreche jetzt mit den demokratischen Parteien - darf es so weit nicht kommen lassen. ({5}) Wir brauchen wieder die Gemeinsamkeit der Demokraten, wenn es um die äußere Sicherheit unseres Landes geht. Außer den mutigen Worten von Hans Apel und Dieter Haack und wenigen Aufrechten ist in den letzten Wochen von Sozialdemokraten nach meiner Einschätzung wenig Konstruktives gesagt worden. Ich will nicht verhehlen, daß auch nicht alle Freunde der Koalition gegen Populismus und wohlfeilen öffentlichen Beifall gefeit waren. ({6}) Der von Verteidigungsminister Professor Scholz in diesen Tagen vorgestellte Handlungsrahmen ist ein guter Weg zu erheblicher Lärmreduzierung bei gleichzeitiger Sicherung des von uns Politikern zu verantwortenden Verteidigungsauftrages. Wir müssen erkennen, daß es auch bei der Tiefflug-Debatte nicht um Konsequenzen aus einer angeblich veränderten Bedrohungslage geht. ({7}) Wenn wir über die Bundeswehr und über unsere Verbündeten in der NATO diskutieren, geht es gerade heute dringlicher denn je um die Besinnung auf das, was uns unabhängig von jeglicher Bedrohung dauerhaft schützenswert erscheint: Es geht um die Sicherung des Friedens in Freiheit auf Dauer. ({8}) Ich möchte abschließend aus dem Gruß zum neuen Jahr eines unmittelbar Betroffenen an seine Mitbürger zwei Sätze zitieren: In einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaftsordnung steht die Pflicht zur Verteidigung neben den Opfern, die diese Pflicht verlangt. Das opportunistische Denken in plakativen und populären Teildimensionen führt zu einer unaufhaltsamen Erosion unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Daß dies anders wird, ist ein großer Wunsch von mir. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie alle, diesen Neujahrswunsch des Bürgermeisters von Ramstein, Julius Divivier, zu Ihrem eigenen Anliegen zu machen. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir kommen zwischendurch zu einem Tagesordnungspunkt ohne Aussprache, über den wir abzustimmen haben. Ich rufe Punkt V der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Agrarstatistiken ({0}) - Drucksache 11/2851 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) - Drucksachen 11/3855, 11/3855 Berichterstatter: Abgeordnete Wimmer ({2}) Kroll-Schlüter b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/3856 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitz ({4}) Diller Frau Vennegerts ({5}) Vizepräsident Westphal Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich rufe die §§ 1 bis 56, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wie wäre es mit Handzeichen? - Darf ich noch einmal diejenigen, die zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen bitten. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit bei Gegenstimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit der gleichen, soeben genannten Mehrheit angenommen worden. Ich rufe nun Punkt VI auf: 1. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung einer Wehrstrukturkommission - Drucksache 11/2865 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Verteidigungsausschuß 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lippelt ({6}), Dr. Mechtersheimer und die Fraktion DIE GRÜNEN Verkürzung der Grundwehrdienstzeit auf 12 Monate - Drucksache 11/3593 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Verteidigungsausschuß ({7}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horn, Erler, Fuchs ({8}), Gerster ({9}), Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Koschnick, Kühbacher, Leidinger, Leonhart, Opel, Steiner, Traupe, Wiefelspütz, Zumkley, Bernrath, Gilges, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes - Drucksache 11/3695 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Verteidigungsausschuß ({10}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. Gibt es andere Meinungen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der scheidende Verteidigungsminister Manfred Wörner hat seiner eigenen Fraktion und seiner Regierung ein Abschiedsgeschenk hinterlassen, an dem jetzt alle zu knabbern haben. Das ist das sogenannte operative Minimum, eine Präsenzstärke der Bundeswehr von 456 000 Soldaten, die wir auf keinen Fall unterschreiten dürfen. Wenn das operative Minimum unterschritten werde, so Wörner, sei die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik nicht mehr gewährleistet. Herr Minister Scholz, wenn Sie sich freischwimmen wollen und wenn Sie sich von dieser Erblast befreien wollen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir fordern Sie auf, das operative Minimum offiziell aus dem Verkehr zu ziehen. Die Misere der Bundeswehrplanung läßt sich an drei aktuellen Beispielen belegen. In wenigen Wochen hat sich folgendes nacheinander ereignet: Der Planungschef, Herr Rühle, ist gegangen. Der Führungsstab des Heeres, der die Aufgabe hat, die Heeresstruktur 2000 zu planen, mit deren Umsetzung im Grunde genommen in diesem Jahr begonnen werden muß, damit sie 1995 steht, plant bereits die Alternativen zur Reform, weil er die Planungsgrundlagen für die jetzt skizzierte Heeresstruktur 2000 nicht mehr aufrechterhalten kann. Zur Alternative wird also bereits eine Alternative geplant. Die Konzeption Reservisten - das ist das dritte Beispiel - hat zunächst 15 000 Wehrübungsplätze für notwendig gehalten, damit das operative Minimum ausgefüllt wird. Nun ist die genannte Zahl von Wehrübungsplätzen Woche für Woche um einige hundert reduziert worden, weil alle Experten und die Truppe selbst gesagt haben: Um Gottes willen, das verkraften wir nicht; das ist nicht darstellbar. Diese drei aktuellen Beispiele zeigen, wie es um die Bundeswehrplanung bestellt ist. Wir bestreiten gar nicht, meine Damen und Herren, daß es - auch im Bundesverteidigungsministerium - Ansätze zur Strukturreform gibt, die Akzente haben, die wir unterstützen können. Das gilt für Teile der Heeresstruktur 2000, die alternative Elemente enthält, wie etwa Grenadierbrigaden, die die Sperrfähigkeit in der Abwehr verstärken sollen, die damit auch die Defensivstruktur verstärken. Das gilt für die Kaderung von Verbänden in der Vorneverteidigung; es war vor Jahren undenkbar, daß man Heeresverbände des Feldheeres kadert. Und das gilt für manche anderen Ansätze, die wir durchaus mittragen können. Aber insgesamt gilt, daß diese Ansätze zaghaft und halbherzig sind und daß sie nicht in eine echte Strukturreform eingebettet sind. Meine Damen und Herren, es lohnt sich manchmal, in die Gründerzeit der Bundeswehr, in die 50er Jahre zurückzublenden. Damals wurden Alternativen sehr breit diskutiert, denen wir uns da und dort heute wieder annähern. Das gilt z. B. für die Alternative, die vor allen Dingen Oberst von Bonin, damals im Amt Blank, hochgehalten hat, nämlich statt der Schaffung gepanzerter Großverbände zum beweglichen Gegenangriff, die im Grunde genommen - das bestreitet niemand - in ihrer Grundstruktur historischen Vorbildern und natürlich auch der alten Wehrmacht entsprechen, ei8782 Gerster ({0}) nen abwehrstarken Sperriegel an der Grenze zur DDR und zur Tschechei zu schaffen, also eine statische Verteidigung, die sehr viel mehr Infanterieelemente und sehr viel weniger bewegliche gepanzerte Verbände enthalten würde, die damit auch billiger, die eindeutig defensiv wäre und der man auch beim bösesten Willen Angriffsabsichten nicht unterstellen könnte. Interessanterweise sind diese Ansätze um das Jahr 1980 wieder aufgegriffen worden, als z. B. der Panzergeneral Uhle-Wettler wörtlich gesagt hat: Die Bundeswehr hat zwar keine offensive Strategie - denn die Vorneverteidigung ist eindeutig eine defensive Strategie - , aber sie hat eine konventionelle Heeresstruktur, die in ihrer Fähigkeit zum Gegenangriff selbstverständlich offensive Elemente enthält. - General Uhle-Wettler als ein Sachkenner - das bestreitet wohl niemand - hat bereits seit Jahren beklagt, daß die Reservisten in der Bundeswehr keine Rolle spielen, daß die Infanterieschwäche des deutschen Heeres seit Aufbau des deutschen Heeres zu verzeichnen ist und damit auch unsere Struktur einmal für die Abrüstungsverhandlungen eine problematische Struktur ist, aber daß sie auch teurer ist, als sie sein müßte. Meine Damen und Herren, es ist nicht zufällig, daß die stärksten Widerstände innerhalb der Bundeswehr gegen die derzeitige Grundstruktur der Bundeswehrplanung aus dem Führungsstab des Heeres kommen, denn das Heer wird am stärksten zu spüren bekommen, wenn wir einmal ein operatives Minimum aufrechterhalten, das sich nicht darstellen läßt: 456 000. Hier hat der Heeresinspekteur bereits deutlich gesagt, daß er dies wegen eines Mangels an Längerdienenden, vor allen Dingen Unteroffizieren, nicht darstellen kann und daß er es deswegen vorziehen würde, dieses operative Minimum zu verlassen, es nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das gilt auch für die 42 Brigaden, die sich derzeit nicht mehr - nicht zuletzt finanziell - darstellen lassen. Und das gilt für den Jäger 90, von dem das Heer fürchten muß, daß, weil die Obergrenze des Verteidigungshaushalts politisch mehr oder weniger gegeben ist, egal welche Regierung dran ist, letzten Endes die größte Teilstreitkraft die Folgen bezahlen muß, weil sie nicht mehr die Mittel bekommen wird, die für den laufenden Betrieb unabdingbar sind. Meine Damen und Herren, dieser Inspekteur des Heeres, General von Ondarza, hat wörtlich zusätzliche Mittel verlangt, um die Fähigkeit zur Vorneverteidigung wiederherzustellen. Jetzt frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union: Was wäre gewesen, wenn ein Inspekteur unter einem sozialdemokratischen Verteidigungsminister gesagt hätte: Ich bin bei der derzeitigen Bundeswehrplanung nicht mehr zur Vorneverteidigung fähig; wir müssen das ändern; wir müssen die Prioritäten anders setzen. ({1}) Es wäre ein Aufschrei der Entrüstung durch die Republik gegangen, daß die unzuverlässigen Sozis die Verteidigungsfähigkeit schwächen. Dasselbe tun Sie, aber erstaunlicherweise ist dieser Aufschrei sehr verhalten. ({2}) - O, da haben sich einige vorgewagt, die besser den Mund gehalten hätten, lieber Kollege und lieber Onkel Johannes Gerster. ({3}) Graf Kielmansegg aus dem Führungsstab des Heeres hat wörtlich gesagt, die Bundeswehrplanung sei weit über das verantwortbare Maß hinaus schöngefärbt. Meine Damen und Herren, die Wehrstrukturkommission 1970/72 hat ein interessantes Ergebnis gehabt, und es lohnt sich heute, rund 15 Jahre später, dieses nachzulesen. Sie hat z. B. Truppenversuche zur Einführung einer Milizkomponente in die Bundeswehr vorgeschlagen. Das ist ein sehr interessanter Vorschlag, er ist leider auch von sozialdemokratisch geführten Regierungen nicht aufgegriffen worden. Wir stellen uns vor, daß eine Wehrstrukturkommission für den Anfang der 90er Jahre, wenn sie jetzt eingesetzt würde, die also für das nächste Jahrzehnt planen würde, ({4}) aus unabhängigen, kreativen Experten bestehen müßte, ohne Hierarchiezwänge und ohne Denkverbot, die den Auftrag hätten, eine Friedenspräsenz ohne Erhöhung des Grundwehrdienstes darzustellen, eine Bundeswehrstruktur, die abrüstungsfreundlich, angriffsunfähig und abwehrstark ist und die ohne nukleare Gefechtsfeldwaffen auskommt. Schließlich geht es auch um ein Gesamtkonzept, natürlich auch für die Bündnisstreitkräfte in der gemeinsamen Vorneverteidigung, denn dieses muß bündnisverträglich sein und muß im Bündnis abgestimmt werden. Die Akzeptanz der Verteidigung - das ist seit langem unsere Überzeugung - hängt sehr viel mehr davon ab, daß unser eigenes Verteidigungskonzept stimmt und die eigenen Menschen und die eigenen jungen Menschen, die wir brauchen, überzeugt. Deswegen müssen wir in der offiziellen Strategie auf Elemente verzichten, die nicht mehr vermittelbar sind. Dazu gehört der Ersteinsatz von Atomwaffen, und dazu gehört auch ein operatives Minimum. Äußere Sicherheit ist auch mit geringerem Aufwand und mit zeitgemäßen Mitteln zu gewährleisten. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Punkt 1: Einsetzung einer Wehrstrukturkommission. Kommissionen werden eingesetzt, wenn es einen Analyse- und Aufklärungsbedarf gibt. Kommissionen können dazu beitragen, Klarheit zu gewinnen und neue Ziele zu formulieren. Die SPD hat, als sie 1969 die Regierung übernahm, von dieser Möglichkeit, Kommissionen einzusetzen, umfangreichsten Gebrauch gemacht. Es gab damals eine regelrechte Kommissionsflut, aber leider selten Lösungen, meistens Produktion und Aufschieben von Problemen. Ich habe einmal nachgezählt: Seit 1970 hat es im Bundesverteidigungsministerium 15 Kommissionen gegeben: die Wehrstrukturkommission, die Personalstrukturkommission, Organisationskommission für den Rüstungsbereich, Bildungskommission, Kommission über die Informationsarbeit, Kommission über Munitionsmängel, Kommission zur Neuordnung der Organisation im BMVg, Kommission zur Kfz-Instandsetzung im Heer, Kommission zur Personalergänzung des Sanitäts- und Gesundheitswesens, die de MaiziéreKommission zur Stärkung der Führungsfähigkeit, Langzeitplanung der Bundeswehr, Kommission zur Neuordnung des Rüstungsbereichs, Kommission zur Neuordnung des nachgeordneten Rüstungsbereichs, Kommission zur Reform der Wehrverwaltung, MAD-Kommission. Der heilige Glaube an die Kommission ist bei den Sozialdemokraten leider eher im Irrationalen angesiedelt. ({0}) Nur ein geringer Teil der Kommissionsempfehlungen wurde verwirklicht, der überwiegende Teil nicht. Zu erinnern ist an die spektakuläre Wehrstrukturkommission, die sich mit ihrem Vorschlag für Kern- und Mantelverbände für die Bundeswehr nicht durchsetzen konnte. Auch auf viele andere Kommissionsempfehlungen hat sich der Aktenstaub gelegt; sie sind sang- und klanglos verschwunden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von dem Neffen Gerster?

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da es ausnahmsweise ein so liebenswürdiger Kollege der Opposition ist, bitteschön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nicht alle Gerster gehören ins gleiche Lager, haben wir hier festgestellt. Bitteschön, Herr Gerster.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege Lowack, darf ich Sie fragen, wo Sie die Kommission einordnen, die Ihre Fraktion vor wenigen Tagen gebildet hat, nämlich die Wehrdienstverlängerung akzeptanzfähig zu machen? Was ist das für eine Kommission?

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege, eine Kommission auf 15 geht ja wohl gerade noch. Gegenwärtig gibt es allerdings keine überzeugenden Gründe, den Bundesverteidigungsminister zum Einsetzen einer weiteren Kommission zu zwingen. Er hat die Organisationsfreiheit, nach eigenem Ermessen selbst Kommissionen einzuberufen. Wir verkennen nicht - auch das darf ich ganz offen sagen - , daß die Bundeswehr auch nach Beibehaltung des 18monatigen Wehrdienstes in den 90er Jahren mit Personal- und Finanzproblemen zu kämpfen hat. Außerdem wird die Rüstungskontrollpolitik unsere Verteidigungspolitik verstärkt beeinflussen. Notwendige Entscheidungen hierfür sind Ministeraufgabe. Das braucht nicht unbedingt auf eine vom Bundestag einberufene Kommission abgeschoben zu werden. Damit bin ich bei dem Thema, das mich eigentlich im Augenblick weit mehr interessiert. Das ist die Frage der Verlängerung des Wehrdienstes, die wir beschlossen haben und die wir beibehalten wollen. Meine Fraktion hat sich die Entscheidung hierüber sicher nicht leichtgemacht. Ich habe Respekt vor allen Kollegen aus den eigenen Reihen und der FDP, die sich argumentativ für eine Aufschiebung der Wehrdienstverlängerung ausgesprochen haben. Wir haben auch in Kreuth alle Argumente abgewogen und erörtert, bevor wir dann zu der Entscheidung gekommen sind, die wir getroffen haben und die bekannt ist. Die Argumente und Anträge der Opposition gehen allerdings in eine ganz andere Richtung. ({0}) Es ist ja immer einfacher, einem vermeintlichen Zeitgeist nachzulaufen, wie Sie das im Augenblick in geradezu unnachahmlicher Art und Weise tun, als weiterblickende Entscheidungen zu treffen. Niemand trifft gern unpopuläre Entscheidungen, wir auch nicht. Aber Politik lebt eben nicht nur von Populismus, Profillosigkeit, die Sozialdemokraten zur Zeit besonders beweisen, Opposition und Blindheit vor der Zukunft. Wir müssen uns heute den Problemen der Zukunft stellen. Die Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate war rechtzeitig beschlossen und ausführlich in aller Öffentlichkeit diskutiert und entschieden worden. Alle Beteiligten und Betroffenen konnten sich darauf einstellen. Problemgruppen sind in Absprache mit den Länderkultusministerien besonders berücksichtigt worden. Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren. Die Grundlagen unserer Entscheidung haben sich seit 1986 leider nicht geändert, so daß wir das Gesetz nicht haben ändern können. Die Tatsachen bleiben. ({1}) Die demographische Entwicklung geht von 320 000 19jährigen im Jahr 1983 auf 155 000 19jährige im Jahr 1993/94 zurück. 456 000 aktive Soldaten - der Rest auf 495 000 ist ja nur Verfügungsbereitschaft - mit 206 000 Grundwehrdienstleistenden können nur gehalten werden, wenn der Wehrdienst bereits jetzt verlängert wird. Das Bundesverteidigungsministerium ging 1985 für das laufende Jahr von einem notwendigen und erreichbaren Gesamtbestand von 620 000 19- bis 28jährigen Wehrdienstfähigen aus, von dem ein Bestand von 320 000 durch kontinuierlichen Abbau für die Bedarfsdeckung in den 90er Jahren genutzt werden sollte. Ab 1989 sollte darüber hinaus durch die Einberufung Verheirateter und die Änderung der Tauglichkeitskriterien eine bis zu 10 % höhere Ausschöpfung der schwachen Jahrgänge erreicht werden. Es wurde von einer Kriegsdienstverweigerungsquote von 10 % ausgegangen, ein Prozentsatz, der in der Zwischenzeit sicher fraglich ist. Die Freistellungsquote für den Zivil- und Katastrophenschutz, für Polizei und Bundesgrenzschutz sollten ab 1989 von 25 000 auf 18 000 gesenkt werden. Ende 1988 steht ein Gesamtaufkommen von 690 000 19- bis 28jährigen Wehrdienstfähigen für die Bedarfsdeckung der Bundeswehr und den bundeswehrexternen Bedarf zur Verfügung, von denen knapp 400 000 für die Bedarfsdeckung in den 90er Jahren genutzt werden kann. Der Zugewinn gegenüber den Planungen 1985 ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums, die Tauglichkeitskriterien bereits 1985/86 zu ändern, sowie aus einer Änderung der Jahrgangsstärken, hauptsächlich aus Wanderungsgewinnen. Diesen Zugewinnen stehen die Notwendigkeit der Änderung der Kriegsdienstverweigerungsprognose auf mindestens 12 % sowie die Beschränkung der Senkung der Freistellungsquoten auf 20 000 gegenüber. ({2}) Somit ergibt sich keine wesentliche Änderung für die Berechnung der Bedarfsdeckung in den 90er Jahren. Übrigens, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Sozialdemokraten, damit keine falsche Urheberschaft ins Spiel kommt: Die Verlängerung des Wehrdienstes ist doch keine Idee, die aus heiterem Himmel kommt. Sie war auch nicht unsere Idee. ({3}) Vielmehr ist sie in einer Zeit geboren worden, in der die Sozialdemokraten noch verantwortliche Verteidigungspolitik gemacht haben. ({4}) Es waren die von Verteidigungsminister Apel eingesetzte Kommission für Langzeitplanung der Bundeswehr und die Koordinierungsgruppe Personal, die uns mit den anstehenden Problemen konfrontiert, d. h. die uns die Probleme bewußt gemacht haben. So hat die von Apel eingesetzte Kommission eine Verlängerung der Wehrdienstzeit auf 18 Monate schon für Mitte der 80er Jahre und eine weitere Verlängerung für die Mitte der 90er Jahre vorgeschlagen. Die Koordinierungsgruppe Personal hat die Verlängerung ab 1989 ohne eine weitere Verlängerung Mitte der 90er Jahre für unbedingt erforderlich gehalten. Sie hat dabei in den 90er Jahren eine Personallücke von 35 000 aktiven Soldaten in Kauf genommen. Wenn wir jetzt bei dem Beschluß bleiben, die Wehrdienstzeit zum 1. Juni/1. Juli zu verlängern, so haben wir uns für die Lösung entschieden, die den Wehrdienstleistenden am meisten entgegenkommt. ({5}) - Ich wollte Ihnen nur einmal die Zahlen aufschlüsseln, damit Sie wissen, worauf Sie zurückkommen müssen, und was die Grundlage unserer Entscheidung ist. ({6}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie tun heute so, als ob wir auf einer Insel der Seligen leben würden. Wir sind mitten im West-Ost-Konflikt. Vor allen Dingen sind wir in ein Bündnis eingebettet, das unsere Sicherheit garantiert. Sie wissen ganz genau, was in den Vereinigten Staaten von Amerika los ist, daß die Diskussionen um das Burden sharing nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit, sondern selbstverständlich auch das Bündnis belasten. Wir haben uns in der Vergangenheit auf eine Entscheidung berufen und mit ihr begründet, weshalb wir bei Burden sharing unsere Last übernehmen. Wenn wir diese Entscheidung jetzt rückgängig machen, dann geben Sie den Leuten in den Vereinigten Staaten von Amerika die Argumente, die sie brauchen, um zu sagen: Wir sind in Europa überpräsent. Wir nehmen Truppenteile aus Europa zurück. Das wieder aufzufangen würde Konsequenzen bedeuten, die wir haushaltsmäßig überhaupt nicht leisten können. Wer sagt, er sei bereit, die falschen Signale zu setzen, der muß wissen, welche Konsequenzen das hat. ({7}) Ich möchte darauf hinweisen, daß das Prinzip Hoffnung nicht ausreicht. Wir sind noch mitten in einer Bedrohungslage. Selbst wenn wir Hoffnung auf Gorbatschow setzen, dann sollten wir nicht übersehen, daß gerade in den letzten Monaten die fast 8 000 Kampfpanzer, welche die Sowjetunion in der DDR stationiert hat, zum größten Teil mit Reaktivpanzerung versehen wurden, etwas, dem wir im Augenblick noch nichts entgegenzusetzen haben. Mit ihrer Forderung würde die SPD Probleme hervorrufen. Das würde bedeuten, daß wir bei W 15 auf 375 000 aktive Soldaten zurückgehen würden, nicht auf 420 000. Beim Aufschieben um drei Jahre würden wir auf 405 000 aktive Soldaten zurückgehen, nicht auf 420 000. Wir können damit natürlich das nicht halten, was Sie vorgeben, in Wirklichkeit halten zu wollen. Vorteile der Verlängerung des Wehrdienstes sind dagegen - wir müssen darauf hinweisen - eine größere Flexibilität bei der Planung, mehr Einzelfallgerechtigkeit, Auffangen der Zunahme der Zahl von Kriegsdienstverweigerern, eine bessere Lebensplanung, die nun wieder mehr auf den Einzelfall eingehen können soll, bessere Wehrdienstausbildung. Wir wissen, daß der Wegfall der Aufteilung in Grundausbildung und Spezialausbildung uns sehr geschadet hat. Vor allen Dingen haben wir im Hinblick auf die Verlängerung eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen getroffen, die wir damit etwas relativieren wollen. Lassen Sie mich abschließend auf eines hinweisen. Die Wehrpflicht ist ein Ergebnis aus der Zeit der Freiheitskriege der Deutschen. Sie ist ein Ausdruck demokratischer Gesinnung und Verantwortung. Wir sollten sie nicht in Frage stellen. Wir sollten sie nicht diffamieren. Solange es junge Leute gibt, die bereit sind, unser Land zu verteidigen, für es einzutreten, für es mehr Verständnis zu haben als die Opposition, so lange haben wir eine gesicherte Zukunft. Danke schön. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Verteidigungsminister und die Bundesregierung handlungsfähig wären, dann wäre die Wehrpflicht wohl nicht zum 1. Juni 1989 verlängert worden. Eine sachgerechte Entscheidung war nicht möglich, weil Minister Scholz eine Rücknahme der Verlängerung politisch wohl nicht überlebt hätte. Diese Koalition hat sich in wichtigen sicherheitspolitischen Fragen der Handlungskompetenz beraubt, weil der Kanzler eine falsche Personalentscheidung getroffen hat und immer noch nicht korrigieren will. ({0}) - Nun, warum nicht? ({1}) - So einfach ist es in der Tat nicht. - Das ist einer der wichtigen Gründe, weshalb die Bundesregierung ohne Not in einer Zeit einen Aufrüstungsschritt betreibt, in der bereits heute eine halbe Million Soldaten auf ihre Einberufung zur Bundeswehr warten. Ich unterstelle, daß die Koalitionsparteien mehrheitlich aus innenpolitischen Gründen den Termin des 1. Juni 1989 gerne verschoben hätten. Aber es gibt die Sorge - ich darf die FDP-Erklärung zur Haltung der CDU/ CSU-Fraktion zitieren -, ({2}) bei einer Verschiebung würde das Vertrauen unserer NATO-Partner in unsere Sicherheitspolitik in Mitleidenschaft gezogen werden. Das heißt doch soviel wie: Vertrauen innerhalb des Westens, innerhalb der Allianz besteht nur dann, wenn die Staaten möglichst viele Ressourcen für Rüstung verschwenden, statt sie für die wirklich drängenden Probleme einzusetzen. ({3}) - Das ist aber eine logische Folge. Was ist das für eine Partnerschaft - wie soll ich es sagen, damit Sie das wenigstens als Frage akzeptieren - , die nur durch Aufrüstung Bestand hat? ({4}) Das zeigt erneut, daß sich die NATO und die Bundeswehr heute durch Abrüstung viel mehr bedroht fühlen als durch die Sowjetunion. Während in der Bundesrepublik wie in Vorkriegszeiten Personal mobilisiert wird, kündigt die Sowjetunion die nächsten substantiellen Abrüstungsmaßnahmen an. Es werden 500 000 Mann - das sind 12 % der Gesamtstärke der sowjetischen Truppen - nach Hause geschickt, und gestern - heute ist die Meldung erst gekommen - hat Gorbatschow zudem angekündigt, daß der Militärhaushalt um 14,2 % gekürzt und die Produktion von Waffen und militärischer Technik um 19,5 % reduziert werden wird. Das ist das neue Angebot, das wieder zum Ausdruck bringt, daß Gorbatschow längst in die Phase des einseitigen Handelns eingetreten ist. ({5}) Ist das nicht ein phantastisches Angebot? Aber die NATO schlägt auf die Hand, die ihr Gorbatschow entgegenhält. Eine Verringerung der Bundeswehr auf 420 000 Mann, wie es auch von der SPD vorgeschlagen wird, wäre ein erster Schritt zum Einstieg in eine Abrüstungsdynamik. Die Verlängerung des Wehrdienstes ist ja keine singuläre Aktion. Sie ist Bestandteil einer umfassenden Politik, die auf Aufrüstung ausgerichtet ist. Der Verteidigungshaushalt steigt um fast 4 %. Mit dem Jäger 90 wird ein gewaltiges, völlig entbehrliches Rüstungsprogramm gestartet. Die Bundesregierung bereitet sich offenkundig darauf vor, Gorbatschow, der zur Symbolfigur für einseitige Abrüstung geworden ist, demnächst in einem Land zu begrüßen, das so rüstet wie im Kalten Krieg. Die Entscheidung zur Wehrdienstverlängerung fällt fast auf den Tag genau mit dem grünen Licht für die Verhandlungen über eine konventionelle Abrüstung in Europa zusammen. Es ist ein unglaubliches Maß an Unverfrorenheit, ({6}) daß die internationalen Bemühungen um Abrüstung von westdeutscher Seite mit Aufrüstungsmaßnahmen begleitet werden. ({7}) Wer sich, wie das in den letzten Tagen so oft geschieht, um das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt sorgt, sollte sich auch fragen, ob durch diese Aufrüstungswut in der Bundesrepublik nicht ebenfalls kritische Fragen ausgelöst werden. Die GRÜNEN haben einen Antrag auf Reduzierung der Grundwehrdienstzeit auf zwölf Monate eingebracht. In Verbindung mit einer Verringerung des Friedensumfangs der Streitkräfte auf 420 000 Mann wäre das ein positiver Beitrag zur internationalen Abrüstungsdiskussion. Gewiß würden sich bei einer Wehrdienstzeit von zwölf Monaten Zwänge zu Abrüstungserfolgen bei den Abrüstungskonferenzen ergeben. Aber genau das wollen wir. ({8}) Im einen Bereich mögen es die finanziellen Zwänge sein. Warum sollten nicht personelle Zwänge die Regierungen zu intensiveren Abrüstungsmaßnahmen zwingen dürfen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Mechtersheimer, würden Sie denn einen zwölfmonatigen Wehrdienst offensiv vertreten?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Im Vergleich zu der heutigen Situation wäre eine zwölfmonatige Grundwehrdienstzeit ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer immer weitergehenden Reduktion von Streit8786 kräften. Ich vertrete sie im Augenblick als ein interessantes Zwischenziel, das ich sogar für zumutbar halte, auch für Menschen mit Positionen, wie Sie sie wahrscheinlich vertreten. ({0}) Die Wehrpflichtigen sind nicht länger gewillt, diese Aufrüstungspolitik auf ihrem Rücken widerstandslos hinzunehmen. Es rühren sich Widerstand und Protest, auch in Jugendverbänden, die sich bisher politisch kaum betätigt hatten. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat bereits 12 % eines Jahrgangs erreicht. Alles spricht dafür, daß diese Entwicklung weitergeht. Viele Jugendverbände sind aktiv geworden. Die Schulen werden auch im Zusammenhang mit den Diskussionen an den Universitäten im Zug ihrer Politisierung, die ganz deutlich sichtbar wird, auch die Friedensfragen aufgreifen. Das wird dieser Debatte einen neuen, wichtigen Akzent geben. Wieder einmal zerstört die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen den Konsens, den sie für ihre Politik dringend braucht. ({1}) - Ja, ich kenne Herrn Scholz. - Eine Politik ist normalerweise dann am Ende, wenn sie das Gegenteil dessen hervorruft, was sie anstrebt. Genau das ist hier der Fall. Abrüstung ist aber nicht nur eine Frage von weniger Waffen; sie ist auch eine Frage der Entmilitarisierung. Deswegen müssen wir anstreben, daß immer weniger Menschen zum Schießen ausgebildet werden. ({2}) Das ist die Philosophie, die hinter diesem Konzept der schrittweisen Reduzierung der Wehrpflicht steht. Die Parole muß lauten: Zwölf Monate Bund sind mehr als genug. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier gar nicht eingehend untersuchen, welcher Befähigungsnachweis eigentlich dem Kollegen Mechtersheimer als Propheten in abrüstungspolitischen Fragen zugemessen werden kann. ({0}) Aber ich kann ihm vielleicht empfehlen, seine Äußerungen aus der Zeit nachzulesen, als wir uns hier im Hohen Haus darüber unterhalten haben, ob wir mit dem NATO-Doppelbeschluß eine der notwendigen Voraussetzungen schaffen, um im Mittelstreckenbereich tatsächlich zu Abrüstung zu kommen. ({1}) - Verfolgen Sie einmal, was Sie damals gesagt haben. Herr Kollege Gerster, als Angehöriger einer kleinen Fraktion habe ich leider nicht die Zeit, um auf Ihre strategischen Überlegungen in allen Einzelheiten einzugehen. Wir werden dazu, was ich hoffe, im Verteidigungsausschuß Gelgenheit haben. Ich sage Ihnen dazu: Ich bin damit einverstanden, daß wir eine solche Wehrstrukturkommission einberufen. Ich bin auch deswegen damit einverstanden, weil es unübersehbar ist, daß die Heeresstruktur 2000 noch nicht über alle ihre Schwierigkeiten hinweggekommen ist, daß wir bei der Reservistenkonzeption gewiß noch einige Probleme zu lösen haben und daß dies alles im Zusammenhang mit einer Strategie und mit Strukturüberlegungen gesehen werden muß, die vom personellen wie auch vom finanziellen und materiellen Bereich her die Vorneverteidigung auch in Zukunft möglich machen und damit die friedenserhaltende Wirkung unserer Verteidigungsanstrengungen sicherstellen. Das heißt, ich plädiere dafür, daß dieser Antrag an den Verteidigungsausschuß überwiesen wird, und ich wende mich nicht dagegen, daß eine solche Kommission einberufen wird, obwohl ich verständlicherweise das Ziel in einigen Punkten etwas anders sehe, als Sie es soeben dargestellt haben. Was mich in diesem Augenblick vor allem bewegt, ist die Frage der Grundwehrdienstzeit, sind die vorliegenden Anträge. Ich kann dazu für meine Fraktion sagen: Wir haben uns im vergangenen Jahr mit einem ganz anderen Bereich der Dienstzeitbelastung intensiv befaßt. Ich glaube, ich kann für meine Fraktion in Anspruch nehmen, daß wir uns bei der erreichten positiven Lösung einer neuen Begrenzung der Dienstzeitbelastung für die Soldaten und einer gerechten und spürbaren Entschädigung so aktiv eingesetzt haben, daß ich hier nicht unseren Befähigungsnachweis in diesen Fragen zu erbringen brauche. ({2}) Aber genauso intensiv müssen wir uns natürlich mit der Frage befassen, wie es denn mit der Wehrpflicht unserer Grundwehrdienstleistenden und der Länge des Wehrdienstes steht. Herr Lowack, Sie haben soeben in aller Breite und auch länger, als ich es hier tun kann, die Gründe dargelegt, die in der CSU bei der Kreuther Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Es muß mir daher wohl freigestellt sein, auch meinerseits zu sagen, wie ich zu diesen Fragen stehe. Ich sage hier eindeutig: Die Demokratie verträgt auch in den Streitkräften keine Nische, in der mit der persönlichen Zeit, der verfügbaren Zeit unserer Wehrdienstleistenden, unserer Soldaten etwa willkürlich oder auch nur über das unabänderlich notwendige Maß hinaus umgegangen wird. ({3}) Da die Ableistung der Wehrpflicht in die persönliche Zeitdisposition der jungen Männer nun einmal erhebRonneburger lich eingreift, muß sie auf das unabdingbare Maß beschränkt bleiben. ({4}) Ich füge hinzu: Von diesen Überlegungen, die ich damit äußere, werden auch die Fragen der Akzeptanz der Bundeswehr, ({5}) die Bereitschaft unserer Bürger, Lasten für die Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit zu tragen, unsere Stellung im Bündnis und damit die weitere Sicherung einer friedlichen Entwicklung unmittelbar berührt. ({6}) Ich brauche hier nur an das zu erinnern, was der Bundesaußenminister heute nachmittag hier von diesem Platz gesagt hat: Die Bereitschaft, das Land zu verteidigen, verspielt nur derjenige, der mögliche Abrüstungsschritte übersieht und nicht wahrnimmt. ({7}) - Ich habe nach meinem Gedächtnis und nicht aus dem Protokoll zitiert. Drei Monate zusätzlich: Meine Damen und Herren, Eingriffe in die persönliche Lebensplanung müssen wohl mit ausdrücklichen Sachzwängen begründet sein, um als unabwendbar erscheinen zu können. Ich muß hier sagen: Die Zahlen der Hardthöhe haben uns einen anderen Rückschluß nahegelegt, Herr Kollege Lowack, als Sie ihn hier gezogen haben. Denn nach den Unterlagen, die uns ja gemeinsam vorgelegen haben, ist der zahlenmäßige Umfang der Bundeswehr bei einer dreijährigen Verschiebung des Inkrafttretens der Wehrdienstverlängerung bis 1996 gesichert. Es hätte keine Verringerung gegeben. Ich hätte es auch in dem Gespräch mit unseren Verbündeten für außerordentlich wichtig gehalten, ihnen einen solchen Schritt klarmachen zu können. ({8}) Denn es gibt nun einmal - auch nach den Unterlagen der Hardthöhe - geänderte Zahlen des Überhangs. Es ist so, daß nach den Zahlen der Hardthöhe heute nicht ein Überhang von 320 000, sondern ein solcher von 400 000 vorhanden ist: ein Mehr von 60 000 auf Grund veränderter Tauglichkeitskriterien, ein Mehr von 20 000 aus dem Übersiedler-/Umsiedlerpotential. Damit sind 400 000 erreicht. Nun gibt es zusätzliche Zahlen, über die man mit Fug und Recht streiten kann, ob es 420 000, 430 000, 440 000 sind; ich will darüber hier überhaupt nicht spekulieren. Das, was ich sagen will, ist: Wir haben geänderte Zahlen gegenüber der gesetzlichen Entscheidung, die wir 1986 unter bestimmten zahlenmäßigen Bedingungen, die uns damals vorlagen, gemeinsam getroffen haben. ({9}) Ich sage noch einmal: Ich meine, daß man dies auch im Bündnis hätte begründen können. ({10}) Aber ich respektiere genauso - dies sage ich nun in aller Kenntnis der Realität - eine Realität, eine Koalitionsrealität, für die die SPD aus ihrer eigenen Erf ah-rung ein sehr großes Verständnis haben müßte. Ich erinnere an die Zeiten der Großen Koalition, in denen die SPD gezwungen war, aus Koalitionsrücksichten manches mit zu beschließen, was damals nicht ihrer eigentlichen Intention entsprach. Ich erinnere an die Zeiten der sozialliberalen Koalition. Jeder, der damals dabei war, wird wissen, wie schwer uns manche aus Gründen der Koalitionsräson getroffene Entscheidung gefallen ist. ({11}) Ich überziehe unser Maß an Einflußmöglichkeit nicht. Ich gestehe hier ehrlicherweise zu: Wir können mit unserem Stimmenanteil von 9,1 % ein bestehendes Gesetz nicht ändern. ({12}) - Herr Jungmann, Sie haben vorhin offenbar nicht zugehört, sonst machten Sie jetzt diesen Zwischenruf nicht. ({13}) Aber das Signal, das SPD und GRÜNE zu diesem Zeitpunkt setzen wollen, halten wir für falsch. Wir haben gesagt, wir seien für eine Verschiebung um drei Jahre, aber wir hielten es für falsch, in den Bestand der Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt oder zu einem absehbaren Zeitpunkt einzugreifen, solange, Herr Dr. Mechtersheimer, alles, was an Vorschlägen aus der Sowjetunion kommt, noch im Futurum gesagt wird und nicht im Präsens oder gar in der Vergangenheit. ({14}) Noch gibt es alle diese angekündigten Verringerungen nicht. Ich möchte nicht, daß wir aus Prinzip von den Zahlen abgehen, die wir für unsere Verteidigungsfähigkeit für nötig halten. Vielmehr muß jeder Schritt der Abrüstung ein Mehr an Sicherheit bringen und darf Sicherheit nicht einschränken. Ich plädiere dafür, mit aller Sorgfalt darauf zu achten: Was geschieht nun tatsächlich auf der anderen Seite, und wie können wir positiv darauf reagieren? Aber lassen Sie uns bei dem bleiben, was Gorbatschow selber gesagt hat: Wer mehr hat, muß mehr abrüsten. - Es kommt hinzu: Derjenige, der mehr hat, sollte mit dem Abrüsten auch anfangen. Ich danke Ihnen. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben am 6. Dezember beantragt, der Deutsche Bundestag möge die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf einzubringen, der die für den 1. Juni 1989 vorgesehene Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes auf 18 Monate aufhebt. Wir haben diesen Antrag wie folgt begründet. Erstens. Sachfremde Überlegungen waren Grundlage für die Entscheidung der Wehrdienstverlängerung. Zweitens. Für uns Sozialdemokraten ist es offensichtlich, daß einzig und allein dogmatisches Festhalten der Bundesregierung am Friedensumfang der Streitkräfte in Höhe von 495 000 Mann ursächlich für die Verlängerung der Wehrdienstzeit ist. Drittens. Die Verlängerung der Wehrdienstzeit ist sinnlos, weil der Friedensumfang generell auf Grund der demographischen Entwicklung nicht haltbar ist, und löst die anstehenden Strukturprobleme der Bundeswehr nicht. Viertens. Die Bundeswehr verfügt weder über die notwendigen Ausbildungskapazitäten, noch ist sie personell und materiell darauf eingerichtet. Insofern ist die Wehrdienstverlängerung für den Betrieb der Bundeswehr eine Belastung. Fünftens. Stures Festhalten an einmal gefaßten Beschlüssen siegt über die Lernfähigkeit. Das Dogma der 495 000-Mann-Armee im Frieden besiegte die heute gebotene sicherheitspolitische Vernunft. Jetzt müssen Hunderttausende von Jugendlichen - weit mehr, als die Bundesregierung zugibt - jahrelang warten, ehe sie eingezogen werden. Sechstens. Das von der Bundesregierung beanspruchte Ziel, mehr Wehrgerechtigkeit zu bewirken, wird in jeder Hinsicht verfehlt. Bewirkt wird statt dessen eine höhere Demotivierung junger Wehrpflichtiger. Die jungen Wehrpflichtigen stellen mehr und mehr den Auftrag der Bundeswehr in Frage, und nach meiner Ansicht geschieht dieses zu Recht, ({0}) denn dieser Auftrag geht im Kern auf die Konfrontationssituation der Zeit des Kalten Krieges zurück. Er muß heute neu und anders formuliert werden. Siebtens. Die Kalkulation, die Lebens- und Berufsplanung junger Menschen willkürlich bestimmen zu wollen, vermittelt und beweist ein Menschenbild, daß wir Sozialdemokraten gesellschaftspolitisch nicht verantworten können. ({1}) Herr Ronneburger, wenn Sie mir vorhin inhaltlich zugestimmt haben, dies aber einzig und allein mit dem Hinweis auf die Koalition, in der Sie sich befinden, glauben vertreten zu können, so ist das wieder typisch für die FDP. Es kann doch nicht im Interesse des Staates, der Bundeswehr und unserer Gesellschaft liegen, unnötig und willkürlich 25- bis 28jährige Arbeitnehmer oder Selbständige in wichtigen Lebensabschnitten, junge Familienväter, Berufsanfänger nach längerer Fachausbildung, Gesellen, die eine Meisterprüfung anstreben, Hochschulabsolventen in ihrer Qualifizierungsphase ihren objektiven Interessen zuwider einzuziehen. ({2}) Dann sollen diese jungen Männer von zum Teil noch viel jüngeren Unterführern geführt und „erzogen" werden. Kein Mensch in den Streitkräften glaubt, daß dies gutgeht. Herr Nolting, Sie sollten einmal ein bißchen rechnen; dann würden Sie einen so unsinnigen Zwischenruf unterlassen. Öffentlichkeit und Parlament werden an der Nase herumgeführt, wenn die Bundesregierung behauptet, mit der Verlängerung des Wehrdienstes einen wichtigen Schritt getan zu haben, damit der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur NATO auch in den 90er Jahren geleistet werden kann. Welcher Beitrag ist gemeint? Gemeint ist nur, die Friedensstärke in Höhe von 495 000 Mann zu halten. Es wird suggeriert: Nur die Quantität vermag unsere Verteidigungsfähigkeit zu garantieren. Viele Argumente aus militärfachlicher Sicht sprechen dagegen. Man muß wissen: Heute sind zwei Drittel aller Reservisten nicht für ihre Aufgabe im Verteidigungsfall ausgebildet. Die Bundeswehr hält Truppenteile unter hoher Präsenz, die mit vielen Wehrpflichtigen aufgefüllt sind, nämlich vor allem gepanzerte Kampf- und Kampfunterstützungsverbände. In anderen Bereichen fehlen sie. Aus der Forderung nach einer hohen Friedenspräsenz - in Höhe von 495 000 Mann - ergibt sich im Verteidigungsfall eine hohe Zahl von Reservisten, die für Funktionen ausgebildet sind, die nicht dem Anforderungsprofil ihrer Verwendung im Verteidigungsfall genügen. Einem Überschuß an Reservisten der gepanzerten Kampf- und Kampfunterstützungstruppen steht ein unverantwortlicher Mangel an Reservisten für Logistik, Sanitäts- und Sicherungstruppen gegenüber. Ich muß feststellen: Angesichts des erhöhten Reservistenbedarfs der Streitkräfte in den 90er Jahren als Folge der demographischen Entwicklung und der im Rahmen der Bündnisverpflichtungen in Aufstellung befindlichen Verbände für den Wartime Host Nation Support wird sich diese Situation entscheidend verschärfen. Bei einem Festhalten an der gegenwärtigen Friedensstärke und am gegenwärtigen Auftrag ist das aktive Personal der Bundeswehr in seiner Verantwortung für die Ausbildung erheblich überfordert, wenn dann noch der Ausbildungsauftrag für den Verteidigungsfall draufgesattelt werden soll. Dieses ist auch vor dem Hintergrund zu reflektieren, daß bereits jetzt die Soldaten eine hohe Dienstzeitbelastung haben. Für die aktiven Soldaten kann und muß die Forderung lauten, die Friedensstruktur der Bundeswehr so zu verändern, daß der Verteidigungsbedarf garantiert wird, wobei die Belastung der Ausbildungssysteme und der Soldaten, die ausbilden müssen, erträglich bleiben. „Erträglich" heißt in meiner Definition, daß auch unsere Soldaten einen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung und Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen haben. Nicht vorzeigbare Verbände im Frieden sind gefragt, sondern Strukturen, die den Grundgesetzauftrag erfüllen, nämlich für den Verteidigungsfall die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Dieses ist, Herr Lowack, ohne Verlängerung der Wehrpflicht möglich. Ein paar Bemerkungen zu Ihrem Zahlenspiel - nach meiner Einschätzung: Zahlenverwirrspiel -, Herr Lowack. ({3}) - Herr Bötsch, ich kann Herrn Lowack nicht beleidigen. Erstens. Richtig ist: Bereits beim ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren konnte ein Überhang festgestellt werden, der sich schon damals auf 320 000 bezifferte. Zweitens. Nach jüngsten Berechnungen erhöht sich die Zahl auf rund 450 000. Der Zuwanderungsgewinn durch Aussiedler erbringt ca. 20 000, die Absenkung der Tauglichkeitskriterien wahrscheinlich um die 60 000 zusätzliche Wehrpflichtige. Dieses ist also erstmals die Bugwelle, die die Bundeswehr vor sich herschiebt, das Reservepolster, das Ausgleichspolster - eine Betrachtungsweise, die mir sozial zuwider ist. Der Überhang reicht sicher bis zum Jahre 1999, rein rechnerisch sogar bis zum Jahr 2003 zum Ausgleich des Aufkommensdefizits aus. Was heißt das aber für die Betroffenen? Es heißt: Konnte bisher jemand planen, rund um das 20. Lebensjahr seinen gesetzlichen Wehrdienst abzuleisten, so muß er künftig feststellen, daß er bis zum 28. Lebensjahr „Verfügungsmasse" ist. ({4}) Diese Annahme ist nicht unbegründet, weil für die Zieljahre 1999/2000 immer noch mit einem Auswahlüberhang von 40 000 gerechnet wird. Zur Verdeutlichung: Für das Jahr 1989 errechnet sich nach den Ist-Erhebungen der Wehrersatzbehörden der Bestand der 19- bis 28jährigen Wehrdienstfähigen mit 700 000. Bei großzügiger Rechnung werden höchstens 255 000 für das Jahr 1989 benötigt, so daß 445 000 Wehrpflichtige den Auswahlüberhang bilden. Einer am 17. Januar 1989 veröffentlichten Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung ist zu entnehmen, daß turnusgemäß 210 000 junge Männer eingezogen werden, so daß ein weiterer Überhang von 45 000 festzustellen ist. Das heißt, wer von 490 000 ausgeht, hat eine realistische Planung. Es ist dabei nicht verwunderlich: Seit Monaten fragen neuerdings auch Kritiker aus dem konservativen Lager, ob es sinnvoll und gerecht sei, den jungen Bürgern unserer Republik in diesem Jahr eine Verlängerung zuzumuten. Professor Scholz verkündet weiterhin - bei seinem konservativen Zuschnitt auch nicht anders zu erwarten - , auf Grund der sinkenden Zahl von Wehrpflichtigen sei eine Verlängerung des Grundwehrdienstes unumgänglich. Der Bundeskanzler erklärt, die Personalvorgaben hätten sich geändert. Dies ist nicht richtig. Ich kann nur sagen: Die Öffentlichkeit wird bewußt getäuscht. Ein weiteres Argument, das ich letztlich als menschenverachtendes Argument ansehe, weil Sie mit Gewissensentscheidungen junger Menschen umspringen - Herr Lowack, auch Sie haben es genannt - , ist, man müsse angeblich bei der Verlängerung bleiben, weil sich die Wehrverweigerungsquote erhöht. Wehrpflichtige, die ihren Dienst erfüllen, sollen bestraft werden, weil andere junge Menschen von ihrem im Grundgesetz garantierten Recht Gebrauch machen. ({5}) Welche demokratische Grundhaltung haben diejenigen, die dahinter stehen? Die FDP hat ihre Meinung dargelegt. Ich sage nur: Der Wachhund der Liberalität hat wieder einmal laut gebellt und anschließend winselnd den Schwanz eingezogen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter!

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß, die Zeit ist zu Ende. Ich bin auch gleich fertig. Ich weiß, es ist hier schon vieles gesagt worden, aber nur eines ist richtig: Auch der Abgeordnete Biehle hat sich in unserem Sinne geäußert. ({0}) Er hat an anderer Stelle noch einmal eindeutig erklärt, wie es ist. Ich will nur noch sagen, was Herr Feld-meyer in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärt hat, daß dies alles eine schlechte Planung ist. Offiziell gelten noch immer die bisher gültigen Zahlen, aber es sind nicht mehr die Zahlen, mit denen morgen gearbeitet wird. Herzlichen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie einige Anmerkungen zu den anstehenden Anträgen, zunächst zu der Frage einer Wehrstrukturkommission. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, beantragen die Einsetzung einer Wehrstrukturkommission, um dem von Ihnen so bezeichneten Ziel beiderseitiger Angriffsunfähigkeit in Europa näher zu kommen. Meine Damen und Herren, eine solche Wehrstrukturkommission brauchen wir mit Sicherheit nicht; denn die Bundeswehr ist schon heute nicht angriffsfähig ({0}) das ist sie meines Erachtens auch zu sozialdemokratischen Zeiten nicht gewesen - , nach Ausrüstung, nach Truppenstand, nach Führungssystem, nach Stra8790 tegie, nach Dislozierung. Die Bundeswehr ist nicht angriffsfähig. ({1}) Die Bundeswehr ist verteidigungsfähig, und sie muß verteidigungsfähig gehalten werden. Sie ist aber nicht angriffsfähig. Angriffsfähig ist nach wie vor in der Tat die andere Seite, ({2}) trotz unbestreibarer, ermutigender Signale von der sowjetischen Seite. Aus diesem Grunde meine ich, daß Ihr Antrag, Ihr Wunsch nach einer Wehrstrukturreform kaum hilfreich sein kann. ({3}) Wir haben unbestreitbar viele strukturelle Probleme und strukturelle Fragen gerade in der Zukunft, gerade in einer Zukunft, von der wir uns - ich hoffe, gemeinsam - mehr an Möglichkeiten im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle, gerade im konventionellen Bereich, versprechen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Gerster.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, üblicherweise ist die Begründung nicht Bestandteil des eigentlichen Antrages. Können Sie denn dem Antrag zustimmen, dem eigentlichen Petitum, eine Wehrstrukturkommission einzurichten? Sie müssen sich ja nicht mit der Begründung identifizieren.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Ich habe bisher versucht, Ihren Antrag ernst zu nehmen, ({0}) ihn wörtlich zu nehmen, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Wenn der Antrag in seiner Begründung, in seinen Gründen von vornherein nicht stichhaltig ist, bitte ich um Nachsicht, daß ich mich damit auseinandergesetzt habe. ({1}) Strukturelle Fragen, meine Damen und Herren, haben wir und werden wir in vielfältiger Hinsicht auch in der Zukunft zu diskutieren haben. Das ist unbestreitbar. Wir werden dafür auch die richtigen Instrumentarien haben, entwickeln und darüber sicherlich auch, wie ich hoffe, gemeinsam diskutieren. Meine Damen und Herren, gestatten Sie nunmehr einige Anmerkungen zur Frage des Wehrdienstes: Die Koalition hat sich, wie Sie wissen, entschieden, das in Kraft getretene Gesetz über die Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate nicht zu ändern. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern gerade dieses Hauses danken, die sich an dieser Diskussion sehr intensiv beteiligt haben. Ich weiß sehr wohl, daß in beiden Koalitionsfraktionen viele gewesen sind, die diese Entscheidung nicht leicht getragen haben und die es sich mit dieser Entscheiduung nicht leichtgemacht haben. Ich darf mich an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal für die intensive Diskussion in diesem Bereich bedanken. Meine Damen und Herren, wir haben - Herr Ronneburger hat darauf hingewiesen - eine gewisse Veränderung im zahlenmäßigen Bereich. Dies ist unbestreitbar. Nach meiner Einschätzung ist das kein substantiell verändernder Aspekt, aber er gibt uns Möglichkeiten zu - und das ist die Grundlage der Gesetzgebung - mehr Wehrgerechtigkeit. Er gibt uns nunmehr Möglichkeiten, auch individuelle Belange im Sinne von mehr Flexibilität zu berücksichtigen, also auch mehr individuelle Wehrgerechtigkeit zu verwirklichen. Dies ist meines Erachtens ein wichtiger Schritt, den wir hier gehen können. Wir werden insbesondere alle Wehrpflichtigen, die ihre Einberufung beantragen, grundsätzlich innerhalb eines Jahres einberufen. Das heißt, vieles von dem, was von den Kritikern jener Gesetzgebung immer wieder angeführt worden ist, z. B. daß Überalterung drohe, ist nicht der Fall. Im Gegenteil, wir werden in den 90er Jahren bereits wieder auf etwas über 19 Jahre Durchschnittsalter kommen. Auch die Behauptungen, es werde einen Überhang bis ins 27., 28. Lebensjahr hinein geben, sind nicht richtig. Wir werden auf der anderen Seite aber mehr Rechtssicherheit haben. Der einzelne junge Mensch hat natürlich ein Recht darauf, daß er weiß, wie er sich in seiner Lebensplanung auf seinen Wehrdienst einzurichten hat. Das werden wir gewährleisten können. Wir werden einen ganzen Katalog von verbindlichen Sonderregelungen für Abiturienten, für Arbeitslose, für Wehrpflichtige, die in der Lehre, einer Zweitausbildung, einer Existenzgründung, einer Phase der Festigung des Arbeitsverhältnisses stehen, entwickeln und vorstellen. Hierüber bin ich sehr froh. Lassen Sie mich mit einem Satz schließen, meine Damen und Herren. Die Frage der Beibehaltung der 18monatigen Wehrpflicht ist natürlich wie die der Stärke der Bundeswehr insgesamt an die weitere Entwicklung im konventionellen Bereich, was Abrüstung und Rüstungskontrolle angeht, gebunden. Wenn es uns gelingt, was wir alle hoffen, daß in diesen Bereichen wirkliche Fortschritte erreicht werden, wird natürlich auch die Frage der Struktur der Bundeswehr, der Gestaltung der Wehrpflicht wieder neu zu diskutieren sein. ({3}) Auch dies sage ich Ihnen ausdrücklich. Aber die Zeit ist für reale Vorleistungen angesichts verbaler Ankündigungen der anderen Seite in einer Situation, wo wir unterlegen sind, nicht reif. Eine solche Politik wäre nicht verantwortlich. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Auffassungen? - Das ist nicht der Fall. Sie sind einverstanden. Die Überweisungen sind so beschlossen. Der Tagesordnungspunkt VII - „Allgemeine namentliche Kennzeichnung von Polizeibeamten" - wird morgen beraten werden. Ich rufe den Punkt VIII der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Odendahl, Dr. Penner, Dr. Böhme ({0}), Bernrath, Kastning, Kuhlwein, Dr. Niehuis, Rixe, Weisskirchen ({1}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Entwicklung der „Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung" - Drucksachen 11/2793, 11/3767 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für diese Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage zur Entwicklung der „Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung" will die SPD-Bundestagsfraktion einen Beitrag zur Verbesserung der Beamtenausbildung leisten. Wir wollen prüfen, ob die FH Bund in den gut zehn Jahren ihres Bestehens die Vorstellungen umgesetzt hat, die mit den Änderungen des Beamtenrechtsrahmengesetzes und des Bundesbeamtengesetzes von 1976 für die Laufbahnen des gehobenen nichttechnischen Dienstes verfolgt wurden. Diese Prüfung erscheint uns um so dringlicher, als es in der Fachöffentlichkeit in den letzten Jahren erheblichen Zweifel am Hochschulcharakter der Einrichtung, an der Studierbarkeit und Wissenschaftlichkeit der Studiengänge, am richtigen Verständnis des Praxisbezugs und an der Lehr- und Forschungsfreiheit der Hochschullehrer gegeben hat. Im übrigen liegt es auch nahe, daß eine Hochschule, die zehn Jahre nach ihrer Gründung noch immer nach einem „Vorläufigen Errichtungserlaß" arbeitet, der selber eine spätere gesetzliche Regelung ankündigt, einer kritischen Bestandsaufnahmen unterzogen wird. Gutachten im Auftrag der Regierung können das zweifellos nicht ersetzen. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage drückt sich am Kern der Probleme vorbei. Sie zeigt wenig Bereitschaft, sich mit den angesprochenen Fragen auch inhaltlich zu beschäftigen. Begrüßenswert ist nur die grundsätzliche Aussage, daß die Leitprinzipien für die Hochschulform Fachhochschule nach dem Hochschulrahmengesetz auch für die FH Bund gelten sollen. Das müßte sich dann aber in den Antworten zu den einzelnen Fragen wiederfinden. Es sollte auch im praktischen Verhältnis von Fachbehörden und Hochschule deutlich werden. Professor von Richthofen, der Leiter der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, hat Ende 1987 in einem bemerkenswerten Vortrag die Realität der Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung an den ursprünglichen und immer noch gültigen bildungspolitischen Zielen gemessen: Praxisbezug, Wissenschaftlichkeit, Berufsethos und Hochschulcharakter. Die Ergebnisse seiner Analyse müssen zu denken geben. Erstens. Die Ausbildung soll den Studenten Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die sie befähigen, den gegenwärtigen und künftigen Anforderungen ihrer Laufbahn gerecht zu werden. Das ist durch 18 Monate praktische Tätigkeit und 18 Monate Studium mit, man höre und staune, 2 200 Unterrichtsstunden nicht zu gewährleisten. Die Stoffülle führt dazu, daß nur noch auf die Prüfungen gepaukt werden kann. Die Praxis steht unverbunden neben der Theorie. Die Praxis wird auch nicht kritisch reflektiert und die künftige Praxis nicht ausreichend berücksichtigt. Zweitens. Die Ausbildung soll die Absolventen befähigen, wissenschaftlich-methodisch zu denken und wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis einzubringen. Bei weit mehr als 30 Wochenstunden im Studium bleibt kaum Zeit für wissenschaftliche Vertiefung des Stoffes. Angesichts der hohen Zahl der Lehrbeauftragten fehlt der Standard für die Qualifikation des Lehrpersonals. Auf Diplomarbeiten, die den Nachweis für die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten darstellen könnten, wird verzichtet. Drittens. Die Ausbildung soll die Absolventen zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigen. Auch hier ist angesichts der Stoffülle Skepsis angebracht, ob dieses Ziel erreicht werden kann. Es ist schwer vorstellbar, daß in einem durch und durch reglementierten und verschulten Studium Kreativität und Verantwortungsfreude oder gar Kritikfähigkeit gefördert werden. Viertens. Der Hochschulcharakter der FH Bund ist zumindest nicht unumstritten. Abgesehen von der starken Reglementierung der Studiengänge hat sie gegenüber den allgemeinen Fachhochschulen eine stärker eingeengte Lehr- und Forschungsfreiheit für die Hochschullehrer, zusätzlich verbunden mit Dienstpflichten, die es in dieser Form an allgemeinen Hochschulen nicht gibt. Nun begründet die Bundesregierung in ihrer Antwort die Abweichungen vom allgemeinen Hochschulrecht mit den angeblich so besonderen Anforderungen an die Beamten des gehobenen Dienstes. Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum das gleiche dann nicht auch für die zukünftigen Beamten des gehobenen technischen Dienstes und die Beamten aller Laufbahnen des höheren Dienstes zu gelten hat, für Beamte, die bekanntlich an allgemeinen, öffentlichen und allen zugänglichen Fachhochschulen bzw. Universitäten ausgebildet werden. Nun habe ich ja Verständnis dafür, daß die Vielzahl der Ressorts und Behörden über die FH Bund ihren höchsteigenen Personalbedarf decken will. Aber ich wundere mich, daß die künftigen Schlüsselqualifikationen, die in der bildungspolitischen Diskussion heute eine Rolle spielen, wie Systemdenken, Sozial8792 kompetenz, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit und selbständiges Denken, für Beamte im gehobenen nichttechnischen Dienst verzichtbar sein sollen. Der Bildungsbedarf für ein gesellschaftspolitisch bedeutsames Berufsfeld kann doch nicht allein den personalwirtschaftlichen Vorstellungen einzelner Beschäftigungsbehörden überlassen bleiben. ({0}) Hier sind, meine ich, auch Bildungspolitik und Wissenschaft gefordert. Hier müssen auch die betroffenen Studenten und die Hochschullehrer mitwirken können. Die Wissenschaftlichkeit der Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung ist übrigens anders, als uns die Antwort auf unsere Anfrage weismachen will, sehr wohl Gegenstand der Erörterung in der Westdeutschen Rektorenkonferenz gewesen. In einer Senatsunterlage des 48. Senats der WRK am 7. Oktober 1986 heißt es u. a., daß sich „die Ressortfachhochschulen in Struktur, Organisation, Aufgaben, Lehrpersonal, Studenten und anderem derart gravierend von den übrigen Mitgliedshochschulen ... unterscheiden" , daß eine Aufnahme dieser Hochschulen in die WRK ohne grundlegende Änderungen der Rahmenbedingungen nicht in Betracht kommen sollte. Also, die WRK attestiert ausdrücklich, daß sie mit anderen, mit allgemein zugänglichen Fachhochschulen und Hochschulen nach dem Hochschulrahmengesetz bis heute nicht vergleichbar sind. Wenn das so ist, muß die Bundesergierung Konsequenzen ziehen. Ich will hier nur einige nennen. Erstens. Wir fordern die Bundesregierung auf, die FH Bund auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Zweitens. Das Gesetz muß die FH Bund an die strukturellen Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes anpassen, insbesondere in bezug auf die Möglichkeiten der Selbstverwaltung, das Verhältnis von Rechtsaufsicht und Fachaufsicht, die Gruppenmitwirkung und die Personalstruktur. Drittens. Durch eine Studienreform sind Freiräume für ein wissenschaftlich fundiertes Studium zu schaffen, das sich auch an künftigen Tätigkeitsanforderungen orientiert und auch Qualifikationen für Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes vermittelt. Wenn man immer von Mobilität redet, muß man zumindest diese Möglichkeit schaffen. Viertens. Die Dauer der Fachstudien ist auf 24 Monate zu erhöhen. Fünftens. Die FH Bund muß für externe Studienbewerber geöffnet werden. Sechstens. Die Zusammenarbeit mit der Fachpraxis ist zu verbessern; dazu gehören auch Praxissemester für die Hochschullehrer und die Beteiligung der FH Bund an der Weiterbildung der Beamten. Siebtens. Die Forschungstätigkeit an der FH Bund ist zu verstärken, um die Lehre weiterzuentwickeln, die Verwaltungswissenschaften zu fördern und Dienstleistungen für die Fachpraxis durch Wissenstransfer zu erbringen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt in ihrer Antwort, bei sich ändernden Anforderungen und Rahmenbedingungen seien für die FH Bund auch andere Strukturen denkbar. Ich glaube, daß sich beides längst geändert hat und daß sich beides weiter verändern wird. Die SPD-Fraktion wird im Deutschen Bundestag deshalb zur Verbesserung der Beamtenausbildung für den gehobenen nichttechnischen Dienst in Kürze konkrete Vorschläge machen. Ich meine, das sind wir dem Nachwuchs im öffentlichen Dienst, aber auch den Bürgern schuldig, denen die Beamten schließlich dienen sollen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wisniewski.

Prof. Dr. Roswitha Wisniewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002532, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kuhlwein, wenn man Sie hört, hat man ja den Eindruck, daß die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in einem desolaten Zustand befindlich ist. Ich glaube, dies ist nicht der Fall. ({0}) Vielmehr möchte ich eingangs allen, die an dieser Fachhochschule lehren, aber auch denen, die dort lernen, von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion her sagen, daß wir ihre Leistungen hoch anerkennen ({1}) und daß wir der Meinung sind, daß hier immer wieder eine ganz vorzügliche Arbeit stattfindet. Daß diese Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, kurz so schön „FH Bund" genannt, als bundeseigene Einrichtung innerhalb des reich gegliederten Hochschulsystems der Bundesrepublik insgesamt eine besondere und, wie ich finde, interessante Stellung einnimmt, ist sicherlich völlig unbestritten. Die Frage ist, ob sich die vor zehn Jahren gegründete Einrichtung so entwickelt hat, wie man es ihrem Auftrag gemäß und ihrer Konzeption entsprechend als angemessen beurteilen muß, oder ob sie, wie die Große Anfrage der SPD es nahelegt, eine Entwicklung hin zur Fachschule genommen hat, die in der Tat einer Fachhochschule nicht angemessen wäre. Es ist sicherlich richtig, nach zehn Jahren Bilanz zu ziehen und sich darüber klar zu werden, ob sich die bestehende Einrichtung bewährt hat oder ob Veränderungen nötig sind. Verwunderlich bleibt es in der Tat, daß es in zehn Jahren entweder nicht gelungen ist oder daß nicht versucht worden ist, den vorläufigen Errichtungserlaß des Jahres 1978 durch ein reguläres Gesetz zu ersetzen. Man kann sagen, daß pragmatische Gründe dafür sprechen, den dazu notwendigen schwierigen Prozeß nicht in Gang zu setzen, auch jetzt noch nicht, sondern das Faktum des Fortbestehens und der Funktionsfähigkeit der Hochschule höher zu bewerten. Man wird prüfen müssen, ob Veränderungen, wie sie durch das erwähnte Gutachten jetzt siFrau Dr. Wisniewski cherlich in Gang gesetzt werden, schließlich dazu führen, daß wir eine solche Gesetzesvorlage anstreben. Daß die Fachhochschule in der Tat voll funktionsfähig ist und daß ihre Leistungen - ich wiederhole es - hoch anzuerkennen sind, hat jüngst eben dieses Gutachten bestätigt, das ein Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer im Auftrag der Bundesregierung angefertigt und vor wenigen Tagen in Teilen vorgelegt hat. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Fachhochschule die für die Bürger unseres Landes ungemein wichtige Aufgabe, kompetente und zuverlässige Beamte der verschiedensten Sparten heranzubilden, mit viel Erfolg und zu allgemeiner Zufriedenheit bewältigt. Dennoch sollt es erlaubt sein, kritische, nachdenkliche Fragen zu stellen und so ähnlich, wie es in jenem Gutachten auch geschieht, zu weiterer Diskussion anzuregen. Teilweise sind das andere Fragen als die, die in der Großen Anfrage der SPD gestellt werden. Wenn man sich mit dem Aufbau und der Arbeitsweise der FH Bund näher beschäftigt, sieht man sofort, daß die Organisationsstruktur dieser Einrichtung nicht gerade einfach zu nennen ist. Es handelt sich eigentlich um einen Verbund, in dem zehn sehr unterschiedliche Fachbereiche zusammengefügt sind. Allgemeine innere Verwaltung steht neben Bundeswehrverwaltung, Eisenbahnwesen, Flugsicherung, Wetterdienst, geophysikalischem Beratungsdienst, öffentlicher Sicherheit, Post- und Fernmeldewesen und Sozialversicherung, und diese einzelnen Fachbereiche sind über die ganze Bundesrepublik verstreut. Dennoch gehören sie alle zu einer einheitlichen Fachhochschule. Sitz der Leitung und des Grundstudiums ist Köln. Widerspricht dieser auch räumlich weitverzweigte Aufbau nicht pädagogischen Erfahrungen, wonach überschaubare und räumlich wie inhaltlich zusammenhängende Einheiten den Zusammenhalt einer Ausbildungsgemeinschaft von Lehrenden und Lernenden und damit den Lehrerfolg besser garantieren? Wenn man sich aber grundsätzlich dafür entscheidet - und ich plädiere dafür - , trotz mancher Bedenken den bestehenden und im großen und ganzen bewährten rechtlichen und institutionellen Rahmen beizubehalten, sollte man sich doch nicht scheuen, im Sinne einer modernen Fachhochschulausbildung Maßnahmen zu erwägen, die vor allem darauf gerichtet sein können und sollen, mehr Selbständigkeit und lebendiges wissenschaftliches Interesse bei Lernenden und Lehrenden zu wecken. ({2}) Auf diese Weise könnte der Typus der aufgeschlossenen, flexiblen und im Rahmen des Möglichen eigenverantwortlich handelnden Beamten verstärkt gefördert werden. Dies wäre ganz gewiß im Sinne der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und läge damit im öffentlichen Interesse. Mir erscheinen daher Bemühungen, den Studierenden mehr Gestaltungsmöglichkeiten im Studium und in den Prüfungen einzuräumen, von besonderer Bedeutung. Auch ich, Herr Kuhlwein, hielte es für sinnvoll, mehr freie Themenwahl bei Klausuren, Hausarbeiten und schriftlichen Examensarbeiten zu ermöglichen. Nur, dazu sind große strukturelle Änderungen nicht nötig. Auf diese Weise würde meines Erachtens so manche Anregung zu verstärkter wissenschaftlicher Arbeit und zu anwendungsbezogener Forschung auf die Lehrenden ausgehen, so daß auch hier wieder auf weitergehende strukturelle Veränderungen verzichtet werden könnte. Damit müßte eine Überprüfung der Studienzeiten und der Studieninhalte einhergehen. Wenn allzu große Stoffvorgaben in einem relativ engen Zeitraum aufgenommen und verarbeitet werden müssen, dann ist immer die Gefahr gedankenlosen Einpaukens mit dem Ziel kurzfristiger, oft prüfungsbezogener Gedächtnisspeicherung gegeben. Dies nützt letztlich niemandem. ({3}) Wenn allein durch Gestaltung des Studiums im Sinne einer besseren Ausgewogenheit von Schwerpunktvertiefung und Gesamtüberblick keine befriedigenden Ergebnisse zu erwarten sind, dann müßte tatsächlich, wie es auch in dem Gutachten erwogen wird, an eine Neustrukturierung des Studiums und gegebenenfalls an eine Veränderung der Fachstudien gedacht werden. Von ganz besonderer Bedeutung ist bei dieser Art des Studiums eine möglichst reibungslose Verzahnung der berufspraktischen und der fachtheoretischen Studienzeiten und -inhalte. Entsprechen eigentlich in dieser Hinsicht die Kompetenzen der Fachbereichsleiter ihrer Aufgabe? Man wird diese Frage sowohl im Hinblick auf die zentrale Leitung als auch in bezug auf die vielen obersten Dienstvorgesetzten, die jeweiligen Bundesminister, stellen müssen. Natürlich haben die Ressortchefs ein besonderes Interesse daran, daß ihr Ausbildungsf achbereich optimal in ihre Verwaltungsvorstellungen eingebunden ist. Aber werden - bei allem Verständnis für diesen Gesichtspunkt - die Anliegen der Ausbilder dabei gebührend berücksichtigt? Gibt es genügend Raum für innovative Bemühungen, die letztlich auch der übergeordneten Behörde und damit schließlich wieder uns allen zugute kommen? Zu fragen ist auch, ob die Ausbildungskompetenz bei der Besetzung der Leitungsfunktionen so berücksichtigt wird, wie es für eine Ausbildungseinrichtung dieser Bedeutung angemessen ist. Im Vordergrund aller Bemühungen sollte freilich nach wie vor die berufspraktische Ausbildung stehen, die den Anwärter auf seine künftigen beruflichen Aufgaben möglichst dezidiert vorbereitet, so daß nicht nur die aufnehmende Dienststelle den größten Nutzen davon hat, sondern auch der Berufsanfänger selbst. Der oft beobachtete Berufsschock kann auf diese Weise weitgehend vermieden werden. Werden aber die nicht immer leichten Aufgaben der Ausbilder von der Behörde, für die sie diese Arbeit leisten, eigentlich angemessen gewürdigt? Wird auf die Vorbereitung der Lehrenden und der Ausbildungsbeamten genügend Sorgfalt verwandt? Meine Damen und Herren, dies sind ein paar Gedanken, Fragen, Anregungen, die, nehme ich an, das Ziel, das wir alle im Auge haben, vielleicht besser als bisher zu erreichen helfen können. Das Ziel muß sein, die Berufsausbildung für die Geschäftsbereiche der Bundesverwaltung mit der Bildung der Berufspersönlichkeit des Verwaltungsbeamten zu verbinden. Dieses Ziel verdient volle Unterstützung. Die Bundesregierung wird, nehme ich an, in weiteren Gesprächen mit den Verantwortlichen, vielleicht auch mit einigen Parlamentariern, diese Anregungen gern aufgreifen und bestimmt dazu beitragen, daß die Verwaltungsfachschule ihre Aufgaben wie bisher, vielleicht noch besser als bisher wahrnehmen wird. ({4}) - Fachhochschule; Entschuldigung, Herr Kuhlwein. ({5}) - Sicher nicht Freudsch. Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zur Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung ausdrücklich anerkannt, daß diese Fachhochschule trotz ihres spezifischen Ausbildungsauftrags zum Gesamtsystem der öffentlichen Hochschulen zählt. Dies heißt insbesondere: Die allgemeinen Grundsätze für öffentliche Fachhochschulen, was etwa deren Selbstverwaltung oder den wissenschaftlichen Charakter von Forschung und Lehre angeht, sollen auch für die Fachhochschule des Bundes in Köln gelten. Schön und gut, meine Damen und Herren, aber was heißt das in der Realität? Konkret und im Alltag der Kölner Fachhochschule rangieren Selbstverwaltung und Wissenschaftlichkeit unter „ferner liefen" . Dies liegt weder an den Lehrkräften noch an den Studentinnen und Studenten. Dies liegt allein an den Ministerien und Bundesbehörden, die bis in den letzten Winkel dieser Fachhochschule hineinregieren: in Studienpläne, in das Prüfungswesen, in die Stellenpolitik, in den gesamten Zuschnitt des Studiums an der Kölner Fachhochschule. Unter dem alles erschlagenden Vorwand, es handle sich hier ja um einen Vorbereitungsdienst, um eine praxisnahe Ausbildung für den gehobenen Dienst in Bundesbehörden, regieren die 16 im Kuratorium versammelten Träger der Kölner Fachhochschule, darunter zehn Bundesministerien, in die Fachhochschulverwaltung und in den Lehrbetrieb hinein - Reglementierung total. Die Folgen sind völlige Überlastung von Studierenden und Lehrkräften, Nichtstudierbarkeit der aufdiktierten Themenfülle. Von einem wissenschaftlichen Charakter von Lehre und Forschung kann unter solchen Umständen nicht die Rede sein. ({0}) Lassen Sie mich das an zwei Beispielen deutlich machen. Erstens. Mit 684 Stunden Lehrdeputat pro Jahr liegt die Belastung der Lehrenden um rund 80 Stunden über dem eh schon außerordentlich hohen Deputat an öffentlichen Fachhochschulen. Niemand glaube, daß man sich unter solchen Bedingungen, wie es von einer Fachhochschule an sich gefordert ist, auf dem jeweiligen Stand der Forschung halten könne. Ohne neue Lehrkräfte und ohne Deputatentlastung wird man auch an der Kölner Fachhochschule kein qualitativ ausreichendes Studium absolvieren können. ({1}) - Nein, sie wird eine schlechte Ausbildung machen; sie wird nicht zusammenbrechen. Natürlich läuft der Laden, er läuft nur nicht nach Maßgabe des Ziels, eine wissenschaftlich qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Das ist der Einwand. ({2}) - Herr Gerster, bringen Sie „Zustände wie in Afrika" doch als Zwischenfrage! Was soll denn dieser Unsinn? ({3}) - Ich habe ihn ja gerade aufgefordert, das als Zwischenfrage zu stellen. ({4}) - Lassen wir das. Ich glaube, Herr Gerster wußte nicht, was er sagt. ({5}) Zweites Beispiel. Nach EG-Norm müssen Fachhochschulstudenten mindestens 2 200 Stunden Fachtheorie absolvieren. Ungeführ 1 900 dieser Stunden müssen die Kölner Studenten gegenwärtig in sage und schreibe eineinhalb Jahren absolvieren. Rechnet man das um, dann heißt das: Jeder Student hat in dieser Zeit rund 30 Stunden pro Woche fachtheoretischen Unterricht abzusitzen; es herrscht bekanntlich Anwesenheitspflicht. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß unter solchen Bedingungen davon die Rede sein könnte, dieses Angebot sei studierbar? Das Recht der Studenten auf eine wissenschaftliche Ausbildung bleibt unter solchen Bedingungen ein leeres Versprechen. Die Möglichkeit einer eigenständigen Vertiefung rechtlichen, sozialwissenschaftlichen oder politologischen Wissens existiert nicht. Meine Damen und Herren, es sind einige Vorschläge gemacht worden, die im gegebenen rechtlich-institutionellen Rahmen immanent bleiben. Frau Professor Wisniewski hat z. B. den sehr wichtigen Vorschlag gemacht, diese Zersplitterung an verschieWetzel dene Lernorte aufzuheben. Ich glaube, das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag. Ich will zum Abschluß kurz auf vier Punkte zu sprechen kommen, die sich auf den rechtlich-institutionellen Rahmen beziehen. Das erste, was an dieser Fachhochschule nottut, ist Deregulierung. Die Reglementierungssucht der Ministerien und Bundesbehörden muß zurückgenommen werden. Mehr Selbstverwaltungs- und Selbstgestaltungsmöglichkeiten für die Kölner Fachhochschule sollten geschaffen werden. Am besten wäre es wohl, wir würden die 16 Träger aus dem Kuratorium zurückziehen und die Zuständigkeit beschränken, erstens auf das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, ({6}) das die Wissenschaftlichkeit dieser Fachhochschule sichern könnte, und zweitens auf das Bundesinnenministerium. Letzteres wäre für beamten- und dienstrechtliche Belange zuständig. Zweitens - das war schon angesprochen - muß diese Fachhochschule auf eine Rechtsgrundlage gestellt werden; die gegenwärtige ist außerordentlich diffus. Wir haben den Vorläufigen Errichtungserlaß, das Beamtenrechtsrahmengesetz, das Bundesbeamtengesetz. Diese diffuse Rechtsgrundlage muß in einem eigenen Gesetz systematisiert werden. Drittens Studienreform. Es ist eine Studienreform erforderlich, die wirklich eine wissenschaftliche Qualität der Ausbildung nach Maßgabe der Ansprüche, die von der Öffentlichkeit an eine Fachhochschule zu stellen sind, wie nach Maßgabe der Ansprüche, die die Studierenden selber stellen, gewährleistet. Viertens. Es müssen Voraussetzungen sowohl institutioneller wie deputatsmäßiger Art geschaffen werden, daß eine Forschung an Fachhochschulen in dem Maße möglich ist, daß man zumindest den Entwicklungsstand des jeweiligen Faches in die Lehre einbringen kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wetzel, ich habe den Eindruck gehabt, daß hier ein Mißverständnis aufkam. Das können wir vielleicht noch einmal klären. Frau Kollegin Wisniewski hat sich wohl mit der Frage der unterschiedlichen Lernorte beschäftigt - das ist richtig -, und ich habe das auch für sehr abgewogen gehalten, was sie gesagt hat. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß sie hier die Position vertreten hätte, als wäre das eine Frage, die grundsätzlich die Struktur in frage stelle. Das hatte ich bei Ihnen ebenso verstanden. Aber vielleicht können wir das noch einmal ausdiskutieren. ({0}) Die verwaltungsinterne Lösung für die Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Länder ist in diesem Hause nicht unumstritten. Das ist bekannt, das ist auch in der Vergangenheit hier schon angeklungen. Und bei den Bildungs- und Hochschulpolitikern ist sie auch nicht besonders beliebt gewesen. Ich glaube allerdings, daß diese Frage etwas überbewertet wird. Mit der verwaltungsinternen Lösung sollte vor allem die Bedarfsorientierung der Ausbildung in quantitativer wie qualitativer Hinsicht gesichert werden. Mit dem Beamtenstatus der Studenten ist eine ökonomische Absicherung verbunden, die eine vollständige Konzentration auf das Studium und damit auch eine Verkürzung der Studienzeiten erreichen läßt. Diese Lösung sichert auch der Verwaltung maßgeblichen Einfluß auf den Hochschulzugang und auf die Inhalte und die Dauer des Studiums. Daß sich aus dieser Grundentscheidung noch weitergehende Aufsichtsrechte und Einflußmöglichkeiten der oberen Dienstbehörden gegenüber der Fachhochschule ergeben sollen, wie dies in den Fragen 2, 3 und 11 angesprochen wird, aber auch in den Ziffern 3 und 5 der Vorbemerkung zur Antwort der Bundesregierung deutlich wird, ist nach Auffassung der FDP allerdings nicht zwingend. Der Gesetzgeber hat für die Ausbildung des gehobenen Dienstes einen Studiengang an einer Fachhochschule vorgeschrieben. Die Fachhochschule des Bundes ist 1979 von ihren Grundstrukturen her als Hochschule eingerichtet worden, und sie hat inzwischen auch die hochschulrechtlich erforderliche Anerkennung durch die Bundesländer erhalten. An diesem Status sollte man nicht herummäkeln, weder in der Anfrage noch in Veröffentlichungen wie der eines ehemaligen Mitglieds des Aufsichtsreferates für die Fachhochschule Bund aus dem Innenministerium in der Zeitschrift „Beamtenrecht". Man muß freilich auch bereit sein, in der programmatischen Erklärung, aber mehr noch in der täglichen Praxis die unausweichliche Folge des Hochschulstatus für diese Einrichtung zu akzeptieren, nämlich die Aufgabenwahrnehmung in der Form der Selbstverwaltung. ({1}) Hierin kann und darf sich die Fachhochschule des Bundes nicht von anderen Fachhochschulen unterscheiden. Die FDP begrüßt nachdrücklich, daß diese Position auch in der Antwort der Bundesregierung unzweideutig zum Ausdruck kommt. Aufgabenwahrnehmung in der Form der Selbstverwaltung setzt aber andere Formen der Aufsicht voraus, als das bei nachgeordneten Behörden der Fall ist. ({2}) Der Vorläufige Errichtungserlaß für die Fachhochschule des Bundes beschränkt daher im Kernbereich der Selbstverwaltung der Hochschule, im Bereich von Lehre und Forschung, diese Aufsicht im wesentlichen auf eine Rechtsaufsicht. Das ist in der Antwort der Bundesregierung bekräftigt worden. Die aufsichtsführenden Behörden müssen sich gegenüber einer mit dem Recht auf Selbstverwaltung ausgestatteten Körperschaft stets besondere Zurückhaltung auferlegen, um im täglichen Geschäft nicht den Versuchungen des Hineinregierens und der Detailsteuerung zu erliegen. Die Aufsicht muß sich auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit und der Aufgabenerfüllung beschränken, wenn sie der Hochschule den notwendigen Freiraum belassen will, den diese ja gerade zur Ausfüllung ihres Auftrages genauso nötig braucht wie vielleicht auch den Rat und die korrigierende Hilfe seitens einer wohlverstandenen Aufsicht. Wir fragen uns allerdings, ob die in Vorbemerkung 5 angesprochene Kritik an Art und Umfang der Aufsichtspraxis gegenüber der Fachhochschule mit dem Hinweis auf die Vielzahl der Aufsichtsbehörden abgetan werden kann. Hier liegt ohne Zweifel eine Aufgabe für den Innenminister, nicht nur für eine einheitliche, sondern auch für eine den Auftrag und die Selbstverwaltung der Fachhochschule bewahrende Praxis der Aufsicht gegenüber der Fachhochschule zu sorgen. ({3}) Die FDP-Fraktion teilt nicht die Tendenzen, die in der Anfrage der SPD zum Ausdruck kommen und die mit Verweisen auf Stoffülle, Zeitrahmen und Studierbarkeit auf eine Verteufelung von Kurzzeitstudiengängen hinauslaufen. Man darf der Fachhochschule mit dem pauschalen Hinweis auf die Verwaltungsinternalität nicht einfach den Hochschulcharakter absprechen. Das würde den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. ({4}) Man muß sich davor hüten, allzu unkritisch Positionen einzelner Mitgliedergruppen der Fachhochschule zu übernehmen. Meine Damen und Herren, die FDP steht nach wie vor zu dem Modell der internen Verwaltungsfachhochschulen. Dabei kann es aber für uns weder bezüglich der Internalität noch bezüglich anderer Regelungen Dogmen geben. Alle Regelungen müssen sich daran messen lassen, ob sie einen positiven Beitrag zur Erreichung der Ziele, der Bedarfsgerechtigkeit und einer angemessenen Studiendauer leisten. Das werden wir auch weiterhin kritisch prüfen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die eigentliche Crux der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung liegt darin, daß es sich trotz ihres formalen Hochschulcharakters bei ihrem Angebot im eigentlichen Sinne nicht um ein Studium handelt, sondern - wie es auch richtig in den Vorbemerkungen zur Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage heißt - um eine eng fachgebundene Verwaltungsausbildung. Diese Ausbildung ist in allen Phasen streng nach dem Bedarf der Bundesverwaltung und funktions- oder praxisgerecht orientiert. Die Teilnehmer an der Ausbildung sind demgemäß auch keine Studenten im eigentlichen Sinne, sondern es sind alimentierte Beamte im Vorbereitungsdienst. Das zweifellos breite Ausbildungsangebot dokumentiert sich in vielen Fachbereichen. Leider aber kann der einzelne Teilnehmer dieses Angebot in dieser Breite nicht nutzen, weil er als beamteter Studierender streng auf den Fachbereich seines künftigen Dienstherrn festgelegt ist. Es handelt sich also eigentlich um Verwendungslehrgänge. Die Studierenden nennen das Ganze Paukschule oder Beamtenschmiede. Damit bleibt das Studienangebot der Fachhochschule auch für die Förderung von Neigungen und Begabungen ungenutzt. Das ist um so bedauerlicher, als die Voraussetzungen für eine Mitarbeit in den verschiedenen Bereichen der öffentlichen Verwaltung des Bundes nicht so unterschiedlich sind, daß die strenge Fachbereichsbindung gerechtfertigt wäre. Dies bestätigt sich im übrigen auch in der Nachwuchsgewinnung für den höheren Verwaltungsdienst, der ja diese Fachbindung nicht kennt. Nicht zuletzt führt die meines Erachtens anachronistische Fachbereichsbindung mit der ausschließlichen Aufnahme von beamteten Studierenden auch dazu, daß externe Studierende gar nicht erst in die Fachhochschule kommen. Dies mutet seltsam an, zumal unzählige Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung beispielsweise auch als Angestellte tätig sind, die zweifellos und durchaus erfolgreich auch an einer Fachhochschule für die öffentliche Verwaltung studieren und sich damit auf ihren Beruf vorbereiten könnten. ({0}) Im übrigen ist es jeder hochschulischen Ausbildung fremd, vor Beginn des Studiums bereits den Dienstherrn und damit die Fachrichtung wählen zu müssen und die Studienfächer auf diese Weise unproduktiv einzuengen. Schließlich ist diese Fachhochschule in der jetzigen Rechtsform und in ihrer Einengung nach meiner Meinung nicht geeignet, Personal für die europäischen Aufgaben des öffentlichen Dienstes auszubilden oder gar Studienbewerber aus anderen europäischen Ländern aufzunehmen. Damit wird der gesamte sachbearbeitende und in weiten Bereichen leitende, führende Teil des Personals der öffentlichen Verwaltung in ein Schema gepreßt, das unausweichliche Sturkturverschiebungen national oder auch europäisch eher behindert. Eine personelle Fluktuation zwischen öffentlicher Verwaltung und gewerblicher Wirtschaft ist ohnehin durch das starre System der Fachhochschule ausgeschlossen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sie nicht angerechnet wird, ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also Herr Gerster ({0}), bitte schön.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß durch die Deklaration von Bali diese Öffnung nach Europa demnächst möglich wird? ({0})

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Gerster, ich weiß um Ihre außenpolitischen Ambitionen. Aber ich habe erfahren, daß die Deklaration von Bali ihrem Inhalt nach nicht einmal dem Botschafter in Indonesien bekannt war. Ich nehme an, daß es noch ausreichender Studien bedarf, um sie auf die Fachhochschule des Bundes anzuwenden. ({0}) Durch die Einengung der Studienwahl ist beispielsweise auch die geringe internationale Zusammenarbeit oder der praktisch ausgeschlossene Austausch zwischen der Fachhochschule des Bundes und ausländischen Fachhochschulen oder ähnlichen Instituten begründet. Wie notwendig aber dieser Austausch für Professoren und Studierende ist, bedarf angesichts der immer enger werdenden Verflechtungen in Europa, auch zwischen den öffentlichen Verwaltungen in den Mitgliedsländern, eigentlich keiner näheren Begründung. Aus meinen Hinweisen ergibt sich auch die Begründung für eine spürbare und notwendige Ausdehnung der Praxis- und Forschungsfreisemester für die Professoren, nicht zuletzt unter der Frage, ob wir es uns leisten können, die umfangreichen Ressourcen des wissenschaftlich qualifizierten Personals der Fachhochschule nur so eingeschränkt für die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter in den Funktionsspektren des gehobenen Dienstes zu nutzen. In dieser Tatsache liegt auch die Gefahr, daß zwischen der Leistungskraft und dem Ansehen der Fachhochschule des Bundes und den übrigen Fachhochschulen eine immer größere Kluft entsteht. Daß die angedeuteten Eigenarten für eine Fachhochschule im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht zwangsläufig sein müssen, zeigen die hervorragend arbeitenden Fachhochschulen der Deutschen Bundespost für die Ausbildung von Ingenieuren. Ihr Erfolg liegt entscheidend darin begründet, daß sie keine der Fachhochschule des Bundes vergleichbaren Einengungen haben, damit also auch voll dem Wettbewerb und der Fluktuation zwischen dem öffentlichen Dienst und einer Tätigkeit in der Industrie ausgesetzt sind. Eine Projektgruppe unter Leitung von Professor Carl Böhret aus Speyer hat in diesen Tagen eine Zwischenbilanz der Fachhochschulausbildung des Bundes vorgelegt. Diese gute, umfangreiche Arbeit - wir haben sie leider erst auf Anforderung bekommen - leidet allerdings unter ihrer Beschränkung auf die Erfahrungen und Erwartungen in nur zwei Fachbereichen: allgemeine innere Verwaltung und Zoll. Das ist ein viel zu enger untersuchter und überprüfter Bereich. Viel schwierigere Fachbereiche, wie beispielsweise die für Post und Bahn, wurden leider, vielleicht wohlweislich und bewußt, nicht untersucht. Die Ergebnisse hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit anders ausgesehen. Das ändert nichts daran, daß die Leistungskraft des Personals der Fachhochschule sicherlich von allen unvoreingenommenen Kritikern gleichermaßen positiv bewertet wird. Dennoch bestätigen die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse unsere Kritik. Für die fachtheoretischen Studien wird beklagt, daß die Stoffvorgaben zu umfangreich sind, der Praxisbezug nicht mit der andererseits vielschichtigen Anforderung an eine breite Verwendung in Einklang zu bringen ist und die Wahl-und Mitwirkungsmöglichkeiten insbesondere der Studenten zu gering sind. Die berufspraktischen Studienzeiten hängen in ihrer Wirksamkeit - so sagt das Gutachten aus - zu sehr von Zufälligkeiten der zugeteilten Ausbildungsämter, beispielsweise der Ausbilder oder anderer äußerer Bedingungen, ab. Darüber hinaus gibt es leider kaum Feststellungen und Empfehlungen zu grundsätzlichen Gestaltungsfragen der Fachhochschule Bund für öffentliche Verwaltung, beispielsweise zur Selbstverwaltung - Herr Richter hat darauf hingewiesen -, zur Wahlfreiheit, aber auch zum Verhältnis hauptamtliche Lehrkräfte zu Lehraufträgen. Ich bin aber überzeugt, daß wir in den Ausschüssen noch Gelegenheit haben werden, diese Arbeit sorgfältig zu erörtern und dann dazu Stellung zu nehmen. Im übrigen hat ja mein Kollege Kuhlwein bereits dargelegt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um die Fachhochschule, die hauptamtlich lehrenden Professoren, dringend benötigte wissenschaftliche Mitarbeiter zu befähigen, hochschulgerecht Lehr-und Forschungsfreiheit zu praktizieren und damit qualifizierten Nachwuchs für Sachbearbeitung und Führung in der öffentlichen Verwaltung auszubilden. Seine Hinweise möchte ich noch um die eine oder andere Einzelheit z. B. zur Personalstruktur ergänzen. Das Verhältnis zwischen dem mit unmittelbaren und mittelbaren Aufgaben betrauten Personal beträgt bei der Fachhochschule des Bundes 1 : 1 und wirft damit die Frage auf, ob wir bei der FH Bund zu wenige Dozenten oder zuviel Verwaltungspersonal haben. Zum Vergleich empfehle ich, diese Relation an anderen Universitäten oder Fachhochschulen zu studieren. Verwaltungsfachhochschule darf nicht bedeuten, daß sich zunächst die Verwaltung quantitativ stark macht und an der eigentlichen Aufgabenerfüllung dann gespart werden muß. Der Studienbereich Organisation, Betriebswirtschaftslehre, Informationstechnik, der jetzt besonders wichtig ist, ist von dieser ungünstigen Relation am stärksten betroffen, insbesondere und richtigerweise seit der letzten Studienreform, weil hier rund 20 Stunden mehr zu geben sind. Die Professoren befürchten zu Recht, daß die Qualität ihrer Lehre unter ein nicht mehr verantwortbares Maß weitersinken wird, wenn nicht bald etwas getan wird. Dazu hat sich auch der Hochschullehrerbund geäußert und Vorschläge zu den Arbeitsbedingungen in Lehre und Studium, zur Forschung und Entwicklung gemacht, die ich jetzt im einzelnen nicht mehr repetieren kann. Seine Kritik stimmt aber im wesentlichen auch mit dem überein, was Herr Kuhlwein und ich hier vorgetragen haben. Die Antwort der Bundesregierung geht meines Erachtens nicht hinreichend ausführlich auf die in diesen Fragen aufgezeigten Gefährdungen der Fachhochschule Bund ein. Das tatsächlich bestehende konfliktreiche Spannungsverhältnis zwischen Hochschulrecht und Beamtenrecht, in dem sich die Fachhochschule Bund seit ihrer Gründung vor nunmehr rund zehn Jahren befindet, wirkt sich ohne Zweifel negativ auf die Ausbildungsqualität der jährlich etwa 2 500 Studienanfänger aus, die später als Beamte des gehobenen Dienstes in der schwierigen Sachbearbeitung im Mittelmanagement das Rückgrad der Verwaltung bilden sollen. Zu den Vorschlägen, die wir im Ausschuß einbringen werden, wird noch gehören, daß wir bitten, die Fachhochschulen zu beauftragen, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben darauf hinzuwirken, daß Frauen und Männer die ihrer Qualifikation entsprechenden gleichen Entwicklungsmöglichkeiten haben. Dazu sollte gehören, daß auch die Fachhochschulen Frauenbeauftragte berufen, die sich gerade dieser Entwicklung und dieser Aufgabe zuwenden. Ich danke Ihnen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir diese Fachhochschule des Bundes gegründet haben, gab es ja intensive Diskussionen. Ich kann mich daran noch gut erinnern, weil ich das damals im Innenausschuß des Bundestags begleitet habe. Wir alle waren uns darüber einig, daß wir Neuland betreten. Zu Beginn dessen, was ich in Ergänzung der Antwort der Bundesregierung ausführe, verweise ich darauf, daß wir uns ja auch seitens der Bundesregierung darum bemühen, Zwischenbilanz zu ziehen. Heute ist schon mehrmals das Gutachten des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung unter Leitung von Professor Dr. Carl Böhret zitiert worden. Ich zitiere daraus nur eine Zusammenfassung, die das Gutachten selber gibt. Dort heißt es: Die Untersuchung bestätigt, daß die Fachhochschulausbildung des Bundes recht leistungsfähig ist und die gesetzten Ziele hinreichend erfüllt. Diese Ansicht wird im Grundsatz von allen befragten Gruppen unterstützt. ({0}) - Nein, Ich bitte Sie, weiterzulesen. Kollege Bernrath hat soeben gesagt, daß er - wie wir - das Gutachten seit einigen Stunden in der Hand hat. Er kann das nachlesen. In diesem Gutachten wird an vielen Stellen dargelegt, was Gutes hier geleistet worden ist. In dem, wie ich denke, gemeinsamen Bestreben, hier für die Beamtenausbildung und die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltung etwas zu tun, wollen wir doch folgendes festhalten. Die Realität bestätigt: Es werden ausgezeichnete Regierungsinspektoren ausgebildet. Dafür danke ich denen, die das tun, und auch denen, die sich der Ausbildung widmen. ({1}) Ich berichte einmal aus der Praxis. Gerade in diesen Tagen habe ich einige Dienststellen besucht, die sich als Außenstellen des Bundesverwaltungsamts ganz besonders um all die wichtigen Verwaltungsfragen bei der Eingliederung der Aussiedler bemühen. Da haben mir alle Verwaltungsdienststellen gesagt: Diese jungen Regierungsinspektorinnen und Regierungsinspektoren sind ganz ausgezeichnete Kräfte, auf die können wir vertrauen; die sind geradezu das Rückgrat unserer ganzen Verwaltungsarbeit. Wollen wir uns hier doch nicht hinstellen und so tun, als sei dies alles mies und als müßte man das alles herunterreden; sondern wollen wir doch einmal anerkennen, daß auf diesem Neuland bisher auch schon viel Gutes geschehen ist. ({2}) Das schließt ja überhaupt nicht aus - das erkläre ich hier für das Innenministerium und die ganze Regierung - , daß wir uns eine ganze Reihe Anregungen, die auch in der Debatte gekommen sind, vornehmen und überlegen wollen: Was kann man noch besser machen? Dazu ist hier ja eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden. Nur - darauf lege ich Wert, und das sage ich ganz besonders zu den Sprechern der Opposition -, man muß natürlich wissen was man denn mit der Ausbildung will. Ich sage ganz klar: Wir wollen nicht neben der Universitätsausbildung für den höheren Dienst jetzt eine Fachhochschulausbildung, die sozusagen die Schmalspurjuristen produziert. Das ist nicht der Sinn. ({3}) Der Sinn ist vielmehr, tüchtige Leute für die gehobene Verwaltungslaufbahn in diesem System der Fachhochschule auszubilden, aber - das sage ich deutlich - auch mit einem gehörigen Maß Praxisbezogenheit. Jetzt muß man einmal aus der Praxis einer öffentlichen Verwaltung reden. Wir können in der Verwaltung ja nicht nur Leute haben, die von der Universität kommen, und dann noch Leute, die von der Fachhochschule kommen und ebenfalls ganz viel theoretisches Wissen haben. Wer soll dann noch die praktische Verwaltungsarbeit machen? Auch dafür brauchen wir doch geschulte Leute. ({4}) Das sage ich nicht nur hier im Bundestag. Ich bin auch in die Verwaltungshochschule nach Köln gegangen und habe mit den Studierenden und den Professoren diskutiert. Wir haben uns kräftig und intensiv am Ort unterhalten. ({5}) Ich habe einigen auch gesagt: Es geht nicht, daß ihr folgendes wollt, daß ihr den Beamtenstatus - denn die Leute werden vom ersten Tag an Beamte mit einer zunächst wenigstens ganz attraktiven Bezahlung - schön verbinden wollt - ({6}) - Also, Herr Kollege Penner, das würde ich mal nicht so leichtsinnig behaupten, daß die das nicht wollen. Die sind sehr froh darüber, daß sie schon diese Bezüge bekommen. ({7}) Ich habe ihnen dazu auch erklärt, daß man sich dann, wenn man diesen Status wählt, daß man Regierungsinspektor-Anwärter ist, auch einer bestimmten Einbindung in die öffentliche Verwaltung fügen muß. Denn man kann nicht auf der einen Seite sagen, ich will alle die Freiheiten haben, die da meine Studienkollegen auf der Universität haben, und das auf der anderen Seite mit all den Vorrechten kombinieren wollen, die ich hier habe. Das geht nicht. ({8}) Das habe ich also den Kollegen in Köln auch erklärt. ({9}) - Wir sind jetzt bei diesem Bereich, Herr Kollege Bernrath, und den wollen wir jetzt einmal abhandeln. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie erst noch eine Zwischenfrage des Kollegen Penner zulassen?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Bitte, Herr Kollege Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Waffenschmidt, Sie haben mich angesprochen: ({0}) Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich zwar so heiße, daß sie aber nicht aufgepaßt haben? ({1})

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie zwar den schönen Namen Penner haben, aber daß ich sehr wohl aufgepaßt habe, sowohl in Köln bei der Diskussion als auch hier. ({0}) Aber ich meine, es ist jetzt schon acht Minuten vor zwanzig Uhr. Da entgeht Ihnen auch manches, Herr Penner, und das kann ich ja auch verstehen. Deshalb wollen wir jetzt einmal in der sachlichen Diskussion fortfahren. Ich will hier zu der Fachhochschulausbildung noch gern dreierlei ausführen. Erstens. Wir haben eine eigenständige Ausbildung wie bei den übrigen Fachhochschulen; der Studiengang ist anerkannt. Ich will hier einmal deutlich sagen: Alle Bundesregierungen - auch die früher von Ihnen geführten - haben die Entwicklung dieser FH Bund sehr aufmerksam verfolgt. Sie haben auch alle die Ausbildungskonzeption und die Ausbildung in den Einzelheiten unterstützt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Bernrath?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Bitte schön. Dem Kollegen Bernrath immer; er war ja mein Vizepräsident im Städte- und Gemeindebund.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß es angesichts der modernen Entwicklung im Zusammenleben zwischen den Völkern besser ist, Penner zu heißen als Waffenschmidt? ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, die Abrüstungsdebatte ist ja heute schon gewesen.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ich will Ihnen dazu sagen: Herr Kollege Bernrath, auch meine Erfahrungen in den internationalen Begegnungen haben mich gelehrt, daß die Menschen immer vorurteilsfreier werden. Sie beurteilen andere nicht nach dem Namensschild, sondern danach, was sie als Beitrag zu dem Zusammenleben der Menschen leisten. Da kann ich ganz gut mithalten. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Waffenschmidt, im übrigen ist die Abrüstungsdebatte heute schon gewesen. ({0})

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Die Abrüstungsdebatte war heute schon. Aber, Herr Präsident, wir haben ja gute Gepflogenheiten und antworten auf die netten, charmanten Fragen der Kollegen. Wir sind ja auch heute wieder mit Parlamentsreform beschäftigt. Vielleicht ist es in der Hinsicht auch dienlich, wenn wir einmal so etwas als Zwischenspiel haben. Jetzt kommen wir wieder zur Fachhochschule, meine Damen und Herren. Drei Dinge noch: Ich will hier ganz deutlich machen, daß wir uns auch mit den Ländern - auch mit den von Ihnen, meine Damen und Herren, von der SPD regierten Ländern - einig sind, daß wir für diese Fachhochschulen bei Bund und Ländern nicht besondere Errichtungsgesetze brauchen. Die gültigen Rechtsgrundlagen des Bundes und der Länder, einschließlich des Vorläufigen Errichtungserlasses, reichen doch völlig aus. Warum sollen wir denn jetzt unnötigerweise wieder neue Gesetze produzieren? An anderer Stelle haben wir deutlich ausgesprochen, daß wir Gesetzgebung genau unter die Lupe nehmen wollen, ob sie notwendig ist. Das schließt freilich für die Bundesregierung nicht aus - das will ich nach Rücksprache mit unseren Fachleuten im Hause auch noch einmal sagen - , daß wir uns andere Gestaltungsmöglichkeiten, Einzelheiten an Hand der Vorschläge dieses Gutachtens hinsichtlich der Gestaltung der Ausbildungsgänge noch einmal ansehen. Aber das alles muß doch nicht dazu führen, daß wir die Grundlagen jetzt völlig verändern, daß wir wieder alles in Zweifel ziehen, was sich in den zurückliegenden Jahren auch bewährt hat. Wir können das Bewährte doch durchaus stärken und bei einigen Einzelheiten, wie es auch Frau Kollegin Wisnieswki vorgetragen hat, vielleicht noch neue Akzente setzen. Das läßt sich miteinander kombinieren. Meine Damen und Herren, ich habe die Anfrage der SPD so verstanden - ich will das nach Ihren Beiträgen hier heute guten Willens wirklich weiter so tun -, daß es Ihnen darum geht, mit uns zusammen die bestmöglichen Wege für die Ausbildung dieser Damen und Herren zu suchen, die wir dann im gehobenen Verwaltungsdienst beschäftigen werden. Ich möchte eins als ein Stück weit faszinierend herausstellen, Kollege Bernrath, nämlich daß es uns mit diesem Modell gelungen ist - das sollten wir weiterhin stärken und verfolgen - , eine praxisorientierte Ausbildung, die der künftige Inspektor haben muß, mit den Elementen einer Ausbildung zu verbinden, wie sie für Fachhochschulen vorgesehen sind, wie sie Fachhochschulen eigen sind. Das stärkt dann auch die Möglichkeiten, Führungspositionen wahrzunehmen. Ich bekenne mich hier ausdrücklich dazu, daß wir guten Leuten, die sich im gehobenen Dienst bewährt haben, auch im Sinne der Durchlässigkeit der Laufbahnen die Möglichkeit geben sollten, in den höheren Dienst aufzusteigen. Ich sage das ausdrücklich als einer, der selber die Befähigung zum Richteramt und zum höheren Verwaltungsdienst hat. ({0}) - Ob ausgeübt oder nicht, lieber Kollege Penner, darüber können wir uns noch ein bißchen unterhalten. Ich möchte Ihnen gerne sagen: Mancher tüchtige Mann aus dem gehobenen Verwaltungsdienst ist eine ausgezeichnete Kraft auch für die Positionen, die generell für den höheren Dienst vorgesehen sind. Das muß man hier einmal ausdrücklich sagen. ({1}) Ich denke hier insbesondere an die Bereiche der allgemeinen Verwaltung, des Finanz- und Personalwesens, und ich halte mich hier nicht zurück, das deutlich zu machen. Ich habe das als Stadtdirektor und ich habe das - wo ich das konnte - auch im Innenministerium nicht nur als eine Forderung aufgestellt, sondern ich habe es mit anderen versucht zu realisieren; ich bin bisher noch nicht enttäuscht worden. Ich finde, auch das sollte man als eine gute Perspektive unseren Regierungsinspektoren sagen, nämlich daß für die Guten und für die Tüchtigen nicht unbedingt beim Regierungsoberamtsrat Schluß sein muß, sondern daß es da noch weitere Perspektiven geben kann. Das kann man auch in der Ausbildung zum Ausdruck bringen. Zusammengefaßt: Wir haben damals, als das Gesetz kam, Neuland beschritten. Inzwischen kann man für die allermeisten Elemente der Ausbildung sagen, daß sie sich bewährt haben. Wir können weiter sagen, daß wir tüchtige Damen und Herren für unsere Verwaltung bekommen. Ich füge dieser positiven Erfolgsbilanz hinzu, daß wir uns gerne darum bemühen werden, das, was auf der Basis dieser Grundstruktur noch zu verbessern möglich ist, auch zu verbessern, damit wir im Sinne der Bürger, für die wir ja da sind, aber auch im Sinne der beteiligten Menschen ein optimales Angebot in der Ausbildung bereitstellen können. Herzlichen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt IX auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gedenktage zum Ausbruch des Ersten und des Zweiten Weltkriegs - Drucksache 11/2715 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0}) Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den in Rede stehenden Antrag sehr knapp formuliert: Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, „in angemessener und würdiger Form an den im Jahr 1989 anstehenden 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs und an den 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs zu erinnern". - Das ist der Wortlaut. - Denn dieses Jahr, 1989, droht ja zu einer Sammelfeier zu werden: 200 Jahre Französische Revolution, 40 Jahre Bundesrepublik ({0}) - es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Daten - , und die Aufmerksamkeit für schwierige Daten sowie die Bereitschaft, über sie nachzudenken, geraten in Gefahr. Es kann heute nicht darum gehen, eine geschichtswissenschaftliche Debatte über den Beginn der beiden Weltkriege zu führen. Wir beschäftigen uns heute mit der Frage nach der Form, wie wir mit diesen schwierigen und belasteten Gedenktagen umgehen können. Wir wollen uns mit der Form befassen: Was ist die angemessene und würdige Form? Wir Sozialdemokraten nehmen nicht in Anspruch, darauf eine Antwort geben zu können, die schlüssig wäre. Auch der Deutsche Bundestag hat keine VeranDuve lassung, der Bundesregierung in selbstgerechter Weise diese Würdigung abzuverlangen. Er hat 40 Jahre gebraucht, bis er sich überhaupt mit der Frage befaßt, wie wir in der parlamentarischen Demokratie mit diesen Daten - September 1939 und August 1914 - umgehen. Die beiden Kriegsbeginne sind bisher noch nie in großen eigenen Debatten gewürdigt worden. Ich habe das heute noch einmal geprüft. Mit der Rede des Herrn Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker bei der Gedenkfeier am 8. Mai 1985, als des Kriegsendes vor damals 40 Jahren gedacht wurde, war eigentlich zum erstenmal das Parlament der Ort des Nachdenkens über unsere Geschichte in angemessener und würdiger Form. Im Mai vorigen Jahres habe ich in der Fragestunde die Bundesregierung gefragt, wie sie in diesem Jahr das Gedenken an die beiden Kriegsbeginne würdigen wolle. Staatssekretär Spranger mußte damals zugeben, daß bis dato keine Pläne vorlagen. Im September 1988 teilte er mir mit, der Bundeskanzler habe sich entschieden - ich zitiere - , am 1. September des 50. Jahrestages mit einer öffentlichen Erklärung zu gedenken. Das haben alle Bundeskanzler, auch alle Bundespräsidenten an ähnlichen Dekadentagen zuvor getan. Inzwischen ist eine Bundestagsdebatte eingeplant, und der Bundeskanzler hat eine Regierungserklärung angekündigt. Wir werten dies als politische Antwort auf unsere Anfragen und auch schon auf diesen Antrag. Dafür möchte ich mich beim Präsidium des Bundestags, aber auch bei der Bundesregierung bedanken. Nun aber beginnt das Nachdenken: Was heißt angemessen? Was heißt würdig? In diesem Jahr feiert Frankreich seine große Revolution in seinen Formen. In diesem Jahr feiern wir 40 Jahre Bundesrepublik; so, wie es geplant ist, nicht immer in der angemessenen Form. ({1}) Ich denke z. B. daran, daß das Kalendarium der Feierlichkeiten ausgerechnet für den September dieses Jahres als erste Eintragung vermerkt „Ausstellungsbeginn 40 Jahre Verkehrspolitik". Was wäre daran zu bejubeln? Eine Gedenkstunde oder Feierlichkeit für den 1. September steht in diesem Festkalendarium nicht. Es sind ja nach dem Verständnis dieser Feierei zwei völlig unzusammenhängende Daten. Wir Deutschen tun uns schwer mit der Geschichte. Noch schwerer haben wir uns immer mit der Form getan, in der wir mit ihr umgehen. Wie schwer Würde und Angemessenheit jedem fallen, der sich auf die Wundspur der deutschen Geschichte begibt, hat der 10. November 1988 gezeigt. Auch da hat niemand von uns eigentlich die Neigung zu selbstgerechter Beckmesserei. Das war auch eine schwierige Sache. Die von dem protestantischen Pfarrer Bodelschwingh angeregten Sedan-Feiern, die nach dem Krieg von 1870/71 jeweils am 2. September begangen wurden - es war immer der September -, waren beides: unangemessen und unwürdig. Die Siegessäule in Berlin ist bis heute das Symbol für die vergoldete phallische Kraftmeierei, die seit der Antike die Sieger immer wieder berauscht hat. Angemessen und würdig? Der große Historiker Theodor Mommsen notiert am 25. August 1900, also zu Sedans dreißigstem: Wenn überhaupt die Jahrestage der großen Siege im Wechsel der Geschlechter sich auf die Dauer zu Nationalfesten nicht eignen, so kommt in diesem Fall hinzu, daß jede derartige Feier alte, immer noch blutende Wunden von neuem aufreißt. Die Sedan-Feiern hatten weit mehr das deutsche Volk gespalten und die europäischen Nachbarn beunruhigt, als zum Ansehen der Deutschen beigetragen. „Über 40 Jahre lang" - Zitat eines Historikers - „wurde der Sedan-Tag als die eigentliche Geburtstagsfeier des Deutschen Reichs mehr oder weniger offiziell begangen, von der Masse der Deutschen manchmal siegestrunken, manchmal gelangweilt als Volksfest gefeiert. " Die Erinnerung an den Kriegsbeginn muß immer konkret sein. Denn Kriegsbeginn, das war der Anfang der Verwüstung Europas; das ist aber auch die Erinnerung an organisierten Haß, an befohlene Zerstörung. Kriegsbeginn ist das Ende vieler friedlicher Familien, das Ende von Dörfern, von Städten. Kriegsbeginn, das ist das Ende von Kulturepochen. Kriegsbeginn, das war der Fanfarenstoß für gefälschte Tugenden und falsche Siegesfeiern. Also welche angemessene und würdige Form werden wir finden? Für die Erinnerung an das Kriegsende hatte der Bundespräsident am 8. Mai die gültige Form gefunden. Seine Rede hatte damals mit den Worten begonnen: Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Wir wissen, daß am 1. September dieses Jahres vor allem das polnische Volk des Anfangs des Weltkriegs gedenken wird. Für Polen und Deutsche ist dieser Jahrestag das wichtigste Ereignis in ihrer mehr als tausendjährigen gemeinsamen Geschichte. Dies schrieb ein polnischer Journalist zum selben Anlaß vor zehn Jahren 1979 im „Vorwärts". Damals hat er hinzugefügt: Der 40. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges bietet Anlaß zu vielen Reflexionen geschichtsphilosophischer, politischer und moralischer Natur. Man kann diesen Jahrestag auch in einem weltpolitischen Zusammenhang betrachten, aber auch nur beschränkt auf ein einziges Volk. Der Autor dieses höchst interessanten längern Essays war Rakowski; er ist heute polnischer Ministerpräsident. Es wäre gut, wenn es zu der würdigen und angemessenen Form, die wir für den September 1989 suchen, auch gehören könnte, daß der soeben zitierte Autor, Rakowski, der uns morgen besuchen wird und morgen aus Anlaß des Geburtstags von Willy Brandt beim Bundespräsidenten eingeladen ist, daß dieser Ministerpräsident der Volksrepublik Polen hier vor dem Deutschen Bundestag spricht. Wir haben ja denkwürdige Ansprachen von bedeutenden Staatsmännern ehemaliger Kriegsgegner hier im Parlament in lebhafter Erinnerung. Das wäre eine mögliche Form an einem der denkbaren Tage im September. Meine Damen und Herren, wir haben in der Zeit der Wenderegierung mehrfach unser Verhältnis zur Zeitgeschichte diskutiert: im Zusammenhang mit den zwei Museumsplanungen, dann bei der Idee eines Mahnmals für die Opfer des Zweiten Weltkriegs in Bonn, aber auch als wir mehr oder weniger beteiligte Zeugen des Historikerstreits wurden. Ich finde im Rückblick: Gemessen an unseren fragwürdigen deutschen Traditionen, aber auch gemessen an der unbefangenen Jubelei anderer Staaten, haben wir alles in allem einen guten Diskussionsstil gefunden, der der Geschichte der Deutschen im 20. Jahrhundert angemessen ist. Die nackte Reaktion, die plumpe, dumme Geschichtsfälschung hat bei uns keine Chance. Sie findet statt, aber sie hat keine Chance. Debatte und Diskussion also scheinen die angemessene und würdige Form zu sein, die uns ziemt; der Verzicht auf endgültige, ins Heroische gehobene Bilder oder Rituale, die Würde der Sprache, die Chance des Disputs. Allerdings gibt es - das ist das Erfreuliche bei der Lektüre aller Reden seit 1959, die ich von Bundespräsidenten wie auch von allen Bundeskanzlern zu diesem Anlaß gelesen habe - in der Bundesrepublik Deutschland keinen grundsätzlichen Disput, keine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit - hinsichtlich der Fakten - über den Überfall auf Polen. Auch das muß hier einmal gewürdigt werden. Die Schuld der deutschen Hitlerdiktatur am Zustandekommen des Weltkrieges wurde in diesen 40 Jahren nicht von einem einzigen, der verantwortlich für ein Verfassungsorgan gesprochen hat, bestritten. Dieses Datum ist für uns Friedensmahnung. Und auch das ist zwischen den Parteien des Bundestages in all den Jahren unumstritten gewesen. So ist der 1. September zum wirklichen Gegenpol in der Diskussion über viele Vorgänge jener Zeit, zum wirklichen Gegenpol des Sedan-Rausches im Kaiserreich geworden. Die Gewerkschaften, unzählige Friedensgruppen in der Friedensbewegung haben diesen Tag zum Antikriegstag erklärt. Vielleicht wäre die angemessene und würdige Form, daß dieser Tag in diesem Jahr, 1989, 50 Jahre danach, offiziell und feierlich als Feiertag zum Antikriegstag der Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland erklärt wird. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Krey.

Franz Heinrich Krey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001214, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr 1989, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist reich an Tagen, die uns auf Grund überlieferter Zahlentraditionen Anlaß geben, über unseren Staat, über unser Volk, über unser Zusammenleben, über unsere Nation nachzudenken. Der 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und der 50. Jahrestag des Beginns des Zweitens Weltkrieges sind in der Tat Anlaß zur ernsten Mahnung. Diese Daten mahnen uns, das unsägliche Leid nicht zu vergessen, daran zu erinnern, das diese beiden Kriege über die Menschheit gebracht hat. Wir denken an die Opfer, die diese Kriege auf den Schlachtfeldern und unter der Zivilbevölkerung gefordert haben. Wir denken aber auch an die geistige Not, den Mißbrauch von Idealen, die Verletzung von Heimat- und Vaterlandsliebe, an die Vergewaltigung der Gewissen, an die bis in unsere Zeit fortwährenden bitteren Folgen für Millionen von Menschen, an Schuld und an das Leid Unzähliger. Die Daten 1914 und 1939, der 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten und der 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges zeigen uns aber auch, wie kurz die Spanne des Friedens oder: des Nichtkrieges zwischen diesen beiden Schlachten zwischen den Völkern war. Sie betrug gerade zwei Jahrzehnte. Das ruft uns in Erinnerung, daß der Zweite Weltkrieg sicher auch damit zu tun hatte, daß Ursachen und Wirkungen des Ersten menschlich und vor allem politisch bei uns und vielleicht auch anderswo nicht erfolgreich aufgearbeitet waren. Diese Daten also hervorzuheben, darf kein Selbstzweck sein. Sie eignen sich nicht zum Parteienstreit. Sie sind eine ernste Mahnung für unser Volk, für die politisch Verantwortlichen, für die ganze Welt. Mein Vater war Soldat, Wehrpflichtiger, im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg. Ich selbst mußte mit vielen meiner Altersgenossen mit 14 Jahren in einen sinnlosen Einsatz als Fronthelfer. Mein Ziel ist, was zugleich unsere gemeinsame Aufgabe ist, meine Kinder, meine Enkelkinder und meine Urenkel nie wieder in einen Krieg ziehen zu lassen. Darum wollen wir nicht, daß diese Mahntage in der Reihe aller Gedenk- und Festtage untergehen, die in diesem Jahre anstehen. Darum stimmt meine Fraktion der Überweisung Ihres Antrages zu. ({0}) Darum werden wir in den Ausschußberatungen gerne konkrete Einzelheiten mit erarbeiten, Anworten auf die eben hier aufgeworfenen Fragen suchen. Es ist auch gut so, meine Damen und Herren, daß diese Mahntage nicht einfach in die Jahrestage, in die Feiern dieses Jahres, auch nicht in die Feier zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eingebunden sind. Wir begrüßen die Absicht des Bundeskanzlers, anläßlich dieser beiden Mahntage eine Erklärung abzugeben. Wir sind sicher, daß diese Mahntage auf vielfältige Weise unsere gemeinsame feste Absicht deutlich machen, daß niemals mehr ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Der Publizist Jens Feddersen weist in einem Kommentar zum Jahreswechsel darauf hin, daß „gemessen an den nun bald zu Ende gehenden neun Jahrzehnten dieses Jahrhunderts der nun 43jährige Frieden" eine Goldene Zeit genannt werden kann. Sicher: Für unser Land, für Europa kann man das so sagen. Doch ich bitte zu bedenken: Über 40 Jahre Frieden und Freiheit, über 40 Jahre Frieden in Freiheit sind offensichtlich eine so lange Zeit, daß man dies alles für normal zu halten beginnt. Alles, über das wir froh und auf das wir vielleicht mit Recht auch stolz sein können, weil wir es in gemeinsamer Arbeit zustande gebracht haben, ist jedoch nicht selbstverständlich. Über 40 Jahre Frieden, das ist nicht der Normalfall der Geschichte. Darum dürfen wir dies alles nicht als gegeben hinnehmen. Die Sicherung von Frieden und Freiheit ist vielmehr unsere tagtägliche Aufgabe, eine immer wieder neue Herausforderung, ist allezeit auf unsere gemeinsame Anstrengung und Wachsamkeit angewiesen. Die Hoffnung auf Frieden wird nicht durch feierliche Worte allein, sondern mehr noch durch eine konsequente Politik Wirklichkeit. So werden wir gut daran tun, bestimmte Tage und Ereignisse wieder in die Erinnerung zu rufen, um heute aus dem Gestern für morgen zu lernen. Freud und Leid, meine Damen und Herren, liegen bekanntlich eng beieinander. So werden wir in der Freude über die längste Friedenszeit seit Jahrhunderten niemals vergessen, auch in diesem Jahre nicht, wie brüchig unser Glück sein kann, welche Folgen der Kriege uns noch bedrücken und was wir zu bewahren haben. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin und des sehr jungen Autors Bernd Ullrich möchte ich mit einem Zitat aus einem sehr frechen Artikel beginnen. Er heißt: „40 Jahre BRD - Juchhe". Da heißt es: Die Bundesrepublik wird vierzig, und der Jubel kennt keine Grenzen - keine Grenzen des guten Geschmacks, keine der Bescheidenheit. Es wird eine künstliche, eine verordnete Feier werden, weil es keinen Grund gibt für große Staatsakte. Das einzige, was wirklich eines kleinen und beschaulichen Gedenkens wert wäre, ist, daß diese „mal mehr, mal weniger"-Demokratie nach vierzig Jahren zu normal geworden ist, um sich mit Getöse bejubeln zu lassen. Ein kleines Glas roter Wein in trauter Runde, ein kurzes Zuprosten, danach ein ordentliches Glas Wermut und fertig. Über das, was ein kleines Glas roten Weines in trauter Runde wert wäre, über die 40-Jahre-Feier, müssen wir uns ein anderes Mal unterhalten und werden es auch hoffentlich. Denn allmählich macht mir die Kostenexplosion für teilweise auch ominöse Projekte einige Sorgen. Ich denke, darum sollte sich das Parlament auch kümmern. ({0}) Diesmal sind wir aber bei dem Anlaß zu Bitterem, zu Wermut. Das ist der Inhalt des Antrags der SPD. Natürlich ist es sinnvoll, angemessen und notwendig, des 75. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkriegs und des 50. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Weniger sinnvoll - da fangen die Schwierigkeiten schon an - scheint es mir zu sein, von einem „Ausbruch" des Krieges zu sprechen. Ich meine das rein sprachlich gesehen. Es gibt Wutausbrüche und Vulkanausbrüche; es gibt Ausbrüche aus Gefängnissen und Ehen; aber Kriege brechen nicht einfach aus wie Naturgewalten. Kriege haben ihren Ursprung in einer Politik. Im Bewußtsein und im Machtstreben dieses Landes haben zwei Kriege mit der Schuld seiner Regierung und mit der Zustimmung und dem Mittun seiner Bevölkerung angefangen. Daß dieses Gedenken nun in angemessener und würdiger Form stattfinden soll - Herr Duve hat es schon gesagt - , das ist ja gerade das Problem. Wer die Gedenktage der letzten Jahre Revue passieren läßt, der weiß, daß wir uns im Augenblick bei dem Begehen von Gedenktagen unter dem Gesetz einer Serie von Peinlichkeiten befinden. Es ist auch nicht zu erwarten, eher zu befürchten, daß wir uns dieses Mal nicht aus dieser gesetzmäßigen Reihe - wie ein Narr, der sich eilfertig am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht - befreien können. Auch der Antrag der SPD gibt dazu noch keine tatkräftige Hilfe, finde ich. Der Illusion, daß uns mit einem Austausch der Redner oder mit einem Aufpolieren des Rahmens viel geholfen wäre, würde ich doch nicht erliegen wollen. Ich muß sagen, daß ich mit einiger Sorge daran denke, wenn Bundeskanzler Kohl oder meinetwegen Verteidigungsminister Scholz eine solche Rede an einem solchen Gedenktag halten. ({1}) Das, denke ich, kann doch nach dem, was wir in der Vergangenheit in bezug auf diese Reden gemacht haben, nicht gemeint sein. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, daß die Form, die der damalige Verteidigungsminister Hans Apel vor genau zehn Jahren zu diesem Ereignis in der Form eines Tagesbefehls gefunden hatte, der die Soldaten sehr eindringlich an diesen Tag erinnert hat, auch für einen Verteidigungsminister eine angemessene und würdige Form gewesen ist und vielleicht auch wieder sein kann?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Um nicht mißverstanden zu werden, spreche ich niemandem, weder dem Kollegen Apel noch sonst jemandem, die Fähigkeit ab, eine solche würdevolle Form zu finden. Ich sage nur, daß ich gewisse Sorge habe, und diese hat ja auch gewisse Anlässe. ({0}) Ich meine, was zur Sprache gebracht werden müßte, sind die Ursachen von Kriegen, die Wahrscheinlichkeit von Kriegen, die drohenden und die nicht mehr vorstellbaren Kriegsbilder der Zukunft. Ein Konfliktverlauf wäre zu erforschen, der sich aus den Verstrickungen, dem Hineinschlittern, den wirt8804 schaftlichen Zwängen und Gelüsten und den ideologischen Aufrüstungen gespeist hat. Es wäre also genau das zu erforschen, was Herr Jenninger ja in seiner Rede erforschen wollte und was er so schwer hat treffen und ausdrücken können. Die einzigen, die dafür berechtigte Zeugen wären, meine ich, wären die Opfer der vergangenen Kriege und Kriegsrüstungen, eben die, die wir immer zu wenig gehört haben. Zu thematisieren wäre die merkwürdige Scheu, das Bewußtsein, die Erfahrungen und die Leiden der Opfer zum Ausgangspunkt eines neuen demokratischen Bewußtseins in dieser Republik zu machen. Weil es diese Scheu gegeben hat, deswegen haben sie auch so wenig zu uns gesprochen. Wir machen einen anderen Vorschlag und kommen dann auf Ihren noch zurück. Wir werden, anknüpfend an den 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, einen Antrag in diesen Bundestag einbringen, praktische Schritte zur Entschädigung der polnischen Zwangsarbeiter einzuleiten. 1,7 Millionen polnische Zwangsarbeiter waren die Folge dieser Aggressionen. Ihnen ist Lebenszeit, Gesundheit, Lohn vorenthalten worden. Viele sind in dieser Sklavenarbeit zu Tode gekommen; viele haben an Gesundheit und Seele Schaden genommen. Es ist möglich und zumutbar, den heute noch lebenden 700 000 wenigstens eine kleine materielle Entschädigung für diese Lebensjahre zu gewährleisten. Wir werden Ihnen aus Anlaß dieses Tages dazu eine unbürokratische und einfache Regelung vorschlagen, die das Gedenken in praktische Hilfe überführt. Als zweites schlagen wir vor, überhaupt über die Gedenktage, die wir haben, nachzudenken, z. B. über den Gedenktag des 17. Juni. Er war meines Erachtens nie identitätsstiftend. Er hat das Reden und das Nachdenken auf den falschen Punkt gelenkt, aus dem sich auch eine nationale Identität für die Deutschen für heute und für die Zukunft nicht mehr gewinnen läßt. Er paßt nicht mehr in die neuen Entwicklungen, die im europäischen Haus stattfinden. Statt dessen erscheint es uns wirklich sinnvoll, am 1. September, dem traditionellen Antikriegstag, intensiv über die Ursachen von Kriegen, über die Notwendigkeit ihrer Vermeidung und über unseren Beitrag zur Vermeidung neuer Konflikte, auch ökonomischer Konflikte, die von diesem Land ausgehen könnten, nachzudenken. die Form müßte dem Anlaß dieses Tages angemessen sein. Was aus diesem Anlaß zu reden ist, muß so ausgedrückt werden, daß die Stimmen der Opfer dabei noch zu hören sind, und die sind bekanntermaßen leise. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur diese Debatte zeigt, daß 1989 ein schwieriges Jahr wird. Ich will nicht der Versuchung erliegen, jetzt über die vor uns stehenden Feierlichkeiten aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Bundesrepublik zu sprechen. Ich bin Herrn Waffenschmidt dafür dankbar, daß er die bisherigen Gespräche in großer Offenheit mit den Parlamentariern geführt hat. Aber ich meine, daß wir über das, was vorgesehen ist, weiter nachdenken müssen, und Sie werden es einem Berliner nachsehen, daß er es nicht über die Zunge bringt, 40 Jahre Bundesrepublik nur als freudige Zeit von 40 Jahren Frieden und Freiheit zu begreifen. Es sind auch mehr als 40 Jahre Spaltung. ({0}) Das hat seine Ursache in dem, womit wir uns heute schwerpunktmäßig befassen, und deswegen haben wir einen unmittelbaren Bezug von „40 Jahre Bundesrepublik" auf „50 Jahre seit Beginn des Zweiten Weltkrieges". ({1}) Die bisherigen Planungen der Bundesregierung, die letztlich darauf hinauslaufen, am 1. September neben einer - lassen Sie es mich polemisch sagen - Berliner Gedenkrunde nur eine Gedenkveranstaltung zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Bundestag - hoffentlich mit Debatte - zu veranstalten, reichen nach meiner Auffassung nicht aus, um der Bedeutung des Tages gerecht zu werden. ({2}) Aber ich sage auch: Der Antrag, den Sie gestellt haben, der gleich noch den Ersten Weltkrieg mit Parallelstellung zum Zweiten Weltkrieg in die historische Verpflichtung nimmt, hilft da auch nicht sehr viel weiter. Ich sehe einen qualitativen Unterschied zwischen dem, was zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte - wenn ich diesen Begriff noch einmal einfach übernehmen darf - , und dem Überfall auf Polen, der dann zu dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg führte. ({3}) Deswegen werde ich mich mit dem, was ich hier heute sage, auf das konzentrieren, worüber wir nachdenken müssen, wenn es schwerpunktmäßig um den Zweiten Weltkrieg geht. Wir dürfen den Beginn des Ersten Weltkrieges nicht wegdrücken. Aber ich sage ganz freimütig: Was mich gestört hat, war die Parallelstellung in diesem Antrag. Sie wird meinem Verständnis nicht gerecht. Nach Auffassung der Freien Demokraten ist es notwendig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland in Verantwortung vor unserer durch das Grundgesetz gegebenen Aufgabe und in Anerkennung unserer Verantwortung gegenüber der Geschichte Deutschlands mehr und anderes tun, als nur Gedenkveranstaltungen durchzuführen, seien sie noch so wichtig, noch so hochkarätig und nach Raum und Besuchern und Rednern höchst bedeutsam. Wir können und dürfen in diesem Jahr 1989 nicht selbstzufrieden nur 40 Jahre Bundesrepublik feiern, so sehr wir Anlaß zum Feiern haben, denn auch 40 Jahre Frieden und 40 Jahre freiheitlicher Staat im Westen Deutschlands gilt es gebührend herauszustellen. Wir müssen uns des 1. September 1939 bewußt bleiben. Es wird notwendig sein, an diesem Tag, wie es geplant ist, eine Gedenkveranstaltung durchzufühLüder ren, aber dabei darf es nicht sein Bewenden haben, weil sich der Zweite Weltkrieg nicht auf das Datum des 1. September 1939 komprimieren läßt. Deswegen möchte ich auch nicht nur auf diesen 1. September abstellen, und ich verspreche mir auch nichts davon, einen weiteren Tag als Antikriegstag zu kreieren. Der ginge in die Liste derer, die gedenken, ein, aber wir müssen an die heran, die zu leicht über solche Tage hinweggehen; wir müssen die erreichen, die sich mit der Geschichte zu wenig befassen. An die möchte ich herankommen! Wir müssen dieses Datum zum Anlaß nehmen, vertiefte Informationen über Ursachen und Bedeutung dieses Tages, über das Woher und Warum der historischen Entwicklung, über die Bedeutung dieses Tages und darüber, was sich aus dem Kriegsausbruch Schreckliches bis in die heutigen Tage entwickelt hat, zu gewinnen. Wir sollten diesen Tag auch als Chance nutzen, uns mit dem Staat und dem Volk, seiner Geschichte und seiner Kultur näher zu beschäftigen, das das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs wurde: Polen. Ich möchte deswegen anregen, bei den Ausschußberatungen drei Punkte aufzunehmen; weitere Punkte können im Verlauf der Beratungen dazukommen. Erstens. Ich möchte die Bundesregierung bitten, in einem von ihr zu initiierenden Symposion, das z. B. zusammen mit einer wissenschaftlich-politischen Gesellschaft veranstaltet werden könnte, eine umfassende und fundierte Bilanz des deutsch-polnischen Verhältnisses zu ziehen, um daraus Anregungen für die Zukunft zu gewinnen. Ich bin mir hier der Unterstützung des Bundesministers des Auswärtigen sicher. Zweitens. Wir sollten die Bereitschaft vieler Studenten und junger Wissenschaftler nutzen, über Ursachen internationaler Konflikte gerade im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu forschen oder auch über Anregungen zur Konfliktbewältigung oder - besser - zur Konfliktvermeidung zwischen Völkern und Staaten nachzudenken. Für gute wissenschaftliche Arbeiten sollte ein Stipendium-Programm - bewußt aus Anlaß dieses Tages - aufgelegt werden. Ich bin mir dabei der Unterstützung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sicher. Drittens. Es ist viel zu wenig bekannt, was unsere polnischen Nachbarn unter schwierigsten Bedingungen getan haben, um ihre Städte wiederaufzubauen, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Zusammen mit einigen Freunden habe ich vor inzwischen vier Jahren im Comenius-Club in Berlin eine Ausstellung präsentiert, die von polnischen Fachleuten gestaltet wurde. Sie zeigte, was nicht nur in Warschau, sondern in anderen Städten Polens - in Städten, die viele gar nicht kennen, in Krakau und in Zamosc - an Aufbauarbeiten geleistet wurde. Die Ausstellung zeigte, was dort an Rekonstruktion alter historischer Stadtteile geleistet wurde. Ich meine, daß wir Wege finden sollten, eine solche Ausstellung in die Bundesrepublik zu holen und in verschiedenen Städten zu zeigen, da die Kenntnis von Kultur und Geschichte Polens bei uns viel zu wenig verbreitet ist. Diese drei Anregungen sollen beispielhaft dem Ziel dienen, das Erinnern und Gedenken an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu vertiefen. Sie dienen ferner dem Ziel, an die Verantwortung zu erinnern, die Deutschland durch den Überfall auf Polen übernommen hat. Sie sollen Chancen zur Aussöhnung verstärken und zugleich dazu beitragen, gerade den jüngeren Mitbürgern zu zeigen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht geschichtslos dasteht, sondern sich ihrer Verantwortung als deutscher Staat auch gegenüber der Geschichte bewußt bleibt. Nur wer um die Verantwortung für das weiß, was Deutschland durch den Überfall auf Polen vor 50 Jahren und die ihm folgenden unverantwortlichen Kriegshandlungen auf sich genommen hat, erfährt auch den Freiraum zur Freude über 40 Jahre freiheitliche Staatlichkeit wenigstens in einem Teil Deutschlands. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies ist einer der seltenen Tage, an denen wir nicht giftig miteinander umgehen, sondern einander zuhören. Ich glaube, das ist dem Thema angemessen, und dafür bedanke ich mich. Was über den Zusammenhang von Jubelfeiern und Gedenktagen zu sagen war, hat mein Kollege Duve angesprochen. Es ist von allen Parteien aufgegriffen worden. Es ist an den 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs und an den 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Ich sage ganz bewußt: Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wer will da den Schuldigen - d e n Schuldigen! - finden? ({0}) In bezug auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs ist das sehr viel klarer gewesen. Ich habe jetzt begriffen, daß wir unseren Antrag nicht im Streit behandeln, sondern, so denke ich, in der vernünftigsten Form, die vorstellbar ist. Aus der Geschichte kann man nicht beliebig aussteigen; man hat sie am Hals. Die Reife eines Volkes, meine ich, erweist sich u. a. daran, wie es mit seiner Geschichte umgeht. Die Deutschen haben sich angewöhnt, von der Last ihrer Geschichte zu sprechen. ({1}) Das, scheint mir, ist gefährlich. Einer Last entledigt man sich so schnell wie möglich durch Vergessen. Ich rede lieber von den Chancen, die aus unseren geschichtlichen Erfahrungen erwachsen. Daran, so meine ich, gilt es zu denken. Meine Fraktion begründet ihren Antrag zu Recht damit, daß die zwei Weltkriege, an die es zu erinnern gilt, Europa verändert haben. Sie haben uns u. a. ge8806 lehrt, daß von den Deutschen niemals wieder Krieg, sondern Frieden ausgehen müsse. ({2}) Nur: Ein solches Postulat muß unterfüttert werden. Der Friedensgedanke muß in die Köpfe der Menschen eingebrannt werden, damit er eine Langzeitwirkung bekommt. Nationen erinnern sich nur ungern an verlorene Kriege; das ist in aller Welt so. Aber, so denke ich, es wäre gut, sie würden sich gerade daran erinnern, alle miteinander, und lernen, daß diese Form des Völkermords noch kein einziges Problem der Menschheit gelöst hat, mit der einzigen Ausnahme, daß der Ausgang des Zweiten Weltkrieges die Deutschen von Hitler befreite, die Welt übrigens auch. Deshalb war es letztlich auch ein universeller Krieg, an den zu denken ist. Was tun wir, um diese Erfahrungen immer wieder zu reaktivieren? Viele schieben das Gedenken an unrühmliche Daten der Geschichte von sich weg. Genau das ist der falsche Weg. Wie kann man aus Ereignissen lernen, die man verdrängt? Wie wir hören, wird das polnische Parlament zum 1. September 1989 Parlamentarier aus den wichtigsten kriegführenden Staaten des zweiten Weltkrieges - auch uns - nach Warschau zu einer Konferenz einladen. Wie wir weiter hören, sollen es Abgeordnete sein, die nach dem Tag des Kriegsausbruchs geboren wurden. Ich halte das für eine gute Idee und hoffe, daß Abgeordnete aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages dieser Einladung Folge leisten. Ich hoffe, daß auf dieser Konferenz nicht nur über die Verbrechen des Nazi-Regimes geredet wird, sondern vor allem darüber, wie wir gemeinsam aus Europa einen Kontinent des Friedens machen können. Die Warschauer Offerte, von dem ersten Überfallenen des Zweiten Weltkrieges ausgesprochen, ist eine großherzige Geste. Fast schäme ich mich, daß uns Vergleichbares nicht eingefallen ist. Aber das kann man ja ändern. Wir sollten das ändern, und unser Antrag bezweckt genau das. Wir fangen ja jetzt an, darüber nachzudenken. Vorwärts gerichtete Vorschläge brauchen wir, die die Last der Geschichte in ein mutiges Bekenntnis für die friedliche Zukunft Europas verwandeln. Einfach ist das nicht; es erfordert Nachdenken. Die Zeit dafür haben wir ja noch. Zum Denken und Überdenken soll unser Antrag beitragen, und das ist ja gelungen. Bedenken Sie dabei bitte auch: Schon in der Präambel des Grundgesetzes erheben wir den vermessenen Anspruch, alleiniger Nachfolgestaat der Deutschen zu sein. So etwas hat Konsequenzen. Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß der Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor 40 Jahren in angemessener Weise gedacht wird, sofern wir dabei - das merke ich allerdings auch an - den einzigen Friedensnobelpreisträger, den die Bundesrepublik bisher hervorgebracht hat, nicht vergessen. ({3}) Aber wir sind auch dafür, daß die Last, die Lehren der Geschichte dabei nicht verdrängt und daß die Chancen, die aus dieser Geschichte erwachsen, verdeutlicht werden. Gedenktage, meine Kolleginnen und Kollegen, sind Denktage. Darauf machen wir aufmerksam. Wir sollten diese Chance nutzen. Wenn von Deutschland Frieden ausgehen soll, darf es friedensgefährdende Industrieexporte nicht mehr länger geben. ({4}) Wenn von Deutschland Frieden ausgehen soll, dürfen wir das Erbe unserer Geschichte nicht verdrängen. ({5}) - Jetzt hat er meine ganze Rede kaputtgemacht; aber er hat ja recht. Wenn von Deutschland Frieden ausgehen soll, muß Frieden in unseren Köpfen herrschen. Wie machen wir das? - Am besten durch die Verwirklichung unseres Antrags. Ich bedanke mich. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, daß wir sehr nachdenklich über das Thema reden, das in dem SPD-Antrag als Aufgabe angesprochen wird. Ich finde, wir sollten uns von vornherein alle darin einig sein, keinem Verantwortlichen abzusprechen, daß er sich darum bemüht, auch ausgehend vom Gedenken an diese beiden schlimmen Ereignisse, Initiativen und Worte angemessener Würdigung und Folgerungen zu finden. Der 75. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und der 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges werden im Gedenken vieler Menschen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der zahllosen Opfer stehen, die Kriegsteilnehmer und die Zivilbevölkerung bei den schrecklichen Ereignissen zu bringen hatten, bei den schrecklichen Ereignissen an der Front, aber auch durch die Gewaltherrschaft und die schrecklichen Einzelheiten und Vorgänge, die sie mit sich gebracht hat. Wenn wir daran denken, glaube ich, haben wir richtige Orientierungspunkte, auch die ordentliche, die richtige, die sachgerechte und die angemessene Form des Gedenkens zu finden. Ich hoffe, daß die weiteren Beratungen im Ausschuß von dem Geist getragen sind, der heute abend hier hörbar, sichtbar und erlebbar geworden ist. Ich habe, Kollege Duve, Ihnen, dem Kollegen Lüder und anderen auf Ihre Fragen auch schon mehrfach mitgeteilt, daß sich die Bundesregierung im Blick auf 1989 nicht nur damit befaßt, wie man den erfreulichen Tatbestand von 40 Jahren Frieden und Freiheit angemessen begehen und eine ehrliche Zwischenbilanz machen kann, sondern auch damit, wie man in angemessener Weise der schlimmen Jahrestage zum Ersten und Zweiten Weltkrieg am 1. September 1989 gedenken kann. Ich wiederhole hier, daß der BundesParl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt kanzler eine Erklärung abgeben wird, und ich bin froh, zu hören, daß sich der Bundestag vornimmt, hier eine Debatte zu führen, aber es sollen und müssen sicherlich auch noch andere Daten gesetzt werden. Ich finde schon - das ist hier angeklungen -, daß die 40jährige Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eben mit dem schrecklichen Ereignis des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges in Verbindung steht, weil da das begann, was dann zur schmerzlichen Teilung unseres Vaterlands geführt hat oder in ihr einen schlimmen weiteren Höhepunkt hatte. Wir sollten also bei allem, was wir an positivem Gedenken vornehmen - 40 Jahre Frieden und Freiheit -, nie vergessen, daß das die ernste Mahnung ist: Krieg, Gewaltherrschaft und Diktatur dürfen bei uns nie wieder sein. Bundeskanzler Helmut Kohl hat das noch gestern auf einer Veranstaltung der CDU in Bonn deutlich gemacht. Ich möchte noch gerne erwähnen, daß in einer ganzen Reihe von Veranstaltungen zu „40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" diese Bezüge und auch der Zusammenhang mit den Lehren aus den furchtbaren Ereignissen der Hitler-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs hergestellt werden. Ich will ein paar Beispiele nennen. Auch die zentrale Wanderausstellung „40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" - ich hatte ja die Kollegen aus den vier Fraktionen eingeladen, ihre Beiträge dazu zu leisten, was dankenswerterweise auch geschehen ist - wird das mit Bildern und Aussagen aufnehmen. Der Bundeskanzler hat ausdrücklich auch den Vorsitzenden der SPD eingeladen, bei der Eröffnung ebenfalls zu sprechen, um deutlich zu machen, daß es hier wirklich um eine übergreifende Würdigung gehen soll. Wir haben dann den Kongreß „Von Weimar nach Bonn - Freiheit als Aufgabe". Wir haben uns vorgestellt - die Verantwortlichen im Berliner Senat, Kollege Lüder, im innerdeutschen Ministerium, die das beraten haben; ich habe es mit Frau Dr. Wilms mehrfach besprochen - , daß gerade dieser Kongreß „Von Weimar nach Bonn" auch die Fragestellung aufnehmen soll, aufnehmen muß: Wie konnte es zur Hitler-Diktatur und dann zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kommen? Das muß da mit hinein und ist auch so angelegt; denn nicht dieser Tag - 1. September 1939 - muß für sich allein gesehen werden, - das klang ja eben bei Ihnen, Frau Kollegin Vollmer, oder bei Ihnen, Herr Duve an, ganz gewiß auch in den nachdenklichen Worten des Kollegen Krey und des Kollegen Lüder - , sondern auch das, was dahin geführt hat. Heute morgen haben wir unter Federführung des Deutschen Städtetages und seiner Experten die Grundstruktur der Ausstellung „So viel Anfang war nie - Aufbruch aus Trümmern" vorgestellt. Ich will hier weitergeben, daß die Verantwortlichen dieser Ausstellung das ganz besonders ernstgenommen haben: „Aufbruch aus Trümmern". Die Verantwortlichen der Städte - auch quer durch die politischen Parteien - haben sich den Auftrag gegeben, ganz besonders darzustellen, wie nach Hitler-Tyrannei, nach den grauenvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges in deutschen Städten wieder Kultur, kulturelle Entwicklung in Freiheit gestaltet werden konnte. Was sich die Leute beim Deutschen Städtetag überlegt haben, was die Fachleute in Nürnberg - ({0}) - Ja, das mag in manchen Bereichen so sein, Kollege Duve. Ich möchte nur gerne die Verbindungen aufzeigen, die gezogen werden zwischen den Veranstaltungen, die in einer sehr besinnlichen und nachdenklichen Form aus Anlaß von „40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" vorbereitet werden. Dort gedenkt man eben auch dessen, was heute hier Thema ist. Weil auch neue Gedanken vorgetragen worden sind, die ich begrüße und die wir weiter verfolgen wollen, will ich einmal in diese Debatte einführen: Es wäre doch sicherlich eine gute Sache, wenn in diesem Jahr 1989 ein Besuch des Bundeskanzlers in Polen stattfände. ({1}) Die Vorbereitungen hierzu sind ja auf gutem Weg. Der Bundeskanzler hat in einem Gespräch mit Journalisten gesagt: Es wäre gut, wenn es uns gerade im Jahre 1989 gelänge, zu einem Austausch junger Menschen zu kommen, daß vielleicht Hunderte oder Tausende von jungen Menschen aus Polen in die Bundesrepublik oder auch Deutsche nach Polen kämen. Ich fände das großartig. Man kann ein deutsch-polnisches Jugendwerk sicherlich nicht genauso gestalten wie das Deutsch-Französische Jugendwerk; das muß man ganz anders anlegen. Der Kern der Sache ist aber doch, daß Menschen zueinanderkämen, daß Vorbehalte abgebaut würden, daß man einander begegnen und einander austauschen und miteinander sprechen könnte. Ich finde, das alles sollten wir in die Beratungen einbringen, die jetzt vorgesehen sind. Ich finde, die sich gerade uns Deutschen im Jahre 1989 stellenden Jahrestage machen letztlich deutlich, daß der Frieden und die Freiheit, die uns geschenkt sind, keine Selbstverständlichkeit sind. Meine Damen und Herren, ich habe bei unseren Veranstaltungen „40 Jahre Bundesrepublik Deutschland" immer von einer Zwischenbilanz gesprochen. Wir dürfen uns nicht in Selbstgerechtigkeit auf die Schulter klopfen und sagen: Was sind wir für prima Leute! Wir dürfen das Erreichte fröhlich annehmen. Aber es muß uns Auftrag sein, daß wir es noch besser machen und aus den traurigen Erfahrungen, aus den furchtbaren Erfahrungen, aus den erschreckenden Erfahrungen lernen, die auch ich in manchen grauenvollen Ereignissen in Bombennächten noch miterlebt habe. Durch persönliches Erlebnis von Krieg und Gewalt sollten wir lernen, daß das nie wieder sein darf. Insofern haben wir eine große Chance. Ich erkläre ausdrücklich - auch für die Bundesregierung - die Bereitschaft, in den Ausschußberatungen mit zu überlegen, was noch geschehen kann. Einiges ist hier aufgeführt worden, was vorbereitet wird. Anderes ließe sich noch nennen, heute ist Weiteres hinzugekommen. Nehmen wir doch aus dem Ge8808 sprach heute abend mit, daß wir alle guten Anregungen sammeln und uns bemühen, daraus gemeinsam etwas für unser Volk zu machen - ich sage das jetzt bewußt einmal so - , auch in der Verantwortung vor der Geschichte und dem, was wir für die Zukunft daraus zu lernen haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Januar 1989, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.